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redigirt von
DR. JUL. WEISS UND A. BRESTOWSKI.
KARL PROCHASKA
WIEN K. und K. HOF- & VERLAGSBUCHHANDLUNG LEIPZIG
I. KuMproAssE 7. TESCHEN IN SCHLESIEN. königsstrasse 9 u.
1899.
OHREN-, NASEN-,
RACHEN- UND KEHLKOPF-
KRANKHEITEN,
MIT BEITRÄGEN VON:
Dr. BarnicKj Graz. — Dr. H. Bergert, München. — Prof. Dr. Böke, Buda-
pest. — Dr. M. Braun. Triest. — Prof. Dr. Bürkner, Göttingen. — Prof.
Dr. Chiari, Wien. — Prof. Dr. Gradenigo, Turin. — Dr. H. Gutzman,
Berlin. — Docent Dr. Gomperz, Wien. — Docent Dr. Haug, München. —
Dr. f. Heryng. \A'arschau. — Docent Dr. M. Hajkk, Wien. — Dr. Jessner,
Königsberg j/Pr. — Prof. Dr. Irsai, Budapest. — Docent Dr. Kaufman,
Zürich. — Prof. Dr. F. Klug, Budapest. — Prof. Dr. Kuhn, Strassburg,
— Prof. Dr. Lesshaft, St. Petersburg. — Docent Dr. Meyer, Zürich. —
Dr. Pol YAK, Budapest. — Dr. A. Rosenberg, Berlin. — Dr. R. Spiea,
Krakau. — Prof. Dr. Schech, München. — Dr. M. Scheier, Berlin. —
Prof. Dr. Steinbrügge, Giessbn. — Dr. Zarniko, Hamburg.
ßEDIGIET VON
DOC. Dr. JUL. WEISS.
KARL PROCHASKA
WIEN K. UND K. HOF- & VERLAGSBUCHHANDLUNG LEIPZIG
1. KUMPFGASSE 7. TESCHEN IN SCHLESIEN. KÖSIGSSTKASSE 911.
1899.
^ AcustiCUS-Atrophie. Die pathologisch-anatomischen Untersuchungen
haben in Betreff der- Hörnervenfasern bis jetzt nur in denjenigen Fällen sichere
Resultate ergeben, in welchen intensivere Entzündungen des Labyrinthes,*)
sei es infolge von traumatischen Einwirkungen oder von Infectionskrank-
heiten stattgefunden hatten. Die Infectionsträger, welche in den labyrin-
thären Hohlräumen eine eiterige Entzündung erregen, ergreifen in gleicher
Weise auch das Neurilemm der Nervenstämme im inneren Gehörgange und
dringen selbst in die feinsten Nervencanäle ein, welche den Knochen durch-
setzen. Man findet auf Durchschnitten derselben oft zahlreiche Eiterkörperchen
zwischen den Nervenfasern.
Diese entzündlichen Processe können zur partiellen Zerstörung und
Lückenbildung innerhalb der Nervenbahnen oder zu atrophischen Zuständen
der Nervensubstanz führen, so dass an Stelle der markhaltigen Fasern später
nur noch ein blasses, dem Bindegewebe ähnliches Faserwerk gefunden wird,
welches sich Farbstoffen gegenüber anders verhält als die normale Nerven-
substanz.
Atrophie der Hörnervenfasern kommt infolge des Druckes von Ge-
schwülsten im inneren Gehörgange vor. Auch Aneurysmen der Art. basilaris
können daher die Ursache einer Atrophie des Hörnerven abgeben. Seltener
ist dieselbe nach hochgradigem Hydrocephalus, nach Pachymeningitis
haemorrhagica, sowie nach Tabes dorsalis beobachtet worden. In meh-
reren Fällen von Degeneration des Nervus acusticus wird auch über das
Vorkommen zahlreicher amyloider Körperchen berichtet. — Ueber die Ver-
änderungen, welche der Nerv bei lange bestehenden, sklerosirenden Processen
im mittleren Ohre etwa erleidet, sind wir ziemlich im unklaren, da nur spär-
liche pathologisch-anatomische Untersuchungen vorliegen. Ebenso wenig ist
die Frage bis jetzt erledigt, ob eine reine In a cti vi täts- Atrophie des
Hörnerven, ohne entzündliche Vorgänge, nach langjährigen Störungen der
Function des schallleitenden Apparates überhaupt vorkomme. Gegen diese
S^ Annahme sprechen einzelne Befunde bei Taubstummen, ferner das Verhalten
des Sehnerven beim Linsenstaar. Endlich wären auch die neueren Anschau-
^^ ungen über die Ernährung der Nervensubstanz im Bereiche der einzelnen
Neurone dabei zu berücksichtigen, und es bliebe fraglich, ob eine derartige
Atrophie centralwärts über die Gangliengruppe des Canalis spiralis der
Schnecke überhaupt hinausgehen könne. STEiNBRtJGGE.
Adenoide Vegetationen (Hypertrophie der Pharynxtonsille). Unter
dem Namen der ^^adenoiden Vegetationen des Nasenrachenraumes^'' hat
W. Meyer in Kopenhagen die erste klinische Arbeit über eine Erkrankung
veröffentlicht, von welcher bis dahin nur in ganz vereinzelten Fällen und
"^ auch nur als nebensächlicher Befund berichtet worden war (Czeemak, Tüek,
Semeleder); in späteren Jahren haben dann Voltolini und Löwenbeeg
\ etwas ausführlichere Angaben hierüber gemacht, allein erst die gründliche und
*) Vergl. auch Artikel „Labyrintherhranhungen'^ in diesem Bande.
Ohren-, Nasen-, Eachen-, Kehlkopfkrankheiten, 1
2 ADENOIDE VEGETATIONEN.
Überzeugende Darstellung des betreffenden Krankheitsprocesses durch Meyer
war es, welche das Interesse der Aerzte und in erster Linie der Ohrenärzte
auf diese ebenso häufige wie wichtige Erkrankung gelenkt hat; kurze Zeit
nachher erschien die ausführliche Arbeit von Wendt, welcher die Beobach-
tungen Meyee's in fast allen wesentlichen Punkten bestätigte. Die von nun
an erschienenen überaus zahlreichen Mittheilungen haben den Angaben Meyeu's
und Wendt's kaum etwas Wesentliches hinzugefügt ; nur aus der auf ein-
gehende anatomische und klinische Untersuchungen gestützten Monographie
Tkautmann's müssen einige anatomische Thatsachen hervorgehoben werden,
die im Widerspruche stehen mit der auch heute noch von vielen getheilten
Ansicht von der Natur der Erkrankung. Trautmann hat zuerst und meiner
Ansicht nach mit Recht hervorgehoben, dass das klinische Bild Meyer's ein
fast vollständiges ist, dass dagegen mit dem Namen „adenoide Vegetationen"
die anatomische Natur der Erkrankung nicht scharf genug charakterisirt sei.
Meyer spricht von kammartigen Gebilden am Rachendache und der hinteren
Pharynxwand, die grosse Dimensionen erreichen können; er beschreibt ferner
ähnliche, zapfen- und keulenförmige Vegetationen, die an anderen, besonders
seitlichen Stellen des Nasenrachens, an den Tubenwülsten, in der Rosen-
MüLLER'schen Grube u. s. w. vorkommen. Trautmann glaubt nun auf Grund
zahlreicher Sectionen, dass es sich immer um eine Hyperplasie der
Rachentonsille handle und dass die von Meyer u. a. beschriebenen
zapfen- und keulenartigen Bildungen in den seitlichen Abschnitten des oberen
Pharynxraumes nur Fortsätze und Ausläufer der hyperplastischen Pharynxton-
sille seien; alle diese kammartigen Erhebungen verlegen die Tubenwülste,
selbst deren Rachenmündungen und die RosENMüLLER'sche Grube, gehen aher
niemals von dem adenoiden Gewebe dieser Theile selbst aus. Es handelt sich
somit bei unserer Krankheit nur um eine Hyperplasie der Rachenton-
sille, jener von Lacauchie bei seinen anatomischen Untersuchungen mit
Wassereinspritzungen entdeckten Drüse am Pharynxdache, deren paarige
Natur durch eine ziemlich tiefe Furche in der Mittellinie des Fornix an-
gedeutet ist; die späteren Forschungen von Kölliker, Henle, Luschka,
Gerlach und Jablonov^ski haben die Angaben Lacauchies bestätigt und
die Entwicklung, wie auch den feineren Bau dieser Drüse näher dargelegt.
Die Tonsilla pharyngea ist ein 5—7 mm dickes, circa 11 mm langes, weiches, drüsiges
Organ, das leicht über die Schleimhaut des Eachendaches hervorragt und sich nach vorn
zu bis an das hintere obere Ende der Nasenscheidewand, nach hinten zu bis zum Atlas-
bogen erstreckt, während seine Seitentheile oftmals bis nahe an die Tuben und die
EosENMÜLLER'schen Gruben heranreichen; der vordere Abschnitt der Drüse ist mächtiger
entwickelt als der hintere. Die Oberfläche der Tonsille ist uneben, leicht zerklüftet und
besitzt stellenweise massige Einsenkungen und Gruben, welche die Reste von längs- und
querverlaufenden Leisten und Furchen darstellen, die beim Neugeborenen noch vorhanden,
im Laufe der ersten Lebensjahre aber durch spontane Rückbildung oder infolge ent-
zündlicher Vorgänge mehr weniger verstreichen; durch diese Leisten und Gruben erscheint
die Oberfläche unregelmässig und leicht gelappt; bei entzündlichen und hyperplastischen
Processen wachsen diese kleinen Läppchen theils zu breiten, halbkugeligen und kissen-
artigen, theils zu gestielten, kolbigen, zapfenförmigen Vegetationen aus, je nachdem sich
mehrere nebeneinander gelegene oder nur ein einzelnes Läppchen an dem hyperplastischen
Vorgange betheiligen; dieselben erreichen zuweilen eine solche Mächtigkeit, dass sie sich
über die Tubenostien legen oder die RosENMÜLLER'schen Gruben fast vollständig ausfüllen;
niemals habe ich diese noch so voluminösen Wucherungen mit dem Gewebe der Tuben in
directem Zusammenhange gesehen.
Mikroskopisch ist die Rachentonsille aus einem gefässreichen, reticulären Binde-
gewebsstroma zusammengesetzt, in welchem eine grosse Menge Leucocyten gelegen sind,
und zwar zusammengehäuft in Form der sogenannten Follikel, daher auch das Gewebe
von His als adenoide, von Henle als conglobirte Drüsensubstanz bezeichnet wird; das adenoide
Gewebe überragt die Oberfläche in Form kleiner Zapfen, oder es bildet Einstülpungen und
es kommt zur Bildung von Balgdrüsen. — Das reticuläre Bindegewebe der Drüsensubstanz
geht an der Basis der Tonsille in den gefässarmen, straffen Faserknorpel der Schädelbasis
über; die Drüsenoberfläche wie alle ihre Unebenheiten und Einsenkungen sind von einem
mehrschichtigen, flimmernden Cylinderepithel überzogen, das aber an den Stellen, wo die
ADENOIDE VEGETATIONEN.
Bursa pharyngea.
Balgdrüsen die Oberfläche erreichen, cubisch und abgeplattet erscheint und keine Flimmer-
haare mehr besitzt. Wir haben es demnach bei der Rachentonsille mit einem gleichartigen
Drüsengebilde zu thun, wie bei der Gaumentonsille, i. e. mit einer circumscripten An-
häufung von adenoidem Gewebe. Es stellt nach den Untersuchungen Waldkyer's die
Pharynxtonsille einen Theil des lymphatischen Halsringes dar, welcher am Fornix des
Rachens beginnt, an den Seiten über die Tubenwülste und die Gaumenmandeln herab-
zieht, um schliesslich quer über die Zunge zu gehen und mit der paarigen Tonsilla
lingualis zu enden.
Wenn heutzutage der Name „adenoide Vegetationen" für unsere Er-
kranliung noch im allgemeinen Gebrauche ist, so geschieht dies vorwiegend
zu Ehren W. Meyer's und weil hiedurch der Bau der hyperplastischen Drüse
näher bezeichnet ist. Es handelt sich aber, wie schon oben angegeben, nur
um eine Hyperplasie der Rachentonsille, und wir erkennen dies auch, wenn
wir mehrere Tage nach der operativen Entfernung der Drüse das rhino-
skopische Bild des Nasenrachens genau betrachten : die secernirende, ziemlich
ausgedehnte Wundfläche beschränkt sich nur auf das Rachendach, während
alle seitlich gelegenen Theile gegen die Tube wie auch gegen die Fossa
RosENMüLLER ZU iutact, höchstcns etwas geröthet sind; schliesslich habe
ich auch an der Leiche wiederholt Gelegenheit gehabt, die Angaben Traut-
mann's bestätigen zu können ; die Hyperplasie bestand nur am Fornix pha-
ryngis; an den Seitenwandungen und in der Tubenumgebung sah man zeit-
weilig kleine linsenförmige, röthliche Erhebungen, sogenannte folliculäre Gra-
nulationen, wie bei der Pharyngitis granulosa an der hinteren Rachenwand,
niemals aber habe ich grössere, zapfenförmige, kammartige Bildungen an
diesen Theilen gefunden.
Die hyperplastische Pha-
rynxtonsille kann die Grösse
«iner Wallnuss und darüber
erreichen; sie füllt oft den
ganzen Nasenrachen aus und
kann bei älteren Individuen mit
entsprechend weitem Pharynx
sogar die Grösse eines Gänse-
eies erreichen; ihre Farbe ist
eine grauröthliche, ihre Con-
sistenz meist eine weiche, nur
in seltenen Fällen ist ihr Ge-
webe straff und fest. An der
unregelmässigen, maulbeerarti-
gen Oberfläche einer in toto
entfernten Drüse (Fig. 1) erkennt man leicht mehr weniger tiefe, longitudi-
nale und transversale Furchen, durch welche die Tonsille in eine grosse
Zahl hinter- und nebeneinander gelegener zapfen- und kammartiger Läpp-
€hen getheilt ist. Zuweilen sieht man in der Mittellinie der exstirpirten
Drüsenmasse eine grössere, ziemlich tiefe Längsfurche mit der Einmündungs-
stelle der sogenannten Bursa pharyngea Luschka's, die man aber besser Re-
cessus pharyngeus med. nennen sollte, da wir es nach Ganghofer nur mit
einer Vertiefung im Gewebe der hypertrophischen Drüse und nicht mit einer
Bursa, einem beuteiförmigen Anhange, zu thun haben.
Bei der mikroskopischen Untersuchung solch frisch esstirpirter Pharynxtonsillen
sieht man zahlreiche Blut- und Lymphgefässe in denselben, die aus der Tiefe des Organes
kommen und ein dichtes Capillarnetz an der Oberfläche bilden. Von ihrem stärkeren oder
schwächeren Füllungszustande hängen jene Volumsveränderungen der Drüse ab, die wir
zeitweilig beim Lebenden beobachten können. Die centralen wie die peripheren Blut-
gefässe liegen in einem lockeren, reticulären Bindegewebe, das in feinen Fibrillen die
Drüsensubstanz durchsetzt; die haufenförmig zusammenliegenden Lymphzellen, die soge-
nannten geschlossenen Follikel, finden sich vorwiegend in der Umgebung der centralen
Blutgefässe.
1*
Lappen
1. Lappen
Mitteltiirche
[Fig. 1. HyperpL Eachentonsille eines 16jähr. Mädchens;
in toto entfernt durch einmaliges Einführen der Zange.
(V2 nat. Grösse.) Länge 2-9. Breite 2 2. Dicke 1-7.
4 ADENOIDE VEGETATIONEN.
Aetiologie. Wir beobachten diese Erkrankung vorzugsweise bei Kindern
im Alter von 3 — 10 Jahren; doch habe ich sie zu wiederholten Malen bei
Kindern unter einem Jahre, wie auch bei älteren Individuen selbst bis in die
dreissiger Jahre gesehen, bei männlichen Kranken gleich häutig wie bei
weiblichen. In manchen Fällen ist das Leiden angeboren, und die bei Säug-
lingen zuweilen vorkommende Erschwerung des Trinkens an der Mutterbrust
kann unter anderem durch die von einer hypertrophischen Rachentonsille aus-
gehende Nasenstenose bedingt sein. Die erbliche Disposition spielt zweifels-
ohne eine grosse Rolle bei dieser Erkrankung, denn einerseits beobachtet
man dieselbe bei mehreren Geschwistern, anderseits sieht man nicht ganz selten
bei den Eltern solcher Kinder jene Veränderung des Gesichtsschädels und
der Zahnstellung, die sogar für ein abgelaufenes derartiges Leiden des
Nasenrachenraumes charakteristisch ist. — Während der Pubertätsjahre
bildet sich häufig die hyperplastische Drüse spontan zurück, in analoger
Weise, wie wir dies von der Gaumentonsille wissen; zuweilen jedoch ver-
zögert sich dieser physiologische Involutionsprocess oder bleibt vollständig aus.
Viele Aerzte sehen in diesem Leiden der Rachentonsille den Ausdruck
einer scrophulösen, selbst tuberkulösen Allgemeinkrankheit; Dermo yez, Dau-
SAC, PiLLET u. a. haben Tuberkelbacillen gefunden, und nach Pluder
besteht sogar in 10 — 16% eine latente Tuberkulose der Rachentonsille. (Berl.
klin. Wochenschrift 1896, pag. 124.) E. Fränkel constatirte an der Leiche
Tuberkulose der Drüse in 20% der Fälle. Trautmann hat nach Einspritzung
von Tuberkulin Fieber und entzündliche Schwellung der Tonsille, selbst
Heilung beobachtet, er hält deshalb Tuberkulose für die Ursache der Hyper-
plasie und will beobachtet haben, dass Kinder und stets alle Kinder tuber-
kulöser Eltern an Hyperplasie der Rachentonsille erkranken.
Sehr häufig finden wir den sogenannten Habitus scrophulosus bei
diesen kleinen Patienten; derselbe dürfte aber meist die Folge und nicht die
Ursache dieses Leidens sein, was schon daraus hervorgeht, dass bei derartigen
scrophulösen Kleinen mit der Abtragung der kranken Drüse die einzelnen
Allgemeinstörungen bald vollständig zurücktreten und gesunde und blühende
Wesen aus denselben sich entwickeln. Ausserdem beobachtet man nie bei
dieser Drüsenschwellung den Ausgang in Verkäsung oder Eiterung, wie dies
bei scrophulösen Lymphdrüsen so häufig der Fall ist, und es fehlen bei ihr die
geschwollenen Lymphdrüsen, die Hauteczeme, die hartnäckigen Bindehaut-
katarrhe des Auges, die Knochencaries u. s. w., jene zahlreichen Begleit-
erscheinungen, wie sie die gewöhnliche Scrophulose mit sich bringt. Immer-
hin begünstigen schlechte Ernährung, Erkältung, directe Reizung des Nasen-
rachens, wie z. B. bei der Gaumenspalte, und schliesslich auch die acuten
Exantheme, Diphtheritis, Syphilis u. s. w. die Entwickelung des Rachenlei-
dens. Nach Scharlach und Diphtheritis habe ich zuweilen hypertrophische
Rachen- und Gaumentonsillen vollständig schwinden sehen, anderseits aber
verlaufen öfters diese beiden Infectionskrankheiten unter viel schwereren
und intensiveren Erscheinungen bei Kindern, die an derartigen Anschwel-
lungen der Rachen- und Gaumentonsillen leiden; es setzt sich bei ihnen der
diphtheritische Belag viel leichter auf den Nasenrachen und auf die Nasen-
höhle fort als bei anderen Kindern.
Die Beobachtung Meyer's, dass die adenoiden Vegetationen in feuchten
Klimaten und besonders in den Ländern des kalten und feuchten Nordens häu-
figer vorkommen, hat sich nicht bestätigt, denn seitdem die Aerzte ihre Auf-
merksamkeit auf diese Erkrankung gelenkt haben, wissen wir, dass sie in allen
Ländern, im kalten feuchten Norden, wie im warmen sonnigen Süden, in gebir-
gigen Gegenden wie in der Ebene gleich häufig vorkommt; nach den Berichten
von ScHMiEGELOw uud Kafemann beobachtet man dieselbe bei circa 7 — lO^o
aller Kinder, und bei diesen Kranken selbst kommen nach Hartmann, Killian
ADENOIDE VEGETATIONEN. 5
und Meyer in 75%, nach Habei.s in 547o der Fälle Ohraffectionen der ver-
schiedensten Arten vor. Man wird sich vom häufigen Vorkommen dieser
Rachenerkrankung leicht überzeugen können, wenn man die Kinder einer
grösseren Volksschule beim Spielen oder beim Verlassen des Schulhauses
darauf hin betrachtet und sieht, wie häufig die für eine hyperplastische
Rachentonsille so charakteristischen Erscheinungen bei diesen Kindern vor-
handen sind: der offene Mund, der schläfrige, müde Blick und ein nicht
sehr intelligenter Gesichtsausdruck. In einer neueren Arbeit (1805) spricht
auch Meyer von der universellen Ausbreitung dieser Krankheit und schliesst
aus den typischen, adenoiden Gesichtszügen vieler alter Büsten und Porträts
in den Galerien Europa's, dass dieser krankhafte Zustand zu allen Zeiten
vorhanden war (römische Büsten, Canova, Karl V., Francois II. u. s. w.).
Symptome Die massige Hyperplasie der Pharynxtonsille verursacht
keinerlei Beschwerden; erst wenn sie grössere Dimensionen erreicht hat, treten
Störungen auf, sowohl localer wie allgemeiner Natur. Vor allem ist es der
mehr oder weniger vollständige Verschluss des Nasenrachens durch die
Geschwulstmasse; die Athmung durch die Nase ist stark beeinträchtigt, zu-
weilen sogar völlig aufgehoben; die Kranken sind genöthigt durch den Mund
zu athmen und müssen denselben bei Tag und Nacht meist offen halten; bei
der ebenso fehlerhaften wie ungenügenden Mundathmung werden Mund- und
Rachenschleimhaut ausgetrocknet, es entstehen chronische Rachen- und selbst
Bronchialkatarrhe; die per os eingeathmete Luft wird nicht, wie beim phy-
siologischen Athmen durch die Nase, von den ihr anhaftenden Schmutz- und
Staubpartikeln gereinigt, sie wird ungenügend erwärmt, nicht hinlänglich an-
gefeuchtet und muss dementsprechend auf den Gasaustausch in der Lunge
wie auf den Stoffwechsel und die Ernährung nachtheilig einwirken. Trotz
des beständig offenen Mundes athmen solche Kinder mühsam, schnarchen
während des Schlafes sehr laut in Folge der vibrirenden Bewegungen des
Gaumensegelrandes beim Offenstehen des Mundes; der Schlaf ist sehr un-
ruhig, häufig unterbrochen; die Kinder ändern öfters ihre Bettlage, er-wachen
plötzlich unter Stöhnen, setzen sich im Bette auf, gequält und geängstigt
durch Beklemmungs-, selbst leichte Erstickungsanfälle wie beim Alpdrücken;
zuweilen sogar zeigen solche Kinder die Symptome einer Laryngitis stridula.
In Folge der mangelhaften Respiration, des unruhigen und unerquickenden
Schlafes leidet auf die Dauer die Ernährung, die Kinder magern ab, werden
blass, anämisch, schwächlich und können so eine gewisse Aehnlichkeit mit
scrophulösen Kindern darbieten. Durch die fortdauernde Nasenstenose wird
auch die Form des Thorax eine abnorme; die Lunge dehnt sich nicht ge-
nügend aus, der Luftdruck auf die Aussenfläche des Brustkastens erhält das
Uebergewicht und flacht die nachgiebigeren Seitentheile des Thorax ab,
während das Sternum leicht hervortritt; der ganze Thorax entwickelt sich
schlecht, ist wenig elastisch und ähnelt der rhachitischen Hühnerbrust.
Grancher fand, dass bei solchen Kindern, wenn sie mit geschlossenem
Munde athmen wollen, die vorher flache Athmung in ein forcirtes Rippen-
athmen übergeht, wobei nur die oberen Thoraxtheile ausgedehnt werden,
während Seitentheile und Epigastrium einsinken.
Schliesslich leidet auch das Gesichtsskelet unter dieser Nasenstenose;
die Nase ist schmal, zusammengekniffen; durch das beständige Offenhalten
des Mundes erscheint die Oberlippe verkürzt, der Gesichtsausdruck ist schlaff
und schläfrig, die oberen Augenlider sind leicht gesenkt, die Lippen ge-
schwollen, der Unterkiefer hängt herab und all dies gibt dem Kranken das
Aussehen eines zerstreuten, blöden, fast stupiden Menschen. Bei der Unter-
suchung des Mundes sehen wir, dass der harte Gaumen eine viel höhere,
gleichsam spitzbogenartige Wölbung hat, die obere Zahnarkade hiedurch viel
6 ADENOIDE VEGETATIONEN.
schmäler gespannt ist und nicht genügenden Raum für die Zähne besitzt;
letztere sind deshalb oft unregelmässig gestellt; besonders sind es die kleinen
Schneide- und Eckzähne, welche vor oder hinter ihren Nachbarn stehen.
Dieser Hochstand des harten Gaumens dürfte wohl dadurch zustande
kommen, dass bei der verhinderten Nasen-Athmung jener Luftdruck fehlt,
welcher den harten Gaumen während seiner Ossificirung von oben her belastet,
und so die im Munde vorhandene Luftmenge das Uebergewicht hat und das
Gaumengewölbe mehr nach oben zu drängen bestrebt ist. Nach Körner
muss man zweierlei Arten solcher Oberkieferverbildungen unterscheiden, je
nachdem sich dieselbe vor oder während des Zahnwechsels ausbildet; im
ersteren Falle kommt es nur zu einem abnormen Hochstande des Gaumens,
während im zweiten auch eine unregelmässige Zahnstellung entsteht. Zum
Unterschied von den bei Rhachitis vorkommenden ähnlichen Difformitäten
des Oberkiefers ist dieselbe nach Körner bei der Pharynxtonsille auf diesen
Knochen allein beschränkt, während bei der Rhachitis auch der Unterkiefer
verbildet ist.
Wir linden weiterhin die Sprache solcher Patienten stark verändert; es
fehlt derselben jene physiologische Resonanz, die nur entsteht, wenn wäh-
rend des Sprechens die Luft durch die Nase strömt und so die Wan-
dungen der Nasenhöhlen und ihrer Nebenräume zum Mitschwingen gebracht
werden. Die Sprache solcher Patienten mit Stenose der Nasenwege hat den
sogenannten näselnden Charakter; sie ist klanglos, dumpf und undeutlich,
oder wie Meyer sagt, die Kranken haben eine „todte" Sprache. Der Aus-
druck „näselnde" Sprache für jene Sprachveränderungen bei verlegter Nase
und Nasenrachenraum ist eigentlich nicht richtig, denn dieser nasale Beiklang
entsteht nur dann, wenn der Nasenstenose halber die Luft beim Sprechen
nicht durch die Nase entweichen kann. Patienten mit hypertrophischer
Pharynxtonsille können auch die Nasallaute nicht deutlich aussprechen; sie
sagen „Klopf" statt Knopf, „Läse" statt Nase, „Lala" statt Nana, „Aggst"
statt Angst; es fehlt der zur Bildung der Consonanten m, n, ng noth-
wendige, nasale Luftstrom; hält man ihnen beim Aussprechen solcher Laute
eine Glasplatte vor die Nase, so wird dieselbe durch einen Luftbeschlag nicht
getrübt (Zw^ardemaker, Halbeis); auch das Singen besonders hoher Töne
ist solchen Kranken fast unmöglich.
Bei solchen Kindern kann es zuweilen vorkommen, dass sie ungemein
erregt beim Sprechen sind, ihre Antworten unsicher und zitternd beginnen
und sogar ins Stottern verfallen; Winkler und Kafemann haben nach
Exstirpation der Pharynxtonsille das Sprachleiden solcher Kranken vollständig
schwinden gesehen. Karntz fand bei 63*^/q. aller stotternden Kinder adenoide
Vegetationen.
Unter den localen Erkrankungen, die durch eine hyperplastische Pharynx-
tonsille bedingt werden, haben wir vorerst dieacutenNasen- und Rachen-
katarrhe; sie sind hervorgerufen durch die venösen Stauungen infolge des
Druckes, den die hypertrophischen Gebilde im Nasenrachenraum auf die zahl-
reichen Verzweigungen des Plexus pharyngeus und palatinus ausüben; sie
können aber auch verursacht und unterhalten werden durch die reichliche
schleimige und schleimig-eitrige Absonderung der adenoiden Massen selbst,
die wohl theilweise entlang der hinteren Pharynxwand abfliesst, grösstentheils
aber haften bleibt und zu Borken eintrocknet, welche die Kranken trotz
Schneuzens und Räusperns, bei der mangelnden vis a tergo, nicht genügend
aus der Nase zu entleeren im Stande sind. Im Schlafe fliessen diese Schleim-
mengen nach abwärts in die Trachea und in die Bronchien, verursachen
Hustenanfälle und sind die Quelle hartnäckiger Bronchialkatarrhe, selbst unter
asthmatischen Erscheinungen. Bei der Untersuchung des Pharynx sehen wir
die Zeichen des chronischen Katarrhes, von der starken Röthung der Schleim-
ADENOIDE VEGETATIONEN. 7
haut an, den erweiterten Blutgefässen bis zu den graurothen, erbsen-, selbst
bohnengrossen Granulationen, jenen entzündlichen Lymphzelleninfiltrationen
um die Ausführungsgänge der Schlcimfollikel. In recht vielen Fällen sind
auch die Gaumentonsillen hypertrophisch, was Tüautmann auf die andauernde,
von der hyperplastischen Pharynxtonsille ausgehende passive Hyperämie
zurückführt. Nach Hopman handelt es sich gewöhnlich um eine Erkrankung
des ganzen WALDEYER'schen Annulus lymphaticus. Dies gleichzeitige Bestehen
hypertrophischer Pharynx- und Gaumentonsillen kommt überhaupt sehr häufig
zur Beobachtung; aber fast regelmässig gehen die verschiedenen Beschwerden
von der Rachenmandel aus und nicht, wie so viele Aerzte noch immer glauben,
von den Gaumentonsillen, die im gegebenen Falle wohl auf den Schluckact,
aber nur ganz selten auf die Nasenathmung oder auf die Gehörorgane schäd-
lich einwirken können. Nicht allzu selten sieht man massige Hypertrophien
der Gaumenmandeln einige Zeit nachdem die Pharynxtonsille operativ ent-
fernt wurde, spontan zurückgehen, während umgekehrt dies nie der Fall ist;
weiterhin werden die mannigfachen krankhaften Symptome der Nasenstenose
durch die Exstirpation der Gaumentonsillen niemals gehoben, wie dies nach
Abtragung der Pharynxtonsille fast immer der Fall ist. Halbeis will beob-
achtet haben, dass Anginen, die bei hypertrophischen Gaumentonsillen sehr
häutig auftraten, von dem Augenblicke an nicht mehr wiederkehrten, wo die
erkrankte Pharynxtonsille entfernt worden war. Der gleiche Autor erwähnt
auch Fälle von starkem Ptyalismus bei solchen Kindern.
Die zahlreichen Anastomosen der Blutbahnen in der Nase und im Nasen-
rachen machen es erklärlich, dass wir bei der hyperplastischen Rachentonsille
nicht selten Schwellungen der Nasenschleimhaut und besonders der caver-
nösen, vorderen und hinteren Muschelenden vorfinden; hieraus erklären sich
auch die zeitweiligen Nasenblutungen, deren Quelle entweder die varicösen
Gefässe des knorpeligen Septums in seinem vorderen Drittel oder die volu-
minöse Pharynxtonsille selbst ist; die Epistaxis tritt meist ohne äussere
mechanische Veranlassung auf, oftmals auch nach stärkeren körperlichen An-
strengungen; sie kann ziemlich profus sein und wiederholt sich zuweilen.
Infolge solch chronischer Hyperämien der Nasen- und Gesichtsvenen, oft
aber auch durch die abfliessenden Schleimmassen aus der Nase schwillt die
Oberlippe an und der Naseneingang erscheint excoriirt. Schliesslich können
sich diese secundären Nasenkatarrhe auch durch den Thränencanal auf die
Conjunctiva fortsetzen und hier die verschiedensten Augenaffectionen zur
Folge haben (Ziem).
Im Nasenrachen besteht meist stärkere Secretion, es bilden sich zähe,
graugrüne, zuweilen übelriechende Schleimmassen, die häufig Brennen, Kratzen,
das Gefühl eines Fremdkörpers im Halse, wie auch einen steten Reiz zum
Schnauben, Räuspern und Husten verursachen. Tornwaldt u. a. haben seit
mehreren Jahren über eine Reihe von Erkrankungen der Bursa pharyngea
berichtet, deren Hauptsymptome in einer eitrigen Hypersecretion im Nasen-
rachen, in Bronchialkatarrhen, Asthma und verschiedenen Kopfneurosen be-
stehen; gegenüber diesen Angaben ist mit Recht hervorgehoben w^orden, dass
die schildartigen, muschelförmigen Borken und eitrigen Secretmassen am
Rachendache und an der hinteren Rachenwand von der kranken Pharynx-
tonsille geliefert werden; es kommt nämlich infolge einer stärkeren, ent-
zündlichen Schwellung des mittleren Drüsenabschnittes zu einer mehr
weniger ausgedehnten Ueberwucherung und selbst zu einer Verwachsung
der kammartigen Drüsenvorsprünge; die dazwischen gelegene mediane Furche
(Raphe), der Recessus pharyngeus medius, vertieft sich zu einem kleinen Hohl-
raum, in welchem es zur Secretretention und zur allmählichen, gleichsam
cystösen Erweiterung kommen kann; eine derartige Bildung muss als pathologisch,
darf niemals als ein normales Organ, die Bursa pharyngea, angesehen werden,
8 ADENOIDE VEGETATIONEN.
von welcher der Erfinder Luschka selbst zugibt, dass sie sehr selten und
unregelmässig sei und als Rudiment eines fötalen Canales am hintersten
Theile der Tonsilla pharyngea aufgefasst werden müsse.
Zu den häufigsten und zugleich wichtigsten Folgeerkrankungen
der hyperplastischen Pharynxtonsille gehören die Affectionen des Gehör-
organes; unter einer grossen Zahl solcher Kranken, die mir seit 20 Jahren
zur Beobachtung gekommen, waren es mindestens zwei Drittel, welche an Ohr-
störungen litten; sehr häufig ist es der wegen einer Gehörerkrankung zurathe
gezogene Ohrenarzt, welcher die Affection des Nasenrachens findet und sie als
den Ausgangspunkt des Ohrleidens erkennt. Bald ist es die einfache mechanische
Verlegung des Orificium tubae durch die hypertrophischen Seitentheile der
Drüse, bald die stärkere Schwellung der Tubenostien infolge venöser Stase,
anderemale lagert sich Secret in das Tubarlumen, noch anderemale pflanzt
sich der katarrhalische Process des Rachens auf die Schleimhaut des Tuben-
rohres fort, und so kann es auf verschiedene Weise zur Verstopfung des
Tubencanales kommen, bei dessen Andauern alle Folgen einer mangelhaften
Tubenventilation zu Tage treten: in erster Linie die Hyperaemia ex vacuo
mit den sich anschliessenden entzündlichen Vorgängen auf der Mittelohr-
schleimhaut und ihren serösen, schleimigen und eitrigen Exsudationsproducten.
Alle diese Mittelohr-Erkrankungen können unter den bekannten Symptomen
einen acuten und zuweilen günstigen Verlauf nehmen, gehen aber sehr häufig
in die chronischen Formen über; insbesondere sind es die chronischen eiterigen
Mittelohrentzündungen mit ihren secundären Knochenerkrankungen und ihren
deletären Complicationen, deren Tragweite für die Ohrfunction wie für das
Leben solcher Patienten von grösster Wichtigkeit ist und deren vollständige
Rückbildung bei sehr alten Fällen, selbst nach Heilung der Rachenkrankheit,
nicht immer eintritt. Nicht allzu selten beobachtet man bei diesen Kranken
mehr weniger beträchtliche Gehörschwankungen, besonders unter dem Ein-
flüsse der äusseren Temperatur; sie sind auf Schwankungen in der Schwellung
der Drüsensubstanz oder auch auf zeitweilige Entzündungen derselben zurück-
zuführen. — Wir sehen auch, dass hie und da stärkere schmerzhafte
Symptome im Halse und Nasenrachen auftreten, und Wiesener betont mit
Recht, dass es neben der einfachen katarrhalischen Entzündung der Rachen-
tonsille mit etwas stärkerer Schleimsecretion zu grösserer Intensität
einzelner Symptome während einiger Tage, zuweilen sogar zu einer acuten
Entzündung des Drüsenparenchyms mit starkem remittirenden Fieber, hoch-
gradigen Kopfschmerzen, selbst zu Delirien kommen kann; in letzterem Falle
schwellen die Lymphdrüsen am Unterkieferwinkel und am Halse und können
sogar in Eiterung übergehen; die Pharynxtonsille selbst ist alsdann mächtig
geschwollen, es kann zur Vereiterung einzelner Balgdrüsen, selbst zu retro-
pharyngealen Abscessen kommen. — Nach Thost (M. f. 0. 1896, p. 1) kommen
an der Pharynxtonsille wie an den Gaumenmandeln foUiculäre Entzündungen,
Abscesse, auch Diphtheritis und ebenso chron. Infectionskrankheiten (Lues und
Tuberkulose) vor. — Thost fand auch fast regelmässig bei diesen Kranken
eine Schwellung der zahlreichen kleinen Drüsen im unteren Halsdreieck
hinter dem Sterno-cleido-mastoideus, und zwar auf beiden Seiten symmetrisch.
Wird schon durch die Ohrcomplicationen mit ihren oft so beträchtlichen
Gehörsstörungen die geistige Entwicklung der jugendlichen Pa-
tienten beeinträchtigt, so kann auch die hyperplastische Pharynxtonsille, selbst
ohne Ohrcomplication, die Ursache eigenthümlicher cerebraler Depressions-
erscheinungen werden, die für die Intelligenz wie für das geistige Wesen
solcher Kinder höchst nachtheilig sind. So hat Gute auf Erschöpfungs-
zustände des Gehirns bei solchen kleinen Patienten aufmerksam gemacht, die
er als Aprosexie (Tipocisysiv töv vouv) bezeichnet und die darin bestehen, dass
solche Kinder die grösste Mühe haben, beim Unterrichte ihre Aufmerksamkeit
ADENOIDE VEGETATIONEN. 9
ZU concentriren, dass sie eben Erlerntes nach kurzer Zeit wieder vergessen
und dass überhaupt ihre intellectuelle Arbeit eine höchst mangelhafte ist; sie
klagen ausserdem über häufige Hinterkopfschmerzen, selbst über Schwindel.
GuYE sieht in diesem Symptomencomplex eine Erschöpfung der Gehirnthätig-
keit infolge des behinderten Lymphabflusses aus dem Gehirne. Wir beob-
achten ähnliche Gehirnerscheinungen zeitweilig bei hochgradigen Schwel-
lungskatarrhen der Nase und des Nasenrachens; auch hier ist es, wie bei den
adenoiden Vegetationen, jener Druck, den diese voluminösen Gebilde auf die
zahlreichen Lymphgefässe der Nasen- und Nasenrachenschleimhaut ausüben
und durch welchen die Lymphcirculation derart erschwert wird, dass die
normaliter vom Dural- und Subarachnoidealraum durch die Lymphbahnen und
Saftscheiden des Geruchsnerven strömende Cerebrospinal -Flüssigkeit an der
freien Oberfläche der Nasenschleimhaut sich nicht entleeren und mit dem
respiratorischen Luftstrom sich nicht vermengen kann; die hiedurch verur-
sachte Lymphstauung muss die Ernährung des Gehirnes in Folge des unvoll-
ständigen Abfliessens der Stoffwechselproducte ungünstig beeinflussen. Zweifels-
ohne gibt es eine nicht unbeträchtliche Zahl derartiger Fälle, und als Beweis,
dass die hyperplastische Eachentonsille zu den hauptsächlichen Ursachen
dieser krankhaften Zustände gehört, genügt die wiederholt gemachte Beob-
achtung, dass jene geistigen Depressionszustände insgesammt und sehr bald
nach der operativen Entfernung des erkrankten Organes verschwinden; nichts-
destoweniger dürfen wir nicht unberücksichtigt lassen, wie schon Jehn
hervorgehoben hat, dass dieser als Aprosexie bezeichnete Symptomencomplex
auch ohne Erkrankung des Nasenrachenraumes als einfache juvenile Entwick-
lungsstörung besonders in der Pubertät unter dem Bilde der hebephreneti-
schen Erkrankungen vorkommen kann.
Ausser diesen schädlichen Einflüssen der hyperplastischen Kachenton-
sillen auf die geistige Individualität solcher Kinder hört man dieselben zu-
weilen auch über Schmerzen in der Stirn, Schläfe und dem Hinterhaupt
klagen; Migräneanfälle bei erwachsenen Kranken können gleichfalls durch solche
adenoide Vegetationen verursacht sein; auch Reflexneurosen, Chorea, Enuresis
nocturna (Körner, Grönbeck), Asthma, Heiserkeit und Aphonie, Hypochondrie
(Ziem, Schaeffer), Epilepsie (Kafemann) sind als Folgeerscheinungen beob-
achtet worden; sie sind theils auf die Behinderung des Lymphstromes,
theils auf die langdauernde Compression und Reizung zurückzuführen, welche
diese adenoiden Massen auf die Trigeminusverästelungen im Rachen ausüben.
Diagnose. Es ist höchst auffällig, dass diese Erkrankung der Rachen-
mandel trotz ihrer zahlreichen und leicht erkennbaren äusseren Symptome
und trotz ihrer Häufigkeit so lange unerkannt geblieben ist; das Verdienst
Meyer's, dieselbe zuerst und in ihrer ganzen Tragweite erkannt zu haben, ist
deshalb ein umso grösseres. — Der offene Mund bei einem 3— 10jährigen
Kinde, die gekniffene Form der Nase, die dicke Oberlippe, die gesenkten
oberen Augenlider, der blöde Blick und Gesichtsausdruck, die klanglose,
näselnde Stimme, die Schwierigkeit, bei geschlossenem Munde zu athmen, oft
auch die Schwerhörigkeit und hiezu noch das nächtliche Schnarchen, der
unruhige Schlaf, die geringere geistige und körperliche Entwicklung, der
Hochstand des harten Gaumens, eine unregelmässige Zahnstellung, alle diese
Erscheinungen, ja nur ein Theil derselben machen die Diagnose beim blossen
Ansehen solcher Patienten mehr denn wahrscheinlich; immerhin kann ein fast
analoges Krankheitsbild bei Erwachsenen und älteren Kindern, seltener bei
ganz jugendlichen, bedingt sein durch Deviationen des Nasenseptums, starke
Schwellkatarrhe in der Nase, durch Polypen oder anderartige Geschwülste der
oberen Luftwege; die hypertrophische Rachentonsille muss deshalb auch de
visu oder durch die Palpation nachgewiesen werden. — Grancher weist darauf
10 ADENOIDE VEGETATIONEN.
hin, dass wir bei solchen Kindern neben ihrem forcirten Costalathmen ein
normales weiches Respirationsgeräusch hören, wenn sie mit offenem Munde,
dagegen ein undeutliches, verschleiertes, sobald sie mit geschlossenem Munde
respiriren.
Bei der Untersuchung des Mundes und Rachens finden wir
öfters eine abnorme Zahnstellung im Oberkiefer und hohe, spitze Gaumenwöl-
bung; der freie Rand des weichen Gaumens ist weniger beweglich und mehr
nach unten und vorn gedrängt; häufig sind die Gaumentonsillen hypertro-
phisch und ebenso die lateralen Stränge der hinteren Rachenwand, öfters
sieht man auch zahlreiche Granulationen auf letzterer. Bei manchen Patien-
ten gelingt es, beim Hinauflieben des Gaumensegels mit einem Gaumenspatel
oder Katheterschnabel die adenoiden Massen direct zu sehen, wie dies auch
bei der Gaumenspalte der Fall ist. Die hintere Rhinoskopie ist in vielen
Fällen recht schwierig, theils wegen der grossen Reizbarkeit der Rachen-
gebilde, theils weil der Nasenrachen ganz ausgefüllt ist und deshalb nicht
genügend beleuchtet werden kann; bei kleineren Kindern ist diese Unter-
suchungsweise meist unmöglich, aber selbst wenn sie gelingt, gibt sie uns
nur ungenügenden Aufschluss über Beschafl'enheit und Ausdehnung der erkrank-
ten Theile. Bei der vorderen Rhinoskopie sehen wir bei etwas grösseren
Kindern und bei massig weiter Nase die polsterförmigen Geschwulstmassen
vom Rachendache herabhängen; aber auch hiebei lassen sich ihre Dimen-
sionen nur annähernd bestimmen, selbst wenn wir während der Untersuchung
die Kranken phoniren lassen und die hypertrophischen Massen sich heben
und theilweise in die Choanen gedrängt werden. — Viel sicherer und rascher
erkennt der Praktiker die hyperplastische Rachentonsille vermittelst der
Digitaluntersuchung; dieselbe wird in der Weise ausgeführt, dass man mit
der linken Hand einen Mundsperrer — fiacher, hölzerner Spatel — zwischen
die linken Zahnreihen des sitzenden Patienten aufstellt und dann den rechten
Zeigefinger behutsam hinter die Uvula und in den Nasenrachen einführt; der
Arzt steht am besten auf der rechten Seite des Kranken und drängt dessen
Kopf von hinten her an seine Brust mit der gleichen Hand, die auch den
Spatel hält, während die Hände des Patienten von einem Assistenten festge-
halten werden; ausnahmsweise bei sehr empfindlichen Kranken wendet man
Cocain an für diese meist nur secundenlange Untersuchung. Wenn der in den
Mund eingeführte Finger am contrahirten Gaumensegel auf etwas grösseren
Widerstand stösst, so genügt ein massiger Druck auf dasselbe, um es zu ent-
spannen, und nun kann die gekrümmte vordere Phalanx des rechten Zeige-
fingers rasch nach oben dringen und sich von der Anwesenheit der weichen
adenoiden Massen, ihrer unregelmässigen, leicht gelappten Oberfläche und
ihrer Ausdehnung überzeugen. Meiner Erfahrung nach ist diese Art der
Untersuchung bei weitem nicht so grausam, als viele Autoren dieselbe ver-
schreien, und jedenfalls eignet sie sich ihrer Leichtigkeit wie ihrer raschen
Ausführbarkeit halber für den praktischen Arzt besser als die rhinoskopischen
Verfahren, die uns überdies über Sitz und Ausdehnung der Hypertrophie
keinen so sicheren Aufschluss zu geben vermögen. Wird die Digitalunter-
suchung mit etwas Schonung vorgenommen, so kann es höchstens hie und
da zu einer leichten Blutung kommen, die aber nach wenigen Minuten
spontan aufhört.
Ausser dem Nachweise der Tonsillenhyperplasie ist weiterhin der Grad
und die Natur der complicirenden Erkrankungen, insbesondere die des Gehör-
organes festzustellen, denn gerade unter letzteren kommen zuweilen Formen
vor, deren völlige Rückbildung nicht mehr möglich ist, und die deshalb für die
Prognose von Bedeutung sind.
Prognose. Wir haben es mit einer gutartigen Geschwulstbildung zu
thun, die sich sogar in den Pubertätsjahren spontan zurückbilden kann; man
ADENOIDE VEGETATIONEN. 11
kennt nur ganz vereinzelte Fälle einer Umwandlunj^ dieser adenoiden Gewebs-
massen in bösartige Neubildungen: Adenome, Sarkome (Schakfi-joü, Bkyck)
und maligne Lymphome (Kelleü), Im allgemeinen ist demnach die Prognose
eine günstige, und bei geeigneter Behandlung erfolgt die vollständige Heilung
aller krankhaften Erscheinungen. Zuweilen jedoch kommt es zu liecidiven
und dies naturgemäss umso eher, wenn bei der Operation Drüsentheile stehen
geblieben waren. — In Hinsicht auf die zahlreichen Störungen der körper-
lichen und geistigen Entwicklung solcher Patienten muss immerhin das ganze
Krankheitsbild als ein recht wichtiges angesehen werden. Die nasale Stenose
und ihre nachtheiligen Folgen für liespiration und Ernährung lassen sich
fast regelmässig beseitigen und ebenso auch die grösste Zahl der Ohrerkran-
kungen; dagegen ist die Prognose eine zweifelhafte bei einer immerhin klei-
neren Zahl von eitrigen Mittelohrcomplicationen, deren ausgedehnte anatomische
Veränderungen nicht mehr rückbildungsfähig sind.
Behandlung. Die Exstirpation der hyperplastischen Pharynxtonsille ist
die alleinige rationelle Behandlung unserer Erkrankung; sie ist nothwendig,
sobald die Hypertrophie eine beträchtliche und die secundären Folgen bei der
körperlichen oder geistigen Entwicklung des Patienten deutlich erkennbar
sind; es gibt aber eine ganze Anzahl Fälle, bei welchen trotz deutlich aus-
gesprochener Hyperplasie der Drüse die einzelnen krankhaften Erscheinungen
so mindergradig, bei denen insbesondere die Gehörorgane vollständig normal
sind und höchstens nur eine stärkere Secretion der Nase nebst zeitweiligem Ver-
legtsein besteht; in derartigen Fällen ist ein operativer Eingriff unnöthig und
es genügt sehr oft, den Nasen- und Rachenkatarrh mit seiner etwas profusen
Absonderung durch Einblasen von pulverförmigen Adstringentien (Borsäure,
Argent. nur., Sozojodolsalze u. a.) in Nase und Nasenrachen zu bekämpfen;
neben dieser localen Behandlung erweisen sich auch kalte Waschungen,
Lungengymnastik, Salzbäder {Kreuznach^ Dürrheim, Rheinfelden, Salzungen
u. a.) als sehr geeignet, die Erkrankung wirksam zu bekämpfen und weiteren
Complicationen vorzubeugen. Bei diesen Patienten sind es die günstigeren
Raumverhältnisse des Nasenpharynx, welche die verengende, schädigende Wir-
kung der voluminösen Drüse auf Nase und Ohr vermindern, selbst neutrali-
siren. — Sind frische Entzündungen der Nase, des Rachens oder des Ohres
vorhanden, so muss die Operation auf spätere Tage, nach völligem Ablauf der
entzündlichen Symptome, verschoben werden.
In allen Fällen, in welchen die nasalen wie auch die allgemeinen
Störungen zu einem beträchtlichen Grade gediehen sind und besonders wenn
krankhafte Erscheinungen von Seiten des Ohres vorliegen, muss die Opera-
tion ausgeführt werden, gleichgiltig in welchem Alter, selbst bei Säuglingen.
Alle in früheren Jahren und auch jetzt noch bei messerscheuen Kranken
Monate und Jahre hindurch versuchten hygienischen und medicamentösen
Behandlungen (Leberthran, Jodkali u. s. w.) bleiben erfolglos; ebenso wie die
von mancher Seite empfohlenen Zerstörungen der Drüse durch Aetzmittel
{Argent. nitr., Kali caust., Galvanokaustik); alle diese Versuche haben sogar
den Nachtheil, dass während ihres nutzlosen Gebrauches die localen wie die
allgemeinen Krankheitszustände zunehmen und schliesslich nicht mehr rück-
bildungsfähig sind; unter solchen Umständen ist es auch höchst bedenklich,
bei derartigen Kranken die spontane Involution der Drüse in den Pubertäts-
jahren abwarten zu wollen, weil in der Zwischenzeit alle Erscheinungen, be-
sonders die des Ohres, fortschreiten und schliesslich unheilbai'e Läsionen
setzen können.
W. Meyer entfernte die adenoiden Vegetationen mit Hife eines durch
den unteren Naseneingang eingeführten ovalen Ringmessers; diese ungenügende
und zeitraubende Operationsmethode und das hiezu verwandte Instrument
12
ADENOIDE VEGETATIONEN.
wurden in den folgenden Jahren in der verschiedensten Weise modificirt und
verbessert; scharfe Löffel, Curetten, Zangen und Schlingen der verschiedensten
Formen sind eine grosse Menge angegeben worden; wir können diese zahl-
reichen Operationsmethoden in 3 Kategorien eintheilen: 1. Die Abtragung der
Tonsille mit der kalten oder warmen Schlinge, 2. das Auskratzen derselben
mit dem scharfen Löffel oder der Curette und 3. ihre Exstirpation mit der
Rachenzange.
Zaufal, Stoerck, Hartmann, Bezold, Chiari u. a. tragen die hyper-
trophische Drüse mit der kalten oder warmen Schlinge ab, in ganz analoger
Weise, wie die Polypen der Choanen oder des Nasenrachens; Blutung und
Schmerzhaftigkeit sollen hiebei sehr gering sein; jedenfalls erheischt diese
Methode, die selbst für die geübteste Hand längere Minuten währt, grosse
Ruhe und Geduld von Seiten der Patienten, die bei den meist jugendlichen
Kranken nicht allzu häufig zu finden sein dürfte; aber auch unter solch gün-
stigen Verhältnissen sind nach Angabe mehrerer dieser Autoren wiederholte
Sitzungen zur vollständigen Entfernung des erkrankten Organs nothwendig,
und so dürfte der Wert dieser Schiingenoperation für die grössere Praxis
zum wenigsten ein recht beschränkter sein, da es den Kindern sowohl wie
auch deren Angehörigen oft an der genügenden Ausdauer
fehlen wird.
Von den scharfen Löffeln, die zum Auskratzen der Ton-
sille empfohlen sind (Justi, Bezold, Capart, Mothais, Kuhn,
Krakauer und Corradi) will ich nur den von Trautmann
erwähnen; es ist dies ein 1 — Vb cm langer,
7 mm tiefer, runder, gekrümmter, scharfer
Löffel (s. Fig. 2) an einem massig langen
Handgriff"; mit demselben wird in 3 — 6 Zü-
gen der grösste Theil der Drüse vom Rachen-
dache abgekratzt; nach Trautmann's Angabe
gelingt es meist, in einer Sitzung alles
Krankhafte zu entfernen und alle abgetrenn-
ten Stücke nach aussen zu befördern; Cocain
ist hiebei nicht nothwendig.
Die zuerst von Lange empfohlenen
Ringmesser oder Curetten werden dem
Löffel Trautmann's vielfach vorgezogen; von
ihren zahlreichen Modificationen (Boecker,
Fritsche, Hartmann, Güye, Higuet,
Schmidt u. A.) erfreut sich das von Gott-
stein auf der Strassburger Naturforscherver-
sammlung (1885) zum erstenmale demon-
strirte Ringmesser (Fig. 3) der meisten An-
erkennung; dasselbe eignet sich auch zu die-
ser Operation viel besser, denn mit seinem
frontal zum Stiele gestellten und leicht ge-
krümmten birnförmigen Fenster kann die
hinter und über den Choanen gelegene Basis
der Tonsille schneller und vollständiger ab-
getragen werden, als mit der sagittal gestell-
ten Curette Lange's und anderer. Das am inneren Fensterrande scharfe
Instrument geht unter rechtem AVinkel in den horizontalen 7 cm langen
festen Stahlschaft über, der in einen 10 cm langen Handgriff eingelassen ist.
Bei der ohne Narkose auszuführenden Operation drückt man zuerst mit dem
vorderen Theile des Instrumentes die Zunge herab, gleitet unter Senkung des
Griffes hinter das Velum, drückt das Ringmesser fest an die obere Pharynx-
Fig. 2.
TRAUTMANN'S
liöffel.
Fig. 3.
GOTTSTEIN's
Ringmesser.
ADENOIDE VEGETATIONEN. 13
wand, so dass sich die Vegetationen durch das Fenster hindurchpressen,
und schneidet dieselben mit einem kräftigen Zuge nach hinten und unten ab;
je nach der Ausdehnung der Wucherungen kann man diese Manipulation einige-
male wiederholen, ohne das Instrument aus dem Munde zurückzuziehen.
Gottstein operirte ohne Chloroform und ohne Assistenz selbst bei Kindern
und hat weder Blutungen noch heftige Reactionserscheinungen beobachtet.
Manche Collegen haben kleinere Modificationen an diesem Instrumente an-
bringen zu müssen geglaubt, stimmen aber alle in seinen Vorzügen gegen-
über anderen Curetten überein.
Ebenso wie dem scharfen Löffel und theilweise auch der Schlinge haftet
dem Ringmesser der Nachtheil an, dass Theile der abgekratzten oder ab-
geschnittenen Geschwulstmassen aus diesen Instrumenten herausfallen können
und in den Oesophagus oder gar in den Kehlkopf, gelangen und Erstickungs-
anfälle hervorzurufen im Stande sind; gegen diesen Uebelstand sind Deckvor-
richtungen am Instrumente selbst oder an einem Zungenspatel vorgeschlagen
worden, die aber in vielen Fällen ungenügend sind und an und für sich das
Instrument zu compendiös machen. Ausserdem hat der Arzt durch das
Hinabfallen einzelner Drüsentheile keinen richtigen Maasstab seiner opera-
tiven Leistung und er ist sehr oft nicht in der Lage, bestimmen zu können,
wie viel er von dem hyperplastischen Organe entfernt und ob er noch grössere
Partien zurückgelassen hat; Nachoperationen werden deshalb öfters noth-
wendig sein; auch der Umstand, das Corpus delicti nicht oder nicht voll-
ständig vor sich zu haben, gewährt dem Arzte wie dem Patienten nicht die
vollständige Genugthuung; besonders aber ist es die Möglichkeit desHinab-
fallens solcher Tumortheile in den Larynx, die viele Aerzte veran-
lasst hat, mit zangen artigen Instrumenten die Rachentonsille ab-
zutragen; auch hievon sind zahlreiche Formen und Grössen in Vorschlag ge-
bracht worden (Stoeek, Löwenberg, Michael, Delstanche, Catti, Scheck,
Uebantschitz, ScHtJTZ, Halbeis u. a.); diese immer und immer wieder auf-
tauchenden neuen und angeblich verbesserten Zangen und Curetten beweisen
vor allem, dass dieser leichte operative Eingriff, je nach Uebung oder Vor-
liebe für das eine oder andere Instrument, in gar mannigfacher Weise aus-
geführt werden kann.
Meiner Ansicht nach muss diese einfache Operation 1. in einer
Sitzung, 2. ohne dass die abgetragenen Massen in den Kehl-
kopf fallen und 3. wo möglich ohne Narkose gemacht werden.
— In einer Sitzung sollte eine an und für sich so leichte Operation immer
ausgeführt werden, weil Kinder, um die es sich meist handelt, nicht so leicht
zu mehreren Sitzungen sich bequemen und weil ausserdem der etwas be-
schäftigte Arzt nicht allzu viel Zeit auf eine derartige verhältnismässig häufige
Operation zu verwenden in der Lage ist, besonders wenn er dieselbe unter gleich
günstigen Bedingungen für den Kranken auf einmal zu absolviren vermag.
Teautmann selbst fordert, „dass alle mit dem Instrumente abgetragenen
Stücke auch nach aussen befördert werden"; ob dies mit einem anderen als
einem zangenfürmigen stets möglich ist, scheint mir recht zweifelhaft, und
auch dem Vorsichtigsten wird es beim scharfen Löffel und der Curette zu-
weilen passiren, dass kleinere Stücke in den Larynx oder den Oesophagus
fallen; wenn auch dieselben meist verschluckt oder ausgehustet oder auch mit
Finger und Pinzette wieder zu Tage befördert werden können, so besteht
doch immer die unliebsame Möglichkeit einer Erstickungsgefahr oder gar einer
Fremdkörperpneumonie. — Die Narkose ist für eine so kurzdauernde und
nicht allzu schmerzhafte Operation so viel als möglich zu beschränken, um-
so mehr, als bei der Durchschneidung dieses adenoiden Gewebes fast regel-
mässig eine nicht unbedeutende Blutung erfolgt, die beim Hinabfliessen in
die Luftwege während einer tiefen Narkose nicht ohne Gefahr ist; nur bei
14
ADENOIDE VEGETATIONEN.
jüngeren, ungeberdigen Patienten soll die Narkose in Anwendung kommen,
aber auch bei ihnen nur bis zu dem Grade, dass der erste Widerstand solcher
aufgeregter Kranken gebrochen, und man dieselben für die kurze Dauer der
Operation genügend zu fixiren im Stande ist; bei so leichter Narkose ist das
Hinabfliessen von kleinen Blutmengen in die Trachea ohne Bedeutung, da
die Kranken sie rasch wieder aushusten können; tiefe Aether- oder Chloro-
form- oder Bromäthylnarkosen halte ich in Anbetracht einer so kurzen Opera-
tion zum wenigsten für überflüssig; ausserdem erinnere ich mich nicht,
unter einer nach vielen Hunderten zählenden Zahl von derartigen Zangenopera-
tionen eine Blutung beobachtet zu haben, die nicht nach wenigen Minuten
spontan gestanden hatte; den von anderer Seite gegebenen Rath, in Fällen
von stärkeren Nachblutungen dieselben vermittelst in den Nasenrachen ein-
geführter Wattetampons zu stillen, habe ich niemals Veranlassung gehabt, zu
befolgen; unter allen Umständen halte ich die Einspritzungen von kaltem
Wasser oder Eiswasser in die Nase, die ebenfalls zur Blutstillung empfohlen
wurden, für unnöthig, ja sogar für schädlich, da hiebei Wasser in die Tuben
eindringen und Mittelohrentzündungen entstehen können.
Meiner Erfahrung nach eignen sich die Rachenzangen zur Erfüllung der
obigen Postulate am besten; ich bediene mich seit langen Jahren einer Zange,
deren Anwendung, selbst ohne grosse Vorübung, eine leichte ist und vermittelst
welcher es gelingt, die hypertrophische Tonsille meist in einem Zuge
oder höchstens bei zweimaligem Einführen in toto und in wenigen Secunden
abzutragen. Das 22 cm lange Instrument (Fig. 4) ist an seinem vorderen
Theile leicht S-förmig gekrümmt und endet in 2 unter
stumpfem Winkel abgehende Arme, deren ovale, gefen-
sterte Gestalt ungefähr der Form des Nasenrachens
entspricht; die oberen und hinteren Innenflächen der
Zangenlöffel sind scharf geschliffen; bei Erwachsenen
wende ich eine massig grosse, bei Kindern eine etwas
kleinere Zange an. Bei der Operation wird der Kopf
des Patienten von einem Assistenten gut fixirt, während
die Arme vermitteist lederner Riemen an die Sessell'ehne
befestigt sind; Chloroform oder Bromäthyl ist nur bei
ängstlichen Patienten nothwendig, aber nur bis zu dem
Grade, dass der Kranke ruhiger geworden und sich gut
festhalten lässt; ist die Narkose nicht nothwendig, so
kann man 10 — 20^0 Cocainlösung in den oberen Rachen-
raum einpinseln, um den immerhin schmerzhaften Ein-
griff etwas zu mildern, — Der Arzt hält den Mund
des Kranken mit dem durch einen Langenbeck' sehen
Metallfinger geschützten linken Zeigefinger weit offen,
wobei er mit der freien Fingerspitze die Zunge gut
hinunter drückt, dann führt er mit der rechten Hand
die geschlossene Zange in den Nasenrachenraum nach
hinten und oben, öffnet sie sehr weit und unter einem
ziemlich starken Drucke gegen das Rachendach schliesst er dieselbe fest und
zieht sie dann aus dem Munde zurück; hiebei thut man gut, den Zangenschaft
leicht gegen die oberen Zähne zu drängen, um die durchgeschnittenen Massen
vollständig abzuhebein. Der grösste Theil der Drüse ist nun in der Zange,
deren gefensterte Löffel die Compression grosser adenoider Gewebsmassen
gestatten; entspricht jedoch die Grösse der exstirpirten Theile nicht dem
Befunde der früheren Untersuchung, so wird die Zange ein zweitesmal ein-
geführt, um den Rest der Drüse zu entfernen. Unmittelbar nach der Operation
überzeugt man sich per digitum, ob alles entfernt und ob die Choanen völlig
frei sind, bei welcher Gelegenheit kleinere allenfalls zurückgebliebene Vege-
73
■Fig. i.
KUHN'sche Zange.
ADENOIDE VEGETATIONEN. 15
tationen mit der Fingerspitze noch losgelöst werden können. Die Blutung ist
ziemlich stark, steht aber bald und ganz spontan; der Kranke schneuzt ein
Nasenloch nach dem anderen aus, um die Blutgerinnsel zu entfernen. Er wird
alsdann ins Bett gebracht, wo er 2—3 Tage bleiben muss und während die-
ser Zeit einen Eisbeutel um den Hals trägt; nur etwas kühle, flüssige oder
breiige Nahrung ist während dieser Zeit gestattet, und mit einem weiteren
3— 4tägigen Aufenthalte im Zimmer ist in den meisten Fällen die Nach-
behandlung ohne andere Zuthaten vollständig beendet.
Besteht neben der hyperplastischen Ilachentonsille auch eine stärkere
Hypertrophie einer oder beider Gaumentonsillen, so müssen diese in erster
Linie und unmittelbar nachher die Pharynxdrüse entfernt werden. Bei nur
geringgradigen Anschwellungen der Gaumenmandeln ist ihre Abtragung nicht
nothwendig; sie haben an und für sich keinerlei Nachtheil und atrophiren
meist in späteren Jahren mehr oder weniger vollständig.
Während der ersten Tage nach der Operation tritt eine ziemlich reich-
liche blutig-schleimige Absonderung aus Nase und Nasenrachen ein, zu deren
Ausschneuzen die Kinder häufig aufgefordert werden müssen; ausserdem ist es
bei Kindern und Erwachsenen nothwendig, dieselben bald an methodische
tiefe Athembewegungen durch die Nase bei geschlossenem Munde zu gewöhnen,
die mehreremale im Tage gemacht und 4—6 Wochen lang fortgesetzt werden
müssen; nur auf diese Weise entwöhnen sich diese Patienten der abnormen
Mundathmung, in die sie, selbst nach vollständiger Abtragung der Tonsille,
aus alter Gewohnheit immer und immer wieder verfallen; die Kinder sollen
ausserdem daran gewöhnt werden, in der Seitenlage zu schlafen, um das
Herabsinken des Unterkiefers zu verhüten, was bei der Rückenlage leicht
erfolgt; unter solchen Maassnahmen stellt sich bei gehorsamen Kindern und
aufmerksamen Eltern die physiologische Nasenathmung fast regelmässig nach
wenigen Wochen ein. Wenn nothwendig, erzielen wir dieses Resultat auch
durch die sogenannten Contrarespiratoren (Gute), Anoralrespirator
(Vohsen) oder den HEBROCK'schen Lungenschoner, Instrumente, die
anfangs bei Tage, später auch bei Nacht getragen werden sollen; andere
Kinder dagegen erlernen es nie, durch die Nase zu athmen, trotz aller Contra-
respiratoren, theils aus Unachtsamkeit, theils aus zu langer schlechter An-
gewöhnung, theils auch wegen zu langer Unthätigkeit der Wangenmuskulatur
und dadurch entstandener Atonie und Atrophie des Musculus orbicularis.
Zuweilen kommt es auch nach Monaten oder Jahren zu Recidiven
der Hyperplasie; der Mund steht wieder offen, die nasale Stenose ist
zurückgekehrt; solche Recidive kommen vor, zwar selten, aber sie treten ein
nach den verschiedensten und bestausgeführten Operationsmethoden, wie wir
dies übrigens auch von der hypertrophischen Gaumenton sille wissen; ich habe
solche Recidive bei Kranken beobachtet, die ich nach meiner Methode „total"
operirt zu haben glaubte, aber ich habe auch deren gar manche gesehen, die
von viel „unfehlbareren" Händen nach anderen Methoden operirt worden
waren.
Während der Nachbehandlung kommt es zuweilen zu etwas stärkeren
Entzündungen in der Umgebung der Wundfläche, zu Schwellungen des weichen
Gaumens, der hinteren Rachenwand und zu Ohrenschmerzen; alle diese Er-
scheinungen gehen rasch vorüber und bedürfen keiner Behandlung; in anderen
wenigen Fällen kann sich aber unter heftigeren Schmerzen eine acute eiterige
Mittelohrentzündung mit Durchbruch des Trommelfelles entwickeln; sie endet
gleichfalls unter der bekannten Ohrtherapie (Priessxitz, Carbolglycerin,
Borsäure) nach mehreren Tagen mit vollständiger Heilung, geht aber, wenn
übersehen oder vernachlässigt, in eine chronische Mittelohreiterung über.
Diese Ohrcomplication wird besonders dann eintreten können, wenn bald nach
der Operation Nasendouchen, desinficirende Einspritzungen zur Reinigung des
16 ADENOME DES LARYNX.
Nasenrachens angewendet worden sind; ich habe deshalb auch seit Jahren
hievon Abstand genommen, umsomehr, als das mehreremale im Tage vor-
genommene Ausschnauben der Nase — durch abwechselndes Verschliessen
bald des einen bald des anderen Nasenloches — zur Entleerung der Nasen-
secrete vollständig genügt; nur wenn nach 10—14 Tagen die Secretion noch
sehr profus sein sollte, können pulverförmige Adstringentien, wie Borsäure,
Sozojodolnatrium u. s. w., in die Nase, resp. Nasenrachen eingeblasen werden.
— Die bei der hyperplastischen ßachentonsille zuweilen bestehenden An-
schwellungen der vorderen und hinteren Nasenmuschelenden gehen häufig
nach der Operation spontan zurück; anderen Falles müssen dieselben galvano-
kaustisch abgetragen werden.
Nicht allzu lange Zeit nach der Abtragung der kranken Drüse zeigt
sich im ganzen Verhalten unserer Patienten eine wesentliche Aenderung: die
Kinder schliessen regelmässig den Mund, selbst während der Nacht, sie
schnarchen nicht mehr, schlafen ruhig, haben besseres Aussehen und sind
munterer Dinge; ihr Gehör hat sich wesentlich gebessert, ihre Sprache ist
nicht mehr näselnd, und in späteren Tagen treten auch die Mängel ihrer
geistigen Entwicklung mehr und mehr zurück.
Die Ohrerkrankungen, welche so häufig diese Rachenkrankheit be-
gleiten, zeigen je nach ihrer Natur verschiedenes Verhalten; in den Fällen
von mechanischer Verlegung der Tuba bessert sich das Gehör sehr bald und
erreicht die normale Schärfe ohne jedwede Behandlung; in anderen Fällen
ist die PoLiTZEE'sche Luftdouche zur völligen Wegbarkeit der Eustachischen
Röhre nothwendig; dieselbe darf jedoch nie vor Ablauf von circa 14 Tagen
in Anwendung kommen, weil sonst die noch vorhandenen Secretmassen im
Nasenrachenraum mit ihren Mikroorganismen gewaltsam in die Tube und das
Mittelohr getrieben und hier leicht Entzündungen verursachen wäirden. —
Selbst chronische eitrige Mittelohrprocesse von mehrjähriger Dauer bessern
sich nicht selten nach dieser Tonsillotomie, können sogar vollständig heilen
mit Vernarbung nicht allzugrosser Trommelfellperforationen; eine andere Reihe
derartiger Ohreiterungen mit Polypenbildung und Caries dauern jedoch fort
und bedürfen einer längeren rationellen Behandlung; diese vorgeschrittenen,
hartnäckigen Formen von Mittelohrprocessen beobachten wir besonders bei
Kindern, die schon lange Jahre hindurch an diesen schädlichen Folgeerschei-
nungen laborirt haben; bei denselben treten auch die übrigen günstigen Ver-
änderungen nach der Mandeloperation nicht so rasch und auch nicht immer
zu Tage; um auch bei ihnen gute Resultate zu erzielen, müssen als Nach-
curen Salzbäder, Eisenpräparate, Arsenik (Roncegno- oder Levicowasser), Auf-
enthalt in gebirgigen Waldgegenden in Anwendung kommen.
Alles in allem dürfte der praktische Arzt nicht allzu häufig nach
einem ebenso leichten wie unbedenklichen operativen Eingriffe so schöne
Heilerfolge zu verzeichnen hab en, wie die nach derAbtragung
der hyperplastischen Rachentonsille; anämische, schlecht genährte
Kinder mit sogenanntem Habitus scrophulosiis bieten schon wenige Wochen
nach der Operation das Bild besserer Gesundheit, sind munter, haben mehr
Appetit, schlafen ruhig und zeigen auch in ihrem geistigen Wesen so erfreu-
liche Fortschritte, dass sie bald in nichts mehr hinter ihren Altersgenossen
zurückstehen. • kühn.
Adenome des Larynx sind sehr seltene Geschwülste, sie wurden
beschrieben von Bruns, M. Mackenzie und von Böckel. Es handelte sich
um grosse, ziemlich harte Geschwülste, welche breit aufsassen und nach der
histologischen Untersuchung aus vielfach verzweigten Drüsenschläuchen be-
standen. Sie wurden abgetragen und recidivirten nicht. ch.
AGEüSIE. - AKTINOMYKOSIS. - ANGINA. 17
AgeUSiB. (Anaesthesla gustatoria.) Der Verlust des Geschmackssinnes
tritt seiner Aetiologie nach auf als:
1. centrale Ageusie. Die cerebralen Bahnen der Geschmacksnerven
sind afficirt. Ihr Verlauf ist nicht vollständig sichergestellt; nach experimen-
tellen Ergebnissen laufen sie durch das hintere Drittel d(3s hinteren Schenkels
der Capsula interna;
2. als L ei tungs- Ageusie. Die den Geschmackssinn vermittelnden
Nervenbahnen, der Nervus glossopharyngeus, der Geschmacksnerv der
hinteren Zungenpartien, oder der Nervus lingualis, der Geschmacksnerv
der Zungenspitze und ihrer Ränder, sind erkrankt;
3. als periphere Ageusie. Die peripheren Endorgane der Geschmacks-
nerven (Geschmacksknospen) sind in ihrer Perceptionsfähigkeit gehindert.
Zungenerkrankungen (Glossitis, Zungenbelag) oder Zungenläsionen aus natür-
licher oder artificieller Ursache (Aetzung, Exstirpatio linguae) sind die directe
Veranlassung dieser Art von Geschmacks verlust. — Ausführlicheres über
Ageusie im Artikel .^Geschmackssinnsstörungen'-'- dieses Sammelwerkes, {Int.
Med. Bd. I. pag. 775.) R.
Aktinomykosis oris, pharyngis et laryngis. Die Mundhöhle ist
sehr häufig der Sitz primärer Aktinomykosisherde. Tonsillen, Weichtheile
der Wangen und Zunge, am häufigsten aber der Unterkiefer sind die
beliebten Ansiedlungspunkte des Strahlenpilzes. Die Zungenaktinomykose
zeigt kleinere und grössere ziemlich harte Knoten, die allmählich abscediren
(Rosenberg). Die Aktinomykose des Pharynx entsteht durch Invasion der
Pilze vom Munde aus. Schlange beobachtete einen Fall von retropharyn-
gealem Aktinomykosis-Abscess. Ein Uebergreifen der infectiösen Erkrankung auf
den Larynx wurde von einzelnen Autoren beschrieben (Grossmann, Koschier).
Der Process zeigte sich im Kehlkopf in Form starrer Infiltrate, welche
Aryknorpel und ary-epiglottische Falten betrafen. Ueber die Pathogenese,
Verlauf und Therapie der Aktinomykosisinfection vergleiche Artikel
„AJäinonigkose" in der Disciplin ,^ Chirurgie'-^. r.
Angina. Das Wort Angina kommt vom griechischen ay/o) (zuschnüren,
besonders die Kehle); dafür wird bei den griechischen Schriftstellern oft
Kynanche gebraucht. Auch Sgnanche, Parakynanche und Parasynanche kommen
oft vor als Ausdrücke für Pharynx- und Larynxkrankheiten mit oder ohne
äussere Erscheinungen, ohne jedoch immer dasselbe zu bedeuten.
Unter Angina versteht man jetzt eine acute, entzündliche Er-
krankung des Isthmus faucium, und zwar kann die Entzündung den
ganzen Isthmus oder nur einzelne Theile desselben betreffen.
Nicht selten sind auch die benachbarten Gebilde, so die hintere Rachen-
wand und der Zungengrund ergriffen; da diese letzteren Erkrankungen
aber meistens nicht unter dem Namen Angina geführt werden, so wird hier
nur von den entzündlichen Erkrankungen des Isthmus die Rede sein. Ganz
ausgeschlossen ist ferner von der Besprechung die Angina Ludovici (s. d),
Eintheilung: Die Eintheilungsgründe sind verschieden: theils die
Aetiologie, theils die Localisation, theils auch der Verlauf; eine correcte Ein-
theilung kann daher nicht stattfinden.
Man unterscheidet nach dem gegenwärtigen Gebrauche folgende Formen:
Angina catarrhalis simplex^ Angina tonsillaris simplex (Tonsillitis simplex)^
Tonsillitis (s. Angina) follicularis, Tonsillitis (s. Angina) lacunaris, Angina
memhranacea benigna , Angina streptococcica , Angina phlegmonosa, Angina
erysipelatosa, Angina diphtheritica (s. Diphtherie), Angina herpetica, lepto-
tricea, aphthosa, syphilitica, tuhercidosa, ulcerosa, toxica und Angina veranlasst
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten, ^
18 ANGINA.
durch SoorpUz, Cachexie, Rheumatismus, Lyssa, Milzbrand, Masern, Schar-
lach elc.
1. Angina catarrlialis. Bekanntlich eine der häufigsten Erkrankungen,
besonders bei Kindern. Aetiologie: Dieselbe ist unklar; als häufigste Ur-
sache wird Erkältung angenommen, wahrscheinlich ist jedoch, dass dieselbe
nur ein disponirendes Moment ist; die eigentliche Ursache dürfte in einem
Mikroorganismus gelegen sein, wofür ihr Auftreten in einer Art epidemischer
Form, namentlich in überfüllten Räumen, oft Schüttelfrost bis 40*^ C Fieber,
Milzschwellung, hochgradige Mattigkeit sprechen.
Localerscheinungen: Dieselben bestehen in Röthung und mehr oder
weniger hervortretender Schwellung der Gebilde des Isthmus faucium nebst
bedeutender Vermehrung der Secretion; dieselbe ist anfangs rein schleimig,
später eiterig. Drüsenschwellungen unter den Kieferwinkeln werden ge-
wöhnlich beobachtet.
Subjective Beschwerden: Brennen im Halse, Schmerzhaftigkeit,
besonders beim Schlingen, Gefühl von Trockenheit; die Behinderung des
Schlingens geht oft so weit, dass auch der Speichel und Schleim nicht ver-
schluckt wird, sondern beim Munde herausrinnt. Die Schlingbeschwerden
sind veranlasst durch starke Steigerung der Sensibilität der Schleimhaut und
durch Infiltration der Muskeln mit Serum oder einem zelligen Exsudate.
Nicht selten beobachtet man daher nach Anginen ein Zurückbleiben von
Schwäche des weichen Gaumens. Diese Schwäche bedingt auch Störungen
in der Sprache.
Allgemeine Erscheinungen: Die Erkrankung beginnt häufig mit
Schüttelfrost und verläuft dann mit starkem continuirlichem Fieber, namentlich
bei Kindern, bei welchen es auch nicht selten zu Reizerscheinungen des
Gehirns als Kopfschmerz, Erbrechen, ja Convulsionen kommt. Bei Erwach-
senen fehlt aber gewöhnlich das Fieber.
Der Verlauf erstreckt sich gewöhnlich auf wenige Tage; das Fieber
hört früher auf als die localen Beschwerden; oft aber bleibt längere Zeit
noch Schwäche und Mattigkeit zurück.
Die Diagnose wird im Anfange durch das heftige Fieber schwierig
gemacht, da die localen Erscheinungen oft erst nach einem halben oder ganzen
Tage deutlich sind; man könnte deswegen im Anfange an eine schwere Infec-
tionskrankheit denken. Die Differentialdiagnose wird zunächst gegen
Diphtherie zu stellen sein, namentlich bei Kindern. Als ausschlaggebendes
Moment wäre hier zu verwenden der Umstand, dass die Diphtherie meist nicht
so plötzlich und mit so hohem Fieber beginnt wie die einfache Angina; doch
sind auch Fälle bekannt, wo aus einer anscheinend einfachen Angina eine
heftige Diphtherie sich entwickelte. Jedenfalls gibt die Beobachtung durch
einige Tage Aufschluss. Die Differentialdiagnose gegen die anderen Formen
der Angina ergibt sich aus den folgenden Beschreibungen.
Die Prognose ist absolut günstig.
Therapie: a) Die Prophylaxe: dieselbe besteht in Kräftigung und
Abhärtung, namentlich durch zweckmässige Ernährung, Aufenthalt in frischer
Luft, tägliche kalte Waschungen. Als Schädlichkeiten sind besonders zu ver-
meiden der Aufenthalt in schlecht ventilirten Räumen, die staubig und rauchig
sind; chronische Veränderungen im Halse als: Granulationen, Hypertrophie
der Tonsillen, adenoide Vegetationen oder Nasenerkrankungen, welche die
Athmung durch die Nase behindern, müssen hintangehalten oder beseitigt
werden; besonders muss Sorge getragen werden, systematisch auch im ge-
sunden Zustande den Mund und den Rachen mit einem leichten Desinficiens
zu reinigen, h) Die symptomatische Behandlung: gegen das Fieber
ANGINA. 19
ist für gewöhnlich keine Therapie einzuleiten, nur bei schweren Erschei-
nungen bei Kindern wird sich Anwendung von Kälte, Eishauben auf den
Kopf etc. empfehlen; sonst kann man sich mit der Verabreichung von Phos-
phorsäure behelfen, Chinin hat hier gar keinen Einfiuss auf das Fieber.
Gegen die localen Erscheinungen sind desinficirende und schmerzstillende
Gurgelwässer, Einspritzungen oder Zerstäubungen*) anzuwenden.
Bei Kindern, die nicht gurgeln können, muss man gut schmeckende und
leicht desinficirende Getränke geben, oder den Isthmus pharyngis ausspritzen,
wobei man den Kopf des Kindes sehr stark nach vorne hält. Bei heftigen
Schmerzen sind kalte Getränke, Fruchteis, Eispillen und kalte Umschläge
angezeigt; diese können entweder in der Form von kalten Tüchern oder Eis-
beuteln (unter welche eine dicke Compresse zu legen ist) oder LEiTER'schen
Kühlröhren angewendet werden, manchmal geben feuchtwarme Compressen
mehr Erleichterung; nie vergesse man auf leichten Stuhlgang zu sehen.
2. Angina tonsillaris simplex seu parenchymatosa. Ebenfalls eine
der häufigsten Erkrankungen, namentlich des kindlichen Alters. Die Aetio-
logie ist dieselbe wie bei der früher besprochenen Erkrankung.
Localerscheinungen: Die Röthung und Schwellung der Mandeln
kann einen sehr bedeutenden Grad erreichen, so dass dieselben sich in der
Mitte berühren, zuw^eilen bilden sich kleine Abscesse in der Mandelsubstanz aus.
Die subjectiven Beschwerden sind dieselben wie bei der Angina
catarrhalis, nur sind die Schlingbeschwerden noch bedeutender; dazu kommt
noch, dass nicht selten neben den Mandeln auch die anderen Gebilde des
Isthmus faucium von der Entzündung ergriffen werden.
Der Verlauf ist derselbe wie bei der Angina catarrhalis, die Diag-
nose leicht, da nur mit wenigen Erkrankungen Verwechslungen stattfinden
könnten, so mit dem primären Chancre der Mandeln. Die bedeutende Härte,
düstere Röthe der Tonsille, die starke indolente Schwellung der Drüsen am
ünterkieferwinkel, ausserdem die Einseitigkeit der Erkrankung, das Fehlen
des Fiebers, die anamnestischen Momente, der oft Wochen dauernde Verlauf
und der Einfluss der antisyphilitischen Therapie charakterisiren den letzteren
hinreichend. Ferner könnte noch ein Sarkom, namentlich ein Lympho-Sarkom
der Mandel, bei oberflächlicher Betrachtung für acute Tonsillitis gehalten
werden; hier aber ist es besonders die Einseitigkeit der Erkrankung und
häufig auch das Auftreten von tumorartigen Gebilden an der hinteren Bachen-
wand und in der Substanz des weichen Gaumens selbst, sowie der langsame
fieberlose Verlauf, der eine Verwechslung unmöglich macht. Dasselbe gilt
auch von den chronischen Veränderungen der Mandeln, die sich durch Blässe,
sowie Schmerzlosigkeit, Fehlen des Fiebers leicht abgrenzen lassen.
Die Prognose ist günstig.
Therapie: a) Die Prophylaxe hat dieselben Regeln zu befolgen wie
bei Angina catarrhalis, ausserdem aber hat man die chronisch vergrösserten
Mandeln zu entfernen, weil solche erfahrungsgemäss zu acuter Erkrankung
sehr disponiren. Bei kleineren Mandeln, die nicht leicht entfernt werden
können, hat man die Nischen auszuätzen, sei es mit Lapis oder mit dem
Galvanokauter, oder man hat theilweise verdeckte Nischen durch Schlitzung
freizulegen, auszukratzen und zu ätzen; besonders bei Kindern, welche oft
jeden Monat von Angina tonsillaris betroffen werden, hat diese Therapie oft
die glänzendsten Erfolge. Z>)Die symptomatische Behandlung ist die-
selbe wie bei Angina catarrhalis, nur müssen natürlich kleine Abscesse früh-
zeitig eröffnet werden; sollten die Tonsillen durch ihre hochgradige Schwel-
>:•) Vide die Artikel „Gargarismen" find ^Inhalationen" in diesem Bande.
20 ANGINA.
lung Athembeschwerden verursachen (was aber ausserordentlich selten ist),
so dürfen sie auch im entzündeten Zustande abgetragen werden.
3. Angina follicularis {Tonsillitis follicularis). Gleichfalls eine fieber-
hafte Erkrankung mit ähnlichen Erscheinungen wie die beiden früheren.
Aetiologie ebenfalls dieselbe.
Loca 1er seh einungen: Durch Vereiterung von Drüsenfollikeln ent-
stehen punktförmige, weisse oder gelbliche Flecke auf der Oberfläche der
entzündeten Mandel; diese Flecke werden zu Geschwüren, welche dann bald
verheilen. Meist betrifft die Erkrankung beide Mandeln.
Verlauf gutartig, nimmt meist nur wenige Tage in Anspruch. Manch-
mal kann sich eine heftige phlegmonöse Angina anschliessen.
Therapie ist dieselbe wie bei den früheren Formen, höchstens sind
hier angezeigt Gurgelungen oder Bepinselungen der Mandeln (mit 1:2000
Sublimatlösung).
4. Angina lacunaris {seu Tonsillitis lacunaris). Hier findet man im
Secrete der Lacunen nebst Eiter und Epithelzellen immer eine Menge von
Mikroorganismen, besonders Streptococcen und Staphylococcen, daher wird sie
als Infectionskrankheit betrachtet; auch hat man öfters ein epidemisches Auf-
treten dieser Erkrankung, namentlich bei Mitgliedern derselben Familie beob-
achtet. Es gibt aber auch jetzt noch viele Autoren, welche die Angina
follicularis und Angina lacunaris nicht von einander trennen, da man auch
manchmal bei der ersteren Form pathogene Mikroorganismen findet. Die Unter-
scheidung von Diphtherie (s. d.) ist im Anfang oft sehr schwer. Man findet
bei ihr gleich bei Beginn des Fiebers auf der Oberfläche der Mandeln meist
graue oder gelbliche Flecke und Streifen, die aus den Nischen der Mandeln
lierausragen. Dieselben können an der Oberfläche zu grösseren Flecken con-
fluiren und gelegentlich Verdacht auf Diphtherie erregen. Zur Behandlung
«mpfiehlt sich besonders die Bepinselung mit 1:2000 Sublimatlösung.
5. Angina membranacea benigna, Angina fibrinosa. Unter massigen
Fiebererscheinungen entstehen Membranen ausgesprochener Art, nämlich aus
Fibrin bestehend, aber nicht bloss auf den Mandeln, sondern auch auf den Gaumen-
bögen und dem Velum, ja sie können sich sogar auf den Rachen verbreiten;
endlich kommt es auch zuweilen zur Ausbreitung der Membranen in den
Kehlkopf, woselbst sie jedoch klein bleiben und keine Stenose erzeugen. Diese
Formen sind klinisch sehr schwer von der Diphtherie zu trennen, da nur die
bacteriologische Untersuchung zeigt, dass kein KLEBS-LöFFLEß'scher Bacillus
z;u finden ist, sondern nur Streptococcen oder Staphylococcen vorhanden sind;
man hat daher auch diese Form als Streptococ cen-Diphtherie be-
zeichnet. Der Verlauf ist ein gutartiger, wenn auch heftiges Fieber und
Schlingbeschwerden damit verbunden sein können. Zur Behandlung eignet
sich auch wieder Sublimat. Manchmal zieht sich die Erkrankung sehr in die
Länge und dauert in Nachschüben viele Wochen.
6. Angina erysipelatosa. Dieselbe wird veranlasst durch den Fehleisen'
sehen Streptococcus und verläuft so wie das Erysipel der äusseren Haut;
gewöhnlich entwickelt es sich durch Fortschreiten des Gesichtserysipels in
den Mund oder die Nase und von da auf den Isthmus; doch gibt es auch
primäres Erysipel des Rachens und des Isthmus. Ob eine Verletzung der
Schleimhaut zum Eindringen der Coccen nöthig ist, ist nicht sicher, aber sehr
wahrscheinlich; wissen wir ja doch, dass sich gerade von den Rhagaden des
Naseneinganges aus häufig Gesichtserysipel entwickelt.
Die Localerscheinungen bestehen in starker Röthung, oft livider
Verfärbung und Schwellung der Schleimhaut, oft mit Blasenbildung combinirt;
die Blasen platzen sehr schnell, und es entstehen dann oberflächliche, leicht
ANGINA. 21
belegte Excoriationen. Die Schwellung hat gewöhnlich an einem Punkt am
zweiten oder dritten Tage ihren Höhepunkt erreicht, und es werden dann
benachbarte Theile ergriffen, die in derselben Weise bis zum dritten Tage
wieder gesunden; ein Uebergreifen des Erysipels auf den Kehlkopf ist nicht
selten und bedingt dann natürlich oft Lebensgefahr, da das begleitende
Oedem Stenose veranlassen kann; die benachbarten Lymphdrüsen sind oft
geschwollen.
Allgemeine Symptome: Das Fieber ist ein hohes, fängt häufig mit
einem Schüttelfrost an und verläuft dann unregelmässig mit unerwarteten
Remissionen und Exacerbationen; die Nebenerscheinungen sind dieselben,
wie bei jedem heftigen Fieber.
Der Verlauf ist manchmal ein protrahirter, indem nämlich die
Erkrankung langsam von einem Orte zum anderen schreitet, wie schon oben
angedeutet durch den Mund oder die Nase auf die äussere Haut, ja, es wurden
Fälle beschrieben, wo sich die Erkrankung durch den Kehlkopf und die
Bronchien auf die Lunge fortpflanzte und dort die sogenannte Pneumonia
migrans hervorrief. Die Complicationen sind dieselben wie bei jedem anderen
Erysipel; so finden sich Entzündungen vor in der Niere, den Lungen, im
Herzen, der Leber, in den Lymphfollikeln des Darmes etc., wahrscheinlich
durch die Stoffwechselproducte der Erysipelcoccen bedingt.
Die Diagnose stützt sich auf das eigenthümliche Wandern des Pro-
cesses, auf den typischen Verlauf des Fiebers und eventuelle Ausbreitung des
Processes auf die äussere Haut.
Die Therapie ist dieselbe wie bei jedem anderen Erysipel, nämlich
allgemein gegen das Fieber und local gegen die Schwellung. Als Mittel da-
gegen wäre Kälte in Form von Eispillen oder Eisumschlägen oder Pinselungen
mit Vaselinöl anzurathen.
7. Angina phlegmonosa. Aetiologie: Verschiedene Mikroorga-
nismen scheinen diese Erkrankung zu bedingen, so Streptococcus pyogenes,
Staphylococcus aureus und Fehleisen's Erysipelcoccus und der Pilz des
Scharlachs; während es sich bei Erysipel um Infection der oberflächlichen,
in der Cutis oder Schleimhaut gelegenen Lymphräume handelt, sind hier die
Lymphgefässe des submucösen Gewebes ergriffen; die Phlegmone hat in den
meisten Fällen die Tendenz zur Eiterung. Die Eingangspforte der Infection
sind wahrscheinlich die Nischen der Mandeln; deswegen sieht man auch nicht
selten die Phlegmone sich an Angina follicularis und lacunaris anschliessen.
Die Erkrankung hat die Eigenthümlichkeit, dieselben Personen öfter zu be-
fallen; in solchen Fällen empfiehlt es sich, die Mandeln zu entfernen, oder
wenn sie zur Tonsillotomie zu klein sind, sie mit dem Galvanokauter zu zer-
stören; ausserdem ist es angezeigt, den Mund durch oftmaliges Ausspülen mit
desinficirenden Flüssigkeiten von den in ihm vorhandenen Mikroorganismen
zu säubern. Die Entwicklung einer Angina phlegmonosa von der Oberkiefer-
höhle her oder von den Zähnen ist sehr selten.
Local erscheinungen: Phlegmonöse Entzündungen der Gebilde des
Isthmus pharyngis können sowohl in der Substanz der Mandel als auch ausser-
halb derselben vorkommen; in den Mandeln selbst liefern sie kleine iVbscesse»
welche sich leicht öffnen lassen. Am häufigsten aber finden die Eiterungen
in dem schon von Linhaet beschriebenen und als Spatium pharyngo-maxil-
lare benannten Eaume statt — derselbe liegt nach aussen und oben an der
Mandel gerade hinter dem vorderen Gaumenbogen. 0. Zuckeekaxdl hat
nachgewiesen, dass dieser Raum durch die Musculi stylo-pharyngeus und
stylo-glossus in einen vorderen und hinteren Antheil zerfällt. Der vordere
dreieckige Raum, der nach aussen vom Musculus pterygoideus internus, nach
innen von der Mandel und nach hinten von obigen beiden Muskeln begrenzt
22 ANGINA.
ist, ist mit Fett und lockerem Bindegewebe erfüllt; in ihm localisiren sich
am häufigsten diese Phlegmonen, die man daher auch als Peritonsillitis be-
zeichnet; der hintere Raum, der von den Muskeln nach rückwärts bis an die
Wirbelsäule reicht und in seinem äussersten und hintersten Antheile die Carotis
interna und mehr nach vorne und aussen die Carotis externa enthält, scheint
nur sehr selten der Sitz von Eiterungen zu sein; denn der Eiter bricht fast
immer durch die Mitte des vorderen Gaumenbogens durch. Die Mandel
wird nach unten und an die Gegenseite gedrückt, und man kann fast immer
den Abscess eröffnen, indem man durch die Mitte des weit vorgewölbten vor-
deren Gaumenbogens gerade nach hinten einsticht. Der vordere Gaumen-
bogen wird manchmal durch den Eiter weit über das Niveau des gegen-
seitigen Gaumenbogens hervorgedrängt, die Mandel selbst ist gewöhnlich nicht
vergrössert. Durch den Druck des Eiters in der Abscesshöhle wird eine
Stauung in dem Gaumenbogen und der Uvula hervorgebracht, so dass die-
selben hochgradig ödematös werden.
Symptome und Verlauf: Die Erkrankung beginnt entweder plötzlich
oder schliesst sich an eine Angina follicularis an und ist von heftigem
Fieber begleitet. Das Schlingen wird nach wenigen Tagen fast unmöglich,
Speichel und Schleim rinnen aus dem halb offenen Munde heraus, die heftig-
sten Schmerzen strahlen gegen das Ohr heraus, der Mund kann oft nur
wenig geöffnet werden; die regionären Lymphdrüsen sind meistens stark
geschwollen und schmerzhaft.
Die Diagnose ist nach dieser Beschreibung leicht; es handelt sich
gewöhnlich nur darum, festzustellen, ob schon Eiterung eingetreten ist oder
nicht; man sieht dies oft an einer gelblichen Verfärbung einer vorgewölbten
Stelle des vorderen Gaumenbogens. Doch selbst beim Fehlen dieses Symp-
toms zeigen meist Oedem der Uvula und klopfende, gegen das Ohr ausstrah-
lende Schmerzen die schon vorhandene eitrige Schmelzung an. Fluctuation lässt
sich oft durch einfache Betastung oder mit der bimanuellen Untersuchung
nachweisen; ein Finger wird nämlich hinter den Unterkieferwinkel aufgelegt
und ein anderer innen auf den geschwollenen Gaumenbogen und die Mandel
und durch Gegendruck der Finger auch tiefere Fluctuation nachgewiesen;
hie und da fühlt man auch am Gaumenbogen in der brettharten Infiltration
eine weiche, nachgiebige Gewebslücke (nach König); manchmal lässt sich aber
nichts von Fluctuation finden, so dass man dann nur nach dem Verlaufe die
Diagnose der eingetretenen eitrigen Schmelzung machen kann; wenn nämlich
die Entzündung schon mehrere Tage gedauert hat und die Beschwerden sehr
heftig sind, so kann man mit Recht eingetretene Eiterung vermuthen und wird
sich leicht darüber Gewissheit verschaffen, wenn man entweder mit einem feinen
Probetroiqart oder einem feinen Tenotom einen Einstich in die Prädilections-
stelle macht. Diese Stelle entspricht der Mitte einer Linie, welche man von der
Basis der Uvula zum Weisheitszahn des Oberkiefers zieht; an diesem Punkte
sticht man 1 — 2 cm tief ein, und zwar durch den vorderen Gaumenbogen hin-
durch und fühlt sofort an dem Nachgeben des Gewebes, dass man sich in dem
vorderen Antheile des Spatium pharyngo - maxillare befindet; fliesst etwas
Eiter aus, so erweitert man den Einstich nach unten und etwas nach aussen,
entleert man keinen Eiter, so hat diese kleine Operation keinen Nachtheil.
Ja, die locale Blutentleerung wird die Beschwerden jedenfalls lindern. Dieser
Eingriff ist deswegen ungefährlich, weil man an diesem Punkte durch einen
gerade nach rückwärts geführten Stich keinen Schaden anrichten kann.
Die grossen Gefässe liegen nämlich sehr weit nach aussen und hinten. Ge-
lingt es, Eiter zu finden, so ist man meist über die Menge desselben erstaunt.
Die Höhle wird dann durch Ausdrücken entleert, eventuell noch ausgespritzt,
und alle Beschwerden hören nach wenigen Stunden auf. Die Incisionsötfnung
ANGINA. 23
muss jedoch am nächsten Tage stumpf getrennt werden, da ihre Iländer
leicht verkleben. Sehr selten scheint sich die Eiterung in dem hinteren
Abschnitte des Spatium pharyngo-maxillare zu localisiren, und dann erfolgt
der Durchbruch hinter dem hinteren Gaumenbogen oder durch diesen selbst;
man muss in solchen Fällen die Rhinoscopia posterior vornehmen oder mit
dem Finger hinter den hinteren Gaumenbogen eingehen und daselbst nach
Fluctuation suchen. Dann erfolgt die Eröffnung mit einem gekrümmten Messer
von hinten. In einzelnen seltenen Fällen kommt es nur zu einer derben In-
filtration der Gewebe, ohne dass eiterige Schmelzung eintritt; das Infiltrat
bildet sich dann langsam zurück. Die Untersuchung des Rachens wird sehr
häufig erschwert durch Mundsperre; solche ist bedingt durch Entzündung
und Infiltration des Ligamentum pterygo-mandibularc, der P'ascia bucco-pha-
ryngea oder des Kiefergelenkes.
Complicationen: Leichteres Oedem des Kehlkopfes kommt zwar
öfters vor, aber Suffbcationsgefahr ist merkwürdigerweise sehr selten, ebenso
Senkungsabscesse. Letztere können auch zu Arrosion von grossen Gefässen
führen; daher ist in allen Fällen frühzeitige Incision anzurathen,
8. Angina herpetica. Als Aetiologie nehmen einige Forscher
Reizung der sensiblen Nerven oder Erkrankung derselben an; dieselben sind: für
die Mandeln der Nervus glosso-pharyngeus, und für das Velum der zweite
Ast des Trigeminus. Merkwürdig ist es, dass bei weiblichen Individuen sich
öfters diese Erkrankung zur Zeit der Menses wiederholt. Von anderen Autoren
werden Erkältungen, schlechte Luft und geistige Ueberanstrengung als Ursache
beschuldigt.
Localer seh einungen: Es bilden sich auf der gerötheten Schleim-
haut, und zwar oft beiderseitig, kleine Knötchen, welche bald zu Bläschen
werden, deren Decken schnell zerplatzen; so entstehen weissbelegte, runde
Geschwüre, manchmal mit membranartigen Auflagerungen. Oefters fliessen
mehrere Bläschen zusammen und lassen nach ihrem Platzen ein grösseres
Geschwür zurück. Die Entzündung der Umgebung ist oft eine sehr bedeu-
tende, so dass Oedem entsteht.
Als subjective Beschwerden machen sich brennende Schmerzen,
besonders beim Schlingen bemerkbar; auch ist öfters heftiges Fieber vorhanden.
Die ganze Erkrankung läuft in einigen Tagen ab, kann aber auch 1 — 2
Wochen dauern, indem sich oft Nachschübe bilden.
Als Complicationen sind zu erwähnen die Ausbreitung der Erkran-
kung auf den Kehlkopf, woselbst sie durch starkes Oedem sogar Stenose
hervorrufen kann — auch Gaumen und Lippen können betroffen werden.
Die Diagnose ist nach diesen charakteristischen Erscheinungen leicht;
verwechselt könnten die Bläschen oder Geschwürchen, die daraus hervor-
gehen, nur werden mit Secrettröpfchen der Drüsen, die sich aber leicht
wegwischen lassen, mit punktförmigen Verätzungen, ferner mit Blattern-
pusteln. Solche Variolapusteln entstehen bekanntlich nicht selten im Munde und
im Rachen und zwar auch vor der Betheiligung der äusseren Haut; doch wird
hier eine kurze Beobachtung, das vorhergehende heftige Stägige Fieber, der
Kreuzschmerz etc. die Diagnose leicht machen. Von Diphtherie unterscheidet
sich der Herpes durch das Vorkommen der Bläschen, durch den leichten Belag
auf den Geschwürchen und seinen leichten Verlauf; endlich liefert auch Pem-
phigus manchmal Blasen auf der Schleimhaut, ohne dass die äussere Haut
betheiligt wäre; diese Blasen sind aber bedeutend grösser als die Herpes-
blasen; sie hinterlassen meist langdauernde Geschwüre und sind häufig von
Pemphigus-Eruption an der Haut gefolgt; schliesslich wären hier zu er-
wähnen die Aphthen (siehe unten).
24 ANGINA.
Die Therapie Ivann nur eine symptomatische sein, schmerzlindernd
und antiphlogistisch.
9. Aiigiiia aphthosa. Die Aphthen entstehen gewöhnlich in Folge von
Magenaffectionen oder unmittelbar nach dem Genüsse von gewissen Speisen,
hauptsächlich Essig, Pfeffer, Käse etc.; doch macht E. Feänkel den Staphylo-
coccus citreus als Erreger namhaft.
Local er scheinungen: Es sind bis linsengrosse, weissbelegte, etwas
prominente Flecke, die später erweichen und sich abstossen. Sie heilen ohne
Narbenbildung, da der Process sich im Epithel abspielt. Sie bilden sich oft
unter Fieber und mit Nachschüben aus. Sie entwickeln sich fast nie aus-
schliesslich auf dem Velum, sondern hauptsächlich auf den Lippen, den
Wangen und auf der Zunge und sind sehr schmerzhaft. Eine besondere
Art derselben ist die bei kleinen Kindern gerade über der Spitze des Hamulus
pterygoideus auftretende Form, welche unter den Namen BEDNAß'sche Aph-
then bekannt sind und wahrscheinlich durch energisches Reinigen des Gau-
mens entstehen, indem nämlich der Finger die Schleimhaut des vorderen
Gaurn enbogens gerade gegen die Spitze dieses Knochenvorsprunges drückt.
Der Verlauf ist oft ein sehr langwieriger; bei gewissen Menschen
kommen sie immer wieder und können dadurch die Nahrungsaufnahme sehr
erschweren, somit die Ernährung beeinträchtigen.
Die Diagnose ist leicht.
Die Therapie ist eine prophylactische, indem man den Mund bei
Kindern rein zu halten, bei Erwachsenen gewisse Speisen zu verbieten und
den Magenkatarrh zu behandeln hat. Local sind viele Mittel empfohlen
w^orden: Bepinselungen mit Borax, Zuckersäften, Desinficiren des Mundes,
Ausspülungen mit Kali hypermang. und chloric. und als Specificum Heidel-
beerdecoct; ausserdem bewähren sich hie und da Bepinselungen der Aphthen
mit starken Lösungen von Kali hypermang., Cocain und Morphiimilüsungen
oder Aetzungen mit Lapis. In einzelnen Fällen aber erweist sich jede The-
rapie machtlos gegen dieses manchmal quälende Leiden.
10. Angina, veranlasst durch Soor. Der als Oidium albicans bekannte Pilz wuchert
fast immer an verschiedenen Stellen des Verdauungstractes, so dass fast nie ein isolirter
Soor des Rachens zur Beobachtung gelangt, doch sei diese Erkrankung der Vollständig-
keit halber hier erwähnt.
11. Aiigiua leptothricea wird veranlasst durch Auflagerung dieses
Pilzes. Es kommen zwar auch häufig in den Pfropfen der Lacunen der
Mandeln neben Epithel, Eiterzellen und verschiedenen Coccen auch Leptothrix-
Pilze vor; eine bedeutende Ansammlung solcher Pilze aber ist recht selten. Sie
sammeln sich langsam an, und zwar in der Form von Haken, Zapfen oder Hörnchen,
machen keine oder fast keine Beschw^erden, sondern sind nur durch ihr eigen-
thümliches Aussehen eine Quelle von Beunruhigungen für den Patienten.
Localer seh einungen: Man sieht auf den fast gar nicht entzündlich
afficirten Gebilden des Isthmus pharyngis, besonders gerne an den Mandeln
und an den Rändern der Gaumenbögen, aber auch sehr häufig an der hinteren
Rachenwand und am Zungengrund weisse conische oder dicke, klumpige oder
hornartige Auswüchse, die sich nur schwer von der Unterlage entfernen lassen;
vollzieht man dies aber mit Anwendung von einiger Gewalt und untersucht
diese Gebilde, so bestehen sie aus Leptothrixfäden und Coccen mit einer aus
Kalk bestehenden Kittsubstanz.
Die Therapie besteht in Entfernung dieser Auswüchse durch Ab-
reissen. Auskratzen, Brennen mit dem Galvanokauter. Leider aber haben diese
Gebilde die grosse Neigung, wiederzukehren, ganz abgesehen davon, dass es
oft sehr schwer fällt, die zahlreichen Auswüchse vollständig zu entfernen.
ANGINA. 25
Man hat gegen die Recidiven Bepinselungen mit Jodtinctur empfohlen; öfters
hat sich auch Tabakrauchen als Mittel dagegen bewährt.
12. Angina syphiliticji. Dieselbe kommt in mehreren Formen vor:
1. Als Sklerose (Chancre); veranlasst scheint dieselbe zu sein am häufigsten
durch den Gebrauch unreiner Lötfei, namentlich beim Papeln syphilitischer
Kinder. Man hat es so zu erklären versucht, dass die mit dem Papeln be-
schäftigten Personen den mit Brei gefüllten Lötfei in den weit geöffneten
Mund einführen, um zu prüfen ob der Brei nicht zu heiss sei, wobei beson-
ders leicht der Gaumen oder die Mandel berührt wird. Natürlich kann auch
widernatürlicher Coitus die Infection herbeiführen. Local bemerkt man einen
harten, bläulichrothen, manchmal ulcerirten Tumor, der wenig schmerzhaft ist,
aber doch das Schlingen hindert. Die Drüsen derselben Seite am Unter-
kieferwinkel sind meist sehr gross und hart, aber indolent; der Verlauf
ist meist ein langsamer und auch die Folgeerscheinungen angeblich etwas
schwerer als bei der Genitalinfection; 2. Erythema syphiliticum veli
ist eine sehr häufige Begleiterscheinung der sogenannten Secundärperiode.
Düstere, braunrothe Flecke oder solche difiuse Färbung des weichen Gau-
mens, Drüsenschwellung am Kieferwinkel nebst syphilitischen Erscheinungen
an anderen Körperstellen machen die Diagnose leicht. 3. Damit verbunden oder
sehr häufig nachfolgend ist die Bildung von syphilitischen Papeln an
den Gaumenbögen und an den Rändern der Uvula. 4. Können sich gum-
möse Infiltrate an den Mandeln und am weichen Gaumen bilden, welche,
schmerzlos verlaufend, oft von den Patienten nicht beachtet werden, bis sie
zum Durchbruch des Gaumens führen. Näheres über diese Erkrankung und
deren Therapie findet sich beim Artikel Syphilis.
13. Angina tuberculosa. Sie tritt in sehr seltenen Fällen: 1. als
Miliartuberkulose bei früher anscheinend gesunden Individuen auf. Catti
hat in neuester Zeit bei Kindern solche Fälle beschrieben, bei denen sich unter
starker Röthung und Schwellung (oft ödematöser Art) des weichen Gaumens
graue, durchscheinende Knötchen der Schleimhaut bildeten, die dann zu kleinen
Geschwürchen wurden. Der ganze Process breitet sich gewöhnlich auf den
Kehlkopf aus, woselbst er Stenose erzeugt. Fieber fehlt. Diese eigenthüm-
lichen Erscheinungen erschweren die Abgrenzung gegen Diphtherie, doch zeigt
der weitere Verlauf die Richtigkeit der Diagnose auf Tuberkulose. 2. Viel
häufiger kommt es bei schon hochgradig tuberkulösen Menschen zu einer
über den Gaumen und die Gaumenbögen sich ausbreitenden Invasion von
Miliar knötchen, die bald zerfallen und zu Geschwüren zusammenfliessen. Sie
erzeugen heftige Schmerzen beim Schlingen und breiten sich nach und nach
über den ganzen weichen, theilweise auch harten Gaumen aus. Von den
syphilitischen Papeln unterscheiden sie sich durch das Auftreten von klei-
nen Miliarknötchen in ihrer Umgebung und ferner durch die manifeste
Tuberkulose in den Lungen und meist auch im Kehlkopf. Sie veranlassen
durch die grossen Schmerzen eine bedeutende Behinderung der Nahrungs-
aufnahme und damit rapiden Kräfteverfall.
14. Angina toxica. 1. Jodkaliödem, welches bei einzelnen Individuen
durch den Gebrauch dieses Mittels entsteht. Das Oedem betrifft meist den
weichen Gaumen und nicht selten auch den Kehlkopf. 2. Erythem in Folge
vonAtropin. Scharlachartige Röthung und Sch^vellung der Rachenschleimhaut
mit grosser Trockenheit, Behinderung des Schlingens sind die hervorstechen-
den Symptome. Natürlich werden bei der Diagnose auch die anderweitigen
Wirkungen des Atropins berücksichtigt werden müssen. 3. Heisse Wasser-
dämpfe erzeugen Röthung, mehr oder weniger hochgradige Blasenbildung
oder endlich Verbrennung. 4. Verätzungen durch Lauge und Schwefel-
säure erzeugen ähnliche Veränderungen; nur sind hier die Substanzver-
26 ANGINA LUDOVICI.
luste und die sie bedeckenden Schorfe viel dicker und massiger. Die Dia-
gnose wird durch die Ausbreitung der Aetzungen auf Mund, Rachen und Speise-
röhre sehr erleichtert, doch sind schon Fälle bekannt, in denen die dick-
belegten Geschwüre für Producte von Diphtherie gehalten wurden, umsomehr,
da die unglücklichen Patienten sich meist schämen, den wahren Sachverhalt
anzugeben. Die Differentialdiagnose ist jedoch leicht, wenn man erwägt, dass
durch die ätzenden Getränke gewöhnlich auch die Lippen, die Zunge und fast
immer die Speiseröhre stark betheiligt sind, während dies bei Diphtherie eine
Seltenheit ist. Alle diese Verätzungen des Isthmus pharyngis sind an und
für sich nicht lebensgefährlich; sie werden es nur dadurch, dass Nachbar-
organe, als Kehlkopf, Speiseröhre oder Magen betroffen Averden.
15. Angina ulcerosa. Manchmal entwickeln sich aus unbekannten
Gründen an den vorderen Gaumenbögen ziemlich grosse, flache Geschwüre, die
jedoch in 10 — 12 Tagen heilen (Heryng). Oberflächliche und auch tiefe
Geschwüre an den Gebilden des Isthmus faucium (gelegentlich mit consecu-
tiver brandiger Zerstörung) wurden bei Pneumonie, Typhus, Phthise, Scorbut
und Cachexie {Angina cadiectica) beobachtet. Die Behandlung muss natürlich
eine roborirende und antiseptische sein.
Anhang : Endlich finden sich auch bei Skrophulose, Lupus, Milzbrand,
Lepra, Rotz, Masern, Scharlach, Variola oft theils chronische, theils acute
Erkrankungen der Gebilde des Isthmus faucium, welche von manchen Autoren
als Anginen bezeichnet werden. Sie verlaufen unter dem Bilde der einfachen,
lacunären, phlegmonösen, ulcerösen, exsudativen, herpetischen oder gangränösen
Angina oder in specifischer Form. Ihre Besprechung gehört in die diesen
Krankheiten gewidmeten Capitel. ' chiari.
Angina. LudOVici. Die Angina Ludovici, a.nch Phlegmone colli profunda,
Cynanche cellularis maligna genannt, ist zum erstenmale von Dr. Ludwig
in Stuttgart (1836) beschrieben worden und besteht in einer entzündlichen
Infiltration des Mundbodens, der oberen Hals- und Kinngegend, welche von
einer acuten Entzündung der submaxillaren Speicheldrüse und ihres um-
gebenden Bindegewebes ausgeht. Die Erkrankung kommt sowohl sporadisch
wie epidemisch vor und wird in jedem Lebensalter beobachtet.
Die Aetiologie der Krankheit ist noch unbekannt. Man bringt sie
in Zusammenhang mit den verschiedensten Infectionskrankheiten, wie Masern,
Scharlach, Diphtherie, Typhus, Ruhr, Aktinomykose, Syphilis und Tuberkulose.
Unserer Ansicht nach beruht die eigentliche Ursache höchstwahrscheinlich
in der Einwanderung von Mikroorganismen, namentlich Strepto- und Staphylo-
€occen, in eine ihres Epithels entblösste Stelle der Schleimhaut der Mund-
höhle. Daher können auch Verletzungen derselben, Fall und Stoss auf den
Mundboden, Eingangspforten für die Eitererreger schaffen, und phlegmonöse,
diphtheritische, gangränöse Angina, wie überhaupt ulcerative Processe der
Mundschleimhaut, die mit einer Schwellung der Glandula submaxillaris einher-
gehen, können eine Angina Ludovici herbeiführen.
Die Krankheit beginnt in den meisten Fällen mit nur massigen Fieber-
erscheinungen oder auch ohne Fieber mit einer harten Anschwellung vorn
und innen vom Angulus mandibulae. Anfangs ist die Schwellung wenig schmerz-
haft, nimmt jedoch bald an Schmerzen zu und an Ausdehnung. Die Ent-
zündung breitet sich weiter nach unten aus und mehr nach der Mittellinie,
und es dauert nicht lange, so ist, wenn auch die Speicheldrüse der anderen
Seite ergriffen wird, die ganze vordere Seite des Halses in eine brettharte
Schwellung umgewandelt. Häufiger ist nur die eine Seite des Halses befallen.
Die Haut über der Geschwulst ist anfangs ganz normal, röthet sich
•allmählich, wird oft braunroth und stark gespannt. Der Mundboden wird
ANGINA LUDOVIGI. 27
vorgewölbt, die Zunge nach oben und hinten gedrängt. Unter der Zunge
findet sich im Munde eine bläuliche Schwellung. Infolge dessen wird die
Sprache undeutlich. Die Patienten können den Mund schwer oder gar
nicht öffnen und klagen über heftige Schluckbeschwerden. In schlimmen
Fällen kommt es zu heftiger Athemnoth entweder dadurch, dass sich Oedem
der Kehlkopfschleimhaut einstellt, oder dadurch, dass die Schwellung sich
immer mehr nach unten zieht und zu einer directen Compression der
Luftröhre führt. In einem Falle unserer Beobachtungen sah man bei der
laryngoskopischen Untersuchung, dass das rechte Ligamentum ary-epiglott.
durch die Intumescenz, welche die ganze vordere Halsgegend, namentlich
aber die rechte Seite einnahm, nach der linken Seite hinüber gedrängt
und der ganze Kehlkopfeingang ödematös geschwollen war, so dass von den
Stimmbändern nichts zu sehen war. Die in diesem Falle wegen starker Athem-
noth ausgeführte Tracheotomie war eine sehr schwierige wegen der starken
Schwellung des Gewebes. Die Blutung dabei war eine sehr intensive, und
die Luftröhre war nicht gleich zu finden, da sie ganz nach links hinüber-
gedrängt war.
Drückt das Infiltrat auf die lugularvenen, so erfolgt Cyanose des Gesichts,
Schwindel und Ohnmacht, und bei auftretender Thrombose derselben kann
eine Meningitis sich einstellen.
Die Entzündung in dem befallenen Gewebe ist in den meisten Fällen
eine sehr starke und hat eine ausgesprochene Neigung, zur Nekrose des
Gewebes innerhalb des Entzündungsherdes zu führen. Tritt Fluctuation ein,
so entleert sich bei der Incision eine jauchig-eitrige Flüssigkeit von sehr
üblem Geruch, untermischt mit nekrotischen Gewebsfetzen. In schweren
Fällen können sich pyämische Erscheinungen mit Schüttelfrösten, Delirien
etc. einstellen. So erfolgt nicht selten der letale Ausgang in Folge von Pyämie
oder auch durch Erstickung in Folge von Larynxödem.
D i e D i agn 0 s e ist in ausgebildeten Fällen leicht. Nur im Anfang kann
man im Zweifel sein, ob es sich nicht um eine einfache phlegmonöse Ent-
zündung der Glandula submaxillaris handelt. Bei dieser Krankheit wird jedoch
die suppurative Entzündung im weiteren Verlaufe nur auf die Speicheldrüse
beschränkt bleiben.
Zu trennen ist von der Angina Ludovici die acute infectiöse Phlegmone
des Rachens. Möglich ist aber und sogar sehr wahrscheinlich, dass beide
Processe nur verschiedene Abstufungen eines und desselben septischen Pro-
cesses darstellen.
Die Prognose ist immer ernst, wenn auch nicht so schlecht wie all-
gemein früher angenommen wurde. Die Krankheit kann tödlich verlaufen,
namentlich dann, wenn sie nicht frühzeitig genug diagnosticirt und nicht
chirurgisch behandelt wird.
Je frühzeitiger die Incision gemacht wird, umso günstiger die Prognosis:
durch eine ausgiebige Incision soll nicht allein der Eiter entleert, sondern
auch das Gewebe entspannt werden. Ist keine Fluctuation vorhanden, so warte
man nicht erst auf dieselbe, sondern man muss vorsichtig präparirend auf die
Glandula submaxillaris einschneiden. Kosen empfiehlt, nur den Hautschnitt
mit dem Messer zu machen, den Eiter jedoch mit einer vorsichtig vorgescho-
benen Kornzange hinter der Halsfascie aufzusuchen und dann energisch zu
drainiren. Gegen die auftretende Schwäche w^ende man Excitantien an, bei
drohender Erstickungsgefahr wird der Luftröhrenschnitt erforderlich sein.
SCHEIBE.
28 ANGIOME DES LARYNX. - ANGIOM DER NASE.
Angiome des Larynx. Zu denselben werden von einigen Autoren
aucli diejenigen Formen von umschriebenen Hypertrophien (sogenannte Fi-
brome) und von Papillomen gezählt, welche sehr reichlich mit Blutgefässen
versehen sind. Die eigentlichen Angiome dagegen sind sehr selten.
Sie treten entweder auf als Tumor cavernosus oder als Knäuel von viel-
fach gewundenen feinen Gefässen. Sie sind ausgezeichnet durch ihre blau-
rothe Farbe und uuregelmässig höckerige Gestalt und sitzen fast immer breit
auf, gewöhnlich an den Stimmbändern nahe ihrer vorderen Commissur, doch
auch ausserhalb des Kehlkopfluraens, besonders gerne im Sinus pyriformis.
Endlich wurde auch ein Angioma capillare von Schwartz beschrieben. Die
Behandlung besteht in Exstirpation, die Blutung darnach machte in einigen
Fällen bedeutende Schwierigkeiten und konnte erst durch Betupfen mit
schwachen Lösungen von Eisenchlorid oder mit dem Galvanokauter gestillt
werden. Recidiven wurden nicht gesehen. ch.
Angiom der Nase. Das Angiom kommt in der Nase nicht allzu
selten vor; es stellt eine dunkelrothe oder auch blaurothe, pilzförmige,
weiche Geschwulst mit glatter oder leicht unebener Oberfläche dar, die mit
breiter Basis der Schleimhaut aufsitzt und die Grösse einer Erbse oder Bohne,
selbst die einer Kastanie erreicht. Wir finden diese Neubildung vorzugsweise
am vorderen Drittel der Nasenscheidewand, hie und da auch am vorderen
Ende der unteren Muschel, also an Stellen, wo die Nasenschleimhaut durch
ihre zahlreichen cavernösen Blutgefässe zur Bildung solcher Gefässtumoren
ungemein geeignet ist.
Makenzie, Voltolini u. a. sprechen schon von teleangiektatischen
Hyperplasien und von erectilen Tumoren des Septums, aber erst in den
letzten 15 Jahren sind die „Angiome der Nase" genau beschrieben worden
(von Lange, Schaeffek, Hopmann, Jarvis, Jurasz, Scheck, Schwager,
SCHADEWALDT, ALEXANDER, SCHEIER, HeYMANN U. a.).
Die pilzartige Form dieser Geschwulst, ihre dunkelrothe Farbe und ihr
Sitz am Septum oder dem vorderen unteren Muschelende bieten wesentliche
klinische Unterschiede von dem gewöhnlichen Schleimpolypen und den Papil-
lomen dar; mikroskopisch ist ihr Bau so verschieden von den gewöhn-
lichen Nasenpolypen, dass der Name „blutender Nasenscheidewandpolyp"
(Schadewaldt) mit der jetzt üblichen anatomischen Bezeichnung der Ge-
schwülste nicht übereinstimmt und zum mindesten überflüssig ist. Es handelt
sich um cavernöse Angiome am Septum sowohl wie an der unteren
Muschel, die den Bau der Corpora cavernosa zeigen, aus zahlreichen unter-
einander communicirenden, besonders venösen Blutgefässen und Bluträumen
bestehen; letztere sind durch zellreiche, bindegewebige Scheidewände von-
einander getrennt, deren Innenfläche mit Endothel bekleidet ist; anderemale
sehen wir auch das Angioma simplex, in Form von kleinen, erbsengrossen,
dunkelrothen Tumoren, die aus einer bindegewebigen Grundsubstanz und
zahlreichen stark dilatirten, theils alten, theils neugebildeten Blutgefässen
bestehen.
Die Blutgefässe sind oftmals über die ganze Geschwulst ausgebreitet
(Fig. 1), anderemale liegen sie erst in den tieferen Schichten des fibrösen
Tumors (Fig. 2); das Bindegewebe hat alsdann an der Oberfläche dieser Ge-
schwülste das Uebergewicht, stets aber ist es die überaus grosse Zahl der
Blutgefässe und der dilatirten Bluträume in den tieferen Gewebstheilen, die
an dem Tumor die charakteristischen Eigenschaften des Angioms erkennen
lassen. Je nach dem Alter solcher Geschwülste werden wir zahlreiche Ueber-
gangsformen der hyperplastischen cavernösen Muschel- und Septumschleimhaut
zum ausgesprochenen Angiom beobachten und so erklären wir uns, dass der
eine bei diesen Geschwülsten von einer cavernösen Hyperplasie, der andere
ANOSMIE.
29
Fig. 1. Aiigiom am vorderen Drittel der Unken Nasen-
scheidewand eines 19jährigen Mädchens. 12 : 1.
von einem teleangiektatischen Fibrom spricht; stets sind es Tumoren, in
denen ungemein viele tlieils neugebildete, theils erweiterte alte Blutgefässe
vorhanden sind.
Das bindegewebige Gerüste
dieser Angiome besteht aus ziem-
lich derben Fasern und enthält
viel runde oder spindelförmige
Zellen. Drüsengewebe ist in ihnen
gar nicht, höchstens nur in Spuren
vorhanden. Die meist glatte Ober-
fläche dieser Angiome ist von ein-
oder mehrschichtigem, flimmern-
dem Cylinderepithel überzogen,
das in seltenen Fällen kleine pa-
pilläre Einsenkungen in die Ge-
schwulst bildet.
Klinisch zeichnen sich die
Angiome durch ihre stark rothe
Farbe aus, ihre pilzähnliche Ge-
stalt und den kurzen breiten Stiel,
mit dem sie an dem vorderen
Septumabschnitte, an der soge-
nannten Prädilectionsstelle für
Nasenblutungen oder auch am vor-
deren unteren Muschelrande auf-
sitzen; sie verursachen leicht spon-
tane Blutungen, die recht profus
sein können und die meist beim
Schneuzen oder Reinigen der Nase
auftreten. Sie sitzen viel häufiger
am Septum als an der unteren Muschel und entwickeln sich vorzugsw^eise
in der linken Nasenseite, kommen aber auch rechts vor, wie z. B. die
beiden Figuren 1 und 2 Präparaten von Angiomen der rechten Nase ent-
stammen; es waren dies unter 8 Fällen, die ich in den letzten Jahren gesehen
habe, die einzigen aus der rechten Nasenhälfte. Die Angiome kommen beson-
ders häufig bei jungen weiblichen Individuen zur Beobachtung.
Man wird sich hüten müssen, diese Gefässtumoren mit der Kornzange
oder der kalten Schlinge abzutragen; nur die Glühschlinge schützt uns vor
stärkeren Blutungen; nachträglich muss die Basis des Angioms mit dem
Galvanokauter ausreichend geätzt und zerstört werden, um Recidiven vorzu-
beugen. KÜHN.
AnOSmie (Verlust des Geruchsinnes) tritt auf, wenn eine krankhafte
Affection des Geruchsnerven an seinem centralen Ursprung im Gehirn, in
seinem peripheren Verlauf oder an seinen Endausbreitungen besteht.
Das Riechcentrum des Menschen betrifft nach Zuckerkandl den Gyrus
fornicatus, während nach der Untersuchung anderer Autoren auch Fossa
Sylvii, Uncus, Hippocampus, Ammonshorn und der Thalamus opticus daran
Antheil nehmen.
Centrale Anosmie tritt als Symptom von Hemiplegien, Hirntumoren,
entzündlichen basalen Exsudaten, Schädeltraumen, welche die Riechära lädiren,
auf. Sie kommt auch congenital vor (Kundeat). Die Ursache der peri-
pheren Anosmie sind Nasenschleimhauterkrankungen, Polypen, Septum-
deviationen etc.; sie ist oft nur eine rein mechanische, nämlich dadurch
bedingt, dass die mit Riechstoffen beladene Luft keinen freien Zutritt zu den
Fig. 2. Angiom der linken Nasenscheidewand eines
34jährigen Mannes (Lupenvergrösserungj.
30 AUSCÜLTATION DES OHRES.
EndausbreituDgen des Nervus olfactorius hat. Specielle Fälle von Anosmie
sind jene, welche im Verlaufe chronischer Vergiftungen (Hg-, Tabakintoxication)
und jene, welche im Klimakterium und nach Castration bei Frauen beob-
achtet wird. — Ausführlicheres über Anosmie findet sich im Artikel „ Geruchs-
empßndimgsstönmgen^'' dieses Sammelwerkes. {Interne Medicin Bd. L pag. 767.)
ß.
AuSCUltation des Ohres. Dieselbe wird vermittelt durch die Ein-
schaltung eines Hörschlauches (Otoskopes), eines etwa % Meter langen
Gummischlauches mit zwei schlank-olivenförmigen Ansätzen, von denen der
eine, weisse, für das controlirende Ohr des Arztes, der andere, schwarze, für
das zu untersuchende Ohr bestimmt ist.
Das in normalen Fällen durch diesen Schlauch während der Luft-
einblasung wahrgenommene „Blasegeräusch" ist ein weiches, hauchendes
Geräusch, welches scheinbar dicht am eigenen Ohre des Untersuchenden zu-
stande kommt. Prallt die Luft beim Eindringen in die Paukenhöhle stark
gegen das Trommelfell an, so wird dadurch neben diesem Blasegeräusche ein
Knattern erzeugt, eine Combination, welche als „Anschlagegeräusch"
bezeichnet wird. Ist das Trommelfell besonders dehnbar, dünn und un-
elastisch, so entsteht bei dem Anprallen der Luft eine plötzliche Auswärts-
wölbung, welche an dem charakteristischen „Ausbauchungsgeräusche"
erkannt wird, welches sich von dem ähnlichen Anschlagegeräusche durch
sein stossweises Auftreten und seine kurze Dauer unterscheidet und zuweilen
mit dem Gefühle einer Luftverdichtung im Ohre des Arztes verbunden ist.
Ist die Tube und die Paukenhöhle sehr secretarm, so fehlt dem Blasegeräusche
der weiche Klang und es wird als ein „hartes" oder „trockenes" vernom-
men. Bei verengter Tube macht sich die verminderte Durchgängigkeit durch
die Schwäche und Unregelmässigkeit des Auscultationsgeräusches, durch ein
„dünnes," „fadenförmiges", „saccadirtes" ßeibegeräusch bemerk-
lich. Bei vollständig verschwollener Tube und bei vollkommener Anfüllung
der Paukenhöhle mit Secret ist überhaupt kein Auscultationsgeräusch wahr-
zunehmen. Hier, wie auch bei nur verminderter Wegsamkeit, kann man
schon in dem Widerstände, welcher sich der Compression des Ballons ent-
gegenstellt, einen diagnostischen Anhaltspunkt gewinnen.
Bei Secretansammlung in der Paukenhöhle entstehen Rassel-
geräusche; „grossblasige" oder „knatternde" bei dicklicher, „klein-
blasige" oder „knisternde" bei dünner Beschaffenheit des Exsudates.
Dieses Rasseln ist nicht mit jenem zu verwechseln, welches hörbar wird,
wenn die nicht frei in die Tuba eindringende Luft das Secret des Nasen-
rachenraumes aufwirbelt und welches mehr mit einem Gurgeln verglichen
werden kann. Das Rachenrasseln wird übrigens durch die Luftleitung meist
deutlicher gehört als durch den Auscultationsschlauch, aus welchem es als
ein sehr entfernt klingendes Geräusch an das untersuchende Ohr dringt; die
im Mittelohre entstehenden Rasselgeräusche klingen hingegen nahe am Ohre
des Arztes. Grossblasiges Rasseln dauert zuweilen noch nach der Beendigung
der Lufteinblasung kurze Zeit an, und es kann daraus auf eine besonders zähe
Beschaffenheit des Secretes geschlossen werden. Geht dem Rasseln ein
„Knacken" voraus, so wurde die anfangs verklebte Tube erst durch den
Luftstrom geöffnet, verwandelt sich ein Rasselgeräusch während der Einblasung
in ein Blasegeräusch, so deutet dies darauf hin, dass Secret aus dem Wege
geräumt worden ist.
Am meisten charakteristisch ist das Geräusch, welches bei bestehendem
Defecte des Trommelfelles dadurch hervorgerufen wird, dass die in das Mittel-
ohr getriebene Luft aus der Perforation herausdringt: das Perforations-
geräusch. Es ist dies ein pfeifendes und zischendes, meist sehr lautes
BACTERIEN DER MUNDHÖHLE. 31
Geräusch, welches umso höher und intensiver zu sein pflegt, je kleiner der
Defect ist; es wird nicht selten ohne Ilörschlauch auf viele Meter Entfernung
wahrgenommen und dringt durch den Schlauch oft mit einem heftigen An-
prall von Luft gegen das Trommelfell des Arztes. Bei sehr grossen und
trockenen Perforationen kann dieses typische Perforationsgeräusch fehlen und
durch ein unbestimmtes, dem normalen Blasegeräusche ähnliches ersetzt sein.
Ueberhaupt ist die Erkennung der verschiedeneu hier angeführten Gattungen
von Auscultationsgeräuschen nicht immer leicht und zuweilen nur bei grosser
Erfahrung möglich; und es ist schon aus diesem Grunde nothwendig, nach
vollzogener Luftdouche das Trommelfell noch einmal zu besichtigen. Meist
wird man durch gewisse Veränderungen des Bildes Aufschluss über zweifel-
hafte Vorgänge gewinnen.
Die Auscultation ist in neuerer Zeit auch auf den Warzen fortsatz
ausgedehnt worden. Nach Michael geschieht dies am besten mit einem
Hörschlauche, dessen eines Ende statt eines Ohransatzes einen Ohrtrichter
trägt, welcher während der Lufteinblasung fest gegen den Processus mastoideus
gedrückt wird. Bei normalem Luftgehalte der Warzenzellen vernimmt das
controlirende Ohr ein deutliches sausendes Geräusch, dessen Ausbleiben bei
normaler Tube und intactem Trommelfelle auf eine Erkrankung des Warzen-
fortsatzes deuten kann. Wichtiger für die Diagnose ist in vielen Fällen die
Percussion des Warzenfortsatzes, welche besonders von Koeener
und V. Wild empfohlen worden ist. Dieselbe wird mit Hilfe eines Stahl-
hammers ausgeführt, dessen Klopffläche 8 Millimeter breit und leicht convex
ist und dessen dünner, federnder Fischbeinstiel 16 Centimeter lang ist.
BÜRKNER.
BaCterien der Mundhöhle. Da beständig eine Unmasse von Keimen
mit der Luft, besonders aber mit den festen und flüssigen Nahrungsmitteln in
die Mundhöhle eingeführt wird, ist der Bacteriengehalt derselben schon unter
normalen Verhältnissen ein sehr grosser. Nach den Untersuchungen von
E. Rosenthal muss die Anzahl der Pilzkeime in der menschlichen Mundhöhle
nach Millionen geschätzt werden, wobei noch hinzukommt, dass eine derartige
Zählung nur unvollkommen sein kann, weil ein grosser Theil wegen des
mangelnden Wachsthums auf Gelatineplatten nicht in Frage kommt, und ein
weiterer Theil auf den Nährböden von üppiger wachsenden Nachbarn über-
wuchert wird.
Die Mundhöhle bietet überaus günstige Bedingungen für die Ernährung
und das Wachsthum von Bacterien dar. Die Zwischenräume der Zähne, die
haarähnlichen Fortsätze der filiformen Papillen, besonders aber die buchtigen
Taschen der Tonsillen gewähren ihnen willkommene Schlupfwinkel. Die hier
herrschende relativ hohe Temperatur, welche dem für die meisten, vor allem
die pathogenen Spaltpilze geltenden Temperaturoptimum entspricht, der bald
schwach sauer, bald schwach alkalisch reagirende, mit Speiseresten untermischte
Mundschleim fördert die Entwicklung vieler Bacterien. Die reichliche Luftzufuhr
einerseits, andererseits aber auch der Sauerstofiabschluss in den tiefen Falten
der Schleimhaut, noch mehr in cariösen Zähnen, begünstigen die Ansiedlung
aerobiotischer sowie bedingt und unbedingt anaerobiotischer Mikroorganismen.
Pathologische Verhältnisse ändern die soeben kurz erwähnten Wachs-
thumsbedingungen nach verschiedener Richtung.
Eine stärker saure Reaction des gemischten Speichels, welche bei einem
längeren Verweilen desselben in der Mundhöhle, ferner bei Rheumatismus,
Gicht, Gastroenteritis, in vorgerückten Stadien des Diabetes mellitus, bei Dys-
pepsie und manchen febrilen Erkrankungen beobachtet wird, muss dessen
Eignung als Nährsubstrat für Bacterien herabsetzen oder ganz aufheben, an-
dererseits aber auch die Erweichung des Zahnbeins und somit die Schaffung
32 BACTERIEN DER MUNDHÖHLE.
eines günstigen Ncährbodens unterstützen. Bei allen krankhaften Zuständen,
in denen durch andere Drüsen in überreicher Menge Flüssigkeiten abgeschie-
den werden, so z. B. bei Schrumpfniere, Polyurie, Hyperhydrose, bei Magen-
katarrhen, ferner bei fieberhaften Infectionskrankheiten, ist die Secretion der
Mundspeichel- und Mundschleimdrüsen wesentlich vermindert. Diese Herab-
setzung des Feuchtigkeitsgehaltes der Mundhöhle verringert die Möglichkeit
der Pilzentwicklung. Trotzdem werden aber nicht nur die Dauerformen der
Bacterien, sondern auch ein grosser Theil dieser selbst der Austrocknung
widerstehen und beim Eintritt günstigerer Bedingungen wieder aufleben
können. Vor allem aber befördert die Mundathmung direct die Ansiedlung
von Mikroorganismen, welche in den meisten Fällen durch hypertrophische
Entzündungen der Nasenschleimhaut oder durch adenoide Wucherungen im
Nasenrachenräume veranlasst wird.
Die Bedeutung der Mundpilze für die Pathologie liegt theils in den
durch sie bedingten localen Erscheinungen, theils in ihren Wirkungen auf
entfernte Organe.
Unter den localen, in der Mundhöhe selbst sich abspielenden Erschei-
nungen gehören die Gährungsprocesse zu den wichtigsten. In erster Linie
verdient die Milchsäuregährung wegen ihrer Bedeutung für die Zahncaries eine
besondere Beachtung.
Der häufigste Erreger der spontanen Milchsäuregährung ist der Bacillus
aerogenes {Bacteriiim lactis nerogenes Escheeich) und Varietäten desselben, wie
der Bacillus acicli lactici (Hueppe), welcher von Miller wiederholt in der
Mundhöhle gefunden wurde. Doch wird die Vergährung des Milchzuckers
auch durch andere Bacterienarten, wie z. B. durch sämmtliche Eitercoccen,
den Bacillus coli communis, Bacillus prodigiosus, Sarcinearten und einige Heu-
bacterien verursacht. Miller untersuchte in zwei Versuchsreihen 22, be-
ziehungsweise 25 Mundbacterien nach dieser Richtung und fand unter diesen
jedesmal 16, welche eine Fleischextract-Pepton-Zuckerlösung sauer machten.
In 18 Fällen wurde die Bestimmung der Säure versucht, und in 10 dieser
Fälle Milchsäure qualitativ nachgewiesen. Hueppe isolirte aus der Mundhöhle
zwei verschiedene in zuckerhaltigen Lösungen Milchsäure bildende Bacterien.
ViGNAL fand unter 17 verschiedenen Mundpilzen 9 mit der Fähigkeit, Lactose
in Milchsäure umzuwandeln.
Die spontane Buttersäure- und Essigsäuregährung ist in der Mund-
höhle nicht beobachtet worden, der Erreger der ersteren, der Bacillus butyricus,
wurde nur einmal von Rasmussen in der Mundhöhle nachgewiesen.
Neben gährungserzeugenden Pilzarten kommen in der Mundhöhle auch
solche mit saccharificirenden und mit invertirenden Fähigkeiten vor. Miller
fand unter neun verschiedenen Arten eine mit ausgesprochen diastatischer
Wirkung, Vignal unter 17 Mundbacterien drei, welche Stärke umwandeln, und
sieben, die Rohrzucker invertiren.
Für viele Mundpilze konnten Vignal und Miller ebenfalls eiweiss-
lösende Eigenschaften direct nachweisen.
Da der Mundhöhleninhalt einen aus Kohlehydraten, Eiweisskörpern,
Fetten etc. gemischten Nährboden darstellt, so werden die verschiedenen
Gährungen neben einander verlaufen können. Endlich sind hier noch kurz
die reinen Fäulnisvorgänge in dem Cavum oris zu erwähnen, die sich in
der gangränösen Zahnpulpa, an Speiseresten u, s. w. abspielen.
Unsere Kenntnisse von den Mikroorganismen, welche bei der Caries
der Zähne eine Rolle spielen, beruhen fast ausschliesslich auf den Arbeiten
von Miller, Jung, Vignal u. a. Diese gerneinsamen Studien führten zu
dem Ergebnis, dass es kein bestimmtes specifisches Bacterium der Zahncaries
gibt, sondern dass dieser Process immer auf einer Mischinfection beruht.
Miller glaubt festgestellt zu haben, „dass alle Mikroorganismen der Mund-
BACTERIEN DER MUNDHÖHLE. 33
höhle, welche die Fähigkeit besitzen, eine saure Gährung von Speiseresten
zu verursachen, an dem ersten Stadium der Zahncaries (Entkalkung des Zahn-
gewebes) theilnehmen können; ferner dass alle Mikroorganismen, die eine pep-
tonisirende oder eine verdauende Wirkung auf eiweissartige Substanzen be-
sitzen, an dem zweiten Stadium (Auflösung der erweichten Grundsubstanz)
theilnehmen können, und dass schliesslich alle diejenigen, welche beide Eigen-
schaften besitzen, zu gleicher Zeit in beiden Stadien activ thätig sind."
Auch bei den Erkrankungen der Zahnpulpa handelt es sich fast aus-
nahmslos nach diesem Autor um eine Mischinfection. Mikrococcen waren
constant vorhanden, seltener Bacillen; in ungefähr 50% aller Fälle wurden
Schraubenformen angetroffen. Selten fand Miller hierbei die specifischen
Eitercoccen, dagegen eine Gruppe von diesen nahe verwandten Coccenarten,
die, Mäusen subcutan beigebracht, Eiterung verursachten. Die Bacillen der
kranken Zahnpulpa zeigten eine nur geringe eitererregende Wirkung. Der Keich-
thum der erkrankten Pulpen an Bacterien hängt ganz davon ab, ob die Pulpa-
höhle gegen die Mundhöhle zu geöffnet oder geschlossen ist.
Zu den Spaltpilzen, die gleichfalls nur eine locale Wirkung in der Mund-
höhle hervorbringen, gehören weiterhin die chromogenen Mundbacterien, die
nach der producirten Farbe eingetheilt werden in
a) solche, welche einen gelben Farbstoff bilden; Miller unter-
scheidet acht in diese Gruppe gehörige Arten, welche alle den Farbstoff in
ihrem Protoplasma enthalten, ohne das Culturmedium zu färben. Rosenthal
beschreibt genau zwei neue Arten, von denen der Mikrococcus ochraceus
auf bestimmten Nährböden ein ockergelbes Pigment bildet, während der
Diplococcus Hauseri benannte Pilz der Gelatine einen goldgelben Farbenton
verleiht. Ausserdem wurden von demselben Autor der Mikrococcus Intens und
aurantiacus (Cohn), Bacteridhmi luteum und aurantiacum (Schröter), die
Sarcina lutea (FLtJGGE) und flcivci und der Bacillus aurantiacus (Franklakd)
aus der Mundhöhle isolirt. Endlich wäre hier noch der Bacillus g. Vigxal's
anzuführen, der mit dem Bacillus huccalis minutus von Sterxberg identisch
ist und auf allen Nährböden goldgelbe Lager bildet,
h) solche, die einen grünen Farbstoff bilden; Miller konnte fünf
Mikroorganismen züchten, welche die Nährgelatine grün färben und Rosen-
thal beschreibt zwei Bacterien, von denen die Sarcina viridis ßavescens ver-
schiedenen Nährmedien eine grünlichgelbe bis olivgrüne Farbe verleiht, und
ein zweites, welches dem Staphijlococcus viridis ßavescens (Güttmann) nahe
zu stehen scheint.
c) solche, die rothe bis braune Farbstoff e bilden. Miller berichtet
über einen nicht selten in der Mundhöhle vorkommenden Pilz, welcher ziegel-
rothe Beläge auf den Zähnen bildet und ungemein hartnäckig haftet. Künst-
lich liess er sich nicht züchten. Doch gelang es Miller, von anderen rothes
und braunes Pigment bildenden Spaltpilzen Culturen anzulegen. Ebenso er-
zeugten mehrere von Vignal isolirte Bacillen röthliche Colonien. Auch
Rosenthal's Bacterium cerosinwn ist hierher zu rechnen.
M. Freund gelang es 18 verschiedene chromogene Spaltpilze aus der
Mundhöhle zu züchten. Bei 14 Bacterien konnte die Identität mit genau
bekannten Arten festgestellt werden, bei den übrigen 4 war dies jedoch nicht
möglich. Es fanden sich Sarcina flava, Sarcina lutea, Sarcina aurantiaca,
Staphylococcus pyogenes aureus, Diplococcus citreus liquefaciens, Mikrococcus
flavus liquefaciens, Mikrococcus luteus, Mikrococcus aurantiacus, Mikrococcus agilis,
Mikrococcus carneus, Mikrococcus cremoides, Bacillus fluorescens liquefaciens,
Bacillus fuscus, und die Rosahefe. Als neue Species stellte Freund hin den
Mikrococcus lactericeus, den Mikrococcus citreus granulatus, sowie den Bacillus
griseo-flavus und den Bacillus riscosus ochraceus. Da die hauptsächlichsten
farbenbildenden Spaltpilze in der Luft und im Wasser, besonders im Wasser-
Ohren-, Nasen-, Eachen-, Kelilkopfkrankheiten. o
34 BACTERIEN DER MÜNDHÖHLE.
leitungswasser die ausgedehnteste Verbreitung besitzen, so ist deren häufiges
Yorlvommen in der Mundhöhle durchaus nicht aufiällig.
Von den Fernwirkungen der Mundbacterien auf entlegenere Organe, be-
ziehungsweise den gesammten menschlichen Organismus, sei hier nur ganz
kurz der Parotitis epidemica gedacht, die in den meisten Fällen dadurch ent-
steht, dass Mikroorganismen vom Munde aus in die Speichelgänge eindringen.
Auch auf die innige Wechselbeziehung zwischen der Mundrachenhöhle und
dem Mittelohr sei mit wenigen Worten hingewiesen, zumal da die wichtigsten
eine Otitis media hervorrufenden Mikroparasiten, wie der Diplococcus pneu-
moniae, der Bacillus Feiedländee, die pyogenen Staphylococcen und der
Streptococcus pyogenes, nicht selten im Cavum oris angetroffen werden.
Die häufigste Eingangspforte für die den menschlichen Gesammtorganis-
mus schädigenden Krankheitserreger befindet sich an den Gaumenmandeln,
aber auch durch die lymphatischen Follikel des Zungengrundes und der
Rachenwand können sie in die Lymphdrüsen des Unterkiefers und des Halses
eindringen. Für Tuberkelbacillen ist dieser Vorgang durch Baumgarten,
Strassmann, Dmochov^ski, Krückmann, Lubarsch u. a. sicher nachgewiesen.
Hierzu ist eine vorherige Erkrankung oder Zerstörung des Epithels durchaus
nicht erforderlich. Ausserdem bringt jede Schlingbewegung den Inhalt des
Mundsecretes innig mit der Mandeloberfläche in Berührung, und der nach
jedem Schluckact in dieser Gegend stattfindende negative Druck saugt die
differenten Stoffe förmlich in die Krypten hinein, in denen das active Wachs-
thum der Bacterien jedenfalls ebenso gut wie im Brutschrank vonstatten
geht. Nach den Mittheilungen Löffler's schieben sich die Streptococcen-
colonien in keil- oder zungenförmigen Herden von der Schleimhautoberfläche
in die Tiefe vor, erfüllen die Lymphspalten und gelangen durch Arrosion der
Blutgefässe in Folge von Gewebsnekrose in die Circulation. Die weiterhin
entstehende Thrombophlebitis gibt Anlass zu Metastasen in lebenswichtigen
Organen, in den serösen Höhlen, in den Muskeln oder im Knochenmark.
Dass verschiedene Erkrankungen des Verdauungstractus, in erster Linie
die Appetitlosigkeit, schlechter Geschmack und Geruch, „die aus dem Magen
kommen", die chronische Dyspepsie und intensive Gährungserscheinungen im
Magen in vielen Fällen allein auf einen vernachlässigten Zustand der Mundhöhle
zurückzuführen sind, braucht an dieser Stelle nicht näher erörtert zu werden.
Auch die Richtigkeit der Annahme, dass Lungenerkrankungen durch
Aspiration von Keimen aus der Mundhöhle zustande kommen können; ist
vollständig erwiesen. Israel fand in einem aktinomykotischen Primärherd
des Lungengewebes ein kleines Stück Zahnstein, welchem zahlreiche Fäden
des Strahlenpilzes anhafteten und das bestimmt der Infectionsträger war.
Auch Baumgarten berichtet über einen Fall, bei welchem es sich um eine
primäre Lungenaktinomykose handelte, die durch Aspiration der in den Krypten
der linken Gaumenmandel angesammelten specifischen Bacterienelemente her-
vorgerufen war. Es ist anzunehmen, dass die Mundrachenhöhle zunächst als
Sammelstelle der eingeathmeten Keime dient, diesen zunächst Gelegenheit zur
Vermehrung und damit dann die Möglichkeit des Hinabgelangens einer grösse-
ren Anzahl von Keimen in die Lunge bietet. Sowohl für die Pneumonie als
auch für den Lungenbrand ist die Mundhöhle und nicht die Luft als die directe
Quelle der Infection anzusehen.
Was nun die Gruppirung der Mundpilze anbetrifft, so kann man die-
selben eintheilen
I. in die eigentlichen Mundbewohner, die Mundpilze im en-
geren Sinne;
diese sind, wie neuere bacteriologische Untersuchungen gezeigt haben,
fast in jeder Mundhöhle aufzufinden;
IL in Mundpilze im weiteren Sinne.
BACTERIEN DER MUNDHÖHLE. 35
In dieses Gebiet können unter Umständen sämmtliche in unserer Um-
gebung vegetirende Pilzarten fallen, die nur zufällig mit der Inspirationsluft
oder mit Nahrungsmitteln in die Mundhöhle gelangten und bloss vorüber-
gehend sich hier aufhalten. Nur die erste Gruppe ist für den praktischen
Arzt von besonderer Bedeutung. Speciell aus pathologischen Gesichtspunkten
unterscheiden wir dann wieder zwischen
1. nicht pathogenen und
2. pathogenen Bacterien der Mundhöhle, d. h. solchen, welche ent-
weder nach Ueberimpfung auf Thiere oder im menschlichen Organismus selbst
krankhafte Veränderungen hervorrufen.
I. Niclitpatliogeiie Muiidpilze im engeren Sinne.
u) Kugelförmige Spaltpilze (Coccen).
1. Jodococcus vaginatus (Millee).
2. Jodococcus magnus (Miller).
3. Jodococcus parvus (Miller).
4. MiJcrococcus (mit Jod rosaroth färbbar) (Miller).
5. Ascococcus buccaUs (Miller).
6. Mikrococcus nexifer (Miller).
7 — 10. Mikrococcen, welche ebenso wie 4. und 5. in zuckerhaltigen Lösun-
gen gezüchtet eine starke Gährung nnd eine stark saure Reaction verursachen.
11. Mikrococcus Reesii (E. Rosenthal).
b) Stäbchenförmige Spaltpilze.
1. Bacillus mesentericus vulgatus FlüC4GE, Kartoffelbacillus (Vignal).
2. Bacillus subtilis Ehrenberg, gemeiner Heubacillus (Vignal).
c) Schraubenbacterien.
1. Vibrio rugula (Vignal).
2. Vibrio viridans (Miller).
3. Spirillwn sputigenum (Miller).
Ausser diesem fand Miller noch drei andere züchtbare krumme Stäb-
chen, die alle durch verschiedene Merkmale vom Cholerabacterium differencirt
waren.
4. Spirochaele dentium s. denticola (Miller).
d) Pleomorphe Spaltpilze (Fadenbacterien).
1. Leptothrix buccalis (Vignal).
2. Leptothrix innominata (Miller) = Materia alba von Leuwenhoek.
3. Bacillus buccalis maximus (Miller).
4. Leptothrix buccalis maxima (Miller).
II. Patliogene Muudpilze im engeren Sinne.
A. Nicht züchtbare pathogene Arten.
Einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis dieser Gruppe hat Kreibohm
geliefert. Er fand zwei pathogene Bacterien, welche auf keinem der üblichen
künstlichen Nährsubstrate zum Wachsthum zu bringen waren, aber, Mäusen
einverleibt, Septikämie hervorriefen. Im Blute der Versuchsthiere fanden
sich dieselben Bacterien in grossen Mengen vor. Die Stäbchen der ersten
Art waren denen der Kaninchenseptikämie sehr ähnlich und wurden zwei-
mal aus dem Zungenbelag Typhöser, die zweite, den Bacillen der Hühner-
cholera am ähnlichsten, wurde aus dem Zungenbelag eines fiebernden Kindes
mit einem erythematösen Exanthem durch den Thierkörper isolirt. jMiller
beobachtete in der gangränösen Zahnpulpa ein Bacterium, welches, Mäusen
injicirt, locale Gangrän erzeugte.
3*
36 BACTERIEN DER MÜNDHÖHLE.
B. Zucht bare pathogene Mundbact erien.
a) Coccen.
1. Diplococcus lanceolaius capsidatus Feänkel, Diplococcus pneumoniae
Weichselbaum.
Die Entdeckung seiner ursächlichen Beziehung zu der fibrinösen Lungen-
entzündung greift zurück auf die durch Pasteur und Sternberg bereits 1881
festgestellte Thatsache, dass Kaninchen nach Impfung mit menschlichem
Speichel erkranken und sterben, wobei dann im Blute in reichlicher Menge
ein kapseltragender Coccus auftritt, der sich züchten lässt. Dieser Mikro-
coccus der „Sputum-Septikämie" wurde von A. Fränkel als der Erreger der
Pneumonie erkannt, eine Behauptung, die durch die Untersuchungen anderer
Forscher, vorallem Weichselbaum's und Netter's in der Folge bewiesen
worden ist. Dieser gefährliche Entzündungs-, bez. Eiterungserreger wird sehr
häufig in der Mundhöhle Gesunder angetroffen. Netter fand ihn bei der
Untersuchung des Speichels von 127 gesunden Personen, bei denen, die eine
Pneumonie überstanden hatten, in 80 7o, bei denen, die niemals eine solche
gehabt hatten, in 20 7o der Fälle. Die verschiedenen, dem Diplococcus lan-
ceolatus ähnlichen Mikroorganismen, welche in der Mundhöhle angetroffen
wurden, berechtigen nach Kruse und Pansini nicht zur Aufstellung distincter
Varietäten.
2. Mikrococcus gingivae pyogenes (Miller).
3. Coccus salivarius septicus (Miller).
4. Mikrococcus tetragenus Gaffky (Miller, Biondi, Park, Steinhaus).
5. Staphylococcus salivarius pyogenes (Biondi).
6. Staphylococcus pyogenes aureus et albus.
7. Staphylococcus pyogenes citreus et flaviis.
8. Streptococcus pyogenes.
Diese drei zuletzt angeführten gewöhnlichen Eiterpilze sind häufige Be-
wohner der Mundhöhle. Netter hat bei 7 unter 127 Gesunden, d. h. bei
5-547o ini Speichel den Streptococcus pyogenes nachgewiesen. Kurth gibt
an, nach der ihm zugänglichen Literatur kämen in 472— 8 7o bei Gesunden
im Munde Streptococcen vor, bei einer Reihe sei jedoch die Virulenz nicht durch
das Thierexperiment nachgewiesen worden. Podbielsky untersuchte bei 50 Ge-
sunden, theils Erwachsenen, theils Kindern, und fand darunter nur einmal bei
einem 7monatlichen Kinde Streptococcen. Schweighofer hat aus 7 gesunden
Mundhöhlen einen Streptococcus isoliren können, der schwerer fortzuzüchten
war als der bei Diphtherie-Secundärinfection erhaltene, und sehr wenig
virulent war. Doernberger fand in Escherich's Klinik Streptococcen nicht
nur bei Angina catarrhalis, lacunaris und phlegmonosa, bei Stomatitis aph-
thosa und herpetica, sondern auch unter normalen Verhältnissen in der Mund-
höhle in 45 7o unter 40 Kindern. Von Fränkel und Gaere wurden die
pyogenen Staphylococcen im Speichel nachgewiesen. Abweichend von diesen
Autoren konnte Vignal die Staphylococcen nicht häufig, die Streptococcen nie
g ewinnen.
Biondi constatirte dreimal unter 50 Fällen bei Angina phlegmonosa
beziehungsweise primärem Larynxerysipel im Mundspeichel Streptococcen. Das
erste Stadium der BEDNAR'schen Aphthen glaubt E. Fränkel durch Bacterien-
haufen, und zwar Staphylococcen und Streptococcen verursacht. Sendtner
erhielt aus vier Fällen von Angina follicularis und einer Angina phlegmonosa,
ausschliesslich Streptococcen, die mehr oder minder virulent waren. Kurth
erhielt bei vier leichten Mandelentzündungen und einer solchen, die mit Otitis
complicirt war, den Streptococcus pyogenes.
Ausserdem treffen wir die Streptococcen bei anderen Krankheiten, deren
Erreger specifische Bacterien sind, mit diesen letzteren vergesellschaftet als
BACTERIEN DER MUNDHÖHLE. 37
secundär inficirende Mikroorganismen oder Mischinfectionserreger. Ausser bei
der ulcerösen Foraa der Phthise spielen sie nach den Beobachtungen von
LöFFLER, Barbier u. A. bei der schweren septischen Diphtherie eine beson-
dere Rolle, sowie bei Scharlach, wo sie sich in und auf den Tonsillen finden
(Heubner, Bahrdt). Bei der Scharlachdiphtherie ist das Vorkommon der
Streptococcen so constant, dass manche Forscher die Kettencoccen als PJrreger
des Scharlachs angesehen haben. Der Staphylococcus citreus Passet und fiavus
Rosenbach wurde von E. Fkänkel in vier Fällen von Stomatitis aphthosa
gefunden.
Bei Angina, Aphthenbläschen, Stomatitis, sowie im Munde gesunder
Menschen werden zuweilen Streptococcen gefunden, die sich morphologisch und
culturell ganz wie der „Streptococcus pathogenes longus" verhalten, aber frisch
isolirt fast gar keine Thierpathogenität besitzten. Da er beim Wachsthum in
Bouillon nie längere Ketten als höchstens von 4—6 Gliedern bildet, wird
er nach Behring „Streptococcus brevis" genannt. Jedenfalls ist dieser Mund-
pilz nur in sehr seltenen Fällen Erreger pathologischer Processe.
h) Stäbchenförmige Spaltpilze.
a) Bacterien.
1. Bacterium imeumoniae Friedländer.
Netter gibt nach eigenen und fremden Untersuchungen die Häufigkeit
des Vorkommens dieses pathogenen Bacillus im Speichel gesunder Menschen
mit i-ö^o an. Miller fand ihn unter 120 Fällen nur einmal. Da dieser
Pilz morphologisch und in Culturen dem Bacillus aerogenes sehr ähnlich ist,
mahnt dieses Verhalten in der Beurtheilung einschlägiger Fälle zur Vorsicht.
2. Bacterium mallei (Preusse).
3. Bacterium coli commune Escherich (Grimbert).
4. Bacterium gingivae pyogenes (Miller).
5. Bacterium -q und ß von Galippe.
ß) Bacillen.
1. Bacillus dipMlieriae Klebs-Löpfler.
In der Regel ist bei gesunden Menschen, die in keiner Berührung mit
Diphtheriekranken standen, der Rachen frei von virulenten Bacillen. Indessen
sind einige Ausnahmen doch beschrieben. So isolirte schon Löffler in
einem solchen Falle den echten Diphtheriebacillus, v. Hofmann in zwei
Fällen, C. Fränkel ebenfalls in zwei, Feer in einem Falle. Die umfassenden
Ermittlungen von Park und Beebe ergaben bei 330 Personen achtmal ein
positives Resultat.
Neuere Beobachtungen haben gelehrt, dass sich virulente Bacillen im
Halse von Diphtherie-Reconvalescenten nicht selten eine Reihe von Wochen
halten können. So fand sie Tobiesen bis zu 31, Biggs, Park und Beebe
sogar 63 Tagen nach dem Verschwinden der Beläge. Park, der 48 gesunde
Kinder aus von Diphtherie betroffenen Familien untersuchte, fand bei 50%
virulente Bacillen, 40^0 erkrankten später an Diphtherie. Aaser constatirte
unter 89 Einwohnern einer Kaserne, in der ein Fall schwerer Diphtherie vor-
gekommen war, den echten Bacillus in IO^q.
2. Bacillus ])seudodipht}iericus v. Hofmann- Wellenhof-Löffler.
Dieser, dem LöFFLER'schen Bacillus sehr ähnlich, ist nicht pathogen
und wird in 30 — 607o der Fälle regelmässig in der Mundrachenhöhle an-
getroffen,
3. Bacillus tuberculosis Koch.
Hoppe behauptet, dass fast in jeder Mundhöhle Tuberkelbacillen vor-
kämen, DiEüLAFOY sowie CoRNiL fanden Bacillen in den Tonsillen Gesunder.
Georg Gottstein berichtet über 6 Fälle von primärer Tuberkulose der Rachen-,
38 BACTERIEN DER NASENHÖHLE.
beziehungsweise Gaumentonsille. Die Fälle stammen aus einem Beobaclitungs-
material von 33 Pharynx- und 20 Gaumenmandeln. Gottstein fand vier
Pharynxtonsillen, also 127o, und zwei Gaumentonsillen, also 10%, tuberkulös.
Mit Recht hat Gottstein darauf hingewiesen, in allen Fällen von hyper-
plastischen Ptachen- und Gaumentonsillen an die Operation heranzugehen,
nicht nur wegen der allgemeinen Störungen, sondern auch wegen der von
einer möglicher Weise tuberkulös erkrankten Tonsille drohenden Infections-
gefahr.
4. Bacillus gingiintidis (Babes).
5. Bacillus sputigenes tenuis (Pansini).
G. Bacillus simügenes crassus (Kreebohm),
vielleicht identisch mit
7. Bacillus der Sputum- Septikämie (Millek).
8. Bacillus saUvarius septicus (Biondi).
9. Bacillus dentalis viridans (Miller).
10. Bacillus pulpae pyogenes (Miller).
11. Bacillus huccalis muciferens (Miller).
12. Bacillus huccalis septicus (Miller).
13. Bacillus salivae minutissimus (Wilde).
c) Schraubenbacterien.
1. Spirillum sputigenum (Verneüil und Clado).
d) Pleomorphe Spaltpilze.
a) Spirulina.
1. Bacillus Proteus vidgaris Hauser; gem. Fäulnisbacillus.
2. Bacillus saprogenes (Rosenbach).
3. Bacterium termo Vignal, identisch mit Bacillus proteus fluorescens
H. Jäger (Erreger der WEiL'schen Krankheit).
4. Bacillus b Vignal.
5. Bacillus Nr. 7 und 9 Pansini.
ß) Cladothricheen.
1. Streptothrix Äctinomyces.
Nach PoNFicK und Rosenbach kommt dieser Pilz nicht selten bei
gesunden Menschen in den Tonsillarpfröpfen vor. Ausser durch die Gaumen-
mandeln geschieht die Invasion durch die Zunge und noch häufiger durch
die Zähne, und zwar der Regel nach durch die Molares, seltener durch die
Prämolares oder Canini, nie durch die Schneidezähne.
Eine streng systematische Classification der Bacterien der Mundhöhle
lässt sich schwer aufstellen, weil ein Theil dieser Mikroorganismen auf allen
bisher bekannten Nährmedien nicht wächst. Andererseits ist es kaum durch-
führbar, die von verschiedenen Autoren aufgezählten Arten mit einander zu
vergleichen und ihre eventuelle Identität festzustellen. barnick.
Bacterien der Nasenhöhle. I. Unter normalen Verhältnissen. Man.
sollte a priori glauben, dass die Nasenhöhle schon in normalem Zustande
eine grosse Menge Bacterien beherbergen müsse, weil mit den eingeathmeten
Staubpartikelchen solche in grosser Menge in die Nasenhöhle gelangen. Die
Thatsachen entsprechen jedoch diesem Postulate nicht, da es sich nach den
Untersuchungen Hajek's gezeigt hat, dass das normale Nasensecret verhältnis-
mässig nur sehr wenige Bacterien beherbergt. Erst, wenn eine pathologische
Secretion der Nasenschleimhaut eintritt, erscheinen eine grosse Anzahl Coccen
und Bacterien in dem Nasenschleime.
Reimann beschreibt im normalen Nasensecrete zwei Arten von
Bacterien: 1. Gelatine verflüssigende Bacillen und 2. miliare Coccen, ohne
jedoch den Charakter der Mikroorganismen näher zu bestimmen.
BACTERIEN DER NASENHÖHLE. 39
Die wichtigste Frage in Bezug auf den Bacterieninhalt des normalen
Nasensecretes ist die nach dem Vorkommen von pathogenen Bacterienarten.
In dieser Beziehung sind vor allem die Angaben von v. Besser, Paulsen und
E. FßÄNKEL hervorzuheben, welche den Diplococcus pneumoniae (Fkänkel-
Weichselbaum) im normalen Nasensecrete vorfanden. Die beiden ersten
Autoren haben auch in einzelnen Fällen den Staphylococcus pyogenes aureus
und den Streptococcus pyogenes vorgefunden. Nur ausnahmsweise scheint der
FRiEDLÄNDEE'sche Bacillus im normalen Nasenschleime vorzukommen. Paul-
sen und Netter sowohl als auch Abel konnten ihn in einer grossen Anzahl
von Fällen nicht nachweisen. Ebenso verfügt Wright bei seinen Fällen nur
über negative Befunde.
//. Baderien der Nasenhöhle unter pathologischen Verhältnissen. — Es
ist bislang für die wenigsten Bacterienarten erwiesen, welche Kolle ihnen
für den jeweiligen pathologischen Process zuzuerkennen ist. Die Schwierigkeit
dieser Bestimmung liegt wiederum in der grossen Anzahl von Bacterienarten,
welche gleichzeitig die Nasenhöhle invadiren.
Es wird sich empfehlen, zuerst die vorgefundenen und th eilweise studirten
Bacterienarten anzuführen und nachher die einzelnen Krankheiten, deren Ab-
hängigkeit von Bacterien erwiesen oder wahrscheinlich ist, der Pteihe nach
aufzuzählen.
Es sind bei der folgenden Darstellung auch die unter pathologischen
Verhältnissen der Nebenhöhlen vorgefundenen Bacterienarten angeführt:
Staphylococcus pyogenes aureus (Herzfeld, Herrmann, Dmuchowsky).
Streptococcus pyogenes, beziehungsweise erysipelatis. (Lue, Kühnl, Hajek^
Dmuchow^sky).
Friedländer' scher Pneumoniehacillus (Thost, Klamann, Hajek, Abel).
Fränkel- Weichselbaum' scher Diplococcus pneumoniae (Weichselbaum,
Netter).
Diplococcus coryzae (Hajek).
Bacterium coli (Heezfeld, Heermann).
Bacillus foetidus ozaenae (Hajek).
Bacillus pyogenes foetidus (Dmuchov\^sky).
Bacillus mucosus capsulatus (Löwenberg, Abel, Paulsen).
Ferner Tuberkelbacillus, Diphtheriehacillus, Inßuensabacillus, Bhinosclerom-
hacillus, Botzbacillus, Leprabacillus.
Mit Ausnahme der in den letzten Reihen angeführten Bacterienarten,
deren Bedeutung für die entsprechenden Krankheiten ausser Zweifel gestellt
ist, lässt sich ein bestimmter ätiologischer Zusammenhang zwischen den
übrigen Bacterienarten und den krankhaften Veränderungen, bei welchen die-
selben vorgefunden werden, nicht beweisen.
Insbesondere ist der Bacterienbefund bei zwei Krankheiten eingehender
studirt worden: 1. Bei der acuten Rhinitis, 2. bei der Ozaena.
1. Bacterien beim acuten Schnupfen.
Wenn wir von den ersten Angaben von Salisbury, Ephraim, Cuttler
undREiNiscH absehen, welche einen Pilz unter dem Namen „Asthmafus ciliaris'^
beschrieben und abgebildet haben, und welchen die genannten Autoren als
Erreger des acuten Schnupfens angegeben haben, muss vor allem die Angabe
von Klebs verzeichnet werden, welcher einen in eine gallertige Hülle ein-
geschlossenen Coccus vorfand, von dem aber schwer zu sagen ist, ob er nicht
mit dem FRÄNKEL'schen Diplococcus pneumoniae identisch ist.
Hajek fand grosse Diplococcen bei der acuten Coryza und nannte sie
„Diplococcus coryzae". Die Diplococcen wuchsen auf Gelatine, verhielten
sich ein wenig verschieden von dem FRiEDLÄNDER"schen Pneumoniebacillus,
mit welchem sie übrigens in Culturen die grösste Aehnlichkeit haben. Hajek
40 BACTERIEN DER NASENHÖHLE.
fand nur in den ersten Tagen des Schnupfens die erwähnten Diplococcen,
am oten Tage mengten sich schon viele andere Bacterienarten, insbesondere
der Staphylococcus bei.
Thost fand beim acuten Schnupfen neben den FRiEDLÄNDER'schen und
FRÄNKEL'schen Pneumoniebacillen den Staphylococcus pyogenes aureus und
albus vor.
H. V. ScHRöTTER Und WiNKLER fanden den Staphylococcus aureus vor.
Von einem Nachweise des Erregers des acuten Schnupfens kann bei den
genannten Untersuchungen keine Rede sein.
Bei längerer Dauer des acuten Schnupfens wächst die Zahl der Bacterien
im Nasensecrete rapid. Es treten Coccen von verschiedener Grösse und ver-
schiedener Art auf, ebenso Bacillen von verschiedener Form und verschie-
denem culturellen Verhalten. Des näheren sind diese Bacterienarten von
niemandem studirt worden, nur Hajek und Thost führen an, in späteren
Stadien des acuten Schnupfens den FRiEDLÄNDER'schen Bacillus gefunden zu
haben.
2. Bacterien bei der Ozaena.
Unter den Bacterien der Nasenschleimhaut in pathologischen Verhält-
nissen erhielt ein im Secret der Ozaena fast constant vorkommender Kapsel-
bacillus die grösste Bedeutung, indem derselbe von mehreren Autoren (Löv^^en-
BERG, Abel, Paulser) als der Erreger der Ozaena hingestellt wurde.
LöwENGERG w^ar der erste, welcher in den zwischen Muschel und
Septum ausgespannten Schleimfäden bei Ozaena in den Deckglaspräparaten
„Coccen'' vorfand, welche mit einer Kapsel umgeben waren. Er wies gleich
damals auf die' Aehnlichkeit mit dem FRiEDLÄNDER'schen Bacillus hin. Seine
damaligen Culturversuche scheinen aber misslungen zu sein, denn er schreibt,
dass die Coccen die Eigenschaft hätten, die Gelatine zu verflüssigen, während
alle anderen später die Kapselcoccen züchtenden Autoren angeben, dass eine
Verflüssigung der Gelatine nicht erfolgt. Löwenberg schrieb seinen Coccen
ohne weitere Motivirung sowohl die Eigenschaft, den eigenthümlichen atro-
phischen Process hervorzurufen, als auch den Gestank zu bedingen, zu.
Nach Löwenberg fand zuerst Klamau unabhängig vom ersteren Kapsel-
coccen im Secret der Ozaena vor. Klamau identificirte dieselben ohneweiters
mit dem FRiEDLÄNDER'schen Pneumobacillus, wenn er auch die betreffenden
Mikroorganismen nicht cultivirt hat. Thost fand unter 1 7 Fällen von Ozaena
in 12 Fällen deutliche Kapsel. Nur in einem Falle hat er einen dem FRiED-
LÄNDER'schen Pneumobacillus ähnlichen Organismus gezüchtet. Thost gibt
an, auch bei Lues, Polypen etc. den Kapselcoccus im Secrete vorgefunden zu
haben. Hajek fand in 10 Fällen von Ozaena 8 mal mikroskopisch Kapsel-
bacillen, 7 mal wurde ein dem FRiEDLÄNDER'schen Pneumobacillus ähnlicher
Mikroorganismus gezüchtet. Thost und Hajek haben infolge des Umstandes,
■dass sie mikroskopisch dieselben Coccen auch bei anderen Nasenkrankheiten
vorgefunden haben, von vornherein an einen ätiologischen Zusammenhang
zwischen Coccen und Ozaena gar nicht gedacht. Hajek hat überdies den
bacteriellen Ursprung der Ozaena deshalb in Abrede gestellt, weil im Gewebe
der atrophischen Schleimhaut Bacterien nicht vorzufinden sind. Deshalb
wollte er auch den von ihm vorgefundenen Bacillus foetidus Ozaenae
nur für die Entstehung des Gestankes verantwortlich machen.
Ausserdem haben die erwähnten Kapselbacillen Marano, Campos Sales,
Valentin, Luc und Hope im Ozaenasecrete mikroskopisch nachweisen können.
Während die erwähnten Autoren mit Ausnahme Löwenberg's den
Kapselcoccen eine ätiologische Bedeutung für den Ozaenaprocess nicht zuzu-
erkennen vermochten, hat Abel in beiläufig 100 Fällen sorgfältige Unter-
suchungen durch die Cultur angestellt, w^obei er zu dem Resultate gelangt.
BILDÜNGSANOMALIEN DES GEHÖßORGANES. 41
dass der Kapselbacillus, von ihm Bacillus mucosus Ozaenae benannt, mit dem
Ozaenaprocesse in ätiologischer Beziehung stehen müsse, da derselbe nur beim
Ozaenaprocess vorkäme. Nach Abel hat der Bacillus mucosus im Gegen-
satz zu LöwENBEEG mit der Erregung des Fötors nichts zu thun; der Fötor
rührt nach ihm von einem anderen Factor her, da der Bacillus mucosus sich
auch bei Ozaena ohne Fötor vorfindet, überall dort, wo die charakteristischen,
rasch eintrocknenden Borken auftreten.
Zu ähnlichen Kesultaten, wie Abel gelangte auch Paulsen. Er hat
aus 51 Fällen von Ozaena den schleimbildenden Kapselbacillus zu züchten
vermocht; dagegen fand sich der Bacillus bei 149 theils gesunden, theils mit
anderweitigen Krankheiten behafteten Nasen nicht vor. Auch Paulsen hält
den vorgefundenen Kapselbacillus für den Erreger der Ozaena.
Von einer definitiven Beweisführung, dass der Bacillus mucosus als
Ursache der Ozaena, id est der Borkenbildung und der Atrophie aufzufassen
ist, kann bislang keine Kede sein.
Insbesondere kommt hiebei der Umstand in Betracht, dass die vielfach
erörterten Kapselbacillen bisher nur im Secrete und nie im Gewebe nach-
gewiesen wurden. Ausser dem Kapselbacillus enthalten die Ozaenaborken
eine Unsumme von verschiedenen anderen Bacterien: kurze und lange Stäbchen,
kleine und grosse Coccen; dass einige von ihnen bei Erzeugung des Fötor
eine Rolle spielen ist im hohen Grade wahrscheinlich. Besonders dürfte die
Fähigkeit, das Secret in Fäulnis zu versetzen, einer von Hajek vorgefun-
denen und beschriebenen Bacillenart, dem Bacillus foetidus Ozaenae
zukommen. Es sind dies schlanke Stäbchen, welche viele organische Sub-
stanzen unter Entwicklung eines dem Ozaenagestanke ähnlichen Geruches zer-
setzen.
3. Eiter ungeninder Nase.
Welche Bolle den Eitercoccen bei den verschiedensten Eiterungen und
Ulcerationsprocessen in der Nase zukommt, ist nicht klargestellt. Wie oft
sie als primäre Ursache und wie oft sie als secundäre Beimengungen zu
betrachten sind, harrt nach den bisherigen Untersuchungen noch der definitiven
Lösung. Auch ist es nicht klar, welche Rolle den im Eiter der Nebenhöhlen
vorgefundenen Bacterien zuzuschreiben ist.
E. Fränkel hat zwar die Ansicht ausgesprochen, dass dem schon in
normalen Verhältnissen in der Kieferhöhle nachweisbaren Diplococcus pneu-
moniae bei den Eiterungen eine wesentliche Rolle zuzuschreiben sei; er fand
in 40 Fällen acuter Eiterungen 8 mal allein den Diplococcus pneumoniae,
14 mal combinirt mit dem Streptococcus und Staphylococcus pyogenes aureus
oder Bacillus mucosus vor. Allein Dmuchowsky's Resultate lauten anders.
Besagter Autor fand in 18 Eiterungen der Highmorshöhle 3 mal den Staphy-
lococcus pyogenes aureus, 10 mal den Bacillus pyogenes foetidus, 3 mal den
Streptococcus pyogenes, 2 mal den Pneumococcus Friedländer, 1 mal den
Bacillus pyocyaneus. Für alle Fälle lässt sich bei derartig widersprechenden
Befunden nicht gut behaupten, dass eine oder die andere, wenn auch im
allgemeinen pathogene Bacterienart als Erreger der Entzündung aufzufassen
ist. Es ist ja möglich, dass mehrere Bacterienarten entzündungserregend auf
die Schleimhaut der Nebenhöhlen wirken können; ebenso möglich ist es indes,
dass allen insgesammt nur die Rolle einer secundären Infection zuzuschreiben
ist, während die primäre Ursache bisher unbekannt ist. hajek.
Bildungsanomalien des GehÖrorganeS. I.Bildungsdefecte. Ent-
wicklungsstörungen werden am häufigsten im Bereiche des äusseren und
mittleren Ohres, seltener im Labyrinthe beobachtet. In den meisten Fällen
sind die Defecte nicht auf einen Abschnitt des Gehörorganes beschränkt.
42 BILDUNGSANOMALIEN DES GEHÜRORGANES.
sondern auf mehrere ausgedehnt. Nicht selten findet sich neben Entwicklungs-
hemmungen auch eine mangelhalte Ausbildung der ganzen entsprechenden
Kopfseite, eine Thatsache, welche für die Erklärung des auffallend häufigen
Vorkommens von Bildungsanomalien des Ohres bei Verbrechern und Geistes-
kranken (Gradenigo) von Belang ist.
a) Ohrmuschel . Vollständiges Fehlen der Ohrmuschel ist sehr selten.
Fast stets ist wenigstens ein kleines Rudiment vorhanden, welches ungefähr
die Insertionsstelle der normalen Auricula einnimmt und aus einem von Haut
überzogenen Knorpelwulste besteht (Mikrotie). Die Form solcher rudimen-
tärer Ohrmuscheln kann sehr verschieden sein; zu den typischeren Befunden
gehört das Katzenohr, welches an eine von oben nach unten zusammen-
geklappte Auricula erinnert, und die spiralig von hinten nach vorn zusammen-
gerollte Ohrmuschel. Einzelne Gruben und Hervorragungen, welche mit-
unter solchen der normalen Auricula nach Form und Lage ähneln, finden sich
oft, fast immer fehlt indessen die Concha und der äussere Gehörgang.
Viel häufiger als diese gröberen Bildungsdefecte werden geringfügige
Abweichungen von der normalen Form des äusseren Ohres gefunden. Dahin
gehört ein abnormes Abstehen oder Anliegen der Muschel, die
Insertion des vorderen Randes des Ohrläppchens an der
Wangenhaut; das Vorhandensein von Hervorragungen, namentlich am
oberen Rande der Helix (Fauns ohr), das Fehlen einer Einkrempung der
Helix (Macacusohr): Veränderungen, welche in der Regel unauffällig sind
und nur — mit Rücksicht auf ihr besonders häufiges Vorkommen bei Geistes-
kranken und Verbrechern — von anthropologischem Interesse sind.
Mitunter findet sich eine Spaltbildung im Lobulus, durch welche
derselbe in seiner Längsrichtung in einen vorderen und hinteren Lappen
getheilt wird, ein Bild, welches in vollkommen analoger Weise auf trauma-
tischem Wege, nämlich durch gewaltsames Herausreissen eines Ohrringes,
entstanden sein kann.
Eine besondere und nicht seltene Form von Bildungsdefect am äusseren
Ohre stellt die Fistula auris congenita, die sogenannte Ohrkiemenfistel,
dar. Diese Missbildung, welche zuweilen unzweifelhaft hereditär ist, hat ihren
Sitz gewöhnlich über dem Tragus an der Helixwurzel und besteht in einem
mehrere Millimeter bis zu zwei Centimeter tiefen, blind endigenden Canal,
welcher in der Richtung nach der Paukenhöhle verläuft. Aus der feinen
Oeffnung quillt von Zeit zu Zeit etwas rahmige Flüssigkeit, welche, wenn eine
Verstopfung der Fistel durch Schmutz eintritt, zur Entstehung von Reten-
tionscysten Veranlassung geben kann. Nur in diesem Falle verursacht diese
Missbildung Beschwerden. Eine Communication der Fistel mit den Hohl-
räumen des Ohres hat weder durch die stets leicht gelingende Sondirung noch
durch Injectionsversuche je nachgewiesen werden können.
Was die embryologische Bedeutung der Fistula auris congenita anbelangt,
so ist die früher allgemein verbreitete Annahme, dass der Defect als ein
Residuum der ersten Kiemenspalte aufzufassen sei, von His bestritten worden.
Nach den Darlegungen dieses Forschers entsteht die Ohrfistel vielmehr durch
eine unvollkommene Verwachsung des Zwischenraumes zwischen dem embry-
onalen Grus helicis und Grus supratragicum. Der Umstand, dass die conge-
nitale Oeffnung nicht selten neben anderen Bildungsdefecten des äusseren
Ohres vorgefunden wird, kann als Stütze für die Erklärung von His aufge-
fasst werden.
h) Aeusserer Gehörgang. Bildungsstörungen im Ohrcanale können sich
in Form von angeborenen ringförmigen Verengerungen und in Gestalt
einer mangelhaften Ossification geltend machen. Die Verengerungen
sind meist bindegewebiger Natur, und ihre congenitale Entstehung ist nicht
BILDUNGSANOMALIEN DES GEHÖRORGANES. 43
immer unzweifelhaft festzustellen, zumal wenn die Ohrmuschel normal ent-
wickelt ist. Eine Ossificationslücke ist in der vorderen-unteren Wand des
Gehörganges bei Kindern regelmässig zu finden, da sie ein Product der all-
mählich vor sich gehenden Ausbildung des Os tympanicum ist; doch persistirt
diese Lücke nicht selten. Häufiger als diese Defecte ist indessen das voll-
ständige Fehlen des Gehörganges (angeborene Atresie), welches
fast immer nur neben mangelhafter Bildung der Auricula beobachtet wird.
Die Obliteration ist in diesen Fällen in der Regel eine knöcherne.
c) Das Trommelfell fehlt in den meisten Fällen von congenitaler Gehör-
gangsatresie. Die in der älteren Literatur als congenital beschriebenen theil-
weisen Defecte der Membran, welche neuerdings nicht bestätigt worden sind,
dürften thatsächlich krankhaften Processen nach der Geburt ihre Entstehung
verdankt haben. Doch erwähnt von Tkoeltscii einen Fall von unvollständiger
Vereinigung der Membrana flaccida mit der Membrana tensa, welche von
Geburt an bestanden haben soll. Abweichungen der Grösse, Gestalt
und Neigung des Trommelfelles sind häufig und von der Configuration des
Gehörganges abhängig; in das Gebiet der eigentlichen Missbildungen gehören
sie nicht.
dj Im Mittelohre finden sich Bildungsdefecte vorzugsweise bei gleich-
zeitigem Fehlen des Gehörganges; unter 20 anatomisch untersuchten Fällen
von Atresia meatus auditorii fand Steinbrügge lOmal Verkleinerung der
Paukenhöhle angegeben, 5mal fehlte sie ganz in Folge knöcherner Oblitera-
tion, 5mal war sie normal ausgebildet. In der Mehrzahl der Fälle zeigen
sich Veränderungen auch in der Umgebung der Labyrinth fenster; zu-
weilen sind die letzteren überhaupt nicht vorhanden. Mannigfachen Abwei-
chungen nach Form und Grösse unterliegen die Gehörknöchelchen, deren
Gelenkverbindungen in Folge mangelhafter Gliederung verwachsen sein können.
Tuba und Warzenfortsatz bieten im ganzen selten congenitale Defecte
dar; doch sind Fälle beschrieben, in welchen auch diese Hohlräume ver-
kümmert oder nicht aufzufinden waren.
e) Im Labyrinthe kommen zuweilen Veränderungen vor, deren con-
genitale Entstehung nicht immer sichergestellt werden kann, da ähnliche Be-
funde, wie knöcherne Obliteration, im Anschlüsse an Entzündungsvorgänge
nachgewiesen werden können. Das gleichzeitige Bestehen anderweitiger Bil-
dungsdefecte muss hier als Voraussetzung für die Sicherung der Diagnose auf
Congenität angesehen werden. Es scheint, dass an den häutigen Gebilden des
inneren Ohres seltener Hemmungsbildungen beobachtet werden als an der
knöchernen Labyrinthkapsel. Jedenfalls waren die ersteren in mehreren Fällen
normal entwickelt, in welchen im äusseren und mittleren Ohre Defecte be-
standen (Steinbrügge). Doch kann auch bei normal entwickeltem Leitungs-
apparate das Labyrinth fehlen (Schw^artze).
Auch im Labyrinthe ist totaler Mangel weniger häufig als partielle
Defecte, wie Fehlen des Aquaeductus vestibuli, eines oder sämmtlicher Bogen-
gänge, eines Theiles der Schnecke. Der Hör nerv fehlt offenbar nur äusserst
selten.
n. Bildungsexcesse sind an allen Theilen des Gehörorganes seltener
als Bildungsdefecte.
a) Was die Ohrmuschel anbelangt, so kann ein einzelnes Gebilde der-
selben, wie namentlich der Lobulus, vergrössert sein oder auch in Folge
übermässiger Entwicklung sämmtlicher Theile das ganze Organ unverhältnis-
mässig gross erscheinen (Makrotie). Verdoppelung der Ohrmuschel
ist in vereinzelten Fällen in der älteren Literatur beschrieben, in der neueren
Zeit niemals beobachtet worden. Die gewöhnlichste Form des Bildungsexcesses
besteht in Auricula ranhängen (Polyotie), versprengten Knorpelstücken,
44 BILDÜNGSANOMALIEN DES GEHÖRORG ANES.
welche mit normaler Haut bekleidet in Form von warzen- und walzenförmigen
Höckern in der Umgebung des Ohres, vorzugsweise vor und unter dem Tragus
aufsitzen,
h) Am äusseren Gehörgange ist Excessbildung in Form von abnormer
Erweiterung und von Verdoppelung beschrieben worden; doch kommen
ähnliche Veränderungen (üsur durch Cerumen und Desquamationsproducte,
Fistelgänge, Längstheilungen durch Bindegewebsneubildungen) in Folge von
entzündlichen Erkrankungen nach der Geburt so häufig vor, dass die Möglich-
keit einer Verwechselung mit solchen Vorgängen auch in den wenigen in der
Literatur verzeichneten Beobachtungen nicht ausgeschlossen erscheint.
c) Auch die Fälle von Duplicität des Trommelfelles, welche ange-
führt worden sind, dürften sich durch die bei Entzündungsprocessen nicht
seltene Bildung von narbigen Membranen erklären lassen.
d) Im Bereiche des Mittelohres ist über Bildungsexcesse wenig bekannt;
die spärlichen Beobachtungen beziehen sich auf abnorme Grösse einzelner
Gehörknöchelchen (Steigbügel) und auf überzählige Ossicula.
e) Im Labyrinthe scheinen Excessbildungen überhaupt nicht beobachtet
worden zu sein.
Behandlung der Bildungsanomalien des Gehörorganes.
Die meist wenig auffallende Verunstaltung des Antlitzes, welche durch rudi-
mentäre Ohrmuscheln bedingt ist, lässt sich durch eine geeignete Haar-
tracht verdecken. Operative Eingriffe, wie Excision keilförmiger Stärke mit
darauffolgender Naht, sind beim Katzenohr und ähnlichen Formen der Mikrotie
versucht worden, haben aber nicht immer zu einem befriedigenden Resultate
geführt. In manchen Fällen kann man eine künstliche, aus Papiermache
gefertigte Auricula mit Hilfe einer federnden Klemme auf den vorhandenen
kleinen Knorpelwulst aufsetzen lassen. Gespaltene Ohrläppchen lassen
sich heilen, indem man die Spaltränder abträgt und durch Naht vereinigt.
Um die leicht zurückbleibende Einkerbung an der unteren Kante zu verhüten,
kann man einen kleinen Hautlappen an beiden freien Enden der Wundfläche
anheilen.
Zur Verkleinerung abnorm grosser Ohren wird empfohlen, ein
keilförmiges Stück, dessen Basis durch einen Theil der hinteren Muschelkante
gebildet wird und dessen Spitze in der Gegend der Concha zu liegen kommt,
auszuschneiden und weitere Excisionen dreieckiger Stücke aus den Seiten-
flächen damit zu verbinden (Schwartze).
Sehr stark abstehende Ohren lassen sich dauernd retrahiren, indem
man aus der Insertion sf alte einen langen, schmalen Streifen herausschneidet
und die Schnittränder vernäht; von Vortheil ist es, wenn man dabei auch ein
schmales Knorpelstück aus der Hinterfläche der Auricula im Bereiche der
Hautwunde mit entfernt. Das Tragen von Hutbändern oder von federnden
Pelotten hilft wenig, die Anlegung eines Heftpflasterverbandes, welcher viele
Monate lang liegen bleiben muss, w^enn er nützen soll, ist eine Quälerei.
Uebrigens legen sich sehr oft auch recht stark abstehende Ohrmuscheln im
Laufe der ersten Lebensjahre noch von selbst dem Warzenfortsatze an.
Die CO n genitale Ohrfistel erfordert nur dann eine Behandlung,
wenn sie durch Retention des Secretes sich in eine Cyste verwandelt hat.
Es genügt in solchen Fällen zuweilen die Freimachung des Ausführungs-
ganges mit einer Sonde oder einem Messerchen; besser wird aber der Tumor
regelrecht gespalten. Die dauernde Ausheilung der Fistel soll durch Aus-
brennen mit dem Galvanokauter erreicht worden sein. Nach meinen Erfah-
rungen bezweifle ich die Vollständigkeit des Erfolges.
Auricularanhänge lassen sich ohne Schwierigkeit mit dem Messer
oder der Scheere abtragen; vernäht man die Wundränder gut, so bleibt nur
eine ganz unauffällige Narbe, zurück.
BLUTUNGEN AUS DEM KEHLKOPFE. 45
Die Erfahrungen, welche man bisher mit den Heilversuchen bei der
angeborenen Gehörgangsatresie gemacht hat, sind unbefriedigend.
Nur bei membranösem Verschlusse hat man zuweilen durch ringförmige Um-
schneidung und Herausnahme der obliterirenden Weichtheile und Einlegung
von Bougies Erfolge erzielt. Jedenfalls wird man nur dann operativ vor-
gehen, wenn es festgestellt ist, dass das gehörganglose Ohr überhaupt func-
tionirt, dass also der schallempfindende Apparat vorhanden ist. Wie bereits
oben gesagt worden ist, finden sich indessen neben Atresie sehr häufig noch
andere Defecte, nicht allein an der Ohrmuschel und im Mittelohre, sondern
auch im Labyrinthe, und in diesen Fällen würde selbstverständlich die Frei-
legung oder Neuanlage eines Ohrcanales keinen Nutzen schaffen. Für den
Nachweis der bestehenden Ohrfunction ist, zum mindesten bei einseitigem
Bildungsdefecte, die Vornahme einer Hörprüfung erforderlich; und da eine
solche bei kleinen Kindern nicht ausgeführt werden kann, ist unter allen
Umständen ein gewisses Alter abzuwarten, bis man sich einige Sicherheit
verschaffen kann, ob der schallempfindende Apparat vorhanden ist und somit
eine Operation überhaupt Zweck haben würde. Uebrigens ist auch in Fällen
von Atresie, in welchen das Labyrinth functionirt, der Nutzen der Operation
mindestens zweifelhaft.
Neuerdings sind einige Fälle beschrieben, in welchem trotz bestehender
angeborener Atresie beider Gehörgänge die Conversationssprache auf mehrere
Meter Entfernung gut vernommen wurde. Auch in solchen besonders günstigen
Fällen ist die mit dem Meissel versuchte Bildung eines Gehörganges nicht
gelungen, und es steht demnach nicht fest, dass durch die Schallzuleitung zum
Labyrinthe bei bestehender Atresie und vorhandenem nervösem Apparate die
Function überhaupt gebessert werden würde. bltekner.
Blutungen aus dem Kehlkopfe. Dieselben sind ein seltenes Ereignis.
Häufig wird von den Kranken angegeben, dass sie aus dem Kehlkopfe bluten,
meist jedoch zeigt die Untersuchung den Kehlkopf intact, während die Blutung
aus der Lunge stammt.
Die Ursachen der Blutungen aus dem Kehlkopfe sind entweder Ver-
letzungen, entzündliche oder geschwürige Processe oder neoplastische Vor-
1. Verletzungen. Hieher sind zu rechnen starke Anstrengungen der
Stimmbänder, wie bei häufigem Husten, bei Keuchhusten oder bei Sängern.
2. Therapeutische Maassnahmen des Arztes: Pinselungendes
Kehlkopfs erzeugen öfters kleine, meist in der Substanz der Stimmbänder
sitzende Blutaustritte, welche sich schnell wieder aufsaugen.
3. Starke Quetschungen des Kehlkopfs, sei es mit oder ohne
Verletzung der Knorpel, bei Stoss, Schlag auf denselben, bei Würgen, Selbst-
mordversuchen durch Erhängen, bei Schüssen und Verletzungen mit scharfen
Instrumenten.
Die dabei zustande kommenden Blutungen ergiessen sich entweder in
das submucöse Gewebe und heben die Schleimhaut ab, so dass man dunkel-
rothe oder bläuliche Scnwellungen besonders an jenen Stellen sieht, wo reich-
lich lockeres submucöses Gewebe sich befindet. Natürlich können sie bei
grosser Ausdehnung lebensgefährliche Stenosen erzeugen, anderseits auch
gelegentlich ohne Schaden aufgesaugt werden, wenn sie nicht zu massig sind.
Oder es erfolgt die Blutung durch einen Riss der Schleimhaut in das Innere
des Larynx, was namentlich der Fall ist bei Brüchen der Knorpel.
Hier liegt die grosse Gefahr vor, dass durch die überall in den Luftwegen
weilenden Mikroorganismen eine Eiterung im submocösen Gewebe auftritt mit
allen ihren Folgen; es kann zu entzündlichem Oedem kommen mit Stenose
des Larynx, zu Aspiration der blutigen Jauche in die Lungen und zur Pyämie.
46 BLUTUNGEN AUS DEM RACHEN.
Solche Patienten sind daher, selbst ^Yenn sie momentan keine Athem-
beschwerden haben, sorgfältig zu überwachen; wenn ausgedehntere Zerreis-
sungen der Kehlkopfschleimhaut bestehen, wird man fast immer genöthigt
sein, die Tracheotomie vorzunehmen und den Kehlkopf mit Jodoformgaze zu
tamponiren. Die Prognose ist aber immer sowohl quoad vitam als auch
quoad restitutionem ad integrum sehr zweifelhaft zu stellen, indem es nament-
lich bei Brüchen der Knorpel leicht zu bleibender Stenose kommen kann.
4. Sogenannte Blutdissolutionskrankheiten, als Scorbut,
Morbus macul. Werlh., Leukämie, Nierenleiden, hämorrhagische Variola,
Hämophilie etc. können auch im Kehlkopfe Blutaustritte, theils submucös,
theils in das Lumen (letzteres aber selten) veranlassen.
5. Laryngitis haemorrhagica (siehe diese).
6. Ulcerationen verursachen im Larynx nur selten Blutungen; ja selbst
die tuberkulösen Geschwüre sind nicht dazu geneigt, vielleicht deswegen,
weil ihre Umgebung gewöhnlich hochgradig chronisch infiltrirt ist, und Blut-
gefässe bekanntlich in tuberkulösen Infiltraten spärlich sind.
Von syphilitischen und anderen Geschwüren gilt dasselbe; doch wird ein
Fall von Türck erwähnt, wo ein syphilitisches Geschwür im Sinus pyriformis
in seinem weiteren Fortschreiten die Arteria lingualis arrodirte und tödliche
Blutung veranlasste.
7. Nur die durch den Zerfall des Carcinoms veranlassten Ge-
schwüre machen eine Ausnahme, indem sie häufig zu Blutung führen, so dass
diese geradezu als Kennzeichen des Carcinomgeschwüres angesehen wird.
8. Von anderen Neubildungen sind es nur die Angiome und die
selten vorkommenden thyreoidealen Geschwülste, welche öfters häufig bluten;
dagegen kommen in den sogenannten weichen F'ibromen, die sehr gefäss-
haltig sind, häufig Blutungen in das Gewebe vor, offenbar in Folge der vielen
Insulte, die diese meist an den Stimmbändern sitzenden Geschwülste beim
Glottisschlusse erleiden.
9. Endolaryngeale Operationen sind auch selten von starken
Blutungen gefolgt; so beobachtete Hering unter 100 Fällen von tuberkulösen
AVucherungen, die er mit Auskratzen und Ausschneiden behandelte, nur 2mal
starke Blutungen bei harten Infiltrationen des Taschenbandes.
10. Auch bei Laryngofissuren und den daran sich anschliessenden
Operationen, als Exstirpation von Geschwülsten, ist die Blutung meist leicht
zu stillen. Grosse Gefässe sind dabei nie zu unterbinden.
Die Therapie besteht bei leichten Blutungen in Ruhe, Schlingen von
Eispillen, Einathmungen von adstringirenden Lösungen, Einblasungen von
Alaun, Tannin, in schweren Fällen in Bepinselungen mit schwachen Lösun-
gen von Lig. ferr. sesqu. oder in Anwendung des Galvanokauters, natür-
lich nach Cocainisirung. Bei sehr starken Blutungen ist Tracheotomie, even-
tuell auch Laryngofissur vorzunehmen und das Lumen des Larynx zu tam-
poniren.
CHIARI.
Blutungen aus dem Rachen. Die Ursachen derselben sind die gleichen wie
die der Kehlkopf blutungen (s. o.). Erwähnenswert wäre nur, dass die Venen des
Pharynx zuweilen Neigung zur Hämorrhoidenbildung zeigen, als deren Folge
Rachenblutungen vorkommen. Mehr oder minder starke Blutbeimengung im expectorirten
Eachenschleim findet sich bei Pharyngitis sicca. Von den schweren Blutungen, welche
nach der Excision der Mandeln vorzukommen pflegen, ist im Artikel „Tonsillotomie'^ die
Eede. Die Diagnose der Rachenblutung ist leicht, wenn es gelingt, die blutende Stelle
zu sehen, andernfalls muss man sorgfältig nachforschen, ob das Blut nicht aus dem Kehl-
kopfe oder der Lunge stammt. Die Behandlung der Rachenblutungen ist eine den
Kehlkopfblutungen (s. o.) analoge. R.
BLUTUNGEN AUS DEM OHliE. 47
Blutungen aus dem Ohre. Unter Blutungen des Ohres im weiteren
Sinne versteht man Austritt von Blut aus den Gelassen, der im Gebiete des
Gehörorganes vor sich geht. Sensu strictiori hat man darunter zu verstehen
das Austreten von Blut auf die freie Oberfläche des äusseren Gehörganges,
resp. Entleerung von Blut aus dem letzteren nach aussen. Von dieser letz-
teren Art von Hämorrhagien, also von Blutungen aus dem Ohre, welche ein
mehr allgemeines Interesse zu beanspruchen geeignet sind, im Gegensatze zu
inneren Ohrenblutungen, Sugillationen, P]cchymosen, Extravasaten u. dgl. soll
hier die Rede sein.
Die Entleerung von Blut oder blutiger Flüssigkeit aus dem Ohre kann
sowohl bezüglich der Form, wie auch bezüglich der Intensität und der Zeit
ihres Auftretens sehr verschieden sein. Was die Form betrifft, kann die aus
dem Ohre sich ergiessende Flüssigkeit blutig serös, blutig eitrig oder rein
blutig sein. Der Intensität nach kann die Hämorrhagie so gering sein, dass
das Blut sich nicht einmal aus dem äusseren Gehörgange nach aussen ent-
leert, sondern im Ohr zurückbleibt, eintrocknet und verschiedenen w^eiteren
Schicksalen unterworfen wird. Es kann der äussere Gehörgang mit Blut über-
schwemmt erscheinen, oder das Blut ergiesst sich aus dem Ohre tropfenweise,
in schwächerem oder in stärkerem Strahle und in verschiedener Geschwindig-
keit, bald nur auf einer Seite, bald auf beiden Seiten oder auch abwechselnd.
Der Zeit nach kann der Bluterguss nur ein einzigesraal auftreten, ohne sich
zu wiederholen, oder er wiederholt sich in unregelmässigen, atypischen
Zwischenräumen auf gewisse äussere Veranlassungen oder auch ohne solche.
In anderen Fällen tritt blutiger Ausfluss aus dem Ohre in gewissen regel-
mässigen typischen Zeitintervallen auf, oder auch der Ausfluss geht continuir-
lich vor sich. Ferner kann eine solche Hämorrhagie von mancherlei prämoni-
torischen oder concomittirenden subjectiven und objectiven Erscheinungen
begleitet sein, oder auch ganz symptomlos verlaufen. Alle diese Verschieden-
heiten in der Form, in der Intensität und im Verlaufe hängen fast aus-
schliesslich von den ursächlichen Momenten ab, die wieder eine grosse Reich-
lichkeit und Mannigfaltigkeit aufweisen.
Bezüglich der Aetiologie kann eine solche Hämorrhagie idiopathisch,
primär, ohne eine andere Krankheit oder secundär, im Verlaufe einer
anderen Krankheit und durch dieselbe bedingt auftreten. Bei den pri-
mären Blutungen lässt sich oft keine Ursache nachweisen oder sie sind auf
eine allgemeine neuropathologische Constitution zurückzuführen. Die secun-
dären Hämorrhagien haben ihre Ursache entweder a) in allgemeinen oder
localen, an einer entfernten Stelle des Körpers localisirten Krankheiten bei
Infectionen, Intoxicationen, arteriellen Veränderungen, Circulationsstörungen
u. dgl. oder h) in Erkrankungen des Gehörorgans, und zwar sowohl des äusseren
wie des mittleren und des inneren Ohres, oder endlich c) in directen oder
indirecten Traumen, operativen Eingriffen etc.
I. Primäre, idiopathische Blutungen aus dem Ohre treten als
seltene und höchst auffallende Erscheinungen bei hysterischen Frauen meist
zur Zeit der Menstruation auf. (Feereri, Stepanow, Eitelberg, Gradenigo,
Hang, v. Stein.) Dabei tritt im äusseren Gehörgange oder aus demselben
sich nach aussen ergiessend, reines Blut, meist in geringer, viel seltener in
grösserer Quantität auf, so dass der Blutverlust an Menge den einer normalen
Menstruation übertreffen kann. Doch nimmt eine solche Blutung nie gefahr-
drohende Dimensionen an. Der Zeit nach ist fast immer eine gewisse Perio-
dicität zu beobachten, welche in auffallendem Zusammenhange mit der Men-
struation steht. Dabei geht die Blutung aus dem Ohre der Menstruation
kurze Zeit voraus, oder sie tritt vicariirend für dieselbe ein, in welchem Falle
sie gewöhnlich profuser ausfällt. Oft tritt die Blutung ohne äusseren Anlass,
48 BLUTUNGEN AUS DEM OHRE.
manchmal nach gewissen Anstrengungen oder Aufregungen auf, und zwar
immer nur aus einem Ohre und nur ausnahmsweise bilateral. Im Gehörgang
sind dabei sonst gar keine Veränderungen zu linden oder nur solche, welche
mit der Blutung in keinem directen ursächlichen Zusammenhange stehen.
Begleitende Symptome können vollständig fehlen, so dass der Patient mitten
im besten Wohlbefinden plötzlich von der Blutung überrascht oder erst von
anderen Personen auf dieselbe aufmerksam gemacht wird. In anderen Fällen
gehen Prodrome in Form von allgemeinen oder localen subjectiven, weniger
objectiven Erscheinungen voraus, wie: allgemeine Schwäche und abnorme Sen-
sationen, Athemnoth, Palpitationen, Anschwellung der Ohrmuschel, heftige
Kopfschmerzen, Schwindelerscheinungen, leichte Stiche bis stark stechende
Schmerzen, intensives Wärmegeftihl und Jucken im Ohr, Abnahme des Ge-
höres bis zu dessen vollständigem Verlust. Alle diese Erscheinungen sind
nur vorübergehend und gehen mit dem Auftreten und Verschwinden der
Ohrenblutung mehr oder weniger schnell zurück. Diese Blutung erscheint
während einer Menstruationsperiode nur einmal oder sie wiederholt sich in
einigen Attaquen. Dabei ergiesst sich das Blut auf einmal oder tropfenweise,
dauert die Blutung einige Minuten bis einige Stunden und kann sich durch einige
Tage wiederholen. Selten wurden bei solchen Patienten Ohrenblutungen auch
ausserhalb der Menstruationsperiode beobachtet. Untersucht man in solchen
Fällen nach vorausgegangener Eeinigung das Ohr, so findet man meist im
äusseren Gehörgange gar keine Veränderungen, ja es ist oft recht schwer, die
Ausgangsstelle der Blutung aufzufinden. In manchen Fällen fand man vor
der Blutung rothe Flecke im äusseren Gehörgange, in anderen fanden sich
nach derselben an einer Stelle, meistens der hinteren Wand der häutigen
Auskleidung einige sehr kleine Blutpunkte, die mit Coagulis erfüllten Aus-
gänge der Ohrschmalzdrüsen, als Ausgangspunkt der Hämorrhagie. Nur
v. Stein konnte in einem Falle bei einem Knaben, bei welchem die bilaterale
Ohrenblutung offenbar eine vicariirende Beziehung zu dem bis in die letzte
Zeit vorhanden gewesenen habituellen Nasenbluten hatte, gelegentlich das
Austreten von ein paar Bluttropfen aus den Ausführungsgängen der recht
stark entwickelten Ceruminaldrüsen direct beobachten. Bei den mit solchen
Blutungen afficirten Patienten sind fast immer noch anderweitige hysterische
Zustände, Anämie, oft auch nervöse hereditäre Belastung vorhanden.
Die Ursache dieser vicariirenden Blutungen lässt sich bis jetzt nicht
plausibel motiviren, doch ist es am wahrscheinlichsten, dass der allgemeine
Congestivzustand der Gefässe um diese Zeit ein Austreiben des Blutes per
diapedesin aus den Gefässen der Ceruminaldrüsen bewirkt, welche wegen ihrer
eigenthümlichen Structur vielleicht einen Locus minoris resistentiae darstellen.
Doch muss hervorgehoben werden, dass in einigen solchen Fällen gleichzeitig
ein chronischer Mittelohrkatarrh vorhanden war, ein Umstand, der vielleicht
als disponirendes Moment für die Localisation der Hämorrhagie betrachtet
werden könnte.
Primäre Blutungen aus dem Ohre wurden ferner beobachtet bei einem
Epileptiker im Anschlüsse an den Paroxysraus und bei einer Patientin von
nervöser Constitution nach einer heftigen Gemüthserschütterung (Luc). Die
Hämorrhagie wurde in diesen Fällen mit der nervösen Constitution der
Kranken in Zusammenhang gebracht und aus bestehenden vasomotorischen
Störungen erklärt, zu welchen sich auf Grund des vorangegangenen epileptischen
Paroxysmus, beziehungsweise der starken Gemüthsbewegung, eine acute locale
Congestion hinzugesellt hatte. In zwei anderen Fällen (Courtaole) giengen den
Blutungen Schwindel, Betäubung und Taubheit, resp. heftige Kopfschmerzen,
Reissen an der Wange, Amaurose, subjective Geräusche und Schwerhörigkeit
auf der entsprechenden Seite voraus. Die Blutungen wiederholten sich durch
einige Tage. Beide Fälle betrafen nervenkranke Frauen. Courtaole nimmt
BLUTUNGEN AUS DEM OHRE. ^^
an, dass diesen Blutungen aus dem Ohre trophische Störungen der Haut, resp.
der Schleimhaut zu Grunde liegen, welche unter nervöser Einwirkung stehen.
Die Untersuchung des Ohres ergab in diesen Fällen eine geröthete, wie
excoriirt erscheinende Stelle der Haut des äusseren Gehörganges als Aus-
gangspunkt der Blutung.
Ueble Folgen für das Gehörorgan oder für den Allgemeinzustand sind
bei den primären Blutungen gemeiniglich nicht zu befürchten.
H. Secundäre Blutungen.
a) Mit sonstigen Krankheiten im causalen Zusammenhange stehend.
Stauungszustände im Gefässysteme des Gehörorganes können bei ver-
schiedenen Krankheiten, besonders bei plötzlicher heftiger ßlutdrucksteigerung,
wie bei Niessen, Pressen u. s. w., Gefässzerreissungen in der Paukenhöhle und
im Trommelfelle verursachen, von wo das Blut sich nach aussen ergiessen
kann. Solche Zufälle wurden beobachtet bei plethorischen, kräftigen Personen,
bei Personen mit atheromatöser Erkrankung der Gefässe, mit Trigeminus-
neuralgie, bei mit Herzfehlern, Morbus Brighti, mit Keuchhusten Behafteten,
bei Erhängten etc. Solche Blutungen sind so gering, dass sie nur als Blut-
blasen im äusseren Gehörgange, resp. am Trommelfelle auftreten, können aber
auch so stürmisch sein, dass sie das Trommelfell perforiren und sich nach
aussen ergiessen. Bei Individuen mit permanent perforirtem Trommelfell
kann es überdies zu Blutungen aus dem Ohre kommen bei allen jenen An-
lässen, welche sonst nur Hämorrhagien in die Paukenhöhle setzen würden.
{Hämatotym.panen.) Im allgemeinen sind jedoch solche Blutungen nicht
heftig und geben zu keiner Besorgnis Anlass.
h) Viel häufiger und unter Umständen viel ernster sind jene Blutungen
aus dem Ohre, welche durch verschiedene pathologische Veränderungen im
Gehörorgane bedingt sind. Als Prototyp solcher Blutungen können Polypen
im äusseren Gehörgange und im Mittelohre gelten. Sie bilden auch die
häufigste Ursache der Blutungen aus dem Ohre, derart, dass, wenn ein Patient
sich dem Arzte mit Klagen über öftere Blutungen aus dem Ohre vorstellt,
dieser par distance mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Polypen im Ohre
schliessen kann. Da in solchen Fällen zumeist gleichzeitig Otorrhoe besteht,
so sind solche Blutflüsse oft mit Eiter vermengt. Sind solche Blutungen
auch zumeist nicht sehr reichlich, so können sie sich doch oft wiederholen,
zeitweise auch intensiver auftreten, so dass anämische Personen und Kinder
davon sehr geschwächt werden und herabkommen.
Nächst den Polypen sind es besonders cariöse und nekrotische Processe
des Schläfenbeines, welche die häufigste Ursache von Ohrenblutungen bilden.
Der fortschreitende, cariöse Process führt oft zu Arrosionen von Gefässen ver-
schiedenen Calibers, während die Spitzen und Kanten eines Sequesters durch
fortwährende Reibung, durch plötzlichen Stoss oder durch Erschütterung
directe Verletzung vieler Gefässe veranlassen. Stagnirender, sich zersetzender
Eiter in der Paukenhöhle wirkt macerirend auf die Schleimhaut, dann auf den
darunter liegenden Knochen, der manchmal nur als eine dünne Scheidewand
die Paukenhöhle von grossen Blutbehältern trennt. Dass solche Blutungen sehr
leicht gefährlich werden können, ist einleuchtend, wenn man einen flüchtigen
Blick auf die Nachbarschaft des Mittelohres wirft. Da findet man am Boden
der Paukenhöhle den Bulbus venae jugularis, nach hinten, oft auch nur durch
eine dünne Wand geschieden, den Sinus transversus, nach vorne und innen
den Canalis caroticus. Aus allen diesen Gefässen können durch successive
Schmelzung der oft sehr dünnen, mitunter auch abnorme Dehiscenzen besitzen-
den, knöchernen Zwischenwände spontan, ganz plötzlich und unverhofl't, ohne
äussere Ursache oder auch auf Veranlassungen, welche eine plötzliche Blut-
drucksteigerung verursachen, wie Husten, Bücken, Erbrechen u. dgl., sehr
Ohren-, Nasen-, Eachen-, Kehlkopfkranklieiten. *
50 BLUTUNGEN AUS DEM OHRE.
profuse Blutungen aus dem Ohre erfolgen. Am gefährlichsten sind die Blu-
tungen aus der Carotis, bei denen manchmal das Blut in Form eines dicken
Strahles und mit dem Pulse isochron aus dem äusseren Gehörgange heraus-
stürzt. Solche Hämorrhagien können leicht in sehr kurzer Zeit den Tod
durch Verblutung herbeiführen. Sehr selten dürfte es auch vorkommen, dass
eine Blutung im Labyrinthe durch die Fenster der Paukenhöhle-Labyrinthwand
und durch eine Trommelfellücke nach aussen sich durchbricht. Viel weniger
folgenschwer und bedeutungsvoll pflegen die Blutungen zu sein, welche bei
acuten Otitiden und Myringitiden vorkommen. Am häufigsten wurden sie in
Begleitung der Influenza beobachtet. Doch auch hier kommt es meist nur
zu Ecchymosen und Sugillationen, Bildung von Blutblasen im äusseren Gehör-
gang und am Trommelfelle, seltener zu einem Blutergusse an der freien Ober-
fläche. Oefter sind solche Blutaustritte zu finden nach Durchbruch des Trommel-
felles bei acuter Otitis media, besonders bei der sogenannten Tympanitis
haemorrhagica und im Gefolge von Infectionskrankheiten. In den meisten
solchen Fällen entleert sich anfangs aus dem Ohre nur eine dünne, blutig-seröse
Flüssigkeit in nicht zu grosser Menge, welche allmählich blutarmer und blässer
wird, um schliesslich in ein rein eitriges Secret überzugehen. Bei reichlicheren
Blutungen aus der Paukenhöhle kann auch ein Theil des Blutes durch die
Tuba in den Pharynx sich entleeren und zu blutigen Sputis Anlass geben.
Chronische Myringitiden können zu Geschwürsbildungen und Granulations-
wucherungen auf dem Trommelfelle führen und so blutigen Ausfluss aus dem
Ohre bedingen. Dieselben können ferner in circum scripter und diffuser Otitis
externa, besonders der Otitis externa haemorrhagica, in syphilitischen und
sonstigen Geschw^üren, in Granulationen, Caries und in Neubildungen, beson-
ders Gefässneubildungen im äusseren Gehörgange, ihre Quelle finden. Ausser-
dem geschieht es nicht gar so selten, dass Entzündungen in der Nachbar-
schaft, wie Parotitis, Adenitis der Lymphdrüsen im Unterkieferwinkel, nach
ihrem Uebergang in Eiterung den knorpeligen Theil des äusseren Gehör-
ganges durchbrechen und zu einer Entleerung von reinem oder mit Eiter
gemengten Blute aus dem Ohre führen. In ähnlicher Weise können auch
Neubildungen, zumal Gefässneubildungen in der Nachbarschaft, nach Durch-
bruch ins äussere Ohr zu blutigem Ausflusse aus demselben Anlass geben.
c) Traumatische Ursachen.
Recht zahlreich sind auch die traumatischen Ursachen einer Blutung
aus dem Ohre. Hier müssen unterschieden werden unwillkürliche, willkür-
liche und operative Traumen. Unwillkürlich können Verletzungen des Ge-
hörorganes auf directem und indirectem Wege entstehen. Directe unwill-
kürliche Verletzungen können im äusseren Gehörgange und am Trommelfelle
gesetzt werden durch scharfe, kantige und spitze Fremdkörper, die ins äussere
Ohr hineingelangen oder dort verbleiben, durch Auffallen mit dem Ohre auf
vorstehende spitze, harte Gegenstände, auf Steine, Nägel, Holzstücke u. dgl.,
durch Stich, Riss, heftiges Eindringen von Wasser ins Ohr. Scharfrandige
Fremdkörper in der Paukenhöhle, stechende, scharfe, mit Gewalt ins Ohr ein-
dringende Werkzeuge können die knöcherne Pauken-, beziehungsweise Laby-
rinthwand penetriren und eine tödliche Blutung aus der Carotis, Jugularis
interna oder eines der Gehirnsinuse verursachen. Dasselbe gilt von Schüssen,
die zufällig ins Ohr gelangen.
Directe willkürliche Verletzungen können im äusseren Ohre zustande
kommen durch Kratzen und Kitzeln mit scharfen Instrumenten, mit Haar-
nadeln, Ohrlöffeln, Stricknadeln, gespitzten Bleistiften, ausgeführt wegen Jucken
im Ohre, ferner durch willkürliches Hineinlegen von Fremdkörpern ins
Ohr seitens spielender Kinder oder seitens Erwachsener wegen Zahnschmerzen.
Dadurch, sowie auch durch zu Selbstmordzw^ecken ausgeführte Schüsse ins
BLUTUNGEN AUS DEM OHRE. 51
Ohr können Blutgefässe am äusseren Ohre, am Trommelfelle und auch tiefer
lädirt und stärkere oder geringere Blutungen veranlasst werden.
Von indirecten Traumen, die zu Blutungen aus dem Ohre Anlass geben
können, sind in erster Reihe zu nennen Ptupturen des Trommelfelles.
Bekanntlich können diese schon durch sehr geringe Traumen entstehen, beson-
ders, wenn durch sie plötzliche Verdichtung oder Verdünnung der Luft im
äusseren Gehörgange oder in der Paukenhöhle zustande kommt, wie Unter-
tauchen des Kopfes unter Wasser, Aufenthalt in verdichteter Luft, bei Er-
hängten, ein leichter Schlag mit der Hand aufs Ohr, wenn dadurch ein plötz-
licher und completer Verschluss des Ohreinganges zustande kommt. Ein Kuss
auf den Ohreingang, Erschütterungen und Luftdruckschwankungen, Sprung,
Sturz auf den Kopf, starke Schallerregung, wie Detonation, Explosion, Hinein-
schreien, Hineinblasen ins Ohr, Compression der Luft in der Paukenhöhle
durch VALSALvi'sches Verfahren, beim Schneuzen, Niessen, heftigem Erbrechen
etc. können gleichfalls eine Ruptur des Trommelfelles und Blutung aus dem
Ohr verursachen. Aspiration der Luft aus dem äusseren Gehörgange, wie
Aufenthalt in luftverdünntem Räume u. dgl., kann auch ohne Ruptur der
Membrana tympani zu Blutungen im äusseren Ohre führen.
Durch Schlag oder Sturz auf den Unterkiefer können traumatische
Affectionen an den Gehörgangswandungen entstehen, durch indirecte Gewalt
gesetzte, complicirte Verletzungen an der Schädelbasis können sich auf das
Felsenbein, das Trommelfell und den äusseren Gehörgang fortsetzen. Bei
schweren Kopfverletzungen mit Fractur der Schädelbasis wird gewöhnlich das
Dach der Paukenhöhle, das Tegmen tympani, durchbrochen oder es entsteht
Fracturirung der ganzen Pyramide in querer und schiefer Richtung, wodurch
auch das Labyrinth, der Warzenfortsatz, der äussere Gehörgang und in
weiterer Consequenz die anliegenden Blutleiter, Carotis, Sinus petrosus sup.,
Sinus transversus etc. lädirt werden können. Wird bei einer Kopfverletzung
oder Erschütterung der knorpelige Gehörgang von dem knöchernen Abschnitte
losgelöst oder in seiner vorderen Partie eingerissen, so kann auch eine starke
Blutung aus dem Venenplexus in der Fossa retromaxillaris erfolgen, wobei
sogar das Trommelfell und die Paukenhöhle intact bleiben können.
Die Blutungen aus dem Ohre durch die genannten Traumen sind meist
nicht sehr intensiv und leicht zum Stillstande zu bringen, wofern nicht
gerade ein grösseres Gefäss oder wichtiger Blutleiter von der Verletzung mit
betroffen wurde. Ist dies nicht der Fall, dann hört die Blutung bald in
einigen Stunden oder in einigen Tagen gewöhnlich von selbst auf, ohne nach-
theilige Folgen für den Allgemeinzustand oder für das Gehör zurückzulassen,
wenn dieses nicht durch sonstige Verletzung organisch oder functionell ge-
schädigt wurde.
Dass allerlei operative Eingriffe im Ohre geringere oder grössere Blu-
tungen im Gefolge haben können, ist wohl selbstverständlich. Hierher gehören
vor allem die nicht immer leichten Läsionen, v/elche durch ungeschickte,
unzweckmässige, von berufener und unberufener Seite ausgeführte instru-
menteile Extractionsversuche von Fremdkörpern im Ohre gesetzt werden und
die trotz wiederholter, eindringlicher Warnungen noch immer viel zu oft vor-
kommen. Doch sind dadurch entstandene Blutungen wie auch solche, die
durch andere leichte operative Eingriffe im Ohre, wie Eröffnung eines Furun-
kels im äusseren Ohre, Paracentese des Trommelfelles, Entfernung der Ge-
hörknöchelchen, Tenotomie des Tensor tympani etc. veranlasst werden, in den
meisten Fällen unbedeutend und ohne Folgen. Nichtsdestoweniger ist man
mitunter auch bei den geringfügigsten chirurgischen Eingriffen vor unange-
nehmen Ueberraschungen nicht sicher. So wurde nach Abtragung von Polypen
im Ohre eine arterielle Blutung beobachtet, auch können nach so unbedeu-
tenden Eingriffen im Ohre, wie Durchschneidung einer Trommelfellfalte, bedeu-
52 BLUTUNGEN AUS DEM OHRE.
tende Nachblutungen eintreten. Es sind weiters Fälle vorgekommen, in
welchen bei der Paracentese des Trommelfelles der Bulbus venae jugularis
angeschnitten und profuse Blutung verursacht wurde (Ludewig, Gruber,
Hildebrandt, Brieger, Seligmann). Es kommt nämlich vor, dass sich am
Boden der Paukenhöhle, welcher die letztere von der Fossa jugularis trennt,
angeborene Lücken finden, durch welche die Gefässwand der Jugularis
in directer Berührung mit der Schleimhaut der Paukenhöhle steht und sich
in die letztere hineinwölbt. So ist es leicht möglich, dass bei der Paracentese
des Trommelfelles im hinteren unteren Quadranten der Bulbus venae jugularis
angeschnitten wird. Es sind auch bis jetzt einige derartige Fälle bekannt ge-
worden. In allen war es die rechte Seite, welche davon betroffen war. Dies erklärt
sich daraus, dass die rechte Fossa jugularis gemeinhin weiter und tiefer als
die linke ist. Eine so entstandene Blutung ist selbstverständlich sehr stark
und mitunter sehr schwer zu stillen. Doch gelang es in den bis jetzt be-
kannten (5) Fällen einer solchen Verletzung immer noch, schliesslich der
Blutung Herr zu werden, nur einer endigte später letal an Pyämie. Am
Lebenden ist dieser abnorme Verlauf der Jugularis manchmal an einem
blauen, kreisabschnittförmigen Fleck am hinteren unteren Quadranten des
Trommelfelles zu erkennen, welcher mit den Fensternischen der Labyrinth-
wand nichts zu thun hat (Gomperz).
In dem Falle von Hildebrandt änderte der auf den vorderen unteren
Quadranten der Trommelhaut befindliche Lichtreflex seine Gestalt, wenn man
am Halse einen ziemlich starken Druck auf der Vena jugularis derselben
Seite ausübte, und kehrte bei Nachlass des Druckes sofort zu seiner früheren
Form zurück. Ferner waren die Venen dieser Gesichtshälfte stärker gefüllt
und besass die Patientin Spuren überstandener Ehachitis.
Ausserdem kommen Fälle vor (Körner), wo die Carotis der Pauken-
höhle sehr nahe anliegt, so dass auch ihre Verletzung bei der Eröffnung der
Paukenhöhle denkbar ist.
Auch ist eine Verwechslung eines Aneurysma im äusseren Gehörgange
mit einem Furunkel und Anschneiden desselben vorgekommen, was eine
reichliche Blutung zur Folge hatte und eine mehrtägige Tamponade noth-
wendig machte.
Geringere Blutungen bei therapeutischen Manipulationen können weiters
vorkommen bei Verletzung des Trommelfelles durch starkes Ausspritzen des
Ohres oder durch starke Luftdouche, ferner bei der Luftaspiration vom äusse-
ren Gehörgange mit dem Masseur von Delstouche u. s. w. Es kommt nämlich
dabei durch die Rarefication der Luft im äusseren Gehörgange zu starker
Anschoppung der Blutgefässe des Trommelfelles und des äusseren Gehör-
ganges, die bei einer dazu vorhandenen Disposition leicht einreissen können.
Dass schliesslich hier ebenso wie sonst überall bei vorhandener Hämophilie
die leichtesten Eingriffe schwere Blutungen nach sich ziehen können, bedarf
wohl kaum einer besonderen Erwähnung.
Die Diagnose der der Blutung zu Grunde liegenden Ursache ist ge-
wöhnlich keinen grossen Schwierigkeiten unterworfen. Bei genauer Unter-
suchung des Gehörorganes und Berücksichtigung aller in Betracht kommenden
ätiologischen Momente wird es wohl in den meisten Fällen leicht gelingen,
die Quelle der Blutung aufzufinden. Der Nachweis von Polypen, Neubildungen,
langdauernder Otorrhoe mit Caries und Nekrose im Ohre, von acuter Otitis
media oder externa, von chronischen Myringitiden, Geschwürsbildungen und
Neoplasmen im äusseren Gehörgange, ins äussere Ohr durchbrechender Paro-
titis und Paradenitis u. s. w. wird in Verbindung mit der Farbe, der Menge
und der Stromgeschwindigkeit des sich aus dem Ohre entleerenden Blutes
leicht auf die Herkunft desselben schliessen lassen. Dass die Untersuchung
des Ohres und die Anamnese auch leicht die Ursache einer Blutung bei einer
BLUTUNGEN AUS DEM OHRE. 53
directen oder indirecten Verletzung des äusseren Gohörganges und des Trom-
melfelles erschliessen werden, bedarf wohl keiner weiteren Auseinandersetzung.
Wie die unter den Ursachen der Blutungen erwähnten Krankheiten und Ver-
letzungen, z. B. Trommelruptur etc. diagnosticirt werden, möge unter den
betreffenden Abschnitten dieses Werkes nachgesehen werden. Hier sei nur
hervorgehoben, dass wenn bei einer indirecten Kopfverletzung eine Trommel-
fellruptur zustande gekommen ist, man wohl mit Berücksichtigung der übrigen
Symptome auf eine Basisfractur wird schliessen können. Für Basisfractur bei
schweren Traumen spricht auch der Ausfluss einer wässerigen, serösen Flüssig-
keit, des Liquor cerebrospinalis, aus dem Gehörgange, welche mitunter noch
einige Tage nach Aufhören der Blutung sich noch in grosser Menge aus
dem äusseren Ohre entleert.
Lassen sich auf Grund sachgemässer, gründlicher Untersuchung und
genauer Anamnese Krankheit und Traumen des Gehörorganes als Ursache
der Blutung ausschliessen, dann muss der übrige Körper auf constitutionelle
Anomalien, auf Allgemeinkrankheiten, Nierenkrankheit, Circulationsstörungen,
Atheromatose, Hysterie, erworbene oder hereditäre neuropathische Veranlagung,
Anämie, Menstruationsanomalien etc. untersucht werden, welche, wie oben
erwähnt, zu Blutungen aus dem Ohre erfahrungsgemäss Veranlassung geben
können. Die Berücksichtigung der Anamnese, der Periodicität der Blutungen,
etwaiger prämonitorischer Symptome liefern weitere wichtige Anhaltspunkte
zur Diagnose primärer Ohrenblutungen.
Bei der Inquirirung nach der Ursache solcher Blutungen darf jedoch
nicht an die Möglichkeit einer Simulation vergessen werden. Es ist nämlich
leicht denkbar und sind auch solche Fälle vorgekommen, dass Personen, sei
es um Unfallsentschädigungen herauszulocken oder auch um sich vom Militär-
dienste zu befreien und aus ähnlichen Gründen einen blutigen Ausfluss aus
dem Ohre simuliren wollen und sich zu diesem Behufe entweder absichtlich
Verletzungen am Ohre beibringen oder sich flüssiges Blut verschaffen und ins
Ohr giessen. Die Entlarvung und die Klarstellung solcher Proceduren wird
bei einiger Aufmerksamkeit nicht schwer fallen, doch muss man daran denken.
Die Prognose der Blutungen aus dem Ohre ist mit wenigen Aus-
nahmen durchgehends günstig. Diese Blutungen nehmen nur selten ernstere
Dimensionen an und sind gemeiniglich auch leicht zu stillen. Blutungen aus
grösseren Gefässen, z. B. bei Basisfractur, plötzliche Ruptur grosser Bluthälter
nach Arrosion durch einen cariösen Process, Anschneiden der Jugularis u. s w.
können allerdings bedenklich werden. Langdauernde und oft sich wieder-
holende Blutungen in Begleitung von Polypen, Granulationswucherungen u. dgl.
können eine bedeutende Schwäche und Anämie zur Folge haben. Sehr infaust
sind Blutungen aus der Carotis, da selbst die Unterbindung dieses Gefässes
am Halse nicht immer nützt, oder es bildet sich ein Collateralkreislauf durch
die Arteria vertebralis und den Circulus arteriosus Willisi heraus und die
Blutung kehrt wieder. Die Tamponade des äusseren Gehörganges kann er-
folglos bleiben, weil das Blut mit so starkem Drucke strömt, dass es den
Tampon heraustreibt, oder es bahnt sich einen anderen Weg durch die Tuba
Eustachii. In solchen Fällen kann dann der Exitus letalis sehr rasch er-
folgen.
An traumatischen Blutungen, die an und für sich meist ungefährlich
sind, können sich reactive Entzündungen mit Eiterung am Trommelfelle, in
der Paukenhöhle und im Labyrinthe anschliessen, wofern diese beschädigt
wurden. Die weitere Prognose hängt also von der LTrsache der Blutung,
resp. von der Art des sie verursachenden Traumas ab.
Es ist klar, dass Blutungen aus dem Ohre, zumal traumatischen Ur-
sprunges unter Umständen eine forensische Bedeutung gewinnen
können. Hat ein Trauma bei einem zuvor gesunden Gehörorgane eine
54 BLUTUNGEN AUS DEM OHRE.
reicliliclie Hämorrliagie zur Folge, dann muss wohl eine bedeutendere Ver-
letzung gesetzt worden sein, und das Gutachten hat sich nach der Dignität
dieser zu richten. Es ist aber denkbar, dass ein zuvor krankes und zu
Blutungen disponirtes Ohr, z. B. bei Caries des Schläfenbeines mit blos-
liegenden, angenagten Gefässen u. dgl., von einem Trauma getroffen wird,
welches, ohne sonstige Verletzungen zu machen, die Ruptur eines grösseren
Gefässes und in der Folge eine hochgradige oder gar letale Blutung zur
Folge hat. Es können ferner bei Personen mit gewissen, oben genannten
Krankheiten durch Erschütterung, Sturz u. dgl. Hämorrhagien aus dem Ohre
ohne besondere Verletzungen herbeigeführt werden. In solchen Fällen wird
man im Gutachten die Natur und den Grad der zuvor bestandenen All-
gemein- oder Ohrenkrankheit und die Art des Trauma neben den durch die
Blutung direct verursachten Folgen zu berücksichtigen haben. Blutungen
bei gesunden Personen ohne bedeutende Verletzungen durch ein Trauma ver-
ursacht, können nur unbedeutend sein und höchstens eine leichte körperliche
Beschädigung involviren. Doch muss dabei berücksichtigt werden, ob das
Trauma etwa in einer solchen Art und mit einem solchen Instrumente zuge-
fügt worden sei, womit gemeiniglich Lebensgefahr durch Verblutung verbunden
ist, wie etwa das Hineinstossen eines spitzen Instrumentes mit Kraft ins Ohr.
Hat eine Verletzung ausser der Blutung nachträglich noch Krankheiten zur
Folge, wie eitrige Paukenentzündung, Acusticusaffection, Meningitis, Encepha-
litis etc., dann muss das Gutachten nachträglich gemäss der Bedeutung der
Folgekrankheit moditicirt werden.
Bezüglich der Prophylaxis ist zu bemerken, dass Personen, welche
an neuropathischem Ohrenbluten leiden oder mit Krankheiten behaftet sind,
welche wie oben erwähnt, zu solchen Blutungen disponiren, sich vor Erschüt-
terungen und dergleichen Anlässen, welche erfahrungsgemäss als Causa
efficiens gelten, zu hüten, immer einen leichten Wattatampon im Ohre zu
tragen und ihre Krankheit lege artis behandeln zu lassen haben. Dabei sind
solche Patienten anzuweisen, wie sie im ersten Momente einer Blutung durch
zweckentsprechende Tamponade entgegenzuwirken haben. Der eine Ohren-
krankheit behandelnde Arzt hat sich immer vor Augen zu halten den Grund-
satz: Chirurgus mente prius et oculo agat, quam manu armata. Dies gilt ganz
vorzüglich für die Behandlung von Fremdkörpern im Ohre, behufs deren
Extraction man nur im äussersten Nothfalle zu Instrumenten greifen möge.
Zu voreilige Eingriffe haben hier schon viel Unheil durch Verletzungen und
Blutungen angerichtet. Soll die Paracentese des Trommelfelles vorgenommen
werden, ist immer auf etwaige Defecte, rhachitische und sonstige Verände-
rungen im Knochenbaue, ferner auf eine eventuelle Verfärbung im hinteren
oberen Quadranten zu achten und bei vorhandenem Verdachte auf Vorlagerung
der Jugularis die betreffende Stelle schonend zu umgehen. Bei der Eröffnung
eines weichen Furunkels im äusseren Gehörgange hat man sich die Möglich-
keit einer Verwechslung mit einem Aneurysma vor Augen zu halten.
Die Behandlung soll in erster Reihe den Grad der Blutung berück-
sichtigen. Ist diese plötzlich, profus, gefahrdrohend, dann ist die dringendste
Indication, ohne Rücksicht auf die zu Grunde liegende Ursache die Blutung
sofort zu stillen. Das geeignetste Mittel ist die feste Tamponade des äusseren
Gehörganges. Diese v^ird am besten ausgeführt mit einer Portion Jodoform-
gaze, welche in eine sclnvache Eisenchlorid- oder in eine stärkere Ferro-
piji'inlösung getaucht wurde. Es kann mitunter noth wendig sein, den ganzen
Gehörgang mit Tamponen auszufüllen und dann auf diese noch eine feste
Digitalcompression durch kürzere oder längere Zeit auszuüben. Wird der
Tampon durchtränkt und sickert das Blut durch, dann muss er gewechselt,
eventuell durch einen Tampon von Eisenivatta oder Penghaicar Djamhi ersetzt
werden. Gelingt es auch dann nicht, der Blutung Herr zu werden, werden
BLUTUNGEN AUS DEM OHRE. 55
die Tampone herausgestossen oder ergiesst sich das Blut durch die Tuba in
den Pharynx, dann muss man die Unterbindung der Carotis versuchen und
zwar besser und sicherer der Carotis communis. Doch ist eine solche Ligatur
nur indicirt, wenn die Blutung eine arterielle ist und man durch vollständige
Compression der Carotis zuvor einen günstigen Einttuss auf die Blutung be-
merken konnte. Gelang es endlich, die Blutung zum Stillstand zu bringen,
dann muss der Tampon einige Tage liegen bleiben. Später wird derselbe
erst befeuchtet und langsam vorsichtig entfernt, wo nöthig nicht auf einmal,
sondern in einigen wiederholten Angriffen, worauf das Ohr mit einer lau-
warmen, adstringirenden und antiseptischen Lösung ausgespritzt wird.
Bei leichteren Blutungen ist das Ohr vor allem zu reinigen und dann
einer genauen Untersuchung nach der Ursache und der Quelle der Blutung
zu unterziehen. Diese muss vor allem beseitigt werden, nach dem Grundsatze:
cessante causa cessat effectus. Sind kleinere Verletzungen die Ursache der
Blutung, dann reicht es meist aus, das Ohr mit einer 2 — ö^l^^igen Borsäure-,
Alaun- oder Koclisaldösnng auszuspritzen oder einige Tropfen einer lO^^j^^igen
Eisenchloridlösung einzuträufeln, und noch sicherer ist es, wenn die tieferen
blutenden Theile des Ohres mit einem in Eisenchlorid getauchten Watta-
bauschen ausgefüllt werden. Gewöhnlich jedoch genügt hier schon die
blosse Ausspritzung und ein leichter Wattatampon. Ist ein grösseres Gefäss
verletzt, dann reicht eine festere, mehrtägige Tamponade des äusseren Gehör-
ganges aus. Sind Fremdkörper die Ursache der Blutung, dann müssen sie
natürlich extrahirt werden. Geht dieses durch blosses Ausspritzen nicht und hört
die Blutung sonst nicht auf, dann muss die Extraction mit Hilfe von Instru-
menten, eventuell nach Ablösung der Ohrmuschel und des häutigen Gehör-
ganges vorgenommen werden. Blutungen infolge chirurgischer Eingriffe
sind, von besonderen Zufällen abgesehen, gemeinhin nicht sehr bedeutend und
stehen bald auf Ausspritzung und Tamponade.
Sind die Blutungen durch krankhafte Processe hervorgerufen, dann hat
sich die Behandlung nach diesen zu richten. Polypen, Granulationen, Neo-
plasmen müssen entfernt oder mit Argentum nitricum, Chromsäure, Galvano-
kauter etc. geätzt werden, worauf die Blutung schnell stille hält, lose Sequester
müssen extrahirt werden. Blutungen infolge acuter entzündlicher Processe
in der Paukenhöhle, am Trommelfelle und im äusseren Gehörgange sind in
den meisten Fällen auch nur unbedeutend und durch leichte Tamponade zu
beherrschen. Dasselbe gilt von Blutungen, welche infolge Durchbruches
von Abscessen in der Nachbarschaft des äusseren Gehörganges in diesem ent-
standen sind. Sind gefässreiche Tumoren durchbrochen, dann wird ausser
der Tamponade des Ohres auch noch eine Compression von aussen auf die-
selben, eventuell Galvanokauterisation der blutenden Stelle oder Gefässligatur
nöthig sein,
Lässt sich trotz genauer Untersuchung im Gehörorgane die Ursache der
Blutung nicht auffinden und rührt dieselbe von einer sonstigen Krankheit
her, wie Circulationsstörungen, constitutionelle Anomalie, neuropathische
Anlage u. dgl., dann ist die Blutung gewöhnlich gering und bedarf oft keiner
besonderen Behandlung. Bei sich aus den letztgenannten Ursachen oft wieder-
holenden Hämorrhagien soll der Patient immer einen leichten Tampon im
Ohre tragen. Dabei soll man durch Berücksichtigung der zu Grunde liegen-
den Krankheit, wie Herzkrankheiten, Keuchhusten etc., eventuell durch Dar-
reichung von Eisenpräparaten, Bromverbindungen, durch Verbesserung der
hygienischen und der Ernährungsverhältnisse und, wie in der Prophylaxe an-
gegeben, durch sorgfältige Vermeidung solcher Anlässe, die erfahrungsgemäss
die Blutungen herbeiführen, denselben vorzubeugen trachten. Innerlich empfiehlt
sich in den meisten solchen Fällen Extr. ß. hydrast. canadens. allein oder
mit Ergotin aa. 10 Tropfen Smal täglich durch einige Wochen darzureichen.
56 CARCINOMA LARYNGIS.
Bei hysterischen vicariireuden Blutungen sind grosse Dosen Broml-ali und
Filocm-pininjectionen zu versuchen. Local Avirken Einträufelungen von lau-
warmem, horsäurehaUigen ahsoluten Alkohol günstig. Bezüglich näherer Details
zur Behandlung der als Ursache der Ohrenblutung ermittelten und constatirten
Ohrenaffectionen oder sonstiger Krankheiten müssen wir auf die betreffenden
Abschnitte verweisen. rafael spira.
Carcinoma faryngiS {Kehlkopf kreis). Vorkommen und Häufigkeit.
Nach meiner Statistik bis zum Jahre 1894 fanden sich unter 20.000 an
Kehlkopf, Rachen oder Nase leidenden Patienten (darunter circa 8000 Kehl-
kopf-Kranke) 37 Fälle von Kehlkopfkrebs. Also beiläufig VaVo ^^^^^ Kehl-
kopfleiden. Unter diesen 37 Patienten war nur eine Frau, alle übrigen
waren Männer über die 40er Jahre hinaus. In sieben Fällen hatte das Car-
cinom ausserhalb des Kehlkopfes begonnen, sonst war es ein sogenanntes
primäres Carcinom. Im allgemeinen ist daher das Carcinom nach dem Fibrom
und Papillom (s. d.) die häufigste Neubildung des Kehlkopfes. Ziemssen
konnte 1879 bereits 147 Fälle aus der Literatur sammeln. Schwartz berich-
tet, dass auf der Klinik Fauvel's unter 12.360 Kranken, die an Hals oder Nase
litten, nur 37 Fälle beobachtet wurden.
Aetiologie. Jedenfalls hat das Alter dör Patienten einen Einfluss.
Denn in der grösseren Mehrzahl der Fälle handelt es sich um Kranke über
40 Jahre hinaus. Doch gibt es auch einzelne Fälle von frühzeitigem Car-
cinom. So beobachtete Schrötter solche Erkrankungen bei einem 372Jäh-
rigen Knaben und 10jährigen Mädchen und dann auch in einer grossen Anzahl
von Fällen in einem Alter zwischen 30 und 35 Jahren. Das Geschlecht ist
auch von Bedeutung, da die Männer viel häufiger ergriffen werden; unter
Wassermann's 176 Fällen betrafen nur 29 weibliche Personen. Vielleicht
hat dies seinen Grund darin, dass oft wiederholte Reizung durch Alkohol und
Tabak hauptsächlich bei Männern stattfindet. Als sonstige ätiologische Mo-
mente führt man auch eine vererbte Disposition und chronische Kehlkopf-
leiden namentlich luetischer Natur an, ohne jedoch Beweise dafür vorbringen
zu können. Endlich wurde von Lennox Browne in London 1875 die Behauptung
aufgestellt, „dass gutartige Kehlkopfgeschwülste nicht selten in Folge des
durch Entfernungsversuche gesetzten Reizes einen bösartigen und selbst kreb-
sigen Charakter annehmen." Diese durch nichts gerechtfertigte Behauptung
gab nun Anlass zu der von Felix Semon 1888 veranstalteten Sammelforschung
über „die Frage des Ueberganges gutartiger Kehlkopfgeschwülste in bösartige,
speciell nach intralaryngealen Operationen."
107 Laryngologen der ganzen Welt berichteten hierbei über 10.747 gut-
artige und 1550 primär bösartige Kehlkopfgeschwülste.
Nur 12 mal wurde der spontane Uebergang gutartiger Geschwülste in
bösartige beobachtet; jedoch sind die meisten dieser Fälle zweifelhaft, d. h.
namentlich insoferne, als wahrscheinlich schon zur Zeit des Entstehens die
meisten dieser Neubildungen bösartig waren. Nur 16 mal nahm eine gut-
artige Geschwulst nach der intralaryngealen Operation einen bösartigen Cha-
rakter an; 15 mal war dieser Verlauf nicht sicher zu constatiren. Jedenfalls
ergibt sich die Thatsache, dass nur äusserst selten eine gutartige Kehlkopf-
neubildung, sei es spontan oder auch infolge einer intralaryngealen Opera-
tion, bösartig wird. Semon hat diese Frage wirklich im Interesse der Patienten
gelöst, da nach Lennox Browne die endolaryngeale Operation aller gutartigen
Neubildungen im Kehlkopfe verboten wäre, wenn nicht Lebensgefahr besteht.
Es müssten nach ihm alle infolge von Kehlkopfpolypen heiseren Menschen
ewig heiser bleiben.
Im allgemeinen scheint der Kehlkopf wenig Neigung zu haben, an Krebs
zu erkranken, da Gurlt unter 16.637 Tumoren, die er aus den Wiener Kranken-
CARCINOMA. LARYNGIS. 57
häusern zusammenstellte, nur 03 Larynx-Carcinome fand, d. i. Y;/Vo ^-ller
Tumoren und circa -/.i^o ^^^^^ Carcinome (Wassermann).
Eintheiliiiig. Der Krebs kann entweder zuerst im Kehlkopfe auftreten,
dann spricht man von primärem, oder er verbreitet sich von der Nachbar-
schaft aus auf den Kehlkopf, secundärer Krebs. Endlich können auch Meta-
stasen in den Larynx erfolgen; solche Fälle sind aber ausserordentlich selten.
Anatomie. Epitheliale und medulläre Carcinome sind die häufigsten,
faserige viel seltener; Gallert-Krebs und Carcinoma fasciculatum wurden ver-
einzelt gesehen. Alle diese Formen lassen sich nach der neuen Auffassung
eigentlich auf zwei Formen zurückführen, nämlich auf das Platten-Epithel-
carcinom und auf das Drüsencarcinom. Das Drüsencarcinom wird nach der
Masse und der Beschaffenheit des Gerüstes und dem Verhältnis desselben zu
den Zellen in das medulläre, dann das faserige und das gallertartige einge-
theilt. Am häufigsten kommt im Larynx das Platten-Epithelcarcinom vor.
Ueber die Häufigkeit der anderen Formen ist noch nicht viel bekannt, da viel
zu wenig Untersuchungen über sie vorliegen. Das Carcinom beginnt ent-
weder im Innern des Kehlkopfes (besonders an den Stimm- und Taschen-
bändern) (inneres Carcinom, intrinsic Cancer) oder an seiner Aussenfläche
(Epiglottis, Aryknorpel und aryepiglottische Falten) (äusseres Carcinom, ex-
trinsic Cancer), welche Unterscheidung besonders von klinischer Seite aus sehr
wichtig ist. Die erstere Form ist viel häutiger. Das Platten-Epithelcarcinom,
oder Epithelialcarcinom kurzweg, geht von den mit Plattenepithel bekleideten
Stellen des Kehlkopfes aus, und zwar mit Vorliebe von den Stimmbändern,
seltener von anderen Theilen, am seltensten von der vorderen Fläche der
hinteren Wand.
An den Stimmbändern beginnt es in Form eines kleinen Knotens oder
einer flachen Verdickung oder eines papillären Auswuchses, wächst dann an
der Oberfläche und zugleich in die Tiefe, bildet später grosse, blumenkohl-
ähnliche Wucherungen, substituirt einzelne Theile des Larynx, bleibt aber
lange Zeit auf eine Seite beschränkt. Endlich verbreitet es sich auf den
ganzen Kehlkopf und über denselben hinaus und tödtet entweder durch
Stenosirung des Larynx oder durch Blutung, Jauchung und langsame Cachexie.
Die benachbarten Lymphdrüsen werden erst spät inficirt. Das medulläre Car-
cinom geht von den drüsenreichen Theilen aus, wie es scheint mit Vorliebe
von dem Taschenbande und dem Ventrikel, doch auch von allen Theilen des
Kehlkopfeinganges, und beginnt meist als diffuse Verdickung, wächst schneller
als das Epithelialcarcinom, bleibt wohl auch zuerst einseitig, inficirt aber die
Drüsen rascher und kommt schneller zum Zerfalle.
Das fibröse Carcinom, welches ich in vier Fällen zu beobachten Gelegenheit
hatte, macht diffuse Infiltration oft beider Seiten, liefert manchmal lange Zeit
keine umschriebenen, als Neubildung imponirenden Tumoren, inficirt die
Lymphdrüsen nur wenig und kann lange Zeit bestehen, ohne Cachexie herbei-
zuführen. Solche Fälle sehen chronischen, tuberkulösen oder syphilitischen
Infiltraten sehr ähnlich. Man sieht also, von welchem Einfluss auf den Ver-
lauf die histologische Beschaffenheit des Tumors, und von welcher Bedeutung
frühzeitige histologische Untersuchung einzelner Theile der Geschwulst für
Prognose und Therapie ist.
Verlauf und Diagnose. Der Verlauf wird so ziemlich übereinstimmend
von allen Autoren in drei Perioden getheilt, nämlich Tumorbildung, Ulceration
und Nekrose.
I. Stadium der Tumorhildung.
Nach Wassermann's Tabelle begann die Neubildung in 94 Fällen 35 mal
auf der linken, 51 mal auf der rechten Seite und Smal an der hinteren
Larynxwand. Am häutigsten scheint das Stimmband den Ausgangspunkt zu
58 CARCINOMA LARYNGIS-
bilden; an ilim beginnt der Krebs entweder als Tumor oder als oberflächliche
Epithelverdickung oder als dittuses Infiltrat durch seine ganze Dicke.
Der Tumor ist rundlich oder länglich, jedoch immer ungestielt, der oberen
oder öfter der unteren Fläche aufsitzend, mehr weniger roth und oft leicht
höckerig. Von dem kleinem Fibrom ist er oft schwer zu unterscheiden; doch spricht
für Carcinom die Härte, dann stärkere Röthung der Umgebung und eine wenn
auch geringe Einschränkung der Beweglichkeit des Stimmbandes. Jedenfalls
wird man den kleinen Tumor entfernen und dabei durch eine relativ stärkere
Blutung mehr zur Annahme eines Carcinoms geneigt sein; die histologische
Untersuchung wird dann gewöhnlich jeden Zweifel beseitigen. Gibt das
Mikroskop keine sicheren Anhaltspunkte, so wird vielleicht die schnelle
Recidive die Bösartigkeit wahrscheinlich machen. Oefters zeigt dann die
neuerdings exstirpirte Neubildung deutlich den krebsigen Bau.
Oberflächliche, aber meist ausgebreitete Epithelverdickung kommt sowohl
auf dem nicht verdickten Stimmbande, als auch auf den Tumoren vor; tritt
sie in Form von kreideweissen Massen auf, so ist sie nach B. Fränkel sehr
verdächtig auf Krebs. Als papilläre Geschwulst beginnend hat der Krebs viel
Aehnlichkeit mit dem gutartigen Papillom, unterscheidet sich aber meist von
ihm durch Blutreichthum, Röthung der Umgebung, Beschränkung der Beweg-
lichkeit des Stimmbandes und Neigung zur schnellen Recidive. Auch tritt
das gutartige Papillom oft an mehreren Stellen zugleich auf, während die
bösartige Geschwulst meist nur an einem Orte sich entwickelt und anfangs
auch nur dort recidivirt.
Difl'use rothe Infiltration des Stimmbandes oder längliche Infiltrate unter-
halb desselben bilden auch manchmal die erste Erscheinung des Krebses.
Diese Formen sind oft sehr schwer gegen ähnliche Infiltrate infolge von
Tuberculosis und Syphilis abzugrenzen. Für Tuberculosis werden gewöhnlich
die Blässe des übrigen Kehlkopfes, anderweitige Infiltrate und Geschwüre, die
Lungenaffection und die Sputumuntersuchung Anhaltspunkte liefern. Bei
Syphilis kann aber öfters das Infiltrat das einzige Symptom sein; in solchen
Fällen bleibt dann nichts übrig, als eine antisyphilitische Cur einzuleiten und
derart die Diagnose ex juvantibus zu stellen.
Natürlich wird man in allen Fällen die sichere Diagnose so bald als
möglich zu stellen suchen, da Anfangsformen verhältnismässig gute Chancen
für operative Radicalheilung haben. Das sicherste Mittel zur Diagnose ist
aber die histologische Untersuchung exstirpirter Geschwulststücke. Daher
wäre bei allen verdächtigen Anfangsformen ein Stück zu exstirpiren; diese
Operation ist nach den meisten Autoren unschädlich, da sie nach ihr kein
auss ergewöhnlich schnelles Fortschreiten des Krebses beobachteten. Jeden-
falls muss ein Stück entfernt werden, welches bis in das Gesunde geht, worauf
sowie auf andere Cautelen bei der histologischen Untersuchung besonders
B. Fränkel aufmerksam machte. Das Stück muss senkrecht auf die Ober-
fläche geschnitten werden, es muss sich atypische Wucherung des Epithels
und Polymorphie desselben nachweisen lassen, um Krebs zu diagnosticiren.
Denn einfache Epithelverdickung mit Aussendung einzelner Zapfen in das ent-
zündlich infiltrirte Bindegewebe kommt auch bei Pachydermia diffusa (Virchow)
infolge von chronischem Katarrh und bei chronischen, tuberkulösen und
syphilitischen Infiltraten vor. Man ersieht aus diesen Angaben, dass auch die
histologische Untersuchung nicht immer bestimmte Auskunft geben kann.
Dann bleibt zunächst nur weitere Beobachtung über und Berücksichtigung
aller anamnestischen Momente.
Anfangsformen des Krebses an anderen Stellen als an den Stimmbändern
bekommt man wohl auch deshalb selten zu sehen, da sie kaum Störungen
veranlassen, während die an den Stimmbändern sitzenden Formen frühzeitig
Heiserkeit bedingen und so den Patienten zum Arzte treiben. Sie treten auch
CARCINOMA LARYNGIS. 59
entweder als umschriebene, rundliche oder papilläre Tumoren oder als diffuse
Infiltrate auf und müssen in derselben Weise diagnosticirt werden wie an den
Stimmbändern, F'ränkel betont, dass man an diesen Tumoren die kreide-
artigen Auflagerungen nicht sehe, und dass sie grosse Neigung haben, zu blumen-
kohlähnlichen Gebilden heranzuwachsen (Fig. 1). Zwei Ursprungsorte muss ich
aber besonders erwähnen, nämlich den MoKGAGNi'schen Ventrikel und den Sinus
pyriformis. Das im Ventrikel beginnende Carcinom kann das Taschenband
nach innen vorwölben und eine Schwellung desselben vortäuschen, wie sie bei
Tuberkulose und Syphilis nicht so selten vorkommt. Eine genaue Betrachtung
zeigt aber meist, dass das Taschenband nur passiv gedehnt und nicht selbst
infiltrirt ist. Man wird dann versuchen müssen, ein Stück des Tumors aus
dem Ventrikel zu entfernen, um die Diagnose festzustellen.
Im Sinus pyriformis endliich entwickelt sich nicht so selten das Carcinom
als kleine Geschwulst, die sehr wenig im Schlingen stört und oft sehr schwer
zu sehen ist. Dagegen aber inficirt diese Form sehr schnell die Halslymph-
drüsen, welche oft zu umfangreichen Geschwülsten heranwachsen, während das
primäre Carcinom lange Zeit klein bleibt. Solche Drüsen wurden schon öfters
als Lymphome exstirpirt, zeigten sich aber bei der histologischen Unter-
suchung als carcinomatös. Man richte deshalb sein Augenmerk in ähnlichen
Fällen auf den Sinus pyriformis; nicht selten sieht man in der Tiefe des einen
oder anderen Sinus von Schleim bedeckt einen höckerigen Tumor oder an der
Aussenwand der ary-epiglottischen Falte den gelblichen, höckerigen Kand eines
carcinomatösen Geschwüres, während das Schlingen noch kaum behindert ist.
Alle diese Anfangsformen wachsen nun weiter, sehr häufig zunächst in
die Tiefe, wodurch bei Sitz an den Stimmbändern oder in der Nähe der Ary-
knorpeln theils durch Vordringen in die Muskulatur, theils durch Schädigung
des Gelenkes zwischen Ary- und Ringknorpel die Beweglichkeit der Stimm-
bänder beeinträchtigt wird. Dieses Symptom ist sehr wichtig zur Abgrenzung
gegen gutartige Geschwülste. Natürlich veranlasst der am Stimmband sitzende
Krebs frühzeitig Heiserkeit, welche mit Beschränkung der Beweglichkeit der
Stimmbänder noch zunimmt. Schmerzen fehlen in diesem Stadium sehr oft,
doch treten sie hie und da schon frühzeitig auf, sind aber durchaus nicht
immer gegen die Ohren ausstrahlend und stechend. Uebrigens bedingen auch
tuberkulöse und syphilitische Infiltrate manchmal ähnliche Schmerzen.
t Die Tumoren und Infiltrate wachsen aber auch bald gegen das Larynx-
Lumen zu und bilden dann mehr weniger höckerige, oft umfangreiche Ge-
schwülste, welche das Lumen einengen, bleiben aber gewöhnlich lange Zeit
einseitig (Fig. 1). Sie substituiren einzelne Theile
des Kehlkopfes völlig. Schlingbeschwerden fehlen
bei dem inneren Krebs sehr lange Zeit, dagegen
treten sie vor der Heiserkeit auf, wenn der Krebs
von der Epiglottis oder der hinteren äusseren Kehl-
kopfumrahmung ausgeht. Bei der Ausbildung von
grösseren Tumoren und Infiltraten ist die Dia-
gnose viel leichter. Verwechslungen könnten vor-
kommen mit Sarkom, Syphilis, Tuberkulose und
mit gutartigen grösseren Neubildungen. pig. i. Biumenkohiäimucher Krebs.
Sarkome sind sehr selten, treten jedoch
öfters beiderseitig auf, aber auch entweder als mehr diffuse oder mehr umschrie-
bene, breitbasige Geschwülste. Die Differentialdiagnose kann oft nur durch
histologische Untersuchung eines exstirpirten Partikels gestellt werden.
Tuberkulöse oder syphilitische Infiltrate substituiren nie in
dem Grade wie das Carcinom einzelne Larynxtheile, so dass man immer
noch die Form derselben erkennt. Sie sind häufig bilateral und präsentiren
sich selten als umschriebene Tumoren. Nur bei Tuberkulose beobachtet man
60 CARCINOMA LARYNGIS.
relativ häufig Tumoren an der vorderen Fläclie der Interarytaenoidfalte; aber
gerade dort beginnt der Krebs selir selten. Endlich wird man bei Tuber-
kulose fast nie die Lungenaffection vermissen und ge^YÖhnlich im Sputum
Tuberkelbacillen finden.
Für Syphilis endlich spricht der Nachweis einer syphilitischen Infec-
tion, der Befund von Geschwüren oder Nekrosen in der Nase und im Rachen
und der Erfolg einer antisyphilitischen Allgemeinbehandlung. Zu erwähnen ist
endlich noch die Pachydermia diffusa (Vikchow), welche sich meist in
Form charakteristischer schalenförmiger Wülste gewöhnlich an beiden Pro-
cessus vocales, seltener als grössere, höckerig warzige Wucherungen an der
Interarytaenoidfalte dem Auge darbietet, an welchen Orten das Carcinom fast
nie beginnt. Ihre Localisation und ihre charakteristische Form kennzeichnen
sie hinreichend; dazu kommt noch der Umstand, dass sie nicht um sich
greifen, die Beweglichkeit der Stimmbänder kaum beeinträchtigen und nie zu
grösseren Tumoren heranw^achsen. Dass sie in Carcinom übergiengen, hat
man noch nie beobachtet, trotzdem ihr enorm dickes Epithel grosse Zapfen
in das dichte infiltrirte Bindegewebe aussendet.
. IL Stadium der JJlceration.
Ist gekennzeichnet durch oberflächlichen Zerfall der Tumoren. Daneben
aber dringt die krebsige Infiltration immer weiter sowohl nach der Fläche
als auch in die Tiefe vor; es bilden sich neue Tumoren, das Kehlkopflumen
wird mehr eingeengt, doch bleibt auch jetzt noch sehr häufig das Leiden
einseitig. Perichondritis gesellt sich hinzu, und öfters werden schon die
benachbarten Lymphdrüsen inficirt; am frühesten wird die am Ligamentum
conicum liegende Drüse palpabel. Die Geschwüre an den Tumoren sind
unregelmässig gezackt, nicht selten am Rande und Grunde mit höckerig
warzigen, gelblichen oder röthlichen Vorsprüngen besetzt. Entsprechend diesen
Veränderungen nimmt die Heiserkeit bedeutend zu, die Stenose steigert sich
und nöthigt gewöhnlich zur Ausführung der Tracheotomie; Hustenreiz macht
sich oft bemerkbar, und Schmerzen können sowohl spontan als auch namentlich
beim Husten und Schlingen den Patienten quälen. Doch beobachtet man auch
öfters Fehlen aller Schmerzen. Endlich ist als wichtiges Symptom das
Auftreten von blutigem oder blutig-eitrigem Auswurfe zu erwähnen, besonders
wichtig zur Difierentialdiagnose gegen tuberkulöse oder syphilitische Ge-
schwüre, bei denen es fast nie zu Blutungen kommt. Uebrigens ist die
Diagnose in diesem Stadium viel leichter als im ersten; eine Verwechslung
w^äre nur möglich mit grossen Papillomen, mit tuberkulösen Geschwüren, mit
papillärer Wucherung des Randes und mit chronischer, diffuser Infiltration
und Perichondritis infolge von Syphilis. Folgende Punkte sind da zu be-
achten: Gutartige Papillome ulceriren nie und sitzen nie auf gerötheter, ent-
zündeter Basis auf.
In der Umgebung von tuberkulösen Geschwüren findet man oft miliare
Knötchen, ausserdem sind die früher angegebenen differentiellen Momente zu
verwerten. Endlich werden Probeexcisionen immer Material für histologische
Diagnose geben. Nur bei diffusen Infiltraten, deren Probeexcisionen manchmal
nicht leicht ausführbar, bei drohender Stenose sogar gefährlich sind, wird
erst Erhebung der Anamnese, die genaue klinische Untersuchung und die
Einleitung einer antisyphilitischen Therapie gewöhnlich die Sachlage klären.
Doch darf man nicht vergessen, dass einerseits auch die Röthung und Schwel-
lung in der Umgebung von Carcinomen auf Jodkali anfangs nicht so selten
zurückgeht, dass anderseits manchmal umfangreiche, derbe syphilitische In-
filtrate gar nicht auf specifische Therapie reagiren. Endlich kann das fibröse
Carcinom nach und nach den ganzen Larynx ergreifen, ohne umschriebene
CARCINOMA LARYNGIS. 61
Tumoren oder Zerfallserscheinungen zu veranlassen. Einzelne Fälle werden
daher nur nach langer Beobachtung richtig erkannt werden.
///. Stadium der Nekrose.
Dasselbe tritt um so früher ein, je weicher und zellenreicher die Neu-
bildung ist; sie zerfällt und wird in kleineren oder grösseren übelriechenden
Fetzen, meist von Blutungen begleitet, abgestossen. Der Athem des Kranken
nimmt einen üblen Geruch an. Gleichzeitig bilden sich immer neue Tumoren
theils im Larynxlumen selbst, theils nach aussen ragend, theils ergreift die
krebsige Wucherung die Knorpel, veranlasst oft Eiterung zwischen Perichon-
drium und Knorpel und führt zu vorübergehenden, entzündlichen Schwellungen,
welche die eigentlichen Tumoren manchmal verdecken. Nicht selten kommt
es zu Nekrosen der Knorpeln, die dann in grösseren oder kleineren Stücken
abgestossen werden.
Nachdem in dieser Weise der ganze Kehlkopf ergriffen ist, wächst der
Krebs in die Luftröhre hinein und bildet in der Trachealöffnung pilzartige,
höckerige, leicht blutende Tumoren, er wächst durch die Kehlkopfknorpel
hindurch in den Rachen und nach aussen und greift vom Kehldeckel auf die
Zunge über. Der Kehlkopf wird im ganzen breiter und dicker und schliesslich
verwächst er mit der Haut des Halses.
Die Lymphdrüsen des Halses werden nach und nach alle ergriffen,
wachsen oft zu grossen Knoten heran, die unter sich und mit dem Kehlkopf-
krebs zu umfänglichen, harten Tumoren verschmelzen. Diesen Veränderungen
entsprechend wird die Heiserkeit stärker, steigert sich oft zur Aphonie, das
Schlingen wird unmöglich, die Trachealcanüle wird oft verstopft, lauter
Symptome, die den Patienten sehr quälen.
Nicht selten aber wird vorübergehend durch Abstossung grosser Stücke
das Schlingen und Athmen sehr erleichtert. Doch hält diese Besserung nicht
lange an, und die früheren Beschwerden stellen sich wieder ein. Die oft
wiederholten Blutungen, die Jauchung der umfänglichen Tumoren, die unge-
nügende Ernährung, die später oft nur mit Hilfe der Schlundröhre möglich
ist, führen endlich den Tod durch Erschöpfung herbei, wenn nicht schon
früher Suffocation oder eine Schluckpneumonie dem Leben ein Ende macht.
Diese letzten Stadien der Erkrankung sind für den Patienten, den Arzt und
die Umgebung eine wahre Leidensschule und stellen wegen der oft nöthigen
Reinigung oder Entfernung der Canüle, wegen der Sondenfütterung, wegen
Stillung der Blutungen und Desinfection der jauchenden Geschwüre die
grössten Anforderungen an die Humanität des Arztes.
Durchschnittlich nimmt man die Lebensdauer bei Kehlkopfkrebs auf
2V2 — 4 Jahre an, je nachdem es sich um Epitheliom oder medulläres Carcinom
handelt. Natürlich kann auch das Leiden schneller zum Tode führen, schon
in 1 bis 1 V2 Jahren bei stark wucherndem Neoplasma. Endlich werden auch
Fälle von fünf bis sechsjähriger Dauer berichtet; besonders verdanken wir
Krieg (Stuttgart) eine sehr interessante Mittheilung über ein Drüsencarcinom,
welches er oft endolaryngeal unvollständig operirte. Es recidivirte zwar mehr-
mals, aber nahm nie grossen Umfang an, so dass die Patientin sechs Jahre und
zwei Monate nach Beginn der Neubildung sich sehr wohl befand. Natürlich
bleibt hier die Frage offen, ob diese Neubildung nicht mehr zu den Adenomen
zu rechnen ist.
Jedenfalls hängt die Dauer des Leidens hauptsächlich von der Art des
Krebses und der Rapidität seines Wachsthums ab, worauf schon früher hin-
gewiesen wurde.
Das secundäre Larynxcarcinom entsteht durch Uebergreifen der
krebsigen Wucherung von der Nachbarschaft, namentlich vom Zuugengrund,
62
CARCINOMA LARYNGIS.
Fig. 2. Vom Pharynx auf die hintere Larynx-
wand übergreifendes Epithelialcarcinom.
vom Kachen (Fig. 2) und von den Tonsillen her. Die Diagnose wird hier
meist leicht sein, da das Carcinom an diesen Stellen charakteristisch ist.
Die Symptome werden so lange die des primären Tumors sein, als nicht
die Stimme und Athmung gelitten haben;
jedenfalls wird der Kehlkopfspiegel Auf-
schluss geben, inwieweit der Kehlkopf
betroffen ist, ob in ihm blos collaterales
Oedem oder wirklich Carcinom sich ausge-
bildet hat.
Prognose. Dieselbe ist natürlich
schlecht; doch hat die Therapie auf den
Verlauf einen so bedeutenden Einfluss,
dass sie zunächst ins Auge gefasst" wer-
den muss.
Exspectative, symptomatische Therapie
wird von vielen Autoren empfohlen, und
zwar aus folgenden Gründen, die später
noch eingehend kritisirt werden:
1. Bei langsamer wachsenden Formen bleibt das Leben oft über drei
Jahre erhalten, ohne Exstirpation.
2. Bei schnell wachsenden hat auch die Exstirpation keine günstigen
Erfolge aufzuweisen.
3. Die totale oder 2yartieUe Exstirpation gefährdet immer das Leben in
hohem Grade, und zwar innerhalb der ersten Wochen nach der Operation.
4. Die endolaryngeale Exstirpation, die nur ausnahmsweise radical sein
kann, befördert meist das Wachsthum des Krebses.
Daher empfehle sich nur Beobachtung des Kranken und die Bekämpfung
der Athemnoth, wenn dieselbe eintritt. Zu dem Zwecke nehme man die tiefe
Tracheotomie vor, um möglichst weit von dem Krankheitsherde entfernt
zu sein.
Natürlich wird diese Behandlungsmethode auch angewendet werden
müssen, wenn der Patient die Vornahme einer radicalen Operation ver-
weigert.
a) Endolaryngeale Exstirpation. Dieselbe wird nur in seltenen Fällen radical
vorgenommen werden können, namentlich dann, wenn kleine, umschriebene
Tumoren nur an den Stimmbändern sitzen. Man muss sie mit schneidenden
Pincetten, Messern, Schlingenschnürern oder dem Galvanokauter exstirpiren
und die Basis gründlich zerstören. In dieser Art exstirpirte B. Fränkel 1881
ein Cancroid des Stimmbandes, welches er Viechow zur Untersuchung übergab.
ViRCHOw stellte auch die Diagnose auf Cancroid. Ebenso wurde ein 4 maliges,
locales Recidiv endolaryngeal entfernt, und von Prof. Madelung eine Halslymph-
drüse, die sich als carcinomatös entartet nachweisen Hess. Der Patient blieb
nach der letzten endolaryngealen Operation gesund, wie B. Fränkel noch
18S9 berichtet. Von fünf anderen ähnlich behandelten Fällen blieb einer
zwei Jahre, einer sechs Monate geheilt, während einer keine Nachricht von
sich gab und zwei wegen Ausbreitung der Geschwulst sich der Laryngofissur
unterziehen mussten.
ScHNiTZLEß und M. Schmidt erzielten auch durch endolaryngeale .
Operation histologisch sichergestellter Carcinome der Stimmbänder viele Jahre
lang dauernde Heilung. Gonguenheim exstirpirte einen gestielten Krebs des
linken Taschenbandes mit der Zange und constatirte noch nach sechs Monaten
Heilung. Ich will nur diese Fälle erwähnen, um die Möglichkeit radicaler
endolaryngealer Exstirpation zu zeigen, aber gleich hinzufügen, dass Fränkel
selbst sie nur für besonders günstig gelegene, kleine Tumoren empfiehlt.
Sendziak in Warschau hat jüngst in einer sehr gediegenen Arbeit 32 solche
CARCINOMA LARYNGIS. 63
Fälle gesammelt mit 12-57o definitiver, d. h. über drei Jahre dauernder
Heilung.
Es ist aber nie sicher zu beurtheilen, ob ein Tumor radical vom Munde
aus entfernt werden kann; dagegen macht man partielle Entfernungen eines
bösartigen Tumors öfters, namentlich in zwei Fällen: 1. wenn die Diagnose
nur durch histologische Untersuchung möglich ist und 2. wenn bei ver-
weigerter oder unausführbarer Radical-Exstirpation umschriebene, leicht zu
exstirpirende Theile des Tumors besondere Beschwerden machen. Aus diesen
zwei Ursachen habe ich schon oft Stücke der Neubildungen entfernt, ohne
jemals bis auf einen Fall starke Blutungen oder schnelleres Wachsthum dar-
nach zu beobachten. Sonst soll man nach meiner Ansicht mit endolaryn-
gealen Eingriffen bei Carcinom thunlichst zurückhalten, wenn man nicht
Aussicht auf radicale Exstirpation hat. Krieg dagegen ist anderer Ansicht,
da er auch in vorgerückteren Stadien bei Verweigerung radicaler Exstirpation
Schlinge, scharfen Löffel, ja sogar Galvanokaustik fleissig anwendet. Natürlich
kann in solchen Fragen nur eine Vergleichung vieler Fälle entscheiden; doch
schon jetzt lässt sich nicht bestreiten, dass Fälle von endolaryngealer Hei-
lung des Krebses zweifellos constatirt sind, und dass endolaryngeale Eingriffe
gewöhnlich kein schnelleres Wachsthum des Kehlkopfkrebses bedingen.
h) ExstiriMÜon von aussen her. B. Fkänkel hält die Exstirpation von
aussen her nur dann für indicirt, wenn die endolaryngeale Methode versagt
oder von vorne her nicht anwendbar ist (wegen zu grosser Ausbreitung der
Geschwulst oder ungünstiger, etwa subglottischer Localisation); die meisten
anderen Laryngologen aber empfehlen bei jedem sicher diagnosticirten Krebs
sofort einen äusseren Eingriff, weil derselbe mehr Aussicht auf radicale Exstir-
pation bietet.
Als Contraindicationen werden angenommen zu hohes Alter, Hin-
fälligkeit, starke Bronchitis, Herzleiden und überhaupt schwächliche Consti-
tution des Patienten, dann zu bedeutende Ausbreitung des Krebses über den
Larynx hinaus (auf Luftröhre, Rachen, Gaumen oder Zunge) oder hochgradige
Betheiligung der Halslymphdrüsen, namentlich wenn sie der Scheide der
grossen Halsgefässe aufsitzen. Doch sind in dieser Beziehung die Ansichten
der einzelnen Operateure sehr verschieden; sicher ist nur, dass die Aussicht
auf radicale Entfernung alles Krankhaften und noch mehr auf Ausbleiben von
Ptecidive bei grosser Ausbreitung des Processes minimal wird.
Die bei der Entfernung des Kehlkopfkrebses in Betracht kommenden
Operationen sind die Laryngotomia subhjoidea, die Laryngofissur, die iMrtielle
und totale Exstirpation des Larynx.
Die Laryngotomia seu Pharyngotomia subhyoidea, bei welcher die Mem-
brana hyothyreoidea durch einen Querschnitt unter dem Zungenbeine durch-
trennt wird, käme nur in Betracht bei einem isolirten Krebs der Epiglottis
und der Aryknorpel, scheint aber bis jetzt zu diesem Zw^ecke sehr selten aus-
geführt zu werden. Man schickt dieser Operation natürlich die Tracheotomie
vorher, und zwar entweder unmittelbar oder einige Tage oder Wochen früher,
um mit der Tamponcanüle nach Trendelenbueg die Trachea während der
Pharyngotomia tamponiren zu können. Ein Hauptnachtheil dieser Operations-
methode ist der Mangel an Raum, der dann die Exstirpation der Geschwulst
und die exacte Blutstillung sehr erschwert. Der Vorzug, dass man die Stimm-
bänder ganz unberührt lässt, wird durch den obigen Nachtheil weitaus auf-
gewogen, so dass wohl die meisten Operateure die Spaltung des Schildknor-
pels oder die partielle oder totale Exstirpation des Kehlkopfes vorziehen
dürften. Nach einer Statistik von Sendziak (1897) wurde die Laryngotomia
subhyoidea 8mal wegen Larynxkrebs ausgeführt; mehr als die Hälfte starb
infolge der Operation.
64 CARCINOMA LARYNGIS.
Die Lanjngoßssur, d. h. die Spaltung des Kehlkopfes in der Median-
ebene, wurde zuerst 1833 von Brauers in Löwen vorgenommen, um eine
warzenartige Geschwulst des Kehlkopfes (wahrscheinlich wohl ein Epithelial-
carcinom) zu entfernen. Die Neubildung recidivirte jedoch immer wieder, so
dass man die Wunde öfters wieder öffnete, um die Wucherungen zu entfernen,
was aber nie radical gelang. Ehrmann in Strassburg machte dieselbe Opera-
tion mit gutem Erfolge 1844 wegen Papillom, und Gordon Bück führte
sie 1851 an demselben Individuum 2 mal wegen Carcinom aus, ohne radical
exstirpireu zu können.
Seit der Einführung des Kehlkopfspiegels mehrten sich diese Operationen
besonders zum Zwecke der Entfernung gutartiger Neubildungen, so dass Paul
Bruns 1878 unter 97 Thyreotomien nur 19 anführen konnte, die wegen
Carcinom, und 5, die wegen Sarkom vorgenommen waren.
Es eignet sich nämlich die einfache Spaltung des Kehlkopfes nur für
beginnende Carcinome, und zwar besonders der Stimmbänder, während für
grössere Krebse nur die Exstirpatio laryngis in Frage kommt.
Die Laryngofissur oder Laryngofission begreift zwei Arten von Opera-
tionen in sich, nämlich die Spaltung des Schildknorpels fgewöhnlich Thyreo-
tomie oder totale Laryngotomie genannt) und die Spaltung des Kehlkopfes
mit Schonung des Schildknorpels (partielle Laryngotomie) ; für den Krebs kommt
nur die erstere Methode in Frage.
I. Thyreotomie.
Hier wird der Schildknorpel in der Medianebene gespalten, und zwar
allein oder zugleich auch der Eingknorpel und das Ligamentum conicum. Vorher
ist meist die Tracheotomie vorzunehmen; in Paul Bruns' 97 Fällen wurde
nur 21 mal ohne Tracheotomie operirt.
Es wird sich wegen der oft bedeutenden Blutung fast immer empfehlen,
die TRENDELENBURG'sche Tampoucauüle oder die Schwammcanüle nach Hahn
und Michael einzuführen oder bei herabhängendem Kopfe zu operiren, welch
letztere Lage jedoch für den Operateur nicht sehr bequem ist. Auch hat
man einfach die Trachea oberhalb der Canüle mit einem Schwamm oder mit
Jodoformgaze tamponirt.
In den 19 Fällen, die Paul Bruns aufzählt, wurde nur einmal die
Tracheotomie unterlassen. Gewöhnlich spaltete man nebst Schildknorpel auch
den Ringknorpel. Trotzdem war die Entfernung der Neubildung meist sehr
schwierig (wegen der Beschränkung des Raumes, da die beiden Schild-
knorpelplatten meistens nicht sehr weit auseinandergezogen werden können)
und in sehr vielen Fällen unvollständig. 2 mal trat der Tod infolge der
Operation ein, und in den 17 Fällen mit Verheilung der Wunde entstand
12 mal sehr bald locale Recidive, 3 mal recidivirte die Neubildung etwas
später, 3 mal fehlt jede Nachricht, und nur in einem Falle fand sich 22 Monate
nach der Operation der Kehlkopf frei.
Von den 10 Fällen Billroth's (1870—1889) starben 3 wenige Tage
nach der Operation, 4 bekamen Recidive, 1 wurde nur kurze Zeit beob-
achtet, und nur in 2 Fällen wurde noch nach 6 — 8 Jahren völlige Heilung
constatirt, trotzdem 7 mal nur das Stimmband betroffen war.
Viel günstiger sind die Erfolge in der neueren Zeit geworden. Zwei
Statistiker geben darüber Aufschluss. Die eine rührt von Sendziak in
Warschau und die zweite von Schmiegelovs^ in Kopenhagen her. Sendziak
berücksichtigt nur die Fälle von 1851 bis 1894 inclusive, während Schmiegelow
die Fälle von 1890 bis 1896 zusammenstellt. In allen diesen Fällen wurden
nach Spaltung des Schildknorpels nur Weichtheile, und zwar gewöhnlich nur
ein Stimmband entfernt.
CARCINOMA LARYNGIS.
65
Sendziak
Zahl der Fcälle
Definitive Heilung, d. h. mehr als
3 Jahre keine Kecidive.
Relative Heilung, d. h. bis 1 Jahr
ohne Recidive.
92
(8) 8-7%
(12) 13»/„
Schmiegelow
40
(7) l4-3»/o
(21) 42-67o
Recidive.
Tod in Folge der Operation, d. h.
innerhalb einiger Wochen nach
der Operation.
Zu kurze Beobachtung.
(49) 53-3%
(14) 28-5%
(9) 9-8«/o
(7) 14-3%
(8) 8-7«/o
Die Zahlen der SENDziAK'schen Statistik citire ich nach des Autors
Angaben, obwohl weder die einfachen noch die percentuellen Angaben stimmen.
Es mag das wohl davon herrühren, dass Sendziak nur über 85 verschiedene
Patienten, aber über 92 Thyreotomien berichtet, weil bei 7 Patienten die
Operation zweimal vorgenommen wurde.
Trotz dieser Ungenauigkeit erhellt aber deutlich aus dieser Statistik die
Besserung der Resultate gegenüber der Statistik von Paul Bruns.
Noch mehr tritt dies hervor in der ScHMiEGELOw'schen. Die Zahl der
Heilungen hat sich von 21-77o auf 56'9% gehoben, die der Ptccidiven von
53-37o auf 28'57o vermindert. Da nun die ScHMiEGELOw'sche Statistik nur
die neuere Zeit umfasst, die SENDziAK'sche dagegen auch die ältere Zeit von
1851 bis 1894, so muss man die bessere Technik, sowie die sorgfältigere
Auswahl der Fälle als Grund der besseren Resultate annehmen.
Die geringe Zahl der Todesfälle infolge der Operation spricht eben-
falls für dieselbe. Natürlich ist sie nur verwendbar bei günstigem Sitze und
geringer Ausbreitung des Krebses. Namentlich die Fälle von Stimmband-
krebs sind für sie geeignet.
Die Operation selbst ist nicht schwer auszuführen; man nimmt Tracheo-
tomie vor und spaltet dann entweder das Ligamentum conicum oder die
Weichtheile unmittelbar ober der Incisur der Schildknorpelplatten, um von
dort aus starke Messer, Scheeren oder Knochenscheeren in den Schildknorpel-
winkel einführen zu können. Gewöhnlich gelingt nämlich die Spaltung des
Schildknorpels von aussen mit einem Messer nicht, da er meist verknöchert
ist; jedenfalls wäre aber dieser Vorgang zunächst zu versuchen und dann erst
mit Knochenscheeren einzugehen. Immer aber achte man darauf, den vor-
deren Ansatz der Stimmbänder zu schonen (was für die phouatorische Function
sehr wichtig ist), und spalte die Schildknorpelplatten so, dass höchstens das
kranke Stimmband verletzt werden kann; man halte sich also gegen die
kranke Seite. Gewöhnlich muss man dann noch den Ringknorpel spalten, um
mit scharfen Haken die Schildknorpel auseinander ziehen zu können. Dabei
wird man häufig erstaunt sein, wie enge auch jetzt der Zugang zum Kehl-
kopflumen ist.
Hat man schon früher die Tamponcanüle eingeführt, so kann man sofort
das Kehlkopflumen mit 5 böiger Cocainlösung auspinseln, um den Sturm von
Husten und Würgen zu besänftigen, der sich sofort nach Spaltung des Schild-
knorpels einstellt. Anderen Falles hat man zuvor noch den Raum ober der
Ohren-, Nasen-, Eachen-, Kehlkopf krankheiten. ^
66 CARCINOMA LARYNGIS.
Canüle mit Jodoformgaze auszufüllen, um das Einfliessen von Blut oder Schleim
in die Trachea zu verhüten. Namentlich Schleim strömt von Mund und
Eachen und Speiseröhre in grosser Menge in den Kehlkopf und stört sehr
bei den nachfolgenden Acten, wenn man auch die Empfindlichkeit der Kehl-
kopfschleimhaut durch Cocain herabgesetzt hat.
Unter guter Beleuchtung, wozu sehr zweckmässig die Stirnreflectoren
dienen können, hat man sich nun von dem Sitze und der Ausdehnung des
Krebses zu überzeugen und nochmals zu beurtheilen, ob er noch mit Schonung
der Knorpel wand des Kehlkopfes radical exstirpirt werden kann. Mir scheint
das nur dann halbwegs sicher, wenn nur das Stimmband ergriffen und noch
beweglich ist, was man eben vorher mit dem Kehlkopfspiegel zu consta-
tiren hat.
Nun umschneidet man die Neubildung im Gesunden bis auf den Knorpel,
hebelt die Weichtheile mit dem Elevatorium ab und zwar von hinten nach
vorne und trennt die letzten Verbindungen mit der Scheere.
Dann folgt Stillung der Blutung (die meist unbedeutend ist) und Tam-
ponade des Kehlkopfes mit Jodoformgaze. Eine Naht des Knorpels ist nicht
nöthig. Die Canüle lässt man einige Tage bis 172 Wochen liegen, bis die
Kehlkopfwunde granulirt, und kann sie dann gewöhnlich für immer entfernen,
wenn nicht starke entzündliche Erscheinungen im Kehlkopfe auftreten. Das
Schlingen erfolgt oft schon am Tage der Operation selbst anstandslos, ist
aber manchmal durch 1 Woche hindurch sehr schmerzhaft. Der Kehlkopf
wird durch Heftpflasterstreifen zusammengezogen und wächst gewöhnlich
gut zu. In neuester Zeit haben Butlin und Semon in London gleich nach
vollendeter Excision des Tumors und sorgfältigster Blutstillung die Canüle
völlig entfernt und die Hautwunde vernäht. Dadurch wurden alle Nachtheile
der Canülen-Athmung verhindert und dem Patienten das Schlingen sehr er-
leichtert.
In günstigen Fällen (wo nur das eine Stimmband exstirpirt werden
musste) bleibt das andere ganz intact; nach einigen Wochen schon sprechen
die Patienten ganz vernehmlich, ja nach einigen Monaten bildet sich öfters
an Stelle des exstirpirten Stimmbandes eine vorspringende, platte, weisse
Narbenmembran, die die Phonation noch bedeutend verbessert. Einer meiner
Patienten, dem ich das rechte Stimmband auf diese Art exstirpirt hatte, hielt
einige Monate nach der Operation in einem grossen Saale einen Vortrag.
Er ist jetzt 3 Jahre nach der Operation ganz recidivfrei.
Man ersieht also, dass die Operation den schönsten, functionellen Erfolg
hat, sowohl in Bezug auf Athmung als auch auf Phonation, und dass sie des-
halb allen anderen vorzuziehen ist. Sie ist aber nur dann ausreichend, wenn
bloss das Stimmband betroffen und noch beweglich ist. Daher ist frühzeitige
Diagnose von grösster Wichtigkeit; wenn nämlich das Stimmband unbeweglich
geworden ist, ist meist schon das Gelenk zwischen Ary- und Ringknorpel ergriffen,
wenn man auch noch keine Schwellung daselbst sieht. In solchen Fällen
muss auch die Knorpelwand mit exstirpirt werden, man muss der Laryngo-
fissur die partielle oder halbseitige Exstirpation des Larynx folgen lassen, will
man radical vorgehen. Natürlich kann dies gleich im Anschluss an die
Laryngofissur erfolgen. Bevor ich aber die Exstirpatio laryngis bespreche,
möchte ich noch eine in neuester Zeit von Gersuny erdachte Operation zur
Blosslegung des Lumens des Kehlkopfes erwähnen.
VIT. Die horizontale Spaltung beider Schildknorpelplatten
oberhalb der wahren Stimmbänder. Gersuny beschrieb dieses Ver-
fahren als Laryngotomia transversa im Jahre 1892; sein Vorzug vor der
Pharyngotomia subhyoidea und der Laryngofissur beruht darauf, dass man
sowohl die Stimmbänder, als auch die Aditus ad laryngem verschont. Auch
soll es guten Zugang zu der Glottis geben. Es wurde seit 1892 mehrere
CARCINOMA LARYNGIS. 67
Male angewendet ; bei Careinom dürfte es übrigens selten ausreichend sein.
Jedenfalls muss seine Brauchbarkeit bei dieser Erkrankung erst weiter erprobt
werden.
VIII. Partielle Ilesection des Larynx nach Heine 1874, darin
bestehend, dass man nach Laryngofissur einen Theil der einen oder beider
Schildknorpelplatten entfernt, also nur die vordere Wand des Larynx, wäre
indicirt, wenn sicher nur der vordere Antheil des Schildknorpels ergriffen ist,
was während der Operation sich zeigen müsste. Manchmal könnte man sich
begnügen, bloss den einen Aryknorpel zu entfernen. Gewöhnlich jedoch dürfte
es sich hier empfehlen, entweder den halben oder ganzen Larynx zu exstir-
piren, da bei Betheiligung der Knorpel gewöhnlich schon der Krebs weit aus-
gebreitet ist.
Halbseitige Exstirpation des Kehlkopfes wurde wie bekannt
zuerst von Billeoth 1878 ausgeführt, nachdem er schon 1873 die erste
totale Exstirpation wegen Krebs vorgenommen hatte. Sie ist indicirt bei
strenger Beschränkung des Krebses auf eine Hälfte des Kehlkopfes und gibt
recht gute functionelle Kesultate (bezüglich des Sprechens, Athmens und
Schlingens), so dass schon öfters die Patienten der Canüle ganz entbehren
konnten, und ist der totalen bei weitem vorzuziehen. Wichtig ist es daher,
immer die Diagnose zu stellen, so lange der Krebs noch einseitig ist. Die
Operation schliesst sich gewöhnlich an die Laryngofissur an, weil man sich durch
directen Einblick in den Kehlkopf noch genau über Ausdehnung des Krebses
Orientiren kann.
Dann präparirt man mit dem Elevatorium stumpf die Weichtheile nach
aussen von dem Schildknorpel und Ringknorpel ab, bis zum hinteren Ptande
desselben, wo die Constrictores pharyngis sich ansetzen. Dieselben und die
Pharynx-Schleimhaut werden vorsichtig knapp am Knorpelrande, am besten mit
der Scheere abgelöst. Dann durchschneidet man das Ligamentum hyothy-
reoideum nach vorheriger Unterbindung der Arteria laryngea superior, kneipt
eventuell das obere Hörn des Schildknorpels ab und dreht nun die so beweg-
lich gemachte Hälfte nach innen, um den Uebergang der Oesophagusschleim-
haut auf den Kingknorpel zu durchschneiden. Dann wird die hintere La-
rynxwand der Länge nach vertical in der Mittellinie gespalten, wozu man
zweckmässig theilweise den Thermokauter verwenden kann. Natürlich hat
man sich zu hüten vor Verletzung der hinteren Pharynxwand. Endlich trennt
man den Ringknorpel von dem ersten Trachealring ab, womit die Exstirpation
vollendet ist. Ist der Ringknorpel nicht ergriflen, so trennt man den Schild-
knorpel von dem Ligamentum conicum ab und schneidet mit der Scheere das
untere Schildknorpelhorn ab. Durch diese Schonung des Ringknorpels, die oft
möglich ist, wird die Operation sehr vereinfacht. Nach sorgfältiger Blutstillung
kann man auch die Schleimhaut des Oesophagus und Pharynx an die Ränder
der Hautwunde oder an den Schildknorpel annähen, um so den noch vor-
handenen Theil des Kehlkopfes von Rachen und Mund abzuschliessen.
Diese von Billroth empfohlene Methode bringt die mit Muskulatur
{Constrictores pharytigis) versehene Schleimhaut an die gesunde Kehlkopf-
hälfte heran und erleichtert die Ausbildung von Falten, die als Stimmbänder
functioniren können.
Nach der Operation wird gewöhnlich die Tamponcanüle durch eine
gewöhnliche ersetzt und der Raum ober ihr durch Jodoformgaze abgeschlossen,
um das Einfliessen von Schleim, Speichel und Speisen in die Luftwege zu
verhindern. Zum Zwecke der Ernährung legt man häufig ein dünnes, weiches
Schlundrohr in den Oesophagus ein und leitet es bei der Halswunde heraus;
man fixirt es durch eine Naht an dem Hautrande der Wunde. Billroth hat
jedoch in den letzteren Jahren das Schlundrohr nicht permanent liegen lassen,
sondern es immer vor jeder Fütterung ad hoc eingeführt, weil er Decubitus
5*
68
CARCINOMA LARYNGIS.
durch das lange Verweilen des Schlundrohres beobachtete. Endlich wird die
ganze Schliindhöhle mit Jodoformgaze tamponirt und der Kranke hochgelagert.
Die Nachbehandlung erfordert grosse Vorsicht, namentlich wegen der Sonden-
fütterung. Meistens ist offene Wundbehandlung ohne Naht angezeigt. Die
Canüle kann manchmal schon nach acht Tagen entfernt werden, öfters muss
sie jedoch dauernd getragen werden, je nach den Verhältnissen des Larynx-
lumens. Die künstliche Ernährung muss auch verschieden lange fortgesetzt
werden; jedenfalls soll man die ersten Schlingversuche machen lassen, so lange
die Kehlkopfhöhle noch tamponirt ist. .
Als üble Zufälle in der Zeit der Wundheilung können Nachblutungen,
Wundinfectionen oder Aspirationspneumonien oder Bronchitiden auftreten, deren
Therapie nach allgemeinen Grundsätzen erfolgt.
Einfacher gestaltet sich die ganze Sache, wenn die vordere Wand des
Oesophagus geschont werden kann, da dann die Patienten schon bald nach
der Operation auf gewöhnliche Weise schlucken können. Natürlich wird
alles erschwert, wenn auch noch ein Theil der äusseren Pharynxwand mit
ergriffen ist und entfernt werden muss. Das Verfahren während und nach
der Operation muss daher jedem Falle entsprechend modificirt werden.
Welche Resultate gibt nun die partielle Exstirpation des La-
rynx wegen Carcinom? Wasseemann (1889), Sendziak und Schmiegelow
(1897) haben Statistiken aufgestellt, welche ich hier folgen lasse:
Tod
innerhalb
14 Tagen
Tod
innerhalb
2 Monaten
Recidive
Infolge der Operation |
Tod an
intercurren-
ten Krank-
heiten
Heilung, aber
zu kurz
beobachtet
Heilung, über
3 Jahre
beobachtet
Vor 1881
10 Fälle
Nach 1881
40 Fälle
3
11
Summe
50 Fälle
14
In Procenten
28%
16%
12
24%
2%
2
10
12
24%
6«/o
Sendziak's Statistik 1876—1894,
1876-1894
110 Fälle
(29) 26-37o
(31) 28-2%
(13) ir8%
(10) 9%
Ungenaue Beobachtung (21) 19%
Schmiegelow's Statistik 1890—1897.
1890-1897
50 Fälle
(8) 16%
(18) 36o/o
(16) 32\
Bei Sendziak's Statistik stimmen die Zahlen nicht ganz, was sich theil-
weise daraus erklärt, dass 2 Fälle erst nach 6 resp. 8' 5 Jahren Kecidive
bekamen, und daher nicht als geheilt betrachtet werden können.
Diese Tabellen beweisen, dass sich in den späteren Perioden die in-
folge der Operation auftretenden Todesfälle sehr verminderten, dagegen die
Heilungen sehr vermehrten. Offenbar hängt dies zusammen mit der ver-
besserten Technik der Operation und Nachbehandlung.
CARCINOMA LARYNGIS. 69
Eecht günstig ist das functionelle Resultat, da von vielen Patien-
ten, welche die Operation überstanden, gemeldet wird, dass sie ohne Ganüle
athmeten, schluckten und meist auch verständlich sprachen, ohne irgend eine
Sprechcanüle zu tragen; Salzkr hat darüber aas Billkoth's Klinik sehr
wichtige Mittheilungen gemacht und auch durch Abbildungen der laryngo-
skopischen Bilder nach der Operation gezeigt, wie die Stimmbildung durch
Anlegen des erhaltenen Stirambandes an die Gegenseite des Kachens erfolgt.
IX. Totale Exstirpation des Larynx wurde zuerst wegen syphi-
litischer Stenose im Jahre 1866 von Watson in Edinburgh ausgeführt,
aber nicht weiter bekannt gemacht. Ganz unabhängig davon machte
CzEKNY 1870 die Exstirpation an Hunden und leitete davon die Möglichkeit
der Operation am Menschen ab; ja er construirte einen künstlichen Kehlkopf,
der zur Phonation dienen sollte. Nach diesen Vorarbeiten führte Billroth
1873 seine erste totale Exstirpation wegen Carcinom aus, die gut gelang;
doch starb der Patient sieben Monate später an Recidive. Seither wurde die
Operation oft vorgenommen, so dass Wassermann 1889 über 118 Exstir-
pationen bei Carcinom berichten konnte und nur über 16 wegen anderer
Leiden.
Natürlich wird man auch hier die Tracheotomie vorausschicken; bei den
obigen 134 Fällen wurde die Trachea gar nicht vorher eröffnet llmal, 7mal
geschah dies unmittelbar vor der Exstirpation und 41mal fehlen nähere Nach-
richten. 75mal aber wurde die Tracheotomie längere Zeit (bis einige Wochen)
vorausgeschickt, um die Stenose zu beseitigen und die Lungen unter normale
Verhältnisse zu bringen und so dem Patienten die Möglichkeit zu geben, sich
zu erholen, um die Trachea in ihrer normalen Lage zu fixiren, so dass ihr
Herabsinken nach Abtrennung vom Kehlkopf nicht möglich ist, und endlich
um durch die Narbenbildung um die Trachea herum eine Eitersenkung in
den prätrachealen Raum zu verhindern. Jedenfalls erfolgt auch die Ein-
führung der Tamponcanüle und die Narkose durch dieselbe leichter, wenn der
Patient sich schon durch einige Zeit an das Athmen durch eine Canüle ge-
wöhnt hat. Immer ist die tiefe Tracheotomie vorzuziehen, da bei der Exstir-
pation eine hoch oben, also nahe dem Kehlkopfe liegende Canüle sehr stört.
Andere Operateure, wie besonders Hahn, empfehlen aber, die Tracheo-
tomie unmittelbar der Exstirpation vorherzuschicken, wenn der Patient kräftig
ist, früher nicht an hochgradiger Stenose litt und keine Bronchitis hat, da
man dadurch dem Patienten eine Operation erspart.
Um das Hinabfliessen von Blut und Schleim in die Trachea während
der Operation zu verhindern, wendet man gewöhnlich die Trendelenburg' sehe
Tamponcanüle oder die Hahn-Michael Schwammcanüle an, oder tam-
ponirt den Raum ober einer gewöhnlichen Canüle mit Jodoformgaze fest aus.
Endlich hat man auch empfohlen, das Tracheallumen schon bei der voraus-
geschickten Tracheotomie ganz in die Hautwunde einzunähen.
Die totale Exstirpation selbst wird nun gewöhnlich von oben nach unten,
seltener umgekehrt ausführt.
Der Hautschnitt ist derselbe wie bei der Laryngofissur, nur reicht er bis
zum zweiten Tracheairinge. Durch seitliche horizontale Schnitte kann man
aber nöthigenfalls den Zugang erleichtern. Man dringt bis auf Schild- und
Ringknorpel ein, unterbindet beide Arteriae crico-thyreoideae, löst nun mit
dem Elevatorium die Weichtheile von dem Schildknorpel und Ringknorpel
€inerseits ab und durchschneidet endlich vorsichtig die Pharynxwand an ihrer
Anheftung an den Kehlkopf.
Ebenso verfährt man auf der anderen Seite. Dann durchschneidet man
nach Unterbindung der Arteria laryngea superior das Ligamentum hyothyreoi-
<leum laterale beiderseits, dann das Ligamentum hyothyreoideum mediale, legt
den so frei gemachten Larynx nach vorne um, durchschneidet die Pharynx-
70
CARCINOMA LARYNGIS.
Schleimhaut hinter den Aryknorpeln, wobei man auf die Arteriae laryngeae
inferiores zu achten hat, und löst endlich den Larynx von der Trachea ab.
Die Epiglottis ist meist mit zu entfernen.
Von unten nach oben geschieht die Exstirpation derart, dass man zuerst
die Luftröhre ober dem ersten Tracheairinge quer vom Kehlkopf abtrennt
und dann den Kehlkopf mit Haken nach oben zieht und ihn zunächst vom
Pharynx abschneidet, zuletzt aber vom Zungenbeine.
Bei Ausbreitung der Neubildung über den Kehlkopf hinaus wird die
Operation natürlich viel schwieriger und die Aussicht auf radicale Exstirpation
unsicher. Infiltrirte Drüsen muss man natürlich auch entfernen, und zwar
gewöhnlich vor der Hauptoperation, um sich zu überzeugen, ob alle Drüsen,
welche oft auf den Gefässcheiden aufsitzen, exstirpirt werden können, da
anderenfalls die Kehlkopfexstirpation zu unterlassen ist.
Von dieser typischen Art der totalen Exstirpation wird man öfters ab-
gehen und namentlich bei nicht zu bedeutender x4usbreitung des Krebses zu-
nächst die Laryngofissur machen, um völligen Einblick in das Lumen laryngis
zu gewinnen. (Hahn.)
Man wird dann manchmal den Ringknorpel ganz oder theilweise be-
lassen können. Pean hat vorgeschlagen, die Knorpel subperichondrai in
kleinen Stücken zu entfernen (Emorcellement), wodurch die Operation un-
gefährlicher wird; Solis Cohen räth, beiderseits von der Mittellinie ein 0-6 cm
breites Stück des Schildknorpels stehen zu lassen, um bessere functionelle
Resultate zu erhalten.
Nach der Operation wird die Trachea am die Hautwunde fixirt, was natür-
lich nur in jenen Fällen nöthig ist, wo die Tracheotomie unmittelbar der Exstir-
pation vorhergieng, dann die Pharynxschleimhaut durch einige Nähte an die
Hautränder herangezogen, die Wundhöhle mit Jodoformgaze tamponirt und
die Tamponcanüle gleich oder nach 24 Stunden durch eine gewöhnliche er-
setzt. Die Ernährung geschieht ebenso wie bei der halbseitigen Exstirpation.
Die Erfolge der totalen Exstirpation sind nach Wassermann's,
Sendziak's und Schmiegelow's statistischen Angaben recht gute:
Tod I Tod
innerhalb! innerhalb
14 Tagen |2 Monaten
infolge der Operation
Recidive
Tod an
intercurren-
ten Krank-
heiten
Heilung, aber
zu kurze Zeit
beobachtet
Heilung, über
3 Jahre
beobachtet
Vor 1881
41 Fälle
Nach 1881
77 Fälle
22
19
Summe
118 Fälle
41
in Procenten
34-7%
11
29
12
40
11
lü'2%
33 9%
9-3%
5%
6 8%
Sendziak's Statistik 1873-1894 incl.
1873-1894
188 Fälle
84 Fälle 44-7°/o
61 Fälle
32-45%
13 Fälle
6-9%
11 Fälle
5-85%
Ungenaue Beobachtung 24 Fälle
Schmiegelow's Statistik.
1890-1897
50 Fälle
11 Fälle 22%
10 Fälle
20%
24 Fälle
48%
5 Fälle
10%
CARCINOMA. LARYNGIS. 71
Auch hier ist wieder Sendziak's Statistik nicht genau nach den Zahlen
stimmend; doch erhellt wieder, dass die Kesultate um so bessere sind, je
mehr die Operationen in der modernen Aera ausgeführt wurden, je besser
also die Technik war.
Wassermann's Tabellen ergeben Folgendes: Vor dem Jahre 1881, so
lange die Technik der Operation nicht völlig entwickelt und bevor die Jodo-
formgazetamponade allgemein eingeführt war, erlagen über 5.3% der Operir-
ten innerhalb der ersten 14 Tage und 60% innerhalb der ersten 2 Monate,
nach 1881 aber nur 25%, respective 3(j%. Ueber 3 Jahre geheilt blieben
nahezu 7%, also etwas mehr als nach partieller Exstirpation; dagegen traten
öfter Recidiven auf.
Vergleichen wir nun die Statistiken anderer Autoren über die Resultate
der totalen und partiellen Exstirpation, so ergeben sich nicht bedeutende
Abweichungen.
ScHWARTZ in Paris berichtete 1886 über 87 totale und 20 partielle
Exstirpationen; bei den totalen wurde in 5-7%Heilung durch längere Zeit
constatirt, bei den partiellen aber in 25% oder in fünf Fällen. Von diesen
fünf Fällen aber wurde nur einer über 18 Monate hinaus beobachtet, nämlich
durch sechs Jahre; daher würden nach Wassermann's Vorgehen statt 25%
nur 5% zu notiren sein.
PiNCONNAT (Paris) erwähnt, dass nach 144 totalen Exstirpationen wegen
Krebs 61 Kranke innerhalb eines Monates erlagen, also über 42 7o, 29 be-
kamen Recidive (also 20%), 26 (also 18%) blieben geheilt über zehn Monate,
aber nur sieben von ihnen über drei Jahre (also 4'87o)-
Bei 37 partiellen Exstirpationen wegen Krebs starben 11 an den Folgen
der Operation, 10 (also 27%) bekamen Recidive und 14 blieben geheilt
(also 37%). Von diesen 14 wurden aber nur vier über drei Jahre beobachtet,
also 10-8%.
Wassermann verwendete zu seiner Arbeit besonders die Statistiken von
SoLis Cohen, Zesas, Hahn, Wolfenden, Baratoux und Scheier und ent-
lehnte dem letzteren Autor seine Eintheilung; nur nahm er statt 16 Monaten
drei Jahre als untere Grenze der definitiven Heilung an, und zwar mit Recht,
da dies auch bei anderen Carcinomen allgemein Brauch ist.
Eugen Kraus (1890) nimmt dagegen solche Fälle als definitiv geheilt
an, die über ein Jahr nach der Operation recidivfrei blieben. Von 142 totalen
Exstirpationen, die er sammelte, wurden 24 über ein Jahr, aber nur neun
über drei Jahre hinaus als geheilt constatirt. Er zieht aber von den 142
Fällen zehn ab, welche unter einem Jahre nach der Operation beobachtet
wurden und bekommt so als definitiv geheilt 187o. Nimmt man aber 142
Fälle an und neun Heilungen, die über drei Jahre constatirt sind, so ergeben
■ sich nur etwas über 6%. Von 66 partiellen Exstirpationen erwähnt er 16 Hei-
lungen über ein Jahr, zieht aber wieder 11 Fälle von der Gesammtsumme ab,
weil sie nicht ein Jahr nach der Operation beobachtet wurden, und bekommt
so 20%. — Von den 66 blieben aber nur sieben über drei Jahre geheilt, so
dass 10'6 definitive Heilungsprocente sich ergeben.
Man sieht also, dass die definitiven Heilungen nach totaler und par-
tieller Exstirpation bei Anwendung gleicher Grundsätze in den verschiedensten
Statistiken ziemlich nahe stehende Procentzahlen ergeben, nämlich für totale
Exstirpation 4-87o5 6-87o, 67o und für partielle Exstirpation 6%, IO-G^/q,
10*8%, dass also die partielle bessere Resultate gibt. Ausserdem muss noch-
mals erwähnt werden, dass die geheilten, aber nur unter dem Zeiträume von
drei Jahren beobachteten Fälle auch eine starke Procentnummer ergeben,
und dass gewiss mehrere von ihnen auch später geheilt blieben. Ganz ähn-
liche Zahlen finden sich auch bei Sendziak; bei Schmiegelow dagegen,
dessen Statistik aus Fällen der jüngsten Epoche besteht, ist der Procentsatz
72 CARCINOMA LARYNGIS.
der definitiven und relativen Heilungen viel grösser, der der Todesfälle und
Recidiven viel kleiner. Es zeigt sich darin, dass sowohl die Technik der
Operation und Nachbehandlung als auch die Auswahl der Fälle in neuester
Zeit bedeutend vervollkommnet wurde.
Nur so kann man es verstehen, dass bei der partiellen Exstirpation
lG°/o, bei der totalen lO^o definitive und 327o respective 487o relative
Heilungen erzielt wurden. Todesfälle infolge der Operation kamen nur 167o
bei der partiellen und 22% bei der totalen Exstirpation vor.
Es sind also die Heilungsresultate nicht schlechter als bei anderen Car-
cinomen; auch die Mortalität infolge der Operation, die übereinstimmend bei
allen Autoren früher über 40% betrug, ist in neuester Zeit bedeutend ge-
sunken.
Die functionellen Ergebnisse der totalen Exstirpation sind natürlich
schlechter als die der partiellen; die Operirten müssen zeitlebens die Canüle
tragen, haben oft bleibende Erschwerung des Schlingens (namentlich flüssiger
Substanzen) und sind nur auf Flüsterstimme angewiesen. Diesem letzteren
Uebelstand suchte man durch den künstlichen Kehlkopf abzuhelfen.
Den ersten construirte Czerny; doch kam erst der von Gussenbauer
erdachte zur praktischen Anwendung bei dem ersten Falle Billroth's. Der
Apparat besteht aus einer Trachealcanüle, durch deren Fenster nach oben in
den Rachen die Rachencanüle (oder Larynxcanüle) eingeführt wird, an deren
oberem Ende eine künstliche Epiglottis angebracht war. (Später wurde sie
weggelassen.) Die Pharynxcanüle communicirt mit der Trachealcanüle, so
dass die Luft aus der Trachea in den Rachen strömt, wenn die Halsöfl'nung
der Trachealcanüle verschlossen ist; mit Hilfe einer dritten Canüle wird dann
in die Rachencanüle ein Rahmen mit einer schwingenden Metallzunge einge-
führt und so die Stimmbildung ermöglicht. Der erste Patient Billroth's las
mit dieser Canüle, zwar eintönig, aber durch einen grossen Saal hin vernehm-
bar, wie ich mich selbst überzeugen konnte. Jedoch strengte ihn dieses
Sprechen sehr an, weil eben der Luftstrom recht kräftig sein musste, um die
Metallzunge in Schwingung zu versetzen; endlich verlegte sich der Apparat
öfters mit Schleim.
FouLis' Sprechapparat weicht von dem Gussenbauer's darin ab, dass
zuerst eine nahezu gerade Röhre in den Kehlkopf, dann durch ein Loch der-
selben die Trachealcanüle und endlich in dieselbe die Metallzunge in ihrem
Rahmen eingeführt wird.
Gussenbauer hat später seinen künstlichen Kehlkopf so modificirt, dass
die Larynxröhre aus beweglichen Ringen besteht und der Phonationsapparat
leicht entfernt werden kann. Während des Essens wird die Larynxröhre ent-
fernt und in die Trachealcanüle eine gewöhnliche ungefensterte Canüle ein-
geführt.
VON Bruns hat die Metallzunge durch Kautschukmembranen ersetzt,
deren Schwingungen einen weicheren Ton geben, Solis Cohen hat dazu dünne
Elfenbeinplättchen vorgeschlagen. Seitdem sind viele ähnliche Apparate con-
struirt worden, so von Mathieu, Arzio, Caselli (mit einem sehr langen, bieg-
samen Larynxrohr, welches an seinem oberen Ende den Phonationsapparat
trägt), Eiselsberg, Wolff (welcher das Larynxrohr oben durch ein feines
Sieb verschluss und die Gummizunge für verschiedene Töne verstellbar machte).
Eugen Kraus wendete ein neues Princip an: Der Larynxtheil besteht aus
einer mit Gummischlauch überzogenen silbernen Spiralfeder und ist auf das
Fenster der Trachealcanüle aufgelöthet, bildet also eine Röhre von grosser
Biegsamkeit und lässt sich deswegen zugleich mit der Trachealcanüle ein-
führen. Der Gummischlauch kann mit seinem oberen Rande etwas in das
Lumen hineinragen und bei der Exspiration in Schwingung versetzt werden.
Kraus verwendete diesen Apparat bei einem Falle, wo die Epiglottis, Ary-
CARCINOMA LARYNGIS. 73
knorpel und Stimmbänder erhalten waren; ob er daher zur Phonation nach
totaler Exstirpation geeignet ist, müssen weitere Versuche zeigen, ebenso
auch, ob er nicht das Eindringen von Speisen gestattet.
Alle die künstlichen Kehlköpfe erfüllen zwar ihren Hauptzweck, nämlich
eine tönende laute Stimme zu erzeugen, vollkommen; aber sie behindern oft
die freie Athmung, verlegen sich mit Schleim, stören das Schlingen, erfordern
grosse Anstrengung und Luftverbrauch beim Sprechen, geben eintönige Sprache,
sind mühsam ein- und auszuführen und sind endlich nicht in allen Fällen
anwendbar. Das hat seinen Grund in der engen und oft gewundenen Be-
schaffenheit des nach der Exstirpation des Kehlkopfes übrigbleibenden Canales,
der noch dazu im Laufe der Zeit immer enger wird. Deswegen legen die
meisten Operirten sehr bald den Phonationsapparat ab und begnügen sich mit
einer Flüsterstimme, da die Luft durch das Larynxrohr leicht in den Mund
gelangt. Ja viele bedienen sich nur einer einfachen Trachealcanüle und
lassen die laryngeale ganz weg; bei noch erhaltenem Ringknorpel fällt dann
auch die Gefahr einer völligen Abschliessung der Trachea gegen den Rachen
fort. Die Flüsterstimme wissen dann die Patienten recht gut zu verwenden,
um sich verständlich zu machen. Verwächst aber wirklich der Wundcanal
völlig, oder hat man, wie das einige Operateure zur Verhinderung der Schluck-
pneumonie absichtlich ausführten, den Trachealstumpf annulär mit der Tracheo-
tomie-Hautwunde vernäht, so ist meistens die Sprachfähigkeit aufgehoben.
Einzelne Ausnahmen sind übrigens bekannt: Schmidt's (Stettin) Patient
konnte sich auf grössere Distanzen vernehmbar machen, wahrscheinlich durch
Austreibung von Luft aus dem Oesophagus; durch diesen Luftstrom wurde an
irgend einer glottisähnlichen, verengten Stelle der Speiseröhre (?) ein zur
Phonation genügend lautes Geräusch erzeugt. Aehnliches berichteten auch
Macdonald, Symonds und Solis Cohen.
Jedenfalls beruhen solche phonetische Resultate nur auf ungewöhnlicher
Intelligenz, Thatkraft und Ausdauer der Patienten; sonst ist man gezwungen,
Sprechapparate rückwärts in den Mund einzulegen und ihnen den Luftstrom
durch einen Blasebalg, Ballon oder durch die eigenen Lungen zuzuführen,
indem man nämlich von der Trachealcanüle einen Schlauch zur Pfeife leitet
(Störk). Hochenegg führte die Zungenpfeife durch die Nase des Patienten
in den Nasenrachenraum ein, um die Tonbildung stark nach rückwärts zu
verlegen, Perier endlich legte unterhalb des Zungenbeines eine Rachenfistel
an. und führte in diesen Canal seine Zungenpfeife ein.
Man ersieht also aus obigen Auseinandersetzungen, dass die totale Exstir-
pation bedeutend schlechtere functionelle Resultate gibt und dass nach ihr
Recidiven viel häufiger sind als nach partieller. Deswegen ist es Pilicht, das
Carcinom des Larynx frühzeitig zu diagnosticiren, damit man nicht zu totaler
Exstirpation gezwungen ist.
Die Behandlung des Larynxkrebses ist daher nach folgenden Grund-
sätzen zu leiten.
Es ist die Diagnose möglichst frühzeitig und sicher zu stellen,
was eigentlich, seltene Fälle ausgenommen, nur auf dem Wege der histolo-
gischen Untersuchung einzelner, endolaryngeal exstirpirter Stückchen möglich
ist. Diese Probeexcision veranlasst nur ausnahmsweise ein schnelleres Wachs-
thum der Neubildung, Daher soll man der Probeexcision möglichst rasch die
radicale Operation folgen lassen. Diese ist nur ausnahmsweise auf endolaryn-
gealem Wege möglich, wenn nämlich die Neubildung klein, gut abgegrenzt
und günstig situirt ist. Sonst kommt nur die Operation von aussen her in
Frage, Dieselbe besteht in Laryngofissur mit Exstirpation der Weichtheile,
oder in partieller oder in totaler Exstirpation des Larynx.
Die Laryngofissur, oder wie sie auch heisst, Thyreotomie ist unge-
fährlich und gibt glänzende functionelle Resultate. Sie ist daher allen
74 CARCINOM DER NASE.
anderen Operationen vorzuziehen, aber nur bei günstigem Sitze (Stimmbänder,
Tasclienbänder) und Freisein der Knorpelwand anwendbar.
Ihr zunächst steht die partielle Exstirpatio laryngis, Avelche auch noch
öfters gute functionelle Resultate liefert.
Bei stärkerer Ausbreitung der Neubildung kann man aber nur totale
Exstirpatio laryngis anwenden, die schlechte functionelle Resultate gibt.
Sind nun auch diese drei Operationen nach Gefährlichkeit und nach den
Endresultaten in Bezug auf Schlingen und Stimmbildung sehr verschieden, so
können sie doch alle bleibende Heilung verschaffen. Es ist deswegen der
Satz richtig, dass eine gründliche Exstirpation des Larynxkrebses gewiss
möglich ist. Zieht man dagegen in Betracht, welch' schreckliche Leiden diese
Krankheit in ihrem letzten Stadium verursacht, so muss man die Berechti-
gung der eingreifenden Operationen anerkennen, da die Thyreotomie. mit
Exstirpation der Weichtheile 14'37o, die partielle Larynxexstirpation 16% und
die totale Larynxexstirpation 107o definitive, d. h. über drei Jahre dauernde
Heilungen ergab, eine Ziffer, die fast bei keiner anderen Krebsform erreicht
wurde.
Natürlich handelt es sich fast nur um innere Krebse, die nicht mit
Drüseninfection verbunden waren und nicht auf die Nachbarorgane über-
gegriffen hatten. In solchen Fällen hat man nur selten bleibende Erfolge
erzielt. Ich muss auch nach meinen eigenen Erfahrungen, die sich auf drei
Thyreotomien und neun partielle Exstirpationen erstreckt, dafür eintreten, dass
man den Larynxkrebs operativ, und zwar von aussen her behandelt, da endo-
laryngeale Operation nur sehr ausnahmsweise von Erfolg begleitet ist. chiari.
Carcinom der Nase. Das Carcinom der Nase kommt sehr selten vor,
noch viel seltener als das Sarcom. Nach Gurlt's Statistik von über 11000 Car-
cinomen der verschiedenen Körperorgane kamen nur vier Carcinome auf die
Nase und ihre Nebenhöhlen und nach Finder bei 28000 Hals- und Nasen-
krankheiten 10 Sarkome und 2 Carcinome der Nase. Dreyfüss konnte bis
zum Jahre 1892 nur 13 Fälle von Nasencarcinom aus der Literatur zusammen-
stellen; doch findet sich eine weitere Anzahl bei Heurtaux, Douglas, Düret,
Fereol, Guillemet, Capart, Holtermann, V. Dembrowski, Hange, Sikkel,
Targett. Zweifelsohne betreffen diese Statistiken nur die Fälle von Carcinom
der Nasenhöhlen, denn an der Aussenfläche der Nase kommt diese Erkran-
kung häufiger zur Beobachtung, an der Nasenspitze z. B. und den Nasen-
flügeln.
Wir finden an und in der Nase die verschiedensten Typen dieser Neu-
bildung: Cylinderepithel-, Plattenepithel-, Adenocarcinome, En-
dotheliome u. s. w. — Nach Douglas handelt es sich immer um eine Form
des glandulären Carcinoms, bei dem nur eine Infiltration und Ulceration der
Schleimhaut besteht ohne eigentliche Tumorbildung ! — Das Carcinom der
Nase geht wie das Sarcom fast regelmässig von den oberen Regionen der
Nasenhöhle aus, insbesondere von den Siebbeinzellen, entwickelt sich aber
auch am Septum und in der Highmor's Höhle, weiterhin finden wir diese
Neubildung an der Aussenfläche der Nase, wo sie zuerst als kleiner Knoten
in der Haut auftritt, der langsam wächst, zuerst nur die Haut zerstört, dann
aber in die Tiefe wuchert, geschwürig zerfällt und schliesslich auf das knor-
pelige und knöcherne Nasengerüste übergreift und in das Innere der Nasen-
höhlen hineinwächst.
Bei der rhinoskopischen Untersuchung finden wir einen warzigen, fun-
gösen, schon frühe ulcerirten Tumor, der sich weich anfühlt, sehr leicht blutet
und mit schmierigem, fötidem Eiter bedeckt ist; derselbe sitzt immer mit breiter
Basis auf, sehr oft an einem hohen Septumtheile. Schon frühe ist die Nasense-
cretion eitrig und übelriechend; beim Schneuzen blutet die Nase leicht, dagegen
CARIES DES SCHLÄFEBEINES. 75
treten spontane Nasenblutungen beim Carcinom nicht so häufig auf wie beim
Sarcom; bald stellen sich die Symptome der Nasenstenosc ein; es entwickeln
sich dann bei dieser malignen Bildung äussere Difformitäten der Nase, wenn
auch nicht so leicht wie beim Sarcom, da letzteres bei seinem rapiden Wachs-
thume die normalen Theile vordrängt und verunstaltet, während das Carcinom
Knorpel und Knochen zerstört, ohne sie zu verlagern; immerhin kommen auch
beim Carcinom Durchbrüche des Nasengerüstes vor, besonders an der Nasen-
wurzel; der Tumor greift auf die Nachbartheile über, den inneren Augenrand,
selbst auf die Orbita und die Bulbi, auf die Stirnbeine u. s. w.; in schon
frühen Stadien schwellen bei dieser Erkrankung die Unterkieferdrüsen an.
In den meisten Fällen treten heftige Schmerzen in der Nase und im ganzen
Gesicht ein; der Tumor breitet sich immer mehr aus, wächst in die Neben-
höhlen, zerstört das Naseninnere und dringt bis zur Schädelbasis. Der Tod
erfolgt im Durchschnitt im Zeiträume von zwei Jahren entweder infolge von
Cachexie oder durch Meningitis. — Die Krankheit befällt in der Regel Leute
von über 40—50 Jahren.
Bei der D i a g n 0 s e sichert uns am besten die mikroskopische Untersuchung
vor einer Verwechslung mit Sarcom, das übrigens vorzugsweise bei jungen Leu-
ten vorkommt und bei dem die Lymphdrüsen intact bleiben; Nasenrachenfi-
brome, Enchondrome könnten im Anfange zu Irrthümern veranlassen, doch ent-
wickeln sich auch diese Tumoren nur bei jugendlichen Personen; gegen syphi-
litische und andere ausgedehnte Ulcerationen schützt das Mikroskop.
Die Behandlung besteht in einer rechtzeitigen ßadicalexstirpation
der Geschwulst wie der ergriffenen Lymphdrüsen; günstige Erfolge sieht man
besonders in den Fällen von Hautcarcinom des Nasenäusseren. Handelt es
sich aber um Krebs der Nasenhöhlen selbst, so sind hier die Verhältnisse
noch ungünstiger wie beim Sarcom. Die Recidive treten um so schneller
auf, als bei den ausgedehnten und oft sehr versteckt liegenden Geschwulst-
theilen trotz breiter Eröffnung der Nase und ausgiebigster Abtragung der
erkrankten Theile des Naseninneren kleinere Theile zurückbleiben können.
Der Arzt kann solche Kranke nur noch durch möglichste Frei- und Rein-
haltung der Nase, durch Linderung der Schmerzen und durch Aufrechterhal-
tung der Kräfte beruhigen und etwas erleichtern. kühn.
Caries des SchläfebeisieS. Unter Caries des Schläfebeines
sollen diejenigen ulcerösen Aöectionen behandelt werden, welche in demjenigen
Theile desselben auftreten, wo das Gehörorgan sich befindet, und zwar der
äussere Gehörgang, die Trommelhöhle und die mit derselben durch einen
Canal (Äditus ad antrum) communicirenden lufthaltigen Räume des Warzen-
fortsatzes (das sogenannte Äntrum mastoideum), die Gehörknöchelchen, Ham-
mer, Amboss und Steigbügel, der knöcherne Theil der Tuba Eustachii, die Pars
petrosa und die in derselben befindlichen Gebilde, Schnecke, Vorhof und Bogen-
gänge, und insofern der Canalis Fallopiae an der hinteren, inneren Trommel-
höhlenwand sich befindet, die mit Lähmung des Nervus facialis einhergehende
cariöse Zerstörung desselben. Der äussere Gehörgang entwickelt sich erst
nach der Geburt und erlangt seine vollkommene Ausbildung erst im 10.
Lebensjahre. Die vordere, untere knöcherne Wand desselben entwickelt sich
am spätesten und behält selbst durchs Leben hindurch sehr oft eine linsen-
grosse, nichtverknöcherte Lücke. Die Auskleidung desselben ist eine Fort-
setzung der Hautdecke, verliert jedoch allmählich alle Eigenschaften der Cutis
und besteht in der Nähe und an der äusseren Fläche des Trommelfelles nur
aus einer dünnen Schichte Epidermis und Bindegewebe; die Auskleidung ist
demnach eine sehr dünne Schichte eines sogenannten Uebergangsgewebes,
so wie wir selbes bei allen Oeffnungen, bei den Lippen etc. finden, und ist in
Folge dieser Beschaffenheit mit dem Perioste sehr innig verwachsen, in dem-
76 CARIES DES SCHLÄFEBEINES.
selben Verhältnisse steht die Schleimhaut der Trommelhöhle sowie der luft-
haltigen Eäume des Processus mastoideus zu dem Perioste dieser Gebilde.
Entzündungen im äusseren Gehörgange können auf das Periost
leicht übergreifen, es kommt jedoch sehr selten vor, dass infolge einer
Otitis externa Caries sich einstellt. Bei jahrelang bestehender Eiterung, wo
sich der entzündliche Process nicht nur im äusseren Gehörgange, sondern
auch auf das Mittelohr und seine Nebenräume ausdehnt und wir es mit einer
sogenannten Pan Otitis zu thun haben, pflegt es vorzukommen, dass die vor-
dere, häufiger jedoch die hintere Wand des äusseren Gehörganges durch
Caries angegriffen nekrotisirt, manchmal in Form einer fistulösen Knochen-
lücke, welche mit dem Processus mastoideus communicirt, in seltenen Fällen
aber auch in grösserer Ausdehnung, und ich habe Fälle gehabt, wo ich aus
der hinteren Gehörgangswand ein 1 cm im Umfange messendes, nekrotisch
abgestossenes Knochenstück entfernte.
Im Gefolge von Scharlach tritt beinahe immer Entzündung in allen
Theilen des Gehörorgans auf; hier soll nur angeführt werden, dass die scarla-
tinöse Ohrenentzündung sich auch auf den äusseren Gehörgang erstreckt und
dass die knöcherne Wand desselben sehr häufig mitergriff'en wird; das Periost
desselben wird in die Entzündung einbezogen, der Knochen wird entblösst,
fühlt sich rauh an, und häufig erstreckt sich die cariöse Entzündung im Ver-
laufe der hinteren Wand des äusseren Gehörganges bis hinter der Ohrmuschel
auf die äussere Fläche des Processus mastoideus, wo dann ein Abscess sich
einstellt, nach dessen Eröffnung man mit der Sonde an der unterminirten
hinteren Wand des äusseren Gehörganges vordringen und sich von der weichen,
entblössten Knochenwand überzeugen kann.
Das innere Ende des äusseren Gehörganges, der sogenannte Annulus
tympan.icus, kann bei destructiver, eitriger Entzündung auch cariös ergriffen
und nekrotisch abgestossen werden. Ich habe einzelne Theile, aber auch den
ganzen Trommelfellriug zu öfteren Malen entfernt; gewöhnlich finden wir den-
selben im äusseren Gehörgange entweder frei oder in granulösen Massen ein-
gebettet, und die Entfernung desselben geschieht manchmal durch Ausspritzen
oder mit der Pincette.
Dass wir es in solchen Fällen mit einer ausgedehnten, die ganze Trommel-
höhle ergriffenen Entzündung zu thun haben, ist selbstverständlich, es fehlt das
ganze Trommelfell mitsammt dem Hammer und meistens auch der Amboss;
manchmal können wir jedoch noch den Hammerkopf in Verbindung mit dem
Amboss vorfinden, und nur der Hammergriff wurde nekrotisch abgestossen.
Bei langanhaltender Eiterung in der Trommelhöhle geschieht es, dass
das Trommelfell zerstört wird; es kann dies in mehrfacher Weise vorkommen,
manchmal fehlt die untere Hälfte desselben, und wdr finden den cariösen
Hammergriff' im Spülwasser, die obere Hälfte des Trommelfelles ist gegen die
Trommelhöhle durch ßetraction des Musculus tensor tymp. hineingezogen,
und unterhalb des Tegmen tympani befindet sich der Haramerkopf in Ver-
bindung mit dem Amboss.
Es kommt jedoch vor, dass die Zerstörung im Trommelfelle nur in dem
oberen Theile desselben, in der Membrana Shrapnelli, sich vorfindet; in dieser
sehen wir eine grosse oder kleine Lücke, manchmal durch granulöse Wuche-
rung verlegt, mit einem Worte: die Eiterung befindet sich unter der Trom-
melhöhlendecke im sogenannten Kuppelraume der Trommelhöhle. In diesen
Fällen kann es geschehen, dass die Caries sich auf den Hammerkopf und
Amboss mit seinem kurzen Fortsatze ausdehnt, ja dass die cariöse Zer-
störung von hier aus durch den Aditus ad antrutn auf den Processus mastoideus
sich erstreckt, oder das Tegmen tympani mit einbegriffen wird und in einer
linsen- bis bohnengrossen Ausdehnung cariös zerstört ist; man findet auch
manchmal infolge einer chronischen Eiterung im Kuppelraume der Trommel-
CARIES DES SCHLÄFEBEINES. 77
höhle das Tegmen tympani in seiner Continuität intact, jedoch vom Perioste
an seinen beiden Flächen, entblösst, rauh und porös, in beiden Fällen sind
hochgradige pathologische Veränderungen an den Meningen und Abscesse im
Gehirne vorhanden.
Entzündung und Eiterbildung in der Trommelhöhle führt
nach längerer Dauer gewöhnlich zu Caries der Knochenwände; aber es kommt
auch vor, dass bei eitriger Trommelhöhlenentzündung schon im Verlaufe von
einigen Wochen Erkrankung des Knochens sich einstellt, am häutigsten tritt in
solchen Fällen Caries in der Höhle des Warzenfortsatzes auf. Abgesehen von
ätiologischen Momenten wird dieselbe dadurch begünstigt, wenn der Eiter aus
der Trommelhöhle keinen genügenden freien Ausfluss hat; der Eiter unter-
wühlt die Schleimhaut des Knochens, derselbe wird entblösst und abscedirt; es
kann die Caries des Warzenfortsatzes sich nur auf das Antrum und die zel-
ligen Eäume erstrecken, oder dieselbe ergreift auch die äusseren Wände des-
selben, nicht nur die äussere Fläche des Processus mastoideus, sondern auch
die Wand der Fossa sigmoidea wird cariös, es tritt im Sinus transversus Phle-
bitis auf und es werden hypostatische Abscesse im Verlaufe der Venen beob-
achtet. Auf diesem Wege entstehen am häufigsten subdurale Abscesse.
Wir sehen bei Eiterungen in der Trommelhöhle öfters, dass Facialis-
lähmung sich einstellt; die Ursache ist fast immer cariöse Zerstörung der
Wände des Canalis Fallopiae. Doch wird auch Facialislähmung ohne Caries
beobachtet; in solchen Fällen ist gewöhnlich eine Dehiscenz im Canalis
Fallopiae, wodurch der Nerv in unmittelbarer Nachbarschaft mit der entzün-
deten Trommelhöhlenschleimhaut sich befindet; solche Fälle gehören jedoch zu
den Seltenheiten.
Merkwürdigerweise ist der Boden der Trommelhöhle beinahe nie durch
Caries angegriffen, obwohl derselbe durch seine zellenartige Gestalt dem
geeignetsten Platz für dieselbe abgeben sollte; ebenso selten hat man Caries
am Canalis caroticus beobachtet, obwohl einige Fälle verzeichnet sind, in
welchen durch cariöse Zerstörung desselben letale Blutung erfolgte. Caries
ergreift selten den Steigbügel; denn wenn auch in seltenen Fällen die Schen-
kel des Steigbügels cariös zerstört sind, ist die Platte desselben fast immer
intact.
In seltenen Fällen wird die Schnecke durch Caries zerstört; ich habe bei
einem zwölfjährigen Mädchen das ganze Gehäuse, obwohl theilweise zerstört,
doch ganz gut erkenntlich, mittelst Pincette aus dem äusseren Gehörgange
entfernt.
Das Schläfebein kann durch Caries in seltenen Fällen in einer unge-
heueren Ausdehnung zerstört werden; ich habe ein Schläfebein-Präparat, bei
welchem die Trommelhöhle, der äussere Gehörgang, der Warzenfortsatz zusam-
men eine unförmliche, grosse Höhle bilden, die Tuba Eustachi! ist derart er-
weitert, dass der kleine Finger Raum in derselben hat, die Wand der Fossa
sigmoidea ist zerstört, eine bohnengrosse cariöse Lücke findet sich am Teg-
men tympani, in der Incisura mastoidea ist ein haselnussgrosser Substanzver-
lust. In diesem Falle wurde der Kranke unter den Erscheinungen der acuten
Lungentuberculose zwei Wochen vor dem letalen Ausgange bettlägerig.
Aetiologie und Vorkommen. Die Ursachen, welche Caries des
Schläfebeines hervorrufen, sind nicht genau anzugeben. Wir nehmen wohl an,
dass die örtlichen Verhältnisse in der Trommelhöhle beim Entstehen der
Caries eine hervorragende Rolle spielen, und ebenso sind wir geneigt, der
constitutionellen Diathese bei Erkrankungen des Knochens besonderen Einfluss
zuzuschreiben; wenn wir jedoch genau beobachten, so steht es in vielen Fällen
hinsichtlich der eben angeführten ätiologischen Momente derart, dass wir die-
selben ebensogut als Folge der Caries betrachten können.
78 CAEIES DES SCHLÄFEBEINES.
Wir sehen bei Eiterretention in der Trommelhöhle öfters Caries ent-
stehen, wo die Eiterretention infolge einer kleinen, ungenügenden Perfora-
tion des Trommelfells verursacht wird; es treten jedoch häufig bei Caries
Wucherungen in der Trommelhöhlenschleimhaut, Pol3^pen und Verengerungen
im äusseren Gehörgange auf, welche Zustände eben den freien Ausfluss des
Eiters behindern, und man kann in solchen Fällen die Verschwärung der
Trommelhöhlenschleimhaut, die Polypenbildung wieder als Folge eines ca-
riösen Processes betrachten.
Lange Zeit hindurch bestehende eitrige Processe in der Trommelhöhle,
mag nun die Entstehungsursache Y/elche immer gewesen sein, und selbst wenn
der Eiter freien Ausfluss hat, können wir xax's^o/r^v als Ursache der Caries
des Schläfebeines annehmen. Es können wohl Jahre vergehen, ohne dass die
Symptome derselben sich einstellen, aber in den meisten Fällen ist mehr
minder ausgedehnte Caries des Schläfebeines die Folge derselben; dass in
solchen Fällen Tuberkulose und Skrophulose von bestimmendem Einflüsse sind,
lässt sich nicht in Abrede stellen, aber wir sehen Caries des Schläfebeines
auch ohne diese Cachexien auftreten, und wieder begegnen wir hochgradiger
Tuberkulose, ohne dass Caries im Schläfebeine vorhanden wäre; ebenso lässt es
sich nicht leugnen, dass jahrelang anhaltende eitrige Processe im Schläfebein
tuberkulöse und skrophulose Cachexien zur Folge haben.
Acute eitrige Entzündung der Trommxelhöhle kann Caries im Schläfe-
beine verursachen, wenn dieselbe sich gleichzeitig in die Höhlen des Warzen-
fortsatzes erstreckt und in denselben durch massenhafte Eiterabsonderung
Empyem des Antrums entsteht; eine solche ausgedehnte Entzündung kann bei
sonst gesunden Individuen im Verlaufe von einigen Wochen auftreten, wir
sehen jedoch dieselbe am häufigsten im Verlaufe des Scharlachs, der Diph-
therie, des Typhus und der Syphilis sich einstellen.
Caries des Schläfebeines sehen wir in jedem Lebensalter auftreten,
häufiger bei Kindern als bei Erwachsenen, bei diesen wieder viel häufiger bis
zum 40. Lebensjahre. Gewöhnlich ist nur die eine Seite von Caries ange-
grifien, nur in seltenen Fällen tritt Caries in beiden Schläfebeinen auf.
Die Symptome der Schläfebeincaries sind sehr verschiedenartig und
lassen sich nicht in ein Schema zusammenfassen. Abgesehen davon, dass die
Kranken schwer hören, fehlen in vielen Fällen alle sonstigen subjectiven
Erscheinungen, die Kranken befinden sich relativ ganz wohl. Erstreckt sich
die Caries auf die Pars petrosa, so treten Schwindel und Erbrechen auf.
Häufig treten bei Caries des Schläfebeines bohrende Schmerzen in der Tiefe
des Ohres auf, die sich über das ganze Cranium ausdehnen, diese heftigen
Schmerzen können Piemissionen haben, sie treten zu einer bestimmten Zeit
auf und dauern dann stundenlang, sistiren, wenn auch nicht gänzlich, doch
erträglich für einige Stunden; gewöhnlich geschieht es am Nachmittag, dass die
Schmerzen sich einstellen, sie werden immer heftiger und behindern den
Schlaf, der Kranke ermattet des Morgens und fühlt sich etwas leidlicher, bis
die Exacerbation sich neuerdings einstellt, oft so hochgradig, dass die Kranken
fürchten, v/ahnsinnig zu werden; diese Schmerzen können Wochen hindurch
anhalten, ohne dass die äussere Umgebung des Ohres .Empfindsamkeit oder
irgendwelche pathologische Veränderung zeigen würde; sehr oft stellen sich
bei Caries des Schläfebeines Temperaturschwankungen ein, der Kranke zeigt
abends 39 — 40*^, des Morgens ist die Temperatur normal. Diese Symptome
treten ohne besondere plausible Ursache auf, dauern oft tagelang und hören
auf, um sich nach einer Zeit wieder einzustellen. Sehr oft sehen wir bei
Caries des Schläfebeines mehr minder hochgradige Lähmungen im Be-
reiche des Nervus facialis. Bei hochgradiger Caries des Schläfebeines kann
es vorkommen, dass die Kranken ausser dem charakteristischen Ohrenfluss und
etwaigen Excrescenzen im äusseren Gehörgange sich wohl befinden, ja selbst
CARIES DES SCHLÄFEBEINES. 79
geistigen Beschäftigungen vollkommen entsprechen und plötzlich apoplectiform
zusammenstürzen, ihr Bewusstsein verlieren und in einigen Tagen, ohne ihr
Bewusstsein wieder erlangt zu haben, sterben; wir finden in diesen Fällen
nebst cariöser Zerstörung des Schläfebeines in der Kegel Geh ir na bscesse.
Unter den objectiven Symptomen ist es besonders der Eiter, welcher
Anhaltspunkte dafür bietet, dass wir es mit Caries des Schläfebeines zu thun
haben; in solchen Fällen ist derselbe graulich-gelb, übelriechend, sehr oft
schwimmen in dem Spülwasser cholesteatomartige Flocken und sandähnliche
Knochen Stückchen, manchmal stellen sich Blutungen aus dem Ohre ein.
Bei der Untersuchung finden wir ausser ausgedehnter Zerstörung des
Trommelfelles in vielen Fällen nichts Auffallendes, wir sehen hinter dem
zerstörten Trommelfell die Trommelhöhlenschleimhaut sammtartig gewulstet, und
insbesonders ist es die Gegend des Promontoriums, welche mit einer solchen
wuchernden Schleimhaut wie bepolstert aussieht; bei Sondirung können wir
diese wulstigen Massen leicht abheben und finden den Knochen rauh; manch-
mal sind es polypöse Wucherungen, welche aus der Trommelhöhle stammend
den Gehörgang ausfüllen und bis an die Ohröffnung hervorragen.
Wo Caries sich in die Höhlen des Processus mastoideus erstreckt, sehen
wir die hintere, obere Wand des Meatus audit. ext. beuteiförmig in das Lumen
desselben sich vorwölben und dasselbe beinahe undurchgängig machen; sehr
häufig kommt es in diesen Fällen vor, dass diese Hervorwölbung durchbricht
und eine fistulöse Oeffnung entsteht, durch welche man mit der Sonde cariöse
Knochen auffindet, ebenso entstehen bei Caries des Processus mastoideus 5 cm
und noch längere Knochenfisteln, welche von der äusseren Fläche desselben in
die Tiefe dringen. Bei Caries im Hammer- und Ambossgelenk können wir mit
der Sonde die rauhe Knochenfläche desselben auffinden. Nicht selten finden
wir bei Caries des Schläfebeines im äusseren Gehörgange mehr minder grosse
nekrotische Knochenstücke.
Die Prognose der Schläfebeincaries richtet sich nach der Dauer der
eitrigen Mittelohrentzündung, nach deren Ausdehnung und Heftigkeit, sowie
nach dem Alter des betreffenden Individuums. Ungünstig ist die Prognose,
wenn die Eiterung schon jahrelang besteht, in solchen Fällen tritt letaler
Ausgang fast immer ein. Bei umschriebener Caries können wir schon eher
auf Heilang rechnen, bei Kindern ist die Prognose günstiger als bei Erwach-
senen. Der Verlauf und die Ausgänge der Schläfebeincaries sind nach dem
Vorausgeschickten sehr verschiedenartig, manchmal zieht sich die Erkrankung
monate-, oft jahrelang hin; es entsteht eine abgrenzende Entzündung im
Knochen, in deren Folge derselbe eburnisirt, die cariösen Theile werden abge-
stossen und der Process erreicht hiemit sein Ende; ein anderes Mal greift
die Zerstörung des Knochens immer weiter, so dass die Entzündung auf die
Meningen und Hirnsubstanz übergreift und den letalen Ausgang herbeiführt;
es gibt Fälle von Schläfebeincaries, wo infolge von Eiteraufsaugung oder
durch Phlebitis metastatische Processe in der Lunge, in der Leber oder Niere
den Tod verursachen. Es kann auch geschehen, dass die Schläfebeincaries in
kurzer Zeit nach Erkrankung des Mittelohres sich einstellt, dies sehen wir
gewöhnlich bei Scharlach, wo schon nach einigen Wochen mehr minder aus-
gedehnte Zerstörung der Knochen sich vorfinden kann.
Die Behandlung der Schläfebeincaries beginnt eigentlich mit dem
Bestreben, die Eiterung in der Trommelhöhle zu sistiren; es ist wohl richtig,
dass wir in vielen Fällen uns vergebens bemühen und bei dem rationellsten
Vorgehen dies nicht erreichen können, so lange cariöser Knochen vorhanden
ist. Bei oberflächlicher Caries, wo nämlich die Erkrankung des Knochens
noch nicht in die Tiefe gedrungen ist, gelingt es durch Abschabung der
cariösen Partie mit dem scharfen Löffel Heilung herbeizuführen. Wir trachten,
durch Aetzen mit Lapis die wuchernde Schleimhaut zur Rückbildung zu
80 CERÜMEN.
bringen; es ist auch zu empfehlen, Instillationen mit einer 1 %i^m Lösimg von
Äcidum chromicum anzuwenden.
In den Fällen, wo wir die cariösen Knochen entfernen können, ist es
angezeigt, dies baldigst auszuführen; dies ist der Fall bei Caries der Gehör-
knöchelchen, welche oft den Ausgangsgunkt zur Caries des Tegmen tympani
bilden. Bei Caries des Processus mastoideus soll man nicht lange zaudern mit
der Aufmeisselung desselben und mit der Entfernung aller im Antrum vor-
handenen krankhaften Partien. julius böke.
Cerumen. Die den äusseren Gehörgang auskleidende Haut bildet eine
Fortsetzung des allgemeinen Integumentes des ganzen Körpers. Diese Haut
unterscheidet sich von der allgemeinen Hautdecke durch die nur ihr eigenen,
den Schweissdrüsen analog gebauten, tubulösen Drüsen, welche ein eigenthüm-
liches, das als Ohrschmalz seu Cerumen bekannte gelbliche, an der Luft zu
Borken eintrocknende Secret absondern. Diese Drüsen nennt man deshalb
Glandulae ceruminales. Ausserdem ist die Cutisschichte über dem knor-
peligen Gehörgange reich an Haaren, Hirci genannt, in deren Bälge seitlich
traubenförmige Talgdrüsen einmünden. Normaliter wird das Secret der genann-
ten Drüsen durch Kieferbewegungen beim Kauen, durch verschiedene manuelle
Manipulation entfernt. Unter pathologischen Verhältnissen sammelt sich jedoch
dasselbe im äusseren Gehörgange an, klumpt sich zu einem Pfropfe zusammen,
welcher manchmal auch verschiedene andere Stoffe, wie Haare, Epidermis-
schuppen und mancherlei von aussen hineingelangte Körper einschliesst. Eine
solche abnorme klumpige Anhäufung der Secretionsproducte im äusseren
Gehörgange kann zu verschiedenen krankhaften Störungen Anlass geben und
stellt die mit „Ceruminalpfropf'-'' oder auch kurzweg ^^Ceritmen^' bezeichnete
Krankheit dar. Da eine ähnliche Affection an keiner anderen Stelle des
Körpers vorkommt, könnte man sie als eine für den äusseren Gehörgang
specifische Krankheit ansehen. Dass sie nur hier auftritt, lässt sich leicht
aus dem eigenthümlichen Bau des äusseren Gehörganges und der ihn aus-
kleidenden Haut erklären, wodurch derselbe als schon von Natur aus zu dieser
Krankheit prädisponirt erscheint. Gibt es ja sonst im ganzen Organismus
kein zweites ähnlich gebautes röhrenförmiges Organ, welches mit Haare und
Drüsen führender und mit Epidermis bedeckter Haut ausgekleidet wäre. (Aus
diesem Grunde könnte man vielleicht auch Cerumen als „die Krankheit des
äusseren Gehörganges xax' e$o;(rjv" bezeichnen.)
Aetiologie. Alle jene Störungen, welche im äusseren Ohre eine
Vermehrung der Secretion oder ein Hindernis in der Herausbeförderung des
Secretes setzen, können zur Cerumenbildung Anlass geben. Zu den ersteren
gehören Erkrankungen dieser Drüsen, Hypersecretion derselben, eine gestei-
gerte Production von Ohrenschmalz, wie sie nicht selten als eine trophische
Erkrankung dieser Drüsen bei Affectionen des Mittelohres, bei Nutritions-
störungen des mittleren und des inneren Ohres (Guye) auftreten, ferner ver-
schiedene Erkrankungen der Haut, wie Eczeme, Otitis externa circumscripta
und diffusa, desquamatoria und andere ähnliche. Zu den letzteren gehören
Staubkohlenpartikelchen und verschiedene Fremdkörper, die absichtlich ins
Ohr hineingelegt w^urden oder zufällig dahin gelangten, um welche sich
dann das Ceruminalsecret anlagert oder die es ganz einhüllt, zu starker Haar-
wuchs und angeborene oder erworbene Verengerungen des äusseren Gehör-
ganges, wie Hyperostosen, Exostosen etc. Die normale Entleerung dieses
Secretes kann auch dadurch gehemmt sein, dass es mit an der Gehörgangs-
wand adhärenten Epidermislamellen vermengt ist. Fremdkörper wirken hier
nicht bloss als ein mechanisches Hindernis, sondern auch als ein Keiz, wo-
durch die Ohrschmalzdrüsen zu stärkerer Secretion angeregt und die Pfropf-
bildung begünstigt wird.
CERUMEN. 81
Die Krankheit ist ziemlich häufig, nach Schwaktze in 10% aller Ohren-
krankheiten. Sie kommt in jedem Alter und bei beiden Geschlechtern vor,
doch ist sie seltener bei Frauen, noch seltener bei Kindern, häufiger bei Männern
und bei älteren Personen, vielleicht wegen der stärkeren Behaarung bei den
letzteren. Prädisponirende Momente sind Erkrankungen des äusseren, des
mittleren oder des inneren Ohres, reichlicher Haarwuchs im Gehörgange.
Symptome. Die von einem Ceruminalpfropfe verursachten Symptome
hängen zum Theile von seiner Form, Consistenz und Masse ab, zum grossen
Theile aber auch von der Empfindlichkeit und der Constitution des Patienten.
Davon rührt die grosse Mannigfaltigkeit der Beschwerden bei dieser Affcc-
tion her,
Locale Symptome. In vielen Fällen können Ceruminalpfropfe sehr
lange Zeit im Ohre verbleiben, ohne die geringsten Erscheinungen zu machen.
Dies ist nur dann möglich, wenn dieses Secret, obgleich in grosser Masse an-
gehäuft, doch nur an den Wandungen des Gehörganges anliegt, ohne das
Lumen desselben wesentlich zu beeinträchtigen oder das Trommelfell zu be-
rühren. Wo jedoch das Lumen des Gehörganges bedeutend verengt oder gar
obturirt ist, da klagen die Patienten constant über ein Gefühl von Verlegtsein
und Völle im Ohre. Manchmal entsteht dieses Gefühl plötzlich, und Patient
gibt an, dass er die Empfindung einer plötzlichen Ertaubung hatte. Dies
geschieht infolge eines plötzlichen Verschlusses des Lumens des äusseren
Gehörganges, wenn z. B. beim Waschen oder Baden ins Ohr eingedrungenes
Wasser das Secret zum Aufquellen brachte, oder wenn infolge einer Be-
wegung des Kopfes oder des Unterkiefers eine Locomotion des Secretes und
eine Verschiebung gegen das Trommelfell zu erfolgt. Zu diesen auf rein
mechanischem Wege entstehenden Symptomen gehören weiters Hörstörungen
verschiedenen Grades und Verstärkung der eigenen Stimme, Autophonie.
Charakteristisch sind die häufigen Schwankungen, welche diese Symptome
aufweisen. Bewegungen des Unterkiefers beim Kauen, leichte Erschütterung
des Kopfes und des Ohres, wie z. B. durch Schneuzen, Niesen u. dgl. können
eine Lageveränderung des Pfropfes und damit bald eine Besserung, bald eine
Verschlimmerung des Gehöres, des Ohrensausens und anderer subjectiver Er-
scheinungen bewirken. Durch Druck auf die Gehörgangs wände und das
Trommelfell kann es auch zur Entzündung an diesen Stellen kommen, wo-
durch mehr oder minder heftige Schmerzen im Ohre verursacht werden.
Solche Entzündungen entstehen um so leichter, als im Cerumen vielfache
pathogene Mikroorganismen nachgewiesen wurden, welche auf der durch den
Druck des Secretes oder auch infolge des durch Jucken oft veranlassten
Kratzens insultirten häutigen Auskleidung des äusseren Gehörganges eiu«n
günstigen Boden zu ihrer weiteren Entwickelung finden. Durch die Fort-
pflanzung des auf das Trommelfell ausgeübten Druckes durch die Gehör-
knöchelchen und die Labyrinthfenster auf die Labyrinthfiüssigkeit können
Schwindel, Ohrensausen, Kopfschmerzen, Ueblichkeiten, Erbrechen, ja sogar
Ohnmächten provocirt werden, so dass unter Umständen die MENiERE'sche
Krankheit vorgetäuscht werden kann. Es ist klar, dass schon diese Be-
schwerden allein eine bedeutende Störung der geistigen und körperlichen
Berufsthätigkeit verursachen können.
Reflectorische Symptome. Nun können aber neben den localen,
auf mechanischem Wege entstehenden Erscheinungen auch noch mannigfaltige
auf reflectorischem Wege ausgelöste Symptome hervorgerufen werden. Durch
Reizung der Aeste der den äusseren Gehörgang versorgenden Nerven, Vagus,
Trigeminus, Facialis, und Fortleitung dieses Reizes auf die betreffenden
Centren und die andere Organe des Körpers versorgenden Zweige dieser
Nerven oder auch auf andere mit diesen in Verbindung stehende Nerven,
wie z. B. auf die Aeste des Vagus im Larynx, im Herzen, im Magen, in der
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten. D
82 CEßUMEN.
Leber, auf den mit dem Vagus anastomosirenden Nervus glossopharyngeus
etc., können eine Reihe verschiedener Reflexphänomäne zustande kommen.
Diese erscheinen manchmal umso räthselhafter und umso schwieriger zu er-
klären, als dabei gleichzeitig locale subjective Symptome im Gehörgange voll-
ständig fehlen oder so gering sein können, dass sie ganz übersehen werden.
Die so entstandenen Reflexneurosen können sowohl die sensible, als auch die
motorische, psychische, vasomotorische und trophische Sphäre, mit einem
Worte fast alle Nervenfunctionen des menschlichen Organismus betreffen. Zu
den häufigsten Erscheinungen dieser Art gehören die durch Reizung des am
äusseren Gehörgange verlaufenden Ram. auricularis n. vagi hervorgerufenen.
Es ist bekannt, wie schon die leichteste Manipulation im äusseren Ohre,
wie Kratzen, Ausspritzen, Einführung des Gehörtrichters u. dgl., leicht Husten
verursachen kann. Man darf also schon a priori erwarten, dass dieses auch
bei Fremdkörpern oder Cerumen im Ohre geschehen wird. In der That
sind Fälle bekannt, wo sehr hartnäckiger und langdauernder Husten mit und
ohne Erbrechen nur durch Accumalation von Ohrenschmalz bedingt war. Ein
solcher Husten kann auch mit Athembeschwerden, Schlingbeschwerden und
hochgradiger Abmagerung combinirt vorkommen und Phthisis vortäuschen.
Nach einer Ausspritzung und Entfernung des Pfropfes verschwinden dann alle
diese bedrohlichen Erscheinungen wie durch einen Zauberstab mit einem
Schlage. Ausserdem wurde Facialisparalyse, Blepharospasmus, Spasmus nicti-
tans, vom Verfasser ein Fall von Laryngospasmus infolge von Cerumen be-
obachtet. Hyperalgesien, Analgesien, Anästhesien, Neuralgien, wie auf den
ganzen Kopf und andere Körpertheile ausstrahlende heftige Schmerzen,
Cardialreflexe, wie Angstgefühl, Herzpalpitationen, selbst vermehrter Stuhl-
und Harndrang, meningeale Reizerscheinungen, sogar das vollständige Bild
einer Cerebralaffection, einer Meningitis oder Meningitis cerebro-spinalis,
bewusstloses Hinstürzen, psychische Störungen, Gehörshallucinationen, eklam-
ptische und epileptiforme Anfälle haben sich in manchen Fällen als von diesem
Leiden abhängig erwiesen.
Nicht unerwähnt soll bleiben die Beobachtung, dass Störungen, wie
subjective Gehörsempfindungen, Sausen, Klingen etc., in einem Ohre durch
Cerumen im anderen bedingt sein und nach Entfernung desselben verschwinden
können, wie überhaupt die reflectorische Beeinflussung des einen Ohres und
auch anderer Sinne durch das andere Ohr eine bekannte Erscheinung bildet.
Die vom Ohre ausgelösten Reflexerscheinungen wechseln so kaleidoskopisch
und sind so mannigfach, dass eine erschöpfende Darstellung derselben fast
unmöglich ist. Es liegt nahe, anzunehmen, dass besonders hereditär belastete
und neuropathisch veranlagte Individuen eine specifische Disposition zu solchen
auch vom Ohre ausgelösten Reflexneurosen besitzen.
Diagnose. Plötzliches, schmerzfreies Entstehen einer Schwerhörigkeit,
des Gefühles einer Wand im Ohre ohne jede Ursache oder auf gewisse Ver-
anlassungen, wie nach einem Bade, nach Kratzen und Reinigen des Ohres
u. dgl., bei Personen, die zuvor immer gut gehört haben, wenn keine Erkran-
kung des Halses oder der Nase gleichzeitig vorhanden oder kurz voraus-
gegangen ist, erregen immer gleich den Verdacht auf einen Fremdkörper oder
auf Ceruminalpfropf im Ohre. Diese Vermuthung nimmt greifbarere Formen
an und ward umso wahrscheinlicher, wenn gleichzeitig keine auf eine Laby-
rinthaffection hindeutenden Symptome vorhanden sind, wenn die Taubheit auf
einer Seite und nicht vollständig, wenn die Knochenleitung auf dieser Seite
gesteigert ist und besonders, wenn im weiteren Verlaufe der für Cerumen
charakteristische Wechsel zwischen Besserungen und Verschlimmerungen des
Gehöres sich zeigt. Es gibt kaum eine zweite Krankheit, welche diese Er-
scheinungen so vollständig darbieten sollte: schmerzlose, plötzliche Schwer-
hörigkeit, gesteigerte Schallperception durch Knochenleitung, ohne die geringsten
CERUMEN. 83
Cerebralerscheinungen. Doch wird die Diagnose erst sicher gestellt, wenn zu
den oben angeführten subjectiven Symptomen die objective Untersuchung
dazu kommt. Diese kann erschwert sein, wenn der Gehörgang verengt, ent-
zündlich geschwollen, seine tieferen Theile dem Auge unzugänglich macht.
Dann müssen erst diese Hindernisse beseitigt, die Otitis externa durch einige
Tage antiphlogistisch mit Eis etc. behandelt werden, bis die objective Unter-
suchung möglich ist. Bei der Inspection des äusseren Gehörganges nimmt
man bei dieser Krankheit manchmal schon mit blossem Auge, immer aber
mit dem Reflector und dem Ohrtrichter einen Stoff von verschiedener Farbe,
Masse und Consistenz wahr. Die Farbe ist weissgelb oder dunkelgelb, braun
bis schwarz. Der Pfropf kann so massenhaft sein, dass er das Lumen des
Gehörganges ganz ausfüllt und sämmtlichen Wänden dicht anliegt — obtu-
rirender Pfropf — oder er liegt nur einer Seite an und lässt an der gegen-
überliegenden Wand eine mehr oder weniger breite freie Spalte zurück —
wandständiger Pfropf. Die Consistenz schwankt zwischen der einer fetten
und der einer harten, vertrockneten, bröckeligen Masse. Diese Verschieden-
heiten hängen von dem Alter des Pfropfes und den Beimengungen anderer
Stoffe und Körper ab. Je frischer und reiner das Secret, desto weicher und
heller, je älter und vermengter, etwa mit Haaren, Epidermismassen u. s. w.,
desto dunkler, resp. desto härter erscheint die Masse. Der Anblick ist aber
zumeist so charakteristisch, dass die Krankheit schwer verkannt werden kann.
Indessen gibt es Formen, die leicht zu Verwechslungen Anlass geben
können. Eine flache, graugelbliche auf dem Trommelfelle aufliegende Schichte
von Cerumen kann von einem Ungeübten für das Trommelfell genommen
werden. Hier schützen die abnormen Contouren und Begrenzungslinien vor
Täuschung. In zweifelhaften Fällen gibt die Untersuchung mit der Sonde
den Ausschlag. In einer Ceruminalschichte lässt sich mit der geknöpften
Sonde durch leichtes Streichen eine Furche ziehen oder etwas von der Masse
loslösen. Auch vergleichende Messung der Tiefe des Meatus beider Seiten
kann hier Aufschluss geben und vor diagnostischen Irrthümern bewahren. Ferner
lässt sich die aufliegende Masse leicht durch Ausspritzen entfernen, worauf
dann das eigentliche Trommelfell zum Vorschein kommen wird. Eine kleine,
dunkle Auflagerung von Cerumen auf dem Trommelfelle könnte mit einer
Trommelfellperforation oder mit eingetrocknetem Blut oder Eitermassen ver-
w^echselt werden. Da kann mit Hilfe der Luftdouche, Sonde und Spritze der
wahre Sachverhalt aufgeklärt werden.
Primäres und secundäres Cholesteatom im äusseren Gehörgange charak-
terisirt sich durch die periweisse, glänzende Farbe und dadurch, dass es meist
einen aus concentrischen Epidermislamellen zusammengesetzten, geschich-
teten, lamellösen Bau und oft auch einen penetrant üblen Geruch besitzt.
Eeine Epidermispfröpfe bewirken überdies oft eine gleichmässige, bedeu-
tende Erweiterung des Gehörgangslumen, eine hochgradige Dislocation des
Trommelfelles, Verwachsung desselben mit der Labyrinthwand, manchmal
auch Durchbruch des hinteren oberen Trommelfellquadranten und des an-
grenzenden Abschnittes der knöchernen Gehörgangswand, was bei Cerumen
viel seltener und nie in so hohem Grade vorkommt. Doch können Ceruminal-
und Epidermismassen mit einander vermengt einen gemeinschaftlichen Pfropf
im Ohre bilden, welcher dann die Eigenschaften beider combinirt besitzt. In
zweifelhaften Fällen gibt die mikroskopische Untersuchung eines mit der
Sonde abgebröckelten Partikelchens der fremden Masse über die Natur der-
selben Auskunft. Fremde Körper, Hyper- und Exostosen können von einer
mehr oder weniger dicken Ceruminalschichte überzogen sein und einen Ceru-
minalpfropf vortäuschen. Die Sondenuntersuchung verhilft dann leicht zur
richtigen Diagnose. Ein lange Zeit im Ohre befindlicher Wattatampon nimmt
mit der Zeit an der nach aussen gewendeten Fläche eine bräunliche Farbe
6*
84 CERÜMEN.
und damit eine grosse xVehnlichkeit mit einem Cerumenzapfen an. Die rich-
tige Diagnose wird hier manchmal erst durch die Untersuchung der aus-
gespritzten Masse möglich.
Ausgespritzte Ohrenschmalzmasse fühlt sich zwischen den Fingern als
eine fettige, teigige oder als eine trockene, bröckelige, manchmal auch als
eine mit Haaren und Epidermisfasern verfilzte Masse an. In einem solchen
Pfropfe finden sich oft ausser Ohrenschmalz Epidermisplatten, abgestossene
Haare, Ohrenfett, Cholestearin und als Kern nicht selten ein Stückchen
Papier, Wolle oder ein anderer Fremdkörper. Nur äusserst selten finden sich
in diesen Massen kalkige Concremente (Bezold u. a.), welche das balkige
Gefüge und das Aussehen von Sequestern spongiöser Knochensubstanz haben.
Die bacteriologische Untersuchung ergab, dass im Cerumen eine grosse An-
zahl von Bacterien existiren, die bei geeignetem Nährboden sich weiter ent-
wickeln können; darunter waren mehrere der Pathogenität suspecte Formen
nachweisbar (Bohrer).
Ein aus dem Ohre entfernter obturirender Pfropf stellt manchmal einen
negativen Abdruck des Gehörganges und der Membrana tympani, des kurzen
Fortsatzes, des Umbo u. s. w. dar.
Es ist klar, dass in Fällen, in denen diese Krankheit nur entfernte Hirn-
nnd Nervenstörungen, Beflexneurosen hervorruft, ohne die geringsten localen
Beschwerden zu verursachen, die Diagnose sehr erschwert sein kann. Die
otiatrische Literatur ist auch reich an Fällen, in denen wegen Unterlassung
der Ohrenuntersuchung die abenteuerlichsten Fehldiagnosen gemacht w^urden,
die langdauernde, erfolglose und überflüssige Behandlungen nach sich zogen.
Dies möge man immer im Auge behalten und die Untersuchung des Ohres
auch dort nie vernachlässigen, wo das Krankheitsbild gerade nicht von vorne-
herein auf einen otitischen Ursprung hindeutet.
Verlauf. Ein Ceruminalpropf kann längere Zeit im äusseren Ohre
verbleiben, ohne welche Veränderungen daselbst zu machen. Manchmal jedoch
bewirkt ein solcher durch seine fortwährende Druckwirkung auf die Umgebung
eine Erweiterung des Gehörganges oder Entzündung desselben. Auch werden
durch Kratzen im Ohre infolge des Juckens leicht Wunden auf der Haut
des Gehörganges gesetzt, wo die verschiedenen Arten der Bacterien des
Cerumens einen günstigen Boden zu ihrer weiteren Entwickelung finden und
eitrige Macerationen, Ulcerationen und Polypenbildung hervorrufen. So kann
infectiöse Dermatitis infolge von Cerumen zustande kommen. In ähnlicher
Weise können solche Ulcerationen im äusseren Ohre durch unzweckmässige
und misslungene Extractionsversuche veranlasst werden. Als weitere Folgen
des vom Cerumen auf die Nachbarschaft ausgeübten Druckes sind Einziehung
des Trommelfelles, Trübung und Atrophie desselben verschiedenen Grades
und verschiedener Ausdehnung, Veränderung der Insertion des Hammergrifies,
Anchylose und Rigidität aller oder einzelner Gehörknöchelchen, seltener
Lückenbildung durch Usur im Trommeltelle und im äusseren Gehörgange
beobachtet worden. Es sind nämlich Fälle notirt, wo Ceruminalmassen die
knöcherne Gehörgangswand und das Trommelfell perforirten und sich in die
Paukenhöhle, beziehungsweise in den Warzenfortsatz vordrängten.
Prognose. Da der Ohrenschmalzpfropf eine Affection des äusseren
Ohres darstellt und der Behandlung leicht und direct zugänglich ist, ist die
Prognose im allgemeinen als eine gute zu betrachten. Im besondern jedoch
soll sie von der Anamnese und dem Resultate der Hörprüfung abhängig ge-
macht werden. Gibt der Patient an, dass er früher immer ohrengesund w^ar
und gut hörte und erst vor kurzer Zeit und plötzlich ohne Grund oder nach
Waschen, Reinigung des Ohres oder nach Kitzeln im Ohre etc. auf einem
Ohre taub wurde, dass die Schwerhörigkeit mit auffallenden Gehörverbesse-
rungen ab^vechselt, ergibt die Hörprüfung, dass die Schw^erhörigkeit keine
CERUMEN. 85
hochgradige ist, dass eine Störung des schallcitcnden Apparates vorliegt,
dass die auf die Mitte des Schädels aufgestellte schwingende Stimmgabel von
der kranken Seite länger und besser percipirt wird (Verstärkung der Knochen-
leitung auf der afficirten Seite), und lassen sich überhaupt Erkrankungen
tieferer Theile des Gehörorganes ausschliessen, dann kann die Prognose
absolut günstig gestellt werden. In anderen Fällen muss man immer daran
denken, dass der Ceruminalpfropf zu einer anderen, bereits zuvor bestandenen
Ohrenkrankheit hinzugetreten sein oder nachträglich selbst tiefere und blei-
bende Veränderungen am Trommelfell und Mittelohr gesetzt haben könnte,
dass somit die Gehörstörung, Sausen, Schwindel etc. vielleicht von einer Er-
krankung des Labyrinths oder des Mittelohres mit bedingt ist, was die Pro-
gnose zweifelhaft gestaltet. Unbedingt schlecht in Bezug auf Gehör und
sonstige locale Beschwerden ist dieselbe natürlich, wenn die Kopfknochen-
ieitung an der erkrankten Seite gelitten hat und eine Affection des schall-
percipirenden Organes angenommen werden muss. Bedenklich (juoad vitam
könnte diese Krankheit nur werden, wenn sie zu schweren, bedrohlichen ner-
vösen Zuständen oder zur Eiterretention Veranlassung gäbe und nicht recht-
zeitig erkannt und entfernt würde.
Die Therapie ist eine einfache und gleicht jener der Fremdkörper im
Ohre überhaupt. In den meisten Fällen wird eine einmalige oder wiederholte
lauwarme Ausspritzung genügen, den Pfropf zu entfernen. Gewöhnlich fördert
die erste Ausspritzung nur braunes Wasser und einzelne Cerumenstückchen
heraus, während die zweite und dritte den ganzen Pfropf oder den Rest
heraustreibt. Zu einmaliger Ausspritzung eignet sich besonders eine schwache
laue Seifenlösung oder auch Lysollösung wegen ihrer verseifenden Wirkung
auf die Producte der secernirenden Organe des Gehörganges. Bei häufigerer
Anwendung verursachen diese Lösungen jedoch Reizung der Haut, Ekzeme
u. s. w. und sind zu meiden. Ist der Pfropf verhärtet oder hängt er mittelst
Epidermislamellen an der Gehörgangswand fester an, dann wird es oft noth-
wendig sein, zuvor erweichende Eingiessungen durch einige Zeit anzuwenden.
Als solche empfehlen sich alkalische Glycerinlösungen, z. B. Natr. carhon. O'öO,
Gli/cenni, Äquae destill. aa 5-0, Glt/cerm, Soda-, Seifenlösung e7i, Oel u. dgl. Die-
selben sind lauwarm auf 5—10 Minuten einigemal täglich durch 2 — 4 Tage
solange ins Ohr einzugiessen, bis der Pfropf, vollkommen erweicht, dem Spritzen-
strahle nachgibt. Dabei geschieht es leicht, dass infolge der durch die
eingeträufelte Flüssigkeit bewirkten Aufquellung der Cerurainalmasse eine
stärkere Verlegung des Ohres und damit eine Verschlimmerung des Gehöres,
der Schmerzen etc. eintritt, was die Patienten für eine Verschlimmerung der
Krankheit selbst halten können, daher sie auf diese Eventualität im vorhinein
aufmerksam gemacht werden sollen.
Man setze auch die Einspritzungen nie zu lange in einem fort, und darf
es sich nicht verdriessen lassen, hartnäckig festsitzenden Pfropfen mehrere
Sitzungen zu widmen, zwischen welchen die Kranken die erweichenden Ein-
giessungen zu machen haben. Besonders wenn die Injectionen Schwindel
oder Schmerzen verursachen, darf man sie nicht forciren, sondern muss sich
damit begnügen, in mehreren Sitzungen zum Ziele zu gelangen. Man muss
ferner daran denken, dass häufig forcirte Ausspritzungen leicht Reizung der
Haut, Otitis externa oder auch plötzliches Losreissen eines dem Trommelfelle
fest anhaftenden Pfropfes und dadurch eine Perforation der tympanischen
Membran bewirken können, besonders wenn es schon durch den langdauernden
Druck zur Atrophie derselben gekommen ist. Manchmal ist es angezeigt, vor
dem Ausspritzen den Pfropf mit der Sonde von der umgebenden anhaftenden
Oehörgangswand etwas zu lockern. In manchen Fällen wird es nur gelingen,
den Pfropf stückchenweise zu entfernen.
86 CHOLESTEATOM.
Nur äusserst selten wird man gezwungen sein, zu Instrumenten: Olir-
löJEfel, Zangen etc, seine ZuÜuclit zu nehmen, z. B. wenn Ausspritzungen und
Eingiessungen absolut nicht vertragen werden, heftigen Schwindel, Ohren-
sausen, Ohnmächten u. dgl. verursachen und nicht zum Ziele führen.
Ist der Pfropf entfernt, dann bleibt manchmal eine Empfindlichkeit des
Trommelfelles gegen die bereits ungewohnten Schalleindrücke auf einige Zeit
zurück. Aus diesem Grunde, wie auch um den feuchten äusseren Gehörgang
vor schädlichen äusseren atmosphärischen Einflüssen zu schützen, sollen die
Patienten noch einige Zeit nachher das Ohr mit einem Wattatampon ver-
stopft tragen.
Ist das Gehör nach der Entfernung des Cerumen nicht sofort normal,
oder dauert das Ohrenrauschen noch fort, dann ist der Ausspritzung eine
einmalige oder öftere Lufteintreibung in die Paukenhöhle nachzuschidien.
Ueberhaupt überzeuge man sich nach der Reinigung des Ohres von der
Function des mittleren und des inneren Ohres und von dem Zustande des
äusseren Gehörganges. Finden sich hier welche krankhafte Veränderungen,
dann sind diese nachträglich einer entsprechenden Behandlung zu unterziehen.
Recidiven sind hier sehr häufig und erfolgen anfangs schneller und
öfter, später seltener in Intervallen von Monaten und Jahren. Eine Wieder-
holung bedeutender Cerumenaccumulation im Ohre lässt sich nur durch von
Zeit zu Zeit wiederholte Ausspritzungen hintanhalten.
Zum Schlüsse dürfte es vielleicht nicht überflüssig sein, nochmals und
wiederholt daran zu erinnern, dass in allen Fällen, wo hartnäckige Neurosen
bestehen, für die keine andere Basis, kein sonstiger Erklärungsgrund auf-
gefunden werden kann, besonders aber bei objectiv nicht begründetem hart-
näckigem Husten, Schwindel, Kopfschmerz u. dgl., die Untersuchung des Ohres
auf Fremdkörper oder Cerumen nie unterlassen werden möge, selbst wenn
gar keine Andeutung auf die Anwesenheit dieses Leidens hinweisen sollte.
Dieses ist umso wichtiger und folgenschwerer, als langdauernde, auf diese
Weise veranlasste nervöse Beschwerden mit der Zeit möglicherweise dauernde
Störungen, Melancholie, Neurasthenie, Hallucination, psychische Depression
u. dgl. erzeugen und bedeutende Berufsstörungen nach sich ziehen können,
während sie, rechtzeitig in ätiologischer Beziehung erkannt und gewürdigt, doch
so leicht beseitigt werden können. spiea.
Cholesteatom. Das Cholesteatom des Ohres stellt einen epithe-
lialen Tumor von perlartiger weisser Farbe dar, der aus zwiebelartig geschich-
teten, concentrischen Lamellen polygonaler, meist kernloser, epidermoi-
daler Zellen besteht, zwischen denen häufig Cholestearinblättchen in grösserer
oder geringerer Menge gelegen sind.
Wir finden diese Geschwulst vorzugsweise im hin-
^,,^ teren und oberen Abschnitte des Mittelohres, also im
"'^, Recessus epitympanicus, im Antrum mastoideum und
■J' im Processus mastoideus selbst; ihre Grösse variirt von
der einer Bohne (Fig. 1) bis zu einem grossen Hühnerei;
sie ist von einer sehr feinen Bindegewebsmembran um-
hüllt, die mit dem Periost der Knochenhöhle, in wel-
Fig 1. (ji,oie.steatom aus dem q[^q^, (jjg cholcsteatomatöseu Massen gelegen sind, fest
rechten Proc. mastoideus eines . . . . ~ '
2ojäiirigen Mannes. uud muig Zusammenhängt (Fig. 2); mi inneren, centra-
len Abschnitt dieser Bindegewebsmembran, die alle Eigen-
schaften einer cytogenen Membran besitzt, liegen die den Tumor ernährenden
Blutgefässe, die ihrerseits mit den Gefässen der äusseren Periostschicht zu-
sammenhängen, während die äussere oder periphere Schicht der Umhüllungs-
membran wie die Oberhaut der Cutis aus einem Rete Malpighi und den
CHOLESTEATOM.
87
i
I /' ■'Y^
Periost
.Rcle,Mfdp
■ Iloraxchü/iie
//
.Kiwch^iv
Riff- und Eleidinzellen besteht, welch letztere dann unmittelbar in die kern-
losen, polygonalen Hornzellen des Cholesteatoms übergehen (Fig. 3).
Die Geschwulst zeichnet sich durch eine glänzend weisse, „perlartige"
Farbe aus, daher auch der von Cruveilhier stammende Name „Ttimeur
perUe'-', Perlgeschwulst oder auch Margaritom
nach CßAiGiE- ViECHOw; ihre häufig glatte
Oberfläche ist zuweilen sehr unregelmässig,
höckerig und stellt oftmals einen Abguss jener
Knochenhöhle dar, in welcher die Neubildung
sich entwickelt hat (Fig. 1). Anfangs bleibt
die Geschwulst im Recessus epitympanicus
oder im Antrum u. s. w. eingeschlossen; mit
ihrem Wachsthum dehnt sie allmählich diese
Knochenhöhlen aus, erweitert sie zuweilen
bis zu einer beträchtlichen Grösse, um sie
schliesslich zu durchbrechen, sei es nach der
Paukenhöhle oder dem äusseren Gehörcanale
oder nach der Aussenfläche des Warzenfort-
satzes zu, sei es auch nach der Schädelhöhle.
Das Wachsthum des Tumors und mit ihm die
Ausdehnung der Knochenhöhle gehen oft ganz
latent als Knochenusur vor sich; andere Male
entzünden sich hiebei die häutigen und knö-
chernen Theile der Umgebung; es kommt
zur Eiterung, es bilden sich Granulationen,
Knochencaries, es tritt nekrotischer Zerfall
der Gewebe ein, wobei zuweilen die Neubil-
dung selbst völlig zugrunde gehen kann.
Je nach der Richtung der wachsenden Ge-
schwulst und je nach der hiebei auftretenden
Entzündung kommt es zur Perforation und
Zerstörung des
Trommelfells oder
zum Durchbruch
der hinteren oberen „,
Meatuswandundso- <-,
mit zu einer äusse-
ren Ohreiterung;
wächst dagegen das
Cholesteatom nach
der Schädelhöhle zu
und tritt hiebei Ca-
ries der Knochen-
wandungen ein, so
kann eine Phlebitis
des Sinus sigmoi-
deus entstehen,oder
wenn der Process
gegen das Tegmen
tympani weiter-
schreitet und hier
die Dura mater ergriffen wird, so kann es zu Meningitis und Gehii'nabscess
kommen. Wir sehen somit, dass das Ohrcholesteatom, wenn es auch bei sei-
nem langsamen Wachsthume und seiner epithelialen Structur nicht zu den
malignen Tumoren gehört, dass es doch ulcerative Processe in den umge-
Fig. 2 Querschnitt durch die Knochen-
wandiing des Antrum mastoid., Periost,
Bete Malpighi u. erste Hornschichte des
Cholesteatoms. IKUHN. Zeitschrift für
Ohr. XXI.|*Hartn.
..JnnereFeriostsJdchte.. ^
BhUg.^
sercP.
Periost
..cyioffenxMc/jibrajv.
..czImjdr.Z. '
. rund. Z.
. Sornzell.
\R.MaIp.
Fig. 3. Querschnitt der Periost- und Epidermisausfeleidung des Antrum mit der
ersten Hornzellenlage der Geschwulst. [KUHN. Zeitschrift für Ohr. XXI.]
Hartn.
88 CHOLESTEATOM.
w
benden Geweben zur Folge haben kann, welche die Nachbarorgane und durch
diese das Leben des Individuums in hohem Grade gefährden.
Die pathologischen Anatomen Cbuveilhier, Joh. Müller und vor
allem Yirchow betrachten das Ohrcholesteatom, ebenso wie die Perlgeschwulst
der Pia mater, des Hodens, Eierstockes u. s. w. als eine heterologe Neubil-
dung, denn sie entsteht an einem Orte, wo normaliter weder Epidermis noch
epidermisähnliches Material vorhanden ist; nach den Angaben Virchow's
kann sie nie aus einer epidermoidalen Metaplasie der Paukenhöhlenschleim-
haut hervorgehen, sondern wir müssen sie stets als eine heteroplastische
Bildung betrachten, die an Theilen des Felsenbeines auftritt, wo sich an
Stelle compacten Gewebes lufthaltige Räume entwickeln. Mikulicz und Küster
halten es für wahrscheinlich, dass das Ohrcholesteatom sich primär entwickeln
könne, und zwar aus einer — abnormer Weise — abgeschnürten Partie, von
Epidermiszellen, die beim Verschlusse des obersten Kiemenganges in der Pau-
kenhöhle zurückgeblieben wäre, oder auch, dass diese aberrirten Epidermis-
keime, die vielleicht oft schadlos und unentwickelt bleiben, unter Einfluss
irgend eines entzündlichen Processes im Mittelohre sich In krankhafter Weise
vergrössern und zu Geschwülsten heranwachsen.
Ausser den von Virchow an d e r L e i c h e als primäre Tumoren erkann-
ten Ohrcholesteatomen finden wir auch in der Literatur eine Anzahl von
Beobachtungen (Lucae, Wendt, Schwartze, Kuhn, Urbantschitsch, Panse,
Laser, Blau), in denen primäre PeiigeschAvülste beim Lebenden gese-
hen w^urden; alle diese Fälle hatten einen latenten Verlauf, in einigen war
das Trommelfell intact und keine Spur von Entzündung zugegen; in anderen
war ohne vorausgegangene Eiterung unter Schmerzen, Schwindel und Hirner-
scheinungen der Durchbruch der Geschwulst, deren Grösse meist auf ein mehr-
jähriges Wachsthum schliessen liess, plötzlich in den äusseren Gehörcanal oder
durch die Corticalis des Warzenknochens erfolgt.
In vielen Fällen von ausgebreiteten Cholesteatomen, wenn der Knochen
theilweise zerstört, wenn schon ausgedehnte eitrige und cariöse Veränderungen
in der Paukenhöhle vorhanden, wenn das Trommelfell perforirt, selbst gros-
sentheils zerstört ist, wird es an der Leiche sehr schwer sein, zu entscheiden,
ob alle diese Läsionen infolge eines primären Tumors entstanden sind, der
bei der Zerstörung der Nachbartheile gleichfalls nekrotisch zugrunde gegan-
gen sein kann, oder ob nicht schon vorher ein entzündlicher Process im äus-
seren oder mittleren Ohre bestanden hat, in dessen Verlauf es erst späterhin
zur Bildung von cholesteatomartigen Massen gekommen ist.
Gegen die nahezu exclusive Ansicht der Anatomen, dass das Ohrcholeste-
atom eine wahre Neubildung sei, haben viele Ohrenärzte gewichtige Einw^ände
erhoben; vor allem v. Troeltsch, der diese Bildungen für Retentions-
geschwülste aus Eiter und Epithelmassen hält, die von der chronisch ent-
zündeten Mittelohrschleimhaut geliefert w^erden; er fand stets im Centrum
dieser cholesteatomatösen Geschwulstmassen einen alten, eingetrockneten Eiter-
kern, und dieser Kern war es seiner Ansicht nach, der auf die Wandungen
der Knochenhöhle des Antrum mastoideum oder der anderen pneumatischen
Räume des Mittelohres allmählich einen solchen Druck ausübe, „dass zellige
Producte nicht bloss in besonderer Menge, sondern auch von veränderter Ge-
stalt und Art geliefert werden und die dann geschichteter Epidermis gleichen
und perlmutterglänzenden Platten darstellen." Für manche Otologen war jedoch
diese Ansicht nicht überzeugend; so erklärt z. B. Wendt den Process für eine
desquamative Entzündung der Mittelohrschleimhaut, bei welcher das sich an-
häufende Epithel durch den Umstand, dass es bei den fast immer vorhandenen
Trommelfellperforationen äusseren Schädlichkeiten ausgesetzt sei, unter Bildung
eines Rete Malpighi eine epidermisähnliche Beschaffenheit annehme. Für
Schwartze handelt es sich gleichfalls um eine Retention von Entzündungs-
CHOLESTEATOM. 89
producten und infolge davon um eine Metaplasie des normalen Pauken-
höhlenepithels in Epidermiszellen. Lucae glaubt, dass an den bei Mittelohr-
eiterungen so häufig vorkommenden Granulomen der Schleimhaut eine starke
Epidermisproliferation stattfände, die schliesslich zu CholesteatomgeschwüLsten
führen könne. Nach Steinbrüc^ge handelt es sich nur dann um eine wirk-
liche Perlgeschwulst, „wenn ein die Geschwulst umhüllender Balg vorhanden
ist, der durch ernährende Gefässe mit irgend einem Theile des Schläfen-
beines, dem Mutterboden der Geschwulst in Verbindung steht"; andere Male
jedoch sind es auch für Steinbrügge nur epitheliale Producte infolge
chronischer Eiterungsprocesse, wobei eine chronische Dermatitis der Mittel-
ohrauskleidung mit Verhornung der Zellen des Pete Malpighi hinzugetreten sei.
Es bleibt nun sehr fraglich, ob infolge äusserer Schädlichkeiten oder
auch entzündlicher Vorgänge eine directe Umwandlung des Paukenhöhlen-
epithels in eine cutisähnliche Epidermis möglich ist, und es fehlt uns fernerhin
die Erklärung für die Bildung jener epidermoidalen, cytogenen Auskleidungs-
membran, die alle kleinen und grossen Knochenhöhlen des Mittelohres über-
zieht, in welchen solche Geschwulstmassen liegen, und deren Nachweis
schliesslich für den sorgsamen Untersucher nicht schwer ist. (Fig. 2.)
Politzer erklärt die Entstehung mancher Fälle von Ohrcholesteatom
dadurch, dass mit Epithel ausgekleidete drüsenartige Einsenkungen der
wuchernden Mittelohrschleimhaut an ihrer oberen Einmündung durch Druck ver-
wachsen und dass nun das Epithel in dem abgeschlossenen Räume fortwuchere.
Auf viel gewichtigere anatomische und klinische Thatsachen stützt sich
die von Habermann zuerst und später auch von Bezold ausgesprochene
Theorie von der secundären Bildung der grössten Zahl der Ohrcholeste-
atome. Habermann gibt an, dass im Verlaufe von Mittelohreiterungen, be-
sonders bei solchen mit Perforation der SnRAPNELL'schen Membran oder mit
fistulösem Durchbruche in den äusseren Gehörgang, die Epidermis des
perforirten Trommelfelles oder des Meatus externus sich über die Ränder
dieser Oeffnungen hinweg auf die vom Epithel entblösste, exulcerirte Pauken-
höhlenschleimhaut fortsetze und grössere Strecken des Mittelohres überziehe;
bei fortdauernder Entzündung erfolge alsdann eine stärkere Entwicklung des
Rete Malpighi und eine vermehrte Abstossung der Hornschichte. Kann sich
die allzu reichliche Epidermisproduction nicht nach aussen entleeren, so bilden
sich allmählich die concentrischen Lamellen der cholesteatomatösen Geschwulst.
Gleicher Ansicht ist im grossen und ganzen auch Bezold; er konnte ebenfalls
anatomisch eine directe Fortsetzung des Epidermisüberzuges aus dem äusseren
Ohre in das Mittelohr nachweisen und er will auch beim Lebenden diesen
Uebergang der Epidermis auf den Aditus ad antrum und das Cavum tympani
beobachtet haben. Für ihn besteht ausserdem noch ein inniger ätiologischer
Zusammenhang zwischen Tubenschwellung, respective Verlegung dieses Canales,
und Cholesteatombildung.
LTeber die Möglichkeit des Hineinwachsens von Epidermis in die Pauken-
höhle und bis ins Antrum hat Schwartze schon vor Jahren berichtet und
hat in diesem Vorgange die Anbahnung der Heilung und den Schutz des dar-
unter liegenden Gewebes gegen Schädlichkeiten gesehen.
Dass die Epidermis ihre normalen Grenzen überschreiten und Schleim-
hautflächen überwachsen kann, lehrt uns die Transplantation von Schleim-
häuten, die von Epidermis umgeben sind, das zeigt uns ferner das Hinein-
wachsen von Epidermis durch die weibliche Urethra in die Blase (Gläser);
ob aber diese durch hyperplasirende Wucherung entstandenen Epithelmassen
auch zu wirklicher Geschwulstbildung im engeren Sinne führen können, wel-
cher Unterschied zwischen ihnen und dem eigentlichen primären Cholesteatom
ist, ist sehr schwer zu sagen; hier wie dort dieselben Elemente, ihre gleiche
Anordnung, aber ihrer Aetiologie nach ganz verschieden. (Gläser.)
90 CHOLESTEATOM.
Nach allem lässt sich für jetzt ijur sagen, dass die beiden Möglichkeiten
der Entstehung einer cholesteatomatösen Geschwulst vorliegen: 1. als hetero-
plastische Geschwulst im Sinne Virchow's und 2. als Folge des Hinein-
wachsens der Epidermis in die Mittelräume im Sinne Habermann's. — Immer-
hin bleibt in der Pathogenese des Ohrcholesteatoms noch vieles unklar, und
der wenn auch einseitige Standpunkt der pathologischen Anatomen, dass die
Perlgeschwulst des Ohres eine heteroplastische Neubildung sei, darf von den
Ohrenärzten so lange nicht von der Hand gewiesen werden, als genaue kli-
nische Beobachtungen, wenn auch nur einiger weniger Fälle, vorliegen, in
denen cholesteatomatöse Bildungen bei Unversehrtheit des Trommelfelles gesehen
wurden oder in welchen solche Tumoren lange Zeit bestanden haben, ohne
äussere Erscheinungen, Eiterungen u. s. w. hervorgerufen zu haben.
Ausser diesen „Cholesteatomen" des Mittelohres kommen auch im äusseren Ohre
jDrimäre Perlgeschwülste vor, die an einer Wandung des knöchernen Meatus (Hinton's
sebaceous tumours), an der äusseren (Küpper) oder an der inneren (Wendt) Trommelfell-
fläche gelegen sind; sie bestehen ebenfalls aus zwiebelartig geschichteten Plattenepithelien,
haben perlartige, glänzend weisse Farbe, erreichen meist nur die Grösse einer Erbse und
sind von einer dünnen Bindegewebsschichte umhüllt. Urbantschitsch hat ähnliche, hirse-
korngrosse, knorpelharte Cholesteatomperlen an der Oberfläche des Trommelfelles gesehen,
die aus Pflasterepithel und Cholestearinkrystallen bestanden und von einer Cystenmembran
umgeben waren.
Symptome. In den bis jetzt bekannt gewordenen seltenen Fällen von
„wahrem Ohrcholesteatom" bestand der Krankheitsprocess ohne jedes äussere
Symptom; manche dieser Kranken wollen an starken Kopfschmerzen und
Schwindel gelitten haben, lange Monate hindurch bevor, ohne Ohreiterung, ohne
Trommelfellperforation oder Fistelöffnung im äusseren Gehörgang, der Tumor
nach aussen oder nach dem Inneren des Schädels durchbrach. — In der
weitaus grössten Zahl der Cholesteatome besteht eine chronische Ohreiterung. Ist
die Oeffnung des Trommelfelles, durch welche der aus der Cholesteatomhöhle
stammende Eiter abfliesst, genügend gross, so fehlen auch hier die schmerz-
haften Symptome; der abfliessende Eiter ist oft mit schmutzigweissen Epithel-
klumpen vermengt und hat einen autfallend fötiden Geruch; ist dagegen die
Abflussöffnung im Trommelfell oder im äusseren Gehörcanale zu klein oder,
wie es bei den Perforationen der Membrana Shrapnelli häufig der Fall ist,
durch ein kleines Granulom verengt, selbst völlig verlegt, so stellen sich bald
heftige Ohr- und Kopfschmerzen ein und es treten Schwindel und Erbrechen auf;
diese Symptome steigern sich mehr und mehr und währen so lange, bis endlich
spontan oder durch Kunsthilfe bohnen- bis wallnussgrosse, schmutzig weisse,
zuweilen auch periweisse, schaalenartige, höcl^erige Epithelmassen durch die
Trommelfellöffnung oder die Gehörgangsfistel aus dem Ohre herauskommen; hie-
bei entleert sich auch schmieriger, übelriechender Eiter, der zahlreiche Eiter-
coccen und Fäulnisbacterien enthält. Mit dem Abgang dieser cholesteatoma-
tösen Massen hören die Schmerzen wie auch der Schwindel u. s. w. voll-
ständig auf; es tritt wieder eine mehr oder weniger lange Periode auf, in
welcher die Kranken nur die Symptome der gewöhnlichen Ohreiterung dar-
bieten. Oftmals aber kehren schon nach w^enigen Wochen die oben geschil-
derten Betentionserscheinungen wieder, da sich neue Epithelmassen gebildet
haben, und werden keine energischen therapeutischen Maassregeln ergriffen, so
kann dieser Turnus lange Zeit, mehrere Jahre hindurch, sich wiederholen, oder
aber es kann beim Fortschreiten und üebergreifen des Processes auf die
Nachbarorgane eine jener Complicationen hinzutreten, die in Form einer
Sinusphlebitis, Meningitis, eines Hirnabscesses oder auch unter dem Bilde
der Pyämie den meist letalen Ausgang der Erkrankung zur Folge haben.
Die Betentionserscheinungen treten zuweilen auch nach einfachem
Einspritzen von warmem Wasser oder nach Einströmen von heissen Dämpfen
ins Ohr auf, weil hiebei die Epithelmassen stark aufquellen und durch ihr
grösseres Volumen die Umgebung stärker drücken und reizen.
CHOLESTEATOM, 91
Bei der stetigen Zunahme der Epithelmassen erweitern sich auch all-
mählich die verschiedenen Knochenhöhlen des Recessus epitympanicus, des
Antrum und der Warze, meist infolge einfacher Knochenusur, andere Male
auch durch Caries; das ganze Schläfenbein kann in dieser Weise allmählich
zerstört werden und sein Inneres nur eine einzige grosse Höhle darstellen, in
welcher Gehörgang, Pauke, Warzenfortsatz, ja die Pyramide vollständig auf-
gegangen sind und in welcher die Geschwulst selbst völlig zerstört wurde; es
sind dies meist jene Fälle, wo erst bei der Section von an Sinusthrombose
oder Hirnabscess u. s. w. zugrunde gegangenen Patienten das Ohrcholeste-
atom erkannt wird.
Am günstigsten ist es noch, wenn das Cholesteatom die hintere Wand
des Gehörcanales durchbricht, weil wir von dort aus die Massen leicht,
höchstens nach Erweiterung der Durchbruchstelle, entfernen und die Höhle genü-
gend ausräumen können. — Das Cholesteatom soll auch durch eine eitrige
Entzündung im Mittelohre spontan zur Ausstossung kommen und so völlig
geheilt werden (Habermann). — Das Ohrcholesteatom findet sich nach Bezold
in 1 — 27o aller Ohrkrankheiten und häufiger bei Kindern als bei Erwachsenen.
Die hohe Sterblichkeitsziffer dieser Kranken ist wohl die Ursache, dass wir
das Cholesteatom selten nach dem 40. Lebensjahre beobachten. — Die Dauer
der Krankheit variirt von wenigen Monaten bis zu mehreren Jahren.
Diagnose: Wenn bei einer chronischen Ohreiterung öfters weisse,
glänzende Epidermisklümpchen dem Eiter beigemengt sind, so müssen wir an
Cholesteatom denken; überhaupt bei allen hartnäckigen und foetiden Ohr-
eiterungen, in deren Verlaufe zeitweilig Retentionssymptome, Kopfschmerzen.
Schwindel u. s. w. eintreten, muss an die Möglichkeit eines Ohrcholesteatom s
gedacht werden.
Oft sehen wir die charakteristischen weissen Epidermisschollen im
Recessus oder im hinteren oberen Abschnitte des Cavum tympani, oder es ist
uns zuweilen möglich, derartige Epithelklumpen mit einer gekrümmten Sonde
aus den einzelnen Knochenhöhlen herauszuholen und näher zu untersuchen.
Gar oft aber werden die Cholesteatome erst nach dem Tode diagnosticirt,
denn selbst bei den ausgedehntesten Zerstörungen im Inneren des Schläfen-
beines werden äussere Anhaltspunkte nicht selten völlig vermisst.
Prognose: Die Cholesteatombildungen im Ohre, mögen sie primär oder
secundär sein, gehören zu den ernsten Erkrankungen des Gehörorganes; die
Beürtheilung des einzelnen Falles hängt vom Sitze des Tumors und seiner
Grösse ab; am günstigsten ist die Prognose, wenn die Massen im Recessus
epitympanicus, in den vorderen Abschnitten des Antrum und der Warze, also
in zugänglichen Theilen des Mittelohres gelegen sind; aber selbst nach Ent-
fernung der Epithelmassen, mag diese spontan oder durch Kunsthilfe erfolgt
sein, und nach völliger Beseitigung der bedrohlichen Retentionserscheinungen
muss die Prognose immer eine vorsichtige sein, weil Rückfälle sehr
wahrscheinlich und hiedurch der Kranke von dem latenten Fortschreiten des
Processes und seinen bedenklichen Folgen bedroht ist. In allen Fällen von
chronischen, fötiden Ohreiterungen mit zeitweiliger Beimengung von Epithel-
schollen, wo wir Sitz und Ausdehnung des vermeintlichen Cholesteatoms gar
nicht kennen, werden wir mit unserer Prognose stets vorsichtig sein müssen.
Therapie: Zur Bekämpfung der sogenannten Retentionssymptome,
welche uns oftmals erst auf die Cholesteatom erkrankung aufmerksam machen,
müssen die Epithelialmassen so bald als möglich aus dem Ohre entfernt
werden; bei genügend grosser Trommelfellperforation oder bei weiter Fistel-
öffnung im äusseren Gehörcanale gelingt dies manchmal durch einfache des-
inficirende Einspritzungen; zu kleine Perforationen müssen erweitert, Granu-
lome abgetragen werden. Liegen die Epithelmassen etwas tief in der betreffen-
den Höhle, so müssen wir dieselben vorsichtig mit der gekrümmten Sonde
92 CHOLESTEATOM.
oder einem kleinen, scharfen Ohrlöifel herausholen. Zur vollständigen Ent-
leerung und zum reinigenden Ausspritzen des Recessus epitympanicus, des
Antrum u. s. w. wendet man am besten das Paukenhöhlenröhrchen von
Hartmann an, ein dünnes, gekrümmtes, Metallröhrchen, das in die kleine
Knochenhöhle eingeführt wird und vermittelst dessen antiseptische Flüssig-
keiten eingespritzt werden und direct auf die noch zurückgebliebenen Massen
und auf die Höhlenwandung einwirken. Sind die Epithelmassen gründlich
entfernt, so hören die Retentionserscheinungen auf.
Zur Verhütung von Recidiven und speciell gegen die Wiederbildung ähn-
licher Epidermismassen müssen die zugänglichen Cholesteatomhöhlen — nach
vorangegangener Einträufelung einer lO^/oig^n Cocainlösung — mit einem
kleinen, scharfen Löffel vorsichtig ausgekratzt und dann die Wandungen mit
CrOg geätzt werden; es muss dies Verfahren in 10 — 14tägigen Intervallen
mehrere Male wiederholt werden, bis man alles Krankhafte entfernt zu haben
glaubt; in der Fistelöffnung der Membrana Shrapnelli, also beim Choleste-
atom des Recessus epitympanicus, bleibt alsdann eine narbige, feste Verwachsung
des ganzen oberen Trommelfellsegmentes mit dem Grunde der Knochenhöhle
zurück.
Bezold u. a. blasen nach genügender Ausräumung des Recessus epitym-
panicus u. s. w. Bor- oder Jodoformpulver in die betreffenden Höhlen ein und
wollen bei langer Anwendung dieser Mittel Vernarbung und Heilung gesehen
haben.
Ist die Geschwulstbildung eine ausgedehntere, hat die Tumormasse den
Warzenfortsatz, sei es nach aussen oder nach dem Meatus externus durch-
brochen, oder haben wir bei fötiden Ohreiterungen in der häufigen Beimen-
gung von EpidermisschoUen gegründete Ursache zur Annahme eines Ohr-
cholesteatoms oder endlich, liegen bedrohliche Erscheinungen vor, die auf
eine beginnende Sinuserkrankung oder eine intracranielle Affection hinweisen,
so darf mit der Eröffnung des Warzenfortsatzes nicht gezögert werden, um
das Cholesteatom aufzusuchen und zu entfernen; zu gleicher Zeit muss in die-
sen Fällen die Paukenhöhle breit und ausgiebig in allen jenen Theilen frei-
gelegt werden, v;o sich solche epitheliale Massen bilden können. Nach voll-
ständiger Entfernung der letzteren muss dann die dermoide Auskleidung der
ganzen Knochenhöhle so vollständig als möglich mit dem scharfen Löffel
ausgekratzt werden; Zaufal will sie sogar mit dem PACQUELiN'schen Bren-
ner zerstört wissen.
Bei der fortdauernden Neigung zu neuer Epidermisbildung an den
Knochenhöhlenwänden ist meist eine sehr lange Nachbehandlung noth wendig;
man muss deshalb bei Eröffnung des Warzenfortsatzes dessen äussere Knochen-
decke in grosser Ausdehnung abtragen, um so den Wundverlauf in der aus-
gedehnten Höhle gut überwachen zu können; die grosse Oeffnung gestattet
es, die sich fortwährend neu bildenden Epidermislamellen zu entfernen und
deren Ansammlungen vorzubeugen.
In den letzten Jahren sind zur Heilung des Cholesteatoms von KtiSTEP.,
Zaufal, Stacke, Koernee und Siebenmann verschieden modificirte Operations-
verfahren bei der Eröffnung des Warzenfortsatzes und der Freilegung der
Mittelohrräume angegeben worden, die geeignet sind, einestheils die Choleste-
atommassen, wie auch die hiebei erkrankten Knochentheile so gründlich als
möglich zu entfernen, anderentheils soll durch Transplantirung von Hautlappen
aus der Umgebung der Warze oder der Auskleidung des Gehörcanales das
raschere Ueberwachsen der Wundhöhle mit normaler Cutis erzielt und hie-
durch die Reproduction von Cholesteatomlamellen verhindert werden. Es muss
hiebei die hintere und theilweise auch die obere, knöcherne Gehörcanalwand
abgeraeisselt, der Recessus epitympanicus und die Pauke vollständig freigelegt
und die Cutis der ganzen, hinteren Meatuswand in die Höhle eingeheilt wer-
CORYZA. 93
den. Wir köoneii dabei die äussere Warzenwunde offen erhalten oder auch
schliessen; im letzteren Falle haben wir eine grosse Höhle, Warze und
Paukenhöhle, die breit in den Gehörgang mündet; neue Ansammlungen cho-
lesteatomatöser Massen in dieser grossen Mittelohrhöhle lassen sich durch den
breiten äusseren Meatus gut erkennen und gut entfernen. Durch den Ver-
schluss der äusseren Warzenwunde ersparen wir dem Kranken die recht
missliche Verunstaltung einer grossen Knochenöttnung hinter dem Ohre. —
Bleibt eine grosse äussere Oeff^nung an der hinteren Warzenfläche, so müssen
wir dieselbe durch eine entsprechend grosse, leicht federnde Hartkautschuk-
pelotte gegen äussere Schädlichkeiten schützen. kühn.
Coryza. (Schnupfen.) Die Disposition zum Schnupfen'") ist so all-
gemein, dass ihn wohl jedermann aus eigener Erfahrung kennt. Aber es
ist bekannt, dass in dieser Beziehung grosse Unterschiede existiren. Ab-
gehärtete, wetterfeste Gesellen werden schwerer befallen, als verzärtelte und
verweichlichte Individuen.
Fast immer kann man eine Gelegenheitsursache feststellen, woran
sich die Krankheit knüpft (Erkältung, Durchnässung, Stehen auf kaltem Boden,
plötzlichen Zugwind u. a.). Bald darauf kündigt sich die Nasenaöection durch
mehrmaliges heftiges Niesen an, das sich auch im weiteren Verlaufe häutig
wiederholt. Die Nase verlegt sich, ein reichliches, wässeriges, beizendes Secret
beginnt unaufhörlich herauszuträufeln, ein dumpfes Gefühl im Kopfe, Druck
und Schmerzen über der Stirn zeigen die Betheiligung der Nebenhöhlen an.
Dazu gesellen sich Mattigkeit, Denkfaulheit, Appetitlosigkeit, Frösteln, Krank-
heitsgefühl und Verlust des Geruches. Die Ausbreitung des Processes auf
die Thränenwege gibt sich durch Thränenträufeln und Röthung der Binde-
häute kund.
In diesem Stadium findet man die Haut des Naseneinganges geröthet und
geschwollen, die Nase im unteren Theil aufgedunsen. Zuweilen ist die Epi-
dermis an den Nasenlöchern macerirt und rissig. Die Schleimhaut ist allent-
halben stark geschwollen bis zur gegenseitigen Berührung der gegenüberliegen-
den Flächen. Die Schwellung fühlt sich teigig an und geht nach Cocaini-
siruug (s. d. Artikel: Diagnose der Nasenkrankheiten) bedeutend zurück. Oft ver-
schwindet sie infolge der psychischen Erregung während oder kurz vor der
Untersuchung. Das Secret ist rein wässerig, so dass nach dem Eintrocknen
im Taschentuche fast gar keine Spuren zurückbleiben. Das Mikroskop lässt
darin wenig morphologische Bestandtheile (Leukocyten, rothe Blutzellen,
Epithelien) erkennen.
In den nächsten Tagen wird das Secret zuerst mehr schleimig, faden-
ziehend, dann durch reichlichere Beimengung zelliger Elemente schleimig-
eiterig. Allmählich lässt auch die Schleimhautschwellung nach und mit ihr
verschwinden die übrigen Belästigungen. Das Secret vermindert sich, ver-
siegt nach und nach, und in etwa 1 Woche pflegt die Erkrankung abgelaufen
zu sein.
Von dem skizzirten Durchschnittsbilde der Coryza gibt es zahlreiche
Abweichungen. Eines oder das andere Symptom kann stärker hervortreten,
aber auch geringer sein oder ganz fehlen. Die Allgemeinstörungen sind zu-
weilen wenig ausgebildet, in anderen Fällen aber so heftig, dass die Patienten
zu jeder Thätigkeit unfähig sind und sehnsüchtig das Ende ihrer Qualen er-
warten.
Complicationen. Dass die Schleimhäute der Nebenhöhlen, der
Thränenwege und der Conjunctiva in der Regel mit erkranken, haben wir be-
reits gesagt. Ganz gewöhnlich erstreckt sich der Katarrh auf den Nasopharynx,
*) Vergl. auch Artikel ^Rhinitis"' in diesem Bande.
94 CORYZA.
WO er eine starke Anschwellung der Rachenmandel hervorruft; häufig auch
auf die tieferliegenden Partien des Schlundes, den Larynx, die Trachea,
den Bronchialbaum. Eine sehr unangenehme Complication bildet die con-
secutive Erkrankung der Tube und des Mittelohres.
Verlauf und Ausgang. Zuweilen zieht sich das Stadium der schlei-
mig-eitrigen Secretion über mehrere Wochen in die Länge. Gewöhnlich ist
der Ausgang aber auch dann günstig: es erfolgt vollkommene Restitutio ad
integrum sämmtliclier ergriffenen Theile. Sehr selten tritt das fatale Ereignis
ein, dass der Geruch nach einem heftigen Schnupfen nicht mehr wiederkehrt
und unrettbar verloren bleibt, weil die Riechzellen zugrunde gegangen sind.
Zuweilen überdauert die Erkrankung der einen oder der anderen Nebenhöhle
den Katarrh der Nasenhöhle und führt, wenn nicht doch noch nachträglich
Spontanheilung eintritt, zur chronischen Eiterung.
Aetiologie. Die zahlreichen Versuche, des hypothetischen Bacteriums
der Coryza habhaft zu werden, haben bis jetzt zu keinem Resultate geführt.
Trotzdem dürfen wir nicht daran zweifeln, dass die Coryza eine infectiöse
Erkrankung ist. Man nimmt ferner ganz allgemein an, dass der Schnupfen
direct übertragbar sei (durch Taschentücher, beim Küssen etc.). Dagegen
haben Uebertragungsversuche bis jetzt negative Resultate ergeben.
Therapie. Eine causale Therapie der Coryza kennen wir bis jetzt
nicht. Sämmtliche Versuche, die Krankheit zu coupiren, sind gescheitert, und
die zahlreichen Mittel und Mittelchen, die dagegen angepriesen sind, haben
sich immer nur ephemerer Beliebtheit zu erfreuen gehabt. Die ganz richtige
Vorstellung, dass der Schnupfen seine Zeit andauern müsse, ist auch so ver-
breitet, dass wenige Schnupfenkranke den Arzt aufsuchen, um von ihrem
Schnupfen befreit za werden.
Wenn wir aber auch die Krankheit nicht direct beeinflussen können, so
können wir doch dem Kranken nützen, indem wir symptomatisch seine Be-
schwerden lindern und ihn vor schädlichen Complication en nach Möglichkeit
bewahren. Dazu dienen folgende Verordnungen: Um dem äusserst lästigen
Ekzem des Introitus nasi vorzubeugen, lassen wir den Kranken, sobald die
Secretion im Gange ist, den Naseneingang mit einem indiflerenten, reinen
Fett (Dr. Geafs Boroglycerin, Borsalbe, Cold-cream u. ä.) bedecken. Die Decke
soll wo möglich ununterbrochen darauf bleiben oder sogleich erneuert werden,
wenn sie verloren geht, wie es z. B. beim Putzen der Nase geschieht. Zum
Einsalben benutzt der Patient die wohlgereinigte Kuppe des kleinen Fingers.
Von den Belästigungen der Nasenverstopfung können wir den Patienten
wenigstens zeitweilig befreien, wenn wir ihn vielleicht 4 mal täglich eine
schtvache Cocainlösung (1 : 100) auf die Schleimhaut zerstäuben oder pinseln
oder ein Pulver von Cocaini mur., MenthoU m O'l, Sacch. lad. lO'O aufblasen
lassen. Sehr häufig wird dadurch nicht allein die Nase frei, sondern es lässt
auch der Kopfdruck nach, vermuthlich weil die Nebenhöhlenostien frei werden.
Einen ähnlichen Erfolg haben bei manchen Patienten Streichungen, die vom
Nasenrücken im Bogen über die Wangen ausgeführt werden, entlang dem Ver-
laufe der Lymphwege. ~ Man warne den Kranken vor heftigem und unzweck-
mässigem Schneuzen, weil hiedurch Mittelohrinfectionen begünstigt werden.
Die richtige Art, sich zu schneuzen, ist, worauf schon A. v. Tröltsch hinge-
wiesen hat, das Schneuzen k la paysan. Es wird dabei ein Nasenloch
zugehalten und durch das andere ausgeblasen. Die Kranken haben sich zu
schonen, vor Erkältung und schlechter Luft inacht zu nehmen. Bei stärkeren
Allgemeinstörungen haben sie das Zimmer zu hüten, bei sehr heftigen fühlen
sie sich unter einer warmen Wolldecke oder im Bett am wohlsten. Sehr
nützlich erweist sich auch die Hervorrufung eines ordentlichen Schweisses
dadurch, dass man den Patienten einige Tassen heissen Thees trinken lässt
CYSTEN IM KEHLKOPFE. 95
und ihn darnach in wollene Decken packt. Sämmtliche Beschwerden pflegen
dann beträchtlich zurückzugehen.
BßESGEN hat eine Verminderung der Beschwerden nach der Darreichung
von Apomorphin gesehen (0 005~(r01, .'j—4mal täglich in Pillen oder in
Lösung). Derselbe verordnet gegen die Kopfschmerzen Phenacetin, '.imal
täglich 1 g.
Zieht sich das Stadium der schleimig-eitrigen Secretion in die Länge,
so empfiehlt C. Michel Einblasungen von Argent. nitric. l-Q : 20'0 Talcum,
die zweckmässig vom Nasenrachenraum aus mit einem entsprechend gekrümm-
ten Köhrchen ausgeführt werden. Nach der Einblasung bekommen manche
Patienten für kurze Augenblicke Kopfschmerz, Thränenfluss, Niesen. Eine
ein- bis zweimalige Wiederholung der Einblasung am ersten oder dritten Tage
soll genügen, um die Secretion zur Norm zurückzuführen.
ZARNIKO.
Cysten im Kehlkopfe. Die Cysten sind sehr selten. Doch konnten
schon MouKE und Cervesato bis 1883 170 Fälle zusammenstellen, Schwarz
1886 133 Fälle, von denen 67 ausserhalb und 66 innerhalb der Larynxhöhle
lagen. 61 davon sassen an der Epiglottis und 48 an den wahren Stimm-
bändern. Unter meinen 8000 an Kehlkopf-Krankheiten leidenden Patienten
fand ich nur 7mal Cysten, also circa 37o der gutartigen Neubildungen.
Aetiologie. Am häufigsten entstehen sie durch Ausdehnung von
Schleimdrüsen nach Verschluss des Ausführungsganges. Dieser Verschluss
ist gefolgt von Retention des Secretes, welche dann zur Entartung der Acini
und ganzer Drüsenträubchen führt. Solche Cysten finden sich natürlich dort
am häufigsten, wo die meisten Drüsen vorkommen, also an der Epiglottis
(Fig.) in der Gegend des Ventrikels und an den ary-epiglottischen Falten.
Endlich kommen Cysten noch häufig am
freien Rande der Stimmbänder vor, und zwar in
Form einer grauen, spindelförmigen Anschwel-
lung. Beim Einstechen oder Zerreissen dieser
Anschwellung entleert sich ein Tropfen klarer
Flüssigkeit, und die entfernte Wand zeigt sich
als feines Häutchen. Diese Cysten am Stimm-
bandrande entstehen entweder durch seröse An-
sammlung in den oberflächlichen Schichten des
Bindegewebes oder zwischen demselben und dem
Epithele und nur in ganz seltenen Fällen durch Cyste der Epiglottis.
Ausdehnung von Drüsen-Schläuchen, welche aus-
nahmsweise bis an den freien Rand vordringen. Diese Stimmbandcysten sind
gew^öhnlich sehr klein; dagegen entsteht öfters cystische Degeneration in den
sogenannten weichen Fibromen der Stimmbänder, welche dann auch schliesslich
zu einem makroskopisch als Cyste anzusprechenden Tumor sich umbilden
können.
Die Cysten erscheinen bei Besichtigung mit dem Kehlkopf-Spiegel als
rundliche, öfters durchscheinende, graue Gebilde, deren Oberfläche von ein-
zelnen feinen Gelassen durchzogen ist. Manchmal haben sie eine gelbe Farbe,
wenn sie Atherombrei mit Cholestearin enthalten (sehr seltene Fälle.) An der
Epiglottis kommen sie sogar gestielt vor. Die Cysten an den Stimmbändern
wurden schon beschrieben. Unter dem Mikroskop kann man constatiren, dass die
Cystenwand aus feinfaserigem Gewebe besteht, welches innen mit Epithel oder
Endothel bekleidet ist. Der Inhalt ist meist wässerig klar, öfters aber auch
schleimig. Bei den cystisch degenerirten sogenannten Fibromen findet man
als Inhalt der Hohlräume eine seröse Flüssigkeit. Die Symptome sind
meist sehr unbedeutend, können aber bei Localisation an den Stimmbändern
96 DIAGNOSTIK DER NASENKRANKHEITEN.
oder bei bedeutender Grösse sich als Heiserkeit oder Behinderung des Athmens
bemerkbar machen. Die Diagnose ist nach dem früher Gesagten leicht.
Verwechselt könnten sie höchstens werden mit den sogenannten Schleimpolypen,
namentlich dann, wenn sie an den Stimmbändern sitzen. Die sogenannten
Schleimpolypen der Stimmbänder, welche nichts anderes als stark serös durch-
tränkte Hypertrophien der oberflächlichen Stimmband-Antheile sind, sind näm-
lich ebenfalls sehr häufig grau, länglich oder spindelförmig und durch-
scheinend. Sie nehmen aber fast immer einen grossen Theil des Stimmband-
randes ein, während die eigentlichen Cysten ganz kleine, spindelförmige Ge-
schwülste sind. Uebrigens besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen
beiden Formen nicht, da auch aus einem sogenannten weichen Fibrome durch
Erweichung endlich eine wirkliche Cyste entstehen kann. Uebergangsformen
zwischen Fibrom und Cysten sind daher sehr häufig. Die Therapie. wird
sich nur damit beschäftigen, solche Cysten zu entfernen, welche Stimm- oder
Athmungsstörungen verursachen oder Neigung zum Wachsthum zeigen. Die
gestielten werden natürlich durch Abschneiden des Stieles in toto exstirpirt.
Die ganz kleinen, spindelförmigen, am Rande des Stimmbandes sitzenden
werden entweder mit dem Kehlkopf-Messer durchstochen oder mit der Pin-
cette abgetrennt. Breit aufsitzende, grosse oder in das Gew^ebe tief ein-
gebettete können manchmal endolaryngeal nicht vollständig exstirpirt werden.
Häufig genügt bei ihnen die einfache Function. Manchmal ist es nothw^endig,
in die wieder gefüllte Cyste eine Einspritzung von Jodlösung zu machen.
Manchmal musste man den ganzen Sack spalten und seine Innen^vand
auskratzen oder ätzen. Die Exstirpation eines tief in das Gewebe eingebette-
ten Cystensackes dürfte dagegen sehr schwer endolaryngeal durchzuführen
sein. Cysten an der oberen Fläche des Kehldeckels können gelegentlich direct
vom Munde her gesehen und operirt werden, sei es, indem man um sie eine
galvanische Schlinge legt, oder indem man sie mit einer Pincette nach oben
zieht und dann abschneidet. Recidiven beobachtet man selten. chiari.
Diagnostik der Nasenkrankheiten. Bevor wir zur Erhebung der
Anamnese schreiten, betrachten wir den Gesammthabitus des Patienten, seine
Miene, seinen Gesichtsausdruck. Während er uns über seine Beschwerden
berichtet, merken wir auf etwaige Sprachanomalien. Deshalb unterlassen wir es
nicht, an Kinder, für die ja die Begleiter gewöhnlich das Wort führen, einige
Fragen zu richten. Solche Fragen bringen, wenn sie dem kindlichen Begriffs-
vermögen und Gedankeninhalt tactvoll angepasst sind, ausserdem den Vor-
theil, dass die Kleinen zutraulicher werden und sich die weitere Untersuchung
mit w^eniger Widerstreben gefallen lassen.
Wir schreiten jetzt zur Rhino scopia anterior, mit der wir sogleich
die Sondenuntersuchung verbinden. Oft folgt darauf die Rhino scopia
posterior. Inspection des Naseninnern und Sondenpalpation
sind die allerwichtigsten Untersuchungsmethoden, und ohne dass man sie beide
ausgeübt hat, wird man eine Nasenuntersuchung nur ganz ausnahmsweise für
beendigt erklären können. Sehr häufig sehen wir uns veranlasst, der Sonden-
untersuchung die Cocain isirung voranzuschicken. Zuweilen schliesst
sich daran die functionelle Prüfung, die Prüfung mit dem Geruch
und in besonderen Fällen endlich die Probepunction, die mikrosko-
pische und die bacteriologische Exploration.")
Gar oft wird sich im Verlaufe der Untersuchung die Nothwendigkeit
ergeben, noch anderen Organen unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, besonders
den Ohren, der Mundhöhle, dem Rachen, dem Kehlkopf und den
Brustorganen.
*) Vergl. Artikel „Untersuchung der iVase" in ds, Bd.
DIAGNOSTIK DER OHRENKRANKHEITEN. 97
Zuweilen können wir trotz aller Sorgfalt und Mühe nicht sogleich zu
einer sicheren Entscheidung gelangen. Diese ergibt sich vielmehr erst aus
dem weiteren Krankheitsverlauf, insbesondere aus dorn Erfolg unserer Therapie
(Diagnose ex juvantibus).
Ein paar besondere Bemerkungen erfordert die Nasenuntersuchung
der Kinder. Man kann wohl behaupten, dass sie zu den schwierigsten
Untersuchungen überhaupt gehört. Wir haben es ja bei kindlichen Nasen mit
ausserordentlich engen Räumen zu thun, die ein sehr genaues Sehen erfordern.
Wir müssen dazu die Bangigkeit der kleinen Patienten und häutig genug die
von thörichten Eltern und Tanten eingeredete Furcht vor dem Doctor und
vor den Instrumenten überwinden, oft auch angeborene oder anerzogene Störrig-
keit und Ungezogenheit. Zu allem dem gehört Geduld, unendliche Geduld,
gepaart mit ruhigem und gütigem, festem und bestimmtem Auftreten. Der
Arzt muss den Gedanken ganz ablegen, dass er von einem Kinde, und sei es
noch so ungezogen, geärgert oder beleidigt werden könne. Man muss mit dem
Kinde spielen, wie der Löwe mit der Maus. Niemals darf sich der Arzt zu
Züchtigungen hinreissen lassen. Er ist von dem Augenblick an verloren und
kann die weitere Behandlung ruhig aufgeben.
Kinder dürfen nie zu lange untersucht werden, denn sie sind viel leichter
missmuthig und theilnahmslos als Erwachsene. Sie haben ja meist keinen
Begriff davon, weswegen sie sich den Unannehmlichkeiten der Untersuchung
überhaupt zu unterziehen haben. Man wird sich deshalb das erste Mal oft damit
begnügen, einen allgemeinen Ueberblick gewonnen und den kleinen Patienten
die Harmlosigkeit der Untersuchungsinstrumente zu Gemüthe geführt zu haben.
Damit ist viel erreicht, und das zweite oder dritte Mal kommt man in der
Regel vollkommen zum Ziele. In solchen Fällen muss das Cito hinter dem
Tuto und Jucunde zurückstehen. zarniko.
Diagnostik der Ohrenkrankheiten. Die Ohrenkrankheiten lassen
sich in anatomischer Beziehung eintheilen in solche des äusseren Ohres
(Ohrmuschel und äusserer Gehörgang), des Trommelfelles, des Mittel-
ohres (Paukenhöhle, Tube, Warzenfortsatz und übrige Nebenräume) und des
inneren Ohres (des Labyrinthes, Acusticusstammes und der Hörcentren).
Vom physiologischen Standpunkte unterscheidet man Krankheiten des
schalleitenden Apparates von solchen des schallempfindenden
Apparates; zu letzterem gehören bekanntlich sämmtliche medianwärts von
den Labyrinthfenstern gelegenen Gebilde, welche dem Gehörsinne dienen.
Während die Diagnose der Erkrankungen des schalleitenden Apparates
im allgemeinen keine Schwierigkeiten bereitet, so lange sie deutlich wahr-
nehmbare, objective Veränderungen darbieten, ist die Aufgabe der Unter-
suchung oft eine sehr verwickelte, wenn subjective Krankheitserscheinungen
bestehen, für welche der unbestimmte oder negative Befund keine Erklärung
liefert. Dies gilt nicht allein von den isolirten Affectionen des percipirenden
Apparates, sondern auch ganz besonders von denjenigen zahlreichen Fällen,
in welchen die Krankheit sich auf beide Abschnitte, den Leitungs- und
Empfindungsapparat, ausgedehnt hat. Die differentielle Diagnostik hat sich
zwar langsam fortschreitend entwickelt, allein es bleiben doch, zumal bei den
complicirten Processen, noch mancherlei Erscheinungen zweideutig oder un-
erklärt.
Was die Bezeichnung der Ohraffectionen anbelangt, so erfolgt
dieselbe, soweit Entzündungsvorgänge in Frage kommen, unter Zugrunde-
legung der anatomischen Abschnitte des Gehörorganes, und wir unterscheiden
demnach eine Otitis externa, Myringitis, Otitis media, Otitis
interna. Zur genaueren Kennzeichnung des bestehenden pathologischen
Processes wird dieser allgemeinen Angabe über den Sitz des Leidens ein
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten. '
98 DIA.GNOSTIK DER OHRENKRANKHEITEN.
specieller Ausdruck hinzugefügt, z. B.eine Otitis externa haemorrhagica von
einer Otitis externa desquamativa, eine Otitis media simplex von einer Otitis
media purulenta unterschieden. Freilich ist diese Nomenclatur nicht nach
allen Richtungen befriedigend, und auch wenn man den Sitz des Leidens in
manchen Fällen noch etwas bestimmter ausdrückt, wie es durch die in das
Gebiet der Otitis media fallenden Bezeichnungen Salpingitis, Tympanitis,
Mastoiditis geschieht, so leidet doch auch noch die Benennung der patho-
logischen Vorgänge an einer beträchtlichen Unbestimmtheit, indem dieselbe,
wenn sie oft auch klinisch vollkommen abgegrenzten Begriffen entspricht,
anatomisch nur wenig von einander verschiedene Processe von einander trennt.
So fehlt es z. B. oft an ausdrücklichen anatomischen Unterscheidungsmerk-
malen zwischen der Otitis media suppurativa und der Otitis media simplex,
da beide klinisch meist sehr bestimmt auseinander zu haltenden Affectionen
vollkommen gleiche Sectionsbefunde darbieten können.
Man hofft, dass mit der Zeit die Bacteriologie diese Uebelstände
wird vermindern helfen; allein mit unseren heutigen Erfahrungen über die
Mikroorganismen und ihre pathogenen Eigenschaften ist dies noch bei weitem
nicht möglich, und es muss bei der bestehenden Neigung zu einer sanguini-
schen Verwertung bacteriologischer Befunde nachdrücklich vor voreiligen
Schlüssen gewarnt werden.
Diagnostische üebersicht über die Erkrankungen des Gehörorganes.
Aeusseres Ohr.
Für die Diagnose der Erkrankungen des äusseren Ohres genügt in vie-
len Fällen die Inspection; doch muss sehr häufig auch die Palpation
und die Sondirung zu Hilfe genommen werden. Die Functionsprüfung ist
als diagnostisches Mittel hier von untergeordneter Bedeutung. In vielen
Fällen wird die Anamnese, in anderen der Verlauf der Krankheit für
die differentielle Bestimmung zu verwerten sein.
a) Ohrmuschel.
Die an der Ohrmuschel sich abspielenden Krankheitsprocesse sind, von
den Entwicklungsanomalien abgesehen, in Circulationsstörungen, Entzündungs-
vorgänge, Neubildungen zu theilen. Im allgemeinen finden sich hier die-
selben Erkrankungsformen wie an anderen mit Haut bekleideten Körperstellen,
und der Verlauf dieser Hautaffectionen hat auch kaum etwas Specifisches. Durch
den Umstand, dass die Grundlage der Ohrmuschel aus Knorpel besteht, wird
das Auftreten anderer pathologischer Vorgänge begünstigt, welche, wie das
Othämatom, die Perichondritis, dem Knorpelgewebe eigenthümlich sind.
a) Bildungsanomalien. Die Bildungsdefecte und Bildungsexcesse
der Ohrmuschel sind als solche fast ausnahmslos leicht zu erkennen. Geringe
Abweichungen von der normalen Grösse und Form, namentlich eine weniger
deutliche Ausprägung der Erhöhungen und Vertiefungen, sowie das Fehlen
einzelner kleiner Theile können in ähnlicher Weise wie bei congenitalen
Defecten durch Entzündungsprocesse und Verletzungen bedingt sein. Ebenso
kann eine Vergrösserung der Muschel oder einzelner Theile (Lobulus) durch
extrauterine Vorgänge, wie Ekzem, Lupus, erworben sein. Spaltbildungen im
Lobulus kommen infolge mangelhafter Entwicklung, häufiger aber in der-
selben Gestalt durch das gewaltsame Ausreissen von Ohrringen zustande.
Die Anamnese wird hierüber in zweifelhaften Fällen Aufschluss verschaffen.
ß) Circulationsstörungen. Nicht immer ganz klar ist die Dia-
gnose des Othämatom s, zumal wenn dasselbe nicht traumatischen Ur-
sprunges ist. Aehnliche Anschwellungen mit Fluctuation können bei phleg-
monöser Entzündung mit Abscessbildung und bei Perichondritis des Ohr-
DIAGNOSTIK DER (jHRENKRANKHEITEN. 99
knorpels vorkommen. Symptome und Verlauf sind dann für die Differential-
diagnose maassgebend.
y) Entzündungsvorgänge spielen sich an der Ohrmuschel häufig
ab. Seborrhoe, Psoriasis, Pityriasis, Pemphigus, Herpes, Ery-
sipelas, Syphiliden, Lupus sind beschrieben worden; öfter kommen
phlegmonöse Processe, Verbrennungen und Erfrierungen, am
häufigsten die verschiedenen Ekzem formen vor. Alle diese Affectionen
spielen sich, wie bereits angeführt wurde, im wesentlichen in derselben "Weise
wie an anderen Körpertheilen ab und bieten für die Diagnose keine örtlich
bedingten Schwierigkeiten. Eine eigenartige Erkrankung der Ohrmuschel ist
die Perichondritis auriculae, deren Erkennung durch die Anamnese
erleichtert, in schwierigeren Fällen durch den Verlauf gesichert wird.
o) Die Neubildungen, welche an der Ohrmuschel beobachtet werden,
bieten nichts Eigenthümliches dar; ihre Diagnose ist gerade so leicht oder so
schwierig wie an anderen Gegenden des Körpers. Die häufiger vorkommen-
den sind das Angiom, Fibrom, Epitheliom; seltener sind Adenom,
Sarkom, Papillom, Lipom, Enchondrom, Gummata. Einen charak-
teristischen Befund bietet das aus dem Lobulus herauswuchernde Narben-
keloid. Verkalkungen und Verknöcherungen, sowie Einlagerungen von harn-
sauren Salzen in den Knorpel sind leicht zu erkennende, nicht eben häufige
Befunde.
b) Aeusserer Gehörgang.
Im äusseren Gehörgange spielen sich neben den Secretionsanomalien
vorwiegend entzündliche Vorgänge ab. Die letzteren werden entweder
nach dem Gewebe, welches sie befallen, bezeichnet: Dermatitis, Follikular-
entzündung, Perichondritis, Periostitis, Ostitis; oder nach dem Charakter des
pathologischen Processes: Ekzem, Mykosis, Diphtherie, Croup etc.
Die Untersuchung des äusseren Gehörganges durch Inspection und,
so oft es irgend angezeigt erscheint, durch die Sondirung ist sehr wichtig,
nicht allein für die Diagnose der im Ohrcanale selbst bestehenden Verände-
rungen, sondern auch mit Rücksicht auf gewisse Erkrankungen des Trommel-
felles und der Paukenhöhle und namentlich des Warzenfortsatzes, welche nicht
selten zu secundären Störungen im Meatus externus führen. So deutet z. B.
in vielen Fällen eine Vorwölbung der hinteren, oberen Gehörgangswand auf
eine Entzündung im Processus mastoideus, eine Krustenbildung in der Tiefe
des Canales auf einen chronischen Eiterungsprocess in dem oberen Theile der
Paukenhöhle hin.
a) Bildungsanomalien. Der einzige häufiger vorkommende Bildungs-
defect, die congenitale Atresie, ist stets von dem durch Entzündungs-
vorgänge erworbenen Verschlusse des Gehörganges zu unterscheiden, wenn,
wie das als Regel angesehen werden kann, gleichzeitig die Ohrmuschel rudi-
mentär entwickelt ist. Bei gesunder Auricula kann die Bedeutung einer
Atresie, wenn nicht die Anamnese zur Stellung der Differentialdiagnose ver-
hilft, zweifelhaft bleiben.
ß) Secretionsanomalien bieten für die Diagnose im allgemeinen
keinerlei Schwierigkeiten, obwohl es z. B. bei Vorhandensein von Cerumen-
ansammlungen auf den ersten Blick zweifelhaft erscheinen kann, ob es sich
um Ohrenschmalz oder Blutgerinnsel oder Eiter etc. handelt. Auch ist es
nicht immer durch die blosse Inspection festzustellen, ob eine obtuiürende
Masse ausschliesslich aus Cerumen besteht oder ausserdem durch einen Fremd-
körper oder durch Desquamationsproducte gebildet wird.
7) Entzündungsvorgänge sind im Gehörgange in mannigfacher
Art zu beobachten. Wir unterscheiden zunächst eine Otitis externa cir-
100 DIAGNOSTIK DER OHRENKRANKHEITEN.
cumscripta von einer Otitis externa diffusa. Der erstere Ausdruck
ist für die Furunkelbildung vorbehalten, deren Diagnose bei dem typi-
schen Verlaufe der Aftection leicht zu stellen ist und welche nur bei ganz
oberflächlicher Untersuchung mit Polypen oder Abscedirung verwechselt wer-
den kann; die Sondirung gibt sicheren Aufschluss. Unter der Bezeichnung
der diffusen Gehörgangsentzündung werden alle übrigen entzündlichen Vor-
gänge zusammengefasst, deren wichtigere die hämorrhagische Form
mit Bildung von Blutblasen, die croupöse und diphtheritische mit der
charakteristischen Exsudat- und Geschwürsbildung, die parasitische, durch
Wucherung von Schimmelpilzen (Otomykosis) verursachte, und die des-
quamative Form sind, welche letztere zu harten, concentrischen Schich-
tungen von Hautschollen in der Tiefe (Cholesteatom des Gehörganges)
führt. Differentialdiagnostisch unterscheiden sich diese verschiedenen Arten
der Otitis externa diffusa deutlich von einander. Bei der mykotischen Form
wird die letzte Entscheidung durch das Mikroskop zu bewerkstelligen sein.
6) Unter den Neubildungen nehmen die E x o s t o s e n die erste Stelle
ein, deren Erkennung, wenn die Inspection nicht ausreicht, durch die Son-
dirung gesichert wird. Polypen entspringen, obwohl sie, sobald sie eine ge-
wisse Grösse erreichen, ganz vorwiegend im Ohrcanale liegen, mit wenigen
Ausnahmen im Mittelohre. Auch hier entscheidet die Sonde.
s) Fremdkörper spielen in keinem Hohlräume des menschlichen
Körpers eine so wichtige Rolle wie im Ohrcanale. Ihre Diagnose ist stets
leicht, wenn nicht schon vorher unberufene Hände eine entzündliche An-
schwellung verursacht oder das Corpus alienum in die Paukenhöhle gestossen
haben. In solchen Fällen wird bei ausreichender Uebung die Sonde oft Auf-
schluss verschaffen, doch kann man, solange nicht bedrohliche Erscheinungen
bestehen, mit der definitiven Stellung der Diagnose getrost abwarten, bis
unter einer geeigneten Behandlung die Schwellung beseitigt ist. Zu berück-
sichtigen ist bei der Diagnose die Möglichkeit, dass kleinere Fremdkörper
sich in der Ausbuchtung der unteren Gehörgangswand dicht am Trommelfelle
(Sinus des Gehörganges) oder in einer bei kleineren Kindern im Os tympanicum
befindlichen Ossificationslücke verbergen können.
c) Trommelfell.
Das Trommelfell erkrankt nur selten primär, ist aber bei vielen Aftec-
tionen des äusseren Gehörganges und bei den meisten Krankheiten des Mittel-
ohres wesentlich betheiligt; und da wir genöthigt sind, pathologische Zustände
der Paukenhöhle am Trommelfelle abzulesen, so ist eine gründliche Unter-
suchung dieser Membran nicht allein für die Erkennung der auf sie selbst
beschränkten Veränderungen, sondern auch für die Diagnose der Mittelohr-
leiden von der allergrössten Wichtigkeit. Nur wer Uebung im Gebrauche
des Ohrenspiegels besitzt, ist im Stande, die oft ganz minutiösen Abweichungen
in Farbe, Wölbung etc., auf welche es hier ankommt, richtig zu beurtheilen.
Die Inspection mit dem Reflector und Trichter allein genügt nicht
immer; es muss zuweilen, namentlich wenn die Beweglichkeit des Trommel-
felles geprüft werden soll, der SiEGLE'sche Trichter herangezogen, in
anderen Fällen die Sondirung, die Luftdouche ausgeführt werden.
Immerhin bleibt für die Erkennung der Trommelfell-Veränderungen die Oto-
skopie bei weitem das wichtigste Hilfsmittel.
Abgesehen von den äusserst seltenen oder doch am Lebenden äusserst
selten zur Beobachtung kommenden Bildungsanomalien kommen als
primäre Erkrankungen des Trommelfelles zunächst in Betracht:
a) Die Verletzungen. Da es sich in den meisten Fällen um pene-
trirende Verletzungen handelt, ist es die Hauptaufgabe der Diagnose, das
Bestehen eines Bisses im Trommelfelle festzustellen, was, wenn ausgedehntere
DIAGNOSTIK DER OHRENKRANKUEJTEN. 101
Blutungen eingetreten sind, seine Schwierigkeit haben kann. Als fast absolut
sicheres Mittel zum Nachweis der Continuitätsstörung muss in zweifelhaften
Fällen die Luftdouche angewendet werden.
Auf die namentlich in forensischen Fällen bedeutungsvollen Fragen, ob
eine Trommelfellverletzung mit tieferen Störungen complicirt ist, ob etwa eine
Mittelohreiterung durch die Verletzung herbeigeführt worden war, ob schon
vor dem Trauma eine Krankheit bestanden hatte, kann hier nicht eingegan-
gen werden.
|3) Die Entzündungs Vorgänge, Myringitis acuta und chro-
nica, bieten für die Diagnose mitunter Schwierigkeiten, insofern es dem
minder Geübten nicht immer sofort gelingt, die Betheiligung der Paukenhöhle
auszuschliessen. Anfänger namentlich sind fast stets geneigt, auch die bei
entzündlichen Mittelohraffectionen regelmässig auftretenden Veränderungen
am Trommelfelle als primäre Myringitis-Befunde aufzufassen. Von Wichtig-
keit für die Differentialdiagnose ist der Ausfall der Hörprüfung, indem
bei Myringitis keine erhebliche, bei Otitis media hingegen eine beträchtliche
Functionsstörung besteht, sowie die Einwirkung der Luftdouche auf die
Hörfähigkeit und auf das Trommelfellbild. Das Gehör wird bei vorhandener
Mittelohraffection durch die Lufteinblasung gebessert, während bei Myringitis
keine nennenswerte Aenderung eintritt, und ebenso lässt sich auch erkennen,
dass bei Erkrankungen der Paukenhöhle das Aussehen des Trommelfelles
durch die Luftdouche beeinflusst wird, bei der Myringitis hingegen nicht.
Die bei Myringitis haemorrhagica, bullosa etc. vorliegenden
Trommelfellveränderungen sind meist so ausgesprochen, dass die Erkennung
dieser specifischen Entzündungsformen leicht ist.
7) Bezüglich der Neubildungen des Trommelfelles muss auf das
specielle Capitel über Trommelfellkrankheiten verwiesen werden.
d) Mittelohr.
Die LTntersuchung des Mittelohres erfordert die verschiedenartigsten
Methoden; insbesondere kommen die Otoskopie, der Katheterismus
der Tube mit Einschluss der Auscultation, die Sondirung vom Nasen-
rachenräume und vom Gehörgange aus und die verschiedenen Arten der
Hörprüfung in Betracht.
Die meisten Erkrankungen verändern so deutlich das Troramelfellbild,
dass sie ohne weiteres durch die otoskopische Untersuchung erkannt werden
können; doch kann auch bei Mittelohraffectionen, z. B. bei sklerotischen
Processen, das Trommelfell vollkommen normal aussehen.
Für die Differentialdiagnose zwischen den Krankheiten des Trommelfelles
und des Mittelohres sind die oben bereits angegebenen Verhältnisse maass-
gebend. Es wird mit Hilfe der Inspection und der Luftdouche fast stets ge-
lingen, den eigentlichen Sitz des Leidens klarzustellen.
Verwickelter gestaltet sich die Unterscheidung zwischen Mittelohraffec-
tionen und Erkrankungen des percipirenden Apparates. Hier sind wir im
wesentlichen auf die Ergebnisse der Hörprüfung angewiesen, deren wahrer
W^ert freilich bei vorurtheilsfreier Betrachtung leider ein recht oft zweifelhafter
ist. Im allgemeinen kann man sagen, dass bei Mittelohrerkrankungen hohe
Töne besser gehört werden als tiefe, dass beim WEBER'schen Versuche der
Stimmgabelton auf dem (allein oder stärker) erkrankten Ohre ausschliesslich
oder lauter wahrgenommen wird, dass der BiNNE'sche Versuch negativ aus-
fällt und die Perceptionsdauer für den Stimmgabelton verlängert ist. Wenn
alle diese Ergebnisse vorliegen, ist eine erheblichere Affection des percipiren-
den Apparates so ziemlich ausgeschlossen. Immerhin muss man sich bei der
Verwertung der Functionsprüfung vor schematischen Schlüssen hüten, da
vielerlei Complicationen zu berücksichtigen sind.
102 DIAGNOSTIK DER OHRENKRANKHEITEN.
Wenn wir von den Bildungsanomalien und den Verletzungen
mit Einschluss der Fremdkörper, sowie von den Neubildungen absehen, so
lassen sich die alltäglichen Erkrankungen des Mittelohres in katarrhalische
und entzündliche, je nach der mehr serös- schleimigen oder mehr eiterigen
Beschalfenheit des Secretes, und in Adhäsivprocesse eintheilen.
a) Entzündungsvorgänge. Die katarrhalischen Mittelohr-
affectionen führen, wenn die Tube, was meist der Fall ist, in Mitleiden-
schaft gezogen ist, zu den charakteristischen Zeichen einer vermehrten Ein-
ziehung des Trommelfelles: Vorspringen des kurzen Hammerfortsatzes mit der
hinteren Falte, Verkürzung und Horizontalstellung des Hammergriifes, Ver-
ringerung des "Winkels zwischen letzterem und der hinteren Falte, vermehrtes
Durchscheinen der jenseits des Trommelfelles gelegenen Gebilde etc. Besteht
nicht gleichzeitig eine Tubenverengerung, so kann das Trommelfell seine
normale Trichterform beibehalten, während es andererseits bei grösserer An-
sammlung von Exsudaten der Paukenhöhle theilweise oder im ganzen vor-
gewölbt erscheint. Wo weder die Farbe des Trommelfelles infolge starker
Schwellung der Membran, noch die dem Gehörgange zugekehrte Convexität
desselben die Secretansammlung direct anzeigen, kann die Auscultation
bei der Luftdouche, welche Rasselgeräusche nachweist, die Diagnose sicher-
stellen. Schwellung und Röthung des Trommelfelles sind bei serös-schleimiger
Beschaffenheit des Exsudates in der Kegel nicht so bedeutend wie bei den
eiterigen Entzündungsformen; auch unterscheidet sich der Katarrh von der
intensiveren Otitis media purulenta durch das Fehlen oder den geringeren
Grad der Temperatursteigerung und eine minder heftige Schmerzhaftigkeit.
Bei chronischen Fällen von Otitis media simplex können Hyperämie und
Schwellung des Trommelfelles ganz ausbleiben, während die Einziehung eine
stärkere ist.
Für die Mittelohrentzündung, welche sich im Anfangsstadium
dem Katarrh gegenüber durch viel erheblichere, subjective Beschwerden, durch
höheres Fieber und beträchtlichere Gewebsveränderungen des Trommelfelles
auszeichnet, ist als entscheidendstes diagnostisches Merkmal fast regelmässig
schon nach ganz kurzer, zuweilen nach Stunden bemessener Zeit die Per-
foration des Trommelfelles zu constatiren. In acuten Fällen, in welchen
der Defect anfangs sehr klein zu sein pflegt, ist der Nachweis des eingetre-
tenen Secretdurchbruchs nicht immer sicher durch die blosse Inspection zu
führen. Hier kann das Vorhandensein eines pulsirenden Reflexes oder
der Eintritt des typischen Perforationsgeräusches bei der Luftdouche
ausschlaggebend sein. Die Erkennung grösserer Substanzverluste bietet in
der Regel selbst Anfängern keine Schwierigkeiten. Auch Granulationen
und Polypen, wie sie bei chronischen Entzündungsprocessen häufig vor-
kommen, sind leicht zu diagnosticiren; grössere Tumoren, welche bis zur
Concha gewachsen sind, können mit Furunkeln verwechselt werden, doch gibt
die Sondirung sofort Aufschluss. Dieselbe dient auch zur Entscheidung,
ob Granulationen vom Trommelfelle oder aus der Paukenhöhle entspringen.
Bezüglich der cariösen Processe und sonstiger Complicationen muss auf die
speciellen Artikel verwiesen werden.
ß) Adhäsivprocesse führen, wenn das Trommelfell selbst durch
band- oder strangförmige Synechien oder direct mit Theilen der Pauken-
höhle verlöthet ist, zu partiellen Einziehungen, deren verminderte oder auf-
gehobene Beweglichkeit mit Hilfe der Luftdouche oder des SiEGLE'schen
Trichters nachgewiesen werden kann. Hingegen ist die Diagnose tieferer
plastischer Processe, namentlich der Sklerose und ihrer Ausgänge (Steig-
bügelankylose), oft nicht leicht zu stellen, weil das Trommelfell voll-
kommen normal sein kann und Veränderungen der Membran, wie Trübungen^
Verdickungen, Verbreiterung des Hammergriffes, wenn solche vorliegen, nicht
DIAGNOSTIK DER OHRENKRANKHEITEN. 103
typisch für diesen Krankheitsprocess sind. Die Luftdouche gibt in Fällen
von ausgesprochener Sklerose in der Kegel ein charakteristisches, hartes und
scharfes, zuweilen fast pfeifendes Blasegeräusch und bessert die Hörfähigkeit
wenig oder gar nicht. Auch die Sondirung ist für die Feststellung ab-
normer Fixationen zu verwerten.
7) Erkrankungen des Warzen fortsatzes äussern sich meist objectiv
durch Schwellung und llöthung der Haut über dem Processus mastoideus,
durch Infiltration der umgebenden Lymphdrüsen, durch Vorwölbung der
hinteren-oberen Gehörgangswand. Doch können alle diese und überhaupt
jegliche Symptome fehlen, und es ist dann von Wichtigkeit, wenn die Per-
cussion einen Anhalt liefert, ob die Warzenzellen lufthaltig oder mit Geweben
ausgefüllt sind. In vorgeschrittenen Fällen weisen oft Fistelgänge auf eine
Betheiligung des Warzenfortsatzes hin.
8) Residuen von Mittelohrentzündungen. Besonders typische
Bilder zeigt das Trommelfell, wenn intensive Processe im Mittelohre abgelaufen
sind. Es können dann persistente Perforationen, Narben und Verkalkungen
bestehen, deren Nachweis durch die Otoskopie leicht gelingt. Doch genügt
diese Untersuchungsmethode nicht immer, wenn es sich um die Entscheidung
handelt, ob eine Perforation vernarbt ist. Hier leisten der SiEGLE'sche
Trichter und die Luftdouche, welche auch über das Frei- oder Verwachsen-
sein von Narben Aufschluss geben, gute Dienste.
e) Schallempfindender Apparat.
Da sich der schallpercipirende Apparat unseren Blicken vollständig ent-
zieht, so sind wir bei der Diagnose der ihn betreffenden Krankheiten auf die
Anamnese (ursächliche Momente), die Feststellung des allgemeinen
Status und die Ergebnisse der Hörprüfung angewiesen. Das Trommel-
fellbild sagt über den Zustand des inneren Ohres nichts; doch ist die Ocular-
inspection, ebenso wie die physikalische Untersuchung des
Mittelohres für die Ausschliessung oder den Nachweis gleichzeitig be-
stehender Mittelohraffectionen niemals zu entbehren.
Was die Hörprüfung betrifft, so ist dabei die Controle der cranio-
tympanalen Leitung, welche in der Regel bei Labyrinth- und Nerven-
affectionen mehr oder weniger aufgehoben ist, von besonderer Bedeutung,
wenn auch niemals allein maassgebend. Der WEBEK'sche Stimmgabelversuch
ergibt, dass der Stimmgabelton auf der erkrankten oder schlechter hörenden
Seite nicht oder schwächer als auf der anderen wahrgenommen wird, der
RiNNE'sche Versuch fällt vorwiegend positiv aus, die Perceptionsdauer für
Stimmgabeltöne ist verkürzt. Ferner fällt bei den Krankheiten des percipi-
renden Apparates auf, dass die obere Tongrenze verringert ist. Es sind dies
also durchwegs entgegengesetzte Ergebnisse gegenüber den Resultaten der
Hörprüfung bei Affectionen des Leitungsapparates. Leider geben die ver-
schiedenen Methoden der Functionsprüfung, auf welche hier nicht näher ein-
gegangen werden kann, oft ganz widersprechende Resultate, so dass nament-
lich in complicirten Fällen die Diagnose oft genug zweifelhaft bleibt. Auch
die galvanische Untersuchung des Acusticus lieferte bisher keine befrie-
digenden Ergebnisse.
Ganz im Argen liegt noch die specielle Diagnose der krankhaften Ver-
änderungen im Empfindungsapparate, sowohl nach Sitz als nach Charakter.
Nur immer mit einem gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit können die-
selben als Circulationsstörungen und Entzündungsprocesse und
dergleichen bestimmt werden, und wir sind häufig darauf angewiesen, aus
der den Erscheinungen zu Grunde liegenden Allgemeinkrankheit auf den
muthmaasslichen Process zu schliessen. In den Artikeln, welche die Krank-
heiten des inneren Ohres behandeln, werden diese Verhältnisse im einzelnen
genauer dargelegt werden. bürkner.
104 DIPHTHERIE DER NASE.
Diphtherie der Nase.") Die Diphtherie der Nasenschleimhaut, her-
vorgebracht durch Invasion des LöFFLER'schen Diphtherie - Bacillus, tritt
entweder primär oder secundär auf. Nur selten sind die Nasenhöhlen der
primäre und alleinige Sitz der diphtheritischen Erkrankung. In den meisten
Fällen ist die Nasendiphtherie eine secundäre, fortgeleitet von der Rachen-
schleimhaut. Nach MoNTi kommt bei Neugeborenen und Säuglingen in den
ersten sechs bis acht Wochen die primäre Nasendiphtherie nicht so selten
vor und soll unabhängig von der genuinen Diphtherie und wahrscheinlich
durch eine puerperale Infection hervorgebracht sein. Es ist jedoch anzuneh-
men, dass MoNTi's Beobachtungen mit der Rhinitis fibrinosa wohl iden-
tisch sind.
Die primäre Diphtherie der Nase manifestirt sich zuerst durch
das Auftreten katarrhalischer Erscheinungen, den sogenannten diphtherischen
Schnupfen. Meist haben die Kinder schon mehrere Tage an einem star-
ken Schnupfen gelitten, welcher aber kaum beachtet wurde, bis das
weitere Fortschreiten des Processes auf den Rachen oder gar croupöse Er-
scheinungen die Hilfe des Arztes erforderten. Neben Störungen des Allgemein-
befindens findet man Fieber und mehr oder weniger hochgradige Verstopfung
der Nase. Die Kranken schnüffeln, schnarchen laut und sind genöthigt, mit
offenem Munde zu athmen. Aus der Nase quillt eine dünne, eitrige Flüssig-
keit hervor, die oft bräunlich gefärbt ist, in schwereren Fällen jauchig
wird und einen widerlich stinkenden und faden Geruch bekommt. Zuweilen
entleeren sich beim Schneuzen und Niesen Membranen, theils kleinere Fetzen,
theils grössere Stücke, oft vollkommen röhrenförmige Abgüsse des Nasen-
inneren. Das ätzende Secret erzeugt meist auf der Haut des Naseneinganges
und der Oberlippe Röthung und Excoriation. Mitunter können sich die wun-
den Stellen mit einem diphtheritischen Belage bedecken. Bei stärkerer Er-
krankung ist die ganze äussere Nase geschwollen und stark geröthet. Es
kommt zu einem Oedem der Wangen und Augenlider. Häufig ist der Nasen-
ausfluss mit Blut untermischt, ja es kommt zuweilen durch die Ablösung der
diphtheritischen Membranen zu heftigen Blutungen, die lebensgefährlich werden
können. Pflanzt der Process von der Nase sich auf die Tuba Eustachii fort,
so tritt Ohrensausen und Schwerhörigkeit auf, es kommt zu einer eitrigen
Paukenhöhlenentzündung mit Durchbruch durch das Trommelfell.
Erkrankt die Nasenschleimhaut erst secundär, indem der diphtheritische
Process von der hinteren Pharynxwand oder der hinteren Seite des Gaumen-
segels in die Choanen fortschreitet, so werden anfangs der Nasenrachenraum
und die hinteren Partieen der Nasenhöhle der Sitz der Affection sein, und
erst später werden die vorderen Abschnitte betroffen.
Die rhinoskopische Untersuchung ergibt neben sehr starker Röthung
und Schwellung der Schleimhaut grauweisse Beläge, sowohl auf den Nasen-
muscheln, wie auf der Scheidewand, bald circumscript, bald diffus sitzend
und zuweilen die ganze Nasenhöhle auskleidend.
Wenn die Krankheit nicht einen letalen Ausgang nimmt, so tritt meist
eine vollkommene Restitution der Schleimhaut ein. Nur selten konnten wir
Synechien zwischen Muschel und Septum beobachten.
Die Diagnose wird nur in den Fällen auf Schwierigkeiten stossen, in
denen die Nasenschleimhaut allein afficirt und der Pharynx noch gesund ist.
Es kommt hierbei in Frage die Differentialdiagnose zwischen Rhinitis fibri-
nosa und Nasendiphtherie. Wenn auch in neuerer Zeit von verschie-
denen Seiten (Baginski, Scheinmann) in den Membranen bei Rhinitis
fibrinosa virulente Diphtheriebacillen nachgewiesen wurden und man hiernach
*) Vergl. auch Artikel ^Diphtherie'* im Bd. I. der „Internen Mediein"' dieses
Sammelwerkes.
DIPHTHEPJE DES OHRES. 105
vermuthen könnte, dass wir es bei der Ehinitis ttbrinosa nur mit einer ab-
gescliwächten Nasendiphtlicrie zu thun hätten, so sprechen doch andere Beob-
achtungen (B. Fränkel) und der klinische Verlauf gegen eine solche Auf-
fassung. Der locale Befund, keine Tendenz zur Weiterverbreitung, das Fehlen
bedrohlicher Allgemeinerscheinungen, das E'ehlen der Nachkrankheiten, die
Heilung ohne Narben, kurz die Gutartigkeit dieser Krankheit charakterisirt
zur Genüge die fibrinöse Rhinitis als eine Aftectio sui generis. Die Rhinitis
fibrinosa ist eben ätiologisch keine einheitliche Krankheit, sondern kann als
Symptom einer dii^htherischen Infection auftreten, ausserdem aber auch durch
andere Krankheitserreger wie namentlich Staphylococcen und Streptococcen
hervorgerufen werden.
Die Prognose der diphtheritischen Entzündung der Nase ist namentlich
bei jüngeren Kindern eine sehr schlechte, zumal die Nase gerade bei den sep-
tischen Formen der Diphtherie häufig secundär befallen wird. Unter 202
Fällen von Diphtherie, die wir in einem Jahre zu beobachten Gelegenheit
hatten, waren 50 von Nasendiphtherie befallen und von diesen verliefen
38 letal.
Die locale Behandlung hat neben der bei Diphtheritis angewandten
Allgemeinbehandlung (Serumtherapie) die Aufgabe, so schonend wie mög-
lich die Membranen zu entfernen, die Nase zu reinigen und die Entwicklung
neuer Häute zu verhindern. Sind die Nasenlöcher vollkommen verstopft, so ver-
suche man mit einer Nasenpincette die Membranen vorsichtig herauszuziehen,
damit es zu keiner Blutung kommt. Beim Ausspritzen der Nase, das mit
einer Nasenspritze, bei kleinen Kindern auch besser mit einem Gummiballon,
dessen Spitze ebenfalls aus Gummi besteht, je nach Bedürfnis zwei bis vier-
stündlich vorgenommen wird, ist sehr zu beachten, dass bei zu starkem Druck
leicht die Gefahr einer Infection der Paukenhöhle droht. Zur Spülflüssigkeit,
die lauwarm sein soll, bediene man sich einer Salicylborlösung (Äcid. salicyl
3, Äcid. horic. 30, Äqu. destillat. ad 1000), oder einer l%o Thi/moUösung oder
7io7o I^ösung von hypermangansaurem Kali. Kommt es bei der Entfernung
der Membranen oder beim Ausspritzen zu starken Blutungen, so kann die
Tamponade erforderlich werden, was unter den oben erwähnten 50 Fällen von
Nasendiphtherie viermal nöthig wurde. Nach Reinigung der Nase insufflire
man desinficirende Pulver, wie Jodoform, Jodol, Nosophen. Die Excoriationen
in der Umgebung der Nase bestreiche man mit Borvaselin. scheier.
Diphtherie des Ohres. Unsere Kenntnisse über Ohrendiphtheritis
müssen sehr mangelhaft genannt werden, wenn sie geprüft werden auf
Orund der gegenwärtigen Untersuchungen' über die Pathologie des diph-
theritischen Processes im Cavum pharyngo-nasale. Man weiss in der That,
dass die Bildung von fibrinösen Pseudomembranen entzündlicher Natur nicht
ausschliesslich in Zusammenhang mit der Anwesenheit des Klebs-Löff-
LER'schen Bacillus zu setzen ist, sondern es ist die Leistung einer grossen
Anzahl von Mikroorganismen, wenn bestimmte Bedingungen von Virulenz und
der Nährboden vorhanden sind, da einerseits in der Entwicklung der echten
Diphtheritis die gemischten Ansteckungen mit pyogenen Bacterien sehr oft
vorkommen, und man anderseits diphtheritischen und pseudodiphtheritischen
Bacillen von sehr verschiedener Virulenz begegnen kann, in einzelnen Fällen
sogar die Diphtherie-Bacillen wie echte Saprophyten sich verhalten können.
Das klinische Bild entspricht also nicht immer dem bacteriologischen
Typus, und um ein Urtheil abzugeben, muss man beiden diesen Thatsachen
Rechnung tragen.
Die wenigen in der Literatur angeführten Fälle über Ohrendiphtheritis
müssen mit Rücksicht auf den Zeitraum, in welchem sie beobachtet wurden,
als ungenügend erforscht betrachtet werden in Bezug auf unsere gegen-
106 DIPHTHERIE DES OHRES.
wärtigen bacteriologischen Kenntnisse; deshalb können sie auch nicht, strenge
genommen, für diphtheritischen Ursprunges gehalten werden.
Die Diphtheritis kann alle Theile des Gehörorganes treffen: die Ohr-
muschel und den äusseren Gehörgang, sei es im ersten Falle durch locale
Einimpfung der Infection, oder durch Uebertragung der letzteren von der
erkrankten Trommelhöhle aus durch Perforation der Membran; — das Mittel-
ohr und das Cavum mastoideum durch Ausbreitung des krankhaften Proces-
ses vom Cavum pharyngo-nasale aus die Ohrtrompete; durch das Labyrinth
— Erkrankungen ausgehend vom Mittelohr; den Nervus acusticus, sei es
durch Ausbreitung des Processes vom Labyrinth aus, sei es — was öfter
der Fall sein müsste — durch ursprüngliche Läsionen gleich denen, welche
das diphtheritische Virus in anderen Nerven erzeugt. Die Möglichkeit einer
ursprünglichen diphtheritischen Infection des Mittelohres ist mit Sicherheit
noch nicht constatirt worden.
Die pathologisch-anatomischen Erscheinungen sind auch für's
Ohr dieselben, welche für den diphtheritischen Process im allgemeinen charak-
teristisch sind. Sie können zusammengefasst werden in einer primären Ne-
krose der oberflächlichen Gewebsschichten mit Bildung von fibrinösen Pseudo-
membranen und nachträglicher Ausscheidung der abgestorbenen Theile mit-
telst Vereiterung. Im Mittelohre gestatten es die Dünnheit der Mucosa und
die Zartheit der Gewebsstructur, dass die Nekrose sich auf Periost und
Knochen ausbreiten kann, mit nachfolgender Ausscheidung der Knöchelchen,
rapider Zerstörung des Trommelfelles, der Vestibularwand mit Uebertragung
der Infection aufs Labyrinth und so weiter. Für's innere Ohr wurden speciell
von Moos beschrieben: die Nekrose der Bogengänge, die Hämorrhagien, die
Gerinnung der Lymphe, die kleinzellige Infiltration ohne Bildung von echtem
Eiter etc.
Das klinische Bild der Diphtheritis der Paukenhöhle, des
Ohres und des äusseren Gehörganges besteht aus tiefen Ulcerationen
der Haut, bedeckt mit Pseudomembranen, der Unterlage adhärirend, An-
schwellungen des Gewebes, Fehlen von echtem Eiter wenigstens zu Beginn
der Affection, intensive Theilnahme der nahen lymphatischen Ganglien und
manchmal des allgemeinen Status. In den meisten Fällen entwickeln sich
solche Läsionen bei Individuen, die Träger sind von diphtheritischen, pha-
ryngo-nasalen Läsionen, in welchen, wie gesagt, die Infection des äusseren
Gehörganges erfolgte entweder vom Mittelohr (in diesem Falle sind Läsionen
vorwiegend auf die tiefen Gehörgangstheile beschränkt), oder durch Ueber-
tragung des krankhaften Agens auf irgend eine zufällig lädirte Stelle der
Cutis. Man muss sich genau hüten, alle diejenigen Krankheitsprocesse als
diphtheritische zu betrachten, welche im äusseren Gehörgang sich ent-
wickeln und begleitet werden von Pseudomembranen; diese letzteren können
thatsächlich aus verschiedenen Ursachen entstanden sein, und nur die bacterio-
logische Prüfung wird für die Diagnose entscheidend sein.
Auf das klinische Bild der acuten diphtheritischen Otitis media
muss viel mehr Gewicht gelegt werden. Vor allem ist es angezeigt zu con-
statiren, dass nicht alle acuten Mittelohrentzündungen, welche die echte Diph-
therie oder die Scharlachdiphtherie begleiten, diphtheritischer Natur sind; im
Gegentheil, wenn man daraus urtheilen sollte, was bei anderen Infectionen
vorkommt (z. B. bei Typhus, Tuberkulose), müssten auch die Otitiden bei
Rachendiphtherie in den seltensten Fällen von typischen Mikroorganismen
veranlasst werden, meistentheils von gewöhnlichen Coccen. Besser als aus
dem Grade der Theilnahme des allgemeinen Zustandes und aus der Schwere
der localen Läsionen — Erscheinungen, welche infolge vieler Umstände (wie
die Virulenz des Mikroorganismus, die allgemeinen Verhälnisse des Kranken,
die Stärke und Ausdehnung des ursprünglichen Krankheitsprocesses im
ECCHONDROSEN IM KEHLKOPFE. 107
Rachen etc.) bedeutend variiren — muss sich unsere Diaj^nose der diph-
theritischen Otitis media auf zwei Thatsachen stützen: auf den Austritt von
Ueberresten fibrinöser Membranen aus dem Mittelohr durch das perforirte
Trommelfell (Haug) und auf den Nachweis des KLEB.s-LöFFLKR'schen Bacillus
im Exsudat, welches niemals in den ersten Stadien echt citrig ist.
Die acute diphtheritische Otitis media ist immer schwer infolge der
rapiden und ausgedehnten Zerstörung, welcher die Theile des Mittelohres aus-
gesetzt sind und durch die leichte Infection des Labyrinthes; die nach-
folgende Taubheit ist öfters von hohem Grade, manchmal eine complete.
Vom klinischen Standpunkte schwerer zu beurtheilen sind die Fälle, in
welchem während des Verlaufes oder während der Reconvalescenz nach einer
Rachendiphtherie, ohneTheilnahme des Mittelohres, Erscheinungen von schweren
Verletzungen des Perceptionsapparates auftreten: es handelt sich um eine
Erkrankung des Labyrinthes oder um eine Neuritis des Nervus acusticus.
Gerade über diesen Punkt gestatten uns unsere pathologisch-anatomischen
Kenntnisse kein bestimmtes Urtheil. Die Erscheinungen bestehen aus
Schwindel, Nausea und Erbrechen, schwankendem Gange, hochgradiger oder
gänzlicher Taubheit. Die Prognose ist im allgemeinen ungünstig.
Bezüglich der Behandlung ist es von Vortheil, die allgemeine und
die locale zu unterscheiden. Die erstere, in allen den Fällen angezeigt, wo
die bacteriologische Prüfung des Exsudates die Gegenwart des giftigen
Bacillus, sei es in reiner Cultur, sei es in Begleitung anderer Mikroorganismen
nachweist, besteht in der specifischen Serumtherapie, welche so gute Erfolge
liefert, nicht allein bei Rachendiphtherie, sondern auch bei derjenigen des
Auges. Bezüglich der Localbehandlung ist sie natürlicherweise je nach den
betroffenen Th eilen verschieden; bei Läsionen des äusseren Gehörganges
werden wir uns darauf beschränken, die Lösung und Abstossung der Pseudo-
membranen zu erleichtern, indem wir Kalkwasser und noch besser sauerstoff-
haltiges Wasser in den Gehörgang eingiessen, dann vorsichtig den Gehörgang
mit schwacher Sublimatlösung (1:10000) waschen; man kann auch nicht irri-
tirende, antiseptische Pulver einblasen. Bei Otitis media kann man ebenfalls
mit Vortheil sauerstoft"hältiges Wasser eingiessen, welches ausser dem Um-
stände, dass es eine gewisse antiseptische Wirkung besitzt, auf mecha-
nischem Wege, dank der nachfolgenden Gasentwicklung, die Lösung der Mem-
branen begünstigt; andererseits wird man eine vorsichtige Spülung mit steri-
lisirtem Wasser gebrauchen, aber man wird hauptsächlich darauf bedacht sein,
die Entstehung einer secundären Infection zu verhindern, indem man eine wo-
möglichst antiseptische Verschliessung des Gehörganges vornimmt. Bei den inne-
ren Otitiden und den verdächtigen Neuritiden des Nervus acusticus wird man
die Schweisscur versuchen, besser als mit Pilocarpin mittelst Dampfbäder;
man wird die alkalischen Jodpräparate, Strychnin, stärkende Mittel
gebrauchen.
Wir dürfen dieses Capitel über Ohrdiphtheritis nicht abschliessen, ohne
daran zu errinnern, dass in der letzten Zeit ein dem diphtheritischen ähnlicher
Bacillus mit besonderen giftigen Eigenschaften in der Nase bei Fällen von
Ozaena gefunden wurde (Belfanti); genannter Bacillus wurde gleichfalls
regelmässig im Secrete bei den trockenen Pharyngitiden, welche Ozaena
begleiten, gefunden und manchmal im Secrete von eitrigen, chronischen Mittel-
ohrentzündungen bei Personen, die nicht Träger von Ozaena waren (Grade-
NiGo). Nachträgliche Studien werden den Wert des genannten Bacillus für
die Entstehung der erwähnten Krankheitsform bestimmen.
G. GRADENIGO.
EcchondrOSen im Kehlkopfe. Es sind das kleine, umschriebene, ober-
flächliche Verdickungen der Knorpeln, welche infolge chronischer Reizung,
108 EKZEMA AURICDLAE.
SO z. B. infolge von Katarrh sich manchmal entwickeln. Sie wurden von
VißCHOw zuerst beschrieben. Anfangs rundlich, können sie später als Kegel
mehr hervortreten. Sie scheinen keine bedeutende Grösse erreichen zu können,
und machen deswegen auch wenige Beschwerden. Manchmal kommen sie
diffus ausgebreitet vor, über einen grossen Theil des Kehlkopfes und der
Luftröhre, veranlasst durch langsam verlaufende, chronische Entzündung. So
findet man sie öfters bei Khinosclerom oder chronischer Bronchitis in Form
von Knötchen, Knoten und Spangen, sow^ohl in das submucöse Gewebe als
auch in die Schleimhaut eingelagert. ch.
Ekzema auriCUlae. Die ekzematöse Erkrankung der Ohrmuschel ist
durchaus nichts Seltenes. Sie befällt bald die ganze Ohrmuschel, bald nur
einzelne Theile derselben; besonders ist das Ohrläppchen oft isolirt erkrankt.
Das klinische Bild ist ein verschiedenes, je nach der Form und Art des
Ekzems — denn alle Formen und Arten kommen vor — je nach der Acuität
und je nach der Heftigkeit des Processes. Beim acuten erythematösen Ekzem
sehen wir die Haut geröthet, geschw^ollen und gespannt. Bei scharfem Hin-
sehen, zumal bei seitlicher Beleuchtung oder bei zartem Herüberfahren über
die Haut fühlt man, dass dieselbe mit minimalen Erhabenheiten, Papeln, resp.
Bläschen, bedeckt ist. Tritt eine diffuse Exsudation ein, dann erhält man
das Bild des Ekzema madidans; ist die Exsudation eine mehr umschriebene,
dann bilden sich Bläschen oder auch Pusteln, Ekzema vesiculosum, resp. pus-
tulosum. Durch Eintrocknen der Exsudate kann aus diesen Ekzemformen das
Ekzema crustosum hervorgehen. Bilden sich diese Processe zurück, so lassen
Röthung, Schwellung und Exsudation nach, die Haut nimmt ein schuppendes
Aussehen an, Ekzema squamosum. Letztere Form ist von vorneherein die
vorherrschende, wo es sich um subacute oder chronische Erkrankungen han-
delt. Einen mehr schuppenden Charakter haben auch meistens von Anbeginn
an die seborrhoischen Ekzeme, welche sich gerne am Ohre etabliren. Die
schmutziggelbe Färbung, die fettige Beschaffenheit der Schuppen, die bogen-
förmige Umgrenzung kennzeichnet vornehmlich diese Ekzemart. — In hohem
Maasse beeinflusst wird das klinische Bild bei allen Ekzemen der Ohrmuschel
durch den mehr oder weniger hohen Grad der Schwellung der Haut. Trotz-
dem dieselbe doch am Ohrkuorpel, soweit dieser vorhanden, durch ziemlich
straffes Bindegewebe fixirt ist, kann es doch zu einer relativ bedeutenden
Schwellung, besonders an der vorderen Ohrfläche kommen, die stets eine
erhebliche Gestaltveränderung des äusseren Ohres bedingt. Die Leisten des
Helix und Anthelix werden verdickt, die Grube zwischen ihnen abgeflacht,
das ganze äussere Ohr erhält dadurch ein ganz unförmliches Aussehen. —
Dass das Ohrläppchen, welches ja nur aus Haut, lockerem Bindegewebe und
Fett besteht, analog den oberen Augenlidern ganz bedeutend anschwellen
kann, leuchtet leicht ein. In manchen Fällen gewinnt dasselbe das Aussehen
eines nicht kleinen Tumors. — Eine häufige, recht unangenehme Folge der
Ohrekzeme ist das Entstehen von Rhagaden in der hinteren Ohrfurche, ent-
lang der ganzen Ansatzstelle der Ohrmuschel. Es können sich recht tiefe und
auch recht schmerzhafte Risse bilden.
Das Ekzema auriculae ist nicht gerade häufig ein primäres Leiden.
Meistens ist es durch Fortpflanzung eines in der umgebenden Haut, am Kopfe,
Halse oder Gesicht, localisirten Ekzems entstanden. — In anderen Fällen ist
der Ausgangspunkt des Ekzems eine mit Secretion einhergehende Erkrankung
des äusseren oder mittleren Ohres. Das herausfliessende, meistens eitrige, oft
zersetzte Secret bildet hier die ekzemerzeugende Noxe. Natürlich etabliren
sich diese Ekzeme zuerst an der Haut der Incisura intertragica und des Ohr-
läppchens; secundär können sie sich selbstverständlich auf weitere Abschnitte
des äusseren Ohres ausdehnen. Es muss aber hervorgehoben werden, dass
EKZEMA INTRÜITüS NARIÜM. 109
auch der umgekehrte Modus statthaben kann, indem ein an den äusseren Olir-
muscheln vorhandenes Ekzem sich auf den äusseren Gehörgang fortsetzt und
hier ein Ekzem oder auch eine ausgesprochene Otitis externa ])uruhmta
erzeugt. — Dass jede andere ekzematophore Schädlichkeit, welche die Haut
des äusseren Ohres trifft, hier wie überall ein Ekzem erzeugen kann, ist selbst-
verständlich; auf jede einzelne einzugehen, würde hier zu weit führen. Her-
vorheben will ich nur noch die Ekzeme, welche sich an das leider noch
übliche, an die Gebräuche der Wilden erinnernde Durchstechen der Ohr-
läppchen für die Ohrgehänge knüpfen. Es ist das kein seltenes Ereignis;
und zwar kann sich sofort an die Procedur der Ausbruch eines Ekzems an-
schliessen, oder dasselbe entsteht im späteren Leben im Anschluss an die
Reizung der Umrandung des Ohrloches durch Ohrgehänge. — Am häufigsten
betroffen von Ohr-Ekzemen, wie von Gesichts- und Kopfekzemen überhaupt,
sind Kinder. Das erklärt sich einerseits durch die zartere Beschaffenheit ihrer
Haut und die bei ihnen so häufige Seborrhoe, andererseits durch die con-
stitutionelle Prädisposition, welche die Scrophulose den Kindern für ekzema-
töse Erkrankungen verleiht.
Die Behandlung erfordert die auch sonst bei Ekzemen indicirten
Maassnahmen. Hier nur eine ganz kurze Skizze: Bei acutem Ekzema erythe-
matosum, madidum, vesiculosum wendet man Puder, Mischungen von Zink-
oxyd, Tale, venet., Amylum, Magnesium carbonicum an oder streicht Zinköl
(Ol. olivar. und Zink. oxyd. m), Zinkpaste (Zink, oxyd., Amyl., Vaselin.,
Lanolin m)- auf. Der Zusatz von Ichthyol (1 — 27o) oder Tumenol (5 — 10%)
ist oft nützlich, letzteres besonders bei lebhaftem Jucken. Haben sich Borken
gebildet, dann müssen dieselben täglich einmal mit reinem Oliven- oder
Mandelöl entfernt werden. Seife und auch Wasser vermeidet man bei acutem
Ekzem im floriden Stadium meistens ganz. Bei lebhafter Entzündung können
1 — 2% Resorcin Wasser oder Liquor Burowii in Gestalt kühler Compressen
(dreimal täglich Yg Stunde) oder von zweistündlich zu wechselnden Dunst-
umschlägen neben Puder und Paste von Nutzen sein. Salbenmulle mit oben-
genannten Medicamenten sind oft von Vortheil, da sie sich gut anschmiegen.
Sehr vorsichtig sei man mit dem sehr beliebten Ung. diachyl. Hebrae.
In subacuten und. chronischen Fällen, speciell beim Ekzema squamosum
feiert Theer seine Triumphe. Man applicirt eine 5— 20%ige Theersalbe oder
Theerpaste oder pinselt in torpideren Fällen Theertincturen ein, nach deren
Eintrocknen man aber stets zur Sicherheit noch milde Pasten aufstreicht.
Sehr energisch wirkt oft das Ung. Wükinsonii, aufgelegt bis zu be-
ginnender Schälung. — Beim Ekzema seborrhoicura s. parasitarium bilden
Schwefel (5— 10%), Resorcin (1—5%), Salicylsäure (1—5%) als Paste, Salbe
oder Salbenmull oft die wirksamsten Heilmittel. — Rhagaden, falls sie den
Pasten und den hier sehr praktischen Salbenmullen nicht weichen, betupft
man mit Vortheil vorher je nach Bedarf einmal oder mehrmals mit einer
2 — lO^oigen Lösung von Argentum nitricum. — Setzt sich das Ekzem in den
äusseren Gehörgang fort, dann streicht man die entsprechenden Medicamente
in Gestalt weicher Pasten auf längliche Watteröllchen und schiebt diese in
den Gehörgang; auch Salbenmulle sind dazu sehr geeignet, indem man
kleine Röllchen aus ihnen herstellt. — Dass man etwaige, ursächliche
Momente (Ohreiterungen, Ohrgehänge etc.) und eine constitutionelle Dispo-
sition (Scrophulose) bekämpfen, etwaige primäre Ekzeme der Umgebung gleich-
zeitig in Angriff nehmen muss, bedarf nicht besonderer Betonung, jessnee.
Ekzema introitUS narium. Die Wandungen des Naseneinganges, die
ja ausgekleidet sind mit einem den Charakter der äusseren Haut tragenden
Ueberzug, bilden oft den Sitz von Ekzemen. Dieselben können in den ver-
schiedensten Formen hier, wie überall auftreten. Die acuten Ekzeme sind
110 EKZEMA INTROITUS NARIUM.
gewöliülich erytliematöser oder nässender, resp. borkiger Natur. Die Haut
des Naseneinganges und der äusseren Umrandung desselben kann geröthet,
von der Hornschiclite entblösst sein, stark secerniren oder mit Krusten bedeckt
sein. Dabei besteht stets lebhaftes Brennen, seltener Jucken. Die chronischen
Formen gehen gewöhnlich mit Borkenbildung einher, die ziemlich fest der
Unterlage anhaften. Eine häufige Folge dieser Ekzeme sind schmerzhafte
Rhagaden am Eande des Introitus narium. Nicht selten sind auch Folliculi-
tiden; entsprechend, den Haarbälgen bilden sich kleine Eiterbläschen, welche
durchbohrt sind von einem Haar. Durch perifolliculäre Entzündung können
sogar kleine, furunkelähnliche Eiterherde sich bilden.
Die Ursache dieser Ekzeme ist gewöhnlich zu suchen in Nasenaffectionen.
So sehen wir bei acuter Coryza den Naseneingang sich röthen, wund und
empfindlich werden, da die Haut durch das reichliche Secret gereizt und
macerirt wird.
In noch höherem Maasse ist das bei der Diphtherie der Fall, da das
Secret hier noch differenter für die Haut ist. Es kann sogar auf der mace-
rirten Haut zu einer Ansiedelung der Diphtheriebacillen kommen und sich
im Naseneingang eine echte Hautdiphtherie entwickeln. Bei der Schwierig-
keit und Wichtigkeit, die Betheiligung der Nasenschleimhaut bei Rachen-
diphtherie der Kinder festzustellen, ist die Beachtung der Vorgänge am Nasen-
eingang sogar von Wert, da eine Macerirung der denselben auskleidenden
Haut den Yerdacht einer gleichzeitigen Nasenaffection erwecken muss. —
Chronische Ekzeme des Naseneinganges sind in gleicher Weise oft die Folge
chronischer Nasenleiden, mag es sich um eine Rhinitis chronica hypertrophica,
Ehinitis chronica atrophica, Ozaena, Polypen oder gar um eine Eiterung der
Nebenhöhlen handeln.
Es kann aber auch das Ekzema introitus narium eine Theilerscheinung
von Gesichtsekzemen sein, zumal bei Aftection der Oberlippe. Am häufigsten
sehen wir das bei scrophulösen Kindern, deren ekzematöse Nasengegend ja
etwas typisches hat. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass hier auch fast
niemals Nasenkatarrhe mit starker Secretion fehlen, die als Ursache, aber
auch als Folge der Ekzeme am Naseneingang angesehen werden können, da
ja Hautekzeme, auf Schleimhäute fortwandernd, hier Katarrhe hervorrufen. Es
ist ja das Ekzem der Katarrh der Haut und umgekehrt der Katarrh das Ekzem
der Schleimhaut.
Besonders hervorgehoben muss noch die Beziehung des Ekzems des
Naseneinganges zu Sycosis vulgaris s. coccogenes der Oberlippe werden.
Beide können sich gegenseitig bedingen, jedes von beiden Leiden kann das pri-
märe und das secundäre bilden. Die oben erwähnten Folliculitiden beim Ekzema
introitus narium sind ja ein Analogon der Sycosis vulgaris der Oberlippe.
Die Behandlung muss in erster Reihe eine causale sein. Man muss
eine Scrophulose beseitigen, eine Coryza, Diphtherie, Rhinitis chronica be-
kämpfen, Polypen entfernen, Eiterungen der Nebenhöhlen in Angriff nehmen,
Gesichtsekzeme behandeln etc. Auf die einzelnen Maassnahmen kann ich
natürlich hier nicht eingehen.
Die directe locale Therapie erheischt die Anwendung der auch sonst
beim Ekzem indicirten Heilmittel, Zink, Ichthyol, Schwefel, Tumenol, Resor-
cin, Theer etc. Die Application derselben hat stets Schwierigkeiten bereitet.
Man hat vorgeschlagen, mit Salben bestrichene Wattebäusche in die
Nasenöffnungen einzulegen, und zwar bei beiderseitiger Erkrankung abwech-
selnd stundenweise je eine Oeffnung zuzustopfen, um nicht die Athmung zu
beeinträchtigen. Andere machen Röhrchen aus steifem Papier, umwickeln sie
mit Salbenmullen und schieben diese Röhrchen so in die Nasenöffnungen.
Ich halte das alles für entbehrlich, wenn man festere Pasten benutzt nach
der Grundform der Zinkpaste {Zink, oxyd., Amyl.^ Vaselin. flav., Lanolin ää).
ELEKTRO-LARYNGOTIIEKAPIE. 1 1 1
Ich lasse mit diesen unter eventuellem Zusatz der indicirten Medicamente
mit abgerundetem Glasstäbchen die Wandungen des Introitus gründlich und
.möglichst tief ringsum mehrmals täglich bestreichen. Sie haften gut und
bilden einen schützenden und heilenden Ueberzug. Natürlich müssten vorher
die Borken gründlich entfernt werden. — Ilhagaden ätzt man mit 2—10%
Arg. nitr. Lösung und streicht dann Pasten darüber. (Jft sind auch starke
Ichthyolsalben von schneller Wirkung. Bei citrigen Folliculitiden müssen die
betreffenden Haare ausgezupft werden; ist es zu perifoUiculärer Eiterung ge-
kommen, dann bringt ein kleiner Einstich unter Äethylchlorid schnelle Heilung,
JESSNEK,
Elektro-Laryngotherapie. Indirect kann die Heilwirkung der
Elektricität dem Kehlkopfe zu gute kommen, wenn durch ihre Hilfe compri-
mirende Geschwülste, z. B. der Thyreoidea, oder Hindernisse für die normale
Athmung und Secretentleerung in den obersten Luftwegen zerstört werden.
Direct kommt die Elektricität am Kehlkopfe zur Anwendung:
1. Als Elektrisation.
Bei leichteren Affectionen der Muskulatur und Innervation genügt meist
die percutane Faradisation oder Galvanisation, eventuell die abwechselnde
Anwendung dieser beiden Stromarten. Die wohlbefeuchteten Elektroden werden
zu beiden Seiten des Schildknorpels angelegt und können durch ein Stativ
festgehalten werden. Will man Nebenschliessungen auf der Haut vermeiden,
so hat man den freien Eaum zwischen den Elektroden abzutrocknen und mit
Oel oder Lycopodiumpulver zu bedecken. Einen stark reflectorisch wirkenden
Hautreiz bei Hysterischen kann man mittels des feststehenden elektrischen
Pinsels in der Faradisation erzielen. Eine zahlenmässige Dosirung der Strom-
stärke erklärt v. Ziemssen für unmöglich, fügt aber bei, dass sie eine zur
Reizung der Gesichtsmuskeln genügende sein soll.
Wenn nicht bereits nach einigen Sitzungen ein entschiedener Erfolg zu
erzielen war, so ist die intra pharyngeale Elektrisirung unentbehrlich.
Dieselbe wird im allgemeinen sehr unangenehm empfunden, so dass sie viel-
fach nur unter Cocainanwendung ausgeübt und dass die Dauer der Sitzungen
und die Wiederholung der Einführung der Elektroden ganz von der Toleranz
des Patienten abhängig gemacht wird. Als weniger belästigend geniesst die
unipolare Elektrode zumeist den Vorzug vor der doppelten; der positive Pol
kann alsdann in Gestalt eines elektrischen Halsbandes über der Aussenseite
des Kehlkopfes befestigt werden, v. Ziemssen hat genaue Angaben über die
Localisation der inneren Elektrode gemacht, wenn es sich um die Reizung
der einzelnen Muskeln und Nerven handelt; diese Angaben lauten im allge-
meinen auf den Sinus pyriformis, das Stimmband und den Seitenrand des
Kehlkopfes. Hiezu bemerkt Schmidt, dass es nur ganz selten gelingt, den
erkrankten Musculus cricoarytaenoideus posticus zu treffen oder besser gesagt
zu reizen, wahrscheinlich wegen der schnellen Degeneration dieses Muskels.
Es kann angezeigt sein, mit der äusseren und inneren, der faradischen
und galvanischen Elektrisirung abzuwechseln, sowie der Wendung und Unter-
brechung des Stromes und vorhergehenden subcutanen Injection von 1 mg
Strychnin sich zu bedienen. Die Controle der Wirkung des Stromes wird
mit dem Spiegel und mittels Beobachtung einer Besserung der Intonation
während der Elektrisirung ausgeübt.
Die intrapharyngealen Elektroden dürfen nach v. Ziemssen nur mit
nicht zu dünnen, wohl befestigten und anfeuchtbaren Schwammhüllen versehen
sein. Von einfachen Elektroden wird die EuLENBUEG'sche, von doppelten jene
von V. Ziemssen, Mathieu, Grünwald (letztere ausser mit Unterbrechungs-
auch mit Stromwechselvorrichtung versehen) empfohlen. Clemens lässt unge-
112 ELEKTRO-LARYNGOTHEEAPIE.
berdigen Kindern kleine, mit dünnen Kabeln verbundene Platin blättchen in
kleinen Compressen versteckt, unter einer Guttaperchahülle anlegen.
Das Object der tonischen Elektrisation sind die Muskel- und Nerven-
lähmungen. Nicht auszuführen ist die Reizung des Nervus recurrens vagi für
sich allein. Bezüglich der hysterischen Lähmungen sprechen verschiedene
Autoren der Elektrisirung des Kehlkopfes jede specifische Bedeutung ab und
ziehen ihr die Sondirung, Insufflation von Pulvern und die Kehlkopfmassage
als unschädlich für das Nervensystem vor. Bei Paresen infolge chronischer
Lar}Tigitis erklärt v. Scheötter die elektrische Behandlung für nutzlos und
nicht ungefährlich, ehe nicht die letzten Erscheinungen des Katarrhs ver-
schwunden sind, und selbst dann für keineswegs sicher wirksam. Die An-
ästhesie erfordert die Behandlung des Nervus laryngeus superior mittels einer
der beiden Stromarten am Ligamentum pharyngo-epiglotticum. — Die beru-
higende Wirkung des constanten Stromes hat sich bei mehreren Neurosen,
jedoch gar nicht bei Glottiskrampf bewährt; beim inspiratorischen, functionel-
len Stimmritzenkrampf wird Galvanisation des verlängerten Markes empfohlen.
2. Als Zerstörungsmittel.
a) Die Galvanokaustik wurde von Voltolini und Brüns in die
Laryngologie eingeführt. Obwohl kaum einem Laryngologen ganz entbehrlich,
findet sie doch bei den Einzelnen eine recht verschiedene Vorliebe. Vielfach
wird sie zur Zerstörung flacher und sonst schwer anzugreifender Tumoren,
zur Ausätzung des Fusses abgetragener Geschwülste (auch nach der Eröffnung
des Kehlkopfes von aussen) und von Geschwüren und Infiltraten benützt;
V. Scheötter empfiehlt sie gegen die Lupusknoten, Schech erklärt sie als
das beste Mittel gegenüber den Sängerknötchen. Widerrathen wird ihre
Anwendung von Voltolini am Stiele grosser Tumoren wegen der in dem-
selben befindlichen dicken Gefässe und von v. Schrötter betreffs der d'irecten
Behandlung aller anderen narbigen Stenosen des Kehlkopfes ausser den
Narbenbrücken zwischen den Stimmbändern; dagegen räth der letztere durch
Verschorfung der hinteren Fläche der Aryknorpel einen narbigen Gegenzug
gegen die Stenosen im hintersten Theile der Kehlkopfhöhle hervorzubringen.
Die Eingriffe geschehen unter Cocainanästhesie und nach Einübung des Pa-
tienten. Die bevorzugtesten Instrumente sind der Handgriff und die verschieden
geformten Brenner von Scheck geblieben; diese Brenner lassen sich in toto
mit Sublimatlösung desinficiren und sollten auch stets in toto desinficirt
werden! Sterilisirbare Brenner ohne Isolirung durch Seide und ähnliches
Material werden seit kurzem in Berlin angefertigt.
b) Die Elektrolyse verdankt ebenfalls Voltolini ihre Einführung in
die Laryngotherapie und soll ermöglichen, Operationen an blutreichen Regionen
und Tumoren unblutig auszuführen. Bisher ist sie am meisten zur Behand-
lung tuberkulöser Infiltrate benützt worden, und es sprechen sich die wenigen
Veröffentlichungen (Kafemann, GRtJNWALD, Heryng) nicht ungünstig über
ihren Wert aus. An der Operationsstelle entsteht ein für mehrere Tage
haftender Schorf, unter welchem Granulationen erscheinen, die meistens in
zwei bis drei Wochen zu einer dauernden Narbe sich umbilden.
Jede Batterie zur Erzeugung des constanten Stromes kann als Kraft-
quelle benützt werden. Wegen der unbestimmbaren Toleranz des Patienten
ist nach Placirung der Elektrode der Strom ziemlich rasch von 0 auf die
beabsichtigte Stärke zu bringen und darauf zu achten, vor dem Herausnehmen
der Elektrode denselben möglicherweise rasch wieder auf 0 zurückzuführen,
da andernfalls ein starker elektrischer Schlag erfolgt. Hiezu benützt man am
besten einen Rheostaten. Die Stromstärke hat sich zwischen 5 und 15
bis 20 M. A. zu halten und muss durch einen Amperemeter oder einen
hiernach geprüften Galvanometer controlirt werden. Da die Operation dem
ELEKTRO-OTO-DIAGNOSTIK. 113
Patienten grosse Unannehmlichkeiten verursacht, so ist die Coca'inisirung,
eventuell sogar die submucöse, unerlässlich. Es gewöhnt sich indes der
Patient immer mehr an die Beschwerden, so dass die Elektrode öfters in
einer Sitzung eingeführt und bis zu mehreren Minuten belassen werden kann.
Als Elektroden werden die doppelten bevorzugt. Als Metall für die
bis zu 1 cm langen Spitzen eignet sich besonders eine Legirung von Platin
und Iridium wegen ihrer Härte. Heryng beschreibt eine Doppelelektrode, in
welcher gerade und bajonnettförmig gebogene Spitzen in beliebiger Länge ein-
geschraubt werden können. Kafemann hat steigbügelförmige Doppelelektroden
angegeben, welche nur oberflächlich aufgesetzt werden und auch nur in ganz
geringe Tiefe wirken; Heryng bringt statt des einen Steigbügels gelegentlich
ein Platinblättchen an.
3. In ihren kataly tischen und kataphorischen Eigenschaf-
ten. Clemens bespricht unter diesem Gesichtspunkte seine langsam erzielten
Heilungen von chronischen Kehlkopfkatarrhen und von syphilitischen Kehlkopf-
katarrhen und -Stenosen, bei welch letzteren er Jod in den Kehlkopf percutan
übergeleitet hat.
4. Als elektromotorische Kraft. Spiess hat den EwER'schen Kehl-
kopfconcussor mit einem kleinen Elektromotor in Verbindung gebracht, welcher
60 Vibrationen in der Secunde hervorbringt. Spiess will es nicht entscheiden,
ob die staunenswerten Erfolge besonders bei nervöser Aphonie wirklich der
Massage zugeschrieben werden dürfen. bergeat.
ElektrO-OtO-DicignOStik. (Die elektrische Untersuchung des Gehörnerven.)
Die galvanische Untersuchung des Ohres, welche namentlich von Brenner für
die Diagnostik empfohlen worden ist, setzt den Besitz eines sehr vollständigen
Apparates voraus. Brenner ordnete seinen Versuch in der Weise an, dass
er die eine Elektrode vor den Tragus, die andere auf eine indifferente Stelle
des Körpers aufsetzte und fand dabei folgende Norm derPteaction des
Acusticus :
Ist die Kathode (Ka) am Ohre angebracht, so beantwortet der Hörnerv
die Schliessung des Stromes (S) mit einer starken Klangempfindung (K'"),
welche während einer kurzen Dauer (D) des Stromschlusses anhält, um all-
mählich abzunehmen (K'" K" K' K), während die Oeffnung des Stromes (Oj
ohne Einfluss bleibt. Bei Anlegung der Anode (A) an das Ohr reagirt hin-
gegen der Nerv nicht auf die Schliessung und die Dauer des Stromes, son-
dern nur auf die Oeffnung desselben. Die sogenannte Normalformel, welche
bei Einschaltung einer bestimmten Elementenzahl und bei genauer Beobach-
tung bestimmter Vorsichtsmaassregeln gewonnen wird, lässt sich mithin durch
folgendes Schema ausdrücken:
Ka S K'" A S —
Ka D K'" K" K' K A D —
Ka 0 — A 0 K
Nach Brenner lässt nun das Eintreten dieser Normalformel mit Sicher-
heit darauf schliessen, dass eine vorhandene Affectiou nicht im Hörnerven
ihren Sitz hat. Tritt hingegen die Ka SK'" oder AOK sehr leicht, d. h. bei
sehr schwachem Strome und sehr lebhaft ein, hält Ka SK'" und AOK unge-
wöhnlich lange an, etwa während der ganzen Dauer des Stromschlusses (Ka DKoo),
oder tritt am anderen, nicht armirten Ohre eine entgegengesetzte, dem Sinne
der indifferenten Elektrode entsprechende „paradoxe Reaction" ein, so
liegt eine elektrische Hyperästhesie des Acusticus vor. Als Beweis für
das Vorhandensein einer solchen bezeichnet Brenner auch die vollständige
Umkehrung der Formel, so dass z. B. bei AS und AD Klangempfindung
erfolgt.
Ohren-, Nasen-, Eathen-, Kehlkopfkrankheiten. ö
114 ENCHONDROME IM KEHLKOPF.
Ausserdem unterscheidet Brenner verschiedene Stufen der Erregbarkeit,
je nach der Zahl der Elemente, welche zur Auslösung der Normalformel er-
forderlich sind. Wenn nämlich bei einer gewissen, durch allmähliche Ein-
schaltung von immer mehr Elementen erzeugten Stromstärke endlich der
Stromschluss eine Klangempfindung hervorruft, so wird dies als primäre
Erregbarkeit des Acusticus (EJ bezeichnet. Tritt darauf bei einer all-
mählichen Abschwächung des Stromes, also bei einer Elementenzahl, welche
vorher nicht zur Auslösung einer Empfindung genügte, bereits eine schwache
Klangempfindung ein, so heisst das nach Brenner secundäre Erregbar-
keit (Eg). Nachdem nun bei weiterer Abschwächung des Stromes der Nerv nicht
mehr reagirt hat, tritt nach längerer Einwirkung der Anode bei einer Strom-
wendung mittelst des Commutators wieder eine Klangempfindung auf, die
sogenannte tertiäre Erregbarkeit (Eg).
Näher auf diese elektrodiagnostischen Vorgänge einzugehen, ist hier umso
weniger am Platze, als der Wert für die Praxis ein sehr problematischer ist
und sie in den Artikeln über die Erkrankungen des Acusticus specieller
besprochen werden. bürkner.
Enchondrome im Kehlkopf. Enchondrome beruhen auf wirklicher
Neubildung von Knorpelgewebe, wodurch grössere Tumoren entstehen; sehr
häufig verknöchern dieselben theilweise oder sind gemischt mit fibrösem oder
myxomatösem Gewebe. Sie gehen auch von den Knorpeln aus, haben aber
unbegrenztes Wachsthum und zerfallen nicht selten, veranlassen oft Stenose
und sind daher als sehr gefährlich anzusehen. In der Literatur sind nicht
viele Fälle bekannt.
Der Umstand, dass sie meist im späteren Lebensalter beobachtet wurden,
macht es wahrscheinlich, dass die um diese Zeit gewöhnlich eintretende Ossi-
fication der Knorpel mit der damit verbundenen Vascularisation die Schuld
an der starken Wucherung des Knorpelgewebes trägt.
Am häufigsten werden der Ringknorpel, seltener der Schildknorpel, am
seltensten der Aryknorpel und die Epiglottis betroffen. Die histologische
Untersuchung zeigt, dass es sich um knorpeliges Gewebe, vermischt mit fibrösem
und myxomatösem handelte. Oefters kommt es zu theilweiser Verknöcherung
und manchmal zur sarcomatösen Entartung. Die Symptome bestehen in
allmählich zunehmender Behinderung des Schlingens und Athmens; bei sehr
beschränkter Ausbreitung, z. B. auf dem Ary-Knorpel, war nur das Gelenk
zwischen Ary- und Pdngknorpel unbeweglich gemacht, ebenso machen die auf
der Epiglottis sitzenden Enchondrome wenig Beschwerden. Die auf dem
Bing- oder Schildknorpel sitzenden Formen dagegen wachsen meist bedeutend
und veranlassen Schling- und Athembeschwerden.
Als laryngologischen Befund sieht man einen breit aufsitzenden,
unbeweglichen Tumor, der von normaler Schleimhaut überzogen ist. Bei Berüh-
rung erweist er sich hart. Kleine solche Tumoren wurden schon endolaryngeal
von Störk, Asche, Morris mit einer Guillotine entfernt; sie sassen alle ober der
Stimmritze und ragten nur wenig in das Lumen hinein. Sind aber die Tumoren
sehr gross und verengern sie das Lumen des Kehlkopfes stark, oder wuchern
sie sogar nach aussen, entweder gegen den Rachen oder gegen die Haut des
Halses zu, so finden sich im Innern des Larynx grosse, das Lumen desselben
hochgradig verengernde Tumoren. In solchen Fällen muss man wohl immer
zuerst Tracheotomie machen und dann nach Laryngofissur den Tumor ent-
fernen, wie es Bii.lroth einmal mit sehr gutem Erfolge that.
In einem Falle TfiRCK's fand sich unter dem linken Stimmbande ein
höckeriger, gerötheter Tumor, der den Aryknorpel in Abduction fixirte.
(Fig. 1.) Der 52jährige Pati.ent starb am Tage nach der Aufnahme in einem
dyspnoischen Anfalle. Die Section zeigte die Platte des Ringknorpels
ENCHONDROME DER NASENHÖHLE,
115
(Fig. 2.) besonders stark an der linken Seite {h) ver-
dickt höckerig. Diese Verdickung bestand aus bläu-
lich weisser Knorpelmasse, die vielfach verknöchert
und mit Höhlen versehen war. Diese Höhlen hatten
sich durch Nekrose theils nach dem Rachen zu,
theils nach dem Kehlkopf und der Luftröhre eröff-
net. (Fig. 3.) Obwohl Türck nach Schott's Befund
den Tumor nur als Hypertrophie des Knorpels mit
Verknöcherung und Nekrose auffasste, kann man ihn
doch zu den Enchondromen rechnen, da es zu umfang-
reicher Neubildung des Knorpelgewebes gekommen war.
Mehrere der anderen Patienten litten wieder nur an Schlingbeschwerden,
während dieselben in Türck's Fall fehlten. Jedenfalls ist die Prognose bei
Fig. 1. Encbondrom des Iling-
knorpels.
IjaryngOBCopisches Bild.
Enohondrom des Eingknorpels,
von hinten gesellen.
Enchondrom des Eingknorpels,
von vorne gesehen.
grösseren Enchondromen sehr ungünstig und wird sich noch schlimmer gestalten,
wenn sie zum Uebergange in Myxom oder Sarcom neigen. chiari.
Enchondrome der Nasenhöhle. Knorpelgeschwülste sind in
der Nase sehr selten; in den Fällen von Bryant, Richet, Heürtäüx,
Verneuil, Makenzie, Peyre-Porcher waren es haselnuss- bis mannsfaust-
grosse, harte Geschwülste, die vermittelst eines ganz kurzen, etwas breiten
Stieles vom knorpeligen Septum, selten nur vom Nasendache ausgegangen
waren; fast immer fand man sie bei jungen Individuen. Anfangs verursachen
dieselben die Erscheinungen einer einfachen Coryza, bald aber rufen sie
bei ihrem raschen Wachsthurae die Symptome der Nasenstenose hervor und
mit ihr eine eiterige, fötide Nasensecretion. Porcher beobachtete bei seinem
Kranken hochgradige geistige Schwäche, die nach der Operation wieder voll-
ständig verschwand. Grosse Chondrome verdrängen das Septum und schliess-
116 ENCHONDROME DES NASENRACHENRAUMES. — ERYSIPEL AS LARYNGIS.
lieh auch das ganze Nasengerüste, wodurch die äussere Nase stark aufgetrieben
Avird. — In ihren Anfangsstadien kann man sie mit dem harten Fibrom oder
auch mit einem Osteom verwechseln, späterhin jedoch unterscheiden sie sich
von denselben dadurch, dass man mit einer Nadel in sie einstechen kann,
was beim Osteom unmöglich ist ; anderseits besitzen harte Fibrome nie eine so
feste Consistenz wie die Knorpelgeschwülste. Kleinere Chondrome kann man
auf intranasalem Wege mit der Schlinge entfernen, wonach es selten zu
Recidiven kommt; bei grösseren Tumoren ist die Spaltung der Nase oder die
Ablösung der Nasenflügel zu ihrer Extraction nothwendig. kühn.
Enchondrome des Nasenrachenraumes. Die En Chondrome
kommen im Nasenrachenräume ganz selten zur Beobachtung. Bensh fand in
seiner Statistik von 113 Nasenrachentumoren nur fünf Chondrome und Fibro-
chondrome; ausser diesen hat Mikulicz bei einem zehnjährigen Jungen ein
haselnussgrosses Netzknorpel-Chondrom vom linken Tubenknorpel mit dem
Meissel entfernt. Ivius berichtet über ein Enchondrom des Pharynxdaches
bei einem jungen Manne. Ein von Max Müller mitgetheilter Fall betraf
einen 24jährigen Mann, der mehrere Jahre lang zuerst die linke Nase, dann auch
die rechte verstopft hatte und der ausserdem an zeitweiligen Kopfschmerzen,
Somnolenz und klonischen Krämpfen in' den oberen Extremitäten litt; der
faustgrosse Tumor entsprang von der Pars basilaris des Keil- und Hinter-
hauptbeines und stellte ein Enchondrom aus hyalinem Knorpel mit homogener
Grundsubstanz dar. „Die Geschwulst füllte die Choanen und durch Ver-
drängung des Vomer und Septum auch beide Nasenhöhlen aus; sie war ausser-
dem durch Usurirung der Lamina papyracea des Siebbeines in die linke Orbita
vorgedrungen und hatte hochgradige Amblyopie und Doppelbilder verursacht." —
Der Tumor wurde von MtJLLER nach vorausgeschickter temporärer Ober-
kieferresection durch die Glühschlinge entfernt und die Wurzel mit dem Glüh-
eisen zerstört. Der Kranke von Mikulicz bot ebenfalls Symptome von Nasen-
verstopfung und epileptiformen Krämpfen dar; der Tumor war mit der
Rückenfläche des Velum verwachsen und wurde mit einem durch die Nase
eingeführten Meissel unter Leitung des Fingers vom Munde her entfernt.
KUHN.
ErySipelaS laryngis (Kehlkopf enjsipel). Aetiologie: Es ist bisher der
bacteriologischen Forschung nicht gelungen, den die Eiterung verursachenden
Streptococcus pyogenes mit Sicherheit von dem FEHLEiSEN'schen Erysipel-
coccus zu differenziren ; die allgemeine Anschauung ist aber die, dass dem
letzteren doch eine höhere Virulenz zuzusprechen sei. Schon aus diesem
Grunde dürfte man das Erysipel des Larynx als eine Krankheit sui generis
auö"assen und dies um so mehr, als dasselbe auch klinisch sich charakteri-
siren lässt.
Es entsteht entweder im Anschluss an ein Erysipel des Gesichtes oder
gleichzeitig mit einem solchen an irgend einer Körperstelle, oder aber es
entsteht primär im Kehlkopf, von wo es dann auf die Nachbarschaft und das
Gesicht sich fortsetzen kann. Bei dem primären Rothlauf geschieht die Infection
zumeist am Zungengrunde.
Die Symptome sind nach Massei, der die meisten einschlägigen Beob-
achtungen gemacht hat, ganz bezeichnend: 1. Eine vom Zungengrunde
beginnende und auf den Kehlkopfeingang sich fortsetzende, lebhafte Ilöthung
und Schwellung, 2. das schnelle Wandern der letzteren von einem Punkte zum
anderen und 3. die eigenthümliche Fiebercurve; die Temperatur steigt gleich
im Anfang auf 40 — 41 ** C, fällt gleich darauf und steigt wieder in die Höhe.
Die regionären Lymphdrüsen sind dabei geschwollen.
ERYSIPELAS PHARYNGIS. 117
Subjectiv empfinden die Patienten zuvörderst Schlu(^kweh, das von der
Schwellung des Zungengrundes lierrührt; dazu gesellt sich infolge der durch
die Anschwellung der Epiglottis und der aryepiglottischen Falten verursachten
Verengerung des Kehlkopfeinganges Athemnoth, während die Stimme gewöhn-
lich nahezu intact bleibt. Weiterhin können sich grosse Phlyctänen mit
eitrigem Inhalt bilden, die dann die Athemnoth noch steigern.
Die Diagnose kann schwanken zwischen Erysipel, Oedem und Laryn-
gitis phlegmonosa. Beim Oedem ist aber gewöhnlich kein oder nur geringes
Fieber vorhanden und zeigt die Schleimhaut nicht die lebhafte Ptöthe des
Erysipels, sieht vielmehr grau durchscheinend aus; die Laryngitis phlegmonosa
andererseits zeigt nicht die typische Fiebercurve und das Wandern und
schnelle Wachsen der Schwellung, wie sie beim Ptothlauf beobachtet werden.
Die Prognose ist nicht ohne weiteres ungünstig, kann aber getrübt
werden durch die Laryngostenose, durch das Hinabsteigen des Erysipels, durch
das Auftreten einer Pneumonie und die besonders bei alten Leuten sich ein-
stellende Adynamie.
Die Behandlung besteht in innerlicher und äusserlicher Anwendung
von Eis, Zerstäubungen von Va^/oo Sublimatlösung u. ä. Bei Laryngostenose
scariticire man die geschwollene Schleimhaut, schiebe aber, w^enn die Athem-
noth nicht nachlässt, die Tracheotomie nicht zu lange auf; bei drohender
Schwäche gibt man Excitantien. a. eosenberg.
Erysipelas pharyngiS {Eachenerysipel). Dass die Rose auch an der
Rachenschleimhaut sich localisiren kann, war schon den alten Aerzten bekannt.
Genauere Beobachtungen stammen aber erst aus diesem Jahrhundert von
CoENiL (Archiv gener. 1862). Das klinische Bild des Rachenerysipels ist kein
sehr charakteristisches, es sind eben nur die Zeichen einer heftigen Entzündung
sichtbar. Die Schleimhaut ist intensiv geröthet, Scharlach- oder purpurroth,
hat dabei meist ein auffallend glänzendes Aussehen, erscheint wie lackirt. Es
besteht erhebliche, oft sogar sehr erhebliche, ödematöse Schwellung aller
Rachengebilde. Gerhaed sah in einem Falle grauw^eisse, punktförmige Beläge
auf der Tonsille, die w^ohl den Belägen, wie man sie bei Angina follicularis
trifft, entsprechen. In einzelnen Fällen ist die Entzündung eine besonders
heftige, es kommt zu umschriebenen Exsudationen; zur Bildung ziemlich grosser
Blasen (Erijsipelas hullosum). Wie alle Schleimhautblasen haben auch diese
nur eine sehr dünne Decke und deshalb einen nur sehr kurzen Bestand;
unter dem Einflüsse von Schluckbewegungen, resp. lädirt durch die herunter-
geschluckten Substanzen, wird die Blase schnell zerstört und es bleibt eine
entsprechend grosse Erosion der Schleimhaut zurück. Diese erscheint auf-
fallend roth und feucht, kann sich aber auch grau belegen. Ganz selten
kom.mt eine gangränöse Zerstörung der Rachengebilde bei Erysipel vor {Ery-
sipelas gangraenosum). Niemals vermisst wird bei allen Rachenerysipelen
die secundäre Schwellung der Lymphdrüsen am Unterkiefer, wenn sie auch
in der Intensität grossen Schwankungen unterworfen ist. — Sieht man von
der Blasenbildung und der raren Gangrän ab, so wird man einschneidende
Differenzen gegenüber manchen anderen Formen von acuter Angina auf Grund
des localen Befundes nicht feststellen können. In der That ist der Unter-
schied nur ein gradueller, manche heftige acute Rachenentzündung bietet
keineswegs leichtere örtliche Erscheinungen. Im ganzen und grossen trifft
dieses auch für die Allgemeinerscheinungen zu, denn auch hier handelt es
sich w^esentlich um graduelle Unterschiede. In der Regel ist natürlich^ die
Störung des Gesammtbefindens beim Erysipel eine sehr viel bedeutendere.
Die Krankheit setzt mit heftigem Fieber, oft unter Schüttelfrost, ein; die
Thätigkeit der Verdauungsorgane liegt sehr danieder, die Kranken haben
Widerwillen gegen jede Nahrung, fühlen sich sehr elend, klagen über Schluck-
118 ERYSIPEL AS PHARYNGIS.
bescliwerden, lebhaftes Brennen und starke Trockenheit im Halse. Der Ver-
lauf ist, sofern keine Complication hinzutritt und es sich nicht um eine sehr
maligne Infection handelt, meist ein schneller und günstiger. In höchstens
einer Woche gehen Röthung und Schwellung im Halse zurück, die subjectiven
Beschwerden schwinden, die Drüsen verkleinern sich, das Fieber klingt all-
mählich ab, und es tritt Genesung ein. Bei einer malignen Infection mit
sehr virulenten Coccen kann allerdings auch durch das Rachenerysipel an
sich ein ungünstiger Ausgang des Processes bewirkt werden. Unter hohem
Fieber, Delirien, Herzschwäche tritt dann Exitus letalis ein. Das ist aber
ein selteneres Ereignis. Häufiger erfährt die Krankheit eine Steigerung ihrer
Malignität oder wenigstens eine oft sehr erhebliche Verschleppung durch
Complicationen verschiedener Art. Diese können zunächst sich entwickeln
durch Fortpflanzen des Processes per continuitatem, durch Weiterwandern nach
oben oder auch nach unten. In letzterem Falle ist das Hinzutreten einer
erysipelatösen Entzündung des Larynx ein sehr bedenkliches Ereignis. Man
kann sich ja leicht vorstellen, zu welch' schweren Folgen die diesen Process
meist begleitende ödematöse Schwellung führen kann. Gar leicht kann die
Glottis durch Oedem verlegt und dadurch die Athmung erschwert, wenn nicht
unmöglich gemacht werden. Ausserdem kann das Erysipel auch über den
Larynx hinaus tiefer fortwandern, in Trachea und Bronchien, eine Tracheitis,
eine Bronchitis, selbst eine Pneumonie erzeugend.
W^andert das Erysipel des Piachens, was häufig geschieht, nach oben,
dann gibt es sich vornehmlich kund durch secundäres Gesichtserysipel.
Es kann die Haut auf verschiedenen Wegen erreichen. Entweder der Process
kriecht in die Tuba Eustachii, gelangt in das Mittelohr, hier eine Otitis media
auslösend, und schliesslich nach Perforation des Trommelfelles durch den
äusseren Gehörgang an die Hautdecke. Das secundäre Erysipel der Haut
zeigt sich dann zuerst am Ohr. Dieser Weg ist der seltener betretene.
Häufiger führt die Wanderung das Erysipel auf dem Wege durch die Nase
nach aussen. Es wird dasselbe dann sichtbar entweder am Canthus internus
des Auges, indem die erysipelatöse Entzündung die enge Passage durch den
Thränennasencanal eingeschlagen hat, oder am Naseneingang. Bekanntlich
gehen viele Gesichtserysipele von letzterem aus; ein Theil derselben ist
sicher secundär einem Rachenerysipel gefolgt. Manche ihrer Natur nach un-
erkannte heftige Angina wird erst durch das per continuitatem entstehende
Gesichtserysipel resp. Kopferysipel als erysipelatöse gekennzeichnet. — Ist ein
Gesichtserysipel oder Kopferysipel erst hinzugetreten, dann hängt der w^eitere
Verlauf natürlich von der Gestaltung, der Ausdehnung, der Dauer desselben ab.
An die Complicirung des Processes durch Fortwanderung per continui-
tatem reiht sich das Hinzutreten eines secundären Hauterysipels ohne directen
Zusammenhang mit dem Processe im Rachen; denn auch das ist möglich.
Ebenso wie bei Hauterysipel es vorkommt, dass der Process auf eine ganz
entfernte Hautstelle, etwa vom Gesicht auf ein Bein, überspringt {Erysipelas
vagum), ebenso kann bei Rachenerysipel eine Rose am Rumpf oder an den
Extremitäten sich hinzugesellen. Es ist das ein seltenes Ereignis, aber es
kommt vor.
Von sonstigen Complicationen ist noch eine Reihe von schweren Sym-
ptomen zu erwähnen, die entstehen durch Hinzutreten einer Pericarditis, Peri-
tonitis, embolischer Processe, Pneumonien — von den oben erwähnten, per
continuitatem entstehenden abgesehen — und anderer Leiden, die im Geleite
jedes Erysipels wie anderer Infectionskrankkeiten beobachtet sind. Die Krank-
heitserscheinungen im einzelnen zu schildern, würde den Rahmen des vor-
liegenden Artikels überschreiten.
So lange ist stets von Rachenerysipel als einer primären Affection die
Rede gewesen. Es muss aber hinzugefügt werden, dass es auch ein secun-
ERYSIPEL AS PflARYNGIS. 119
Cläres Rachenerysipcl gibt, welches im Gefolge einer Hautrose auftritt. In
den allermeisten Fällen ist es ein Gesichtserysipel, welches auf die Schleim-
haut per continuitatem überwandert; und zwar schlägt dieses dann gewöhnlich
den Weg durch den Mund ein. Das Erysipel überschreitet den Lippensaum,
die Mundschleimhaut röthet sich und schwillt an. Köthung und Schwellung
wandern dann über harten und weichen Gaumen zur Kuchenhöhle. Nur ganz
ausnahmsweise kommt es vor, dass ein secundäres liachenerysipel auftritt,
während das primäre Hauterysipel an Rumpf oder Extremitäten sitzt, dass
also das Virus von entfernten Hauttheilen auf die Itachenschleimhaut
überspringt. Im ganzen ist aber das secundäre Erysipclas pharyngis selten;
während der Uebergang des Erysipels von der primär afticirten liachen-
wandung auf die Haut relativ häufig vorkommt, ist der umgekehrte Vorgang
eine Rarität.
Was die Aetiologie betrifft, so kann es keinem Zweifel unterliegen,
dass die Erysipel-Coccen auch das Rachenerysipel erzeugen. Die Eingangs-
pforte im einzelnen Falle festzustellen ist natürlich schwer. Sicherlich aber
kommen auch hier Läsionen der Schleimhaut in erster Reihe in Frage. Dass
sie der Beobachtung entgehen, darf nicht Wunder nehmen, da sie ja wohl
nur von minimaler Grösse sein werden; für die Einwanderung von Coccen
genügen sie. Beim Schlucken dürften w^ohl durch die Speisen nicht selten
unbedeutende Excoriationen der Schleimhaut entstehen. Andererseits rauss
man es aber als denkbar anerkennen, dass auch ohne Läsionen zur Invasion
der Coccen die Gelegenheit vorhanden sein kann. Sieht man selbst von dem
Eindringen auf dem Wege der Blut- und Lymphbahn ganz ab, so bleibt noch
die sichere Thatsache bestehen, dass die normale Schleimhaut speciell an den
Tonsillen physiologisch Epithellücken vielfach enthält. Es steht fest, dass
dieselben gross genug sind, um weisse Blutkörperchen hindurchpassiren zu
lassen. Sie werden dann auch wohl sicher für die Coccen genügen.
Die Diagnose des pharyngealen Erysipels ist durchaus nicht leicht,
so lange dasselbe sich auf die Pharynxschleirahaut beschränkt. Lebhafte
Röthung und Schwellung, acutes Einsetzen mit Schüttelfrost, hohes Fieber,
starke Störung des Gesammtbeiindens werden die Aufmerksamkeit darauf
lenken. Man muss jedenfalls bei derartiger heftiger Angina daran denken,
dass ein Erysipel vorliegen kann. Sicherheit erlangt man aber meist nur
da, wo das Erysipel auf die äussere Haut überwandert; hier ist ja das
Bild ein typisches. Es ist schon sehr oft vorgekommen, dass das Auftreten
eines Gesichtserysipels über die Natur einer vorausgegangenen Angina Auf-
klärung gebracht hat.
Die Prognose ist beim Rachenerysipel relativ günstig, da gewöhnlich
schnelle Heilung eintritt. Eine Erschwerung erfährt dieselbe durch das Hinzu-
treten complicirender Momente, sei es, dass per continuitatem eine Laryngitis,
ein Glottisödem Gefahr bedingt, sei es, dass ein begleitendes oder nach-
folgendes Hauterysipel eine ernstere Gestaltung annimmt, sei es endlich, dass
metastatische Entzündungen sich etabliren, Avie sie oben bei Besprechung des
klinischen Bildes erwähnt sind. Dass ausserdem auch Fälle vorkommen, bei
denen das uncomplicirte Rachenerysipel den Exitus letalis durch malignen
Charakter des Virus, heftige Allgemeinerscheinungen unter Symptomen einer
Herzparalyse bewirkt, ist bereits erwähnt. — Jedenfalls wird man das Leiden
als ernstes auffassen und bei der Stellung der Prognose sich die nöthige Re-
serve auflegen.
Die Therapie wird local zunächst die entzündlichen Erscheinungen
zu dämpfen haben, um die Schluckbeschwerden zu lindern, etwaiger Behin-
derung der Athmung vorzubeugen. Zu diesem Zwecke ist die Application von
Eis, als Eiscravatte oder Eisumschlag, und das ziemlich permanente Zergeheu-
lassen kleiner Eisstückchen im Munde in erster Reihe nothwendig. Nur wo
120 ERYTHEME DES RACHENS.
die Schwellung massiger ist, das Schlucken weniger behindert ist, wird man
das Eis entbehren können, statt dessen äusserlich stündlich zu wechselnde
PRiESSNiTz'sche Umschläge appliciren.
x\lle Gurgeluogen sind im allgemeinen nicht rathsam, da dadurch die
Schleimhaut leicht gereizt wird. Will man Medicamente local anwenden,
dann thut man das am besten mit dem Pinsel. In Frage kommt zunächst
Cocainlösmig (5— 207o) oder, weil weniger giftig, Eucainlösung (5 — 10*^/o);
beide wirken schmerzstillend, das erstere auch anämisirend, w^enn auch nur
vorübergehend. Am' besten wiederholt man die Pinselungen vor der Nahrungs-
zufuhr. Von eigentlichen Heilmitteln wäre besonders Ichthijol als ('/g — 27o
Lösung) des Versuches wert. Im übrigen lasse man die Schleimhaut möglichst
in Kühe, reize sie weder durch Medicamente noch durch Nahrungsmittel.
Es bedarf kaum des Hinweises, dass letztere flüssig und absolut reizlos sein
müssen. Kühle Milch, Schleimsuppen, Wasser, Citronenlimonade werden wohl
genügen. Wo das Herunterschlucken sehr gefürchtet wird, weil es heftigen
Schmerz verursacht, da mache man die Patienten darauf aufmerksam, dass
nur der erste Schluck heftig zu schmerzen pflegt; ist der erste Schmerz
überwunden, dann kann man gewöhnlich schnell ohne nennenswerte Be-
schwerden weiter trinken. — Auf die Behandlung der Allgemeinerscheinungen,
speciell des Fiebers, sowie auf diejenige der Complicationen einzugehen, würde
hier zu weit führen. Hinw^eisen möchte ich nur noch darauf, dass man da,
wo auch nur der Verdacht eines Rachenerysipels vorliegt, jederzeit auf eine
Tracheotomie gefasst sein muss, da schweres Glottisödem in kürzester Frist
sich ausbilden und bedrohliche Athembeschwerden verursachen kann.
Dass die Kranken mit Rachenerysipel möglichst zu isoliren sind, alle,
welche irgend eine Verletzung an Händen, Gesicht etc. haben, sich besonders
sorgsam fernzuhalten haben, sei zum Schlüsse betont. jessner.
Erytheme des Rachens. Eöthungen des Rachens und der benach-
barten Theile ohne ausgesprochene Entzündung sind relativ häufig zu finden,
wenn auch die entzündliche Piöthung infolge katarrhalischer Zustände un-
endlich viel häufiger ist. Es können die Erytheme diffus oder umschrieben
in Gestalt von Flecken auftreten. Ihre Farbe variirt von hellroth bis zu
dunkelroth, je nachdem die zu Grunde liegende Gefässerweiterung eine mehr
oberflächliche oder tiefgelegene ist. Die Beschwerden sind meistens recht
gering: etwas Brennen, ein wenig Unbehagen beim Schlucken, Vermehrte
Secretion kann vorhanden sein, jedoch nur in sehr geringem Maasse, ent-
sprechend dem vermehrten Blutzutiuss.
Wir besprechen die Pharynxerytheme nach ihrer Aetiologie: zunächst sind
die durch Trauma bewirkten zu erwähnen. Meistens ist es ein solches mecha-
nischer Natur, und zwar in erster Reihe durch instrumentelle Untersuchungen
bewirkt. Nach Einführung des Spiegels zur Laryngoskopia und Rhinoskopia
posterior, nach Application der Magensonde oder von Instrumenten für die Speise-
röhre, beispielsweise von Instrumenten zur Entfernung von Fremdkörpern, röthet
sich die Rachenschleimhaut diffuse; die Röthung schwindet bald, es sei denn,
dass eine solche mechanische Reizung lange Zeit hintereinander statthat; in
diesem Falle kann es zum Katarrh kommen. — Chemische und thermische
Reize können dasselbe bewirken. Wenn jemand etwas zu heisses trinkt, wenn
jemand, ohne daran gewöhnt zu sein, Alkohol in concentrirter Form herunter-
schluckt oder raucht, stellt ein Erythem sich ein. Dasselbe können sehr dif-
ferente Medikamente erzielen.
Von grossem Interesse sind die Pharynxerytheme neurotischen
Ursprungs, auf die Rossbach zuerst hingewiesen. Derselbe beobachtete
bei zwei neurasthenischen Patienten, die über quälende Hyperästhesie der Hals-
organe klagten, dass sich bei ihnen zeitweilig eine tiefe Röthung der Rachen-
ERYTHEME DES RACHENS. 121
Wandungen einstellte, die nach einigen Minuten bis Va Stunde wieder nor-
maler Färbung Platz machte. Er sieht in dieser periodischen itötlmng ein
Analogen der Schamröthe, wie wir sie auf der äusseren Haut ja oft genug
beobachten. Das Fehlen jeder anderen Störung, etwa seitens des Herzens, im
Verein mit dem schnellen Kommen und Gehen des Leidens kennzeichnet den
Vorgang als vasomotorische Neurose.
Einer Fülle von Erythemen des Pharynx begegnen wir bei der Betrach-
tung der Symptomatologie der Infectionskrankheiten. Von acuten
kommen Masern, llötheln, Scharlach, Variola vornehmlich in Betracht.
Bei Masern sehen wir am ersten Fiebertag die Schleimhaut des Rachens
diffuse geröthet, wenig geschwollen. Am Abend des zweiten Fiebertages ge-
sellt sich dazu auf dem vorderen Theil des weichen Gaumens und dem hin-
teren Theil des harten (iaumens ein umschriebenes Erythem, ein ^^Enanthem^,
in Gestalt runder, nicht scharf begrenzter, kaum über die Umgebung erhabener,
bis linsengrosser Flecken, die theils vereinzelt stehen, theils in Gruppen.
Minimale, bläschenartige Bildungen erheben sich im Centrum der Flecken.
Diese breiten sich, stellenweise confluirend, nach dem Munde zu weiter aus.
Bis zum fünften Fiebertage bleiben umschriebene Erytheme und diffuse Röthung
der hinteren Rachenwand bestehen, um dann mit dem Hautexanthem zu
schwinden. Kleine. Häm^orrhagien in der Schleimhaut treten oft hinzu. —
Bei Röthein sind ähnliche Befunde erhoben, jedoch sind die Veränderungen
Aveder so intensiv, noch so constant.
Die Scarlatina bringt bekanntlich eine starke Betheiligung des Rachens
mit sich. Da die entzündlichen Veränderungen aber nicht hierher gehören,
bleibt hier wenig zu erörtern. Denn es ist sehr fraglich, ob selbst die beim
Beginne des Scharlach sich einstellende Halsröthung nicht schon entzündlicher
Natur ist. Sie allein kommt jedenfalls hier nur in Frage, alle anderen Ver-
änderungen sind als echte „Angina" anzusehen, ein Begriff", in dem das Wesen
der Entzündung ausgedrückt ist. Das initiale Pharynxerythem bei Scharlach
hat eine diffuse, intensiv rothe Färbung und charakterisirt sich durch eine
eigenthümliche Begrenzung. Man sieht sie einige Millimeter von dem vor-
deren Gaumenbogen in einer diesem parallelen, scharfen Linie abschneiden.
Ist der Fall nicht ein ausnahmsweise leichter, dann steigert sich die Rachen-
affection stets zur Entzündung.
Bei Variola weist das Incubationsstadium sehr oft schon Röthung und
Schwellung der Uvula und der Tonsillen auf, die sich im Initialstadium noch
steigern. Später folgt auch im Rachen, wie auf der Haut, die Pockeneruption.
Mit die häufigste Veranlassung zu Pharynxerythemen gibt die Syphilis
im Secundärstadium. Fast gleichzeitig mit der Roseola tritt die Röthung der
Rachenorgane auf. Die Ausbreitung derselben ist eine verschiedene. An den
hinteren Abschnitten ist sie meistens eine ganz diffuse; am weichen Gaumen
und dem harten Gaumen und den Gaumenbögen ist gewöhnlich nicht die
Schleimhaut in toto geröthet, sondern grössere Abschnitte derselben, die sym-
metrisch gelegen sind. Auch kleinere, fleckförmige Erytheme, wahre Analoga der
Roseola an der äusseren Haut sieht man hier. Alle umschriebenen Röthuugen
sind scharf begrenzt, kaum etwas elevirt. Die Färbung ist gewöhnlich eine
tiefrothe, ins Violette spielende; jedoch spricht bei derselben die frühere Be-
schaffenheit der Rachenhöhle insofern sehr nrit, als die so häufig an Raucher-
katarrh leidenden Männer tiefer geröthete Erytheme aufweisen. — Die um-
schriebenen Rachenerytheme sind bei der secundären Syphilis oft nur ein
Vorstadium tieferer, entzündlicher Veränderungen. Die erythematösen Stellen
schwellen stärker an, bekommen ein matteres Aussehen, dann stösst sich das
Epithel ab; wir haben eine syphilitische Erosion, auf der es zur Bildung einer
fiachen Papel kommen kann.
122 FIBROME DES KEHLKOPFES.
Alle Erytheme des Rachens sind an sich unschuldige Leiden, die sublata
causa schnell vergehen und höchstens symptomatisch eine mildernde Behand-
lung verlangen. Diejenigen luetischer Natur sind hartnäckiger, weichen aber
meistens schnell einer antiluetischem Therapie, zumal wenn das Rauchen
unterlassen wird.
JESSNER.
Fibrome des Kehlkopfes. Die Fibrome sind rundliche oder grob-
höckerige, rothe oder blaurothe (nur selten sind sie grau, wenn nämlich das
sie bedeckende Epithel sehr dick ist), meist ziemlich weiche, gestielte oder
ungestielte Geschwülste, welche gewöhnlich an den Stimmbändern, und zwar
meist vorne sitzen. Sie erreichen meistens keine bedeutende Grösse (bis erbsen-
gross, selten darüber), kommen häufiger bei Männern, seltener bei Frauen, im
mittleren oder vorgeschrittenen Alter vor, recidiviren nicht leicht und ver-
ursachen ausser den mechanischen Störungen keine anderen Erscheinungen.
Unter den von mir beobachteten 191 gutartigen Neubildungen waren 97 soge-
nannte Fibrome, wenn ich 5 Schleimpolypen und 2 fibröse Polypen im Sinne
Eppinger's dazurechne. Sie sind die häufigsten unter den gutartigen Neu-
bildungen.
Anatomie. Die meisten unter den Fibromen verdienen eigentlich
diesen Namen nicht, da das faserige Bindegewebe nicht den grössten Theil
ihrer Masse ausmacht. Die kleineren unter ihnen sind fast ausnahmslos als
hypertrophische, umschriebene Wucherungen der oberflächlichen Stimmband-
antheile aufzufassen. Ich habe 36 derselben nach ihrer Exstirpation und
zwei im Zusammenhange mit dem Stimmbande histologisch untersucht. Bei
diesen zwei gestielten Geschwülsten konnte man an Serienschnitten deutlich
sehen, dass dieselben aufsassen auf einem Saume, der am Rande des Stimm-
bandes noch etwas nach vorn und hinten von der eigentlichen Geschwulst
sich fortsetzte. Dieser Saum bestand nur aus einer verdickten Stelle des
Stimmbandes, welche dieselbe Structur wie das Stimmband selbst zeigte. In
der Nähe der eigentlichen Geschwulst wurde dieser Saum dicker, und zwar
hauptsächlich durch das Auftreten von ausgedehnten Blutgefässen. Diese
Verdickung gieng allmählich in die eigentliche Geschwulst über, welche eben-
falls viele ausgedehnte Gefässräume enthielt. Ausserdem fanden sich in ihi
auch noch viele unregelmässig gestaltete Hohlräume, welche theils mit Blut,
theils mit Lymphe, theils mit einer hyalinen Substanz erfüllt waren. Das
Grundgewebe war feinfaserig, reichlich von Serum durchtränkt und enthielt
neben frischem Blutgerinnsel auch Pigment, theils frei im Gewebe liegend,
theils in einzelnen Zellen eingeschlossen. Die Hauptmasse der Geschwulst
machten also ausgedehnte Gefässe und Gefässräume aus. Das Bindegewebe
trat dagegen sehr in den Hintergrund. Das Wachsthum der Geschwulst war
die Folge von langdauernder Stauung, die sich darauf zurückführen lässt,
dass die Verdickung sehr vielen mechanischen Insulten ausgesetzt war, was
aus ihrer Lage am Rande des Stimmbandes von selbst einleuchtet. Die Ent-
stehung der Stielung ist so zu erklären, dass an einer Stelle des Saumes
durch starke Gefässausdehnung und Füllung mit Blut und Serum ein kleiner
rundlicher Knoten sich bildet, der nun als mit Flüssigkeit gefüllter und darum
schwerer Körper an dem Saume zerrt.
Die erste Veranlassung zur Entstehung eines solchen Saumes am Stimm-
bandrande ist gewiss eine chronische Reizung des Stimmbandes. Denn in
den zwei erwähnten Fällen wurden auch die Gefässe in der Umgebung des
Saumes im Zustande der Ausdehnung gefunden und das ganze Gewebe im
Zustande chronischer Entzündung. Damit stimmt auch überein, dass man
den chronischen Katarrh häufig als Begleiterscheinungen der sogenannten
Stimmbandfibrome findet. Die Untersuchung der anderen Geschwülstchen
FIBROME DES KEHLKOPFES. 123
zeigte dieselbe Zusammensetzung: sehr spärliches, feinfaseriges Bindegewebe
mit wenig elastischen Fasern und dazwischen zahlreiche Gefässe und Hohl-
räume, welche theils mit Endothel ausgekleidet waren, theils kein solches
enthielten.
In diesen Hohlräumen lagen nun entweder Blut oder Blutgerinnsel oder
Serum oder endlich eine eigenthümliche hyaline Masse, welche beinahe homo-
gen aussieht und nur hie und da kleine Lücken, ähnlich den Knochenkörper-
chen, enthielt. Diese Substanz, die schon Eppingeii aufgefallen war, lag ge-
wöhnlich dem Blutgerinnsel nahe und zeigte sich manchmal nach der Wkioekt'-
schen Fibrinfärbung als naher Abkömmling des Fibrins.
Die äusseren Schichten dieser Geschwülstchen zeigten meist ein etwas
dichteres Bindegewebe, doch auch manchmal dieselbe weitmaschige Beschaffen-
heit wie das Centrum. Das Epithel war ein geschichtetes Tlattenepithel von
nicht bedeutender Dicke. In keinem der untersuchten Fälle fand sich ein
dem Fibrom entsprechendes Gewebe, wie es Eppinger annimmt. Eppixgeü
glaubt nämlich, dass nur das submucöse Bindegewebe an einer Stelle zu einem
Knoten heranwachse und die Schleimhaut vor sich herstülpt. Dem wider-
spricht vor allem die Beschaffenheit dieser Geschwülstchen, dann der Umstand,
dass an den Stimmbändern keine Grenze zwischen submucösem Gewebe und
Schleimhaut zu finden ist. Es sind also die meisten dieser sogenannten
Fibrome als chronisch entzündliche Verdickungen der ganzen Stimmband-
substanz aufzufassen und nicht als Fibrom.
Auch die rundlichen oder elliptischen, bis
etwa stecknadelkopfgrossen Knötchen, die die-
selbe Farbe wie die Stimmbänder haben, die
sogenannten Sängerknötchen (Fig. 1), bestehen
nur aus Verdickung des Epithels und des ober-
flächlichen Bindegewebes. Nur in den selten-
sten Fällen liegen in Knötchen oder sogenann-
ten Fibromen ausgedehnte Drüsen oder Cysten,
welche aus Drüsen hervorgiengen , weil der
Stimmbandrand drüsenfrei ist.
Die wirklichen Fibrome sind meist grosse ^'^- ^- sängerknötchen.
und ziemlich harte Geschwülste, welche aus
straffem Bindegewebe mit dicht aneinander liegenden Fasern bestehen. Sie
sind viel seltener als die soeben beschriebenen Neubildungen und sitzen
auch öfter an anderen Stellen des Kehlkopfes. So berichten Ziemssen,
Störk, Schrötter u. a. über solche Fibrome, die von dem hinteren Rande der
Ringknorpelplatte, vom Aryknorpel und der ary-epiglottischen Falte aus-
giengen. Von vielen als Fibrome bezeichneten Geschwülsten liegen aber keine
histologischen Daten vor, so dass ich nicht fehlzuschliessen glaube, wenn ich
annehme, dass das eigentliche Fibrom ein seltenes Vorkommnis im Larynx ist.
Vorkommen: Wie schon erwähnt, machen die sogenannten Fibrome
die Hauptmasse aller gutartigen Neubildungen aus. Sie betrafen in meinen
97 Fällen nur lOmal weibliche Individuen; unter 20 Jahren war keiner meiner
Patienten. Die 50 Sängerknötchen wurden dagegen öfters bei weiblichen
Patienten beobachtet, vielleicht deswegen, weil Mädchen und Frauen mehr
auf eine vollständige Reinheit der Stimme Wert legen als die Männer und
daher früher den Arzt aufsuchen, ausser, wenn es sich um Sänger handelt.
Die Sängerknötchen finden sich öfters auch unter 20 Jahren. Sie entstehen
leicht im Gefolge sowohl des acuten als auch des chronischen Kalarrhes, und
daher beobachtet man sie auch bei Kindern nicht selten.
Gewöhnlich kommen die Fibrome nur in der Einzahl vor, und nur in
Ausnahmsfällen wurden in demselben Kehlkopf mehrere Exemplare gefunden.
(SOLIS-COHEN.)
124 FIBROME DES KEHLKOPFES.
In der ungeheuren Mehrzahl der Fälle sitzen sie an dem Rande des
Stimmbandes, und zwar da wieder mit Vorliebe an dem Uebergange vom vor-
dersten zum mittleren Drittel desselben, nur selten an den Taschenbändern, in
dem Ventriculus Morgagni und ausnahmsweise an der hinteren Kehlkopfwand.
Eintheilung. Man unterscheidet harte und weiche, eine Eintheilung,
welche nach Eppinger sehr wenig Wert hat, da sich die verschiedensten Ueber-
gange der Consistenz tinden, dann aber auch, weil ein stramm mit Flüssigkeit
gefülltes, weitmaschiges Bindegewebe den Eindruck der Härte hervorrufen kann;
dann nach ihrer Transparenz in gewöhnliche Fibrome und sogenannte Schleim-
polypen, welche durchscheinend sind. Sie kommen nur selten vor und be-
ruhen auf einer sehr starken Durchtränkung mit Serum bei verhältnismässig
dünnem Epithel und bei geringer Entwicklung der Gefässe. Diese Schleim-
polypen werden auch Myxome genannt. Nach Fauvel sind sie sehr häufig.
Er stützt sich dabei auf anatomische Untersuchungen, welche myxomatöses
Gewebe nachwiesen: das heisst, man fand in dem lockeren, feinfaserigen
Bindegewebe zahlreiche spindelige und sternförmige Zellen mit Ausläufern,
ähnlich wie bei dem wirklichen Schleimgewebe, ohne aber die durchtränkende
Flüssigkeit als Schleim nachgewiesen zu haben. Gewiss handelte es sich hier
fast immer um sehr stark mit Serum durchtränktes Bindegewebe, wie ich das
in einigen Fällen nachgewiesen habe.
Auch von Angiofibromen sprach man öfters, wenn die Blutgefässe sehr
gross und die Maschenräume mit Blut erfüllt waren; endlich hat man Cysto-
fibrome beschrieben, wenn mit Serum erfüllte Hohlräume in grosser Aus-
dehnung zusammenflössen und so einen dickwandigen Beutel bildeten. Es
sind also Schleimpolypen oder Myxome, Angiofibrome und Cystofibrome meistens
nur verschieden entartete, umschriebene Bindegewebshypertrophien.
Besondere Abarten der Fibrome. 1. Der eigentliche Polyp im
Sinne Eppinger's. Nach ihm versteht man darunter grosse Tumoren, welche
durch Hypertrophie aller Weichtheile des Kehlkopfes entstehen. Er fällt
nach meiner Erörterung zusammen mit der gewöhnlichen Hypertrophie und
ist nur gekennzeichnet durch seine bedeutendere Grösse, seinen breiteren
Ansatz und durch den Umstand, dass er gewöhnlich nicht an den Stimm-
bändern, sondern an den Aryepiglottisfalten oder der hinteren Larynxwand
aufsitzt; ich habe nur zwei solche Tumoren gesehen.
2. Der Prolapsus ventriculi Morgagni ist nach den Unter-
suchungen von ScHRöTTEE, namentlich aber nach der ausführlichen Arbeit
B. FRÄNKt.L's in Berlin eigentlich nur eine hypertrophische Schleimhautfalte
oder eine andere ähnliche polypöse Hypertrophie der Wände des Ventriculus,
welche nach und nach aus dem Ventriculus heraustrat und so endlich Geschwülste
veranlasste, welche gewöhnlich der ganzen Länge nach den Stimmbändern
aufliegen. Diese Geschwülste sind meist roth und glatt, manchmal aber auch
grauroth oder geradezu durchscheinend grau, liegen meist auf der ganzen
Länge der Stimmbänder, seltener nur auf den vorderen Antheilen derselben
und lassen sich leicht in den Ventrikel zurückschieben, um aber wieder bald
aus demselben herauszutreten. Fränkel hat sowohl die Reponibilität als auch
die manchmal beobachtete plötzliche Entstehung des sogenannten Prolapsus
mit viel mehr Wahrscheinlichkeit auf eine solche Falte oder einen Tumor der
Ventrikelwand zurückgeführt, als auf eine wirkliche Umstülpung der Schleim-
haut dieses Sackes. Dieselbe ist kaum in toto möglich, wie das aus der Ana-
tomie dieser Theile hervorgeht, und auch bis jetzt noch nie demonstrirt worden.
Die plötzliche Entstehung lässt sich dadurch erklären, dass der im Ventrikel
verborgene Tumor durch einen heftigen Hustenstoss aus der Höhle heraus-
geschleudert wird und nun unter dem Druck des Stimm- und Taschenbandes
eine Stauung erleidet, so dass er nicht mehr zurückschlüpfen kann. Ich kann
mich nach eigenen Beobachtungen diesen Ausführungen Fränkel's vollständig
FIBROME DES KEHLKOPFES.
125
Fig. 2. Polypenartiges Fibrom.
Fig 3. Faltenartiges Fibrom.
anschliessen, nur glaube ich, dass Theile der Schleimhaut des Ventrikels ganz
gut von einem Tumor hervorgezogen werden können.
Das laryngoskopische Bild. Die meisten sogenannten Fibrome
stellen sich als hirsekorn- bis haselnussgrosse, rothe oder blaurothe, seltener
graue, rundliche oder grobhöckerige Geschwülste an den Stimmbandrändern
dar. (Fig. 2.) Die kleinsten derselben sitzen
breit, oft nach vorne und hinten in einen
schmalen Saum auslaufend, dem Stimmband-
rande auf. Die grösseren gehen ebenfalls
meist von einem ähnlichen Saume aus und
hängen mehr oder weniger gestielt in die
Stimmritze herab. Die sogenannten Schleim-
polypen erscheinen oft als lange Falten oder
Beutel, welche am Stimmbandrande aufsitzen,
durchscheinend sind und sich ganz schlaff
hin und her bewegen (flottiren), ohne dass
sie aber gestielt wären. (Fig. 3.) Die unge-
stielten Fibrome erzeugen nicht selten Ein-
drücke auf dem Rande des gegenüberlie-
genden Stimmbandes, die erst lange nach
Entfernung der Geschwulst schwinden. Die
eigentlichen Fibrome sind grosse, harte und
rundliche Geschwülste, welche oft das ganze
Larynxinnere ausfüllen. Sie giengen in den
wenigen beobachteten Fällen manchmal von
den Stimmbändern, verhältnismässig oft aber
von den anderen Theilen des Kehlkopfes aus.
Symptome. Subjectiv rufen die Fi-
brome manchmal wohl Fremdkörpergefühl, Kitzel oder Hustenreiz hervor, ver-
ursachen aber nie Schmerz. Dagegen vermisst man fast nie bei Sitz an den
Stimmbändern Heiserkeit, in der im allgemeinen Theile beschriebenen Art
und Stärke; den grössten Einfluss darauf hat die Grösse und Beweglichkeit der
Neubildung. Athembeschwerden kommen nur bei grösseren Tumoren vor, und
Behinderung des Schlingens stellt sich nur ein, wenn der Tumor in den Ra-
chen hinausragt.
Diagnose. Die Diagnose ist nach dem über die subjectiven und objec-
tiven Symptome und über die Spiegeluntersuchung Gesagten leicht zu machen.
Besonders achte man aber darauf, dass die kleinen Fibrome gerne an den
vorderen Antheilen der Stimmbänder sitzen. Hier empfiehlt sich die Unter-
suchung mit stark nach rückwärts gebeugtem Kopfe.
Differential-Diagnose. Die kleinen Fibrome an den Stimmbändern
können verwechselt werden mit beginnendem Carcinome oder mit umschrie-
benen tuberkulösen, syphilitischen und lupösen Wucherungen. Carcinome an
den Stimmbändern können wirklich manchmal täuschend den Fibromen ähn-
lich sehen, besonders, wenn der übrige Kehlkopf vollständig gesund ist. In
solchen Fällen kann erst die histologische Untersuchung des exstirpirten
Tumors die Diagnose sichern, wenn auch die auffallend starke Blutung schon
bei der Operation auf Bösartigkeit hinweist. Sehr häufig aber leidet bei Car-
cinomen frühzeitig die Beweglichkeit des Stimmbandes, und sehr häufig ist
die Umgebung der Geschwulst stark geschwollen und geröthet. Bei tuber-
kulösen, syphilitischen und lupösen Geschwülsten fehlen nur selten an anderen
Stellen des Kehlkopfes Schwellungen oder Geschwüre, und selten ist bei diesen
Processen der ganze übrige Körper gesund. Grosse, wirkliche Fibrome sind
durch Härte und Beweglichkeit (weil sie eben fast immer gestielt sind), durch
126 FRACTÜREN DES KEHLKOPFES.
den Mangel an geschwürigem Zerfall und durch das Fehlen von Driisen-
erkrankung gegen Carcinome und Sarkome genügend abgegrenzt.
Prognose der umschriebenen Hypertrophie und des eigentlichen
Fibroms ist günstig, da sie nach der Operation nicht wiederkehren; nur wenn
dieselben Schädlichkeiten, welche die kleine umschriebene Hypertrophie des
Stimmbandes veranlasst haben, wieder längere Zeit einwirken, kann es zur
Recidive kommen.
Behandlung. 1. Sogenannte Sängerknötchen können unter
Schonung der Stimme und Einathmung von schleimlösenden oder zusammen-
ziehenden Mitteln, besonders aber unter Pinselung mit 2 bis 6% Lapis- oder
Milchsäurelösung häufig schwinden. Jedenfalls empfiehlt es sich, bei dieser
Behandlungsmethode durch einige Zeit zu verharren, und erst dann, wenn
sie erfolglos bleibt, Aetzungen etwa mit Lapis in Substanz vorzunehmen. Nament-
lich die nicht ganz runden, sondern mehr flachen Knötchen schwinden häufig
auf diese Behandlung. Die Operation besteht in der Abtragung mit einer
feinen Larynx-Pincette. Manchmal hat man nun selbst nach der sorgfältigsten
Ausführung dieser Operation einen Verlust der Singstimmen beobachtet,
vielleicht deswegen, weil man doch einen Theil der faserigen Substanz des
Stimmbandes entfernte und so eine kleine Narbe setzte. Deshalb sei man
eben bei Sängern mit dieser Operation vorsichtig. Jurasz empfiehlt übrigens
die galvanokaustische Aetzung dieser Knötchen. 2. Die kleinen, weichen,
umschriebenen Hypertrophien an den Stimmbändern (die sogenannten weichen
Fibrome) werden am besten mit der Kehlkopfpincette oder dem Quetscher
entfernt. Zangen eignen sich dazu schlechter, weil ihre grossen Löffel das
ganze Gebilde verdecken. 3. Grosse, härtere und namentlich sehr blutreiche
Fibrome erfordern die Anwendung der schneidenden Pincetten, Zangen, Guillo-
tinen oder der galvanokaustischen Schlingen. Die Eröffnung des Kehlkopfes
von aussen her käme nur bei sehr grossen, breit aufsitzenden und das Lumen
stenosirenden Fibromen in Frage, namentlich wenn sie subglottisch gelagert
sind. ciiiARi.
Fracturen des Kehlkopfes. Die Brüche des Kehlkopfes kommen ziem-
lich selten zur Beobachtung. Am häufigsten brechen Schild- und Ringknorpel,
nur selten ist der Aryknorpel betroffeo. Die directen Fracturen entstehen ent-
weder durch einen Druck, welcher von beiden Seiten auf die Kehlkopfknorpel
ausgeführt wird, wie es beim Würgen des Halses mit der Hand der Fall ist, oder
dadurch, dass der Kehlkopf von vorn nach hinten gegen die Wirbelsäule
gepresst wird, was beim Erhängen, beim Schlag mit der Faust, beim Stoss,
Wurf gegen den Hals, beim Falle auf einen harten Körper (Tischkante)
eintritt. Die indirecten Fracturen (Hofmann) entstehen namentlich durch
Sturz auf den Kopf, indem im Moment der Gewalteinwirkung eine plötzliche
Beugung des Kopfes nach vorn stattfindet, das Kinn heftig gegen den oberen
Theil des Brustbeines angedrängt und dadurch der Kehlkopf zusammen-
gedrückt wird.
Früher behauptete man, dass an der Leiche Brüche der Kehlkopf knorpel
selbst bei grösster Gewalteinwirkung nicht zu erzeugen seien (Casper). Dem
gegenüber ergaben Versuche anderer Autoren und die des Referenten, dass
Brüche an der Leiche sich sehr leicht herstellen lassen, und dass man aus
einem blossen Kehlkopfbruch, der an einer Leiche constatirt wird, durchaus
noch nicht den Schluss ziehen kann, dass derselbe bei Lebzeiten des betref-
fenden Individuums ausgeführt worden sein muss. Denn es ist sehr wohl
möglich, dass bei einer unvorsichtigen Behandlung der Leiche beim Trans-
port derselben u. s. w. Brüche der Kehlkopfknorpel zufällig entstehen können.
Auf die Bruchfähigkeit des Kehlkopfes ist natürlich von grösstem Ein-
fluss die Beschaffenheit der Kehlkopf knorpel, ob dieselben schon verknöchert
FRACTDREN DES KEHLKOPFES. 127
sind oder nicht. Man erklärte früher die Ossification der Kehlkopfknorpel
meist für eine Rigiditas senectutis perpetua comes, man hielt sie für eine
Krankheit, die dem vorgerückten Lebensalter angehöre. So gibt Sappey als
Beginn der Verknöcherung beim Mann das 40— .50. Lebensjahr an, beim Weibe
noch bedeutend später, das 70 — 80. Jahr. Nach Moüitz Schmidt fangen die
Kehlkopfknorpel erst nach dem 40. Jahre zu ossificiren an. Ich fand nun
(Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen 1807, Ijd. II), dass die Ver-
knöcherung bedeutend früher beginnt, schon in vielen Fällen um das achtzehnte
Lebensjahr herum, und dass dieselbe ein ganz normaler Process sei, ein
physiologischer Vorgang, welcher ungefähr um die Zeit, wo die übrigen Skelet-
theile ihr Wachsthum abschliessen, seinen Anfang nimmt. Demnach wird
man nicht nur bei alten Leuten, sondern auch bei jüngeren Personen Kehl-
kopfbrüche beobachten können.
Die Richtung der Brüche hängt von der Art der Gewalteinwirkung ab.
Beim Erwürgen, wo der Druck von beiden Seiten her auf den Kehlkopf aus-
geübt und die normale Krümmung des Schildknorpels noch vermehrt wird.
so dass die Seitenwände des Kehlkopfes sich einander nähern, entstehen an
dem Schildknorpel meist Längsbrüche, die gewöhnlich in der Mittellinie des-
selben verlaufen, häufig mit Abbruch der oberen Hörner. Am Ringknorpel
verläuft die Bruchlinie meist vertical, vorn in der Mitte. Bei unseren Leichen-
versuchen (Deutsche med. Wochenschrift 1893) konnten wir bei dieser Art
der Gewalteinwirkung am Ringknorpel ausser einer Fissur vorn in der Mitte
in einigen Fällen auch eine Fractur an der hinteren Platte fast in der
Medianlinie constatiren.
Entsteht die Fractur durch einen Stoss oder Schlag auf den Kehlkopf,
so wird der Schildknorpelwinkel abgeflacht, und der vordere Ringtheil des
Ringknorpels nach innen eingeknickt. Hierdurch wird der Verlauf des Bruches
am Schildknorpel ein mehr unregelmässiger, die Fragmente springen nach
innen vor und sind über einander mehr oder weniger verschoben. Wird der
Ringknorpel mitbetroffen, so zeigt sich an diesem ein Verticalbruch im vor-
deren Ringtheile zu beiden Seiten von der Mittellinie, so dass das Mittelstück
herausgebrochen und nach innen eingesunken ist.
Hiernach gestalten sich die Brüche der Kehlkopfknorpel bei den ver-
schiedenen Arten der Gewalteinwirkung ganz verschieden, so dass man in
einzelnen Fällen schon aus dem anatomischen Befunde einen Schluss auf die
betreffende Ge-walteinwirkung zu ziehen im Stande sein wird. Stimmband-
verletzungen, welche Schaff bei 22 Versuchen in 3 Fällen fand, habe ich
bei meinen zahlreichen Versuchen nie beobachten können, ebensowenig eine
Fractur oder Luxation des Aryknorpels.
Am häufigsten kommen Kehlkopfbrüche bei Erhängten zur Beobachtung,
ja fast in der Hälfte der Fälle. Bei diesen findet man meist nur einen x4b-
bruch der oberen Hörner des Schildknorpels. Schussverletzungen führen nur
äusserst selten zu Fracturen des Kehlkopfes. So hat Witte unter 10.000 Ver-
wundeten nur 4 Fälle finden können.
Wenn auch zuweilen die Kehlkopfbrüche nur geringe Erscheinungen
machen, so sind die Symptome meist sehr bedrohliche. Athemstörung ist
in vielen Fällen vorhanden und oft so stark, dass vollkommene Asphyxie ein-
treten kann. Die Athmung ist meist beschleunigt, stertorös. Es besteht
heftiger Hustenreiz mit blutigem Auswurf, die Stimme ist rauh, heiser oder
auch ganz aphonisch. Der Kranke klagt über starke Schluckbeschwerden
und Schmerzen an der Bruchstelle, die bei Berührung zunehmen. Objectiv
lassen sich Ecchymosen und Schwellungen in der Halsgegend feststellen. Mit-
unter ist auch die Haut raitverletzt. In vielen Fällen gelingt es, eine deut-
liche Dislocation an der Bruchstelle zu fühlen mit Crepitiren der Fragmente,
wie wir es in einem Falle bei einem 28jährigen Schmied, bei dem der Bruch
128 FRACTÜREN DES KEHLKOPFES.
durch einen Hufschlag vom Pferde entstand, beobachten konnten. In diesem
Falle wurde die Athemnoth so bedeutend, dass, wenn man nicht sofort die
Tracheotomie ausgeführt hätte, der letale Ausgang unausbleiblich gewesen
wäre. Ist es durch den einwirkenden Gewaltact zu einer Verletzung der Schleim-
haut gekommen, so kann sich ein Emphysem des Halses bilden, das manch-
mal auf Gesicht und Brust, ja schliesslich über den ganzen Körper sich aus-
dehnen kann.
Die laryngöskopische Untersuchung, die wohl in den meisten
Fällen gleich nach dem Unfall nicht ausgeführt werden kann, wird je nach
dem Verlauf des Bruches die verschiedensten Bilder ergeben. Meist wird
man nur Blutergüsse unter der Schleimhaut sehen und Hämatome, die recht
ausgedehnt sein können. In unserer Beobachtung, wo es sich um einen Bruch
des Schild- und Ringknorpels handelte, sah man einige Wochen nach dem
Unfall an Stelle der Taschenbänder zwei mit stark gerötheter Schleimhaut
überzogene Wülste sich gegenüberstehen, welche derartig den Respirations-
Tveg verlegten, dass zwischen denselben und der hinteren Larynxwand nur
eine ganz feine Oeffnung für die Luftpassage übrig blieb.
Wiewohl in den meisten bis dahin beobachteten Fällen die Erscheinungen
so bedrohliche waren, dass, falls nicht sofort der Luftröhrenschnitt ausgeführt
wurde, der tödliche Ausgang eintrat, so darf man doch nicht unerwähnt
lassen, dass in einzelnen publicirten Fällen die Athembeschwerden so geringe
waren, dass auch ohne Tracheotomie vollkommene Heilung erfolgte. So be-
richtet P. Heymann von einem Patienten, welcher durch einen Stoss gegen
einen Bettpfosten sich eine Fractur des Bingknorpels zugezogen und davon
so geringe Beschwerde hatte, dass der Kranke in 12 Tagen wiederhergestellt
war. Ich selbst berichtete auf dem Aerztecongress zu Lübeck von einer jungen
Dame, die auf die scharfe Kante des Tisches mit dem Halse aufgefallen war
und sich dabei eine Fractur des Schildknorpels zuzog. Die Störungen waren
abgesehen von der Heiserkeit nur ganz unbedeutende. Es trat vollkommene
Heilung mit einer geringen Difformität der Schildknorpel ein. Derartig leicht
verlaufene Fälle, in denen nicht das gewöhnliche klinische Bild mit starker
Dyspnoe bestand, wo vielmehr die Patienten erst geraume Zeit nach dem Un-
fall sich dem Arzte vorstellten, ja wo die Verletzten schon am nächsten Tage
ihrem Berufe nachgehen konnten (Morgenthau), sind in den letzten Jahren
mehrfach beobachtet worden. Es ist daher wohl möglich, dass die scheinbare
Seltenheit der Kehlkopfbrüche nur daran liegt, dass die Fracturen nicht immer
die bekannten gefährlichen Symptome erzeugen, die als für sie charakteristisch
gelten und theils gar nicht in die Behandlung des Arztes kommen, theils
auch gar nicht diagnosticirt werden. Hiemit würden auch die Angaben von
Arbuthnot Lane übereinstimmen, der bei einer Untersuchung von 100 Leichen
im Präparirsaal von Guv's-Hospital fand, dass der Procentsatz von Brüchen
des Kehlkopfes bei der Gesellschaftsciasse, aus der sich das anatomische Ma-
terial dieses Krankenhauses zusammensetzt, mindestens 7^0 beträgt. Die von
Lane angeführten Verletzungen finden sich bei einer Classe von Menschen,
die wohl zum grössten Theil dem Arbeiterstand angehört haben werden, bei
Leuten also, bei welchen nicht gar zu selten im Scherz wie im Ernst ein
heftiges Zugreifen an den Hals stattfinden wird. Ob die Angaben von Lane
über den so grossen Procentsatz der Kehlkopfbrüche auch für andere Gegen-
den wie für Plafenstädte zutreffen, müssen weitere Beobachtungen lehren.
Bei Stellung der Diagnose, die in den meisten Fällen keine grossen
Schwierigkeiten bereiten wird, sehe man sich vor, das Crepitationsgeluhl an
der Bruchstelle nicht zu verwechseln mit dem crepitirenden Geräusch, das
auch bei einem ganz normalen Kehlkopf nachweisbar ist, wenn man ihn seit-
lich hin und herbewegt, oder wenn man ihn gegen die Wirbelsäule drückt.
FßACTÜREN DES KEHLKOPFES. 129
Vor kurzem habe ich zum Nachweis der durch einen Bruch entstandenen
Ditlbrmität die Röntgenstrahlen mit gutem Erfolge angewandt.
Wenn es auch eine Reihe von gut beobachteten Fällen gibt, in welchen
der Verlauf ein leichter war, die Verletzung ganz symptomlos oder mit nur
geringen Erscheinungen einhergieng, so muss doch im allgemeinen die Pro-
gnose immer recht vorsichtig gestellt und die Verletzung für eine schwere
und lebensgefährliche angesehen werden. Nach Albert endeten etwa 80% töd-
lich. Namentlich boten die Fälle, in denen Schild- und Ringknorpel zusammen
gebrochen waren, die schlimmsten Erscheinungen und verliefen mit nur
wenigen Ausnahmen (wie Sokolowskt, Sciilössing, Tiii<:ulich, Juuasz, Jokl,
ScHEiEß) immer tödlich. Abgesehen von den Fällen, in denen die Erstickung
unmittelbar nach dem Unfälle erfolgt, kann selbst dann, wenn die Athmung
anfangs vollkommen ungestört ist, doch im w^eiteren Verlaufe der Tod ganz
plötzlich eintreten, sei es durch ödematöse Schwellung der Kehlkopfschleim-
haut, durch subperichondrale und submucöse Blutergiessungen, oder sei es durch
eine Obstruction der Luftw^ege durch nachträgliche Verschiebung der Fragmente,
durch Glottiskrampf u. s. w. Man darf sich nicht darauf verlassen, sagt Hütek,
dass die Respirationsstörungen langsam genug ansteigen, um noch während
ihres Zunehmens Hilfe zu ermöglichen; vielmehr zeigt die Erfahrung, dass vom
ersten Eintritt der erschwerten Athmung bis zum Erstickungstode zuweilen
nur wenige Minuten vergehen und die herbeigerufene ärztliche Hilfe zu spät
kommt. Deshalb ist es wohl gerechtfertigt, in jedem Falle von Kehlkopfbruch,
in welchem auch nur massige Erscheinungen von Asphyxie vorhanden sind,
sofort den prophylaktischen Luftröhrenschnitt auszuführen. Nur für
den Fall, dass man sicher constatiren kann, dass nur eine einfache Fissur ohne
Dislocation vorhanden ist, wäre es wohl möglich, vorausgesetzt, dass der Kranke
unter beständiger, ärztlicher Beobachtung bleiben kann, die Operation bis zum
ersten Erstickungsanfall aufzuschieben. Man verbiete dem Patienten das
Sprechen, wende Eisumschläge an, gebe innerlich Eis und zur Milderung des
Hustenreizes Morphium, Muss die Tracheotomie gemacht werden, und ist
man sicher, dass nur der Schildknorpel gebrochen ist, so mache man die
Eröffnung im Lig. conoid.; in den Fällen aber, wo der Ringknorpel auch
betroffen ist, führt man den Schnitt in den oberen Tracheairingen aus. Bei
fehlender Dislocation kann die Canüle schon nach kurzer Zeit entfernt werden
und vollständige Heilung eintreten. Sind aber die Fragmente verschoben,
so versuche man von der Tracheotomiewunde aus dieselben mittelst einer
Knopfsonde oder einer gebogenen Kornzange zu reponiren und alsdann die
Bruchtheile durch von unten eingeführte Jodoformgaze in der richtigen Lage
zu erhalten, wie es in einem unserer Fälle gemacht wurde. Panas schlägt vor,
die Knorpel in der richtigen Lage dadurch zu erhalten, dass man einen
Gummitampon von unten aus in den Kehlkopf einführt und denselben bis
zur geeigneten Weite aufbläst. Nach König gibt es überhaupt kein Mittel,
welches mit nur einiger Sicherheit das Geradhalten der reponirten Theile
besorgen könnte. Es sind deshalb auch die Brüche des Kehlkopfes in den
meisten Fällen mit einem mehr oder weniger vollkommenen Verschluss des
Kehlkopfes geheilt, so dass die Patienten gezwungen waren, zeitlebens die
Canüle tragen zu müssen. Auch nachträglich unternommene Versuche, die
Stenose durch allmähliche Ausdehnung zu beseitigen und die Trachealcanüle
entbehrlich zu machen, sind von schlechtem Erfolge gewesen. Wir glauben
jedoch, dass, w'enn man frühzeitig mit dem Dilatationsverfahren beginnt, man
doch noch zu recht günstigen Resultaten kommen wird. Die 0"DwYEE'sche
Intubation hatte in unserem Falle, wo eine fast vollkommene Stenose des Kehl-
kopfes eingetreten war, zu einem sehr günstigen Erfolge geführt. Die In-
tubation sofort nach der Verletzung anzuwenden, könnte man in den Fällen
für indicirt halten, in welchen die Dislocation der Fragmente nicht so gross
Ohren-, Nasen-, Bachen-, Kehlkopfkrankheiten. "
130 FREMDKÖRPER IM GEHÖRGANGE.
ist, dass sie der Einführung der Tube hinderlich ist; andernfalls würde man
die Verschiebung noch vermehren und die gelösten Bruchstücke in die Luft-
röhre stossen. Da in den meisten Fällen von starker Dislocation der Frag-
mente hochgradige Stricturen des Kehlkopflumens eingetreten sind, so dürfte
es nach Schüller in Erwägung zu ziehen sein, ob es nicht richtiger sei,
in derartigen Fällen statt der Tracheotomie die Thyreotomie auszuführen.
Gewöhnlich wird man wohl zur Reposition der Fragmente mit der partiellen
auskommen und sich nur in den Fällen zur totalen Laryngofissur entschliessen,
wenn nach der partiellen die Reposition nicht gelingt.
Wenn nun die Fractur schon mit einer starken Verengerung des Kehl-
kopfes verheilt ist und das Dilatationsverfahren zu keinem Resultate führt,
so bleibt nichts anderes übrig als die Laryngofissur zu machen, die Knochen-
vorsprünge und Narbenstränge mit dem Messer oder mittelst des Thermo-
resp. Galvanokauters zu excidiren und ein ScHRöTTER'sches Zinnbougie öder
eine Dupuis'sche Trachealcanüle zur Anwendung zu bringen, später aber, wenn
die Thyreoidknorpel wieder zusammengeheilt sind, die Behandlung mit der
Intubation fortzusetzen, da ja zu leicht von neuem wieder Verwachsungen
eintreten können. max scheier,
Fremdkörper im Gehörgange, Der äussere Gehörgang beginnt mit
der immer freistehenden Oeffnung in der Tiefe der Ohrmuschel und endet
am Trommelfell, welches denselben gegen die Trommelhöhle zu abschliesst.
Diese Röhre, welche beim Erwachsenen zwischen 24 und 35 mm lang ist,
erreicht ihre vollkommene Ausbildung erst im zehnten Lebensjahre, sowohl
was das Lumen, als auch die Richtung derselben anbelangt.
Bei Neugeborenen und Kindern bis zum dritten Lebensjahre haben wir
es mit einer häutig-knorpeligen Röhre zu thun, welche, mit der Medianlinie
des Körpers durch eine imaginäre Linie verbunden, einen spitzen Winkel
bildet; beim Erwachsenen erzeugt diese Linie beinahe einen rechten AVinkel,
der Gehörgang hat knöcherne Wände und ist nur in der äusseren unteren
Hälfte knorpelig.
Die Richtung des Lumens im äusseren Gehörgange ist eine knieförmige,
und zwar zieht die Linie von der Oeffnung bis zur Mitte nach oben und
rückwärts und von hier gegen das Trommelfell zu nach vorne und unten.
Das Trommelfell, respective der Annulus tympanicus, bildet mit der
unteren und vorderen Gehörgangswand einen spitzen, mit der oberen und
hinteren Gehörgangswand einen stumpfen Winkel, welche Construction bei
kleinen, kugeligen Fremdkörpern insofern von Bedeutung ist, als dieselben in
diesen spitzen Winkel leicht herabrollen.
Der Durchmesser des Gehörganglumens ist in seinen einzelnen Abschnitten
sehr verschieden, am weitesten ist der Porus acusticus externus, am engsten
ist das Lumen in der Mitte des Gehörganges, und am Ende beim Trommel-
felle nähert sich der Durchmesser wieder der Grösse des äusseren Gehör-
ganges. Die Form des Gehörganglumens variirt ebenso oft; im grossen und
ganzen ist die Form oval, nur dass der lange Durchmesser dieses Ovales an
der Ohröffnung von oben nach unten, der kurze Durchmesser von vorne nach
rückwärts sich zieht; in der Mitte des Gehörganges, am sogenannten Knie
desselben, zieht der kurze Durchmesser von oben nach unten und der lange
Durchmesser von vorne nach rückwärts, am Trommelfelle oder am Ende des
Gehörganges haben wir wieder dieselbe Richtung der Durchmesser, wie an der
äusseren Oeffnung.
Diese anatomischen Verhältnisse verdienen eben dann besondere Beach-
tung, wenn von fremden Körpern die Rede ist, welche in den äusseren Gehör-
gang gelangen, indem gemäss diesen anatomischen Verhältnissen die äussere
Hälfte des Gehörganges bis zum Knie hin diejenige Oertlichkeit bildet, wo
FREMDKÖRPER IM GEHÖRGANGE. 131
dieselben hingelangen, während über das Knie hinaus gegen das Trommelfell
hin nur kleine Fremdkörper in der Regel vorfallen und wohin grössere Fremd-
körper nur durch unzweckmässige Extractionsversuche gewöhnlich gestossen
werden.
Die Auskleidung des äusseren Gehörganges ist eine Uebergangsmembran,
welche nur theilweise die Eigenschaften der Cutis beibehält und theilweise
auch eine andere Qualität aufweist; so finden wir an der Ohröffnung Haar-
follikel, Talg- und 8chweissdrüsen, diese letzteren verändern bald ihr Secret
und secerniren 3 — 4 mm von der Ohröffnung weit Ohrenschmalz, sie
schwinden jedoch gegen das Trommelfell zu immer mehr, so dass sie in dessen
Nähe kaum zu finden sind; die Haarfollikel und Talgdrüsen erstrecken sich
nur bis zur Mitte des Gehörganges.
In diese immer offenstehende Röhre, welche wir äusseren Gehörgang
nennen, können auf verschiedene Weise Fremdkörper gelangen, und zwar:
1. Es bilden sich im Gehörgange Ansammlungen von normalen oder
krankhaften Absonderungen, "') oder der Gehörgang bietet bei krankhaften
Secreten eine geeignete Brutstätte zur Entstehung von Fliegenlarven.
Die Ohrenschmalzdrüsen sondern bei manchen Individuen analog der ge-
steigerten Secretion der Schweissdrüsen an gewissen Theilen des Körpers eine
grössere Menge Ohrenschmalz ab, welches an der Luft vertrocknet, nach und
nach sich im Gehörgange zu einem förmlichen Pfropfe zusammenballt, in wel-
chem wir Epidermiszellen und Härchen finden. Auf diese Weise entstandene
Ohrenschmalzpfröpfe bilden sich nach ihrer Entfernung im Verlaufe einer ge-
wissen Zeit wieder, und wir finden solche Ansammlungen von Ohrenschmalz
bei zarten Kindern und Individuen jeden Alters. In anderen Fällen werden
Ohrenschmalzpfröpfe künstlich erzeugt, und zwar dadurch, dass man beim
Reinigen der Ohren mit dem Zipfel eines Handtuches das Ohrenschmalz in
die Tiefe des Gehörganges schiebt und diese Procedur täglich wiederholt.
Manchmal kann Staub den Kern zur Ablagerung von Ohrenschmalz abgeben
und so die Veranlassung zur Bildung eines obturirenden Pfropfes sein.
In seltenen Fällen finden wir im äusseren Gehörgange eine krankhafte
Epidermisbildung (Keratosis), in deren Folge das Lumen desselben mit Epider-
mismassen förmlich ausgefüllt wird.
Bei Eiterungen, mögen selbe aus der Trommelhöhle oder dem äusseren
Gehörgange stammen, ist infolge von Nachlässigkeit der äussere Gehörgang
mit Eiter angefüllt, die Hausfliegen legen gerne in dieses übelriechende Nest
ihre Eier, und sehr häufig finden sich bei vernachlässigten Kindern ganze
Colonien von Fliegenlarven im äusseren Gehörgang, wie ein Fascikel zusammen-
geballt; in seltenen Fällen habe ich eine grosse, beinahe das Lumen des
Gehörganges ausfüllende Fliegenlarve gefunden. Diese stammt von der soge-
nannten Pferdefliege ab.
2. Es gelangen herumfliegende Insecten während des Fahrens oder
Gehens in den äusseren Gehörgang, oder es kriechen die verschiedensten Insecten
während des Schlafens ins Ohr. Am gewöhnlichsten sind es abends herum-
fliegende Motten, die in den äusseren Gehörgaug eindringen, sehr oft geschieht
dies auf der Eisenbahn, wenn der Reisende während des Fahrens den Kopf
zum Fenster hinaussteckt. Häufig kommt es vor, dass Flöhe in den Gehör-
gang eindringen, auch habe ich sehr häufig aus dem Gehörgange schwarze
Käfer, sogenannte Russen, entfernt.
3. Man führt fremde Körper in den äusseren Gehörgang, um mit den-
selben gewisse Heilzwecke zu erreichen, so stecken Damen, die an Migräne
leiden, sehr häufig erbsengrosse Stücke Schwefel ins Ohr, oder man steckt
*) Vgl. auch Artikel „Centmen"-.
9*
132 FREMDKÖRPER IM GEHÖRGANGE.
Knoblauch wegen Zahnschmerz in den äusseren Gehörgang, es \Yerden wohl auch
häufig Kampferstückchen gegen Ohrschmerzen eingeführt.
4. Sehr häufig werden Fremdkörper im Spiele von Kindern entweder in
den eigenen oder in den Gehörgang anderer Kinder gesteckt; es sind dies
vor allem Kirschenkerne, Johannisbrodkerne, Bohnen, Linsen, Hanfkörner,
Glasperlen, runde kleine Kieselsteine, Papierklumpen, Bleistiftköpfchen u. s. w.
5. Es gelangen Fremdkörper gewaltsam oder zufälliger Weise in den
äusseren Gehörgang.- Ich habe einigemal Stecknadeln aus dem Ohre entfernt,
die dorthin übermüthigerweise gesteckt wurden, auch wurde geschmolzenes
Blei in das Ohr einer Frau gegossen. Häufig gelangen Stroh- oder Heu-
grannen ins äussere Ohr und zu\Yeilen die Beinköpfchen von Bleistiften.
Die Erscheinungen, welche Fremdkörper im äusseren Gehörgange ver-
ursachen, sind je nach der Beschaffenheit derselben verschieden; obturirende
Ohrenschmalzpfröpfe verursachen Schwerhörigkeit und durch Druck auf das
Trommelfell und hiedurch auch aufs Labyrinth Schwindelerscheinungen; ich
habe einmal infolge eines Ohrenschmalzpfropfes Parese des Nervus facialis
beobachtet, die sogleich schwand, als derselbe entfernt wurde. Lebende Wesen,
welche in den äusseren Gehörgang gelangen, verursachen durch ihre Bewe-
gung heftige Schmerzen und beunruhigende Gehörseindrücke; werden Fremd-
körper gewaltsam in den äusseren Gehörgang gebracht, so verursachen selbe
durch Verletzung der Gehörgangswände oder des Trommelfelles heftige Ent-
zündungserscheinungen.
Glatte, runde Fremdkörper, wie die verschiedenen Kerne und Körner,
sowie Steinchen und Perlen, gelangen in der Regel in die äussere Hälfte des
Gehörganges und verursachen nicht die mindesten Erscheinungen, und nur
kleine feste Körperchen, wie Schrottkörner, welche infolge ihrer Sch^vere in
die Tiefe des Gehörorganes und somit auf das Trommelfell fallen, können
Schmerzen, Ohrensausen hervorrufen.
Ich habe Fremdkörper aus dem äusseren Gehörgange entfernt, die dort
ohne jegliche Erscheinung jahrelang gelegen sind und deren Entfernung auch
nur incidentaliter erfolgte, indem andere Erscheinungen die Untersuchung
des Gehörorganes erheischten.
Wir sehen wohl gewöhnlich, dass in Fällen, wo Fremdkörper in den
äusseren Gehörgang gelangen, sowohl die Umgebung als auch Aerzte in die
grösste Unruhe und Besorgnis versetzt werden und auf jegliche Weise bemüht
sind, die Entfernung der Fremdkörper zu bewerkstelligen. Diese Unruhe und
Besorgnis stammt daher, weil zahlreiche Fälle bekannt sind, wo ein glattes
Johannisbrodkernchen, eine kleine runde, glatte Perle, welche während des
Spielens in den äusseren Gehörgang eines Kindes gelangte, der Anfang einer
schweren Erkrankung und des letalen Endes wurde; das war jedoch keines-
falls die Folge oder die Wirkung des fremden Körpers, sondern immer nur
die Consequenz der zwecklosen Extractionsversuche, welche Aerzte oder Laien
anstellten.
Bevor die Entfernung fremder Körper aus dem äusseren Gehörgange
bewerkstelligt werden soll, muss man genau und sachgemäss mit Keflector
und Trichter den Gehörgang untersuchen; sehr oft geschieht es, dass ein
Fremdkörper, durch die verschiedensten Bewegungen, welche die Angehö-
rigen mit dem Ohre vornehmen, aus dem äusseren Gehörgang herausfallen,
und im guten Glauben, derselbe sei noch im Ohre, dem Arzte die An-
wesenheit desselben mit Bestimmtheit angeben wird.
Man muss sich überhaupt vor allem über die Lage des fremden Kör-
pers Orientiren; gewöhnlich wenn noch keine Extractionsversuche angestellt
wurden, sehen wir denselben in der äusseren Hälfte, ja beinahe in der Oeff-
nung des äusseren Gehörganges — und es ist so einladend denselben mit
einer Pincette fassen zu wollen.
FREMDKÖRPER IM KEHLKOPFE. 133
Die Entfernung fremder Körper aus dem äusseren Gehürgange darf
jedoch nie mit einer gewöhnlichen Pincette versucht werden, aber leider
geschieht dies sehr oft, der Arzt versucht den glatten, harten, runden Kör-
per mit der Pincette zu fassen, was nicht möglich ist, weil kein Kaum sich
darbietet, um den Fremdkörper in der Mitte zu fassen, die Pincette gleitet
von der Peripherie ab, und der Fremdkörper wird nach innen befördert, der
Arzt will sich nicht blamiren, er packt wieder den Fremdkörper, indem jedoch
derselbe nicht mehr in der Oeö'nung, sondern schon in der Ptöhre ist, wird
er wieder tiefer geschoben und dabei zugleich die Bekleidung des Gehör-
ganges verletzt, es erfolgt Blutung, das Kind wird unruhig, unbändig, der
Arzt lässt jedoch nicht nach, endlich hat er es bewerkstelligt, dass er den
Fremdkörper in die Tiefe des Gehörganges geschoben oder durch das zerrissene
Trommelfell in die Trommelhöhle gebracht hat, nun entsteht Entzündung in
der Trommelhöhle, Eiterung, und das Kind geht infolge von Meningitis zu-
grunde.
Die Entfernung von Fremdkörpern aus dem äusseren Gehörgange soll immer
durch Einspritzen vom lauem Wasser in den äusseren Gehör-
gang geschehe^n, und gelingt es nicht sogleich, selbst mehrere Tage wie-
derholt werden. Man nimmt eine Spritze, in welche 50 gr Wasser genommen
werden kann, und richtet den Wasserstrahl derart, dass er hinter den frem-
den Körper gelangt, das zurückfliessende Wasser schwemmt denselben heraus.
In den Fällen, wo schon der äussere Gehörgang verletzt wurde und der
Fremdkörper durch die geschwollene Auskleidung eingeklemmt ist, soll man
früher diese Entzündung mittelst Anwendung kalter Umschläge und Instilla-
tionen von l7o Plumb. acet.-Lösung zum Schwinden bringen und hierauf
mittelst Ausspritzen den fremden Körper entfernen. In den Fällen, wo der
fremde Körper eingekeilt ist, und wo infolge von Eiterretention schwere
Gehirnerscheinungen sich einstellen, muss die operative Entfernung desselben
erfolgen, es wird hinter der Ohrmuschel ein 5 cm verticaler Einschnitt
gemacht, die Haut vom Knochen abgehoben und die Ohrmuschel nach vorne
umgeschlagen, auf diesem Wege wird in den Gehörgang eingedrungen, um
hinter den Fremdkörper zu gelangen und mittelst eines starken ohrlöffel-
artigen Instrumentes hebeiförmig denselben nach aussen zu befördern.
Fliegenlarven, welche im äusseren Gehörgange sind, können durch Aus-
spritzen nicht entfernt werden, sie bohren sich in die Epidermis ein und ver-
lassen ihren Befestigungspunkt nur, wenn man Ol. terebinthinae einträufelt.
Körper, welche im Wasser aufquellen, Heugrannen, Motten, gehen auch
nicht durch Ausspritzen aus dem Gehörgange, diese werden bei gehöriger
Beleuchtung und Inspicirung mit der WiLDE'schen Pincette gefasst und aus
dem Gehörgange entfernt. böke.
Fremdkörper im Kehlkopfe. Die Fremdkörper sind entweder gas-
förmig oder flüssig oder fest.
Die gasförmigen (irrespirablen) erzeugen entweder Glottiskrampf oder
wirken sonst giftig; im ersteren Falle ist der Athmungsweg durch Einführung
einer Piöhre (Tubage oder Intubation) freizumachen, oder wenn das nicht gelingt,
Tracheotomie vorzunehmen. Sonst genügt künstliche Athmung, w^elche durch
ausgiebige Ventilation die Gase entfernt.
Dünnflüssige Körper, als Wasser, Blut, Fruchtwasser etc., lassen sich auch
entweder durch künstliche Athmung ohne oder nach vorgenommener Tracheo-
tomie oder durch Aussaugen entfernen.
Aetzende Flüssigkeiten gelangen entweder, wie z. B. heisses Wasser, durch
directes Aussaugen, oder wie Kali caustic, Schwefelsäure etc., beim Schling-
acte durch eine zufällige Inspiration in den Larynx. Sie erzeugen daselbst
Verätzung, sei es in Form von Schwellung, Blasenbildung oder von Nekroti-
134 FREMDKÖRPER IM KEHLKOPFE.
sirung theiis obei'flächliclier, theils tiefer Art. Im allgemeinen kommen beim
Schlingen die ätzenden Flüssigkeiten gewöhnlich nicht in den Kehlkopf, son-
dern schädigen nur den Kehldeckel und die hintere Umrandung der Ary-
knorpel; nur in seltenen Fällen kann von der dort bestehenden Entzündung
ein entzündliches Oedem sich auf den Kehlkopf fortpflanzen und daselbst
Stenose erzeugen. Im weiteren Verlaufe können dann die Geschwüre Nar-
ben im Larynx zurücklassen und so bleibende Stenosen bedingen. Die
Therapie besteht in der Anwendung von Gegenmitteln, die jedoch meist
wenig Erfolg haben, in antiphlogistischer Behandlung und Maassnahmen gegen
eventuelle Suffocationsgefahr.
Dickflüssiger Schleim und Schleimpfröpfe oder Krusten können bei pro-
fuser Secretion in den Bronchien, bei Laryngitis sicca und Tuberkulose der
Lungen, namentlich wenn der Kehlkopf verengert ist, sich daselbst festsetzen.
Ihre Entfernung ist meist durch energische Einathmung von Dämpfen
oder zerstäubten Flüssigkeiten, manchmal durch Anwendung eines Brech-
mittels, oft aber erst durch endolaryngeale Eingrifle möglich; natürlich ist
die Behandlung der Grundkrankheit sehr wichtig.
Blutgerinnsel, seltener von Kehlkopfblutungen, gewöhnlich aber von
Lungenblutungen herstammend, sind in ähnlicher Weise zu behandeln.
Weiche Körper können theils aus dem Organismus selbst stammen, als
Croupmembranen, oder zufällig von aussen, z. B. beim Essen (Fleischstück-
chen), in den Larynx eindringen. Ebenso ist dieses bei den festen Körpern der
Fall. Aus dem Organismus stammen nekrotische Knorpel des Larynx oder
der Bronchialäste, Neubildungen desselben oder von anderen Gegenden des
Körpers. Ich erinnere mich an einen Fall, wo von der Spitze der Uvula ein
langgestieltes, nussgrosses Papillom bis in den Larynx gelangte und denselben
stenosirte. Der betreffende Arzt tracheotomirte, doch starb der Patient an
Pneumonie. Erst bei der Section fand man die Ursache der Stenose. Eine
Untersuchung des Halses hätte die leichte Entfernung des Hindernisses
ermöglicht.
Die von aussen in den Larynx gelangenden, festen Körper sind von der
verschiedensten Art und kommen theils beim Essen und Trinken, theils beim
Spielen (namentlich bei Kindern), dann durch Verletzungen (Fiintenkugel),
theils zufällig beim Schlafe (künstliche Gebisse), theils bei Operationen (Pinsel,
Theile von Instrumenten etc.) in den Larynx. Die nächsten Folgen sind ver-
schieden. 1. Die Fremdkörper können bei bedeutender Grösse durch Ver-
schluss des Larynx sofort den Tod herbeiführen. 2. Auch können sie durch
den Reiz auf die sensiblen Nerven einen lange dauernden, tödlichen Glottis-
krampf erzeugen. 3. Sie erzeugen zwar Glottiskrampf, welcher aber schnell
vorübergeht, indem sie durch Hustenstösse sofort wieder herausgeworfen wer-
den. 4. Sie verweilen nur kurze Zeit im Larynx, um dann in die Trachea oder
Bronchien aspirirt zu werden. 5. Sie bleiben nach vorübergegangenem Glottis-
krampf im Larynx liegen und können daselbst ohne besonderen Reiz lange
Zeit geduldet werden, oder sie erzeugen heftige Entzündung, was namentlich
der Fall ist bei spitzen und eckigen Körpern, welche die Schleimhaut ver-
letzen. Diese Verletzungen werden dann entweder durch die dem Fremd-
körper anhaftenden Mikroorganismen oder durch später eindringende inficirt,
wobei es nicht selten zu phlegmonösen Processen mit allen ihren Folgen
kommt; endlich kann der Fremdkörper einfachen Decubitus erzeugen. 6. In
den seltensten Fällen wird der Fremdkörper eingekeilt, ohne einen Glottis-
krampf oder Husten hervorzurufen, und bleibt ohne Beschwerden im Larynx,
so dass der Kranke davon gar nichts weiss. Dieses verschiedene Verhalten
des Larynx ist natürlich in Zusammenhang mit der Form des Fremdkörpers;
runde, glatte Körper fallen eher in die Trachea, sehr umfängliche bleiben im
Larynx stecken, spitze und eckige veranlassen Wunden der Schleimhaut. Als
FREMDKÖRPER IN DER NASE. 135
spätere Folgen des Eindringens von Fremdkörpern in den Larynx sind ausser
den localen entzündlichen mit ihrem Ausgange in Oedcm, Stenosen, Phleg-
monen, Gangrän, auch noch entzündliche Processe in den Bronchien und
Lungen zu erwähnen, welche durch Aspiration des Eiters der Decubitus-
geschwüre oder der Phlegmonen bedingt sind. Auch können lang andauernde
Hustenanfälle die Lungen schwer schädigen.
Therapie. Natürlich soll der Fremdkörper entfernt werden, was
manchmal schon der Organismus selbst besorgt, namentlich bei runden,
glatten Körpern. Suspendiren des Körpers mit nach abwärts gewendetem
Kopfe soll auch schon geholfen haben; doch ist diese rohe Methode aus leicht
begreiflichen Gründen sehr unsicher und nicht ohne Gefahr.
Wenn der Fremdkörper grosse Suffocationsgefahr bedingt, die keinen
Aufschub duldet, wird man sich sofort zur Tracheotomie entschliessen müssen :
wenn aber irgendwie Zeit bleibt, ist es unbedingt rathsam, sofort eine laryn-
goskopische Untersuchung vorzunehmen. Man wird dann nach Cocainisirung
meist im Stande sein, den Fremdkörper endolaryngeal zu entfernen; in den
meisten nicht sofort tödlich verlaufenden Fällen hat man hinreichend Zeit
dazu. Man wird den Larynx energisch cocainisiren, natürlich ohne dabei den
Fremdkörper in die Trachea hinabzustossen, und dann denselben mit Pincette
oder Zange unter Leitung des Spiegels entfernen. Bei spitzen, eckigen
Körpern, die eingekeilt sind, gelingt das nur bei grosser Geschicklichkeit.
Nadeln muss man z. B. öfters mit der Spitze tiefer in das Gewebe stossen,
um das andere Ende frei zu bekommen und dann durch hebelnde Bewegungen
entfernen, wobei jede Kraftanwendung zu vermeiden ist, um nicht die Kehl-
kopfweichtheile zu zerreissen. Die Versuche zur endolaryngealen Extraction
kann man solange wiederholen (natürlich mit Einschiebung entsprechender
Pausen), als keine Suffocationsgefahr eintritt. Endlich wird aber in einzelnen
Fällen doch nichts anderes übrig bleiben, als Laryngofissur vorzunehmen,
namentlich wenn der Fremdkörper fest eingekeilt ist. Schliesslich möchte
ich erwähnen, dass im Larynx schon öfters Fremdkörper, in Granulations- oder
Narbenmassen eingebettet, zufällig bei Sectionen gefunden wurden.
CHIARI.
Fremdkörper in der Nase. Als solche sind Wer nur jene zu
betrachten, welche von aussen her durch die Nasenlöcher, die Choanen,
congenitale oder ulceröse Gaumendefecte und traumatische Canäle in die Nase
gelangen, nicht aber jene; welche in der Nase selbst entstehen (Sequester,
verirrte Zähne und in ihrer schliesslichen Form die Rhinolithen).
Vom praktischen Gesichtspunkte aus ist der Begriff „Fremdkörper"
mindestens auf alle festen Körper auszudehnen. Gräserpollen, Schnupftabak,
adenoide Wucherungen, welche nach ihrer Loslösung in die Nase gelangen,
bieten gewiss nicht die Charakteristica dar, die man gewöhnlich den Fremd-
körpern beilegt, und doch kann die Verhinderung ihres Eindringens, bezw. ihre
Entfernung aus der Nase von Wichtigkeit sein oder zu sein scheinen; weiters
beruht eine Reihe von localen und allgemeinen Gewerbskrankheiten
auf der Aspiration von mechanisch, chemisch oder toxisch wirkenden Substanzen
(Seifert) und verlangt hauptsächlich prophylactische Maassregeln; endlich
kann die Nase Verschütteter, Geknebelter und Ertrunkener mit Getreide-
körnern, Sägespänen, Erde, Schlamm u. a., ferner bei Lawinenstürzen
momentan mit Eiskrystallen angefüllt sein, wie man auch bei Sectionen
sofort nach der Geburt gestorbener Kinder nur zu häufig die absolute Ver-
legung des Nasenlumens durch mütterliche Blut- und Secretmassen constatirt.
Es soll gerade mit Rücksicht auf die letztgenannte Thatsache darauf hinge-
wiesen werden, wie wichtig für den Erfolg der Wiederbelebungsversuche es
sein kann, die Nase von den fremden Massen freizumachen, sowohl deshalb.
136 FREMDKÖRPER IN DER NASE.
weil der Luftweg durch die Nase den Vorzug hat, ohne unser Zuthun oii'en
zu bleiben — im Gegensatz zum Munde — als auch weil jene durch die
ersten Athemzüge in den Kehlkopf des noch betäubten Individuums aspirirt
werden können. Die Entfernung dieser Massen wird gewöhnlich mittelst
Auswischens versucht.
Das besondere Interesse gebührt indes jenen festen Fremdkörpern,
welche ohne rhinologische Kenntnisse der Regel nach nicht dia-
gnosticirt und unschädlich gemacht werden können. Sie sind zu
unterscheiden als: '
1. Fremdkörper im eigentlichen Sinne,
2. Parasiten der Nase von thierischer und pflanzlicher Art.
Ad 1. Alle die Fälle, in welchen Fremdkörper durch Traumen, den
Brechact bei Chloroformirung und sonstwie ungenügendem Gaumenschlusse
oder durch ärztliche wie nicht ärztliche Hilfeleistung in die Nase gelangen
(Kugeln, Messerspitzen, Holzsplitter; Pillen, Oxyuren; Watte- und Gazestreifen,
zu fest angezogene hintere Nasentampons, Lapisstücke, Quellstifte, Blutegel),
sind selten gegenüber jenen, wo aus Unvernunft von Kindern, zuweilen
auch von meistentheils geistesgestörten Erwachsenen solche in die Nase der
eigenen oder einer fremden Person eingeführt werden. Am häufigsten handelt
es sich dann um glatte runde Körper: Kirschkerne, Erbsen, Bohnen, Glas-
perlen, Knöpfe, besonders von Schuhen, kleine Münzen, Kieselsteine, aber
auch um Schwamm-, Holz-, Papierstücke u. a.
Gewöhnlich finden sich die Gegenstände an der unteren Muschel; sie
können aber auch noch im Vestibulum der Nase oder infolge der von Ex-
tractionsversuchen oder unter der unteren Muschel und des Bohrens in der
Nase bereits an der mittleren Muschel liegen. Rechtshändige Individuen werden
an ihrer eigenen Person die rechte, an einer fremden aber die linke Nasen-
höhle bevorzugen.
Die Symptome können sehr verschiedene Heftigkeit aufweisen. Harte
glatte aseptische Körper können längere Zeit ohne bemerkbare Störungen
bleiben; spitze und rauhe dagegen verursachen Verletzungen und Blutungen
am Naseneingange, und insbesondere die schmutzigen führen baldigst eine
Entzündung der Nasenschleimhaut mit Granulations- und Polypenbildung,
Anschwellung der benachbarten Gesichtshaut, stinkendem Eiterausfluss und
selbst Usur des Knochens herbei. Auch Affectionen der Thränenwege, Ero-
sionen der Oberlippe und, besonders beim Aufquellen und Auskeimen der
Hülsenfrüchte, Kopfschmerzen und Neuralgien in den verschiedenen Trige-
minusästen können sich einstellen. Die Durchgängigkeit der entsprechenden
Nasenseite hat selbstverständlich durch den Fremdkörper wie durch die
Schwellungen in der Nasenhöhle meist im höchsten Grade zu leiden.
Die Diagnose ist manchmal sehr leicht zu stellen, wenn man nämlich
schon durch das Emporheben der Nasenspitze den Gegenstand zu Gesicht
bekommt; in anderen Fällen dagegen ist sie infolge der Verschwellungen,
Exsudatborken, entzündlichen Neubildungen und bezüglich der Unterscheidung
von Sequestern auch infolge der Incrustation sehr erschwert. Die Ungeber-
digkeit der Patienten kann schon hiefür eine Narkose nöthig machen. Durch
vorsichtige Reinigung und Sondirung der Nase soll man sich zunächst
über die wirkliche Anwesenheit eines Fremdkörpers (die Anamnese ist nämlich
stets mit Vorsicht aufzunehmen, — sodann soweit möglich über die Beschaffen -
heit, Beweglichkeit und Lage Klarheit verschaffen. Am schwersten zu erkennen
sind die weichen und verfärbten Schwamm-, Watte- und Gazestücke sowie die
gequollenen Hülsenfrüchte, da sie weichen Tumoren in Festigkeit und Ansehen
täuschend ähneln und eventuell mikroskopisch untersucht werden müssen.
Unerfahrene darf man wohl vor Verwechselungen mit Sequestern, Rhinolithen,
kirschrothen Schleimhautschwellungen, Exostosen und zartbehäuteten Septum-
FllEMDKÖßPER IN DER NASE. 137
eccliondrosen mit Fremdkörpern, wegen der operativen Missgritfe, Avarnen.
Eine allgemeine Regel ist die, dass man bei Kindern unter
sieben Jahren die Anwesenheit eines lebhaften Eitert! usses
aus nur einem Nasenloche fast sicher auf einen Fremdkörper
beziehen darf. — Dass die Untersuchung in nicht ganz klarliegenden
Fällen unter Beleuchtung und überhaupt mit allen rhinologischen Hilfs-
mitteln auszuführen ist, versteht sich von selbst.
Die Entfernung der Fremdkörper erfordert Umsicht und Gewandtheit.
Man muss, wenn irgend möglich, ihre Verschiebung gegen die Choanen hin
vermeiden (natürlich ausser bei bereits bestehender Einklemmung in den
Choanen), und zwar aus dem Grunde, weil sie von dort aus ohne umständ-
lichere Schutzmaassregeln sehr leicht in den Kehlkopf gelangen. Empfehlens-
wert ist zunächst der Versuch, den manchmal auffällig lose steckenden Gegen-
stand durch den Luftdruck, also Sclmaubenlassen bei zugehaltenem anderen
Nasenloche oder Lufteinblasung ins gesunde Nasenloch, allenfalls unter
Erweiterung des Nasenloches der afficirten Seite herauszubefördern; sehr zu
empfehlen ist die Anwendung des PoLiTZER'schen Verfahrens vom gesunden
Nasenloche aus, wobei man den Gaumenabschluss eventuell durch eine Würge-
bewegung herstellen lassen kann. Ausspritzungen sind wegen der Gefahr
der Wassereintreibung ins Mittelohr zu widerrathen. Für instrumentelle
Eingriffe eignet sich die Zange insoferne wenig, als besonders runde und
glatte Körper choanenwärts ausgleiten; am besten geht man mit einer abge-
bogenen kräftigen Sonde, besonders mit einer löff'elförmig verbreiterten,
an die Hinterseite des Fremdkörpers und zieht ihn heraus. Unempfindlichkeit
des Patienten ist durch Cocain oder durch die Narkose herbeizuführen. Blei-
kugeln wird man öfters, wenn sie nicht durch ihre Eintrittsöffnung entfernt
werden können, zerstückeln müssen; Messerspitzen können äussere Operationen
nothwendig machen. Blutegel bringt man mittelst Salzbestreuung zum Abfallen
und extrahirt sie dann mit einer starken Zange.
Nach der vollkommenen Entfernung von Fremdkörpern oder deren
Stücken verliert sich die Eiterung meistens überraschend schnell. Nicht entfernte
Fremdkörper incrustiren sich zu Ehinolithen, wobei Eisen sich in Schwefel-
eisen verwandelt.
Ad 2. Von au s g e w a ch s e n G n T h i e r e n gelangen manchmal Skolopendren
und Ohrwürmer in die Nase von Schlafenden und bringen alsbald sehr heftige
nervöse Reizerscheinungen hervor. Die Ohrwürmer sind wohl den einfachen
Fremdkörpern beizuzählen; dagegen sollen die Skolopendren nach glaubwür-
digen Angaben jahrelang in der Nase leben und sich von deren Secreten
nähren können.
Selten in unseren Breiten, dagegen häufig in den Tropen legen gewisse
Museiden (bei uns die Sarcophila Wohlfarti und Piophila casei, aber nicht,
wie gewöhnlich angegeben, die Fleisch- und Schmeissfliege), dann Oestrus-
arten (Schaf-, Rinds-, Pferdebremse) und der Speckkäfer (Dermestes) ihre
Eier in die Nase von Leuten, die im Freien schlafen und stinkende Nasen-
eiterungen haben. Die Larven, besonders der Museiden, bringen heftige
Eiterungen mit Blutungen sowie schmerzhafte Gefühle und Neuralgien hervor,
die sogar ganz furchtbar werden können. Viele der Befallenen gehen durch
Selbstmord oder Pyämie zugrunde. Die Krankheit, Myiasis, in Indien
Peenash genannt, endet, was die Schmerzen durch die Abnagung der Schleim-
häute anbelangt, bei unseren heimischen Fliegen etwa nach 14 Tagen mit der
Verpuppung der Larven. — Die Diagnose lässt sich leicht stellen, wenn man
nach dem Abtupfen des Eiters die fortwährenden Bewegungen der Larven
bemerkt. — Man kann u. a. die Thiere herausspülen oder besser mit der
Zange entfernen, nachdem man sie durch Chloroformdämpfe betäubt hat.
VoLTOLiNi hat vorgeschlagen, sie mit massigen, länger dauernden, elektrischen
138 FREMDKÖRPER IM RACHEN.
Strömen zu tödten oder durch einen von vorne nach hinten gerichteten galva-
nischen Strom zum Nasenloche herauszutreiben.
Pflanzliche Parasiten ohne grössere Bedeutung sind der Soorpilz
und Aspergillus fumigatus, welche Rasen bilden. Man entfernt letztere mit der
Zange und bläst längere Zeit antiseptische Pulver in die Nase ein.
In den Nebenhöhlen der Nase fanden sich hauptsächlich Kugeln,
Messerklingen, ferner Schlosstheile von Gewehren nach Explosionen, Zähne
nach missglückten Extractionen, abgebrochene Canülen nach Ausspülungen
der Kieferhöhle, Tampons und Schwammstücke ebenfalls ärztlicher Provenienz,
erbrochene Massen, Schnupftabak, Fliegenlarven. Verfasser hat bei einer
Section in einem subperiostalen Abscesse der Keilbeinhöhle ein Stückchen
Borste gefunden. Die Fremdkörper können mitunter herausgespült werden
sowie auch spontan aus der Kieferhöhle in die Nase sich schieben, aller-
dings erst nach langer Zeit; operativ entfernt werden sie unter breiter Eröff-
nung der Höhlen. Die Larven sollen durch den vom harten Gaumen zum
vorderen Theile der Wange gesandten elektrischen Strom aus der Kieferhöhle
ausgetrieben werden können. bergeat.
Fremdkörper im Rachen. Fremdkörper mannigfaltigster Natur können
sich im Pharynx finden. Es sind nicht nur solche Gegenstände, welche zu-
sammen mit Speisen und Getränken eingeführt werden, wie Fleischstückchen,
Fischgräten, Obstkerne, sondern' auch die verschiedensten Körper, die theils
namentlich von Kindern zum Spielen in den Mund genommen werden (Glas-
perlen, Steinchen), theils behufs Schaustellung (Messer-, Degenschlucker) oder
auch in selbstmörderischer Absicht, besonders bei Geisteskranken, verschluckt
werden. So finden wir im Rachen nach Adelmann:
a) Körper mit rauhen, spitzen, schneidenden Oberflächen, wie Knochen-
stücke, Fischgräten, Nadeln, Dornen, Borsten von Zahnbürsten, Nägel, künst-
liche Gebisse, Obturatoren, Münzen, Messer, Gabeln;
h) Körper mit mehr glatter Oberfläche, wie Fleischbissen, Kuchen, Steine,
Ringe, Holzstücke ;
c) unbekannte Körper.
Kleinere spitze Körper bleiben meist in den Gaumentonsillen, im Zungen-
grunde oder an der Epiglottis stecken, seltener im Gaumensiegel selbst oder
an der hinteren Rachenwand. Am häufigsten kommen in ärztliche Behand-
lung Patienten mit der Angabe, eine Fischgräte verschluckt zu haben.
Fischgräten spiessen sich oft so tief in die Tonsille hinein, dass gar nichts
von denselben, oder auch nur die oberste Kuppe etwas sichtbar ist. Grös-
sere Gegenstände bleiben meist zwischen Epiglottis und Zungengrund, im
Sinus pyriformis, mitunter quer über dem Kehlkopfeingang oder auch
hinter dem Ringknorpel stecken. Nur selten findet man Fremdkörper im
Nasenrachenraum. So beobachtete B. Fränkel einen Fall, in welchem nach
der Operation von adenoiden Vegetationen der Ring eines LANGE'schen Ring-
messers im Nasenrachenraum stecken geblieben war und erst nach einigen
Wochen von dem Kinde ausgewürgt wurde. Uebanschitsch berichtet von
einem Fall, wo ein Haferrispenast vom Nasenrachenraum durch die Tuba Eu-
stachii ins Mittelohr und von da in den äusseren Gehörgang gelangte.
Die Symptome, welche die im Pharynx sitzenden Fremdkörper machen,
sind ganz verschieden und hängen von dem Sitz, der Beschaffenheit und
Grösse derselben ab. Kleinere spitze Körper bedingen meist nur Schluck-
beschwerden und ein Gefühl von Wundsein. Gerade bei diesen Gegenständen
kann man häufig die Beobachtung machen, dass, wenn man z. B. die Gräte
schon entfernt hat, die Patienten gewöhnlich am nächsten Tage sich wieder
einstellen mit der Behauptung, dass dieselbe noch im Halse stecke. Dieses
FREMDKÖRPER IM RACHEN. 391
Gefühl wird durch die infolge des Fremdkörpers entstandene kleine Ver-
letzung der Schleimhaut hervorgebracht und verschwindet gewöhnlich nach
einigen Tagen. In einem Falle hielt das Fremdkörpergefühl noch 2 Wochen
lang an, ohne dass wir eine andere Ursache dafür constatiren konnten.
Grössere Gegenstände können nicht nur ein Schluckhindernis hervor-
rufen, sondern auch Athembeschwerden und selbst die heftigsten Erstickungs-
erscheinungen herbeiführen durch Aufdrücken der Epiglottis auf den Kehl-
kopfeingang oder durch Compression des Kehlkopfes von hinten, wenn der
Fremdkörper hinter dem Ilingknorpel fest eingekeilt ist.
In vielen Fällen werden die Fremdkörper spontan durch Hustenstösse
oder Erbrechen beseitigt. Die Eigenhilfe des Patienten, bevor er sich zum Arzte
begibt, besteht ja darin, dass er sofort nach Eindringen eines Fremdkörpers
in den Rachen, sei es ein nicht hinreichend gekautes Stück Fleisch, ein kleines
Knöchelchen oder eine Gräte, von selbst versucht, den Fremdkörper herunter-
zuschlucken, oder durch den in den Schlund eingeführten Finger Würg-
bewegungen hervorzurufen, um auf diese Weise denselben herauszubefördern.
Wohl in den meisten Fällen sind diese Versuche mit Erfolg gekrönt. Blei-
ben die Fremdkörper aber liegen, so können sie die Pharynxschleimhaut
perforiren, Entzündungen, Abscesse und septische Phlegmonen hervorbringen.
Nicht selten sind sogar grössere Gefässe verletzt und tödliche Blutungen
beobachtet worden (Verletzung der Carotis communis, Rivington). Häufig
können jedoch Fremdkörper im Rachen verweilen, ohne irgend welche Stö-
rungen zu machen.
Die Diagnose eines vorhandenen Fremdkörpers wird in den meisten
Fällen eine leichte sein. Die Erkennung des Sitzes desselben kann aber oft
Schwierigkeiten bereiten. Schon die Angaben des Kranken, den Fremdkörper
an einer bestimmten Stelle zu fühlen, können zu falschen Schlüssen führen,
da die meisten Menschen gar nicht im Stande sind, im Rachen richtig zu
localisiren. Bekannt ist, dass häufig der Patient angibt, den Fremdkörper im
Kehlkopf zu spüren, wo die Untersuchung ergibt, dass derselbe im oberen
Theile des Rachens sitzt. Treten starke Würgbewegungen bei der Unter-
suchung auf, so cocainisire man die Rachenschleimhaut. Führt die directe
Inspection des Rachens, sowie die postrhinoskopische und laryngoskopische
Untersuchung, verbunden mit der Anwendung der Sonde nicht zum Ziel, so
bediene man sich der Palpation. Mittelst der Digitaluntersuchung wird man
gerade Fischgräten, die tief in der Substanz der Mandel versteckt liegen und
dem Auge gar nicht mehr sichtbar sind, leicht entdecken. Dünne Fischgräten
sind zuweilen deshalb schwer zu erkennen, weil sie in dem schleimigen Be-
eret ganz durchsichtig erscheinen. Es kommt daher auch vor, dass man
Schleimfäden, die den Fischgräten sehr ähnlich sind, anfangs für den ver-
meintlichen Fremdkörper hält. Da oft auch Gräten tief in der Zungentonsille
stecken bleiben, so übe man in ^llen Fällen, in denen Verdacht vorhanden,
dass eine Gräte im Halse stecke, einen Druck auf die Submaxillargegend
aus, während der Kranke phonirt, um eventuell so den Fremdkörper heraus-
zudrücken. Die infolge des Fremdkörpers vermehrte Schleimsecretion hüllt
namentlich die im Sinus pyriformis sitzenden Gegenstände so sehr ein, dass
dieselben erst mittelst der Sonde, resp. des Fingers diagnosticirt werden
können. Wenn trotz der genauesten Untersuchung das Vorhandensein eines
Fremdkörpers nicht mehr nachzuweisen ist, so muss man die Angaben des
Kranken, falls nicht in einer chronischen, besonders granulären Pharyngitis
der Grund für das Fremdkörpergefühl sich finden lässt, meist auf Hysterie
zurückführen. Oft findet man aber oberflächliche Verletzungen der Schleim-
haut, die, wiewohl der Fremdkörper schon längst spontan ausgestossen ist,
das Gefühl eines solchen hervorbringen und zuweilen sehr lebhafte Klagen
140 FREMDKÖRPER IM RACHEN.
auslösen können. Zu beachten ist die Möglichkeit der Anwesenheit mehrerer
Fremdkörper.
Auf ein neues diagnostisches Untersuchungsmittel für die Fremdkörper
im Rachen habe ich auf dem Aerztecongress zu Frankfurt a. M. aufmerksam
gemacht {Archlü für Laryngologie, 0 Bd. Heß I). Es ist dies die Anwendung
der Röntgenstrahlen. Natürlich wird man nur solche Fremdkörper auf dem
Baryumplatincyanürschirm, resp. auf der photographischen Platte erkennen,
die ' einen gewissen Schatten geben und sich dadurch von der Umgebung
difterenciren. Der Fremdkörper kann nur dann gesehen werden, wenn er
eine grössere Dichte als die umgebenden Gewebe hat, und zwar muss nicht
nur die Dichte eine verschiedene sein, sondern auch die Dicke der beiden im
Bilde zu differencirenden Körper, nämlich die des Körpertheils und des in ihm
befindlichen Fremdkörpers muss in einem gewissen begrenzten günstigen Ver-
hältnisse zu einander stehen. Es werden daher Fremdkörper von Eisen, "Blei,
Messing, Knochenstücke, Nadeln, Steine u. s. w. sehr gut sich erkennen lassen.
Dagegen wird man Holzsplitter, Obstkerne etc., also kurz Fremdkörper, welche
genau so durchsichtig für die Strahlen wie die umgebenden Theile sind und
demnach denselben Schatten wie letztere geben, auf diese Weise nicht sicht-
bar machen können. Gerade bei kleinen Kindern, bei denen die Untersuchung
mit dem Spiegel und der Sonde oft infolge der Widerspenstigkeit derselben
auf die grössten Schwierigkeiten stösst, wird man die Röntgenstrahlen mit
bestem Vortheil für die Feststellung der An- resp. Abwesenheit von Fremd-
körpern anwenden. Durchleuchtet man nämlich den Kopf ganz seitlich mit
den X-Strahlen, so sieht man auf dem Schirmbilde den Nasenrachenraum und
Rachen als hellen Schatten hervortreten, der hinten von der dunkelschwarz
erscheinenden Halswirbelsäule abgegrenzt wird. Man sieht deutlich das
Gaumensegel, den Kehldeckel und Kehlkopfeingang, so dass die Fremdkörper
in den meisten Fällen sich sehr gut auf dem Schirm abheben. Eine photo-
graphische Aufnahme wird wohl in den wenigsten Fällen nöthig sein. Be-
findet sich ein Fremdkörper in der Gaumentonsille, so muss man, wenn man
ihn z. B. in der linken Mandel vermuthet, den Kopf des Kranken ganz auf
die rechte Schulter neigen, damit durch das Herauftreten des Angulus man-
dibulae die Tonsille freier zu liegen kommt.
Der praktische Wert der X-Strahlendurchleuchtung" tritt besonders dann
hervor, wenn es sich um den Nachweis vielleicht zurückgelassener Stücke
handelt oder wenn nach Entfernung eines Fremdkörpers noch die Beschwerden
fortbestehen. So ist mir gerade ein Fall in Erinnerung, wo der Patient
kurze Zeit, nachdem ich ihm einen Knochensplitter aus dem Zungengrunde
entfernt hatte, wiederkam, mit der Behauptung, es müsse ihm der Hammel-
knochen noch im Halse stecken oder er müsse noch einen verschluckt haben.
Die genaueste laryngoskopische Untersuchung konnte nichts ergeben. Trotz-
dem blieb er bei seiner Ansicht und war erst dann beruhigt und von der Grund-
losigkeit seiner angeblichen Beschwerden überzeugt, als auch die Durchleuch-
tung mit den X-Strahlen einen Fremdkörper nicht constatiren konnte.
Therapie. Hat man den Sitz des Fremdkörpers diagnosticirt,
so ist dessen Entfernung, wenn auch die Erfahrung beweist, dass oft nach
längerer oder kürzerer Zeit ohne Schaden für den Träger der Fremdkörper
von selbst auf dem einen oder anderen Wege beseitigt wird, so bald wie
möglich auf die schonendste Weise zu erstreben. Die Entfernung desselben
ist meist eine einfache. Wir bedienen uns gewöhnlich für den oralen Theil
des Rachens langer Kornzangen oder feiner Pincetten, für den anderen Theil
einfacher Kehlkopfzangen. Nach der Extraction verordne man reizlose kühle
Speisen für die nächsten Tage. Niemals soll man versuchen, den Fremd-
körper, wenn er spitzig oder uneben ist, etwa nach unten zu drücken.
Grössere Schwierigkeit macht die Entfernung von rundlichen Gegenständen
GARGARISMEN. 141
aus dem Sinus pyriformis. Diese werden, sobald man sie mit der Sonde
oder dem Finger lockert und aus ihrer Lage bringt, meist gleich heraus-
gewürgt. Grosse Vorsicht rauss man bei der Anwendung von Bougies,
Schlundsonden oder Münzenfilngern üben, da dieselben bei allzu energischem
Vorgehen die spitzen Fremdkörper noch tiefer in die Schleimhaut hinein-
treiben und Verletzungen der Gefässe herbeiführen können. In einem Falle,
in dem ein zur Blutstillung eingeführter Tampon aus dem Nasenrachen-
raum auf den Kehlkopfeingang gefallen war, konnte nur der schleunigst
eingeführte Finger den Kranken vor dem drohenden Erstickungstode retten.
Führen die Extractionsversuche mit den verschiedensten Instrumenten und dem
Finger nicht zum Ziele und treten Erstickungsgefahren ein, so halte man sich
nicht länger mit weiteren Versuchen auf, sondern führe ungesäumt die
Tracheotomie aus und versuche später die Extraction noch einmal. Liegen
aber keine bedrohlichen Erscheinungen vor, und ist der Patient von den
vielen Manipulationen schon zu sehr ermattet, so versuche man von neuem
sein Heil am nächsten Tage. Fallen auch dann und später unsere Bemühungen
negativ aus, und ist der Fremdkörper nicht ein solcher, dass man die Spontan-
ausstossung ruhig abwarten kann, so muss die Entfernung desselben mittelst
der Pharyngotomie ausgeführt werden.
Ebenso wie wir die Röntgenstrahlen zur Diagnosenstellung verwenden,
so haben wir auch oft Gelegenheit genommen, die Fremdkörper aus dem
Rachen bei directer Durchleuchtung mit den X-Strahlen zu entfernen. Zu
diesem Zweck muss der Operationsraum vollkommen dunkel gemacht werden,
der Durchleuchtungsschirm wird von der einen Hand oder der des Assistenten
dicht an die Hals- und Kopfseite herangehalten, der Sitz des Fremdkörpers
bestimmt, während man mit der freien Hand mittelst einer Zange den Fremd-
körper zu fassen sucht. max scheier.
Gargcirism6n {Ourgelivässer), von 6 Yttp-j-ocpiGao^ das Gurgeln und yapYapiCoj
gurgeln (Nachbildung des Geräusches beim Gurgeln), sind flüssige Ärznei-
formen, welche den Zweck haben, die rückwärtigen Partien der Mundhöhle
und den Rachen zu bespülen, zum Unterschied von den Collutorien, den
Mundwässern, welche zum Ausspülen der innerhalb des Zahnbereiches
gelegenen Mundpartien dienen.
Der Gebrauch des Mundwassers erheischt ein einfaches Hin- und Her-
bewegen der Flüssigkeit, welches theils activ durch die Zunge, theils passiv
durch das Rechts- und Linksneigen des Kopfes geschieht. Der Gebrauch des
Gurgelwassers dagegen besteht in einem Auf- und Abwärtstreiben der Flüssig-
keit durch das Rückwärtsbeugen, resp. nach vorne Neigen des Kopfes, wobei
das Gaumensegel den treibenden Motor darstellt. Bei Lähmungen des Velum
palati ist eine Gurgelung unmöglich. Das Gurgeln wird in zweierlei Form
ausgeführt, entweder unter gleichzeitiger Angabe eines tiefen Tones, wodurch
eine Senkung des Kehlkopfes eintritt und die tiefer gelegenen Partien des
Rachens der Bespülung zugänglich sind, oder durch Ansagen eines hohen,
nasalirten Tones, wodurch die höher gelegene Pharynxregion bespült wird.
Eine dritte Art der Gurgelung ist die bei hervorhängender Zunge, wobei die
Arzneiflüssigkeit bei weit geöffnetem Mund über die Zunge hinabfliesst. Hie-
durch wird hauptsächlich der Zungengrund, und die angrenzenden äusseren
Kehlkopfpartien betroffen.
Mund- und Gurgelwässer werden prophylactisch zur Verhütung von
Zahn-, Mund- und Rachenkrankheiten angewendet. Solchem Zwecke dienende
Arzneiflüssigkeiten enthalten Antiseptica und dienen somit wesentlich zur
Verhütung von Zersetzungsvorgängen in den mannigfachen Höhlen und Bahnen
der Mund- und Rachenorgane.
142
GEHÖRORGAN.
Therapeutisch verwendet man diese Spülwässer 1. zur antibacteri eilen
Wirkung {Acid. horic, Acid. salicyl., Kali hy per mang anic. Thymol, Sublimat etc.) ^
2. zur reizmildernden Wirkung {Decoct. Älthaeae, Dccoct. Hordei, Mucilago c/ummi
arabic. etc.), 3. zur adstringirenden Wirkung {Älumen, lannin etc.), 4. zur
schmerzstillenden Wirkung {Infus, fol. Jit/osciam., Beet. Älthaeae mit Opium,
Coca/inlösimg etc.), 5. zur tonisirenden Wirkung {Decoct, CJdnae, Aqu. CocJdea-
riae etc.), 6. zur schleimlösenden Wirkung {Amon. cldorat. Borac. piiJv. etc.).
Kinder soll man von frühester Jugend an gewöhnen, Gurgelwasser zu
gebrauchen, was sov/ohl prophylactisch, als auch bei eventueller Erkrankung
des Rachens (Diphtherie, Angina) von schätzenswertem Vortheile ist.
Ein besonderes Wort sei dem Kali chloricum gewidmet. Dieses
Mittel, einst die Beherrscherin aller Gurgelwässer, ist heute von der über-
wiegenden Mehrzahl der Kinderärzte verworfen, da sein antiseptischer Wert
ein sehr geringer ist. Es ist ausserdem ein giftiger Arzneistoff, der bei
Einnahme grösserer Mengen (Verschlucken der Gurgelwässer) toxisch wirkt.
Behauptet hat das Chlorkali seine Stellung nur als Mundwasser bei Hg-curen.
An Stelle des Chlorkali wird gegenwärtig zu gleichem Zwecke Borsäure, Borax
und hypermangansaures Kali allgemein angewendet.
Folgende Recepte seien zur Verordnung von Collutorien und Gargarismen
als Beispiele gebräuchlicher Verordnungen genannt:
Ep. Borac. pulv. 200
DS. In ein Liter Wasser gelöst zum
Gurgeln. (Liebreich).
Ep. Acid. boric. 6-0
Spir. vini Gallic. 15-0
Aqu. destill. 250-0
DS. Zum Gurgeln.
Ep. Resorcin pur. 2'0
Aqu. destill, ad 400'0
D. in vitro nigro
S. Gurgehoasser. (Ströll.)
Ep. Salol 3-0
Spir. vin. dilut. 50-0
US. Ein Kaffeelöffel auf ein Glas Wasser.
Rp. Acid. tannic. l'O
Pulv. laudan 0-02
M. f. pulv.
S. Ein Pulver gelöst in ein Glas Wasser
zum Gurgeln mehrmals täglich.
Ep. Acid. salicyl. 10
Aqu. dest. ad 300-0
MDS. Gurgehoasser bei Stomacace.
Ep. Chinolin 1-0
Aqu. destill. oOO'O
Sp>ir. vini 50-0
Ol. Menth, pip. gutt. II.
S. Zum Gurgeln bei Diphtherie.
Rp. Creolin 2-5
Aqu. 1000-0
S. Gurgelwasser.
Ep. Jodi tribromati 10
Aqu. 300-0
S. Zum Gurgeln und Zerstäuben.
Ep. Hi/drargyr. cyanat. 0 05
Aqu. Menthae 5000
DS. Gurgelwasser (nur für Erwachsene).
Blaschko.
Rp. A^non. chlorat. 50
Aqu. destill. 250' 0
Oxymelis 45-0
MDS. Gurgelwasser (bei mit starker
Secretion einherg eilender Pharyngitis).
Ep. Amman, sulfo-ichthyolici 2 0 — 50
Aqu. destill. 150 0
MDS Zum Gurgeln (insbesondere bei
Angina erysipelatosa).
(L, Herz, Jessner).
Ptp. Alumen lOO
Aqu. destill, ad 200-0
MDS. Aeusserlich. H. Guttmann.
Ep. Kali chlorici 5 0
Aqu. destill. 200-0
MDS. Gurgehoasser.
Bezüglich der speciellen Indicationen für den Gebrauch der Gurgelwässer
vergleiche die Artikel ,^Angina^\ „Pharyngitis" und „Stomatitis", jul. weiss.
Gehörorgan {Anatomie). Das Gehörorgan ist sowohl zur Aufnahme der
von aussen auf dasselbe einwirkenden Tonwellen, als auch sämmtlicher
Erschütterungen und Stösse, die mit der Function der Bewegungswerkzeuge
im Zusammenhang stehen, bestimmt. Da jedoch diese Erschütterungen und
Stösse nicht so sehr von der Kraftleistung, als von der Geschwindigkeit der
Bewegung abhängen, so ist es hauptsächlich der Grad der Geschwindigkeit,
den wir mit Hilfe des Gehörorganes bestimmen. Hierbei wirken nicht nur die
Erschütterungen und Stösse, sondern auch die Bewegung der den Körper
GEHÖRORGAN.
143
Fig. 1. Horizontalsohnitt des Schläfenbeins.
umgebenden Luft. Von einem Centrum, das im Gehörorgan gelagert sein
sollte, kann begreiflicher Weise keine Rede sein, wohl aber ist dieses Organ
ein Apparat, durch den gewisse Erregungen dem Gehirn, als Bewusstseinsorgan
zugeführt werden und von diesem als Gehörempfindungen percipirt werden.
Wenn der Forscher irgend ein Organ mit einer bestimmten Function in
Zusammenhang bringt, so muss er sich doch eine mehr oder weniger klare
Vorstellung von dem, wie die Form des Organes mit dem Mechanismus der
Function zusammenhängt, zu verschaffen suchen; welche Vorstellung oder
welchen Begriff verbinden wir nun aber damit, dass sich in einem gewissen
Theile des Gehörorganes ein „Gleichgewichtscentrum" oder überhaupt irgend
ein Centrum befindet? Solche Termina beweisen nur, zu was für leeren
Wortspielen jede einseitige Untersuchung führen muss, dass das E.xperiment,
allein genommen, noch keine Begriffe gibt, sondern falschen Erklärungen ein
weites Feld öffnet, und dass das physiologische Experiment die anatomische
Form und die mit ihr verbundenen, experimental erprobten mechanischen
Verhältnisse nicht ohne Berücksichtigung lassen darf, Physiologie ohne Anatomie
ist ebensowenig, wie Anatomie
ohne Theorie eine Wissenschaft
und kann ebensowenig zur Er-
gründung der Lebenserschei-
nungen dienen. — Ehe ich mich
zu den einzelnen Theilen des
Gehörorganes wende, will ich
einiges über die osteologische
Grundlage desselben sagen.
(Fig. 1.)
Wenn man die Pyramide
des Schläfenbeins in der Mitte
der oberen Kante quer durch-
schneidet, so triff't man auf die
Höhle des Vorhofs (Vestibulum).
Nach aussen und hinten von
dieser Höhle befinden sich die
drei Bogengänge {Cmiales semi-
drculares), die in drei zu ein-
ander senkrechten Ebenen lie-
gen; weiter nach aussen trifft
man die Zellen des Antri s.
Sinus mastoidei. Von aussen
und vorn liegt die Paukenhöhle
{Ccwum ttjmpani) und noch wei-
ter nach aussen der äussere
Gehörgang. Nach innen und
vorn ist die Schnecke {Cochlea),
deren stumpfe Spitze sich nach
vorn, aussen und unten richtet,
gelagert; sie wird von einem
Canal, der, nach Art eines
Schneckengehäuses, 2-5 Windungen
Canal theilt eine Platte in einen
J-
4
cy/
I Aussen, II Innen, /// Yorn, IV Hinten. --1 Vorhof, i>\ Hin-
terer Bogengang, B^ Voi-dever Bogengang, 73 , Aeusserer Bogen-
gang, C Schnecke, D Innerer Gehörgang, E Aeusserer Gehör-
gang, F Paukenhöhle, G Tuba auditiva, H Sinus mastoideus,
J Canalis carotious, K Fenestra Cochleae, L Fenestra vestibuli,
M Membrana tympani.
um eine Achse macht, gebildet; diesen
hinteren (oberen), zur Basis und einen
vorderen (unteren), zur Spitze gewandten Abschnitt. Nach innen und hinten
vom Vorhof verläuft der innere Gehörgang {Meatus auditorius internus),
welcher blind endet und aussen an den Vorhof, vorn aber an die Basis der
Schneckenachse stösst. Die innere Hälfte der Pyramide wird vom Canale der
inneren Kopfpülsader {Can. carotious) eingenommen. Am hinteren, oberen und
144
GEHÖRORGAN.
Fig. 2. Diagramm der Leitung
der Gehörwelle durcli den
Geliörapparat.
dann äusseren Theile der Paukenhöhle verläuft der Canal des Gesichtsnerven
{Can. n. facialis)^ er nimmt im Grunde des inneren Gehörgauges seinen
Anfang, richtet sich nach vorn und nach aussen, zur vorderen Innenfläche
der Pyramide, ^Y0 der Canal eine Seitenöffnung (Apertura spuria can. fac.)
hat, weiter wendet sich der Canal unter einem rechten Winkel nach aussen
und hinten, um daun vertical nach unten zu gehen und in der Griffelwarzen-
öfthung {Foramen st i/lo-mastoideum) seinen Ausgang zu linden. Die Pauken-
höhle verengert sich nach vorn, unten und innen und setzt sich in einen
quer getheilten Canal {Can. musciilo- tubarius) fort, im oberen Theil dieses
Canals ist der Spanner des Paukenfells {Can. tensoris ti/mpani) gelagert,
der untere Theil gehört der Ohrtrompete {Tnba fijmjmnica s. Eiistachii) an.
An der inneren Wand der Paukenhöhle, dem Paukenfell gegenüber, befindet
sich ein Vorsprung {Promontorium), der der Schneckenbasis entspricht. Hinter
und etwas über ihm befindet sich in derselben Fläche eine ovale Oeffnung
{Finestra), die zum Vorhof führt und deren grösster Durchmesser von vorn
nach hinten geht. Im hinteren Theile des Vorsprungs erblickt man in einer
zur vorderen Oeffnung verticalen Fläche eine runde Oeffnung (For. rotundum),
die ins Innere der Schnecke führt. (Fig. 2.)
Auf Grund dieser topographischen Verhält-
nisse des Gehörorgangerüstes kann eine in das-
selbe eindringende Schallwelle folgenden Verlauf
nehmen. Durch die Luftsäule des äusseren Ohres
dringt die Welle bis zum Trommelfelle, wird von
den Ohrknöchelchen durch das ovale Fenster bis
in den Vorhof geleitet, an dessen Wand sie sich
bricht, um dann hauptsächlich durch den horizon-
talen Canal in den Vorhof zurückzukehren. Durch
den vorderen (unteren), zur Spitze gerichteten Ab-
schnitt des Schneckencanals dringt die Welle dann
bis zur Spitze und von hier durch den hinteren
(oberen) Abschnitt bis zum runden Fenster, wo sie
das hier ausgespannte secundäre Trommelfell er-
schüttert und durch die Luft der Paukenhöhle bis
an die Wand des Sinus mastoideus vordringt. Von
dieser Wand reflectirt, richtet sie sich zur Tuba
tympanica, um durch die Nasenhöhle nach aussen
zu gelangen.
Die von den Bewegungen des Locomotionsapparates herrührenden Stösse
und Erschütterungen erreichen, durch die feste Stütze geleitet, einen der in
drei Ebenen gelagerten Bogengänge, um auf die hier beginnenden Nerven-
apparate einzuwirken. Dass diese Erschütterungen und Stösse unbedingt
einen der Bogengänge treffen müssen, ist leicht zu begreifen, wenn man
bedenkt, dass die Bewegungen meist um eine der in drei sich kreuzenden
Flächen gelegenen Achsen ausgeführt werden. Die hierdurch hervorgerufene
Nervenerregung gibt sich, bis in die Corticalschicht des Gehirns geleitet, als
Empfindung kund, welche im Bewusstsein des Menschen als Kriterium für die
Bestimmung der Schnelligkeit der Bewegung, sowie der Richtung derselben
dient. Die Versuche von Flourens bestätigen diese Function der Bogen-
gänge.
Im Gehörapparat muss ein äusserer, mittlerer und ein innerer Theil
unterschieden werden. Der äussere oder Eintrittstheil dient zum Eintritt der
von aussen herkommenden Erschütterungen, er besteht aus der Ohrmuschel
und dem Zuleitungsrohre, welches von innen durch das Paukenfell abge-
schlossen wird. Der mittlere oder Leitungstheil ist eine Ausstülpung des
Nasenabschnittes der seitlichen Rachenhöhlen wand, die sich nach oben, aussen
Wie iu Fig. 1.
GEHÖRORGAN. 145
und hinten richtet; ihr Anfangstheil ist die Tuba tympanica, in der Mitte
bildet sie die prismatische Paukenhöhle und endet in den Cellulae und dem
Sinus mastoideus blind; sie ist den Nebenhöhlen der Nasenhöhle analog.
Durch die Paukenhöhle, vom Trommelfell bis zum ovalen Fenster, werden die
Erregungswellen durch einen aus drei Knochen, dem Hammer {Mallem), dem
Amboss {Incus) und dem Steigbügel (Stades) bestehenden gebrochenen Hebel
geleitet. Der innere oder acustische Theil enthält den acustischen Apparat:
den Vorhof, die drei Bogengänge, die Schnecke und den Anfang der Nerven,
ausserdem noch die zwei Abzugscanäle {Aquaeductus vestihuU et Cochleae);
seine Gefässe erhält dieser Theil ganz unabhängig von den anderen.
I. Das äussere Ohr oder der Eintrittstheil des Gehörorgans.
Der Eingangstheil des Gehörorgans hat die Form eines unregelmässigen
Trichters und besteht aus einem breiten Abschnitt, der Ohrmuschel (Concüa
auris) und dem äusseren Gehörgang (Meatus auditorius externus).
Die Ohrmuschel ist länglich oval, in der Mitte des vorderen Piandes
eingebogen. Der obere und der hintere Rand sind, wie die Krempe eines
Hutes, umgeschlagen, dieses ist die Ohr leiste {Helix), das untere Ende
hängt als rundliches, selten dreieckiges, weiches Läppchen vom knorpeligen
Theile des Muschel herab. Die äussere, mehr oder weniger nach vorn gerich-
tete Fläche der Muschel ist mit Erhöhungen und Vertiefungen versehen,
denen an der inneren Fläche ähnliche Unebenheiten, ein Negativ der ersteren,
entsprechen. Die Leiste beginnt in der Tiefe der Muschel mit einer Wurzel,
die nach vorn und oben, durch zwei Ränder begrenzt, die Tiefe der Muschel
in eine obere und untere Grube theilt. Die Furche {Scapha) unter der Leiste
reicht nach unten bis zum Läppchen. Wo die Wurzel in die Leiste über-
geht, ragt ein zugespitzter Fortsatz {Spina helicis), der als Muskelansatz
dient, hervor. Unter der Leiste ist, concentrisch mit ihr, die Gegenleiste
{Änthelix) gelagert, welche aus zwei über der Wurzel der Leiste unter einem
Winkel von circa 40" nach unten und hinten zusammenlaufenden Schenkeln
entsteht und unten bis an die hinter der äusseren Oeffnung gelagerte Platte,
die hintere Ohrklappe {Äntitragus), reicht. Das vordere Blatt oder die
vordere Ohr klappe {Tragus) ist unregelmässig viereckig und oben durch
eine Querfurche von der Leistenwurzel getrennt. Die Vorderfläche dieses
Blattes ist nach aussen, vorn und unten gerichtet. Sein oberer, hinterer
und unterer Rand sind frei, dem Vorderrand entsprechend verschmilzt es mit
dem knorpeligen Gehörgang; gegen den Gehörgang gedrückt, deckt es dessen
Oeffnung zu.
Ueber der Wurzel der Leiste befindet sich die musch eiförmige
Grube {Concha auris), sie wird durch die Wurzel der Leiste in eine obere
kleinere Grube {Cymha conchae) und eine untere grössere — die Muschel-
grube {Caritas conchae) getheilt; eine dreieckige Grube [Fossa triangu-
laris) wird von den Schenkeln der Gegenleiste eingeschlossen; dieselbe setzt
sich nach vorn in die kahnförmige Grube {Fossa scaphoidea s. Scapha),
welche zwischen der Leiste und der Gegenleiste verläuft und hinten bis zum
Ohrläppchen reicht, fort. Auf der Rückseite der Ohrmuschel findet man,
diesen Vertiefungen entsprechend, Erhöhungen, die als Eminentiae scaphae,
fossae triangularis, cymbae et conchae bezeichnet werden.
Die Ohrmuschel zeichnet sich durch ihre grosse Elasticität und verhält-
nismässig geringe Festigkeit aus; sie besteht aus Netzknorpel, dessen Peri-
chondrium mehr oder weniger eng mit der Haut verbunden ist; am engsten
ist diese Verbindung, wobei auch die Haut am feinsten ist, an der Wand der
Concha auris und der Gegenleiste, d. h. dort, w^o die Schallwellen aufgefangen
und in den Ohrgang gerichtet werden; eine bewegliche und dicke Haut würde
einen Theil der Welle absorbiren. Unter den Ohrklappen bildet die Haut
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten, Iv
146 GEHÖRORGAN.
eine Falte, das Ohrläppchen {Lobulus auriculae). Die Haut enthält Talg-
drüsen, welche in den Gruben der Aussenfläche, besonders in der Cavitas
conchae stark entwickelt sind. An und zwischen den Klappen ist die Haar-
bildung stärker, die Haare werden hier als Ohr- oder Bockshaare {Tragi s. liirci
harhila) bezeichnet und können eine Länge von 2-5 cm und mehr erreichen.
Die Ohrmuschel bildet mit der Seitenwand des Kopfes einen nach hinten
offenen Winkel von 30 bis 40°, dieser Winkel ist selten kleiner als 150, und
grösser als 45^; je mehr er sich dieser letzteren Grösse nähert, desto schärfer
wird das Gehör. Die Länge der Muschel beträgt 5 bis 6 cm, die Breite 2'5
bis 3 c»?, die Tiefe 1"5 bis 2*0 cm. Die Vertiefungen und Erhöhungen der
Aussenfläche können durch Muskelwirkung noch verstärkt und dadurch die
Schallwellen in grösserer Anzahl nach dem Gehörgang gerichtet und also das
Gehör geschärft werden. Hierzu dienen folgende Muskeln: der Musculus trans-
versus auriculae zwischen Eminentia scaphae und Eminentia conchae,
2. der M. obliquus conchae zwischen Eminentia conchae und Emi-
nentia fossae triangularis, 3. der M. tragicus auf der Aussenfläche der
vorderen Ohrklappe, dem vorderen, freien Rande derselben parallel, 4. der
M. antitragicus auf der hinteren Ohrklappe, er besteht gleichfalls aus dem
freien Rande derselben parallel gelagerten Fasern. Diese zwei Muskeln ver-
grössern durch ihre Contraction die Consistenz der Klappen und den Bogen
ihrer Biegung, deren Convexität sie nach innen richten und dadurch den Zutritt
zum Eingang verlängern. 5. Der M. hell eis major geht von der Galea
aponeurotica zur Spitze des nach vorn, aussen und unten gerichteten Fort-
satzes der Leistenwurzel {Spina helicis), zieht die Spitze dieses Fortsatzes
nach oben und aussen und öffnet dadurch den vorderen, unteren Theil der
Scapha; 6. der M. helicis minor geht von der Leistenwurzel zur Spina
helicis, an deren Basis er endigt, er vergrössert die Festigkeit des Knorpels
und macht seine Biegung steiler. Ausserdem kann die Ohrmuschel durch die
von dl ei Seiten an sie herantretenden Muskelbündel nach oben, vorn und
hinten bewegt werden, die vorderen und hinteren Bündel verlaufen etwas
schräg nach oben und sind daher, zusammengenommen, Antagonisten des von
oben kommenden Hebers. Alle diese Muskeln sind beim Menschen verhältnis-
mässig schwach entwickelt.
Der äussere Gehörgang wird in einen äusseren, kleineren, knorpe-
ligen und einen inneren, grösseren, knöchernen Abschnitt getheilt. Im knö-
chernen Abschnitt richtet sich der Gang nach vorn, innen und etwas nach
unten; in horizontaler Richtung geht der Gang im knorpeligen Theile nach
vorn, beim Uebergang vom knorpeligen Abschnitt zum knöchernen rückwärts,
im knöchernen wieder vorwärts. In frontaler Richtung steigt der knorpelige
Abschnitt an, und erst im knöchernen Abschnitt wendet sich der Gang nach
unten; die Krümmung ist etwas spiralförmig gewunden, so dass seine Vorder-
fläche sich nach oben, seine Hinterfläche aber nach unten wendet. Die Krüm-
mungen gleichen sich beim Heben und Rückwärtsziehen der Ohrmuschel
etwas aus. Die Länge des Ganges beträgt in seiner Achse von der Aussen-
öffnung bis zum Trommelfell 2"2 bis 3*0 cm (von 2'0 bis 3*5 und sogar 4 cm);
an der vorderen Wand misst er 2"7— 2'8cw, an der unteren 2'6 cm, an der
oberen 2*2 cm und an der hinteren 2"1 cm, der grösste Durchmesser beträgt
am Eingange 8—9 mm, in der Mitte des kaöchernen Theiles 5 — 7 mm.
Der knorpelige Theil verhält sich im Mittel zum knöchernen, wie 1:2.
Der erstere besteht aus einem dreieckigen Knorpel von gleicher Structur, wie
der Muschelknorpel, dessen Basis den beiden Ohrklappen entspricht und dessen
Spitze nach unten, hinten und innen, zum Einschnitt zwischen Warzenfortsatz
und Griffelfortsatz des Schläfenbeins gerichtet ist. Dieser Knorpel wird durch
zwei Spalten in drei Theile getheilt; die äussere Spalte {Fissura meatus car-
tilaginei major s. externa) befindet sich zwischen dem Knorpel der vorderen
GEHÖRORGAN 147
Ohrklappe und dem des Gehörganges, die innere Spalte (Fissura meatus car-
tilag'mei minor s. interna) verläuft in der unteren Platte des Gehörganges und
reicht bis zur hinteren. Das Perichondrium der äusseren und inneren Knorpel-
fläche fliesst an seinem inneren Rande in eins zusammen, um dann in das
Periost des knöchernen Gehörganges und der die äussere Oeffoung umge-
benden Theile des Schläfenbeins überzugehen. Oben und hinten ist die Lücke
zwischen dem Knochen- und Knorpelrande am grössten und daher am reich-
lichsten mit fibrös-elastischem Gewebe ausgefüllt; dieselbe ist gewöhnlich an
der Aussenfläche von Muskelfasern (31. fissurae meatus cartilac/inei), die die
Widerstandsfähigkeit des Knorpels erhöhen, überbrückt.
Die Haut der Ohrmuschel geht auf den äusseren Gehörgang über, ist
hier beweglich mit dem Perichondrium verbunden und enthält Knäueldrüsen
(Glandulae cermninosae), die am Ende des knorpeligen und am Anfang des
knöchernen Ganges, wo ihrer 10 — 15 auf 1 mtn^ kommen, besonders zahl-
reich sind und die das Ohrenschmalz absondern. Dem knöchernen Abschnitt
sich nähernd, wird die Haut dünner, verbindet sich fester mit
dem Periost, gefässreicher, empfindlicher, die Haare werden kleiner und ver-
lieren sich schliesslich ganz. Schliesslich nimmt die Haut eine grauröthliche
Färbung und Silberglanz an und geht endlich in die epidermoidale Schicht
der Aussenfläche des Trommelfells über.
Das Trommelfell (Membrana ttjmpani) schliesst den äusseren Gang
von innen ab. Es ist, wie ein Bild in dem Rahmen, in die Furche am
inneren Rande des Paukenknochens oder des Paukentheils des Schläfen-
knochens eingefügt. Nur im oberen Theil fehlt die Furche, sie geht hier,
elliptisch verlängert, bis zum Schuppentheil des Schläfenbeins (Margo tym-
panicus); dieser obere Theil der Membran ist weniger straff angezogen (Membrana
flaccida), als die übrige Membran.
Das Trommelfell richtet sich schräg von oben, vorne und aussen nach
unten, hinten und innen, so dass seine Aussenfläche nach unten und vorn,
seine Innenfläche aber nach hinten und oben sieht. Seine Aussenfläche bildet
mit der vorderen und unteren Wand des Ganges spitze, mit der oberen und
hinteren Wand aber stumpfe Winkel. Mit der Achse des Gehörganges bildet
die Haut einen Winkel von 55"; die Flächen des Trommelfells, verlängert
nach vorn und unten, treffen hier zusammen unter einem Winkel von 130
bis 138". Die Aussenfläche hat in der Mitte eine nabelartige Vertiefung
(Umbo membr. tymp.)\ an der oberen Peripherie der eigentlichen Haut ragt
eine stumpfe Erhöhung, die von dem äusseren, kurzen Hammerfortsatz her-
rührt; nach aussen von dieser Erhöhung geht ein den hier befindlichen
Hammergriff bezeichnender Streifen zur Mitte der Vertiefung. Von den
Rändern des Trommelfells ist der untere etwas spitzer, als der obere. Unter
normalen Verhältnissen kommen hier keine Oeffnungen (Foramen Bicini) vor.
Ein vor oder hinter der Erhöhung des kurzen Haramerfortsatzes, mehr oder
weniger schräg gelagerter Canal kommt ebenso häufig, wie ein ähnlicher am
Septum atriorum, vor und ist in beiden Fällen als Resultat einer Bildungs-
hemmung anzusehen.
Der verticale Durchmesser des Trommelfells misst 10 — 11 wm, sein
Querdurchmesser 9 — 10 mm. Bei der Untersuchung am Lebenden wird mit
Hilfe des Spiegels hauptsächlich sein vorderer, unterer Theil sichtbar, wo man
den sogenannten Lichtkegel, dessen Spitze dem Nabel und dessen Peripherie
dem vorderen unteren Theil der Membran entspricht, gew^ahr wird. Die Farbe
der Membran ist am Lebenden perlgrau oder blassröthlich.
Der Textur nach unterscheidet man am Trommelfell eine äussere Schicht,
welche eine Fortsetzung der den Gehörgang auskleidenden Haut ist, eine
mittlere, die eigentliche fibröse Schicht und eine diese letztere von innen
bedeckende zarte Schleimhaut.
10*
148 GEHÖRORGAN.
In der mittleren Schicht kann man eine äussere Lage radiärer Fasern
und eine innere Lage circulärer P'asern unterscheiden. Die radiären Fasern
beginnen an dem die Paukenriogfurche bedeckenden Bindegewebe und richten
sich zum Ende des Hammerstiels, wobei die des hinteren, oberen Theils
mehr der Länge dieses Stiels parallel verlaufen; am Kande des Trommel-
fells sind diese Fasern am dünnsten, sie werden allmählich gegen die Mitte
des Stiels dicker; sie sind straff gespannt und scharf von einander isolirt;
ihrer Structur nach gehören sie zu den festen, aber wenig elastischen Fasern
des fibrillären Bindegewebes; eine geringe Anzahl elastischer Fasern dient zur
Erhöhung der Elasticität. Die circulären Fasern sind an der Peripherie
stärker entwickelt, besonders im oberen Theile der Membran, wo sie bogen-
förmig bis zur Mitte der Erhöhung des kleinen Hammerfortsatzes reichen.
Unter dieser Erhöhung in der Membrana flaccida sind diese Fasern nicht zu
finden. Zur Mitte hin werden sie dünner und verlieren sich allmählich. Wo
der Hammerstiel und der kleine Hammerfortsatz der mittleren Schicht des
Trommelfells anliegen, da ist in die radiären Fasern hyaliner Knorpel ein-
gewebt, der in das Periost des Hammerstiels übergeht. Ueber den Circulär-
fasern ist eine schlaffe Bindegewebsschicht, welche die äussere und die innere
Schicht verbindet und leicht beweglich ist, gelagert. Die äussere Schicht des
Trommelfells besteht aus Epidermis, die sich bei Maceration in Form eines
Blindsackes abziehen lässt, und aus einer sehr dünnen fibrösen Unterlage, die mit
der mittleren Schicht eng verbunden ist. In dieser fibrösen Unterlage lagern
sich dichte Netze feiner Capillargefässe, die den Radiärfasern parallele Maschen
bilden. Die innere Schicht ist eine Fortsetzung der Paukenhöhlenschleimhaut;
sie besteht aus einem einfachen Pflasterepithel und einem Netz feiner Fasern,
die sich mit den Bündeln der mittleren Schicht eng verflechten; sie enthält
an der Peripherie auch Gefässpapillen.
Das Trommelfell ist also, was seine mechanischen Eigenschaften anbe-
trifft, eine wenig elastische, feste, straff angespannte Membran, die, wie sich
noch erweisen wird, durch Muskelwirkung etwas angezogen werden kann.
Die Gefässe des äusseren Ohres gehören den Aesten der Carotis
externa und der ihr entsprechenden Venen an.
Die vordere und äussere Fläche der Ohrmuschel erhält ihre Aeste
von der Art. temporalis superficialis als Ptami auriculares anteriores, die
meist quer zum Rande der Leiste, den Klappen und dem Ohrläppchen gehen
und mit den Arterien der hinteren und der inneren Fläche anastomosiren;
diese letzteren sind Aeste der Art. auricularis posterior (Rami auriculares
posteriores).
Der Gehörgang wird ausser den eben angeführten Gefässen noch von
der tiefliegenden Art. auricularis profunda, die sich im inneren knorpeligen
und im knöchernen Theile verzweigt, und in seinem äusseren Theile von
Zweigen der Art. parotidea mit Blut versehen.
Das Trommelfell enthält in der Hautschicht seine Blutgefässe aus der
Art. auricularis profunda, in der Schleimhautschicht aus der Art. tympanica,
welche entweder unmittelbar aus der Art. m axillaris interna oder aus der
Art. auricularis profunda oder endlich aus der Art. meningea entspringt.
Die Zweige der Art. auricularis profunda gehen am hinteren Rande des
Hammergriffs von der oberen Peripherie zur Mitte des Trommelfells und
zerfallen hier in radiär verlaufende Aestchen, die die oben erwähnten Netze
bilden und sich mit Zweigen der Gefässe des Gehörganges vereinigen. Die
aus diesen Netzen kommenden Capillargefässe vereinigen sich zu zwei Venen,
welche sich am Hammergriff zum Rande des Trommelfells richten. Die
innere Schicht des Trommelfells wird ausser der oben erwähnten Art. tym-
panica noch von Aesten der Art. stylomastoidea, einem Zweige der Art. auri-
cularis profunda, mit Blut versehen; die Zweige dieser Arterien bilden auch
GEHÖRORGAN. 149
radiäre Netze, sie sollen auch Capillarnetze zwischen den circulären und den
radiären Fasern der Mittelschicht bilden (Kessel) und perforirende Aeste zur
Aussenschicht abgeben.
Die Venen der Ohrmuschel und des Gehörganges entsprechen den
Arterien; von der Vorderfläche der Ohrmuschel gehen sie als Venae auri-
culares anteriores zur Vena temporalis superficialis; die Venae auriculares
posteriores sammeln sich zur Vena jugularis externa posterior; was die Vena
auricularis profunda betrifft, so ergiesst sie sich in den Plexus pterygoideus
und in die Vena maxillaris interna. Die Venen des Trommelfells entsprechen
gleichfalls den hier beschriebenen Arterien.
Die Lymphge fasse der Ohrmuschel und des äusseren Abschnittes des
Gehörganges bilden sehr feine Netze (Sappey); die vorderen ergiessen sich
in die im oberen Theile der Fossa retromaxillaris, vor dem Tragus gelagerte
Drüse, die hinteren, stärker entwickelten in die Drüsen des Warzenfortsatzes.
Im inneren Abschnitt des Gehörganges sind die Gefässe schwer zu verfolgen.
Im Trommelfell verlaufen sie den Blutgefässen analog und werden noch mit
den Lymphgefässen der Paukenhöhle beschrieben werden.
Die Nerven des äusseren Ohres gehören dem Trigeminus, Glosso-
pharyngeus, Vagus, Facialis und den Halsnerven an.
Zur Vorderfläche der Ohrmuschel gehen Aeste des Nervus auriculo-
temporalis s. temporalis superficialis, der vom Ramus inframaxillaris trigemini
entsendet wird; der hintere, untere Theil wird von Zweigen des Nervus auri-
cularis magnus, der vom dritten Paare des Plexus cervicalis ausgeht, der
hintere, obere Theil von Zweigen des Nervus occipitalis minor, auch aus dem
dritten Halsnervenpaar innervirt.
Vom Gehörgang aus gehen centripetale Zweige zum Nervus auriculo-
temporalis, zum Nervus auricularis magnus und aus dem inneren, knöchernen
Theile zum Nervus vagus (Rami auriculares). Einige von diesen Fäden
kommen auch von der Aussenfläche des Trommelfells; die Innenfläche des-
selben wird vom Plexus tympanicus des Nervus glossopharyngeus innervirt.
Die Muskeln der Ohrmuschel selbst und die sie in Bewegung setzenden
Muskeln erhalten ihre centrifugalen Zweige vom Nervus facialis.
Alle Gefässe des äusseren Ohres werden vom Plexus caroticus externus,
der sich bis zum Ganglion cervicale primum verfolgen lässt, innervirt.
IL Das mittlere Ohr oder der Leitungstheil des Gehörorgans.
Dieser Theil besteht aus der Paukenhöhle, die hinten und aussen mit
dem Sinus und den Cellulae mastoideae schliesst, sich nach vorn, unten und
innen in die Tuba tympanica bis zur Rachenhöhle fortsetzt und durch die die
drei Ohrknöchelchen hindurchziehen.
Die Paukenhöhle (Cavum tympani) ist prismatisch biconcav, mit
einer oberen, äusseren und inneren Wand; die beiden letzteren treffen unten
zusammen und sind gegen einander convex; in der Mitte beträgt die Ent-
fernung zwischen ihnen 1 — 2 mm, vorn bis 3 und hinten bis 5 mm. Die
Wölbung der Aussenwand entspricht der Innenfläche des Trommelfells, die
der Innenwand dem Promontorium; oben wird die Höhle durch eine dünne
Knochenschicht {Tegmen tympani) von der Schädelhöhle getrennt. Hinter
und über dem Promontorium befindet sich das ovale Fenster {Femstra
ovalis)\ sein Längsdurchmesser ist horizontal und richtet sich von vorn nach
hinten und aussen; er misst 2 — 3 mm, der verticale Durchmesser 1,5w?;m.
Der obere Rand des Fensters ist gewölbt, der untere gerade. Am hinteren,
unteren Theil des Promontoriums, in einer Ebene, w^elche die der ovalen
Oeffnung unter rechtem Winkel kreuzt, befindet sich das runde Fenster
Fenestra rof,unda s. Cochleae):, sein Durchmesser beträgt l'bmm. Am getrock-
neten Knochen verbindet es die Scala tympani der Schnecke mit der Paukenhöhle,
150 GEHÖRORGAN.
im lebenden Organismus aber ist es von einer Haut, dem Nebentrommel-
lell {Membrana UjmiKini secundaria), überzogen; diese Haut besteht gleich-
falls aus drei Schichten: einer äusseren, der Schleimhaut der Paukenhöhle,
einer mittleren fibrösen, dem unverlmöcherten Theil der Kapsel des häutigen
Labyrinthes und einer inneren, der Fortsetzung des Periosts der Scala tym-
pani. Ueber dem ovalen Fenster springt die Wand des Canalis facialis
hervor, hinter ihm erhebt sich die hohle pyramidenförmige Erhöhung
{Emineniia }njramidaUs), deren Achse der Längsachse des Fensters parallel
ist; ihre Basis ist zum Canalis facialis, mit dem sie durch ein schräges Canäl-
chen verbunden ist, die Spitze aber nach vorn und etwas nach aussen und
oben gerichtet; an der Spitze befindet sich eine kleine Oeffnung, die in das
Innere der Erhöhung führt. Der innere Hohlraum wird von dem M. sta-
pedius, dessen Sehne nach vorn zum Steigbügel geht und der vom Nervus
facialis einen Nervenast und durch eine zweite Oeffnung im Canalis facialis
ein Blutgefäss erhält, ausgefüllt. In einer Entfernung von 2 mm lateralwärts
von dieser Erhöhung sieht man eine Oeffnung (Apertura interna canalis
cJwrdae tymiMni), durch welche die Paukenseite {Chorda tympani) in die
Paukenhöhle eintritt und die ein mit dem Canalis facialis communicirendes
Canälchen führt.
Nach hinten zu verengert sich die Paukenhöhle und communicirt durch
eine grosse Oeffnung {Adiiiis ad cellulas mastoideas), die über und lateral-
wärts vom ovalen Fenster liegt, mit den Warzenzellen des Schläfenbeins.
Nach vorn, innen und unten verengert sich die Höhle gleichfalls und setzt
sich in einen Knochencanal, der durch eine Knochenleiste in einen oberen
und in einen unteren Abschnitt getheilt wird, fort. Der obere Abschnitt
bildet den Canal des Paukenspanners {Cancdis tensoris tympani), der untere
den knöchernen Theil des Paukencanals {Pars ostea iuhae tympanicae). Ge-
wöhnlich geht durch Maceration ein Theil der Knochenleiste zugrunde
(Sappey, Huguier) und dann wird sein Ende als löffeiförmiger Fortsatz {Pro-
cessus cochlearis) beschrieben.
Iq der Paukenhöhle befinden sich die drei Ohrknöchelchen ; an der
Innenfläche des Trommelfells liegt nach vorn der Hammer (Malleus), hinter
ihm in derselben Ebene der Amboss {Incus) und nach innen vom absteigenden
Ast des letzteren der Steigbügel {Stapes), der mit seiner Basis im ovalen
Fenster Platz nimmt.
Der Hammer besteht aus einem keulenförmigen oberen Theil, dem Hals
und dem Kopf, und einem dreieckigen, flachen, unteren Theil, dem Handgriff
{Maniibrium). Der Kopf ragt über den Rand des Trommelfells empor, an
seiner hinteren Fläche befindet sich eine Gelenkfläche mit oberer Aushöhlung
und unterem Zahn, die eine entsprechende Gelenkfläche am Körper des Ambosses
berührt. Die nach hinten gerichtete Basis des Handgriffes verbindet sich mit
dem Halse, seine Spitze ist nach unten gerichtet; er lagert sich dem Trommel-
fell parallel und ist mit ihm bis zu dessen Mitte durch hyalinen Knorpel
verbunden. Von aussen entspringt an der Basis des Handgriffes ein kurzer,
conischer Fortsatz {Processus hrevis mallei), der bis zur Mitte der oberen
Peripherie des Trommelfells geht, diese hervortreibt und mit ihr durch
hyalinen Knorpel verbunden ist. Zwischen diesem Fortsatz und dem Halse
entspringt an der Basis noch ein anderer Fortsatz {Processus anterior s.
longus); er ist lang, dünn und etwas gebogen, richtet sich nach vorn und
unten zur Fissura Glaseri, mit deren Wänden er durch Syndesmose verbun-
den ist.
Der Amboss liegt hinter dem Hammer und in ein und derselben Ebene
mit diesem. Er besteht aus einem Körper, der nach hinten einen horizon-
talen und nach unten einen verticalen Fortsatz, den Ambosstiel, entsendet;
der letztere ist dem Handgriff des Hammers parallel, von seinem unteren Ende
GEHÖRORGAN. 151
wendet sich unter einem Winkel von etwas weniger, als W ein mit einem
rundlichen Köpfchen endender Vorsprung {Proc. lenticularis) nach innen; dieser
Vorsprung berührt das Köpfchen des Steigbügels. Am Vorderthcil des Körpers
befindet sich eine Gelenktläche mit einer Vertiefung in der Mitte, in die sich
der Zahn des Hammers eindrängt, und mit zwei Höckern zu beiden Seiten
derselben, einem oberen, äusseren und einem unteren, inneren, welche Ver-
tiefungen am Hammer entsprechen.
Der Steigbügel liegt horizontal; er besteht aus einem auf dünnem Halse
sitzenden und nach aussen gerichteten Kopf, an dessen Ende sich die oben
erwähnte Gelenkfläche {Cavitas glenoidalis) befindet, einem geraden vorderen
Schenkel {Grus anterius s. rectilineum), einem stärkeren und gekrümmten
hinteren Schenkel {Grus ])osterius s. curvilineum) und dem Tritt (Basis) mit
einem oberen convexen und einem unteren geraden Rande, der nach innen
gerichtet ist und dem ovalen Fenster entspricht. Die gegeneinander gewandten
Ränder der Schenkel sind gefurcht. An der Aussentiäche des Trittes zieht
sich von vorn nach hinten eine Leiste {Grista stapedis), zwischen der und den
Schenkeln sich eine mit einer doppelten Zwischenknochenhaut (Membrana
oUuratoria stapedis) verdeckte Oeffnung befindet.
Diese drei Knochen stehen sowohl untereinander, als auch mit den sie
umgebenden Theilen in verschiedener Weise in Verbindung. Einige von diesen
Verbindungen sind bereits erwähnt worden.
Der Hammer ist über dem Trommelfell durch die Ligamenta mallei
anterius, externum et posticum mit der Aussenwand der Paukenhöhle ver-
bunden. Das vordere und das hintere Band werden zusammen als Achsen-
band des Hammers bezeichnet (Helmholtz) und gehen von der Knochen-
wand über dem oberen Rande des Paukenfells zur Crista an der Aussen-
fläche des Hammerhalses; das äussere Band entspringt fächerförmig am Marge
tympanicus; die hinteren Stränge desselben werden als Ligamentum mallei
posticum bezeichnet.
Der kurze Fortsatz des Ambosses stemmt sich dort, wo die Trommel-
höhle in den Sinus mastoideus übergeht, gegen einen thalförmigen Einschnitt
der Knochenwand; von der Spitze des Fortsatzes gehen Fasern fächerförmig
nach aussen, hinten und innen zu den benachbarten Knochentheilen.
Die Basis des Steigbügels ist durch faseriges Bindegewebe, das am
unteren Rande und besonders hinten am festesten ist, mit dem Rande des
ovalen Fensters verbunden (Ligamentum annulare baseos stapedis). Da die
Basis aus einer tympanalen, knöchernen und aus einer vestibulären, doppelt
so dicken, knorpeligen Schicht (hyaliner Knorpel) besteht und da diese letztere
über den Rand der Knorpelschicht hinausgeht, so befindet sich das Ringband
nur zwischen dem Knorpel und dem Rande des ovalen Fensters ; das Periost
des Vorhofs geht auf das Ringband und auf das Perichondrium des Knor-
pels über.
Hammerkopf und Ambosskörper bilden das Hammerambossgelenk, eine
Amphiarthrose mit fibröser und synovialer Kapsel, ähnlich den an Uhr-
schlüsseln gebräuchlichen Gelenken. Ebenso wie dort, ist im Hammeramboss-
gelenk eine geringe Drehung um eine quer durch den Kopf des Hammers gegen
den kurzen Ambossfortsatz gehende Achse möglich. Wenn diese Drehung nach
einwärts geschieht, so setzen sich ihr ein Paar Sperrzähne entgegen, während
bei der Auswärtsdrehung des Hammerstiels der Amboss dieser Bewegung nicht
folgen kann (Helmholtz).
Das Ambossteigbügelgelenk ist auch eine Amphiarthrose mit kugel-
förmigen Articulationsflächen. Die Kapsel ist an elastischen Fasern reich.
Die Bewegungen sind gering.
Der Hammer wird durch den M. tensor tympani in seiner Lage
fixirt; dieser Muskel entspringt an der Knorpelwand der Tuba, an dem an-
152 GEHÖRORGAN.
grenzenden Rande des Wespenbeins und an der Beinhaut des Knocliencanals,
in dem er liegt. Seine Sehne ändert, nachdem sie den Canal verlassen hat,
ihre Richtung und tritt von innen an den Hals des Hammers. Der durch
die Paukenhöhle ziehende Theil der Sehne ist von der Schleimhaut derselben
überzogen. Bei der Contraction dieses Muskels wird der Hammergriff mit
dem Trommelfell nach innen gezogen und dadurch der Hammer in seiner
Lage üxirt.
Dieselbe Bedeutung hat der M. stapedius für den Steigbügel; er ent-
springt an den Wänden der in der Eminentia pyramidalis befindlichen Höhle,
seine feine Sehne geht durch die Oeffnung der Höhle und heftet sich an das
Köpfchen des Steigbügels.
Durch diese Kette von Knochen wird jede Erschütterung des Trommel-
fells in das Labyrinthinnere übertragen. Hierbei bilden Hammer und Amboss
einen einarmigen Hebel, dessen Hypomochlion die Spitze des kurzen Amboss-
fortsatzes ist; die Spitze des Hammergritfes ist der Angriffspunkt der Kraft.
Die Spitze des Ambosstiels aber der Punkt, wo der Hebel auf die Last wirkt.
Diese drei Punkte liegen fast in einer Linie, deren Länge 9*5 mm beträgt,
während der kürzere Arm zwischen den Spitzen der beiden Ambossfortsätze
Q'^l^mm misst. Hieraus folgt, dass, wenn Hammer und Amboss einander fest
anliegen, die Excursion der Ambosstielspitze nur % der des Hammerstiels
betragen wird, während der Druck, den der Ambosstiel auf den Steigbügel
ausübt, 1-5 mal so gross sein muss, als der Druck auf den Hammerstiel.
Die schräg nach unten, vorn und innen gerichtete Tuba tympanica endet
mit einer trichterförmig erweiterten Oeffnung in der Rachenhöhle, in der
Höhe des unteren Naseuganges. Sie bildet mit der Achse des äusseren
Gehörganges einen Winkel von 135*' und mit der Horizontalebene einen
Winkel von 40". Sie besteht aus einem äusseren knöchernen und einem
inneren knorpeligen Theil und gleichsam aus zwei mit den kleineren Grund-
flächen gegen einander gekehrten, abgestumpften Kegeln. Ausserdem ist die
Tuba, von oben gesehen, S-förmig gebogen, wobei der knorpelige Abschnitt
nach innen und hinten, der knöcherne aber nach aussen, vorn und unten
concav ist. Die Länge der Röhre beträgt 3-5 bis 4, im Mittel 3-8 cm. Der
verticale Durchmesser misst an der Paukenöffnung 5 mm, in der Mitte 3 mm
und an der Rachenöffnung 6—8 mw, der Querdurchmesser am Uebergange des
knorpeligen Theiles in den knöchernen 1 — 2 mm\ an der engsten Stelle, im
Anfange des knorpeligen Abschnittes kann der Durchmesser sogar bis 0-25 mm
sinken.
Die Röhre ist längs dem vorderen Rande der Pyramide gelagert; ihre
innere Wand grenzt an den Canalis caroticus, an der äusseren Wand liegt
die Fissura petro-tympanica.
Der Knorpel des inneren Abschnittes ist oben eingebogen, so dass sich
unter dem oberen Rande eine Rinne bildet. Aussen und unten wird er von
einer fibrösen Membran mit elastischen Fasern zur Röhre ergänzt. Die knor-
pelige Röhre lagert sich am Rande des grossen Wespenbeinfiügels und reicht
innen und vorn bis an den hinteren Rand der inneren Gaumenfiügelplatte,
wo eine kleine Erhöhung, mit der sie durch fibröses Gewebe verbunden ist,
die Berührungsstelle angibt. Am Knochencanale ist der Knorpel zuerst an
der äusseren (lateralen) Wand, bis zur Spina angularis, dann wird er an der
inneren (medialen) Wand breiter, die äussere aber wird zu einem Haken an
der inneren, die sich zum Rachenende allmählich vergrössert (von 3 bis 12 mm).
Neben der Aussen wand entspringen Fasern des M. levator palati; nach
aussen von diesen befindet sich der M. tensor palati, der am Haken-
ende und an der fibrösen Wand entspringt. — Noch weiter nach aussen
liegt der M. pterygoideus internus, dann der M. pterygoideus exter-
nus. Alle die an der Wand der knorpeligen Röhre entspringenden Muskeln
GEHÖRORGAN. 153
können ihr Lumen erweitern. Der Knorpel ist seiner Structur nach hyalin,
geht aber stellenweise, namentlich näher zur Rachenöttnung, in Faserknorpel
über. Nach innen zu, wo der Knorpel breiter wird, durchbohren ihn die
Ausführungsgänge der hier gelagerten Schleimdrüsen, so dass sich Knorpel -
inseln bilden. Was die Rachenöffnung der Röhre betrifft, so tritt ihr hinterer,
innerer Rand schärfer hervor, wobei ihr Längsdurchmesser von oben nach
hinten, unten und aussen gerichtet ist. Die Oeffnung befindet sich .S mm
hinter der Nasenhöhlenöffnung, und in der Höhe des unteren Nasenganges,
l'O cm über dem weichen Gaumen. Die Entfernung zwischen den beider-
seitigen Oeffnungen beträgt 2*5 bis 3 cm.
Die Schleimhaut der Paukenhöhle ist eine Ausstülpung der Nasen-
rachenschleimhaut; sie bedeckt die innere Fläche der Tuba tympanica, geht
auf die Wände der Paukenhöhle über, bedeckt alle darin befindlichen Theile
und schliesslich die Wände des Sinus und der Cellulae mastoideae. In der
Paukenröhre ist sie mit mehrschichtigem Flimmerepithel, dessen Wimpern
sich in der Richtung zur Rachenhöhle bewegen, dann mit cylindrischem und
an den Wänden der Paukenhöhle mit Pflasterepithel überzogen. In frischem
Zustande ist sie in der Paukenhöhle feucht, aber nicht mit Schleim bedeckt.
An den Wänden der Höhle ist sie sehr dünn, hellroth gefärbt; am dünnsten
ist sie in dem Sinus und den Cellulae. An den knöchernen Theilen ver-
schmilzt sie mit dem Periost ganz und gar. Die oben erwähnten Schleim-
drüsen kommen nur dort vor, wo dieses nicht der Fall ist, also im knorpe-
ligen Theile der Tuba und an den Schleimhautfalten, von denen sogleich die
Rede sein wird. Im ersteren Falle (d. h. in der Tuba) findet man auch
adenoides Gewebe.
Die Schleimhaut der Paukenhöhle bildet Falten, die Hammer-, Amboss-
und Steigbügelfalte sind Einstülpungen der Schleimhaut. Die Hammerfalte
befindet sich im oberen und äusseren Theile der Paukenhöhle, über dem
Trommelfelle. Der untere Rand der Falte ist hinter und vor dem Halse des
Hammers nach unten zu concav, der hintere Theil ist höher und reicht bis
zum unteren Theile des Hammerambossgelenkes, wo er sich an dem langen
Fortsatze mit der Falte des Ambosses verbindet, der vordere Theil ist länger
und enthält den langen Fortsatz und (am Rande) die Chorda tympani; diese
letztere ist auch im hinteren Abschnitt enthalten. Die Falte des Ambosses
geht von der hinteren Wand der Paukenhöhle aus zum langen Fortsatz und
endet über dem Processus lenticularis. Die Steigbügelfalte schliesst diesen
Knochen ein und ist zwischen der Sehne des M. stapedius und dem ovalen
Fenster ausgespannt.
Seine Blutgefässe erhält das mittlere Ohr von der Arteria carotis
externa und von der Carotis interna. Aus Zw^eigen der Carotis externa
kommen:
Die Arteria stylomastoidea aus der Arteria auricularis posterior; sie
nimmt ihren Lauf durch den Canalis facialis, dringt aus dem Zweige durch
die hintere Wand der Paukenhöhle um sich in der Schleimhaut, dem Steig-
bügel und den Warzenzellen zu verzweigen.
Aus der Arteria maxillaris interna kommen die Aeste entweder unmittelbar,
oder durch die Arteria auricularis profunda und die Arteria meningea media.
Die Aeste der ersteren gehen durch die Fissui-a petro-tympanica und
verzw'eigen sich in dem vorderen Theil der Trommelhöhle und dem Trommel-
felle. Aus der Arteria meningea media gehen vor ihrem Eintritte in die
Schädelhöhle Zweige zur Tuba tympanica und zum Canalis facialis, wo sie
mit den Zweigen der Arteria stylomastoidea anastomosiren; sie versorgen die
Paukenhöhle in der Gegend des Promontoriums.
Die Arteria temporalis entsendet durch die Fissura petro-tympanica Zweige
zur Schleimhaut der Paukenhöhle; die Arteria pharyngea ascendens zur Tuba
154 GEHÖRORGAN.
tympanica und zum M. tensor. tympani, sowie zum vorderen,' unteren Theile
der Paukenhöhle.
Die Carotis interna gibt noch vor ihrem Eintritte in den Knochencanal
Zweige zur Tuba tympanica ab; an ihrer ersten Biegung entsendet sie die
Arteriae carotico-tympanicae, die durch die entsprechenden Canäle in die
Paukenhöhle treten und sich hier in der Vorderwand, dem Promontorium und
der Tuba tympanica verzweigen.
Die Tuba tympanica erhält ausserdem noch Aeste von der Arteria pala-
tina asceudens und der Arteria Vidiana: dieselben anastomosiren unter ein-
ander und entsenden Aestchen zur Rachenöffnung, dem äusseren und dem
mittleren Theile der Tuba tympanica.
Die Venen entsprechen den Arterien und ergiessen sich in die Geflechte
der Unterkiefer-, Schlundkopf- und Temporalvenen. Die Verbindung des
Unterkiefervenengeflechtes mit den intracraniellen Venen wirft einiges Licht
über die Functionen der hier gelegenen Organe. Die Abzugscanäle sind hier
in so grosser Anzahl entwickelt, dass kein Grund vorliegt, die Venen, welche
die Membrana flaccida durchbrechen und die Venen der Paukenhöhle mit denen
des äusseren Gehörganges verbinden, als Hauptabzugscanal für das Blut der
Paukenhöhle anzusehen.
lieber die Lymphgefässe kann nur bemerkt werden, dass das Geflecht
in der Schleimhaut der Tuba tympanica unmittelbar mit dem Geflechte des
weichen Gaumens und der Rachenhöhle in Verbindung steht (Sappey).
Die Nerven des mittleren Ohres gehören dem Trigeminus, Glosso-
pharyngeus, Facialis und Sympathicus an. Der Hauptnerv mit centripetalen
Fasern, welcher Zweige von allen Theilen der Paukenhöhle, dem Sinus und
den Cellulae mastoideae, dem Paukenfelle, den Ohrknöcheln und dem Anfangs-
theil der Tuba erhält, ist der Ramus oder Plexus tympanicus des Nervus
glossopharyngeus; dieser Nerv geht längs des Promontoriums nach unten und
dringt durch einen Knochencanal in die Fossa petrosa, wo er in dem Ganglion
petrosum endet. Dieses Geflecht verbindet sich mit dem Ganglion oticum des
Trigeminus, dem Nervus facialis und dem Plexus caroticus internus, mit dem
letzteren durch die Nervi carotico-tymnanici. Die Tuba entsendet ausser den
oben erwähnten Aesten zum Plexus tympanicus Nervenäste zum Nervus trige-
minus und namentlich zu den Rachennerven, die im Ganglion nasale enden.
Der Facialis gibt centrifugale Fasern zu dem M. stapedius und dem M.
tensor. tympani, sowie auch die Chorda tympani, welche durch die Hammer-
falte verläuft und durch die Fissura petro-tympanica die Höhle verlässt, ab.
Fasern des Sympathicus verzweigen sich in den Wänden der Blutgefässe und
man kann sie bis zu den Geflechten an den Gefässen, aus welchen die Aeste
nach der Paukenhöhle gehen, verfolgen; diese Geflechte bestehen alle aus
centripetalen und centrifugalen Nerven, die zum Plexus caroticus internus
gehören.
HI. Das innere Ohr oder der acustische Theil des Gehörappa-
rates; Gehörlabyrinth.
Das innere Ohr oder das Labyrinth besteht aus einem häutigen und
einem knöchernen Theil; der erstere enthält die Anfangstheile der centri-
petal leitenden Nervenfasern, welche entweder unmittelbar von aussen oder
von den durch die festen Theile des Organismus geleiteten Erschütterungen
in Erregung gebracht werden; um nun aber diese Erregungen möglichst zu
differenziren, befinden sich diese Theile in Flüssigkeit, welche von Knochen-
kapseln umschlossen wird, und werden durch Flüssigkeit in Spannung
erhalten. Das häutige Labyrinth besteht seinerseits aus einem elliptischen
Säckchen mit drei Bogengängen aussen und hinten und einem runden Säckchen
mit dem Schneckengange innen und vorn; dem ersteren gehört der Vorhofs-
GEHÖRORGAN, 155
nerv (Nervus vestibuli), dem zweiten der Schneckennerv (Nervus Cochleae) an,
welche beide durch den inneren Gehörgang zum Gehirn gehen. Alle diese
Theile stehen, was ihre Ernährung anbetriöt, vollständig isolirt da: die in
ihnen sich verzweigende Arteria auditiva interna anastomosirt nirgends mit
den Gefässen der umliegenden Theile. Jeder Abschnitt hat seinen Abzugs-
canal, die sogenannte Wasserleitung (Aquaeductus), durch welche die Venen
das Labyrinth verlassen. Das knöcherne Labyrinth besteht aus dem Vorhof,
den drei Bogengängen, die im Vorhof beginnen und auch wieder ein-
münden, und der Schnecke, die zwei Gänge, welche im Vorhof beginnen und
am runden Fenster der Paukenhöhle enden, enthält. An den Vorhof und die
Basis der Schnecke grenzt hinten und innen der innere Gehörgang. Lateral-
wärts und vor dem Vorhof befindet sich die Paukenhöhle.
Der knöcherne Vorhof {Vestihulum osseum) begrenzt eine elliptische
Höhle, deren Längsachse den oberen Rand der Pyramide unter rechtem Winkel
kreuzt. Aussen, oben und hinten communicirt diese Höhle mit den Bogen-
gängen, vorn, unten und innen mit der Schnecke, vorn und aussen durch das
ovale Fenster mit der Paukenhöhle, innen und hinten führen mehrere Gruppen
feiner Löcher (Maculae cribrosae) aus ihr in den inneren Gehörgang; nach
oben, hinten und aussen führt der Aquaeductus vestibuli zu der inneren,
hinteren Fläche der Pyramide, wo er spaltförmig endet, lateralwärts, und über
der Höhle liegt der Canalis facialis. An der Höhle lässt sich ein vorderes,
äusseres und ein hinteres, inneres, stumpfes Ende, eine gewölbte obere und
eine untere Wand, sowie zwei Seitenwände, eine äussere, hintere und eine
innere, vordere unterscheiden. Die Entfernung zwischen den beiden Seiten-
wänden beträgt 3 — 4 mm, vom hinteren zum vorderen Ende 5 — 6 mm^ von
oben nach unten 4 — 5 mm.
Durch einen First (Crista vestibuli), welche der Frontalfläche am
ehesten parallel ist, wird die Höhle in zwei Gruben getheilt, diese Firste
beginnt über dem ovalen Fenster mit einem Vorsprung {Pyramis vestibuli),
geht nach hinten und längs der inneren Wand nach unten und theilt sich
hier in zwei kleinere, fast unter rechtem Winkel auseinandergehende Ränder.
Die vor ihr gelagerte Grube ist rundlich (Recessus sphaericus), die hinter ihr
gelegene elliptisch {Recessus eUipticus), zwischen den divergirenden End-
rändern liegt das Schneckengrübchen {Recessus cochlearis). Hinter diesem
Grübchen bemerkt man längs dem Rande der elliptischen Grube eine seichte
Furche (Sinus sulcifonnis), welche in die Wasserleitung des Vorhofes führt.
An der äusseren, hinteren Wand des Vorhofes befinden sich die fünf
Oeffnungen der Bogengänge. Die obere ampulläre Oeffnung befindet sich im
oberen, vorderen Theile der Aussenwand, über dem Recessus ellipticus;
zwischen dieser Oeffnung und dem ovalen Fenster liegt die vordere ampulläre
Oelfnung des horizontalen Ganges, an der Durchkreuzungsstelle der hinteren,
inneren und unteren Wand befindet sich die ampulläre Oeffnung des hinteren
verticalen Ganges. Lateralwärts und über dieser Oeffnung befindet sich die
gemeinsame Oeffnung der beiden verticalen Gänge und gleich über ihr die
hintere, schmale Oeffnung des horizontalen Bogens; diese letztere liegt mit
dem ovalen Fenster in einer Ebene.
Am vorderen, äusseren Ende der Vorhofshöhle befindet sich das ovale
Fenster und unter ihr, im vorderen, inneren Theile der Höhle der Eingang
zur Vorhofstreppe der Schnecke (Aditus ad scalam vestibuli).
Endlich findet sich am äusseren, unteren Rande des Recessus ellipticus,
unter der gemeinsamen Oeffnung der verticalen Gänge die Oeffnung des Aquae-
ductus vestibuli.
Durch die oben erwähnten Maculae cribrosae nehmen Gefässe und Nerven
aus der Höhle in den inneren Gehörgang ihren Weg. Die obere, zahlreichste
Gruppe {Macula cribrosa supcrior) enthält 28 — 35 Löcher, liegt medianwärts
156 GEHÖRORGAN.
von der Pyramis, hier gehen Gefässe und Nerven vom Saccus ellipticus und
von der vorderen und oberen Ampulle durch; die mittlere Gruppe {Macula
cribrosa media) liegt etwas lateralwärts und vor dem Centrum des Recessus
sphaericus; hier sind 15 bis 20 Löcher, durch welche Nerven und Gefässe zum
vorderen Sack gehen, die untere Gruppe {Macula cribrosa inferior) enthält
acht Löcher, liegt an der hinteren Ampulle, von der auch die Gefässe und
Nerven kommen.
Die drei Bogengänge {Canales semicircidares) haben halb elliptische
Form, nehmen im Vorhof ihren Anfang und münden auch wieder in ihn
hinein, ihre Wände sind sehr stark und hart. Sie liegen in drei gegen ein-
ander senkrechten Ebenen. Einer von den Gängen liegt horizontal, wobei
seine Wölbung nach hinten und aussen gerichtet ist, die beiden anderen
stehen vertical und zu einander rechtwinkelig; der hintere Gang ist der
Pyramidenachse parallel, mit nach aussen gewandter Wölbung, der vordere
aber kreuzt die Pyramidenachse unter rechtem Winkel und ist nach oben
gewölbt. Die Mündungen dieser Gänge liegen in fast gleicher Höhe, und
zwar sind die vorderen nach aussen und vorn, die hinteren aber nach innen
und hinten gew^andt. Hinten verbinden sich die beiden verticalen Gänge zu
einem gemeinsamen Schenkel. An jedem Gange unterscheidet man einen
einfachen Schenkel und einen eiförmig erweiterten Schenkel oder Ampullen-
schenkel. Der längste der Gänge ist der hintere; er misst 22 mm, die Länge
des vorderen verticalen Ganges beträgt 20 mm, die des horizontalen Ib mm;
der gemeinsame Schenkel der verticalen Gänge ist 2 — 3 mm lang. Die Gänge
sind seitlich comprimirt, so dass im Querschnitt sich der kleinere Durch-
messer zum grösseren wie 2 : 3 oder wie 3 : 4 verhält. Ausserdem sind die Gänge
noch spiralig gewunden, so dass ihre Enden etwas divergiren. Im Mittel
beträgt die Höhe einer Ampulle 2'6 mm, in den verticalen Gängen ist sie
durch eine Leiste gegen den Gang und gegen das Vestibulum abgegrenzt.
Die Schnecke {Cochlea) besteht aus einem an einem Ende blinden
Knochencanale, der, wie bereits erwähnt, 2V2 bis 2^/4^ Spiral Windungen macht.
Vor der Schnecke liegt der Anfangstheil der Tuba tympanica, aussen und
vorn grenzt sie an die Paukenhöhle, in die sie sich mit der ersten Windung
als Promontorium vorwölbt. Oben grenzt sie an das Knie des Canalis facialis,
hinten und aussen reicht sie bis zum Vorhof, hinten stösst sie auf den
inneren Gehörgang und medianw^ärts an den Canalis caroticus.
Man unterscheidet an der Schnecke ihre Basis, die Spitze und die
Windungen. Der Spiralcanal der Schnecke, den die Windungen bilden, wird
von einer von Seite der Achse gehenden Knochenlamelle {Lamina spiralis) in
zwei Treppen {Scalae) geschieden. Diese Theilung wird durch den Schnecken-
gang {Ductus coclilearis), der sich zwischen dem freien Rande der Scheide-
wand und der äusseren Wand der Windungen befindet, vollständig. Hinter
dieser Scheidewand, zur Basis zu, liegt die Paukentreppe {Scala tympani), vor
der Scheidewand, zur Spitze zu, die Vorhofstreppe {Scala vestibuli). Die
letztere nimmt im Vorhof ihren Anfang, die erstere endet im runden Fenster,
das in die Paukenhöhle führt; an der Spitze geht die Vorhofstreppe in die
Paukentreppe über. An der letzten Windung endet die Lamina spiralis in
Form eines Hackens {Eamulus), dessen innerer Rand concav und dessen
äusserer Rand convex ist; der letztere verbindet sich durch den Endtheil des
Schneckenganges mit der äusseren Wand der Schnecke; die Innenwand
aber begrenzt eine Oeffnung {Helicotrema), durch die die beiden Treppen
communiciren. Die Achse der Schnecke {Modiolus) ist kegelförmig, an der
Basis ist ihr Durchmesser 2 mm, an der Spitze 0*4 — 0*5 mm lang. Die
Aussenwand der Achse wird von der Knochenwand des Schneckencanales
gebildet; unter dieser compacten Knochenlamelle liegt ein der Lamina spiralis
entsprechender, spiralförmig gewundener Canal {Canalis spiralis modioli), der
GEHÖRORGAN.
157
bis zur letzten Schneckenwindung reicht; er ist im Querschnitt dreieckig;
seine zur Mitte der Achse gerichtete Wand ist ebenso, wie die an die Lamina
spiralis grenzende von einer Anzahl feiner, rundlicher Löcher durchbrochen.
In der Mitte der Achse verläuft ein cylindrischer Canal {(Janalis centralis
modioli) von der Basis bis zur Spitze, wo er mit einer grösseren Anzahl
feiner Oeffnungen endet. Zwischen dem spiralförmigen und dem centralen
Canal befinden sich feine Canäle, die alle zur Innenwand des spiralförmigen
führen. Alle beschriebenen Canäle beginnen in der, in der Tiefe des inneren
Gehörganges gelegenen Grube (Fossa cochlearis), die der Basis der Achse
entspricht, und zwar findet man hier in der Mitte eine grössere Oeffnung
(Foramen centrale Cochleae) für den Canalis centralis und um diese concen-
trische Kreise feiner Oeffnungen, welche hinten mit einem spiraligen Streifen
von Löchern (Tractus sj)iralis foraminosus) endet.
Die abgestumpfte Spitze bildet das Dach (Cupula) der letzten Windung,
ihr innerer Hohlraum den Trichter (Infundibulum).
In der ersten Windung befindet sich an der Aussenwand ein niederes
Knochenblättchen (Lamina spiralis secundaria), welche vom oberen Rande des
runden Fensters ausgeht und gegenüber der Lamina spiralis gelagert ist.
Sie beginnt mit einem Vorsprung (Crista semilunaris), der als Rand die
Scala tympani begrenzt. Vor diesem Vorsprung befindet sich in der Scala
tympani eine feine, trichterförmige Oeffnung, die in den Aquaeductus Cochleae
führt; derselbe ist ein enger Canal, der leicht gekrümmt herabsteigt und mit
einer trichterförmig erweiterten Oeffnung an der äusseren, hinteren Fläche
der Pyramide endet.
Der Canal der Schnecke hat eine Länge von 28 — 30 nim^ sein Durch-
messer an der Basis meist 7 — 8 mm, die Höhe 4 — 5 mm.
Der innere Gehör gang (Meatus auclitorius internus) grenzt mit
seinem blinden Ende vorn an die Basis der Schnecke, lateralwärts an den
Vorhof; dem entsprechend ist das Innere des-
selben durch einen queren Vorsprung in
einen oberen und einen unteren Theil ge-
schieden, von denen der untere breiter ist.
Diese Theile werden ihrerseits durch eine ver-
ticale Knochenwand in vordere und hintere
Gruben geschieden. Vorn und oben befindet
sich der Eingang zum Canalis facialis; vorn
und unten befindet sich die Fossa Cochleae,
die bereits erwähnt wurde. In der oberen
und unteren hinteren Grube findet man die
Maculae cribrosae, welche in den Vorhof füh-
ren, wieder.
Fig. 3. Das häutige Labyrinth (Schaefer)
rechts, von hinten gesehen.
a Sacculus ovalis, 6 oberer Bogengang,
c hinterer Bogengang, d äusserer Bogen-
gang, e Sacculus rotundus, / Schneckengang,
g Aquaeductus vestibuli, 7i. Canalis renniens.
Das häutige Labyrinth und die hier
beginnenden Nerven.
Der häutige Theil des Vorhofes
besteht aus dem ihn auskleidenden Periost,
der in ihm enthaltenen Flüssigkeit, dem häutigen Inhalte und der diesen
letzteren ausspannenden Flüssigkeit. (Fig. 3.)
Das Periost, das die Knochenwände des Labyrinthes bedeckt, ist sehr
dünn, fest mit dem Knochen verbunden und reichlich mit Gefässen, welche
in die Gefässe des Knochens übergehen, versehen; nur an der Sehn ecken wand,
wo sich die basilare Wand des Schneckenganges befestigt, ist es dicker. Es
besteht aus Netzen von Bindegewebe mit feinen elastischen Fasern und
platten, rundlichen Kernen; es enthält gewöhnlich zerstreute Knochenabla-
gerungen und Plättchen oberflächlichen Knochengewebes.
158 GEHÖRORGAN.
Im Vorliof und den Bogengängen ist der länglich ovale Sack
{Sacculus oUoyigtis s. Utricidus) mit den häutigen Bogengängen enthalten.
Durch den Aquaeductus vestibuli geht noch ein Gang {Canalis utriculo-sac-
cularis).
Der ovale Sack liegt im Recessus ellipticus, nach oben reicht er bis
zur Pyramis vestibuli, nach unten geht er in die Ampulle des hinteren Bogen-
ganges über, innen ist er durch Bindegewebsnetze (Ligg. labyrintho-saccularia)
befestigt. Der längliche Sack ist schlauchförmig, quer abgeplattet; aussen,
vorn und unten ist er von der Wand des Vorhofes durch einen Zwischenraum,
den Sinus perilymphaticus vestibuli (Odenius), getrennt und geht hier nach
oben und aussen in die häutigen Bogengänge über.
Die drei häutigen Bogengänge (Canales semicirculares membra-
nacei) sind Fortsätze des Sackes, sie liegen auch mit einer Seite und nament-
lich an der vom Centrum der Krümmung entfernten Wand des Canales der
Knochenwand an. Die häutigen Gänge haben einen elliptischen Querschnitt,
dessen kleiner Durchmesser zur Knochen wand perpendiculär steht; nur der
Durchschnitt des äusseren Ganges nähert sich mehr der Kreisform. Ent-
sprechend den fünf Oeffnungen der knöchernen Bogengänge setzen sich aus
dem elliptischen Sacke auch fünf häutige Gänge, welche an der Stelle der
Ampullen auch drei häutige Ampullen (Ampulla membranacea superior, ante-
rior et posterior) bilden, fort. Diese Ampullen füllen die knöchernen fast
aus, während die häutigen Gänge sich in ihrem Durchmesser bedeutend von
den knöchernen unterscheiden: ihr Durchmesser verhält sich zu dem der
knöchernen, wie 1:2 — 3. Die häutigen Gänge sind mit dem Periost durch
Bindegewebsbälkchen verbunden. Ihr grösserer Durchmesser misstO'5 — 0'58 mm,
ihr kleinerer 0*4 — O'Smm. Die Länge der Ampulle beträgt längs der Achse
des Bogenganges 2'2b mm, ihr Querdurchmesser 0-blmm.
Das Gewebe dieser häutigen Theile ist seiner Structur nach dem Ge-
webe des Periost analog; auch hier findet man Netze aus Bindegewebe und
elastischen Fasern, zwischen welchen rundliche und ovale Kerne gelegen sind.
In diesen Netzen liegen feine Arterien und Capillargefässnetze. Auf diese
Propria folgt nach innen eine Basalmembran, die mit einer Schicht Pflaster-
epithel bedeckt ist. Die Mitte der zur Achse gerichteten Wand des Bogens
ist innen mit cubischen, oft gelbes Pigment enthaltenden Elementen über-
zogen; dieses Epithelium bildet einen Streifen {Eaphe, Hasse), w^elcher als
Naht der Falten des Labyrinthbläschens, aus der sich die Röhre bilden soll,
betrachtet wird; der Streifen geht auch auf die als Dach bezeichnete Am-
pullenwand über (Hasse).
Der Boden der häutigen Ampullen ist an der Verlängerung des con-
vexen Knochen canalrandes befestigt; an seiner inneren, dem Dache gegen-
überliegenden Wand erhebt sich die letztere als querer, sichelförmiger Wulst
{Crista ampullaris) mit zwei verbreiteten, abgerundeten Enden; er umfasst
ungefähr ^s des Umfangs der Ampulle. Die abgerundeten Enden sind von
einem halbmondförmigen Saum (Planum semilunatum) umgeben, der beim
Menschen gewöhnlich schwach ausgesprochen ist. Der Wulst liegt dem Sacke
näher, als der Bogengangsöffnung. Die Propria des Wulstes besteht aus
bindegewebiger, gefässreicher Grundlage, ihre Oberfläche ist mit Cylinderzellen
bedeckt, in denen die Nervenfasern beginnen. Auf ähnliche Weise ist die
Wand des elliptischen Sackes, welche zu den Maculae cribrosae gewandt ist,
ungewöhnlich dick; dieses ist die Macula acustica; sie ist elliptisch, ihr län-
gerer Durchmesser verläuft von der Pyramis vestibuli gegen das hintere Ende
des ovalen Fensters; mit der. Wand des Recessus ellipticus ist sie durch
Bindegewebe verbunden, hier gehen Gefässe und Nerven durch. Ueberhaupt
ist das Gewebe der Macula acustica, ebenso wie das der Crista acustica sehr
reich an Gefässen.
GEHÖRORGAN. 159
Die Epithelzellen der Macula und Crista acustica dienen den von hier
ausgehenden Nervenfasern zum Anfang. Man unterscheidet hier Haarzellen
und Fadenzellen, die ersten sind, wie man meint, die nervösen Elemente, die
zweiten werden als Stützzellen angesehen (Retzius).
Die Haarzellen sind körnig, enthalten einen runden Kern und enden an
der Oberfläche mit einem Härchen, das aus noch feineren Fasern zusammen-
gesetzt sein soll (Retzius). Die Epithelhaare an der Macula acustica sind
stärker entwickelt, als an der Crista.
Die Fadenzellen sind verschieden geformt: spindelförmig, flaschenförmig
oder langgezogen und mit erweiterten Enden, sie füllen die ZAvischenräume
zwischen den Haarzellen aus und werden daher als Stützzellen angesehen.
Die Oberfläche der Epithelialschicht von Crista und Macula ist mit einem
dünnen Häutchen {Oupula) bedeckt. Diese Cupula ist aber wahrscheinlich
kein Häutchen, sondern ein durch die angewandten Härtungsraittel (wie z. B,
Osmiumsäure, Chromsäure, Alkohol) hervorgerufenes Kunstproduct; am Leben-
den sind die Härchen von einer flüssigen oder gallertigen Substanz, welche
von den Härtungsmitteln gerinnt, die Epithelhaare verklebt (Hensen) und
dadurch ein künstliches Häutchen bilden kann, umgeben.
Das elliptische Säckchen und die häutigen Bogengänge werden durch die
in ihnen enthaltene Flüssigkeit {Endolympha) in einer gewissen Spannung
erhalten. Zwischen den häutigen Theilen und dem Periost des Vorhofes und
der Bogengänge befindet sich auch Flüssigkeit {Perüi/mphä). Im Vorhof bildet
sich zwischen dem elliptischen Sack und der Aussenwand ein grosser peri-
lymphatischer Raum {Cysterna penhjm^ohatica), welcher 3 mm tief ist. Die
Flüssigkeit ähnelt ihren chemischen Bestandtheilen nach dem Serum. An der
Crista und der Macula acustica ist sie schleimig, und in der schleimigen
Flüssigkeit der Macula schwimmen kreideweisse, kleine Krystalle (OthoUthen),
welche aus kohlensaurem Kalk bestehen. Unter dem Mikroskop gesehen,
sind es sechsseitige Prismen mit stumpfwinkelig zugespitzten Enden.
Der häutige Theil des Aquaeductus vestibuli beginnt mit einem
Gange aus dem elliptischen und einem aus dem runden Sacke; der erste ist
der Canalis utriculo-saccularis, der zweite der Ductus endolymphaticus; vereint
geht der Gang durch den entsprechenden knöchernen Canal zur Hintei^äche
des Felsenbeins, zwischen dem inneren Gehörgang und dem Sulcus trans-
versus, wo er als Blindsack (Saccus endolymphaticus) endet. Dieser Blind-
sack soll hier zwischen zwei Blättern der Dura mater eingeschlossen sein.
Seine Structur entspricht derjenigen des häutigen Labyrinthes. Der Aquaeductus
vestibuli spielt die Rolle eines Abzugscanales, der die Spannung im häutigen
Labyrinth regulirt; dieses folgt: 1. aus seiner Structur; die fibröse Wand
bildet im Canal Zotten, die Capillargefässe enthalten (Böttcher); am Eingang
in den Canal sind die Wände dicht mit Zotten besetzt, w^eiter nach vorn
nehmen sie ab und verschwänden endlich ganz; diese Zotten entsprechen
den Synovialfortsätzen der Gelenke; 2. folgt es noch daraus, dass der Knochen-
canal die Vena aquaeducti vestibuli, die in den Sinus petrosus superior
mündet, enthält (Henle).
Der häutige Theil der Schnecke besteht aus dem runden Sacke
Sacculus rotundus) und dem Schneckengang (Ductus cochlearis).
Der runde Sack liegt im Recessus sphaericus und hat die Form einer
runden, stark plattgedrückten Blase mit schmalem Halse. Gleich neben dem
Eingang zur Vorhofstreppe liegend, hängt dieser Sack durch Bindegewebe,
Gefässe und Nerven innig mit der unteren siebförmigen Grube der Innenwand
des Vorhofs zusammen. Er berührt die vordere innere Fläche des ellip-
tischen Sackes, so dass beide Säcke nur durch eine Wand getrennt sind. Der
Hals {Canalis reuniens) geht nach unten und vorn und dann unter fast rech-
tem Winkel auf die oi3ere Wand des Vorhofsendes des Schneckenganges, um
160
GEHÖRORGAN.
hier zu enden. Lateralwärts von diesem Uebergang liegt ein Blindsack, der
Anfangstheil des Schneckenganges oder der Vorhofsblindsack. An der fixirten
Wand des Sackes befindet sich die länglich ovale Macula acustica sacculi;
die Structur dieser Macula, sowie auch der Wände wiederholt in allen Stücken
diejenige der entsprechenden Theile des ovalen Sackes. Wie schon erwähnt,
nimmt ein Schenkel des Ductus endolymphaticus am runden Sack seinen
Anfang. (Fig. 4.)
Fig. i. Sclinitt durch die Mitte der Sclineoke (Schaeffer).
a Scala tympani, 6 Scala vestibuli, c Membrana vestibularis, d Membrana basilaris, e Membrana teotoria,
f Ganglion spirale.
Der Schneckengang (Ductus cochlearis) ist eine prismatische Röhre,
die an beiden Enden blind ausläuft. Sie beginnt mit dem schon erwähnten
Vorhofsblindsack und endet an der letzten Schneckenwindung mit dem Kuppel-
blindsack (Reichert). Sie ist im Querschnitt von drei Wänden begrenzt; die
äussere liegt der Knochenwand der Schnecke an, die vordere ist gegen die
Scala vestibuli, die hintere gegen die Scala tympani gerichtet. Die beiden
letzteren treffen unter spitzem Winkel an der Lamina spiralis zusammen. Die
Aussenwand ist mit der Beinhaut verschmolzen, die hintere oder tympanale
Wand wird als Grundraembran (Membrana basilaris), die vordere oder vesti-
buläre als Membrana vestibularis beschrieben. Diese Wände sind gespannt;
der vordere und der innere Winkel sind scharf, der hintere aber stumpf ab-
gerundet, da die Grundmembran des Schneckenganges in einen im Querschnitt
dreieckigen Vorsprung, das Ligamentum spirale, übergeht. Zum Lumen des
Schneckenganges hin befindet sich an der Grundmembran der acustische
Apparat, in welchem die Nerven des Gehörapparates ihren Anfang nehmen.
Die knöcherne Lamina spiralis besteht aus zwei dünnen Lamellen festen
Knochengewebes, zwischen welchen radienartig feine Canäle am Rande des
Blattes zur Schneckenachse gehen. Am freien Rande des Blattes, besonders
an der vestibulären Lamelle verläuft ein sich verdickender Rand (Limbus
laminae spiralis) der, in der Richtung zum Schneckengang in zwei Lippen,
Labium vestibuläre und Labium tympanicum, ausläuft; zwischen beiden Lippen
befindet sich eine Furche, Sulcus spiralis. Der hyaline Rand nimmt in der
Richtung von der Basis zur Spitze allmählich an Breite und Höhe ab. Die
GEHÖRORGAN.
161
tympanale Lippe geht in die Grundmembran über, die freie Oberfläche des
Labium vestibuläre aber ist mit warzenförmigen Erhöhungen von verschie-
dener Grösse, welche sich von der Basis nach oben erweitern und von ellip-
tischer oder kreisrunder Form sind, bedeckt. Je naher zum freien Rande der
Lippe, desto mehr nehmen sie eine geneigte Lage an, so dass sie am Rande
selbst eine Reihe horizontaler Fortsätze bilden; hier haben sie mehr die Form
von Zähnen und werden daher Gehörzähne genannt. Sie sind platt, am freiem
Rande zugeschärft, quer convex und an der Basis schmäler, als am freien
Rande. Ihre Anzahl steigt längs des Schneckenganges von 2000 bis 2500.
Zwischen den Warzen befinden sich Furchen und zwischen den Zähnen
Spalten, welche alle von einer körnigen Masse ausgefüllt werden. An den
Warzen nimmt die Membrana tectoria ihren Anfang. Der Structur nach be-
steht der häutige Rand aus Bindegewebe, das von der Beinhaut des Knochens
ausgeht, die Bündel verflechten sich und dringen, der Achse der Warzen
parallel, in dieselben ein; am freien Ende der Warzen gehen sie in hyalines
Gewebe mit sternförmigen Körpern, welches sich beim Kochen nicht ver-
ändert, über; weiterhin verlieren sich diese Körperchen, und das Gewebe wird
ganz structurlos, glasartig.
Nach aussen vom häutigen Rande und den Warzen nimmt am Periost
der Lamina spiralis das vestibuläre Blatt des Schneckenganges, die Mem-
brana Vestibül aris (Reissner), seinen Anfang. Sie geht zur Aussenwand
der Schnecke, mit der sie verschmilzt, und scheidet das Lumen des Schnecken-
ganges von der Vorhofstreppe. Sie ist sehr dünn und straff gespannt; der
Structur nach entspricht sie den übrigen Theilen des häutigen Labyrinthes;
die zum Lumen des Schneckenganges gekehrte Fläche ist mit einfachem,
kleinzelligem Epithel bedeckt. (Fig. 5.)
Fig. 5. Schnitt durch die Basalwindung des Schneckenganges (G. Eetzius).
a Ductus Cochleae, h Merabrans vestibularis, c Membrana basilaris, d Limbus spiralis, 6' Mem-
brana tectoria, / Siücus spiralis, g äussere obere Zellen, h Stützzellen, / innere Stäbchen,
k äussere Stäbchen, l innere obere Zellen, m Nervenfasern, n Stria vascularis,
0 Ligamentum spirale.
Ohren-, Nasen-, Eachen-, Kehlkopfkrankheiten.
11
162
GEHÖRORGAN.
Die Grundmembran {Membrana hasilaris) ist, wie bereits gesagt,
eine P'ortsetzung des Labium tympanicum, sie geht nach aussen zur Aussen-
wand der Schnecke, wo sie in das Lig. spirale übergeht. Diese Membran
begrenzt den Schneckengaug von der Paukentreppe her; sie nimmt von der
Basis zur Spitze an Breite zu, so dass diese beiden Theile sich wie 1:2'5
verhalten, während die Lamina spiralis in dieser Richtung abnimmt. Auf
der zum Lumen des Schneckenganges gerichteten Seite der Membran befindet
sich der acustische Apparat; man unterscheidet hier einen inneren Theil, auf
dem die Stütze des äcustischen Apparates — die Gehörstäbchen, gelagert sind
— die Zona arcuata, und den äusseren faserigen Theil, die Zona pectinata,
welche sich von der Basis zur Spitze erweitert (wie 1:3). Von den Schichten
der Grundmembran setzt sich die Hauptschicht unmittelbar in das Labium
tympanicum fort; diese Schicht ist structurlos, ihre äussere Hälfte ist stärker
als die innere. Auf der tympanalen Seite der äusseren Hälfte befinden sich
warzenförmige, kleine Erhöhungen von rundlicher Formx. Die vestibuläre
Fläche der structurlosen Membran ist mit einer Schicht querer, feiner, dicht
gedrängter, wie Saiten eines Instrumentes gespannter Fasern bedeckt, die
radiär verlaufen; sie sind stark, brechen leichter, als dass sie sich biegen und
sind auf der Zona pectinata besonders scharf ausgesprochen; bei einer Länge
des Ductus cochlearis von 33- b mm soll ihre Anzahl 13400 betragen. Die
tympanale Fläche der Membran ist mit longitudinalen Fasern, die der Achse
der Paukentreppe parallel sind, bedeckt; es sind dies Bindegewebsfasern mit
ovalen und spindelförmigen Kernen; sie bilden einen Streifen der Zona arcuata
entsprechend und einen Streifen längs des Lig. spirale, während sie die Zona
pectinata frei lassen.
Der acustischeEndap parat ( Organon Corti, Papilla spiralis Hensen)
besteht aus den Gehörstäbchen, welche mit der Lamina reticularis, den unteren
Deckzellen und den Stützzellen das Stützgerüst bilden, von welchem die soge-
nannten Nervenzellen und die Fasern des Nervus Cochleae getragen werden.
Die Zwischenräume werden von Zellen und Körnermassen ausgefüllt und der
ganze Apparat wird von der Membrana tectoria bedeckt. Die Treppen sind
mit Perilymphe, der Schneckengang zwischen Membrana tectoria und Mem-
brana vestibularis aber mit Endolymphe angefüllt. (Fig. 6.)
yig. 6. Schnitt durch den äcustischen Apparat (Gr. Retzins).
e.
Wie in Eig. 5.
Die Gehör Stäbchen {Bacilli acustici) sind die Hauptstütze des Appa-
rates; sie stehen in zwei Reihen (innere und äussere Stäbchen), die zusammen
ein (jewölbe bilden; doch übertreffen die inneren die äusseren an Zahl, dieser
GEHÖRORGAN. 163
sind 7—8, jener 12 enthalten. Jedes Stäbchen besteht aus dem Fuss- und
dem Kopfende und dem Körper; es ist S-förmig gekrümmt, heftet sich mit
dem Fuss an die Membrana basilaris, während die Kopfenden sich zu einem
Bogen verbinden und so, wie gesagt, das Gewölbe bilden.
Die inneren Stäbchen sind dichter aneinander gedrängt als die
äusseren. Ihr Fuss ist dreieckig und platt, ihr Körper aber ist im Quer-
schnitt elliptisch und rund und ist so gebogen, dass unten die concave Seite
nach oben und innen, am Kopfende aber zur Membrana basilaris gerichtet
ist. An dem verdickten Kopfende befindet sich eine lateralwärts gerichtete
concave Gelenkfläche, in die der entsprechende Kopf der äusseren Stäbchen
eindringt. Nach innen läuft das Kopfende in einen kurzen, spitzen Fortsatz
aus, je zwei dieser Fortsätze begrenzen einen nach innen (zum Limbus spi-
ralis) gerichteten halbovalen Ausschnitt, in dem das obere Ende der inneren
Stäbchen Platz nimmt. Lateralwärts geht vom Kopfende eine vierseitige
Platte, die von oben den Gelenkkopf deckt, ab; derselbe endet vorn mit einem
geraden äusseren Eande, der die Lamina reticularis begrenzt. Diese Platten
sind hell mit Längsstreifen versehen.
Die äusseren Stäbchen sind länger als die inneren. Sie haben
glockenförmige Fussenden, ihr Körper ist ebenso gebogen, wie bei den inneren
Stäbchen, er ist cylindrisch; ihr Kopf ist nach innen gewölbt und bildet mit
der Pfanne der inneren Stäbchen ein Gelenk. Lateralwärts gehen von den
Kopfenden dünne cylindrische Fortsätze, die mit eingebogenen Piändern be-
ginnen und nach ihrem äusseren Ende hin ruderförmig sich erweitern, diese
Fortsätze sind an der Schneckenbasis am kleinsten und nehmen in der Piich-
tung zur Spitze an Länge zu; sie werden Phalangenfortsätze genannt und
dienen zur Befestigung der Lamina reticularis.
Die Stäbchen sind hyalin und elastisch. Unter Einwirkung von Chrom-
säure erscheinen in ihnen Bündel feiner Fasern, die von einer sehr zarten
Hülle umgeben sind. Die Fussenden lassen deutliche Fasern unterscheiden;
einzelne dieser Fibrillen sollen direct in die Saiten der Zona pectinata über-
gehen (Böttchek).
Die Lamina reticularis ist eine Schicht structurloser, biscuitför-
miger Platten, die an den Kopfenden der Gehörstäbchen beginnen, und reicht
bis zur Aussenwand der Schnecke. Diese Platten sind in der Mitte schmal,
mit concaven Rändern, an den Enden aber sind sie schaufelartig erweitert,
wobei sich die geraden Seitenränder den Enden zu nähern, sie werden
Phalangen genannt und nach den Reihen, in denen sie liegen, als Phalangen
der ersten, zweiten, dritten u. s. w. Reihe bezeichnet. Der Aussenrand der
Platte des inneren Stäbchens, so wie die benachbarten, concaven Ränder des
Phalangenfortsatzes der äusseren Stäbchen begrenzen eine Oeffnung, welche
von dem inneren Endrande der Phalangen der ersten Reihe geschlossen wird.
In dieser Oeffnung befinden sich die oberen Enden der äusseren Zellen. Von
dem Endrand des Phalangenfortsatzes der äusseren Stäbchen, den concaven
Rändern der ersten Phalangenreihe und dem inneren Endrande der zweiten
Phalangenreihe werden die folgenden Oeflnungen gebildet, die wieder von Zellen
ausgefüllt sind, und auf dieselbe Weise folgen die Phalangen der zweiten und
dritten Reihe u. s. w. Lateralwärts geht die Lamina reticularis in ein kurzes
Netz mit unregelmässig viereckigen Maschen, das schliesslich als Fasern
im Lig. Spirale oder der Membrana basilaris endet, über. Die Phalangen haben
mehr oder weniger regelmässige Form, und daher ist das ganze Gewebe von
dem entsprechenden Aussehen.
Die Lücken in der Lamina reticularis und in der Membrana basilaris
werden von Zellen ausgefüllt, die auch medianwärts von den inneren Stäb-
chen lieg;en. Es sind äussere und innere, obere Deckzellen (CoRxi'sche Zellen),
äussere, untere Deckzellen (DEiTER'sche Zellen, Haarzellen). Von diesen Zellen
11*
164 GEHÖRORGAN.
werden die oberen Deckzellen für Nervenzellen gehalten; die unteren Deck-
zellen und die lateralwärts gelegenen Stützzellen (Hensen) sind alle als zum
Gerüste gehörig anzusehen.
Die oberen, äusseren Zellen befinden sich mit ihren oberen Enden
in den Maschen der Lamina reticularis; sie sind in drei bis vier Reihen auf-
gestellt, an der Spitze der Schnecke sollen sogar fünf Reihen vorkommen
(Retzius). Sie sind länglich, verschmälern sich nach unten, sie sind fein-
körnig und mit Kern und Cilien an der oberen Endfläche, welche über die
Oefi'nung der Lamina reticularis emporragt, versehen. Ihr unterer Fortsatz,
der bis zur Membrana basilaris gehen soll, wird angezweifelt (Retzius).
Die unteren, äusseren Zellen beginnen an der unteren Fläche der
Phalangen als dünne Fäden und reichen nach unten bis zur Membrana basi-
laris, wobei sie sich erweitern, und enthalten einen Kern. Zwischen ihren
erweiterten Theilen befinden sich die unteren Enden der oberen Zellen. Weiter
nach aussen, der Schneckenwand näher, gehen diese Zellen in Stützzellen über
(Hensen); sie haben die Form eines Fächers, sind oben breiter als unten und
enthalten feinkörniges Protoplasma und einen Kern. Nach unten und aussen,
beim Uebergang in das Lig. spirale, befindet sich eine Reihe cylindrischer
und cubischer Zellen, welche stark granulirt sind und unten einen Kern haben;
sie gehen in das Epithelium der äusseren Schneckenwand über.
Die oberen, inneren Zellen zwängen sich mit ihrem oberen Ende
in den halbovalen Ausschnitt der inneren Stäbchen hinein; sie sind cylindrisch,
granulirt, in ihrem unteren Theil ist ein grosser, runder Kern gelagert. Das
obere Ende ist mit einer cuticulären Deckplatte, auf der sich kleine Stiftchen,
bis 20 an der Zahl, erheben, bedeckt (Retzius).
Zwischen dem unteren Ende dieser Zellen und dem Epithelium des
Labium tympanicum befindet sich eine Schicht Protoplasma mit runden Kernen
und feinen Fibrillen; unter dieser Schicht findet man an der Uebergangsstelle
des Labium tympanicum zur Membrana basilaris quere Schlitze, durch welche
die Nervenbündel dringen, um sich radiär zwischen den Knochenplatten der
Lamina spiralis zu lagern. Ihren Anfang sollen diese Nervenfasern in den
oberen, äusseren und inneren Zellen nehmen. Unter dem Gewölbe der Stäb-
chen werden alle Zwischenräume von rundlichen Kernen und granulirter
Substanz ausgefüllt.
Der acustische Apparat wird von der Membrana tectoria (Claudius) s.
Membrana Coeti bedeckt; diese beginnt am Limbus spiralis und erstreckt
sich bis zu den Stützzellen. Gewöhnlich wird sie in drei Zonen getheilt. Die
innere ist zart und hyalin und beginnt lateralwärts von der Befestigung der
Membrana vestibularis; sie liegt auf den Warzenfortsätzen des Labium vesti-
buläre, mit denen sie durch ihre Maschen, wie ein Knopf mit dem Knopfloch,
verknüpft ist. Die Zone reicht bis zum Rande des Labium vestibuläre und geht
hier in die zweite Zone, welche sich durch ihre streifige Structur auszeichnet,
über. Die Streifen der zweiten Zone sind leicht gewellte, feine Fasern, welche
in schräger Richtung gehen. Dieser Theil ist, besonders der Wölbung der
Stäbchen enttprechend, dicker. Die dritte Zone bildet ein Netz hyaliner
Bälkchen; wie die Membran lateralwärts endet, ist zweifelhaft.
Die Blutgefässe des Labyrinthes gehören insgesammt der Art.
auditiva interna, die aus der Art. basilaris kommt, an. Wie schon erwähnt,
stehen sie ganz isolirt da (Hyrtl, Eichler). Die Art. auditiva interna tritt
durch den inneren Gehörgang in das Labyrinth und theilt sich hier in die
Art. vestibuli und Art. Cochleae, von welchen jede zu dem entsprechenden
Theile geht. Die Aeste der Art. vestibuli dringen mit den Aesten der Vor-
hofsnerven in den Vorhof und dann zum ovalen und runden Sack und zu den
Bogengängen. Jeder Bogengang erhält je einen Ast von dem ampullären
und von dem entgegengesetzten Ende, welche sich im höchsten Punkte der
GEHÖRORGAN. 165
Wölbung vereinigen; sie verzweigen sich in den häutigen Bögen und dem
Periost. Die Aeste der Art. Cochleae gehen durch das Foramen centrale in
den Canalis centralis modioli; ebenso begeben sich mehrere Aeste (14 und
mehr) in den Canalis spiralis und durch die Löcher des Tractus spiralis
foraminulentus, durch den Modiolus, zur Lamina spiralis und unten zum
Schneckengang, an dessen Wänden sie anastomotische Bögen erster, zweiter
und dritter Ordnung, wie die Gekrösarterien, bilden (Buesciikt); an der
Aussenwand des Ganges, über dem Lig. spirale, verbinden sich die Bogen
und bilden ein reiches Capillarnetz (Stria vascularis)\ ausserdem verläuft noch
ein spirales Gefäss {Vas spirale) an der tympanalen Fläche der Membrana
basilaris, der Zona arcuata entsprechend.
Die Venen sammeln sich aus dem Canalis spiralis modioli und über-
haupt einigen Aesten der Art. Cochleae und Art. vestibuli in die Vena audi-
tiva interna, die sich in den Sinus petrosus inferior oder den Sinus trans-
versus ergiesst. Ausserdem gehen Venenästchen durch den Aquaeductus vesti-
buli und Aquaeductus Cochleae, das erste ergiesst sich in den Sinus petrosus
inferior, das zweite in die Vena jugularis externa.
Die Lymphgefässe des Labyrinthes sind nur als perilymjjhatische
Käume, die sich vom Subarachnoidalraum aus füllen lassen, bekannt. Im
Aquaeductus Cochleae befindet sich ein Lymphcanal, der als Ductus perilym-
phaticus bezeichnet wird (Hasse) und der mit dem Subarachnoidalraum in Ver-
bindung steht, also auch perilymphatische Räume und Subarachnoidalraum
verbindet.
Die Nerven beginnen im acustischen Apparat, im ovalen und im runden
Sack und den Ampullen der Bogengänge; die aus dem Vorhof kommenden
sammeln sich zum Nervus vestibuli, die aus der Schnecke kommenden zum
Nervus Cochleae; beide zusammen bilden den Nervus acusticus.
Von den Ampullen des oberen und des äusseren Bogenganges und von
der Macula acustica des ovalen Sackes gehen Nervenfäden durch die Macula
cribrosa superior; von der Macula acustica des ovalen Sackes gehen die Fasern
zur Macula cribrosa media, und von der Ampulle des hinteren verticalen
Bogenganges dringen die Fasern durch die Macula cribrosa inferior. Im
inneren Gehörgang vereinigen sich alle diese Fasern in der gangliösen An-
schwellung (Intumescentia ganglioformis), aus welcher der Stamm des Nervus
vestibularis hervorgeht. In den äusseren und inneren, oberen Nervenzellen
des acustischen Apparates beginnen, wie man glaubt, feinste Nervenfibrillen
ohne Markscheide, die äusseren dringen zwischen je zwei benachbarten Gehör-
stäbchen, gehen quer durch das von diesen Stäbchen gebildete Gewölbe und
vereinigen sich zu Bündeln, die medianwärts von den Stäbchen das Labium
tympanicum durchbohren und, mit Markscheiden versehen, sich unter dem
Labium zwischen die Knochenleisten der Lamina spiralis legen (beim Durch-
bohren des Labium tympanicum kommen auf vier Zähne des Labium vesti-
buläre vier bis sechs Nervenbündel); weiter gehen sie bis zum Canalis cen-
tralis modioli, wo sie durch Einlagerung von bipolaren Nervenzellen an-
schwellen (Ganglion spirale); von dieser Anschwellung dringen die Nerven-
fasern durch die Knochencanäle des Modiolus zum inneren Gehörgang, wo
sie sich zum Nervus Cochleae vereinigen und mit dem Nervus vestibuli den
Nervus acusticus bilden. Der Nervus acusticus liegt im inneren Gehörgang
neben dem Nervus facialis und erreicht in seinem weiteren Verlauf den hin-
teren Theil des Pedunculus cerebelli ad pontem, wo er dem Pons Varolii an-
liegt. Weiterhin können die Fasern des Nervus acusticus bis zur Area acu-
stica am Boden der Rautengrube verfolgt werden; die hier befindlichen Kerne
sind mit dem vorderen Theile des Cerebellum und durch die tiefere Schicht
des Mesencephalon mit dem hinteren Theile des Gyrus temporalis verbunden.
166 GLOTTISKRÄMPFE.
Nachdem wir nun den anatomischen Bau des Gehörorgans kennen gelernt
haben, wollen wir uns das oben von der Function desselben Gesagte noch-
mals ins Gedächtnis zurückrufen (vergl. auch Artikel „Hören'-'-). Wir haben also
am Gehörorgan zwei Apparate, den eigentlichen acustischen Apparat und die
Bogengänge, zu unterscheiden. Der erstere ist seinen anatomischen Verhältnissen
nach am besten dazu geeignet, die von aussen kommenden Eeize durch die Ner-
venfasern den reflectorischen Kernen und den psychosensitiven Kernen, wo sie
sich als Gehörempfindungen äussern, zu übermitteln. Die Bogengänge sind so
gelagert, dass die Resultirenden derselben, wenn sie dreimal in Gruppen von
je zwei nebeneinander liegenden Bogengängen genommen werden, mit den Haupt-
ebenen des Körpers (der horizontalen, frontalen und sagittalen) zusammen-
fallen. Aus diesem Grunde muss jede, von einer mehr oder minder schnellen
Bewegung hervorgerufene Erschütterung, durch die festen Theile des Körpers
geleitet, einen der Gänge treffen. Der hiermit verbundene psychosensitive
Effect dient als Kriterium für die Schnelligkeit der Bewegung. Wenn die
Bogengänge am lebenden Thiere zerstört sind (Versuche von Flourens), so
wird es damit dieses Kriteriums beraubt, und ist nicht imstande, auf die von
ihm ausgeführten Bewegungen, besonders auf die des Kopfes, einzuwirken.
Auch dem acustischen Apparat können Reize durch die festen Theile des
Körpers übertragen werden: man kann Taubstumme sprechen lehren, in-
dem man mit dem schmalen Ende eines dicken Papiertrichters die Ohr-
muschel umfasst, den Trichter an den Kopf drückt und dann einfache Silben,
wie Ma— ma, Pa — pa u. s. w. gedehnt und deutlich ausspricht, nach mehrmaliger
Wiederholung fängt der Taubstumme an, die Laute zu imitiren, und kann
bei genügender Ausdauer und sehr langsamer Uebung das Sprechen lernen.
Doch ist dieser Erfolg nicht immer zu erzielen, wahrscheinlich nur in den
Fällen, wo das Labyrinth mit allen seinen Theilen nicht deformirt ist.
P. LESSHAFT.
Glottiskrämpfe. Es wird zwar gewöhnlich unter „Glottiskrampf"
kurzweg eine ganz bestimmte Kehlkopfneurose verstanden, nämlich
jene, wobei die Glottis während der ganzen Dauer des Athemzuges durch den
Glottisschluss verengt ist; doch existiren auch noch andere Affectionen
im Bereiche der Stimmritze, welche theils den Namen Glottis- oder genauer
Stimmritzenkrampf mit bezeichnenden Beisätzen wirklich führen, theils unter
anderem Namen einen Krampfzustand an der Glottis zum Wesen haben.
Schon der Verschluss des Kehlkopfes beim Schlucken und Erbrechen
sowie die anhaltende Erweiterung beim Seufzen und Gähnen gehen mit
krampf-, wenn auch nicht krankhaften Muskelcontractionen einher, noch
bestimmter der gewöhnliche und der Keuchhusten, welche man aber nicht zu
den Kehlkopfneurosen, mit denen wir uns hier allein beschäftigen wollen,
zählt. Unter diesen letzteren nun finden wir mehrere Arten von spasmodischen
Motilitätsstörungen, welche wir am einfachsten nach den typisch betrof-
fenen Athmungsphasen folgendermaassen gruppiren wollen:
1. Während der Inspiration und Exspiration andauernd; es sind dies
der bereits erwähnte ^^Sjyasmus glottidis'-' und jene Kehlkopfkrämpfe, welche
während schwerer Hustenanfälle, am typischesten in den ^.^Larynxhisen'-^ der
Tabetiker, Athemnoth und Erstickungsanfälle verursachen.
2. Während der Inspiration allein auftretend, und zwar:
a) nur die Glottisschliesser,
h) nur die Glottiserweiterer betreffend. Unter a) fällt der „inspirato-
rische functionelle Stimmritzenkrampf" und der „klonische Stimmritzenkrampf
der Neugeborenen und Säuglinge"; von h) liegt nur eine einzige anerkannte
Beobachtung, von Pitt während eines Lyssaanfalles gemacht, vor.
GLOTTISKRÄMPFE. 167
3. Während der Exspiration allein auftretend, und zwar:
a) bei der Intention zu sprechen im „phonischen lunctionellen Stimm-
ritzenkrarapfe" (ein laryngoskopisch gleich-, in Bezug auf seine Andauer
aber andersgearteter Krarapfzustand ist mehrfach auch beim Stottern fest-
gestellt worden);
h) combinirt mit krampfhaften Contractionen der exspiratorischen
Muskulatur im „nervösen Kehlkopfhusten" und im „Ictus laryngis".
4. In den einzelnen Fällen während bestimmter unterschiedlicher Athmungs-
phasen auftretend, ohne aber im allgemeinen fühlbare Beschwerden hervor-
zurufen; hierher gehören einige Beobachtungen der „Zitterbewegungen der
Stimmbänder".
Warum in dieser Eintheilung die Larynxkrisen und der Ictus laryngis
in verschiedene Gruppen gesetzt worden sind, trotz des beiden gemeinsamen
Symptomes des Hustens, ist damit zu rechtfertigen, dass beim Ictus laryngis
der andauernde Glottiskrampf sehr in den Hintergrund tritt.
Semon rechnet in seinem jüngst veröffentlichten, von ihm selbst als
provisorisch bezeichneten Systeme der Kehlkopfneurosen den „Spasmus glot-
tidis", die Larynxkrisen, den Krampf der Glottiserweiterer, den nervösen
Kehlkopfhusten und den Ictus laryngis zu den hyperkinetischen (Kräm-
pfen), den inspiratorischen und phonischen functionellen Stimmritzenkrampf
und die Zitterbewegungen zu den parakinetischen Motilitätsneurosen
(Coordinationsstörungen) des Kehlkopfes.
I. Der „Glottiskrampf" im enteren Sinne, Spasmios glofiidis, respirato-
rischer Stimmritzenkrampf.
Man versteht darunter einen plötzlich auftretenden krampfhaften Anfall
von Athemnoth, verursacht durch einen längerdauernden Verschluss der
Stimmritze.
a) Glottiskrampf der Kinder. Derselbe besitzt manche besondere
ätiologische Factoren und verläuft gewöhnlich viel schwerer als jener der
Erwachsenen. Seine Besprechung findet sich in der Disciplin .Jnterne Me-
diän und Kinderkrankheiten''^ dieses Werkes.
b) Glottiskrampf der Erwachsenen.
Aetiologie: Einathmung irrespirabler Gase, Fremdkörper namentlich
beim Fehlschlucken; künstlich hervorzurufen durch Pinselungen des Kehl-
kopfes und Einblasung von Pulvern zumal unter kräftigem Luftstrome. Gleich
Fremdkörpern wirken auch Granulome nach Tracheotomien, sowie Kehlkopf-
polypen, welche sich in der Glottis einklemmen. Diffuse Neuritis des einen
Nervus vagus oder beider Nervi recurrentes vagi, wie auch ein mehr
plötzlicher, also nicht constanter Druck auf dieselben Nerven, der von Aorten-
aneurysmen, bösartigen Mediastinalgeschwülsten, Drüsenschwellungen und
Geschwülsten des Halses oder der Brust ausgeht. Von der Nase bei Polypen-
bildung und Schleimhauthypertrophie, von dem oberen und unteren Rachen,
der Luftröhre und den Bronchien, von einer Schrumpfniere oder einem
schwangeren Uterus ausgehende Reize, Centrale Nervenerkrankungen: Hysterie,
Epilepsie, Chorea, Tetanus, Hydrophobie.
Pathogenese: Nur bei der Neuritis oder Compression der beiden
Nervi recurrentes vagi werden die gesammten von denselben versorgten
Muskeln durch den dir ecten Reiz der Nervenstämme, in allen anderen
Fällen aber vom Centrum für die Innervation der Kehlkopf-
muskeln aus zur Contraction gebracht. Bei dieser Contraction der gesammten
Muskeln (ausser der Cricothyreoidei) haben aber die Glottissch Hesse r,
wie nachgewiesen ist, das Ueb ergewicht über die Glottisöffner, weshalb
ein Kehlkopfverschluss zustande kommt. Allgemein angenommen wird, dass
168 GLOTTISKEÄMPFE.
sich das genannte Nerveneentrum im Zustande erhöhter Reizbarkeit befinden
uiuss, wenn es schon durch geringere oder entferntere Reize zu einer so ener-
gischen Thätigkeit angeregt werden kann; man findet denn auch in der That
den Glottiskrampf vorzugsweise bei neurasthenischen und nervösen
Individuen.
Symptome: Mitunter nach Husten, meist aber ganz unvermittelt setzt
der Anfall mit den bekannten lauttönenden Inspirationen und dem Ringen
nach Luft ein. Durch die gewaltsame Einathmung kann Luft in den Magen
gezogen werden, von wo sie als Ructus wieder entweicht. Schwere Fälle
führen zur Cyanose und zum momentanen Schwinden des Bewusstseins infolge
Kohlensäurevergiftung, Convulsionen finden sich fast nur bei Hysterie. Ein
tödlicher Ausgang ist bei Erwachsenen höchst selten und kaum anders
denkbar als bei Einklemmung von Fremdkörpern und Polypen; doch soll er
wiederholt nach einfachen Pinselungen des Kehlkopfes mit unschädlichen
Medicamenten und trotz Tracheotomie eingetreten sein. Die Dauer der Anfälle
beträgt bis zu einigen Minuten, bei Hysterischen aber selbst bis zu Tagen.
Die Diagnose stützt sich auf die Plötzlichkeit und Kürze der Anfälle
und die völlig freien Intervalle, in welchen Punkten der Verschluss der
Glottis infolge Lähmung der Glottiserweiterer sich entgegengesetzt verhält.
Die Prognose ist ohne schw^eres Grundleiden günstig.
Therapie: Vor allem muss der Arzt selber während eines Anfalles
keine Beunruhigung erkennen lassen! Unter den vielen kleinen Mitteln gegen
den künstlich erzeugten Glottiskrampf sind die einfachsten das Klopfen auf
den Rücken, das langsame Schlürfenlassen von Wasser und die Reizung der
Nasenschleimhaut durch Kitzeln, Salmiak, Schnupftabak; prophylactisch kann
man eine Apnoe durch wiederholte tiefe Athemzüge veranlassen. Energischere
Mittel sind ein kalter Wasserstrahl auf die Magengegend, leichte narkotische
Inhalationen, Sinapismen und heisse Schwämme auf den Hals, Cocainisirung
des Kehlkopfes, Compression der beiden Vagi u. a. Bei lebensgefährlichem Glottis-
verschlusse treten die Intubation und die Tracheotomie in ihre Rechte.
IL Laryiixkrisen {Acces larynges).
Dieser Ausdruck darf keineswegs im Sinne eines kritischen Abfalles,
sondern nur in jenem eines plötzlichen Ereignisses aufgefasst werden. Er
bezeichnet eine besonders der Tabes dorsalis eigenthümliche Neurose des
Kehlkopfes mit den Elementen des Hustens und des respiratorischen Glottis-
krampfes und wird unter dem Sticliworte ^^Larynxkrisen''^ im Speciellen
behandelt.
III. Der inspiratorische, functionelle Stimmritzenkrampf.
Gleich dem klonischen Stimmritzenkrarapf der Neugeborenen und Säug-
linge besteht diese seltene Affection darin, dass die Stimmbänder in einer
ganz perversen Weise während der Inspiration sich einander nähern, statt sich
von einander zu entfernen.
Aetiologie: Aengstliche Patienten können einen gleichen Befund
während der Spiegeluntersuchung aufweisen. Das Leiden betrifft hauptsächlich
jüngere weibliche Personen mit anderen Anzeichen der Hysterie. Es ist
manchmal im Anschluss an Gemüthsbewegungen und einmal als Frühsymptom
der multiplen Sklerose beobachtet worden. Pathogenetisch ist anzunehmen,
dass eine Miterregung des Centrums für die Glottisverengerer durch solche
periphere Reize stattfindet, welche normalerweise durch die Vagusbahn nur
zum Centrum für die weniger kräftigen Glottiserweiterer gelangen sollten.
Symptome: Der raschen Entwicklung gehen gewöhnlich keine Vorboten
voraus. Es besteht ein geräuschvoller Stridor, in schweren Fällen sogar
eine hochgradige Dyspnoe bei freier Exspiration und Sprache. Der
Grad der Dyspnoe ändert sich häufig bei demselben Individuum; vor allem ist
GLOTTISKRÄMPFE. 169
die Schlafenszeit, vielleicht mit Ausnahme schwerer Träume, gänzlich ver-
schont. Gefährlich wird der Zustand bei Umwandlung in dauernden Glottis-
schluss und bei Combination mit der nächstfolgenden Neurose.
Die Diagnose ist leicht zu machen, da das Freibleiben der Athmung
im Schlafe und die laryngoskopisch festzustellende Erweiterung der Glottis in
der Inspiration die Posticuslähmung ausschliessen lässt.
Prognose: Es tritt fast stets nach kürzerer oder längerer Zeit plötzliche
Heilung ein, die allerdings häutig nur von kurzer Dauer ist.
Die Therapie bedient sich besonders der antihysterischen Heilmittel
und der Galvanisation des Kehlkopfes.
IV. Der phonische, functionelle Stimmritzenkrampf (Äphonia spastka,
Äphthongia spasiica laryngealis).
Auch dieser Krampf ist selten. Bei ihm ziehen sich die Glottisschliesser,
sowie der Patient sprechen will, übermässig zusammen, so dass den Stimm-
bändern die Möglichkeit zu schwingen benommen wird.
Aetiologie: Es erkranken fast nur Männer und zwar hauptsächlich
Berufsredner. Als Ursachen werden Hysterie, Neurasthenie, vorher-
gegangene Katarrhe, Ueberanstrengung der Stimme angegeben; betreffs
letzterer ist Semon's Beobachtung höchst wichtig, dass alle seine derartigen
Patienten beim probeweisen Vorlesen viel zu selten Athem schöpften und da-
her offenbar zu andauernd ihre Glottisschliesser wie auch ihre exspiratorischen
Kräfte in Anspruch nahmen; er stellt die Affection daher in eine Linie mit
der spastischen Form des Schreibkrampfes und anderen coordinatorischen
Beschäftigungsneurosen.
Die Symptome sind folgende: Anfangs stellt sich nach längerem
Gebrauche der lauten Stimme nur eine vorzeitige Ermüdung oder ein gepresster
Klang derselben ein; ganz allmählich kommt es zu einer doppelten Phonirung
der Vocale und zur Zerlegung der Diphthonge, noch später zu einem
Abbrechen der Stimme nach kurzen Sätzen oder einzelnen Lauten; endlich
kann überhaupt keine laute und in einzelnen Fällen sogar keine Flüster-
sprache mehr gesprochen werden, ja selbst durch Husten, Lachen und forcirte
einfache Exspiration der Krampf zur Auslösung kommen. An letzterem können
sich noch andere Muskeln, z. B. die des Gesichtes und Halses, betheiligen.
Die Inspiration pflegt frei zu sein. Besonders muss bemerkt werden, dass
Anstrengungen zu sprechen den Krampf nur verstärken.
Die Diagnose ist in ausgebildeteren Fällen leicht zu stellen.
Die Prognose liest man bald recht pessimistisch, bald indes soweit gün-
stiger gestellt, als es nach längerer Zeit, die oft mehrere Jahre beträgt,
meistens zur Heilung kommen soll.
Die Behandlung hat vor allem den Stimmgebrauch absolut zu ver-
bieten. Die meisten Heilungen scheinen durch complicirte Athem- und
Sprechübungen erzielt worden zu sein, welche Jonquiere noch besonders mit
Compression des Hypogastriums (Ovarialgegend) verbindet.
V. Der nervöse Husten oder nervöse Kehlkopfhusten.
Vom gewöhnlichen und Keuchhusten unterscheidet er sich dadurch, dass
er nicht mit nachweisbaren physikalischen Veränderungen der Athmungs-
organe zusammenhängt, sondern durch andere periphere oder auch centrale
Reizungen des Hustencentrums verursacht wird.
Die hustenerzeugenden Pieize können vom Auge, dem Ohre, besonders
dem äusseren Gehörgange mit seinem Ramus auricularis vagi, der Nase und
dem Rachen, dem Kehjkopfe, den Eingeweiden des Rumpfes, den Genitalien
ausgehen; nur betreffs des Magens sind die Ansichten entschieden getheilt.
Von pathologischen Zuständen werden Bronchialdrüsentumoren, Neuritis des
Vagus, Krebs der Trachea, Aortenaneurysmen, Eingeweidewürmer, Entzün-
170 GLOTTISKEÄMPFE.
düngen der Leber, Milz und Blase, Cholelithiasis, verschiedene weibliche
Genitalleiden angeschuldigt. Recht häufig verursachen die vier verschiedenen
Mandeln den nervösen Husten, am allerhäutigsten wird wohl der Zusammen-
hang mit Nasenaffectionen und mit Concrementen im äusseren Gehörgange,
und zwar durch den Erfolg der localen Behandlung, erwiesen. Den bekann-
ten Bellhusten in der Pubertätszeit beider Geschlechter (Cynobex hebetis)
führt man gewöhnlich auf das rasche Wachsthum des Kehlkopfes und die
erhöhte Nervenerregbarkeit jener Lebensepoche zurück; Scheck gibt aber an,
ihn sehr häufig bestimmt durch Onanie und andere geschlechtliche Erregun-
gen entstehen gesehen zu haben. Sonst spielen in der Aetiologie noch
die Anämie und Chlorose, Neurasthenie, Hysterie, Epilepsie, Chorea, Tabes,
psychische Eindrücke und — die Nachahmung eine Rolle, nicht aber die
Jahreszeit und Witterung. Die Erkrankten sind zumeist jugendliche Individuen,
bis zu fünf Jahren herab.
Betreffs der Pathogenese meint Stkl-bing, dass der Hustenrefiex infolge
Reizung beliebiger peripherer Zonen stets dann eintritt, wenn einmal eine
gesteigerte Erregbarkeit des Nervensystemes und zweitens eine gleichzeitige
Erregung des Hustencentrums oder der Hustenreflexbahnen durch bestehende
oder kurz vorher abgelaufene Schleimhauterkrankungen der Luftwege vor-
handen ist.
Es werden zwei Formen des nervösen Kehlkopfhustens unterschieden:
1. Die paroxysmale. Sie ist weit seltener aber viel heftiger (bis zu
130 Hustenstössen in der Minute), kann vom Patienten nicht unterdrückt werden
und kehrt mehreremal im Tage, oft zu bestimmten Stunden, wieder. Sie
cessirt im Schlafe vollkommen. Akustische Eigenthümlichkeiten pflegen zu
fehlen.
2. Die continuirliche, rhythmische. Es wird jede oder auch jede
zweite Exspiration von einem Hustenstosse begleitet; während des Essens,
Sprechens, Schlafens, Laryngoskopirens und auch spontan für einige Minuten
pflegt eine Unterbrechung einzutreten. Manchmal gelingt es dem Willens-
einflusse, eine Milderung herbeizuführen. Das Reizgefühl wird häufig dicht
unter den Kehlkopf verlegt. Es können Contractionen der mimischen Gesichts-
muskeln die Hustenanfälle begleiten. Fast alle Autoren stellen die Schädigung
des Allgemeinbefindens und die subjectiven Beschwerden als erstaunlich gering
hin. Der continuirliche Husten besitzt in vielen Fällen einen auffällig lauten
und brüllenden, bellenden oder sonstwie die Umgebung höchst belästigenden
Klang, welcher nach Jurasz einer mangelhaften Spannung der Stimmbänder
und vielleicht einer Betheiligung der Taschenbänder seine Entstehung
verdankt.
Die Diagnose ist bei der paroxysmalen Form keineswegs leicht, da
Entzündungen der Luftwege nur schwer auszuschliessen sind und auch beim
nervösen Husten Schleim ausgeworfen werden kann. Im Anfange der
Phthise, vor dem Auftreten sicherer physikalischer Erscheinungen, kann
ebenfalls ein sehr heftiger Husten mit den Merkmalen eines nervösen sich
einstellen; es sind indes bei ersterem die Intervalle nicht ganz frei.
Die Prognose ist bezüglich des schliesslichen Aufhörens des Hustens
im allgemeinen günstig; es können allerdings bis dahin Wochen und selbst
Jahre vergehen. Recidive sind sehr häufig.
Die Therapie kann gegen Mandelconcremente, Fremdkörper im
Gehörgange, Nasenleiden, geschlechtliche Unarten etc. causal vorgehen.
Von dem neurologischen Heilapparate sind das Änüpyrin und die neuestens
von Semon eindringlichst empfohlenen Reisen auf deiji Meere hervorzuheben.
Einebesonder eArt des nervösen Kehlkopf hustens ist von v. Schrötter
„C/wrm laryngis'^ benannt worden. Dieselbe befällt zartere Individuen jugend-
lichen Alters, besonders Knaben von 8—14 Jahren, zeichnet sich durch einen
GLOTTISÖDEM. 171
ganz besonderen, oft beinahe musikalischen Klang des Hustens aus und ist
mit eigenthümlichen Contractionen anderer Muskeln, z. B. Runzeln der Stirne,
Schütteln des Kopfes verbunden; manchmal kommt sie vor oder nach der
gewöhnlichen Form der Chorea zur Erscheinung. — Es wird übrigens die
Bezeichnung Chorea laryngis für ganz verschiedene Affectionen gebraucht.
VI. Kehlkopfschwindel, Ictus larynfßs, Vertigo laryngea, ist unter die-
sem letzten Stichworte besonders behandelt, bergeat.
Glottisödem. Die Bezeichnung „Oedema glottidis" gilt wissen-
schaftlich für veraltet, seitdem man erkannt hat, dass die Stimmritze nur
in seltenen Fällen der Sitz des Oedemes ist, und dass auch dann fast nie das
Stimmband selbst, sondern nur seine obere oder untere Fläche in Fortsetzung
eines Oedemes der Subglottis oder des; Sinus Morgagni infiltrirt ist. Man
spricht heutzutage nur mehr von ^^Oedema laryngis'-'' und im einzelnen von
„Oedema epiglottidis, sinus Morgagni etc."
Man versteht unter Oedema laryngis die Schwellung umschrie-
bener oder ausgedehnterer Partien des Kehlkopfes infolge
einer serösen Infiltration der Schleimhaut und des submu-
cösen Zellgewebes. Die früheren Autoren seit Anfang des Jahrhunderts
haben jeweils eine einseitige Auffassung von seiner nicht entzündlichen oder
entzündlichen Natur gehabt und in letzterer Beziehung zur Definition die
Bezeichnungen Angina laryngea, oedematosa, Laryngitis oedematosa, L.
submucosa purulenta und seropurulenta, L. phlegmonosa gewählt. Allmählich
ist die Erkenntnis von dem verschiedenen Charakter und der mannigfaltigen
Aetiologie der Oedeme durchgedrungen; dennoch ist bislang keine präcisere
System atisirung als nach dem mehr minder acuten Verlaufe versucht wor-
den, vielmehr hat man sich darauf beschränkt, die erysipelatös-phlegmonösen
Laryngitiden etwas zu sondern und hinter dem verrätherischen Oedeme nach
der jeweiligen eigentlichen Erkrankung zu forschen. Einen nützlichen Vor-
schlag zur Eintheilung hat nun Kuttner gemacht, nämlich, wenn überhaupt,
so höchstens den einfachen und Stauungsödemen die Bezeichnung „Larynx-
ödem" zu belassen, den entzündlichen (infectiösen und nichtinfectiösen) aber
vorerst die allgemeine Bezeichnung ^^Laryngitis suhmucosa acuta^^ beizulegen.
Man hat eine Menge von Ursachen für die Entstehung von Lar}Tix-
ödemen kennen gelernt, welche verschiedene Gruppen bilden. Es sind dies:
die Stauungen, entweder local irgendwo im Gebiete der Vena jugu-
laris communis bis zu den Venae laryngeae oder infolge von allgemeinen
Kreislaufstörungen (Parotissschwellung, Struma, Lymphdrüsenknoten, Oeso-
phaguscarcinom, Operationsnarben, Aortenaneurysma — Herzkrankheiten,
Lungenemphysem, Lebercirrhose) ;
die kachektische Beschaffenheit des Blutes und der Gefässe (Hydrämie
und Anämie, acute und chronische Nierenleiden, Malariakachexie, Recon-
valescenz vom Typhus);
traumatische Ursachen, und zwar sowohl mechanische (Verwundungen
der Weichtheile und Fracturen, Quetschungen, Schnittwunden der Knorpel des
Kehlkopfes, Reizung durch Fremdkörper von mitunter nur ganz geringer
Grösse, wie etwa durch eine Tabakrispe, ja angeblich selbst einfache Pinse-
lungen des Kehlkopfes, gleichgiltig mit welchem Medicamente), als auch
kaustische (heisse Ingesta, heisse Luft, besonders bei Kleiderbränden, Säuren
und Laugen, Ammonium causticum);
Entzündungen am Kehlkopfe selbst oder in dessen Umgebung und
Lymphgefässbezirke (Perichondritis und Synovitis auch infolge des Tiefer-
dringens bösartiger Geschwülste, Infectionen und Erosionen im Kehlkopfe,
manchmal schon der einfache Kehlkopfkatarrh; Entzündungen der Parotis und
172 GLOTTISÖDEM.
Schilddrüse, der Lymphdrü-sen und Wirbel des Halses, der Zunge, des Unter-
kiefers, des Rachens);
die „specifischen" Geschwüre bei Syphilis und Tuberkulose (auch Tuber-
kulin hat ganz ähnliche Erscheinungen hervorgebracht);
acute Infectionskrankheiten (Pyämie, Septikäniie, ulceröse Endocarditis,
Typhus, Variola, Scarlatina, Morbilli, Erysipelas, Cholera (Scheötter), Influenza.
Als ätiologisch isolirte Arten von Oedemen stellen sich derzeit noch
das „angioneurotische" (Strübing) und das „Jodödem" dar.
Das angioneurotische Oedem tritt ohne jede nachweisbare Ursache
auf. Seine grösste Eigenthümlichkeit ist, dass es stets einem acuten umschrie-
benen Hautödeme vorangeht oder auch nachfolgt. Manchmal ist es von Darm-
erscheinungen, von Somnolenz oder psychischen Affecten begleitet. Virchow
hält es für einen Rothlauf, andere erklären es für eine von bestimmten Ner-
venbezirken abhängige vasomotorische Reizung.
Das Jodödem wird nicht häufig und meistens nur zufällig beobachtet,
hat aber in einzelnen Fällen schon innerhalb weniger Stunden zur Tracheo-
tomie geführt. Es tritt manchmal schon nach ganz kleinen Mengen Jod-
kalium, etwa 1 Gramm, und selbst erst einige Zeit nach dem Aussetzen des-
selben auf. Die näheren Umstände bei seinem Entstehen sind bisher gänz-
lich in Dunkel gehüllt.
Noch sind einige Ausdrücke zu erklären, welche zur Aetiologie in
Beziehung stehen. „Symptomatische (Hajek) oder secundäre (Gottstein)
Oedem e" sind jene in der Umgebung specifischer Geschwüre und perichon-
dritischer Herde; „fortgeleitet" sind die Oedeme in der äussersten Peripherie
von Entzündungsherden (Hajek), „idiopathisch" jene, für welche wir ein ander-
weitiges Grundleiden nicht verantwortlich machen können. Es gibt Autoren,
welche nicht geneigt sind, ein idiopathisches Kehlkopfödem anzuerkennen.
Nach Alter und Geschlecht sind die Erkrankten nur selten Kinder,
meistens dagegen Männer im 18. — 50. Jahre.
Pathologisch-anatomisch ist das einfache Oedem, aus seröser Flüssig-
keit mit nur wenigen gerinnbaren und zelligen Stoffen bestehend, und das
entzündliche, mit einem grossen Reichthum an granulirter Substanz und
zahlreichen mit Hämatoxylin nicht zu färbenden Lymphkörperchen, zu unter-
scheiden. In späteren Stadien der Entzündung kann es an den Stellen des
initialen Oedems zu Eiterbildung oder zur Proliferation von Bindegewebe
(„chronisches Oedem") kommen. Der Unterschied in der Zusammen-
setzung der Infiltrationsmasse erklärt es, warum man bei den Sectionen die
Oedeme in ungleichem Maasse collabirt findet und warum ausgeschnittene
Stücke oder scarificirte Stellen eine prompte locale Serumabgabe bald zeigen,
bald selbst unter Fingerdruck, infolge der gelatinösen Gerinnung, vermissen
lassen. Die Bündel des submucösen Gewebes sind hochgradig auseinander-
gedrängt, und ihre Länge ist sehr maassgebend für das Auftreten und die
Ausdehnung des Oedems.
Ueber die Form und Localisation der Kehlkopfödeme haben Hajek's
Untersuchungen mittels experimenteller Infiltration der Submucosa die wert-
vollsten Aufschlüsse gebracht. Es ist hieraus hervorzuheben, dass die Be-
deckung der Aryknorpel, das aryepiglottische Band, die Subglottis, der Sinus
Morgagni und an der Epiglottis die linguale Fläche sowie der Petiolus zur
hochgradigen serösen Infiltration neigen, das Taschenband, die laryngeale
Epiglottisfläche ausser dem Petiolus, das Stimmband und die hintere Kehl-
kopfwand dagegen die Betheiligung am allgemeinen Oedeme vermissen lassen,
was aber ihre Infiltration bei localen Processen nicht ausschliesst; ferner, dass
gewisse Regionen, z. B. die benachbarten Partien der Zunge und des Isthmus,
an vorderen Kehlkopfödemen sich typisch betheiligen und dass endlich bestimmte
. GLOTTISÖDEM. 173
Linien der Weiterverbreitung localisirter Oedeme hochgradig hinderlich sind,
so z. B. der Stimmbandrand.
Laryngoskopisch stellen sich die Oedeme verschieden dar, bald als blass-
gelbliche, pralle, gallertig zitternde, bald sogar als scharlachrothe, mit sehr
dicker Schleimhaut bedeckte Schwellungen. In der Umgebung eines Entzün-
dungsherdes sind sie asymmetrisch und localisirt, bei allgemeinen Hydrops
dagegen symmetrisch und diffus. Nach dem Rückgänge bleibt die Schleim-
haut für einige Zeit schlaft" und gefaltet. In der Talpation fühlen sich die
ödematösen Stellen bald weich, bald auch ziemlich derb an.
Die Symptome variiren sehr, je nach der Localisation, der Intensität
und den Ursachen.
Viele Oedeme gehen wieder zurück, ohne irgendwie lästig geworden
zu sein, und werden nur zufällig entdeckt. Andere, besonders durch Stauung
entstandene, bleiben bei dem Fehlen oder der Geringfügigkeit der Beschwerden
— leichtes Stechen, Kratzen, Fremdkörpergefühl im Halse — ebenfalls lange
unbeachtet. Entzündliche pflegen frühzeitig mindestens Schlingbeschwerden
zu verursachen, welche sich von jenen bei Angina faucium nicht unterschei-
den lassen. Stimmstörungen sind ziemlich constant bei Epiglottisödem, doch
tragen diese ein einfach anginöses Gepräge; wirkliche Heiserkeit wird durch
Schwellung der MoRGAGNi'schen Taschen und der Stimm- und Taschenbänder
hervorgebracht. Eine für Oedem charakteristische Stimme gibt es wohl nicht;
sie wird nur als rauher, tiefer und schnarrend geschildert. Husten und wirk-
licher Schmerz werden durch das Oedem an sich nicht hervorgebracht, Fieber,
und Schüttelfröste sind vorhanden bei allgemeinen Infectionen, welche gelegent-
lich auch den Kehlkopf als Eingangspforte benützen können, wie das Erysipel.
Jenes Symptom, welches die aufmerksamste Beachtung erheischt, ist die
Dyspnoe. Sie tritt dann auf, wenn die inneren Theile des Kehlkopfes
ergriffen werden, und ist bei genügender Schwellung der aryepiglottischen
Falten inspiratorisch, der Stimmbänder und Subglottis in- und exspiratorisch.
Obwohl sie meist langsam und gleichmässig zunimmt, gibt es doch genug
Beobachtungen, dass nach längerem harmlosen Bestehen, wie bei Stauungen,
und sogar aus vollkommener Gesundheit heraus, etwa durch die Einspiessung
eines Fremdkörpers, in wenigen Stunden ein Larynxödem zur Tracheotomie
oder zum Tode führen kann.
Die Diagnose ist eigentlich nur laryngoskopisch zustellen; höchstens
die Epiglottis mag einzelne Male über dem niedergedrückten Zungengrunde
sichtbar werden. Die Palpation für sich allein ist ganz unzuverlässig, die
Sondirung neben der Spiegeluntersuchung kann aber zur Unterscheidung von
flachen Tumoren Dienste thun. Es sollte jeder Patient mit Angina faucium
grundsätzlich laryngoskopirt werden, um eine Gefahr rechtzeitig zu erkennen.
Nöthig ist es, der Ursache eines vorhandenen Kehlkopfödemes nachzuforschen,
weil dasselbe das erste Merkmal eines inneren, mit Stauung verbundenen
Leidens und von Kehlkopfgeschwüren, Perichondritis u. a. sein kann. Die
Constatirung von Fieber und Schüttelfrösten weist auf acute Infection hin.
Die Prognose ist sehr verschieden. Gerade die Oedeme des Kehl-
kopfes infolge allgemeiner Stauung sind oftmals die ersten, welche sich bei
der Behandlung verlieren. Oedeme bei Abscessbildung verschwinden gewöhnlich
rasch nach der Eiterentleerung; im übrigen aber sind jene bei Infectionen
sehr vorsichtig zu beurtheilen.
Die Therapie kann causal durch Sistirung des Jodgebrauches, Regu-
lirung der Circulationsstörungen, baldigste Eröffnung von Abscessen und bei
möglicherweise vasomotorischen Störungen durch Nervina zu helfen versuchen.
Symptomatisch kommen vor allem Eis in äusserlicher und innerlicher
Anwendung, dann Narkotica in Form von Cocaineinträufelungen oder von
Arznei zur Bekämpfung des congestionirenden Hustens und Würgens, sowie
174 GÜMMÄTA LARYNGIS.
der ganze Apparat der auf die Haut und den Darm ableitenden Mittel
in Betracht. Als letztere werden genannt: PEiESSNiTz'sche Umschläge,
möglichst heisse Schwämme auf die Vorderseite des Halses, grosse Vesicatore
und Sinapismen nacheinander bis zur Wade herab gesetzt, heisse Vollbäder.
Bei geeigneten Individuen kann Pilocarpin oder locale Blutentziehung durch
eine grössere Anzahl von Blutegeln uud Schröpfköpfen nützlich sein. Von
Adstringentien ist jedenfalls in der ersteren Zeit Abstand zunehmen,
da durch den verursachten Reiz zum Husten und Würgen eine Verschlimme-
rung herbeigeführt wird. Das Wegdrücken der ödematösen Flüssigkeit ist
ganz ohne Wert. Bei verunreinigten Geschwüren des Kehlkopfes und seiner
Umgebung können desinficirende Sprays und Pulver von Nutzen sein.
Instrumentelle Eingriffe sind die Scarification, die Einführung von
Röhren in den Kehlkopf und die Tracheotomie. Die Scarification an der
Epiglottis kann nach Lisfranc direct mit dem umwickelten Bistouri, sonst
aber unter Laryngoskopie mit Kehlkopfmessern ausgeführt werden; man macht
einfach an den stärkst geschwollenen Stellen einige seichte Einschnitte, am
besten von innen nach aussen, darf sich aber keinen grossen Hoffnungen auf
den Erfolg der Operation hingeben. Die Einlegung von Kathetern, Hohl-
bougies und Tuben ist bei höheren Graden der Verschwellung im Kehlkopf-
innern mitunter technisch unmöglich; sie hat fast nur insoferne Wert, als
Zeit für die Tracheotomie zu gewinnen ist, nachdem die Instrumente gewöhn-
lich selbst vom cocainisirten Kehlkopfe nicht lange ertragen werden und das
Oedem in der Umgebung der gedrückten Stellen vergrössern. Die Tra-
cheotomie soll bei Dyspnoe, besonders wenn die Patienten nicht unter
fortwährender ärztlicher Aufsicht sich befinden, frühzeitig gemacht werden,
weil eine ganz plötzliche Steigerung des Oedems in jedem Falle möglich ist.
BERGEAT.
Gummata laryngis. (Gummen im KehUwp/e.) Aetiologie. Die gum-
mösen Erkrankungen der Larynx werden im allgemeinen zu den sogenannten
Spätformen der Syphilis gezählt, weil sie sich, mit wenigen Ausnahmen, erst
in den späteren Stadien der Krankheit melden. Sie werden relativ selten
beobachtet, da Localisationen der Syphilis im Kehlkopfe schon an und für
sich selten sind. Nach den Angaben von Lewin, Schrötter und Mackenzie
dürfte der Procentsatz der schweren Syphilisformen des Larynx, welche gröss-
tentheils doch aus gummösen Erkrankungen bestehen, auf 100 Fälle von Syphilis
gerechnet l"2°/o und auf 100 Kehlkopferkrankungen gerechnet l"67o ausmachen.
Pathologie, Anatomie und Histologie. Eine Prädilectionsstelle der
Gummata kennen wir nicht; sie sind in allen Theilen des Kehlkopfes und
ungefähr in der gleichen Häufigkeit beobachtet worden. Die Bedingung ihres
Vorkommens ist blos das Vorhandensein von gefäss- und drüsenreichem Binde-
gewebe, sie können sich also in der Submucosa des Kehlkopfes überall ent-
wickeln.
Die Form betreffend können wir die gummösen Processe der Larynx im
Einklänge mit Lewin in drei Gruppen eintheilen:
1. Das klein-nodulöse Kehlkopfsyphilid. Diese Form ist,
wie es auch der Name zeigt, durch das Auftreten von kleinen Knoten charak-
terisirt, welche schrott- bis erbsengross und scharf abgegrenzt sind, etwas
das Niveau der Umgebung überragen und so nahe aneinander gelagert sind,
dass sie bisweilen beinahe zu confluiren scheinen. Sie sind anfangs mit
normal gefärbter Schleimhaut überzogen, welche vor dem gewöhnlich bald
eintretendem Zerfalle gelblich durchschimmernd wird. Die Neigung zur ober-
flächlichen Ulceration ist gewöhnlich gross, die Geschwüre können sich bedeu-
tend ausbreiten und auch zu tieferen Zerstörungen führen.
GUMMATA LARYNGIS. 175
2. Die diffusen Infiltrate von gummösem Charakter bilden
die häufigst gefundene Form der Larynxgummen. Sie grenzen sich von der
Umgebung schärfer ab, als das klein-nodulöse Syphilid, sind geringer an
Umfang, zeigen vor dem Zerfalle an ihrer Oberfläche eine ausgebreitete Ver-
fettung, sehen grauweiss aus, zerfallen erst oberflächlich, die Geschwüre
ändern aber sehr bald ihren Charakter, gehen schnell in die Tiefe, bis sie
die Knorpelhaut und Knorpel erreichen. Diese Infiltrate treten mit Vorliebe
an der Epiglottis auf und führen zu umfangreichen Zerstörungen, nicht selten
zum totalen Verluste dieses Knorpels. In zweiter Heihe bilden Taschenbänder
und Stimmlippen den Lieblingssitz der Krankheit und werden durch die Ulcera-
tionsprocesse derartig zerstört, dass kaum Reste zurückbleiben. Stenosen nach
der Vernarbung sind das gewöhnliche Product von diesen Infiltraten. Auch kön-
nen sich solche Infiltrate über den ganzen Kehlkopf ausbreiten und ihn derart
verunstalten, dass von der ursprünglichen Form nichts mehr tibrig bleibt;
durch Infiltrate und Geschwüre wird der Kehlkopf in dieselbe formlose
Geschwulstmasse umgestaltet, wie wir es bei Lepra oder vorgeschrittener
Carcinose zu sehen bekommen.
3. Grosse circumscripte Gummaknoten gehören zu den alier-
seltensten Befunden am Kehlkopfe. Lewin wollte zwar die Möglichkeit des
Vorkommens nicht in Abrede stellen, hielt aber sein Urtheil über diese Affec-
tion einstweilen noch in der Schwebe, da er noch keinen charakteristischen
Fall zu sehen bekommen hat. Es dürften auch die meisten beschriebenen
Fälle mehr zu den schon genannten zwei Formen der gummösen Erkran-
kungen gezählt werden.
Diese grossen Gummata müssen, um zu dieser Gruppe gezählt zu werden,
von den zwei anderen Formen deutlich getrennt werden können. Sie zeigen
deutlich den Geschwulstcharakter, sind kirschen- bis nussgross, gut um-
schrieben, ragen über die Umgebung bedeutend hervor, sind dunkelroth, glatt,
sehr hart und grösstentheils von normaler, höchstens an der Spitze gerötheter
Schleimhaut bedeckt. Der geschwürige Zerfall tritt meistens aus der Tiefe
hervor, die Geschwüre sind sehr tief, scharfkantig, mit gelblich-grauweissem,
etwas speckigem dickem Belage bedeckt. Bei rascherem Zerfalle können auch
grössere nekrotische Gewebsfetzen auf einmal losgelöst werden. Bei der
Seltenheit dieser Affection dürfte die Beschreibung des folgenden charakte-
ristischen Falles (vorgestellt in der Gesellschaft der ungarischen Ohren- und
Kehlkopfärzte, am 8. Februar 1894) nicht ohne Interesse sein:
Die 36 Jahre alte Patientin consultirte mich, durch ihren Mann begleitet, am
1. Februar 1894 in meiner Sprechstunde. Der Athem war schwer, mit starkem Stridor,
dabei konnte ein eigenthümliches Geräusch wahrgenommen werden, als wie wenn sich
etwas im Kehlkopfe klappenartig bewegen möchte. Die Frau war schon monatelang
heiser, seit drei Wochen aphonisch und wurde wegen der steigenden Dyspnoe für herz-
krank betrachtet und mit Strophantiis behandelt. Seit dieser Zeit fühlte sie auch etwas
Herzklopfen. Sie hatte massige Schmerzen hnks bei dem Schlucken. Mund- und Rachen-
höhle, sowie Epiglottis und Kehlkopfeingang waren vollkommen intact. Im Kehlkopfe sass
dicht unter der in toto ulcerirten linken Stimmlippe eine nussgrosse, mit gerötheter
Schleimhaut bedeckte, harte, glatte Geschwulst, welche in der Mitte ein scharfkantiges,
tiefes, kraterförmiges, mit dickem grauweissen Belage bedecktes Geschwür zeigte und den
Einblick und Luftzugang in die Trachea fast vollständig versperrte. Aryknorpel und Kehl-
kopfmotilität waren intact. Das schon erwähnte Geräusch war durch einen an den unteren
Rand des Geschwürs hängenden, nekrotischen Gewebsfetzen verursacht, welcher sich bei
der Respiration klappenartig bewegte und auf diese Weise durch Verlegung des ohnehin
engen Luftweges zur Steigerung der Athemnoth nicht wenig beitrug.
Das Spiegelbild Hess das Vorhandensein eines Kehlkopfgumma mit ziemlicher Sicher-
heit annehmen. Lues konnte zwar anamnestisch nicht nachgewiesen werden, ebensowenig
andere Locahsationen der Krankheit auf der Haut, an den Knochen, Drüsen und in den
inneren Organen; doch fehlten auch Symptome einer anderen Erkrankung und das eine
konnte ich doch erfahren, dass die Frau fünfmal abortirt und einmal ein todtes Kind
geboren hat. Der Erfolg einer energischen Schmiercur bestätigte die Diagnose; nach der
ersten Tour hatte die Dyspnoe bedeutend nachgelassen, das Geschwür reinigte sich und
zeigte frische, rothe Granulationen. Nach vier Wochen vernarbte das Geschwür und ebenso
176 GUMMATA LARYNGIS.
die xilcerirte Stimmlippe. Die Stimme blieb aber dauernd heiser infolge des Stimmlippen-
defectes und unter diesem Defecte blieb eine strahlenförmige hypertrophische Narbe sichtbar.
Mikroskopisch bestehen die Gummata aus einer zarten, gallertigen,
hier und da faserigen Intercellularsubstanz mit ge wucherten Zellen, welche letz-
tere aus Bindegewebe oder den Wandelelementen der kleinsten Blut- und Lymph-
gelasse oder aus ausgewanderten weissen Blutzellen hervorgehen und das
Aussehen von Granulationszellen oder farblosen Blutkörperchen darbieten,
weshalb auch die Gummata den Granulationsgeschwülsten, Granu-
lomen (YiRCHOw) , oder den Leukocytomen (Klebs) zugereiht werden.
Ausserdem werden noch grössere (epitheloide) Gebilde und Riesenzellen
gefunden. Es besteht also eine Analogie zwischen dem Gummaknoten und
solchen durch Rotz, Perlsucht, Tuberkulose und Lepra bedingten, und w^erden
sie von Klebs alle mit dem Namen Infectionsgeschwülste bezeichnet.
Die Rückbildung resp. Schwund der Gummata kann auf
dreifache Weise geschehen. Es kann eine fettige Degeneration der Zellen
eintreten mit nachfolgender Resorption, wobei zu bemerken ist, dass die
zwischenliegenden physiologischen Gewebstheile auch resorbirt werden und da-
her je nach der Dauer des Bestehens verschieden grosse Verunstaltungen des
Kehlkopfes verursacht werden. Die fettig degenerirte Masse kann sich auch
eiterähnlich umgestalten, nach erfolgtem Aufbruche sich nach aussen ent-
leeren, und so zu einem Geschwüre Veranlassung geben. Die dritte Art
ist durch die nachträgliche Schrumpfung und schwielige Umwandlung der
umgebenden Bindegewebsneubildung bedingt; die derartig eingeschlossene
Gumma-Geschwulst wird sich dann käsig umwandeln und kann dann wie-
der unorganisirt liegen bleiben, oder als fremder Körper eine nachträgliche
Eiterung verursachen und unter Bildung eines Geschwüres mit callösen
Rändern schliesslich aus dem Organismus ausgestossen werden (Lang).
Die subjectiveii und fiiiictioiielleii Symptome sind von dem Sitze der
Erkrankung abhängig. Es darf hier aber nicht unerwähnt bleiben, dass auch
sehr schwere, mit grossen Zerstörungen verbundene Gummata lange Zeit
hindurch ohne subjective Beschwerden bestehen können und von den Kranken
nur sehr spät wahrgenommen werden. Dieser Umstand muss als Fingerzeig
dienen, die Spiegeluntersuchung bei Syphilis niemals zu unterlassen, da das
frühzeitige Constatiren des Leidens für die einzuleitende Therapie und für
den künftigen consecutiven Zustand des Larynx von grosser Wichtigkeit ist.
Rauheit der Stimme und Heiserkeit sind bei Gummen und
Ulcera der Stimmlippen constant zu finden, sowie auch bei Gummen der
Interarytaenoidealfalte, consecutiven Perichondritiden, wenn die Motilität
gestört oder die Annäherung der Stimmlippen verhindert ist. Grosse Stimm-
lippendefecte oder Motilitätsstörungen können vollständige Aphonie ver-
ursachen.
Husten fehlt oft vollständig oder ist sehr gering, selbst bei grossen
Ulcerationen, was dadurch zu erklären ist, dass die sensiblen Endfasern der
Gewebe auch nekrotisirt werden.
Der Auswurf ist schleimig, wenn keine Ulcera vorhanden sind. Später
kann es durch die Geschwürsecrete einen schleimig-eitrigen, blutigen oder
fötid-gangränösen Charakter annehmen.
Athembeschwerden hängen ebenfalls von dem Sitze und der Grösse
der Gummata ab. Sie können besonders bei grossen Infiltraten oder Gummen
der Glottis einen sehr drohenden Charakter annehmen. Secundäre perichon-
dritische Processe verursachen immer Athembeschwerden, welche sich leicht
bis zur Suffocation steigern können.
Schmerzen können spontan fehlen und auch bei dem Schluckacte sehr
massig bleiben, besonders bei circumscripten Processen, aber auch bei tiefen
Zerstörungen, wenn die sensiblen Endfasern mitzerstört werden, Druck-
GUMMATA LARYNGIS. 177
empfindlichkeit ist aber ein constantes Symptom der Larynxgummata. Bei
den Erkrankungen der hinteren Larynxwand steigern sich zuweilen die
Schmerzen bei dem Schlucken derartig, besonders bei Flüssigkeiten, dass die
Kranken das Essen verweigern. In solchen P'ällen treten auch die bekannten
stechenden Schmerzen, die bis zum Ohr ausstrahlen, auf.
Das laryng'oskopische Bild der gummösen Kehlkopfsyphilis ist ent-
sprechend des drei erwähnten Krankheitsformen und dem Sitze der Erkran-
kung ein sehr verschiedenes, Mischformen gehören nicht zu den Selten-
heiten, speciell bei einer grösseren Ausbreitung des Processes.
1. Das klein-nodulöse Kehlkopfsyphilid: Die in verschiedener
Anzahl gewöhnlich dichtgelagerten kleinen Knötchen sind von gerötheter,
häufig auch von gelblich durchschimmernder Schleimhaut überzogen. An den
Stimmlippen haben die Knötchen mehr eine graue Farbe, Taschenbänder
und mittlerer Kehlkopfraum sind gleichzeitig geschwellt und injicirt. (Massei,
Chiaei.) Epiglottis, Stimmlippen und Taschenbänder, sowie der hintere Theil
des Kehlkopfes sind am häufigsten erkrankt. Die Ulceration tritt sehr bald ein,
nur selten sieht man die Knötchen ohne jedwede Erosion; die Ulcera sind im
Anfange oberflächlich, mit scharfen Eändern, der Boden ist gelbgrau, etwas
speckig durchschimmernd und von einem ödematösen Hof umgeben.
Die Verkäsung und der eitrige Zerfall scheinen mehr von der Peripherie
nach dem Centrum, als umgekehrt eingeleitet zu werden. Die Ulceration
dringt erst allmählich tiefer. (Lewin.)
2. Die diffusen Infiltrate von gummösem Charakter werden
zumeist an der Epiglottis und an den Stimmlippen gefunden. Im nicht
ulcerirten Stadium bilden sie ziemlich scharf abgegrenzte, massige Erhöhungen,
deren Schleimhaut anfangs lebhaft injicirt, später aber graugelb und schmutzig
durchschimmernd ist. Lewin fand sie vor dem Zerfalle an der Oberfläche
ausgebreitet verfettet, mit einer fast grauweissen Farbennuance. Je nach
dem Grade der Infiltration behalten die Gebilde gewissermassen ihr normales
Aussehen, können aber auch in plumpe Wülste (Schrötter) verunstaltet
werden. Am meisten leidet durch diese Infiltrate die Epiglottis, welche oft
in einen unförmlichen röthlichgelben Wulst verwandelt wird. Schrötter hat
die Epiglottisinfiltrate zumeist am Petiolartheile gefunden.
Die auftretenden Defecte sind nur anfangs oberflächlich, sie gehen sehr
bald in die Tiefe und erreichen bald das Perichondrium und den Knorpel.
Sie sind mit einem stark entzündlichen, ödematösen Hofe umgeben, sind
scharfrandig, wie herausgeschnitten. Ihr Boden ist mit einem gelblichgrauen
schmutzigen Detritus bedeckt, nach dessen Wegwischen der speckige, leicht
blutende Grund deutlich sichtbar wird. Papillöse Wucherungen an der Basis
und an den Geschwürsrändern sind keine Seltenheit und können selbst nach
der Heilung weiterbestehen. Die Epiglottis wird durch diese Ulcerationen
zu einem dicken, ödematös geschwürigen, starren Wulste umgewandelt, ihre
Ränder werden gezackt, der Knorpel vielfach perforirt, und kann bei nicht
behandelten, oder malignen Fällen vollständig zerstört werden, dass auch
kein Stumpf mehr zurückbleibt. An den Stimmlippen sieht man anfangs
dicke rothe, später schmutziggraue geschwürige Wülste und nicht selten sehr
ausgebreitete Zerstörungen, vollständige Defecte. Schwellungen der Knorpeln
und Gelenke, secundäre Perichondritis und Larynxstenose sind auch ein
häufiger Befund.
Bei Mischformen oder ausgebreiteter Erkrankung kann der Larynxein-
gang derart infiltrirt sein, dass die Spiegeluntersuchung unausführbar ist.
Am häutigsten wird die Spiegeluntersuchung der Larynxinneren durch die
Miterkrankung und Retroflexion der ulcerirten und ödematösen Epiglottis ver-
hindert. Subglottische Infiltrate sind gewöhnlich mit Infiltraten der Stimm-
lippen verbunden und führen zu den gefürchtetsten acuten Stenosen. Sie sind
Ohren-, Nasen-, Eachen-, Kehlkop£krankheit€n. 12
178 GUMMATA LARYNGIS.
zuweilen einseitig. Bei intacten Stimmlippen können sie anfangs das Bild
der hypoglottisclien Laryngitis vorspiegeln. Die bald erfolgte Ulceration ver-
hütet die weitere Täuschung.
3. Grössere, circumscripta Gummaknoten, wenn sie noch nicht
zerfallen sind, erscheinen im Spiegel als runde, mit glatter blasser oder
gerötheter Schleimhaut bedeckte, sich stark hervorwölbende Tumoren, die
deutlich umschrieben oder auch durch einen entzündlich geschwollenen Hof
umgeben sind und bei der Sondenuntersuchung sich hart anfühlen. Sie
scheinen auch bald zu erweichen, die Geschwüre sind scharfrandig, wie aus-
geschält, auch kraterförmig, der Boden ist speckig, mit graugelbem Eiter und
Detritus bedeckt. Ob sie Perichondritis verursachen und die Larynxmotilität
beeinflussen, das hängt von ihrem jeweiligen Sitze ab. Bei raschem Zerfalle
können an den Geschwürsrändern noch gangränöse Stücke haften bleiben.
Die hereditäre gummöse Syphilis des Kehlkopfes unter-
scheidet sich in keiner Weise von der erworbenen, sie zeigt also die näm-
lichen Formen und Symptome und braucht deshalb nicht besonders besprochen
werden.
Verlauf, Ausgang und Prognose. Ist das Leiden rechtzeitig erkannt
und behandelt, so bietet die Krankheit — abgesehen von den seltenen Fällen
malignen Charakters — dieselbe gute Prognose, wie alle anderen gummösen
Localisationen der Syphilis. Die Kehlkopfgummen sind in ihrem ersten
Stadium — also solange keine Erweichung und Zerfall eingetreten ist — für
das Leben niemals gefährlich. Anders ist dies in den späteren Stadien: nach
Eintritt der Ulceration können Entzündung und Oedem der Nachbartheile,
oder Perichondritis zu hochgradigen Larynxstenosen mit schnellem tödlichen
Ausgange Anlass geben. Bei Ulcerationen ist das Auftreten einer tödlichen
Blutung nicht ausgeschlossen.
In Betreff der radicalen Heilung sind die Larynxgummata den allge-
meinen Gesetzen der Syphilis unterworfen. Recidivfrei geheilte Fälle wurden
auch hier vielfach beobachtet, besonders unter den frühzeitig behandelten,
indessen gehören hier Recidive nicht zu den Seltenheiten, und es sind das
speciell die vernachlässigten alten Fälle, die zuweilen jeder Behandlung Trotz
bieten und mit ihren traurigen Complicationen Zeit und Geduld des Arztes
jahrelang beanspruchen.
Wollen wir die Prognose nicht nur quoad sanationem, sondern auch
Stimme und Respiration betreffend genau aufstellen, so müssen Verlauf und
Stadium des localen Processes berücksichtigt w'erden. Eine Restitutio ad
integrum gehört hier zu den grössten Seltenheiten. Dem histologischen
Charakter der Gummata entsprechend kann es als Gesetz ausgesprochen
werden, dass an der Stelle eines geheilten Gumma immer eine Narbe zurück-
bleibt. Nur kann diese Narbe in frischen, bald behandelten Fällen so unbe-
deutend sein, dass sie keine functionellen Störungen verursacht, und solche
Fälle können gewissermaassen als radical — und ohne Folgen geheilte betrachtet
werden. Ganz anders bildet sich die Prognose der geschwürig zerfallenen
Gummata. Hier hängt alles vom Sitze und der Ausbreitung der Geschwüre
und von der Beschaffenheit der später gebildeten Narbe ab. Nur die Geschwüre
der Epiglottis bilden hier eine Ausnahme, sie können, falls sie auch den ganzen
Knorpel zerstören, functionell indifferent bleiben. Schrötter erwähnt einen
solchen Fall. Andererseits ist es nicht zu leugnen, dass Epiglottisdefecte
oder Verwachsungen mit dem Zungengrunde zu häufigem Fehlschlucken und
Schluckpneumonie führen können. Verwachsungen der Epiglottis mit den
Aryknorpeln oder dem Pharynx verursachen hochgradige Stenosen. Geschwüre
des Kehlkopfeinganges führen gewöhnlich zu Verunstaltungen des Organs und
sind nur selten indiff'erent für Athmen und Stimme. Sind sie tiefer, können
sie zu Perichondritis der Aryknorpeln führen, Knorpeldefecte, acute Dyspnoe,
GÜMMATA LARYNGIS. 179
Immotilität des Kehlkopfes und später nach der Ausheilung Anchylo.se der
Cricoarytaenoidealgelenke verursachen. Membranbildungen kommen hier, wie
auch bei Taschenband- und Stimmlippengeschwüren nicht selten vor. Stimm-
lippengeschwüre und -Narben verursachen trotz nachträglicher Compensations-
bewegungen immer Heiserkeit, welche bei starken Defecten zur stationären
Aphonie gesteigert wird. Granulationen und Polypenljildungen nach ausgeheilten
Geschwüren sind auch schon vielfach beschrieben worden. Schliesslich kann
bei sehr ausgebreiteten geschwürigen Processen und Perichondritiden des
Ring- und Schildknorpeis ein Zusammenstürzen und complicirt membranöses
Verwachsen des ganzen Kehlkopfgerüstes eintreten, so dass die Patienten
nunmehr zum dauernden Tragen der Canüle gezwungen werden.
Die Diagnose der Kehlkopfgummata ist auf Grund der vorgeführten
Symptome sehr leicht aufzustellen, falls auch andere deutliche Symptome der
Syphilis sich finden lassen. Es muss also nach Aeusserungen der Syphilis an
der Haut (Ausschläge, Geschwüre, Narben), Schleimhäuten (Mund, Nase, Rachen),
Drüsen und nach den seltener vorkommenden Dolores osteocopi, Tophi an
den Knochen gesucht werden. Bei Frauen lassen sich auch Neigung zu
Aborten und Todtgeburten mit Wahrscheinlichkeit verwerten.
Unterliegt die gummöse Natur des Kehlkopfleidens keinem Zweifel mehr,
dann lässt sich die genauere Diagnose unter den vorgezählten drei Formen
gewöhnlich leicht stellen. Die Differentialdiagnose der Formen ist in ihre
Beschreibung schon mitinbegrifien, es muss nur wiederholt betont werden,
dass klein-nodulöses Syphilid und diffuse Infiltrate zuweilen als Mischformen
vorkommen können.
Diffuse Infiltrate von gummösem Charakter können manchmal mit circum-
scripten entzündlichen Infiltraten verwechselt werden. Die Differentialdiagnose
beruht nach Lewin darin, dass bei letzteren dem Zerfalle eine Pustelbildung
voraufgeht, die Geschwüre behalten mehr ihren oberflächlichen Charakter,
ihre Ränder zeigen, im Gegensatz zu den gummösen keine bedeutende
Wulstung, sondern sind mehr oder weniger flach oder nur schwach ge-
schwollen, selten unterminirt und meist von einem rothen Hofe umgeben.
Ihr Secret ist bisweilen rahmartig, öfter jedoch mehr von serös-eiteriger Be-
schaffenheit.
Viel schwieriger, und bei undeutlich erschienenen Formen manchmal
unausführbar wird die Diagnose, wenn — was bei diesen Formen besonders
bei Frauen keine Seltenheit ist — sich keine Zeichen einer vorausgegangenen
oder nachweisbaren Syphilis finden lassen. In solchen Fällen kann die Diagnose
unter folgende Krankheiten schwanken:
Das klein-nodulöse Syphilid kann mit Lupus vulgaris
verwechselt werden. Der Unterschied besteht nach Lewin darin, dass
die Umgebung des syphilitischen Knötchens nicht die reactiven entzündlichen
Erscheinungen und deren Folgen (oft intensive Schwellung der Umgebung)
zeigt, welche der vulgäre Lupus hervorzurufen pflegt. Zerfall und Zerstörungen
sind bei Syphilis in kurzer Zeit grösser als bei Lupus. Die Narben des
Lupus zeigen eine stärkere Retraction, erzeugen oft erhebliche Difformitäten,
sogar Larynxstenosen.
Die diffusen Infiltrate von gummösem Charakter lassen
sich von Lepra und Rotz des Kehlkopfes leicht unterscheiden, weil bei
letzteren die Allgemeinerkrankung immer nachweisbar ist. Am häufigsten
kommt man hier in die Lage, die Krankheit von Tuberculose zu unter-
scheiden. Sind Geschwüre vorhanden, dann wird diese Aufgabe erleichtert.
Die tuberculösen Geschwüre haben keine scharfen Ränder, sie sind mehr ober-
flächlich, Symptome der reactiven Entzündung der Umgebung lassen sich
häufiger nachweisen, der Geschwürsgrund ist mit Granulationen bedeckt, das
12*
180 GÜMMATA LARYNGIS.
Secret eitriger, profuser und enthält KocH'sche Bacillen. In der Umgebung
von tuberculösen GeschAvüren lassen sich ausserdem nicht selten weisslichgelbe,
oder im Anfang graue miliare Knötchen blicken. Der Sitz der Geschwüre
lässt sich gewissermaassen auch verwerten, da Tuberculose meist die hintere
Wand, Taschenbänder und Stimmlippen bevorzugt. Ist noch kein Geschwür
vorhanden, dann kann zur Unterscheidung dienen, dass bei Tuberculose ge-
wöhnlich Erkrankung der Lungen und oft Bacillen im Auswurfe nachweisbar
sind. Eine auf Tuberculose verdächtige Anamnese, Heredität, Haemoptoe,
Pleuritiden etc. bieten auch eine wertvolle Unterstützung.
Maligne Tumoren, speciell Carcinom des Kehlkopfes, können je
nach der Form derselben mit all' den drei Formen verwechselt werden. Sind
einmal Geschwüre da, dann wird die Diagnose nicht viel Schwierigkeiten
bieten, da abgesehen von der charakteristischen Form der gummösen Ge-
schwüre, die carcinomatösen durch ihre wulstigen, starren Bänder, durch die
höckerige Basis, durch die sie oft begleitende Gangrän, Fötor, mit Leichtig-
keit erkennbar sind. Am schwierigsten sind jene Fälle, wenn bei einer, aus
der Tiefe wachsenden, nicht ulcerirten Geschwulst, bei negativem Syphilis-
befunde, die Diagnose gemacht werden soll. Grosse, circumscripte Gummata
und Carcinom lassen sich in diesem Falle nur schwer unterscheiden. An-
wesenheit von vergrösserten Halsdrüsen ist beiden Krankheiten eigen, negativer
Drüsenbefund und schnelleres Wachsen bisher nur massig vergrösserter Drüsen
würden für Carcinom sprechen. Das Spiegelbild kann hier nicht entscheidend
sein, ebensowenig die von Semon bei Krebs erwähnte Trägheit oder Bewe-
gungslosigkeit des betreffenden Stimmbandes. Für Carcinom möchte noch
eine bedeutendere palpable Volumszunahme der erkrankten Halsseite sprechen.
Für solche Fälle stehen uns die Excision und histologische Untersuchung
der entfernten Partikeln zu Hilfe. Nur kann bei negativen Befunden der
Krebs noch nicht ausgeschlossen werden, und das spätere Bild des an der
Excisionsstelle sich bildenden Geschwüres, sowie das Ergebnis der Untersuchung
von tiefer liegenden Gewebspartikeln sind berufen, Entscheidung zu bringen.
Ein weiteres diagnostisches Hilfsmittel besitzen wir in der Anwendung
einer antiluetischen Behandlung. Diese ist auch dort wertvoll, wo es sich
um Mischformen von Gummata und Lupus, Tuberculose und Carcinom handelt.
Es darf noch nicht unerwähnt bleiben, dass gummöse Geschwüre sich —
allerdings nur sehr selten — in tuberculose und carcinomatöse umwandeln
können. In diesen Fällen wird die Diagnose durch die sichtbar eintretende
Aenderung des Krankheitsbildes gesichert.
Therapie. Die erste, selbstverständliche Aufgabe ist, eine energische
antiluetische Behandlung einzuleiten. In dieser Beziehung verdient wohl die
altbewährte Einreibungscur, mit starken Dosen (3—5^ Ung. einer, pro dos.)
den Vorzug, Die subcutanen Sublimatinjectionen von Lewin (0-01 pro dos.)
und die intramusculären Sublimatinjectionen von Lukasiewitz (0'05 pro dos.
wöchentlich einmal) haben sich auch vorzüglich bewährt. Jodkali in grösseren
Dosen kann nach der Quecksilbercur oder in sehr schweren Fällen gleich-
zeitig mit derselben angewendet werden. Bei drohenden Stenosen soll die
Tracheotomie möglichst frühzeitig ausgeführt werden; abgesehen von der
Beseitigung der Lebensgefahr, trägt sie durch Entlastung des Kehlkopfes zu
schnellerem Eintritt der Heilung nicht wenig bei.
Eine locale Behandlung der Kehlkopfgummata wird nur bei schlecht
heilenden Geschwüren nothwendig. Sie besteht in Reinigung der Geschwüre
durch indifferente, lösende Inhalationen mit dem SiEGLE'schen Apparat, ferner
in vorsichtigen Aetzungen des Geschwürgrundes mit an der Sonde geschmol-
zenem Argentum nitricum, oder Chromsäure.
(Die Behandlung der Perichondritis und der Narbenstenosen siehe unter
den betreffenden Capiteln). polyak.
HEISERKEIT. 181
Heiserkeit (RaucUas oder Rauccdo). Hierunter versteht man die Un-
reinheit der Stimme, welche durch im Kehlkopfe selbst entstehende ab-
norme Geräusche hervorgerufen wird. Sie kann sich auch in den unarticu-
lirten Lauten, z. B. dem Husten, geltend machen.
Nicht zu den vorgenannten Geräuschen gehören die sogenannten klappen-
den oder Ventilgeräusche. Zu betonen ist die Sonderstellung der Aphonie,
des einfachen Tieferwerdens der Stimme im Anfange von Kehlkopfentzündung
und der Taschenbandsprache, welche von Laien oftmals direct als Heiser-
keit bezeichnet werden, aber trotz naher Beziehungen doch nicht mit der-
selben zu identificiren sind.
Man kann zunächst zwei Typen der Heiserkeit unterscheiden:
1. jene mit Beimengung eines hauchenden Geräusches und
2. jene mit Beimengung von rauheren, zumeist tiefen Geräuschen zum
Stimmklange.
Das hauchende Geräusch entsteht dann, wenn die Stimmritze nicht ge-
nügend oder allseitig verengt ist, um alle entweichende Luft in laut tönende
Schwingungen zu versetzen; ein Theil der Luftsäule nimmt hiebei nur jenen
hauchenden Ton an, welcher der phonatorischen Luftverschwendung eigen ist,
und verleiht der Stimme einen gedämpften kraftlosen Charakter. Bekanntlich
hat diese Stimme an Ausdauer und Rufweite verloren. Der hauchende Ton
kann allein der Heiserkeit eigen sein, tritt aber auch mit den folgenden Ge-
räuschen vielfach in Verbindung.
Die anderen positiveren Heiserkeitsphänomene entstehen augenscheinlich
dadurch, dass entweder die Stimmbänder nicht in gleichmässigen oder wenig-
stens consonirenden Schwingungen (DiphtJiongie) vibriren, oder dass irgendwo
im Bezirke der verengerten Kehlkopfpassage solche Geräusche sich beimengen,
welche nicht mehr als Klangfarbe anzusehen sind. Der Charakter solcher
verunreinigter Stimmen kann sehr verschieden sein, doch führt der Versuch,
ihn diagnostisch verwerten zu wollen, zu vielen Täuschungen; speciell ist es
ein Irrthum, einen specifischen Ton der Heiserkeit bei Syphilis anzunehmen.
Mehrfache und zwar sehr verschiedene Umstände können eine solche
Unregelmässigkeit der Schallwellen verursachen:
Fehler der Befeuchtung und Durchfeuchtung der Stimmbänder (Trocken-
heit und mangelhafter Turgor z. B bei der Vox cholerica, Schleimbelag,
Hyperämie, ödematöse Schwellung, grössere Blutergüsse; eingetrocknete Secrete;
fibrinöse Membranen);
angeblich die geringe Kraft des Exspirationsstromes bei Schwäche-
zuständen, in der Agonie, bei Erkrankungen der Lungen und Läsion des
Thorax;
mangelhafte Spannung des einen oder beider Stimmbänder bei den eben
genannten Zuständen und bei sonstiger Paralyse beziehungsweise Parese der
Stimmbandspanner infolge von katarrhalischen Entzündungen, Perichondritis,
Trichinosis, neurotischen Einflüssen;
Störungen der Form und Elasticität des Stimmbandes infolge von
Aenderungen an den histologischen Elementen durch Geschwüre, Xarben,
chronisch entzündliche, specifische und maligne Einlagerungen, Epithelver-
dickungen und Polypen, welch' letztere mit ihrer Annäherung an die Mitte
des Stimmbandes immer störender werden;
Druck von Tumoren und Schwellungen benachbarter Kehlkopfpartien
auf die freien Theile oder die Ansätze der Stimmbänder, am häufigsten von
der hinteren Kehlkopfwand aus.
Von diesen Factoren können sich nun verschiedene miteinander ver-
binden, so z. B. die Parese des Musculus vocalis, Schwellungen und Schleim-
182 HERPES LARYNGIS. - HERPES ORIS.
secretion im chronischen Kehlkopfkatarrh der Trinker; in anderer Weise beim
Croup etc.
Von physiologischen Zuständen disponiren zur Heiserkeit die Mutations-
und die Menstruationszeit und wohl auch die Verdauung.
Die unreine Stimme wird in leichten Graden als Attribut mancher Be-
rufsarten mit grossen Stimmanstrengungen und athraosphärischen Insulten
sowie mancher Vergnügungen, nämlich des reichlichen Alkohol- und Tabak-
genusses, gerne sehr, nachsichtig beurtheilt. Sonst aber wird sie mit Recht
auch von den Laien ernster aufgefasst und ist häufig das einzige
subjective Symptom sehr überraschender laryngoskopischer Befunde.
Nur das sei besonders erwähnt, dass die Lungenphthise vielfach in ihrer aller-
ersten Zeit eine anscheinend auf Muskelparese beruhende Heiserkeit ver-
ursacht, dass die bösartigen Kehlkopfgeschwülste manchmal jahrelang eine
Heiserkeit zum Vorsymptom haben und dass bei acuten Infectionskrankheiten,
zumal bei Typhus, die nekrotischen Processe an der Schleimhaut und dem
Knorpel des Kehlkopfes ebenfalls durch sie zuerst verrathen werden.
Angeborene Heiserkeit ist vorzüglich durch Kehlkopfgeschwülste ver-
anlasst. BERGEAT.
Herpes laryngis. {Herpes des Kehlkopfes). Der Herpes des Kehl-
kopfes wird selten beobachtet und tritt wohl nur gleichzeitig mit Herpes des
Mundes und Rachens auf.
Symptome: Unter Fiebererscheinungen stellen sich Husten und Heiser-
keit, auch wohl Schluckschmerzen ein, insbesondere wenn der Rachen mit-
ergriffen ist.
Bei der laryngoskopischen Untersuchung sieht man, und zwar gewöhnlich
in dem oberen Theil des Larynx, an der Epiglottis, den aryepiglottischen
Falten, der Schleimhaut über den Aryknorpeln, selten bis zu den Stimmbän-
dern herunter, mehrere etwa stecknadelkopfgrosse Bläschen mit gerötheter
Umgebung; ihr Inhalt ist anfangs weisslich, später gelblich, eitrig. Allmäh-
lich, und zwar schneller als auf der äusseren Haut, platzen sie, fallen zusam-
men, und man sieht dann an ihrer Stelle — entsprechend dem Schorf an der
äusseren Haut — einen gelblichen Fleck in der Schleimhaut, der sich allmäh-
lich lockert und dann wie eine lose aufliegende Membran aussieht; diese stösst
sich in einigen Tagen ab, und die Stelle heilt ohne Narbe.
Die Diagnose stützt sich auf das Vorhandensein und den weiteren
Entwicklungsgang der Bläschen, sowie auch auf die eventuelle Betheiligung
der Rachen- und Mundschleimhaut an dem Process.
Die Prognose ist günstig.
Eine Behandlung ist bei dem schnellen Verlauf kaum nöthig. (Vgl.
Herpes der Mundhöhle.) a. eosenberg.
Herpes OriS {Herpes der Mundhöhle). Der Herpes der Mundhöhle
localisirt sich am häufigsten an den Lippen, ergreift aber auch nicht selten
die Mundschleimhaut. Manche Personen sind besonders dazu disponirt; unter
der Einwirkung reizender Speisen — Häringe, Caviar u. a. — oder infolge
von Verdauungsstörungen, bei manchen weiblichen Personen auch zur Zeit
der Menstruation, treten Herpesbläschen an den Lippen auf. Dabei ist dann
das Allgemeinbefinden gewöhnlich wenig gestört. Andererseits setzt er manch-
mal mit Schüttelfrost und hohem Fieber bis 40", selbst 4P C. ein; auch ist
er eine häufige Erscheinung bei fieberhaften Krankheiten, wie Pneumonie,
Rheumatismus, Influenza, Angina u, a. Die fieberlose Form, von der die Pa-
tienten häufiger befallen werden, kann man auch als chronische bezeichnen
gegenüber der zuletzt erwähnten acut einsetzenden.
HERPES PHARYNGIS. 183
Symptome: Es treten gewöhnlich am Lippensaume Gruppen von etwa
stecknadelkopfgrossen Bläschen mit hellem Inhalt auf, der sich bald trübt,
gelblich wird, eintrocknet und so nach ca. 2 — 3 Tagen in einen Schorf sich
umwandelt. Ist derselbe gebildet, so hört die anfänglich vorhandene ziehende,
spannende, leicht schmerzhafte Empfindung auf. Nicht selten entsteht nach
Abstossung des Schorfes wegen der noch weiter stattfindenden serösen Ab-
sonderung aus der noch nicht benarbten Cutis noch ein- oder zweimal ein
Schorf, bis schliesslich die Benarbung eintritt.
Viel lebhafter, mitunter recht heftig ist der Schmerz besonders beim
Genuss scharfer Speisen, wenn der Herpes die Schleimhaut des Mundes er-
greift. Selten sieht man auf derselben die oben beschriebenen Bläschen, die
zumeist die Zunge, und zwar gewöhnlich ihre Spitze und die Ränder unter
zuweilen recht erheblicher Schwellung der Schleimhaut befallen; in der Regel
platzen sie so schnell, dass man nur die aus ihnen entstandenen, gewöhnlich
gruppenweise angeordneten, flachen, mit weisslichem Grunde und gerötheter
Umgebung versehenen Ulcerationen sieht. — Güterbock beschreibt eine
scharf einseitige, acute Herpesaffection der Zunge — Hemiglossitis herpetica,
die besonders bei Männern auftritt und sich entsprechend den Verzweigungen
des N. trigeminus, zuweilen wohl auch nach den der Chorda tympani ver-
breitet. G. Lewin hat ebenfalls einen auf eine Erkrankung des Trigeminus
zu beziehenden Herpes zoster der Mund- und Rachenschleimhaut gesehen.
Die Diagnose ist nicht schwer, wenn man die Bläschen hat entstehen
sehen; sind sie bereits geplatzt, so können Verwechslungen mit Stomatitis
aphthosa und ulcerosa eintreten. Allein im Gegensatz zu diesen letzteren Er-
krankungen, besonders der St. ulcerosa, fehlen die entzündlichen Erscheinungen
der Mundschleimhaut, während die Aphthen eine mehr pseudomembranöse
Ausschwitzung darstellen; ausserdem ist der Verlauf beim Herpes ein schnellerer.
Die Prognose ist für die acute Form günstig; die der chronischen in
Bezug auf vollkommene Heilung unsicher.
Die Behandlung des Scheimhautherpes besteht in Mundspülungen
mit 1 — 27oigen Lösungen von Borsäure, Borax, Salol u. a.; bei starken
Schmerzen bestreiche man die kranken Stellen mit Lapis mitigatus, pinsele
mit Morphiumglycerin oder lasse mit Sol. Kai. bromati 15 — 2^0 spülen; inner-
lich Antipyrin.
Beim chronischen, resp. recidivirenden Herpes nützt oft der Arsenik.
A. EOSENEERG.
Herpes pharyngiS {Herpes des Backens, Angina ^herpetica). Der
Herpes des Rachens tritt gleichzeitig, aber auch ohne den Herpes labialis
auf. Er wird von verschiedenen Autoren auf Erkältung zurückgeführt; und
dass der Witterung ein gewisser Einfluss zuzuschreiben ist, möchten wir umso
mehr glauben, als wir ihn gewöhnlich in den Monaten Februar, xlugust und
September beobachtet haben, in der Zeit, wo auch andere Formen der An-
gina häufiger auftreten. Ferner besteht bei Frauen, die aber im ganzen sel-
tener daran erkranken, ein Zusammenhang mit Uterinleiden, resp. es macht
sich eine Coincidenz mit der Menstruation bemerkbar. Für eine andere An-
zahl von Fällen muss man mit Pouzm die neuropathische Natur des
Leidens gelten lassen, in denen die Bläschen sich entsprechend dem Verlaufe
der Nerven entwickeln.
Symptome: Die ersten Zeichen sind gewöhnlich Fieber, Abgeschlagen-
heit, Appetitlosigkeit; dazu gesellen sich heftige Schmerzen, die so hochgradig
werden können, dass die Patienten die Nahrungsaufnahme verweigern.
Bei der pharyngoskopischen Untersuchung bemerkt man hauptsächlich
am Velum — selten auch an seiner nasalen Fläche — ferner auf der Uvula,
den Gaumenbögen, den Tonsillen, gelegentlich auch am Zungengrunde, der
184 HÖREN.
hinteren Rachenwand und dem Kehlkopleingange Stecknadelkopf- bis linsen-
grosse Bläschen mit ^Yeisslichem Inhalt und rothem Hof. Ihr Inhalt trübt
sich, sie platzen, und es entstehen flache, runde Ulcerationen, die gewöhnlich
schnell heilen (s. Herpes der Mundhöhle). Manchmal tritt, nachdem bereits
der Schmerz erheblich abgenommen, eine neue Bläscheneruption auf, so dass
sich der Verlauf in die Länge ziehen kann; so dauerte z. B. in einem Falle
von Beutels die Krankheit 6V2 Wochen. — Bei der neuropathischen Form,
die die Folge einer Erkrankung des K. maxill. sup. n. trigemini ist, klagen
die Patienten zuerst' über neuralgische Schmerzen, die mit dem Auftreten
der Bläschen schwinden. Sie entwickeln sich entsprechend dem Verlaufe des
Nerven, und zwar fast ausschliesslich einseitig.
Die Diagnose ist leicht, wenn man die Bläschen entstehen und platzen
sieht. Aber auch später dürfte kaum eine Verwechslung mit anderen Er-
krankungen, insbesondere mit der Diphtherie entstehen, da die herpetischen
Ulcerationen zuweilen (bei schubweisem Auftreten) noch neben den Bläschen
bestehen, ausserdem aber flach sind und mit einer verhältnismässig leicht
abwischbaren weisslichen Masse bedeckt sind.
Die Prognose ist bei der acuten Form günstig; bei den chronischen
Formen aber, die auch beobachtet werden, in Bezug auf die Heilung un-
gewiss.
Die Behandlung besteht in Gurgelungen mit Lösungen von Borax,
übermangansaurem Kali (1 : 10000), Kai. bromat. cca. 1"5%, Pinselungen der
erkrankten Partien mit Cocain (10%), Mentholöl (10%), Argent. nitric.
(10*^/0); die zuletzt genannten Mittel erleichtern die Schmerzen erheblich
und gestatten die Nahrungsaufnahme. Natürlich muss man die Diät regeln;
man gebe flüssige oder noch besser breiige oder schleimige, kühle Nahrung;
innerlich Kali chloricum ca. 5'0 : 200-0.
Ist Erkältung die Ursache, so gebe man Natr. salicyl. oder Salipyrin;
bei der neuropathischen Form Antipyrin oder Arsenik.
A. ßOSENBERG.
Hören. {Physiologie des Gehörorgans.) Das Gehörorgan vermittelt Schall-
empfindungen und dient zugleich als statisches Organ. Schallempfindungen
erweckt die Erregung der Nervenfasern der Schnecke, des Nervus cochlearis,
Störung im Gleichgewicht, Schwindel jene des Vorhofsnerven, des Nervus
vestibularis. Jeder Reiz, welcher den Nervus cochlearis erregt, erzeugt
Schallempfindungen. Daher ist auch das Durchleiten von Inductionsströmen
durch das Gehörorgan von Gehörsempfindungen begleitet. Die specifischen
Reize des Gehörorgans als solchen sind die Schwingungen, welche tönende
Körper in dem dieselben umgebenden Medium, meistentheils in der Luft, er-
zeugen.
Die durch Luftschwingungen verursachten Gehörswahrnehmungen zer-
fallen in die beiden Gruppen der Klänge und Geräusche. Das Sausen
des Windes, Rasseln der Blätter und andere sind Beispiele von Geräuschen,
während die Töne unserer musikalischen Instrumente als Klänge bezeichnet
werden. Im Geräusch wechseln verschiedene Empfindungen rasch nach ein-
ander, der Klang hingegen besteht gleichmässig, unverändert fort, solange er
überhaupt anhält. Während im Geräusch sehr verschiedene Töne unregel-
mässig auftreten, bilden den Klang einander regelmässig folgende, periodische
Schwingungen. Aus der unregelmässigen Empfindung der Geräusche folgt,
dass auch die Luft, welche dieselben vermittelt, ungleich veränderliche Schwin-
gungen vollführt; die angenehme, gleichmässige Empfindung der Klänge hin-
gegen deutet auf eine regelmässige, in periodischen Intervallen sich wieder-
holende Bewegung des tönenden Körpers und dieser entsprechend auf periodisch
gleiche Sch\Yingungen der umgebenden Luft. Man erhält daher mit der
HÖREN. 185
Sirene Geräusche, wenn die Löcher der Scheibe in ungleichen, und Klänge,
wenn dieselben iii regelmässig gleichen Entfernungen einander folgen.
Geräusche wie Klänge werden in den meisten Fällen durch die Luft
zum Gehörorgan geleitet, indem der tönende Körper seine Bewegungen un-
mittelbar auf die denselben umgebenden, diese auf die zunächst folgenden
Luftschichten und so fort übertragen. Auf diese Weise entstehen um den
schallenden Körper kugelförmig sich ausbreitende Luftwellen, welche, dem
Quadrate der Entfernung entsprechend, je weiter um so schwächer werden.
Da die bewegten Lufttheilchen einander nicht ausweichen können, so folgt,
dass dieselben sich bald einander nähern, bald von einander entfernen; auf
diese Weise entstehen Verdünnungs- und Verdichtungswellen, welche die
normalen, specifischen Reize unseres Gehörorgans sind. Nur ausnahmsweise
gelangt der Schall ohne Vermittlung der Luft zu den Endigungen der Hör-
nerven. Dies geschieht, wenn der tönende Körper seine Schwingungen direct
den Kopfknochen mittheilt; zum Beispiel, wenn man den Fuss einer tönen-
den Stimmgabel mit den Zähnen oder dem Kopf in Berührung bringt. Auch
V^'^asser kann den Schall zu den Kopfknochen leiten. Dies kann von Wichtig-
keit für Thiere sein, die im Wasser leben. Das Gehörorgan der Fische be-
steht allein aus dem von Knochen und Knorpel eingeschlossenen Labyrinth,
Ohrmuschel, äusserer Gehörgang und Gehörknöchelchen fehlen ganz. Hier
können also nur Schallwellen des Wassers die Kopfknochen in Mitschwingen
versetzen. Luftschwingungen sind viel zu schwach, um die Kopfknochen zum
Mitschwingen zu bewegen. Die Schalleitung durch Luft und Gehörorgan ist
demnach bedeutend feiner. Man kann sich hievon auch überzeugen, wenn
man den Fuss einer klingenden Stimmgabel an den Kopf so lange hält,
bis sie verklungen zu sein scheint, und dann dieselbe mit einer Zinke dicht
vor das eine Ohr bringt, denn dann hört man die Stimmgabel wieder. Der
normale Weg der Schalleitung ist demnach das Gehörorgan.
Die Luftwellen treffen in weit grösserem Maasse die 0 h r m u s c h e 1 als
den äusseren Gehörgang, man war daher geneigt, der Ohrmuschel eine be-
deutende Rolle beim Hören zuzumessen. Man nahm an, dass die Luftschwin-
gungen die Ohrmuschel, als einen sehr elastischen Körpertheil, in Mitschwin-
gungen versetzen, welche dieselbe bis zum Trommelfell fortpflanzt. Diese
Annahme erwies sich aber bald als falsch, denn es stellte sich heraus, dass
die Luftwellen nicht fähig sind, die Ohrmuscheln und die Wand des äusseren
Gehörganges zum Mitschwingen zu bewegen. Wir hören keinen Schall bei
gut verstopften Ohren, wie wir in einem solchen Falle auch das Ticken der
an die Ohrmuschel leicht angelegten Taschenuhr nicht vernehmen. Wieder An-
dere meinen, dass die Ohrmuschel die Schallwellen wie ein Trichter auffängt
und in den äusseren Gehörgang leitet; dementsprechend hören wir auch besser,
wenn wir die Ohrmuschel durch die flache Hand vergrössern oder ein trichter-
förmiges Hörrohr in den Gehörgang setzen. Die Ohrmuschel mancher Thiere,
so die des Pferdes, gleicht in der That einem solchen Trichter und soll auch
das Gehör der Pferde bedeutend verschärfen; die Ohrmuschel des Menschen
aber entspricht nur in jenem kleinen Theile einem derartigen Trichter, mit
welchem sie den Eingang des äusseren Gehörganges umschliesst. Wie wenig
die Ohrmuschel zum Auffangen des Schalls dient, dies zeigen am besten solche
Menschen, bei denen dieselbe verkümmert ist oder ganz fehlt, und die dabei
doch ganz gut hören. Wenn wir in den Gehörgang ein Glasrohr einführen,
sonst aber denselben um das Glasrohr gut verschliessen, dann können Schall-
wellen nur durch das letztere in das Ohr gelangen, und dennoch leidet unsere
Hörschärfe hiebei nicht erheblich. Man bemerkt aber sowohl bei diesem Ver-
suche, wie auch, wenn man die Ohrmuschel mit dem Finger an den Kopf an-
drückt, dass dabei die Localisationsfähigkeit verloren geht. Pferde bewegen ihre
Ohrmuscheln und gebrauchen sie auf solche Weise dazu, um mit deren Hilfe
186 HÖREN.
die Richturig, aus welcher der Schall kommt, zu erkennen. Bei dem Menschen
hat die Ohrmuschel ihre Beweglichkeit zum grössten Theil eingebüsst, und auch
Personen, welche ihre Ohrmuscheln bewegen, können dieselben nicht nach ver-
schiedenen Richtungen hin wenden. "Wir drehen den Kopf, ja unseren ganzen
Körper viel leichter als die Vierfüssler, daher konnten wir auch die Beweg-
lichkeit unserer Ohrmuscheln entbehren und dieselbe gieng dem Menschen
verloren. Wir beurtheilen die Richtung des Schalles einlach daraus, ob wir
ihn gut oder schlecht hören. Am stärksten erscheint uns der Schall, wenn
er direct in den Gehörgang fällt, schwächer, wenn die Schallwellen von vorne,
und noch schwächer, wenn sie von rückwärts zum Ohre gelangen. Wir achten
vor allem darauf, mit welchem Ohr der Schall besser zu hören ist, und suchen
dann durch Bewegung die Stellung des Kopfes auf, bei welcher derselbe am
schärfsten gehört wird.
Der äussere Gehörgang leitet die Luftschwingungen zum Trominel-
fell. Zufolge der Krümmung des Ganges erreichen die Luftwellen das
Trommelfell erst, nachdem sie an der Wand des Gehörganges reÜectirt worden
sind. Die Krümmung schützt nämlich das Trommelfell gegen Staub und
andere Schädlichkeiten und ist so gross, dass das Trommelfell, selbst mit
dem Reflector, erst dann gesehen werden kann, wenn man die Ohrmuschel
etwas nach oben zieht und hiedurch dem Gehörgang eine geradere Richtung
gibt. Dabei ist die Sensibilität der durch Aeste des Trigeminus und Vagus
versorgten Auskleidung des Ganges eine grosse. Daher das Husten, welches
auf Reizung der tiefer gelegenen Partien des äusseren Gehörganges folgt.
Schützend wirken auch die Haare am äusseren Gehörgang, sowie das Secret
der Knäueldrüsen. Dieses Secret, das Ohrenschmalz, ist klebrig, bitter-
schmeckend und demnach nicht geeignet, Insecten, Staub u. s. w., in den
äusseren Gehörgang tiefer eindringen zu lassen. Schliesslich kann der äussere
Gehörgang auch durch seine Resonanz das Hören beeinflussen. Die Luftsäule
des Gehörganges besitzt nämlich ihren Eigenton. Derselbe ist schwach und
sehr hoch, kommt daher beim gewöhnlichen Hören wenig zur Geltung. Bei
sehr hohen Tönen aber emptinden wir die Resonanz des äusseren Ge-
hörganges lebhaft unangenehm, daher ist zum Beispiel sehr empfindlich der
Ton, welchen ein beim Schneiden auf dem Teller entgleitendes Messer ver-
ursacht.
Die longitudinalen Schwingungen der Lufttheilchen im äusseren Ohr
treffen das Trommelfell mehr weniger senkrecht zu seiner Fläche und
bringen es in Transversalschwingungen, das heisst, in Schwingungen, bei wel-
chen das Trommelfell sich in toto hin und her bewegt.
Das Trommelfell steht schief gegen die Axe des Gehörganges, oben nach
aussen und unten nach innen geneigt. Wegen dieser schiefen Lage ist das
Trommelfell grösser und wird demzufolge von mehr Luftwellen getroffen, als
dies sonst der Fall wäre. Das Trommelfell ist, seiner Aufgabe gemäss, sehr
elastisch. Diese Elasticität, sowie seine eigenthümliche Gestalt verdankt das-
selbe den elastischen Fasern (Siehe S. 148). Die Gestalt des Trommelfells
entspricht nämlich einem flachen Kegel, dessen Meridiane nicht gerade, sondern
nach aussen convex sind. Ursache dieser Gestalt sind elastische Radiär- und
Ringfasern im Trommelfell. Die Radiärfasern sind einerseits in die Knochen-
rinne eingewachsen, andererseits untereinander verbunden, die um die Radiär-
fasern liegenden Ringfasern haben einen kleineren Radius als der Kegelschnitt
an der entsprechenden Stelle, daher ist das Trommelfell gegen die Kegelaxe
convex. Jede Verdichtungsphase der Luft bewegt das Trommelfell nach innen,
jede Verdünnungsphase nach aussen. Dass Membranen in der That solche
Schwingungen machen, davon kann man sich überzeugen, indem man auf die
Membran feinen Sand streut, denn derselbe ist beständig in Bewegung, solange
die Membran überhaupt mitschwingt. Bezüglich des Trommelfells lehren das-
HÖREN. 187
selbe Versuche an Leidien. Wenn man nämlich durch den eröffneten Schädel
ein feines Glasrohr in die Trommelhöhle befestigt und durch die Tuba Eu-
stachii Leuchtgas einleitet, so lässt das aus dem Glasrohr strömende, ange-
zündete Gas auf einem rotirenden vierseitigen Spiegel bei ruhigem Trommel-
fell einen geraden, sobald jedoch ein Schall das Trommelfell trifft, einen ge-
zackten Lichtstreifen sehen. Während aber eine ausgespannte Membran gut
mit ihrem Eigenton und schwach mit solchen Tönen mitschwingt, deren
Schwingungszahl von der des Eigentons der Membran, wenn auch nicht
wesentlich, abweicht, gelangt das Trommelfell mit sehr verschieden hohen
Tönen in Mitschwingungen. Diese Eigenschaft des Trommelfells ist für das
Hören von sehr bedeutendem Nutzen, denn sonst würden wir den Eigenton
des Trommelfells sehr stark, die übrigen Töne aber nur schwach oder gar
nicht hören. Nun können wir aber in der Musik Töne von sehr verschie-
dener Höhe, etwa 7 Octaven, recht gut unterscheiden. Die Fähigkeit des
Trommelfells, mit hohen und tiefen Tönen mitzuschwingen, verdanken wir
eben seinen elastischen Elementen, wie auch dem Umstände, dass an der
Vereinigungsstelle der radiären Fasern die Spitze des Hammergriffes ein-
gewebt ist; hiedurch werden nämlich die Eigenschwingungen des Trommelfells
gedämpft und dasselbe befähigt, mit sehr verschieden hohen Tönen mitzu-
schwingen.
Von den Gehörknöchelchen ist, wie bekannt, der Hammer durch
seinen Stiel in das Trommelfell eingewachsen, ansonst aber wird der Hammer
durch Bänder getragen, welche in der Trommelhöhle zum Theil die Drehaxe
desselben bilden. Amboss und Hammer verbindet ein sattelförmiges Gelenk,
indem der Körper des Amboss die convex-concave Gelenksfläche am Hals und
Kopf des Hammers in Form eines Sperrgelenkes umfasst. Dies Sperrgelenk
theilt nach einwärts gerichtete Bewegungen des Hammerstiels dem Amboss
ungeschwächt mit, löst sich aber etwas bei Auswärtsbewegungen, so dass der
Amboss und mit demselben der Steigbügel dem Hammer nicht folgen und
bei zu starker Auswärtsbewegung des Trommelfelles der Steigbügel nicht
aus dem ovalen Fenster ausgerissen werden kann. Wie den nach vorne ge-
richteten Processus folianus in der Fissura Glaseri ein Band befestigt, so ist
auch der kurze Fortsatz des Amboss mit der hinteren Trommelhöhlenwand
verbunden. Hammer und Amboss stellen also einen Winkelhebel dar, dessen
Drehaxe durch den Processus folianus des Hammers und den kurzen Fortsatz
des Ambosses geht. Der Hammerstiel ist der eine Schenkel des Winkelhebels,
der lange Ambossfortsatz der andere. Dieser lange Ambossfortsatz articulirt
mit dem Steigbügel, dessen Trittplatte an der das ovale Fenster verschliessen-
den Membran angewachsen ist.
Der Hammerstiel folgt einer jeden Bewegung des Trommelfells, und
diesem folgt der lange Fortsatz des Amboss, welcher seine Bewegungen wieder
dem Steigbügel überträgt. Es bewegt sich demnach im ovalen Fenster die
Trittplatte des Steigbügels genau so nach innen und aussen wie das Trommel-
fell selbst. Die Gehörknöchelchen leiten also den Schall nicht durch Ver-
dichtungs- und Verdünnungswellen ihrer kleinsten Theilchen, sondern es
drückt eine jede nach innen gerichtete Bewegung des Trommelfells die Tritt-
platte des Steigbügels in das ovale Fenster, und jede Bewegung nach aussen
zieht dieselbe aus dem Fenster hinaus. Auf diese Weise gelangt die kleinste
Bewegung des Trommelfells zur Perilymphe des Labyrinths. Man kann sich
von dieser Bewegung der Gehörknöchelchen überzeugen, wenn man feine Glas-
fäden mit den Knöchelchen verbindet und durch diese die Bewegung, welche
sie verrichten, während zum Präparat Töne gelangen, auf eine berusste Fläche
aufzeichnen lässt. — Der durch den Hammer gebildete Arm des Muskelhebels
ist 9"5 mm, der durch den langen Fortsatz des Ambosses gebildete 6'9 mm lang;
die Länge des letzteren beträgt demnach zwei Drittheile des ersteren: dem
188 HÖREN.
eutsprecliend macht die Trittplatte des Steigbügels nur zwei Drittheile der Be-
wegung mit, welche der Hammerstiel beschreibt. Hiezu kommt noch, dass der
Druck im ovalen Fenster auf eine zwanzigmal kleinere Membran übertragen
wird. Die Grösse der Excursion des Steigbügels während der Schalleitung
wurde 0"0726 mm gefunden.
Die Gehörknöchelchen befinden sich in der mit Luft angefüllten
Trommelhöhle, jener Höhle, die gegen den äusseren Gehörgang das
Trommelfell abschliesst und mit dem Rachenraum die Tuba Eustachi! ver-
bindet. Nur durch diese Ohrtrompete communicirt die Trommelhöhle mit
der äusseren Luft. Für gewöhnlich ist die Ohrtrompete in ihrem knorpelig-
membranösen Theile geschlossen und öffnet sich bei der Contraction des
T\L spheno-salpingo-staphylinus beim Schluckact, sowie höchstwahrscheinlich
auch beim Gähnen und bei sehr tiefer Inspiration. Wäre die Luft der
Trommelhöhle definitiv abgeschlossen, dann müsste sich nicht nur deren Zu-
sammensetzung ändern, sondern sie würde schliesslich ganz verschwinden;
das in der Schleimhaut der Trommelhöhle circulirende Blut würde nicht nur
die Luft der Trommelhöhle resorbiren, sondern dieselbe durch Transfusion
mit Lymphe ausfüllen. Die Ohrtrompete sorgt demnach dafür, dass die
Trommelhöhle mit Luft angefüllt bleibe. Die Spannung der Luft in der
Trommelhöhle ist dem Drucke der äusseren Luft gleich, da dieselbe bei jeder
Schluckbewegung ausgeglichen wird. Alles dies ist für eine ungestörte Be-
wegung des Trommelfells unbedingt nothw^endig. Denn befände sich auf der
einen Seite des Trommelfells die äussere Luft, auf der anderen aber Flüssig-
keit oder Luft von verschiedener Spannung, dann würden diese die freie Be-
weglichkeit des Trommelfells behindern. Doch beständig offen kann die Ohr-
trompete auch nicht bleiben, weil die Luftwellen sonst von beiden Seiten auf
das Trommelfell einwirken würden, und wir die Töne, insbesondere aber unsere
eigene Stimme, viel zu kräftig hören müssten, wie die Erfahrung dies auch in
der That bestätigt. Ferner möchte das Trommelfell hiebei durch jede Athem-
bew^egung in Mitbewegung gebracht werden. Bei geschlossener Mund- und
Nasenöffnung kann durch forcirte In- und Exspiration aus der Trommelhöhle
Luft ausgezogen, bezüglich in dieselbe eingetrieben werden. Der Druck, unter
welchem der Verschluss der Ohrtrompete sich öffnet, beträgt beim Eintreiben
über 200 und beim Aussaugen 20 — 40 mm Quecksilber. Durch die Ohrtrom-
pete wird auch der Schleim entfernt, den die Schleimhaut der Trommelhöhle
absondert. Zu diesem Zwecke ist eben die Schleimhaut der Ohrtrompete mit
Flimmerepithel bedeckt. Dem Trommelfell gegenüber befindet sich in der
Wand der Trommelhöhle das ovale und das runde Fenster. Beide sind
durch je eine dünne Membran geschlossen, wodurch die Luft der Trommel-
höhle von der Labyrinthflüssigkeit geschieden ist. Die Verbindung des
Trommelfells mit der Membran des ovalen Fensters stellen eben die Gehör-
knöchelchen her. Bei jedem Druck des Steigbügels auf das ovale Fenster wölbt
sich die Membran des runden Fensters etw^as gegen die Trommelhöhle vor; dies
allein ermöglicht die freie Bewegung des Steigbügels und der Labyrinth-
flüssigkeit, denn sonst wäre die letztere in eine unnachgiebige Höhle ein-
geschlossen.
Was die Function der in der Trommelhöhle befindlichen Muskeln, des
M. tensor tympani und des M. stapedius, betrifft, so setzt sich die
Sehne des M. tensor tympani dicht unter der Drehaxe des Hammers an und
zieht dem zufolge bei der Contraction des Muskels den Hammergriff sammt
dem Trommelfell nach innen, spannt also das letztere. Diese Aenderung
der Spannung des Trommelfells durch den M. tensor tympani wird als eine
Art Accommodation an höhere Tonlagen betrachtet. Doch ist der Tensor
tympani kein solcher Accommodations-Apparat des Trommelfells, der allein
HÖREN.
189
das Hören hoher Töne ermöglicht. Heine Contractionen wechseln unmög-
lich so rasch, wie rasch wir einander folgende Töne verschiedener Höhe
unterscheiden können. Der Tensor tympani vermindert auch durch die
Spannung des Trommelfells die Intensität der Schwingungen des letz-
teren, wirkt also dämpfend; die Wirkung ist gleich der, welche der Finger
können den Tensor tympani willkürlich innerviren und das Trommelfell an-
spannen. Dies Anspannen ist ebenso hörbar, wie man auch während der
ganzen Dauer der willkürlichen Innervation einen dumpfen, tiefen Ton hört;
den bekannten Muskelton willkürlich contrahirter Körpermuskeln. Was
schliesslich den im Innern der Eminentia pyramidalis gelegenen M. stape-
dius betrifft, der sich an das Köpfchen des Steigbügels inserirt, so soll
derselbe nach einigen Forschern zur Accommodation für tiefe Töne dienen.
Auf alle Fälle fixirt er den Steigbügel, verhütet das zu starke Einpressen der
Trittplatte in das ovale Fenster, wirkt demnach ebenfalls dämpfend auf die
Bewegungen der Gehörknöchelchen, also auch auf die des Trommelfells. Es
gelingt auch den M. stapedius willkürlich zur Contraction zu bewegen, so bei
kräftigem Lidschluss.
Im inneren Ohr, im Labyrinth, befindet sich die Endigung des Hör-
nerven. Das ovale Fenster führt in den Vorhof, der sich einerseits in die
Schnecke, andererseits in die Bogengänge fortsetzt. Das ganze knöcherne
Labyrinth ist mit dünnflüssigem Labyrinthwasser (Perilymphe) angefüllt. Diese
Perilymphe umspült das häutige Labyrinth, welches mit zäher Endolymphe
erfüllt in seiner Wand die Endigungen des Hörnerven enthält. Von den im
Vorhof befindlichen Otolithensäcken hängt der Utriculus (Sacculus
hemiellipticus) mit den drei häutigen Bogengängen zusammen, während der
Sacculus (Sacculus hemisphaericus) sich in die Scala media der Schnecke
fortsetzt. Sowohl in den Otolithensäckchen als auch in den Ampullen der
Bogengänge besitzt der Hörnerv Endorgane. In den ersteren endet der
Nerv in je einer Macula acustica, deren Nervenepithel mit kurzen Haaren
versehen ist, welche eine Gallerte deckt, in der sich reichlich Otolithen
befinden. Die Otolithen sind mikroskopisch kleine Kalkcarbonat-Krystalle.
Bei Knochenfischen und wirbellosen Thieren bilden die Otolithen grosse Con-
glomerate. In den Am-
pullen der Bogengänge fin-
det man an der Concavität
derselben je zwei Cristae
acusticae, als halbkreis- y^^A^-'-'-^/i^^r^^^i^fe-Ä:?^^^.,^^
förmige Falten, welche
zwischen indifferenten
Zellen mit feinen langen
Hörhaaren versehene Hör-
zellen enthalten (Siehe
S. 158 u. 159).
Die Endigung des
N. acusticus in der
Schnecke, das soge-
nannte CoETi'sche 0 r-
gan, befindet sich in der
Scala media {S. m. Fig.
1, 2) derselben.
190 HÖREN.
Um die Function dieses Organs zu verstehen, möge das Wichtigste
von dessen Bau hier kurz Erwähnung finden*).
Im Modiolus der Schnecke (Fig. 1) steigen die Fasern des N. coch-
learis nach der Lamina spiralis auf, welche den Schneckengang in zwei
Etagen theilt. Die obere Etage, die Scala vestibuli (>S'. v.), führt
zum Vorhof des Labyrinths, die untere, die Scala tympani (S. t.), wird von
der Trommelhöhle durch die Membran des runden Fensters abgesperrt. In
der Kuppel befindet sich das Helicotrema, eine kleine Oeffnung, durch
Avelche die beiden Etagen miteinander communiciren. Eine dritte Etage
bildet die Lamina spiralis membranacea noch dadurch, dass sich ein
dünnes Häutchen, die REissNER'sche Membran (i?. h.) von derselben abhebt
und so, getrennt von allen übrigen Gebilden der Lamina spiralis membra-
nacea, der Schneckenwand zustrebt, um sich dort anzuheften. Diese auf
solche Weise gebildete dritte Etage, die Scala media (S. m.), birgt das
CoRTi'sche Organ in sich. Ausser von der Membrana Reissneri {R. h.)
wird die Scala media nach innen von der Habenula sulcata (H. s.
Fig. 2) und vom Su cus spiralis (S. s.), nach innen und unten von
der Habenula perforata (H. ^j.), nach unten von der Membrana ba-
silaris (M. h.) und nach aussen von der äusseren Schneckenwand be-
grenzt. Die Nervenfasern (7) kommen zwischen den Knochenlamellen der
Lamina spiralis ossea zur Habenula perforata, um durch feine Oeff-
nungen derselben in den Sulcus spiralis zu gelangen. Eine directe Fortsetzung
der Habenula perforata ist die aus hyaliner Substanz gebildete Membrana
basilaris {M. 5.), welche bei L an der äusseren Wand der Schnecke
endet. Die Membrana Reissneri geht von der Habenula sulcata aus, ruht
auf der CoRTi'schen Membran, um dann nach aufwärts zu steigen und so
die Schnecken wand zu erreichen. Die Scala vestibuli und tympani füllt Peri-
lymjjhe aus, während die durch den Canalis reuniens mit dem Sacculus
communicirende Scala media Endolymphe enthält.
Auf einem durch das ConTi'sche Organ geführten Querschnitt fallen am
meisten die für die Physiologie des Gehörorgans wichtigen Bögen in die
Augen (C ^.). Einen jeden Bogen bildet eine innere und eine äussere
Faser. Das untere Ende der inneren Fasern ruht auf der Habenula sulcata
unmittelbar dort, wo die Fasern des Hörnerven in die Scala media eintreten,
während die äussere Faser nach aussen und unten zur Membrana basilaris
zieht. Die CoßTi'sche und mit dieser auch die REissNER'sche Membran liegen
den Bögen auf. Die Zahl der inneren Fasern ist grösser als die der äusseren;
im ganzen dürften etwa 4500 äussere Fasern sein. Die Scala media und mit
dieser auch die Bögen nehmen in den aufsteigenden Schneckenwindungen
von unten nach oben an Grösse zu. Die Länge der inneren Fasern beträgt
nämlich in der untersten Windung 30, in der obersten 34, die der äusseren
entsprechend 47 und 69 Mikromillimeter.
An den Fussenden der äusseren Fasern der Bögen gewahrt man eine
lineare Structur. Diese Linien entsprechen feinen, saitenartigen Gebilden,
welche, aus der Faser entstehend, über der Membrana basilaris hinziehen und
am Ligamentum spirale (L. s.) enden. Ich nannte daher diese mit
der Membrana basilaris nicht verwachsene Schichte, als ich sie zuerst
erkannte (1873) und beschrieb, ^^ Saitenschichte'' .^^'') Beim Kaninchen ent-
stammen einer jeden äusseren Faser des Bogens 10 — 15 solche Saiten. Die
*) Vergleiche auch Artikel ,, Gehörorgan" in ds. Bd.
**) Das die Saitenschichte, sowie die Lage des REissNER^schen Membran betreffend
hier von Bekanntem abweichende, wurde von mir ausführlich mitgetheilt in den Werken:
Vizsgälatok az emlösök fiilcsigäjäröl. Akademiai ertekezesek. III. Band, 14. Heft. Budapest
1873 und Az emberelettan tankönyve. 1. Band, 400—425 S. Budapest 1892.
HÖREN.
191
Länge derselben nimmt, der der Bögen entsprechend, von unten nach oben
zu; so beträgt die Länge der zu unterst gelegenen Saiten 0'112, die der
Kuppel nahen 0'152mw. Diese Bögen mit den entsprechenden Saiten erin-
nern unwillkürlich an die Tasten und Saiten des Claviers, nur sind in dem
CoRTi'schen Organ etwa 4500 Tasten und mindestens 45*000 Saiten vor-
handen.
c.f H.s,
U-
Fig. 2.
Die ejgentliclien Endapparate des Schneckennerven sind die cylindrischen
Haarzellen; man hat derer 16-400 bis 20*000 zusammengezählt. Eine Reihe
derselben befindet sich innen vom Bogen (Fig. 2, C. s.), drei bis vier Reihen
nach aussen von diesem (Fig. 2, C. s.). Die äusseren Haarzellen stehen mit
ihren verjüngten Enden auf den Saiten der Saitenschichte. Die zwischen den
äusseren Haarzellen befindlichen spindelförmigen, sogenannten DEiTER'schen
Zellen sind wohl nur als Fortsätze der Haarzellen zu betrachten. Die Nerven
endigen mittels feiner, varicöser Fibrillen an den Haarzellen, indem sie
dieselben umspinnen. Alle diese Theile des CoRTi'schen Organs, die Bögen
und Zellen, hält an ihrem oberen Ende eine Kittmasse zusammen, die so-
genannte Membrana reticularis; durch Lücken derselben ragen die
Haare der Haarzellen hervor. In allen übrigen Zellen, welche sowohl im Sul-
cus spiralis liegen, wie auch die Saitenschichte decken, und die man unter
dem Sammelnamen CLAUDius'sche Zellen (C/. s.) zusammenfasst, ist keine
Nervenendigung zu constatiren, dieselben sind als Dämpfungsapparat zu
betrachten. — Die Empfindung eines musikalischen Klanges hält nicht merk-
lich länger an als der Schall, welcher denselben wachruft. Am leichtesten
kann man Nachempfindung noch bei tiefen Tönen beobachten. Es ist theil-
weise schon durch das Trommelfell, noch mehr aber eben durch den Bau des
CoETi'schen Organs, der CoRTi'schen Membran, der vielen auf den Saiten
ruhenden Zellen, sowie durch die dickflüssige Endolymphe für Dämpfung
genügend gesorgt.
Was das Vorkommen der nun beschriebenen Theile des Labyrinths
betrifft, so findet man die Otolithen enthaltenden Säckchen überall dort, wo
bei Thieren ein Gehörorgan überhaupt vorkommt. Die Bogengänge sind allen
Wirbelthieren eigen, während die Schnecke nur bei Säugethieren und Vögeln,
wenig entwickelt noch bei Reptilien vorkommt, Fische haben keine Schnecke,
das Gehörorgan derselben wurde auch in der That allein als statisches Organ
erkannt.
Die Schwingungen des Trommelfelles und der Gehörknöchelchen über-
trägt, wie wir sahen, die Trittplatte des Steigbügels auf die Perilymphe des
Labyrinths, Diese, eine von fester Wand umschlossene Flüssigkeit, kommt
192 HÖREN.
dadurch in Mitscliwiiigungen, dass die IMembran des runden Fensters um den
gleichen Betrag ausgebaucht wird, um welchen die Trittplatte des Steigbügels
in das ovale Fenster hineingedrückt wird und umgekehrt. Die hiebei nöthige
Verschiebung der Flüssigkeit kann vorzüglich durch das Helikotrema ge-
schehen, wobei Perilymphe der Scala vestibuli in die Scala tympani gelangt
und umgekehrt. Wohl wird jede Verdickungswelle der äusseren Luft, sobald
sie das Ohr trifft, nicht nur durch die Gehörknöchelchen auf die Perilymphe
des Yorhofs einwirken, sondern durch das Trommelfell und die Luft der
Trommelhöhle auch auf die das runde Fenster verschliessende Membran über-
tragen; allein, der Druck der Gehörknöchelchen auf das ovale Fenster ist
bedeutend grösser, und demzufolge muss, wenn die Membran des ovalen
Fensters sich nach innen oder aussen zu bewegt, jene des runden Fensters
sich umgekehrt nach aussen, bezüglich nach innen beugen. Während dieser
Bewegung der Perilymphe in der Scala vestibuli erfolgt auch Drucküber-
tragung auf die Membrana Reissneri, welche, wie ich gezeigt, der CoRTi'schen
Membran anliegt und unmittelbar den elastischen Boden der Scala vestibuli
bildet; so gerathen beide Membranen in Mitschwingungen. Die CoRTi'sche
Membran überträgt ihre Bewegungen auf die Bögen, über welchen die Druck-
schwankungen eben der Lage der REissNER'schen Membran entsprechend, am
grössten sind; die Bögen wieder übermitteln durch die äussere Faser ihre
Schwingungen auf die Saiten. — Wir haben die Bögen und deren Saiten
mit den Tasten und Saiten eines Claviers verglichen. Wenn wir uns nun die
Saiten des Claviers, sowie jene des CoRTi'schen Organs mit Nervenendigungen
versehen denken, dann haben wir in dem Schema des Claviers ein deutliches
Bild der Function unseres Schneckenapparates.
Die Function des Trommelfells zeigt, dass Membranen durch Töne in
Mitschwingungen versetzt werden können, und die Erfahrung lehrt, dass dem
ähnlich Stimmgabeln und Saiten auch in Mitschwingungen gerathen. Wenn
in der Nähe eines Claviers, dessen Saiten freiliegen, ein Ton erschallt, so
tönt derselbe aus dem Ciavier wieder, und wenn man die Saiten des Claviers
untersucht, so wird man finden, dass jene Saiten mitschwingen und den Ton
wiedergeben, welche, durch ihre Tasten zum Tönen gebracht, denselben Schall
ertönen lassen. Ein anderer musikalischer Klang bringt entsprechend andere
Saiten in Mitschwingungen. Es gelangen demnach durch die Luftwellen im
Ciavier stets jene Saiten in tönende Mitschwingungen, welche, auf andere
Weise zum Tönen gebracht, selbst die gleichen Luftwellen erzeugen, andere
aber nicht. Mit Stimmgabeln lässt sich die gleiche Erfahrung machen. Nun,
solche zum Mitschwingen geeignete Gebilde sind die Bögen und Saiten des
CoRTi'schen Organs auch. Ein bestimmter Ton bringt also, durch Vermittlung
der Membrana Reissneri und Corti, nur gewisse Bögen und Saiten in Mit-
schwingungen; da nun das Nervenepithel, die Haarzellen, auf den Saiten
ruhen, so können auch nur je nach dem Ton verschiedene Nervenfasern er-
regt werden. Dementsprechend sind für das Hören die Saiten von grösserer
Bedeutung als die Bögen. Dies bestärkt auch der Umstand, dass in dem
CoRTi'schen Organ der Vögel wohl Saiten, aber keine Bögen enthalten sind.
Wie wir sahen, nehmen die Bögen, sowie deren Saiten in den
Schneckenwindungen von unten nach oben an Grösse zu, demnach werden
tiefe Töne die unteren, hohe die der Spitze nahe gelegenen Saiten in Mit-
bewegungen und die entsprechenden Nervenfasern in Erregung versetzen.
Wir gelangen also, indem wir von der Structur des CoRTi'schen Organs aus-
gehen, zu der Annahme, dass jeder Bogen, eventuell jede Saite, von der Basis
bis zur Spitze der Schnecke genau für einen bestimmten Ton abgestimmt
ist und dessen WahrnehmuDg vermittelt. Diese Annahme findet noch ihre
Bestätigung in der Erfahrung, nach welcher Zerstörung der Schneckenspitze
für tiefe, Zerstörung der Basis für hohe Töne taub macht. Dass so ungemein
HÖREN. 193
kleine Gebilde, wie die Saiten des CoRTi'schen Organs, selbst mit sehr tiefen
Tönen in Mitschwingungen gerathen, dies scheint nur möglich, weil die
Saiten steife Fäden sind, die, belastet mit den auf ihnen ruhenden Zellen und
der Endolymphe, als ganze schwingen; eine jede Belastung der Saiten macht
ihren Eigenton tiefer. Da in einer Schnecke etwa 4500 Bögen und wenigstens
zehnmal soviel Saiten enthalten sind, so ist hieraus die Feinheit des Ohres
bergeiflich, das heisst, die Fähigkeit, zwei Töne von annähernd gleicher
Schwingungszahl bereits als verschieden hoch zu erkennen.
Während es nun keinem Zweifel unterliegt, dass die Wahrnehmung
musikalischer Klänge und Töne die Schnecke vermittelt, gibt es Forscher,
die da meinen, dass bei der Wahrnehmung von Geräuschen die Säckchen
und Ampullen mitwirken; doch widersprechen dieser Annahme sowohl der
histologische Bau, wie auch mechanische Verhältnisse. Als die einzigen nach-
giebigen Theile des Labyrinths haben wir die beiden Fenstermembranen
erkannt, da die engen Canäle, wie der Aquaeductus vestibuli, und Schleimhaut-
gefässe hier wohl nicht in Betracht kommen. Demnach können die Bewe-
gungen des Steigbügels den absoluten Druck der Endolymphe des Vorhofs
und der Ampullen wohl ändern, nicht aber dieselbe in Strömungen versetzen.
Wenn die Aufgabe dieser Druckschwankungen eine Erregung der Nervenendi-
gungen der Ampullen und Säckchen wäre, dann dürften dieselben nicht so
unvortheilhaft innerhalb der membranösen Gebilde verborgen, eingebettet in
der dickflüssigen Endolymphe stecken, um so den vom ovalen nacli dem
runden Fenster ziehenden Stromlinien entrückt zu sein, sondern würden an
ganz bestimmten Stellen frei in die Perilymphe hineinragen. Ferner lehrt
die Erfahrung, dass Thiere ohne Schnecke, so Fische, nicht hören. Auch
gelingt es leicht, Meerschweinchen beide Schnecken zu entfernen, ohne das
Gehörorgan weiter zu verletzen; solche Meerschweinchen sind stocktaub.
Andererseits hören Tauben, Kaninchen, deren Bogengänge zerstört worden
waren, ganz gut. — Ein jedes Geräusch ist eigentlich nichts anderes als ein
Gewirr einzelner Töne, in welche sich Geräusche oft auch zerlegen lassen.
Wenn dem aber so ist, dann muss ein Organ, welches genügt, musikalische
Klänge und Töne zur Wahrnehmung zu bringen, auch genügen, Geräusche zu
vernehmen, ja, das Gegentheil wäre einfach unverständlich. Das Geräusch
erweckt in den Saiten des CoRTi'schen Organs aber so unharmonische, regel-
lose Schwingungen, wie in einem Ciavier, aus dem jedwedes Geräusch wider-
hallt, sobald seine Dämpfung aufgehoben wurde.
Bezüglich der Säcke und Bogengänge hat die Forschung nachgewiesen,
dass Verletzungen derselben locomotorische Störungen verursachen. Der Ver-
letzung ein und desselben Bogenganges auf beiden Seiten folgt bei jeder
Bewegung eine pendelartige Bewegung des Kopfes und die Neigung des ganzen
Körpers, sich um eine der Ebene des Bogenganges senkrechte Axe zu
drehen. Reizt man die Bogengänge auf mechanische, chemische oder elek-
trische Weise, so ruft dies ebenfalls Bewegungen hervor. Werden beide
Labyrinthe vollständig exstirpirt, dann nehmen die Thiere ganz verkehrte
Kopf- und Körpersteliungen ein, verlieren jeden Wlllenseinfluss auf ihre
Bewegungen und machen den Eindruck, als hätten sie alle Fähigkeit der
Orientirung verloren. Högyes fand in den Bogengängen auch die Organe,
welche die gleichzeitigen Bewegungen beider Augen auf reflectorischem Wege
veranlassen. Exstirpation der Vorhofsäcke verursacht ebenfalls abnorme
Körperhaltung. Alle die Bogengänge und Vorhofsäcke betreffenden Erfah-
rungen der Forscher deuten dahin, dass dieselben zur Orientirung des
Körpers im Räume dienen, daher man sie als ein statisches Organ bezeichnet.
Wie wir sahen, theilt man die Gehörswahrnehmungen in Geräusche und
Klänge ein, die Empfindung des Geräusches verursachen unregelmässige, die
Ohren-, Nasen-, Eachen-, Kelilkopfkranklieiten. lo
194 HÖREN.
der Klänge regelmässige Schwingungen des tönenden Körpers. An den Klängen
selbst unterscheidet man deren Intensität, Tonhöhe und Klangfarbe.
Die Intensität eines Klanges hängt allein von der Amplitude der
Luftschwingungen, demnach auch von der Amplitude der Schwingungen der Saiten
im CoRTi'schen Organ ab. Beim Fortpflanzen des Schalls nimmt seine Inten-
sität mit dem Quadrate der Entfernung ab, daher wird die Reizschwelle auch
durch das Quadrat der Entfernung gemessen, aus welcher zum Beispiel das
Ticken einer Uhr oder Sprachlaute gehört werden. Man benützt auch Tele-
phone zur Messung der Reizschwelle, indem man in den Kreis des zwei Tele-
phone verbindenden Drahtes als Nebenweg ein Rheochord oder die SiEMENs'sche
Brücke einschaltet. Durch letztere kann die Tonstärke in dem vor das Ohr
gehaltenen Telephon von Null bis zur möglich höchsten Intensität beliebig
gesteigert oder geschwächt w^erden. Als Schallquelle dient eine tönende
Stimmgabel oder Glocke. Nach den Untersuchungen ist selbst bei gesunden
Personen die Reizschwelle nicht nur bei den einzelnen Individuen, sondern
selbst an den beiden Ohren ein und desselben Individuums eine verschieden
hohe. — Um Intensitätsunterschiede gleich gut zu erkennen, müssen die-
selben, dem WEBER'schen Gesetze entsprechend, der absoluten Stärke propor-
tional sein.
Die Höhe wird durch die Frequenz der Luftschwingungen bestimmt; der
Klang ist um so höher, je grösser die Zahl derselben in der Zeiteinheit ist. Der
höchste noch hörbare Ton liegt zwischen 38-000 — 40.960, der tiefste zwischen
16 — 40 Schwingungen in einer Secunde. Die Hörfähigkeit erstreckt sich
demnach auf etwa 11^2 Octaven. Die Schwingungszahl der in der Musik
gebräuchlichen Töne befindet sich zwischen 40 — 4000 in der Secunde, schliesst
also rund 7 Octaven ein. Damit das Ohr den Eindruck eines Tones wahr-
nehme, dazu sind etwa 16—20 Schwingungen nothwendig, Die Feinheit des
Gehörs, das heisst, die Empfindlichkeit desselben für Höhenunterschiede, kann
durch Uebung erstaunlich vervollkommnet werden. Man fand, dass geübte
Musiker Töne von 1000 und 1001 Schwingungszahl zu unterscheiden ver-
mögen. Diese Fähigkeit, eine so grosse Reihe von Tönen zu unterscheiden,
verdanken wir dem wahrlich wunderbaren Bau des CoRTi'schen Organs. Die
Wahrnehmung verschieden hoher Töne ist nur dann möglich, wenn einen
jeden Ton eine besondere Acusticusfaser zum Bewusstsein bringt. Es gelangt
also je nach der Höhe des Tones eine andere Saite oder Saitengruppe in
Mitschwingungen, und diese reizen entsprechend verschiedene Nervenfasern.
Dies bestätigen Erfahrungen insoweit, als durch dieselben constatirt wurde,
dass die tiefen Töne in der Spitze der Schnecke, die hohen in der ersten
Windung erregend wirken.
Unter Klangfarbe versteht man jene Eigenschaft der musikalischen
Klänge und Geräusche, zufolge welcher die Schallquelle erkannt wird. Zwei
Klänge können gleich stark und gleich hoch sein, und doch erscheinen sie
uns je nach dem Instrument verschieden, von dem sie stammen. So macht
es gar keine Schwierigkeit, den Klang des Claviers von dem der Geige,
Flöte etc. zu unterscheiden. Dieser Unterschied der Klänge ist bedingt durch
die Schwingungsform. Untersuchungen von Helmholtz, des Begründers der
physiologischen Akustik, haben ergeben, dass die musikalischen Klänge, selbst
die menschliche Stimme, aus vielen einzelnen einfachen Tönen zusammen-
gesetzt sind. Von diesen Tönen schallt der tiefste am stärksten, derselbe
bestimmt die Höhe des Klanges und heisst Grundton; die übrigen Töne sind
schwächer, für die verschiedenen Instrumente nach Zahl und Stärke ver-
schieden und heissen Neben- oder Obertöne. Gewöhnlich achtet man in der
Musik nur auf den Grundton, ein geübtes Ohr kann aber aus dem musikalischen
Klang den Grundton, sowie die stärkeren Obertöne heraushören, übrigens sind
mit Hilfe der Resonatoren die Einzeltöne der Klänge auch für ungeübte Ohren
HÖREN. 195
erkennbar. Die Resonatoren sind Hohlkugel a mit einer grösseren und einer
ausgezogenen engeren Oett'nung, von welchen man beim Gebrauch die letztere
an das Ohr anhält. Die Luft eines Resonators verstärkt nämlich stets nur
den Eigenton. Auf solche Weise gemachte Analysen der musikalischen
Klänge erwiesen, dass die Schwingungszahl der Partialtöne stets dem ganzen
Vielfachen der Schwingungszahl des Grundtones entspricht, also die zwei-,
drei-, vier-, fünffache der des Grundtones ist. Man nennt die Partialtöne des
musikalischen Klanges einfache Töne. Ein solch einfacher Ton ist der
des an einem Ende befestigten, hin- und herschwingenden Metallstabes, also
auch der Stimmgabel. Dem entsprechend kann die Schwingungsform eines
jeden musikalischen Klanges in einfache pendelartige Schwingungen zerlegt
werden.
Wir haben bereits gesehen, dass, wenn der Eigenton einer Ciaviersaite
ertönt, dieser die entsprechende Saite in Mitschwingungen versetzt; erschallt
ein musikalischer Klang, dann bringt derselbe alle jene Saiten in Mitschwin-
gungen, die den Grundton und den Obertönen entsprechen. Die mehr weniger
complicirte Schwingungsform, in welche die Luftth eilchen durch den musika-
lischen Klang gerathen, bringt alle jene Saiten in Mitschwingungen, deren
Eigentöne in dem musikalischen Klang als Partialtöne enthalten sind. Dem ähn-
lich sind auch die Verhältnisse im CoRTi'schen Organ. Von den bis in die
Schnecke gelangten, eventuell sehr complicirten Schwingungen wählt sich ein
jeder Bogen und Saite den entsprechenden Partialton aus. Der Grundton und
jeder Oberton bringen je ein anderes Endorgan in Erregung. Das Gehörorgan
zerlegt demnach den zusammengesetzten Klang in die denselben bildenden
Partialtöne, gesonderte Nervenfasern leiten die Erregungen zum Gehirn, wo
sie, wenn wir darin nur geübt sind, auch gesondert zum Bewusstsein gelangen.
Wir sind aber gewöhnt, den musikalischen Klang nur als ganzes aufzufassen,
und wähnen daher, in demselben nur den Grundton zu vernehmen. Wir be-
gnügen uns damit, die Höhe und Intensität des Klanges, eventuell das In-
strument, von welchem derselbe kommt, zu erkennen, denken aber weiter nicht
an die Details, und weil wir an diese zu achten nicht gewöhnt sind, werden
wir die Details auch nicht gewahr. In dieser Beziehung ist das Gehör dem
Gesicht weit überlegen. Wir sind nicht im Stande, in einer gemischten
Farbenerapfindung jene einfachen Farben zu erkennen, aus welchen dieselbe
eventuell zusammengesetzt ist.
Für die Klangfarbe sind oft auch noch gewisse Geräusche charakte-
ristisch, so für den Klang der Geige das Reibegeräusch der Haare des Bogens
auf der gestrichenen Saite, für die menschliche Stimme die Geräusche, welche
die strömende Luft in den Luftwegen erzeugt, — Erschallen zwei oder mehr
verschiedene Klänge und Geräusche, dann sind wir im Stande, einzelne oder
einen derselben herauszuhören, sobald wir unsere Aufmerksamkeit demselben
allein zulenken.
Die Empfindung, welche mehrere zu gleicher Zeit erschallende Töne
oder Klänge in uns erwecken, kann eine harmonische oder dishar-
monische sein. Töne, deren Schwingungszahlen sich zu einander so ver-
halten, wie das Vielfache zum Einfachen, wie 1:2:3:4... sind in voll-
kommener Harmonie oder Consonanz. In der Richtung zur Dissonanz
folgen dann die Quint (2 : 3), Quart (3 : 4), grosse Sext (3 : 5), grosse Terz
(4 : 5), kleine Sext (5 : 8) und kleine Terz (5 : 6). Ursache der Disharmonie
sind die sogenannten Schweb ungen. Die Wellen zweier gleich hoher Töne
können, je nach der Phase, in der sie einander treffen, an Intensität gewinnen
oder auch verlieren, ja sie können bei gleicher Intensität und entgegen-
gesetzter Phasenrichtung einander aufheben. Die Ursache dieser Erscheinungen
ist die Interferenz der Tonwellen. Wenn zwei Töne von etwas abweichender
Höhe ertönen, dann kann man beobachten, dass der Schall periodisch an In-
13-
196 HÖRPRÜFUNG.
tensität zu- und abnimmt, ja selbst verstummt. Dies sind die Schwebungen.
Solche Schwebungen können nicht nur die Grundtöne, sondern auch die Ober-
töne verursachen. Die Zahl derselben ist gleich dem Unterschied der
Schwingungszahlen beider Klänge. Je näher daher die zu gleicher Zeit
tönenden Klänge einander stehen, umso seltener erfolgen die Schwebungen,
je weiter sie von einander sind, umso häufiger, und in einer gewissen Distanz
der Töne von einander nehmen wir keine Schwebungen mehr wahr. 20—30
Schwebungen in der Minute machen einen sehr unangenehmen Eindruck.
Man hört auch Schwebungen, wenn von den zwei Tönen der eine dem einen,
der andere dem anderen Trommelfell direct zugeleitet wird; demnach kann
Interferenz der Tonwellen nicht nur in der Luft, sondern selbst im Hirn
entstehen.
Die Schallempfindung tritt nicht augenblicklich ein, sobald der Klang
erschallt, sondern erfordert eine gewisse Zeit; bei den schwächsten Tönen
1 — 2 Secunden. Ebenso klingt die Schallempfindung auch nicht augenblicklich
mit dem Klang ab, sondern überdauert denselben eine kurze Zeit lang
(0"0393 — 0'0055 Secunden.) Sehr lange anhaltendes Nachklingen eines Tones
oder Musikstückes gehört zu den psychischen Erscheinungen. Auch Er-
müdung des Gehörorgans wurde bemerkt. Subjective Gehörsempfindungen,
wie Ohrensausen und Ohrenklingen, verursachen sowohl krankhafte erhöhte
Erregbarkeit, wie sie auch Eigentöne der Ohrtheile sein können. In den
meisten Fällen veranlassen Störungen im Blutkreislauf diese Gehörsempfin-
dungen. Hierher stammt auch das Ohrensausen, welches man bei zugehal-
tenen Ohren hört. ferd. klug.
Hörprüfung. Die Hörprüfung hat nicht allein den Zweck, den Nach-
weis über den bei einem Patienten vorhandenen Grad des Hörvermögens zu
liefern, sondern auch in Fällen, in welchen die übrigen Untersuchungs-
methoden negative oder unbestimmte Resultate ergeben, über den Sitz des
Leidens Auskunft zu verschaffen, d. h. so weit wie möglich zu entscheiden,
ob eine Krankheit im schalleitenden oder im schallempfindenden Apparate zu
suchen ist. Wenn nun die Functionsprüfung in der That bis zu einem ge-
wissen Grade sichere difterentiell-diagnostische Anhaltspunkte gibt, so muss
doch von vornherein betont werden, dass ihre Ergebnisse oft, und zwar gerade
auch in denjenigen Fällen, in welchen man auf ihre Entscheidung am meisten
angewiesen ist, durchaus unzuverlässig und widerspruchsvoll sind. Eine
sanguinische und kritiklose Verwendung dieser Untersuchungsmethode kann
daher nur eine Verwirrung der Diagnose herbeiführen, und besonders muss
es als unstatthaft bezeichnet werden, wenn Schlüsse aus dem Resultate einer
einzigen, für sich allein nur ausnahmsweise beweiskräftigen Versuchsanordnung
gezogen werden. Man braucht andererseits auch nicht in einen übertriebenen
Skepticismus zu verfallen, welcher von den verschiedenen Hörprüfungen keine
einzige anerkennen will und welcher jedesfalls nur insofern Recht hat, als
allerdings in Fällen, in welchen alle Resultate einander sowohl als den objec-
tiven Befunden widersprechen, der Hörprüfung nur ein bescheidener, unter-
geordneter Wert beizumessen ist.
Da das Trommelfell durch die Vermittlung der in den Gehörgang
eindringenden Schallwellen direct und durch die von diesen auf die Kopf-
knochen übertragenen Schwingungen in Bewegung gesetzt wird, so hat die
Hörprüfung zwei physiologische Vorgänge, den der aerotympanalen Leitung
und der craniotympanalen Leitung, zu berücksichtigen.
1. Prüfung der aerotympanalen Leitung.
a) Prüfung mit der Taschenuhr. Die Taschenuhr ist der am meisten
verbreitete Hörmesser, als welcher sie sich auch ganz gut eignet, w^eil ihre.
HÖRPRÜFUNG. 197
Töne von ziemlich constanter Höhe und Stärke sind. Da die Entfernung, in
welcher das Ticken der Uhr normaler Weise gehört werden kann, je nach
der Beschaffenheit des Werkes eine sehr verschiedene ist, so muss diejenige
Taschenuhr, welche man bei Functionsprüfungen verwenden will, auf ihre
individuelle Hörweite an einer grösseren Zahl von Normalhörenden geprüft
werden. Diese normale durchschnittliche Hörweite wird bei den Notizen über
die Hörprüfungsresultate in den Nenner eines Bruches gesetzt, dessen Zähler
die jeweilige Entfernung in Centimetern angibt, in welcher der Kranke das
Ticken thatsächlich gehört hat. Hört also ein Kranker die normaliter auf
2 m hörbare Uhr nur auf 10 cm, so wird man notiren: Hörweite (H) für Taschen-
uhr = ^"^oo- Natürlich gibt aber dieser Bruch nur das Verhältnis des Gehörs
zu der einen Schallquelle, der Taschenuhr, an, und es kann nicht genug betont
werden, dass dasselbe anderen Schallquellen gegenüber ein ganz anderes sein
kann, dass also aus der Hörweite für die Taschenuhr auf die Hörfähigkeit
überhaupt nicht geschlossen werden darf. So lehrt z. B. die tägliche Er-
fahrung, dass viele, namentlich ältere Menschen und solche, welche fort-
dauernd äusseren Geräuschen ausgesetzt sind, das Uhrticken gar nicht oder
nur auf ganz kurze Entfernung wahrnehmen, während sie die Sprache ganz
gut zu verstehen im Stande sind.
Die Prüfung mit der Uhr muss für jedes einzelne Ohr, also bei möglichst
festem Verschlusse des anderen, vorgenommen werden, und zwar soll der
Patient dabei die Augen schliessen, weil sonst leicht absichtliche oder unab-
sichtliche Täuschungen unterlaufen. Die Uhr ist aus einer Distanz, in
welcher sie noch nicht gehört wird, allmählich dem Ohre in der Pachtung
der Gehörgangaxe zu nähern, bis das Ticken wahrgenommen wird, was der
Patient sofort anzuzeigen hat. Bei umgekehrtem Wege würden die Nach-
klänge, die Trägheit des Acusticus Fehlerquellen einführen. Um zu contro-
liren, ob der Patient richtige Angaben macht, empfiehlt es sich, die Taschen-
uhr mehrmals von der Stelle, von welcher sie angeblich noch gehört wird, un-
bemerkt zu entfernen; auch kann man Uhrwerke mit einer Hemmvorrichtung
anwenden, bei welchen durch einen unauffälligen Druck auf einen Knopf ein
Stift in das Räderwerk getrieben wird, so dass der Gang eine momentane
Unterbrechung erleidet.
An Stelle der Taschenuhr wird von einigen Ohrenärzten der sogenannte
„einheitliche Hörmesser" von Politzer (siehe: Instrumentarium des
Ohrenarztes) verwendet, welcher indessen in keiner Beziehung den Vorzug ver-
dient, zumal da er normaler Weise auf eine sehr grosse Entfernung (bis
15 m) gehört wird und der mit ihm erzeugte sehr hohe Ton bei ver-
schiedenen Instrumenten verschieden, also kein einheitlicher ist.
b) Prüfung mit der Sprache,
Die Sprachprüfung ist ebenso wie die mit der Uhr für jedes Ohr ge-
sondert vorzunehmen. Damit der Kranke die Worte nicht von den Lippen
des Arztes ablesen kann, worin viele Schwerhörige eine grosse Fertigkeit be-
sitzen, muss er auch hier, solange er dem Arzte zugewendet ist, die Augen
schliessen. Man soll bei der Prüfung stets möglichst leise sprechen und
niemals Fragen stellen, auf welche nur mit Ja und Nein geantwortet werden
muss, weil der Patient, auch wenn er nur einzelne Silben verstanden hat,
auf dem Wege der Combination den Sinn zufällig richtig erfasst haben kann.
Man muss vielmehr den zu Untersuchenden anweisen, alles, was ihm vor-
gesprochen wird, laut und ohne Zögern nachzusprechen, wobei man natürlich
Worte und Begriffe zu wählen hat, w^elche dem Ideenkreis des Kranken an-
gepasst sind. Mit besonderer Vorliebe werden Zahlwörter zur Prüfung ge-
wählt, gegen deren regelmässige Verwendung nur geltend gemacht werden
kann, dass der Patient sie zuweilen auch richtig rathen kann.
198 HÖRPRÜFUNG.
Bei augensclieiülicli nicht sehr herabgesetztem Hörvermögen prüft man
mit Hilfe der Flüstersprache. Dieselbe wird normaler Weise auf 20— 25
Meter Entfernung gehört. Da ein so grosser geschlossener Raum meist nicht
zur Verfügung stehen Avird, so erschwert man das Hören dadurch, dass man
sich in möglichst grosser Entfernung von dem mit dem Gesicht nach der
gegenüberliegenden Wand gekehrten Patienten, diesem den Rücken zuwendend,
aufstellt und nun Worte mit deutlicher Aussprache flüstert. Versteht der
Kranke diese „doppelt abgewandte Flüstersprache" nicht, so schreitet man
rückwärts näher zu ihm und versucht, wenn auch dies vergeblich ist, die
„einfach abgewandte Flüstersprache", indem man jetzt das Gesicht dem Rücken
des Patienten zuwendet. Bei höhergradig Schwerhörigen prüft man mit „zu-
gewandter Flüstersprache", nämlich direct gegen das zugewandte freie Ohr
des zu Untersuchenden.
Falls Flüstern überhaupt nicht wahrgenommen wird, so pflegt man mit
abgewandter oder zugewandter Conversationssprache und, wenn nöthig,
mit lautem Sprechen oder mit Schreien zu prüfen.
Da die verschiedenen Laute der menschlichen Sprache, ihren Schwin-
gungszahlen entsprechend, eine sehr verschiedene Hörweite besitzen, so ist es
natürlich nicht gleichgiltig, welche Worte man zur Prüfung verwendet. Die
ungefähre Entfernung, in welcher die Sprachlaute durchschnittlich gehört
werden, ist nach Oskar Wolf nämlich folgende:
A = 360 Schritte Au = 285 Schritte
0 = 350 „ U = 280 „
Ei = 340 „ Seh = 200
E = 330 „ M = 180 „
J = 300 „ N = 180
Eu -= 290 ;, S = 175 „
Man wird also, wenn man nicht sehr Schwerhörige prüft, schwieriger
verständliche Hörprüfungsworte anwenden, d. h. solche, welche die in der
Scala zuletzt stehenden Laute (H, B, R, U) enthalten: Hundert, Bruch, Ruder;
während man bei beträchtlicherer Functionsstörung leichter verständliche
Worte vorspricht: Schall, Sechs, Soldat, Vaterland.
c) Prüfung/ mit Tönen.
Da die musikalischen Töne sich vermöge ihrer regelmässigen und genau
messbaren Schwingungen besonders gut zur Hörprüfung eignen, so hat man
von jeher versucht, sie für die Diagnose nutzbar zu machen. Es ist dazu
eine Reihe von Stimmgabeln erforderlich. Dieselben werden nicht nur
dazu verwendet, festzustellen, ob ihr Ton überhaupt, sondern auch wie lange
er gehört wird, und es ergibt sich aus der nach Secunden bemessenen
Differenz der Perceptionsdauer zwischen dem normal hörenden und dem er-
krankten Ohre ein Maasstab für den Grad der vorhandenen Hörstörung.
Die in der Ohrenheilkunde gebräuchlichen Stimmgabeln besitzen prisma-
tische Zinken, welche behufs Abschwächung der Obertöne mit beweglichen
Gewichten belastet sind. Das normale Ohr ist im Stande, bereits Töne von
12 — 16 Doppelschwingungen wahrzunehmen. Die höchsten Töne, welche
das Ohr zu percipiren vermag, können durch Stimmgabeln nicht hergestellt
werden, weshalb man Klangstäbe oder Pfeifen benutzt. Besonders zweck-
mässig ist das GALTON'sche Pfeifchen, welches je nach der Einstellung
des durch eine Schraube verstellbaren Kolbens beim Anblasen mit einem
Gummiball Töne von sehr beträchtlicher Höhe, und zwar von 6481 bis 84000
Doppelschwingungen liefert. Die Schwingungszahlen lassen sich für jede
Einstellung an einer Scala des Cylindermantels ablesen.
Die „continuirliche Tonreihe", welche Bezold verwendet, besteht
aus einer Reihe von acht mit verschiebbaren Klemmen versehenen, also auf
J
=
67
Schritte
K
—
63
j)
T
=
63
V
R
=
41
J7
B
=
18
))
H
=
12
11
HÖRPRÜFUNG. 199
verschiedene Töne einstellbaren Stimmgabeln, deren tiefste auf 14 Doppel-
schwingungen herabreicht, und von denen jede höhere noch den obersten Ton
der vorangehenden tieferen enthält. Die licihe schliesst nach oben mit a^ ab,
daran schliessen sich noch zwei gedeckte Pfeifen und das GAi/rox-Pfeifchen,
so dass der gesammte Hörbereich des menschlichen Ohres umfasst wird. Diese
continuirliche Tonreihe wird nicht allein zur Feststellung des höchsten und
tiefsten Tones benutzt, welche der zu Untersuchende zu hören im Stande ist,
sondern dient auch dazu, nachzuweisen, ob, was bei Erkrankungen des schall-
empfindenden Apparates nicht selten ist, Lücken in der Continuität der wahr-
genommenen Töne bestehen. Auf die interessanten Ergebnisse, welche Bezold
mit seiner Tonreihe erzielt hat, kann hier nicht näher eingegangen w'erden.
Es genügt hier zu betonen, dass der Umfang der Tonreihe bei Ohraffectionen
mannigfachen Schwankungen unterworfen ist. So werden im allgemeinen die
Töne an der oberen Grenze bei Erkrankungen des schallempfindenden Ap-
parates und die Töne an der untern Grenze bei Erkrankungen des schallei-
tenden Apparates nicht wahrgenommen, und es ist festgestellt worden, dass
der Umfang des menschlichen Gehörs bis zum Alter auch gewissermaassen
physiologisch nach der oberen Tongrenze eine halbe Octave verliert, um wäh-
rend des eigentlichen Greisenalters noch mehr herabgesetzt zu werden. Nach
ZwAARDEMAKEß liegt der obere Grenzton in der Jugend bei e'^, im hohen
Alter bei a^.
2. Prüfung der craniotympanalen Leitung.
Der physiologische Vorgang, welcher früher gemeinhin als „Knochen-
leitung" bezeichnet wurde, ist bekanntlich nicht so aufzufassen, als ob er
ausschliesslich durch eine directe Uebertragung der durch den Schall ver-
ursachten Schwingungen der Kopfknochen auf das Labyrinth zustande käme;
es kommt hier vielmehr neben dieser directen Schwingungs-Uebertragung auch
die Fortleitung der Schallw^ellen von den Knochen auf das Trommelfell und durch
den gesammten Leitungsapparat in Betracht. Es erscheint deshalb zweck-
mässig, nach dem Vorschlage von Hensen den Ausdruck Knochenleitung
durch die Bezeichnung craniotympanale (osteotympanale) Leitung
zu ersetzen.
Für den Nachweis, ob die craniotympanale Leitung vorhanden ist, wie
es der Fall sein muss, wenn keine Erkrankung des schallpercipirenden Appa-
rates besteht, genügt in vielen Fällen das Andrücken der Taschenuhr auf die
Schläfe oder den Warzenfortsatz. Bei gesunden, jüngeren Individuen ergibt
sich regelmässig, dass das Ticken von diesen Stellen des Schädels aus wahr-
genommen wird; bei älteren Leuten hingegen, etwa vom 55. Jahre ab, er-
lischt die osteotympanale Perception für das Uhrticken häufig mehr und mehr,
während lautere Töne, wie z. B. solche der Stimmgabel, noch ganz gut gehört
werden. Aus dem Fehlen der Wahrnehmung des Uhrtickens bei älteren Leu-
ten folgt daher für die Diagnose zunächst nichts. Auch kommt es bei jün-
geren Kranken nicht selten vor, dass, obwohl bestimmt nur eine Erkrankung
des Leitungsapparates vorliegt, doch die Taschenuhr zu Zeiten nicht vom Kno-
chen aus gehört wird; zuweilen genügt in solchen Fällen eine therapeutische
Maassregel, z. B. eine Lufteinblasung, um die craniotympanale Perception so-
fort wiederherzustellen („intermittirende Kopfknochenleitung).
Keinesfalls darf man also aus dem blossen Fehlen der
Wahrnehmung des Uhrtickens vom Warzenfortsatze oder der
Schläfe aus ohne weiteres auf das Vorhandensein einer Er-
krankung des nervösen Apparates schliessen, während aller-
dings eine wesentliche Affection desselben ausgeschlossen
werden kann, wenn von einem Schwerhörigen die Uhr vom Kno-
chen aus gehört wird.
200 HÖRPRÜFUNG.
Für die Differentialdiagnose zwischen Erkrankungen des Sclialleitungs-
apparates und solchen der schallpercipirenden Organe dienen hauptsächlich
folgende Versuche.
a) Der V\^EBER'scJie Versuch.
Der Normalhörende vernimmt den Ton einer auf den Scheitel auf-
gesetzten schwiogenden Stimmgabel an der Ansatzstelle; verstopft er die
Ohren mit den Fingern, so klingt der Ton in beiden Ohren gleich stark,
verschliesst er aber nur ein Ohr, so wird der Ton deutlich stärker auf diesem
vernommen („lateralisirt"). Ebenso verhält es sich in Fällen von einseitiger,
durch ein Hindernis im Leitungsapparate bedingter Schwerhörigkeit, und man
ist im allgemeinen berechtigt, wenn ein einseitig oder auf einem Ohre vor-
wiegend Schwerhöriger den Ton der Stimmgabel auf dem kranken oder
schwerer afficirten Ohre ausschliesslich oder deutlicher hört, auf eine peri-
phere Ursache der Functionsstörung zu schliessen. Wird hingegen beim
WEBER'schen Versuche der Ton ausschliesslich oder stärker auf dem gesunden
Ohre wahrgenommen, und vernimmt das kranke Ohr auch von andern Stellen
des Kopfes aus den Ton nicht, so liegt wahrscheinlich eine Afiection des
schallpercipirenden Apparates auf der kranken Seite vor.
Sichere Angaben über die Seite, auf welcher ein Ton lauter gehört wird,
erhält man indessen nicht, wenn die Differenz zwischen der Hörfähigkeit
beider Ohren nicht ziemlich beträchtlich ist. Der Versuch ist daher nur für
vorwiegend einseitige Schwerhörigkeit zu verwenden. Auch ist zu bemerken,
dass trotz überwiegender Perception des Stimmgabeltones auf dem schlechteren
Ohre auf diesem dennoch neben einer peripheren Erkrankung eine centrale,
d. h. eine solche des Schallempfindungsapparates, vorhanden sein kann.
In neuerer Zeit hat Jankau versucht, durch die Verbindung der beiden
zu untersuchenden Ohren mit denen des Arztes vermittelst zweier Hörschläuche
von je 1 m Länge eine objective Controle über den Ausfall des WEBER'schen
Versuches zu gewinnen. Er fand, dass auf der Seite, auf welcher der Patient
den Ton stärker hört, auch der Arzt eine intensivere Wahrnehmung hat und
umgekehrt. Wenn nun dieses Verhalten auch oft unzweifelhaft zutrift't, so
ist der von Jankau gezogene Schluss doch ein übereilter, dass in Fällen, in
welchen die Untersuchung mit dem Spiegel u. s. w. die Erkrankung des
schalleitenden Apparates, die binotoskopische Untersuchung aber einen
schwächeren Ton von der erkrankten Seite her ergibt, das Labyrinth in Mit-
leidenschaft gezogen sei; denn es lässt sich an geeigneten Fällen leicht nach-
weisen, dass auch bei reinen Affectionen des Schallleitungsapparates nicht
selten der Tod, welcher von dem schwerhörigen Ohre zugeleitet wird, er-
heblich schwächer ist als der von der gesunden Seite zuströmende.
b) Der RiNNE'scAe Versuch.
Setzt man eine tiefgestimmte Stimmgabel auf den Warzenfortsatz eines
normalen Ohres, so wird der Ton nach einer gewissen Anzahl von Secunden
nicht mehr gehört werden, „verklungen sein", sofort aber wieder zur Wahr-
nehmung gelangen, wenn die Stimmgabel, ohne wieder angeschlagen worden
zu sein, jetzt vor die Ohrmuschel gehalten wird („positiver Ausfall des
Rinne's chen Versuches", R -\-). Besteht hingegen auf einem Ohre
Schwerhörigkeit infolge einer Schalleitungsaffection, so wird der Ton, nachdem
er am Warzenfortsatze verklungen ist, vor der Ohrmuschel nicht wieder
gehört („negativer Ausfall des RiNNE'schen Versuches", R — ), wobei
es öfters gleichzeitig auffällt, dass der Ton vom Warzenfortsatze aus länger
als von Normalhörenden wahrgenommen wird.
Während der negative Ausfall des RiNNE'schen Versuches bei Schall-
leitungshindernissen im allgemeinen vorwiegend zutrifft, ist es nicht ohne
weiteres berechtigt, aus dem positiven Ausfall bei einem Schwerhörigen auf
HÖRPRÜFUNG. 201
eine Erkrankung des Perceptionsapparates zu schliessen, und namentlich ist
dieser Schluss unstatthaft, wenn auf dem entgegengesetzten Ohre der Versuch
ein negatives Ergebnis hat und beim WEHEii'schen Versuche der Ton stärker
gehört wird; denn es ist in solchen Fällen nicht zu vermeiden, dass auch
vom Warzenfortsatze der ersteren Seite der Stimmgabelton auf die andere
überspringt. Ebenso fällt der ßiNNE'sche Versuch gar nicht selten ausge-
sprochen negativ aus, wenn neben einer peripheren eine centrale Erkrankung
vorliegt. Ueberhaupt sind die Ergebnisse des RiNNE'schen Versuches auch
unzuverlässig, wie schon aus dem Umstände hervorgeht, dass bei umgekehrter
Anordnung, also bei Aufsetzen der Stimmgabel auf den Warzenfortsatz, nach-
dem ihr Ton vor dem Ohre verklungen war, nicht selten dieselben liesultate
statt der entgegengesetzten wie bei dem ursprünglichen RiNNE'schen Versuche
angegeben werden.
c) Prüfung der Perceptionsdauer des Stimmgabeltones. (Schwab ach.)
Wie schon erwähnt worden ist, fällt es bei Stimmgabelversuchen auf,
dass solche Patienten, welche an einer Erkrankung des Schalleitungsapparates
leiden, eine verlängerte Perception für die craniotympanale Leitung besitzen,
d. h. den Ton der schwingenden Stimmgabel vom Knochen aus länger hören
als Normalhörende. Schv^abach namentlich hat diese Thatsache diagnostisch
zu verwerten gesucht, indem er die Dauer der Perception der auf den
Scheitel aufgesetzten Gabel mit Hilfe der Secundenuhr feststellte, und es hat
sich in der That ergeben, dass eine erhebliche Verlängerung der Perceptions-
dauer bei peripheren Erkrankungen fast regelmässig vorhanden ist, während
in den weitaus meisten Fällen von Affection des schallempfindenden Apparates
die Perceptionsdauer verkürzt ist.
In Fällen, in welchen der KiNNE'sche und WEBER'sche Versuch einander
widersprechen, kann daher diese Prüfungsmethode als eine zuverlässigere
zuweilen den Ausschlag geben.
Im allgemeinen haben die vergleichenden Hörprüfungen ergeben, dass
die am wenigsten zuverlässigen Resultate der RiNNE'sche Versuch gibt, dass
der WEBER'sche Versuch hingegen wenigstens bei einseitigen Affectionen ver-
hältnismässig gute Resultate aufzuweisen hat, dass ferner die Perceptions-
dauer bei intelligenten Patienten die sichersten Angaben verschafft, und dass
endlich die binotoskopische Methode von Jankau bei einseitigen peripheren
Erkrankungen brauchbar ist, bei verwickeiteren Verhältnissen hingegen unsichere
Ergebnisse liefert.
Von den zahlreichen zu differentiell-diagnostischen Zwecken sonst noch
empfohlenen Versuchen heben wir folgende hervor:
d) Versuch von Bing.
Verschliesst der zu Untersuchende, sobald der Ton der auf den Scheitel
oder den Warzenfortsatz aufgesetzten Stimmgabel verklungen ist, das zu
prüfende Ohr mit dem Finger, so klingt der Ton wieder an und noch dui'ch
einige Zeit fort. Diese „secundäre Perception" bleibt aber aus, wenn das
äussere oder mittlere Ohr erkrankt ist. Eine wesentlich verkürzte Dauer der
secundären Perception bei verlängerter oder unverkürzter Primärperception
soll auf einen medialwärts gelegenen Leitungswiderstand zurückzuführen sein.
e) Versuch von Corbadi.
Auch CoRRADi unterscheidet eine secundäre Perception, welche indessen
dadurch hervorgerufen wird, dass die auf den Warzenfortsatz aufgesetzte
Stimmgabel, nachdem ihr Ton verklungen ist, entfernt und nach etwa zwei
Secunden genau auf die frühere Stelle wieder zurückversetzt wird, ein Versuch,
welcher in vielen Fällen 1, 2, 3, höchstens 4raal mit demselben Erfolge
wiederholt werden kann, dass die secundäre Empfindung wieder eintritt und
längere oder kürzere Zeit andauert. Die Vermehrung der secundären Emptiin-
202 HÖRPRÜFUNG.
duDgen, welche in normalen Fällen bei Verstopfung des Ohres mit dem Finger
eintritt, wird bei pathologischen Veränderungen im Schalleitungsapparate
beobachtet, wohingegen die secundären Empfindungen bei unzweifelhaften
Labyrintherkrankungen fehlen.
/) Versuch von Gelle (Pressions centripetes).
Ein mit einer Olive versehener, 10 bis 20 cm langer Gummischlauch
verbindet einen birnförmigen Ballon mit dem zu untersuchenden Ohre. Wird
der Ballon leicht comprimirt, so vernimmt der Normalhörende den Ton einer
auf seinen Scheitelaufgesetzten Stimmgabel („Diapason vertex") im Momente
der Compression abgeschwächt, bei zunehmender Compression noch leiser
(Pressions centripetes Diapason vertex positiv = PCDV +). Dasselbe posi-
tive Ergebnis erhält man, wenn die Stimmgabel bei diesem Versuche nicht
auf den Kopf der Versuchsperson, sondern auf das feste Verbindungsstück
zwischen Ballon und Gummischlauch aufgesetzt wird, also bei aerotympanaler
Leitung (PC aer. -|-). Nach Bloch, welcher diesen Versuch weiter ausgedehnt
hat, kann man nun, wenn bei einseitiger Schwerhörigkeit auf dem normalen
Ohre die Pressions centripetes sowohl für Luft- als für Knochenleitung eine
Abschwächung des Stimmgabeltones herbeiführen (also PC aer. -j-, PCDV -f),
am anderen Ohre hingegen der Ausfall für Luftleitung positiv, für Knochen-
leitung negativ ist (PC aer. -\-, PCDV — ), auf eine Immobilisirung des Steig-
bügels schliessen. Ist das Trommelfell unbeweglich, so fällt die normale
Wirkung der Compression für den aerotympanalen wie für den osteotympanalen
Weg aus (PC aer. — , PCDV — ); besteht ein Defect im Trommelfelle, so
hängt der Ausfall allein von dem Zustande des ovalen Fensters ab.
(/) Versuch von Eitelberg.
Eitelberg lässt eine grosse Stimmgabel 15 — 25 Minuten lang immer
von neuem in der gleichen Stärke vor dem Ohre ertönen und schliesst, wenn
die Perceptionsdauer der einzelnen Anschläge beträchtlich zunimmt, eine
Erkrankung des schallempfindenden Apparates aus, während er eine solche
annimmt, wenn die Perceptionsdauer sinkt (Ermüdung des Hörnerven).
h) Prüfung mit dem Interferenz- Otoskop von Lucae.
Das Interferenz-Otoskop besteht aus einem gabelig getheilten Hörrohre,
welches unterhalb seiner Theilung mit zwei Gummischläuchen in Verbindung
steht, von denen der eine den Ton einer Stimmgabel zuführt, der andere die
Schallwellen aus dem Hörrohre zum Ohre des Arztes zu leiten bestimmt ist.
Werden die beiden Enden der Gabel luftdicht in die Ohren der Versuchs-
person eingesetzt, so kann der Beobachter durch abwechselndes Zudrücken
des einen oder des anderen Schenkels den Schall aus dem rechten oder linken
Ohre des zu Untersuchenden reflectiren lassen. Klingt der Ton, welcher von
dem schlechten Ohre zurückgeworfen wird, schwächer als der vom gesunden
reflectirte, so ist auf eine Affection des centralen Ohrabschnittes zu schliessen,
während eine abnorme Fixation des Trommelfelles und der Gehörknöchelchen
sich durch vermehrte Pteflexion der Schallwellen aus dem schlechteren Ohre
äussert, also eine Verstärkung des dem Arzte zuströmenden Geräusches
bedingt. Der Versuch ist nur bei vorwiegend einseitiger Erkrankung aus-
führbar.
Die Diagnose der simulirten Taubheit.
Die Frage, ob Taubheit wirklich vorhanden ist oder nur simuliit wird, ist oft schwer
zu beantworten. Selbst wenn objectiv wahrnehmbare Veränderungen bestehen, so folgt
daraus doch niemals, dass sie erhebliche Functionsstörungen bedingen müssen; kann doch
z. B. bei fehlendem oder bei total verkalktem Trommelfelle die Hörfähigkeit sehr gut sein.
Anderntheils verlaufen aber gerade diejenigen Ohraffectionen, welche die Function am
schwersten schädigen, ohne charakteristische Befunde am Trommelfelle. Man ist daher
bei der Entlarvung von Simulanten im wesentlichen auf die Anstellung von Hörprüfungen
angewiesen. Die wichtigsten derselben sind folgende:
HÖRPRÜFUNG. 203
A. Diagnose der simulirten einseitigen Taubheit.
a) Nach Moos kann man den WEBER'schen Versuch anwenden. Der Simulant wird
angeben, den Ton der Stimmgabel auf dem gesunden Ohre und, wenn nun dieses verstopft
wird, überhaupt nicht zu hören, während thatsächlich der Schall jetzt auf dem gesunden
Ohre verstärkt müsste wahrgenommen werden. -
h) ScHWARTZE benutzt die Thatsache, dass ein gesundes Ohr niemals vollständig
ausser Thätigkeit gesetzt werden kann, indem er das angeblich intacte Ohr verstopft und
in der Nähe desselben laut spricht. Will der zu Untersuchende davon nichts hören, so
ist er ein Simulant.
c) Das Verfahren von Coggin. Der verticale Schenkel eines T-Rohres wird mit einem
Schallbecher, jeder horizontale durch Gummischläuche mit je einem Ohr des zu Unter-
suchenden verbunden. Während man möglichst leise in den Becher spricht, drückt man
unbemerkt abwechselnd bald den einen, bald den andern Schlauch zusammen und verwirrt
auf diese Weise meist sehr bald den Simulanten, so dass er bei Verschluss des zum
angeblich tauben Ohre führenden Schlauches ebenso reagirt wie auf der gesunden Seite.
d) L. Müller armirt beide Oliren des zu Untersuchenden mit je einem Schallfänger
und spricht zunächst möglichst rasch und leise in das angeblich gesunde Ohr. Der
Patient wird vorher angewiesen, alles nachzusprechen. Hierauf spricht ein Assistent in
das angeblich taube Ohr, wobei der Simulant nichts zu hören vorgeben wird. Sprechen
alsdann beide Beobachter gleichzeitig in je ein Ohr, so werden sich die Eindrücke beim
Simulanten verwischen, während der thatsächlich einseitig Taube unbeirrt nur das in das
gesunde Ohr Gesprochene wiederholen wird.
e) Ein Verfahren von Teuber beruht auf demselben Princip. Hier wird durch zwei
in ein Nebenzimmer geleitete Röhren, welche nicht nur mit beiden Ohren des der Simu-
lation Verdächtigen, sondern auch mit denen eines normalhörenden Zeugen in Verbindung
stehen, abwechselnd gesprochen. Der Simulant wie der Zeuge wird sehr bald die zu beiden
Ohren gelangenden Eindrücke nicht mehr auseinanderhaHen können, während der auf
einem Ohre Taube immer nur das in das gesunde Ohr Gesprochene hören wird.
f) Kern gibt folgende Modification des MÜLLER-TEUBER'schen Verfahrens an: Zwei
Assistenten sprechen in die beiden Gummischläuche, von denen jeder mit einem Ohre des
zu Prüfenden in Verbindung steht, genau gleichzeitig denselben Satz, jedoch in der Art,
dass der in das gesunde Ohr Sprechende ein vorher bestimmtes, den Sinn des Satzes ent-
stellendes Wort auslässt. Wird der volle Satz einschliesslich des sinnklärenden Stich-
wortes nachgesprochen, so ist die Hörfähigkeit auf dem angeblich tauben Ohre erwiesen.
(Beisisiel: gesundes Ohr: „vier mal fünf ist zwanzig"; angeblich taubes Ohr: „vier mal fünf
ist einundzwanzig)."
B: Diagnose der simidirten beiderseitigen Taubheit.
Die Erkennung der Simulanten completer Taubheit kann oft nur mit Zuhilfenahme
einer List ermöglicht werden. Durch Anrufen während des Schlafes, in der Betrunkenheit,
durch verletzende Aeusserungen und Beleidigungen, durch die Ankündigung einer Opera-
tion zur Beseitigung der Taubheit lassen sich Simulanten zuweilen überführen.
Für die Beurtheilung der Angaben eines zu Prüfenden ist auch sein Mienenspiel
zu verwerten. Beiderseits Schwerhörige zeigen durch den gespannten, ängstlich lau-
schenden Gesichtsausdruck, durch ihre an den Lippen des Sprechenden unverwandt haf-
tenden Augen, das Bestreben, das Gesprochene aufzufassen; der Simulant hingegen bemüht
sich in der Regel, um sich durch kein Zucken seiner Mienen zu verrathen. einen mög-
lichst gleichgiltigen, nichtssagenden Gesichtsausdruck zu zeigen und vermeidet es stets,
den Beobachter zu fixiren.
Wie bereits Schwartze hervorgehoben hat, verrathen sich Simulanten zuweilen auch
dadurch, dass sie die Schwingungen einer auf ihren Scheitel oder gar auf ihre Finger-
spitzen aufgesetzten Stimmgabel nicht zu fühlen vorgeben. Menschen, welche ganz taub
zu sein behaupten, überführt man auch manchmal, wenn man hinter ihrem Rücken ein
sehr lautes Geräusch hervorbringen, z. B. eine Thüre zuwerfen lässt. Selbst complet
Taube fühlen die damit verbundene Erschütterung und drehen sich nach der muthmaass-
lichen Richtung des Schalles um, während der Simulant, wofern er genügende Selbst-
beherrschung besitzt, regungslos stehen bleibt.
Die Entlarvung von vorgeblich Taubstummen gelingt meist leicht. Der Betrüger
pflegt ein sehr übertriebenes und unzweckmässiges Geberdenspiel zu zeigen, welches das
durchaus maassvolle und wohl berechnete der Taubstummen höchst unvollkommen nach-
ahmt. Auch die Lautsprache der Taubstummen eignet sich der Simulant niemals so zu-
treffend an, dass er einen Sachkundigen täuschen könnte. Das sicherste Mittel der Üeber-
führung ist das Zusammenbringen des Betrügers mit wirklich Taubstummen, unter welchen
er sich durch sein von dem ihrigen abweichendes Wesen sehr bald verrathen wird.
BÜEKNEK.
204 HUSTEN.
Husten (Tussis) stellt einExspirationsphänomen dar, bei welchem
die unter erhöhtem Druck unterhalb der Stimmritze befindliche Luftsäule die
Glottis plötzlich mit Gewalt öffnet und unter charakteristi-
schem Tone nach aussen entweicht. Der Klang dieses Tones ist sehr
verschieden, je nachdem der Hustenstoss gleichzeitig Secretmassen nach aussen
befördert oder nicht, je nachdem die einzelnen Theile des Kehlkopfs, insbeson-
dere die Stimmbänder, im normalen Zustande oder pathologisch verändert sind.
Auch die Intensität des Hustens ist verschieden, oft nur ein einfaches wieder-
holtes, räuspern-ähnliches Hüsteln, oft wieder paroxysmenartige Hustenanfälle
von bellendem (Keuchhusten), pfeifendem (Stenose der Respirationswege), kräch-
zendem Charakter.
Der Husten kann willkürlich erzeugt werden, wird aber in der Regel
ref lectorisch von den verschiedensten Stellen des Respirationsapparates und
anderer Körpertheile ausgelöst. *)
Das Hustencentrum liegt nach Kohts in der Medulla oblongata an der
Stelle der Ala cinerea. Durch eine directe Reizung dieses Hustencentrums
muss der Husten bei Tabes, bei Chorea und Epilepsie, welches zuweilen
bei diesen Nervenkrankheiten als selbständiges Symptom in den Vordergrund
tritt, erklärt werden. Das gleiche gilt für den Husten, welcher sich nach
Verletzungen des Halsmarkes und der Halswirbelsäule zeigt.
Am häufigsten entsteht der Husten durch Reizung jener sensiblen Aeste
des Nervus vagus, welche sich in der Schleimhaut des Larynx, insbesondere
der Regio interarytaenoidea (Nervus laryngeus superior), in der Trachealwand,
insbesondere der Bifurcationsstelle, und in der Pleura verzweigen.
Nach Kohts kann wohl durch Reizung der Pleura pulmonalis, nicht aber der
Pleura costalis Husten erzeugt werden. Vom Lungengewebe selbst gelingt es nicht,
Husten zu erregen.
Der von Störk u. a. bestrittene Pharynxhusten kann experimentell
durch Berührung der hinteren Pharynxwand mit der Sonde hervorgerufen
werden. — Nach Scheck ist die Hyperplasie der Zungentonsille, der
an der Zungenbasis befindlichen, oft himbeergrossen Follikel, welche sich an
der Epiglottis reiben oder den Rand derselben einklemmen, eine relativ häu-
fige Ursache von Husten.
Der Nasenhusten wird durch Reizung der sensiblen Trigeminusfasern
in der Schleimhaut ausgelöst, ist ein Symptom von Nasenschleimhauterkran-
kungen und wird namentlich beobachtet bei Nasenpolypen, Rhinolithen und
Fremdkörpern in der Nase. Auch im Nasenrachenraum kann die Ursache
des Hustens sitzen. (Hypertrophie der Rachen- und Gaumenmandeln.)
Der Ohr husten entsteht durch Reizung der Nervi auriculares vagi. Er
wird bei Fremdkörpern im äusseren Gehörgang — selbst das Einführen des
Ohrtrichters, namentlich solcher aus „kaltem" Metall erzeugt oft schon Husten
— beobachtet.
Die Möglichkeit eines Magenhustens wird von der Mehrzahl der
Autoren geleugnet (Naunyn). Das den Husten häufig begleitende Erbrechen
ist eine Folge der starken Anstrengung der Bauch presse, durch deren
Wirkung die Speisen mechanisch aus dem Magen entfernt werden. Anders
erklärt Edlessen das Erbrechen nach anhaltenden Hustenanfällen, es entsteht
durch aus dem Kehlkopf geschleudertes Secret, welches die hintere Rachen-
wand und die Zungenwurzel reizt und so reüectorisch Vomitus hervorruft.
Wahrscheinlich sind beide Möglichkeiten für dieses Phänomen vorhanden.
Druck auf die normale oder pathologisch vergrösserte Leber und Milz
erzeugt Leber- resp. Milz husten (Naunyn). M. Schmidt sah bei einer
Dame heftige Husteuanfälle verschwinden, als ein Gallenstein abgieng.
*) Bezüglich des sogenannten „nervösen Hustens" vergl. auch Artikel „Glottis-
krämpfe^, pag. 170 dieses Bandes.
HUSTEN. 205
Darm husten wird als Symptom von Helminthiasis und bei offenen
Baucliverletzungen beobachtet.
Uterushusten wird bei Erlirankungen der weiblichen Sexualorgane
beobachtet. Es ist fraglich, ob in der That in solchen Fällen die locale
Genitalerkrankung direct den Hustenreiz auslöst oder nicht vielmehr die
hysterische Diathese die Ursache hiefür abgibt. Nach Profander findet
sich derselbe bei manchen Frauen als steter Begleiter der Menses und der
eintretenden Schwangerschaft, ferner bei chronischer Oophoritis, Metritis, Lage-
veränderungen, parametranen Entzündungs- und Schrumpf ungsprocessen, kurz,
bei fast allen Affectionen der weiblichen Sexualorgane.
Analog wurde ein Hodenhusten, bei Entzündungen und Geschwülsten
des Scrotalinhaltes, aber auch bei Entzündungen der Harnröhre und Blase
beobachtet.
Auch ein Hauthusten wird von einzelnen Autoren beschrieben. Es
sind dies Fälle, in denen die geringste Berührung der Haut intensivste
Hustenanfälle auslöste. (Ebstein, Strübing, Leyden.)
In diagnostischer Beziehung ward das Symptom „Husten" in erster
Reihe auf eine Affection des Kespirationstractes schliessen lassen, und die
genaue Untersuchung der Hals- und Brustorgane wird die specielle Ursache
des Hustens ergeben. Ist dieselbe nicht auffindbar, so wird man nach den
oben angeführten Möglichkeiten an einen „reflectorischen Husten" denken
können.
Die Therapie des Hustens ist zunächst eine ätiologische, d. h. Beseiti-
gung resp. Heilung des Grundleidens. Häufig ist aber das Symptom „Husten"
als solches ein den Kranken derart quälendes, dass wir symptomatisch den
Husten zu bekämpfen suchen werden. Hiezu dienen eine ganze Gruppe von
Arzneistoffen, die als Bechica (ßr^c, ßv/^o? der Husten) in der Pharmakologie
bezeichnet werden. Indirect wird der Husten dadurch beseitigt, dass die
Expectoration befördert oder beschränkt wird. Daher gehören zu den Bechica
alle die Expectoration befördernden, den Schleim lösenden, die Respirations-
wege dessinficirende Arzneistoffe.
Als solche sind zu nennen die Aufgüsse und Decocte von Rad. Salep.,
Semen Cydon., Rad. Althaeae, Rad. Graminis, Rad. Caricis, Rad. Liquirit, die
verschiedenen einfachen und zusammengesetzten Theesorten (Spec. Althaeae,
pectorales etc.), ferner die alkalisch-salinischen Stoffe, wie Natr.
bicarb., Ammon. chlorat., Mineralwasser von Selters, Kissingen, Gleichenberg
u. a., die nauseosen Expectorantia, wie Apomorphin, Ipecacuanha,
Senega etc. und endlich die Balsamica (Ol. terebinthinae, juniperi, Terpin-
hydrat, Balsamum Peruvianum, Myrtol etc.)
Direct wird der Husten beseitigt durch die Narcotica, als deren
Repräsentant das Opium resp. das Morphin gilt, während Belladonna
und Hyosciamus als ältere, Co de in und Peronin als moderne Ersatz-
mittel des Morphin Verwendung finden.
Bei den Erkrankungen des Eachens und Kehlkopfes werden die Expec-
torantia fast gar nicht verwendet. Denn entweder ist der Husten nur durch einfache
Schwellung, resp. Entzündung und ülcerationen bedingt, oder das vorhandene Secret ist
so spärlich und liegt seinem Sitze entsprechend so oberflächlich, dass eine Indication für
die Expectorantia nicht vorhanden ist. Umso häufiger werden nebst narkotische Bestand-
theile enthaltenden Gurgelwässern, Inhalationen und Insufflationen die Narkotica interne
verwendet.
Bezüglich des Morphins kann nur die Warnung, es möglichst sparsam
und nur bei dringender Indication zu verordnen, nachdrücklichst betont
werden. Bei Kindern unter drei Jahren darf Morphin überhaupt nicht
verordnet werden. Auch für grössere Kinder und Erwachsene gilt die Regel,
dass bei Bronchial- und Lungenafiectionen, bei denen die Auscultation das
Vorhandensein reichlichen Secretes in den Bronchialverästigungen anzeigt,
206 HYPERGEüSIE. — HYSTERIE DES OHRES.
die Beschränkung des Hustenreizes durch Morphin contraindicirt ist.
Ganz zwecklos ist die von manchen Aerzten beliebte Combination von Expec-
torantien (Ipecacuanha) und Narkotica (Morphin) in einer Arzneimischung.
Nach BoucHARDAT empfiehlt sich die Verwendung von Morphin-Atro-
pinpillen, namentlich beim Husten jener Individuen, deren Herz erkrankt
ist, in folgender Form: Kp. Morph, sulf. 0'2, Tind. Eucalypti gtis. II, Atropin.
sidfuric. O'Ol, Mel. depurat. qii. s. M. f. l. a. pill. Nr. XX. S. 1 — 2 Pillen
täglich.
Jener Husten, Welcher durch Stauungsbronchitis bei Herzaffectionen verursaclit ist,
wird jedoch viel wirksamer als durch Morphin durch die bekannten Cardiaca bekämpft.
Die Verordnung der nauseosen Expectorantien ist in solchen Fällen direct contraindicirt,
wegen der Gefahren, welche das eventuelle Erbrechen im Gefolge hat.
Durch vielseitige Erfahrungen hat sich das Codein als wertvolles Ersatz-
mittel des Morphins erwiesen. Es wird in Pulverform als Codeinum purum
(0-02 bis 0'05 pro dosi, 0-2 pro die) oder als Codein. phosphoric. in Lösung
verordnet.
Ein zweites modernes Ersatzmittel des Morphins ist das Peronin.
Nach den an der Klinik Schröttee von Stampfl gemachten Erfahrungen
setzt es den Hustenreiz herab, so dass der Husten seltener und abgeschwächter
auftritt, das am Ende der Hustenattaquen auftretende Erbrechen hört auf,
ebenso die Schmerzen an den Zwerchfellansätzen. Die Expectoration wird
geringer, hört aber niemals vollständig auf, was jedenfalls als Vortheil dieses
Arzneistoffes anzusehen ist.
Die Einzeldosis des Peronins beträgt 0-02(7, ad maximum 0-06 (/, die
maximale Dosis pro die ist 0'2. Es wird in Pulver, Pillen und in Lösung
verschrieben: Rp. Peronin 0'5^ Aqu. destill. 100. S. Abends 1 Theelöffel in
Zuckenvasser). Contraindicirt ist das Mittel bei Neigung zu starken
Schweissen, weil es selbst etwas schweissanregend wirkt. — Für Insufllationen
in den Larynx ist es nach Stampfl nicht geeignet.
Sehr rasch wird zuweilen der Husten durch Beseitigung seiner
entsprechenden Ursache behoben. Entfernung von Nasenpolypen, Fremd-
körpern im Ohr und Nase, adenoiden Vegetationen etc. Vorhandene Schleim-
hauterkrankungen, namentlich solche des Larynx und Pharynx, müssen durch
entsprechende Localbehandlungen geheilt werden. (Vergl. Artikel ^^Inhalationen'-''
und „Insuflalionen".) Bei dem aus entfernter Ursache entstehenden Reflex-
husten genügt oft auch nur ein kleiner Eingriff, um die Hustenanfälle zu
beseitigen, z. B. das Einlegen eines Pessars beim Uterushusten infolge von
Lageveränderung der Gebärmutter.
In anderen Fällen ist Allgemeinbehandlung nothwendig. DieKlimato-
und Hydrotherapie spielt nicht nur bei dem als Symptom einer Hals-
Brustaffection auftretenden Husten, sondern auch bei dem als selbständige
Erkrankung auftretenden nervösen Husten eine bedeutsame Rolle, jul. weiss.
HypergeUSle {Hyperaesthcsia gustatoria) ist eine Ueberempfindlichkeit
des Geschmackssinnes, die sich bei hysterischen Personen findet. Beim
Kosten einer Speise haben diese Individuen eine stark ausgeprägte Geschmacks-
empfindung in einer bestimmten Form, welche anderen beim Kosten derselben
Speise abgeht. So bezeichnen sie etwas „als versalzen", „gallbitter", „ekelhaft
süss" etc., was nicht im mindesten diese Epitheta verdient. (Die Anomalien
des Geschmackes sind ausführlich im Band I der „Internen Medicin'-^ pag.
775 dieses Werkes behandelt.) R.
Hysterie des Ohres. Das Gehörorgan bietet öfters, als es auf Grund
der in der Literatur vorhandenen Angaben anzunehmen wäre, Erscheinungen,
welche der hysterischen Neurosis zuzuschreiben sind. Dieselben können in
folgende Kategorien eingetheilt werden:
HYSTERIE DES OHRES. 207
I. Modificationen der specifischen akustischen Sensibilität.
IL Modificationen der Hautsensibilität entsprechend der Ohrmuschel,
dem äusseren Gehörgang und dem Trommelfelle.
III. Otalgien von hysterischem Charakter.
IV. Hysterogene Zonen des Gehörorgans.
V. Vasomotorische Störungen und Hämorrhagien des Gehörorgans.
Die wichtigsten unter allen Moditicationen beim Hysterismus sind die-
jenigen, welche die Hörschärfe betreffen; sie können von einer einfachen
Verminderung des Gehörs bis zur vollständigen Taubheit variiren. Solche
Modificationen bedeuten entweder eine bloss partielle Erscheinung einer allge-
meinen Hemianästhesie oder aber eine isolirte Manifestation der Neurosis, und
in letzterem Falle hängen sie meistentheils mit anatomischen Veränderungen
des Gehörorgans zusammen. Die Charaktere, welche die akustische Anästhesie
zeigt, sind in beiden Fällen gleich.
Die Ursachen, welche am öftesten die akustische Anästhesie bei hyste-
rischen Individuen hervorrufen, sind:
1. Organische Läsionen des Ohres. Diese können so gering-
fügig sein, dass sie nur durch die genaueste Prüfung erkannt werden; sie
erscheinen im Hinblick auf die Schwere und Heftigkeit der Symptome nur
von secundärer Bedeutung im klinischen Gesammtbilde, während sie doch in
Wirklichkeit die Ursachen darstellen, welche die Localisation der Neurosis im
Gehörorgane bewirken.
2. Traumen. Es tritt oft akustische Anästhesie allein oder gleich-
zeitig mit anderen Anästhesien infolge eines indirecten Traumas auf, das
auf die entsprechende Kopfseite einwirkt; die directen Traumen, welche durch
den äusseren Gehörgang hindurch auf das Trommelfell und das Mittelohr
übergreifen, oder indirecte, aber schwere Traumen, welche den Schädel treffen,
rufen wegen organischer Läsionen des Gehörs Taubheit in mehr oder weniger
hohem Grade hervor. Es darf auch nicht vergessen werden, dass in letzterem
Falle den functionellen, auf organischen Läsionen beruhenden Erscheinungen
auch nervöse Symptome sich zugesellen können.
S.Allgemeine erschöpfende Krankheiten und acute In-
toxicationen; unter den ersteren ist vor allem das typhöse Fieber her-
vorzuheben.
Die hysterische Taubheit, welche sich der Stummheit zugesellt, hat eine
besondere nosologische Bedeutung, da sie ein w'ohl bestimmtes klinisches Bild
darbietet. Die Taubstummheit kommt viel seltener als die Stummheit vor
und kann auch das einzige Symptom der Neurose bilden. Organische Läsionen
des Gehörorgans beim Hysterismus können ausserdem functionelle Störungen
anderer Organe veranlassen, oder es kann das Umgekehrte stattfinden.
Die Bestimmung der functionellen Symptome der hysterischen Anästhesie
kann praktisch sehr wichtig werden. Gewöhnlich handelt es sich um eine
Verminderung der Perceptiou des Schalles gleichförmig längs der ganzen
Tonleiter, während bei Läsionen des Schalleitungsapparates die Abnahme der
Hörschärfe, wie bekannt, hauptsächlich die tiefen und bei Erkrankungen des
Labyrinthes die hohen Töne betrifft. Derartige functionelle Symptome können
durch die Prüfung mit der Stimmgabel von verschiedenen Tonhöhen erkannt
werden. Das Experiment von Rinne, bei welchem man, wie bekannt, festzustellen
sucht, ob eine bestimmte schwingende Stimmgabel von tiefer Tonhöhe (unter c^}
längere Zeit hindurch percipirt wird, wenn man sie vor dem Gehörgang oder
auf dem Warzenfortsatz e hält, zeigt bei der hysterischen Taubheit zwei dif-
ferente Modalitäten. Wenn die Taubheit nur massigen Grades ist und nicht
von Alterationen des Schalleitungsapparates begleitet wird, dann ergibt das
208 HYSTERIE DES OHRES.
Experiment positive Resultate; in Fällen von hochgradiger Taubheit aber kann
der RiNNE'sche Versuch, namentlich wenn er mit sehr tiefen Tönen angestellt
wird, negativ werden, und zwar in verschiedener Weise. Dies zu erörtern ist
hier nicht am Platze.
Vom Scheitel aus (WEBER'scher Versuch) wird die Stimmgabel, wenn
die Anästhesie hochgradig und peripherisch ist, vornehmlich von der gesun-
den oder weniger ai'ficirten Seite her percipirt; wenn aber ,die Anästhesie
geringer und psychischen Charakters ist, dann kommt es vor, dass die auf
den Scheitel gesetzte Stimmgabel trotz der Einseitigkeit des Gehörleidens
entweder gar nicht oder aber auf dem schlechteren Ohre lateralisirt wird,
wenn, wie es oft geschieht, in diesem nebst der hysterischen Anästhesie auch
Alterationen des Schalleitungsapparates vorhanden sind.
Die Dauer der Perception der verschiedenen auf den Scheitel gesetzten
Stimmgabeln (Versuch von Schwabach) ist, im Vergleiche mit normalen
Fällen, gewöhnlich kürzer. Die oben angegebenen functionellen Charaktere
sind, ausser der hysterischen Anästhesie, auch den Krankheiten des Labyrinths
im allgemeinen und denen des Nervus acusticus eigen; man kann aber jene
von diesen dadurch unterscheiden, dass bei den Erkrankungen des Labyrinths
die Uhr relativ viel schlechter als die Flüstersprache percipirt wird, während
bei der hysterischen Anästhesie das Umgekehrte der Fall ist.
Die Hörschärfe variirt bei organischen Läsionen des inneren Ohres nur
in geringem Grade, während die Variationen bei der Anästhesie nicht nur
von Tag zu Tag, sondern, man kann wohl sagen, von Minute zu Minute er-
folgen können.
Bei frischen Erkrankungen des Labyrinths ist die elektrische Reizbarkeit
des Nervus acusticus stark erhöht, während man bei der Anästhesie von Seite
des Acusticus gewöhnlich keine Reaction erhält.
Bei Aflfectionen des Labyrinths sind subjective Geräusche und zuweilen
Schwindelanfälle vorhanden, während diese beiden Symptome gewöhnlich nicht
zum symptomatischen Bilde der Anästhesie gehören.
So wae die anderen Formen der Anästhesie hat auch die acustische
Anästhesie einen vorwiegend psychischen Charakter. Bei gewissen
Kranken kann man sogar eine Perception des Hörreizes nachweisen, die
jedoch nicht zum Bewusstsein gelangt.
Solche Individuen sehen wie zerstreut aus, sie scheinen nicht zu hören,
weil sie mit anderen Gedanken beschäftigt sind, und können deshalb auch den
Eindruck von Simulanten machen. Man muss andererseits immer beachten,
dass die Simulation einen der psychischen Charaktere des Hysterismus bildet,
und die Diagnose der akustischen Anästhesie muss sich daher auf das Vor-
handensein anderer Kennzeichen der Neurosis und der angeführten charakte-
ristischen functionellen Symptome stützen. Die hysterische Taubheit gesellt
sich gewöhnlich anderen Erscheinungen der Neurosis zu; in manchen Fällen
ist sie jedoch das einzige Symptom derselben, sie beginnt langsam oder rasch,
in letzterem Falle gewöhnlich nach einem typischen Anfalle. Ihre Dauer ist
sehr variabel, die Prognose gewöhnlich günstig.
Nebst der Verminderung oder gänzlichem Aufhören der Hörschärfe findet
man bei Hysterie oft verschiedenartige Modificationen der Sensibilität der
Haut der Ohrmuschel für Tast-, Schmerz- und Wärmeeindrücke. Obgleich
es nicht ganz richtig ist, dass, wie einige Autoren behaupten, die Anästhesie
der Ohrmuschel für Tastempfindungen in allen Fällen in Beziehung zur aku-
stischen Anästhesie stehe, so muss doch anerkannt werden, dass für gewöhn-
lich ein derartiger Zusammenhang bestehe. Je bedeutender die Anästhesie beim
Hysterismus ist, desto hochgradiger sind die peripherischen Erscheinungen,
und es leiden die verschiedenen Arten der Sensibilität einer bestimmten Region
des Körpers; wenn hingegen die Anästhesie geringfügig ist, dann zeigt sie
INHALATIONS-THERAPIE. 209
gewöhnlicli nur psychischen Charakter, und die Erscheinungen von Seite der
specifischen Sensibilität und des Tastsinnes gehen nicht Hand in Hand mit
einander.
Die Sensibilität der Bindehaut des Auges und die des Rachens ist bei
Hysterie oft vermindert oder gänzlich geschwunden; diese Erscheinung
kann jedoch nicht nur beim Hysterismus, sondern auch bei anämischen und
chlorotischen Individuen und als individueller Charakter auch bei gesunden
Personen angetroffen werden. In ganz allgemeinem Sinne kann man auch
sagen, dass die der Hautoberfläche benachbarten Schleimhäute bezüglich der
Sensibilität für Tasteindrücke sich wie die Haut selbst verhalten, und dass
die organischen Veränderungen derselben auch die Symptome der in ihnen
localisirten Neurosen modificiren. gradenigo.
Inhalations-Therapie. Die Inhalations-Behandlung bezweckt, die
Athmungsluft derart zu beeinflussen, dass durch das Eindringen derselben in die
Hals- und Brustorgane ein heilender Einfluss auf pathologische Veränderungen
derselben ausgeübt wird. Dies geschieht durch Beimengung medicamentöser
Stoffe zur Athmungsluft oder durch Veränderung ihrer Temperatur.
Der Athmungsluft können direct beigemischt werden: Gase, Dämpfe
und in den gasförmigen Zustand übergehende flüchtige Arzneistoffe, oder
indirect derselben zugeführt werden, indem mittels geeigneter Apparate ge-
löste Arzneistoffe in feinste Zerstäubung gebracht werden und gleichsam
in Form eines feinen Nebels inhalirt werden.
Die Inhalationstherapie wird zur therapeutischen Beeinflussung der Er-
krankungen des Lungengewebes angewandt und ist in ihren verschiedenen
Formen in dem Artikel ,^Pneu7no- Spirotherapie'-'' dieses Werkes (Interne Medicin,
Bd. III, pag. 22) ausführlich geschildert.
Es erübrigt deshalb nur, in Kürze die Technik der Inhalationstherapie
bei Erkrankungen des Rachens, der Nase und des Kehlkopfes zu be-
sprechen.
Technik und Instrumentarium. Die einfachste Form der Inhala-
tion ist die, warme Dämpfe kochenden Wassers zu inhaliren, was dadui'ch
geschieht, dass man das Gesicht mit geschlossenen Augen über den über einer
Spiritusflamme noch in Kochen befindlichen oder bereits davon entfernten
Topf hält und zum Abschluss der äusseren Luft den vornübergebeugten Kopf
mit einem Handtuch bedeckt. Oder man kann den Dampftopf durch einen
Trichter abschliessen und durch Anschluss des Mundes an die Trichterspitze
inhaliren. Wenn dies beschwerlich fällt, so kann man an die Trichterspitze
einen Gummischlauch befestigen und in aufgerichteter, resp. gradsitzender
Stellung diesen Gummischlauch zum Munde führen.
Zur Inhalation flüchtiger Stoffe eignet sich ferner das nach dem Princip
der WuLFF'schen Flasche construirte Inhalationsfläschchen von Dr. Siemon.
Nach der Beschreibung von A. Schmid ist dasselbe folgendermaassen
construirt. Es ist ein Fläschchen, das in seinem unteren Antheil einen durch
eine Einschnürung abgesonderten Raum besitzt. Es wird durch einen doppelt
durchbohrten Pfropf abgeschlossen. Die eine Bohrung desselben ist durch
eine Glasröhre ausgefüllt, welche mit dem einen Ende nur kurz in den Raum
des Fläschchens hineinreicht und an seinem anderen, im rechten Winkel ab-
gebogenen Ende einen kurzen Gummischlauch trägt, der mit einem Mundstück
aus Glas versehen ist. Durch die andere Bohrung führt ein nach aussen
offenes Glasrohr, welches in seinem unteren Drittel eine ballonförmige Er-
weiterung trägt, die wieder in ein senkrechtes Glasrohr endet. Das letztere
berührt mit seinem unteren Ende den Boden des Fläschchens. Zur Anwen-
dung eignen sich ätherische Oele, wie Terpentin, Eucalyptus, Salbeiöl, und in
denselben lösliche Arzneistoffe (Kreosot, Jodoform, Menthol).
Ohren-, Nasen-, Kaclien-, Kelilkopfkranklieiten. 1*
210 INHALATIONS-THERAPIE.
Weniger gebräuchlich in der Inhalationstherapie der Halsorgane als in
der der Brustorgane sind die Kespiratoren, wie z.B. die von Cueschman
angegebene Maske. Sie besteht im wesentlichen aus einer Hohlkapsel, in
welcher ein Schwamm liegt, der mit dem betreffenden Medicamente getränkt
ist. Befestigt der Kranke diese Maske vor der Mund- und Nasenöffnung, so
muss die inspirirte Luft sich mit dem vom Schwamm verdunsteten Medicament
mischen.
Die zweite Art der Inhalation ist die durch Apparate, welche Flüssig-
keiten zerstäuben. Ein solcher ist der in den Modificationen von Schnitzler
und Tröltsch gebräuchliche Zerstäuber von Richardson. Dieser besteht
aus einem Doppelballon (Gebläse), einem Glasgefäss, welches das Inhalations-
mittel in Lösung enthält und einer den verschliessenden Kork desselben
durchbohrenden verticalen Röhre, welche einerseits mit dem Gebläse, anderer-
seits mit dem zur Inhalation vor den Mund geführten Ansatzrohr in Ver-
bindung ist. Nach dem Principe des Heronsballes wird die Luft in
dem Glasgefäss stark comprimirt und hiedurch gleichzeitig mit der Arznei-
flüssigkeit durch das enge Ausfuhrrohr nach aussen getrieben.
Auf dem Princip der Hebung medicamentöser Flüssigkeit
durch Aspiration beruhen die von Siegle und Oertel construirten In-
halationsapparate. Beide Apparate sind in der Praxis so gebräuchlich, dass
wir auf eine Beschreibung derselben verzichten können. Jeder moderne
Instrumentenkatalog enthält Abbildungen derselben.
Die Preise der Inhalationsapparate, welche früher ziemlich hochgestellt
waren — ein OERTEL'scher Apparat kostete 10 Mark — sind gegenwärtig in-
folge des „Massenconsums'' gesunken, und man erhält ganz verwendbare
„Dampfinhalationsapparate" um 2 — 3 Mark.
Die grossen „Inhalationsmaschinen", wie sie in den Curorten, wie
Reichenhall, Kissingen etc. aufgestellt sind, sind nach einem anderen Prin-
cipe gebaut, und zwar nach dem Principe des 1858 der Akademie der Wissen-
schaften demonstrirten Apparates von Sales-Girons. Es besteht im Wesen
darin, dass durch den Druck grosser Compressionspumpen die medicamentöse
Flüssigkeit durch eine feine Ausflussöffnung mit bedeutender Kraft gepresst
und gegen eine feste Platte getrieben wird, wodurch eine Zerstäubung der
Flüssigkeit in der Form eines feinen IS^ebels zustande kommt.*)
Wassmuth in Barmen hat in den Inhalatorien von Reichenhall,
Ems, Oeynhausen, Baden-Baden, Aachen, Meran u. a. nach diesem
Principe construirte Apparate aufgestellt.
Bezüglich des G e b r a u c h e s der Inhalationsapparat'e sind gewisse
Regeln zu beachten. Der Inhalirende sitze vor dem Apparat in einer Ent-
fernung von ca. 15 cm, weil der Spray hiedurch in voller Concentration in
den Mund gelangt. Die Haltung des Kopfes sei eine etwas zurückgebeugte,
damit der Uebergang der Mund- in die Rachen- und Kehlkopfhöhle nicht
unter einem rechten, sondern möglichst stumpfen Winkel vor sich gehen und
das Anprallen des Inhalationsstromes an der Rachenwand möglichst vermieden
werde (A. Schmid).
Die Inhalationen sollen ohne jede Anstrengung in Form von tiefen,
ruhigen Athemzügen vor sich gehen. Schmid empfiehlt, bei Diphtherie das
Zuleitungsrohr zwischen die Zähne nehmen zu lassen, damit der Spray auf
den Rachen möglichst intensiv einwirken könne.
*) Vergl. Artikel „Pneumo-Spirothercqjie^'' in der „Internen Medicin'^, Bd. III.,
vag. 314 f.
INHALATIONS-THERAPIE. 211
Als Inhalationsmittel werden empfohlen :
Acid. boric, Verordnung: 2'ü— S'O: lOO'O.
Acid. carbol., Verordnung: 0"5 — S'0: 100*0 mittels Spray oder Kespiratoren,
empfohlen gegen Larynxphthise, Diphtherie (Oeiitel), Keuchhusten.
Acid. salicyl., Verordnung: 0-1 — 0*2 - 0-3: 100-0.
Acid. tannic, Verordnung: ü"2 — 2"0:100'0.
Alumen, Verordnung: 0-2-2-0: lOO'O.
Aliimin. aceto-tartaric. wird nach Schaeffek in der Dosis von 0"G — GO ad
200*0 Aqu. destill, zur Dampfzerstäubung empfohlen und namentlich auch bei Kehl-
kopfcroup angewandt.
Amnion, chlorat. s. Salmiak.
Amylnitrit, Verordnung: 3 — 5 Tropfen auf ein Taschentuch zur Inhalation
(grösste Vorsicht angezeigt!).
Anilinöl wurde ää partes aequales zur Inhalation bei Tuberkulose empfohlen.
Argent. nitric, Verordnung: 0*02 — 1*0: 100*0.
Aqii. Calcis mit Aqu. destill, ää partes aequales soll die Croupmembranen
zu lösen im Stande sein, was jedoch bestritten wird, findet in der Praxis in Form
von Inhalationen mit dem Dampfsprayapparat noch vielfach Anwendung.
Balsamuin peruvianum, zur Inhalation gegen Larynxphthise von M. Schmidt
und Schnitzler empfohlen.
Benzin zur Inhalation bei Keuchhusten empfohlen. Verordnung: im Respirator
oder auf das Bett der Kranken aufzuträufeln.
Cannabis indica im Form von Cigaretten bei Asthma gebräuchlich.
Creolin. Verordnung: 0'5 — 2*0: 100*0 bei Tbc. pulm. et laryngis.
Creosot. Verordnung: 10 Tropfen auf Watte in die CuESCHJviAN'sche Respi-
rationsmaske oder als Aqu. Creosoti 1*0, Aqu. destill, ad 100*0. Zur Inhalation.
Extr. belladonn. wird als Hustenreiz stillendes Narcoticum in Gaben von
0*01— 0-05: 100-0 verordnet,
Extr. hj^osciaini 0*05— Ol: 100-0.
Extr. opii aqu. 0-2— 0-4: 1000.
Ferrum sesquiclilorat. als Stypticum, Verordnung: 2-0 — o'0: 100*0. v. Ziems-
SEN verschreibt Rp. Liqu. ferr. sesquichlorat. 2*0, Aqu. destill. 198*0. S. zur Inha-
lation mittels Dampfzerstäubers, alle Ya Stunde 1 — 2 Minuten.
Fichtennadelinhalationen werden in Curanstalten angewendet. In der Mitte
des Inhalationssaales ist ein Gefäss, in welchem sich die zerschnittenen Zweige der
Latschenkiefer befinden. Von unten gelangt heisser Wasserdampf in dieses Gefäss
und nimmt das aromatische Gel der Kiefer beim Aufsteigen in die Atmosphäre mit,
Gummi arabic. wird als Emolliens in der Dosis von 2*0 — 4*0: 100*0 verordnet.
Jodoform wird benützt zu Inhalationen bei Tuberculosis pulmon. et laryngis, es
wirkt auch analgetisch. Man verschreibt: Rp. Jodoform. 1*0, Ol. Eucalypti gtts. VIII,
Spirit. Aetheris ää 15*0 M. D. S. 10 Tropfen in heisses Wasser.
Menthol in 5% öliger Lösung zur Inhalation bei Larynxtuberkulose zu ver
ordnen (Rosenbekg).
Mineralwässer werden als schleimlösende Mittel zur Inhalation empfohlen.
Dies geschieht in den grossen Inhalatorien der Curorte (Ems, Gleichenherg, Kreuz-
nach u. a.). Eichhorst verschreibt für den häuslichen Gebrauch: Rp. Aqu. Emeusis
lagen. I. D. S. Zur Inhalation in zerstäubter Form. — Auch die Schwefelwässer von
Aachen, Baden bei Wien, Weilbach etc. werden zu Inhalationen bei Katarrhen der
Luftwege verAvendet. Irsai lobt namentlich die reizmildernde Wirkung der Inhala-
tionen von Pistyaner Thermalwasser bei Kehlkopf- und Rachenaffectionen.
14*
212 INHALATIONS-THERAPIE.
Morphin ist in vorsichtiger Dosirung als Narcoticum zu Inhalationen anwend-
bar. IMan verordnet es in Dosen von 0'02 — O'l zu 100"0 Wasser. Empfehlens-
wert ist folgendes Eecept: Morph, liydrochloric, 0'05, Natr. bromat. lO'O, Glycerin.
300, Aqu. destill. 200-0.
Natr. bicarbonic, als schleimlösendes Mittel 1"0 — 6"0 ad Aqu. 200'0, nament-
lich bei Pharyngitis sicca. Natr. bromat. wird bei hysterischen Lähmungen der Stimm-
bänder verordnet als Rp. Natr. bromat 5"0, Morph, hydrochloric. 0"1, Aqu. destill.
qu. s. ad 200.t), M. D. S. Inhalationsflcäschchen.
Natr. chlorat. wird mittels des SiEGLE'schen Apparates bei acuten, namentlich
aber bei chronischen Kehlkopfkatarrhen angewandt. Man verschreibt: Ep. Natr.
chlorat. 2'0 — 6*0, Aqu. destill, ad. 2000 S. zur Inhalation.
Natr. chloroborosum wird als Liquor Natrii chloroborosi in den Inhalationen
einzelner Curanstalten als Antisepticum verwendet.
Ol. Eucalypti 10 — 20 Tropfen auf heisses Wasser zur Inhalation. Mosler
empfahl gegen Diphtherie: Ol. Eucalypti e fol. 2'0 — 5'0, Spir. vin. rectificat. 20'0 — 25"0
Aqu. dest. 150"0 S. zur Inhalation.
Ol. jimiperi e. Cacc. in gleicher Verordnung.
Ol. pini pumiliouis empfiehlt A. Schmidt wegen seines vortrefflichen Ge-
ruches entweder 25 Tropfen in den Dampftopf oder 20 Tropfen zweistündlich in
den permanenten Zerstäuber.
Ol. terebintliinae, eines der häufigst gebrauchten Inhalationsmittel. Man lässt
1 — 2 Kaffeelöffel davon in dami)fendes Wasser schütten und 2 — 4mal täglich
10 — 15 Minuten lang inhaliren, oder befeuchtet die Watte eines Respirators mit
10 Tropfen oder man bespritzt Fliesspapier mit diesem Oel und hängt es über dem
Bette der Kranken auf.
Resorciu empfiehlt Ziemssen bei Larynxtuberkulose zur Inhalation luittels
D ampf zerstäub er s .
Opium soll vorsichtig angewandt werden, weil die Dosirung bei der Inhalation
schwierig ist, wird verschrieben als Opii simpl. 0*2 — 1'0:100'0 oder als Extract.
opii (s. d.)
Salmiak wird verschrieben als Ammonii chlorat. 0'3 — 3*0: 100*0 als schleim-
verflüssigendes Inhalationsmittel. Um den Salmiak in statu nascendi zu erhalten,
wurden eigene Vorrichtungen construirt, in welchen Ligu. ammonii caustici auf Salz-
säure einwirken und hiedurch Salmiak erzeugen. (Apparat von Dezewiecki.)
Salpeterpapier, ein mit einer Auflösung von Salpeter in Wasser 1 — 5 ge-
tränktes Papier, welches angezündet wird, und dessen Dämpfe inhalirt werden.
Sooleinhalationen. Zur Vornahme derselben empfiehlt man den Aufenthalt
in Gradierhäusern, wie sie Reichenhall, Kissingen, Kosen u. a. besitzen. In Gleichen-
berg und Arco sind kleine Räume eingerichtet, in welchen Salzlösungen durch Luft-
compression zerstäubt werden.
Straramonium wird als „Tabak" pur oder mit türkischem Tabak gemischt aus
Thonpfeifen oder in der Form von Cigarettes antispasmodiques geraucht.
Tliymol ist als Desinficiens gebräuchlich und wird zur Inhalation verordnet:
Rp. 0-05— 0-1 ad lOO'O Aqu. destill.
Zinc. sulfuric. wird selten in der Dosis von 0*5 — 5'0 zu Inhalationen bei
Katarrhen verwendet.
Die Inhalationstherapie ist, so oft dies auch namentlich bezüglich der
Inhalation einzelner Arzneistoffe behauptet wurde, keine Panacee, bildet aber
andererseits einen wichtigen Curbehelf bei der Behandlung der Erkrankungen
der Respirationswege. Dass sie insbesondere in Curanstalten und Badeorten
besonders günstige Erfolge aufweist, hängt wohl hauptsächlich damit zusammen,
dass die Kranken an diesen Orten ferne von ihrer Berufsbeschäftigung aus-
INSTRUMENTARIUM DES LARYNGOLOGEN.
213
schliesslich mit der Cur beschäftigt sind und namentlich jene Factoren weg-
fallen, welche als schädliche Momente im Wohnsitze und Beschäftigungsorte
der Kranken der Heilung bestehender Luftwegealit'ectionen hinderlich im Wege
stehen. jul. weiss.
Instrumentarium des Laryngologen, Der Laryngologe bedarf In-
strumente zur Untersuchung und solcher zur Behandlung. Die zur
Untersuchung des Kehlkopfes und des Rachens dienenden Instrumente sind
in den Artikeln ^^Laryngoskopie und Pharyngoskojde'-'- beschrieben, deren
Anwendung und Technik geschildert und daselbst bildlich dargestellt. Die
zur Untersuchung der Nase dienenden Instrumente sind im Artikel ^Rhino-
sJcopie und Untersuchung der Nase'-'' aufgezählt und abgebildet.
Die Behandlung des Kehlkopfes besteht in der Anordnung von Inha-
lationen — die hiezu gebräuchlichen Apparate sind im Artikel ,Jnhalations-
tlierapie^'- beschrieben — in der Insufflation — bezüglich der hiezu nöthigen
Instrumente vergleiche Artikel ^Jnsiifflation" — in der local angewandten
Pin seiung des Kehlkopfinnern und endlich in der Einspritzung in den
Kehlkopf.
Zur Pinselung dienen theils Pinsel, theils Schwämme, welche an
entsprechenden Handgriffen angeschraubt werden können. Ein mit einer
Oese versehenes Instrument dient als Watte träger; zu demselben Zweck
wird die KRAusE'sche Pincette verwendet, deren mit Zähnen versehene
Branchen den Wattebausch festhalten. Scheck empfiehlt statt der gebräuch-
lichen Pinsel Klemmpincetten, in welchen ein Stückchen Watte durch
einen vorschiebbaren Ring fixirt wird. Die Anwendung des Pinsels hat den
Vortheil, dass man ganz kleine, umschriebene Partien treffen kann, was bei
Wattebauschen und Schwämmen nicht der Fall ist. Um grössere Mengen
von Flüssigkeit in den Kehlkopf einzuführen, dienen Spritzen. Als solche
sind in Verwendung die Spritze nach B. Fränkel und die HERYNG'sche
Spritze (modificirt von Krause). Erstere hat die gewöhnliche Spritzenform
mit etwas abgebogenem Ansatzrohr. Scheck empfiehlt eine Spritze, welche
mit Ausnahme des Rohres und des Stempels ganz von Neusilber ist und vorn
eine einzige, runde Oeffnung trägt. Die obenerwähnte HERYNG'sche Spritze
endigt in eine gebogene Hohlnadel und dient zur Cocainanästhesie. Die
Nadel wird in die hintere Rachen- oder Larynxwand eingestochen und die
Cocainlösung tropfenweise entleert. — Jeder Instrumentenkatalog zeigt die
Abbildungen dieser einfachen Instrumente.
Die mit den eben genannten Instrumenten applicirten Flüssigkeiten sollen theils als
Antiseptica, theils als _ Adstringentia und Resorbentia und endlich auch als Aetzmittel
dienen. Die gebräuchlichsten Receptformeln hiefür sind folgende:
Rp.
Rp.
Rp.
Rp.
Argent. nur. 20—50
Aq. destUl. 10-0
MDS. Zur Pinselung
Thymol. Q-l
Alkoll. villi l'O
Glycerin. 20-0
MDS. Zum Pinseln.
Äcid. cinnamyl. l'O
Spirit. 20-0
MDS. Zum Pinseln.
Cocain. liydrocM. 0'5
Spirit.
JBals. peruv. m. 10- 0
Ol. menth. pip. gtt. V.
MDS. Zum Bepinseln.
(M. SCHÄFFER.)
(Scheck.)
(Lakderer.
(Schnitzler.)
Rp. Acid. carhol. liqiief. 2'0.
Spirit.
Glycerin. ää 10' 0
MDS. Zum Bepinseln mit gut ausge-
drücktem Pinsel. (Jahn.)
Rp
Rp.
Rp.
Kai. jodat. l'O
Jod. pur. 0'2
Glycerin 200
Ol. menth. pip. gtt. II (MAKDEL'6c/<e Jod-
lösung.)
Jodoform. 1 0
Aether. 100
MDS. Zum Bepinseln.
(Schaeffer.)
Acid. laclic. 20-0— 80'0
Aq. dest. ad 100' 0
MDS. Zum Einspritzen in den Kehl-
kopf. (Krause.)
214
INSTRÜMENTAEIUM DES LARYNGOLOGEN.
Rp.
Rp.
MenthoU 2-0
Ol. oliv. 10-0
MDS. Zum Einspritzen in den Kehl-
kopf. (SCHAEFFER.)
Cocain, liydrochl. 0 2 — 0 5
Morph, muriat. 0-2
Aq. dest.
Glycerin. Uä l'rO
MDS. Zum Bepinseln des Kehlkopf-
innern. (v. Ziemssen.)
Rp. Creosoti l'O
Spirit. rectif. 40 0
Glycerin 60 0
MDS. Zum Einspritzen in den Kehl-
kopf. (Cadier.)
Rp.
Cocain, hydrochl. 0'3
Acid. carhol. 0-05
Aq. dest. 2 0
MDS. 2-3 Theilstriche einer J g fas-
senden Spritze zu injiciren.
(Fränkel.)
Zu Aetzungen empfiehlt Juräsz Chlorzinklösungen 1 — 5°/uig. Stärker wirkt
die Application Yon Argent. nitr. in Substanz. Dasselbe wird an einer Sonde ange-
schmolzen; das Anschmelzen geschieht entweder dadurch, dass man ein Stückchen Lapis
über der Flamme erhitzt und das schmelzende Silber auf die Sonde aufträufeln lässt, oder
dadurch, dass man die glühende Sonde in den Lapis einbohrt (Schech). Noch .stärker
wirkend als das Argent. nitr. ist die Milchsäure in 50 — 100"/oiger Lösung, die in fester
Form applicirte, an die Sonde angeschmolzene Chromsäure und die in concentrirten
Lösu.ngen verwendete Trichloressigsäure.
Bezüglich der elektrischen und galvanokaustischen Behandlung, resp, der
hierzu verwendeten Instrumente vergl. Artikel ^.lElektrolar^ngrotJiercqne''. r.
Es erübrigt jetzt noch, das zu endolaryngealen Operationen
verwendete Instrumentarium zu beschreiben.
I. Pincetten und Quetscher. Zur Ope-
ration kleiner, weicher Geschwülste ist am besten
verwendbar die von Scheötter modificirte Türck'-
sche Pincette (Fig. 1). Dieselbe ist befestigt an einem pistolen-
ähnlichen Griff und besteht aus einer Packfongröhre, welche
zwei Krümmungen zeigt, eine in der horizontalen und die an-
dere in der verticalen Ebene. Die erste Krümmung bezweckt,
die Hand des Operateurs, die den Griff hält, vom Munde
des Patienten seitwärts zu bringen, so dass das Licht unge-
hindert in den Rachen fallen kann. Die verticale Krümmung,
die man je nach der Länge des Halses des Patienten und nach
dem Sitze der Neubildung verändern kann, ermöglicht die
Anwendung desselben Instrumentes für alle Fälle.
In dieser Röhre läuft ein weicher Eisendraht, an dessen
unterem Ende mit einem Schraubengewinde die federnde
Pincette leicht drehbar befestigt ist, so dass man dieselbe
Pincette von rechts nach links oder von vorne nach hinten
und natürlich auch in jeder Zwischenstellung gebrauchen
kann. Die Röhre ist durch eine Schraube am Griff' und der
im Innern der Röhre verlaufende Eisendraht ebenfalls mit
Hilfe einer Flügelschraube an einem im Innern des Griffes
beweglichen Schlitten fixirt. Der Schlitten wird mit Hilfe
einer Krücke durch den Zeigefinger der den Griff haltenden
Hand vor- oder rückwärts geschoben und derart die Pincette
geöffnet oder geschlossen. Der Vorzug dieses Instrumentes
liegt in allgemeiner Anwendbarkeit, dem Anpassungsvermögen
für alle Fälle und der Ermöglichung einer starken Beleuch-
tung des Kehlkopfes.
TüRCK und ScHRöTTER haben dann noch mit Vorliebe den Quetscher
(Fig. 2) verwendet. Er ist ganz gleich der Pincette construirt, nur befindet sich
am unteren Ende der Röhre eine seitwärts abstehende Branche, gegen welche
dann von unten her eine entsprechende zweite an dem Eisendrahte befestigte
Branche angedrückt wird. Dieses Instrument eignet sich besonders für Ge-
Fig. 1.
Schrötter'sche
Pincette.
INSTRUMENTARlUxM DES LARYNGOLOGEN.
2L5
Fig. 2.
Polypenquetscher.
Fig. 4.
Eingpincette
nach Krause
frontalschneidend.
schwülste an der Stimmbandkante; man fasst damit
die Ansatzstelle, quetscht dieselbe fest (daher der
Name Quetscher) und reisst sie ab. Die Grösse,
Form und Schärfe der Branchen ist natürlich bei
Pincette und Quetscher sehr verschieden, je nach
Grösse, Sitz und Härte der Neubildung. Von 3 mm
Länge bei 2mm Breite, bis zu 1 cm Länge und
0-5 cm Breite, mit oder ohne Zähnung des Randes,
mit oder ohne Höhlung, mit stumpfen oder schnei-
denden Rändern versehen, lässt sich das Instrument
allen Anforderungen anpassen; hieher gehören auch
die TüRCK'schen Schneidemesser,
V. Bruns hatte seine Pincette so eingerichtet,
dass die aus Gliedern bestehende Röhre durch einen
am Griff angebrachten Hebel über die federnde Pin-
cette vorgeschoben oder von derselben zurückge-
zogen wurde.
Gottstein hat die eine Branche feststehend
an der Röhre angebracht, während die andere ge-
lenkig an dem Eisendraht befestigt ist. Die Bewe-
gung geschieht durch Vor- und Rückschieben mit
Hilfe eines scheerenartigen Handgriffes. Natürlich
bedarf man hier verschiedener Instrumente, um von
rechts nach links oder von vorne nach hinten
fassen zu können.
M. Mackenzie construirte eine Pincette, bei
der dui'ch eine Spiralfeder mit Hilfe eines Hebels
Pincette geöffnet oder geschlossen werden kann, wäh-
rend zugleich durch einen sinnreichen Mechanismus die
Pincette gedreht werden kann.
Einzelne Operateure sind gegen die Anwendung
der Pincette zur Polypenoperation, wie z. B. Störk, in-
dem sie nämlich sagen, man könne damit von oben fas-
send die Neubildung nicht exact entfernen. Dagegen
empfehlen sie die Pincette angelegentlich zur Entfer-
nung der Fremdkörper.
Störk construirte übrigens einen Quetscher (Fig. 3),
dessen beide Branchen locheisenförmig waren; die Land-
GRAF'sche Doppelcurette ist diesem Instrumente nach-
gebildet.
Endlich gehört hieher die Doppelcurette von Krause
(Fig. 4 und 5), welche den Griff ähnlich wie die Störk'-
schen (Fig. 6) Instrumente hat, die Röhre, den Eisen-
draht und die federnden Pincetten wie die Türck-
ScHRöTTER'schen Instrumente. Nur die Branchen sind
abweichend; sie stellen nämlich zwei ineinander greifende,
scharfschneidende elliptische Ringe dar. Diese Doppel-
curette wird entweder von vorne nach hinten oder von
rechts nach links beweglich angefertigt, ist stark ge-
baut und ermöglicht es, derbe Wucherungen glatt zu
durchschneiden.
IL Kehlkopfzangen. Mandl, Mackenzie u.
Art der Schlundzangen (Fig. 7) construirt, doch derart
Fig. 3.
Bingpincette
nach Störk.
Fig. 5.
Eingpincette
nach Krause
sagittalschneidend
a.
6. Polypenschnürer
nach Störk.
haben solche nach
geändert, dass die
Branchen nur einen kleinen Bogen beim Oeffnen beschreiben. Die Griffe sind
massiv, die Branchen schmächtig und gegen einander in drei Angelpunkten
216
INSTRUMENTARIUM DES LARYNGOLOGEN.
rig. 7.
Polypenzange nach Mandl.
beweglich, natürlich auch in Grösse, Form und
l Schärfe der Ränder verschieden gebaut. Fauvel"s
Zangen sind den vorigen nachgebildet, nur haben
sie eine Schlussvorrichtung am Griffe. Alle diese
Instrumente sind sehr massig und ohne Horizontal-
krümmuug, rauben deshalb viel Licht und decken mit
ihren Enden kleinere Neubildungen ganz zu. Ausser-
dem braucht man viele Exemplare von verschiedener
Länge und Krümmung, so dass sie nur wenig Em-
pfehlung verdienen; nur bei grossen oder zahlreichen,
das ganze Lumen ausfüllenden Neubildungen em-
pfiehlt sie auch Stöek. Jubasz' Zange ist sehr schlank
und hat sehr schmale Branchen, aber ebenfalls keine
Horizontalkrümmung.
IIL Die Curetten, welche Heeyng in das Ar-
mamentarium einführte (Fig. 8), sind an einem Theile
ihres Innenrandes schneidende, verschieden aufgebo-
gene, runde oder längliche Ringe, mit denen man
von unten her Geschwülste oder Infiltrate besonders
an der hinteren Larynxwand entfernt, heraushebelt
oder auskratzt. Sie finden fast nur Verwendung bei
tuberkulösen und ähnlichen harten Infiltraten.
Uebrigens hatte schon V. v. Beuns einen Scha-
ber construirt.
IV. Messer sollten nur gedeckt in den Kehl-
kopf eingeführt werden, da selbst bei der grössten
Sicherheit des Operateurs der Patient durch eine
plötzliche Bewegung sich verletzen kann, bevor der
Arzt Zeit hat, das Instrument ganz zu entfernen.
Dagegen kann es sehr schnell in seine Hülle zurück-
geschoben werden, wenn es eben verdeckbar ist. Nach
V. Bruns Vorgang wurden viele Kehlkopfmesser con-
struirt, von denen nur zu erwähnen ist, dass die Art
der Deckung ebenso wie bei den Pincetten verschie-
den ist. Nach v. Bruns schiebt man die Röhre über
das Messer, nach TtJRCK, Schrötter stösst man das
Messer aus der Röhre heraus, nach Wintrich wird
das Messer durch Federkraft in die Scheide zurück-
geschnellt etc. Reiner (Fig. 9) construirte ein Mes-
ser nach Schrötter, welches nach allen Richtungen
gedreht und in jeder Stellung fixirt werden kann.
Die Form der Messer ist natürlich verschieden; lan-
cett- und spitzbistouriförmig dienen sie zum Ein-
stechen in den Stiel des Polypen, nach Art des
Knopfbistouri zum Verlängern des Schnittes etc.
V. Guillotine. Die schon von v. Bruns und
Semeleder nach dem FAHNENSTocK'schen Principe
construirten derartigen Instrumente wurden weit über-
holt von dem STöRK'schen (Fig. 10 und 11). Dasselbe
besteht aus einem ovalen schneidenden Ringe, wel-
cher durch einen stumpfen Ring ganz oder später durch eine Krücke theil-
weise gedeckt war. Noch später Hess Störk an der einen Seite einen ge-
w^ölbten Schutzdeckel anbringen, der unabsichtliche Verletzungen der Gegen-
seite des Kehlkopfes (bei etwaigem krampfhaftem Schluss der Glottis) un-
Fig. 8.
Curettengarnitur nach
Heryng.
INSTRUMENTARIUM DES LARYNGOLOGEN.
217
möglich machte. Diese Guillotinen hatten verschiedene Grösse. Endlich gab
Störk auch ein Messer an, welches, in einem viereckigen Stahlrahmen nach
oben und unten beweglich, in beiden Richtungen schnitt. Dasselbe ist den
von TüECK angegebenen Fenstermessern nachgebildet, deren Messer aber
zungenförmig oder hackmesserartig gestaltet waren.
Semeleder's Sichelmesser, sowie die mit Stacheln zum Fixiren der Neu-
bildung versehene Guillotine von Matthieu wurden selten angewendet. Da-
gegen erwies sich Störk's Guillotine oft sehr brauch-
bar, namentlich bei ungenügender Toleranz des Kehl-
kopfes. Nach der Einführung der Cocainanästhesie
kam aber die Guillotine überhaupt mehr ausser Ge-
brauch.
VI. Scheerenartigelnstrumente. Bekannt-
lich hat V. Beuns die erste endolaryngeale Exstir-
pation einer Kehlkopfneubildung mit seiner soge-
nannten Messerscheere oder Messerpincette ausge-
führt. Die Enden dieser entsprechend gekrümmten,
federnden Pincette trugen horizontal angesetzte Mes-
serchen, welche durch Fingerdruck von einander ent-
fernt, sich beim Aufhören desselben selbstthätig
schlössen. Mit diesem Instrumente machte V. v.
Beuns in mehreren Sitzungen zahlreiche Einschnitte
in die Neubildung, bis dieselbe nekrotisirend zerfiel,
worauf sie abgestossen wurde. Der ganze Process
nahm nur 5 Tage in Anspruch. Später verfertigte
V. V. Bruns noch eigentliche Scheeren, die sich
entweder von rechts nach links oder von vorne nach
hinten öffneten. Später construirten auch Tobold,
Lewin u. a. ähnliche Instrumente; doch konnten
sich die Scheeren wegen der schwierigen und uu- Gedecktes ."dreh-
sicheren Anwendung nie recht einbürgern. nacrschröue'.
VII. Schlingenschnürer, zuerst angegeben
von GiBB, wurden von v. Beuns und Tobold modi-
ficirt; sie bestehen aus einer Leitungsröhre, in wel-
cher der doppelte Draht verläuft; die beiden Draht-
enden sind fixirt, und zwar an einem Schlitten, der
mittelst Ptinge in einer Rinne des Griffes bewegt
werden kann.
Da die Schlinge im Larynx leicht zusammen-
gepresst wurde, so construirte Stöek (s. Fig. 6.)
einen soliden Ring, in welchem gedeckt die Draht-
schlinge verlief. Dieser Ring war von verschiedener
Grösse und Stellung, um die Schlinge sagittal, fron-
tal oder horizontal geöffnet in den Kehlkopf ein-
zuführen. Der verwendete Draht ist aus Eisen, Stahl
oder Silber. Natürlich muss die Dicke und Elasti-
cität desselben den verschiedenen Anforderungen an-
gepasst und die Länge und Krümmung der Röhre genau abgemessen sein.
Die Anw^endung der Schlingenschnürer wird nur bei gestielten, weichen und
nicht blutreichen Neubildungen zu empfehlen sein.
VIII. Galvanokaustische Instrumente sind nur anzuwenden bei
sehr harten oder sehr blutreichen oder oft recidivirenden Neubildungen. Sie
sind entweder spitz oder raesserförmig und dienen dazu, um Löcher in die
Neubildung zu brennen oder um Schnitte zu führen. Endlich bedient man
Pig. 10.
Guillotine nach
Störk.
11-
Guillotine mit
Schutzdecke
nach Störk.
218 INSTRUMENTARIUM DES LARYNGOLOGEN.
sich der galvanokaustischen Schlinge, um gestielte Geschwülste zu entfernen.
Haupterfordernis für alle diese Instrumente ist eine genaue Isolirung der
Leitungsdrähte und möglichst dünne Beschaffenheit des Rachentheiles, um
immer genau sehen zu können, wo sich die glühende Spitze befindet. Es ist
selbstverständlich, dass das Instrument nur an der Spitze glühen darf, während
der Eachentheil kühl bleiben muss; dazu ist eben sorgfältige Isolirung der
Leitungsdrähte und ein relativ starker Strom erforderlich, der ein momen-
tanes Glühen der Spitze bewirkt. Die Spitzen und Messer des Galvanokauter
sind natürlich aus Platin; der Draht für die Schlinge besteht aus Platin oder
aus einer Legirung von Platin und Iridium oder aus Stahl. Mir genügte bis
jetzt für den Larynx immer der Stahldraht, der den Vorzug der grösseren
Festigkeit und Billigkeit hat. Er ist aber nur bis zu einer Dicke von O'bmm
verwendbar, da dickere Nummern sich schwer zu kleinen Schlingen gestalten
und zusammenschnüren lassen. Natürlich schmilzt Stahldraht leichter, als
Platindraht; aber Platindraht ist so weich, dass dünne Nummern keine halt-
baren Schlingen formen lassen. Platin-Iridium ist zwar härter, aber doch nicht
mit dem Stahle zu vergleichen. Deswegen ist für dünne Drähte Stahl, für
dicke Platin anzuwenden. Die galvanokaustischen Kehlkopfinstrumente be-
stehen aus zwei nebeneinander liegenden, aber doch völlig isolirten Kupfer-
drähten, welche an ihren Kehlkopfenden durch einen dünnen Platinstreifen
verbunden sind. Dieser Platinansatz wird glühend, während die Kupferdrähte
kalt bleiben. Bei den Schlingen laufen die Drähte in zwei engen Kupfer-
röhren, die auch wieder isolirt sein müssen, so dass nur die ausserhalb der
Röhren befindliche Schlinge zum Glühen kommt. Natürlich darf man das
Glühen nie lange fortsetzen, da sonst auch die Leitungsröhren oder Drähte
heiss werden. Drähte oder Bohren sind dann an einem Griffe befestigt, der
mit der Batterie in Verbindung steht und ein Oeffnen und Schliessen des
Stromes, sowie ein Zusammenziehen der Schlinge gestattet. Die Anzahl der
Griffe ist Legion; zu empfehlen sind aber nur jene, welche leicht sind und
bequem das Oeffnen und Schliessen des Stromes und die Handhabung der
Schlinge ermöglichen.
Die galvanokaustischen Operationen im Kehlkopfe erfordern ganz be-
sondere Buhe des Patienten und Geschicklichkeit des Operateurs, da gesunde
Theile absolut nicht berührt werden dürfen.
Es ist daher hier besonders darauf zu achten, dass die Instrumente die
für den einzelnen Fall richtige Länge und Krümmung haben; daher muss
man hier noch mehr wie vor jeder anderen endolaryngealen Operation durch
eine biegsame Sonde diese Verhältnisse genau feststellen.
Endlich ist zu berücksichtigen, dass die Aetzungen und Operationen mit
dem Galvanokauter nicht selten von starken entzündlichen Schwellungen, ja
sogar Oedemen gefolgt sind; daher hat man nach der Operation den Patienten
zu überwachen.
IX. Die Elektrolyse dürfte selten bei Neubildungen zu verwenden sein.
Der Grund liegt in der langsamen Wirkung dieses Verfahrens; daher wird
es jetzt nur manchmal bei chronischen, z. B. tuberkulösen harten Infiltraten
gebraucht, obwohl man dieselben auch zweckmässiger mit Curetten oder
schneidenden Pincetten entfernt.
Ein Vorzug der Elektrolyse ist die reizlose und doch ziemlich tief-
gehende Wirkung, indem sie eine langsame Verschrumpfung bewirkt.
Die Nachtheile liegen in der Nothwendigkeit, das Verfahren oft zu
wiederholen und jedesmal den oder die Pole durch Va Minute oder länger
ruhig in der Einstichstelle zu lassen. Dazu gehört völlige Anästhesie des
Larynx, die man jetzt wohl meist mit Cocain erreichen kann. Vor der
Kenntnis der Cocainwirkung war dies aber nur sehr selten zu erzielen.
INSTRUMENTARIUM DES OHRENARZTES. 219
Die elektrolytischen Instrumente, um deren Ausbildung sich besonders
VoLTOLiNi verdient gemacht hat, sind ganz ähnlich den galvanokaustischen,
nur sind beide Pole der Leitungsdrähte nicht miteinander verbunden. Die-
selben laufen entweder in zwei Spitzen aus und werden dicht nebeneinander
in die Neubildung eingestossen: bipolare Methode; oder man sticht nur die
mit dem negativen Pole verbundene Spitze in die Neubildung ein, während
mit dem positiven Pole eine grosse Plattenelektrode verbunden ist, welche
man an Wange, Hals oder Sternum aufsetzt: monopolare Methode.
Die erstere hat den Vorzug, dass der galvanische Strom nur die Neu-
bildung durchläuft. Bei der Anwendung der Elektrolyse im Larynx hat man
nur Ströme von 5 bis 15 Milliampere anzuwenden (daher ein Galvanometer
nothwendig) und hat mit Hilfe eines Rheostaten langsam einzuschleichen und
ebenso wieder die Stromstärke herabzusetzen. Daher ist völlige Iluhe des
Kehlkopfes nöthig.
Ausser diesen in Nadeln endenden elektrolytischen Instrumenten hat
VoLTOLiNi noch Schlingen und Pincetten angegeben, die aber im Larynx kaum
zu verwenden wären.
Anzurathen wäre die Elektrolyse nach meinen Erfahrungen höchstens
bei tuberkulösen Geschwülsten oder bei oft recidivirenden Papillomen zur
Aetzung der Ansatzstellen oder endlich bei sehr blutreichen Geschwülsten
(Angiomen). Vielleicht wäre die Elektrolyse im letzteren Falle allen anderen
Operationsmethoden vorzuziehen, da sie nie von Blutungen gefolgt ist, wenn
man langsam ein- und ausschleicht. chiari.
Instrumentarium des Ohrenarztes, im Folgenden sollen die für
die Ohruntersuchung und -Behandlung nothwendigen Instrumente, soweit sie
eine allgemeinere Verbreitung gefunden haben, aufgezählt werden. Solche
Instrumente, welche entweder von ganz nebensächlicher Bedeutung sind oder
nur für ganz specielle Zwecke hier und da verwendet, sehr wohl aber durch
gebräuchlichere ersetzt werden können, sollen nicht aufgenommen werden.
I. Instrumente für die Untersuchung des Gehörorganes.
a) Otoskopie.
1. Der Ohr Spiegel (Reflector) ist ein central durchbohrter Hohl-
spiegel von etwa 1cm Durchmesser und 15 cw Brennweite. Derselbe wird
an einem Handgriffe gefasst oder mit Hilfe einer Stirnbinde am Kopfe des
Untersuchenden befestigt. Statt der Stirnbinde sind auch Mundhalter, Daumen-
ringe und andere Vorrichtungen in Gebrauch. Da die focale Beleuchtung
des Trommelfelles, welche für eine genaue Besichtigung eine unerlässliche
Vorbedingung ist, nur dann zu erreichen ist, wenn der Reflector sich in der
seiner Brennweite entsprechenden Entfernung vom Trommelfelle befindet, sind
Hypermetropen auf die Einschaltung einer Linse augewiesen. Am bequemsten
ist es, dieselbe an der Rückseite des Spiegels vor dem centralen Loche, etwa
mittels einer drehbaren Gabelvorrichtung, anzubringen.
2. Ohrtrichter (Specula) sind in sehr verschiedenen Formen in
Gebrauch; die früher ausschliesslich benutzten Dilatatorien mit zwei bis drei
Branchen finden kaum noch Anwendung, da sie gegenüber den geschlossenen
Trichtern mancherlei Nachtheile besitzen. Ausser den kegelförmigen Trichtern,
welche Wilde angewandt hat, erfreut sich das cylindrische, an einer Seite
trichterförmig erweiterte Speculum von Teöltsch (Fig. 1) und der gleichfalls
cylindrische, an einer Seite becherförmig erweiterte Trichter von Eehaed-
Geubee (Fig. 2) besonderer Verbreitung. Die Specula werden mit Rücksicht
auf die Sterilisirung am besten aus Silber oder Neusilber hergestellt; die durch
ihr geringes Gewicht ausgezeichneten Instrumente aus Hartgummi, welche
PonTZEE bevorzugt, sind im allgemeinen weniger zu empfehlen. Man braucht
220
INSTRUMENTARIUM DES OHRENARZTES.
Fig. 5.
. Fi-. 9. ^'S- '" Fig. 11.
Fig. 12.
INSTRUMENTARIUM DES OHRENARZTES.
221
Fig. 17.
Fig. 24.
Instrumente von verschiedener Weite; die üblichen „Sätze" haben 3, 4, 5,
6 mm Lumen.
3. Der pneumatische Ohrtrichter von Siegle stellt einen an
seinem weiten Ende durch ein Glasfenster geschlossenen Trichter dar, in
welchen ein mit einem Gummischlauche verbundenes Röhrchen seitlich ein-
mündet. Hat man das Instrument luftdicht in den Gehörgang eiogefügt, so
genügt eine geringe Compression des an dem Gummischlauche befestigten
Ballons, um das Trommelfell nach innen zu drücken.
Bei Einengung des Gesichtsfeldes durch Gemmen- oder Hautpartikel
benutzt man zur Säuberung des Gehörganges folgende Hilfsmittel:
222 INSTRUMENTARIUM DES OHRENARZTES.
4. Pincetten. Dieselben sind knieförmig (nach Lucae bajonnetförmig)
gekrümmt und an ihren geraden (Fig. 3} oder gekreuzten (Fig. 4) Branchen
entweder gerieft oder mit Häkchen versehen.
5. Ohrlöffel oder Curetten lassen sich gleichfalls zur Entfernung
von störenden Massen benutzen.
G. Die Spritze dient zur Beseitigung grösserer Cerumenansammlungen.
Sie Avird aus Metall, Hartgummi oder Glas hergestellt und besitzt am
Stempel einen Ring zur Aufnahme des Daumens und am Rohr zwei Ringe
oder eine Vertiefung für Zeigefinger und Ringfinger. Besonders zu empfehlen
sind die aseptischen Glasspritzen von Teautmann mit Asbestkolben und nicht
angekitteten, sondern angeschraubten Metalltheilen; dieselben können aus-
einander genommen, sehr gut ausgekocht werden.
7. Der Watteträger (Fig. 5), auf welchen Watte aufgedreht wird,
dient zum Austrocknen des Gehörganges nach dem Ausspritzen. Zu dem-
selben Zwecke kann man auch eine Sonde benutzen.
b) Hörprüfung.
1. Politzer's Hörmesser (Fig. 6) wird von einigen Ohrenärzten zum
Ersätze für die allgemeiner übliche Taschenuhr verwendet. Derselbe besteht
aus einem zwischen zwei für Daumen und Zeigefinger bestimmten Krücken
senkrecht angebrachten Stahlcylinder, auf welchen ein gleichfalls stählerner
Hammer bei vorsichtiger Dirigirung mit dem Ringfinger immer aus der gleichen
Höhe herabfällt. Es entsteht dadurch ein sehr hohes Geräusch, das indessen
an verschiedenen Exemplaren des Apparates verschieden ausfällt.
2. Stimmgabeln werden zur Hörprüfung regelmässig verwendet. Man
muss solche von verschiedenen Schwingungszahlen, am besten eine fortlaufende
Reihe von den tiefsten bis zu den höchsten besitzen. Mit wenigen Instrumenten
kommt man allenfalls aus, wenn man die von Lucae empfohlenen graduirten
Stimmgabeln benutzt, welche je nach der Einstellung der an den Zinken an-
gebrachten Gewichte auf bestimmte Theilstriche verschiedene Töne geben.
3. Die DALTON'sche Pfeife, deren Rohr durch Höher- oder Tieferschrauben
eines Kolbens auf verschiedene Töne (von 6461 — 84000 Schwingungen) ein-
gestellt und durch einen Gummiballon angeblasen werden kann, dient zur
Prüfung auf die Perception höchster musikalischer Töne.
c) Katheterismus.
1. Der Ohrkatheter ist eine Röhre, an welcher der Schaft, ein trichter-
förmig erweitertes und ein schnabelförmig gekrümmtes Ende unterschieden
werden kann. Das Trichterende trägt eine Marke in Gestalt eines Ringes,
welcher mit dem Schnabel in einer geraden Ebene liegt. Die Länge des In-
strumentes schwankt zwischen 10 — 17 cm. Der Schnabel bildet mit dem Schaft
einen W^inkel von 140—150^ und ist 2, 2-5 und 3 cm lang. Man bedarf
mehrerer Katheter von verschiedener Stärke; die üblichen Maasse betragen
2, 2-5 und 3 mm im lichten. Als Material ist Silber oder Neusilber
entschieden vorzuziehen. Hartgummikatheter sind zwar leichter und schmieg-
samer, zerbrechen aber leichter und vertragen das Auskochen nicht.
2. Der birnförmige Gummiballon, welcher auch durch ein Doppel-
gebläse ersetzt werden kann, muss reichlich Faustgrösse besitzen und mit
einem kegelförmigen Ansätze für den Katheter ausgestattet sein. Bequemer
in der Handhabung, Vt^eil er zwischen den einzelnen Compressionen in Ver-
bindung mit dem Katheter bleiben kann, ist der mit einem Ventil versehene
Ballon, wie ihn z. B. Geuber benützt; doch sind diese Apparate weniger
haltbar als einfache Gummiflaschen. Will man den Ballon für das Politzer' -
sehe Verfahren gebrauchen, so setzt man auf den Ansatz, am besten unter
INSTRUMENTARIUM DES OHRENARZTES. 223
Einfügung eines elastischen Zwischenstückes, eine Olive oder einen Kegel
aus einem gut sterilisirbaren Material auf.
3. Der Aus cultationssc hl auch, mit welchem der Arzt das zu unter-
suchende Ohr mit seinem eigenen verbindet, ist etwa '■'■/^ m lang und trägt
an jedem Ende einen schlank-olivenförmigen Ohransatz, in der Regel einen
weissen für den Arzt, einen schwarzen oder rothen für den Kranken.
4. Die Klemme zur Fixation des Katheters (Fig. 7) ist zu-
weilen unentbehrlich, wenn man mit dem Katheterismus anderweitige Opera-
tionen, wie Sondirung der Tube oder Injectionen in dieselbe, verbinden will,
II. Instrumente für die Behandlung des Ohres.
a) Instrumente für Operationen im Gehörgange.
1. Furunkelmesser gibt es in sehr verschiedenen Formen; die ge-
bräuchlichsten sind die in Fig. 8 und 9 abgebildeten, von denen das eine vorn
spitz, das andere abgerundet ist. Das Messer von v. Tröltscii hat Scalpell-
form und trägt an dem entgegengesetzten Ende des Grifles einen Löffel zum
Ausräumen des Furunkels. Ich ziehe lür viele Fälle ein Messerchen mit
convex gebogener Schneide vor.
Aus der grossen Zahl von Instrumenten zur Extraction von Fremd-
körpern heben wir die folgenden hervor:
2. Stahlhebel von Zaufal, ein schlank gearbeitetes, nach Art der
Ohrlöffel geformtes Instrument mit schwach schaufeiförmig verbreitertem,
stumpfwinkelig abgebogenem Ende.
3. Spitzer Haken (Fig. 10) zum Fassen ausgehöhlter Fremdkörper
(Perlen, Knopfösen).
4. Stumpfer, auf die Fläche gekrümmter, zugleich als Hebel zu be-
nutzender Haken (Fig. 11).
5. Zange nach Politzer (Fig. 12), an deren Stelle zuweilen mit
besserem Erfolge die zierlicher gearbeiteten Instrumente von Teaütmanx,
Haetmann, Sexton (Fig. 13) u. a. benutzt werden.
Es sei hier ausdrücklich bemerkt, dass alle diese Instrumente zur Be-
seitigung von Fremdkörpern ausschliesslich für geübte Hände brauchbar sind
(s. Artikel ^^Fremdkörper im Ohr").
Für Einblasungen von pulverförmigen Medicamenten in
das Ohr sind sehr verschiedenartige Apparate im Gebrauch; besonders hand-
lich ist.
6. Der Pulverbläser von Politzer (Fig. 14), ein Behälter von Hart-
gummi mit ovalem Schlitz im Boden, welcher bei einer bestimmten, durch
Marken angezeigten Einstellung des unter ihm durchgeführten, gleichfalls mit
einem Schlitz versehenen Blaserohres an das letztere eine geringe Menge
Pulvers abgibt. Statt des Gummischlauches mit Mundstück, welches die Ab-
bildung zeigt, ist ein zum Anblasen zu benützender Gummiballon bei w^eitem
vorzuziehen.
b) Instrumente für Operationen am Trommelfelle.
1. Die Paracentesennadel (Fig. 15) ist eine 5 — Gern lange Lanzen-
nadel mit schlankem, aber festem, nicht federndem Schafte, welcher mit dem
Griffe einen Winkel von etwa 130° bildet. Die schneidende Spitze soll min-
destens 5 mm lang sein. Statt des winkelig abgeknickten Schaftes wird von Lucae
ein bajonnetförmiger vorgezogen; an den bei mir gebräuchlichen Paracentesen-
nadeln befindet sich ein flacher, blattförmiger Stiel von der Grösse eines
Daumen-Nagelgliedes.
2. Das Trommelfellmesser ist ein sehr zierlich gearbeitetes, etwas
concaves Scalpell mit geknöpfter Spitze, welches sich an einem ähnlichen
224 INSDFFLATION.
Schafte und Griffe wie die Paracentesennadel befindet. Es dient zur Ver-
längerung zu kurz gerathener Incisionen, überliaupt zur Erweiterung kleiner
Perforationen und zur Umschneidung des Trommelfelles.
3. Das Tenotom zur Durchschneidung der Sehne des M. tensor tym-
pani ist ein auf die Fläche gekrümmtes Sichelmesserchen; zur Durchschneidung
der Stapediussehne bedient man sich eines ähnlichen Instrumentes, welches
indessen weit kleiner und auf die Kante gekrümmt ist,
4. Synechotome sind rechtwinkelig (Fig. 16) oder in sanftem Bogen
(Fig. 17) gekrümmte Häkchen mit scharfer Schneide.
c) Instrumente für Operationen in der Paukenhöhle.
1. Paukenröhrchen sind Canülen von verschiedener Länge und Form
(Fig. 18, 19), welche, durch einen Gummischlauch mit der Ohrspritze oder
einem Irrigator verbunden, in Fistelöffnungen, in das Antrum etc. eingeführt
werden und zur gründlicheren Durchspülung dieser Hohlräume dienen.
2. Scharfe Löffel (Fig. 20, 21, 22) werden in verschiedenen Grössen
zur Ausräumung von Granulationen aus der Paukenhöhle verwendet.
3. Der Polypenschnürer von Wilde besteht aus einem mittels eines
Ringes am Daumen zu befestigenden, stumpfwinkelig gebogenen, vierkantigen
Schafte, welcher an dem freien Ende und am Knie je zwei seitlich in flachen
Anschwellungen angebrachte Bohrlöcher für die durchzuziehende Drahtschlinge
trägt. Die letztere wird mit beiden Enden an einem, am Schafte beweglichen,
mit Zeige- und Mittelfinger zu bedienenden Querriegel durch mehrfaches Um-
wickeln befestigt. Anstatt des Daumenringes, welcher für die Hand des Arztes
genau passen muss, wird vielfach ein stielförmiger Handgriff und statt des
Querriegels ein Ring zur Aufnahme des Zeigefingers (Fig. 23) benutzt.
4. Das Ringmesser (Fig. 24) dient zur i\.bschneidung kleinerer Tu-
moren.
Die für die Operationen am Warzenfortsatze dienenden Instru-
mente weichen von den in der Chirurgie zu Knochenresectionen benutzten
nicht wesentlich ab; sie bedürfen hier deshalb keiner Aufzählung, zumal da
sie auch in dem Artikel über die Behandlung des Warzenfortsatzes specielle
Erwähnung finden werden. bürkner.
Insuffiation ist ein technisches Verfahren, welches den Zweck hat,
feingepulverte Substanzen oder geringe Mengen von Flüssigkeiten in Schleim-
hauthöhlen einzublasen. Dies geschieht zunächst in der allgemeinen Chirurgie,
um Wundflächen, Fisteln etc. mit einer desinficirenden Pulversubstanz (Jodo-
form) zu bedecken. Hiezu dienen ähnliche Pulverbläser, wie sie weiter unten
als in der Laryngotherapie gebräuchlich beschrieben werden.
Die Insufflation im engeren Sinne ist ein endolaryngeales Verfahren,
welches zu den wichtigsten therapeutischen Behelfen des Laryngologen gehört.
Indicationen. Die Indication für die Insufflation sind chronische
Kehlkopfkatarrhe und Ulcera laryngis. Sie haben zum Theil den Zweck, des-
inficirend und heilungsbefördernd, zum Theil adstringirend, zum Theil schmerz-
stillend zu wirken. Zu erstgenanntem Zwecke verwendet man Jodoform,
Jodol, Acid. boric, Bismuth. suhnitr.^ zum zweiten Acid. tannic. Alumen, zum
dritten Cocain, Morphium und Orthophorm.
Technik. Nach entsprechender Beleuchtung und Einführung des Kehl-
kopfspiegels mit der linken Hand zur Einstellung des Kehlkopfbildes (vergl.
Artikel ^^Laryngoskopie'-'-) führt man das an seinem vorderen Ende katheter-
förmig gekrümmte Instrument über die vom Untersuchten aus der Mundhöhle
gezogene und mittels eines Tuches von dessen Fingern fixirte Zunge ein, bis
man unter Controle des Spiegels oberhalb des Epiglottisrandes gekommen ist.
INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN.
225
Hierauf wird der Ellbogen des Untersucliers gehoben und hiedurch das vor-
dere Ende des Instrumentes über den Kelildeckelrand hinweg gehoben, so
dass es gerade über dem Kehlkopfeingang steht. iJie rechte Hand des Arztes
entleert hierauf den Inhalt des Pulverbläsers auf jene Stelle, die man zu
treffen wünscht.
Instrumente. Zur Insufflation verwendet man an ihrem vorderen
Ende entsprechend gekrümmte Röhren, aus Hartgummi gefertigt, welche an einer
Stelle eine durch ein darüber verschiebbares, kurzes Köhrchen verschliossbare
Oeffnung zur Aufnahme des Insufflationspulvers besitzt. Das hintere Ende des
Instrumentes besteht ans einem Gummiballon mit oder ohne Luftventil oder
einem Gummiröhrchen mit Mundansatz.
Der Kehlkopfpulverbläser nach Rauchfuss, wie er allgemein gebräuchlich
ist, vermag nicht mit voller Sicherheit das insufflirte Pulver an eine bestimmte Stelle zu
bringen. Deshalb liess Bergeat (München) einen Ballon mit bedeutend massigerer Anlage
des zwischen Ballon und Blaserohr gelegenen Zwischenstückes anfertigen, so dass in einer
in demselben angebrachten Rinne der Zeigefinger fest aufruht, und durch die Direction
dieses Fingers die Insufflation in einer bestimmten Richtung erfolgen kann.
Zur Insufflation verwendet man Pulver, subtilissime pulverisata. Als
Constituens für stark wirkende Substanzen verwendet man Saccharum lactis
statt des stark hygroskopischen Saccharum alb. oder Amylum und Talcum.
Als Recepte für gebräuchliche Insufflationspulver seien angeführt:
Rp.
Rp.
Rp.
Rp.
Rp.
Acid. tannic. pidv. 5 0.
Talci subtil, pulverisat. lO'O.
DS. Zum Einhlasen.
Acid. borac. 10- 0.
Morph, mtiriat. Ol-
DS. Zur Insufflation.
Cocain, muriat. 0'5.
Sacch. lactis 10 0.
DS. Zum Einblasen.
Morph, muriat. O'l — 05.
Sacch. lactis 10- 0.
DS. Insufflation.
{eventiiell mit Cocain combinirt ää Q2g).
Rp.
Rp.
Jodoform, subtilissime puherisati
Acid. boric. pulv. Jiä 5-0.
in saciilo.
S. Zur Insufflation.
Rp.
Rp.
Rp.
Jodol. pulverisat. 50.
S. Zu Einblasungen.
Morph. hydrocJdorici O'l.
Bismuth. subnitr.
Sacch. alb. pulo. ää 3'0.
MDS. Zu Einblasungen.
Kai. sozojodolic.
Sacch. lactis ää 10 0.
DS. Zur Insufflation.
(Schäffer).
(Schäffer).
(Ritter)
Alumin.
Sacch. lactis ää 10 0.
DS. Zur Einblasung.
Orthophorm. pur.
oder muriat. 100.
DS. 0'2 g. zu einer Insufflation.
(Neumayer).
Zur Insufflation medicamentöser Stoffe in das Gehörorgan verwendet
man die Luftdouche (vergl. Artikel ^Instrumentarium des Ohrenarztes'^ sammt
zugehörigen Abbildungen). w.
Interne Krankheiten und Ohraffectionen. Ehe wir die bei inneren
Erkrankungen auftretenden Ohraffectionen selbst betrachten, wollen wir zu-
nächst kurz die gewöhnlichsten Wege erörtern, auf denen die Erkrankungen
des Ohrapparates gewöhnlich zustande zu kommen pflegen.
Wir müssen zuvörderst im Auge behalten, dass zwischen dem Ohr und
dem Nasenrachenabschnitt ein ausserordentlich inniger anatomischer und
physiologischer Connex besteht, der eine Propagation dortselbst bestehender
entzündlicher Processe per continuitatem et per contiguitatem ermöglicht, oft
direct begünstigt.
Weiter dürfen wir nicht vergessen, dass in unserer Mundnasenrachen -
höhle immer schon unter normalen Verhältnissen, zur Zeit der völligen
Gesundheit also, eine nicht unbeträchtliche Anzahl von pathogenen und
bedeutungslosen Pilzkeiraen haust; sie alle kommen theils durch die Athmung,
Ohren-, Nasen-, Kachen-, Kehlkopfkrankheiten.
15
226 INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN.
theils durcli die immerfortwährenden Zersetzungsprocesse (Nahrungsreste etc.)
dahin.
Trotzdem wir also virulente Mikroorganismen zu jeder Zeit in uns
haben, bleiben wir gesund, so lange, als die physiologischen Schutzdcämme
integer functioniren ; so wie sie durchbrochen sind und ihre Fähigkeit, zu
paralysiren, aufgehoben ist, kann Krankheit eintreten, so auch am Ohre.
Nehmen wir zunächst die Erkältung, die früher eine so grosse Rolle
spielte, und der man beinahe alle Ohrentzündungen zuschrieb, in ihrer
concreten Bedeutung für das Ohr, so können wir sagen, dass durch sie in
erster Linie eine Lähmung des Fl immer epit hei s des Respirationstractes
(abgesehen von den Aenderungen in der Gefässinnervation) verursacht wird:
einer der Schutzdämme ist überwunden, und die pathogenen Keime gelangen
jetzt im Nasenrachencavum zur Ent Wickelung und werden weiterhin durch die
Tuba ins Mittelohr hineingetrieben.
Es ist ja selbstverständlich, dass sich die Entzündung einfach per con-
tinuitatem auf das Ohr fortpflanzen kann, aber für gewöhnlich geschieht die
Infection des Ohres durch Vermittelung der sogenannten Zwangsbewe-
gungen der Tuba: die Tuba öffnet sich unwillkürlich physiologisch von
Zeit zu Zeit behufs Ventilation der Trommelhöhle; ebenso wirken alle Luft-
verdichtungen, also Gähnen, Niesen, Brechen, PoLiTZEn'sches und Valsalva'-
sches Verfahren, unter Umständen direct vermittelnd.
Sind nun die virulenten Keime aus dem primär inficirten Gebiete durch
die Tuba, deren gelähmtes Flimmerepithel keinen Widerstand zu leisten vermag,
in die Pauke eingedrungen, so steht ihrer Entfaltung daselbst nichts mehr hin-
dernd im Wege: die Ohrentzündung kann beginnen.
Haben wir bei der Erkältung die Ausschaltung des localen Schutz-
dammes als das Allererste zu berücksichtigen, so gestalten sich die Verhält-
nisse bei den Allgemeinerkrankungen analog: hier werden mehr oder
weniger sämmtliche Schutzdämme (die vitale Energie der normalen Gewebs-
zellen, die bacterienfeindliche Eigenschaft des Blutes, die Fähigkeit der nor-
malen Organe, zu resorbiren und chemisch wirksame Umsetzungen zu bilden)
ausser Wirksamkeit gesetzt, und nun kann es entweder infolge der Allgemein-
erkrankung selbst und nur durch sie allein, oder wieder infolge der durch sie
bedingten localen Veränderungen vermöge einer Verschleppung vom Cavum
pharyngo-nasale aus zur Ohrerkrankung kommen.
Ausser diesen häufigsten und gewöhnlichsten Wegen haben wir dann
noch weiter (seltener) den Weg der Blutbahn (Endocarditis, Pyämie etc.): am
seltensten kommt eine Ohraffection au focht hon, im Ohre selbst, zustande.
Auch von aussen her, durch den Gehörgang, das Trommelfell, können Ohr-
entzündungen weiterhin sich entwickeln nach einwärts.
Bezüglich der Eint hei lung der Ohrerkrankungen möchte ich als für
alle Allgemeinerkrankungen gleichgiltig voraussenden, dass wir drei Gruppen
zu unterscheiden haben:
L Rein nosogene Ohraffectionen sind solche, die, durch irgend eine
Allgemeinerkrankung (acut oder chronisch) selbst hervorgerufen, sich als Aus-
druck einer speciellen Localisation derselben im Ohre repräsentiren (Parotitis,
Meningitis epidemica, Influenza, Syphilis, Tuberculose etc.).
IL Einfach mikrophytogen e Otitiden sind alle solche, die durch
specifische Mikroorganismen bei nicht allgemein erkrankten Individuen
durch locale Infection (zumeist per tubam) zustande kommen. (Blennorrhoea
neonatorum, acute Corj^za, Angina, soferne diese nicht als Allgemeininfection
aufgefasst werden etc.).
III. Mikrophy to-nosogene Otitiden; bei ihnen gesellt sich zur
Localinfection die Allgemeininfection, vorausgehend, gleichzeitig oder ihr
INTERNE-KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN. 227
nachfolgend. Diese Mischinfectionen geben am häufigsten Veranlassung zu
schweren Ohrprocessen, speciell bei den acuten allgemeinen Infectionen.
I. Acute localisirte Infectionen.
Ein nicht geringer Bruchtheil der Affectionen, die wir jetzt erörtern
wollen, ist früher zu den Erkältungskrankheiten gerechnet worden; unseren
neueren Ansichten gemäss sind sie jedoch auf Infection zurückzuführen. Dabei
dürfen wir aber nicht ausseracht lassen, dass die Erkältung eben in einer
grossen Anzahl der Fälle das prädisponirende Moment abgibt, vermöge dessen
die Infection, nach Ausschaltung der Schutzfactoren, in Wirksamkeit tritt.
In erster Linie haben wir hier des allbekannten acuten Schnupfens,
der Coryza zu gedenken; er gibt, wie wir alle aus Erfahrung wissen, recht
häufig Veranlassung zu Ohraffectionen; 37^/o der Ohraffectionen (Bükkner)
verdanken ihm ihren Ursprung.
Gewöhnlich pflegen nicht gleich anfangs, sondern erst vom 3. — 5. Tage
ab, unangenehme, zuweilen schon schmerzhafte Sensationen gegen das Ohr zu
Platz zu greifen, die sich in der Folge zu kürzer oder länger dauernden
directen Ohrschmerzen ausbilden können; gleichzeitig stellt sich eine mehr
oder minder ausgesprochene Verminderung der Hörfähigkeit ein, die dem
Patienten sich häufig äussert in der Weise, als ob er seine Stimme wie aus
einem Keller tönend, dumpf hörte (Au top ho nie); seltener macht sich eine
abnorme Empfindlichkeit gegen Geräusche und besonders gegen grelle Schall-
einwirkungen bemerkbar (Hyperacusis); häufiger dagegen klagen die
Patienten über subjective Ohrgeräusche (Sausen, Klingen, Läuten etc.).
Vehementes Schneuzen, wie es ja so gerne gerade hier geübt wird, wird sehr
oft schmerzhaft im Ohre empfunden, und es ist das für uns ein Fingerzeig
bezüglich der Therapie: wir sollen und dürfen bei allen acuten Pro-
cessen im Nasenrachenräume, seien sie welcher Natur sie wollen,
principiell keine Art der Luftdouche in Anwendung ziehen, ebenso wie
wir dem Patienten das forcirte Schneuzen thunlichst zu untersagen
haben, weil wir sonst geradezu durch die Luftverdichtung möglicherweise eine
schwere Entzündung setzen oder eine bereits bestehende in hohem Grade ver-
schlimmern können; wohl verstanden, nur bei acuten Processen. Inspiciren
wir das Trommelfell zu der Zeit, so finden wir es stark, übernormal glän-
zend, längs des Hammergriffs von einem frisch rothen Gefässtreifen durch-
zogen, und die geschwellte Schleimhaut der Pauke gibt dem Trommelfell
einen zart röthlichen Timbre; zudem ist es oft mehr weniger eingezogen, die
Falten zeigen sich angedeutet oder ausgesprochen. Wir haben das Bild des
complicatorischen Tubenschnupfens oder einfachen, acuten Ohren-
katarrhes in seinem Beginne.
Für gewöhnlich bildet sich die locale Ohrerkrankung im Laufe des
Schnupfens selbst zurück, besonders wenn der Patient die willkürlichen
Luftverdichtungen möglichst vermeidet.
In einer Anzahl der Fälle jedoch wachsen die Symptome rasch weiter,
es kommt zur Entwickelung eines acuten Mittelohrcatarrhes oder einer acuten
exsudativen Mittelohrentzündung, eventuell zur Eiterbildung mit consecutivem
Durchbruch des Trommelfells. Dass sich natürlich dann ebensogut Empyem
des Warzenfortsatzes, Caries desselben, sowie all die üblen Complicationen
der acuten eitrigen Media, wie wir sie noch sehen werden, herausbilden kön-
nen, liegt auf der Hand. Seltener stellen sich schon gleich während des acuten
Anfangsstadiums hier meningeale Reizungen ein.
Bei der Abart der vulgären Rhinitis, der Rhinitis f i b r i n o s a, die sich
im frühen Kindesalter abzuspielen pflegt, wird nicht zu selten das Ohr von
der Nase aus ergriffen, und es entwickeln sich pseudomembranöse, croupartige
Fibrintranssudate, die die gleiche Tendenz zur Recidivirung zeigen, wie in
15*
228 INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN.
der Nase; nach Abstossung der Membranen eitrige perforative Media von oft
langer Dauer.
Ueber den sogenannten exsudativen Ohrkatarrh der Neugebornen
und der Säuglinge, dem wir bei der Gehirnpneumonie wieder begegnen werden,
sind die Acten noch nicht geschlossen, indes dürfen wir nach dem jetzigen
Stande der Untersuchung wohl als ziemlich sicher annehmen, dass es sich
in der Mehrzahl der Fälle eben um wirkliche, rein bacteriogene Otitiden
handelt und. nicht um physiologische Erscheinungen. Für einen Theil der
Fälle ist es Zieh und Flesch gleichwie mir gelungen, einen directen
Zusammenhang mit der Blennorrhoea neonatorum nachzuweisen, indem
das specitisch blennorrhoische Scheidensecret intra partum oder nachher
durch Unvorsichtigkeit von Seite des Hilfspersonals zunächst in der Nase eine
blennorrhoische Rhinitis erzeugt, von der aus dann, bacteriologisch nach-
weisbar, die Otoblennorrhoe entsteht.
Zur Perforation des Trommelfells kommt es selten, da das Secret durch
die relativ viel weitere kindliche Tube nach innen abgeführt wird und das
sehr jugendliche Trommelfell eine grosse Mächtigkeit der epidermoidalen Ele-
mente und infolge dessen eine starke Resistenzfähigkeit aufweist.
Dauer der Affection, die unter stürmischen Erscheinungen; Fieber,
Nahrungsverweigerung etc., einhergeht, circa drei Wochen; Ausgang entweder
Heilung oder Fortdauer einer eitrigen Media bei Perforation; bei marantischen
Kindern Exitus.
Beim Heuschnupfen treten seltener Erscheinungen von Seite des Ohres
auf; wenn, dann in Form einer acuten Salpingitis, eventuell natürlich auch
Tympanitis. Hyperacusis vereinzelt, ohne entzündliche Nebenerscheinungen.
Die acuten Anginen, einfache, phlegmonöse und folliculäre, führen
nicht selten zu complicatorischen Ohraffectionen. Eine mehr oder weniger
stark ausgesprochene Salpingitis, die sich erst durch Kitzeln, später Stechen
gegen das Ohr zu, oder durch directe Schmerzen, die durch Schluckbewe-
gungen vermehrt werden, im Ohre selbst subjectiv und objectiv durch Empfind-
lichkeit beim Drucke auf die Gegend des Unterkiefergelenkes bemerkbar
macht, ist in den meisten Fällen vorhanden. Das Trommelfell w^eist erhöhten
Glanz bei Abflachung und Injection des Hammergriffes auf. Nicht zu
selten bildet sich aus den Anfangssymptomen eine richtige, zuweilen sehr
schwere eitrige Media, unter Umständen mit Miterkrankung der Knochen-
lager des Warzenfortsatzes heraus; auch Ausgang in Pyämie und Meningitis
ist hier vom Ohre aus beobachtet w^orden.
Wir dürfen hier nicht ausseracht lassen, dass unter Umständen auch
ein gewissermaassen umgekehrtes Verhältnis sich einstellen kann, indem es
nämlich infolge einer bestehenden meist acuten oder subacuten Mittelohr-
eiterung zu einem secundären Senkungsabscess, einem Retropharyngeal-
abscess kommen kann unter Vortäuschung des Bildes einer phlegmonösen
Angina; es bricht hier der Eiter nach innen und unten von der Trommel-
höhle her durch, indem er längs der peritubaren Gewebes zum Velum und
zur Peritonsillargegend hin sich senkt, um von da aus, wenn ihm nicht
rechtzeitig Abfluss geschafft wird, sich gegen das Mediastinum zu verlieren
zum Verderben des Patienten. Zur rechten Zeit eröffnet, gew^ähren dagegen
diese Senkungen eine dnrchaus nicht ungünstige Prognose. (Knapp, Haug.)
Bei der Pertussis, dem Keuchhusten, zeigen sich ausser den gewöhn-
lichen häufigeren Reizerscheinungen von Seite des Ohres (Tubenkatarrh oder
katarrhalische exsudative Media) in manchen Fällen Blutergüsse in Form
von Ecchymosen auf dem Trommelfell oder in Form von verschieden grossen
Blutblasen; auch Hämatotympanum kommt vor. Es kann aber auch absolute
bleibende Taubheit ohne Mitbetheiligung des Mittelohres sich entwickeln (Blut-
INTERNE KRANKHEITEN UND OIIRAFFECTIONEN 229
ergüsse ins innere Ohr). Auch Emphysem der seitlichen Halspartien (innen)
und der Regio mastoidea (aussen) kommen (selten) vor.
II. Acute allgemeine Infectionen.
Die hier zu beobachtenden Otitiden sind sämmtlich entweder rein n o s o-
gene oder bacterio-nosogene.
Die Influenza führt in zwei ihrer Formen, der katarrhalischen und der
nervösen, nicht der enteritischen, sehr häufig zu Ohrcomplicationen. In einem
Theil der Fälle, die als bacterio-nosogene anzusehen sind, repräsentirt sich die
Complication als eine acute Affection des tubaren oder tubotympanalen Ab-
schnittes, die entweder im Verlaufe der Grundkraukheit in Bälde sich zurück-
bildet, oder, was das Häufigere ist, in acut progredienter Weise zur Exsudat-
bildung, zur Eiterbildung mit Perforation der Membran tendirt. Der Spontan-
durchbruch liegt gerne in der unteren Hälfte (er kann übrigens auch an allen
andern Stellen der Membran erfolgen) und stellt sich zwischen dem dritten bis
bis fünften Tage ein, nachdem subjective starke Schmerzen, hochgradige
Verminderung des Hörvermögens, sowie Fieber vorausgegangen waren. Ver-
lauf der einer gewöhnlichen acuten Media.
Die reinen Influenza-Otitiden, soweit sie den Mittelohrtract betreffen —
als rein nosogene aufzufassen, nicht durch Vermittelung des Nasenrachen-
tractus — kennzeichnen sich in der Mehrzahl durch das ausserordentlich
stürmische Einsetzen der Symptome (plötzliches Auftreten von ganz exorbi-
tanten, die der gewöhnlichen Media noch weit übertreffenden Schmerzen, hohes
Fieber, oft meningeale Reizerscheinungen), durch ihren anfangs vehementen
und später, wenn die Sache nicht bald zum Abschluss gelangt, durch ihren
protrahirten und häufig complicirten Verlauf, sowie speciell durch ihren
hämorrhagischen Charakter. Es entwickelt sich bei Influenza innerhalb
oft sehr kurzer Zeitfrist (nur Stunder) die hämorrhagische Entzündung entweder
als Hämatotympanum, so dass das Trommelfell ganz oder partiell als dunkelblau-
schwarze Kugel vorgewölbt ist, oder in Form von blauschwarzen Blutblasen,
die auf dunkelrothem Grunde an verschiedenen Stellen erstehen können.
Auch auf das Trommelfell allein beschränkt kommt die hämorrhagische Ent-
zündung zur Beobachtung in Form von Blutblasen oder Ecchymosen, welche dem
Trommelfelle, insbesondere wenn die Entzündung im Ablaufe ist, ein eigen-
thümlich geflecktes oder marmorirtes Ansehen verleihen können (Leojxirden-
fellzeichnimg Körner); während die Schmerzen hier ebenfalls recht beträcht-
lich sein können, braucht das Hörvermögen nicht oder nicht sehr alterirt zu
sein.
Der Verlauf kann ein ausserordentlich vielgestaltiger sein; während die
hämorrhagische Myringitis in kurzer Zeit sich meist zurückbildet, ist dies
bei der hämorrhagischen Paukenentzündung bei weitem seltener der Fall.
Die Spontanruptur tritt im allgemeinen sehr frühzeitig, innerhalb der ersten
24 Stunden ein, und es entwickelt sich dann weiterhin erst eine serös-hämo-
rhagische und schliesslich hämorrhagisch- eitrige und rein eitrige Secretion: wir
haben die gewöhnliche eitrige Media nunmehr vor uns.
Die Dauer erstreckt sich auf 14 Tage bis 5 Wochen durchschnittlich:
es kommt im Verlaufe, besonders gerne im Laufe der zweiten oder dritten W^oche,
verhältnismässig recht häufig zu schweren Miterkrankungen des Warzenfort-
satzgebietes mit acuter Caries, Nekrose; auch Sinusthrombose, Pyämie,
Meningitis haben wir bei der Influenza-Otitis nicht zu selten zu beklagen ge-
habt, so dass also der Charakter derselben a priori als ein durchaus nicht
gutartiger, sondern geradezu maligner und heimtückischer betrachtet
werden muss; es wird sich diese Malignität natürlich nicht in allen Epi-
demien als gleiche erweisen, die Erkrankung wird sich dem Genius epide-
micus entsprechend gestalten können, Vorsicht bleibt aber immer geboten.
230 INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN.
Anlässlich der blutigen Entzündungen möchte ich noch intercurrent aut
eine sehr ^\ichtige, für alle Blutansammlungen innerhalb des Mittelohres gleich-
massig giltige und diagnostisch wertvolle Thatsache aufmerksam gemacht haben:
es kann bei allen derartigen Blutansammlungen im Ohre eventuell ein Abfluss
des Blutes durch die Tuba in den Ilachen statthaben, so dass die Sputa als
cocta imponiren; auf diese Weise sind schon manchmal Verwechselungen
mit croupöser Pneumonie vorgekommen. Also immer das Ohr auch unter-
suchen und daran denken, dass das Blut nicht aus der Lunge stammen muss.
(Das gleiche trift't oft auch ein bei den adenoiden Vegetationen.)
Kehren wir wieder zu unserer Influenza zurück, so haben wir noch die
Form zu betrachten, die auch als rein nosogene nar den schallemp find enden
Apparat betrifft. Das Trommelfell zeigt sich absolut frei. Die Patienten
klagen über starke subjective Geräusche, öfters auch über Hyperacusis, zu-
weilen stellen sich Schwindel und Gleichgewichtsstörungen ein, das Hörver-
mögen nimmt zuweilen rasch, in seltenen, prognostisch sehr ungünstigen
Fällen rapide bis zur Taubheit ab. Solche endigen in absoluter Kerventaub-
heit, während die leichteren in Bälde in Restitutio ad integrum auszugehen
pflegen. Ausserdem kommt es zuweilen noch vor, dass sich unter meist ziem-
lich stark ausgesprochenen Allgemeinerscheinungen eine intensive Otalgie
meist einer, selten beider Seiten auf die Zeitdauer von einer halben bis
anderthalb Wochen entwickelt. Diese Affection documentirt sich als reine
Otalgie durch das absolute Fehlen jeglicher objectiver Entzündungserschei-
nungen am Trommelfelle und Mittelohre; das Hörvermögen ist dabei nicht
beeinträchtigt.
Zu erwähnen wäre noch, dass im Verlauf der Influenza, allein oder
combinirt mit einer Media, Furunculose des Gehörgangs zuweilen zur
Beobachtung gelangt.
Therapie bei den acuten Formen: solange noch Resorption zu erwarten,
Eintxäufelungen (lauwarm) von lO^o Carbolglycerin oder Thymol O'l, Naphthol
0*1, solve leni calore in Glycerini 50"0. — Hirudines Nr. 3 — 4. Geht das Ex-
sudat nicht zurück, so sofort Paracentese ausgiebig; statt der früher so gewöhn-
lich vorgenommenen und auch jetzt noch manchmal gebrauchten Ausspülungen
(mit zur Hälfte verdünntem Liquor Aluminii acetici, Borwasser) ist, wie bei
allen acuten perforativen Mittelohrprocessen, trockene Reinigung, nachherige,
sorgfältige, trockene, einfache Tamponade des Meatus mit Gazestreifchen das
zweckmässigste (relativ baldigste Heilung); keine Luftdouche, kein Pul-
ver! solange die Entzündung acut ist. — Bei der nervösen Form: Pilocarpin
0"1:10"0, 1 Spritze täglich subcutan (12—20 Einspritzungen im ganzen)=
Bei jeder Art der Morbillen kann es zur Ohrcomplication kommen
Im allgemeinen treten die leichteren Affectionen in den leichteren Epidemien
auf, die schwereren entsprechend; aber unter keinen Umständen darf man
die Otitiden bei Morbillen als etwas Nebensächliches betrachten, sie sind im
Gegentheil immer als ernste Complicationen zu erachten. Es findet
sich, wie dies zum Theile schon aus den Untersuchungen Tobeitz's, Blau's,
Haug's und insbesondere denen Bezold's und seines Schülers Rudolph
hervorgeht, in einer sehr grossen Anzahl der Morbillenfälle eine gleichzeitige
Erkrankung des gesammten Mittelohrtractes (Paukenhöhle und Warzentheil) ;
zum Theil können diese Veränderungen, ohne wesentliche zeitliche Erschei-
nungen zu produciren, sich wieder zurückbilden. Jedenfalls ist es das un-
bestreitbare Verdienst Bezold's, auf diese für den Praktiker so wichtige
Localisation der Ailgemeininfection — und als etwas anderes kann die Mor-
billenotitis schwerlich aufgefasst werden — hingewiesen und an der Hand
von Obductionsbefunden erhärtet zu haben.
Gewöhnlich entwickelt sich im Verlaufe des Desquamationssta-
diums eine Mittelohraffection, die alle Grade vom einfachen Tubenkatarrh,
INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN. 231
der einfach acuten katarrhalischen Media bis zur schwersten acuten eitrigen
perforativen Tyinpanitis durchlaufen kann. JJie bei den Morbillen entstandene
Media gibt verhältnismässig recht häufig, weil vernachlässigt, den Grund
zu der späteren, über Jahre und Jahrzehnte sich ausdehnenden chronischen
Mittelohreiterung. Bei der acuten morbillösen Media kommt es nicht selten
zur acuten primären oder secundären Caries und Empyem des Warzenfort-
satzes. — Nicht zu vergessen ist, dass die Otitis dem Exanthem auch voraus-
gehen und der Ausbruch des Exanthems hinausgeschoben werden kann.
Labyrinthstörungen, ohne Mitergrifiensein des Mittelohres, kommen ebenfalls,
aber selten zur Beobachtung, gleich wie Gangrän der Ohrmuschel.
Scharlach und Diphtherie geben bekanntermaassen sehr häufig Ohr-
erkrankungen schwerster Natur. Zwischen 12 — 287o aller Ohreiterungen
stammen vom Scharlach. Wir haben beim Scharlach zu unterscheiden:
1. Die postexanthematischen Otitiden, die für gewöhnlich in der
3. — 4. Woche, im Beginne des Desquamationsstadiums auftreten (sehr häufig),
stellen im allgemeinen die leichteren Erkrankungen von Seite des Ohres
dar; sie treten auf als vorübergehende schmerzhafte Empfindungen in der
Tiefe des Ohres (Salpingitis, Myringitis), oder es bildet unter Wiedererneuerung
des Fiebers sich eine acute eitrig perforative, selten auch diphtheritische Tym-
panitis heraus, die bei sachgemässer Behandlung verhältnismässig bald und
gut heilen, vernachlässigt jedoch mit beinahe absoluter Sicherheit zu grossen
Destructionen und zu der chronischen Otorrhoe mit all ihren Consequenzeu
führen.
2. Die pro- und enexanthematischen Otitisformen repräsentiren
beinahe durchgehends schwere bis schwerste und letale Complicationen.
Hier kommt es noch vor oder während des Ausbruchs des Exanthems unter
excessiven Temperatursteigerungen, meningealen Reizerscheinungen, ausser-
ordentlicher Herabsetzung des Hörvermögens und lebhaftesten Schmerzen zu
den schwersten eitrig-phlegmonösen oder scharlach-diphtheritischen Entzün-
dungen, zu ausgedehnten rapiden Zerstörungen im Schalleitungsapparate;
insbesondere das Trommelfell wird unverhältnismässig rasch in
weitem Umfange zerstört, was bei gewöhnlichen Otitiden nie der
Fall ist. Derartige, insbesondere mit diphtheritischer Media complicirte Fälle
sind als Ausdruck einer schweren septischen Infection aufzufassen, wie ja
überhaupt die nekrotisirende Scharlach-Angina nicht mit der genuinen Diph-
therie, welche den LöFFLER'schen Bacillus beherbergt, zusammengeworfen
werden soll, da sie nur der Ausdruck der schweren scarlatinösen Sepsis ist.
Sehr ominös sind die nicht selten dabei sich zeigenden Schwellungen der
Hals- und Ohrgegenddrüsen {Pseudomumps). In selteneren, sehr schweren
Fällen wird der gesammte Ohrapparat zerstört durch eine alle Theile er-
greifende scarlatinöse P an Otitis; absolute Taubheit, anfänglich mit Coordi-
nationsstörungen, ist die bleibende Folge. (Taubstummheit, wenn in früher
Jugend!) Empyem, Caries und alle übrigen, auch die endocraniellen Com-
plicationen folgen dieser H. Gruppe nicht selten, ebenso wie unter Umständen
eine narbige Obliteration des Tubencanales (mit Unmöglichkeit der physio-
logischen Ventilation) zurückbleiben kann.
Die Prognose ist unter allen Umständen als eine sehr ernste, nie leichte
zu nehmen. Dauer der Eiterung gewöhnlich eine sehr protrahirte.
Die Diphtheritis vera kann auf zweierlei Weise das Ohr in Mit-
leidenschaft ziehen: einmal setzen sich per continuitatem und contiguitatem,
insbesondere bei der Nasendiphtherie, die Membranen auf den Tuben-Pauken-
abschnitt fort. Temperatur 38-5 — 39*0; höher, so septische Form. Im Gegen-
satz zur Scharlach-Ohrdiphtherie dauert das Exsudationsstadium viel länger,
5 — 8 — 12 Tage; die Membranen bilden sich sehr oft wieder. Perforation tritt
nicht immer auf, die Zerstörungen, wie bei Scharlach etc., fehlen im all-
232 INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN.
gemeinen, nur bei der septischen Form kommen sie vor. Die einmal eta-
blirten Perforationen sind meist klein, nicht sichtbar anfangs, weil die Mem-
branen über sie in den Meatus herausdringen; nach ihrer Abstossung stellt
sich profuse Eiterung ein, die einen fast dreimal so lange dauernden Verlauf
als die gewöhnliche Media aufweist. Panotitis kommt bei der Diphtherie
seltener vor. Die Kieferdrüsen sind bei Ohrdiphtherie constant geschwollen.
Bei der zweiten Art der Infection findet die Infection durch directe Ein-
wanderung des Pilzmateriales auf dem Wege der Blutbahn statt; hier treten
dann zuweilen die schweren Labyrinthaffectionen auf, die zu unheilbarer Taub-
heit führen. Prognose wie überall bei Diphtherie ernst.
Ausser der chronischen Media, den Narbenbildungen, den Verwachsungen,
der Taubheit zeigen sich als Folgen der Diphtherie Paresen und Paralysen
am Tensor und Levator Veli (zu erkennen auch durch die Unmöglichkeit,
Luft in die Tube zu bringen bei Valsalva, Katheter lässt dagegen freies
Geräusch wahrnehmen), sowie des Facialis.
Croup gibt sehr selten Veranlassung zu schwereren Ohraffectionen.
Parotitis epidemica kann zuweilen sehr verhängnisvoll für das
Ohr werden, indem die Kranken zwischen dem 3, — 8. Tage der Affection
urplötzlich von einer rapid zunehmenden Schwerhörigkeit befallen wer-
den, die schon nach 2 — 4 Tagen in meistens bleibend-unheilbare Taubheit
übergeht (oft beiderseitig). Sausen, Schwindel, Coordinationsstörungen kommen
auch hier wie bei Meningitis epidemica vor. Die Prognose ist bei dieser sich
consecutiv entwickelnden Atrophie der Endfasern des Acusticus per se eine
trostlose. — Die seltener vorkommenden entzündlichen Mittelohraffectionen
sind günstiger.
Meningitis epidemica ist die Infectionskrankheit, die verhältnis-
mässig die grösste Anzahl der Taubstummen liefert; etwa 60^0 überstehen
als Taube oder Taubstumme die Krankheit.
Hauptsächlich ist es die Meningitis siderans und abortiva, die die Patien-
ten, fast ausnahmslos bisher ohrgesund, am 3. — 10. Tage der Allgemeinerkran-
kung unter starken subjectiven Ohrgeräuschen (Sausen, Klingen, Läuten) in
sehr kurzer Zeit, oft in 24 Stunden, absolut ertauben lässt, und zwar beinahe
regelmässig doppelseitig. Bei den Gehversuchen in der Reconvalescenz macht
sich eine gewaltige Erschütterung des Coordinationssystems bemerkbar, indem
die Patienten bei jeder Bewegung schwanken und stürzen; der wackelnde Gang
bleibt noch bis die in 3. oder 4. Woche der Reconvalescenz, dann gleichen
sich die Coordinationsstörungen langsam aus, aber die Taubheit bleibt,
wenigstens gewöhnlich, irreparabel; in manchen Epidemien sind die Hör-
störungen seltener oder bilden sich auch wieder zurück, aber das ist, wie
gesagt, die Ausnahme.
Diese zwei Arten der Infection des Ohres stellen die denkbar reinste
nosogene Form vor.
Von weiteren acuten Allgemeininfectionen haben wir noch der Pneu-
monie zu erwähnen. Speciell die katarrhalische Pneumonie des Kindes-
alters hat besonders oft als sogenannte Pneumonie mit Hirnsymptomen
Ohrcomplicationen zur Grundlage; in sehr vielen Fällen beherrschen die Ohr-
erscheinungen das Syraptomenbild und täuschen dem Nichtvertrauten eine
Pneumonie vor. Die kleinen Kinder sind sehr unruhig, schlagen mit dem Kopf
nach hinten, schreien immerfort, beim Versuch, zu saugen, fühlen sie Schmerzen
und stehen deshalb von jedem Nährversuch ab. Fieber, eklamptische Anfälle,
ödematöse Säcke um die Augen bei ängstlichem Gesichtsausdruck, Nasenbluten
(sehr ominös), Coma — tritt das alles bei vorhandener Bronchitis auf,
halten wir das Kind, ehe es noch comatös geworden ist, mit dem Kopf nach
unten und fährt es dann mit einem gellenden Schrei gegen die Schläfen,
so ist die Diagnose einer Otitis mehr als wahrscheinlich; sichtbar ist die
INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN. 233
Otitis am Trommelfell an der Vorwölbung der Membran. Paracentese
kann nicht schaden, nur nützen, eventuell das Leben retten.
Die croupöse Pneumonie*) gibt seltener Ohrerkrankungen, wenigstens
nicht schwerere eitrige; Prognose günstig. — Hier ist aufmerksam zu machen
auf die Otitis mit pneumonischem Charakter: Beginn mit Schüttelfrost,
kritischer Abfall am 7. oder 8. Tage, geht rasch in Heilung über.
Beim Ileotyphus erkrankt das Ohr in ungefähr 4 7o der Fälle. Keiner
Tubenkatarrh ist selten, dagegen die exsudative typhöse Media häufig;
sie stellt sich gegen Ende der Allgemeinerkrankung zwischen dem 25. und
35. Tage ein, unter Schmerzen, neuem Fieber, Geräuschen und Verschlech-
terung des Hörvermögens, bildet sich entweder bald zurück (seltener) oder
führt (öfter) zur Perforation, die sich typischer Weise meist im hintern obern
Quadranten befindet, im Gegensatze zu der sonstigen acuten Media (Per-
foration hier vorne unten!!). Zuweilen bilden sich mehrere Löcher, oder es
tritt eine rasche Zerstörung der Membran in weitem Umfange ein. Die Pars
mastoidea wird häufig in Mitleidenschaft gezogen, und zwar ;f:eigen sich die
Symptome gleichzeitig mit dem Eintritt der Ohrsymptome, nicht erst in der
dritten Woche, wie bei der vulgären Media; es handelt sich hier um primäre
Periostitiden oder Empyeme. Trotzdem ist die Prognose keine gerade un-
günstige.
Die nervösen Schwerhörigkeiten bei Typhus stellen sich durchschnittlich,
im Gegensatz zur exsudativen Media, gleich anfangs in den ersten Tagen der
Allgemeininfection ein, unter subjectiven Geräuschen nimmt die Hörweite
rasch ab, selten bis zur Taubheit; dabei finden sich keine objectiven Ver-
änderungen. Die Prognose dieser die nervösen Organe befallenden Surditas
typhosa ist manchmal eine günstige, aber nicht durchgehends; oft bleibt
Taubheit. Bei Typhusrecidiven stellt auch diese Art sich wieder von neuem
^in, ein Zeichen des directen Zusammenhangs mit der Infection. — Das äussere
Ohr kann bei schwerem Typhus gangränös werden; Otitis externa kommt
zuweilen vor mit Granulations- und Sequesterbildung; Parotisabscesse, die
sich in den Meatus entleeren, dürfen nicht mit Gehörgangsabscessen verwech-
selt werden.
Der Flecktyphus hat unter allen typhösen Fiebern die grösste Tendenz
zu Ohrcomplicationen (32%!). Es erkrankt auch hier der nervöse Apparat
im Beginne der Erkrankung oder in der Reconvalescenz ; die Patienten werden
unter subjectiven Geräuschen am 5. — 7. Tage rapide schwerhörig. Trotz
der Doppelseitigkeit der Erkrankung bildet sich die Complication gewöhnlich
ad integrum zurück.
Der Mittelohrtract wird häufig (relativ und absolut) in der Defervescenz-
periode ergriffen in Form einfacher tubarer Processe oder exsudativer acuter
Entzündungen. Zur Ruptur kommt es am 2.^3. Tage in 2 % der Fälle;
Perforation sehr klein, vorne unten. Verlauf gutartig. Prognose gut.
Febris recurrens afficirt bloss das Mittelohr; 2—6 Tage nach einem
Anfalle, nie während desselben, weisen die Patienten die Symptome einer acuten
perforativen Media auf; speciell nach dem an und für sich schon gefähr-
lichen dritten Anfalle pflegt sie sich gerne auszubilden. Prognose sehr
günstig. Restitutio gewöhnlich.
Variola zeigt nur in den schwereren Formen, der Variola pustulosa
und haeraorrhagica, Ohrerscheinungen. Am äusseren Ohr treten die Efflore-
scenzen zuweilen zuerst auf; es kann die ganze Ohrmuschel und der Meatus
von den Pusteln überzogen werden, unter colossaler Verschwellung des Organes
*) Es mag hier bemerkt werden, dass ein Theil der acuten Mittelohreiterungen, auch
ohne dass Pneumonie dabei ist, durch die Mikroorganismen der Pneumonie hervorgerufen
sind.
234 INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN.
(lebhaften Schmerzeu, Schwerhörigkeit infolge Verschlusses des Meatus). Gleich
wie auf der Haut siedeln sich die Pusteln als Plaques auf der Schleimhaut
der Tubenöifnung im Rachen an: es kommt zur entzündlichen Salpingitis;
Media perforativa ist selten. Panotitis kommt ausnahmsweise vor. Bei Variola
haemorrhagica entstehen auch Blutungen ins Labyrinth.
Bei Pyämie treten zuweilen auch peracute hämorrhagische Mittelohr-
entzündungen auf, die in unverhcältnismässig kurzer Zeit von etlichen Stunden
oder Tagen eine umfangreiche Zerstörung des Trommelfelles anrichten; ge-
wöhnlich zeigen sich mehrere Perforationen auf einmal, die rapide an Grösse
zunehmen bis zum Totaldefect.
III. Chronische Allgemeininfectionen.
Die Tuberkulose kann sämmtliche Abschnitte des Ohres befallen. Das
äussere Ohr erkrankt in der Form des Lupus vulgaris mit seinen bekannten
Eftiorescenzen. Ebenso breiten sich die Scheiben des Lupus erythematodes
auf die Ohrmuscheln aus. Weniger bisher bekannt war die circumscripta
K uotentuberkulose des Lobulus auriculae; es bildet sich hier im
Laufe sehr langer Zeit (vieler Jahre) nur im Läppchen der Ohrmuschel ein
kirsch- bis nussgrosser Knoten mit verschiedenen knolligen Excrescenzen;
seine Consistenz ist massig derb bis hart, die Haut ist mit dem Tumor ver-
wachsen. Drüsenschwellungen der Ohrgegenddrüsen vorhanden. Schmerzen sind
selten dabei. Lupusefflorescenzen fehlen immer, so dass die Sache nicht mit
Lupus identificirt werden darf. Das histologische Bild ergibt absolut sicher
Tuberkulose (Bacillen). Wird gewöhnlich mit dem Fibrom verwechselt.
Eine weitere tuberkulöse Erkrankung der Ohrmuschel ist die Perichon-
dritis tub.; sie ergreift zumeist Männer zwischen dem 15. — 40. Lebens-
jahre, die anderweitige Symptome von Tuberkulose aufweisen. Es bildet sich
unter Jucken, Brennen und nicht hochgradigen Schmerzen eine Infiltration der
Ohrmuschel und des Meatus; auf der Vorderseite erheben sich eine bis
mehrere, teigige, nussgrosse Wülste entweder im Laufe von Wochen oder
subacut in etwa 14 Tagen; die regionären Lymphdrüsen sind constant ge-
schwellt. Diese Knoten zeigen keinen flüssigen Inhalt, wie die der vulgären
Perichondritis, sondern sind mit Granulationen ausgefüllt. Zuweilen kommt
es zur Geschwürsbildung. Dauer immer über mehrere Monate. Selbst bei
Heilung tritt eine hochgradige Verunstaltung der Ohrmuschel ein. Histologisch
nur Tuberkulose.
Einfache tuberkulöse Hautgeschwüre sind ebenfalls an den Muscheln
zu beobachten.
Im Mitte lohrtr acte kann das Trommelfell idiopathisch an einer tuber-
kulösen Myringitis erkranken; es bilden sich kleine, höchstens stecknadelkopf-
grosse, graugelbliche Knötchen, die ausserordentlich rasch zerfallen und zu mehr-
facher Durchlöcherung führen. Diese Myringitis tuberculosa weist eine sehr
destructive Tendenz auf, das Trommelfell wird sehr rasch in grossem Umfange
zerstört; dabei sind die Schmerzen sehr gering und fehlen auch ganz, ebenso
wie die Entzündungserscheinungen sehr geringfügig zu sein pflegen. — Weiter-
hin haben wir die tuberkulöse Mittel ohreiterung, bei der das Trommelfell
secundär, oft in derselben Weise wie bei der primären Tuberkulose schnell zer-
fressen wird. Sie kann zu jeder Zeit der Phthise auftreten, gewöhnlich jedoch
inscenirt sie das terminale Stadium; es tritt, nach kaum von den Patienten
beachteten leichten Vorboten, Sausen, Schwerhörigkeit, plötzlich eine ganz
profuse Eiterung ein, ohne dass gewöhnlich besondere Schmerzempfindungen
vorausgegangen wären. Die anfänglich sehr kleine Lücke (oder mehrere) wächst
ungeheuer rasch, so dass in wenig Tagen das ganze Trommelfell destruirt sein
kann; auf der blassen, gelblichrothen, völlig reactionslosen Schleimhaut der
Pauke lagern zuweilen graugelbliche Knötchen (Tuberkeln). Die Secretion ist
INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN. 235
gewöhnlich eine intensive, das Secret selbst dünnflüssig, eitrig. Der Verlauf
ist ein protrahirter; diese Otorrhoe zeichnet sich aus durch ihre Hartnäckig-
keit gegenüber der Therapie, alle sonstigen Mittel schaden (z. li. Ijorj, nur
Jodoform,' Perubalsam, Zimmtsäure haben einen günstigen Eintluss neben der
Allgemeinbehandlung. Zuweilen kommt es hier zu Carotis-Arrosionen. Pro-
gnose eine schlechte.
Sehr häufig erkranken die Knochenlager des Felsenbeines tuberkulös.
Secundär geschieht dies von einer chronischen Mittelohreiterung aus, die zu
Caries und Nekrose der Gehörknöchelchen, zur Eiteransamralung und Granula-
tionsbildung sammt Caries im Antrum mastoideum und Processus mastoideus
überhaupt führt. Das Periost kann in Mitleidenschaft gezogen werden fsub-
periostale Abscesse), kann aber auch intact bleiben.
Operative Eingriffe sind hier absolut nothwendig. Intracranielle Compli-
cationen von der Warzenfortsatzerkrankung aus kommen häufig vor, auch
mit letalem Ausgange. Heilung ist möglich nach langer Dauer und Offenhalten
der Operationsöffnung oder durch Radicaloperation.
Primär sehen wir ebenfalls die Pars mastoidea durch Ostitis tub.
afficirt werden; es kann hier der durch die centrale käsige Ostitis gelieferte
Eiter durch die Pauke dringen, das Trommelfell durchbohren und so eine
primäre Media vortäuschen; die Perforation befindet sich hier immer hinten
oben; oder die Ostitis bleibt im Warzenfortsatze. Die primäre Ostitis lässt
sich nur durch das zeitliche Vorausgehen der Warzenfortsatzsymptome erkennen;
ein gutes Erkennungszeichen für sie ist übrigens die beinahe constant in derlei
Fällen vorhandene Schwellung der auf dem Warzenfortsatze aufliegenden
kleinen Drüse.
In sehr seltenen Fällen kann sich eine tuberkulöse Panotitis unter Mit-
ergreifung des Labyrinthes einstellen.
Nicht ausseracht dürfen wir lassen, dass von einem primär tuberkulös
erkrankten Ohre aus eine tuberkulöse Allgemeininfection ausgehen kann; es ist
das gar nicht so sehr selten, wie man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist
{acute Miliar tuberkulöse).
Syphilis acquisita. Syphilis ist in etwa 2-67o das veranlassende
Moment für Ohrerkrankungen. Auch hier können alle Ohrabschnitte befallen
werden. Am äusseren Ohre kommen (selten) Primäraffecte zur Beobachtung.
Häufig dagegen ist die Ohrmuschel, auch der Meatus, Sitz der frühzeitigen
Secundärexantheme, Roseola, insbesondere der Papel; letztere etablirt sich im
Meatus sehr gerne als nässende Papel oder als richtiges breites Condylom,
aus denen ringförmige Geschwüre hervorgehen (Folgen: eventuelle Stenosen
und Obliteration des Meatus). Seltener zeigen sich Papeln auf dem Trommelfell.
Gummata mit und ohne Zerfall kommen an der Ohrmuschel, häufiger
an der Warzenfortsatzgegend vor; am Trommelfell ausnahmsweise. Im Gehör-
gang tritt als Product der Spätperiode die concentrische Hyperostose der
V^andungen auf, gewöhnlich nur auf einer Seite, im Gegensatze zu den circum-
scripten, nicht specifischen doppelseitigen Exostosen.
Die Tuba kann primär afficirt werden durch Katheterismus mit inficirten
Instrumenten (sechs Fälle von Büeov, einer von mir beschrieben), ausserdem
treten nicht zu selten secundäre und tertiäre Geschwüre am Ostium pharyn-
geum auf, die narbige Stenosirung oder Strictur der Tube mit all ihren Fol-
gen veranlassen.
In der Paukenhöhle kann die Syphilis in verschiedener Weise eingreifen;
bestehende einfach katarrhalische Processe nehmen unter ihrem Eintluss gerne
die Tendenz zur acuten oder subacuten Exsudatbildung; eitrige, längst er-
loschene Entzündungen leben mit einem Schlage wieder auf, und häufiges Reci-
diviren gehört bei diesen beiden Arten nicht zu den Seltenheiten (directe
Abhängigkeit infolge der speciellen Erkrankung der Paukengefässe). Die
236 INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN.
Hörweite nimmt plötzlich rasch ab, kann aber bei Allgemeinbehandluag Avieder
steigen (rechtzeitig eingreifen!).
Sehr suspect auf Lues sind auch die recidivirenden Neuralgien des Plexus
tympanicus, die meistens nur eine Seite befallen unter nächtlichen lebhaften
Schmerzen.
Eigenartig verhalten sich viele einfach katarrhalische Mittelohrprocesse
bei Syphilis, insoferne, als sie durch die sonst so hilfreichen Maassnahmen
Katheter, Politzer, beinahe regelmässig verschlechtert werden. Weiterhin ist
auch das Ergebnis der Stimmgabelprüfung oft sehr wertvoll: wir bekommen
nämlich bei Syphilis schon sehr frühzeitig verhältnismässig häufig ein voll-
ständiges Ausfallen der Knochenleitung, was insbesondere bei vor-
handenen Mittelohraftectionen (sonst Ueber wiegen der Knochenleitung)
diagnostisch nicht unwichtig ist.
Bei syphilitischen Labyrinth-Erkrankungen, bei welchen jede objeetive Ver-
änderung zu fehlen pflegt, nimmt die Hörfähigkeit ohne Schmerzen, unter
subjectiven Geräuschen rapide ab, so dass innerhalb weniger (6—8) Tage
complete Taubheit resultiren kann.
Besserung oder Heilung nur möglich bei sofortiger Anwendung von
Pilocarpin und Allgemeinbehandlung im ersten Beginn der Symptome; später
ist alles fruchtlos.
Syphilis hereditaria. Die Frühform zeigt sich unmittelbar nach
der Geburt oder bald nachher in Form von Pemphigus oder subperiostaler
Eiterung mit Caries oder auch als Gangrän der Paukenhöhle. Die Syphilis
congenita spielt unter den ätiologischen Momenten der angeborenen Taub-
stummheit eine nicht zu unterschätzende Eolle. — Häufiger gibt die Syphilis
als hereditaria tarda Ohrerkrankungen am häufigsten unter dem Bilde
der HüTCHiNSON'schen Trias: Keratitis interstitialis, meisselförmiges Ausge-
brochensein der Schneidezähne und Schwerhörigkeit, bezüglich Taubheit. Mit
Vorliebe wird das weibliche Geschlecht befallen in der Zeit vom 12.— 16.
Jahre; es erkranken beide Ohren rasch nacheinander in der Weise, dass
innerhalb weniger Tage die Hörfähigkeit rapide bis zur doppelseitigen Taub-
heit abnimmt, ohne Schmerzen. Sausen, Coordinationsstörungen sind zuweilen,
aber nicht immer, vorhanden.
Prognose ist im ganzen eine recht ungünstige.
Malariakrankheiten. Es kommen bei Malaria, wenn auch nicht
gerade häufig, Ohraffectionen vor, die in directera Causalnexus zu ihr stehen.
Sowohl die Affection des Mittelohres als die des nervösen Apparates kann
in gleicher Weise wie die otitischen Intermittensneuralgien den Intermittens-
typus unverkennbar, auch bezüglich der Therapie, innehalten. Die Inter-
mittens-Media ist zuweilen im acuten Stadium eine exsudative, die sich mit
jedem Anfalle wieder von neuem einstellt, nachdem vorher eine bedeu-
tende Besserung in der freien Zeit vorausgegangen war. Häufiger jedoch
treten subacute exsudative Mittelohrprocesse im Intermittenscharakter nach
Ablauf der eigentlichen Malaria auf, als Intermittens larvata topica. Perfo-
ration tritt ausnahmsweise hier ein. Derlei in bestimmtem Rythmus unter
Schmerzen (Frost), Fieber (Schweiss) immer wieder recidivirende exsudative
Paukenentzündungen trotzen aller anderen Therapie, reagiren dagegen prompt
auf Chinin. Bereits bestehende Ohraffectionen können unter dem Einfluss
der Malariainfection erst den Intermittenstypus annehmen. Die nervöse
Form kann als Neuralgie auftreten oder als Reizung des Perceptions-
apparates; erstere wird in der Tiefe des Ohres in immer wiederkehrenden
gleichen Intervallen als lebhafter Schmerz empfunden ohne jede objeetive Ver-
änderung und bei gutem Hörvermögen (nicht zu verwechseln mit der Otalgie
e carie dentum, bei der der Schmerz meist lange Zeit gleichmässig fortdauert,
und nicht mit luetischer Nachneuralgie). — Die Affection des schallperci-
INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN. 237
pirenden Apparates kann sich documentiren in einer periodisch in den
bekannten Intervallen auftretenden Schwerhörigkeit, die sich in der Zwischen-
zeit wieder verliert, oder in periodisch recidivirenden subjectiven Gehörs-
empfindungen.
IV. Allgemeine Ernährungsstörungen und Anomalien der Blut-
mischung.
Der Diabetes kann sich wie am Körper, so auch am äusseren Ohre
anzeigen durch einen lebhaften Pruritus des Gehörganges oder durch diabe-
tische Furunkulose des Meat US. Bei Individuen im mittleren oder höheren
Lehensalter sind häufig wiederkehrende, hartnäckige Furunkeln immer suspect;
der Verlauf der diabetischen Furunkulose ist ein protrahirter; es bilden sich
Granulationen auf dem Furunkelkrater, deren Ursache eine kleine circumscripte
Nekrose der knöchernen Wand ist. Es kann dieser Pruritus nebst der
Furunkulose die erste Andeutung des Diabetes überhaupt sein, und es ist deshalb
nothwendig, in solchen Fällen immer den Urin genau zu prüfen. Auf diabetischer
Basis bildet sich ferner nicht selten eine peracute perforative Media puru-
lenta aus; unter sehr lebhaften Schmerzen kommt es bald zur Perforation,
gewöhnlich in der hinteren Hälfte des Trommelfells. Dieser Sitz der
Perforation in der hinteren Hälfte deutet mit grosser Wahrscheinlichkeit,
gleichwie die massenhafte, sehr dünnflüssige Secretion, die in keiner Weise
zu vermindern ist, auf eine primäre diabetische Erkrankung der Knochenlager,
speciell des Warzenfortsatzes, und thatsächlich erweist sich auch die Pars mastoi-
dea fast regelmässig bei all diesen Fällen speciell erkrankt; häufig wohnt dieser
diabetischen Caries, die nicht bloss den Warzenfortsatz, sondern auch die übrigen
Knochenwandungen ergreift, eine ausserordentlich destructive Tendenz inne, so
dass innerhalb einer sehr kurzen Zeit ganz riesige Zerstörungen angerichtet
werden; auch das Trommelfell fällt diesem Zerstörungsprocess anheim. In
den schwersten Formen bildet sich geradezu eine Gangrän der Pars mastoidea,
zuweilen verbunden «mit profusen Blutungen. — Prognose im allgemeinen
schlecht, jedoch sind Besserungen, sogar Heilungen beobachtet worden (auch
durch Vornahme des operativen Eingriffes).
Arthritis localisirt sich vorzugsweise an der Ohrmuschel entweder in
der Weise, dass sie sich, genau jedem Anfalle entsprechend, etliche Tage bis
Stunden vor Ausbruch des Anfalles auf der Seite der erkrankten Extremität
heiss anfühlt, roth und leicht schmerzhaft ist, oder dadurch, dass unter leb-
haften Schmerzen und starker Hitze gewöhnlich an der Spitze des Ohres eine
bläulichrothe, kleine, abscessähnliche Erhabenheit aufschiesst, die der Sitz
eines gelblichweissen Harnconcrementes wird-, mit der Zeit, den Anfällen ent-
sprechend, können eine oder beide Ohrmuscheln mit vielen solchen Concre-
menten überdeckt sein. Diese Gicht-Tophi sind nach den Grosszehengelenken
die Lieblingsplätze der G.; zuweilen sind sie die ersten und einzigen Zeichen
derselben. — Auch Exostosen kommen als Folge der arthritischen Diathese
zur Beobachtung.
Bei Polyarthritis r heu matica können in einzelnen Fällen die Gelenke
der Gehörknöchelchen, wie jedes andere Gelenk ergriffen werden, unter lebhaften
Schmerzen im Ohre, die auf Salicyl prompt reagiren. Ausserdem stellen sich
noch Paresen der Tubenmuskulatur ein.
Rhachitis bedingt häufig Dehiscenzen des Tegmen tympani, die für
die Fortleitung der speciell bei rhachitischen Kindern sehr oft vorkommenden
Mittelohrprocesse durchaus nicht belanglos sind.
Bei Chlorose neigen die Ohrmuscheln sehr leicht, schon bei geringen
Kältegraden, zur Erfrierung (selten sogar Frostgangrän); Pernionen sind häufig.
Sehr gewöhnlich sind subjective Gehörsempfindungen, die sich bis zu
Wahnideen ausspinnen können; besonders bei dem Nonnengeräusch.
238 INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN.
Der Processus mastoideus erweist sich bei clilorotisclien Individuen häufig
mangelhaft entwickelt infolge Schwundes der pneumatischen Zellen; derlei
Warzenfortsätze machen sich äusserlich schon kenntlich durch eine dellige
Einziehung auf der Höhe; auch geben sie einen ganz hellen, leeren Percus-
sionsklang.
Acute Anämie und perniciöse. Bei grossen Blutverlusten stellt
sich als erstes Zeichen der beginnenden Syncope ein intensives Ohrensausen
oder Klingen ein, auch Taubheit. Bei chronischer einfacher Anämie
kommt es zuweilen, vor, dass ein Patient im Stehen nicht hürt, taub ist,
während er sofort ganz genau scharf percipirt, wenn man ihn in horizontale
Lage bringt. — Perniciöse Anämie führt manchmal durch Blutungen ins
Labyrinth zu acuter Taubheit.
Im Gefolge der Leukämie, sowohl der lienalen, als der lymphatischen
und myelogenen, können wir eine Otitis media und interna leucaemica finden ;
die Media charakterisirt sich durch die innerhalb weniger Stunden sich ein-
stellende höchstgradige, beiderseitige Schwerhörigkeit ohne jeden Schmerz,
ohne Schwindel, der bei der Otitis interna leucaemica stets vorhanden ist; sie
ist bedingt durch einen sichtbaren acuten Bluterguss in die Trommelhöhle.
Häufiger jedoch ist die leukämische Labyrintherkrankung, die auf beiden
Seiten, bei weitgediehener Allgemeinerkrankung, ganz urplötzlich unter inten-
sivem Sausen und nie fehlendem Schwindel zur doppelseitigen Ertaubung
führt meist durch Blutergüsse ins innere Ohr und in die MeduUarpartien des
Acusticus selbst. Prognose richtet sich nach der Grundkrankheit; bei Bes-
serung kann auch hier eine Resorption statthaben. Ganz ähnlich gestalten
sich die Ohrerkrankungen bei Pseudoleukämie {multijjler LympJiomatose :
Hämatotympanum) .
Während des Scorbutes sowohl, als bei Purpura h a e m o r r h a g i c a
können zuweilen Blutungen in die Pauke oder Ecchymosen am Trommelfell
zur Beobachtung gelangen. Ebenso führt die Hämophilie zuweilen bei den
geringfügigsten Anlässen, (Schneuzen, Niesen) zu Hämatot.ympanum oder Ecchy-
mosen. Prognose im allgemeinen günstig.
V. Kreislaufstörungen.
Durch Erkrankungen des Klappenapparates des Herzens oder der grossen
Gefässe werden sehr häufig die Gefässgeräusche (en totische Geräusche)
ausgelöst. Die arteriellen Geräusche charakterisiren sich durch ihren Iso-
chronismus mit der Herzaction als ein in gleichem Rythmus immer wieder-
kehrendes Brummen, Sausen, das zuweilen auch objectiv hörbar ist. Die
venösen Geräusche weisen einen gleichmässig fortdauernden Charakter auf
und sie werden von den Patienten als keuchende oder blasende beschrieben.
(Nonnengeräusche oder Erweiterung des Bulbus der Vena ugularis.)
Rythmische arterielle Geräusche, verbunden mit Schwerhörigkeit,
Schlingbeschwerden, Athemnoth, erst verlangsamtem, dann accelerirtem Pulse
deuten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf Aneurysma der A.
b a s i 1 a r i s.
Die entotischen Geräusche geben nicht selten Veranlassung zum Selbst-
morde wegen ihrer unaufhörlichen Qual, welche den Patienten jede Ruhe, Tag
und Nacht, raubt.
Bei Endocarditis treten in Analogie zur Embolie der A. centralis
retinae Embolien der Ohrgefässe auf mit urplötzlicher ein- oder beiderseitiger
Taubheit; auch Blutergüsse in die Pauke kommen vor, besonders bei Puerperis.
Ausgang: Restitutio.
Bei Apoplexie finden wir Hörstörungen oder Taubheit; zuweilen ist
die Taubheit eine gekreuzte. Am häufigsten kommt Taubheit bei halbseitiger
Apoplexie in die Brücke vor.
INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN. 239
Parese der Gefässnerven des Plexus cervicalis oder .Syrnpathi cus
bringt Köthung der Ohrmuschel der betreffenden Seite.
Erweiterung der Hämorrhoidalvenen soll zuweilen Furunkulose
des Meatus im Gefolge haben.
VI. Erkrankungen des Urogenitalapparates.
Der Morbus Brightii combinirt sich viel häufiger mit Ohraffectionen,
als man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist; er zeigt sich am Ohre als acute
hämorrhagische Mittelohrentzündung. Es kann auch sogar die hämorrhagische
Tympanitis allein oder in Verbindung mit mehr oder weniger vehementen
spontanen Nasenblutungen als erstes Prodrom des Morbus Brightii sich do-
cumentiren. Häufig sind Ohrerscheinungen, Sausen, leichtere Schwerhörig-
keit etliche der ersten Erscheinungen des Morbus Brightii. Nephritis
scarlatinosa hat in manchen Fällen auf eine während des Scharlachs
entstandene Mittelohreiterung einen derartigen Einttuss, dass man das je-
weilige Verhalten der Nephritis genau aus dem Stande der Otitis er-
kennen kann; sobald die Harnmenge sich unter die Norm mindert, zeigen
sich sofort wieder die Symptome der acuten recidivirenden Entzündung am
Ohre, nachdem sie vielleicht vorher schon völlig erloschen schienen; es kann
da die Eiterung einen Gradmesser abgeben für den Stand der Albuminurie,
indem bei vermehrter Otorrhoe auch der Eiweissgehalt des Harns steigt und
sich umgekehrt proportional zur Harnmenge verhält (Voss). Einen Fall,
in dem die von Scharlach herstammenden Oedeme in directem Abhängigkeits-
verhältnis zu einer Caries am Warzentheile standen und nur durch die Ope-
ration beseitigt werden konnten, habe ich beobachtet.
Die Sexualaffectionen, insbesondere die des weiblichen Geschlechtes
haben häutig einen unverkennbaren Einfluss auf das Ohr. Bei oder öfter
vor Eintritt der Menses klagen viele Frauen über Jucken, Brennen,
Beissen oder Heisswerden der Ohrmuscheln, was sich regelmässig zu wieder-
holen pflegt zu der Zeit; sogar die Decke des Processus mastoideus kann sich
periodisch entzündlich geschwellt zeigen. Zur Zeit der K a tarn enien treten
nicht selten hartnäckige Ohrfurunkeln auf. Besonders die Gravidität,
auch das Puerperium, haben entweder einfache exsudative oder hämo-
rhagische Paukenentzündungen im Gefolge-), oder aber am häufigsten und
schwersten wird das innere Ohr ergriffen, indem es hier unter subjectiven
Geräuschen zu einer temporären, öfters aber successive zur bleibenden Taubheit
führenden nervösen Schwerhörigkeit kommt. Zuweilen erklärt sich die Taub-
heit von Anfang an als permanente. Prognose schlecht. Frauen, die bezüglich
Schwerhörigkeit hereditär belastet sind, ertauben besonders leicht.
Ovarial-Hyperästhesie ist zuweilen complicirt mit Ohrensausen und
Otalgie. Onanie, excessiv betrieben, soll bei beiden Geschlechtern das Ohr
zuerst in Mitleidenschaft ziehen in Form der Hyperaesthesia oder aber ge-
radezu Anaesthesia acustica. Bei besonders sensiblen Männern kann durch
Manipulation im Gehörgange zuweilen Ejaculation hervorgerufen werden; wol-
lüstige Erregungen, vom Ohre ausgelöst, durch Manipulationen im Meatus sind
durchaas nicht so sehr selten.
Vn. Erkrankungen des Nervensystems.
Hysterie kann sich am Ohre ausprägen in Form von Stigmatosen, der
vicariir enden Ohrblutungen: nach einer durch irgend welche Gründe
veranlassten Cessatio mensium treten in dem der Wiederkehr der Menses ent-
sprechenden Zeitraum Blutungen aus dem Gehörgange auf, bei denen äussere
*) So habe ich erst im verflossenen Jahre (1897) wieder Gelegenheit gehabt, bei
einer Gravida eine beiderseitige acute Mittelohrentzündung beobachten zu können, die im
Puerperium zu einem doppelseitigen schweren Empyem der Proc. mast. führte.
240 INTERNE KRANKHEITEN UND OHRAFFECTIONEN.
Verletzungen ausgeschlossen sind. Bei nicht vicariireuden hysterischen Ge-
hörgangsblutungen gestalten sich die Spatien der Wiederholung verschieden.
Die Hörfähigkeit kann während dieser Zeit beträchtlich sinken. — Auch ohne
Blutungen kommen rein hysterische Schwerhörigkeiten zur Beobachtung;
hier lässt sich zuweilen in der Hypnose der Transfert ausführen, so dass das
bislang gesunde Ohr völlig ertaubt, während das kranke gesund wird.
Wie an andern Körperregionen, so bringen sich die Hysterischen auch
an den Ohren Verletzungen aller Art bei, nur um sich interessant zu machen
{ScJmcfel Säureverbrennung). Auch kataleptische Anfälle können bei Hysterischen
vom Öhr ausgelöst worden. Hyperacusis oder Anästhesie ist bei Hysterischen
und Neurasthenischen häufig. Simulation wird von Hysterischen häufig geübt.
M 0 1 i 0 n s n e ur 0 s e n. Starke psychische oder somatische Erschütterungen
können bei hysterisch-neurasthenischen Individuen neben Aphasie, Blindheit,
An- und Parästhesien eine momentan eintretende Taubheit zur Folge haben,
die sich leider gewöhnlich als eine unheilbare entpuppt, während die an-
deren Symptome häufig schwinden. Es handelt sich hier um durch Shock
hervorgerufene Acusticuslähmungen, wie sie im Gefolge von plötzlichen vehe-
menten Abkühlungen oder umgekehrt bei übermässiger Hitzeeinwirkung
{Insolaüo) zur Beobachtung gelangen können. — Epilepsie weist Hör-
störungen verschiedensten Grades auf. — Bei C h o r e a kann sich ein klonischer
Krampf der Tubenmuskeln zuweilen zeigen.
Quintusneuralgien, Hemikranie führen zu Hyperästhesie, Ge-
räuschen oder Schwerhörigkeit nervöser Natur, sowie zu reinen Otalgien.
Tabes dorsalis kann in vereinzelten Fällen an und für sich zur ner-
vösen Taubheit führen durch successive zunehmende Schwerhörigkeit; in
Fällen von Tabes, in denen die Taubheit plötzlich unter Sausen, Schwindel,
nicht selten Coordinationstörung eintritt, ist eine luetische Grunderkrankung
vorhanden. Mittelohraffectionen können sich bei Tabes infolge der trophischen
Störungen neben oder ohne die nervösen Erscheinungen einstellen.
Erkrankungen des Gehirns (ausgenommen die Meningitis epide-
mica, die Gefässerkrankungen und die vom Ohre aus inducirten Gehirn-
erkrankungen).
Die Gehirntumoren compliciren sich häufig mit Ohrsymptomen
(Yg aller Fälle weisen Mitergreifung auf). Zunächst müssen wir im Auge be-
halten, dass das Stammgebiet des Acusticus selbst verhältnismässig am häu-
figsten unter allen Plirnnerven von Tumoren befallen wird (Virchow). Die
Symptome derlei Tumoren (Gliome, Sarkome, Fibrome, Gummata) mit Mit-
betheiligung des Gehörorganes sprechen sich aus in Schwindelerscheinungen,
Geräuschen, Hyperacusis mit meist ziemlich schnell folgender Taubheit, Hinter-
hauptskopfschmerz, der auf Klopfen nicht exacerbirt, Anästhesie des ganzen
Ohrtractes, Lähmungserscheinungen mehrerer Hirnnerven, beginnend mit Augen-
störungen. Für Tumoren des Cervicalmarkes ist ein nicht unwesentliches
diagnostisches Merkmal das Fehlen des binaurealen Ohrreflexes, also das
Nichtauftreten der physiologischen functionellen Synergie beider Gehörorgane.
Für die Diagnose der Tumoren der Vierhügelgegend fallen nach Siebenmann
in die Wagschale die Herdsymptome Ataxie, Störung der Bulbusbewegung,
motorische Störungen in Form klonischer oder tonischer Zuckungen, dann
Stauungspapille, scandirende Sprache, epileptische Anfälle, erhöhter Sehnen-
reflex, Kopfschmerz, Erbrechen und hiezu noch progressive Schwerhörigkeit.
Das Zusammentreffen von ataktischem Gange mit progressiver Schwerhörig-
keit und den w^eiteren obgenannten Symptomen lässt mit Wahrscheinlichkeit
auf einen Tumor des Corpus quadrigeminum schliessen.
Hydrocephalus congenitus weist zuweilen neben der mangelhaften
Ausbildung der Gehirnfunctionen überhaupt eine Aplasie des Gehörorganes
auf. Der acute Hydrocephalus kann transitorische Gehörsstörungen nach sich
INTERNE KRANKHEITEN UND OIIRAFFECTIONEN. 241
ziehen, durch vorübergehende Oedeme oder durch erhöhten Druck auf die
acustischen Centren.
Pachymeningitis haemorrhagica kann intra vitam für das Ohr äusser-
lich ohne Erscheinungen verlaufen, jedoch finden wir in einer Anzahl von
Fällen, dass das Trommelfell einen gelblich- oder graugelbrothen Ton auf-
weist bei völlig erhaltenem Glänze der Membran; der Grund hiefür liegt in
dem Durchscheinen des Extravasates.
Bulbärparalyse kann infolge trophischer Störungen in vereinzelten
Fällen Mittelohreiterung nach sich ziehen.
VIII. Intoxicationen.
Chinin und Salicyl wirken, wie allbekannt, sehr ungünstig auf das
Ohr. Sie führen beide schon kurze Zeit nach Einnahme mehrerer Gramm-
portionen zu einem sich immer mehr steigernden Sausen, Klingen und Brummen
in beiden Ohren; gleichzeitig mit diesen subjectiven Geräuschen mindert sich
auch die Hörfähigkeit in verschiedenem Grade. Dauert der Gebrauch nicht
sehr lange fort, oder werden nicht sehr grosse Gaben längere Zeit fort ver-
abreicht, so bilden sich die Erscheinungen wieder vollständig zurück bei
vorher gesunden Gehörorganen; wird jedoch der Gebrauch über viele Monate
fortgesetzt (in den Malariagegenden), so kann sehr leicht eine dauernde
Schädigung des Gehörs zurückbleiben. Insbesondere bedroht sind Ohren,
die schon aus früherer Zeit nicht mehr normal functionirten. Bei ihnen kann
bleibende Taubheit die Folge sein. Das anatomische Substrat für diese
Chinintaubheiten sollte nach den bisherigen Annahmen eine hochgradige
Labyrinthhyperämie, zuweilen sogar Blutungen bilden, nach den Untersu-
chungen Brunner's entbehrt diese Anschauung absolut ihrer Berechtigung.
Antipyrin und Antifebrin bewirken ebenfalls manchmal subjective
Geräusche und Schwerhörigkeit, deshalb Vorsicht bei Leuten, die schon
schwerhörig sind. Jod kann sich am Ohre als acute Salpingitis ausprägen
oder auch eine vorübergehende Diplacusis hervorrufen.
Chenopodium (Wurmmittel) ist im Stande, unter turbulenten Coor-
dinationsstörungen und Geräuschen hochgradige Schwerhörigkeit auszulösen,
die sich nach Ausgleichung der übrigen Symptome als bleibende erweisen
kann. Aehnlich A tropin. — Chloroform bedingt zuweilen erst eine
Hyperästhesia acustica, der dann eine Schwerhörigkeit nachfolgt, oder eine
Diplacusis oder Paracusis duplicata; schon bestehende Mittelohraffectionen dis-
poniren zu einer Chloroform-Schwerhörigkeit.
Gruben- und Sumpfgasvergiftungen schliessen sich neben den
anderen Erscheinungen manchmal ante-exsudative Paukenentzündungen an.
Kohlenoxydga s -Vergiftung kann, falls die Patienten am Leben bleiben,
zu bleibender hochgradiger Schwerhörigkeit führen; die subjectiven Geräusche
verschwinden oder mindern sich wenigstens. Der Grund für die nervöse
Schwerhörigkeit hier ist eine anatomische Dauerveränderung der Nerven des
inneren Ohres. Auch Morphinismus kann Alterationen der Hörsphäre
herbeirufen.
Alkoholismus kann alle Ohraffectionen, speciell aber die eitrigen
Mittelohrerkrankungen, sehr ungünstig beeinflussen; zuweilen soll sich sogar
eine eitrige Panotitis auf seiner Grundlage entwickeln mit rapider Destruc-
tion des Trommelfelles. Jedenfalls wirken hier andere Momente (Tuberkulose)
auch noch.
Bei Tabak missbrauch soll sich ausser der Raucherangina eine Con-
gestivirung der Paukenhöhle, in einzelnen Fällen Ohrensausen und Paralyse
des Acusticus entwickeln können; ich selbst habe trotz vieler und genauer
Beobachtungen nie eine Einwirkung zu constatiren vermocht.
Ohren-, Nasen-, Kachen-, Kehlkopfkrankheiten. lö
242 KATHETERISMUS TUBAE EüSTACHII.
Der Genuss giftiger Schwämme (Fliegenschwamm etc.) zieht hie und
da bei Personen, die den allgemeinen gastrischen Vergiftungserscheinungen
lebend entronnen, hochgradige, bleibende nervöse Schwerhörigkeit nach sich.
Während der chronischen Bleivergiftung können die Gehörorgane
dauernd oder transitorisch ertauben; im Delirium saturninum Gehörshallu-
cinationen. Ebenso kommt bei chronischer Quecksilbervergiftung (Hut-
macher) Labyrinthtaubheit zur Beobachtung; bei Aerzten tritt infolge häu-
figer Sublimatdesinfectionen sympathisches Erythem und Ekzem auch an den
Ohren auf; auch vorübergehende Schwerhörigkeit muss zuweilen in Zusammen-
hang damit gebracht werden. Infolge chronischer Arseneinwirkung kann
sich die Arsenderraatitis am Ohre etabliren in Form hartnäckiger miss-
farbiger Geschwüre oder als Taubheit mit Geräuschen.
Höllensteinlösungen, die beim Haarfärben Verwendung finden,
können bei häufigem Gebrauche eine unter intensiven Geräuschen beginnende,
eventuell unter Coordinationsstörungen sich bildende vorübergehende Taub-
heit involviren.
Schlangengift. Der Biss der Kreuzotter ruft neben den Sym-
ptomen der allgemeinen hämorrhagischen Diathese ausgedehnte Blutungen in
die Pauke und das Trommelfell hervor. haug.
Katheterismus Tubae Eustachii. Der Katheterismus hat den Zweck,
die Tuba derartig über die Körperoberfläche zu verlängern, dass sie für die
einzublasende Luft und für die einzuführende Sonde zugänglich wird.
Bei der Operation sitzt der Patient auf einem womöglich hochlehnigen
Stuhle; der Arzt kann vor ihm stehen, hat aber, mehr Sicherheit, wenn er
sich gleichfalls niedersetzt. Eine besondere Fixirung des Kopfes ist nicht
nothwendig, da bei genügender Uebung in normalen Fällen kein nennens-
werter Schmerz entsteht; bei schwierigerer Nasendurchgängigkeit, wobei die
Einführung etwas länger dauert und empfindlicher ist, genügt es, mit der
linken Hand den Hinterkopf so lange zu stützen, bis der Katheter am Tuben-
ostium angelangt ist. Nur bei Kindern ist die Mitwirkung eines Gehilfen
oft unentbehrlich. Uebrigens kann man sich und dem Kranken in compli-
cirteren Fällen die Operation wesentlich erleichtern, wenn man kurz vorher
eine lO^oige Cocainlösung in die Nase einpinselt oder einspritzt.
a) Methode nach Keamer.
Der an seinem Trichterende mit der rechten Hand wie eine Schreibfeder
gefasste Katheter wird mit etwa horizontal stehendem oder etwas nach unten
gerichtetem Schnabel in das durch Aufheben der Nasenspitze besser zugäng-
lich gemachte Nasenloch eingeführt, sobald aber das Schnabelende den Nasen-
boden berührt, waagrecht gestellt und mit stets nach unten gerichtetem
Ringe möglichst rasch durch den unteren Nasengang hindurchgeschoben, bis
der Schnabel an der hinteren Ptachenwand anstösst. Während nun der Daumen
und Zeigefinger der linken Hand, deren dritter und vierter Finger sich auf
den Nasenrücken des Patienten stützen, das Trichterende leicht zwischen
sich fassen, hebt die rechte Hand das letztere etwas nach oben und zieht das
Instrument soweit (etwa Tö cm) nach vorn, bis der Schnabel von der
Hinterfläche des weichen Gaumens aufgehalten wird. Dreht man jetzt den
Katheter um etwa % eines Kreises nach aussen und oben, so gelangt (unter
einer geringen Zurückschiebung) der Schnabel in das Tubenostium hinein,
und es ist nun die Aufgabe der linken Hand, das Instrument fest in dieser
Lage zu halten.
Wenn der Katheter richtig im Tubenostium steht, so muss der King in
der Regel nach dem äussern Augenwinkel der zu katheterisirenden Seite ge-
richtet und eine weitere Drehung des Schnabels unmöglich sein; auch darf
KATHETE PxISMÜS TÜBAE EUSTAGIIII. 243
das Schlucken und Sprechen nicht wesentlich beeinträchtigt werden. Geräth
der Schnabel, wie es dem Anfänger leicht begegnet, infolge einer zu früh-
zeitigen Drehung in die liosENMüLLEii'sche Grube, so sind die Schling-
beschwerden erschwert und die Drehung wird früher aufgehalten oder lässt
sich wohl auch weiter fortsetzen, als bei der normalen Lage des Instrumentes.
h) Methode von Feank-Löwenberg.
Nachdem der Katheter wie bei der KiiAMER'schen Methode bis au die
hintere Kachenwand geführt ist, dreht man den Schnabel, beziehungsweise Ring
horizontal nach innen (medialwärts) und zieht das Instrument unter möglich-
ster Anlehnung seines Trichterendes nach aussen an den Nasenflügel so weit
nach vorn, bis der Schnabel sich an der hinteren Kante des Vomer fängt.
Durch eine Drehung nach hinten-aussen-oben, etwa um 220°, wird nunmehr
die Einleitung in das Tubenostium vollzogen.
Dieses Verfahren bietet gegenüber dem unter a) beschriebenen den Vor-
theil, dass der Katheter zwei feste Punkte, die hintere Rachenwand und die
hintere Vomerkante, findet, während bei jenem der weiche Gaumen nur einen
relativ stabilen Orientirungspunkt gewährt. Bei ganz normalen anatomischen
Verhältnissen gelingt daher dem Anfänger die Einführung des Katheters nach
der FRANK-LöwENBERG'schen Methode zuweilen besser; allein bei geringen
Abweichungen der Lageverhältnisse und bei grösserer Enge im Nasenrachen-
räume ist dieses Verfahren gleichwohl minder zuverlässig, und ausserdem
bereitet es dem Kranken auch mehr Beschwerden.
c) Methode von Kuh-Politzer.
Der bis an die hintere Rachenwand vorgeschobene Katheterschnabel
wird in die RosENMüLLER'sche Grube gedreht und horizontal stehend über
den Tubenwulst nach vorn gezogen, so dass er unter einem deutlichen Ruck
von hinten her in das Ostium pharyngeum gleitet, in welches er durch eine
Drehung nach oben-aussen tiefer eingeführt wird.
Dieses Verfahren ist das schmerzhafteste und misslingt leicht, weil das
Instrument bei dem plötzlichen Abgleiten vom Tubenwulste zuweilen über das
Ziel hinausschiesst.
d) Methode von Lucae.
LucAE empfiehlt, vor der Durchführung des Katheters durch die Nase
Messungen über deren Tiefe anzustellen, indem man die Convexität des in
den Mund geführten Katheterschnabels auf die Grenze zwischen harten und
weichen Gaumen anlegt und mit den Fingern der rechten Hand die Stelle
des Schaftes, welche bei dieser Lage an den Schneidezähnen steht, fasst. Es
wird dadurch der Abstand zwischen Choanen und Nasenöffnung am Instru-
mente markirt. Mit unverrückt am Katheter gelassenen Fingern wird das
Instrument nun in die Nase eingeschoben, bis die Fingerspitzen auf der
Nasenöft'nung angelangt sind, der Schnabel also den Nasenrachenraum erreicht
hat, in Avelcher er unter gleichzeitiger Drehung nach aussen und oben tiefer
geschoben wird, bis er ins Tubenostium gelangt ist.
Da die von Lucae für Anfänger angegebene vorbereitende Messung zeit-
raubend und dabei sehr ungenau ist, dürfte es sich mehr empfehlen, den
Katheter, sobald er den Nasenboden verloren hat, in der soeben beschriebenen
Weise in die Tuba zu schieben. Ueberhaupt wird sich ein jeder, welcher
öfters in die Lage kommt, zu katheterisiren, seine eigene Methode bilden, und
es kommt thatsächlich weniger auf die Wahl des Verfahrens als auf die Art
der Ausführung an. Vor allem ist möglichst schonend; d. h. schnell und zart,
vorzugehen. Schon am Naseneingang muss man das kitzelnde Herumtasten
vermeiden und besonders hat man bei der Durchleituug durch den unteren
Nasengang, falls sich ein Hindernis in den Weg stellt, jede Gewaltanwendung
zu unterlassen. Derartige Hindernisse werden z. B. durch Deviationen und
1(3-
244 KATHETERISMÜS TUBAE EUSTACHII.
AuftreibuDgen des Septums, durcli Prominenz der Nasenmuscheln, durch
Schleimhautschwellungen und Neubildungen bedingt. Ihre Form und Aus-
dehnung kann mit Hilfe der Rhinoskopie festgestellt werden, doch gelingt es
in der Regel durch vorsichtiges Sondiren mit dem Katheter, den richtigen
Weg zu linden, wobei am häutigsten Drehungen nach aussen vorgenommen
werden müssen.
In den nicht häufigen Fällen, in welchen ein Nasengang vollständig
undurchgängig für den Katheter ist, kann man meist von der entgegen-
gesetzten Seite her katheterisiren, wobei man im übrigen in der ange-
gebenen Weise verfährt, nur unter Benützung eines etwas langschnabeligen
Instrumentes. Nach dem Vorgange von Pomerey und Kessel kann man auch
S-förmig gekrümmte Katheter vom Munde her in die Tube einführen, was
indessen schwieriger und für den Patienten unangenehmer zu sein pflegt.
Die Ausführung des Katheters geschieht nach der Zurückdrehung
des Schnabels (Ringes) in die Verticalstellung und unter andauernder Senkung
des Trichterendes. Sie gelingt oft ohne Schwierigkeit auch in Fällen, in welchen
die Einführung umständlich war. Bleibt indessen der Schnabel an irgend
einem Hindernisse hängen, so muss das Instrument unter ebensolchen Win-
dungen, aber im entgegengesetzten Sinne, herausgedreht werden, wie die Ein-
führung erforderte.
Trotz vorsichtiger Handhabung des Katheters werden mitunter üble
Zufälle hervorgerufen. Dazu gehören zunächst reflectorische Con-
tractionen der Schlingmuskeln, durch welche der Schnabel zuweilen
vollständig festgeklemmt wird, so dass die Beendigung der Operation unmöglich
ist. Solche Krämpfe verschwinden meist schnell, wenn man den Katheter
ruhig liegen lässt und den Patienten ermahnt, regelmässig durch die Nase
zu athmen. Unangenehmer ist das manchmal, vorzugsweise bei erkrankter
Nasenschleimhaut, vorkommende Nasenbluten, welches die Vollendung der
Operation verbieten kann, das Auftreten von unaufhörlichen Würgebewe-
gungen und Erbrechen, von anhaltendem Husten und Niesen. Ein
rasches Vorgehen wird hier meist noch zum Ziele führen. Seltener kommt
es zu Ohnmächten und heftigen S ch w in delan fällen, welche sich
übrigens meist erst nach Beendigung der Operation einstellen.
Die Luftdouche. Die Lufteinblasung durch den Katheter gibt den be-
stimmten Aufschluss, ob das Instrument richtig in das Ostium pharyngeum
eingeführt ist. Sie hat den Zweck, die Wegsamkeit der Eustachischen Röhre,
das Vorhandensein von Secret im Mittelohre festzustellen und in [zweifelhaften
Fällen Sicherheit über das Bestehen einer Perforation im Trommelfelle zu
verschaffen.
Die Einblasung von Luft wird mit Hilfe eines birnförmigen Gummi-
ballons vollzogen. Andere Apparate, wie der Doppelballon von Lucae, der
Tretballon (Schwartze), das Wasserstrahlgebläse (Lucae), sind für praktische
Zwecke entbehrlich, und die Vorrichtungen, welche zur Herstellung einer be-
sonders grossen Druckspannung dienen, wie die von v. Teöltsch construirte
Luftpumpe und ein recht brauchbarer Apparat von Hartmann, sind jedenfalls
nur in Ausnahmsfällen anzuwenden.
Damit bei der Luftdouche die in der Zimmerluft enthaltenen Staub-
theilchen und Infectionsträger nicht in das Mittelohr eingeblasen werden, ist
es zweckmässig, nach dem Vorgange von Zaufal zwischen den Gummiballon
und den Katheter eine Desinfectionskapsel einzuschalten. Dieselbe
besteht aus zwei mit je einem Hohlzapfen versehenen Halbkugeln von Hart-
gummi oder Metall, welche durch eine Schraube luftdicht vereinigt werden
und von denen eine jede in der Concavität ein engmaschiges Drahtnetz ent-
hält. Der Raum zwischen diesen Geflechten wird vor dem Zusammenschrauben
mit Watte locker ausgefüllt. Aehnliche Vorrichtungen können auch, wie es
KATHETEKISMÜS TÜBAE EüSTACHII. 245
LucAE angegeben hat, am Katheter selbst, in Form einer am pullen form igen
Erweiterung des Trichterendes, angebracht werden.
Bei der Lufteinblasung ist es die wichtigste Bedingung, dass namentlich
bei den ersten Compressionen des Ballons nur ein schwacher Druck ange-
wendet wird, bis man sich durch die Auscultation überzeugt hat, dass der
Katheter richtig sitzt, die Luft frei ausströmen kann. Aber auch dann darf
die Entleerung des Ballons niemals stossweise erfolgen, sondern muss mit
allmählich zunehmender Kraft erfolgen, weil sonst leicht Schwindelerschei-
nungen und Kopfschmerzen eintreten und Veranlassung zur Entstehung eines
traumatischen Emphysems gegeben werden kann. Hat nämlich der
Katheterschnabel bei dem Tasten nach der Tubenmündung in der Umgebung
der letzteren die Schleimhaut angeritzt oder bestanden schon vorher Ero-
sionen an derselben, so kann es sich ereignen, dass die aus dem nicht richtig
in der Tube stehenden Katheter entweichende Luft in das submucöse Binde-
gewebe geblasen wird. Diese Emphyseme bleiben in der Regel in Gestalt
einer prallen Geschwulst auf den Bachen beschränkt, bereiten aber, auch wenn
sie nicht ausgedehnt sind, dem Patienten sehr beängstigende Beschwerden,
wie Schmerz- und Fremdkörpergefühl im Rachen und der seitlichen Halsgegend,
Erschwerung der Athmung, des Schluckens, des Sprechens. Der ganz plötz-
lichen Entstehung der Luftgeschwulst entsprechend stellen sich diese Sym-
ptome mit einem Schlage ein, um sich innerhalb einiger Stunden in der Regel
noch zu steigern und erst im Laufe der folgenden drei bis vier Tage all-
mählich zu verlieren. Für die Diagnose des Emphysems, welche ohnehin
kaum zweifelhaft sein kann, ist das charakteristische Knistern zu verwerten,
das bei Druck auf die Geschwulst entsteht. Die Heilung wird durch Streich-
massage befördert; nur bei sehr heftigen Beschwerden empfiehlt es sich, durch
einen Scheerenschnitt in die aufgetriebene Uvula den Luftaustritt zu be-
schleunigen.
Bei einer zu kräftigen Entleerung des Ballons zur Luftdouche kann auch
leicht einmal, wenn das Trommelfell krankhaft verändert ist, eine Ruptur der
Membran erzeugt werden, eine Verletzung, welche, obwohl sie unbeabsichtigt
eintrat, meist eher eine Besserung als eine Verschlechterung des Gehörs zur
Folge hat.
Die Wirkung der Lufteinblasung auf das Mittelohr und Trommelfell
kann zwar mit Hilfe eines in den Gehörgang eingeführten Manometers oder
auch während oder unmittelbar nach der Compression des Ballons durch die
Inspection des Trommelfelles beobachtet werden; vollkommener aber wird das
Verfahren für die Diagnose erst nutzbar gemacht durch die Auscultation des
Ohres (s. d.).
V. Ersatzmethoden für den Katheterismus.
a) Der VALSALVA'sche Versuch.
Das Experimentum Valsalvae ist die älteste Methode der Lufteintrei-
bung in die Paukenhöhle. Es wurde von seinem Erfinder nicht zu diagno-
stischen Zwecken angewendet, sondern zur Beseitigung von Eiter aus dem
Mittelohre bei Perforation des Trommelfelles empfohlen und besteht in einer
gewaltsamen Exspiration bei geschlossenem Munde und zugehaltener Nase.
Dieses Verfahren gibt zwar manchmal Aufschluss, ob die Tube durch-
gängig ist und ob das Trommelfell defect ist, lässt aber auch in normalen
Fällen so häufig im Stiche, dass es für die Diagnose von äusserst unter-
geordneter Bedeutung ist. Nur zum Zwecke der deutlicheren Erkennung
einer kleinen Perforation kann man den VALSALVA'schen Versuch wohl hier
und da während einer Trommelfellinspection vom Patienten ausführen lassen.
weil, wenn Luft durch den Defect herausdringt, dessen Ränder etwas mehr
klaffen.
246 KATHETERISMUS TUBAE EÜSTACHII.
b) Der Versuch von Toyubee oder der negative VALSALVA'sche
Versuch.
Toyubee verwendete die Auscultation durch den Hörschlauch während
einer bei geschlossenem Munde und zugehaltener Nase ausgeführten Schling-
bewegung, um aus dem hierbei entstehenden knackenden Geräusche die Durch-
gängigkeit der Tube zu erkennen. Sein Verfahren hat aber noch weniger
Wert als das von Valsalva, zumal da das Geräusch, auf welches er seine
Diagnose der Tubenwegsamkeit gründet, wohl häufig von der Abhebung der
membranösen Tubenwand von der knorpeligen herrührt, aber auch eintreten
kann, wenn die Eustachische Röhre im knöchernen Theile verschlossen ist.
c) Das PoLiTZER'sche Verfahren.
Auch Politzer hat das nach ihm benannte Verfahren nicht zu diagno-
stischen, sondern zu therapeutischen Zwecken empfohlen; doch kann dasselbe
innerhalb gewisser Grenzen wie bei der Behandlung so auch bei der Unter-
suchung den Katheter ersetzen.
Der Ballon, welcher für die Luftdouche beim Katheterismus benutzt wird,
wird mit einem katheterförmigen oder besser mit einem kegelförmigen Nasen-
ansatze versehen. Letzterer wird, nachdem der Patient angewiesen wurde,
einen Schluck Wasser in den Mund zu nehmen, aber erst auf ein verabredetes
Commando („eins, zwei, drei"; „jetzt") zu schlucken, luftdicht in ein Nasen-
loch eingeführt, während das andere fest zugedrückt wird. Comprimirt man
dann den Ballon in dem Momente, in welchem der Kranke das Wasser ver-
schluckt, so kann man durch den eingeschalteten Auscultationsschlauch wahr-
nehmen, wie die Luft durch die sich öffnende Tube in das Mittelohr eindringt.
Wenn das Verfahren, gewissermaassen ein passiver VALSALVA'scher Ver-
such, gelingen soll, so muss die Lufteintreibung im richtigen Augenblicke,
d. h. sobald der Patient zu schlucken begonnen hat, ausgeführt werden. Man
beobachtet deswegen am Auge oder an dem sich hebenden Kehlkopfe des
Kranken die eintretende Schlingbewegung und comprimire den Ball erst, wenn
dieselbe bereits angesetzt hat. Alte Leute brauchen in der Hegel etwas längere
Zeit als jüngere, um das Commando auszuführen, und übereifrige und ängst-
liche Patienten schlucken zuweilen, noch ehe sie dazu aufgefordert werden.
In beiden Fällen kann es sich, wenn die Einblasung zu früh oder zu spät
erfolgt, ereignen, dass das Wasser aus dem Munde herausgespritzt wird oder
dass mit dem verschluckten Wasser auch die eingeblasene Luit gewaltsam in
den Magen gepresst wird. Es hat dann eine Sprengung des Abschlusses
zwischen Nasenrachenraum und Schlund stattgefunden, welche durch die bei
der Schlingbewegung sich einstellende Anlehnung des weichen Gaumens an
die hintere Rachenwand zustande kommt, und welche für das Gelingen des
PoLiTZER'schen Verfahrens Bedingung ist. Der üble Zerfall der gewaltsamen
Lufteinpumpung in den Magen führt oft zu sehr unangenehmen Beklemmungs-
erscheinungen und veranlasst manche Kranke zu einer entschiedenen Weige-
rung, wenn das Verfahren wiederholt werden soll.
Es ist für solche Fälle zu rathen, die von Lucae angegebene Modifi-
cation des PoLixzER'schen Verfahrens anzuwenden, welche statt der Schling-
bewegung die Phonation zur Eröffnung der Tube einführt. Der Patient wird
aufgefordert, laut „A" zu sagen, und während er dies thut, wird genau wie
oben beschrieben die Lufteinblasung vollzogen. Diese Abänderung von Lucae
gelingt zuweilen auch in Fällen, in welchen pathologische Zustände im Nasen-
rachenräume die exacte Oeffnung der Eustachischen Röhre bei der Schluck-
bewegung unmöglich machen, und ist ein ganz besonders geeigneter Ersatz
bei kleineren Kindern, welche das Wasserschlucken auf Commando nicht aus-
führen können. Bei Kindern in den ersten beiden Lebensjahren öffnet sich
übrigens die Tube oft auch ohne jede Mitwirkung des Patienten bei der
KEHLKOPF. 247
blossen Luttverdichtung in der Nase. Gelingt dies nicht, so wird meist die
sonst unwillkommene freiwillige Phonation in Gestalt des Schreiens aushelfen.
Eine weitere Moditication des PoLiTZEii'schen Verfahrens rührt von
Geubek her; von der Methode Lucae unterscheidet sie sich nur dadurch,
dass der Patient angewiesen wird, nicht, wie bei jener, „A" zu rufen, son-
dern laut die Silbe „h-ck" mit Einfügung der verschiedenen Vocale, also
hock, hack u. s. w. auszusprechen. Auch das Wort „Clara" wird gern zur
Eröffnung der Tube verwendet.
Was nun die diagnostische Verwertbarkeit der hier angegebenen Methoden
anbelangt, so ist dieselbe schon aus dem Grunde eine beschränkte, weil sie
alle in Fällen von intensiverer Verklebung der Tul)e zur Herstellung eines
Lumens nicht ausreichen. Auch geht die Lufteinblasung so rasch vorüber,
dass der Beobachter zu einem genaueren Auscultiren keine Zeit hat, so dass
man wohl in vielen Fällen erkennen kann, ob die Tube durchgängig ist, nicht
aber, in welcher Weise ihre Durchgängigkeit und der Zustand des Mittel-
ohres überhaupt verändert ist. Am sichersten sind die Ergebnisse durch-
schnittlich, wenn es sich um die Constatirung einer Trommelfellperforation
handelt, weil hier die gewissermaassen explosive Wirkung des Luftstromes
ausreicht. Die mit Phonation verbundenen Modificationen des PouTZER'schen
Verfahrens eignen sich für die Auscultation noch weniger, weil die ausge-
rufenen Laute, sowie ein bei der Einblasung entstehendes Gurgeln im Kachen
die im Ohre erzeugten Geräusche oft übertönen. Zu einer exacten Diagnose
muss jedenfalls, so oft es angeht, der Katheter verwendet werden.
BÜKKNER.
Kehlkopf. (Anatomie.) Der Kehlkopf {Larijnx) bildet den Anfangstheil
des Athmungsorgans und ist hauptsächlich Stimmorgan; zur Bildung der Stimme
dienen ausser ihm noch der gesammte Athmungsapparat mit seinem Mechanis-
mus, die Eachen-, Mund- und Nasenhöhle, welche dem Athmungsapparat auf-
gesetzt sind, die in der Mundhöhle liegende Zunge und schliesslich die Lippen
und der den Eingang zur Mundhöhle umgebende Muskelapparat. Der Kehl-
kopf kann mit einer Zungenpfeife verglichen werden: diese letztere besteht
aus Zunge, Windrohr und Ansatzrohr; entsprechende Theile kann man auch
am Kehlkopfe unterscheiden, nämlich die Stimmbänder (Zunge), die Athmungs-
organe mit der Luftröhre und den Luftröhrenästen (Windrohr) und die
Rachen-, Nasen- und Mundhöhle (Ansatzrohr). Nur ist beim Menschen und
den Thieren der der Zunge der Pfeife entsprechende Theil veränderlich, kann
mehr oder weniger gespannt, verkürzt und verlängert werden, ausserdem kann
die zwischen paarigen Theilen existirende Spalte verengert und verbreitert
werden. Entsprechend dieser Function ist auch die Form und die Structur
des Kehlkopfes zusammengesetzt.
Der Kehlkopf ist in der Mitte der Halsgegend von der Höhe des dritten
bis zum unteren Theile des fünften Halswirbels gelagert. Ueber ihm befindet
sich das Zungenbein und die Zungenwurzel, unter ihm die Luftröhre, hinter
ihm der Schlundkopf und vor ihm die oberflächliche Halsfascie; vor ihm und
lateralwärts lagern sich die subcutanen Muskeln, zu beiden Seiten die Gefäss-
stämme des Halses und theilweise auch die Lobi der Schilddrüse.
Das Skelett des Kehlkopfes bilden vier Knorpel: einer von diesen hat die
Form eines Siegelrings mit nach hinten gerichteter Siegelplatte; der Knorpel
vor und über ihm ist schildförmig, stützt sich unten mit zwei Fortsätzen auf
die Seitentheile des Ringes und ist oben mit dem Zungenbein verbunden. Auf
dem Rande der Ringplatte sitzen zwei sich nach oben verjüngende Knorpel,
die Giessbeckenknorpel. Ausser diesen vier sind noch fünf Knorpel, welche
die häutigen Wände des trichterförmigen Eingangs zur Stimmspalte stützen,
vorhanden. Der grössere, unpaare Knorpel hat die Form einer ausgestreckten
248 KEHLKOPF.
Hundszunge, dieser ist der sogenannte Kehldeckel, sein unterer, sich ver-
schmälernder Theil reicht bis zur Mitte der Innenfläche des Schildes. Auf
der Spitze der Giessbeckenknorpel sitzen Hörnchen, an der convexen Vorder-
fläche aber die keilförmigen Knorpel. Die vier Grundknorpel bestehen aus
hyalinem, die fünf Stützknorpel aber aus Faserknorpel.
Am Ringknorpel {Cartüago cricoidea) verhält sich die Höhe des
Bogens (Arcus) zur Höhe der Platte (Lamina) wie 5—6:18 — 20. Der obere
Rand steigt nach hinten zu an und bildet in der Mitte der Platte einen kleinen
Einschnitt, zu beiden Seiten desselben befinden sich elliptische Gelenkflächen
(Superficies articularis arytaenoidea), die mit der Basis der Giessbeckenknorpel
articuliren. Der untere Rand ist leicht wellenförmig gebogen, unter ihm be-
findet sich der erste Luftröhrenring. Die Innenfläche ist glatt; an den Seiten-
theilen, etwa ihrer Mitte entsprechend, bemerkt man von aussen kleine Er-
höhungen, die mit concaven Gelenkflächen endigen {Superficies articularis
thtjreoidea)\ mit diesen articuliren die unteren Fortsätze des Schildknorpels.
Die Platte wird durch einen verticalen First {Linea eminens), der nach unten
breiter wird, in zwei flache Grübchen {Foveae laminae) getheilt. Am Leben-
den kann man den Bogen des Ringknorpels leicht durchfühlen.
Der Schildknorpel {Cartilago thyreoidea) besteht aus zwei vierseitigen
Platten, die sich vorn unter einem mehr oder weniger vorspringenden Winkel
(von ungefähr 90^) miteinander verbinden. Der Querdurchmesser jeder Platte
verhält sich zum verticalen wie 7:5. Der obere Rand ist in der Mitte, über
dem Vorsprung oder Winkel, nach oben ausgeschnitten; dieser Ausschnitt
{Incisura cart. thyreoideae) reicht fast bis zur Mitte des verticalen Durch-
messers der Platten. Der untere Rand einer jeden Platte springt in der
Mitte nach unten und aussen vor (Angulus marg. infer.). Der hintere Rand
ist S-förmig gekrümmt; oben geht er in einen cylindrischen Fortsatz (Cornu
superius), der zum Ende des hinteren Zungenbeinfortsatzes gerichtet ist, über;
unten setzt er sich in einen, mit seinem Ende etwas nach innen und vorn
gerichteten Fortsatz (Cornu inferius), der mit seiner kleinen, kugelförmigen
Gelenkfläche mit den seitlichen Gelenkflächen des Ringknorpels articulirt,
fort. Die Innenfläche des Knorpels ist glatt, die Aussenfläche auch, nur be-
findet sich auf dieser, nahe am hinteren Rande, ein conischer Höcker {Tiiber-
culum cart. thyreoideae), der nach unten in eine bis zum unteren Rande
reichende schiefe Linie übergeht. Auf einem Querschnitt des Knorpels findet
man bei der Untersuchung unter dem Mikroskop, dass die Seitenplatten in
der Mitte durch eine Zwischenlage, deren hyaline Substanz sich unmittelbar
in die der Seitenplatten fortsetzt, voneinander geschieden sind; diese Zwischen-
lage unterscheidet sich nur dadurch von den Seitenplatten, dass in den letz-
teren die Knorpelkapseln grösser und weniger dicht gelagert sind; man hat
die Zwischenlage als mittlere Platte unterschieden (Halbertsma). Nach hinten
zu nimmt die hyaline Grundsubstanz der Zwischenschicht faserige Structur an
und geht in die elastischen Fasern der Stimmbänder über.
Die paarigen Giessbeckenknorpel {Cartilagines arytaenoideae) haben
die Form einer dreiseitigen Pyramide mit einer vorderen, einer hinteren und
einer inneren Seitenfläche, welche letztere oben zum inneren Rande des
Knorpels wird. Ausserdem unterscheidet man noch einen äusseren Rand, die
untere Basis und die obere stumpfe Spitze. Die Vorderfläche des Knorpels
ist convex, das mittlere Drittel derselben ist von zwei Wülsten, einem oberen
und einem unteren (Spina superior et inferior), zwischen welchen eine Grube
(Fossa superior) liegt, begrenzt; unter dem unteren Wulst befindet sich noch
eine Grube (Fossa inferior). Die Basis ist dem oberen Rande der Ringknorpel-
platte entsprechend ausgehöhlt, vorn geht von ihr ein gleichschenkliger, in
querer Richtung abgeplatteter Fortsatz {Processus voccdis) ab; das hyaline
Gewebe dieses Fortsatzes wird elastisch und geht in die elastischen Fasern
KEHLKOPF. 249
der Stimmbänder über. Die hintere Fläche ist concav. Der Aussenrand geht
an der Basis in einen nach aussen und unten gerichteten Fortsatz (Processus
muscularis) aus.
Der hundszungenförmige, unpaare Kehldeclielknorpel {Carülayo
epiglottica) verjüngt sich nach unten und vorn und verbindet sich hier durch
elastisches Gewebe mit der Mitte der hinteren Schildknorpelüäche. An diesem
Knorpel hat man eine vordere und eine hintere Fläche, zwei S-förmig ge-
krümmte Seitenränder und einen in der Mitte ausgeschnittenen, freien, oberen
Rand zu unterscheiden. Die vordere obere Fläche ist sattelförmig, von oben
nach unten concav, von rechts nach links aber convex. Die hintere untere
Fläche ist in entgegengesetzter Richtung gekrümmt. Auf dieser Fläche sieht
man mehr oder weniger tiefe Grübchen, die von Schleimdrüsen ausgefüllt
sind. Der Knorpel ist weich, elastisch und kann, wie eine Fallbrücke, nach
hinten herabgedriickt werden, wobei er den Eingang zum Athmungsorgane
verdeckt, lieber und vor dem Kehldeckel ist die Zungenwurzel gelegen.
Die paarigen Hörn er {Cart. corniculatae) sitzen auf der Spitze der
beiden Giessbeckenknorpel, mit denen sie durch elastisches Gewebe verbunden
sind, und sind flach dreiseitig.
Die keilförmigen Knorpel {Cart cuneiformes) liegen beiderseits
zwischen den Schichten der vom Rande des Kehldeckels zum Giessbecken-
knorpel gehenden Schleimhautfalte {Plica ary-ejpiglottica), die zu beiden Seiten
den Eingang zum Kehlkopfinnern begrenzt. Dieser streifenförmige Knorpel
sitzt auf der Vorderfläche des Giessbeckenknorpels, über der Spina superior,
und ragt im hinteren Theile der Falte mehr oder weniger mit seinem oberen
Ende hervor. Er ist sehr schwach entwickelt und besonders aussen von
Schleimdrüsen bedeckt. Am äusseren Rande und unter der Spitze des Giess-
beckenkknorpels bemerkt man zuweilen einen länglich abgerundeten Knorpel
( Cart. sesamoideae) .
Diese Knorpel verbinden sich miteinander und mit den höher und nied-
riger gelegenen Theilen durch Gelenke und Syndesmosen. Erstere sind nur
zwischen den Seitenth eilen des Ringknorpels und den unteren Hörnern des
Schildknorpels, zwischen dem oberen Rande des Ringknorpels und den Giess-
beckenknorpeln und schliesslich zwischen dem oberen Hörn des Schildknorpels
und dem hinteren Ende des langen Zungenbeinfortsatzes vorhanden. Alle
übrigen Verbindungen sind Syndesmosen mittels elastischen Gewebes. Schliess-
lich befinden sich hier noch obere, mittlere und untere sagittale Falten, von
denen die letzteren sich am meisten einander nähern und die wahren Stimm-
bänder bilden, die oberen spannen sich zwischen Zungenwurzel und Kehl-
deckel einerseits (Plicae glosso-epiglotticae) und von den Rändern des letzteren
bis zu den Hörnern und Giessbeckenknorpeln andererseits (Plicae ary-epiglotticae)
aus; die mittleren sind die falschen Stimmbänder {Plicae thyreo-arytaenoicleae).
Das Ring-Schildknorpelgelenk {Art. crico-thyreoidea) ist ein
Kugelgelenk mit fibröser und synovialer Kapsel. Von aussen wird das Gelenk
von drei Bändern, w^elche von hinten und oben (Lig. crico-thyreoideum post.
sup.), von hinten und unten (Lig. crico-thyreoideum post. inf.) und von vorn
und unten (Lig. crico-thjTeoideum ant.) kommen und in dem Punkte zusam-
mentreffen, wo die Enden der Querachse durch die Gelenke gehen. Um diese
Querachse findet auch hauptsächlich die Bewegung im Gelenke statt.
Das Ring-Giessbeckenknorpelgelenk {Art, crico-arytaenoidea) ist
ein complicirtes, elliptisches Gelenk. Zwischen die elliptischen Gelenkflächen
schieben sich Synovialfortsätze von der Synovialkapsel aus. Von der Mitte
des oberen Ringknorpelplattenrandes geht jederseits ein starkes Band, das
Lig. crico-arytaenoideum, zur Innenfläche des Giessbeckenknorpels, schiefe Fasern
verlaufen auch lateralwärts vom Gelenk zur Spitze des Processus muscularis.
Diese Bänder halten das Gelenk in seiner Lage, besonders bei der Bewegung
250 KEHLKOPF.
um die Querachse, ausserdem spielt das innere Band beim Abgleiten des
Giessbeckenknorpels nach aussen eine Kolle. In diesem Gelenk lässt sich eine
Bewegung der beiden Giessbeckenknorpel um eine gemeinsame Querachse,
dann für jeden Knorpel einzeln um eine Sagittalachse und schliesslich eine
Circumductio, ^Yie in allen Gelenken dieses Typus, ausführen.
Zwischen dem Bogen des Ringknorpels und der Mitte des unteren
Schildknorpelraudes befindet sich das conische mittlere Ring-Schildknorpel-
band {Lig. crico-thyreoideum medium), das aus elastischen Fasern besteht und
nahe am oberen Rande von einer Gefässöffnung durchbohrt ist. Lateralwärts
und nach hinten geht es in eine Membran, die längs dem oberen Ringknorpel-
rande nach hinten bis zur Basis des Giessbeckenknorpels reicht (Membrana
crico-thyreo-arytaenoidea), über. Innen und oben reicht sie bis zum unteren
Stimmband.
Durch Syndesmosen mittels elastischen Gewebes sind die Hörner mit
der Spitze der Giessbeckenknorpel (Syndesmosis ary-corniculata), die" keil-
förmigen Knorpel mit der Vorderfläche der Giessbeckenknorpel (Syndesmosis
ary-cuneiformis) und der untere Fortsatz des Kehldeckels mit der hinteren
Fläche des Schildknorpelwinkels (Syndesmosis thyreo-epiglottica) verbunden.
Die Mitte der Kehldeckelvorderfläche ist ausserdem noch durch eine elastische
Membran [Lig. hyo-epiglottimm) mit dem Körper des Zungenbeines verbunden.
Der Schildknorpel verbindet sich oben durch ein Gelenk (Art. hyo-
thyreoidea) mit dem Zungenbein; die Kapseln, welche beiderseits am Peri-
chondrium des oberen Schildknorpelhorns beginnen und am langen Zungen-
beinfortsatz enden, sind langgestreckt, enthalten zuweilen einen accessorischen
Knorpel und sind als strangartige Syndesmosen anzusehen.
In der Mitte spannt sich zwischen dem oberen Rande des Schildknorpels
und der hinteren Fläche des Zungenbeinkörpers eine elastische Membran {Lig.
hyo-thyreoideum). Vor diesem Bande, gewöhnlich in der unteren Hälfte, befindet
sich ein Schleimbeutel (Bursa miicosa hyo-thyreoidea), der vorn auch gewöhn-
lich von einer elastischen Membran begrenzt wird. Zu beiden Seiten setzt
sich das Band in eine fibröse Membran, die den Raum zwischen dem Rande
des Schildknorpels und dem grossen Fortsatz des Zungenbeins nach hinten
bis zum oberen Hörne verschliesst, fort. Diese Membran enthält auch ela-
stische Fasern und wird von Blutgefässen und Nerven durchsetzt.
Unten verbindet die Membrana crico-trachealis den unteren Rand des
Ringknorpels mit dem ersten Ringe der Luftröhre.
In sagittaler Richtung verlaufen von dem Wulste am Winkel des Schild-
knorpels elastische Fasern in Form eines quer comprimirten Streifens, der
gerade nach hinten zur Innenfläche des Processus vocalis geht (Lig. thyreo-
arytaenoideum inferius). Dieses Band geht lateralwärts und nach unten in
die Membrana crico-thyreo-arytaenoidea über.
In der oberen Schleimhautfalte sind auch elastische Fasern vorhanden,
doch in geringer Anzahl, und zudem bilden sie hier nicht eine deutlich aus-
gesprochene Schicht, wie in den unteren Bändern. Diese Fasern spannen sich
zwischen der hinteren Fläche des Schildknorpelwinkels und der Vorderfläche
des Giessbeckenknorpels (und zwar heften sie sich hier zwischen dem oberen
und dem unteren Vorsprung an) aus.
Die Muskeln des Kehlkopfes können in vier Gruppen getheilt werden,
und zwar: 1. in Muskeln, die die Stimmritze erweitern, 2. in Muskeln, welche
die Stimmritze verengern, 3. in Muskeln, welche die Stimmbänder spannen,
und 4. in Muskeln, welche die Bänder erschlaften machen.
1. Die zwischen den Stimmbändern befindliche Stimmritze wird von den
Muskeln, welche an der hinteren Fläche der Ringknorpelplatte und am oberen
Rande des Seitentheils dieses Knorpels entspringen und sich an den Processus
muscularis des Giessbeckenknorpels anheften, erweitert. Der eine von diesen
KEHLKOPF. 251
Muskeln ist der hintere lting-Giess])eckenmuskel (i¥. crico-arytaenoidens
■posterior); sein Ursprung nimmt eine Hälfte der Platte ein, seine Fasern gehen
nach oben, aussen und vorn und befestigen sich am hinteren Ilande des
Processus muscularis. Der zweite Muskel ist der vordere King-Giess-
beckenmuskel {M. crico-aryiaenoideus anterior s. lateralis)-^ dieser beginnt
am Kande des Ptingknorpels, geht schräg nach oben und hinten und endet
am vorderen Rande des Muskelfortsatzes. Diese beiden Muskeln ziehen zu-
sammen den Giessbeckenknorpel nach aussen und unten und entfernen hiermit
die Stimmbänder von einander. Wirkt der hintere Muskel allein, so richtet
sich der Processus vocalis nach aussen, und es öffnet sich hauptsächlich der
mittlere Theil der Stimmritze. Wirkt der vordere Muskel allein, so richtet
sich der Processus vocalis nach innen, und dieser Theil der Hitze schliesst sich.
2. Genähert werden die Stimmbänder einander durch die quer und schief
zwischen den Aussenrändern der Giessbeckenknorpel gelegenen Muskeln. Der
quere Giessbeckenknorpel-Muskel (M. arytaenoideus transversus) geht
von dem äussern Rande und der concaven Fläche des einen Knorpels zu den
entsprechenden Theilen des andern. Ihn bedeckt der oberflächlich gelegene
schräge Muskel {M. arytaenoideus oblicjuus), der am unteren Theile des
äusseren Giessbeckenknorpelrandes beginnt, schräg nach oben geht und sich
am Aussenrande des anderen Knorpels mit einigen tiefen Fasern befestigt.
Die oberflächlichen Fasern divergiren über diesen Rand hinweg und theilen
sich; ein Bündelchen geht nach oben, in der Richtung zum Rande des Kehl-
deckels, das andere nach vorn zum Schildknorpel (M. thyreo- ary-epiglotticus).
Die ersteren zwei Muskeln nähern die Giessbeckenknorpel einander und
schliessen die Stimmritze. Wenn sie mit dem Ring-Giessbeckenmuskel zu-
sammenwirken, so fixiren sie den Giessbeckenknorpel in einer beliebigen Lage,
je nach dem Grade der Wirkung eines jeden Muskels. Der M. thyreo-ary-epi-
glotticus nimmt an der Schliessung des Eingangs zur Stimmritze, wenn durch
das Zurückgleiten der Zunge der Kehldeckel die Athmungsorgane schliesst
und den Eingang zum Speisecanal öffnet, theil. Als Antagonist dieses Muskels
muss man die Muskelbündel, die am vorderen Theil der inneren Schildknorpel-
fläche beginnen und schräg nach oben und hinten, zum Rande des Kehldeckels,
gehen, ansehen; dies ist der M. thyreo-epiglotticus oder, wie man ihn auch
nennt, der M. dilatator vestibuli laryngis (Luschka). Bei beiderseitiger Con-
traction müssen diese Muskeln den Kehldeckel nach vorn ziehen, also den Ein-
gang zur Stimmritze öffnen.
3. Die die Stimmbänder spannenden Muskeln lagern sich zwischen der
Vorderfläche des Ringknorpelbogens und dem unteren Rande des Schild-
knorpels. Diese Ring-Schildknorpelmuskeln {M. crico-thyreoideus) be-
ginnen am Knorpel zu beiden Seiten der Mittellinie und gehen dann diver-
girend zu dem Angulus marg. inferior des Schildknorpels und zum Innen-
rande des unteren Horns. Wenn sie beide wirken, so spannen sie die Stimm-
bänder; wobei jedoch die Giessbeckenknorpel fixirt sein müssen. Ausserdem
beginnen noch die äusseren Schild-Giessb eckenknorpel-Muskeln (M.
thtjreo-arytaenoideus externus) an der unteren Hälfte des äusseren Giess-
beckenknorpelrandes, worauf ihre Fasern in sagittaler Richtung nach vorn
und etwas nach aussen gehen und sich an der Innenfläche der Seitenplatte
des Schildknorpels auf der Höhe des Vorsprungs des Kehlkopfs, hinter der
Mitte dieser Platte befestigen. Bei fixirtem Giessbeckenknorpel wird durch
die Contraction beider Muskeln die hintere Hälfte des Schildkuorpels nach
innen gezogen, weshalb der Winkel des Schildknorpels stärker vorspringt;
dadurch wird die Entfernung zwischen dem Winkel und den Giessbecken-
knorpeln grösser und die Stimmbänder spannen sich; dieses ist nur dank der
Elasticität des Ringknorpels möglich. Bei der Contraction dieser ganzen
Muskelgruppe kann ziemlich viel Kraft entwickelt werden, da die Fläche des
252 KEHLKOPF.
Ursprunges und des Ansatzes gross ist. Einzelne Tlieile der Stimmbänder
können von den gleich zu beschreibenden Muskeln gespannt werden.
4. Erschlaftt können die Stimmbänder durch die ihnen von aussen an-
liegenden sagittalen Muskelbündel werden. Diese innneren Schild-Giess-
beckenknorpel- Muskeln (M. thyreo-arytaenoideus internus) entspringen an
der Spina inferior und der Aussenfläche des Stiramfortsatzes, werden in ihrem
Verlauf von einer dünnen Fascie und der Schleimhaut der Plica thyreo-ar}^-
taenoidea inferior bedeckt und heften sich an der Innenfläche des Schild-
knorpels, lateralwärts vom vorderen Ende des unteren Stimmbandes, an.
Medianwärts liegen dem Muskel die elastischen Fasern des Stimmbandes eng
an. Ausserdem finden sich hier stets Muskelfasern, die am Giessbeckenknorpel
entspringen und in die elastischen Fasern des Bandes übergehen, die so-
genannten Spanner der einzelnen Theile des Stimm bandes {M. tensores
lig. vocalis veri), welche an der Bildung der Fistelstimme theilnehmen.
Die Lage des ganzen Kehlkopfes wird von den Muskeln, welche ■ vom
Handgriff des Brustknochens, dem Zungenbein und dem Pharynx kommen,
nämlich den Mm. sterno-thyreoidei, hyo-thyreoidei und dem M. constrictor
pharyngis inferior, bestimmt.
Die Schleimhaut des Kehlkopfes setzt sich von der Zungen wurzel
auf die obere, vordere Fläche des Kehlkopfdeckels fort und bildet hierbei
zwei laterale und eine mittlere Falte {Flicae glosso-epiglotticae media et late-
rales); zwischen diesen Falten befinden sich die Zungenkehldeckelgruben
(Fossae glosso-epiglotticae). Von der vorderen Fläche des Kehldeckels geht
die Schleimhaut auf die hintere Fläche desselben über und bildet zu beiden
Seiten Falten, die in der Richtung nach hinten und unten, zu den Giess-
beckenknorpeln und den Hörnern gehen, und in denen die keilförmigen
Knorpel Platz finden, die Kehldeckel-Giessbeckenknorpel-Falten {Plicae ary-epi-
glotticae). Lateralwärts geht die eine Lamelle dieser Falten auf die Innenfläche
des Schildknorpels über, so dass sich hier eine birnförmige Grube (Fossa
pyriformis); deren breiterer Theil nach oben und vorn und deren schmälerer
Theil nach unten und hinten gerichtet ist, bildet. Diese Grube wird durch
eine schräge, von aussen und oben nach innen und unten gehende Falte, die
Plica nervi laryngei, in der man einen weissen Streifen, den oberen Kehl-
kopfnerven, durchschimmern sieht, in einen oberen und einen unteren Ab-
schnitt getheilt. Hinten bekleidet die Schleimhaut die Giessbeckenmuskel
und bildet einen Wulst, der den unter ihr gelegenen Drüsen entspricht;
weiterhin setzt sie sich in die Schleimhaut des Schlundkopfes fort. An der
hinteren Fläche der Epiglottis ist die Schleimhaut fest mit den Perichon-
drium verwachsen; an dieser Fläche der Epiglottis bemerkt man einen sich
nach unten verengernden Wulst, den Epiglottiswulst. Von der Epiglottis aus
bedeckt die Schleimhaut die Wände des Einganges zur Stimmritze und bildet
dann zwei Paar Falten, die medianwärts convergiren. Die obere Schild-Giess-
beckenknorpel-Falte {Plica thyreo-arytaenoidea superior) ist mit ihrem freien
Rande nach innen und unten, die untere Schild-Giessbeckenknorpel-Falte (Ricas
thyreo-arytaenoidea inferior) nach innen und oben gerichtet; diese letztere
bildet mit den in ihrem freien Rande enthaltenen elastischen Fasern die
unteren oder wahren Stimmbänder (Chordae vocales s. Ligg. vocalia
vera). Der zwischen den oberen und den unteren Falten eingeschlossene
Blindsack, die Kehlkopftasche (Ventriculi s. Sinus laryngis) wird haupt-
sächlich von der oberen oder Taschenfalte, von oben und innen, begrenzt.
Die laterale Wand der Tasche ist die Innenfläche des Schildknorpels. Nach
oben reicht die Tasche bis zum oberen Drittel oder bis zum oberen Rande
des Schildknorpels, doch kann sie auch noch höher hinaufreichen und sich
sogar zwischen dem Schildknorpel und dem langen Fortsatz des Zungenbeins
ausstülpen, so dass sie beim Ausathmen mehr oder weniger vorspringt
KEHLKOPF. 253
(Geubee). Beim Orang-Utan geht diese Tasche unter dem M. sternocleido-
mastoideus und der Clavicula bis zur Axilla. Die Taschen dienen als lieso-
natoren, welche den Schall verdichten. Ihr sagittaler Durchmesser beträgt
1-6— 1 '8 cm, ihr Querdurchmesser 3 — 4 mm und ihre Höhe am Eingange 4 mm.
Weiter nach unten geht die Schleimhaut auf die Wände des Kingknorpels
und der Luftröhre über.
Die Schleimhaut des Kehlkoi)fes enthält zahlreiche elastische Fasern,
ihre Oberfläche ist mit Flimmerepithel bedeckt; nur die Vorderfläche und
die Hinterfläche des Kehldeckels, sowie die Känder der Stimmbänder sind mit
Pflasterepithel tiberzogen, und zwar ist dieses an der Hinterfläche dünn, an
der Vorderfläche und an den Stimmbändern aber mächtig und bildet Papillen.
Zwischen den wahren Stimmbändern und dem Basaltheil der Giess-
beckenknorpel befindet sich eine Spalte, die Stimmritze (liima vocalis).
Bei raschem Einathmen oder am Cadaver hat sie die Form eines gleich-
schenkligen Dreiecks, dessen Spitze nach vorn gerichtet ist und dessen Basis
kreisförmig ausgeschnitten ist; diese letztere entspricht den Basaltheilen der
Giessbeckenknorpel, dem Ausschnitt in der Mitte des oberen Ringknorpel-
plattenrandes und den Anfangstheilen der Vocalfortsätze. Die vorderen zwei
Drittel der Spalte werden als tonbildender Theil (Pars vocalis), das
hintere Drittel als respiratorischer T heil {Pars respiratorm) bezeichnet;
der letztere ist beim Neugeborenen noch nicht vorhanden und entwickelt
sich hauptsächlich in der Pubertätsperiode. Die Länge der Spalte beträgt
im Mittel beim Erwachsenen 2*2 cw, die des vorderen Theils 1*4 cm, die des
hinteren 0-8 cm. In schlaffem Zustande ist sie 2- — 4 mm breit.
Schleimdrüsen enthält die Schleimhaut dort, wo sie beweglich mit
dem darunterliegenden Gewebe verbunden ist. Die Hinterfläche des Kehl-
deckels und der Rand der Stimmbänder enthält keine. Die Drüsen auf der
Vorderfläche des Kehldeckels, auf den Plicae epiglotticae, auf der Hinter-
fläche der Giessbeckenknorpel-Muskeln und auf den Wänden der Kehlkopf-
tasche werden ihrer Lage entsprechend benannt (Glandulae epiglotticae, ary-
taenoideae laterales, arytaenoideae posticae, ventriculorum).
Unter der Schleimhaut des Giessbeckenknorpel-Wulstes liegt hinter den
Muskeln das gabelförmige Band {Lig. crico-corniculaium), welches in der Mitte
des oberen Randes der Ringknorpelplatte beginnt und sich nach oben hin
in zwei Aeste, die an der Spitze der hornförmigen Knorpel endigen, theilt;
die Theilungsstelle ist mit der Schleimhaut eng verbunden und dient der-
selben, sowie den hier befindlichen Drüsen zur Stütze.
Die Gefässe des Kehlkopfes sind sehr zahlreich. Das Blut wird ihm
durch drei Paare von Arterien, der Arteria laryngea superior, laryngea inferior
und crico-thyreoidea, zugeführt. Von diesen Arterien kommt die zweite aus der
unteren Schilddrüsenarterie, einem Ast des Truncus thyreo-cervicalis aus der
Arteria subclavia, die beiden anderen aus der oberen Schilddrüsenarterie,
einem Ast der Arteria carotis externa. Die obere Schilddrüsenarterie verläuft
am oberen Rande der Drüse medianwärts, anastomosirt in der Mitte mit der
Arterie der anderen Seite, ebenso wie die unteren Aeste mit den oberen ana-
stomosiren, und entsendet in ihrem Verlauf die Arteria laryngea superior und
die Arteria crico-thyreoidea. Die erstere dringt mit der entsprechenden
Vene und dem Nerven durch die Membrana hyo-thyreoidea ins Innere des
Kehlkopfes und verzweigt sich hier bis zum Rande des Stimmbandes. Die
Arteria crico-thyreoidea anastomosirt gewöhnlich mit der Arterie der anderen
Seite und liegt im oberen Theile des Lig. cricothyreoideum medium ; aus der
Mitte der Anastomose entspringt ein unpaarer Ast, der durch eine Oefinung
in diesem Bande ins Innere des Kehlkopfes dringt, sich hier in den Wan-
dungen desselben verzweigt und mit der oberen und unteren Kehlkopfsarterie
anastomosirt. Die aus der unteren Schilddrüsenarterie kommende Arteria
254 KEHLKOPF.
laryngea inferior durchbohrt, auch uiit der entsprechenden Vene und dem
Nerven, die Membrana crico-thyreo-arytaenoidea und verzweigt sich in den
Wänden bis zum Bande der Stimmbänder. Die Muskeln und Wandungen
des Kehlkopfes sind überhaupt sehr reich an Gefässen.
Die Venen entsprechen den Arterien und ergiessen sich in die Venae
thyreoideae superior, inferior et media.
Die Lymphgefässe ergiessen sich in die Glandulae jugulares profundae.
Die Nerven des Kehlkopfes entstammen dem N. vagus (N. laryngeus
^ujjcrior et inferior), einem sympathischen Geflechte aus dem Plexus thyreoideus
superior et inferior und dem N. accessorius (centrifugale Fasern).
Der obere K ehlkopfsnerv {N. laryngeus superior) beginnt mit seinen
centripetalen Fasern in der Schleimhaut der Zungenwurzel, des Kehldeckels,
des Anfangstheils des Kehlkopfes bis zum Rande des Stimmbandes und auch
der Vorderwand des Pharynx und in den übrigen Geweben; dieses Faser-
bündel durchbohrt die Membrana hyopthyreoidea und vereinigt sich dann mit
dem äusseren Aste, der centrifugale Fasern enthält, zum Stamme; dieser liegt
hinter der Arteria carotis externa et interna und geht bis zum unteren Theil
des Plexus ganglioformis N. vagi. Der äussere Ast endet im M. crico-thyreoi-
deus und gibt Fasern zum M. constrictor pharyngis inferior.
Der untere Kehlkopfsnerv (N. laryngeus inferior) erhält seine
centripetalen Fasern von den Wänden des Kehlkopfes unter dem Rande des
Stimmbandes; dieses Faserbündel tritt lateral wärts von der Ringknorpelplatte,
über dem Rande derselben, heraus und vereinigt sich dann mit den cen-
trifugalen Fasern, w^elche alle Muskeln, mit Ausnahme des M. crico-thyreoideus,
innerviren. Der Stamm liegt links im Sulcus tracheo-oesophageus, biegt rechts
um die Arteria subclavia, links um den Arcus aortae, hinter dem der Nerv
gelagert ist, und reicht bis zu den N. vagus. Durch seine Aeste steht er
mit dem Plexus cardiacus in Verbindung und innervirt die Speiseröhre, die
Luftröhre und den Pharynx.
Die sympathischen Geflechte bestehen auch aus centrifugalen und cen-
tripetalen Fasern und verzweigen sich in den Wänden der Blut- und Lymph-
gefässe. Die oberen Geflechte können, bis zum Plexus caroticus, die unteren
bis zum Plexus subclavius verfolgt werden.
Aus dem über den Kehlkopf Gesagten erhellt, dass er schwingungs-
fähige Membranen, die Stimmbänder, welche in verschiedenem Grade gespannt
und einander genähert werden können, enthält; die Stimmbänder werden von
der aus den Athmungsorganen mit verschiedener Kraft ausgestossenen Luft
in Schwingung gebracht und diese wird, im Gehörgang aufgenommen, vom
Bewusstsein als Ton wahrgenommen. Die Töne sind um so höher, je kürzer,
schmäler und gespannter die Stimmbänder sind; die Töne sind tiefer, je
länger, breiter und schlaifer diese Bänder sich erweisen. Am Lebenden sieht
man bei Untersuchung mit dem Laryngoskop im tönenden Kehlkopf die mehr
oder weniger geöffnete Stimmritze und die sie begrenzenden Stimmbänder,
welche sich von den lateral wärts gelegenen Furchen scharf abheben; weiter
nach aussen sieht man noch eine zweite, weniger scharf ausgeprägte Furche,
die Grenze der MM. thyreo-arytaenoidei interni; ausserdem bemerkt man zu
beiden Seiten die scharf hervortretenden Plicae ary-epiglotticae und im hin-
teren Theile derselben zwei hintereinander liegende Höcker, die stumpfen
Spitzen der keilförmigen Knorpel und der Hörner.
Beim Aussprechen der Vocale wird der Kehlkopf in verschiedener Höhe
tixirt und der Ansatztheil in verschiedenem Grade verengert oder erweitert.
Bei U nimmt der Kehlkopf seine tiefste Lage an, ist der Ansatztheil ver-
engert, die Zunge gehoben, die Lippen einander genähert. 0 vermittelt den
Uebergang vom U zum A. Bei A wird der Kehlkopf in seiner Mittellage
tixirt, der Ansatztheil erweitert, die Zunge herabgedrückt und die Lippen
KEHLKOPFCROUP. 255
geöffnet. In dieser Lage können alle Theile am besten untersucht werden.
Beim Uebergang von A durch E nach 1 hebt sich der Kehlkopf, wird der
Ansatztheil verengert, der weiche Gaumen gespannt, die Zunge gehoben und
die Lippen einander genähert.
Die Consonanten werden auf folgende Weise gebildet: 1. man treibt
den Luftstrom durch die Nasenhöhle (Liquidae) und verschliesst die Mund-
höhle mit den Lippen (M) oder mit dem Zungenrücken (N, L); 2. die auf
verschiedene Weise verschlossene Mundhöhle wird durch den exspiratorischen
Luftstrom an den Lippen (P, B), an der Zungenspitze (T, D) oder hinten an
der Zunge (K, G) geöffnet (Verschlusslaute); 3. die exspirirte Luft wird durch
eine enge Oeffnung getrieben (Reibungs- oder Zischlaute), diese Oeftnung
wird von den Lippen (F, W), von der Zungenspitze (S, Seh) oder von der
Zunge hinten (Ch, H) gebildet.
Der Klang des vom Kehlkopf hervorgebrachten Lautes oder Tones hängt
von der Structur der Stimmbänder und der Knorpel und auch von der Form
der Wände des Ansatztheiles ab. Starkes Schreien bewirkt Verknöcherung
der hyalinen Knorpel des Kehlkopfes, Induration der elastischen Gewebe und
regressive Veränderungen der Muskeln, die durch starke Reizung derselben
hervorgerufen werden. p. lesshaft.
KehlkOpfcrOUp (Laryngitis ßbrinosa, L. pseudomemhranacea, häutige
Bräune). Die Bedeutung des aus dem .Schottischen stammenden Namens
Croup wird verschiedenartig hergeleitet. Home gab die Bezeichnung für
eine Krankheit, die sich durch einen mit eigenartiger Heiserkeit einher-
gehenden Husten und Athemnoth charakterisirt, und gebrauchte hiefür den
Ausdruck „Suffocatio stridula". B. Fränkel glaubt diesen Ausdruck
gegenwärtig am richtigsten mit „acute Larynxstenose" ersetzen zu
können. Nach Mackenzie stammt das Wort Croup von croiving (krähendes
Athmen) her, da doch die Krankheit gewöhnlich damit einhergeht. Anderer-
seits ist zu beachten, dass das schottische Roup Heiserkeit bedeutet.
Nach Mackenzie dürfte das Wort eine Zusammenziehung des Halses
bezeichnen, da „Crup" gleichbedeutend mit Zusammenziehung ist. Nach
anderen Autoren soll die Benennung Croup den sogenannten „Pips" der
Hühner bezeichnen. Home hat dem rein klinischen Begriffe der Suffocatio
stridula auch pathologisch-anatomische Bedeutung beigelegt. Da sowohl für
die durch acute katarrhalische Schwellungen, als durch fibrinöse Exsudationen
hervorgebrachten Kehlkopferscheinungen die Croupbezeichnung gebraucht
wurde, so ist mit der Definition des Croupbegriffes viel Verwirrendes ge-
schaffen worden. B. Feänkel meint deshalb, dass unter Croup eine Larynx-
stenose zu verstehen sei, wo die fibrinöse Exsudation entweder auf der freien
Oberfläche der Schleimhaut oder in dem Gewebe derselben stattfindet. Gott-
stein legt auch bei der Definition des Croup auf die fibrinöse Ausscheidung
das Hauptgewicht und hält deswegen die Bezeichnung Laryngitis pseudomem-
branacea für die geeignetste, umso mehr, als die sowohl ätiologisch als
anatomisch verwandten Processe in ihren localen Erscheinungen schwer von-
einander zu trennen sind. Trotzdem der mit der Benennung des Pseudo-
croup bezeichnete Symptomencomplex gegenwärtig gänzlich getrennt vom
Croup erscheint und die letztere Benennung nur für die mit Membranbildung
einhergehenden Zustände gebräuchlich ist, so sehen wdr doch oft die Be-
nennung für solche Krankheitsprocesse verwendet, wo die Laryngitis fibrinosa
nicht durch diphtheritische Infection entstanden ist. Deshalb muss unbedingt
Escherich beigestimmt werden, der in dem Artikel Croup (pag. 275 der „In-
ternen Median'^ dieses Werkes) auf die Verwirrung des Croupbegriffes aufmerksam
macht, die dadurch geschaffen wurde, dass die der Schleimhautoberfläche nur locker
anhaftenden fibrinösen Membranen als Croup der Schleimhaut benannt und als
256 KEHLKOPFCROUP.
sogenannte croupöse Entzündung der diphtheritischen Veränderung der Schleim-
haut gegenüber gestellt wurden, bei welcher die Exsudation in das Gewebe
der Schleimhaut selbst erfolgt. Indem ich auf die diesbezüglichen Erörte-
rungen Eschekich's verweise, wiederhole ich nur in Kürze, dass Escheeich,
wie es auch eben dem Wesen und der Natur des Krankheitsprocesses ent-
spricht, räth, das Wort „croupös" im anatomischen Sinne fallen zu lassen
und durch „fibrinös" zu ersetzen. Die Benennung Croup wäre auf jenes
Krankheitsbild anzuwenden, wo der Process im Kehlkopf durch die Bil-
dung membranöser Auflagerungen entstanden ist. Ob dieser Process aber
diphtheritischer oder nicht diphtheritischer Natur ist, kann gegenwärtig bac-
teriologisch ganz leicht und mit Sicherheit erwiesen werden.
Aetiologie. Trotzdem das Verhältnis der Diphtheritis zum Kehlkopf-
croup nicht ganz erwiesen dasteht, kann es schon vom klinischen Standpunkte
nicht übersehen werden, dass die diphtheritische Erkrankung der Rachengebilde
in der Aetiologie des Kehlkopfcroup eine maassgebende Rolle spielt. Die
Erfolge der bacteriologischen und experimentellen Untersuchungen sind unbe-
dingt dazu berufen, die Klärung in dieser Frage herbeizuführen. Die Resul-
tate der Untersuchungen Concetti's, wonach er unter 16 Fällen von primärem
Larynxcroup in 14 den Diphtheriebacillus Löfflek fand, sprechen doch
gewiss für die ätiologische Zusammengehörigkeit des Croup und der Diph-
theritis. E. Fränkel konnte in 4 Fällen von Kehlkopfcroup, w^o die Rachen-
gebilde ganz intact waren, in den Pseudomembranen den KLEBS-LöFFLER'schen
Bacillus nachweisen. Ausser Obgenannten lieferten noch Andere Daten
(d'EspiNE und Maeignac, Tangl, Brieger), die alle dafür sprechen, dass der
Croup seine Entstehung dem KLEBS-LöFFLER'schen Bacillus verdankt, trotz-
dem die Existenz eines nicht infectiösen, rein entzündlichen, und zwar durch
thermische, chemische und traumatische Reize hervorgebrachten Croups nicht
in Abrede gestellt werden kann. (Beobachtung Palloni's nach Einathmung
von Chlordämpfen, Reimer's nach Verschlucken von diluirter Schwefelsäure.)
Weigert hat experimentell bei Thieren durch Aetzungen mit Kali causticum eine
Laryngitis crouposa erzeugen können. Heubner hat durch mechanische Einwirkung einen
sogenannten nicht infectiösen Croup hervorrufen können, was zur Annahme der Existenz
eines nicht diphtheritischen, fibrinösen Croup Veranlassung gab.
Nach Baumgarten ist es erwiesen, dass die Aetiologie der Laryngo-
tracheitis librinosa keine einheitliche ist. „Gleichwohl ist es anzunehmen,
dass jene typische Form der fibrinösen Laryngotracheitis, wie wir sie in den
ausgesprochenen Fällen von Croup vorfinden, sich als etwas so Eigenartiges
aus dem Kreise der übrigen Formen hervorhebt, dass man eine besondere
specifische Ursache für dieselbe anzunehmen berechtigt ist."
Man muss unstreitig die Rachen-Diphtherie als das wichtigste Moment
in der Entstehung des Croup betrachten. Wir würden Unrecht thun, wenn
wir der geschichtlichen Wahrheit entsprechend unerwähnt Hessen, dass
Bretonneau die Palme gebührt (Des inflammations speciales 1826), die enge
Verwandtschaft des Croup und der Diphtheritis gekennzeichnet zu haben, in-
dem er den Nachweis zu liefern bemüht war, dass die häutige Laryngo-
tracheitis eigentlich ein Symptom, id est Localerscheinung der Diphtheritis
abgibt.
Es ist allgemein bekannt, dass der Croup vorwiegend eine Krankheit des
Kindesalters ist, und zwar werden Kinder meistens zwischen dem zw^eiten und
siebenten Lebensjahre davon befallen. Säuglinge und Greise erkranken daran
höchst selten. Trotzdem der Croup zu allen Jahreszeiten auftritt, so sind
nach Hirsch besonders die kalten, feuchten Winde für die Krankheit prä-
disponirend. Veränderliche Witterung und jeder Temperaturwechsel scheinen
das Aultreten des Croup auch zu begünstigen (scheinbar die wenigsten Fälle
sind von Mai bis September zu beobachten). Das männliche Geschlecht wird
KEHLKOPFCROUP. 257
öfter davon betroffen. Die Erfahrung lehrt, dass die Disposition 'für die.
Krankheit bei schwächlichen, kränklichen Individuen nicht grösser ist, als
bei kräftigen und gutgenäbrten. Von erblicher Anlage kann wohl dem Vorher-
gesagten entsprechend nicht die Rede sein; doch ist es auffallend, dass ein-
zelne Familien von Croup öfters heimgesucht werden. Es wird die Ursache
Avahrscheinlich in der von furchtsamen Eltern angewandten Verwöhnungs-
und Verzärtelungstheorie liegen, weshalb bei solchen Kindern schon bei
leichtem Temperaturwechsel entzündlich-katarrhalische Veränderungen an der
Schleimhaut entstehen, wodurch die Empfänglichkeit für die Aufnahme des
specifischen Krankheitserregers erhöht und begünstigt wird. Die oft genug
von Laien erwähnte mehrmalige Wiederholung des Croupanfalles beruht
gewiss auf Irrthum, da die Disposition nach einmaliger Erkrankung abge-
schwächt scheint und die öfter sich wiederholenden Anfälle eigentlich für den
Pseudocroup charakteristisch sind.
Der Croup kommt sowohl endemisch als epidemisch vor. Der Ent-
wicklung nach bezeichnet man als absteigenden Croup denjenigen, bei
welchem die Krankheit im Eachen beginnt und die Membranbildung sich
nach abwärts auf den Larynx, Trachea, in seltenen Fällen auf die Bronchien
verbreitet. Der aufsteigende Croup hingegen manifestirt sich dadurch, dass
schon viel früher Pseudomembranen und röhrenförmige Gebilde ausgehustet
werden, als die Symptome im Kehlkopf und Eachen erscheinen; der Process
also in den untern Partien des Respirationstractes beginnend, iindet seinen
Abschluss im Rachenraum. Wahrscheinlich weil letztere Form seltener vor-
kommt und schwieriger zu diagnosticiren ist, wurde sie vielerseits bezweifelt,
trotzdem in der Literatur zweifellos dastehende Fälle verzeichnet sind.
(JuEiNE, Salomon, Steiner, Escherich u. a.)
Ich selbst habe vor mehreren Jahren als Assistent an der Professor v. KoRÄNYi'schen
Klinik einen exquisiten Fall von aufsteigendem Croup bei einem neunzehnjährigen Mädchen
beobachten können, wo im Beginne der Erkrankung weder im Kehlkopf, noch im Rachen
Veränderungen zu finden waren und erst später laryngoskopisch der Kehlkopfcroup
diagnosticirt werden konnte. Die Autopsie erwies eine ausgebreitete fibrinöse Bronchitis,
Tracheitis und Laryngitis, ohne dass im Rachen die mindeste Veränderung vorhanden
gewesen wäre.
Da Professor Escheeich den Croup bei Kindern in pathologisch-anato-
mischer und klinischer Beziehung in diesem Werke (Interne Mediciii, ^:>a^.
275) schon ausführlich besprochen hat, verweise ich auf diesen Artikel.
Hier soll die Laryngitis fibrinosa mit Berücksichtigung der Erwachsenen
vom specialistischen (laryngologischen) Standpunkte erörtert werden.
Symptomatologie und Verlauf. In der Mehrzahl der Fälle pflegt als
Anfangssymptom die katarrhalische Erscheinung nicht zu fehlen. Es ist
Mattigkeit, Appetitlosigkeit, leichtes Frösteln vorhanden, später auch Heiser-
keit. Hiezu gesellen sich dann Schlingbeschwerden, Brennen und Kitzeln im
Halse. Zu dieser Zeit ist selten mehr als Röthe der Schleimhaut und
Schwellung der Tonsillen sichtbar, manchmal jedoch sind schon jetzt grau-
weisse Flecke am weichen Gaumen, Uvula etc. zu bemerken. Durch Verbrei-
tung der Flecke entstehen grössere Plaques, welche die verschiedenen Theile
der Rachengebilde bedecken. Häufig ist um diese Zeit ein trockener, bellender,
heiserer Husten hörbar, der aber eigentlich für Croup nicht absolut charak-
teristisch ist, da gerade beim Pseudocroup dieser sogenannte „Crouphusten"
ständig ist. Es muss bemerkt werden, dass dieser Husten beim Croup sehr
bald tonlosen Hustenstössen Platz macht.
Zu diesen, durch Rauchfuss gekennzeichneten Initialsymptomen gesellen
sich schon Erscheinungen von Seite des Kehlkopfes. Die laryngoskopische
Untersuchung ergibt nebst auffallender Schw^ellung und Röthe der Schleim-
haut Exsudation in Form von reifähnlichen Auflagerungen. Dieses Stadium,
zuweilen mit höherem Fieber einhergehend, kann auch bis zu zehn Tagen
Ohren-, Nasen-, Kachen-, Kehlkopf krankheiten. 17
258 KEHLKOPFCROÜP.
anhalten; die gewöhnliche Dauer beträgt drei bis vier Tage. Es gibt jedoch
Fälle, wo schon nach mehreren Stunden die das zweite Stadium charakteri-
sirende Larynxstenose eintritt. Langgedehnte, erschwerte In- und Exspiration,
klangloser, heiserer Husten wechseln ab, bis durch Fortschreiten des Processes
in kleineren oder grösseren Pausen Erstickungsanfälle auftreten. Die Respi-
ration wird mit der grössten Anstrengung und bei Inanspruchnahme der
gesammten Hilfsmusculatur ausgeführt, die Wirbelsäule gestreckt, der Kopf
nach rückwärts geworfen, die Schulterblätter und Flippen gehoben, also alles
aufgeboten, um die Erweiterung des Thorax zu bewerkstelligen. Die Inspira-
tion ist meist von weithin vernehmbarem Stridor begleitet, der sich sägend
und pfeifend anhört, während die Exspiration mehr blasenden Charakters ist.
Da durch ungenügenden Luftzutritt der Luftdruck im Innern des Thorax ver-
mindert ist, sinken die nachgiebigen Thoraxpartien, wie Supraclavicular-Jugu-
largegend, Proc. xyphoideus, bei der Inspiration ein. Das bei jeder Inspira-
tion beobachtete tiefe Herabsteigen des Kehlkopfes muss auch als Aspirations-
erscheinung betrachtet werden. Wie schon oben erwähnt, steigert sich die
Stenose bis zu Stickanfällen, welche nur einige Minuten oder auch, wiewohl
selten, länger anhalten können. Für das Erscheinen des charakteristischen
Stenosensymptomes gibt es verschiedene Erklärungen. Schlautmann und
Niemeter glauben, dass die Croup-Dyspnoe, abgesehen von der Verengerung,
die die Glottis durch Schwellung und Auflagerungen von Pseudomembranen
erleidet, eigentlich von einer durch seröse Durchfeuchtung der Kehlkopf-
muskeln hervorgebrachten Lähmung der Abductoren bedingt ist. Budnicky
erklärt die Croup-Dyspnoe als Coordinationsstörung der Athembewegungen.
Die Untersuchungen von PiAuchfuss, Pienazek u. a. bestätigen, dass die
Behinderung der Abductionsbewegung der Stimmbänder Veranlassung zu dieser
Erscheinung gibt. Man hat auch (Billard) zur Erklärung einen Krampf der
Glottisschliesser angenommen. Zweifellos müssen als das wichtigste Moment
die mechanischen Ursachen genommen werden, wodurch die Verengerung des
Kehlkopfes entsteht, als da sind: Schwellung und Lockerung der Schleimhaut,
Bildung von Pseudomembranen und anhaftende schleimig-eitrige Secrete. Die
laryngoskopische Untersuchung zeigt in diesem Stadium charakteristische, reif-
ähnliche Auflagerungen, welche theils zerstreute Plaques, theils zusammen-
hängende Membranen bilden. An den Stimmbändern haften die Membranen
th eilweise fest an, oder man sieht losgelöste Fetzen, welche sogar in die
Trachea hineinhängen. Die Membranen bedecken oft das ganze Larynxinnere,
so dass man überhaupt keine freie Schleimhaut sieht. Nicht selten ist die
Laryngealfläche der Epiglottis ganz überzogen. Weiters ist es das reichlich
abgesonderte, zähe, schleimig-eitrige Secret, welches noch mehr zur Verenge-
rung der Glottis beiträgt. Als Zeichen der gehemmten Abduction der Stimm-
bänder sieht man trotz tiefer Inspiration selbe der Medianlinie genähert.
Die Glottis bildet oft einen ganz engen Spalt. In diesem Stadium, dessen
Dauer zwischen 1^ — 7 Tagen schwankt, können Remissionen beobachtet werden.
Die Stickanfälle sistiren auf einige Zeit, und es scheint, als ob die Stenose
sogar zurückgienge, da gewöhnlich diesem Zustande das Aushusten einer
grösseren Membran vorausgegangen ist. Doch sind das seltene Fälle, denn
diese scheinbare Besserung macht rasch einem neuen Anfall Platz, der dann
den schon geschwächten Organismus um so mehr bedroht.
Die ausgehusteten Membranen sind ihren Ursprungstellen entsprechend
entweder verschieden dicke und grosse Fetzen oder röhrenförmige Gebilde.
Wenn die Dyspnoe fortdauert, so beobachten wir rasche und oberfläch-
liche Athmung, sowie Herzschwäche. Es treten die Symptome der Kohlen-
säurevergiftung ein, die das dritte und letzte, sogenannte „asphyktische"
Stadium der Erkrankung bilden. Die Cyanose wird intensiver, der Puls
klein, frequent und aussetzend, Convulsionen und Contracturen der Extremi-
KEHLKOPFCROUP. 259
täten treten auf. Die Haut wird kühl und unempfindlich, das Bewusstsein
schwindet und der Tod tritt durch Erschöpfung ein, abgesehen von den nicht
seltenen Fällen, wo er durch Erstickung herbeigeführt wird.
Wie schon oben erwähnt, gibt es leichtere Fälle, insbesondere bei
Erwachsenen, wo in dem zweiten Stadium Rückbildung der Erkrankung beob-
achtet wird.
Die Dauer des dritten Stadiums variirt gewöhnlich zwischen wenigen
Stunden, selten Tagen. Es muss betont werden, dass frühzeitiger operativer
Eingriff (Tracheotomie, Intubation) den Verlauf günstig zu beeinflussen im
Stande ist (siehe Therapie). Die bei Croup zur Beobachtung kommenden
Fieberbewegungen betreffend, kann soviel erwähnt werden, dass oft die Tem-
peratur während der ganzen Dauer der Krankheit kaum über 38*5 "^ C sich
erhebt, in anderen Fällen wieder sind excessive Temperaturen (40— 41''C)
zu beobachten. Wenn keine Complicationen entstehen, erreicht die Tempe-
ratur im zweiten und Anfang des dritten Stadiums ihr Maximum.
Als Begleiterscheinungen wären die Anschwellungen der Submaxillar-
drüsen zu erwähnen, ferner Albuminurie, Milztumor, die jedoch bei leichteren
Fällen gänzlich fehlen können. Je jünger das Individuum, desto rapider ist
der Verlauf, denn wir sehen, dass bei Erwachsenen der Process sich protra-
hirender abspielt. Weiters ist den leichteren Verlauf des Croup bei Erwach-
senen betreffend sowohl die Widerstandskraft des Kehlkopfskelettes, als auch
die Weite des Kehlkopfraumes in Rechnung zu ziehen.
Die Durchschnittsdauer des gesammten Krankheitsprocesses beträgt 7 — 8
Tage.
Complicationen von Seite der Lunge und Bronchien üben einen
ungünstigen Einfluss aus, das Weiterschreiten des Processes auf die Trachea
ist so häufig, dass das nicht als eigentliche Complication des Kehlkopfcroup
betrachtet werden kann. Als Complication in allererster Reihe ist der nach
den Bronchien absteigende Croup zu nennen, indem sich die Erkrankung
nicht selten bis in die feinsten Verzw^eigungen der Bronchien erstreckt.
Steinee und v. Ziemssen halten es geradezu für unmöglich, den Bronchial-
croup auf der Höhe der Laryngitis fibrinosa mit Sicherheit zu diagnosticiren.
Das stark sägende und pfeifende Kehlkopfgeräusch lässt nämlich das Respi-
rationsgeräusch in den Lungen kaum wahrnehmen.
Im Falle einer ausgeführten Tracheotomie ändern sich die Verhältnisse,
und man kann dann, wenn schweres und schnelles Athmen vorhanden ist
und die Auscultation ausser Rasselgeräuschen schwach vesiculäres oder inde-
terminirtes Athmen nachweist, auf das Uebergreifen der Erkrankung auf die
Bronchien schliessen. Ein sicheres Zeichen des Bronchialcroups sind unbe-
dingt röhrenförmige Pseudomembranen, die ausgehustet werden. Escherich
(„Interne Medicin" pag. 281 dieses Werkes) erwähnt, dass man oft bei
jungen Kindern an Stelle des absteigenden Croup eine diffuse katarrhalische
Bronchitis und Bronchiolitis findet. Er sagt: „In Begleitung und im Gefolge
der Complicationen stellt sich fast regelmässig eine mehr oder weniger aus-
gebreitete Katarrhalpneunionie ein, welche durch Aspiration des Bronchial-
secretes hervorgerufen wird, und je nach der Art der darin enthaltenen
Infectionserreger die lobuläre (Streptococcen) oder die pseudolobäre (Pneumo-
coccen) Form annimmt." Nach Steiner und v. Ziemssen complicirt die
Pneumonie den Croup viel seltener, als man annimmt, und tritt selbe meist
als lobuläre, seltener als lobäre auf. Es muss bemerkt werden, dass die
physikalischen Zeichen nur dann Sicherheit gewähren, wenn sie nicht niu'
während der stürmischen Larynxerscheinungen bestehen, sondern wenn sie
noch nach der ausgeführten Tracheotomie zu beobachten sind. Die Pneumonie
gibt als Complication eine ungünstige Prognose ab. Die durch den Larynx-
croup bedingte Dyspnoe bringt Lungenblähung hervor, deren Grad mit der
17*
260 KEHLKOPFCROÜP.
Dauer des Krankheitsprocesses im Zusammenhange steht. (Das interstitielle
und mediastinale Emphysem gehört zu den seltenen Erscheinungen.)
Als Nachkrankheiten können, wie eben der diphtheritischen Infection
entsprechend, Lähmungserscheinungen beobachtet werden. Es können sich
partielle oder vollkommene Lähmungen ausbilden. Trotzdem in den meisten
Fällen der Grad der Ausbreitung der Lähmung von der Intensität der Krank-
heit abhängt, so sehen Avir oft genug, bei sozusagen abortiven Fällen, die
Symptome der Paralysis postdiphtheritica. Durch die Lähmung der Gaumen-
bögen wird die Sprache nasal und die Flüssigkeiten regurgitiren durch die
Nase. Durch Lähmung der Abductoren kann Larynxstenose entstehen, ebenso
kann Paralyse der Constrictoren beobachtet werden, wodurch die so entstandene
Dysphagia paralytica oft die künstliche Ernährung erheischt. Ausser den
Motilitätsstörungen kann durch Lähmung des N. laryngeus super, partielle
oder vollkommene Anästhesie der Kehlkopfschleimhaut sicli ausbilden.
(v. ZiEMSSEN, Escherich.)
Johann B(5kai erwähnt, dass in seltenen Fällen sowohl bei Larynxcroup,
wie auch bei Pachendiphtherie an der vorderen Partie der Larynx Drüsen-
vereiterungen und phlegmonöse Entzündungen entstehen. Da er diese Compli-
cation einigemal bei intubirten Fällen gefunden, wo im Larynx Decubitus-
geschwüre aufgetreten waren, so scheinen seiner Meinung nach diese Ent-
zündungen mit den genannten Larynxgeschwüren in directer Verbindung
zu sein.
Mit einigen Worten soll noch des secundären Croup gedacht werden,
der im Gefolge verschiedener acuter und chronischer Krankheiten ent-
steht. (Infectionskrankheiten, allgemeine constitutionelle Erkrankungen, pyä-
mische Processe etc.) Seine Verlaufsart ist gewöhnlich eine mildere. Dies
gilt eigentlich für sein Auftreten bei Erwachsenen, denn bei Kindern sehen
wir, dass der secundäre Croup oftmals ebenso bösartig ist wie der primäre.
Diagnose. Die Diagnose des Larynxcroup bereitet keine Schwierigkeit,
wenn die Erkrankung mit ihren charakteristischen und cardinalen Symptomen
einsetzt, als da sind, plötzlich auftretende Heiserkeit und Tonlosigkeit, sodann
Larynxstenose mit Dyspnoe und Stickanfällen, Fieberbewegungen und ent-
weder der laryngoskopische Befund den Nachweis von Membranen liefert
oder aber solche ausgehustet werden. Es kann nicht genug betont w^erden,
dass die laryngoskopische Untersuchung nie unterlassen werde, denn nur
durch dieselbe ist mit Sicherheit die Diagnose schon frühzeitig zu stellen,
also schon zu einem Zeitpunkt, wenn erst reifähnliche Auflagerungen, aber
noch keine ausgebreiteten MemlDranbildungen vorhanden sind. Um so eher,
als die Erfahrung zeigt, dass man schon ganz junge Kinder laryngoskopiren
kann, nicht zu reden also von grösseren Kindern und Erwachsenen, bei denen
die Unterlassung dieser Untersuchungsmethode einen Missgriff bedeutet.
Nur so kann man sich vor Täuschungen bewahren, da z. B. das Symptom
dei Larynxstenose seine Ursache in Oedema glottidis, Wirbelcaries, Retro-
pharyngealabscess etc. haben kann. Besonders aber ist es der sogenannte
Pseudocroup, der das Bild eines beginnenden echten Croups vortäuschen kann.
Das gewichtigste und für die Differentialdiagnose bestimmende Moment
ist, dass der Pseudocroup ganz unerwartet während des Schlafes mit dem
stenotischen Anfall einsetzt, bei wohl von bellendem Husten begleiteter,
heiserer, aber nicht aphonischer Stimme. Selbstverständlich ist die bacteriolo-
gische und eventuell histologische Untersuchung womöglich in jedem Falle
zu machen.
Die zu beobachtenden prophylaktischen Maassregeln können in
kurzen Zügen gegeben werden; da gegenwärtig der Diphtheriebacillus als
specifischer Krankheitserreger erkannt ist, muss selbstverständlich alles, was
mit den Bacillen behaftet sein könnte, unschädlich gemacht werden. Schon
KEHLKOPFCROUP. 261
im Beginne der Krankheit muss der Kranke isolirt werden, alle üljerflüssigen
Gegenstände, Möbelstücke, Teppiche, Wäsche sollen entfernt werden, das
Wartepersonal muss sich jeder Berührung mit den Gesunden enthalten und
für sich selbst die grösste Vorsicht beobachten, die vor allen Dingen darin
zu bestehen hat, sich nach jedesmaliger Berülirung mit dem Kranken die
Hände zu reinigen. Besondere Beachtung erheischen die Membranen und der
Auswurf des Kranken, die auf das sorgfältigste desinficirt werden müssen.
Nach Ablauf der Krankheit sollen die in Gebrauch genommenen Gegen-
stände einer energischen Desinfection unterzogen werden, die Wände des
Krankenzimmers frisch getüncht, der Fussboden mit einem Desinfectionsmittel
aufgewaschen werden.
Therapie. Es gibt kaum eine Erkrankung, zu deren Bekämpfung so
vieles versucht und empfohlen wurde, als es für die Diphtheritis geschieht.
Bis vor einigen Jahren waren wir überhaupt nicht im Besitze eines solchen
Mittels, mit dessen Hilfe die günstige Beeinflussung dieses Krankheitsprocesses
bestimmt zu erhofl"en gewesen wäre. Seit dem Jahre 1894 jedoch, seitdem
das von Behring empfohlene Blutserum bei Croup-Diphtheritis allgemein an-
gewendet wird, stehen wir nicht ohnmächtig dieser furchtbaren Krankheit
gegenüber wie bisher. Wenn auch nicht geradezu mit apodiktischer Gewiss-
heit behauptet werden kann, dass das Serum ein unfehlbares und immer
sicher wirkendes Mittel ist, so ist es doch zweifellos, dass wir in dem Se-
rum ein Specificum gegen diese Krankheit besitzen, welches den
Krankheitsprocess immer und zwar grösstentheils günstig beeinflusst.
Den heutigen Stand der Seruratherapie betreffend gilt es als Princip,
in jedem Falle von Larynxcroup, unter allen Umständen, unbedingt Serum
anzuwenden. Dieses muss als Axiom in der Therapie des Larynxcroup auf-
gestellt werden. Die Hauptfrage, ob das Serum überhaupt in Anwendung
gebracht werden soll, ist heutzutage schon entschieden, strittig können nur
einige Detailfragen sein, die Art seiner Wirkung, eventuell die schädlichen
Nebenwirkungen betreffend.
Bevor das Serum in seiner klinischen Anwendung und Wirkung —
wenn auch nur in Kürze — besprochen wird, sollen all jene therapeutischen
Verfahren, welche in Croupfällen ausser dem Serum noch in Anbetracht
kommen können, Erwähnung finden.
Gegen die Entzündungserscheinungen sind Blutentziehung und Kälte (Eis-
umschläge und Eispillen) gebraucht worden. Da wir jedoch wissen, dass es sich
hier nicht um einen einfachen entzündlichen, sondern um einen specifischen Process
handelt, so ist dieses Verfahren zwecklos. Die Anwendung der Kälte in Form
von Eisumschlägen hat ihre Berechtigung, wenn in der Nachbarschaft erhebliche
Lymphdrüsenanschwellungen sich zeigen. Viel grössere Wichtigkeit müssen
wir dem Symptom der Larynxstenose beimessen, das eines raschen Eingriffes
bedarf. Da werden unzählige Mittel in Anwendung gebracht. Vorerst müssen
die Membranen entfernt werden, was durch Auflockerung derselben geschieht,
also durch x^nfeuchtung in Form von systematischen Inhalationen warmer
Dämpfe. Gottstein hat im Jahre 1869 bei grösseren Kindern und Erwach-
senen Einspritzungen von Aqua calcis unter Leitung des Spiegels mit der
STOEEK'schen Spritze gemacht und laryngoskopisch die Ablösung der Pseudo-
membranen nachweisen können; doch hat die Methode ihrer Ausführung keine
Nachahmung gefunden. Gottstein empfiehlt, die Einspritzungen mehrmals
des Tages zu machen. Mackenzie entfernte die Membranen mit einem direct
hiezu angefertigten Pinsel. In leichteren Fällen sind Expectorantien von
Erfolg und sogar ein Brechmittel. Selbstverständlich darf mit letzterem nicht
übertrieben werden, da es dann statt die gewünschte Wirkung hervorzubringen
eher zu unangenehmen Complicationen Anlass geben kann. Bei Erwachsenen
ist die Anwendung der auf die Lockerung und Entfernung der Membranen
262 KEHLKOPFCKOUP.
abzielenden Mittel leicht. Entweder geschieht es wie bei Kindern durch
einen dampf bereitenden Apparat oder durch Zerstäuben der Flüssigkeiten
mit dem SiEGLE'schen Apparat. Als Flüssigkeit können wir eine Sodalösung
oder entsprechende Mineralwässer, Kalkwasser, chlorsaures Kali etc. verwenden.
Die Inhalationen müssen oft wiederholt werden (in V2 — 1 stündlichen Zwischen-
räumen). Die durh Eauchfüss empfohlenen Quecksilberpräparate, so das
Calomel, Sublimat, dann Inunction mit Ungu. hydr. einer, sollen auch be-
zwecken, dass durch das Quecksilber das fibrinöse Exsudat sich leichter ab-
löse. In neuerer Zeit wird wieder das Pilocarpin in Form von Injectionen
(1 Centigr. bei Erwachsenen) angewandt. Escherich erwähnt, dass in den dafür
geeigneten Fällen thatsächlich eine Lockerung und Abstossung der Membranen
stattfindet. Die von KtiCHENMEiSTEE als membranlösendes Mittel angepriesene
Aqua calcis erfreut sich heute noch eines guten Rufes. Ebenso ist das chlor-
saure Kali, trotzdem es kein Specificum ist, noch immer das souveräne
Mittel, welches sowohl als Gargarisma, wie auch innerlich gebraucht wird.
Oertel hält die Carbolsäure für das beste Mittel, und zwar in 5% Lösung
zur Inhalation, 1 — 2 stündlich, 2 — 3 Minuten lang. Die durch den Dampf
fein zerstäubte Carbolsäurelösung bewirkt eine gründliche Durchtränkung und
Desinfection der Pseudomembranen, weiters werden die anscheinend intacten
Stellen auch überrieselt, was bei Pinselungen nicht geschieht. „Dass aber,"
sagt Oertel, „oft auf den noch vollständig normal aussehenden Schleimhaut-
stellen bereits auf weite Strecken hin Colonien von specifischen Bacillen
lagern können und später, wie die Beobachtungen am Krankenbette ergeben,
weitere lufectionsherde bilden, habe ich in meiner Arbeit (epid. Diphtherie,
V. Ziemssen's Handbuch d. spec. Path. u. Ther.) nachgewiesen."
Die Mittel, welche auf die Unschädlichmachung der Bacillen und die
Demarcation der Membranen einwirken sollen, Avie das Carhol^ Creolin, Scdicij
Borsäure^ Liquor ferr. sesquiclü.^ Sublimat, Thymol, Papayotin etc., werden
theilweise zur Localbehandlung in Form von Pinselungen, Touchirungen, Ein-
blasungen, Gurgelungen, theilweise innerlich verwendet. Auf ihre Anwendung
in den einzelnen Fällen näher einzugehen, würde hier nur eine Wiederholung
bedeuten, da das schon bei der Behandlung der Ptachendiphtherie auf das
eingehendste geschehen ist.
Einen grossen Effect hat in der Therapie des Larynxcroup auch noch
heute der operative Eingriff aufzuweisen, sei es nun durch blutige Eröffnung der
oberen Luftwege (Trachcotomie) oder durch die Intubation. Soll der operative Ein-
griff von Nutzen sein, so muss er frühzeitig ausgeführt werden, denn je länger
die Ueberladung des Blutes mit Kohlensäure anhält, desto ungünstiger ge-
staltet sich die Prognose. Escherich, der so wie die meisten die Tracheo-
tomie betreffend für die Frühoperation eintritt, meint, dass die langgezogenen,
angestrengten Inspirationen das Infectionsmaterial der oberen Luftwege nach
den tieferen Partien aspiriren und hiedurch die Weiterverbreiterung des diph-
theritischen Processes begünstigen. Alles, was sich auf die Ausführung der
Operation bezieht, wird in dem Artikel „Tracheotomie" dieses Werkes be-
sprochen, die Erfahrungen über die Ergebnisse dieser Operation bei Kindern
hat Escherich in diesem Werke (Interne Medicin, „6Vo^<jy', p. 285) aus-
führlich dargestellt. Bei Erwachsenen liegt es schon in den anatomischen
Verhältnissen des Kehlkopfraumes (grössere Dimensionen des Kehlkopfes, Weite
und beträchtlichere Widerstandsfähigkeit der Kehlkopfgebilde), dass trotz ver-
breiteter Membranbildung es selten zu so heftigen Stenosenerscheinungen
kommt, die diesen operativen Eingriff erfordern.
O'Dwyer hat im Jahre 1885 über ein neues Verfahren (Intubation)
Mittheilung gemacht, wonach er bei Croup durch Einführen und Liegenlassen
von Bronceröhrchen (Tuben) in den Kehlkopf den Luftzutritt zu den Lungen
ermöglicht, also das Symptom der Larynxstenose behebt. Die Ausführung
KEHLKOPFCROUP. 263
der Intubation bei Kindern ist in diesem Werke durch Esciieimch (Artikel
Croup l. c. iKuj. 285) beschrieben worden. Es ist schade, dass dieses Ver-
fahren noch keineswegs Gemeingut der Aerzte geworden ist, trotzdem die
bisherigen Erfolge dieses Eingrilfes unstreitig für die günstige Beeinflussung
dieses Krankheitsprocesses sprechen. Bei uns in Budapest ist es Johann
BuKAi, Director des Stephanie-Kinderspitals, der seit 1890 an seinem grossen
Krankenmaterial in zahlreichen Fällen die Intubation erfolgreich ausführt.
Auf Grund der Erfahrungen, die er bei üi3er 600 Fällen gesammelt hat, ge-
langt er zur Ueberzeugung, dass, wenn ein operativer Eingriff nothwendig
wird, in erster Reihe die Intubation als mildere und unl)lutige Operation zu
unternehmen ist, abgesehen davon, dass sie rascher zu vollziehen ist, ge-
ringerer Vorbereitung und weniger Assistenz bedarf als die Tracheotomie.
BüKAi gibt der Tracheotomie nur in solchen Fällen den Vorzug, wo nebst
der bestehenden Laryngostenose gleichzeitig eine hochgradige Pharyngo-
stenose vorhanden ist und wo wegen hochgradigen Oedems des Aditus
laryngis von der Intubation kein Erfolg zu erwarten ist. (Jahrhucli der Kinder-
heükimde N. F. XXXV.) Selbstverständlich ist die Intubation geradezu con-
traindicirt, wenn der Larynxcroup mit septischer Diphtheritis complicirt und
wo das Hinabsteigen des Processes klinisch zu diagnosticiren ist, also die
Lungen und Bronchien ergriffen sind.
lieber eventuell eintretende unangenehme Folgen der Intubation, resp.
Complicationen siehe Artikel Croup (/. c. pag. 285). Zu bemerken wäre, dass
man nie zur Intubation schreiten soll, ohne gleichzeitig alles zur Tracheotomie
vorbereitet zu haben, obwohl z. B. die Gefahr eines Hinabstossens der Pseudo-
membranen höchst selten entsteht. In der Privatpraxis gibt es Fälle, w^o
man unter erschwerenden Umständen die Intubation eigentlich nur als vor-
bereitendes Verfahren für die später nachfolgende Tracheotomie auszuführen
hat, was selbst schon O'Dwyer empfiehlt.
Bei Erwachsenen werden wir selten in die Lage kommen, gegen die
Larynxstenose bei Croup die Intubation anwenden zu müssen, aus eben den
Gründen, welche die Ausführung der Tracheotomie gewöhnlich überflüssig
machen.
Nach den heutzutage anerkannten Principien muss neben der medi-
camentösen Behandlung die Serumtherapie eingeleitet werden, dem operativen
Eingriff jedoch soll die Serumbehandlung vorangehen.
Es ist ausserordentlich wichtig, dass die Seruminjection in möglichst frühem
Stadium der Erkrankung geschehe. Die allgemeine Erfahrung zeigt nämlich,
dass der günstige Einfluss des Serums umso sicherer zu erwarten ist, je zeit-
licher es angewendet wird. Die Injection ist je nach dem Alter und der
Schwere des Falles in schwächerer oder stärkerer Dosis, ein- oder mehrere-
mal zu geben. Zur rechten Zeit verabreicht, zeigt sich schon nach kurzer
Zeit die günstige Wirkung des Serums in der Lockerung und Abstossung der
Membranen. Die Ausbreitung des Processes hört auf und das Allgemein-
befinden bessert sich rasch.
Als Nebenwirkungen werden oft Hauterytheme sogar mit Begleitung
von Fiebererscheinungen beobachtet. Viel ernstere Beachtung verdienen die
Mittheilungen, welche von Albuminurie als Nebenerscheinungen des Serums
sprechen. Es wird sogar über Nephritiden berichtet.
Wenn wir jedoch in Betracht ziehen, dass jetzt seit beiläufig vier
Jahren die Serumbehandlung überall angew^endet wird und trotz der grossen
Anzahl der Fälle nur selten schädliche Nebenwirkungen zur Beobachtung
kommen, so können wir mit Beruhigung das Serum als Specificum empfehlen.
Wie schon erwähnt kann neben der Serumbehandlung eventuell eine
innere Medication in Anw^endung kommen.
264 KEHLKOPFDIPHTHERIE.
Zweifellos hat seit der Serumtherapie die Noth\Yeiidigkeit der Intubation
und Tracheotomie abgenommen, wie dies die meisten Autoren berichten.
IRSAI.
Kehlkopfdiphtherie. {LanjngUis dijMheriUca.) Die Benennung stammt
von Bretonneau (otcpöspa = Haut, Pergament), der in der Membranbildung den
Unterschied von ähnlichen Krankheiten sah. Mackenzie erwähnt in seinem
Buche (Die Krankheiten des Halses und der Nase), dass schon zur Zeit des
Pythagoras ein indischer Arzt (D"hanyantare) eine Halskrankheit beschrieben
hat, die auf Diphtheritis schliessen lässt. Unstreitig stehen die von Aretaeus
beschriebenen Fälle von „Ulcus •S^jHacum'-- der Diphtheritis nahe. Hundert
Jahre später spricht Galenus von der Expectoration gewisser Häute, welche
den Rachen ausfüllten. 1611 gibt Villa Real eine Schilderung eines Krank-
heitsprocesses, bei welchem er sofort beim Ausbruch der Krankheit eine weisse
Materie auf den Gaumenbögen und im Schlünde gesehen hat. Er sagt:
„Diese Materie ist so beschaffen, dass, wenn Ihr sie mit Euren Händen zieht,
sie elastisch erscheint und Eigenschaften hat, wie die des nassen Leders."
(Mackenzie, Krankheiten des Halses und der Nase.) 1625 finden wir in den
Schriften des Cartesius gelegentlich einer dazumal in Sicilien verbreiteten
Halskrankheit eine Membran erwähnt, welche leicht abgestreift werden konnte
und welche als charakteristisches Merkmal für die Krankheit diente. Bard
hat schon im Jahre 1784 auf die ätiologische Verwandtschaft des diphtheritischen
Processes des Rachens (sogenannte Angina memhranacea) und des Kehlkopf-
croup aufmerksam gemacht, doch wurde seine Ansicht nicht eigentlich aner-
kannt, bis Bretoxneau's Arbeit (1826) erschien, in welcher auf die Zusammen-
gehörigkeit der Rachen- und Kehlkopfsymptome hingewiesen und so die Iden-
tität dieser verschiedenen Krankheitsbilder betont wurde.
Es passt nicht in den Piahmen dieses Artikels, in chronologischer Reihenfolge aut
die die Aetiologie und Pathogenese der Diphtheritis betreffenden Untersuchungen und
Ansichten näher einzugehen. Ich erachte es jedoch für nothwendig, einfach die Unter-
suchungsresultate zu registriren, denen man es gegenwärtig zu verdanken hat, dass das
Wesen der Diphtherie geklärt wurde.
Im Jahre 1883 hat Klebs am Wiesbadener-Congress seine Entdeckung
mitgetheilt, wonach in den diphtheritischen Membranen Bacillen zu finden
sind. Ein Jahr später ist von Löffler eine Mittheilung erschienen, in der
auf Grund bacteriologischer und experimenteller Untersuchungsresultate dar-
gestellt wird, dass die durch ihn in den Membranen gefundenen und schon
von Klebs gesehenen Bacillen als die specifischen Krankheitserreger zu
betrachten sind. Gegenwärtig steht es zweifellos da, dass die diphtheritische
Erkrankung durch die Anwesenheit der liLEBS-LöFFLER'schen Bacillen und
eventuell durch ihre Toxine hervorgebracht wird.
Der Diphtheriebacillus entspricht beiläufig der Länge des Bacillus tuberculosis, jedoch
ist er viel breiter mit abgerundeten Enden; bei längerem Wachsthum entsteht die kolbige
Anschwellung des einen oder andern Endes. (Diese letztere Eigenschaft zeigen die gezüch-
teten Bacillen, die in den Membranen vorgefundenen aber nicht.)
Der jetzige Stand der Aetiologie, Pathogenese, sowie die pathologische
Anatomie der Diphtherie wird in diesem Werke ,,Tiiteriie Mediciu" (Diphtherie,
pag. 418, Escherich) so ausgezeichnet und ausführlich besprochen, dass in
dieser Hinsicht auf diesen Artikel zu verweisen ist.
Nachdem zwischen dem echten Croup und der Diphtherie im ätiologi-
schen Sinne kein Unterschied besteht, wie es die bacteriologischen Unter-
suchungen klarlegen, müssen wir für die specifische Erkrankung des Kehl-
kopfes die Benennung Laryngitis diphtheritica mit Larynxcroup identificiren,
woraus folgert, dass eine specielle Besprechung der Laryuxdiphtherie an dieser
Stelle überflüssig wäre, da alles darauf Bezügliche im Artikel Keldkopfcroup
nachzulesen ist. iesai.
LABYRINTH-ERKRANKUNGEN. 265
Labyrinth-Erkrankungen, a) Traumen (CommoUon und Verletzungen),
Directe Yerletzungen der Labyrinthe vom Gehörgange aus durch spitze In-
strumente, welche das Trommelfell und die innere Wand der Trommelhöhle
durchdringen, gehören zu den Seltenheiten. Auch Schussverletzungen der
Labyrinthe oder Läsionen derselben durch Verbrennung (Eindringen flüssiger
Metalle) sind selten. Das Labyrinth wird dagegen häufig durch Traumen,
welche den Schädel treffen, in indirecter Weise verschiedentlich geschydigt.
Es kommen Fissuren des knöchernen Labyrinthes nach traumatischen Einwir-
kungen, welche eine Fractur der Schädelbasis verursachten, vor. In anderen
Fällen treten Blutextravasate innerhalb der labyrinthären liäume infolge
starker Erschütterung auf. Endlich entstehen namentlich in Ilörorganen,
welche durch frühere Erkrankungen bereits gelitten hatten, infolge von hef-
tigen Detonationen oder von plötzlicher Luftverdichtung im Gehörgange, z. 13.
bei Schlägen auf das Ohr, Verletzungen der labyrinthären Gebilde, welche
theils durch Erschütterung der feinsten Nervenendorgane, theils durch kleine
Blutextravasate oder auch durch eine Combination dieser beiden Schädlich-
keiten bedingt sein mögen. Die Seltenheit und Schwierigkeit anatomischer
Untersuchung in derartigen Fällen erklärt es zur Genüge, dass die pathologisch-
anatomischen Kenntnisse in Bezug auf diese Vorgänge noch dürftig erscheinen.
Verlauf und Ausgänge. Nach schweren Verletzungen hat man
eitrige Entzündung des Labyrinthes beobachtet. In Betreff' dieser Entzün-
dung und deren Ausgänge muss auf den folgenden Abschnitt verwiesen werden.
Die Blutextravasate und Erschütterungen des Labyrinthes hinterlassen häufig
schwere und langdauernde Störungen auch des Allgemeinbefindens; nur in
leichteren Fällen tritt eine allmähliche Rückkehr zu der normalen Function
des Sinnesorgans ein, in der Mehrzahl der Fälle erfolgt eine nur unvollstän-
dige Besserung einzelner Symptome, während andere, darunter namentlich
die Schwerhörigkeit und das Ohrensausen, hartnäckig fortdauern.
Die Symptome der traumatischen Schädigungen des Labyrinthes fallen
meistentheils mit denjenigen der sog. MsNiicRE'schen Krankheit zusammen;
es handelt sich um andauernden Schwindel oder zeitweilige Schwändelanfälle,
w^elche namentlich beim Bücken auftreten, um das Gefühl der Ohnmacht,
Uebelkeit und Erbrechen, ferner um subjective Geräusche und Schwerhörig-
keit bis zu vollständiger Taubheit. Daneben besteht zuweilen eine Empfind-
lichkeit gegen starke Geräusche. Diese Erscheinungen werden zum Theil als
Aeusserungen eines Reizungszustandes der Terminalorgane des N. acusticus
aufgefasst. Sie können, mit Ausnahme der Taubheit, fehlen, wenn totale
Zerstörung der labyrinthären Gebilde erfolgt waren, durch welche eine
complete Lähmung der Acusticusfasern bedingt wurde. Wenn eine Schädel-
verletzung vorliegt oder eine starke Erschütterung des Schädels stattfand,
kann es schwierig, ja unmöglich sein, zu entscheiden, ob Schwindel, Kopf-
schmerz, Brechneigung, geistige Depression auf Rechnung der Labyrinth-
erschütterung oder auf gleichzeitige Gehirn-Läsionen zurückgeführt werden
müssen.
Die Diagnose der Labyrinthverletzung gründet sich im wesentlichen
auf das Vorhandensein MENiERE'scher Symptome neben hochgradiger Schwer-
hörigkeit oder Taubheit. Was die Stimmgabelprüfungen anbetrifft, so wird
der Ton einer auf den Scheitel gesetzten Stimmgabel bei einseitiger Zer-
störung des Nervenendorganes, oder wenn nach längerer Dauer des Leidens
Atrophie des Nerven eingetreten ist, allerdings nur vom gesunden Ohre per-
cipirt, doch kann der Ton ebensowohl nach dem kranken Ohre hin localisirt
werden, so lange daselbst Reizungszustände bestehen und das Hörvermögen
noch nicht völlig erloschen ist. Man darf also jedenfalls eine Labyrinth-
verletzung nicht ausschliessen, wenn der Stimmgabelton vom verletzten Ohre
in Knochenleitung besser gehört wird als vom gesunden Ohre. Dieser Um-
266 LABYRINTH-ERKRANKUNGEN.
stand ist deshalb von Wichtigkeit, weil oft eine Ruptur des Trommelfells,
durch dasselbe Trauma bedingt, zugegen ist, und mancher nach dem Ausfalle
des Stimmgabelversuchs, der herrschenden Doctrin folgend, geneigt sein
könnte, eine auf das Mittelohr sich beschränkende Läsion zu diagnosticiren.
Der Erfolg einer Behandlung derartiger Verletzungen ist selbstverständ-
lich von dem Umfange und Grade der stattgehabten Zerstörung wichtiger
Labyrinthgebilde abhängig, auch darf man w'ohl nur dann einen Einfluss thera-
peutischer Maassregeln auf den Krankheitsverlauf erwarten, wenn dieselben
sogleich nach der Verletzung Anwendung finden, während nach Ablauf einer
längeren Frist wenig zu thun übrig bleibt. Es sind vor allem örtliche Blut-
entziehuDgen am Warzenfortsatze vorzunehmen, ferner empfiehlt sich die An-
wendung der Kälte, so lange dieselbe vom Patienten nicht unangenehm em-
pfunden wird, und die Beförderung reichlicher Stuhlentleerungen durch sicher
wirkende Mittel, z. B. Calomel mit Jalappa. Ruhige Lage mit erhöhtem Kopfe,
reizlose Diät, Fernhalten von Geräuschen sind selbstverständliche Forderungen.
ScHWARTZE empfiehlt in frischen Fällen dringend die Anwendung des
HEURTELOUP'schen künstlichen Blutegels auf den Warzenfortsatz, weil dadurch
zugleich „ein Contractionsimpuls" für die gelähmten Gefässnerven gegeben
werde. Ferner hat derselbe bei zögernder Restitution des Hörvermögens
sehr günstige Erfolge von subcutanen Injectionen des StrijcJminum nitricum
0,002 — 0,006 p. d. gesehen. Diese Injectionen wurden während 5 — 8 Tagen
täglich einmal ausgeführt. Als Bedingung gilt aber, dass dieselben vor Ab-
lauf der ersten 6 Wochen nach der Verletzung vorgenommen werden.
Will man den Versuch machen, die Resorption etwaiger Extravasate
oder Exsudate im Labyrinthe zu befördern, so können subcutane Pilocarpin-
Injectionen, sowie der innerliche Gebrauch der Jod-Präparate neben Bepin-
selung des Warzenfortsatzes mit Jodtinctur Anwendung finden.
h) Entzimdung {Otitis intima). Die Frage, ob eine idiopathische, von
intracraniellen Erkrankungen sowohl, wie von Paukenhöhlen-Afiectionen unab-
hängige Labyrinthentzündung vorkomme, kann zur Zeit noch nicht mit Sicher-
heit entschieden werden. Die Möglichkeit, dass pathogene Keime in den
Blutstrom gelangen und innerhalb der Labyrinthe abgelagert, hier die Ursache
primärer Entzündungen werden, lässt sich nicht in Abrede stellen; allerdings
würde ein solches Ereignis gegenüber den häufig beobachteten secundären
Erkrankungen der labyrinthären Räume als selten zu bezeichnen sein.
Derartige secundäre Erkrankungen beobachtet man als Begleiter verschie-
dener Infectionskrankheiten. Am häufigsten kommen ausgesprochene Laby-
rinthentzündungen im Verlaufe der Cerebrospinal-Meningitis vor. Hier dringt
das Krankheitsgift von den Subarachnoideal-Räumen aus, theils durch die
Nervencanäle, theils durch den Aquaeductus Cochleae in die labyrinthären
Räume ein. Andererseits werden die Labyrinthe dadurch von eiteriger Ent-
zündung mitergriffen, dass im Verlaufe schwerer Tuberkulose cariöse Zerstö-
rungen an der inneren Trommelhöhlenwand zur Eröffnung der Schnecke oder
des Vorhofes führen. Auch in Fällen tertiärer Syphilis sind Labyrinthent-
zündungen, vom kranken Knochen ausgehend, beschrieben worden.
Bei schweren Mittelohr-Entzündungen, wie sie im Verlaufe des Scharlach,
der Diphtherie, der Masern nicht selten vorkommen, scheint der Krankheits-
erreger (es handelte sich in einigen genauer untersuchten Fällen um Strepto-
coccen) zuweilen in die Labyrinthräume, in die Gefässe und Markräume des
Felsenbeinknochens einzudringen, wodurch eine Complication mit labyrinthärer
Entzündung zustande kommt. Schwieriger ist die Erklärung des Auftretens
intensiverer Entzündungen im inneren Ohre, welche in Fällen von Leukämie
beobachtet wurden, wenn wir von den einfachen diese Krankheit begleitenden
Hämorrhagien absehen. Vielleicht handelte es sich in diesen Fällen um com-
plicirte Constitutions-Anomalien, zu welchen die Leukämie erst als Folge-
LABYRINTH-ERKRÄNKUNGEN. 267
erscheinung hinzutrat. Auch im Verlaufe der Osteomyelitis ist eine plötzlich
auftretende, doppelseitige und zu vollständiger Zerstörung der Labyrinthe füh-
rende Entzündung gesehen worden, ohne dass es gelang, die Wege, auf welchen
das Krankheitsgift in das innere Ohr gedrungen war, mit Bestimmtheit nach-
zuweisen.
Am wenigsten bekannt ist das Wesen der im Verlaufe chronisclier sklero-
sirender Mittelohrentzündungen vorkommenden labyrinthären Erkrankungen.
Vielleicht spielen hierbei entzündliche Vorgänge im Perioste der Labyrinth-
räume eine Rolle, da dasselbe in einigen Fällen verdickt und verkalkt ge-
funden wurde. Endlich wäre zu bemerken, dass auch nach traumatischen Ein-
wirkungen eitrige Entzündungen des Labyrinths vorkommen, welche sich hin-
sichtlich des Ausganges nicht von den durch andere Ursachen bedingten Er-
krankungen unterscheiden.
Verlauf und Ausgänge. Trotz der verschiedenen Ursachen zeigen
die meisten acuten Entzündungen des Labyrinthes darin eine Ueber-
einstimmung, dass man 3 Stadien in ihrem Verlaufe unterscheiden kann. Es
tritt zuerst eine eiterige Entzündung auf, an welcher sich das Periost der
Labyrinthräume wesentlich betheiligt. Gleichzeitig bedingen aber die verschie-
denen organisirten Krankheitskeime oder deren Gifte, wie wir dies auch in
anderen Regionen des Körpers beobachten, Mortificationen der Gewebe, wo-
durch rasche und ausgedehnte Zerstörungen der Labyrinthgebilde und deren
Nerven zustande kommen.
Im 2. Stadium findet eine Neubildung von gefässreichem Bindegewebe
statt, welche zwischen der Formation vereinzelter Fäden und totaler Aus-
füllung der Labyrinthräume je nach dem Grade der Entzündung wechselt.
Im 3. Stadium erfolgt eine theilweise oder gänzliche Verknöcherung
dieses neugebildeten Gewebes, woraus ein vollständiges Verschwinden der
Labyrinthräume, namentlich der Bogengänge resultiren kann. Dieser Vorgang
ist am deutlichsten bei den Labyrinthentzündungen nach Cerebrospinal-Menin-
gitis beobachtet worden, doch zeigen auch die durch andere causale Momente
bedingten Entzündungen, einschliesslich der traumatischen, einen ähnlichen,
allerdings durch die Lebensbedingungen der Infectionsträger modificirten Ver-
lauf, insbesondere jedoch den Ausgang in Verknöcherung.
Symptome, Diagnose. Die Symptome der Labyrinth entzündungen —
Schwindel, Uebelkeit, subjective Geräusche, Schwerhörigkeit — werden leicht
übersehen, da die meisten Fälle im Verlaufe schwerer Allgemeinerkrankungen
vorkommen. Insbesondere werden die in Fällen sporadischer Cerebrospinal-
Meningitis vorkommenden Labyrinthzerstörungen, welche namentlich kind-
liche Individuen zu befallen pflegen, oft erst erkannt, wenn bereits unheil-
bare Taubheit eingetreten ist. Man wird bei den übrigen oben erwähnten
Infectionskrankheiten an hinzugetretene Labyrinthentzündung denken müssen,
wenn neben auffallender und plötzlicher Abnahme des Gehörs die mehr-
fach erwähnten Symptome des Schwindels und der subjectiven Gehörsempfin-
dungen hinzutreten.
Therapie. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass es eine specifische The-
rapie der Labyrinthentzündungen nicht geben kann, und dass ärztliche Hilfe in
den meisten Fällen erst dann in Anspruch genommen werden dürfte, wenn be-
reits unheilbare Zerstörungen des Sinnesorgans zugegen sind. Dem otiatrischen
Specialarzte werden derartige Fälle meist erst nach Ablauf von Jahren zu-
geführt, und unter den Aerzten sind die wenigsten darauf bedacht, dem Gehör-
organ bei Allgemeinerkrankungen, namentlich im kindlichen Alter, die nöthige
Beachtung zu schenken. Es fehlt daher an Erfahrungen darüber, ob man im
ersten Beginne eitriger Labyrinthentzündungen durch eine energische Anti-
phlogose einen günstigen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung ausüben
könne. Nur wenn deutliche Zeichen syphilitischer Erkrankung vorliegen,
268 LARYNGITIS ACUTA.
wäre eine heilsame Einwirkung von Quecksilber- und Jodmitteln zu erhoffen.
In neuerer Zeit haben einzelne Autoren die günstige Wirkung von Pilocarpin-
Injectionen bei acuten Labyrinthentzündungen, namentlich im Verlaufe des
Scharlachfiebers gerühmt. Es ist selbstverständlich, dass auch diese Medi-
cation nur im ersten Beginne der Erkrankung und in leichteren Fällen über-
haupt von Nutzen sein kann.
c) Ätropliie des Nervus aciisticus. Dieselbe ist im Artikel ^^Äcusticus-
atrophie" dieses Bandes ausführlich besprochen.
d) Neuhildungen im Lahjrinthe. Primäre Neubildungen des Labyrinthes
sind bisher nicht mit Sicherheit nachgewiesen worden. Schwartze vermuthet,
dass die epitheliale Auskleidung des Aquaeductus vestibuli die Matrix für die
Bildung von Cholesteatom-Gesch^Yülsten, (Margaritome Virchow's) abgeben
könne.
Die zur Obduction gelangten Fälle betrafen zum grössten Theile bös-
artige Geschwülste, welche theils von der Paukenhöhle, theils vom inneren
Gehörgange aus in das Labyrinth eingedrungen waren. Es handelte sich um
Carcinome, Sarkome, Cholesteatomgeschwülste. Diese Tumoren waren entweder
im Bereiche des Schläfenbeins selbst entstanden oder giengen vom Gehirn,
von der Dura niater, der Schädelbasis, dem Nasenrachenräume, in anderen
Fällen von der Parotis oder vom Oberkiefer aus. In einzelnen Fällen ent-
wickelten sich Fibrosarkome oder Gliome im Neurilemm des Nervus acusticus;
in anderen handelte es sich um die Bildung syphilitischer Gummata oder von
Tuberkelknoten im inneren Gehörgange. Ein cavernöses Angiom, welches vom
Sinus lateralis ausgieng und das betreffende Felsenbein zum Theil zerstört
hatte, ist von Politzer beschrieben worden.
Die Symptome der Neubildungen stimmen, soweit sie das Labyrinth be-
treffen, mit den Erscheinungen labyrinthärer Reizung, respective Zerstörung
überein, welche in den früheren Abschnitten bereits geschildert worden sind.
Laryngitis acuta. (Catarrhus laryngis acutus.)
Aetiologie. Ausser den für Katarrhe der oberen Luftwege geltenden
allgemeinen ätiologischen Momenten sind noch besonders hier zu erwähnen
der Einfluss meteorologischer und localer Factoren. Plötzliche Wechsel in
der Witterung, hauptsächlich aber das Auftreten trockener Nord- und Nord-
ostwinde sind in unserer Gegend gefolgt von dem Erscheinen zahlreicher acuter
Kehlkopfkatarrhe, welche wir daher besonders im Frühjahr und im Spätherbste
am häufigsten sehen. Ueberhaupt ist bei uns in Wien diese Erkrankung sehr
häufig und ergreift Jung und Alt, besonders gerne aber Kinder und schwlich-
liche Personen.
In London dagegen soll z. B. acuter Katarrh eine Seltenheit sein, was
wohl mit dem feuchten, mehr gleichmässigen und windstillen Klima zusam-
menhängt, während Orte mit trockener, staubiger und sehr bewegter Luft
sein Auftreten begünstigen. Endlich ist der acute Katarrh eine Begleit-
erscheinung vieler acuter, fieberhafter Krankheiten, namentlich der Exan-
theme; auch Tuberculose und Syphilis disponiren dazu. Die Disposition zu
erkranken ist auch individuell sehr verschieden; schwächliche, anämische,
schlecht genährte, mit einer vererbten Diathese behaftete Leute sind mehr
disponirt als gesunde, kräftige Menschen. Auch dauernde Entwöhnung der
freien Luft, wie sie namentlich von gar zu ängstlichen Eltern bei schwäch-
lichen Kindern beliebt wird, steigert die Neigung zu erkranken. Endlich
begünstigt auch Hyperämie des Kehlkopfes, sei sie entstanden durch starke
Anstrengung der Stimme oder durch den Beiz von Tabak, Alkohol etc., oder
sei sie ein Ueberbleibsel eines früher durchgemachten Katarrhes, oder sei sie
die Folge von Stauung, das Auftreten des acuten Katarrhes. Jedenfalls kann
LARYNGITIS ACUTA. 269
man durch systematisch vorgenommene kalte Waschungen, durch allmähliche
Gewöhnung an Temperaturwechsel und durch Vermeidung obiger Schädlich-
keiten die Disposition sehr vermindern. Namentlich ist dies wichtig bei
Kindern, welche häufig an Pseudocroup erkranken.
Aeltere Leute, welche viel zu sprechen haben und oft Anfällen von acutem
Katarrh ausgesetzt sind, sollen zunächst ihre Sprechweise genau controliren
lassen, da oftmals in fehlerhafter Verwendung der Sprachorgane der Grund
zu der Erkrankung liegt; dann soll der Genuss von Tabak und Alkohol ein-
geschränkt und für Beseitigung der Ursachen chronischer Hyperämie gesorgt
werden. Solche Ursachen sind Congestionen gegen Kopf und Hals, chronische
Bronchialkatarrhe, allgemeine Fettleibigkeit, Leber- und Verdauungsleiden
überhaupt, uratische Diathese etc, welche Leiden entweder durch Regelung
der Diät und Gymnastik oder durch Bade- und klimatische Curen zu behan-
deln sind.
Anatomie. Da man selten Gelegenheit hat, an Leichen den acuten Katarrh
zu beobachten, so müssen wir uns auf die Untersuchung des Lebenden mit dem
Spiegel verlassen. Dieselbe zeigt nun Anomalien in Bezug auf Blutfüllung,
Umfang und Absonderung der Schleimhaut.
Die Schleimhaut erscheint mehr weniger geröthet, und zwar entweder
überall oder nur in einzelnen Abschnitten. Gewöhnlich ist die allgemeine
Röthung eine gleichmässige, nur selten eine fleckige; am auffallendsten ist sie
meistens an den Stimmbändern, wo sie sich auch in geringem Grade schon
nachweisen lässt, weil diese Theile bekanntlich in gesundem Zustande glänzend
weiss sind. An den anderen Theilen fällt sie weniger in die Augen, um-
somehr, da man gewöhnlich nicht weiss, wie bei dem betreffenden Individuum
die Färbung der Schleimhaut im gesunden Zustande war. Leichter wird die
Beurtheilung, wenn die Röthung nur einzelne Theile betrifft, da diese dann
gegen die anderen deutlich abstechen. Am häufigsten werden die Stimm-
bänder, dann die Aryknorpel, seltener die Epiglottis und andere Theile für
sich allein hyperämisch.
Der Grad der Hyperämie ist sehr wechselnd, von geringer röthlicher
Verfärbung bis zu kirschrother oder düsterrother Färbung beobachtet man
alle Nuancen. Nicht selten kommt es zu kleinen Blutaustritten in das Gewebe
entweder infolge besonderer Intensität der Erkrankung oder infolge einer
besonderen Disposition des Individuums. Auch forcirte Anstrengungen der
Stimme während eines Katarrhes können leicht zu Blutungen in das Gewebe
oder sogar in das Kehlkopflumen selbst führen (siehe Artikel „Xar. hämor-
rhagica^'). Der Umfang der einzelnen Theile des Kehlkopfes kann durch Exsu-
dation zunehmen. So können die Stimmbänder manchmal durch seröse Infiltra-
tion zu grauen oder grauröthlichen, dicken Wülsten mit abgerundeten Kanten
umgewandelt werden, oder es bilden sich unter ihnen dicke rothe Wülste
{Hypoglottüis acuta), oder die Epiglottis, die Aryknorpelüberzüge und die ary-
epiglottischen Falten werden dicker und weisen nicht selten bei heftigeren
Katarrhen ödematöse Schwellungen auf.
Neben diesen mehr" diffusen Schwellungen kommen namentlich bei
Kindern nicht so selten kleine Knötchen an den Stimmbandkanten vor, welche
B. Fränkel als skrophulöse Anschwellungen deutet und von Ectasien der
Schleimdrüsen herleitet. Solche Knötchen schwinden sehr oft mit Ablauf des
Katarrhes; manchmal aber persistiren sie und werden als Entzündungs-
knötchen bezeichnet. In diesen bleibenden Knötchen findet man nun nur
äusserst selten Schleimdrüsen; sie bestehen aus verdicktem Epithel und zartem,
serös durchtränktem Bindegew^ebe, so dass wir wohl auch mit Recht für die
acut entstehenden Knötchen den gleichen Bau annehmen können.
Die Schleimdrüsen nehmen natürlich auch Theil an der Reizung und
sondern anfangs wenig glasiges, später aber mehr trübes, öfters sogar gelb-
270 LARYNGITIS ACUTA.
liches Secret ab. Dasselbe ballt sich gewöhnlich zu Klumpen und wird leicht
expectorirt. Machmal aber trocknet es stark aus, bildet braune, blaurothe
oder schwarze Krusten und haftet fest an der Schleimhaut, namentlich an
den Stimmbändern; diesen Vorgang beobachtet man bei Menschen, welche an
Pharyngitis und Rhinitis sicca leiden; in solchen Fällen veranlasst nicht selten
das eingetrocknete Secret Stenose und bei seiner Entfernung durch Husten-
stösse kleine Verletzungen des Epithels und sogar Blutungen, so dass Gott-
stein die Entstehung der Laryngitis haemorrhagica davon ableitet.
Das Epithel wird übrigens auch sonst immer betroffen; bald ist es nur
gelockert, wodurch die Oberfläche der Stimmbänder matt, glanzlos erscheint,
bald stösst es sich ab, bald kommt es zu Excoriationen, die sich zu Geschwüren
weiter entwickeln können. Diese Geschwüre bleiben jedoch immer ober-
flächlich, sitzen gewöhnlich an den Kanten der Stimmbänder und heilen bald.
Endlich betrifft die Exsudation auch die unter der Schleimhaut gelegenen
Gebilde; das submucöse Gewebe wird nicht selten durch seröses Exsudat aus-
gedehnt und bildet dann ödematöse Schwellungen namentlich an den Stellen,
wo das submucöse Gewebe sehr locker und weitmaschig ist, also an der Epiglottis,
den Aryknorpeln und den ary-epiglottischen Falten. In seltenen Fällen erreichen
diese Anschwellungen ebenso wie die subglottischen Wülste hohe Grade und
können dann stenosirend wirken. Diese als Catarrhus acutus laryngis gravis
(Ziemssen) bezeichneten Formen scheinen jedoch gewöhnlich ihre Entstehung
einer Infection durch Streptococcen zu verdanken und sind daher zu den
Phlegmonen zu rechnen.
Die Muskeln erleiden durch die Exsudation auch Störungen, die sich
namentlich bei der Stimmbildung bemerkbar machen. Sie werden mehr
weniger gelähmt, manchmal so hochgradig, dass die Glottis weit klafft, wie
ich das einige Male beobachtete. Gewöhnlich jedoch können die Stimmbänder
nur beim Phoniren nicht mehr völlig aneinander gelegt werden und lassen
zwischen sich eine elliptische Lücke, offenbar bedingt durch Schwäche der
Musculi vocales.
Symptome. Ebenso wie die geschilderten anatomischen Veränderungen
ihrem Grade nach sehr verschieden sind, ist dies auch der Fall bei den
Symptomen, die davon abhängen. Die subjectiven Beschwerden machen sich
geltend als Gefühl von Trockenheit, Druck im Halse oder als wirklicher
Schmerz, der als Brennen oder Stechen beschrieben wird, sich manchmal
spontan, manchmal bei Druck auf den Kehlkopf, manchmal beim Schlingen,
gewöhnlich aber beim Sprechen und Husten einstellt. Diese Empfindungen
wechseln sehr nach dem Grade der Erkrankung und nach der Empfindlichkeit
des Individuums.
Objectiv ist festzustellen, dass der leichtere acute Katarrh meist ohne
Prodromi beginnt und fieberfrei verläuft. Schwerere Formen können massiges
Fieber zeigen, ohne besondere Störung des Allgemeinbefindens. Husten ist
gewöhnlich vorhanden infolge der Hyperämie oder der Excoriationen oder des
Schleimes, anfangs oft nur unbedeutend, später aber öfters quälend, sehr
heftig und namentlich bei starker Verdickung der Stimmbänder rauh, croup-
artig klingend, später bei stärkerer Absonderung feucht und locker.
Das Secret ist spärlich, anfangs mehr glasig, später milchig und sogar
gelblich gefärbt.
Die Stimme ist meistens afficirt, da ja die Stimmbänder gewöhnlich
betheiligt sind. Doch selbst bei intacten Stimmbändern kann die Phonation
behindert sein, so durch Schwellung der Schleimhaut zwischen den Aryknor-
peln, welche den Schluss der Glottis verhindert, oder durch Verdickung der
Taschenbänder, die sich als Dämpfer auf die Stimmbänder legen.
Bei Erkrankung der Stimmbänder selbst kann ihre Verdickung die
Stimme tiefer machen, oder unregelmässige Beschaffenheit der Kante kann
LARYNGITIS ACUTA. 271
den Glottisschluss ungenau gestalten, oder die Parese der Kehlkopfmuskeln
kann den Schluss und die Spannung der »Stimmbänder verhindern.
Bei ganz leichten Katarrhen kann sich aber die Stimmstörung auf
schnelles Eintreten von Ermüdung der Stimme beschränken, sonst bestellt
Heiserkeit, die sich bis zur Aphonie steigern kann.
Athembeschwerden sind bei Erwachsenen nur selten bei trockener
Krustenbildung oder bei subglottischen Schwellungen oder bei ödematöser
ausgebreiteter Infiltration vorhanden. Dagegen ist es bei Kindern nicht so
selten, dass acuter Katarrh mit Erstickungsanfällen verlauft; diese unter dem
Namen Pseudocroup bekannte Erkrankung scheint theils infolge von subglotti-
scher Schwellung (mehrere eigene Beobachtungen), theils infolge von Schleim-
ansammlung, theils endlich infolge von Spasmen des Kehlkopfes zu den
nächtlichen Erstickungsanfällen zu führen. („Siehe Pseudocroup'-'.)
Seltenere Formen des Catarrlius acutus.
1. Epiglottitis acuta seit Angina epiglottica. — Eine isolirte Entzündung
des Kehldeckels, welche durch Schmerzen beim Schlucken stark belästigt. Die
Stimme ist nicht verändert. Bei der laryngoskopischen Untersuchung sieht
man den Kehldeckel verdickt, roth, manchmal ödematös, in seiner Beweglicli-
keit beschränkt, sonst ist der Kehlkopf höchstens leicht hyperämisch. Die
Affection verlauft manchmal unter leichtem Fieber und gelangt in wenigen
Tagen zur Heilung. Fälle, bei welcher es an der Epiglottis zur umschriebenen
oder diffusen Eiterung oder Jauchung kommt, sind als Abscess, resp. Phleg-
mone aufzufassen und werden durch Infection mit Streptococcen oder Staphylo-
coccen veranlasst.
Natürlich gibt es Uebergangsformen, z. B. Phlegmonen, die nicht zur
Eiterung kommen und deshalb schwer zu diagnosticiren sind. Auch kann
eine Phlegmone mit leichten Erscheinungen beginnen; gewöhnlich wohl be-
gleitet die Phlegmone heftiges Fieber. Dies, sowie schweres Ergriffensein
des Organismus lässt meistens schon anfangs auf die infectiöse Natur der
Erkrankung schliessen und wird den Arzt veranlassen, eine vorsichtige Prognose
zu stellen, selbst wenn die localen Erscheinungen nicht hochgradig sind.
2. Laryngitis postica. Starke isolirte Röthung und Schwellung der Falte
zwischen den Aryknorpeln und der Aryknorpel selbst. Ausser leichten
Schmerzen beim Schlingen beobachtet man dabei starke Heiserkeit, bedingt
durch Behinderung des Glottisschlusses infolge der Schwellung der hinteren
Larynxwand, die sich beim Phoniren zwischen die Stimmbandenden einschiebt.
5. Laryngitis sicca. Neben mehr weniger ausgesprochener Röthung und
Schwellung der Schleimhaut findet man hier eine besondere Art des Schleimes.
Derselbe trocknet nämlich sehr leicht ein und bildet Krusten und Borken, die
sich an den Stimmbändern oder an anderen Stellen festsetzen, dadurch starke
Heiserkeit und nicht selten durch ihre Anhäufung ein Hindernis der freien
Athmung veranlassen. Nach Moure's und meinen Erfahrungen befällt diese
Form besonders Leute, die an Bhinitis und Pharyngitis sicca chronica leiden;
OoTTSTEiN dagegen hat dieses Zusammentreffen nicht constatiren können. Jeden-
falls ist die Laryngitis sicca eine hartnäckige, oft durch Wochen dauernde sub-
acute Form, welche recht leicht chronisch wird. Nach Gottstetn soll sie beson-
ders bei Leuten vorkommen, welche bei offenem Feuer zu arbeiten haben. Die
Patienten werden besonders des Morgens durch die während der Nacht ange-
sammelten Borken belästigt, welche nur durch mühsames Eäuspern entfernt
werden können. Von den Blutungen, welche beim Losreissen der Borken
entstehen können, war schon früher die Rede; ihnen verdanken th eilweise
auch die Krusten die dunkelbraune oder blaue Farbe. Dass diese Form auf
einer besonderen Beschaffenheit der Schleimhaut beruht, beweist auch der
272 LARYNGITIS ACUTA.
Umstand, dass gewisse Individuen immer nur an dieser Form der Laryngitis
acuta erkranken.
4. Lanjngitis acuta siibglottica ist cliarakterisirt durch das Auftreten von
rothen "Wülsten entweder an der unteren Fläche der Stimmbänder selbst oder
unmittelbar unter ihnen. Man beobachtet diese Form am häutigsten bei
Kindern, u. z. in der Art, dass gewisse Individuen öfters von ihr befallen
werden. Ich kenne einige Personen, welche seit ihrem 5. Lebensjahre bis zum
15. jährlich ein- oder zweimal Anfälle von Pseudocroup überstanden, ^Yobei
im Kehlkopfe die subglottischen rothen Wülste nachweisbar waren. Im späteren
Alter verlor sich die Neigung zu erkranken. Bei Erwachsenen kommt es
seltener (relativ häufig bei InÜuenza) zu bedeutenderen subglottischen Schwel-
lungen, wenigstens nicht zu solchen, welche Stenosen verursachen; unbedeu-
tende solche Wülste dagegen sind keine Seltenheit.
Stärkere Grade dieser Erkrankung bedingen bei Kindern nächtliche
Erstickungsanfälle und rauhen, croupähnlichen Husten (siehe Pseudocroup);
doch wird sowohl der rauhe, Husten als auch die vorübergehende Stenose bei
solchen Kindern beobachtet, welche gar keine subglottische Schwellung auf-
Aveisen. Verdickung, Erschlaffung und Lähmung der Stimmbänder oder ein-
getrocknetes Secret kann auch den Crouphusten erzeugen (selbst bei Erwach-
senen), ebenso wie andererseits die Suffocationsanfälle durch Krustenbildung oder
Spasmus laryngis hervorgerufen werden können.
5. Laryngitis phlyctaenularis benennt Gottstein jene Form des acuten
Katarrhes, bei der es zur Bildung von Stecknadelkopf- bis hirsekorngrossen,
weissen oder gelblichen Bläschen kommt, die entweder abtrocknen oder platzen,
worauf kleine, bald heilende Geschwüre entstehen. Der Process ist beiderseitig
und mit diffuser Röthung der Larynxschleimhaut verbunden. Er trennt sie
strenge von dem Herpes laryngis und fordert für H. die Einseitigkeit und das
Fehlen der diffusen Röthung. Ich glaube wie die meisten anderen Laryngo-
logen, dass der Herpes aber bald einseitig, bald beiderseitig auftritt und bald
mit, bald ohne diffuse Röthung, so dass man von einer besonderen phlyc-
tänulären Form des Katarrhs im Gegensatze zu Herpes nicht sprechen kann.
(Siehe Herpes laryngis.)
Diagnose. Es wird nach dem Vorstehenden gewöhnlich leicht gelingen,
die Erkrankung sofort zu erkennen, ja selbst ohne mit dem Spiegel den
Kehlkopf zu besichtigen. Denn eine plötzlich eintretende Heiserkeit bei
einem früher ganz gesunden Menschen wird bei Fehlen von Fieber, Schling-
schmerzen und Verletzungen gewöhnlich nur durch acuten Katarrh veranlasst.
Doch bleibt diese Art der Diagnose immer nur wahrscheinlich, sicher wird sie
erst, wenn die Laryngoskopie die oben beschriebenen Veränderungen zeigt.
Ferner wird uns erst der Spiegel Aufschluss geben können, welche Theile
des Kehlkopfes besonders betroffen sind, ob irgendwo ödematöse Schwellung
besteht, oder ob subglottische Wülste vorhanden sind, oder ob nicht ein ohne
Wissen des Kranken eingedrungener Fremdkörper die Ursache der^ Heiserkeit
ist, oder ob eine totale halbseitige Kehlkopflähmung besteht. Man soll daher
jeden Fall von Heiserkeit laryngoskopisch untersuchen, dann wird man vor
Irrthümern bewahrt bleiben und wird gleich die richtige Behandlung ein-
leiten.
Besonders zu achten hat man auf folgende Processe, die in ähnlicher
Weise beginnen können, wie der acute Katarrh.
1. Phlegmonöse Entzündung kann anfangs sehr geringe subjective
Beschwerden machen, wird aber durch die starke, oft ödematöse Schwellung
einzelner Larynxabschnitte oder des ganzen Larynx bald charakterisirt, ebenso
wie durch Fieber und Schlingbeschwerden. Andererseits kann auch der
Katarrh begleitet sein von Oedemen, wohl meist massiger und umschriebener
LARYNGITIS ACUTA. 273
Art. Die Unterscheidung ist da nur möglich durch längere Beobachtung;
daher ist in zweifelhaften Fällen die Prognose sehr reservirt zu stellen und
Ueberwachung des Kranken zu veranlassen.
2. Subglottische rothe Wülste können nicht bloss durch Katarrh, sondern
auch durch Tuberculose, Syphilis oder Perichondritis bedingt sein.
Die Differentialdiagnose wird sich stützen auf den Nachweis von Geschwüren
im Kehlkopf oder Rachen, die bei Tuberculosis oder Syphilis selten fehlen,
auf eine genaue Anamnese und die exacte Untersuchung des ganzen Körpers.
3. Die Differentialdiagnose des Pseudocroup der Kinder
gegen Diphtherie siehe im Artikel ^^Pseudocroup'-'.
4. Auch muss Rücksicht genommen werden auf Fremdkörper,
Quetschungen und Aetzungen durch scharfe Flüssigkeiten, wodurch
auch plötzlich Heiserkeit entstehen kann. Werden nun von dem Patienten, sei
es irrthümlicher W^eise oder absichtlich, falsche Angaben über die Ursache der Hei-
serkeit gemacht, kann gewöhnlich nur der Kehlkopfspiegel Aufschluss geben.
5. Endlich kann eine halbseitige Kehlkopflähmung plötzlich ent-
stehen und einen acuten Katarrh vortäuschen, während doch bekanntlich die
Paralyse gewöhnlich auf schweren Erkrankungen der Circulations- oder
Respirationsorgane beruht.
Prognose. Die Vorhersage des acuten Katarrhs ist eine günstige, da
er gewöhnlich in einigen Tagen abheilt. Nur das Auftreten von ödematösen
Schwellungen oder von subglottischen Wülsten fordert zur vorsichtigen Prognose
auf, da sie nicht zu selten zu Phlegmonen sich ausbilden oder, exacter aus-
gedrückt, weil die phlegmonösen Formen manchmal auch fieberlos und sehr
leicht beginnen.
Aber selbst einfache Katarrhe können oft einige Wochen dauern oder
sie können sich oft wiederholen oder endlich sie können langsam in den
chronischen Katarrh übergehen. Darauf muss man den Kranken aufmerksam
machen, damit er die therapeutischen Rathschläge befolgt.
Therapie. Von der Prophylaxe war bereits bei der Aetiologie die Rede.
Die eigentliche Therapie wird nur eine symptomatische sein; zunächst
wird man von der erkrankten Schleimhaut alle Schädlichkeiten fernhalten;
jähe Temperaturwechsel, trockene, staubige Luft, Aufenthalt in schlecht gelüf-
teten Räumen, sowie alle Anstrengungen der Stimme sind zu vermeiden. Auf-
enthalt im Bette ist nur bei sehr heftigen Graden des Katarrhs oder bei
sehr schwächlichen Personen und bei Kindern angezeigt. Tabakrauchen, stark
gewürzte Speisen und geistige Getränke sind strenge zu untersagen.
Manchmal wirkt Diaphorese günstig, welche man durch warmen Thee,
Limonade und feuchtwarme Einpackungen des Halses befördern kann.
Eigentliche medicamentöse Behandlung erfordert gewöhnlich nur der
Hustenreiz, den man durch Narcotica bekämpft. Einige empfehlen gegen die
Bildung trockener, festhaftender Borken bei L. sicca Äpomorphin oder sogar
Pilocarpin. Endlich kann manchmal bei Pseudocroup-Anfällen der Kinder ein
Expectorans oder sogar ein Emeticum angezeigt sein, wenn der Spasmus
durch eingetrocknetes Secret veranlasst ist. In den meisten Fällen von Pseudo-
croup genügt es aber, die Kinder von Zeit zu Zeit zu wecken, namentlich
wenn sie schwerer athmen, und ihnen dann ein laues Getränke zu geben; es
ist nämlich experimentell nachgewiesen, dass beim Schlingen kleine Mengen
der Flüssigkeit in den Kehlkopf eindringen, so dass sie dort eingetrocknetes
Secret befeuchten. (Näheres über Therapie des Pseudocroup siehe Artikel
^^Pseudocroup'' .)
Die locale Therapie hat zunächst dafür zu sorgen, dass die umge-
bende Luft etwas befeuchtet wird; dazu eignen sich flache mit Wasser gefüllte
Schalen, die man im Zimmer anbringt, oder feuchte Tücher, an geeigneten
Stellen aufgehängt, oder Dampfzerstäubungs- Apparate oder die sogenannten
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten. lö
274 LARYNGITIS ACUTA.
Luftfeuchter. Diese letzteren Apparate bedürfen aber maschinellen Betriebes
und sind deshalb im Privathause nicht zu beschaffen; meine Erfahrungen
an der Poliklinik giengen dahin, dass unter dem Einflüsse dieser Apparate,
welche die Luft bis zu 98*^/0 "iJt Feuchtigkeit sättigen, die Beschwerden
schnell schwinden, der Hustenreiz abnimmt, die Expectoration erleichtert und
der Verlauf abgekürzt wird.
Zur directen Inhalation kann man sich entweder der in einem Topfe
oder Schnei Isieder oder in dem MuDGE'schen Apparate entwickelten Wasser-
därapfe bedienen, die man rein oder mit Medicamenten gemischt einathmet.
Namentlich eignet sich hiezu eine 5 — 107oige Lösung von Aqua laurocerasi in
Alcohol dilutus, von welcher man einen Kaffeelöffel auf das dampfende
Wasser schüttet. Die Einathmung hat dreimal täglich durch vier bis fünf
Minuten bei leerem Magen stattzufinden, am besten mit Hilfe eines langen
Pappetrichters; nach der Einathmung hat der Kranke noch ^4 Stunde im
Zimmer zu bleiben, wenn die Aussentemperatur rauh ist. Schrötter empfiehlt
bei starker Schleimansammlung Terpentin-Oel zur Inhalation. Weniger Vor-
sicht erfordert die Einathmung von zerstäubten Flüssigkeiten, weil dieselben
selbst bei Anwendung von Dampfspray nur kühl in die Athmungswege gelangen.
Die zu zerstäubende Flüssigkeit ist entweder reines Wasser, wenn man bloss
befeuchten will, oder V2 bis l^oige Lösungen von Alkalien (Chlornatrium, Soda)
oder alkalisch muriatische Säuerlinge behufs Lösung des zähen Schleimes,
oder Lösungen von Narcoticis zur Stillung des Hustenreizes. Besonders
empfiehlt sich bei acutem Katarrhe nach meinen Erfahrungen eine Emulsion
aus Olei Vaselini 20'0 ad 200'0 Aq. dest., die mit Hilfe von Gummi arabicum
herzustellen ist. Dieser kann man zweckmässig Cocaini mur. 0-2 und zur
Geschmacksverbesserung einige Tropfen Olei menthae pij^eritae beifügen. Auch
der Spray von reinem Oleum Vaselini wirkt sehr beruhigend auf den Husten-
reiz; natürlich sind zur Zerstäubung dieser beiden Mittel nur Zerstäuber mit
Doppelballon zu verwenden. Sehr wichtig ist es ferner, den Patienten im
Gebrauche der Zerstäuber zu unterweisen; sie müssen nämlich bei geöffnetem
Munde und niedergedrückter Zunge schnell und tief athmen, da sonst nichts
von der zerstäubten Flüssigkeit in den Kehlkopf gelangt. Einspritzungen von
Flüssigkeiten in den Kehlkopf scheinen nur bei Borkenbildung angezeigt.
Dagegen kann man heftigen Hustenreiz manchmal durch Einblasungen von
Morphin in kleinen Dosen, gemischt mit Sacchanim lactis, mildern. Tannin
und Alaun sind dagegen nur indicirt bei Residuen des Katarrhs nach abge-
laufenem Reizstadium (vide Artikel „Inhalationstherapie^^ und „Insufflation'^).
Bepinselungen des Kehlkopfes mit Cocain-Lösungen können manchmal
durch Stunden die Heiserkeit und die Schmerzempfindungen beseitigen, da
das Cocain die Hyperämie und Schwellung der Schleimhaut vermindert; aber
eine Abkürzung des Verlaufes konnte ich nie beobachten. Ganz abzurathen
ist von Lösungen des Argentum nitiicimi oder Zincum sulfuricum, denen
einige Autoren (Gibb) eine coupirende Wirkung zuschreiben; ich habe sie nie
beobachtet. Bei Bildung trockener Krusten (bei L. sicca), wo häufig die
Inhalation nicht zur Erw^eichung genügt, hat mir oft die Einpinselung von
Oleum Vaselini oder Jodglycerin gute Erfolge gegeben.
Schliesslich darf ich jedoch nicht verhehlen, dass die meisten leichten
acuten Katarrhe bei zweckmässigem Verhalten von selbst bald abheilen;
schwere Formen mit Oedemen, entzündlichen Schwellungen oder starken
Schmerzen sind antiphlogistisch zu behandeln und sorgfältig zu überwachen,
da ihre Abgrenzung gegen Phlegmonen oft recht schwer fällt.
Residuen des Katarrhs, als Hyperämien, Verdickungen, Paresen, er-
fordern dieselbe Therapie wie der chronische Katarrh. Endlich hat man den
Patienten aufmerksam zu machen, dass er noch einige Zeit nach Ablauf des
Katarrhs grosse Neigung zu frischer Erkrankung behält und deswegen die
LARYNGITIS CHRONICA. 275
bei der Aetiologie erwähnten Schädlichkeiten zu meiden hat. Bei schwäch-
lichen Individuen, namentlich bei Kindern, kann man manchmal nur durch
allgemeine Kräftigung, durch systematische, kalte Waschungen, längeren Auf-
enthalt an der See oder im Mittelgebirge oder im Süden die schnell sich
folgenden Recidiven verhüten. Natürlich wird man auch immer darauf zu
achten haben, ob diese Individuen nicht vielleicht durch Verstopfung der
Nase zu dauernder oder wenigstens im Schlafe eintretender Mundathmung
gezwungen sind. Da die Mundathmung nämlich die Athmungsluft viel
weniger erwärmt, gereinigt und befeuchtet in den Kehlkopf gelangen lässt
als die Nasenathmung, ist eine fortwährende Reizung seiner Schleimhaut un-
vermeidlich. Man wird daher die Nase völlig frei zu machen haben, chiaki.
Laryngitis chronica {Catan-lms larymßs chronicus) ist eine sehr
häufige Erkrankung, die sich übrigens in der verschiedensten Art und in
sehr wechselndem Grade dem Beobachter darbietet. Manchmal ist das ganze
Organ hochgradig ergriffen, manchmal das Leiden nur aus den Störungen der
Function (der Stimmbildung) zu erkennen, manchmal finden sich bedeutende
Verdickungen diffuser und umschriebener Art, manchmal wieder deutlich atro-
phische Zustände, bald ist die Secretion reichlich und flüssig, bald spärlich
und zum Eintrocknen geneigt; ebenso wechselnd sind die subjectiven Sym-
ptome und die Störungen in Bezug auf die Function. Dieser Wechsel in den
Bildern macht es erklärlich, warum nicht selten Leiden ganz anderer Art für
chronischen Katarrh gehalten werden. Wie oft werden nicht junge schwächliche
Mädchen, die durch übermässiges Singstudium ihre Stimme verloren haben,
erfolglos an Katarrh behandelt, während nur Kräftigung des Organismus und
Schonung der Stimme sie heilen könnte. Bei alternden Sängern stört die
Verkalkung der Knorpel die Stimmbildung, der „Schmelz" der Stimme ist
verloren; daran ist kein Katarrh schuld. Anderseits wieder kommt auch der
gewissenhafteste Untersucher öfters in Zweifel, ob irgend eine kleine Ver-
dickung auf Katarrh oder etwa auf Tuberculose zurückzuführen ist, oder ob
eine leichte Hyperämie der Stimmbänder eines Sängers nur durch stärkere
Function der Stimme oder durch Katarrh bedingt ist. Sorgfältige locale und
allgemeine Untersuchung mit Berücksichtigung der Anamnese ist da das
beste Mittel gegen Verlegenheitsdiagnose „chronischer Katarrh", die man
um so seltener macht, je mehr Erfahrung man besitzt. Doch selbst bei rigo-
rosestem Vorgehen findet man das Leiden sehr häufig. Die Ursachen sind
eben auch sehr verbreitet, wie aus der allgemeinen Aetiologie hervorgeht.
Der chronische Katarrh kann entweder als Residuum eines acuten be-
stehen bleiben oder er bildet sich langsam aus, ohne jemals ein acutes Sta-
dium gehabt zu haben, und ist bei Kindern seltener als bei Erwachsenen. Da
er nach der Statistik viel häufiger bei Männern als bei Frauen beobachtet
wird, so scheinen die Hauptursachen jene zu sein, welche hauptsächlich die
Männer berühren, i. e. Trinken, Rauchen, Aufenthalt in unreiner Luft, häu-
figere Temperaturwechsel und stärkere Anstrengung der Stimme.
Natürlich wird auch mithelfen eine grosse Empfindlichkeit der Schleim-
haut, wie man sie namentlich bei scrophulösen, anämischen etc. Individuen
findet, oder starke active oder passive Hyperämie der Schleimhäute. Auch
bei Mutation stellt sich nicht selten das Leiden ein. Der Umstand, dass die
chronische Pharyngitis so häufig die chronische Laryngitis begleitet, hat viel-
fach zur Ansicht geführt, dass die erstere Ursache der letzteren sei; etwas
Ahnliches behauptet man auch besonders in neuester Zeit von chronischen
Katarrhen und Pyorrhoen der Nase und des Nasenrachenraumes.
Man stellt sich das so vor, dass der Schleim oder Eiter, der in Nase oder
Nasenrachenraum secernirt wird, th eilweise auch in den Kehlkopf gelangt
und daselbst langsam eine Entzündung anregt. Auch wird das fortwährende
18-
276 LARYNGITIS CHRONICA.
Räuspern zum Zwecke der Entfernung der Schleimkrusten aus dem Rachen
und dem Nasenrachenraum eine oft wiederholte Erschütterung der Stimm-
bänder erzeugen und dadurch schaden. Andererseits aber ist es auch ganz
gut denkbar, dass ein Entzündungsprocess, der z. B. in der Nase begann,
langsam in die Tiefe schreitet, indem er sich per continuitatem ausbreitet.
Endlich sehen wir aber oft, dass Nase, Rachen und Kehlkopf zur selben Zeit
erkranken, z. B. bei Influenza und anderen Infectionskrankheiten, aber auch
bei einfachen Erkältungen, und dass dann später der Process überall chronisch
wird. Nach meinen Erfahrungen ist dieser letztere Modus der häufigere;
ScHRöTTER ist übrigeus auch dieser Ansicht. Natürlich wird sich die Be-
handlung immer auf alle erkrankten Gebiete zu erstrecken haben, sei ihre
Combination auf was immer für Ursachen zurückzuführen. So wird zum Bei-
spiele auch eine abnorm lange oder verdickte Uvula zu amputiren oder zu
ätzen sein, schon um den fortwährenden Reiz zum Husten oder Räuspern zu
beseitigen; übrigens muss ich constatiren, dass ich nur äusserst selten diese
Operation vorzunehmen hatte.
Anatomie. Sowohl der Spiegelbefund als auch Autopsien zeigen uns
Veränderungen in Bezug auf Farbe, Blutfüllung, Umfang, Absonderung und
Epithel bald einzelner Theile oder des ganzen Kehlkopfes. Häufiger als beim
acuten Katarrh ist die Veränderung nur umschrieben; besonders gerne werden
die Stimmbänder betroflen.
Die normaler Weise lichtrothe Farbe der Kehlkopfschleimhaut ist selten
unverändert, häutig intensiver, dunkler und ins Bräunliche spielend. Die
braunrothe, schinkenähnliche Färbung kommt wohl am häufigsten bei den
durch Syphilis bedingten Katarrhen vor, ja sie kann als sogenanntes Erythema
syphiliticum ohne alle anderen Abweichungen das einzige Symptom sein, so
dass der Process nicht einmal den Namen Katarrh verdient.
Es wäre aber ein schwerer diagnostischer Fehler, aus dieser Verfärbung
allein auf Syphilis zu schliessen, da sich ähnliche oder ganz gleiche Farben-
anomalien auch bei gewöhnlichem Katarrh und Tuberculose finden können.
Die de norma sehnig weissglänzenden Stimmbänder lassen natürlich alle Ab-
weichungen der Farbe am deutlichsten erkennen; manchmal zeigen sie eine
leichte, frischröthliche Farbe, wie bei acutem Katarrh, gewöhnlich aber sind
sie dunkler, bis braunroth, wie das der chronischen Blutüberfüllung entspricht.
Nicht selten sind sie grau und dabei meist etwas dicker und plumper, so dass
man mit Recht dann eine chronische Bindegewebswucherung annimmt. Geht
die graue oder grauröthliche Farbe in das Gelbe über, so rührt das von
Pigmentirung her oder ist ein Zeichen von beginnender heftiger Entartung
(Eppinger) und damit eine Warnung vor zu günstiger Prognose bezüglich der
Herstellung der Function. Die richtige Beurtheilung der beobachteten Fär-
bung des Kehlkopfes erfordert grosse Erfahrung und Rücksichtnahme auf die
Färbung der benachbarten Schleimhaut, da die Farbe selbst des gesunden
Kehlkopfes individuell sehr schwankt. Man hat also besonders zu achten,
ob das Individuum im allgemeinen blasse oder rothe Schleimhäute hat.
Auch die Art der Beleuchtung hat grossen Einfluss; bei Petroleum- und
Gaslicht sieht man gelb nicht, und ebenso treten die Nuancen des Roth nicht
scharf hervor. Am besten eignet sich für Feststellung feiner Farbendifierenzen
das diffuse Tageslicht, welches, durch einen concaven Reflector in den Kehl-
kopf geworfen, für diesen Zweck ausreicht.
Die Hyperämie kann bei alten Processen gelegentlich auch kaum merk-
bar sein, gewöhnlich aber ist sie in oben erwähnter Weise mehr weniger aus-
gesprochen. Recht häufig beobachtet man kleine ausgedehnte Gefässchen an
verschiedenen Stellen; namentlich an den Stimmbändern sind sie leicht zu
sehen. Grössere venöse Gefässe mit varicösen Erweiterungen sind dagegen
selten; ihr Lieblingssitz ist die obere Fläche der Epiglottis, woselbst ja auch
LARYNGITIS CHRONICA. 277
de norma ein makroskopisch sichtbares Veüennetz Ijesteht. An anderen
Stellen sind sie grosse Seltenheiten und werden z. B. von Duciiek als Folgen
chronischen Katarrhs, von M. Mackenzie als Producte einer passiven Hyper-
ämie durch Stauung erklärt, die mit Katarrh nichts zu thun habe.
Hämorrhagien sind selten; ihr Liebliugssitz sind die Stimmbänder, wo-
selbst sie als längliche, kirschrothe Streifen und Flecken auftreten.
Das Volumen der einzelnen Larynxtheile wird schon ents])rechend der
stärkeren Blutfüllung zunehmen, noch mehr aber durch Exsudation, sei es
seröser oder zelliger Natur aus den ausgedehnten Gelassen. Häufig sind des-
halb alle Contouren des Larynx plumper, abgerundet, die freien Kanten der
Stimmbänder w-erden abgestumpft, die Taschenbänder decken als dicke, vor-
springende Wülste die Stimmbänder theilweise zu, und die Gebilde des Kehl-
kopfeinganges werden massiger; ödematöse Infiltration des submucösen Ge-
webes ist selten, häufiger dagegen die Verdickung durch Rund- und Spindel-
zellen-Anhäufung, welch letztere schliesslich zu faserigem Bindegewebe sich
ausbilden. Der dadurch erzeugte Zustand von mehr gleichmässiger Ver-
dickung der Epiglottis, aryepiglottischen Falten und Taschenbänder wird nach
altera Sprachgebrauche als chronisches Oedem bezeichnet. Hohe Grade des-
selben sind jedoch bei Katarrh äusserst selten und erregen deshalb immer
den Verdacht, dass es sich um langwierige Geschwürsprocesse infolge von
Tuberculose, Syphilis etc. handle.
Häufiger als diese diffusen Verdickungen sind die umschriebenen, die
sich besonders gerne an den Stimmbändern und der Interarytänoidfalte loca-
lisiren. Sie betreffen entweder nur das Epithel und die oberflächlichsten
Lagen der Schleimhaut oder auch die tieferen Lagen. Was das Epithel
anlangt, so ist dasselbe sehr häufig aificirt. In den leichtesten Fällen ist es
nur getrübt, gequollen und gibt dadurch der Oberfläche eine matte Färbung;
häutig kommt es zur lebhafteren Proliferation, wobei die oberflächlichen
Schichten schneller als sonst abgestossen werden. Bei längerer Dauer der
Reizung wird das Epithel verdickt, und nicht selten bildet sich dann an ein-
zelnen Stellen das geschichtete, flimmernde Cylinderepithel nach und nach in
Plattenepithel um. Bekanntlich ist übrigens das Gebiet des Plattenepithels
im Kehlkopfe auch in gesundem Zustande wechselnd, wenn es auch gewöhn-
lich nur die wahren Stimmbänder, die Interarytänoidfalte und die äusseren
Flächen der Epiglottis und der hinteren und seitlichen Wand bekleidet
(Rheiner.) Es kann nämlich auch über die Ränder des Kehlkopfeinganges
in das Lumen hineingreifen, ja sogar mitten unter dem Flimmerepithel in
einzelnen Inseln auftreten; bei länger dauerndem Katarrhe aber beobachtet
man öfters eine weitere Verbreitung des Plattenepithels, so auf die Taschen-
bänder und auf die Innenfläche des ganzen Larynxlumens. Diese Verhält-
nisse wurden durch zahlreiche Arbeiten klargestellt, zu denen theilweise
ViRCHOw durch seine Untersuchung über Pachydermie die Anregung gegeben
hatte, so von Kanthak, R. Heymann, Forster, Doleris, Posner, 0. Chiari u. a.
Hand in Hand mit dieser Metaplasie und Verdickung des Epithels geht
auch eine vermehrte Abstossung von Epithel, w^elche theils in Schuppen, theils
in Lamellen erfolgt. Ebenso kommt es zu einer stärkeren Ausbildung des
schon vorhandenen Papillarkörpers oder zur Neubildung solcher Papillen an
Stellen, wo sie früher fehlten. Diese Verdickungen des Epithels und der
oberflächlichsten Schleimhautschichten finden nun am häufigsten an umschrie-
benen Stellen ihre stärkste Entwicklung, besonders gerne an dem vorderen
Drittel der Stimmbänder oder an den Processus vocales oder an der Plica
interarytaenoidea. Es entstehen dadurch kleine, flache oder halbkugelige
Knötchen am Rande des Stimmbandes, die man als Entzündungsknötchen oder
Sängerknoten bezeichnet, oder Verdickungen an den Processus vocales, oder
weisse, platte oder leicht gezähnelte Flecke an der vorderen Fläche der Plica
278 LARYNGITIS CHRONICA.
interarytaenoidea. Die Vorliebe dieser Stelleu, deutliche Verdickungen her-
vorzubringen, ist wohl darin begründet, dass diese Punkte bei der Phonation
besonders stark angestrengt, aneinandergepresst oder gezerrt werden. Das
dazwischen liegende Epithel ist auch, aber nicht so hochgradig verändert.
Dauert nun der Katarrh sehr lange, wirken besonders Missbrauch von Tabak
und Alkohol, sowie starke Stimmanstrengungen lange Zeit ein, so kommt es
an den Processus vocales zur Bildung von grösseren, rundlichen Wülsten, die
sich dann durch gegenseitigen Druck so verändern, dass schliesslich die ge-
dellten Wülste entstehen, welche Virchow zuerst als Pachydermia diffusa
typica beschrieben hat. Auch an der Plica interarytaenoidea kann es zu
grossen Wulstbildungen kommen. Diese Verhältnisse sind näher erörtert im
Artikel ..Pachijdermie'-'- , worauf hier verwiesen werden muss. Erwähnen will
ich hier nur, dass der chronische Katarrh nicht die einzige Ursache der
Pachydermie ist, sondern dass auch Tuberculose, Syphilis und alle anderen
chronischen Reizzustände gleiche oder sehr ähnliche Bildungen hervorrufen
können. Auch bemerke ich hier noch, dass bei diesen Bildungen nicht mehr
die oberflächlichen Schichten der Schleimhaut allein, sondern auch die tieferen
Lagen der Weichtheile betheiligt sind. Eine sehr seltene Form der Ver-
dickung der oberflächlichen Schichten ist die Chorditis tuberosa oder das
Trachom der Stimmbänder (Türck); sie ist charakterisirt durch das Auftreten
zahlreicher kleiner Knötchen von weisslicher, grauer oder röthlicher Farbe.
Ergreift die chronische Infiltration auch tiefere Schichten, so kann es
zu wulstigen Bildungen an den Stimmbändern kommen, die meist ziemlich
dunkel gefärbt sind; findet endlich eine umschriebene Hypertrophie aller
Schichten des Stimmbandes statt, so entwickelt sich eine faltige Verdickung,
die langsam zunehmend zu einem sogenannten weichen Fibrom heranwächst,
wie ich dies für eine grosse Reihe solcher Gebilde nachweisen konnte. (Siehe
Artikel ,,Fibroiite des Kehlkopfes''.)
In seltenen Fällen endlich kommt es zu Infiltration der unteren Stimm-
bandantheile oder der Weichtheile unmittelbar unter den Stimmbändern,
w^elche den Stimmbändern parallel liegen und röthlichgrau oder grau gefärbt
sind. Diese unter dem Namen Chorditis vocalis inferior hypertrophica chro-
nica zuerst von Gekhaedt beschriebene Form wurde später Hypoglotütis
chronica oder Laryngitis suhglottica genannt; sie ist jedoch meistens bedingt
durch den Skleromprocess (siehe .^BMnosklerom'-^) und wird nur in seltenen
Fällen durch Katarrh oder Tuberculose hervorgerufen.
Sie führt, wenn hochgradig entwickelt, zu einer langsam zunehmenden
Stenosirung des Larynxlumens, umsomehr, da sich die Verdickung auch manch-
mal auf die Plica interarytaenoidea erstreckt, und es im vorderen Stimm-
bandwinkel zu Verklebung der Wülste kommen kann.
Endlich sind auch die Schleimdrüsen beim chronischen Katarrh be-
theiligt, sie werden vergrössert und treten manchmal als hirsekorngrosse
Höckerchen hervor; meistens sondern sie einen zähen, fadenziehenden Schleim
in spärlicher Menge ab. In Form grauer Klürapchen zeigt sich das Secret
seltener. Diejenigen Formen, welche sich durch abundante Absonderung von
schleimig-eitrigem Secrete auszeichnen, hat Störk als chronische Blennorrlioe
abgesondert. Dieselbe nimmt nach ihm ihren Ausgang von der Nase, deren
Schleimhaut einer pyogenen Membran ähnlich wird; sowohl die Schleimhaut,
als auch die Muscheln atrophiren, so dass die Nasenhöhle viel weiter wird.
Der Process schreitet dann durch den Nasenrachenraum und den Rachen in
Kehlkopf und Luftröhre weiter und bedingt dort die schwersten Veränderungen.
Die starke Eiterabsonderung erzeugt nach Störk besonders im vorderen Glottis-
winkel einen Granulationsprocess, der sehr bald zur partiellen Verwachsung
der Stimmbänder führt; später kann es dann zu Schwellungen der ganzen
Schleimhaut und zu Stenosirung des Kehlkopfes und der Luftröhre kommen,
LARYNGITIS CHRONICA. 279
ohne dass im Nasenraume Auswüchse, Verwachsungen, Wucherungen, Schrum-
pfungen etc. entstehen. Stükk sondert diese Fälle, bei denen auch oft sub-
chordale Wülste vorkommen, wegen des eigenthümlichen Verhaltens der Nase
von dem Rhinosklerom ab, nennt sie aber doch Sklerome; er führt auch fünf
Fälle SoKOLOwsKi's an, bei denen trotz der Bildung von subchordalen
Wülsten im Larynx Rhinosklerombacillen nicht gefunden werden konnten,
und betont, dass er über die Aetiologie nichts aussagen könne.
Jedenfalls müssen erst weitere Untersuchungen die P>age von der Aetio-
logie der Blennorrhoe chronica und ihres Verhältnisses zum Rhinosklerom
klarlegen, umsomehr, da Ehinosklerom des Kehlkopfes nicht so selten ohne
Betheiligung der Nase und des Rachens vorkommt. Auch können subchor-
dale Infiltrate durch Tuberculose, Syphilis und andere Processe hervorgerufen
werden.
Endlich gibt es Fälle, bei denen ohne jede Wulstbildung im Kehlkoi)fe
das Secret in der Form von Krusten eintrocknet; diese Krusten haften fest
und können namentlich des Morgens nur mit grosser Mühe entfernt werden.
Dabei kommt es nicht selten zu kleinen Läsionen und Blutungen. Diese sehr
lästige Form fand ich immer nur bei Leuten, welche an atrophischer Rhinitis
und Pharyngitis mit Borkenbildung litten. Stöek nennt auch diese P'orm
chronische Blennorrhoe und beobachtete, dass die Larynxschleimhaut in eine
grüngelblichen Eiter absondernde Fläche umgewandelt war, w^elcher Eiter zu
Krusten eintrocknete, und dass sich auch hier später öfters die subglottischen
Infiltrate mit Stenose entwickelten. Lublin.ski und Gottstein dagegen
sprechen in solchen Fällen von einer wirklichen Atrophie der Schleimhaut
mit Untergang oder Degeneration vieler Drüsen, so dass der Process im
Larynx dem in der Nase und im Rachen verlaufenden ganz analog ist. Die
Schleimhaut ist hier anscheinend wenig verändert, nur blass und dünn.
LuBLiNSKi nennt diesen Zustand Laryngitis atrophica.
Geschwüre sind eine seltene Erscheinung bei chronischem Katarrhe; doch
kommen sie zweifellos vor, gewöhnlich wohl sind sie nur oberflächlich, oft
richtiger als Excoriationen zu bezeichnen. Ihr Lieblingssitz ist das Stimm-
band. Stöek fand sie sehr oft als verticale Einrisse in die Schleimhaut der
vorderen Fläche der hinteren Larynxwand, doch konnten sie die meisten an-
deren Laryngologen nur selten sehen.
Verhältnismässig häufig scheinen sich an den Stellen mit starker Epithel-
verdickung, wo wegen der starken Abschuppung leicht das Corium freigelegt
wird, Rhagaden zu bilden (namentlich bei der Pachydermia difiusa Viechow),
welche dann unter dem Einflüsse schwerer Erkrankungen namentlich gegen
das Lebensende hin zu tiefgreifenden Geschwüren werden (Ilbeeg.) Sonst
haben die Geschwüre katarrhalischer Art keine starke Reaction in der Um-
gebung und meist Neigung zu rascher Heilung. Nur der STöEic'scAe Schleim-
Jiautriss soll sehr hartnäckig der Behandlung widerstehen.
Symptome und Verlauf. Da die Intensität und Ausbreitung der ana-
tomischen Veränderungen sehr verschieden ist, werden auch die Beschwerden
des Patienten und die Krankheitserscheinungen sehr wechseln. Fieber wird
durch den Katarrh nie veranlasst. Schmerzen fehlen, dagegen kann Gefühl
des Trockenseins oder leichtes Brennen den Patienten belästigen. Husten-
reiz besteht nur bei Geschwürsbildung oder Anhäufung von fest haftendem
Secrete. Dagegen fehlt Räuspern fast nie, weil doch immer einiges Secret
zu entfernen ist; ja es kann dieser Drang zu räuspern den Patienten fast nie
verlassen und dadurch beinahe zur Verzweiflung treiben.
Die constanteste Erscheinung ist die Stimmstöruug. Sie kann sehr ver-
schieden sein: die Stimme ist manchmal rein, kräftig, aber ermüdet viel
früher als vorher. Der Spiegel zeigt dann nur leichte Hyperämie bei guter
Actionsfähigkeit der Stimmbänder; erst bei längerer Phonation zeigt sicli
280 LARYNGITIS CHRONICA.
der mangelhafte Schluss der Stimmritze. Eine reine, aber schwache Stimme
lässt auf mangelnde Spannung schliessen. Ob in solchen Fällen wirklich
Katarrh vorliegt, das entscheidet nur der Spiegel; denn es kann ja auch
Ueberanstrengung der Stimme oder allgemeine Erschöpfung diese Störungen
bedingen. Sehr häufig jedoch klingt die Stimme rauh, tiefer, oder es machen
sich erst beim Singen Störungen bemerkbar, indem einzelne Töne fehlen oder
unrein (namentlich in piano) klingen oder nicht gehalten werden können. Bei
stärkerem Katarrhe kommt es zu starker Heiserkeit oder sogar Aphonie.
Die Ursachen der Stimmstörung sind verschieden; sehr häufig handelt
es sich um Schwäche der Phonationsmuskeln, welche offenbar von dem Exsu-
dationsprocesse direct betroffen werden. Da gewöhnlich dieser Process beider-
seits gleich entwickelt ist, so ist die Form der etwas klaffenden Glottis meist
symmetrisch. Bei Parese der Musculi vocales lassen die Stimmbänder vor
den Processus vocales eine elliptische Lücke zwischen sich. Bei Transversus-
parese klafft die Glottis hinter den Processus vocales in Form eines Dreieckes,
bei Parese der Musculi cricoarytaenoidei laterales legen sich die Processus
vocales nicht ganz aneinander, so dass die Form der Glottis die betheiligten
Muskeln erkennen lässt.
Schleim, der gewöhnlich zähe, fadenziehend ist, stört die Stimme nur
vorübergehend, ausser wenn es sich um Krusten handelt, die sehr schwer
auszuhusten sind. Diffuse gleichmässige Verdickung der Stimmbänder macht
die Stimme tiefer und weniger modulationsfähig. Verdickte Taschenbänder
wirken dämpfend auf die Vibrationen der Stimmbänder. Umschriebene kleine
Knötchen am Rande der Stimmbänder können oft ohne Stimmstörung getragen
werden, machen aber nicht selten das Singen hoher Töne in piano unmöglich.
In seltenen Fällen sind sie Ursache dei Dij^hthonie.
Bedeutendere diffuse oder umschriebene Verdickungen stören fast immer
die Singstimme bedeutend; doch kann die Sprechstimme völlig ausreichen
(siehe ^.,Pac]iydermie'-^).
Athembeschwerden treten nur auf bei Bildung grosser diffuser Wülste,
so der subchordalen Infiltrate, u. z. in der Weise, dass sie sich sehr langsam
entwickeln. Dadurch gewöhnt sich das Individuum so sehr an das enge Lumen,
dass es trotz deutlichen Stridors sich selbst bei massiger Bewegung gar nicht
belästigt fühlt. Allerdings sind solche grosse Infiltrate bei Katarrh ausser-
ordentlich selten.
Das Schlingen ist höchstens bei hochgradiger Pachydermie oder bei
Skleromprocess behindert.
Diagnose. Die Diagnose wird sich auf die obigen Anhaltspunkte stützen;
natürlich ist sie nur mit dem Kehlkopfspiegel sicher zu stellen. Dabei ver-
säume man nie, den ganzen Larynx sorgfältigst zu besichtigen, und namentlich
den vorderen Antheil der Stimmbänder, wo gerade die sogenannten Polypen
so gerne sitzen. Dazu eignet sich am besten die Untersuchung des Patienten
bei stark nach rückwärts übergebeugtem Kopfe, wobei der Arzt natürlich zu
stehen hat. Bei dieser Vorsicht wird man nie einen Polypen übersehen.
Ferner mache man es sich zum Grundsatze, nach dem Kehlkopfe auch Nase
und Rachen zu untersuchen und den ganzen Organismus, weil so häufig Kehl-
kopfkatarrhe mit anderen Erkrankungen in Verbindung stehen.
Differentialdiagnostisch wären folgende Processe zu berücksichtigen:
1. Acuter Katarrh. Wie schon erwähnt, beruht der wesentliche
Unterschied nur auf Heftigkeit und Dauer der Erkrankung; deswegen könnten
ablaufende acute Katarrhe mit chronischen verwechselt werden, ebenso sehr
leichte acute Katarrhe. Man wird deshalb der Anamnese oft nicht entbehren
können. Durchschnittlich gelten als Zeichen des acuten Katarrhs diffuse,
frische, lichtrothe Färbung der Schleimhaut, rosiges Aussehen der Stimm-
bänder, starke Parese der Schliesser und zu Klumpen geballter Schleim.
LARYNGITIS CHRONICA. 281
Chronischer Katarrh zeigt oft dunklere, düstere Köthe, graue oder gelb-
liche, mehr weniger mit Koth gemischte Färbung der Stimmbänder, geringere
Parese der Stimmbänder und fadenziehenden Schleim.
Endlich spricht starke Heiserkeit und stärkere unangenehme Sensation
im Kehlkopf für acuten Katarrh. Etwa vorhandene Infiltrate umschriebener
Art sind bei acutem Katarrh roth, bei chronischem mehr grau und kommen
bei letzterem viel häufiger vor.
2. Tuberculose. Natürlich kann auch bei Lungentuberculose einfacher
Katarrh des Larynx auftreten; bestehen aber umschriebene oder diffuse Infil-
trate, so ist die Differentialdiagnose schwer; namentlich kleine flache Ver-
dickungen der Plica interarytaenoidea mit weisslicher Oberfläche (verdicktes
Epithel) können bei beiden Processen vorkommen; sie sehen bei der Anein-
anderbewegung der Aryknorpel durch Faltung der Unterlage oft so gezackt
aus, dass man sie für ulcerirt halten möchte. Doch erweisen sie sich bei
abducirten Aryknorpeln als platt.
Noch schwieriger ist die Beurtheilung typischer, pachydermischer Wülste
an den Processus vocales und an der Plica interarytaenoidea; dieselben werden
nämlich auch durch Tuberculose erzeugt. Als Kennzeichen tuberculöser
Wülste gilt die Ulceration, welche bei reiner Pachydermia meist fehlt. Auch
zeigen die durch Katarrh erzeugten Wülste an den Processus vocales deut-
licher die typische Schalenform.
Subchordale Wülste, durch Tuberculose veranlasst, sind meist stark roth,
oft unsymmetrisch entwickelt und häufig ulcerirt.
Ausserdem ist der Larynx tuberculöser Menschen meist ziemlich blass
und zeigt oft charakteristische Ulcera oder Perichondritis. Endlich wird die
Anamnese, die Lungen- und Sputumuntersuchung und in besonders schwie-
rigen Fällen die histologische und bacteriologische Prüfung eines Stückchens
des Infiltrates gewiss Aufschluss geben.
3. Syphilis. Das Erythema syphil. ist gewöhnlich durch seine
schinkenrothe Färbung auffallend, doch darf nicht vergessen werden, dass
auch bei Katarrh solche Färbung vorkommt und dass sie anderseits bei
Erythema syphiliticum fehlen kann. Gewöhnlich bestehen aber neben ihm auch
Röthung und Condylome im Rachen; dass zur Beurtheilung der Farben-
nuancen das diffuse Tageslicht an zweckmässigsten ist, wurde bereits hervor-
gehoben.
Subglottische Infiltrate sind bei Syphilis meist roth, bei chronischem
Katarrhe grau. Oberflächliche Ulcera syphilitischen Ursprunges sind häufig
symmetrisch an beiden Stimmbändern, hartnäckig und begleitet von Condylom-
bidung im Gaumen und Munde; auch sind ihre Ränder infiltrirt und ihr
Grund dick belegt. In Ermangelung dieser Momente wird die Anamnese und
genaue Körperuntersuchung jeden Zweifel beheben.
4. Rhinosklerom. Diese Erkrankung kommt nur in Frage bei dem
Vorhandensein subchordaler grauer oder grauröthlicher Wülste; die meisten
Autoren nehmen dann Rhinosklerom an, doch hat Störk hervorgehoben, dass
dies nur richtig sei, wenn auch in Nase und Rachen Wucherungen, Knoten,
narbige Retractionen und Verengerungen vorhanden sind. Besteht in der
Nase bloss Atrophie mit Blennorrhoe, so handelt es sich nicht um Rhino-
sklerom, sondern um die von ihm als chronische Blennorrhoe beschriebene
Erkrankung. Sokolov^^ski hat auch in fünf ähnlichen Fällen den Ehinosklerom-
bacillus vermisst. Jedenfalls wäre zur Diagnose immer die bacteriologische
Untersuchung nöthig, die übrigens grosse Vorsicht und Ausdauer nöthig
macht, da in alten Producten des Rhinoskleroms häufig die Bacillen fehlen.
Therapie. Da der chronische Katarrh oft aus einem acuten hervorgeht,
wird man natürlich das Auftreten des letzteren zu verhüten (siehe Aetiologie
und Prophylaxe des acuten Katarrhs) und jeden vorhandenen acuten Katarrh
282 LARYNGITIS CHRONICA.
völlig zu heilen haben. Besonders wichtig ist es, auch den kleinsten Ueber-
rest der acuten Erkrankung zu beachten, also jede Schädlichkeit noch durch
Wochen hindurch von dem Kehlkopfe fernzuhalten und jede Hyperämie, Ver-
dickung und SecretionsvermehruDg durch locale Behandlung zu beseitigen.
Das ist um so wichtiger, als acute Katarrhe sich gerne wiederholen und den
ganzen Kehlkopf immer mehr empfindlich machen.
Andererseits kann aber durch lange Einwirkung der eingangs erwähnten
Schädlichkeiten der Kehlkopf ganz allmählich ohne acutes Stadium solche Ver-
änderungen acquiriren, welche den chronischen Katarrh charakterisiren; die
Prophylaxe wird dann in Abhaltung obiger Noxen bestehen, als deren wich-
tigste ich nenne Aufenthalt in staubiger, schlechter Luft, schnellen Wechsel
der Temperaturen, Missbrauch von Tabak und Alkohol, Ueberanstrengung
oder unzweckmässigen Gebrauch der Stimme, dann in Beseitigung von
Katarrhen und anderen Erkrankungen der benachbarten Schleimhäute, in
Herstellung freier Nasenathmung, in Behebung von Stauungen in den oberen
Luftwegen, in Kräftigung des ganzen Organismus, in Erhöhung seiner Wider-
standskraft durch Aufenthalt in klimatischen Curorten, hydrotherapeutische,
gymnastische Curen etc., wovon schon die Rede war.
Die Behandlung des schon bestehenden chronischen Katarrhs wird ausser
diesen Factoren noch besonders die localen Eingriffe zu berücksichtigen haben.
Einathmungen von Dämpfen mit Zusatz von aromatischen Oelen oder
Narcoticis oder Balsamen haben keinen besonderen Erfolg. Dagegen em-
pfehlen sich Zerstäubungen, u. zw. besonders mit Hilfe der kalten Zerstäuber.
Die mit Dampf betriebenen Sprays nämlich bedingen immer die Gefahr der
Explosion des Dampfkessels, wenn sie nicht fortwährend revidirt werden,
haben aber sonst keine Vortheile. Zur Zerstäubung verwendet man halb-
procentige Lösungen von Kochsalz oder Soda, wenn besonders der zähe Schleim
belästigt, l7o Tannin- oder Alaunlösungen bei Hyperämie und Schwellung,
P/q Kali chloricum, Pj^ Carholsäure^ Liquor Burrowi mit lOmal soviel Wasser,
1 — 5^0 Natrium henzoicum als Desinficientien bei eitriger Absonderung,
Morphin, Opium und Cocain bei Hustenreiz; Vaselinöl rein oder in 107o
Emulsion wird ebenso wie bei acutem Katarrhe angezeigt sein.
Diese Inhalationen wirken natürlich nur langsam, da die Lösungen sehr
verdünnt sind und nur kurze Zeit auf die erkrankte Schleimhaut einwirken.
Sie empfehlen sich daher nur bei leichten Erkrankungen oder als Unter-
stützung wirksamerer Methoden oder zur Behandlung solcher Kranken, welche
ferne vom Arzte wohnen.
Etwas energischer wirken schon die Einspritzungen von Lösungen in
den Kehlkopf selbst; dazu bedient man sich einer kleinen Spritze mit langer,
entsprechend gekrümmter Röhre aus Hartkautschuk als Ansatz. Eingespritzt
werden namentlich bei Borkenbildung ^2 — 2 cm^ P/o Lösungen von Bicarbonas
Sodae oder 2 — IO^Iq Lösungen von Menthol in Oleum olivarum oder Oleum
Vaselini.
Man lässt sie langsam einträufeln und bemerkt dabei nur geringen
Hustenreiz, selbst wenn die Flüssigkeit auch in die Luftröhre eindringt. Der
Erfolg ist der, dass der Schleim sich anfeuchtet und leichter ausgeworfen wird.
Von der Einblasung adstringirender Pulver macht man zweckmässig
Anwendung bei Röthung oder Schwellung der Schleimhaut; Tannin und Alaun
in feinst pulverisirter Form stehen am meisten in Gebrauch. Bei Geschwürs-
bildung wirkt Jodoform oder die Substitute desselben Jodol, Dermatol, Eü-
rophen, Äristol und Nosophen, reinigend, reizmildernd und oft auch heilend.
Gegen Hustenreiz bewährt sich neben innerlicher Verwendung der Nar-
cotica die schon beim acuten Katarrh erwähnte Mischung von Morphin und
Milchzucker. Von Ärgentum nitricum dagegen, welches in Mischung mit
LARYNGITIS CHRONICA. 283
Amylum gegen Hyperämie und Schwellung empfohlen wird, habe ich keine
Erfolge gesehen.
Alle diese Mittel reichen übrigens nur aus bei leichten Katarrhen; bei
schwereren Formen muss man zu Bepinselungen greifen. Dieselben erfolgen
bei Hypertrophie der Gewebe mit adstringirenden Lösungen; zu Grunde liegt
dieser Therapie die Absicht, in dem chronisch verdickten Gewebe eine frische
Entzündung, einen lebhafteren Stoffwechsel anzuregen, welcher im Stande ist,
die Aufsaugung der Exsudate anzuregen. Der nächste Effect einer solchen
Pinselung, z. B. mit dem am häufigsten angewendeten Argentum nitricum in
2 — 10% Lösung, ist starker Hustenreiz oder sogar ein Glottiskrampf. Dann
folgt starkes Brennen im Halse, welches durch einige Minuten, manchmal
aber sogar Stunden lang anhält. Später bleibt noch Fremdkörpergefühl und
Neigung zum Räuspern über, bis endlich jede Pteizung schwindet. Mit dem
Spiegel beobachtet man starke Hyperämie und Schleimabsonderung, welche
langsam abnimmt. Gewöhnlich nimmt man die Pinselungen täglich vor
während einiger Wochen, untersagt während dieser Zeit jede Anstrengung
der Stimme und lässt dann den Patienten noch zwei Wochen sich schonen,
damit die acute Entzündung, die Folge der Pinselungen, völlig ablaufen kann.
Ergibt nun nach dieser Frist der Spiegel die Rückbildung der Infiltrate und
ist auch die Function wieder in Ordnung, so kann der Patient seine ge-
wohnte Thätigkeit wieder beginnen. Anderenfalls müsste noch eine Serie
von Pinselungen stattfinden.
Jedenfalls hüte man sich aber, Monate lang ununterbrochen täglich den
Kehlkopf zu bepinseln, weil der Patient noch über Stimmstörung klagt; denn
während der Pinselcur ist die Stimme nie rein und kräftig, und zu lange
fortgesetzte Pinselungen können geradezu chronische Entzündungen hervor-
rufen.
Man beginnt mit einer 2°/o Lösung und gebraucht dieselbe so lange,
als sie noch eine Reaction hervorruft; dann geht man zu 4 und 67o Lösungen
über; stärkere sind selten nöthig.
Um den Glottiskrampf, der ja bei Herzleiden oder schweren Lungen-
affectionen nicht unbedenklich ist, zu vermeiden, stumpfe man den Larynx
durch Einathmungen von Tanninlösungen und dann durch Einblasungen von
Alaun oder Tannin in Pulverform einige Tage lang ab und beginne dann
erst mit den Pinselungen. Manchmal nützen auch sehr tiefe und schnelle
Einathmungen unmittelbar vor dem Eingriffe; bei besonders empfindlichen
Personen könnte auch vorhergehende Anästhesirung durch Cocain erfolgen.
Jedenfalls verweile man bei der ersten Pinselung nicht zu lange mit dem
Pinsel im Larynx; später aber führe man den Eingriff energisch, aber ohne
Gewalt aus. Trotz aller Schonung kouimt es aber öfter zu kleinen Blutungen,
namentlich in das Gewebe der Stimmbänder, oder zu kleinen Aetzschorfen
ebendort oder an der hinteren Fläche des Kehldeckels.
Diese beiden Vorkommnisse sind ohne Bedeutung, zwingen uns aber,
die Pinselungen auszusetzen, bis sie abgeheilt sind. Während dieser Zeit
sind Einathmungen von adstringirenden Lösungen angezeigt; Tannin, Alaun
und Zincum chloratum werden auch in circa lO^o Lösungen verwendet,
wirken aber nicht so gieichmässig wie Silbernitrat. Dagegen empfehlen einige
Autoren Jod- Jodkali-Glycerin- Lösung als Ersatz des Silbers, wenn die Schleim-
haut gegen das letztere Mittel abgestumpft ist. Ich habe von dem sogenannten
Jodglycerin nur bei Laryngitis sicca mit Borkenbildung gute Erfolge gesehen,
da es die Borken löst und die zur Atrophie neigende Schleimhaut wohlthätig
zu beeinflussen scheint.
Bei bedeutender diffuser Verdickung leistet auch manchmal Jodtinctur
gute Dienste.
284 LARYNGOSKOPIE.
Bei umschriebenen Hypertrophien dagegen empfiehlt sich mehr die ganz
localisirte Aetzung; mau führt dieselbe am besten aus mit einem ge-
deckten Aetzmittelträger, der mit Lapis (Argentura nitricum) in Substanz
armirt wird, u. zw. nach vorhergeschickter Anästhesirung mittelst Cocain,
damit man nur den ins Auge gefassten Punkt ätze und nicht vielleicht wegen
Unruhe des Patienten auch andere treft'e. Diese Therapie eignet sich be-
sonders für die sogenannten Sängerknötchen der Stimmbänder, für Epithel-
verdickungen der Plica interarytaenoidea und für isolirte Verdickungen der
Taschenbänder.
Von der Behandlung der Pachydermia und der als Geschwülste impo-
nirenden umschriebenen Hypertrophien ist in den Pachydermie und Kehl-
kopfneubildungen behandelnden Artikeln die Rede.
Subglottische Wülste, welche das Lumen langsam verengern, sind sehr
geeignet zur Durchführung der ScHRöTTER'schen Dilatationsmethode mit den
dreikantigen Hartkautschukröhren. Diese Röhren werden in das verengte
Lumen unter Leitung des Spiegels eingeführt und bis zu V2 Stunde daselbst
belassen. Sie bringen nun durch Druck die Wülste zum langsamen Schwinden,
so dass in 1 bis 2 Monaten das Lumen genügend weit ist. Da die meisten
Patienten das Selbsteinführen der Röhren bald lernen, so kann auch die
Wiederkehr der Wülste, die sonst sehr häufig erfolgt, verhindert werden,
wenn der Patient sich selbst öfters bougirt.
Die Intubation nach O'Dwyee ist auch bei diesem Processe ver-
wendbar und hat den Vorzug, dass die Tuben tagelang liegen bleiben können;
sie wird aber nicht von dem Patienten erlernt und eignet sich daher nicht
zur Verhütung von Recidiven.
Ist die subglottische Stenose hochgradig, so wird man nicht selten
tracheotomiren müssen, und kann dann nachträglich durch die Schröttee-
schen Bolzen die Dilatation versuchen. Endlich hat man auch öfters nach
Laryngofissur die Wülste exstirpirt und so die Stenose beseitigt; ob mit
bleibendem Erfolge, darüber ist noch kein abschliessendes Urtheil abzugeben,
da ja der Verlauf der sogenannten Sklerome des Larynx, seien sie nun, wie
Stöek für viele Fälle glaubt, durch chronische Blennorrhoe oder durch den
Rhinosklerombacillus veranlasst, ein sehr langwieriger ist. Es kommt zu oft-
maligen Nachschüben, ja völlig exstirpirte Wülste oder Knoten können rela-
tiv schnell nachwachsen. Andererseits aber beobachtet man auch manchmal
ein allmähliches Erlöschen des Processes, wenn auch erst nach vielen Jahren.
Anhang: Laryngitis submucosa chronica. Diese von einigen
Autoren als selbständige Form hingestellte Erkrankung wurde im Vorstehenden
erörtert. Sie hat ihren Grund in verschiedenen Erkrankungen, als Katarrh,
chronische Blennorrhoe, Rhinosklerom, Tuberculose, Syphilis, Lupus, Lepra
und anderen chronischen Processen und ist daher als Symptom und nicht als
selbständige Krankheit aufzufassen.
Die Laryngitis herpetica, erysipel atosa und phlegmonosa
sind unter den entsprechenden Stichworten in diesem Bande erörtert, chiaei.
Laryngoskopie. Die Laryngoskopie, d. h. die Besichtigung des
Kehlkopfes mittelst eines Spiegels, geschieht in der Weise, dass man auf
einen in den Rachen des zu untersuchenden Patienten eingeführten kleinen
Spiegel Licht so einfallen lässt, dass die abgelenkten Lichtstrahlen senkrecht
nach unten in den Kehlkopf fallen und auf demselben Wege zurück und vom
Spiegel in das Auge des Beobachters; damit empfängt derselbe natürlich
gleichzeitig das Spiegelbild des Larynxinnern. Nachdem schon früher man-
cherlei Versuche, dasselbe zu erhalten, mit mehr oder weniger Erfolg gemacht
und meist wieder aufgegeben waren, gelang es Türck, die jetzt allgemein
übliche Methode auszubilden; aber wahrscheinlich wären seine Resultate eben-
LARYNGOSKOPIE.
285
falls der Vergessenheit anheimgefallen, hätte nicht
CzERMAK mit unermüdlicher Ausdauer und zähem Fleiss
die Methode weiter entwickelt und für ihre Propagation
gesorgt.
Der in den Rachen einzuführende Kehlkopfspie-
gel ist ein kleiner runder, unter einem Winkel von ca.
120", gegen seinen Stiel geneigter, gewöhnlich aus Glas
gefertigter Spiegel (s. Fig. 1); der Stiel ist in einem
Heft mit Schraube oder auf andere Weise befestigt.
Kleinere Spiegel verwendet man bei Kindern, oder wenn
z. B. hypertrophische Tonsillen die Einführung eines
grösseren verhindern. Gewöhnlich benutzt man mittel-
grosse, die in der Grössenscala von 1 — 5 die Nummer
3 oder 4 tragen.
Der Patient sitzt bei der Untersuchung vor und
neben der Lichtquelle; letztere befindet sich links von
demselben, wenn man den Reflector sich vor das rechte
Auge stellt und umgekehrt.
Der Reflector (s. Fig. 2), ein Hohlspiegel von 9 bis
10 cm Durchmesser und ca. 20 cm Brennweite, ist an einem
Bande befestigt, das der Untersucher um den Kopf
schnallt oder an einem über den Kopf zu legenden
Metallreifen, und wird so eingestellt, dass man mit dem
Auge, vor dem er sich befindet, durch seine centrale
Oeffnung hindurchsieht. Das mit dem-
selben von der Lichtquelle aufgefangene
Licht wird nun in den Rachen reflec-
tirt, so dass unser Auge, das sich im
Mittelpunkte des vom Reflector ausge-
henden Lichtkegels befindet, gleichsam
zu einem selbstleuchtenden Körper wird
und wir den Rachen hell erleuchtet
sehen.
Das Flammenbild soll nun von
dem Hohlspiegel soweit reflectirt wer-
den, dass es in den Kehlkopf fällt
(s. Fig. 3). Da unser Auge ca. 14 cw
von der Mundöffnung des Kranken ent- Figur 2.
fernt ist, und die Entfernung von die-
ser bis zu dem im Rachen eingestellten
Kehlkopfspiegel ebenso wie die Distanz
von diesem bis zu den Stimmbändern
je ca. 8 cm misst — in summa also 30 cm,
müsste zur hellen Beleuchtung der letz-
teren das Flammenbild in eine Ent-
fernung von 30 cm geworfen werden.
Wir brauchen nun aber für die Be-
leuchtung des relativ kleinen Kehlkopf-
spiegels nur einen kleinen Lichtkegel
und wollen ein möglichst intensives
Licht haben; beides erreichen wir, wenn
wir das umgekehrte verkleinerte
Flammenbild benutzen. Dieses liegt nun
jenseits des Brennpunktes und inner-
halb der doppelten Brennweite, d. h. Figur 3
Figur 1.
268
LARYNGOSKOPIE.
also zwischen 20 und 40 cm, also ca. 30 cm. Unser Auge ist vom Kehlkopf-
spiegel ca. 22 cm entfernt, es muss demnach die Lichtquelle hinter dem
Patienten stehen. (IJezüglich der Lichtquellen siehe „Phcinjngoslxopie'' .)
Der Kranke hält den Kopf ein wenig nach hinten geneigt, öffnet den
Mund möglichst weit und fasst die weit hinausgestreckte Zunge mittelst
Daumens und Zeigetiugers der rechten Hand so, dass der erstere der beiden
mittelst eines Taschentuchs bedeckten Finger unter, der letztere über die
Zunge zu liegen kommt. Nimmt der Untersucher die Zunge, wie es bei manchen
ängstlichen oder un-
geschickten Patien-
ten im Anfang nö-
thig, so liegt der
Daumen oben und
der Zeigefinger un-
ten (s. Fig. 4).
Nun erwärmt
man den Kehlkopf-
spiegel, damit er
sich nicht infolge der
feuchtwarmen Ex-
spirationsluft im
Munde beschlägt,
und zwar hält man
die Spiegelseite über
die Flamme der
Lichtquelle oder
eines Spirituslämp-
chens, weil, erhitzte
man die metallene
Rückseite des Spie-
gels, es lange Zeit
in Anspruch nehmen
würde, bis auch die
Glasseite erwärmt wäre, und man ausserdem durch Ueberhitzen der ersteren
leicht die Rachenschleimhaut verbrennen könnte. Um dies zu vermeiden,
prüft man an der Rückseite seiner linken Hand oder an der Wange die Tem-
peratur, die so hoch sein soll, dass die Haut dabei ein angenehmes Wärme-
gefühl empfindet.
Nachdem man nunmehr mit dem Reflector das Licht auf das Velum
geworfen, führt man den lose, nach Art einer Schreibfeder, in die rechte Hand
genommenen Kehlkopfspiegel vom linken Mundwinkel des Patienten so ein,
dass er bei durch Anlauten von „äh" gehobenem Gaumensegel die Uvula auf
seine Rückseite aufladet und nach hinten und oben drängt, während der Stiel
im linken Mundwinkel liegen bleibt (s. Fig. 5).
Der Stiel hat also die Richtung von links unten nach der Mitte und
oben; diese schräge Richtung ist nothwendig, weil nur so der Spiegel mehr
der Horizontalen angenähert werden kann; läge der Stiel horizontal, so wäre
er 120" gegen die wagerechte Ebene geneigt und würde zu senkrecht stehen,
um das Licht in den Kehlkopf zu werfen; vielmehr würde es zu weit nach
vorne gelangen.
Die Einführung des Spiegels geschieht mit leichtem, allmählich zu-
nehmendem Druck gegen das Velum; stossweise oder unzarte Bewegungen,
sowie die Berührung der hinteren Rachenwand reizen den Patienten zum
Würgen. Man kann, um den Spiegel ruhiger zu halten, den Mittel- oder
kleinen Finger auf das Kinn oder die Wange des Patienten stützen, während
Figur 4.
LARYNGOSKOPIE.
287
Figur 5.
die linke Hand nöthigenfalls durch Drehung des Keflectors das Licht richtig
einstellt.
Man muss den Kehlkopf sowohl bei der Phonation — indem man den
Patienten „äh" sagen lässt — als auch bei ruhiger Ptcspiration untersuchen,
damit man die
Beweglichkeit
der Stimmbänder
controliren, resp.
die hintere La-
rynxwand und die
subglottische Re-
gion besichtigen
kann.
Wir können
nun das Licht
mehr nach vorne
oder mehr nach
hinten fallen las-
sen. Wie schon
oben angedeutet,
sehen wir weiter nach vorne,
wenn wir den Spiegel senk-
rechter stellen, d. h. den Grift
mehr heben, und mehr nach
hinten im umgekehrten Falle.
Da der Einfallswinkel gleich
dem Ausfallswinkel ist, wird das
von vorne auf den mehr senk-
recht gestellten Spiegel fallende
Licht mehr nach vorne, das auf
den mehr horizontal gestellten fallende mehr nach
hinten reflectirt. Oder aber, fixiren wir den Spiegel
und verändern wir unsere Sehaxe, so wird, wenn wir
dieselbe heben, das Licht unter einem spitzeren Win-
kel einfallen, also auch in einem um so spitzeren
nach hinten, d. h. weiter nach hinten reflectirt wer-
den, während wir mehr die vordere Partie des Kehl-
kopfes sehen werden, wenn wir die Sehaxe senken.
Umgekehrt also, sehen wir im Spiegel den Zun-
gengrund, d. h. zu weit nach vorne, so steht der
Spiegel zu senkrecht, wir müssen den Griff senken,
sehen wir andererseits die Spitzen der Aryknorpel,
so müssen wir ihn heben.
Drehen wir den Spiegel in der Axe seines Stiels,
so dass der von uns aus gesehene linke Rand geho-
ben wird, so sehen wir mehr die rechte Seite des
Kehlkopfes im Spiegelbilde, etwa den Sinus pyri-
formis und ebenso umgekehrt.
Hat man mit der rechten Hand die für die
Untersuchung nothwendige Dexterität sich ange-
eignet, so beginne man die Uebungen mit der linken
Hand, da die linkshändige Untersuchung füi' die
Behandlung nothwendig wird, bei der die rechte Hand das für dieselbe
bestimmte Instrument führt.
Figur 6.
288
LARYNGOSKOPIE.
Will mau einem ;iücleren das laryugoskopische Bild demon-
striren, so hängt man einen NoLTENius'schen Gegenspiegel an dem Retiector
auf, so dass der dem Uutersucher gegenüberstehende Beobachter oder der
Patient in dem Gegenspiegel das aus dem Laryngoskop in ihn hineingewor-
fene Bild sieht. Bei Sonnenlicht benutzt mau einen Planreflector und
lässt den zweiten vis-ä-vis stehenden Beobachter neben dem Sonnenlichtstrahl
in den Reflector hineinsehen. Bei künstlichem Licht benutzt man auch, um
mit der untersuchenden Hand dem neben dem Untersucher stehenden Mit-
beobachter den Einblick in den Mund, resp. den Kehlkopfspiegel, nicht zu ver-
wehren, das jüngst von B. Fränkel angegebene Laryngoskop, bei dem der
Handgriff in einem stumpfen Winkel zum Spiegelstiel steht (s. Fig. 6); man
fasst dann das Heft in die Faust.
Will man seinen eigenen Kehlkopf besichtigen (Autolaryngoskopiej,
so wirft man mittelst eines Reflectors das Licht in seinen Rachen, stellt den
Kehlkopfspiegel in vorschriftsmässiger Weise ein und beobachtet in einem
vis-ä-vis gestellten Planspiegel das in ihn aus dem Kehlkopfspiegel reflec-
tirte Bild.
Die Schwierigkeiten bei der Laryngoskopie schwinden mehr und
mehr mit zunehmender LTebung; allein gewisse Hindernisse sind zuweilen auch
für den Geübteren vorhanden.
Ist die Zunge zu fleischig, so dass sie nur einen schmalen Spalt
für den Einblick in den Rachen lässt, so kann man sie noch mit einem Spatel
herunterdrücken. Ist der Patient sehr empfindlich und leicht zum Würgen
geneigt, so gehe man, sobald er würgt, mit dem Spiegel aus dem Rachen; ge-
wöhnlich stumpft sich die Empfindlichkeit nach mehrmaliger Wiederholung
der Untersuchung ab. Schlimmsten Falls macht man die Rachenschleimhaut
durch Bepinselung mit 10 — lö^o Cocainlösung unempfindlich.
Ein zu langes Zäpfchen, das leicht vor den Spiegel fällt, dränge man
mit dem Spiegel seitwärts oder halte es durch einen grossen Spiegel zurück.
Tritt die hintere
3 c^ll *.
Rachen wand (Lordose)
weit hervor, so kann sie
ein Hindernis abgeben für
den Eintritt der nach un-
ten gerichtetenLichtstrah-
len in den Kehlkopf; lässt
man den Patienten dann
den Kopf nach vorne nei-
gen, so hilft man dem
Uebelstande gewöhnlich
in ausreichendem Maasse
ab. Liegt die Epiglot-
tis zu weit nach hin-
ten über und verschliesst
gewissermaassen den La-
rynxeingang, so lasse man
den Kranken „i" sagen
oder einen hohen Ton singen; dann richtet sich der Kehldeckel auf.
Bei Kindern, deren Epiglottis gewöhnlich eine mehr horizontale Lage
hat, erleichtert man sicli den Einblick in den Larynx sehr oft, wenn man
die kleinen Patienten während der Untersuchung tiefe, seufzende Inspirationen
machen lässt.
Die Betrachtung der hinteren Larynxwand, die gewöhnlich per-
spectivisch stark verkürzt erscheint, kann in befriedigender Weise durch
die sog. KiLiAN'sche Methode ermöglicht werden. Der Patient neigt seinen
Vordere Pliarjjnxtcand
Figur 7.
LARYNGOSKOPIE.
289
Kopf Dach vorne über, wobei auch die hintere Larynxwand vornübergeneigt
wird; das Ange des Üntersuchers befindet sich möglichst tief unter dem
Munde des Kranken, während der Patient steht, kniet der Untersucher
vor ihm.
Das laryngoskopische Spiegelbild scheint so weit hinter dem
Spiegel zu liegen, wie der gespiegelte Gegenstand, der Larynx, unter dem-
selben sich befindet; aus der wagerechten Ebene werden die iur unsere Orien-
tirung wichtigen Stimmbänder in eine der Spiegelebene entsprechende, Tb"
zur Horizontalen geneigte, von vorne oben nach hinten unten abfallende
Ebene verlegt; was demnach im Kehlkopf vorne ist, sieht man im Spiegel
oben, was hinten ist, unten. Oben sehen wir demnach den Zungengrund, die
Epiglottis, die vordere Commissur, den Vereinigungswinkel der Stimmbänder,
unten im Spiegel die hinteren Partien, die Aryknorpel und die Basis des
Glottisdreiecks. Was wir ferner auf der rechten Seite im Spiegel sehen, d. h,
auf der linken Seite des Patienten, ist seine linke Kehlkopfseite, und was
wir auf seiner rechten Seite sehen, seine rechte.
Wir sehen im Spiegel (s. Fig. 7) den hügeligen Zungengrund, dessen
einzelne halbkugelige Balgdrüsen im Centrum eine kleine schlitzförmige, der
Mündung des Drüsenausführungsganges entsprechende Oeffnung zeigen. Vom
Zungengrunde verlaufen zur Epiglottis in der Mittellinie das Lig. glosso-epi-
glotticum medium und lateralwärts beiderseits je ein Lig. glosso-epiglotticum
laterale; zwischen diesen Bändern befindet sich jederseits die Vallecula.
Die bei Kindern seitlich zusammenge-
drückte, bei Erwachsenen meist flachere Epiglot-
tis lässt manchmal am Rande den Knorpel gelb-
lich durchscheinen. Von der Epiglottis verlau-
fen lateralwärts in die seitliche Pharynxwand je
eine Plica pharyngo-epiglottica, nach hinten zu
den Aryknorpeln und so den Kehlkopfeingang
seitlich und nach hinten begrenzend, die Lig. ary-
epiglottica; nach hinten schliessen die Aryknor-
pel und die zwischen ihnen liegende hintere
Wand — Piegio interarytaenoidea — das Bild ab.
Am deutlichsten springen die gewöhnlich
weissen, selten rosa aussehenden Stimmbänder
in die Augen; sie legen sich bei der Phonation
in der Mittellinie aneinander (s. Fig. 8), so dass
die Rima glottidis bis auf einen linearen Spalt
geschlossen ist, und gehen bei ruhiger Respi-
ration auseinander. Bei tiefer Inspiration ist
es oft möglich, die Trachea bis zur Bifurcation
und den Eingang in die Bronchien zu sehen Pigxir 9.
(s. Fig. 9). Am Processus vocalis, dem am
weitesten nach vorne in die Substanz der Stimmbänder sich vorschiebenden
Theil des Aryknorpels, sieht man oft einen vom elastischen Gewebe herrühren-
den gelben Fleck — Macula lutea. Oberhalb der vorderen Commissur
der Stimmbänder bemerkt man nicht selten das prominente, lebhaft rothe
Tuberculum epiglottidis; nach hinten verlaufen sie zu den Aryknorpeln, die
sich mit der adductorischen Bewegung derselben nach innen und bei der
Respiration wieder nach aussen drehen. Die Spitzen der Aryknorpel, die
SANTORiNi'schen Knorpel, sind gewöhnlich lebhafter roth als die übrige Larynx-
schleimhaut. Seitlich von ihnen sieht man in den aryepiglottischen Falten
als kleine Höckerchen die WEiSBEEG'schen Knorpel.
Oberhalb der Stimmbänder und etwas nach aussen macht sich jeder-
seits ein Schlitz bemerkbar, der Eingang in den Ventriculus Morgagni, ober-
Ohren-, Nasen-, Bachen-, Kehlkopfkranklieiten.
19
290
LARYNX KRISEN.
halb dessen die rothen dicken Wülste der Taschenbänder — Lig. glottidis
spuria — liegen.
Seitlich von den aryepiglottischen Falten — von ihnen medianwärts be-
grenzt — liegt jederseits ein Sinus pyriformis, den nach vorne die pharyngo-
epiglottische Falte umschliesst, Avährend die seitliche Begrenzung die seit-
liche Pharynx^vand übernimmt und seine hintere Wand dem seitlichen Theil
der hinteren Eachenwand entspricht. Er bildet den Eingang in den tiefsten
Theil des Rachens, resp. in den Oesophagus.
KiRSTEiN hat uns gezeigt, dass man bei
'^^ einer gewissen Zahl von Patienten im Stande
ist, direct, d. h. ohne Anwendung eines Spiegels,
den Kehlkopf zu sehen; er nennt diese Unter-
suchungsmethode die Autoskopie. Der Kranke
sitzt vor dem Arzte auf einem Stuhle mit vorne
übergeneigtem Oberkörper und legt den Kopf
in den Nacken, um, so weit es ihm eben mög-
Figur 10. I lieh, die Mundöffnung in die Richtung des Luft-
rohres zu bringen. Wenn der Patient nun sei-
nen Mund öffnet, so verwehrt uns noch die
^j Zunge, insbesondere der Zungengrund, den Ein-
blick in den Larynx; wir müssen denselben da-
her nach vorne ziehen, um den stumpfen Winkel auszugleichen, den der Zuü-
genrücken mit der Axe des Kehlkopfes bildet. Dies geschieht durch einen
eigens für diesen Zweck construirten Spatel, der gewissermaassen eine Com-
bination des FRlNKEL'schen Spatels mit dem REiCHERT'schen Epiglottisheber
darstellt (Fig. 10) und so gleichzeitig ein Aufrichten des Kehldeckels gestat-
tet. Zur Beleuchtung benutzt man einen Stirnspiegel oder eine elektrische
Lampe.
Wenn der Patient „autoskopirbar" ist, so sehen wir die hintere Larynx-
wand ilächenhaft vor uns liegen; ferner kommen die hinteren ^/g der Stimm-
bänder zur Anschauung, selten die vordere Commissur.
Die Autoskopie wird zweifellos schwerer ertragen als die Laryngoskopie;
sie hat von letzterer ausnahmsweise bei Kindern, besonders für endolaryngeale
Operationen, einen Vorzug, kann aber im allgemeinen natürlich nicht mit ihr
concurriren. a. eosenberg.
Larynxkrisen. Aetiologie und Pathogenese. Es ist anzunehmen,
dass sich besonders im Beginne der Tabes die Centren für die Glottisveren-
gerer in einem latenten Zustande höherer Erregbarkeit befinden, so dass psy-
chische und periphere Reize, welch letztere hauptsächlich vom Kehlkopfe,
manchmal auch von der Nase, dem Rachen, dem äusseren Gehörgange, der
Haut aus zu diesen Centren gelangen, ganz extravagante Reactionen im
Kehlkopfe hervorrufen. Aeussere Gelegenheitsursachen sind u. a. die Be-
rührung von kalten Gegenständen, heisse Speisen und Getränke, Sprechen,
Druck auf die OppENHEm'sche Stelle am Innenrande des Kopfnickers.
Symptome. Die leichten Anfälle bestehen in einem plötzlichen heftigen
Husten, mit oder ohne tönende Inspiration. In schwereren Fällen geht dem-
selben irgend ein unangenehmes reizendes Gefühl im Halse mit nachfolgendem
Zusammenschnüren und furchtbarer Beklemmung voraus, worauf der Husten-
krampf mit langgezogener In- und kurzer Exspiration unter Cyanose erfolgt;
daneben können Würgbewegungen, Nieskrämpfe, Schweissausbrüche, blitz-
ähnliche Schmerzen in den Extremitäten etc. auftreten. Die schwersten Fälle
endlich verlaufen unter den peinlichsten Begleiterscheinungen der Erstickung,
obwohl sich die Patienten in der Regel wieder erholen. Die Dauer der An-
LEPRA DES LARYNX. 291
fälle wird mit einigen Secunden bis zu einigen Minuten angegeben; sie treten
mit Intervallen von mehreren Tagen bis Monaten auf.
Die Larynxkrisen gehören in der Regel zu den Fr ühsy mptomen
der Tabes, doch kann ihnen eine Lähmung der Glottisöffner lange vorher-
gehen; damit ist aber nicht gesagt, dass eine Lähmung überhaupt eintreten
müsste. Ihre Entwicklung ist meist sehr allmählich, kann aber auch eine ful-
minante sein. Sie pflegen später an Litensität und Häufigkeit abzunehmen
und verschwinden nicht selten lange vor dem Lebensende.
Diagnose. Jedenfalls sollten Erstickungsanfälle unter obigen Sensa-
tionen und unter Krampfliusten ohne physikalischen Lefund die Untersuchung
auf Tabes nahelegen. Differentiell kommt der Ictus laryngis und die soge-
nannte Posticuslähmung in Frage,
Therapie. Es ist methodische Cocainisirung des Kehlkopfes und ein
Bromsalz anzuwenden. Bei Wiederholung sehr bedrohlicher Anfälle ist die
Tracheotomie vorzunehmen. bergeat.
Lepra des Larynx. DieUrsachedes Aussatzes ist der Leprabacillus,
der eine grosse Aehnlichkeit mit dem Tuberkelbacillus hat und sich ebenso
wie dieser in charakteristischer Weise färben lässt; andererseits unterscheidet
er sich von ihm dadurch, dass er auch mit andern Bacterienarten dieselben
tinctoriellen Eigenschaften besitzt. — Während Goldscmidt nach seinen
Beobachtungen in Madeira die Gefahr der Uebertragung für eine sehr geringe
hält, erklärt Armauer Hansex, der wohl die reichste Erfahrung auf diesem
Gebiete hat, die Lepra für eine ausschliesslich ansteckende Krankheit, die
nichts mit der Ernährung an sich oder mit der Erblichkeit zu thun hat; die
Uebertragung geschehe wahrscheinlich direct von Person zu Person.
Man unterscheidet eine knotige und eine maculöse (anästhetische) Form; die
erstere führt zu Ulcerationen, enthält mehr Bacillen und ist in Bezug auf die
Uebertragung die gefährlichere.
Die eingewanderten Bacillen führen zu einem langsam fortschreitenden,
Granulationsgewebe bildenden Entzündungsprocess; es entstehen auf der
Schleimhaut, besonders des Larynxeingangs, knotige Verdickungen von mehr
glatter oder zottiger Oberfläche, durch deren verschiedene Localisation und
Confluenz die Contouren vollkommen verwischt werden. Nehmen sie an Grösse
oder Zahl zu, so wird das Lumen erheblich verengt. Die Knoten zerfallen
geschwürig, und die Geschwüre können wieder vernarben, so dass man Ulcera-
tionen und Narben gleichzeitig zu Gesicht bekommt.
Symptome: Ueber Schmerzen klagen die Patienten fast nie, dagegen
ist gewöhnlich die Stimme — je nach der Localisation und Ausbreitung des
Processes — verändert. Das hervorstechendste Symptom ist die Athemnoth.
Laryngoskopisch sieht man auf der Schleimhaut jene Knoten, die sich,
glänzend gelbweiss, deutlich von dem rothen Grunde der Schleimhaut abheben;
auf den Knoten runde, mit glasig-gelbem Grunde versehene Ulcerationen und
daneben Narben, die z. Th. sehr in die Tiefe dringen. Die befallenen Theile
zeigen ein plumpes, dickes, starres Aussehen.
Die Diagnose stützt sich auf das Vorhandensein der oben beschrie-
benen Knoten im Larynx. Die Epiglottis ist sehr oft knotig verdickt und
liegt mehr nach hinten, weil die aryepiglottischen Falten ebenfalls meist er-
griffen und dadurch starr und retrahirt sind. Weiterhin zeigen sich die
charakteristischen Verdickungen auch in den unteren Partien des Larynx.
Ausserdem finden sich gleichzeitig lepröse Knoten an anderen Körperstellen.
Die Prognose ist eine ungünstige, der Verlauf ist ein sehr protra-
hirter. Es kommt gewöhnlich zur Stenosirung des Larynx, die die Ursache
des Todes werden kann.
19*
292 LEPRA DER NASE.
Die Behandlung beschränkt sich auf die Ausführung der Tracheotomie
bei Laryugostenose. Bidwell konnte in einem Falle nach Vernähen der
äusseren Haut mit der der Tracheotomiewunde die Canüle entbehren.
A. ROSENBEBG.
Lepra der Nase. Die Lepra hat durch neuerliche Mittheilungen
Stickeks") ein früher nicht gekanntes rhinologisches Interesse erlangt.
Sticker behauptet: 1. Der Ort, an dem alle Leprakranken während
der längsten Zeit ihrer Krankheit die Leprabacillen regel-
mässig und meistens in ungeheuren Mengen an ihre Um-
gebung abgeben, ist die Nase. 2. Der Ort, an dem die Lepra
den gesunden Körper zuerst, vielleicht ausnahmslos zuerst
befällt, ist der vordere Abschnitt . der Nasenschleimhaut,
meistens der Ueberzug des knorpeligen Septums. Die Lepra
ist primär eine Naseiikraiiklieit in demselben Sinne, nein, in viel
engerem Sinne, wie die Syphilis zuerst eine Krankheit der Ge-
schlechtswege ist.
Klinische Erscheinungen (Sticker): Zuerst findet man bei schein-
bar intacter Schleimhaut im vorderen Theil der Nase ein etwas reichlicheres,
zähes, Leprabacillen enthaltendes Secret. Die ersten sichtbaren Schleimhaut-
veränderungen stellen sich als trockene Hyperämie oder als blasse Schwellung
im Bereiche der Pars cartilagin. septi dar. Diese gehen in eine derbe harte
Schwellung über, die auf benachbarte Theile übergreifen und zu ringför-
miger Stenosirung des Luftweges führen kann.
Die Kranken klagen dabei über ein Gefühl der Trockenheit und Ver-
stopfung der Nase, öfters über Kopfschmerzen. Häufig stellt sich spontanes
Nasenbluten ein.
Früher oder später kommt es zur Verschwärung. Das Septum wird
durchbrochen. Gehen noch weitere Theile zugrunde, so sinkt die Nase ein
oder, wenn Spitze und Flügel mit Hautknoten reichlich durchsetzt und schwer
geworden sind, fällt sie herab (Flängenase, [Sticker]).
Das Secret ist schleimig, eitrig oder eigenthümlich leimartig. Es
kann sich eindicken, zu Krusten eintrocknen und durch bacterielle Zersetzung
einen äusserst üblen Geruch annehmen. Sticker hat bei 57 Fällen mit
Knotenlepra 55mal Leprabacillen im Secret gefunden, bei 68 mit Nerven-
lepra 45mal, bei 28 mit Lepra mixta 27mal, im ganzen also bei 1.53 Lepra-
kranken 128mal.
Selten ist das ganze äussere und innere Nasengerüst, sind Knorpel, Knochen
und Muscheln weggefressen, noch seltener auch die äusseren Weichtheile.
Pathologische Anatomie: Das lepröse Infiltrat steht histologisch
dem tuberkulösen ausserordentlich nahe. Es unterscheidet sich von ihm u. a.
durch eine grosse Dauerhaftigkeit der Elemente, weshalb es schwer und, wie
manche behaupten, nur infolge von accidentellen Schädlichkeiten zum Zerfall
und zur Geschwürsbildung kommt.
Der Verlauf der Krankheit ist ausserordentlich chronisch.
Die Diagnose wird bei vollausgebildeter Krankheit kaum auf Schwierig-
keiten stossen. Anders, wenn lediglich der Primäraffect in der Nase vor-
handen ist. Dann käme die Unterscheidung von ähnlichen Zuständen bei
der Xanthose und bei der Tuberkulose in Frage, die mit Sicherheit wohl
nur durch bacteriologische Untersuchung zu tretfeu sein dürfte.
") Siicker: Mitth. über Lepra nach Erfahrungen in Indien und Aegypten. Miinchener
med. Wochenschr. 1897, 39 ff., (ausführlich referirt im Centralbl. f." Bacteriol. 1897,
Nr. 16/17).
LEPRA OPJS ET PIIARYKGIÖ. 293
Therapie: Ob es gelingen wird, durch Zerstörung des Primärattectes
(mit Messer, scharfem Lofiel, Glühdraht) die Generalisirung der Krankheit
zu verhindern, wird noch die Zukunft lehren.
Sicherlich aber wird man der Weiterverbreitung auf andere Personen durcli
geeignete Maassnahmen (Zerstörung des Nasensecretes) entgegentreten können.
Bei generalisirter Erkrankung besteht die Aufgabe des Nasenarztes darin,
den Luftweg frei zu machen, was durch Entfernung der Borken, durch Zer-
störung der Granulome und bei der Hängenase durch geeignete Prothesen
(Gummidrains) gewiss erreichbar sein wird. zarniko.
Lepra OriS et pharyngiS. Die tuberöse Form der Lepra setzt ihre
Producte nicht nur auf der Haut, sondern auch auf der Schleimhaut des
Mundes und der oberen Luftwege ab. Wir vermissen die Schleimhautaffec-
tionen bei keinem älteren Leprafall, aber auch in ziemlich, frischen Fällen
sind sie ziemlich oft vorhanden. Es unterscheiden sich die leprösen Neu-
bildungen der Schleimhaut in keiner Weise von denjenigen der Haut.
Auch an der Schleimhaut findet man diffuse Infiltrate oder umschriebene
Knoten, die fast stets breitbasig aufsitzen und wenig erhaben sind. Die Em-
pfindlichkeit der Schleimhautleprome ist eine sehr herabgesetzte. Der viel
zartere epidermoidale Ueberzug erklärt es, dass an den Schleimhäuten unter
Einfluss mechanischer Momente es häufiger zu ulcerösem Zerfall kommt als
an der äusseren Decke; auch diese, meist oberflächlichen Geschwüre sind sehr
unempfindlich. Wo keine Geschwürsbildung vorhanden ist, erscheint der
Schleimhautüberzug gewöhnlich ganz normal, zuweilen infolge der Spannung
etwas blässer oder auch mit grauer, abgeschilferter Epithelschicht bedeckt.
Nächst den oft durch Knoten knollig verdickten, gewulsteten Lippen
ist das Zahnfleisch als Sitz der Leprome zu nennen, die sowohl an der
äusseren als an der inneren Seite sich localisiren können. Am harten Gaumen
findet man mit breiter Basis aufsitzende Knoten oder auch ein diffuses In-
filtrat; weicher Gaumen, Uvula, Gaumenbögen weisen oft Knoten, resp. Ge-
schwüre auf, während die hintere Rachenwand seltener afficirt ist. Dagegen
ist ein Leprom der Zunge ein häufiges Vorkommnis, und zwar ist diese ent-
weder mehr diffus infiltrirt und dadurch verdickt, besonders in ihren me-
dialen Theil, oder von grösseren, die Schleimhaut nur wenig emporwölbenden
Knoten durchsetzt.
Die Symptome der bisher geschilderten leprösen Processe im Bereiche
von Mund und Bachen sind ganz abhängig von localen Verhältnissen. Schmerz-
haft sind sie, wie gesagt, alle nicht, im Gegentheil erlischt die Sensibilität
immer mehr und die Kranken empfinden selbst grosse lepröse Geschwüre
kaum, wenn dieselben nicht den Kau- und Schluckact erschweren. Beides
kommt auf rein mechanischem Wege zustande. Eine stark infiltrirte, ver-
dickte Zunge, grosse Knoten am Gaumen oder — was, wie gesagt, selten ist
— an der hinteren Rachenwand können natürlich das Kauen und Schlucken
auf rein mechanischem Wege behindern.
Die Diagnose der Schleimhautlepra ist im allgemeinen keine schwere,
da das Gesammtbild doch bald auf die Spur leiten wird. Es handelt sich
ja gewöhnlich um Veränderungen, die den Hautanomalien erst nachfolgen.
Im übrigen wird die auffallende Hypästhesie schon den Verdacht wachrufen,
der dann durch den Bacillenbefund wird leicht erhärtet werden können. Hat
man Geschwüre vor sich, dann wird man die Bacillen sicher in reicher Zahl
im Secrete mittels der D.oppelfärbung durch Carbolfuchsin-Methylenblau
nachweisen. Bei Knoten dürfte das Suchen in der aus dem angestochenen
Knoten entleerten Flüssigkeit auch kein vergebliches sein.
Betreffs der anatomischen Veränderungen sei auf die im Artikel
„Lepra" im Bande „ Venerische und Hautkrankheiten^'' dieses Sammelwerkes
gemachten Angaben verwiesen.
294 LEUKOPLAKIA. ORIS.
Die locale Therapie ist eine rein symptomatische. Sie kann auf
eine Vernarbung der einzelnen Geschwüre, eine Rückbildung vorhandener
Knoten begünstigend einwirken, ohne neuen Eruptionen vorzubeugen. In
prophylactischer Beziehung ist die Beseitigung der Schleimhautgeschwüre von
grosser Wichtigkeit, da unzählige Bacillen durch sie mit dem Auswurf und
der Exhalationsluft ausgeschieden werden, die der Umgebnng gefährlich
werden können. jessner,
Leukoplakiä OriS. Die krankhaften Veränderungen der Mundschleim-
haut, welche man als Leukoplakie oder auch schlechter als Psoriasis,
Pac'hydermie, Leukoraa, Keratosis, Tylosis oris bezeichnet, zeigen
auf der Höhe der Entwicklung folgendes Bild: Man findet mehr oder weniger
ausgedehnte Theile der Mundschleimhaut statt mit dem normalen, feucht-
glänzenden, rothen, zarten Epithel überzogen mit einer weissen, dicken, sich
derbe, zuweilen auch rauh anfühlenden, relativ trockenen Decke, die glatt oder
etwas gefaltet ist. Es kann dabei die kranke Schleimhautstelle im Niveau
der Umgebung liegen oder auch dieselbe ein wenig überragen. Die Form
dieser weissen Stellen kann eine verschiedene sein. Man sieht bald nur einen
kleinen Fleck verändert, bald — und zwar in w^eiter vorgeschrittenen Fällen
— ausgedehnte, gewöhnlich nicht scharf begrenzte Flächen, die aus der
Confluenz mehrerer sich vergrössernder kleinerer Flecke hervorgegangen
sein können. In anderen Fällen wiederum haben die Veränderungen eine
streifenförmige Gestalt angenommen; die Streifen — meistens horizontal ver-
laufend — können auch leistenartig hervortreten. Oft findet man beides com-
binirt: von einer centralen weissen, opaken Fläche strahlen gleichgefärbte
Streifen in die Umgebung aus. Wenn man die Entwicklung dieses Processes
verfolgt, so sieht man die opaken Schleimhautverdickungen hervorgehen aus
leichten grauen, die Schleimhaut schleierartig überziehenden Trübungen, durch
welche das Roth derselben noch durchschimmert. Allmählich verdichtet sich
die Trübung, an Intensität stetig zunehmend verdickt sich der Mucosa-Überzug,
bis das erstgeschilderte Bild erscheint. Nach Schwimmer, der die Leuko-
plakie gründlich studirt hat, geht dem grauen Anflug der Schleimhaut ein
Stadium erythematosum voraus. Die sich später trübende Stelle erscheint
im Beginne abnorm geröthet und verharrt Monate in diesem Zustande, bevor
die Opalescenz beginnt. Der ganze Process spielt sich ausserordentlich lang-
sam ab, so dass Monate, selbst Jahre vergehen können, bis der Process seine
Acme erreicht hat. Der dann ausgebildete dicke, weisse Schleimhautüberzug
haftet sehr fest an der Unterlage und lässt sich nur unter Gewaltanwendung
von der dann blutenden, wunden Schleimhaut abziehen. Da die leukoplakische,
verdickte Mucosa derb, hart ist, die normale Elasticität eingebüsst hat, ist
es begreiflich, dass sie im Gefolge der Leukoplakie unter dem Einflüsse der
mechanischen Reizung und Zerrung beim Sprechen und Kauen stellenweise
platzt, und leicht Fissuren und Rhagaden sich bilden, die die weissen Flächen
durchziehen. Tiefere Geschwüre gehören nicht zum Bilde der Leukoplakie. Wo
man solchen in ihrem Verlaufe begegnet, gehen sie aus knotenförmigen Neubil-
dungen der Schleimhaut hervor, oft starke Granulationswucherungen zeigend.
In solchen Fällen handelt es sich aber um das Hinzutreten specifisch-luetischer
gummöser Symptome, eine Combination, die, wie wir noch sehen werden, sehr
leicht verständlich ist.
Der Sitz der Leukoplakie ist am häufigsten die Wangenschleimhaut mit
Bevorzugung der Mundwinkel einerseits, der centralen Theile andererseits.
Durch Confluenz kann der grösste Theil der Wangenschleimhaut die derbe,
weisse, opake Oberfläche erhalten. Aber auch an der meist stark zerklüfteten
Zungen- und Lippenschleimhaut localisirt sich die Leukoplakie, im letzteren
Falle vornehmlich das dem Alveolarrand und den Zähnen anliegende Lippen-
LEÜKOPLAKIA ORIS. 295
roth verwandelnd. Die Unterlippe ist häufiger afficirt als die Oberlippe. Leuko-
plakie der Schleimhaut des harten Gaumens soll auch vorkommen. Die
Fissuren bilden sich am häufigsten am Mundwinkel, dem aus leicht begreif-
lichen Gründen bevorzugten Sitze von Platzstellen bei allen möglichen Leiden
(Ekzem, Lues, Stomatitis etc.).
Die subjectiven Beschwerden der an Leukoplakie Leidenden sind meistens
gering; sie haben nur ein Gefühl der Steifigkeit, der Rigidität, der Trockenheit.
Nur sobald Fissuren entstanden, nehmen die Beschwerden zu. Dieselben
schmerzen spontan, besonders aber bei Zufuhr differenter Speisen recht lebhaft
und erschweren die Ernährung. Im allgemeinen aber würde es sich um ein
recht unschuldiges, wenig bedeutendes Leiden handeln, wenn die Erfahrung nicht
lehrte, dass auf dem leukoplakischen Boden gar nicht selten sich Carcinoma
im höheren Alter entwickeln. Nachdem die Leukoplakie oft viele Jahre bestanden,
beginnt allmählich das Wachsthum der malignen Neubildung mit ihren trau-
rigen Folgen. Eine bestimmte Statistik über die Häutigkeit der Carcinom-
neubildung bei der Leukoplakie lässt sich in zulässiger Weise nicht aufstellen,
aber erfahrungsgemäss ist das Vorkommnis ein so häutiges, dass die dem
Carcinom die Wege ebnende Leukoplakie schon deshalb grosse Beachtung
verdient.
Die Dauer der Leukoplakie ist nur durch das Lebensende des
Patienten begrenzt. Einer spontanen Rückbildung ist der Process im vorge-
schrittenen Stadium sicherlich nicht fähig; im Beginne kann derselbe, wenn es
gelingt, die ursächliche Noxe zu erkennen und zu beseitigen, sich ganz zurück-
bilden. — Ein grosser Unterschied besteht in der Verbreitung der Leuko-
plakia oris bei den verschiedenen Geschlechtern. Es sind in der bei weitem
grossen Mehrzahl der Fälle erwachsene Männer, welche von dem Leiden heim-
gesucht werden, während man bei Frauen ihm nur sehr selten, bei jugend-
lichen Individuen fast gar nicht begegnet. Es ist mir in der Literatur nur ein
Fall begegnet, in dem Leukoplakia oris bei einem Kinde gesehen worden ist.
Durch die gleich zu erörternde Aetiologie der Krankheit ist die hervorstechende
Betheilung der erwachsenen Männer leicht verständlich. — Nur anhangs-
weise sei hier erwähnt, dass bei Frauen eine Leukoplakie der Vulva und
Vagina zuweilen vorkommt.
Die Leukoplakie ist ein idiopathisches Leiden, dem vornehmlich zwei
Ursachen zu Grunde liegen: die Syphilis und die locale Nicotinein Wir-
kung. Die Hauptrolle spielt wohl die Syphilis, in deren späteren Stadien, 3 bis
20 Jahre nach der Infection, die Leukoplakie sich häufig einstellt; nur selten
begegnet man ihr schon im zweiten Jahre. Man darf deshalb aber diese
Anomalie nicht als specitisch-luetisches Symptom auffassen; das beweist ja
schon der Umstand, dass sie sicherlich auf anderer Basis beruhen kann. Es
zählt die Leukoplakie zu den sogenannten parasyphilitischen Erscheinungen,
d. h. zu denjenigen Veränderungen, welchen auch die Syphilis ebenso wie
andere Noxen den Weg ebnet, den Boden vorbereitet, ähnlich wie es bei
der Tabes, der Dementia paralytica etc. der Fall ist. Der zweite ursäch-
liche Moment ist das Rauchen und das Kauen von Tabak. Nicotinverehrer
können von Leukoplakia oris heimgesucht w^erden, ohne luetisch inticirt zu
sein. Das Verhältnis, in dem diese beiden verschiedenen Ursachen wirksam
sind, wird gewöhnlich so angegeben, dass die Leukoplakie in % der Fälle
auf Syphilis, in Vs auf Tabaksgenuss zurückzuführen ist. Diese statistische
Angabe verdient aber um so weniger respectirt zu werden, als naturgemäss
sehr oft beide Noxen gleichzeitig eingewirkt haben, sind doch die von Syphilis
befallenen Männer meistens auch Raucher. Der rauchende Syphilitiker stellt
deragemäss zur Leukoplakie das grösste Contingent; daraus erklärt sich auch
das seltene Auftreten der Leukoplakie bei luetischen Frauen. Hat jemand
gar nicht oder sehr wenig geraucht, dann wird man kaum fehlgehen, wenn
296 LEÜKOPLAKIA ORIS.
man eine frühere Syphilis auch bei entgegenstehender Anamnese annimmt.
Bei stärkeren Rauchern wird natürlich auch eine bewiesene Syphilis nur mit
Vorsicht zu einer vorhandenen Leukoplakie in Verbindung gebracht werden
dürfen. — Andere ursächliche Momente sind mit Sicherheit nicht bekannt.
Ob chronische Verdauungsstöruugen, eine lang dauernde Stomatitis die Leuko-
plakie hervorrufen kann, ist doch fraglich; dagegen ist es sicher, dass sie
die vorhandene verschlimmern können. — Vielfach wird auch nicht die
Syphilis, sondern .das dagegen angewendete Quecksilber als Ursache der
Leukoplakie beschuldigt, jedoch ist es zweifelhaft, ob das mit Recht geschieht,
wie ja in manchen Kreisen überhaupt das Quecksilber unverdienter Weise als
Sündenbock für syphilitische oder parasyphilitische Erscheinungen herhalten
muss. Aber das muss hier auch zugegeben werden, dass die Quecksilber-
anwendung mitunter auf eine vorhandene Leukoplakie fördernd einwirken
kann, und zwar, wie ich glaube, weniger als specifisches Gift, sondern auf
dem Umwege der durch dasselbe oft ausgelösten entzündlichen Affection der
Mundschleimhaut.
Die Diagnose der Leukoplakie auf der Höhe der Entwicklung ist
leicht; dieser festhaftende, derbe, dicke weisse Ueberzug, der der Schleimhaut
das Aussehen der äusseren Haut gibt, ist ganz charakteristisch. In frühen
Stadien ist eine Verwechslung mit Plaques opalines, Pemphigus wohl möglich,
aber auch nur bei kurzdauernder Beobachtung. Der Erfolg der specifischen
Therapie wird im ersteren Falle, die Abstossung des lange nicht so fest
haftenden Belages — im Gegensatz zur Schleimhautverdickung bei Leuko-
plakie — mit folgender normaler Epithelisirung im letzteren Falle bald
Klarheit schaffen. Schwerer abzugrenzen ist der Liehen der Schleimhaut, die
Begleiterscheinung des Liehen ruber der äusseren Haut, solange die letztere
keine Efflorescenzen aufweist. Wegen der ausschlaggebenden Differenzen ver-
weise ich auf die Schilderung des „Liehen oris". — Aphten, Narbenbildung
nach Aetzungen mit scharfen Säuren oder Alkalien dürften leicht auszu-
schliessen sein.
Der anatomische Befund zeigt, dass es sich um eine keratoide
Umwandlung der Schleimhaut handelt. Das Primäre dürfte eine Zellinfiltration,
Bindegewebswucherung und Periarteriitis der Mucosa sein. Auch in der Sub-
mucosa besteht nach Schwimmee eine Zellwucherung um Lymph- und Schleim-
follikel. Das Epithel zeigt mehrere Schichten; zu unterst cylindrische, dann
polygonale Zellen, die unter den zu oberst liegenden verhornten Epithelzellen
Keratohyalin enthalten, den häufigen, wenn auch nicht stetigen Begleiter der
Verhornung. Hervorgehoben zu werden verdient der Befund von Epithel-
perlen, wie sie bei Cancroiden so häufig sind. Es ist das wichtig wegen der
häufigen Carcinombildung auf der Basis einer Leukoplakie. Sitzt diese an
der Zunge, dann sind die Papillen erheblich abgeflacht, trotzdem wird aber
jede functionelle Störung in Bezug auf die Geschmacksempfindung vermisst.
Die Prognose ist da etwas günstiger, wo der Process im Beginne ist
und der Patient bereit ist, dem Tabaksgenuss, soweit er ihm huldigt, zu ent-
sagen. Ist die Schleimhaut schon in höherem Maasse keratoid degenerirt, dann
ist eine Rückbildung nicht zu erzielen. Man muss seine Prognose trotz der
unbedeutenden Störungen, die durch die Leukoplakie bewirkt werden, sehr
vorsichtig fassen, weil die Carcinombildung über dem Haupte eines jeden daran
Leidenden gleich einem Damoclesschwert stetig schwebt.
Die Therapie erheischt wie immer in erster Reihe eine Beseitigung
der ursächlichen Noxe. Da tritt zunächst die Frage entgegen, ob eine anti-
luetische Cur bei Luetikern eingeleitet werden soll oder nicht. Wenn es
auch richtig ist, dass bei den parasyphilitischen Symptomen meistens die
antiluetische Cur nicht von Erfolg ist, wird man dieselbe doch in jedem Falle
versuchen. Gegen die Jodanwendung wird man sicher in keinem Stadium des
LICHEN ORIS. 297
Leidens etwas einzuwenden haben; wo es nicht hilft, kann es docli wenigstens
kaum schaden. Vorsichtiger muss man schon mit Hydrargyrum sein; jeden-
falls wird man während der Quecksilberdarreichung besondere Obacht der
Mundpflege zuwenden, eine Stomatitis sorgsam zu verhüten bestrebt sein, wo
sie doch eintritt, oder das Leiden Fortschritte zu machen scheint, die Cur
abbrechen. Geht man so vor, dann wird man nicht schaden, in dem einen
oder anderen Initialfalle aber doch einen Erfolg zu verzeichnen haben. —
Einer energischen specifischen Behandlung bedürfen die oben erwähnten Fälle,
wo neben der Leukoplakie gummöse luetische Processe in Gestalt von Knoten,
Geschwüren im Munde vorhanden sind. — Eines energischen Eingreifens bedarf
die zweite Hauptursache, das Rauchen. Da hilft lediglich ein absolutes rück-
sichtsloses Verbot jeden Tabaksgenusses. Eine Verminderung desselben nützt
notorisch nichts, da die Patienten eher dazu zu bewegen sind, auf das Ptauchen
oder Kauen des Tabaks ganz zu verzichten, als sich eine Einschränkung auf-
zuerlegen. Wo absolut die nöthige Energie nicht vorhanden ist, da ist das
Rauchen sehr leichter Cigarren durch längere, häufig zu wechselnde Cigarren-
spitzen vorzuziehen.
Die locale Behandlung erheischt zunächst rationelle Mundpflege, gute
Versorgung der Zähne, fleissiges Spülen mit Kalichloricum-Lösung oder 47oiger
Boraxlösung. Von Heilmitteln wird als das erfolgreichste wohl jetzt mit
Recht das Resorcin angesehen, welches nach der Angabe von Leistikow Ver-
wendung findet. Man reibt mit einem um einen Sondenknopf gewickelten
Wattebäuschchen zweimal täglich folgende Paste in die leukoplakischen
Stellen ein:
Resorcin. albissim. 3'0
Terr. silic. 1-5
Adip. lani 0-5.
Dieses wird solange fortgesetzt, bis die weisse Stelle sich zu runzeln
beginnt. Dann setzt man die Einreibungen aus und wartet die eintretende
Abstossung des Epithels ab, in der Zwischenzeit fleissig spülend oder eines
der noch zu nennenden milderen Mittel auftragend. Ist die Schälung beendet,
dann beginnt die Procedur von neuem, und das wird so lange wiederholt, bis
eine ganz oder annähernd normale Schleimhaut vorhanden ist. — Wirksam ist
mitunter auch die Pinselung mit Bals. Peruvianum, 2 — lO^oiger Chromsäure-
lösung (Vorsicht!), ^/g^/oiger Sublimatlösung, lO^oigem Salicylspiritus; Joseph
empfiehlt Aetzungen mit Milchsäure. Das viel angewendete Argentum nitricum ist
zur Beseitigung etwaiger Rhagaden sehr geeignet, die Leukoplakie beeinflusst es
höchstens, wenn vorher das verhornte Epithel beseitigt ist. Das kann durch
energisches Abschaben mit scharfem Löffel geschehen; besser ist aber die
Application des Thermokauter. In Narkose wird die ganze kranke Stelle ober-
flächlich verschorft. Die Schmerzen sind nach dieser Operation nicht unbe-
deutend, und bedarf es während der Nachbehandlung der Application local-
anästhetischer, möglichst ungiftiger Mittel (Eucain), um die Nahrungszufuhr
zu ermöglichen. Jedenfalls ist dieses eingreifende Verfahren, wo die milderen
versagen, einem Leiden gegenüber, das so leicht einer malignen Umw^andlung
fähig ist, zur Anwendung zu empfehlen. jessner.
Liehen OriS. Der WiLSON'sche Liehen ruber, von dem man
einen Liehen ruber planus und Liehen ruber acuminatus unterscheidet,
kann sich auch an der Schleimhaut des Mundes localisiren. Das dadurch
erzeugte klinische Bild erfährt seitens der verschiedenen Autoren eine
etwas abweichende Schilderung. Es geht daraus wohl hervor, dass es nicht
immer ganz charakteristisch ist. Meistens gestaltet es sich wohl fol-
gendermaassen: Es entstehen an der Wangenschleimhaut opalescirende.
298 LICHEN ORI
weisslicli-trübe, silberweisse Stellen in Gestalt kleiner, stecknadelkopfgrosser,
abgeflachter oder ein wenig hervorragender, runder, sich fest anfühlender
Knötchen, umgeben von normaler Schleimhaut. Diese Knötchen sind ange-
ordnet in Leisten oder Rasen. Neben und zwischen den Knötchen finden
sich streifenförmige Schleimhauttrübungen, die sich dendritisch verzweigen,
miteinander anastomosiren und so Netzwerke bilden. Diese Streifen wie die
Knötchen haben eine etwas rauhe Oberfläche im Gegensatz zu der Glätte der
normalen Schleimhaut. Sind diese linearen und knötchenförmigen Trübungen
sehr dicht, sehr ausgebreitet, dann erhält man ein Bild, das demjenigen einer
Leukoplakie ausserordentlich ähnlich, ja von dieser an sich kaum abgrenzbar
ist. Etwas anders gestaltet sich der Liehen ruber der Zunge entsprechend
dem anatomischen Bau ihrer Oberfläche. Im Beginne sind es nämlich nur
die interpapillären Räume, die ergriffen werden. Man sieht diese dann als
graue Netze sich abheben, in deren Maschen die rothen Papillen liegen,
ein eigenthümliches Bild. Bei längerem Bestehen greift die Epithelverdick-
ung und Epitheltrübung allerdings auch auf die Papillen über, überzieht
dieselben, und nun erhalten wir mehr gleichmässig aussehende, graue
Plaques der Zunge. Zuweilen soll es auch zur Zerklüftung dieser, besonders
am Zungenrande, kommen. Im weiteren Verlaufe ist also auch an der Zunge
das Bild ein wenig von der Leukoplakie differirendes. Entzündliche Er-
scheinungen sind dem Liehen oris kaum eigen, die subjectiven Beschwerden
deshalb wenig ausgesprochen. Meistens fehlen sie ganz und ist die Affection
vor der zufälligen Entdeckung von den Patienten gar nicht bemerkt worden.
In der Rachenhöhle sind ähnliche Schleimhautveränderungen bisher nicht
beobachtet. Wohl berichtet aber Lukasiewitz über entsprechenden Befund
im Kehlkopf.
Das zeitliche Verhältnis zu den Erscheinungen auf der äussern Haut
kann ein verschiedenes sein. Gewöhnlich treten die Schleimhautveränderungen
später auf. Manchmal aber bilden sie auch das erste Symptom des Leidens
und gehen dem Liehen über der Haut voraus.
Die Diagnose des Liehen der Schleimhaut ist da leicht, wo sich
auf der Körperoberfläche EfÜorescenzen des Liehen ruber planus oder Liehen
ruber acuminatus vorfinden. Man wird deshalb bei Leukoplakie-ähnlichen
Affectionen im Munde niemals versäumen dürfen, den ganzen Körper einer
genauen Inspection zu unterziehen. Wo man aber auf der Körperdecke nichts
findet, wird die Diagnose die grössten Schwierigkeiten darbieten. Man wird
dann zunächst ausschliessen müssen, dass alte Lues vorliegt, was nicht immer
leicht gelingt. Wo es sich um starke Raucher handelt, wird man sich auch
für Raucher-Leukoplakie eher entscheiden. Andererseits wird man bei Frauen
mehr Veranlassung haben, einen vorliegenden Liehen anzunehmen, da sie
einerseits selten rauchen, andererseits auch bei vorhandener Lues nur sehr
wenig zur Leukoplakie disponirt sind. Wenigstens gehört die luetische
Leukoplakie der Frauen zu den grössten Raritäten.
Eine Differentialdiagnose kann auch nöthig werden gegenüber den
Plaques muqueuses und dem Pemphigus oris; dieselbe dürfte aber nur bei
sehr flüchtiger Beobachtung Schwierigkeiten machen.
Die Therapie erheischt hier wie beim Liehen ruber überhaupt die
interne Verabreichung von Arsenik in grossen Dosen durch längere Zeit hin-
durch. Am geeignetsten ist die Pillenform (mit Zusatz von Piper, nigrum);
jede Pille soll 0'003 — 0-005 — O'Ol Äcid. arsenic. enthalten; dreimal täglich wird
eine Pille nach dem Essen unter allmählicher Steigerung der Dosis gegeben.
Die locale Behandlung, soweit sie nicht durch den Erfolg der internen ent-
behrlich gemacht wird, muss dieselbe sein, wie bei der Leukoplakie. Spülungen
mit öligen Lösungen von Kali chloricum, eingedickten, syrupartigen Heidel-
LARYNX-LIPOME. — KEIILKOPF-LUXATION. - LYMPHANGIOMA LARYNGIS. 299
beerdecocten, Pinselungen mit Bals. Feruvianum, S^oiger Chromsäure, Einreiben,
einer Resorcinpaste {Eesorcin 3 0, Terr. silic. 15, Adip. lan. (J-ß) sind da am
Platze. jEs.sNKJt,
Lipome des Larynx. Mehrere Fälle wurden von Bruns und Schrötteu
u. a. als weiche rundliche, mit länglichen, fingerförmigen Fortsätzen versehene,
von Schleimhaut bedeckte Geschwülste beschrieben. Sie waren beweglicli,
giengen aus von den Aryknorpeln, vom Kehldeckel, von den ary-epiglottischen
Falten; also nur von der Umrandung des Kehlkopfeinganges. Ihre Diagnose
wäre nach der Form, Weichheit und Beweglichkeit und Localisation nicht
sehr schwer. Die Therapie bestand in Abtragung mit der galvanischen
Schlinge. (Schrötteu, Bruns.) Jones torquirte die Geschwulst, nachdem er
die Schleimhaut im Niveau des Stieles abgeschnitten hatte. Kleine Lipome
könnten mit weichen Fibromen verwechselt werden; die histologische Unter-
suchung wäre dann für die Diagnose unentbehrlich. cn.
Luxation des Kehlkopfes. Buchstäblich genommen ist eine echte
Luxation des Kehlkopfes aus seiner Verbindung mit dem Zungenbein im
Thyreohyoidgelenke wohl noch nicht beobachtet worden. Eine unechte Luxa-
tion dagegen, mit Bruch der oberen Schildknorpel- oder der grossen Zungen-
beinhörner ist beim p]r hängen sehr häufig.
Ueber die Luxationen in den Binnengelenken des Kehlkopfes ist
Folgendes zu berichten:
a) Cricothyreoidgelenk. Ueber einen unsicheren Fall traumatischen
Ursprunges berichtete Holden. Drei Fälle von habitueller Luxation schil-
derte Braun; sie war stets einseitig, trat beim tiefen Athmen und besonders
beim unterdrückten Gähnen auf, war schmerzhaft, liess eine Hervorragung am
vorderen Kopfnickerrande erkennen und konnte durch einen Handgriff oder
mehrere Schlingbewegungen reponirt werden; sie konnte sich täglich wieder-
holen und dann für längere Zeit ausbleiben.
b) Cricoary taenoidgelenk. Zu dieser Luxation geben schw^ere
Traumen des Kehlkopfes, Knorpelnekrosen im Bereiche des Gelenkes, Druck
von Geschwülsten, Narbenzug und die „paralytische Contraction" der Anta-
gonisten gelähmter Kehlkopfmuskeln Anlass. Der Aryknorpel wird nach
aussen hinten oder häufiger nach vorne innen dislocirt; dabei kann er sich mit
seiner Spitze bis auf die Stimmbänder herab neigen und abnorme Drehungen
um die verticale Axe, sowie Bewegungsbeschränkungen auch ohne die häufige
Ankylose erleiden. Nicht selten kommt es zu Stimmstörungen verschiedenen
Grades und Charakters (Aphonie, Heiserkeit, Fistelstimme u. a.) oder zur
Dyspnoe. Die Unterscheidung von Lähmungen der Kehlkopfmuskeln ist manch-
mal recht schwer. Therapeutisch können die Reposition nach Traumen, die
Anbringung eines narbigen Gegenzuges, die Dehnung von Narben, die Wieder-
belebung der gelähmten Muskeln und die bekannten Maassnahmen gegen die
Dyspnoe in Betracht kommen. bergeat.
Lymphangioma laryngis wurde einmal von Koschier in Wien beob-
achtet und beschrieben. Es war einn ussgrosser, von rother Schleimhaut über-
zogener, breit aufsitzender, fluctuirender Tumor, welcher, von der hinteren
Fläche des einen Aryknorpels und der aryepiglottischen Falte ausgehend, den
Sinus pyriformis ausfüllte.
Er wurde mit der galvanokaustischen Schlinge abgetragen, recidivirte
aber nach einigen Monaten,
Wahrscheinlich war er angeboren und erst seit fünf Monaten (so lange näm-
lich hatte der Patient Schlingbeschwerden) stärker gewachsen; nach Analogie
mit anderen Lymphangiomen hatte dazu eine Entzündung Anlass gegeben, cf.
300 LYMPHOSARCÜME DES LARYNX.
LymphOSarCOme des Larynx. Diese Erkrankung beginnt nur selten
im Kehlkopf selbst. Gewöhnlich ist schon früher der Rachen betroffen, und
zwar entweder in der Form einer eigenthümlich durchscheinenden, glasartigen,
diffusen Infiltration oder in Form von flachen, polsterartigen Infiltraten, welche
schnell zerfallen, oder in der Form von grosshöckrigen oder knolligen Tumoren.
Alle diese Wucherungen können sich entweder langsam zurückbilden, ohne
Spuren zu hinterlassen, oder sie können eitrig zerfallen und vollständig heilen,
oder sie können verjauchen. Der Kehlkopf wird meist später befallen, und
zw^ar entweder in Form der glasähnlichen Infiltration oder in der Form von
Knoten wie im Rachen. Diese Gebilde erleiden auch dieselben Veränderungen.
Diese Erscheinungen ziehen sich lange Zeit hin, und gerade dieses Auf-
tauchen von neuen Infiltraten, während alte sich resorbiren, und zwar manch-
mal in ganz plötzlicher Weise, dann der Zerfall anderer Geschwülste und das
Vernarben derselben spielt sich auch im Kehlkopf im Verlauf von Monaten
ab. Oft werden auch die Drüsen am Halse betroffen und im Kehlkopf ent-
wickeln sich Heiserkeit und Stenose. Doch hat StöRK solche Zustände im
Kehlkopf manchmal sehr lange ohne Lebensgefahr bestehen gesehen. Histo-
logisch gleicht das Lymphsarcom einem Lymphdrüsengewebe, nur unterschei-
det es sich von Lymphdrüsen durch die unregelmässige Anordnung, durch ver-
schiedene Grösse der Rundzellen und manchmal durch eine besonders starke
Ausbildung des bindegewebigen Stromas.
Den Verlauf hat besonders Kündrat in klassischer Weise geschildert
und mit Recht die dadurch veranlasste Erkrankung als Lymphosarcomatosh
bezeichnet. Im Rachen beginnt die Erkrankung an einer Gruppe von peri-
pheren Lymphdrüsen oder an den Mandeln. Ihre weitere Ausbreitung erfolgt
entweder durch flächenförmiges Vorwärtsschreiten oder durch rücksichtsloses
Durchwuchern aller Gewebe, selbst des Knochens, oder endlich durch Infec-
tion der Lymphdrüsen.
Die Diagnose ist namentlich im Anfang sehr schwierig, höchstens die
glasartig durchscheinende diffuse Infiltration ist charakteristisch. Sonst kann
man die Infiltrate oder Geschwüre im Rachen oder Kehlkopf anfangs sehr
leicht für Folgen von Tuberculose oder Syphilis halten; namentlich die durch
den Zerfall der flachen Infiltrate entstehenden rundlichen Geschw^üre sehen
den syphilitischen sehr ähnlich und wurden auch schon öfters mit ihnen ver-
wechselt. Erst der oben geschilderte langsame Verlauf, in welchem das Auf-
treten neuer Infiltrate, das Rückbilden alter, der geschwürige Zerfall und die
Vernarbung derselben fort und fort abwechseln, lässt die Diagnose sicher-
stellen, wenn man längere Zeit beobachten kann. Besonders eigenthümlich
ist die manchmal auftretende plötzliche Rückbildung sehr grosser Tumoren.
So erwähnt Eisenmengee eines Falles, bei welchem wegen grosser Tumoren
im Rachen die Luftröhre und die Speiseröhre eröffnet werden raussten, um
das Schlingen und Athmen möglich zu machen. Zwei Tage später waren
die grossen Tumoren völlig geschwunden.
Die Symptome sind anfangs sehr gering, erst beim Zerfall der Wuche-
rung tritt Schmerz beim Schlingen ein, welcher den Patienten veranlasst,
einen Arzt aufzusuchen. Später kommt es natürlich durch die Ausbildung
grosser Geschwüre und grosser Tumoren zu Heiserkeit, Athembeschwerden
und Schlingbeschwerden.
Therapie. Vor allem andern scheint Arsen von gutem Einfluss zu sein,
indem es manchmal eine lang dauernde Rückbildung der Infiltration bedingte,
einigemal si gar zur Heilung führte. Manchmal jedoch blieb es wirkungslos.
Man wird daher jedenfalls eine locale Behandlung einzuleiten haben. Eine
vollständige Exstirpation wird selten möglich sein, weil der Process gewöhnlich
zu weit über Rachen, Nase, Nasenrachenraum etc. ausgebreitet ist. Dagegen
kann sich die Exstirpation einzelner kleiner, besondere Beschw^erden machender
MENIERE'SCHE SYMPTOME. 301
GescliAvülste oft als recht günstig erweisen, namentlich, weil sich manchmal
einem solchen Eingriff eine ausgebreitete Rückbildung der Tumoren anschloss.
Diese Besserung ist aber gewöhnlich nicht von Dauer, denn der Trocess
schreitet weiter, ergreift den ganzen Kachen und Nasenrachenraum, die Nase,
die Nebenhöhlen der Nase, die Orbita und wuchert nicht selten vom Nasen-
rachenraum durch die Schädelknochen in die Schädelhöhlc hinein. Ueberall
bilden sich in den späteren Stadien grosse Tumoren, welche sehr leicht
bluten, oft vereitern oder verjauchen, und dadurch theils das Schlingen, theils
das Athmen behindern. Endlich richten sie das Individuum zugrunde durch
fortwährende Blutung und Jauchung oder durch Uebergreifen auf das Gehirn.
Dieser fast immer beobachtete perniciöse Verlauf hat namentlich Kundkat
veranlasst, das Lymphosarcom als die bösartigste aller Neubildungen zu er-
klären, viel bösartiger als das Carcinom. chiari.
Meniere'SChe Symptome. Es ist wohl eines der schwierigsten Capitel
der Otologie und der Neurologie, das wir vor uns haben. Es muss vor allem
festgestellt werden, dass der Ausdruck „MfiNiBRE'sche Symptome" durchaus
keine bestimmte Krankheitseinheit, keine bestimmte Affection bezeichnet. Wir
verstehen darunter vielmehr einen symptomatischen Begriff, ein klinisches Bild,
dem durchaus kein einheitliches anatomisches Substrat zu Grunde liegt, einen
Symptomencomplex, der nicht nur durch verschiedene ätiologische Momente
und dift'erente anatomische Veränderungen, sondern auch durch mannigfache
functionelle Störungen bedingt sein kann.
Die wesentlichen Bestandtheile dieses Bildes sind: Schwindel, subjeetive
Gehörswahrnehmungen und Erbrechen, die bekannte MENiiRE'sche Trias. In
einer gewissen Gruppe von Fällen, bei dem sogenannten otitischen MENifeRE'schen
Schwindel, ist auch Schwerhörigkeit immer vorhanden. Diese Symptome treten
manchmal plötzlich in Form von Anfällen, Zusammensturz mit oder ohne
Bewusstlosigkeit auf. Oft sind sie von anderen Nebensymptomen begleitet,
wie Augensymptome (Nystagmus, Pupillenerweiterung, Hemianopsie, Doppelt-
sehen u. s. w.), Kopfschmerzen, seltener Facialisparalyse und sonstigen Nerven-
erscheinungen. Das ganze Bild kann einen oder einige Momente bestehen
und dann ganz verschwinden, um früher oder später sich zu wiederholen, oder
die Erscheinungen bestehen in einem gewissen Grade fort und exacerbiren
anfallsweise in verschiedenen Intervallen. Den Anfällen und Exacerbationen
gehen manchmal gewisse prämonitorische Erscheinungen voraus, mitunter sind
gewisse veranlassende Momente als causa movens seu provocans nachweisbar,
in den meisten Fällen fehlen solche ganz.
Zwischen den einzelnen Insulten nehmen die Symptome gewöhnlich an
Intensität ab oder verlieren sich ganz bis zur nächsten Attaque. Am constan-
testen ist der Schwindel, in den otitischen Formen die Schwerhörigkeit, die
in verschiedenem Grade vorhanden sein und fortbestehen können. Der Schwindel
ist entweder der Art, dass Patient das Gefühl hat, als ob die Gegenstände
seiner Umgebung sich um ihn bewegen, drehen, tanzen u. s. w. oder dass er
selbst um jene gedreht wird. Die subjectiven Geräusche sind sehr verschie-
dener Natur, continuirlich oder intermittirend und leiten sehr oft den Anfall
ein. Das Erbrechen ist nicht constant, häufiger sind nur Uebelkeit, Brech-
reiz u. dgl. vorhanden.
In seltenen Fällen sind die Symptome continuirlich, stationär in hohem
Grade, so dass die Patienten von fürchterlichem Ohrensausen und Dreh-
schwindel fortwährend gequält, ununterbrochen ans Lager gefesselt sind, ohne
die horizontale Lage verlassen zu können, ein Zustand, den v. Fraxkl-
HocHWART sehr treffend mit .^Status Meniericus^ bezeichnet hat.
Pathologie. Combina'tionen, Intensität, Dauer und Verlauf dieses
Bildes, sowie der einzelnen es zusammensetzenden Symptome bieten zahlreiche
302 MENIERE'SCHE SYMPTOME.
Modificationen und Variationen dar, welche zumeist von der bedingenden
anatomischen oder functionellen Ursache abhängig sind. — Als Mkni^rü; im
Jahre 1861 die nach ihm benannte Krankheit beschrieb und seine Erklärung
auf Grund eines von ihm obducirten Falles und einiger klinischer Beobach-
tungen begründete, glaubte er wohl eine specielle Atfection, eine Krankheit
sui generis vor sich zu haben. Indessen zeigte die Erfahrung, dass diese Sym-
ptome nicht nur von jedem Theile des Gehörorganes durch verschiedene Er-
krankungen ausgelöst, sondern dass sie auch vom centralen Nervensystem
und selbst von peripheren Nervenendigungen hervorgerufen werden können,
ohne dass ihnen irgend eine nachweisbare organische Alteration zn Grunde
läge. Da das Leiden selten letal endigt und für viele Fälle gar keine oder
nur unvollständige anatomisch-pathologische Untersuchungen vorliegen, die
vorliegenden pathologischen Befunde ebenso wie die physiologischen Experi-
mente widersprechende Resultate ergaben, ist man bezüglich der Erklärung
seines Entstehungsmechanismus zum grossen Theile auf Hypothesen und Ver-
muthungen angewiesen. Soviel steht jedoch fest, dass der Acusticus die Hör-
empfindung vermittelt, und vieles spricht dafür, dass die halbzirkelförraigen
Canäle den Sitz der Gleichgewichtsregulirung bilden. Wenn auch gegen diese
Ansicht viele bis nun noch nicht endgiltig widerlegte Argumente ins Feld
geführt werden, so lassen sich doch mit ihrer Hilfe die meisten klinischen
Erfahrungen und Beobachtungen befriedigend erklären und in Uebereinstim-
mung bringen. Pathologische Veränderungen dieser Theile werden daher
Schwindel und Schwerhörigkeit nach sich ziehen. Insofern scheint schon
Meniere bezüglich der Localisation und des Zustandekommens dieser Er-
scheinungen in gewissen Fällen das Richtige gedeutet zu haben. Thatsächlich
fanden sich in einem Falle Meniere's und in einigen anderen Fällen bei der
Obduction Erkrankungen im Labyrinthe als Basis der MExiöRE'sclien Symptome,
und es unterliegt gar keinem Zweifel, dass solche Affectionen oft den er-
wähnten Symptomen zu Grunde liegen. Diese Veränderungen können sein:
Hyperämie, Blutungen, Entzündungen mit ihren verschiedenen Ausgängen, wie
Bindegewebswucherungen, Atrophie u. s. w. im Labyrinthe. Nach Gruber
spielt hier abnorme Beschaffenheit der Adnexe des Labyrinthes, besonders der
Wasserleitungen, eine grosse Rolle. Danach kommt es bei mangelhaftem
Abflüsse der Endolymphe durch Verschluss des Aquaeductus vestibuli oder
durch Obliteration der von Rüdinger nachgewiesenen Abzugscanälchen zu
einer vermehrten Ansammlung derselben, die, w^enn sie den Höhepunkt erreicht,
vielleicht durch übermässigen Druck, vielleicht sogar durch Zerreissen mit
gleichzeitigem Blutaustritte die MENifeRE'schen Erscheinungen mit einem
Schlage herbeiführen kann. Durch Zufälligkeiten, z. B. durch übermässigen
Genuss von Spirituosen, bei starker Congestion gegen den Kopf könnte es
zu einer vermehrten Secretion der Endolymphe kommen, die infolge Insuf-
ficienz der Abzugscanäle ähnliche Erscheinungen verursachen könnte. Neben
exsudativen entzündlichen Processen können also auch Secretionsanomalien die
Basis dieser Erscheinungen bilden.
Nun zeigte die Erfahrung, dass, während in manchen Fällen trotz
prägnanter anatomischer Veränderungen und organischer Erkrankungen im
Labyrinthe diese Symptome in vivo fehlten, in anderen für das markant aus-
gesprochene Krankheitsbild nicht die geringste anatomische Läsion nach-
gewiesen werden konnte (Lucas, Baginsky u. a.). Zur Erklärung solcher
Fälle müssen dann functionelle oder reflectorische Alterationen im Labyrinthe
oder im Centralnervensystem, besonders im Kleinhirne, herangezogen werden.
Dasselbe gilt von manchen dieses Bild concomittirenden nervösen Erschei-
nungen. Sind jedoch functionelle Störungen im allgemeinen noch nicht bis
in ihre ursprünglichen ätiologischen Details klargelegt, so lässt speciell die
Frage bezüglich des Zustandekommens der MENifeRE'schen Erscheinungen, resp.
MENIERE'SCHE SYMPTOME. 308
bezüglich der Kette des causalen Zusammenhanges zwischen Ursache und
Wirkung, trotz aller mehr oder weniger plausiblen Theorien an Vollständigkeit
und Klarheit vieles zu wünschen übrig. Soviel ist jedoch sicher, dass auch
Läsionen des Kleinhirnes Ohrensausen, Schwindel und Erbrechen, eventuell
auch Schwerhörigkeit produciren können. Das Kleinhirn ist ein Organ,
welches bekanntlich mit dem Nervus vestibularis in Verbindung tritt und
dem im allgemeinen ein Zusammenhang mit dem Gleichgewichte vindicirt
wird, und nicht nur die Nerven des Labyrinths, sondern auch die betreffen-
den Centren im Kleinhirne scheinen auf eine Keihe von Schädigungen des
Organismus mit den MjiNiKUE'schen Erscheinungen zu reagiren. Der Vorhof
des Labyrinthes kann als peripheres Organ des Kleinhirnes, als des statischen
Apparates des Centralnervensystemes angesehen werden, welchem als lieHexcen-
trum von den Haut-, Sehnen-, Gelenks- und Augennerven entweder direct oder
durch Vermittlung der Bogengänge periphere Eindrücke zugeführt werden,
welche die uns interessirenden Erscheinungen auslösen können.
Die leichte Auslösbarkeit derselben auf geringfügige äussere Reize wird
man in manchen Fällen auf eine constitutionelle neuropathische Veranlagung
zurückführen können. Dafür spricht die häufige Combination dieses Zustandes
mit anderen constitutionellen Neuropathien, wie Hysterie (Charcot), Epilepsie,
Hemicranie (v. Feankl- Hochwart), Neurasthenie und die von manchen
beobachtete Heredität (Simon). Das Irritamentum kann um so geringer sein,
je stärker die Disposition des Kranken, je geringer die Widerstandsfähigkeit
seiner Nerven ist. Es handelt sich da wahrscheinlich um ein labiles Gleich-
gewicht der molecularen Nervenelemente, welches auf einen geringfügigen
äusseren Reiz ins Schwanken geräth. Dadurch ist die individuelle Schwelle
der Erregbarkeit gewisser Centren und Nerven bei den betreffenden Patienten
herabgesetzt. Der Reiz schlägt dann die Bahnen ein, wo ihm der geringste
Widerstand entgegenwirkt, wo die Erregbarkeit den geringsten Schwellwert
besitzt. Die den veränderten Nervenmechanismus bewirkende specifische
Ursache, das auf das Nervensystem schwächend einwirkende pathogene Agens
kann angeboren sein oder auch erworben durch verschiedene Ernährungs-
störungen, . Alcoholmissbrauch, Infections- und Nervenkrankheiten etc. Die
Entstehungsursache des MENiERs'schen Symptomencomplexes ist also jedenfalls
eine neurogene.
Von weiteren Erfahrungen, von der Vervollkommnung der anatomisch-
histologischen Untersuchungsmethoden und den Fortschritten der neuropatho-
logischen Forschung sind in der Zukunft auch hier nähere Aufklärungen zu
erwarten. Jedenfalls, so meinen wir, sollten in allen Fällen von MENiERE'schem
Erscheinungscomplex zweifelhafter Provenienz die genaue Harnuntersuchung
auf Chloride, Antointoxicationsproducte, Toxine etc. vorgenommen werden,
was bis jetzt nicht geschehen ist. Eine solche Analyse dürfte vielleicht in
manche ätiologisch dunkle Fälle' einiges Licht zu bringen im Stande sein.
Aetiologie. Wenn wir nun auf die eigentliche klinische Ursache ein-
gehen wollen, präsentiren sich uns zwei grosse in die Augen springende
Krankheitsgruppen, die strenge von ein and ergehalten werden müssen. Wenn
man den symptomatischen Begriff „ MENiERE'sche Symptome" im weiteren Sinne
auffasst, so hat man es, strenge genommen, mit einer Concurrenz von cere-
bralen Symptomen zu thun, die zwar in erster Reihe im Kleinhirn und Laby-
rinth entstehen, jedoch einerseits Bestandtheile des Krankheitsbildes dar-
stellen, wie sie von verschiedenen Gehirnkrankheiten (I a) und Affectionen des
Gesammtnervensystemes (I b) hervorgerufen, anderseits von diversen Erkran-
kungen des Gehörorganes inducirt werden können (H).
I a) Pathologische Affectionen im Gehirne werden, besonders
wenn der Acusticus oder seine Kerne in Mitleidenschaft gezogen sind, neben
anderen Erscheinungen leicht auch Schwerhörigkeit oder Taubheit, Schwindel-
304 MENIERE'SCHE SYMPTOME.
erscheinungeil, Ohrenrauschen und auch Erbrechen verursachen. Solche
Affectionen können z. B. sein: Tumoren, Aneurysmen, Blutungen,
Erweichungen, Pachymeningitis, Meningitis, Gehirnabscess,
Embolie u. dgl. viele. Die erwähnten Symptome kommen dann mit
anderen entsprechenden Gehirnsymptomen combinirt vor. Je nach der Natur
der Krankheit treten diese Symptome in apoplectischer Form auf (z. B. bei
Embolie, Blutungen), wie in zwei Fällen von Frankl-Hochwart, in welchen
der MKNiERE'sche apoplectische Anfall mit Facialislähmung complicirt war. In
beiden Fällen blieben Taubheit und Gesichtslähmung dauernd. Wahrscheinlich
war eine Blutung an der Hirnbasis im Bereiche dieser Nerven die Ursache,
ebenso wie in einem dritten Fall desselben Autors, welcher mit Bewusst-
losigkeit und Trigeminusanästhesie einhergieng; oder die Symptome ent-
wickeln sich langsam, nehmen einen progressiven Verlauf, dauern continuirlich
oder sind nur vorübergehend.
Nach WoAKES könnten die MENifcuB'schen Symptome auch durch eine Affec-
tion des Ganglion cervicale inferius sympathici bedingt sein; dieses Ganglion
nimmt nämlich einerseits einen EinÜuss auf die Arteria vertebralis, somit
auch auf die Labyrinthgefässe, während es anderseits mit den Vagusästen in
Verbindung steht. Bei einer Erschlaffung dieses Ganglion werden vom Laby-
rinthe Schwerhörigkeit, Ohrensausen, Schwindel, vom Vagus hingegen Uebel-
keit und Erbrechen ausgelöst.
I b) In anderen Fällen bilden die besprochenen Symptome eine Theil-
erscheinung einer allgemeinen Neurose. Hierher gehört Hysterie, auf
deren Association mit dem in Rede stehenden Symptomencomplex Charcot
die Aufmerksamkeit lenkte. Es sind weiters Fälle beobachtet worden, die
dafür sprechen, dass diese Symptome als Aura epileptische Anfälle einleiten, sie
begleiten, vicariirend oder als Aequivalent für sie, ebenso für Anfälle von
Hemicranie eintreten können. Es scheint auch, dass diese Erscheinungen als
„forme fruste" von epileptischen, hysterischen oder hemicranischen Attaquen
sich manifestiren können, v. Frankl-Hochwart theilt einige einschlägige
Fälle mit, die aber nicht ganz einwandsfrei sind. Es ist ja nicht ausge-
schlossen, dass es sich in einigen dieser Fälle um eine Neurose des Laby-
rinthes bei nervösen Personen gehandelt hat, um eine functionelle Schädigung
des Bogengangapparates, bei welcher die MENiERE'schen Symptome zufällig von
Krämpfen, Kopfschmerzen und anderen Erscheinungen der gleichzeitig be-
stehenden allgemeinen Nervosität complicirt waren. Solche Anfälle bestehen
dann in Drehschwindel, Ohrensausen, Brechreiz oder Erbrechen und sind
manchmal von Zuckungen, Convulsionen, heftigen Kopfschmerzen oder anderen
nervösen Zufällen begleitet. Die Attaquen sind meistens transitorisch, dauern
verschieden lange Zeit, verschwinden dann vollständig, um sich jedoch nach
einem verschieden langen Intervall zu wiederholen. Ihrem Auftreten geht
meist kein äusserlich nachweisbarer Anlass oder äussere Einwirkung voraus.
Die Gehörschärfe ist in allen diesen Fällen intact, der otoskopische Befund,
wenn nicht eine zufällige Complication vorhanden ist, normal. Diese Inte-
grität des Gehörorganes beweist, dass man es da nicht mit dem echten Meniere'-
schen Anfalle zu thun hat. Der Ausdruck Vertigo auratis ist hiernatürlich nicht
am Platze. Frankl-Hochwart schlägt daher für diese Formen die Bezeich-
nung „Pseudo-MENiERE'sche Anfälle" vor. Bezüglich der Erklärung solcher
Fälle ist man bei dem Mangel anatomischer Untersuchungen auf hypothetische
Combinationen angewiesen. Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine
Mitbetheiligung des Labyrinthes an einer allgemeinen Nervosität, um eine
gesteigerte reflectorische Irritabilität der Bogengangsnerven, der Nervi am-
pullares, des Kleinhirnes oder auch um eine vasomotorische Neurose der
Labyrinthgefässe. Analog verhält es sich mit dem von Urbantschitsch beob-
achteten Falle, betreffend einen mit Morbus Basedowii behafteten Patienten,
MfiNIERE'SCHE SYMPTOME. 305
der gleichzeitig an Schwerhörigkeit, subjectiven Gehörsempfindungen und
Schwindel litt.
Hierher wäre auch vielleicht der Fall von Eitelbebg zu setzen, wo im Anschlüsse
an eine einmalige energische Bepinselung des Rachens mit einer lO^/oigen Lapislösung, von
der 1 gr der Lösung verbraucht worden war, Erbrechen, später Schwindel und Ohrensausen
auftraten, einige Zeit mit Unterbrechungen anhielten und schliesslich verschwanden, um
einer bleibenden Facialisparalyse Platz zu machen. Dabei blieb jedoch das Gehör während
der ganzen Zeit intact. Das Krankheitsbild Hesse sich hier durch eine Idiosynkrasie gegen
Argent. nitr. erklären. Die Facialisparalyse könnte einer zufälligen Complication zuge-
schrieben werden. Eine andere Erklärung wäre die, dass die Schwindelerscheinungen die
Folge einer durch Reizung der Pharynxnerven ausgelösten Reflexneurose wären, dann wäre
dieser Fall zu den Pseudo-MENiERK'schen Symptomen zuzählen. Ob nicht auch Autointoxicationen
den MENiERE'schen Symptomen zu Grunde liegen können? Diese Frage wäre zu erwägen. Bis nun
liegen jedoch keine entsprechenden Beobachtungen vor. Auch könnten solche Anfälle auf
reflectorischem Wege von Affectionen der Nase oder der Genitalorgane besonders bei Frauen
ausgelöst werden, und es wäre angezeigt, in gegebenen Fällen die Aufmerksamkeit darauf
zu richten und diese Organe einer genauen Untersuchung zu unterziehen.
IL In der zweiten Gruppe von Krankheiten liegen Affectionen verschie-
dener Abschnitte des Gehörorganes den erwähnten Symptomen zu Grunde.
Das wichtigste, allen diesen Fällen gemeinsame Merkmal ist die Alteration
der Gehör schärfe. Man hat es hier demnach mit dem eigentlichen Ohr-
schwindel, der Vertigo ab aure laesa, den MENitiRE'schen Symptomen sensu stric-
tiori zu thun. Auch hier zeigen die Symptome eine grosse Verschiedenheit in
ihrem Verlauf, ihrer Intensität und ihren Combinationen je nach der Natur und
dem Sitze der zu Grunde liegenden Ohrenaffectionen. Wenn wir die Reihen-
folge vom Centrum gegen die Peripherie weiter einhalten, so kommen wir zu-
nächst zum Labyrinthe.
a) Setzen die Symptome bei bisher ohrgesunden Personen plötzlich ein
und schliesst sich dem ersten Anfall ein chronischer Verlauf an, ohne sonstige
Hirn- oder Nervensymptome, so liegt die eigentliche MENiERE'sche Krankheit sive
die apoplectische Form Mbniere's vor. Dieselbe kommt nur selten vor, ihre
Kenntnis und richtige Deutung datirt von Menierr, dessen Namen sie auch
führt. Der Beginn erfolgt plötzlich. Manchmal stürzt der bis dahin gesunde
Patient wie vom Schlage gerührt plötzlich bewusstlos zusammen. Nach einigen
Minuten bis Stunden kehrt das Bewusstsein zurück. Es treten dann unter
starker Gesichtsblässe und kaltem Schweisse so starker Schwindel und Ohren-
sausen auf, dass Patient sich vorerst nicht erheben und einige Zeit ohne
Stütze nicht gehen kann. Dazu tritt gleichzeitig Brechreiz oder' Erbrechen
und Schwerhörigkeit. Allmählich hört auch das Brechen auf, die Schwindel-
und atactischen Erscheinungen lassen nach, die Schwerhörigkeit aber bleibt
und nimmt gewöhnlich in der Folge zu. Nach einem kürzeren oder längeren
Zwischenraum wiederholt sich der Anfall, und der Verlauf nimmt eine wellen-
förmige Gestalt an. Nach jedem frischen Insulte kommt der Patient mit
einer Steigerung der Gehörsstörung davon. Den Schluss bildet gewöhnlich
vollständige Taubheit.
Doch ist der A^ erlauf nicht immer gleich typisch und finden sich die
mannigfachsten Variationen. Während der Anfall manchmal unvermittelt, wie
ein Blitz aus heiterem Himmel einschlägt, gehen demselben in anderen Fällen
einige Zeit gewisse prämonitorische Erscheinungen voraus, wie Schwindel,
Kopfschmerz, Blutandrang zum Kopfe, Hitzegefühl, Ohrengeräusche, seltener
Erbrechen. Der Anfall selbst kann ohne Bewusstlosigkeit und auch ohne
Zusammensturz plötzlich mit heftigen Schwindelerscheinungen, Schwanken,
unsicherem Gange, Taumeln oder mit Erbrechen, Ohrenklingen etc. beginnen
und von den anderen Symptomen begleitet werden. Zuweilen erwachen die
Patienten aus dem Schlafe mit heftigem Sausen, Schwindel, aufgehobener Coor-
dination, Schwerhörigkeit und Uebelkeiten. Es kann ferner gleich nach der
ersten Attaque vollständige Taubheit zurückbleiben, oder die anfänglich geringe
Schwerhörigkeit nimmt später successive zu. Selten bessert sich auch die
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten. -0
306 MENIERE'SCHE SYMPTOME.
Hörfähigkeit. Am frühesten verschwindet das Erbrechen, während der Schwindel
und die atactischen Erscheinungen noch einige Zeit, Wochen bis Monate,
anhalten. Am längsten hält sicli das Ohrensausen und die Schwerhörigkeit.
Manchmal tritt nach einer Erkältung plötzlich Schwindel, Ohrensausen, Taub-
heit ein.
Nach einigen Tagen hört der Schwindel auf, das Sausen besteht fort,
die Taubheit bleibt intensiv. Auch können sich die Symptome langsamer ent-
wickeln und allmählich steigern. Die Taubheit kann anfangs nur einseitig
sein und so bleiben oder später doppelseitig werden oder gleich doppelseitig
auftreten. Recidiven der Anfälle, resp. anfallsweise Exacerbationen sämmtlicher
Symptome ist die Regel und für diese Krankheit charakteristisch. Doch selbst
in Fällen, in denen keine Rückfälle auftraten und die anderen Symptome
allmählich zurückgehen, bleibt doch die Schwerhörigkeit meist unverändert,
bessert sich nur selten und auch dies meist nur vorübergehend.
In seltenen Fällen wiederholen sich die Anfälle regelmässig in bestimmten
periodischen Intervallen.
Von directen Ursachen wurden am häufigsten atmosphärische Einflüsse
beschuldigt, Erkältung, Kälte, Durchnässung, Zugluft u. dgl. In anderen
Fällen werden Einwirkung hoher Temperaturen, Erhitzung des Körpers, psy-
chische Emotionen, geistige und körperliche Ueberanstrengung, Alcoholmiss-
brauch u. a. als agents provocateurs angegeben. Als prädisponirende Ursachen
sind bekannt manche allgemeine Krankheiten, wie Syphilis, Tabes, Paralysis
progressiva, Sclerosis, Gicht etc. Verhältnismässig oft wurde Leukämie als
causa disponens beobachtet. Die Untersuchung des Ohres ergibt dabei meist:
äusseres Ohr, Mittelohr, Trommelfell normal und Affection des schallleitenden
Apparates, nämlich: Acusticusperception abgeschwächt oder aufgehoben — die
Knochenleitung vermindert oder fehlend. Ebenso ergibt die genaue Prüfung
des Nervensystemes Intactsein der Function der anderen Hirnnerven. Oefters
findet man Zeichen der bereits erwähnten disponirenden Krankheiten.
Solche apoplectische Anfälle waren ebenso wie die MENiERR'schen Symptome
in Begleitung verschiedener Ohrenkrankheiten schon früher bekannt, wurden je-
doch ehemals ausschliesslich Erkrankungen des Gehirnes oder seiner Hüllen
zugeschrieben. Der Zusammenhang derselben mit pathologischen Zuständen
des Labyrinths wurde zuerst von Meniere erkannt und gewürdigt, daher auch
der Name „MENiERE'sche Symptome." In einem Falle Meniere's und in einigen
später zur Obduction gelangten Fällen fanden sich anatomische Veränderungen
im Labyrinth in Form von Extravasaten oder blutigem Exsudate, Bindegewebs-
neubildungen und Zelleninfiltration in dem Vorhofe, in den Bogengängen oder
auch in den Schneckenwindungen, wobei oft die Nervenfäden des CoETi'schen
Organes, sowie die Vestibular-Ampullartheile in dem geschrumpften Binde-
gewebe und in den Detritusmassen vollständig zugrunde gehen. Doch muss
für die Fälle, die mit Bewusstlosigkeit einhergehen, wohl auch eine wenn
auch nur vorübergehende Schädigung des Gehirnes, etwa eine Erschütterung
oder eine Hyperämie, zur Erklärung mit herangezogen werden.
Man wird also mit Meniere in allen apoplectiformen Fällen, in denen
eine wesentliche Affection des Gehirnes sich ausschliessen lässt, unbedingt
eine genuine Erkrankung des Labyrinths, resp. der Bogengänge annehmen
und dieselbe als eine ätiologisch und anatomisch determinirte Krankheit —
Morbus Menieri — ansehen können. Für eine Blutung als Ursache der Paro-
xysmen spricht auch die nach jedem Anfalle resultirende bleibende Verschlim-
merung des Gehörs. Für jene Fälle dieser Krankheit, bei welchen sich die
Bogengänge frei und nur andere Theile des Labyrinths, wie Schnecke u. s. w.,
afficirt fanden, kann eine reflectorische Störung der halbzirkelförmigen Canäle
von anderen Theilen des Labyrinthes aus vorausgesetzt werden, während man
in Fällen, wo trotz prägnanter anatomischer Veränderungen der Bogengänge
MlilNIERE'SCHE SYMPTOME. ^307
<Moos, LuCAE u. a.) oder ausgedehnter Zerstörung im Labyrinthe keine Spur
<iieser Erscheinungen in vivo vorhanden war, annehmen muss, dass das Laby-
rinth der anderen Seite, das Kleinhirn oder andere Theile des Centralnerven-
systemes die Function der zerstörten Partien substituiren, sie compensatorisch
ersetzen, resp. nach Politzer, dass nur dort, wo durch ein Extravasat ein
Reiz auf die Ampullarnerven ausgeübt wird, die MicNiioRE'schen Symptome in
hohemGrade ausgeprägt auftreten, während sie ganz fehlen, wenn der Blut- ,
erguss nicht unmittelbar auf die Vorhofs- und Ampullarnerven einwirkt.
Zu den Erkrankungen des Labyrinths, welche die MKNiEi'.E'schen Symptome
lierbeiführen können, müssen auch Intoxicationen gezählt werden. Nach verschie-
denen Arzneimitteln, wie Chinin, Natr. salicyl., den Labyrinthgiften xai' i;o//^v,
nach Nicotin, Argent. nitr. u. a. wurde das Auftreten dieser Symptome beob-
achtet. Der Verlauf ist meist ein vorübergehender, die Entwicklung dieses
Bildes je nach Art der Darreichung der betreffenden Medicamente eine lang-
same oder eine raschere. Auch hier ist die Hörstörung am hartnäckigsten,
mitunter auch bleibend. Der negative otoskopische Befund neben den Zeichen
einer Acusticusaffection in Verbindung mit den Ergebnissen der Thierexpe-
rimente von Kirchner berechtigen zu der Vermuthung, dass es sich in diesen
Fällen um Hyperämien, Hämorrhagien oder serösem Exsudate im Labyrinthe,
manchmal auch in der Paukenhöhle handelt, Frankl-Hochwart hat bei
einem Petroleumgrubenarbeiter, wahrscheinlich infolge Gasvergiftung, Haug
infolge einer Schwammvergiftung die MENiERE'schen Symptome auftreten
gesehen.
Die Affectionen des Labyrinths mit MENifeRE'schen Symptomen sind jedoch
nur selten primär, in den meisten Fällen hingegen secundärer Natur, sei es
durch Infectionskrankheiten oder durch Krankheiten anderer Abschnitte des
Gehörorganes verursacht. Hierher gehört die sogenannte „Labyrinthitis idio-
pathica" von Voltolini, die von anderen Autoren als eine abortive Form der
Meningitis cerebro - spinalis gehalten wird, was auch wahrscheinlicher ist.
Diese Krankheit tritt am häufigsten bei Kindern plötzlich, manchmal auch
nach vorausgegangenen Schwindelerscheinungen unter stürmischen Allgemein-
erscheinungen, wie hohes Fieber, nicht selten Schüttelfrost, convulsivischen
Zuckungen, Brechreiz, Coordinationsstörungen und anderen meningealen Reiz-
erscheinungen, zuweilen unter Bewusstlosigkeit auf. Nach kurzer Zeit (2—4
Tagen) gehen alle diese Erscheinungen vorüber. Nur die Schwindelerschei-
nungen dauern mitunter länger, so dass die Kinder Wochen bis Monate hie-
durch nicht ohne Unterstützung zu gehen vermögen oder bei jedem Versuch,
aufzustehen, starke Schwankungen des Körpers, Taumeln zeigen. Später treten
auch diese Symptome ab, nur die Taubheit bleibt meist beiderseitig und
dauernd zurück. Im Gefolge von Scharlach, Nephritis und anderen Infections-
krankheiten, seltener primär kommt es manchmal zu der unter dem Namen
Panotitis von Politzer beschriebenen Krankheit, bei welcher das Mittelohr
und das Labyrinth gleichzeitig von einer acuten Entzündung ergriffen werden,
die von der MENiERE'schen Trias begleitet zu werden pflegt. Der Verlauf ist
dann acut und hängt im übrigen von der primären Krankheit ab.
Aber auch zu bereits bestehenden chronischen, primären oder secundären
Labyrinthleiden, seien diese durch allgemeine Infections- oder Nervenkrank-
heiten, wie Leukämie, Lues, Tabes u. a. oder mechanisch durch langdauernde
Schalleinwirkung (Berufskrankheiten der Schlosser, Kesselschmiede, Maschinisten,
Artilleristen etc.) oder durch Mittelohrerkrankungen entstanden, können die
MENifeRE'schen Symptome hinzutreten. Bei solchen Patienten also, die schon
seit längerer Zeit schwerhörig sind, manifestiren sich diese Erscheinungen
entweder plötzlich mit dem oben für die apoplectische Form beschriebenen
Verlaufe, die Insulte wiederholen sich in verschiedenen Intervallen und lassen
eine immer grössere Schwerhörigkeit zurück, oder die Trias entwickelt sich
20*
308 MENIERE'SCHE SYMPTOME.
langsam, nimmt einen progressiven Verlauf oder bleibt in einem gewissen)
Stadium stationär mit oder ohne periodische Exacerbationen unter intensivem
Drehschwindel, Zusammenstürzen u. s. w.
h) Von den Mittelohrkrankheiten gibt es wohl keine, bei der nicht unter
Umständen die MENiERE'schen Symptome erscheinen könnten. Bei vorher
gesundem Gehörorgane kann infolge einer acuten Tympanitis, besonders bei
einem raschen reichlichen Exsudatergusse ins Mittelohr die apoplectische
Form auftreten, die, mit der ursächlichen Krankheit wieder vollständig vorüber-
zugehen pflegt. Die häufigste Form des Ohrschwindels wird jedoch bedingt durch
die chronischen Processe des Mittelohres, sowohl durch die eitrigen als auch
die katarrhalischen, besonders durch die chronisch sklerosirenden Entzündun-
gen. Der Verlauf der MENifeRE'schen Symptome ist hier meist ein langsam
sich entwickelnder, dauernder, ähnlich wie bei den chronischen Labyrinth-
erkrankungen. Oft aber werden solche Ohrenkranke auch von anfallsweise in
unregelmässigen Zwischenräumen auftretenden Schwindelanfällen heimgesucht,
zwischen welchen sie von diesen Erscheinungen frei sind, oder diese bestehen
in geringerem Grade auch in der Zwischenzeit fort. Zuweilen gesellen sich
zu der chronisch bestehenden Schwerhörigkeit und Ohrengeräuschen die anderen
Symptome, Schwindel und Erbrechen, auf gewisse äussere Anlässe liinzu,
z. B. bei Niesen, raschen Körperbewegungen u. dgl., während die Geräusche
und Schwerhörigkeit sich verschlimmern. Das Zustandekommen dieser Er-
scheinungen bei Ohrenkranken wird von manchen auf einen pathologischen
Reizzustand der Vestibulär- und Ampullarnerven, von anderen auf cerebrale
Störungen zurückgeführt, welche dadurch entstehen, dass von der Labyrinth-
flüssigkeit durch die Aquaeducte auf den Subarachnoidealraum stossweise
Druckschwankungen fortgepflanzt werden, welche eine Reizung der Hirn-
nerven, wie des N. acusticus, opticus, abducens, und consecutiv die Schwindel-
erscheinungen herbeiführen.
Für viele Fälle reicht schon die blosse Einwärtsdrängung der Gehör-
knöchelchen mit consecutiver Erhöhung des intralabyrinthären Druckes allein
zur Erklärung dieser Zustände aus.
Es ist jedoch a priori anzunehmen, dass die Erscheinungen und Paro-
xysmen in den Bogengängen oder im Kleinhirne von Reizen im Mittelohr
auch reflectorisch ausgelöst werden können und dass sie bei Personen mit
weniger widerstandsfähigem Nervensysteme, wie bei Hysterischen, Neurasthe-
nischen u. dgl., viel leichter und häufiger zustande kommen dürften als bei
sonst gesunden Ohrenpatienten.
Geadenigo unterscheidet unechte Schwindelanfälle otitischen Ursprunges,
welche mit einer collateralen oder Reflexreizung der Bogengangsampullen auf
Grund einer Mittelohrerkrankung in Verbindung gebracht werden, von den
echten typischen, welche von directen Erkrankungen der Bogengänge her-
rühren. Diese letzteren stammen nach Geadenigo nicht von einer Blutung
im. inneren Ohre her, sondern sind eine Folge der Ausbreitung einer chronisch
katarrhalischen Mittelohraffection auf das Labyrinth. Vollzieht sich dieses
Uebergreifen nur sehr langsam, so können die Symptome von Seiten des
Ampullenapparates ganz oder fast ganz fehlen, während bei weniger langsamer
Ausbreitung sich in einer gewissen Periode des Leidens typische MENifcRE'sche
Schwindelanfälle einstellen und bei rascher Ausbreitung und höchster Stärke
der Schwindel beständig wird. Auch die Dauer des MENiijRß'schen Stadiums
im klinischen Verlaufe einer chronisch katarrhalischen Mittelohrkrankheit, von
wenigen Monaten bis zu einem und mehreren Jahren schwankend, hängt von
der Raschheit der Fortpflanzung des Processes ab. Je beschleunigter der
Verlauf, desto kürzer pflegt die Periode der Schwindelanfälle zu dauern, da
dann umso eher der Reizung des Ampullenapparates seine Lähmung folgt.
MENIERE'SCHE SYMPTOME. ;i09
Andere (Mackenzie) schreiben in dieser Beziehung aucli gichtischen
Veränderungen und Circulationsanomalien eine gewisse Holle zu. Indessen
spricht auch vieles dafür, dass es sich in den anfallsweise auftretenden Attaquen
€ft um vorübergehende Hyperämien oder Blutungen im Labyrinthe handelt.
c) Dass auch vom äusseren Ohre das MioNiioRE'sche Symptomenbild
ausgelöst werden kann, ist eine durch unzweifelhafte Beobachtungen fest-
gestellte Thatsache. Dieselben erstrecken sich hauptsächlich, von Traumen ab-
gesehen, auf Cerumen und Fremdkörper im äusseren Gehörgange. Die Anfälle
treten da plötzlich auf und verschwinden rasch mit der Entfernung der Ur-
sache. Hier ist das Zustandekommen dieser Symptome nur auf reflectorischem
Wege zu erklären.
d) In seltenen Fällen können auch Erkrankungen des Acusticus
ähnliche Anfälle hervorrufen. Solche charakterisiren sich nach Politzer
•durch plötzliches Erblassen des Gesichtes mit unmittelbar darauf folgender
üeblichkeit, Schwindel, Ohrensausen und Schwerhörigkeit, Symptomen, welche
schon nach einigen Minuten vollständig wieder verschwinden ohne die geringste
Hörstörung zurückzulassen, sich jedoch von Zeit zu Zeit wiederholen können.
Politzer nimmt für einen solchen von ihm beobachteten Fall eine vom Sym-
pathicus ausgehende Angioneurose des Acusticus als Ursache der Anfälle an.
In einem Falle von Alt und Pineles, in welchem eine typische apo-
plectische Form der Meniere'schen Krankheit vorlag, welche mit plötzlichem
Ohrensausen und heftigem Schwindel einsetzte, worauf nach 14 Tagen fast
€omplete Taubheit folgte, ergab die Nekroskopie eine leukämische Erkrankung
des Acusticus neben allgemeiner myelo-linealer Leukämie als anatomische
Basis des Krankheitsprocesses.
e) Erkrankungen des Schläfebeines. Hier verdient angeschlossen
2U werden der Fall von Nothnagel, bei welchem die MENifeRE'schen Symptome
durch viele Jahre chronisch bestanden und mit Affection des Facialis und des
Lingualis combinirt waren. Nach Nothnagel müssen die Erscheinungen in
diesem Falle auf eine Läsion auf der Strecke vom Knie des Facialis bis zum
Abgange der Chorda tympani zurückgeführt werden, welche zu einer Sklerose
des Felsenbeines geführt hat, mit gleichzeitiger Beeinträchtigung der Func-
tionen des Facialis und des Acusticus.
ni. Traumen als Ursache des MENifeEE'schen Krankheitsbildes können
entweder durch directe Gewalteinwirkung auf das Gehörorgan, durch Schlag,
fremde Körper, Schuss- oder Stichverletzungen, oder auf indirectem Wege zu-
stande kommen. In letzterem P^all kann die Gewalt auf den Schädelknochen
einwirken und sich von da auf das Ohr fortpflanzen, oder das Trauma kommt
durch Luftdruckschwankungen zustande.
Es ist eine sehr häufige Erscheinung, dass schon sehr geringfügige
traumatische Einflüsse bei sonst ganz gesunden Menschen diese Symptome
hervorrufen können. Manche Patienten bekommen beim Ausspritzen des
Ohres, besonders mit kaltem Wasser, Schwindel und Zusammensturz, Ohnmacht,
denen nicht selten Ueblichkeiten, Ohrenrauschen nachfolgen. Aehnliches kann
man oft beobachten bei Berührung verschiedener Stellen des äusseren Gehör-
ganges, des Trommelfelles und vorzüglich der Paukenhöhle, besonders des
Promontoriums mit der Sonde. Ebenso können plötzlich ins Ohr hineinge-
rathende Fremdkörper, besonders Insecten, ein apoplectisches Einsetzen dieser
Symptome bewirken. Hierher gehören auch verschiedene directe und indirecte
äussere Einwirkungen, wie Einwirkung verdichteter Luft auf Trommelfell und
Paukenhöhle, bei der Ausübung der Luftdouche, des VALSALVA'schen Verfahrens,
bei starkem Schneuzen, Pressen u. dgl., Einwirkung hoher Töne oder starker
Geräusche, Detonation u. s. w. In dieser Beziehung wurden gewisse Idio-
synkrasien beobachtet, insoferne als manche Personen gerade auf gewisse
Töne und Geräusche mit Schwindel und Sausen reagiren, ebenso wie gewisse
310 MENIERE'SCHE SYMPTOME.
Individuen an der Seekrankheit leiden, deren Symptome mit den MENiöRB'schen
fast identisch sind. Manche Personen mit gesundem Gehörgange sind aus
diesem Grunde nicht im Stande, mit der Eisenbahn, andere auch nicht mit
einem gewöhnlichen Pferdewagen zu fahren, manche bekommen beim Tanzen,
besonders bei Rundtänzen, bei Schaukelbewegungen oder bei jeder brüsken
Drehbewegung des Körpers oder des Kopfes, zum Beispiel beim Caroussel-
fahren u. dgl., Ueblichkeiten, Erbrechen, Schwindel u. s. w. Bekannt sind auch
die Schwindelerscheinungen, welche die Application starker galvanischer Ströme
am Kopfe hervorruft. Alle diese Anfälle sind meist vorübergehend, dauern
nur wenige Secunden oder Minuten, selten länger. Insoferne als dabei keine
oder nur eine bald vorübergehende Hörstörung vorhanden ist, könnte man sie
zu den Pseudo-MENiERE'srhen Anfällen zählen.
Die Ursache der Erscheinungen in diesen Fällen ist manchmal in vor-
übergehenden Labyrinth- und Hirncongestionen zu suchen. Mitunter wird
man wohl eine Verschiebung der molecularen anatomischen Anordnung der
betreffenden Nervencentra im Kleinhirne oder der bezüglichen Nervenelemente
im Vorhofe annehmen müssen, und man kann a priori voraussetzen, dass
ohrenkranke und neuropathisch belastete oder veranlagte Personen auf die
erwähnten Einflüsse viel eher mit Schwindelerscheinungen reagiren werden
als ganz Gesunde, obwohl in dieser Beziehung noch keine hinreichenden
Beobachtungen und erschöpfenden Untersuchungen vorliegen. Gewisse Ex-
perimente, welche an Thieren (Kaninchen, Tauben u. s. w.) und an Taub-
stummen vorgenommen wurden (Flourens, Kretdl, Pollak, Breuer u. a.),
ergaben, dass es vorzüglich die Bogengänge sind, von deren Zustand und
speciell Erregbarkeit das Auftreten oder Ausbleiben gewisser Coordinations-
störungen und Schwindelerscheinungen abhängt.
Nicht selten wurden MENiERE'sche Symptome bei directer und indirecter
traumatischer Verletzung des Trommelfelles und selbst bei der Paracentese
desselben beobachtet. Neben der Empfindung einer starken Detonation und
eines heftigen Schmerzes tritt Ohnmacht oder starker Taumel, Schwindel und
Ohrensausen ein. Die Erscheinungen gehen bald ganz vorüber und nur, wenn
gleichzeitig eine Erschütterung des Labyrinthes stattgefunden hat, kann
Schwerhörigkeit länger anhalten oder auch dauernd sein.
Auf die Schädelknochen einwirkende Gewalt kann eine Schädigung des
Labyrinthes durch Fortsetzung einer Schädelfissur auf dasselbe bewirken, oder
es kommt nur eine Erschütterung des Labyrinthes ohne Verletzung der Laby-
rinthkapsel zustande. Sowohl in dem einen wie in dem anderen Falle
kann der MENiERE'sche Schwindel auftreten. So wurden Fälle beobachtet, in denen
Schlag auf den Kopf, Sturz auf Kopf, Auffallen eines schweren Gegenstandes
auf den Schädel, Verletzung des Labyrinthes durch Fremdkörper, Instrumente
etc., ferner Einwirkung verdichteter Luft, z. B. bei Caissonarbeitern, den
MENiERE'schen Symptom encomplex in apoplectischer Form zur Folge hatten. Wo
Verletzungen des Labyrinthes stattgefunden hatten, dort war der Verlauf dem
der echten MENiERs'schen Krankheit ähnlich. Die Symptome dauerten nach
dem Anfall in schwächerem Grade fort. Die Taubheit blieb constant. Manche
Fälle endeten letal an den Folgen der Verletzung (Meningitis). Der oto-
skopische Befund war negativ, ausser wenn gleichzeitig eine Verletzung im
schallleitenden Apparate stattfand, die Schallperception durch die Schädel-
knochen herabgesetzt, die Stimmgabelschwingungen wurden gegen das nor-
male Ohr lateralisirt.
Schon aus diesem Verlaufe allein geht mit Unzweideutigkeit hervor,.
dass es sich in den mitgetheilten Fällen um eine Läsion des Acusticus, resp.
des Labyrinthes gehandelt haben muss. Dies wurde auch durch einige vor-
liegende anatomische Untersuchungen festgestellt. In zwei Fällen Politzer's
und in einem von Voltolini mit Kopftrauma und MENiERE'schem Symptomen-
MENIERE'SCHE SYMPTOME. 311
complex, welche zur Obduction gelangt sind, konnte Fissur der Felsenbeine,
der knöchernen Labyrinthe neben theils frischem blutigem Extravasate, theils
blutigen Coagulis oder entzündlichem Exsudate und entzündlichen Binde-
gewebsneubildungen in Bogengängen und »Schnecke nachgewiesen werden.
Besonders interessant ist der zweite Fall Politzer's, der einzige, bei dem
bis jetzt auch eine histologische Untersuchung vorgenommen und fünf Wochen
nach stattgehabtem Insulte eine intensive Bindegewebsneubildung in den
Labyrinthgebilden aufgefunden wurde. Es lassen sich daraus, wie Politzer
richtig bemerkt, wichtige .Schlüsse auf die Ausgänge der in anderer Weise
zustande kommenden entzündlichen Labyrintherkrankungen ziehen, und es
lässt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen, dass das rasche Fort-
schreiten der Schwerhörigkeit bei den Labyrintherkrankungen in Begleitung
von Infectionskrankheiten bei Typhus, Parotitis, Panotitis, Meningitis cerebro-
spinalis etc. auf die rapide Entwicklung von entzündlichem Bindegewebe und
den späteren Uebergang desselben in Verknöcherung zurückzuführen ist.
Selten kann auch vollständige Heilung eintreten, wie in einem Falle von
Eitelberg, in welchem am siebenten Tage nach stattgefundenem Trauma zu
den MENiERE'schen Symptomen eine Facialisparalyse hinzutrat. Hier dürfte eine
Blutung an der Hirnbasis (vielleicht infolge der luetisch degenerirten Gefässe),
die später zur vollständigen Resorption gelangte, die Ursache gewesen sein,
da der Fall mit vollständiger Heilung endete.
Durch Untersuchungen an Caissonarbeitern und durch Thierversuche
stellte Alt fest, dass es durch den Aufenthalt in Räumen mit verdichteter
Luft, also in der Druckkammer, zur Stauungshyperämie im Mittelohre und im
Labyrinthe und in weiterer Folge durch die mangelhafte Ernährung der
Gefässwände zur Transsudation, resp. Blutung in das Mittelohr oder Labyrinth
kommen kann. Bei drei von ihm untersuchten Arbeitern, bei denen, nach-
dem sie vier Stunden unter einem Ueberdruck von über zwei Atmosphären
gearbeitet hatten, die typischen Symptome des Morbus Menieri, nahezu
complete Taubheit und hochgradiger Schwindel, aufgetreten waren, fand Alt
starke Retraction und livide Verfärbung des Trommelfelles, Injection der
Hammergefässe. Der Stimmgabelbefund fiel im Sinne einer Labyrinthaffection
aus. In zwei Fällen war die Taubheit doppelseitig. In einem Falle giengen
die Erscheinungen auf einem Ohre in kurzer Zeit zurück, so dass man an-
nehmen muss, dass hier die langandauernde Stase Transsudation mit secun-
därer Drucksteigerung bedingte, so dass die Symptome einer Labyrinthaffec-
tion vorlagen, jedoch zurückgiengen, indem später ein Ausgleich der Drack-
steigerung stattfand, während es in den anderen Labyrinthen zur Blutung
und Zerstörung der Gebilde gekommen ist.
Aber auch ohne anatomische Läsion können selbst leichte Traumen, wie
Ohrfeigen, starke Schalleinwirkung, Detonation, infolge Erschütterung des La-
byrinthes ähnliche Folgen nach sich ziehen. In solchen Fällen also, wo keine
Verletzung des Labyrinthes stattgefunden hat, handelt es sich entweder um
Ecchymosen oder um eine übermässige Erschütterung der Labyrinthflüssigkeit,
durch welche die Endigungen der Hörnerven eine Lageveränderung erleiden,
wodurch sie gelähmt oder in einen abnormen Reizzustand versetzt werden.
In leichteren Fällen dauern die Schwindelerscheinungen kurze Zeit fort und
es kann Heilung erfolgen. Bei intensiverer Labyrintherschütterung ist Heilung
selten und die Hörstörung mit oder ohne subjective Geräusche meist
bleibend. Bestand schon vorher ein Ohrenleiden, dann reicht gewöhnlich
schon eine geringere Erschütterung aus, um einen deletären Einfluss aus-
zuüben, ebenso wie es bei manchen Blut- und Gefässerkrankungen viel
leichter zu einem Blutergusse im Labyrinthe kommen wird als bei Gesunden.
Für manche Fälle, bei denen nach vorausgegangenem Trauma derMENiERE-
sclie Schwindel acut aufgetreten ist oder sich langsam entwickelt, ohne dass
312 MENIERE'SCHE SYMPTOME.
die geringste Läsion nachweisbar ist, könnte es sich um eine traumatische
Keurose handeln, analog den Functionsstörungen, wie sie nach einem Trauma
im Gebiete der anderen Sinnesorgane, z. B. der Augen etc., beobachtet werden.
Hiermit glauben wir sämmtliche Ursachen, welche dieses Symptomen-
bild erzeugen können, erschöpft zu haben. Die Mannigfaltigkeit der Befunde,
der Erscheinungen, des Verlaufes, bei dem Mangel hinreichender patholo-
gischer Untersuchungen, lässt die Schwierigkeit der Ableitung des so kaleido-
skopisch wechselnden Krankheitsbildes aus constanten gleichen Ursachen be-
greiflich erscheinen. Es hält schwer, in dem Wirrsal der Meinungen und
Thatsachen, in dem herrschenden Chaos von Theorien und Hypothesen eine
andere Orientirung zu gewinnen als die, dass man Gewisses darüber noch
nicht weiss, und dass ein nach allen Seiten und für alle Fälle befriedigender
Aufschluss über die Entstehungsmechanik des MENiBRß'schen Bildes zur Stunde
thatsächlich noch aussteht.
Der Verlauf ist sehr verschieden, von der zu Grunde liegenden Ur-
sache bedingt, und wurde bereits an den entsprechenden Stellen besprochen.
Die Diagnose des besprochenen Krankheitsbildes und seiner Ursachen
kann, so prägnant auch die dasselbe zusammensetzenden Symptome aus-
gesprochen sein mögen, sehr erschwert sein. Es könnten ja dieselben Er-
scheinungen durch einige andere gleichzeitig bestehende Krankheiten produ-
cirt werden. Wenn z. B. jemand infolge einer Ohrenkrankheit schwerhörig
ist und von subjectiven Gehörsempfindungen gequält wird und gleichzeitig in-
folge eines anderen Leidens, z. B. Atherom der Arterien, Herzkrankheit,
Nephritis, Magenaffection u. dgl. an Schwindel, Erbrechen, Kopfschmerz leidet,
so haben wir denselben Symptomencomplex vor uns, der die MENiEKE'schen Sym-
ptome vortäuschen und doch nicht auf diese Bezeichnung Anspruch machen
kann. Es reicht durchaus nicht aus, festzustellen, dass diese Symptome vor-
handen sind, sondern dieselben müssen nachweisbar zusammengehören, nicht
von verschiedenen Krankheiten zusammengesetzt sein, sondern einer Quelle
entstammen, von einem Motive hergeleitet werden können, das allerdings sehr
verschieden sein kann, wenn MENifeRE'sche Symptome constatirt werden sollen.
Namentlich müssen diese Erscheinungen einen gewissen charakteristischen
Verlauf aufweisen, je nach der Ursache sich durch anfallweises Auftreten, Reci-
diviren, durch paroxysmatische Exacerbationen etc. kennzeichnen, wie aus dem
Obigen hervorgeht.
Die Erkennung der Ursache wird bei localen Erkrankungen des centralen
Nervensystems nicht schwer fallen, da meist anderweitige Hirnerscheinun-
gen, Hirndruck und Herdsymptome, Parästhesien, Hemiplegien, Convulsionen,
Lähmungserscheinungen in anderen Nervenbezirken etc. auf die wahre Quelle
hinweisen. Am meisten kommt hier in Betracht Hirntumor, der lange latent
verlaufen kann, während Meningitis und andere Hirnaffectionen durch andere
auffallende Symptome sich genug bemerkbar machen und schwerlich über-
sehen oder verwechselt werden dürften. Was nun die Dififerentialdiagnose
zwischen Tumoren des Gehirnes und Labyrinthaffection betrifft, so haben wir
wichtige Anhaltspunkte in dem frühzeitigen Auftreten der Facialisparalyse
und in der lange intact bleibenden Perception für Uhr und Hörmesser durch
die Kopfknochen, was für die ersteren spricht. Während nämlich bei Laby-
rintherkrankungen schon bei massiger Hörstörung die Perception durch die
Kopfknochen bedeutend gelitten hat, bleibt dieselbe bei Hirntumoren lange
intact.
Für eine Erkrankung des Cerebellum spricht überdies die eigenthümliche
cerebellare Ataxie, sensible Störungen an den Extremitäten, an der Haut,
ferner Sprachstörungen, heftige Schmerzen und hochgradige Druckempfindlich-
keit in der Hinterhauptsgegend.
MliNIERE'SCHE SYMPTOME. 313
Die Diagnose der durch eine Geschwulst der Hinterschenkelhaube be-
dingten MENiEKE'schen Symptome gründet sich auf die entsprechenden Herd-
symptome zugleich mit den diffusen Erscheinungen, Kopfschmerz, Erbrechen,
scandirende Sprache, epileptische Anfälle, erhöhte Sehnenreflexe. Besonders
würde das Zusammentreffen von atactischem Gange mit ophthalmoplegischen,
resp. Accommodations-Störungen der Augenmuskeln in Verbindung mit den für
einen Tumor charakteristischen diffusen Hirnsymptomen in complicirten Fällen
die Diagnose sicherstellen.
Die Pseudo-MKNii:RE'schen Anfälle unterscheiden sich von der echten
otitischen Herkunft vor allem durch das Erhaltensein des Gehöres. Hysterie
erkennt man an den gewissen Stigmata, wie Einschränkung des Gesichtsfeldes,
Parästhesien, unmotivirter Wechsel der Erscheinungen etc. Auch soll nach
Gradenigo Verminderung der elektrischen Erregbarkeit des Acusticus eher
zvL Gunsten einer Affection des Nerven oder des Labyrinthes sprechen.
Schwieriger kann schon der Zusammenhang mit Epilepsie zu erkennen
sein. Es könnte die durch irgend eine Ursache provocirte MENituE'sche Trias
mit Bewusstlosigkeit und klonischen Krämpfen einhergehen, ohne dass gerade
Epilepsie ihnen zu Grunde läge. Anderseits ist es unstreitig, dass epileptische
Anfälle von diesem Symptomencomplex eingeleitet werden können. Eine nach-
weisbare Ohrenaffection spricht allerdings für den echten Meniere. Es
ist jedoch eine bekannte, durch unzweifelhafte Beobachtungen sichergestellte
Thatsache, dass verschiedene Affectionen des Gehörganges epileptische An-
fälle induciren können. Ferner könnte das besprochene Symptomenbild als
Einleitung oder als Aequivalent für Epilepsie zufällig bei einem Ohrenkranken
und unabhängig von der Ohrenaffection auftreten. Das Vorhandensein einer
Ohrenkrankheit schliesst demnach die epileptische Natur der MENiERE'schen
Symptome im gegebenen Falle durchaus nicht aus. Es wird also ausser der
Untersuchung des Gehörorganes, der Hörschärfe, oft noch eine aufmerksame
längere Observation der Anfälle selbst, der sie begleitenden, vorausgehenden
und nachfolgenden Erscheinungen des Verlaufes und eine genaue Anamnese
erforderlich sein, um sich Klarheit zu verschaffen. Hereditäre Belastung,
unwillkürlicher Koth- und Urinabgang, längere Bewusstlosigkeit, postepilep-
tische Benommenheit und andere für Epilepsie charakteristische Erscheinun-
gen, die bei der echten Vertigo auralis gar nicht oder nur selten vor-
kommen, bilden weitere Anhaltspunkte für die Diagnose. Entschieden gegen
den Ohrenschwindel spricht natürlich intactes Gehör, für denselben constatirte
Labyrinthtaubheit nach den ersten Anfällen neben der anamnestischen Sicher-
stellung eines zuvor bestandenen intacten Gehöres. Aehnliches gilt mutatis
mutandis für die Differentialdiagnose von andern mit MENiERE'schen Sym-
ptomen einhergehenden nervösen Zuständen, wie Hemicranie, Neurasthenie,
Morbus Basedowi etc. Begleitende oder intervalläre klinische Zeichen der einen
oder der anderen Neurose geben allenfalls wichtige diagnostische Fingerzeige.
Hat man einen apoplectiformen Anfall vor sich, so ward mau ihn im
ersten Momente gewiss nicht von einer Hirnapoplexie, Hirncongestion, Em-
bolie u. dgl. unterscheiden können. In dem Maasse jedoch, als das Bewusst-
sein zurückkehrt, das Sensorium frei und eine Untersuchung des Gehöres
möglich wird und die charakteristischen Symptome des Sausens, Schwindels,
Erbrechens und der Taubheit in den Vordergrund treten, die Untersuchung
die Ausschliessung einer Gehirnaffection wegen Mangel entsprechender Er-
scheinungen und von Erkrankungen anderer Abschnitte des Gehörorganes, bei
welchen zeitweilig ähnliche Schwindelanfälle vorzukommen pflegen, gestattet.
wird man den Zustand immer klarer beurtheilen können. Ein Adjuvans der
Diagnose bietet das Vorhandensein anderweitiger chronischer Krankheiten,
314 MENIERE'SCHE SYMPTOME.
die erfahrungsgemäss zu der MEmfeRE'schen Krankheit disponiren, wie Leu-
kämie, Syphilis u. a. oben erwähnte.
Einer secundären Labyrinthaftection zu Grunde liegende acute Infections-
krankheiten, wie Typhus, Meningitis cerebrospinalis, Diphtheritis etc., machen
sich durch die begleitenden sie charakterisirenden Allgemeinerscheinungen
und localen Merkmale auffällig und dürften schwerlich verkannt werden. Zur
Entscheidung, ob Meningitis cerebrospinalis oder primäre Labyrinthitis vorliegt,
könnte im gegebenen Falle die Lumbalpunction herangezogen werden. Es
muss jedoch bemerkt werden, dass die bei einer Meningitis cerebrospinalis
sich manifestirenden MENifeRE^schen Symptome auch auf einer conservativen
Tympanitis acuta, wie bereits erwähnt, beruhen könnten, ohne dass das Labyrinth
an der Erkrankung direct betheiligt wäre. Ist nun einige Zeit bereits seit dem
Anfalle vergangen, so wird die otoskopische Untersuchung keinen Aufschluss
mehr geben können, da eine eventuelle acute Mittelohrerkrankung inzwischen,
ohne eine Spur zurückzulassen, ausgeheilt sein kann. Man wird dann nur
aus dem Ergebnisse der Hörprobe, wenn es gelingt, eine Affection des schall-
percipirenden Apparates nachzuweisen, auf eine secundäre Labyrinthaffection
als Ursache des Insultes schliessen können.
Liegen Intoxicationen zu Grunde, so verhilft die Anamnese und der
Verlauf zu ihrer Erkennung. Ergibt die Anamnese und die Untersuchung acute
oder chronische Erkrankungen des Gehörorganes, dann liegt die Ursache
der Anfälle klar zu Tage. Aber selbst dort, wo der Ausgangspunkt in einer
Affection des Mittelohres sichergestellt ist, bleibt noch immer die Frage un-
entschieden, ob die MENiERE'schen Symptome durch secundäre organische Ver-
änderungen im Labyrinthe zustande gekommen oder ob sie Reflexerscheinungen
seitens des Labyrinthes oder seitens des Kleinhirnes darstellen. Denn es ist
ausser allem Zweifel, dass vom Mittelohre aus cerebellare Erscheinungen
ausgelöst werden können. Es darf weiters nicht aus den Augen gelassen
werden, dass andere Ursachen zufällig bei Ohrenkranken vorkommen können.
Es ist ja auch gut denkbar, dass zu einer bereits bestehenden Erkrankung
des Mittelohres eine von dieser unabhängige primäre Labyrinthaffection hin-
zugetreten ist. Es können also gleichzeitig verschiedene, voneinander unab-
hängige Bedingungen gegeben sein, von denen jede für sich allein als Basis
und Ursache des uns interessirenden Krankheitsbildes angesprochen werden
könnte. Wo also eine solche Concurrenz der Ursachen vorliegt, dürfte es
manchmal nicht möglich sein, die Entscheidung zu treffen. In solchen Fällen
wird die Beobachtung, der Verlauf, begleitende Symptome, die Beeinflussung
des Zustandes durch Behandlung eines Ohrenleidens, die Behebung des Leidens
nach Entfernung eines Fremdkörpers, eines Ceruminalpropfes nach verschie-
denen otiatrischen Eingriffen etc. ex juvantibus auf den Ausgangspunkt
schliessen lassen,
Ueber ein Trauma als Ursache gibt die Anamnese, der Verlauf, eine
etwa nachweisbare Verletzung Aufschluss. Treten nach einem durch ein
Trauma hervorgerufenen Insulte Erscheinungen einer Basisfractur neben hoch-
gradiger Taubheit auf, so ist eine Läsion des Labyrinthes unzweifelhaft. Für
einen Sprung der Labyrinthkapsel oder der Schädelhöhle spricht ein reich-
licher seröser Ausfluss aus dem Ohre — natürlich bei gleichzeitiger Trommel-
fellperforation — welche die chemischen Eigenschaften der Cerebrospinal-
flüssigkeit zeigt, neben den Erscheinungen einer Acusticuslähmung. Liegt
keine nachweisbare Verletzung vor, so lässt sich aus dem Umstände, dass
der MENiERE'schen Attaque unmittelbar ein Trauma, z. B. Erschütterung, Luft-
douche, Schalleinwirkung u. s. w., vorausgegangen, das causale Moment leicht
nach dem Grundsatze post hoc, ergo propter hoc deduciren. Zurückbleibende
Labyrinthtaubheit lässt auch bei nicht nachweisbarer Verletzung eine Läsion
des Labyrinthes annehmen, und zwar erscheint eine Blutung im Labyrinthe
MKNIERE'SCHE SYMPTOME. 315
umso wahrscheiülicher, wenn es ein Individuum betrifft, welches im allge-
meinen zu Hämorrhagien inclinirt, z. B. bei mit Gefässerkrankungen, atheroma-
tösen Processen u. a. Behafteten. Doch könnte ein Trauma auch durch Affection
der acustischen Centren im Gehirne dieselben Folgen nach sich ziehen, bei
vollständiger Integrität des peripheren Gehörorganes. Vergeht der Anfall ohne
eine Spur zurückzulassen, dann handelt es sich um eine transitorische Er-
schütterung. Doch ist zu einer solchen Diagnose oft eine genaue Anamnese
und eine längere Observation nothwendig, da einerseits eine unmittelbar nach
dem Insulte bestehende Taubheit sich nach einiger Zeit verlieren, während
andererseits die chronische Vertigo auralis sich erst einige Zeit nach einem
vorausgegangenen Insulte langsam einstellen kann. Es kann aber auch ein
Trauma unmittelbar eine andere Ohrenkrankheit zur Folge haben, die ihrer-
seits mit der Zeit zum Auftreten der MENifeRß'schen Symptome Anlass gibt.
Dann wird sich schwer entscheiden lassen, ob diese Symptome auf das Trauma,
resp. auf die dadurch gesetzte Labyrinthläsion direct oder secundär auf die
Ohrenkrankheit zu beziehen sind. Dasselbe ist der Fall, wenn ein Trauma
auf einen bereits von früher her Ohrenkranken eingewirkt hat und sich nach-
träglich Schwindelerscheinungen, Labyrinthtaubheit etc. entwickeln.
Die angioneurotische Form charakterisirt sich durch das Einsetzen des
Anfalles unter auffallender Gesichtsblässe, welche beim Aufhören der Erschei-
nungen der normalen Gesichtsfarbe weicht, durch die kurze Dauer, den raschen
Verlauf und den Mangel anderweitiger ursächlicher Momente.
Prognose. Bei der Mannigfaltigkeit des Ausgangspunktes und des
Verlaufes kann von einer Prognose im allgemeinen natürlich keine Rede sein.
Anders wird dieselbe lauten in Fällen, denen eine schwere organische Läsion
des Labyrinthes zu Grunde liegt, und ganz anders in Fällen, wo eine vorüber-
gehende reflectorische Reizung das Krankheitsbild erzeugte. Im speciellen
wird sich die Prognose aus dem bereits geschilderten Verlaufe der verschie-
denen Zustände ergeben. Auch zeigen die einzelnen das ganze Bild zusammen-
setzenden Symptome eine verschiedene Prognose. Dort, wo der MENiERE'sche
Schwindel als eine Theilerscheinung einer Gehirn- oder Nervenkrankheit er-
scheint, ist die Voraussage von der Natur dieser letzteren abhängig. MENiERE'-
sche Anfälle als Folge einer Hyperämia cerebri, eines Hirnsyphilom u. dgl.
sind rückbildungsfähig, die von bösartigen Tumoren oder schweren Gehirn-
krankheiten inducirten natürlich nicht.
Die Pseudo-MENiERE'schen Anfälle gestatten günstig zu prognosticiren.
wäe überhaupt alle Fälle, in welchen diese Symptome auf eine reflectorische
Reizung oder functionelle Störung des statischen Apparates zurückzuführen sind.
Die apoplektischen genuinen, wie die in Begleitung von Infectionskrank-
heiten (Meningit. cerebrosp., Scharlach, Diphtheritis, Typhus) oder bei Tabes,
Lues, Leukämie und die bei chronischen Labyrinth erkrankungen auftretenden
Formen verlaufen quoad vitam günstig, da sie nur selten und nur infolge
der Grundkrankheit (Meningitis, Leukämie) oder infolge einer Complication
letal endigen. Doch ist die Aussicht quoad sanctionem keine gute. Die
Anfälle gehen meist in einen chronischen Zustand über, der wechselnd oder
stationär verläuft. Eine eventuelle Besserung einzelner Symptome ist zwar
möglich, doch meist nur vorübergehend. Die sich wiederholenden Anfälle
oder Exacerbationen bringen jedesmal eine Verschlimmerung der Symptome,
besonders der Schwerhörigkeit mit sich. Die letztere ist meist progressiv
und führt zu totaler Taubheit. "Während jedoch in frischen Fällen auch hier
die Möglichkeit einer Besserung nicht ausgeschlossen ist, ist eine solche in
Bezug auf das Gehör bei bereits längere Zeit währender Taubheit absolut
nicht zu erwarten.
Bei Intoxicationen ist die Prognose zweifelhaft, eine Besserung selten,
aber je nach der Art Toxine, Dauer und Dosis der Darreichung möglich.
316 MENIERE'SCHE SYMPTOME.
Acute Mittelohrkrankheiten oder eine Affection des äusseren Gehör-
ganges als Ausgangspunkt der Symptome gestatten eine günstige Prognose,
da hier vollständige Heilung möglich ist. Weniger günstig ist die Voraus-
sicht bei chronischen Mittelohrerkrankungen, ungünstig besonders bei der
Sklerose. Zwar können sich auch hier einzelne Symptome, Schwindel, Sausen,
bessern, doch ist eine vollständige Heilung fast ausgeschlossen, eine Besserung
der Schwerhörigkeit sehr selten.
Ist der Symptomencomplex eine Folge der Einwirkung eines Trauma,
so ist die Prognose nur dann günstig, wenn sich eine Beschädigung des
Labyrinthes mit Sicherheit ausschliessen lässt. Man muss sich aber immer
vor Augen halten, dass manchmal selbst ein leichtes Trauma oder äussere
Einflüsse transitorischer Natur, z. B. Ohrfeigen, starke Schalleinwirkung, Ein-
wirkung verdichteter Luft u. dgl. durch Erschütterung eine oft sich erst später
manifestirende dauernde Schädigung des Labyrinthes, also auch des Gehöres
nach sich ziehen. Man wird sich daher in analogen Fällen mit der Prognose
reservirt halten müssen und sie oft erst nach längerer Observation decidirt
stellen können.
Wo eine Beschädigung der Schädelbasis oder des Labyrinthes vorliegt
oder vermuthet wird, da sind consecutive entzündliche Processe zu befürchten,
welche entweder durch hinzutretende Meningitis, Gehirnabscess etc. den letalen
Ausgang herbeiführen oder einen dauernden Zustand, Labyrinthitis chronica,
etabliren können, was selbstverständlich die Prognose ungünstig gestaltet.
Verletzungen der Pyramide ohne Beschädigung der Schädelbasis schliessen
die Möglichkeit einer Heilung trotz schwerer klinischer Symptome nicht aus.
Bei Caissonarbeitern bleibt, wie die Erfahrung zeigt, wo die MENiERE'schen
Symptome aufgetreten sind, die Taubheit meist dauernd, doch ist eine Rück-
bildung und Besserung, wenn auch selten, nicht ausgeschlossen.
Die angioneurotische Form der Acusticus-Anästhesie mit dem Meni^re'-
schen Symptomencomplex gestattet nach der bisherigen Erfahrung eine gün-
stige Prognose.
Forensische Bedeutung. Die gerichtliche Begutachtung des MENiERE'-
schen Schwindels ist in erster Reihe von den ihm zu Grunde liegenden, durch
ein Trauma entstandenen anatomischen oder functionellen Alterationen und von
der Prognose derselben abhängig. Dass nachweisbare Schädel- und Labyrinth-
verletzungen eine schwere körperliche Beschädigung involviren, ist wohl ebenso
selbstverständlich, wie dass eine nach einem Trauma schnell vorübergehende
MJENiERE'sche Attaque keine Bedeutung besitzt. Schwierigkeiten in der Be-
urtheilung werden vorliegen in Fällen, in denen der Betroffene, ohne dass
eine Verletzung nachweisbar wäre, über Schwindel, Sausen und Schwerhörig-
keit infolge eines traumatischen Insultes klagt. Da muss man sich immer
gegenwärtig halten, dass diese Symptome bei der gerichtlichen Untersuchung
der Simulation und der Aggravation seitens des Beschädigten unterliegen,
dass sie leicht nachgeahmt oder verstärkt werden können, um eine strengere
Bestrafung des Attentäters oder eine ausgiebigere Entschädigung zu erzielen.
Da nun aber diese Symptome zumeist subjectiver Natur sind, die sich einer
objectiven Constatirung entziehen, die sie manchmal begleitenden objectiven
Augensymptome, z, B. Nystagmus, Ungleichheit der Pupillen etc. zu wenig
constant sind, so wird man das Gutachten hauptsächlich auf das Ergebnis der
Untersuchung der Hörfähigkeit beruhen lassen müssen. Man wird daher zu-
nächst auf eine vorhandene oder simulirte Taubheit, resp. Schwerhörigkeit
untersuchen müssen, wozu verschiedene Untersuchungsmethoden dienen, die
an einem anderen Orte auseinandergesetzt werden. Hier möchte ich nur von
einer Erwähnung thun, die bis jetzt sonst nirgends vorgeschlagen wurde. Wie
Taechanoff nachwies, kann man durch Reizung verschiedener Sinnesorgane
galvanische Hautströme erzeugen, welche eine galvanoskopische Ablenkung
MlilNJERE'SCHE SYMPTOME. 317
hervorrufen, wenn die Elektroden des entsprechenden Instrumentes mit der
Haut verschiedener Körperstellen in Contact gebracht werden. Lässt man nun
auf ein angeblich schwerhöriges oder taubes Ohr irgend welche Schallein-
drücke einwirken, so wird bei Anwendung des erwähnten Instrumentes das
Auftreten einer Ablenkung des Galvanometerspiegels eine vorhandene Gehörs-
perception, somit auch die Simulation der Taubheit unwiderleglich beweisen,
während das Fehlen einer Ablenkung eine vorhandene Schwerhörigkeit oder
Taubheit wahrscheinlich macht. Weiters muss man trachten, den Grad der
vor dem Insulte vorhandenen Hörfähigkeit, resp. Störung zu eruiren.
Die blosse Sicherstellung eines apoplectischen Anfalles durch eigene
Beobachtung oder durch Zeugen ist für die Beurtheilung der Schwere der
Verletzung nicht maassgebend, da ein solcher Anfall ohne welche Folgen
vorübergehen kann.
Ist eine Schwerhörigkeit constatirt, so muss dieselbe erst durch eine
Stimmgabelprüfung, resp. durch den Nachweis verminderter Schallperception
durch die Knochenleitung als eine Labyrinthtaubheit qualificirt werden, be-
sonders wenn gleichzeitig ältere oder etwa durch das Trauma gleichzeitig
entstandene Veränderungen im peripheren Hörapparat vorhanden sind, z. B.
Tympanitis, Trommelfellruptur, Hämatotympanon etc.
Auch die nach einer Trommelfellruptur folgende Schwerhörigkeit kann
vorübergehend sein oder auch bleibend, wenn damit eine Labyrintherschütte-
rung verbunden war. Zur Feststellung einer vorhandenen Acusticuslähmung
ist dann eine durch Monate fortgesetzte Beobachtung und Constatirung einer
Labyrinthtaubheit durch entsprechende Gehörsprüfungen nothwendig.
Die Ergebnisse der Otoskopie können überhaupt nur in sehr be-
schränktem Maasse verwertet werden, da bekanntlich hochgradige pathologische
Veränderungen am Trommelfelle eine gute Hörfähigkeit nicht ausschliessen
und umgekehrt trotz normalen Trommelfellbefundes eine vorhandene Alteration
des Gehöres dennoch von einer Erkrankung des Mittelohres herrühren kann,
da sehr wichtige pathologische Zustände an den Labyrinthfenstern vorhanden
sein können, die sich der Ocularinspection entziehen und sich auch durch
keine abnormen Auscultationserscheinungen zu erkennen geben.
Doch sind nachweisbare anderweitige ältere Erkrankungen des Gehör-
organes, ebenso wie etwa bestehende pathologische Zustände der Gefässwan-
dungen, welche das Zustandekommen eines hämorrhagischen Ergusses in das
Labyrinth begünstigen, insoferne berücksichtigungswürdig, als damit behaftete
Personen zu einer Erkrankung des Labyrinthes und für die MEMiERE'schen Sym-
ptome leichter disponirt sind als sonst Gesunde. In ähnlicher Weise können
hereditäre Belastung, neuropathische Zustände, das Bestehen einer der oben
angeführten disponirenden Krankheiten das Gutachten in milderndem Sinne
beeinflussen, und für solche Fälle hat die Gesetzgebung durch die gesetzliche
Berücksichtigung der eigenthümlichen Leibesbeschaftenheit der Verletzten
vorgesorgt.
Von angegebenen subjectiven Gehörsempfindungen ist zu bemerken, dass
nur continuirliche Geräusche auf eine traumatische Läsion des Labyrinthes
bezogen werden können, nicht aber intermittirende.
Für alle Fälle ist es wichtig, sich nicht auf eine einzige Untersuchung
zu beschränken. Denn einerseits können Schwindelerscheinungen und selbst
bei der ersten Untersuchung constatirte Schwerhörigkeit nach einiger Zeit
vollständig zurückgehen, eine stattgefundene Labyrintherschütterung sich voll-
kommen ausgleichen, während es anderseits möglich ist, dass eine unmittelbar
nach dem Trauma nicht oder kaum nachweisbare Hörstörung sich erst später
bemerkbar macht, beziehungsweise sich steigert und eine Labyrintherschütte-
rung sich erst durch ein nachträglich sich langsam entwickelndes Meniere'-
sches Symptomenbild verräth. Es wird daher in einzelnen Fällen häufig eine
längere Beobachtungsfrist und oft wiederholte genaue objective Untersuchung
318 MENifeRE'SCHE SYMPTOME.
erforderlich sein, bevor man in die Lage kommen wird, ein endgiltiges Gut-
achten speciell über die Stabilität der nachgewiesenen Gehörstörung abzugeben
und zu entscheiden, ob man es mit einem vorübergehenden oder bleibenden
Zustand, einem „Verluste" oder „einer bleibenden Schwächung des Gehöres"
zu thun hat, ob die Beschädigung als eine „schwere" zu qualificiren ist, ob
durch dieselbe eine „Gesundheitsstörung" oder „eine Berufsunfähigkeit" und
auf wie lange veranlasst wurde u. s. w.
Für das Gutachten gelegentlich einer Lebensversicherung ist das
bei der Prognose Erwähnte maassgebend.
Die Prophylaxis erfordert eine sachgemässe Behandlung von Ohren-
krankheiten und sorgfältige Vermeidung gewisser Eingriffe, Einflüsse, Erschütte-
rungen (Luftdouche, Ausspritzungen, Sondirungen, Schalleinwirkungen etc.)
bei Personen, von denen bekannt ist, dass sie zu Schwindelanfällen incliniren.
Gegen die Vorboten eines Anfalles, in Form von vermehrtem Ohren-
sausen, Völle im Kopfe oder Kopfschmerzen, bei Zeichen erhöhten Blutdruckes
sind ableitende Mittel in Form vom Quecksilberpräparaten, wie Calomelpulver
(in Dosen von 0"18 — 30), zu verabreichen.
Therapie. In therapeutischer Beziehung stellt dieses Leiden eine wahre
crux medicorum dar, da leider nur zu oft alle empfohlenen Mittel und
Methoden erfolglos bleiben. Doch darf der Arzt bei der Unsicherheit der
Diagnose und der Prognose trotz der scheinbaren Aussichtslosigkeit der Be-
handlung sich wenigstens des Versuches einer Besserung nicht entschlagen,
me Urbantschitsch in edler Auffassung der humanen Aufgabe des Arztes
richtig bemerkt. Dies ist ein Erfordernis nicht bloss der Humanität, sondern
auch der Erfahrung. In der That zeigt uns letztere nicht gar so selten, dass
ein Fall, in welchem bereits jede Aussicht auf Besserung geschwunden er-
schien, die Behandlung dennoch einen Heilaffect erzielen kann, wenn auch
manchmal nur vorübergehend.
Die Heilbestrebungen dieses Leidens sollen causale und symptomatische
sein. Erstere, die causale Therapie, hat in erster Reihe das causale Moment
zu berücksichtigen und sich gegen die pathogenen und disponirenden ätio-
logischen Factoren zu richten. Gehirn- und Rückenmarkskrankheiten, Tabes,
progressive Paralyse, multiple Sklerose, Leukämie etc. müssen entsprechend
berücksichtigt werden. Liegt Verdacht auf Lues vor, dann wird eine anti-
luetische Behandlung am Platze sein. Daneben empfiehlt sich Pilocarpin muriat.,
einige Tropfen einer 2°/oigen Lösung, intern oder subcutan.
Ausgedehnte Berücksichtigung verlangen besondere neuropathische Zu-
stände. Zumal in Fällen, in denen eine gesteigerte Irritabilität und eine ge-
ringere Widerstandsfähigkeit des Nervensystemes angenommen werden muss,
ist der Schwäche- oder Reizzustand durch entsprechende roborirende und ab-
leitende Wirkungen zu beeinflussen. Dahin gehören Kräftigung des Nerven-
systemes durch entsprechende hygienische und diätetische Maassnahmen,
Hydrotherapie, Elektricität, Klimato- oder Balneotherapie, besonders Jod- und
Soolbäder, geistige und physische Ruhe, Vermeidung geistiger Getränke,
von Kaffee, Thee, von Ueberanstrengungen, psychischen Emotionen. Innerlich
sind Eisen- oder Brompräparate anzuwenden. Daneben sollen psychische
Beeinflussung, Suggestion, Hypnose als des Versuches würdige Methoden nicht
aus den Augen gelassen werden.
Bei vorhandener Idiosynkrasie gegen Schaukelbewegungen, z. B. bei der
Seekrankheit, kann ich auf Grund eigener Beobachtung und Erfahrung gewisse
gymnastische Schaukelbewegung empfehlen. Man beobachtet oft bei Personen,
welche bei hoher See sehr stark an den Schwindelerscheinungen leiden, dass
sie nach einiger Zeit sich so vollständig daran gewöhnen können, dass ihnen
schliesslich das stürmischeste Wasser und die stärksten Schwankungen des
Schiffes nichts mehr anhaben können. Es geht daraus hervor, dass die be-
MENIERE'SCHE SYMPTOME. 319
treffenden Nerven oder Centren durch öftere Wiederholung des äusseren Reizes
abgestumpft und weniger empfindlich gemacht werden können. Dieses Raison-
nement führt zu der Schlussfolgerung, dass Personen, welche Eisenbahnfahrt,
Rundtänze u. dgl. nicht vertragen, durch entsprechende gymnastische Uebungen
gegen ähnliche Bewegung unempfindlich gemacht werden können. Solchen
Personen ist daher zu empfehlen, dass sie täglich systematisch Schaukel-
bewegungen nach allen drei Dimensionen ausüben, d. h. von vorne nach rück-
wärts, von rechts nach links und von unten nach oben und ausserdem Dreh-
bewegungen um einen gewissen Gegenstand, z. B. einen kleinen Tisch oder
Stuhl. Diese Bewegungen sind anfangs schwach, langsam und durch kurze
Zeit, später immer stärker, rascher und länger auszuführen. Die dazu nöthige
Einrichtung kann man sich ohne grosse Umlagen anschaffen und in der
eigenen Wohnung anbringen.
Bei gichtischer Anlage sind Alkalien, Colchicin etc. von Nutzen.
Vorhandene Affectionen des Gehörorganes und traumatische Läsionen
müssen selbstverständlich einer entsprechenden Behandlung zugeführt werden.
Es ist schon oft gelungen, durch eine Luftdouche, durch eine Paracentese des
Trommelfelles oder durch Extraction eines Fremdkörpers einen apoplectiformen
Anfall zu coupiren und noch öfter einen chronischen Schwindelzustand zu
mitigiren. Schon daraus allein erhellt die immense Wichtigkeit einer richtigen,
rechtzeitigen Diagnose. Unter Umständen wird es nothwendig sein, den
Patienten rasch aus einem luftverdichteten Raum zu entfernen oder eine
Steigerung im intralabyrinthären Druck durch entsprechende otiatrische Ein-
griffe, Excision des Trommelfelles, der Gehörknöchelchen etc. zu beheben.
In einem Falle, wo der Ohrenschwindel von Störungen in der psychomotori-
schen Sphäre begleitet war, erzielte Avoledo in Mailand eine Dauerheilung
durch das Operations verfahren nach Stacke.
Ferner sind indicirt, besonders bei vermutheten Extravasaten, resorbirende
und ableitende Mittel, wie Jodkali, Einpinselung von Jodtinctur auf dem Proc.
raast., Einreibung von Jodsalben daselbst., Injection von einigen Tropfen einer
Jodkalilösung (0*3:20) in die Trommelhöhle, Jodpräparate intern u. dgl.
Wo Intoxicationen als Ursache bekannt sind, muss natürlich das betref-
fende Medicament sofort beseitigt und womöglich eine entsprechende anti-
dotische Behandlung platzgreifen.
Wo die Ursache nicht eruirbar ist und die causale Behandlung im Stiche
lässt, tritt neben derselben die leider meist aussichtslose symptomatische Be-
handlung in ihre Rechte.
Im apoplectischen Insulte ist die Behandlung ähnlich wie bei einer ge-
wöhnlichen Hirnblutung: Ruhe, Eisumschläge, Blutentziehung, Ableitung durch
reizende Klysmen, Sinapismen auf die Extremitäten, strenge Diät etc. Aehnlich
wird bei jeder stürmischen Attaque verfahren. Sind die stürmischen Erschei-
nungen vorüber, hat Patient noch einige Zeit die ruhige Lage einzuhalten,
am besten horizontale Lagerung mit hochgelagertem Kopfe, da schon jede ge-
ringe Bewegung heftigen Schwindel, Erbrechen u. s. w. verursachen kann.
Dabei sind grelle Eindrücke auf die Sinnesorgane, z. B. helles Licht, starke
Geräusche, zu meiden und besonders Gemüthsaffecte strenge fernzuhalten. Für
den chronischen Zustand werden ausser den bereits erwähnten Jod- und Brom-
präparaten, Natr. hydrobrom, Acid. hydrobromic. u. s. w., noch Chininprä-
parate in grossen Dosen von Charcot u. a. empfohlen, wie Chinin, sidfiir.,
Chinin, valerian. u. a.
Zu versuchen ist auch der Einfluss der Elektricität, die sich manchmal
auf einzelne Symptome günstig erweist, und zwar wirkt manchmal besser der
faradische Strom, in anderen Fällen die galvanische oder statische Elektricität.
Näheres über die Anwendung derselben wird bei den Nervenkrankheiten be-
sprochen. Doch muss hier erwähnt werden, dass sie nie in frischen Fällen
320 MISSBILDUNGEN DES KEHLKOPFES.
angewendet werden darf, wo sie sogar schädlich wirken kann, sondern erst
in einem späteren Stadium, nach einigen Wochen und immer mit Vorsicht,
versuchsweise, erst in schwächerem Grade durch kürzere Zeit und später in
successive immer stärkeren Strömen und längeren Sitzungen.
Der gegen die einzelnen Symptome empfohlenen Mittel und Eingriffe ist
Legion. Wir wollen nur anführen: Einblasung von Chloroform und Aether,
von Aether sulph. und Liqu. Holland, Jodaethyl, Spirit. aether. nitr. in die
Paukenhöhle, Verdünnung der Luft im äusseren Gehörgang, Massage des
Warzeufortsatzes, subcutane Injection von Morphium und Strychnin, Blut-
entziehungen, Vesicantieu, spirituose Einreibungen am Processus mast. gegen
heftiges Ohrensausen.
Innerlich wurde gleichfalls gegen die lästigen subjectiven Gehörswahr-
nehmungeu empfohlen: Natr. salici/l., Phenacetin, Tct. belladonnae, Tct. Arnicae,
Tct. Fowleri, Atropin, Amylnitrit zum Riechen u. a. Ukbantschitsch erzielte
mit Tct. Aconiti (8 — 10 Tropfen pro die) günstige Wirkung gegen das Ohren-
sausen. Von LucAE wurde die Tonbehandlung empfohlen, u. zw. die Anwen-
dung hoher Stimmgabeln bei subjectiven Geräuschen mit einem tiefen Ton-
charakter, tiefer Gabeln hingegen bei hohen subjectiven Geräuschen.
Narkotische Mittel wirken meist ungünstig und sind womöglich zu meiden.
In dem von Politzer beobachteten Fall von angioneurotischer Acusticus-
lähmung mit den MENiERE'schen Symptomen erwies sich die Galvanisation
des Sympathicus von sehr günstigem Einflüsse. Die Anfälle wurden nach
Stägiger Anwendung derselben seltener und nach einem Monate blieben sie
ganz aus.
UKBANTSCHITSCH erreichte eine bedeutende Besserung der subjectiven
Gehörsempiindungen und der Schwerhörigkeit in einem Falle von MENiERE'schen
Symptomen bei Morbus Basedowi nach der Anwendung des Inductionsstromes
bei Application der einen Elektrode an den Tragus, der anderen an die Gegend
des Ganglion cervicale inferius syrapathici. Spira.
MiSSbildungen des Kehlkopfes. Es gibt deren l. angeborene,
2. erworbene.
Ad 1. Mangel des Kehlkopfes kommt nur bei Acardiacus amorphus
und acephalus vor. Häufiger ist der Defect von einzelnen Kehlkopfknorpeln^
z. B. der Epiglottis, und von Theilen derselben; besonders häufig ist das
obere Schildknorpelhorn isolirt. Abnormitäten, die bisher ohne grössere
praktische Bedeutung geblieben sind, sind übrigens an allen Bestandtheilen
des Kehlkopfes gefunden worden; zu erwähnen sind besonders die Asymmetrien
des Knorpelgerüstes, zumal diejenige der beiden Schildknorpelplatten mit
ihrer Aeusserung als „Skoliose des Kehlkopfes", die Varietäten und
Ueberzahl von Muskeln, die Spaltbildung zwischen den Aryknorpeln, die
Bildung eines dritten vorderen Ventrikels, der abnorme Verlauf der Arteria
laryngea etc.
Eine Notiz über Verdoppelung des Kehlkopfes soll ohne Verantwort-
lichkeit wiedergegeben werden.
Wichtiger für die praktische Orientirung sind folgende Einzel-
heiten:
Die Ueberkreuzung der Giessbeckenknorpel infolge von Kehlkopfasym-
metrien;
die Vergrösserung der SANTORiNi'schen und WRiSBERG'schen Knor-
pelchen;
die tumorähnliche Vergrösserung des Petiolus epiglottidis;
die Auszackung des Kehldeckelrandes, welche Geschwüre und Narben
vortäuschen kann;
die Vergrösserung des Kehldeckels;
MISSBILDUNGEN DER MUNDHÖHLE, 321
die seitliche Compression desselben, welche nicht nur die Laryngoskopie
behindern kann („kindliche Epiglottis"), sondern in extremen Graden sogar
zur Erstickung von Kindern beigetragen hat;
die Bildung von Spalten der Epiglottis (bis zu drei beobachtetj und in-
folge davon von hängenden Lappen, welche Laryngospasmus hervorrufen
können;
die Erweiterung der Sinus Morgagni, welche sich bis ausserhalb des
Kehlkopfes erstrecken und zu äusserlich wahrnehmbaren Luftgesch Wülsten
aufgeblasen werden können (Laryngoceleventricularis; Analogon zu den
Sacci ventriculares extralaryngei (laterales) des Gorilla und Oran-Utang) und
welche mittelst Exstirpation des Sackes von aussen her zu behandeln wären;
die Articulation zwischen dem Körper des Zungenbeines und
dem Mitteltheile des oberen Schildknorpel ran des, wichtig in Bezug
auf die Pharyngotomia subhyoidea;
das Vorkommen von Schleimhautspangen und Diaphragmen. Erstere
sind zwischen den Stimmbändern, dem Aryknorpel und der Epiglottis sowie
der hinteren Wand und dem Taschenbande gefunden wurden. Die Dia-
phragmen liegen dicht unter dem Niveau der Stimmbänder und erstrecken
sich vom vorderen Winkel aus, wo sie auch am dicksten sind, mehr weniger
weit symmetrisch nach hinten. Im Extreme war bei Erhaltung des Indivi-
duums die Athmung durch ein stecknadelkopfgrosses centrales Loch ermöglicht
und merkwürdigerweise die Stimme normal. Ausnahmsweise findet sich ein
zweites Diaphragma. Die Entstehung erklärt man mit dem unvollständigen
Schwinden des oberen Verschlusses der ursprünglichen Luftröhrenanlage; Sei-
fert hat eine Vererbung vom Vater auf seine drei Töchter beobachtet.
Die Therapie ist gewöhnlich eine endolaryngeal-operative.
Ad 2. Für die Dauer erworben sind: Defect und Verstümmelung der
Knorpel nach Operationen und Entzündungen, perichondritische und ecchon-
drotische Knorpelverdickung, Verwachsung der Stimm- oder Taschenbänder,
Bildung von Diaphragmen und anderen Narbenstenosen infolge von Schnitt-
wunden, luetischen und andere Geschwüren und Rhinosklerom; Dislocation an
den Knorpeln infolge von Fractur oder Luxation; fibröse Verbindung (Pseud-
arthrose?) der beiden Schildknorpelhälften; Kleinbleiben des männlichen Kehl-
kopfes nach frühzeitiger Kastration; Abreissung, ankylotische und andere Fixation
der Stimmbänder. Gewaltige Dislocationen des Kehlkopfes bis in die vom
äusseren Ohre gefällte Senkrechte sollen durch Narben und Geschwülste
hervorgebracht werden können.
Therapeutisch lässt sich durch endolaryngeale, nöthigenfalls auch durch
äussere Eingriffe besonders auf die Stenosen einwirken. Sehr bemerkenswert
ist, dass sich nach erworbenen Defecten am Kehlkopfe, z. B. nach partiellen
Exstirpationen, Narbenstränge bilden können, welche eine tönende Stimme
wieder ermöglichen.
Erworbene sogenannte functionelle Abnormitäten sind die Taschenband-
stimme, welche nach Verlust der Thätigkeit der Stimmbänder vicariiren kann,
und die sogenannte Fistel-, Eunuchen- oder Kastratenstimme des normal
entwickelten Kehlkopfes, welche durch gewisse Sprechübungen abgewöhnt
werden kann. bergeat.
WliSSbildungen der Mundhöhle. Als Spaltbildungen der Lippen sind
bekannt die Hasenscharte {Cheiloschisis). Dieselbe ist ein- oder doppelseitig
und betrifft fast immer nur die Oberlippe, zwischen äusserem Schneidezahn
und Eckzahn beginnend und nach oben gegen das Nasenloch laufend. Sie
ist häufig combinirt mit dem sogenannten Wolfsrachen, welcher einer unvoll-
ständigen Vereinigung des Zwischen- und Oberkiefers entspricht. Auch diese
Spaltbildung kommt ein- und doppelseitig vor.
91
Ohren-, Nasen-, Radien-, Kehlkopfkrankheiten. -"■
322 MISSBILDUNGEN DER NASE.
Syncheilie heisst die vollständige Verwachsung der Lippen bis zur voll-
ständigen Atresie der Mundhöhle.
Mih-ostomie ist eine Folge ausserordentlicher Hypoplasie der Lippen.
Acheilie, Mikro- oder Brachycheilie sind Bezeichnungen für vollständigen
Mangel oder abnormer Ausbildung der Lippen.
Mih'ognathie ist eine unvollkommene Ausbildung der Kiefer.
Makrostomie ist eine ein- oder doppelseitige Fortsetzung der Mundspalte
gegen die Ohren hin.
An der Zunge kommen verschiedene Missbildungen vor {Agiossie, Mikro-
glossie, Makroglossie). Die Zunge kann partiell mit dem Mundhöhlenboden
verwachsen sein (Änkgloglosson)] ein specielles Beispiel hiezu ist das zu kurze
Zungenbändcheu; es veranlasst Schwerbeweglichkeit der Zunge und erschwert
bei Säuglingen das Saugen. Man beseitigt diesen Zustand, indem man auf
einer gespaltenen Sonde das Frenulum linguae durchschneidet. Spaltung der
Zunge (Schistoglossie) ist eine atavistische Missbildung, da einzelne Säugethiere,
wie z. B. der Seehund, de norma eine gespaltene Zunge haben.
Ausführliches über die Missbildungen der Mundhöhle findet sich in der
Disciplin „Chirurgie'-'' dieses Sammelwerkes. K.
MiSSbildungen der Nase. Wir theilen die Missbildungen der Nase
in angeborene und durch anomales Wachsthum verursachte ein.
L Angeborene Missbildungen: Eine Reihe derartiger Missbildungen,
wie z. B. der vollständige Mangel der Nase (Maisonneuve), das Fehlen des
Septum (Fernet, Rosenfeld), unvollständige Bildung der Nasenmuscheln
(Hyrtl), Fissuren und Lückenbildung nebst completem Mangel der Nasenbeine
(Thomas, Hoppe), Doppelnase mit zwei knorpeligen Septa und drei Nasen-
löchern (Baümgaeten), amniotische Abschnürung der Nase (Julius Wolff,
Nasse) sind medicinische Curiosa ohne weiteres praktisches Interesse. — Die
nicht selten beobachteten „congenitalen" Septumperforationen (Hildebrand,
Hyrtl) sind wohl meist auf eine frühere Perichondritis zurückzuführen (Zucker-
kandl); es kommen jedoch derartige Fälle vor, bei welchen weder eine Peri-
chondritis, noch eine andere Ursache nachweisbar ist und die man als con-
genitale Defecte auffassen muss.
Eine viel grössere Wichtigkeit für uns hat der congenitale Ver-
schluss der vorderen oder der hinteren Nasenöffnungen; ersterer
ist ungemein selten (Voltolini, E. Mayer) und ist stets häutiger Natur; nur
im Falle von Mayer bestand ein quer verlaufender, knorpelharter membranar-
tiger Verschluss, der ungefähr einen halben Zoll tief den Eingang einer jeden
Nase vollständig verschloss. Derartige Verbildungen müssen ebenso wie die
in Folge von phlegmonösen Entzündungen entstandenen Atresien der Nasen-
löcher (Loeb) mit dem Messer eingeschnitten, abgetragen und durch Einlegen
kleiner Röhren ihre Wiederkehr verhindert werden.
Viel häufiger sind die Occlusionen der hinteren Nasen-Oeff-
nungen. (Schwendt, Watson, Gouggenheim und Helary, Hems, Hopmann,
Baumgarten, Crull, Schutter, Suchaneck, Schröter, Anton); es handelt
sich hiebei entweder um häutige oder um knöcherne coraplete Verschlüsse
beider oder auch nur einer einzigen Choane; die diaphragmaartigen Membranen,
die aus Bindegewebe, zuweilen auch aus Muskelfasern bestehen oder die viel
häufigeren oft elfenbeinharten Knochenplatten liegen meist im Rahmen der
ovalen hinteren Nasenöffhung, zuweilen vor derselben gegen die Nasenhöhle
zu oder auch hinter den Choanen in der Gegend der Tubenöflfnungen.
Schwendt trennt diese knöchernen Occlusionen der Choanen in teratologische
und rhinologische; erstere sind congenitaler Natur, während letztere durch
Verwachsung und Sklerosirung der entzündeten Knochensubstanz in den
hinteren Nasenabschnitten während der Kinderjahre zu Stande kommen. Meist
MISSBILDÜNGEN DER NASE. 323
verschliessen sie vollständig die hintere Nasenoffhung; andere seltene Male
ist der Verschluss nur ein partieller. Besteht eine doppelseitige Nasen-
occlusion, so ist schon bald nach der Geburt die Athmung des Kindes eine
erschwerte, was besonders beim Saugen und im Schlafe hervortritt. Das
Leben des kleinen Kindes kann hierdurch gefährdet sein, wenn das Athmungs-
hindernis nicht bald beseitigt wird; andere Kinder gewöhnen sich allmählich
daran, werden nur leicht dyspnoisch und athmen fast stets mit offenem iMunde;
im späteren Alter wird ihre Sprache klanglos, ihr Geruchsvermögen ist be-
trächtlich vermindert und zuweilen erkranken auch die Gehörorgane. Trotz
alledem können sich derartige Kinder körperlich und geistig gut entwickeln
(Süchaneck). Bei Kindern, die durch häufige Erstickungsanfälle, durch oft-
malige Störungen beim Saugen geplagt werden, müssen wir auch an eine
derartige Nasenverlegung denken; am besten erkennt man dieselben vermit-
telst der Nasensonde, mit welcher es zugleich möglich ist, die Consistenz des
Hindernisses, ob häutig oder knöchern und seine Ausdehnung zu bestimmen;
auch durch eine schonende Digitaluntersuchung lassen sich, selbst beim Kinde,
die betreffenden Verhältnisse feststellen. Bei grösseren Kindern und bei
Erwachsenen besteht ausserdem eine auffallend hohe Gaumenwölbung und
in diesem Alter ist die Diagnose sowohl per digitum wie auch durch die
hintere Rhinoskopie ziemlich leicht; bei letzterem Verfahren sind wir zu-
weilen im Stande, die Dicke der obturirenden Membran an dem Durch-
scheinen einer durch den unteren Nasengang eingeführten Sonde abzuschätzen.
— Häutige Verschlüsse zerreisst man beim Kinde sobald als möglich vermit-
telst eines durch die Nase eingeführten Troicarts; beim Erwachsenen muss
eine derartige Perforation mit einem geknöpften Bistouri unter Hilfe des in
den Nasenrachenraum eingeführten Fingers erweitert werden. Knöcherne Ver-
schlüsse erheischen Meissel oder, wovon ich in einem Falle guten Erfolg gese-
hen, lange, geriö'te Knochenbohrer, wie wir sie auch zur Eröffnung der High-
morshöhle vom Alveolarfortsatze verwenden.
Alle diese künstlichen häutigen oder knöchernen Oeffnungen haben grosse
Neigung sich wieder zu schliessen und sie müssen deshalb mit Drain- oder
kleinen Celluloidröhren offen gehalten werden. — Ein von Lange mitgetheilter
Fall von congenitalem, membranösem Verschlusse der rechten Choane, in welchem
nach Anwendung des Galvanocauters, nach einigen Tagen der Tod eintrat,
gebietet uns Vorsicht.
ZucKERKANDL rcchuet auch zu den congenitalen Missbildungen eine
gewisse Zahl von Synechien im Inneren der Nase; dieselben kommen
jedoch viel häufiger als pathologische Folgen von operativen Eingriffen, wie
z. B. den so beliebten galvanocaustischen Aetzungen, von traumatischen,
syphilitischen oder diphtheri tischen Entzündungen vor und entstehen meist in
der Weise, dass gegenüberliegende, angeätzte oder ulcerirte Schleimhaut-
partien eine Zeit lang sich berühren, mit einander verkleben und allmählich
fest verwachsen. Späterhin bilden diese Adhäsionen schmale oder breite
membranartige Verbindungen zwischen verschiedenen Theilen des Nasen-
inneren, besonders zwischen den unteren und mittleren Muscheln und dem
Septum, oder auch zwischen den Muschelrändern selbst. Derartige abnorme
membranöse Verbindungen kommen nach Zuckerkandl auch als congenitale
Bildungen vor, ebenso auch knöcherne Synechien zwischen Muschel und
Septum oder zwischen unterer Muschel und Nasenboden. Bisweilen findet
man häutige oder knöcherne Synechien in beiden Nasenhöhlen, sogar an
symmetrischen Stellen und gerade diese Fälle dürften am ehesten noch con-
genitaler Natur sein.
Alle diese abnormen Zustände rufen kaum irgend welche Störung hervor;
sie sind nur Curiosa congenitaler Hemmungszustände und wir constatiren
dieselben meist zufällig bei Untersuchungen der Nase.
21*
324 MISSBILDUNGEN DER NASE.
Die grösste Zahl der aus anderen Ursachen entstandenen Synechien ist
ebenfalls ohne grösseren Belang; nur selten verengern dieselben den Respira-
tionsweg oder verursachen Reflexneuralgien, Kopfweh u. s. w. Dünne, strang-
artige membranöse Synechien werden, wenn nöthig, mit der Sonde durch-
gerissen oder mit dem Galvanokauter getrennt und ihre Wiederbildung durch
eingelegte dünne Wattebäusche oder Jodoform streifen verhindert. Knöcherne
Synechien müssen im Nothfalle entweder mit dem Meissel oder der Knochen-
säge beseitigt werden.
IL Missbildungen durch anomales Wachsthum verursacht.
— Verbildungen im Inneren der Nase, die infolge abnormer Wachsthums-
vorgänge entstehen, werden am häufigsten an der Nasenscheidewand beob-
achtet, viel seltener an den Muscheln und den lateralen Nasenabschnitten.
Im allgemeinen finden wir bei demselben Individuum selten zwei gleich weite und
gleichartig beschaffene Nasenhöhlen; die Verschiedenheiten beruhen entweder
auf einer abnormen Stellung und Verbiegung des Septum (Devi-
atio) oder auf einer irregulären Auflagerung auf die Nasenscheidewand
(Exostose und Ecchondrose) oder endlich auf Verkrümmungen und
blasen förmigen Form Veränderungen der einen oder der anderen
Muschel.
1. Die Verbiegung der Nasenscheidewand (Deviatio Sepü-
narium). Das Septum, in seinem knöchernen wie in seinem knorpeligen
Abschnitte, steht selten in der Medianlinie des Körpers; häufig ist dasselbe
nach rechts oder links verbogen; in ihren geringen Graden verursachen diese
Ditformitäten keinerlei krankhaften Erscheinungen; starke Verbiegungen da-
gegen veranlassen zuweilen so erhebliche Beschwerden besonders bei der Re-
spiration, dass sie ärztliche Abhilfe erheischen.
Selbst hochgradige Deviationen der Scheidewand können ohne jede Ver-
änderung der äusseren Nasenform bestehen; nur zuweilen bedingen sie
äusserliche Difformitäten, die das Gesicht verunzieren; die Nase ist in solchen
Fällen von der Wurzel bis zur Spitze schief gestellt, anderemale ist nur die
Spitze nach der Seite gedrängt, wieder in anderen Fällen besteht ein seit-
licher Höcker oder auch eine S-förmige Verkrümmung der Nase (skoliotische
Nase nach Welker und Ziem).
Die Verbiegung betrifft den knorpeligen oder den knöchernen Theil des
Septums, auch beide zugleich; die des knorpeligen Abschnittes sind die häu-
figeren und die durch sie bedingten krankhaften Störungen oftmals viel
ausgesprochener als dies bei den Verbiegungen des knöchernen Abschnittes
der Fall ist. Die Form der knorpeligen Deviationen ist je nach dem
ursächlichen Momente eine verschiedene. Sie entstehen entweder infolge von
Wachsthumsanomalien oder infolge eines Traumas; letztere haben die Form
einer an den Seiten flach gedrückten Halbkugel mit winkligen, kammartigen
Vorsprüngen; die durch abnorme Wachsthums Vorgänge entstandenen haben
mehr eine abgerundete, langgestreckte, convexe Form; sie sind zuweilen blasen-
förmig, anderemale mehr in die Länge gezogen, wurstartig und gehen in
diesem letzteren Falle in eine gleichartige Krümmung des knöchernen Septums
über. — Die Deviationen des knorpeligen Septums kommen oftmals ganz
isolirt vor, ohne dass das knöcherne verändert ist; die des knöchernen da-
gegen, besonders in ihren ausgeprägten Formen finden sich selten als
isolirte Verkrümmungen, sondern sind häufig mit Verbiegungen des knorpeligen
Abschnittes combinirt; gerade diese letzteren sind fast regelmässig durch
Wachsthumsanomalien bedingt, und nur selten durch Trauma; dabei ist
ihre Form eine sehr unregelmässige; meist sind es buckelige Convexitäten,
die sich allmählich vom Rande des Septums her erheben, zuweilen sind sie
langgestreckt, auch winkelig vorspringend, die einen Male liegen sie an
den oberen, die anderen Male an den unteren Abschnitten des Septum, sei
MISSBILDÜNGEN DER NASE. 325
es in horizontaler, sei es in verticaler liichtung verlaufend. Manchmal auch
ist das Septum S-förmig an zwei hinter- oder an zwei übereinander gelegenen
Stellen verbogen, so dass z. B. die Vorwölbung hinten nach rechts, vorn
nach links gerichtet ist. — Der Convexität des Septum in der einen Nasen-
hälfte entspricht immer eine gleichlange und entsprechend tiefe Oon-
cavität in der anderen Nase; nur wenn sich auf der verbogenen Septumpartie
knorpelige oder knöcherne Auflagerungen entwickelt haben, ändert sich die
Form der Deviation dahin, dass verhältnismässig geringe Verbiegungen auf
ihrer convexen Seite eine beträchtliche Dicke durch diese Auflagerungen
erreichen, während auf der anderen Septumseite eine nur geringe mulden-
förmige Concavität vorhanden ist. Im allgemeinen umfassen die Verbiegungen
des knorpeligen wie des knöchernen Septum die ganze Dicke des Knorpels,
resp. Knochens und so muss auch der Convexität in der einen Nasenhälfte
die gleichgrosse Concavität in der anderen entsprechen. Eine seltene Aus-
nahme hievon habe ich in einigen Fällen von Verbiegung des knorpeligen
Septums beobachtet; es lag hier eine starke convexe Auftreibung des Septum
in der einen Nasenhöhle vor, während in der anderen Seite die knorpelige
Scheidewand fast ganz gerade verlief; nach Abtragung der dicken convexen
Knorpelmasse sah man, dass in der anderen Nasenhöhle das Septum intact
stehen geblieben war und dass keine Durchlöcherung der Scheidewand statt-
gefunden hatte. Dies an und für sich seltene Vorkommen muss dahin er-
klärt werden, dass beim Kinde das knorpelige Septum ebenso wie das
knöcherne aus zwei dicht aneinander liegenden in späteren Jahren aber stets
verschmelzenden Lamellen zusammengesetzt ist; die vollständige Verwachsung
dieser beiden Lamellen der cartilago quadrangularis ist die Regel und nur in
obigen Ausnahmefällen war diese Verschmelzung nicht zu Stande gekommen
und die Verbiegung hatte an der einen Platte stattgefunden, während die
andere gerade verblieben war; die Innenfläche der betreflfenden abgetragenen
convexen Knorpelplatte war regelmässig mit einer dünnen Schleimhaut über-
zogen.
Der praktische Arzt wird viel häufiger in der Lage sein, Verbiegungen
des knorpeligen Septums zu sehen, als der Anatom, der häufig seine Unter-
suchungen nur am knöchernen Schädel machen kann; daher rühren auch die
grossen Unterschiede in den Angaben über die Häufigkeit dieser Anomalie.
Makenzie hat in 77%, Zuckerkandl in nur SS^I^ der untersuchten Köpfe
Deviationen der Scheidewand gefunden; Heymann fand bei 800 Nasenunter-
suchungen in kaum l7o ein gerades Septum; ebenso verschieden lauten die
Angaben, ob die Verbiegungen mehr nach rechts oder nach links statthaben;
letztere sollen nach einigen Autoren (Bresgen) die häufigeren sein. Ebenso
Meyes, der bei 300 untersuchten Schädeln 200 Mal Verkrümmungen nach
links gefunden hat. Nach Zuckerkandl sind nur die vorderen % der Scheide-
wand verbogen, während das hintere ^g fast immer gerade steht und des-
halb auch nur ganz selten Asymmetrien der Choanen vorkommen; ich habe
im Gegentheil sehr oft Gelegenheit gehabt, sowohl bei der hinteren Rhino-
skopie als bei der Digitaluntersuchung wie auch an der Leiche festzustellen,
dass die eine Choane und zwar meist die linke viel enger war als die rechte,
und dass diese Asymmetrie durch den Schiefstand des hinteren Septumdrittels
bedingt war.
Aetiologie. Eine vielumstrittene Frage. — Für die Einen sind Wachs-
thumsanomalien die alleinige Ursache der Septumdeviation; andere führen
ihre Entstehung fast immer auf ein Trauma zurück. Die Wahrheit liegt in
der Mitte. Die runde Contour, die gleichmässige Wölbung, das allmähliche
Aufsteigen der Septumverbiegung von der Umgebung her deuten für eine
Anzahl von Deviationen auf eine langsam wirkende Ursache hin, wie dies
nur beim Wachsthum der Fall sein kann; es gilt dies vor Allem für jene
326 MISSBILDUNGEN DER NASE.
Verbieguügen, die nur am knöcliernen oder zu gleicher Zeit am knöchernen
und knorpeligen Abschnitte des Septum zur Beobachtung kommen; dagegen
gibt es eine andere Reihe von Deviationen, besonders die des knorpeligen
Septumtheiles allein, bei welchen oft nicht nur ein früheres Trauma mit aller
Bestimmtheit festgestellt werden kann, sondern deren unregelmässige Formen
wie ihre winkeligen Knickungen auf das ursächliche Moment eines Traumas
hinweisen. Wir wissen ja, wie häutig Schlag und Fall auf die Nase besonders
im kindlichen Älter. vorkommen und wie wenig, ausser der hiebei entstehen-
den Nasenblutung, diese kleinen Unfälle berücksichtigt werden; und doch
kommen dabei nicht selten Fracturen des knorpeligen Septums zu Stande,
die nicht beachtet und bei denen die entstandenen, oft verschobenen Bruch-
stücke nicht reponirt werden; dieselben heilen dann in dieser falschen Stellung
zusammen, was bei der prompten Callusbildung im Kindesalter sehr rasch
geschieht; in dieser Weise kommen dann Deviationen des knorpeligen Septums
zu Stande. — Auch Löv^enbeeg hält die von ihm als verticale Deviation
oder Faltung der Nasenscheideivand bezeichnete Verbiegung des vorderen
Septumdrittels durch Fall oder Schlag auf die Nase bedingt, während er
seine horizontalen Deviationen (untere wie obere) auf Wachsthumsanomalien
zurückführt, lieber die Art und Weise, wie infolge von Wachsthumsano-
malien Septumdifformitäten zu Stande kommen, sind die Ansichten ebenfalls
verschieden. Hyrtl sieht in dem stetigen Schnäutzen der Nase mit der rechten
Hand den Grund der häufigen Verbiegungen nach links; Welker führt sie
auf den Druck zurück, welchen die Nase beim habituellen Schlafen auf einer,
meist der linken Seite erleidet und vergleicht diese Verbiegungen mit denen
des Sternum der Bruthenne beim Brüten; es erkläre dies auch die Thatsache,
dass bei den uncivilisirten Nichteuropäern, die auf dem Ptücken zu schlafen
pflegen, wie z. B. den Negern, Indianern u. s. w. die Deviationen der Nasen-
scheidewand viel seltener gefunden werden (Zuckerkandl). Mackenzie erklärt
diese Wachsthumsanomalie aus der zu verschiedenen Zeiten beendigten Ossi-
ficirung der drei Knochen (lamina perpendicularis des Siebbeins, vomer und
crista nasalis des Oberkiefers), aus denen sich das Septum zusammensetzt;
nach ihm werde der noch geringer verknöcherte Abschnitt bei seinem Zu-
sammentreffen mit dem schon mehr ossificirten und dadurch widerstands-
fähigeren Theile nach der einen oder anderen Seite ausgebogen. Scanes
Spicer sieht in der Deviation die Folge einer bei der Geburt schon statt-
gehabten Verletzung des beim Fötus noch ganz knorpeligen Septums. Patrzek
hat schon beim Neugeborenen verbogene Septa gefunden und ebenso Anton,
der bei 56 Leichen neugeborener Kinder neunmal Deviation und Schiefstand
der Nasenscheidewand beobachtete. Lewy betrachtet sie, da sich neben der
Deviation öfters auch ein abnorm hohes und schmales Gaumengewölbe vorfindet,
als die Folgezustände einer rhachitischen Erkrankung; auch Schaus hält die-
selben durch krankhafte Vorgänge in der 2. Dentition verursacht, worauf auch
die abnorme Höhe und Schmalheit des harten Gaumens, der ungleich hohe
Stand der Orbitae u. s. w^ hinweisen. In neuester Zeit fasst Bergeat als Ur-
sachen der Verbiegungen zusammen: 1. die zu bedeutende Grösse einzelner
oder aller Septumplatten im Verhältniss zur Ausdehnung der sagitto- senk-
rechten Mittelebene der Nase; 2. Verschiebung an der oberen und unteren
Sagittallinie der Nase; 3. Druck der seitlichen Theile der Nase und Nasen-
gegend und 4. Traumen. — Die Experimente von Ziem an jungen Thieren,
denen er die eine Nasenhälfte verschloss, beweisen uns aber, wie hemmend
dies experimentelle Moment auf die Entwicklung der betreifenden Schädel-
hälfte einwirkt; das eine Nasenbein erreicht hiebei nicht die Länge des
anderen, der betreffende Alveolarfortsatz steht höher, die Sagittalnaht
weicht nach der einen Seite ab u. s. w. Ziem schliesst deshalb daraus, dass
nur mechanische Momente hier im Spiele sind und dass die Septumdevia-
MISSBILDUNGEN DER NASE. 327
tionen fast ausschliesslich durch Trauma entstanden sind; der Ilochstand des
harten Gaumens und der einen Orbita, wie auch die Verengerung der Aper-
tura pyriformis sind nach ihm nur die Folgen einer traumatischen Deviation.
Es dürfte immerhin in vielen Fällen schwer zu bestimmen sein, was Ursache
und was Folge ist, besonders bei den häufig so unbestimmten anamnestischen
Angaben der Patienten oder deren Angehörigen. — Fassen wir alles zu-
sammen, so muss das Trauma sicher als Ursache einer beträchtlichen Zahl
von Septumdeviationen, besonders der des knorpeligen Theiles angesehen
werden, es ist dies auch bei den häufigeren Vorkommen dieser Difformität
beim Manne (133:59. Griffin) recht wahrscheinlich; nicht minder sicher ist
es, dass sich eine andere Reihe von Verkrümmungen nur infolge von Wachs-
thumsanomalien entwickelt hat; bei diesen letzteren wird es sich entweder um
physiologische oder pathologische Fälle handeln; erstere sind nach der Ansicht
von Mackenzie dadurch zu Stande gekommen, dass der später oder unge-
nügend ossificirte Knochenabschnitt bei seinem Zusammenstossen mit dem in
seiner Verknöcherung fortgeschritteneren anderen Septumsegment nachgeben
und nach einer Seite sich verbiegen, selbst an einer sehr schwachen Stelle ein-
knicken wird. Die pathologischen Wachsthumsanomalien umfassen jene Fälle,
in welchen die Verknöcherung des beim Fötus noch ganz knorpeligen Septums
infolge constitutioneller Erkrankungen (Rhachitis, Anämie) in dem einen oder
in dem anderen der knöchernen Septumtheile verzögert wird; dann kommen
auch hier in gleicher Weise wie bei den obigen physiologischen Fällen, jene
blasigen Verkrümmungen der Scheidewand zu Stande, die mit ihrer sanft
aufsteigenden bogenförmigen Wölbung an die Verbiegungen der rhachitischen
Tibia der Kinder erinnern.
Symptome. Geringe Grade von Septumdeviation haben gar keine oder
nur geringe Symptome zur Folge; sie sind die häufigsten Anomalien der Na-
senscheidewand und werden nur als zufällige Befunde bei den Nasenunter-
suchungen notirt; selbst hochgradige Verbiegungen bestehen oftmals ohne jed-
wede Beschwerde, so z. B. verursachen tief gelegene blasige Deviationen kei-
nerlei Symptome, so lange oberhalb und unterhalb derselben genügender
Raum für die Luftathmung und für den Riechact vorhanden ist. Winklige
Deviationen im allgemeinen und besonders die am knorpeligen wie am knor-
pelig-knöchernen Abschnitte der Nasenscheidewand rufen dagegen nicht sel-
ten intensive Beschwerden hervor; sie beeinträchtigen in erster Linie die
Nasenathmung und dies besonders dann, wenn auch die andere Nasenseite
trotz des concav verbogenen Septums infolge eines chronischen Schwellkatarrhs
der Muscheln verengt ist; solche Kranken müssen durch den Mund athmen
und sind allen Folgen dieser abnormen Athmung ausgesetzt: Rachen- und
Kehlkopfkatarrhe, unruhiger Schlaf, näselnde Sprache u. s. w.; sie haben fer-
nerhin grössere Mühe, ihre Nase genügend zu reinigen und sind zu neuen
Katarrhen mehr disponirt; auch ist ihr Geruchvermögen auf der betreffenden
Seite stark beeinträchtigt, bei sehr starken Vorwölbungen sogar vollständig
verloren.
Von besonderem Interesse sind die nervösen Störungen, die sogenannten
nasalen Reflexneurosen, welche in derartigen Fällen manchmal zur Beob-
achtung kommen. Der fortwährende Druck, den solche knorpelige oder
auch knöcherne Scheidewandverbiegungen auf die gegenüberliegende Muschel-
schleimhaut mit ihren zahlreichen Nervenverzweigungen ausüben, löst gewiss
viel leichter Reflexneurosen aus, als Schwellungen der Muscheln, Nasen-
polypen u. s. w. Derartige Neurosen treten besonders als Stirn- oder Hinter-
kopfschmerzen auf; auch Asthma nasale kann durch eine Septumdeviation ver-
ursacht sein, wenn auch seltener als durch Polypen. Manche Verbiegungen
verursachen eine so starke Verengerung der Nasenhöhle, dass die vordere
Rhinoskopie, wie besonders auch operative Eingrifle, z. B. Extraction von
328 MISSBILDÜNGEN DER NASE.
Polypen sehr erschwert sind. Es unterliegt endlich keinem Zweifel, dass
Septumverbiegungen für die Entstehung und Unterhaltung verschiedener
Mittelohrprocesse von grosser Bedeutung sind; die grosse Neigung zu Nasen-
katarrhen, die ungenügende Nasenathmung, die mangelhafte Ventilirung der
Tuba, der erschwerte Katheterismus, alle diese Momente beeinflussen die
Prognose jener Ohrerkrankungen in ungünstiger Weise.
Diagnose: Stärkere Formveränderungen der äusseren Nase lassen eine
Deviation des Septums vermuthen; die tumorartigen Verbiegungen des knor-
peligen Theiles erkennen wir leicht mit der Sonde an ihrer Unempfindlich-
keit, ihrer festen Consistenz, ihrer anämischen Schleimhaut und an ihrem
allmählichen Uebergehen in die umgebenden Septumtheile, zum Unterschiede
von einem Polypen oder einer anderen Geschwulst; auch entspricht der con-
vexen Vorbauchung des Septums nach einer Seite eine entsprechende Con-
cavität in der anderen Nasenhöhle; gerade dieses letzte Zeichen ermöglicht
auch, die tiefer gelegenen Verbiegungen zu erkennen, wenn dieselben so dicht
an die mittlere oder untere Muschel herantreten, dass wir nur mit Mühe
eine Sonde zwischen dem vorgewölbten Septum und der Muschel durch-
zuführen im Stande sind und wir die betreffende Convexität für eine Knochen-
geschwulst halten könnten; Tiefe und Ausdehnung der Concavität belehren
uns auch, ob wir es blos mit einer Deviation oder mit der Combination einer
solchen mit Knochen- oder Knorpelauflagerungen zu thun haben. Auch die
S-förmigen Deviationen lassen sich in dieser Weise ohne grosse Mühe fest-
stellen. Die Ausdehnung der Verbiegung nach hinten wird mit einer haken-
förmig gekrümmten Sonde bestimmt. Durch die hintere Rhinoskopie können
wir die in der hinteren Nasenhälfte gelegenen Diff'ormitäten feststellen, jedoch
sieht man bei dieser Untersuchungsmethode weniger gut den Schiefstand des
vomer, als man ihn per digitum aus der Ungleichheit der Choanen zu er-
kennen in der Lage ist.
Prognose: Nur bei hochgradigen und die Respiration stark beeinträch-
tigenden Deviationen werden Schlaf und Allgemeinbefinden gestört sein,
psychische Verstimmungen und Reflexneurosen zu Stande kommen; bei letzteren
jedoch ist immer zu erwägen, dass bei vielen derartigen Kranken eine neur-
asthenische Grundlage besteht und dass auch trotz operativer Beseitigung
der Nasendifformität die nervösen Beschwerden oft fortdauern, jedenfalls leicht
zurückkehren können.
Behandlung: Nach Tillaux soll man nur im äussersten Nothfalle ope-
riren. Wir dürfen diesen Rath nur dann befolgen, wenn keine beträchtlichen
Beschwerden vorliegen, wie dies bei hochgradigen Deviationen der Fall sein
kann; zuweilen genügt es, die gleichzeitig vorhandene Hypertrophie der
gegenüber liegenden Muschel galvanokaustisch zu verkleinern oder mit der
Schlinge abzutragen.
Verursachen dagegen diese Anomalien eine hochgradige Nasenstenose,
lösen sie mit grosser Wahrscheinlichkeit reflectorische Neuralgien aus oder
sitzen Neubildungen hinter der Verengerung, die aussergewöhnlich schwer zu
entfernen sind oder endlich, besteht ein hässliches Schiefstehen der äusseren
Nase, so ist die Operation indicirt.
Eine für alle Arten und Formen dieser Erkrankung passende, gleich-
artige Behandlung gibt es nicht; sie richtet sich nach dem Sitze und nach
der Form der Deviation des einzelnen Falles. — Die orthopädischen
Methoden früherer Jahre (Druck durch den Finger, Nasenklemmen, Watte-
tampon in die verengte Seite) könnten höchstens in frischen traumatischen
Fällen geringeren Grades von Erfolg sein. — Die von Adams, Jürasz und
Delstanche empfohlene Methode, vermittelst besonderer Zangen das ver-
bogene Septum zu brechen, gerade zu richten und in dieser Stellung mehrere
MISSBILDÜNGEN DER NASE. 329
Tage lang zu fixiren, hat sich nur in den Händen einiger weniger Aerzte
bewährt; nur in einem Falle von frischer, schlecht geheilter, traumatischer
Septumfractur habe ich Nutzen davon gesehen. Bei den eigentlichen, den
älteren Deviationen habe ich nicht nur keinen Erfolg beobachtet, sondern die
hiebei entstehenden Druckgeschwüre, die grosse Schmerzhaftigkeit während
der Behandlung Hessen mich von dem weiteren Gebrauche dieser Zangen
Abstand nehmen. Die Locheisenzangen von Rupprecht und Blandix eignen
sich ebenfalls nicht, weil sie nicht völlig hinter die engste Stelle gebracht
werden können und wir somit die störende Verengerung nicht zu heben im
Stande sind.
Die Fachchirurgen (Dieffenbach u. a.) haben von jeher die Deviation
durch Resection des prominenten Theiles der Scheidewand zu heilen gesucht;
auch heutzutage ist diese Methode für die meisten Fälle die rationellste;
wir haben aber hiebei nicht nöthig, die Nase von aussen her zu eröffnen, wie
dies Dieffenbach, Chassaignac u. a. gethan, sondern wir suchen die Ope-
ration per vias naturales auszuführen; nur bei sehr engem Naseneingange kann
man nach Moldenhauee den Nasenflügel in der Nasolabialfalte IV2 — 2 cm
hoch ablösen und ihn nach oben klappen, um bessere Einsicht in die Nasen-
höhle zu erhalten. Die von Krieg, Petersen, Rethi, Zarniko angegebenen
Verfahren der blutigen Abtragung des vorgewölbten Septumtheiles weichen
beträchtlich von einander ab; gemeinsam ist ihnen, zur Erhaltung des Schleim-
hautüberzuges an der convexen wie an der concaven Septumfläche, vorerst
die mucosa abzulösen, zurückzuschieben und dann erst den Knorpel, resp.
Knochen abzutragen. Nach Zarniko-Hartmann wird an der vorderen Grenze
der Deviation mit einem bogenförmigen galvanokaustischen Striche die Schleim-
haut bis auf den Knorpel getrennt, der Schleimhautlappen vermittelst eines
Elevatorium vom Knorpel abgelöst und nach hinten oben zurückgeschlagen,
alsdann wird das convexe Knorpelstück an seinem vorderen Ende vorsichtig
eingeschnitten und von diesem Schlitze aus mit einem schmalen Elevatorium
auch die Mucosa der anderen Septumfläche abgehebelt; schliesslich trägt man
mit einer kleinen CooPER'schen Scheere die knorpelige Erhebung in kleinen
Stücken ab. Der Schleimhautlappen wird mit Jodoformpulver bestreut und
zu seiner Fixirung werden Wattebäusche zwischen ihn und die Aussenwand
der Nase eingelegt. Petersen befestigt den Lappen durch einige Suturen.
Wie man sieht, ist diese Operationsmethode eine recht subtile und
erheischt ziemlich lange Zeit; auch ist die Blutung eine ebenso beträchtliche
als störende. Zarniko kommt trotzdem immer mit der Cocainanästhesie aus.
— Die Beobachtung, die man so häutig bei künstlichen sowohl, wie bei patho-
logischen Perforationen der Nasenscheidewand zu machen Gelegenheit hat,
dass nämlich selbst grössere Substanzverluste im Septum keinerlei Beschwerden
weder für die Athmung noch für die Riechfunction zur Folge haben, und dass
sie auch kosmetisch das äussere Nasengerüste nicht verunstalten, diese That-
sache konnte uns auch belehren, dass die allzu peinliche Rücksicht, die man
bei diesen operativen Eingriffen auf die Erhaltung der Schleimhaut nimmt,
eine übertriebene ist; ich thue es deshalb auch nur bei jenen Deviationen,
die unmittelbar hinter der äusseren Nasenöffnung gelegen sind und deren
Abtragung ohne Schonung der Mucosa von aussen sichtbare Oeffnungen zurück-
lassen würden. Es geht die Heilung bei erhaltener Schleimhaut etwas schnel-
ler von statten, jedoch die Operation dauert länger und ist durch die
starke Blutung eine ersch wertere. Die Erhaltung der Schleimhaut ist ausser-
dem nur da nothwendig, wo sehr grosse Stücke des Knorpels abgetragen
werden müssen und demnach allzu grosse Defecte übrig bleiben würden;
nur in diesen letzteren Fällen wie auch bei den schon oben erwähnten
ganz vorn sitzenden, blasigen Deviationen bilde ich einen vorderen Schleim-
hautlappen. Die von mir seit langen Jahren geübte Methode bei allen übri-
330 MISSBILDÜNGEN DER NASE.
gen Deviationen ist eine einfachere, lässt sich leicht und rasch ausführen und
die Erfolge sind nicht schlechter als die nur mit grosser Geduld und Mühe
durch die peinlichen Operations verfahren Anderer erzielten.
Bei VerbieguEgen des knorpeligen Septums, die fast unmittelbar hinter
der äusseren Nasenöfifnung gelegen sind, durchschneide ich in querer Rich-
tung die Schleimhaut über der stärksten Erhebung des Knorpels und ziehe
sie mit einem schmalen rechtwinkligen Easpatorium stark nach vorn ab; man
durchsticht dann mit einem langen, geraden, lanzettförmigen und doppel-
schneidigen Messer, unter Schonung der Schleimhautmanchette, die Basis des
Tumors von vorn nach hinten, schneidet erst nach unten — um das Opera-
tionsfeld freier von Blut zu haben — und dann nach oben die blasige Knorpel-
masse durch, wobei letztere mit einem spitzen Häckchen angezogen und
schliesslich entfernt wird. — Bei den weiter nach hinten sitzenden Ver-
biegungen wird, ohne Berücksichtigung der Schleimhaut, ein langes schmales
vorn abgestumpftes Messer, dessen Schneide je nach der Nasenseite leicht
convex nach rechts oder links gebogen ist, flach zwischen Nasenboden und
Septumverbieguug über deren hinteres Ende hinausgeführt, die Schneide nach
oben gewendet und nun von unten nach oben und von hinten nach vorn
bogenförmig die verkrümmte Septumpartie abgeschnitten. Geht der hintere
Theil der Knorpeldifformität in eine stärkere Deviation des knöchernen Sep-
tumabschnittes über, durch w^elche das Lumen der betreffenden Nasenseite
noch stark verengt bleibt, so muss auch der vorspringende Knochen entweder
mit dem ScHöTz'schen oder dem CnoLEWA'schen Meissel abgestemmt oder
mit einer stumpfwinkligen Stichsäge abgetragen w^erden. Die hiebei ent-
stehende Blutung ist ziemlich profus, steht aber bald durch die Tamponade
beider Nasenhöhlen mit Jodoformgaze; vom anderen Tage an ist der Tampon
blos auf der operirten Seite zu erneuern. Meist genügt eine 2 — 3 w^öchentliche
Nachbehandlung zur Heilung der Wunde; die Tampons müssen zweimal im
Tage gewechselt werden und zur genügenden Erweiterung des verengten Nasen-
ganges kann man dieselben allmählich etwas dicker nehmen; bei allzu starken
Verengerungen verwendet man auch mit gutem Nutzen ovale, verschieden dicke
Celluloid- oder Metallröhrchen zur allmählichen Dilatation der betreffenden
Nasenseite.
Bei Erwachsenen genügt die Cocainanästhesie, in einfachen Fällen durch
Aufpinseln, bei hochgradigen Formen durch Injection in die Schleimhaut;
jüngere oder unruhigere Patienten werden im Lehnstuhle chloroformirt, wobei
nur zu beachten ist, dass während der Operation der Kopf des Patienten gut
nach vorn geneigt wird, um das Abfliessen des Blutes in den Hals so viel
als möglich zu verhüten, — Die zurückbleibende Septumöffnung ist in den
Fällen, in welchen ein vorderer Schleimhautlappen gebildet wurde, eine un-
bedeutende, in manchen Fällen kommt es sogar zum vollständigen Verschluss
der Septumlücke; jene Oeffnungen dagegen, die nach der Operation tiefer
gelegener Deviationen zurückbleiben, hatten keinerlei Schädigungen zur Folge
weder für die Nasenathmung, noch für den Riechact (Levy). — Bei den
S-förmigen Verbiegungen genügt es nach Rethi nur den unteren, resp. den
vorderen Bogen abzutragen.
Der Vollständigkeit halber müssen noch eine Anzahl anderer Operations-
methoden erwähnt werden, die in den letzten Jahren zur Heilung der Devia-
tionen empfohlen worden sind. So gebraucht Schötz einen Meissel mit
stumpfwinkligem Handgriffe, der von hinten nach vorne schneidet und mit
welchem die prominente Knorpelmasse ohne Rücksicht auf die Schleimhaut
abgetragen wird. Astier, Goodwille, Ziem, Spiess u, a. tragen die Knorpel-
und Knochenverbiegungen vermittelst kleiner Drillbohrer und Trephinen ab, die
durch die WniTE'sche Zahnbohrmaschine oder durch den Elektromotor bewegt
werden. Voltolini empfiehlt die galvanokaustische Durchschneidung und
MISSBILDUNGEN DER NASE. 331
das allmähliche Abbrennen mit messerförmigen, geraden oder knieförmigen
Kauteren; er will hiebei niemals ein Loch im Septum erhalten haben, was
er übrigens auch nicht befürchtet, da die Nase hiebei nicht einsinke. Bei
Verbiegungen geringeren Grades wird diese einfache und fast schmerzlose
galvanokaustische Behandlung ausreichen; einige Sitzungen genügen, um
derartige Knorpelvorsprünge allmählich zu zerstören; jedenfalls ist diese Me-
thode wirksamer als die durch Stan und Rethi vorgeschlagenen Aetzungen
der Muscheln und der Septumconvexität vermittelst Chromsäure.
Seit mehreren Jahren endlich ist auch von vielen Seiten die elektro-
lytische Behandlung dieser Anomalie empfohlen worden (Voltolini, Kuttner,
Meyer und viele andere.) Man bedient sich hierzu einer galvanischen Bat-
terie mit Galvanometer, Stromwender und Ptheostat und als Elektrode einer
Doppelnadel mit Platin-Iridiumspitze; letztere wird möglichst an der Basis
in die Deviation eingestochen, der Strom muss langsam von circa 10 — 20
Milliampere anschwellen und 10—15 — 20 Minuten andauern. Es soll auf
diese Weise, durch elektrolytische Zersetzung der in der Gewebsflüssigkeit
enthaltenen Salze, eine Gerinnung des Eiweisses und ein Schorf mit nach-
folgender Narbe erzeugt und die Vorwölbung allmählich zerstört werden.
Wenn auch dieses Verfahren keiner eigentlichen Nachbehandlung bedarf, so
erheischt es doch regelmässig eine Reihe von Sitzungen, dauert ziemlich
lange und dürfte überhaupt nur bei Verbiegungen geringeren Grades und bei
ängstlichen Gemüthern seine Anwendung finden; übrigens habe ich auch bei
dieser Methode in den meisten Fällen Septumlöcher zurückbleiben gesehen.
Alles in allem sind wir durch keine der besprochenen Behandlungs-
methoden im Stande, bei ganz hochgradigen Septumdeviationen alle Störungen
dauernd zu beseitigen; wir werden nie die völlige Geradestellung des Septums
erzielen und dürfen überhaupt nur bestrebt sein, die Verengerung des Nasen-
ganges mehr oder weniger zu beseitigen; aber gerade um dies letztere dauernd
zu erzielen, halte ich eine sorgfältige und ziemlich lange fortgesetzte Nach-
behandlung vermittelst der schon oben erwähnten Dilatationsröhrchen, deren
Volumen gradatim zu steigern ist, für ungemein wichtig.
2. Durch abnorme W^achtsthumsvorgänge sind auch jene Knochen-
oder Knorpelauflagerungen (Exostosen und Ecchondrosen) bedingt,
welche in Gestalt von Leisten (cristae) oder von Dornen (spinae) an ver-
schiedenen Theilen der Nasenscheidewand beobachtet werden. Am häufigsten
kommen solche leistenförmige Vorsprünge am unteren Drittel des knöchernen
Septum vor, gerade an der Stelle, wo die lamina perpendicularis und der
vomer mit dem processus nasalis des Gaumenbeines verschmelzen ; man sieht
sie ferner im vorderen und hinteren Abschnitte des Pflugscharbeines; beson-
ders an letzterem springen dieselben zuweilen sehr stark vor und werden
deshalb von Zuckerkandl „Hakenfortsätze" benannt. — Die Leisten und
Dorne sind meist knöcherner Natur, zuweilen deckt noch ein Knorpelstrei-
fen ihren vorderen Rand oder auch den First des Knochen vorsprunges; der-
artige Knorpeldecken können später ebenfalls ossificiren; nicht selten sieht
man auch solche Knochen- oder Knorpelauflagerungen neben Verbiegungen
des Septum. In einzelnen Fällen bestehen solche Leisten und Dorne an
beiden Flächen der Scheidewand.
Nach Zuckerkandl entstehen diese Bildungen nach dem siebenten
Lebensjahre, also zur Zeit der zweiten Dentition, bei w^elcher auch der Ober-
kiefer stärker wird; sie kommen übrigens auch schon bei jüngeren Kindern
vor. Im späteren Alter, am ausgewachsenen Schädel, entwickeln sich diese
Bildungen nur noch nach traumatischen Verletzungen.
Nur w^enn derartige Leisten oder Dome sehr stark entwickelt sind und
die gegenüberliegenden Nasentheile berühren, können sie erheJDliche Verände-
rungen an diesen letzteren hervorrufen; so drücken sie zuweilen so fest auf
332 MISSBILDÜNGEN DER NASE.
das vordere oder hintere Ende der unteren oder der mittleren Muschel, dass
deren Schwellgewebe verdnängt wird und Furchen oder Gruben in demselben
entstehen; selbst vollständige Perforation dieser Schleimhaut hat Zuckerkandl
gesehen.
Es bestehen diese Verbildungen sehr oft ohne jegliche Beschwerde für
den Patienten; andere seltene Male jedoch sind reflectorische Neurosen der
mannigfachsten Art durch sie bedingt, die dann ihre operative Entfernung
erheischen.
Die Diagnose dieser Leisten und Dorne ist leicht; die Sonde lässt uns
ihren Ursprung, ihre Ausdehnung wie ihre Verhältnisse zu den Nachbartheilen
erkennen; stets ist es auch nothwendig, auf ihre nicht seltene Combination
mit einer Deviation Rücksicht zu nehmen.
Starke knöcherne Auflagerungen, von denen intensive krankhafte Störungen
ausgehen, werden am besten mit winkeligen Meissein, wie wir solche auch
zur Entfernung von Ohrexostosen verwenden, abgetragen; auch der ScHöTz'sche
Meissel eignet sich hiezu; sind jedoch diese knöchernen Dorne ausser-
gewöhnlich hart und von ganz compacter Knochensubstanz, so thut man
besser, dieselben mit der BoswoRTH'schen Nasensäge abzuschneiden. Bei
allen diesen Operationen ist es nicht nöthig, auf die Schleimhaut Rücksicht
zu nehmen; handelt es sich blos um knorpelige Vorsprünge, so genügt die
gekrümmte Nasenscheere, oder sie können auch mit einem messerförmigen
Galvanokauter abgebrannt werden.
In jenen Fällen, wo neben Leisten auch noch Deviationen des Septum
vorhanden sind, müssen die cristae zuerst entfernt werden. — Die Cocain-
anästhesie genügt bei diesen Operationen; die meist starke Blutung lässt
sich durch die Tamponade mit Salicylwatte stillen; ausserdem empfiehlt es
sich auch hier, mehrere Tage lang antiseptische Wattebäusche, die mit Bor-
Vaselin eingefettet sind, tief in die betreffende Nasenhöhle einzulegen und
sie 2 — 3 mal täglich zu wechseln.
3. Endlich finden wir auch Wachsthumsmissbildungen an den
einzelnen Nasenmuscheln, die in Form von starken Verkrümmungen
oder b lasenförmigen Auftreibungen das Naseninnere beträchtlich ver-
engern. So ist zuweilen der mediane Rand der unteren und besonders
der mittleren Muschel so stark verkrümmt, dass er nahe an das Sep-
tum herantritt, dasselbe sogar berührt; diese Verkrümmungen sind beson-
ders häufig und stark ausgesprochen an den vorderen Muschelenden und sind
dann ungemein störend für operative Eingriffe in den hinteren und oberen
Nasenabschnitten: Extraction von Neubildungen, Auskratzen cariöser Knochen-
theile, Sondiren und Ausräumen der Nebenhöhlen u. s. w.; in solchen Fällen
ist die Resection dieser Muschelpartien vermittelst der Knochenscheere noth-
wendig. — Andere Male sehen wir das vordere Ende der mittleren Muschel
blasenförmig aufgetrieben und so voluminös, dass es bis ans Septum
heranreicht und den ganzen mittleren Nasengang ausfüllt; in ähnlicher Weise
kann auch die mittlere Siebbeinzelle (hulla ethnoidalis) so mächtig entwickelt
sein, dass sie die mittlere Muschel ganz an die Nasenscheidewand drängt und
das Infundibulum ad minimum verengt. Der Respirationsweg wird hiedurch
verengert und die Riechfunction gestört; auch kann durch den Druck,
welchen diese voluminöse Knochenblase auf das Septum ausübt, dies letztere
allmählich nach der anderen Seite gedrängt und verbogen werden; reflecto-
rische Neurosen können ebenfalls durch derartige Muschelanomalien verur-
sacht sein.
Stieda macht mit Recht darauf aufmerksam, wie es auch schon von
ScHMiEGELOw hervorgchobeu wurde, dass alle Fälle von Knochenblasen beim
weiblichen Geschlechte vorkommen. Bei der mikroskopischen Untersuchung
fand er, wovon ich mich in einigen Fällen ebenfalls überzeugen konnte, dass
MISSBILDÜNGEN DES RACHENS. — MYKOSEN DES RACHENS. 338
der Bildung dieser Knochenblasen ein entzündlicher Process sowohl an der
Schleimhaut als auch an der Knochensubstanz zu Grunde liegt.
Die Härte und die Unverschiebbarkeit solcher geschwulstartigen Knochen-
blasen lassen eine Verwechslung mit Polypen oder anderen Neubildungen
nicht leicht zu; ausserdem kommen diese Anomalien fast immer nur in einer
Nasenhöhle zur Beobachtung und der Vergleich mit der anderen Nasenseite
erleichtert ebenfalls unsere Diagnose; höchstens mit dem so selten vor-
kommenden Osteom könnten sie verwechselt werden.
Besteht noch zwischen der Knochenblase und dem Septum ein schmaler
Zwischenraum, so gelingt es uns zuweilen, die galvanokaustische Schlinge um das
aufgetriebene Muschelende anzulegen und dasselbe langsam in toto abzu-
tragen; hiebei fand ich das Innere der Knochenblase von einer ähnlichen
Schleimhaut überzogen, wie z. B. das antrum Highmori.
In jenen Fällen aber, wo kein genügender Zwischenraum zwischen
Scheidewand und Muschel vorhanden ist, muss die vordere Wandung der
Knochenblase mit einem starken Nasenlöffel eingestossen und mit dem IIart-
MANN'schen Conchotom oder irgend einer anderen kräftigen Nasenzange die
blasige knöcherne Auftreibung stückweise abgetragen werden. Die Schmerzen
hiebei sind trotz 207oi8'er Cocainisirung recht beträchtlich und ebenso ist die
Blutung meist eine profuse und benöthigt eine längere und feste Tamponade.
KUHN.
MiSSbildungen des Rachens. Zu denselben zählt der bereits bei den
Missbildungen der Mundhöhle genannte Wolfsrachen {üranoschisma). Eine
Verlängerung ragte in vereinzelten Fällen bis in den Nasenrachenraum vor.
Vereinzelt sind Fälle von membranösem und knöchernem Verschluss der
Choanen beschrieben, congenitale Missbildungen, die jedoch auch eine Folge
von Lues darstellen können. Dasselbe gilt auch für die Defecte im weichen
Gaumen; die Uvula kann fehlen, gespalten oder abnorm lang sein, im letzt-
genannten Falle bedingt sie unangenehme Sensationen, namentlich Husten-
reiz. Die Tonsillen können fehlen und accessorische Tonsillen können an
verschiedenen Theilen des Rachens gefunden werden. Divertikel-Bildungen
congeuitalen Ursprungs finden sich an verschiedenen Stellen des Bachens; sie
stellen Ueberreste der Halskiemenfisteln dar. Man unterscheidet Hypoph aryn-
geal-Divertikel und Parapharyngeal-Divertikel; die an der
Hinterwand des Rachens liegenden Retropharyngeal-Divertikel stellen
oft Säcke von ganz besonderer Grösse dar und können begreiflicherweise den
Schlingact in der unangenehmsten Weise beeinflussen.
Die hier genannten Missbildungen werden, namentlich mit Rücksicht
auf deren operative Beseitigung, in der Disciplin „Chirurgie'-^ besprochen
werden. . R.
Mykosen des Rachens. Zu den parasitären Erkrankungen des Rachens
gehören die Pharyngomycosis benigna, der Soor, die Sarcine, die Actino-
mykose und Schimmelmykose.
1. Pharyngomycosis benigna s. Älgosis fancium leptothricia. Aetiologie.
Als prädisponirende Momente werden katarrhalische Entzündungen, Nasen-
stenosen, Hyperplasie der Mandeln u. a. angegeben; dagegen findet man
häufig bei den Patienten von alledem nichts. Einmal sahen wir die Mykose
bei einer Frau während der Gravidität entstehen und nach Beendigung der-
selben von selbst schwinden. Bevorzugt ist nach unseren Beobachtungen das
Alter von 15 bis 25 Jahren und das weibliche Geschlecht,
Symptome. Die Patienten klagen wohl zuweilen über Kratzen im Halse,
Trockenheit, Fremdkörpergefühl; andere Male wird die Mykose bei einer ge-
legentlichen Inspection des Rachens entdeckt.
334 MYKOSEN DES RACHENS.
Man sieht dann in den Lacunen der Tonsillen, (bei laryngoskopischer
Untersuchung) auf den Zungenbalgdrüsen, zuweilen auch auf den Granulis
der hinteren Kachenwand, ja selbst im adenoiden Gewebe des Nasenrachens
und, wenn auch selten, tiefer unten, im Larynx, besonders au der hinteren
Wand, weisse etwa stecknadelkopfgrosse oder grössere der Schleimhaut fest
aufsitzende cohärente, harte Pfropfe. Untersucht man sie unter dem Mikroskop,
so findet man neben Epithelzellen und verschiedenen anderen Bacterien die cha-
rakteristischen, unter Jodeinwirkung sich blau färbenden Leptothrixfäden. —
Siebenmann hält diese für reine Saprophyten, so dass er nach diesen neben-
sächlichen Befunde die Krankheit nicht benannt wissen will. Vielmehr er-
scheint ihm das wesentliche ein ungewöhnlich intensiver Verbrennungspro-
cess des lacunären Epithels, eine wirkliche Stachelbildung. Er nennt daher
folgerichtig diese Affection: Hyperkeratosis lacunaris.
Die Diagnose könnte eigentlich nur schwanken zwischen Pharyngo-
mycosis, Diphtherie, Angina lacunaris und chronischer Tonsillitis. Gegen die
Diphtherie spricht der fieberlose Verlauf, das Fehlen von Halsschmerzen, von
irgend welchen acut entzündlichen Erscheinungen im Rachen, der getrennte
Sitz der Pfropfe in den einzelnen Lacunen, das fast stetige Mitergriffensein
des Zungengrundes und das Fehlen einer sichtbaren Weiterentwicklung. —
Die derbe Consistenz der weissen mykotischen Depots, sowie ihr festes Haften
an der Unterlage unterscheidet sie von den dickflüssigen, gelblichen Secret-
tröpfchen, die bei der Angina aus den Lacunen fliessen, abgesehen davon, dass
bei letzterer Erkrankung ja immer F'ieber und Schluckschmerz vorhanden
ist. Die Pfropfe bei der chronischen Tonsillitis schliesslich sind krümlig,
bröcklig und erweisen sich unter dem Mikroskop als zusammengesetzt aus
verfetteten Zellen und Cholestearin.
So harmlos gewöhnlich die Krankheit ist, so langwierig ist doch zumeist
ihr Verlauf.
Die Behandlung kann, wenn keine Beschwerden vorhanden sind, unter-
bleiben; sonst entfernt man am besten die einzelnen Pfropfe energisch und
ätzt die Stelle ihres bisherigen Sitzes mit acid. trichloracetic, Chromsäure
oder Galvanokaustik. Manchmal lassen alle Methoden im Stich; andere Male
nützen wieder weniger eingreifende Mittel, so z. B. die von B. Fränkel em-
pfohlene Pinselung des Piachens mit Alcohol absolutus.
2. Soor. A e t i 0 1 0 g i e. Der denselben erzeugende Pilz ist das oidium lactis,
der am besten auf Pflasterepithel gedeiht und deswegen den Nasenrachen, die
Nase und ebenso den Larynx meist verschont. Er bildet weisse rundliche, etwas
erhabene Flecke, die an der Schleimhaut fest haften, weil die fadenförmigen
Mycelien in das Epithel eindringen.
Er findet sich häufiger, und zwar besonders bei Kindern, im Munde als im
Rachen, wenigstens ist er hier selten primär, meist vom Munde fortgepflanzt.
Man beobachtet ihn bei mangelhaft gepflegten Kindern, bei Erwachsenen ge-
wöhnlich nur bei schwereren Erkrankungen, Pneumonie, Typhus, Diabetes,
Phthise, Carcinose. Verfasser sah ihn einmal im Verlaufe einer schweren In-
fluenza, Freudenberg, Seifert und Thorner fanden ihn selbst bei Gesunden.
Symptome. Ist der Soor auf den Rachen beschränkt, so klagen die
Patienten über etwas erschwertes Schlucken, das Gaumensegel macht ihnen
einen steifen, wenig beweglichen Eindruck. Ist die Mundhöhle betheiligt, wie
immer bei kleinen Kindern, so ist ihnen das Saugen und Schlucken schmerz-
haft. Bei Erkrankung des Larynx kann es zu laryngostenotischen Erscheinungen
kommen.
Bei der Untersuchung findet man im Anfang einzeln stehende kleine
weisse Flecke, die allmählich zu grösseren Membranen confluiren, hie und
da sieht man Inseln gerötheter, trockener Schleimhaut dazwischen.
MYKOSEN DES R/ICHENS. — MYOM DES LARYNX. - MYRINGITIS. 335
Die Diagnose kann kaum zweifelhaft sein. Wenn man wirklich an
Diphtherie denken sollte, so wird die etwaige Localisirung im Munde, die
Möglichkeit, die Membran ohne Blutung zu entfernen, der protrahirte Ver-
lauf, das Fehlen schwerer entzündlicher Erscheinungen den Zweifel zerstreuen.
Im übrigen kann ja das Mikroskop sofort die Diagnose verificiren, indem es
uns die schlanken, gegliederten Mycelfäden, die Kerne in ihren langen cylin-
drischen Zellen, Sporangien und Sporen zeigt.
Die Prognose ist von dem Grundleiden abhängig.
Die Behandlung richtet sich vor allem auf eine sorgfältige Mund-
pflege, Auswischen des Mundes, besonders nach den Mahlzeiten, mit Lösungen
von Borax oder Kali hypermanganicum, Gurgeln mit denselben oder anderen
desinficirenden Flüssigkeiten, nöthigenfalls Pinseln mit 6'%\gev Carbolsäure-
lösung.
3. Sarcine findet sich nicht selten im Secret des Kachens. Dagegen
beobachtet man sie nui" ausnahmsweise in grösseren Haufen, sie bilden dann
reifähnliche Flecke auf der Schleimhaut, und zwar meist bei marastischen
Kranken. Vom Bachen oder vom Munde aus oder durch Einathmung des-
selben oder seiner Sporen kann der Sarcinepilz in die Lungen einwandern.
Die Sarcine verläuft Symptom los.
Gegen eine Verwechslung mit Soor schützt die mikroskopische Unter-
suchung, die die warenballenähnlichen Figuren nachweist.
4. Adinomykose. Aetiologie. Sie kommt im Rachen selten vor, gewiss
nur ausnahmsweise primär; sie setzt sich vielmehr gewöhnlich vom Munde her
fest, wo sie meist von einem cariösen Zahn ihren Ausgang nimmt. Zuweilen
allerdings nistet sich der Actinomycespilz in der Tonsille ein, oder aber er wird
zufällig an andere Partien des Rachens getragen.
So sah Bertha die Infection durch eine im Pharynx stecken gebliebene
Kornähre eintreten, und Schlange fand einmal einen retropharyngealen
Actinomycesherd.
Symptome. Es entwickeln sich langsam massige Schluckbeschwerden.
Bei der Untersuchung findet man die Erscheinungen einer subacuten Schleim-
hautentzündung und später einen Abscess, nach dessen Eröffnung man in dem
dünnflüssigen gelben Eiter schwefelgelbe Körnchen sieht, deren Untersuchung
den charakteristischen Strahlenpilz nachweist.
Die Diagnose wird durch diesen Nachweis gesichert.
Die Prognose hängt ab von der Localisation und der Ausdehnung des
Herdes; zuweilen hat man Spontanheilung gesehen.
Die Behandlung besteht in der gründlichen Ausräumung des Herdes.
5. Schimmelmykose. Siebenmann fand bei einer alten Frau am Rachen-
dach Borken von Aspergillus fumigatus und nidulans, sowie Mucor corym-
bifer. Siebenmann meint, dass sie selten im Rachen zu finden sei, weil
Aspergillen auf schleimüberzogenen Schleimhäuten nicht wachsen, und auch
faulende Secrete und Geschwürsflächen ein ungenügendes Substrat für
Schimmelpilze abgeben. Uebrigens hat schon vor Siebenmann Schubert
Schimmelmykose im Rachen beobachtet. a. rosenberg.
Myom des Larynx wurde nur in einem einzigen Falle von Schrötter
beobachtet. Dasselbe sass als erbsengrosse, graue Geschwulst von etwas un-
ebener Oberfläche zwischen dem Kehldeckel und dem vorderen Ansatz der
Stimmbänder und bestand aus quergestreiften Muskelfasern mit starker Kern-
wucherung. GH.
Myringitis. Die anatomischen Verhältnisse des Trommelfells machen
es erklärlich, dass Entzündung des Trommelfells, Myringitis, sowohl an
dessen äusserer, als an dessen innerer Fläche von einander unabhängig auf-
336 MYRINGITIS.
treten kann, und dass in nicht gar seltenen Fällen beide Schichten, demnach
das Trommelfell in toto, durch den entzündlichen Process ergriffen werden.
Ich finde es demnach für correct, wenn wir die Entzündung des Trommel-
fells zum Zwecke der genauen Begrenzung in folgende Unterabtheilungen
bringen: 1. Myringitis externa; 2. Myringitis interna; 3. Myringitis totalis.
Ebenso ist es zweckmässig, je nach dem Verlauf und die Dauer der Ent-
zündung des Trommelfells dieselbe in eine acute und chronische Form zu
rangiren.
Die Ursachen, in deren Gefolge Myringitis auftritt, sind je nachdem
Sitze der Entzündung verschieden. Durch Pilzsporen, welche in der Epi-
thelialschichte des Trommelfells sich einnisten, entsteht eine eigenthümliche
Entzündungsform in der Dermoidschichte des Trommelfelles {Myringomycosis);
durch Eindringen von kaltem Wasser in den äusseren Gehörgang, sowie durch
kalten Wind, insbesonders beim Schneewehen, wenn dasselbe das Ohr trifft,
können wir sehr häufig Entzündung in der äusseren Trommelfellschichte
beobachten. Bei Erkrankungen der Trommelhöhle, ob nun dieselben durch
Infection bei contagiösen Krankheiten oder durch sonstige Einwirkungen ent-
stehen, ist es in der Regel die innere Trommelfellfläche, welche an der Ent-
zündung theilnimmt. Bei Verletzungen des Trommelfells, wo die Gewebe
desselben alle in Mitleidenschaft gezogen werden, verbreitet sich der ent-
zündliche Process auf alle Theile des Trommelfells, ebenso participiren an
der Entzündung alle drei Schichten des Trommelfells, wenn infolge derselben,
ob sie nun vom äussern Gehörgange oder der Trommelhöhle auf das Trommel-
fell übergreift, dieses perforirt wird.
Der objective Befund ist je nach dem Sitze der Myringitis und je nach
der Dauer derselben verschieden.
Das Trommelfellbild bei Myringitis externa zeigt eine lebhaft roth
injicirte Membran, die Röthe kann auf das ganze Trommelfell sich aus-
dehnen, in welchem Falle dasselbe glanzlos, undurchsichtig ist, und man den
Lichtkegel vermisst. Im Beginne der Erkrankung sehen wir die Gefässe im
Verlaufe des Hammergriffes blutstrotzend und nur einzelne Partien am
Trommelfell geröthet, gewöhnlich die hintere Hälfte desselben, während im
vorderen untern Quadranten der Lichtkegel noch sichtbar ist; im weiteren
Verlaufe sehen wir die äussere Fläche durchfeuchtet, mit einer dünnen Eiter-
schichte belegt, nach deren Entfernung eine wulstige rothe Fläche sichtbar
wird, die sich in kurzer Zeit wieder mit Exsudat bedeckt.
Bei der Myringomycosis, wo die Sporen des Aspergillus glaucus oder
nigrans in dem Epithel Wurzel fassen, sehen wir die ganze Fläche des Trommel-
fells von einer durchfeuchteten, schmutzig grauen, häutigen Masse bedeckt,
nach deren Entfernung eine von Epidermis entblösste rothe Membran sichtbar
wird, welche nach Verlauf einiger Stunden, wie von Mehlstaub bestreut, weisse
Pünktchen, die Sporen des Pilzes, aufweist.
Bei Myringitis interna sehen wir im Beginne das Trommelfell geröthet,
nur ist die Röthe mehr bläulich durch die Dermoidschichte gedämpft, und
grösstentheils nur auf einzelne Partien desselben beschränkt, das Trommel-
fell ist glanzlos, mehr nach innen gewölbt. Bei Myringitis interna im Ge-
folge der Influenza sehen wir zwischen den Lamellen des Trommelfells
stecknadelkopfgrosse bis linsengrosse Blutergüsse, Ecchymosen. In manchen
Fällen von Myringitis interna sehen wir am Trommelfell runde oder läng-
lichrunde Ausbuchtungen, die lebhaft geröthet gegen den Gehörgang zu sich
vorwölben; im weitern Verlaufe der Entzündung füllen sich diese Ausbuch-
tungen mit Eiter, und wir sehen gelblich gefärbte Abscesse manchmal in der
oberen Hälfte des Trommelfells, häufiger im vordem als im hintern Qua-
dranten. — Kommt es zur Perforation des Trommelfells, so ist das Bild
desselben je nach dem Sitze und der Grösse derselben verschiedenartig, der
MYRINGITIS. 337
Substanzverlust kann stecknadelkopfgross sein oderdie Ausdehnung einer
Linse einnehmen, die Form desselben ist gewöhnlich rund, kommt jedoch
mit unregelmässigen Iländern auch vor, der unversehrt gebliebene Theil des
Trommelfells ist mattgrau mit Exsudat belegt.
Die subjectiven Erscheinungen sind im Beginne von grosser
Heftigkeit, es treten Schmerzen auf, die anhaltend sind und sich auf die
Gesichtshälfte und bis zum Scheitel hinauf erstrecken. Das Gehörvermögen
verringert sich hochgradig, es tritt Sausen, das Gefühl des Hämmerns, des
Pulsirens im Ohre auf; alle diese Erscheinungen weichen mit dem Eintritte
der Exsudation, nur die Schwerhörigkeit bleibt bis nach Ablauf des Processes.
Myringitis tritt auf, sobald die schädliche Einwirkung erfolgt, plötzlich,
ohne prodromale Erscheinung in ihrer ganzen Heftigkeit und hält gewöhnlich
einige Tage an; sie kann sich nur auf die Ursprungsstelle beschränken oder
kann von hier aus auf die übrigen Trommelfellpartien übergreifen, auch
kommt es vor, dass die Myringitis der Ausgangspunkt von sehr ernsten Com-
plicationen wird, indem die Entzündung vom Trommelfell aus die Nachbar-
gebilde ergreift.
Die Prognose ist insoweit günstig, als durch geeignete therapeutische
Eingriffe die Restitutio ad integrum baldigst erfolgt, vorausgesetzt, dass die-
selben beim Beginne der Erkrankung erfolgen; ist dies nicht der Fall, so
richtet sich die Prognose nach der Localität, auf welche sich die ursprüng-
liche Entzündung ausgedehnt hat, ebenso nach dem Grade der Erkrankung;
immerhin bleibt infolge einer längere Zeit anhaltenden Myringitis das Gehör-
vermögen beeinträchtigt.
Die Behandlung der Myringitis richtet sich nach dem Stadium und
dem Sitze der Erkrankung. Im Beginne der Myringitis, wo die Blutgefässe
des Trommelfelles mit Blut überfüllt sind, ist die Anwendung eiskalter Um-
schläge auf das Ohr und die Applicirung von 2—^4 Stück Blutegel angezeigt
und von sehr gutem Erfolge, nur sollen dieselben an gehörige Stelle kommen,
so bei Myringitis externa in die Tragusgegend, während bei Ergriffensein der
inneren Fläche des Trommelfells die Blutegel hinter der Ohrmuschel am
Processus mastoideus zu setzen sind. Gegen die heftigen Schmerzen kann man
nebstbei eine 5 — 107oigö Cocainlösung lauwarm stündlich instilliren; ich habe
gefunden, dass das Cocain, in den äusseren Gehörgang eingeträufelt, selbst als
Antiphlogistikon wirkt.
Bei der Myringomycosis müssen vor allem die Pilzmassen entfernt
werden; so lange dies nicht erfolgt ist, hat der Kranke unsägliche Schmerzen;
die Entfernung desselben kann durch einfaches Ausspritzen oder durch an-
dere Extractionsversuche nicht effectuirt werden, man muss die Aufquellung
der Epidermisschichte bewerkstelligen, und das geschieht durch stündliche
Instillation einer 1^/oigen Natri bicarbon, - Lösung in den äussern Gehörgang; ist
auf diese Weise nach Verlauf von 5 — 6 Stunden das Epithel gelockert, so
gelingt die Entfernung der Pilzmassen mittelst Einspritzen lauen Wassers;
nach dieser Procedur müssen war trachten, die Pilzsporen zu zerstören, was
am sichersten erfolgt durch Einträufeln von Alcohol in den äusseren Gehör-
gang; die Anwendung verursacht wohl heftige Schmerzen, aber in 2— 3 Tagen
bei täglich einmaligem Gebrauche ist die Erkrankung behoben.
In vielen Fällen gelingt es, die heftigen Schmerzen und die weitere Ent-
wicklung der Myringitis zu coupiren, wenn wir in das lebhafte injicirte
Trommelfell mit dem kleinen sichelförmigen Messerchen seichte Scarificationen
ausführen. Bieten sich Hervorwölbungen im Trommelfell dar, ob nun die-
selben mit blutigseröser Flüssigkeit oder mit Eiter gefüllt sind, so darf man
mit der Eröffnung derselben nicht zögern, es geschieht, dies entweder mit
einer lancettförmigen Nadel oder mit einem sichelförmigen Messerchen, welche
in einem Griff eingeschrauft werden, welcher mit dem Instrumente einen
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten. ^^
338 MYXOME DES LARYNX. — NASE.
rechten Winkel bildet, derart, dass man bei genügender Beleuchtung den
Einschnitt ausführe; nach der Eröffnung des Abscesses wird der Gehörgang
hermetisch verschlossen, nachdem das Exsudat mit einem Wattatampon ent-
fernt wurde; in den meisten Fällen tritt nach Verlauf von 24 Stunden Hei-
lung ein.
Zeigt sich Exsudation auf der Trommelfläche, so ist dieselbe baldigst zu
sistiren; von gutem Erfolge ist die Anwendung der Borsäure, eine S^oige
Lösung wird lauwarm eingespritzt zur Entfernung des Secretes, hierauf wird
die Trommelfellfläche mittelst Brunswattetampons abgetrocknet, worauf fein
jjulverisirte Borsäure eingeblasen wird. JUL. böke.
Myxome des Larynx, Sind ausserordentlich selten, ja Eppinger glaubt,
dass es sich nur um ödematöse Fibrome handelte, wie dies schon in dem
Artikel Fibrome erwähnt wurde. Es sind durchscheinende, weiche, graue oder
grauröthliche Geschwülste, die den Bau der WtiARTON'schen Sülze hatten.
Niemals wurde aber nachgewiesen, dass die Flüssigkeit, welche ihre Maschen
ausfüllte, Schleim war, so dass man bis zur Erbringung dieses Nachweises
das Kecht haben wird, sie als ödematöse Fibrome zu betrachten. Näheres
über Statistik, Diagnose und Therapie siehe bei ^Fihrome'-^. ch.
Na.se. (Anatomie.) Der Nasenrachenraum ist der Eingangstheil
der Respirationsorgane; in der Bachenhöhle kreuzt dieser Raum die Ein-
gangstheile der Speiseröhre. Eine Klappe schliesst und unterbricht ent-
weder die eine Wege und öffnet die andere, oder umgekehrt; diese Klappe
ist der weiche Gaumen. In der Nasenhöhle ist der Geruchsapparat gelegen,
ausserdem sind hier Nebenhöhlen und in verschiedene Grade eingerollte
Lamellen, längs der W^ände gelagert, die alle eine grosse Fläche in einem
möglichst kleinen Umfange darstellen, wo Nerven ihren Anfang nehmen und
Gefässnetze die Temperatur der eingeathmeten Luft reguliren. Zuerst sind die
Grundlage der Nasenhöhle und die sie auskleidenden Theile zu untersuchen.
Die Nasenhöhle ist ein birnförmiger Raum, der nach vorn und unten
sich verengt und mit zwei Oeffnungen nach unten sieht und nach oben und
hinten sich verbreitet und mit zwei nach hinten gerichteten Oeffnungen in
die Rachenhöhle mündet. Man unterscheidet gewöhnlich die äussere Nase
und die innere Nase oder Nasenhöhle. Die äussere Nase ist ein conischer
mit der Basis nach unten gerichteter Vorsprung in der Mitte des Gesichts
zwischen Stim und Oberlippe; zu beiden Seiten des Vorsprungs sind die
Augen und Wangen gelagert. Das obere am Stirn gelagerte Ende des Vor-
sprungs ist schmal und vertieft; das ist die Nasenwurzel {radix nasi). Von
hier geht in seiner Mitte ein nach unten und vorn gerichteter Rand, der
Nasenrücken, der mit einer mehr oder weniger abgerundeten Spitze — die
Nasenspitze — endet. Unter der Spitze befinden sich zwei nach abwärts
gerichtete Oeffnungen, das rechte und linke Nasenloch (aperturae nasi exter-
nae), die 12 — 14 mw lang und 6 mm breit sind. Sie sind von einer häutigen
Scheidewand {septum memhranaceum nasi) getrennt, die 3 mm dick ist, und
von aussen durch bewegliche Wände — die Nasenflügeln {alae nasi) —
begrenzt.
Die Form der Nase ist sehr grossen Modificationen unterworfen; ge-
wöhnlich unterscheidet man zwei Hauptformen: die vorspringende und
die eingedrückte Nase. Bei der ersteren Form tritt der Nasenrücken
mehr oder weniger gewölbt hervor, die Nase ist bei dieser Form verhältnis-
mässig länger und höher als breit. Wenn kein Eindruck an der W^urzel
existirt und die Nase in einer Richtung vom Stirnbein absteigt, so ist es ein
griechischer Typus; mit einem Eindruck an der Wurzel und stark vor-
springendem Rücken mit nicht gekrümmter Spitze ist der römische Typus
NASE. 339
ausgeprägt; bei gekrümmter Spitze bildet sich die sogenannte Adlernase.
Die eingedrückte Nase zeichnet sich dadurch aus, dass der Nasenrücken von
der Wurzel bis zur Spitze mehr oder weniger platt und hohl ist, während
die Spitze verhältnismässig breiter ist. Ist die Spitze stumpf und stark auf-
geworfen, so ist das der Typus der Stumpfnase, wogegen der Typus der
Plätschnase sich dadurch kennzeichnet, dass die ganze Nase sehr niedrig
und platt ist und die Nasenflügel sehr breit sind und ohne scharfe Grenze
in die Wangen übergehen, die Nasenlöcher sind gewöhnlich mehr vorwärts
gerichtet.
Die Form der Nase kann noch sehr variiren, sie kann fein begrenzt,
schmal sein, mit eckiger, markirter Spitze; die Nasenlöcher können schmal, eng
oder rund sein, endlich kann die Scheidewand unter den Nasenlöchern sich
hervorwölben. Besonders zu bemerken ist, dass die Nase des Neugeborenen
noch wenig entwickelt ist; hier sind nicht gegebene, angeborene Formen,
sondern die Form bildet sich unter dem Einflüsse der Muskeln und ihrer
Thätigkeit, wie überhaupt alle Theile des Gesichtes sich formiren, je nach
der Form des Schädels und dem mit der Entwickelung der Muskulatur ver-
bundene Gesichtsausdruck. Hoher Schädel ist gewöhnlich verbunden mit
hohem Kiefer und vorspringender schmaler Nase; niedriger Schädel mit
platter Nase. Die vorspringende Nase gehört der kaukasischen Kace an, die
eingedrückte der mongolischen Race und den Negern.
Die Grundtheile der äusseren Nase bilden die beiden Nasenknochen, die
Nasenfortsätze der Oberkiefer, die seitlichen Nasenknorpel und der mediane
Scheidewandknorpel mit seinen Seitenplatten. Die Oeftnungen der äusseren
Nase sind von Muskeln umgeben, die als unvollkommene Sphincteren und
Levatoren fungiren. Alle diese Theile sind aussen von Haut bedeckt und
von innen mit Schleimhaut überzogen.
Der mediane Nasenknorpel {cartilago septi s. quadr angularis) ist
von unregelmässig rhombischer Form; sein oberer hinterer Eand liegt dem
unteren Rande der laminae perpendicularis des Siebbeins an; sein unterer
hinterer Rand verbindet sich mit dem Pflugscharbeine und der crista nasalis;
der vordere obere Rand geht vom unteren Theile der Verbindung der Nasen-
knochen nach unten bis zur Spitze der Nase; der untere vordere Rand geht
in die häutigen Theile über und reicht nach hinten bis zur Spina nasalis
anterior. Der vordere obere Rand des Knorpels verbreitet sich unter der
Mitte des Knochenrandes, hier bildet sich längs dem Rande eine Rinne, die
von seitlichen vorstehenden Leisten begrenzt wird. Diese Leisten gehen in
dreieckige Seitenplatten über; der obere Rand dieser Platte schiebt sich
unter dem Rande der Nasenbeine und weiter nach aussen bis zum Processus
frontalis des Oberkieferknochens; der untere Rand ist frei, er wird vom Rande
des Nasenknorpels des Nasenflügels bedeckt; der innere Rand geht vom er-
weiterten Theile des medianen Nasenknorpels aus und ist hier die Seiten-
platte im unteren Drittel oder sogar im unteren Zweifünftel durch einen
Schlitz vom Nasenknorpel getrennt.
Der Knorpel des Nasenflügels oder der seitliche Nasen-
knorpel {cartilagines inferiores s. alares) ist beiderseits unter den Seiten-
platten des medianen Knorpels gelagert und bildet die Grundlage des Nasen-
flügels. Er umgibt bandartig den vorderen Rand der äusseren Nasenöfinung
und besteht aus einem inneren, kurzen und einem äusseren, längeren Schenkel,
die vorn an der Spitze der Nase bogenförmig ineinander übergehen. Der
äussere Schenkel ist breiter und entweder bogenförmig gekrümmt und reicht
bis zum äusseren Rande des Nasenflügels, oder er ist geschlängelt, nach aussen
faltenförmig, schmäler nach aussen oder defect in der Mitte gebildet. Ueber-
haupt ist dieser Knorpel sehr variabel geformt; ebenso verschieden ist seine
Breite und Dicke. Auch kann dieser Knorpel durch Einschnitte in einzelne
22*
340 NASE.
Stücke getheilt sein. Der obere Rand dieses Knorpels ist gewöhnlich nach
aussen vom unterem Rande der Seitenplatte gelagert.
Ausser dieser Knorpel kommen in der Grundlage der äusseren Nase
noch Schaltknorpel vor, sie sind gewöhnlich, von 2 bis 5 an der Zahl,,
zwischen dem Rande des vorderen Theiles des Nasenflügelknorpels und dem
medianen Knorpel gelagert. Ihre Form und Grösse ist sehr verschieden.
Alle diese Knorpel sind hyaliner Structur. Das Perichondrium des Knorpels
geht von ihren beiden Flächen in die diese Knorpel verbindende Membran
über, die ihrerseits in das Periost der benachbarten Knochen übergehen.
Die äusseren Nasenöffnungen werden von zwei Gruppen von Muskeln
umgeben. Die einen heben den freien Rand der Nasenflügel und richten ihn
nach aussen, wobei der zum Knochen gerichtete Rand des Knorpels nach
innen geht und den Zugang zum Geruchstheil der Nasenhöhle verengt. . Die
Antagonisten dieser Muskelgruppe ziehen den hinteren Rand der äusseren
Nasenöfinungen nach unten und erweitern dadurch den Eingang zum Geruchs-
organ, wobei die eingezogene Luft zu dem Theil der Nasenhöhle gerichtet
wird, wo das Geruchsorgan gelagert ist; zugleich wird der freie Rand des
Nasenflügels etwas nach innen gezogen und die Flügel selbst gespannt. —
Die erste Gruppe besteht aus folgenden zwei Muskeln: M. levator labii supe-
rior alaeque nasi und M. levator alae nasi proprius. Zur zweiten Gruppe
gehören: Mm. depressor alae nasi, transversus nasi, depressor septi mobilis
nasi. Die ersteren Muskeln gehen von den aufsteigenden Aesten des Ober-
kiefers und von den Nasenknochen zum Nasenflügel, bis zum freien Rande
dieses Flügels. Die letzeren Muskeln beginnen am Oberkiefer entsprechend
den Wurzeln des Eckzahns und zweiten Schneidezahns (M. depressor nasi),
des Eckzahns und ersten Backenzahns {M. transversus nasi) und des ersten
Schneidezahns {M. depressor septi mobilis), sie richten ihre Fasern nach
oben und endigen: der erste Muskel am hinteren Umfange des Nasenloch-
randes, der zweite geht zum Nasenrücken, unterhalb der knöchernen Nase,
er ist ein dünner, breiter, dreiseitiger Muskel, der in der Länge des oberen
Nasenknorpels mit dem Muskel der anderen Seite zusammenkommt; end-
lich der dritte Muskel am hinteren Ende des Knorpels der Nasenscheide-
wand und dem hinteren Umfange der Nasenöffnung. Alle diese letzten
Muskeln eröffnen den Zugang zu dem Geruchsorgane der Nasenhöhle.
Die Haut der äusseren Nase ist dick und an den Nasenflügel fest mit
dem unterliegenden Gewebe verbunden; am oberen Theile der Nase ist die
Haut beweglich. An dem Nasenflügel und der Nasenspitze ist die Haut noch
reich an Talgdrüsen. An den Nasenöffnungen sind kurze steife Haare
(Vibrissae) vorhanden, die sich durch eine verschiedene Länge auszeichnen, je
nach Alter und Geschlecht.
Die Nasenhöhle {cavum nasi) mit ihren Fortsetzungen oder Neben-
höhlen enthält den Eingang zu dem Athmungsorgane mit dem Geruchsapparate.
Auch hier ist zuerst die Stütze der Nasenhöhle mit ihren Nebenhöhlen und
dann die die Höhle auskleidende Schleimhaut mit ihren Gefässen und Nerven
zu beschreiben.
Die KnochenAvände der Nasenhöhle werden hauptsächlich von den Nasen-
theilen des Oberkiefers und des Siebbeins von jeder Seite gebildet. Von vorn
nach hinten ist die Aussenw^and der Höhle von folgenden Knochentheilen
begrenzt: vom aufsteigenden Fortsatze und Körper des Oberkiefers, der Nasen-
fläche des Thränenbeins und Siebbeins, mit deren hier gelagerten Muskeln,
der inneren Fläche des perpendiculären Theiles des Gaumenbeines und der
inneren Fläche der medialen Platte des Gaumenflügels vom Wespenbeine.
Die obere Wand bilden: die untere Fläche der Nasenknochen, des Nasenfort-
satzes, des Stirnbeins, die Siebplatte des Siebbeins und der vordere Theil
der unteren Fläche des Körpers des Wespenbeins. Die untere Wand wird
NASE. 341
von der oberen Fläche des Gaumenfortsatzes des Oberkiefers und der hori-
zontalen Platte des Gaumenbeines gebildet. Von vorne wird die Höhle durch
die innere Wand der äusseren Nase begrenzt. In die Höhle führen die
paarigen, äusseren Oeffnungen der äusseren Nase; die Höhle verbindet sich
mittelst der vertical nach hinten gerichteten, hinteren Oeffnungen (choanae)
mit der hinter ihr gelagerten liachenhöhle. Die Nasenhöhle ist durch eine
Scheidewand, mehr oder weniger symmetrisch, getheilt. Diese Scheidewand
'besteht aus einem knöchernen, knorpeligen und membranösen Theile. Die
knöcherne Wand wird von der perpendiculären Platte des Siebbeins und dem
Pflugscharbein gebildet; diese Wand geht aus von der unteren und vorderen
Fläche des Körpers des Wespenbeins und von der horizontalen Platte des
Siebbeins, sie richtet sich nach unten und vorn und reicht bis zum Kamm
des Gaumenfortsatzes der Gaumenbeine und der Oberkiefer. Der hintere Ptand
dieser Scheidewand ist glatt und begrenzt nach innen die hinteren Oeffnungen
der Nasenhöhle. Nach vorne bildet der untere Rand des perpendiculären
Fortsatzes des Siebbeins einen nach hinten gerichteten, spitzen Winkel mit
dem vorderen Rande des Pflugscharbeines, diese Ränder gehen in den rhom-
bischen Scheidewandknorpel über. Dieser Knorpel sowie seine Seitenplatte
sind schon oben beschrieben, ebenso wie auch die membranöse Scheidewand,
die die äusseren Oeffnungen der Nasenhöhle von einander scheidet.
Die Form der Nasenhöhle ist in der Mitte an einem Frontalschnitte
conisch, mit abgerundeten Ecken, nach oben ist sie enger, nach unten ver-
breitert sie sich; dieses kann man am besten auf einem Frontalschnitte sehen,
der durch die Mitte der Höhle geführt ist. Die grösste Höhe der Nasen-
höhle in der Mitte seiner Länge ist, längs der Scheidewand gemessen, 3-8 bis
4'2 cm, zu den hinteren Oeffnungen vermindert sich diese Höhe von 2 bis 2*2 cm,
nach vorn ist der sagittale Durchmesser der äusseren Oeffnungen 1*5 cm.
Die Breite ist im unteren Theile, in der Mitte der Länge 2-8 bis Sem, folg-
lich auf jede Hälfte 1'4 bis P5 cm,, am Dache ist der Querdurchmesser
0*8 bis l'O mm oder 4 bis 5 tnm jederseits. Die Quere der äusseren Oeffnung
beträgt 5 bis 6 mm.
Die Nasenhöhle ist von einer Reihe Nebenhöhlen umgeben, die mittelst
geringer Oeffnungen mit der Höhle communiciren. Ausserdem sind an den
äusseren Wänden der Nasenhöhle gewundene Platten oder Nasenmuscheln
gelagert. Wie die Nebenhöhlen, so sind auch die Nasenmuscheln als grosse
Flächen anzusehen, die im verhältnismässig kleinen Räume sich reich an
Gefässen und Nerven erweisen. Mittelst der Gefässnetze wird die hier von
aussen eintretende Luft erwärmt, was auch durch Beimengung der in den
Nebenhöhlen enthaltenden Luft geschieht, so dass die in den Athmungs-
organen eintretende Luft wärmer als die eingeathmete Luft ist und daher
die Temperatur der Respirationswege nicht herabsetzt. Die centripetal leiten-
den Nerven machen es möglich, dass mittelst der hier gelagerten Geruchs-
organe die Qualität der eingeathmeten Luft bestimmt werden kann. Die
Nebenhöhlen communiciren durch kleine Oeffnungen mit der Haupthöhle,
dadurch ist der Luftwechsel erschwert, er wird stärker bei grösserer Ver-
schiedenheit der Temperatur. Hier sind folgende Nebenhöhlen zu unter-
scheiden: nach vorn und oben der simcs frontalis, oben seitlich das Labyrinth
des Siebbeins, unten seitlich der sinus maxillaris und nach oben und hinten
der sinus sjphenoidalis; noch ist hier nach oben, aussen und hinten die tuba
tympanica, das cavum tympani und der sinus ■mastoideus zu bezeichnen, die
zusammen auch einer Nebenhöhle der hinter der Nasenhöhle gelagerten
Rachenhöhle entsprechen. Ausserdem sind beiderseits an der äusseren (^late-
ralen) Wand der Nasenhöhle dünne, gekrümmte Knochenplatten vorhanden;
diese Platten oder Muscheln sind am besten von Seite der Rachenhöhle zu
übersehen und erweisen sich hier als o b e r e, m i 1 1 1 e r e und un t e r e Muscheln.
342 NASE.
Die obere und mittlere Muschel sind an der Innenfläche des Labyrinthes des
Siebbeins gelegen, während die grösste untere Muschel an der Nasenfläche
des Oberkiefers gelegen ist.
Die Wände der Nasenhöhle, sowie auch der Nebenhöhlen sind von
einer Bein- oder Knorpelhaut bedeckt, die von einer Schleimhaut überzogen
ist. In den Nebenhöhlen sind die Häute eng verschmolzen und sehr dünn
(O'o bis 0-5 nini), glatt, glänzend und blass. Die Schleimhaut hat hier mehr
Aehnlichkeit mit einer serösen Membran; ist auch ärmer an Gefässen und
Nerven als die Schleimhaut der Nasenhöhle. Am dünnsten ist die Schleim-
haut der Stirnhöhle, der Zellen des Labyrinthes und der Keilbeinhöhle; dicker
ist die der Kieferhöhle. Die freie Fläche dieser Haut ist beim Uebergange
in die Schleimhaut der Nasenhöhle mit Fliramerepithel bedeckt, welches
sich der dünnen Stelle nähernd verändert und hier sich als Pflasterepithel
erweist, sie ist feucht-schleimig.
Die Schleimhaut, w^elche die Wände der Nasenhöhle bedeckt, ist mit
der Bein- und Knorpelhaut dieser Wände genau verbunden. Sie bekleidet die
ganze Scheidewand, die in der Nasenhöhle vorhandenen Muscheln, sowie auch
die übrige Fläche der Wände dieser Höhle; gewöhnlich ist der obere Theil
dieser Schleimhaut als ScHNEiDEn'sche Haut {membrana Schneideriana s. olfac-
toria) bekannt. Sie ist dick (4 bis 5 mm), rauhig, blut- und nervenreich, ist
sehr gefärbt und besonders oben auf den Muscheln und an der Scheidewand
gelblich. Stellenweise, besonders an den hinteren und am Kandtheile der
Muscheln, ist die Schleimhaut mit Wärzchen und Falten bedeckt.
Zwischen den Muscheln sind die Nasengänge gelagert und namentlich
zwischen der oberen und mittleren Muschel ist der obere Nasengang, zwischen
der mittleren und unteren Muschel der mittlere Nasengang, und zwischen
der unteren Muschel und der unteren Wand der Höhle ist der unter e Nasengang
gelegen. Alle diese Gänge sind am Lebenden mittelst des Nasen-Rachenspiegels
von Seiten der Rachenhöhle zu sehen.
Mit diesen Nasengängen communiciren mittelst sehr kleiner Oeffnungen
die Nebenhöhlen: 1. in dem oberen Nasengang — im hinteren Theile — öffnen
sich die hinteren Siebbeinzellen, etwas höher — dem hinteren Theile der
oberen Muschel entsprechend — ist die nach vorn gerichtete Oeffnung der
Keilbeinhöhle gelagert; 2. im vorderen Theile des mittleren Nasenganges ist
eine längliche gebogene Furche vorhanden, die Convexität dieser Furche ist
nach vorn gerichtet, sie ist von einem wulstigen Rande begrenzt und variirt
sehr in ihrer Form und Grösse. Im vorderen Theile dieser Furche öffnet
sich die Stirnhöhle, im mittleren Theile die vorderen Siebbeinzellen; im
hinteren ist oft eine Oeffnung, die in die Kieferhöhle führt, vorhanden (Sappey).
Ungefähr in der Mitte des mittleren Nasenganges, hinter der eben erwähnten
Furche in einer Entfernung um 35 mm von dem hinteren Rande der äusseren
Nasenöffnung ist die grössere und mehr beständige Oeffnung der Kieferhöhle
gelagert. Alle diese Oeffnungen sind sehr klein und von einem Schleimhaut-
rande begrenzt. 3. Im unteren Nasengange erweist sich die Oeffnung des
Thränennasenganges; die Oeffnung variirt sehr in ihrer Form; sie ist spaltförmig,
2 bis 4^;??;? lang und 0-ömm breit; oval, punktförmig, furchen- oder trichterförmig.
Gewöhnlich ist sie unter dem vorderen Ende der unteren Muschel gelagert,
12 bis 14 mm, hinter dem vorderen Rande des Nasenfortsatzes des Oberkiefers;
1-8 bis 2-4 cm von dem hinteren Rande der äusseren Nasen Öffnung und 8 bis
10 mm vom Boden der Nasenhöhle entfernt. Die im vorderen inneren Theile
am Schädel gelagerte paarige Oeffnung des Nasengaumencanals ist ebenso
wie die dem hinteren Theile des oberen Nasenganges entsprechende Commu-
nicationsöffnung {foramen splmio-palatinum) zwischen der Nasenhöhle und der
fossa spheno-maxillaris mit Gefässen und Nerven und den sie umgebenden
Geweben ausgefüllt.
NASE. 343
Die Schleimhaut derNasenhöhle mit ihren Nebenhöhlen ist desto
dicker und gefässreicher, je mehr diese Haut unmittelbar mit der einathmenden
Luft in Berührung kommt, in der Nasenhöhle an den Uändern der Muscheln
ist sie daher am dicksten, in den Nebenhöhlen und namentlich den entferntesten
ist sie am dünnsten und gefässärmer. An der Schleimhaut ist zu unter-
scheiden: 1. ein Eingangstheil, 2. ein Athmungstheil und 3. ein lüechtheil.
Der Eingangstheil bedeckt die Innenfläche des Nasenfiügelknorpels von
den äusseren Oeffnungen der Nasenhöhle bis zu ihrem oberen Rande, den
sogenannten Vorhof dieser Höhle (Sappey). Der Athmungstheil bekleidet
den unteren Theil der Nasenhöhle bis zur Fläche des unteren Randes der
mittleren Muschel. Der Riechtheil der Schleimhaut oder die sogenannte
„ScHNEiDER'sche Membran" überzieht die äussere und innere Wand der nach
oben vom erwähnten Rande der mittleren Muschel gelegenen Antheile der
Nasenhöhle.
Die Schleimhaut besteht aus einer fibrösen Propria, die mehr oder
weniger fest mit dem Perioste vereinigt ist. Sie enthält spärlich elastische
Fasern, Gefässe, Nerven und Drüsen. — Die Oberfläche der Schleimhaut ist
am Eingangstheile mit Pflasterepithel bedeckt. Hier sind über den Rändern
der äusseren Oeffnung an der äusseren und inneren Wand des Vorhofs Pa-
pillen und mehr oder weniger lange steife Haare (vibrissae) gelagert, an
deren Wurzel eine bis zwei Talgdrüsen sich befinden. Die Haare der äusseren
und inneren Wand runzeln sich in ihrer Richtung und bilden so ein feines
Netz, durch welches die eingeathmete Luft dringt und die in ihr suspendirten
Staubth eilchen aufgehalten werden. Nur ist das nicht als Schutzvorrichtung
anzusehen, da beim Kinde dieses Netz hier nicht existirt und oft sehr schwach
entwickelt ist. Die Schleimhaut des Athmungstheiles ist mit Flimmer-
epithel bedeckt und enthält eine grosse Zahl von Schleimdrüsen; im all-
gemeinen kann man sagen: ihre Zahl ist der Dicke der Schleimhaut propor-
tional (Sappey). Die Zahl dieser Drüsen variirt hier von 30 bis 100 — 150
auf 1 cOT^-Fläche. Die Drüsen sind sehr verschiedener Grösse, tubulöser
und aeinöser Structur. Die Fortsetzungen der Schleimhaut der Nasenhöhle
bekleiden die Wände der Nebenhöhlen, wo je dünner die Schleimhaut, desto
weniger und kleiner die Drüsen sind. Ihre Grösse ist hier von 0-3 bis 0-5 bis
0-05 mm; mehr an Zahl und Grösse sind die Drüsen in der Schleimhaut der
Kieferhöhle, am geringsten sind sie in den vorderen und hinteren Nebenhöhlen
und den Zellen des Siebbeins (Sappey).
Die Schleimhaut des Riechtheils der Nasenhöhle ist im oberen Theile
gelblich gefärbt, sie nimmt die äussere Wand, hauptsächlich die Gegend der
oberen und mittleren Muscheln und den entsprechenden Theil der Scheide-
wand ein. Dieser Theil wird als locus luteus vom röthlichen Theile der
regio respiratoria unterschieden. Ihre Dicke beträgt bis 4 mm. Die Pro-
pria dieser Schleimhaut enthält elastische Fasern und im Bindegewebe ade-
noides Gewebe und sogar folliculäre Knötchen. In diesem Theile der Schleim-
haut ist das Geruchsorgan gelagert, und daher unterscheidet man auf ihrer
Fläche drei Formen von Zellen: Riechzellen, Stützzellen und Ersatz-
zellen. Die Drüsen dieser Epithelschicht ist beim Menschen 0*06 mm.
Das Flimmerepithel des Respirationstheiles der [Schleimhaut verliert
beim Uebergange in den Riechtheil die diese Elemente bedeckenden Cilien
und geht in Stütz- oder sechsseitige Cylinderzellen mit ovalem Kern über.
Diese Kerne sind annähernd in der gleichen Höhe gelagert. Der breite
periphere Theil der Zelle geht in der Richtung zum Bindegewebe in einen
schmäleren, plattgedrückten Theil über, der getheilt, gezackt oder mit Fuss-
platten endet. Wie im peripheren so ist auch im basalen Theile der Zelle
körniges, gelbliches Pigment vorhanden.
344 NASE.
Zwischen den Stützzellen sind die Riech- oder Stäbchenzellen gelagert;
im Umkreise einer Stützzelle erweisen sich sechs und mehr Riechzellen. Sie
sind spindelförmige Körper mit einem anderen Kerne, nebst peripherem und
centralem Fortsatze. Von diesen Fortsätzen ist der periphere gewöhnlich
stärkerer, cylindrischer Form; an seinem freien Ende ist er mit einem Büschel
kurzer, freier Härchen besetzt, welche in der Zahl von 6 bis 8 meist etwas aus-
einanderweichen (v. Brunn). Der centrale Fortsatz ist dünner, mit leichten
Yaricositäten und hat den Charakter von Nervenfibrillen. Er soll in eine
Olfactoriusfaser übergehen.
Im Grunde des Epithels gegen das Bindegewebe liegen die Ersatz- oder
Basalzellen; sie sind kegelförmig, sollen durch Fortsätze mit einander zu-
sammenhängen und so ein protoplasmatisches Netzwerk bilden.
Die Oberfläche des Epithels ist mit einem feinen Häutchen überzogen
(memhrana limitans olfadona), dem peripheren Theile der Riechzellen ent-
sprechend sind hier Löcher vorhanden. Die Limitans wird oft noch be-
stritten.
Noch kommen in der Epithelschicht Wanderzellen vor, die noch unter
dem Namen von Glockenzellen beschrieben werden.
Die Drüsen der Riechschleimhaut erweisen sich als einfache oder ver-
ästelte Schläuche, die in der Bindegewebsschicht der Schleimhaut gelagert
sind, sie werden BowMANN'sche Drüsen genannt. In den Zellen dieser Drüsen
kann auch gelbliches Pigment vorkommen, so wie in den Stützzellen. Sie,
als reine Eiweissdrüse (v. Brunn) anzusehen, ist sehr zweifelhaft.
Der periphere Fortsatz {Dendrit) beginnt mit den Riechhärchen und
geht bis zui' Zelle mit ihrem runden Kerne und Kernkörperchen.
Der centrale Fortsatz der Riechzelle wird jetzt als Achsencylinderfortsatz
{Neurit) angesehen, der von der Riechzelle als Hautnervenzelle entsteht und
im glomerulus olfactorius als Endbäumchen endet. — So wird jetzt der An-
fangstheil der Riechnerven des Geruchsorgans gedeutet. Die Drüsen dienen
dazu, die hier wirkenden Stoffe gelöst zu halten, da die riechbaren Stoffe
flüchtig und gelöst sein müssen, um auf das Geruchsorgan zu wirken.
Die Gefässe der Nasenhöhle sind äussere und innere. Die äusseren
sind Aeste der äusseren Kiefergefässe, die zu den Rändern der äusseren Oeff-
nungen, dem Nasenflügel und der ganzen äusseren Wand des Nasenrückens
bis zur Wurzel gehen, in der Mittellinie mit den entsprechenden Aesten der
anderen Seite communiciren und alle hier liegenden Gewebstheile mit Nahrung
versorgen. An der Wurzel und am Rande der Nase communiciren sie mit
den Aesten der Augenhöhlengefässe und den Aesten der inneren Kiefer-
arterie.
Die Schleimhaut der Nasenhöhle ist sehr reich an Gefässen, besonders
Venen, und gehört zu den blutreichsten Schleimhäuten des Körpers. Die
inneren Gefässe sind Aeste der inneren Kieferarterie {art. maxillaris interna)
und der Augenhöhlengefässe. {art. et venae ophtJialmicae). Die Aeste der
inneren Kieferarterie erweisen sich als: 1. Gefässe des Oberkiefers
{vasa maxillaria sup., posf. et med.) und Aeste der Unteraugenhöhlengefässe
{vasa infraorhitalia), die als vordere Oberkieferäste (art. maxillaris sup. ant.)
ihre Zweige den Wänden der Kielerhöhle geben; 2. Aeste der Keilbein-
Gaumengefässe {vasa splieno-palatina)., die als hintere Nasenarterien {art.
nasales post.) in den oberen, mittleren und unteren Theilen der äusseren
Wand und in der Scheidewand {art. septi narium) sich verzweigen und mit
den Gaumenarterien anostomosiren und als art. vidiana s. pterygoidea in der
Umgebung der hinteren Nasenöffnung und der Tuba sich verästeln; 3. Aeste
der Flügel-Gaumenarterie {art. pterygo-palatina) zum hinteren Theile
der Nasenhöhle und der Umgegend der hinteren Nasenöffnung. Die Aeste
der Augengefässe {oasa ophthahnica) gehen aus der art. nasofrontalis als
NASE. 345
art. ethmoidales ab. Gewöhnlich sind es zwei Aeste, die als art. ethmoi-
dalis ant. und post. in der Ernährung der Nasenhohle und deren Neben-
höhlen theilnehmen. Die art. ethmoidalis ant. gibt Aeste zur vorderen
Region, der dura mater (meningea anterior), verzweigt sich in die Stirnhöhle,
im vorderen Theile des Labyrinthes und im vorderen Theile der Nasenhöhle,
wie zur inneren Wand der äusseren Nase, so auch zum vorderen Theile der
Nasenscheidewand, Diese Aeste anastomosiren mit den Nasen- und Lippen-
ästen der äusseren Kieferarterie. Die art. ethmoidalis post. dringt
durch das hintere Siebbeinloch und verzweigt sich in den hinteren Siebbein-
zellen, bis zur Keilbeinhöhle und dem oberen Theile der Nasenscheidewand.
Die Venen der Nasenhöhle entsprechen den Arterien, sind hier über-
haupt sehr zahlreich; die vorderen Venen sammeln sich hauptsächlich in
der Antlitzvene {vena facialis s. maxillaris ext.); die oberen in den Sieb-
beinvenen, die zur Augenvene gehen, und die hinteren Venen sammeln sich
zum foramen spheno-palatinum und ergiessen sich in die vena maxillaris
interna, in den Plexus der fossae zygomaticae.
Die Lymphgefässe liegen in der Schleimhaut der Nasenhöhle sehr
oberflächlich; sie richten sich hauptsächlich zum hinteren Theile der Nasen-
höhle und sammeln sich in die gl. faciales profundae und die gl. cervicales
profund ae sup.
Die Nerven der Nasenhöhle sind centripetalleitende, die dem Geruchs-
nerven {n. olfadorius) und dem Trigeminus angehören und sympathische, die
centripetal und centrifugal zu den sich hier verästelnden Gefässen gehen. —
Die Fila olfactoria beginnen wie schon gesagt in dem Riechtheile der Nasen-
schleimhaut und gehen zum bulbus olfactorius. Vom Bulbus gehen die Fasern
bis zum nucleus caudatus und dem cornu Ammonis; diese Kerne verbinden
sich mit den psycho-sensitiven Centren der Stirn- und Schläfenlappen und
namentlich mit der frontalen Riechsphäre, die den gesammten hinteren Rand
der Basis des Stirnlappens und den basalen Theil des gyrus fornicatus um-
fasst, und mit der temporalen Riechsphäre, die sich auf den üncus und einen
Theil des benachbarten inneren Pols des Schläfenlappens begrenzt (Flechsig).
— Die centripetalleitenden Fasern des n. trigeminus gehen von der ganzen
Fläche der Nasenhöhle aus, den hier gelagerten Nervenbündel einßchliessend.
Sie gehören dem ramus ophthalmicus an und namentlich den n. ethmoidalis,
die von der Keilbeinhöhle, von den Zellen des Labyrinthes und von dem
vorderen Theile der Nasenhöhle ausgehen. Zum zweiten Aste des Trigeminus
gehen die Nervenzweige mittelst des ganglion spheno-palatinum; die Fäden
gehen von den oberen, mittleren und unteren Theilen der äusseren Wand der
Nasenhöhle und der Nasenscheidewand aus. — Die Wände der Nebenhöhlen geben
ihre Fäden: die Keilbeinhöhle dem hinteren Ethmoidalnerven und Fäden zu
den Schlundnerven; die Oberkieferhöhle zu den oberen Alveolarnerven des Ober-
kieferastes; das LabjTinth gibt seine Fäden zu den Ethmoidalnerven; die
Stirnhöhle zum Unter- und Oberrollennerven. Die Muskeln am äusseren
Theile der Nase werden von Fäden des n. facialis innervirt. — Die s}Tiipa-
thi sehen Geflechte der Gefässe der Nasenhöhle mit ihren Nebenhöhlen gehören
hauptsächlich dem Plexus ophthalmicus, dem nervus caroticus internus
s. cerebralis an und dem Plexus maxillaris internus, der mit dem
Plexus Carotins externus in Beziehung steht.
Aus allem den Angeführten erweist sich, dass die Nasenhöhle mit ihren
Nebenhöhlen:
1. Den Eingangstheil der Athmungsorgane bildet. Hier wird die Tem-
peratur der einzuathmenden Luft durch die in den Nebenhöhlen befindliche
Luft, sowie auch der Gefässe der Muscheln regulirt und die Quantität der Luft
mittelst des Riechorgans bestimmt.
346 NASENPOLYPEN.
2. Die Nebenhöhlen sind beim Neugeborenen nicht gegeben, sondern nur
Folge der Architectur des Gesichtskelettes und hängen von dem Grade der
Entwicklung des Kauapparates und der Geruchsorgane ab.
3. Die in der Schleimhaut der Nasenhöhle und ihren Nebenhöhlen ge-
lagerten Drüsen und der Thränengang dienen zur Regulirung des Grades
der Feuchtigkeit der einzuathmenden Luft und der hier enthaltenen Riech-
theile. Sie entwickeln sich je nach dem Grade der Temperatur dieser Luft
und dem Grade des Reizes der diese Luft enthaltenden Riechtheile.
4. Die nach abwärts gerichteten Nasenlöcher richten den Luftstrom beim
Einathmen nach oben zu den hier gelagerten Riechorganen, weiter geht dieser
Strom in einem Bogen durch die Choanen zu den Schlund- und Athmungs-
organen.
5. Die Form und Structur der Nasenhöhle hat auch eine Bedeutung bei
der Bildung der Sprache und der Stimme, besonders spricht sich diese Wir-
kung in dem Klange der Stimme aus.
6. Die Function des Riechorgans wird bei normaler Structur nur durch
Uebung, bei gradatim und consequenz erhöhtem Reize vervollkommt.
P. LESSHAFT.
Nasenpolypen (SMeimpohjpen). Die weichen oder ödematösen
Fibrome sind die häufigsten Neubildungen der Nase; man nennt sie auch
„Schleimpolypen" wegen ihrer glatten, glasig-schleimigen Oberfläche und
ihrer weichen gallertähnlichen Consistenz, die es zuweilen möglich macht,
den ganzen Tumor wie dickliches Schleimgewebe derart zu zerdrücken, dass
nach Auspressen seines klebrigen flüssigen Inhaltes nur noch eine dünne band-
artige Hülle zurückbleibt. Die gegenüber allen anderen Nasentumoren weit-
aus am häufigsten vorkommenden ödematösen Fibrome können ihrer Gut-
artigkeit, ihrer dem „Meerespolypen" am meisten ähnlichen Form, Farbe und
Stielbildung halber als „Nasenpolypen" xax' s^oyj)]v bezeichnet werden, im
Gegensatze zu den übrigen Nasentumoren, deren anatomischer Bau und kli-
nischen Symptome deutliche Unterschiede von jenen zeigen, und deren äussere
Formen meist sehr verschieden von denen eines „Polypen" sind.
Der Schleimpolyp stellt einen grauen, graurothen, glatten, leicht glän-
zenden zu\feilen durchscheinenden Tumor dar, von runder oder kolbiger,
keulenförmiger, bald auch mehr platter, nieren- oder birnförmiger Gestalt.
Je nachdem sich die Geschwulst bei ihrem Wachsthume frei entwickeln kann,
besonders gegen den breiten Nasenboden zu, nimmt sie eine mehr kugelige
oder birnartige Form an, während sie in den oberen und mitteren Nasen-
abschnitten, wo sie sich des engen Knochengerüstes halber nicht in die Breite
ausdehnen kann, klein und flach bleibt; liegen mehrere polypöse Bildungen
neben einander, so platten sie sich ab, verwachsen sogar, sei es mit ihrem
Körper, sei es mit ihrem Stiele (Fig. 1) derart, dass mehrere Polypen an
einem Stiele hängen.
Alle diese Geschwülste stehen durch einen Stiel mit der Nasenschleim-
haut in Verbindung; derselbe ist ungemein verschieden, bald dünn und lang,
bald kurz und breit; andere Male sitzt der Polyp ganz breit, ohne eigentliche
Stielbildung auf der Schleimhaut und stellt eine höckerartige Prominenz der
Schleimhaut dar; zuweilen hängt ein Schleimpolyp durch zwei, selbst drei
stielförmige Fortsätze mit der Schleimhaut zusammen; gelegentlich findet man
auch einen Polypen, der an seinem Körper mit einer zweiten, sogar dritten
Stelle der Nasenhöhle infolge längerer Berührung verwachsen ist. Die Grösse
dieser Fibrome variirt von der eines Hirsekornes bis zu der eines Tauben-
eies und darüber; ihre Consistenz ist eine weiche, zuweilen sogar fluctuirende;
beim Comprimiren solcher Geschwülste fühlt man, dass die Fluctuation durch
einen grösseren oder durch mehrere mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume be-
NASENPOLYPEN.
347
Fig
Natürl. Grösse.
Nasenpolyp aus dem hinteren Drit-
tel der rechten Nasenhöhle einer 27jähr.
Frau.
dingt ist; andere Male fühlt man nur kleine derbere Knötchen in der Ge-
sehwulstmasse, die ebenfalls von kleinen cystösen Erweiterungen herrühren;
sind diese Cystenbildungen dicht unter der Oberfläche gelegen, so stellen sie
oft flache buckelige Unebenheiten an der sonst glatten Oberfläche des Tumors
dar. Der Inhalt dieser Cysten besteht aus einer hellen, zähen und dünn-
schleimigen Flüssigkeit.
Der Schleimpolyp entwickelt sich vor-
zugsweise im Bereiche des mittleren Nasen-
ganges und speciell in der Umgebung des
hiatus semilunaris, ferner an den Oeffnungen
der Siebbeiuzellen, auch im oberen Nasen-
gange, an den freien Rändern der beiden
oberen Muscheln, sehr selten dagegen an der
Nasenscheidewand oder am Nasenboden und
am seltensten an der unteren Muschel; sie
wurzeln fernerhin an den Ostien der Nasen-
nebenhöhlen, besonders der Oberkiefer- und
Stirnhöhle, in deren Höhlungen sie gleich-
falls vorkommen und von wo aus sie durch
die Ausführungsöffnungen in die eigentliche
Nasenhöhle hineinwachsen können. In Fällen
excessiven Wachsthumes nach vorn kann der
Polyp aus der äusseren Nase herausragen oder
er kann sich auch nach hinten zu bis in den
Nasenrachenraum entwickeln.
Sehr häufig finden wir Polypen gleich-
zeitig in beiden Nasenhöhlen, zuweilen sogar
an symmetrischen Stellen; nur ganz selten haben wir es mit einer verein-
zelten Geschwulst zu thun; fast immer handelt es sich um eine grössere Zahl,
zuweilen sogar um ein halbes Hundert, ja noch darüber.
Nur in den allerseltensten Fällen verursachen solche Schleimpolypen eine
Diff'ormität der äusseren Nase; doch kann es schliesslich bei sehr vielen und
sehr grossen derartigen Bildungen auch zu einer Auftreibung und Verbreiterung
des äusseren Nasengerüstes kommen. Das Innere der Nase dagegen wird
öfters durch diese Tumoren verändert, die Nasengänge, besonders der mittlere,
wie auch der Hiatus semilunaris werden erweitert, die Muscheln verdünnt
und die Schleimhaut mehr weniger atrophisch.
Das ödematöse Nasenfibrom zeigt auf der Schnittfläche eine compacte
Structur von der gleichen graurothen Farbe wie die Tumoroberfläche; hie
und da sieht man einzelne feine weissliche Gewebszüge vom Stiele gegen den
Geschwulstkörper ziehen; fernerhin finden sich oft kleinere und grössere mit
einer hellen glasigen Flüssigkeit gefüllte Hohlräume in der Gewebsmasse.
Nach BiLLEOTH besteht der Nasenpolyp aus einem feinen kurzgefaserten
Bindegewebsstroma mit zahlreichen^ kernhaltigen Zellen; in dieser völlig
ungeordnet verlaufenden faserigen Grundsubstanz liegt eine grosse Zahl
röhrenförmiger Schleimdrüsen, an deren Ende sich reichliche traubenartige
Drüsenbläschen befinden, also ähnliche Drüsengebilde, wie in der normalen
Nasenschleimhaut. Durch Verstopfung der Drüsenausführungsgänge oder
auch durch Secretionsstörungen in der Drüse selbst kommt es zuweilen
zu einer Erweiterung einzelner Drüsenbläschen und zur Bildung kleiner
oder grösserer Hohlräume, zu Cysten mit einem flüssigen albuminhaltigen
Inhalte, in dem sich zuweilen auch Cholestearinkrystalle befinden; die
Innenfläche dieser Cystenräume besitzt nach Billeoth keine besondere
Wand, ist aber stets von Cyliuder- oder Plattenepithel ausgekleidet. Bill-
eoth hebt dabei hervor, dass diese Drüsenbildungen nicht constant in
348 NASENPOLYPEN.
den Schleimpolj'pen der Nase vorkommen, sondern dass dieselben oft nur
sehr kümmerlich vorhanden seien, zuweilen sogar ganz zu fehlen scheinen.
Im Ganzen fasst demnach Billroth diese Tumoren als Adenome auf; hie-
gegen wendet sich mit Recht Hopmann in seinen ausführlichen Arbeiten
über diesen Gegenstand, indem er hervorhebt, dass die eigentliche Masse
dieser Polypen „aus einem Stroma von areolärem Bindegewebe besteht",
dessen Maschen verschiedene Grösse und Form besitzen und die besonders
in älteren derartigen Tumoren oftmals nur noch ein ganz enges Netzwerk
zeigen; von dem gröberen ovalen oder rhomboidalen Balkenwerk selbst geht
nach Hopmann ein feineres Reticulum aus, in dessen Alveolen runde Zellen
gelegen sind, deren Menge ungemein schwankt, zuweilen sehr spärlich und
zerstreut, andere Male in grosser Menge und dicht angehäuft. Nur äusserst
selten fand Hopmann Drüsenbildungen in diesen Schleimpolypen und auch
dann blos in der Nähe des Polypenstieles und in degenerirtem Zustande; er
hält deshalb diese Neubildungen für Fibrome, und zwar als ödematöse,
weiche Form derselben.
Diese Ansicht Hop-
9 mann's ist im Grossen und
"^ Ganzen berechtigt, nichts
destoweniger sind aber
auch die Angaben Bill-
roth's insofern begrün-
L' det, als wir in Wirklich-
keit, und zwar viel häu-
^ figer als dies Hopmann
zugibt, Drüsen und Cysten
in dem fibrösen Stroma
des Nasenpolypen finden;
ja es gehört meiner Er-
Fig. 2 Fibrom, oedemat. aus dem rechten mittleren Nasengange einer lahrUng UaCh ZU deU AUS-
37jährig. Frau. nahmcu, gar nichts von
drüsigen Elementen in
diesen ödematösen Fibromen anzutreffen; Durchschnitte von kleinen, Avenn
auch oft verkümmerten Drüsenbläschen finden sich fast immer (Fig. 2); auch
nach ZucKERKANDL fehlen die Drüsen nur sehr selten bei diesen Gallert-
polypen. Ihre Vertheilung in der Geschwulst ist eine sehr ungleiche; am
regelmässigsten finden wir sie in den Tumortheilen, die an die Insertion
der Geschwulst grenzen; andere Male erstrecken sie sich über die ganze
Ausdehnung fast bis an die Oberfläche des Polypen (Fig. 3).
Wir fanden diese reichlichen Drüsenzüge an dünngestielten wie an breit
aufsitzenden Tumoren, vielleicht bei letzteren etwas häufiger und ausgespro-
chener; stets handelte es sich um die vergrösserten, traubenförmigen Drü-
sengebilde der Nasenschleimhaut mit ihren engen und weiten röhrenförmigen
Gängen, theils aber auch um neugebildete Drüsen. Zuckerkandl hält die-
selben nur in den seltensten Fällen für neugebildet, sondern für die gewöhn-
lichen acinösen Drüsen der Nase, die infolge der stärkeren fibrösen W^uche-
rung des Stromas auseinander gedrängt wurden. Es finden sich weiterhin
im Verlaufe der röhrenförmigen Drüsengänge sowohl, wie auch hie und
da im fibrösen Grundgewebe kleinere und grössere cystöse Ptäume, deren
Innenwandung mit cylindrischem oder mit cubischem Epithel überzogen
ist; es sind dies die schon von Billroth erwähnten Cysten, die auf
zweierlei Weise in unseren Nasenfibromen zustande kommen; entweder,
und dies ist der häufigere Fall, ein Ausführungsgang der Drüse wird ver-
stopft, es kommt zur Erweiterung erst des Ganges und dann eines oder
mehrere Drüsenbläschen und so bilden sich ovale oder runde cystöse Hohl-
NASENPOLYPEN.
349
räume, oder aber es wächst, wie wir diesen Modus bei den (jhrpolypen und
anderen ähnlichen Neubildungen häufig beobachten, das normale Deckepithel
der Nasenpolypen in das Innere der Gewebsmasse hinein, bildet mehr weniger
tiefe Einstülpungen, die sich dann abschnüren und längliche Käume dar-
stellen, deren Innenwand von Cylinderepithel ausgekleidet ist; in diesen ab-
geschnürten, röhrenförmigen Hohlräumen sammelt sich Secret, der Innenraum
erweitert sich allmählich und so kommt es zur Bildung von cystenartigen
Hohlräumen. Wir finden diese sogenannten Retentionscysten schon in ganz
kleinen Polypen; in grösseren Fibromen erreichen sie zuweilen so beträcht-
liche Dimensionen, dass von der fibrösen Grundsubstanz und von den zahl-
reichen Drüsen nur noch eine äussere, etwas derbe, fibröse Hülle um den zähen
flüssigen Cysteninhalt übrig geblieben ist; nach Ausfiuss dieses letzteren bil-
det die Hülle selbst einen bandartigen, fibrösen Hautfetzen.
Von diesen mit Epithel aus-
gekleideten und von leicht ge-
latinöser, zuweilen auch eiteriger
Flüssigkeit angefüllten, cystösen
Hohlräumen müssen wir die in
dem grobmaschigen, areolären Bin-
degewebe häufig vorhandenen,
grösseren Spalten und Zwischen-
räume unterscheiden, die gleich-
falls mit reichlicher Flüssigkeit
angefüllt sind und wie cysten-
artige Räume imponiren können,
die aber Aveder eine eigene Wan-
dung besitzen, noch von Epithel
oder Endothel ausgekleidet sind
und daher weder als cystös er-
weiterte Drüsen, noch als dilatirte
Lymphräume angesehen werden
dürfen. In den cystischen Räumen
sow^ohl, wie auch in den mehr
oder minder grossen Zwischen-
räumen der ödematösen, fibrösen
Grundsubstanz liegt seröse Flüs-
sigkeit, deren Albumincharakter
durch das Erstarren beim Kochen und durch den starken Eiweissniederschlag
bei Zusatz von Ferrocyankalium erwiesen ist (Hopmann).
ZucKEEKANDL, der die Schleimpolypen der Nase für das Product einer
entzündlichen Hypertrophie der Schleimhaut ansieht, hält diese in den Maschen
und Cysten vorhandene Flüssigkeit für das Exsudat der chronischen Ent-
zündung; nach KöSTEE und Hopmann dagegen handelt es sich um ein Trans-
sudat aus den Blutgefässen des Tumors infolge von Circulationsstörungen,
die besonders bei gestielten Geschwülsten sehr leicht eintreten können, da
die unteren voluminösen Theile eine beständige Zerrung am Stiele ausüben
und dessen Gefässe dadurch verengert werden; in diesen Tumoren sollen die
kleinen Venen und Capillaren fast immer erweitert sein; aber auch in den
breit aufsitzenden Polypen können derartige Stauungsödeme durch ihre Lage
und die Compression von Seite der Umgebung zu Stande kommen.
In frischen ödematösen Nasenfibromen liat Lewy sehr häufig die Charcot-Neumaka--
LEYDEN'schen Asthmakrystalle gefunden, die aber nicht fertig gebildet m der Geschwulst
sind, sondern erst in zerquetschten, frischen Präparaten sichtbar werden; da sich diese
Krystalle ebenso häufig in Nasenpolypen finden, deren Träger an Asthma leiden, wie auch
in Schleimpolypen ohne eine solche Reflexneurose, so muss es zum mindesten traglicü
Fig. 3. Schleimpolyp aus dem rechten mittleren Nasen-
gange eines 40jährigen Mannes.
350 NASENPOLYPEN.
erscheinen, ob diese krystallinischen Bildungen in den Fibromen mit dem Asthma in irgend
einem causalen Zusammenhange stehen.
Die glatte, selten leicht eingekerbte Oberfläche der Nasenpolypen ist
von einem grossen flimmernden Cylinderepithel überzogen; nur an Stellen,
die der Luft oder einem längeren Drucke ausgesetzt sind, findet man Platten-
epithel; an einzelnen Stellen entsendet das Cylinderepithel kürzere oder län-
gere zapfenförmige Fortsätze in die Geschwulst, aus denen durch Abschnürung
die oben erwähnten cystösen Hohlräume entstehen.
Das bindegewebige, grobmaschige Netzwerk des weichen Fibroms verläuft
vom Stiele aus gegen die Peripherie der Geschwulst, in der gleichen Eichtung
■wie die nicht sehr zahlreichen und meist dünnen Blutgefässe dieser Nasen-
tumoren; in ihrem Verlaufe spalten sich die letzteren vielfach und bilden
schöne, bogenförmige Netze an der Oberfläche des Polypen. Nerven scheinen
in diesen Geschwülsten ausserordentlich selten vorzukommen; Billroth hat
nur in einem einzigen Falle einzelne kleine Nervenstämmchen gesehen. Nach
Kalischer dagegen findet man häufig Nerven; meist jedoch in sehr spärlicher
und nur selten in reichlicher Menge; darunter auch stärkere Nervenstämm-
chen; es sind ihrem Verlaufe und ihrem Kernreichthume nach neugebildete
Nervenfasern; Ganglienzellen oder Endkörperchen findet man nicht.
Von diesen weichen Fibromen trennt Hopmann die in polypoider Form
auftretenden Hyperplasien circum scripter Muschelabschnitte; es sind dies, wie
die Schleimpolypen, glatte Tumoren, die sich von diesen nur durch ihr aus-
schliessliches Entstehen an den Muscheln unterscheiden, sowie auch nach
Hopmann durch ihre derbere Consistenz und ihre dunklere Farbe; in ihrem
feineren Bau stellen sie eine Hyperplasie der cavernösen Muschelschleimhaut
dar, wobei bald die drüsigen, bald die cavernösen Bestandtheile derselben
überwiegen; in ihnen sieht Hopmann die Adenome Billroth's; unter ihnen
fand er auch solche, die an ihrer Peripherie areoläres Bindegewebe (Fig. 3)
zeigten, wie das ödematöse Fibrom; nur um den Geschwulstcharakter dieser
Bildungen genauer zu bezeichnen, nennt er sie polypoide Hypertrophien, im
Gegensatze zu den einfachen Hypertrophien der Nasenschleimhaut. Nun
kommt es aber bei der durch eine chronische Entzündung entstandenen Hyper-
plasie der Schleimhaut nicht allein zu einer Wucherung des Bindegewebes,
auch das Drüsengewebe betheiligt sich und es entstehen Bildungen, die ausser
ihrer bindegewebigen Grundlage verlängerte und erweiterte Drüsenschläuche,
selbst cystöse Bäume enthalten; es lässt sich daher die von Hopmann ver-
langte Trennung der polypoiden Hypertrophie von der einfachen Hyperplasie
sehr schwer durchführen, denn alle diese Bildungen gehören in das Grenz-
gebiet zwischen den hypertrophischen Producten einer Entzündung und den
eigentlichen Neubildungen; es wird oft schwer sein zu sagen, ob wir es mit
einer entzündlichen Hyperplasie oder mit einem wahren Tumor zu thun haben
(Orte). Wir haben es bei diesen Schleimpolypen, ob dünngestielt, ob breit
aufsitzend, mit einer Hypertrophie sämmtlicher Bestandtheile der Nasenschleim-
haut zu thun, von denen jedoch die einzelnen in verschiedenem Grade ent-
wickelt sein können; es hat nicht den geringsten, klinischen Wert, diese fibro-
matösen Neubildungen je nach dem Vorwiegen des einen oder anderen die-
ser Bestandtheile von einander zu trennen und sie als Fibroadenome, Cysto-
fibrome, Fibroangiome u. s. w. gesondert zu schildern. — Zuweilen finden
wir in den Schleimpolypen, besonders denen, die von der mittleren Muschel
ausgehen, eine oder mehrere dünne Knochenspangen mit wohlausgebildeter
Markhöhle, die sich vom Polypenstiele aus baumartig im Geschwulstkörper
verzweigen; es handelt sich hiebei um eine hyperplastische Wucherung des
Muschelperiostes, wie dies Zarniko zuerst beschrieben hat, und wie es
Manasse bei sieben derartigen Geschwülsten aus meiner Klinik bestätigen
konnte.
NASENPOLYPEN. 351
Ausser den weichen ödematösen Fibromen kommen auch derbere
festere Fibrome in der Nase vor; sie haben die gleiche birnformige Gestalt,
sind auch gestielt wie jene, unterscheiden sich aber von ihnen durch ihre
hellere weissgraue Farbe und ihre viel derbere Consistenz ; sie zeigen auf
dem Durchschnitte eine weissliche blut- und plasmaarme Schnittfläche und
bestehen aus dicht aneinander gelagerten, sich vielfach durchflechtenden
derben Bindegewebsfasern und kleinen runden oder spindelförmigen Zellen
in spärlicher Menge (Fig. 4). Wir
finden diese Fibromart nur selten;
fast immer sitzt sie als solitäre
Geschwulst in den hinteren Thei-
len der Nasenhöhle, entweder vom
Septum oder den hintersten Mu-
schelabschnitten oder auch von
der inneren Umrandung der Cho-
anen ausgehend ; im letzteren Falle
wachsen sie gegen den Nasen-
rachen zu, erreichen aber nie so ^^""'' ■■•■--v>..*!i«i»i=A>,k«
beträchtliche Dimensionen wie ^. „ , ^.,
-_,., ,. , ^ • 1 Fig- 4- Hartes Fibrom vom hinteren Septumende aus der
jene l^lbrOme, die von der hinte- rechten Nasenhöhle eines 23jährigeii Mädchens.
ren Fläche der Choane ausgehen
und die wir bei den Neubildungen des Nasenrachenraumes kennen lernen
werden.
Die harten Fibrome gehen von den tieferen, fibrösen Schichten der
Nasenschleimhaut aus und beruhen auf einem excessiven, einseitigen Wachs-
thume des Bindegewebes. Die Oberfläche dieser Tumoren ist glatt und mit
cylindrischem Flimmerepithel überzogen. Ihr Gewebe ist sehr blutarm, daher
sie auch bei der Extraction viel weniger bluten als der gewöhnliche, weiche
Schleimpolyp.
Aetiologie. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die Schleimpolypen
durch eine chronische Entzündung der Nasenschleimhaut bedingt; so ent-
stehen auch Fibrome an den Ostien der Nasennebenhöhlen, wenn, bei Em-
pyem derselben, Eiter durch diese Oeffnungen abfliesst und ihre Ränder fort-
während reizt (Zaeniko). Die Ursache, weshalb bei der Entwicklung dieser
Geschwülste das eine Mal mehr das Bindegewebe, das andere Mal mehr die
Drüsen, ein drittes Mal mehr die Gefässe oder das Epithel prävaliren, wissen
wir nicht, ebensowenig weshalb es in dem einen Falle zu einer diffusen
Wulstung der Schleimhaut, in dem anderen zur Bildung eines freien beweg-
lichen Tumors kommt. Nach Hopmann liegt den ödematösen Fibromen ein
Prolaps der Mucosa zu Grunde, der sich durch die zerrende Wirkung der
Athmung immer vergrössert. Nach Stoerk wird die Polypenbildung bei ver-
engerten Nasen, besonders wenn die Verengung durch Schleimhautanschwel-
lung veranlasst ist, begünstigt.
Die Schleimpolypen gehören mit zu den häufigsten Erkrankungen der
Nase und machen circa 20% derselben aus; sie kommen vier bis fünf Mal
häufiger vor als alle übrigen Neubildungen der Nase zusammengenommen ;
ZucKEEKANDL fand sie in jeder achten bis neunten Leiche von Erwachsenen.
Sie sind bei Männern viel häufiger als bei Frauen; wir finden sie vorzugs-
weise bei Individuen im Alter von 20—40 Jahren, aber auch bei jüngeren
Kranken, selbst bei Kindern kommen sie zur Beobachtung; Keakauee hat
Polypen bei einem 4V2 wöchentlichen Kinde, Le Roy und Caedoxe sogar bei
Neugeborenen gesehen; anderseits finden wir sie auch bei ganz alten Leuten.
Nach Heymann liegt zuweilen Heredität zu Grunde. — Die von Woakes
ausgesprochene Ansicht, es seien die Nasenpolypen immer durch eine „nekro-
sirende Ethmoiditis" bedingt, und die später durch Geünwald noch erwei-
352 NASENPOLYPEN.
terte Behauptung, dass diese Geschwülste nur bei Nebenhöhlenempyemen vor-
kommen und ausschliesslich durch dieselben verursacht seien, konnte nicht
vollständig bestätigt werden; denn wenn man dies auch in einigen Fällen
anerkennen muss, so gibt es doch anderseits eine fast grössere Anzahl von
Polypenfällen, bei denen ausser der Neubildung jede andere tiefere Erkrankung
der Nasenhöhle oder einer Nebenhöhle absolut fehlt. Auch Zuckerkandl hat
bei zahlreichen anatomischen Untersuchungen von Nasenpolypen niemals
Caries oder Nekrose der Siebbeinzellen gefunden, ausser bei Lues und Tuber-
kulose; ebenso hat er viele Fälle von Polypen, Ozaena und eitriger Rhinitis
gesehen ohne Erkrankung der Nebenhöhlen oder der Nasenknochen. Alexander
beobachtete bei 170 Empyemfällen 45 Mal Nasenpolypen. Hajek fand, wie
schon Zukerkandl, dass die unter den Polypen gelegene Knochenschicht
ebenfalls hypertrophisch ist, also gerade das Gegentheil wie Wookes und
GRüNwaLD angegeben. Nach HajEK sind diese Tumoren nichts anderes als
eine ödematöse Plypertrophie; von 12 untersuchten Fällen fand er bei 4 nur
oberflächliche Veränderungen der Schleimhaut; bei den anderen lag eine Ent-
zündung der tieferen Theile vor (Infiltration, Knochenhyperplasie, auch Ostei-
tis rareficans).
Symptome. Anfangs leiden die Kranken nur an einer etwas vermehrten
schleimigen Nasensecretion; erst allmählich stellen sich die Erscheinungen von
Verstopfung des einen oder beider Nasengänge ein; der Katarrh wird stärker,
die Sprache ist leicht näselnd, zeitweilige Schmerzen in der Stirn treten auf,
Eingenommenheit des Kopfes, Vergesslichkeit; das Geruchsvermögen ist ver-
mindert, sogar völlig aufgehoben, auch Thränenträufeln wird beobachtet; zu-
weilen verspüren solche Patienten beim Ein- oder Ausathmen ein flatterndes
Geräusch in der Nase {hruit de drapeau nach Dupuytren), das von den Be-
wegungen gestielter Polypen herrührt. Sind mehrere Polypen in beiden
Nasenhöhlen, wie dies ja meist der Fall, so treten die Symptome der nasalen
Stenose immer mehr in den Vordergrund: Athmen durch den Mund, Trocken-
heit im Hals, nächtliches Schnarchen, unruhiger Schlaf, Kurzathmigkeit bei
stärkeren Körperbewegungen, beim Bergsteigen und schliesslich auch Bethei-
ligung der Tube und des Mittelohres. Alle diese Symptome treten bei feuchtem
Wetter stärker hervor, da diese Tumoren bei ihrer hygroskopischen Natur
voluminöser werden; die Nasensecretion vermehrt sich, sie ist meist wässerig
schleimig, selten eiteriger Natur; Nasenbluten kommt nur ganz selten vor,
kann aber manchmal profus werden, wenn ein etwas grösseres Blutgefäss des
Polypen beim heftigen Schneuzen oder nach einem Trauma zerrissen wurde.
Liegt der Polypenbildung ein Nebenhöhlen-Empyem zugrunde, wie dies
zuweilen der Fall ist, so sind die Kopfschmerzen grössentheils durch diese
Höhieneiterung verursacht, und es treten die Kopfbeschwerden besonders dann
hervor, wenn das Ostium der Nebenhöhle durch ein solches Fibrom ver-
legt ist.
Ausser diesen schmerzhaften Kopfsymptomen beobachten wir bei Nasen-
polypen zuweilen auch reflectorische Neuralgien, z. B. Husten, Migräne,
Schwindel, wenn auch im Ganzen seltener als bei den cavernösen Schwellungen
der vorderen und hinteren Muschelenden. Voltolini hat schon im Jahre
1871 darauf aufmerksam gemacht, dass asthmatische Anfälle durch Nasen-
polypen hervorgerufen werden können, dann haben Hänisch, B. Fränkel,
Hartmann, Porter, Daly, vor allem aber Hack eine grosse Anzahl der-
artiger Fälle veröffentlicht und noch andere, ebenfalls durch Nasenpolypen
bedingte Reflexneurosen beschrieben, wie Alpdruck, Migräne, Niesskrampf,
Supraorbitalneuralgie, Rhinorrhoe, Heufieber, selbst Epilepsie, Morbus Base-
dow!. Hack nahm an, dass zur Auslösung des asthmatischen Bronchial-
krampfes ausser den Polypen auch noch eine Anschwellung der cavernösen,
vorderen, unteren Muschelenden vorhanden sein müsse. In vielen Fällen je-
NASEN POLYPEN. 353
doch gesellt sich Asthma, wie auch andere Reflexneurosen, zu Nasenpolypen
direct und zwar von allen Theilen der Nasenschleimhaut aus ohne dies Zwi-
schenglied der hypertrophischen vorderen Muschelenden. — Im Grossen und
Ganzen beobachten wir das Asthma nasale wie die anderen Kefiexneurosen recht
selten bei Nasenpolypen; die Neubildung allein kann es nicht sein, durch
welche derartige nervöse Symptome hervorgerufen werden; sie könnte zwar,
wie es z. B. das verbogene Septum zuweilen thut, gewissermaassen als
Fremdkörper auf die Trigeminuszweige in der Nasenschleimhaut einen Druck
ausüben, der bei längerer Dauer und bei der Schwellbarkeit der Polypen selbst
(Hopmann) vasomotorische und sensitive Heize auszulösen im Stande ist.
Das Asthma kommt aber zuweilen ohne einen solchen directen Contact des
Nasenpolypen mit der gegenüberliegenden Septumfiäche zu Stande, wenn z. B.
die Patienten des Nachts horizontal gelagert sind, die cavernösen Muschel-
enden hiebei stark anschwellen und dadurch die Nasenathmung immer mehr
und mehr erschwert wird; so kommt allmählicli eine Ueberladung des Blutes
mit Kohlensäure zu Stande, als deren Ausdruck wir den asthmatischen Anfall
ansehen müssen (Schech). Nach Bloch sind bei Nasenstenose durch Polypen
die Bronchialmuskeln viel mehr angestrengt, wodurch leicht Neurasthenie ent-
stehe, auf deren Grundlage alsdann Asthma eintreten kann.
Bei sehr grossen und zahlreichen Schleimpolypen, die eine vollständige
Nasenstenose bedingen, werden eigenthümlicher Weise solche asthmatische
Zufälle viel seltener beobachtet als bei kleineren Tumoren, neben denen die
Nase noch gut durchgängig ist. — Der asthmatische Anfall tritt, ohne jedes
allgemeine oder locale Prodrom, meist bei Nacht auf, kann mehrere Stunden
dauern und verläuft unter dem gleichen Bilde der exspiratorischen Orthopnoe,
der pfeifenden klein- und grossblasigen Basseigeräusche, der spasmodischen
Bronchienverengerung, des Mangels an Expectoration, wie das Lungenasthma
überhaupt, durch welche Ursache dasselbe auch bedingt ist; gegen das Ende
des Anfalles werfen die Kranken geringe Mengen weisslichen, fadenziehenden
Schleimes aus, in dem die Spiralen von Curschmann, sowie auch die oben er-
wähnten Kry stalle von Charcot-Leyden vorhanden sind ; Schmidt und Hem-
merich fanden im Auswurfe sowohl wie auch in excidirten Schleimhautstück-
chen eosinophile Zellen, also grosse Leukocyten mit zwei granulirten Kernen.
Diagnose: In seltenen Fällen ragen die Schleimpolypen aus der äusseren
Nasenöffnung, etwas häufiger schon ist es möglich, sie beim Hinaufheben der
Nasenspitze direct zu Gesicht zu bekommen; immer aber sehen wir dieselben
bei der vorderen Rhinoskopie, und zwar als glatte, grauröthliche, leicht glän-
zende rundliche Tumoren, die bei der Berührung mit der Sonde unempfindlich
sind, sich leicht eindrücken und gut hin und her bewegen lassen; gewöhnlich
sieht man nur eine Geschwulst, die vordere, welche die tiefer gelegenen ver-
deckt; andere Male kann man mehrere kleinere Polypen neben und über
einander liegen sehen; Schleimpolypen der hinteren Nasenabschnitte sind erst
bei der hinteren Rhinoskopie gut zu erkennen. Gestielte Fibrome sind sehr
leicht und nach allen Richtungen beweglich; ist die Insertion des Stieles
hoch und versteckt, so ist es oft nicht möglich, dieselbe genauer zu be-
stimmen; breit aufsitzende Polypen unterscheiden sich durch ihre glatte glän-
zende Oberfläche von den mehr unebenen und fast papillomatös aussehenden
hypertrophischen Schwellungen der vorderen und hinteren j\luschelenden; bei
diesen letzteren sieht man auch, dass die Geschwulst die breite unmittelbare
Fortsetzung der cavernösen Muschelschleimhaut darstellt, auch verkleinert sich
dieselbe ziemlich deutlich nach Einpinselung mit Cocain, was bei den Schleim-
polypen und den polypoiden Hypertrophien nicht der Fall ist. Anfänger können
eine Verbiegung oder ein Hämatom des knorpeligen Septum, auch Fremd-
körper oder Exostosen für einen Polypen halten; die härtere Consistenz, Unbe-
weglichkeit, wie auch zuweilen die Empfindlichkeit jener Tumoren schützt
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten. -ö
354 NASENPOLYPEN.
uns leicht vor solchen Irrthiimern; Richter (cit. v. Albrecht) hat einen pro-
lapsus cerebri irrthümlicher Weise als Nasenpolypen abgeschnitten. Papillome,
Angiome erkennt man an ihrer unregelmässigen Oberfläche, ihrem exclusiven
Sitze an der unteren Muschel und am Septum. Bösartige Tumoren haben in
ihren Anfangsstadien einige Aehnlichkeit mit dem weichen Fibrom, unter-
scheiden sich aber bald von demselben durch ihre grosse Neigung zu Blutun-
gen, durch die eiterige und fötide Absonderung und häufig auch durch ihre
Schmerzhaftigkeit.
Ob im gegebenen Falle Neurosen und speciell Asthma mit vorhandenen
Schleimpolypen in einem causalen Zusammenhange stehen, ist meist schwer
zu sagen; können jedoch hiefür andere ursächliche Momente, vor allem Lungen-
und Herzkrankheiten ausgeschlossen werden, so darf immerhin das nasale
Leiden als die mögliche Ursache angesehen und die Extraction des Polypen
ausgeführt werden, selbst wenn .es sich nur um kleine Tumoren handelt, die
keinerlei andere Beschwerden verursachen. In manchen Fällen ist die Wahr-
scheinlichkeit, dass Neurosen, besonders das Asthma von der Nase ausgehen,
sehr gross, wenn sich nämlich solche Patienten schon einige Stunden vor
dem eigentlichen Anfalle über Migräne, Nieskrampf, nervösen Schnupfen be-
klagen; fernerhin haben Fränkel, Lublinski, Zarniko u. a. darauf hinge-
gewiesen, dass es zuweilen bei solchen Patienten gelingt, den asthmatischen
Anfall künstlich hervorzurufen durch mechanische Reizung jener Schleimhaut-
partie, mit welcher der Polyp für gewöhnlich in Berührung ist oder bei
Schwellungszuständen in Contact kommen kann, und fernerhin, dass wir im
Stande sind, einen künstlich hervorgerufenen oder auch einen krankhaften
Anfall durch Aufpinselung einer 10 — 20°/oigen Cocainlösung auf die betreffende
Septumpartie zu unterdrücken. Sehr häufig jedoch lassen uns diese Experi-
mente im Stiche oder gelingen nur unvollständig. Scheinmann lässt den
Patienten darauf achten, ob er durch Einlegen eines mit Cocain getränkten
Wattebausches in die Nase den Anfall unterdrücken, resp. mildern kann.
Prognose. Der Schleimpolyp ist ein gutartiger Tumor, und selbst ohne
Operation haben derartige Neubildungen, auch wenn ihrer noch so viele vor-
handen sind, keine lebenswichtigen Folgen; Bayer hat die Umwandlung eines
weichen Fibromes in einen bösartigen Tumor beobachtet; es hatte sich in
seinem Falle auf einem gewöhnlichen breitbasigen Schleimpolypen, der vom
Nasendache ausgieng, ein Zottenkrebs entwickelt; nach Abtragung des ganzen
Tumors war kein Recidiv eingetreten. — Billroth hat schon darauf auf-
merksam gemacht, dass bei einem Individuum, das früher einen einfachen
Nasenpolypen hatte, sich später unter Einfluss schlechterer Constitutionsver-
hältnisse ein bösartiger Tumor entwickeln könne. Immerhin muss die Beob-
achtung Bayer's um so mehr berücksichtigt werden, als in den letzten Jah-
ren Massei, Schmiegelow ähnliche Umwandlungen von Nasenpolypen in
carcinomatöse Geschwülste gesehen haben; ausserdem berichtet Fink über
einen Fall, wo bei einem Manne zahlreiche Schleimpolypen zuerst aus der
Nasenhöhle, dann aus dem antrum Highmori entfernt worden waren und bei
dem dann kurze Zeit nachher wegen neuer Geschwulstbildung das antrum
eröffnet werden musste, in welchem sich die weichen Massen eines Mark-
schwammes vorfanden; wenige Wochen nachher trat bei diesem Kranken
Krebsmetastase in den Halswirbeln und Tod durch Cachexie ein. Es muss
hier auch an die bekannte Sammelforschung erinnert werden, die Semon über
die Frage der Umwandlung gutartiger Kehlkopftumoren in maligne angestellt
hat und wonach auf 10,747 Fälle von Larynxgeschwülsten fünf ganz sichere
Beobachtungen einer derartigen Transformation nachgewiesen sind, und bei
sechs anderen Fällen diese Möglichkeit mindestens als wahrscheinlich be-
trachtet werden darf.
NASENPOLYPEN. 355
Der Nasenpolyp kann leicht und vollständig durch eine Operation geheilt
werden; sehr häufig jedoch treten Kecidive auf, besonders dann, wenn kleine
Beste der Geschwulst aus Unachtsamkeit, oder weil an schwer zugänglichen
Stellen gelegen, übersehen oder nicht entfernt werden konnten; oftmals auch
handelt es sich gar nicht um wirkliche Kecidive, sondern es sind kleinere,
bei einer ersten Operation schon vorhanden gewesene, aber übersehene Poly-
pen, die jetzt wachsen und sich ausdehnen können, nachdem die Nase durch
die Extraction der früheren Tumoren frei geworden.
Bei der prognostischen Beurtheilung der Reflexneurosen, die bei Nasen-
polypen vorhanden sind, ist grosse Vorsicht von Nöthen; es gibt zweifelsohne
eine Anzahl von Asthmafällen, die durch die Extraction der Schleimpolypen
definitiv geheilt worden sind; andere Male aber kehren das Asthma sowohl,
wie auch die anderen reflectorischen Neurosen, trotz des anfänglichen guten
Erfolges, nach der Operation, zuweilen nach Wochen schon, wieder zurück;
bei derartigen Fällen dürfen wir nicht vergessen, dass wir es häufig mit einer
allgemeinen nervösen Disposition der Kranken zu thun haben, die vielen Be-
handlungsarten Trotz bietet.
Therapie. Die einzige rationelle Behandlung dieser Neubildungen ist die
instrumentelle Abtragung derselben; die Anwendung von Adstringentien, die
Scarificationen, die Ligatur, das Abätzen, das Absägen mittelst knotiger
Fäden (Zandek), alle diese Methoden sind verlassen; nicht minder ist es der
von HiPPOCRATES schon gemachte und von Voltolini wieder aufgenommene
Vorschlag, von den Choanen her mit einem Schwämme die Nasenhöhle auszu-
scheuern und so die Polypen loszureissen, ähnlich wie es Voltolini auch für
die Operation der Larynxpolypen empfohlen hat.
Die jetzt gebräuchlichen Verfahren zur Operation der Nasenpolypen sind
die Extraction derselben vermittelst zangenförmiger Instrumente oder die Ab-
schnürung mit der Drahtschlinge.
Die Zangenextraction: Alle hiezu dienenden Instrumente sind
Modificationen der gewöhnlichen Kornzange; sie sind nur etwas länger und
schlanker oder sind an ihrem vorderen Ende oder an ihrem Handgriffe ge-
krümmt. Mit derartigen Zangen, die heutzutage noch von vielen AeTzten,
selbst hervorragenden Chirurgen (Albert, Bossen u. a.) benützt werden, führt
man die Extraction des Polypen in der Weise aus, dass bei directer oder
auch reflectorischer Beleuchtung der Nase, das Instrument in eine Nasenhöhle
eingeführt, der vorliegende Polyp gefasst, einige Male um seine Axe gedreht
und dann durch einen ziemlich kräftigen Zug abgerissen wird; diese Mani-
pulation wird in einer oder mehreren Sitzungen so oft wiederholt, bis die
Nase ausgeräumt zu sein scheint; die Kranken verspüren bei diesem Operations-
modus, selbst bei Anwendung von Cocain, recht heftige Schmerzen und die
Blutung aus der Nase ist meist eine beträchtliche; ausserdem werden bei
etwas breit aufsitzenden Polypen fast regelmässig kleinere oder grössere Stücke
der nachbarlichen gesunden Nasenschleimhaut, selbst auch Theile der knö-
chernen Muschelenden oder des Siebbeinlabyrinthes durch die Zange mit her-
ausgerissen. Zur Entschuldigung dieser Nebenverletzungen halten die An-
hänger der Extractionsmethode die gewaltsame Entfernung der peripheren
Muscheltheile geradezu für nothwendig, um Becidiven vorzubeugen. Abge-
sehen von der grossen Schmerzhaftigkeit, den starken Blutungen, wie auch
von den erwähnten Nebenverletzungen hat die Zange noch den weiteren
Nachtheil, dass sie die Neubildung manchmal zerquetscht, voneinander reisst
und so den Polypen unvollständig entfernt, sowie weiterhin noch, dass klei-
nere, tief gelegene oder in den Nischen und Spalten der lateralen Nasenwand
sitzende, aber immerhin sichtbare Neubildungen mit der verhältnismässig
voluminösen Zange weder erreicht, noch gefasst werden können.
23*
356
NASENPOLYPEN.
Zum Abschnüren des Schleimpolypen mit der Schneideschlinge
verwenden wir entweder die kalte oder die galvanokaustische Schlinge. Dünn-
gestielte und sehr bewegliche Polypen werden mit der kalten Schlinge abge-
tragen, da die Blutung hiebei fast null ist und wir immerhin mit dieser
Schlinge etwas rascher und leichter arbeiten können; wir verwenden dagegen
die Glühschlinge bei breit aufsitzenden, sowie auch bei hochgelegenen Tumoren,
deren Insertion nicht genau zu bestimmen ist; man vermeidet auf diese
Weise starke Blutungen und kann zu glei-
cher Zeit die versteckt gelegene Inserti-
onsstelle mit dem Glühdraht abbrennen.
Zur Verwendung kommen für die kalte
Schlinge der von Wilde für die Ohrpo-
lypen angegebene Schlingenschnürer in
seiner von Zaufal für die Operation der
Nasenpolypen modificirten Form (s. Ohr-
polyp). Zur Glühschlinge benutzen wir das
Instrument von Bruns-Schech (Fig. 5),
für das eine Tauchbatterie oder ein Accu-
mulator den Strom liefert; letzterer ist
seiner einfacheren Construction und seiner
leichteren Instandhaltung halber vorzuzie-
hen. Als Draht für die kalte Schlinge ver-
wendet man mittelstarken ausgeglühten
Eisendraht, den man auch statt des theu-
ren Platindrahtes für die Glühschlinge be-
nützen kann. — Im Grossen und Ganzen
ist das Anlegen der voluminöseren und
durch die Leitungsdrähte belasteten Glüh-
schlinge etwas mühsamer als das der kal-
ten Schlinge; sie hat aber vor dieser den
Vorzug geringerer Blutungen und dadurch
einer häufigeren Anwendung in der glei-
chen Sitzung.
Die Schlingenschnürer werden in fol-
gender Weise angelegt: Nach Cocainisirung
(10%) des Naseninneren wird, bei guter
Beleuchtung durch Stirnspiegel und Spe-
culum, die dem vorliegenden Polypen ent-
sprechend weite Drahtschlinge in verticaler Stellung und parallel dem Septum
bis zum Polypen eingeführt, dann die Schlinge horizontal gestellt und von unten
her über den Tumor so hoch als möglich hinaufgeschoben; jetzt verkürzt man
langsam die Schlinge, zieht sie fest zusammen und extrahirt schliesslich durch
einen massig kräftigen Zug den Polypen. Nur in jenen Fällen, wo die kalte
Schlinge den Tumor nicht an seiner Insertionsstelle gefasst hat, was beson-
ders bei hochgelegenen oder auch bei breitaufsitzenden Geschwülsten der Fall
sein kann, bedarf es eines etwas kräftigeren Zuges, um denselben von seiner
Anheftungsstelle loszureissen; hiebei werden, ähnlich wie bei der Zangenope-
ration, wenn auch in viel geringerem Grade, kleinere Schleimhautpartien, selbst
Muschelfragmente mit herausgerissen und die Blutung ist eine etwas stärkere;
es wird dies durch die Anwendung der Glühschlinge vermieden; die gefassten
dickeren Stielpartien werden von dem rothglühenden Drahte langsam durch-
schnitten und die Neubildung folgt einem leichten Zuge des Instrumentes;
hiebei ist es jedoch nothwendig, den elektrischen Strom abwechselnd zu öff-
nen und zu schliessen, um den Draht nicht weissglühend zu machen und den
Stiel nicht zu rasch zu durchschneiden, was stärkere Blutungen verursachen
Fig. 5.
NASENPOLYPEN. 357
würde. Bei dünngestielten Polypen ruft die kalte Schlinge keine oder nur
eine ganz geringe Blutung hervor; bei breit aufsitzenden dagegen ist die-
selbe ziemlich stark und es kommt auch manchmal zu längeren Nachblutungen.
Das Anlegen der Schlinge verlangt sehr wenig Zeit, kaum mehr als das
Einführen der Zange, das häufig ganz blindlings geschieht; es lassen sich mit
der Schlinge immer mehrere Polypen rasch nach einander entfernen, beson-
ders auch mit der Glühschlinge, bei deren Anwendung es immer nur zu einer
ganz geringen Blutung kommt, die das Operationsfeld nicht verdeckt. Bei stär-
keren Blutungen müssen weitere Extractionen um 2 bis 8 Tage verschoben
werden, bis das Naseninnere wieder übersehen werden kann. — Bei kräftigen
und nicht empfindlichen Kranken kann sogar, nach Absolvirung der einen Nasen-
hälfte in der gleichen Sitzung auch die andere in Angriff genommen werden.
Die Schmerzhaftigkeit der Schiingenoperation ist nicht gross; immerhin ist
es rathsam, durch Einlegen eines mit einer 10 böigen Cocainlösung getränkten
Wattebausches in die Nase während 4 bis 5 Minuten, die ganze Procedur zu
einer fast ganz schmerzlosen zu machen.
Zur Stillung der Blutung nach der Operation, sowie auch zur Verhütung
von Nachblutungen führt man einen oder zwei lange feste Wattebausche in
die Nase und lässt sie mehrere Stunden liegen.
In dieser Weise werden alle Polypen, wenn nöthig in mehreren Sitzungen,
entfernt; es gelingt dies mit der Schlinge viel besser, als mit der Zange, weil
wir mit dem relativ dünnen Schnürer nicht allein ganz kleine, sondern auch
hochgelegene und in Nischen und Spalten sitzende Tumoren fassen und ex-
trahiren können.
Zur Verhütung von Kecidiven soll die Insertionsstelle der Neubildung
bald nach deren Extraction zerstört i. e. geätzt werden; bei Verwendung der
Glühschlinge wird eine derartige Aetzung schon mit der Extraction selbst
ausgeübt; andere Male verwendet man hiezu den knopfförmigen Galvano-
kauter; auch Chromsäure, Trichloressigsäure, Chlorzink u. s. w. sind hiezu
empfohlen worden. Bei diesen Aetzungen ist es nicht immer möglich, hoch
und verborgen gelegene Ansatzstellen genau zu sehen und zu zerstören; es
werden demnach an unzugänglichen Stellen oftmals Stielreste zurückbleiben,
die zu Recidiven Veranlassung geben. Auch beim gründlichsten Ausräumen
der Nase und trotz sorgfältiger Zerstörung der Polypenwurzel mit den ver-
schiedenen Aetzmitteln müssen wir auf Recidive gefasst sein, und es lässt
sich in den einzelnen Fällen schwer sagen, ob es sich um das Nachwachsen
eines Tumors auf dem alten Stiele oder um ein Aufschiessen eines neuen
Polypen von einer benachbarten Schleimhautstelle handelt; die einen Male
entstehen Recidive trotz sorgfältigster Exstirpation und gründlicher Nach-
ätzung, andere Male tritt nach einmaliger Extraction, selbst mit der kalten
Schlinge, dauernde Heilung ein.
Schleimpolypen in den hinteren Nasenabschnitten und härtere Fibrome,
die in der Nähe der Choanen ihren Sitz haben und erst bei der hinteren
Ehinoskopie gesehen werden, lassen sich gleichfalls mit der kalten oder der
Glühschlinge extrahiren; oft gelingt es vermittelst eines etwas härteren und
gut federnden Drahtes, z. B. Ciavierdrahtes, von der Nase aus den Tumor
direct in die Schlinge zu fassen; andere Male ist es nothwendig, die durch
den unteren Nasengang vorgeschobene Schlinge mit dem vom Munde aus in
den Nasenrachenraum eingeführten Finger von unten her über den Polypen
zu schieben, die Schlinge dann zuzuziehen und den Tumor zu extrahiren.
Wir sehen somit, dass wir mit der Schlinge und ohne grosse Beschwerden
für den Kranken alle derartigen Neubildungen der Nase exstirpiren können,
die grössten wie die kleinsten, die leicht zugänglichen wie die in den oberen
Nasentheilen versteckt gelegenen; wir brauchen heute nicht mehr zu den in
früheren Jahren geübten, eingreifenden und oft sehr entstellenden Methoden
358 NAÖENRACHENPOLYPEN.
der Spaltung der Nase oder gar der temporären Resection der Nasenknochen
behufs völliger Ausräumung der Nase unsere Zuflucht zu nehmen.
Die Schiingenoperation ist so einlach, verursacht so geringe Schmerzen
und Blutungen, dass sich die Patienten bei späteren Recidiven ohne grosse
Ueberredung zu einem neuen Eingriffe verstehen, während die Wiederholung
einer Zangenextraction von den Kranken nur nach grossem Widerstreben
zugestanden wird. Es wird wohl heutzutage kein Arzt, der mit Stirnspiegel
und Schliugenschnürer umzugehen weiss, und dem die rohen, unsicheren
und schmerzhaften Zangenextractionen aus den chirurgischen Kliniken in der
Erinnerung geblieben sind, zur Zange greifen, um Nasenpolypen zu operiren.
Die Nachbehandlung nach diesen operativen Eingriffen ist eine einfache,
da es nur äusserst selten zu einer stärkeren Heaction an der verletzten
Schleimhaut kommt; immerhin empfiehlt es sich, die Nase mehrere Tage, lang
mit Wundwatte leicht zu verstopfen; stellt sich eitrige Secretion aus der Nase
ein, so lässt man einfache Durchspülungen {Nasenspüler) mit lauwarmem
Salz- oder Borwasser machen und zeitweilig kleine Mengen von Borsäure oder
Sozojodolnatrium einblasen.
Die Reflexneurosen, besonders das Asthma, verschwinden in einzelnen
Fällen vollständig, schon nach der ersten Operation; bei anderen stellt sich
der Erfolg nur allmählich ein, erst nachdem alle Polypen entfernt sind; andere
Male aber besteht die Neurose hartnäckig weiter und kann sogar durch die
Operation noch gesteigert werden; so sah Rethi „Nieskrampf, «Schwindel-
anfälle, Glottiskrampf" nach solchen operativen Eingriffen; bei einer Patientin
von Semon entwickelte sich sogar nach der Entfernung von Nasenpolypen
eine einseitige BASEDOw'sche Krankheit. kühn.
Nasenrachenpolypen. wir unterscheiden zweierlei Arten von Nasen-
rachenpolypen: 1. Polypenartige Geschwülste, die im Nasenrachenräume
selbst entstehen und sich hier w^eiter entwickeln, die „typischen Nasen-
rachenpolypen'^ und 2. Polypöse Tumoren, die in den benachbarten
Nasenhöhlen entstehen, von da in die Rachenhöhle hineinwachsen und sich
dort weiter entwickeln, die „nicht typischen oder Pseudo- Nasen-
rachenpolypen" (Nasenmuschelpolypen, Choanenfibrome und
polypöse Hypertrophien der hinteren Enden der unteren Muschel).
1. Der typische Nasenrachenpolyp oder das Naseiiracheiifibrom.
Derselbe stellt einen solitären harten Tumor dar von rundlicher knolliger
Form und von der Grösse eines Taubeneies bis zu der einer grossen Birne;
er entspringt meist mit breiter Basis vom Pharynxdache, also von der unteren
Fläche des Keilbeinkörpers und des processus basilaris des Hinterhauptbeines,
von der Umgebung des foramen lacerum anticum und von der Vorderfläche
der Cerebral- und Cervical-Wirbelkörper. Bensch trennt sie nach ihrem Ur-
sprünge in intra- und extra-pharyngeale ; die ersteren gehen von der Fibro-
cartilago basilaris, den oberen Halswirbeln und von der lamina interna des
Flügelfortsatzes aus, letztere vom foramen lacerum anticum oder der fossa
spheno-palatina. Die Neubildung entwickelt sich vom Periost aus, zuweilen
aber dringt das Gewebe ihres Stieles bis in die Alveolen des darunter ge-
legenen Knochens und zerstört denselben bis auf ganz dünne Lamellen
(Spillmann, Follin). Anfangs besteht der Nasenrachenpolyp aus einem ein-
zigen Körper mit kurzem breitem Stiele; bei seiner ungemein grossen Wachs-
thumsenergie aber spaltet er sich nach mehr oder minder kurzer Zeit in
Fortsätze, die sich, um den umgebenden Weich th eilen auszuweichen, nach
verschiedenen Richtungen, meist nach denen des geringeren Widerstandes aus-
dehnen. Der Körper des Polypen kann so gross werden, dass er im Pharynx
bis zur Epiglottis herabreicht; die Fortsätze können eine, selbst beide Nasen-
NASENRACHENPOLYPEN. 359
höhlen ausfüllen und sind im Stande, die .Scheidewand zu verdrängen, sogar zu
zerstören und schliesslich zuweilen bis zur äusseren Nasenöffnung herauszu-
wachsen; oftmals dringen diese Fortsätze in Knochenfissuren und gelangen
aus der fossa pterygo-palatina in die Schläfengrube, wo sie am Jochbogen zu
Tage treten, oder auch durch das foramen sphenopalatinum in die Nasen-,
resp. Keilbein- oder Kieferhöhle, oder endlich durch die fissura orbitalis
inferior in die Augenhöhle. Hierbei werden die Knochenwandungen mehr
oder weniger zerstört, und der Tumor kann an der lamina cribrosa des Sieb-
beines, dem foramen lacerum anticum die knöcherne Schädelbasis zerstören
und in die Schädelhöhle hineinwachsen.
Erreichen die Hauptmasse der Neubildung oder deren Fortsätze die gegen-
überliegende Wandung, so geht das Epithel der sich berührenden Stellen in-
folge des Druckes allmählich verloren und es entstehen Decubitusgeschwüre,
Adhäsionen und feste Verwachsungen; derartig verwachsene Fortsätze machen
zuweilen den Eindruck eines Tumorstieles, stehen jedoch zur Ernährung des
Polypenkörpers in gar keiner Beziehung; sie müssen stets als Appendices,
als Fortsätze angesehen und als solche auch bei der Operation berücksichtigt
werden.
Nach seiner Abtragung stellt ein solcher Tumor „einen Körper dar, der
je nach Art und Zeit seiner Entwicklung einen oder viele Fortsätze hat:
der Körper entsprechend der Nasenrachenhöhle, wallnuss- bis Kinderfaust-
gross, die Fortsätze von sehr verschiedener Zahl, Stärke und Länge."
Der Name „7ioX'jtiou?" (Vielfuss) wird schon von Galen (Lib. III. Comp. Pharm.) und
Paul Aegineta (Lib. IV. 15) für die Nasenpolypen wie für die Nasenrachenpolypen wegen
der Aehnlichkeit ihres Fleisches und ihrer Fortsätze, mit dem Meerpolypen und seinen Fang-
armen verglichen.
Was den feineren Bau dieser Geschwülste betrifft, so haben sie im all-
gemeinen den Charakter der harten Fibrome; sie sind auf ihrem Durch-
schnitte weisslich oder blassroth und bestehen aus Bindegewebsfibrillen, die
meist in Form dichter Bündel angeordnet sind und oftmals einen deutlichen
concentrischen Verlauf um die Nerven und Gefässe herum zeigen; zellige Ele-
mente, die sogenannten Bindegewebskörperchen, sind nur in spärlicher Zahl
vorhanden. Man findet zuweilen in den jüngeren Theilen der Geschwulst,
wie ja auch bei anderen Fibromen, Nester von embryonalem Bindegewebe,
eine sogenannte fibroplastische Substanz, die sich manchmal in solcher Menge
vorfindet, dass der Tumor sarkomartig zu sein scheint; diese Verwechslung
mit Sarkom ist bei den häufigen Recidiven der Nasenrachenfibrome, bei ihrem
schnellen Wachsthume, bei den durch sie herbeigeführten Knochenzerstö-
rungen und bei ihrem oftmals tödtlichen Verlaufe leicht erklärlich. 0. Weber
sah Nasenrachenpolypen, die anfangs fibröser, später aber sarkomatöser Natur
waren; er führt diese bösartige Umwandlung auf vorausgegangene Aetzungen
des Tumors zurück. Das fibroide Gewebe dieser Geschwülste ist im allgemei-
nen sehr gefässarm, nur an der Wurzel findet sich eine grössere Anzahl von
Blutgefässen; andere Male aber ist der Tumor sehr reich sowohl an Arterien
wie an Venen, und es besteht ein ausgebildetes cavernöses Venennetz; dabei
sind die Blutgefässe so innig mit dem fibroiden Gewebe verwachsen, dass
ihre Adventitia stellenweise vollständig darin aufgegangen ist, so dass sich
die Gefässe bei einer eventuellen Verletzung nicht zurückziehen können und
ihre lumina dauernd offen bleiben müssen; die starre klaffende Gefässwan-
dung erschwert die Bildung eines ThromlDus und hierin müssen wir den
anatomisch-mechanischen Grund sehen, weshalb Blutungen aus den Nasen-
rachenfibromen so heftig sind und oftmals ohne Kunsthilfe nicht zum Still-
stand gebracht werden können (Billeoth). Man findet Tumoren, in welchen
wie bei den Angiofibromen die Gefässe in solcher Anzahl vorhanden sind,
dass der fibromatöse Bau fast gänzlich zurücktritt und die darin enthaltenen
360 NÄSENRACHENPOLYPEN.
reichlichen Venennetze der Neubildung das Gepräge einer cavernösen Ge-
schwulst haben; solche Geschwülste zeigen auch Fluctuationsgefühl und ihr
Volumen variirt durch Ab- und Anschwellen. Die im fibrösen Stroma ein-
gesprengten, spindelförmigen Bindegewebszellen befinden sich hie und da im
Zustande fettiger Degeneration, was vielleicht auf eine Rückbildung hindeu-
tet (Middeldorf). Cruveilhiee und Maisonneuve haben Cysten in diesen
Geschwülsten, Cloquet eine kalkige Ablagerung in Form einer Fischgräte
im Centrum des Tumorstieles gesehen. — Die Geschwulst ist von einer unge-
mein blutreichen, blaurothen Schleimhaut überzogen, die der normalen Be-
deckung des Nasenrachenraumes ganz analog ist; an einzelnen Stellen
beobachtet man zuweilen kleine oberflächliche Geschwüre, andere Male sieht
man blosse Narben auf derselben.
Aetiologie. Die typischen Nasenrachenpolypen gehören zu den sel-
tenen Erkrankungen, werden jedoch unter den im Nasenrachenräume vor-
kommenden Neubildungen am häufigsten beobachtet. Die bis jetzt bekannt
gewordenen Fälle belehren uns, dass sie in überwiegender Zahl bei männ-
lichen Individuen von 10 — 25 Jahren vorkommen; einige wenige Ausnahmen
bei Kindern unter 10 Jahren (Veeneuil, Chapoy), bei Männern über 30 Jahren
(Robin-Mace), bei Mädchen und Frauen (Blanko, Verneuil, Gussenbauer)
sind bekannt geworden; immerhin muss für einige dieser Fälle bei den un-
genauen Angaben über den anatomischen Bau der Geschwülste bezweifelt
werden, ob es sich um einen typischen Nasenrachenpolypen oder um ein
intrapharyngeales weiches Fibrom oder gar um einen Choanenpolypen ge-
handelt habe. So auffallend das fast ausschliessliche Vorkommen dieser Ge-
schw^ülste beim männlichen Geschlechte und während der Pubertätsjahre ist,
noch räthselhafter muss uns die von mehreren Chirurgen beobachtete weitere
Thatsache erscheinen, dass ^diese Tumoren sich mit Abschluss der Pubertät
spontan zurückbilden, ja vollständig verschwinden können (Gosselin, Lafonte,
Hüter, Poisson (cit. v. Bensch), Grünwald, Bouchaud); es wurde dies so-
"VN'ohl bei Tumoren beobachtet, die unvollständig operirt als besonders auch
bei enorm grossen, die gerade ihrer Grösse und ihres complicirten Sitzes
halber als inoperabel zurückgewiesen worden waren.
Schon Velpeau sah im Wachsthumsstillstande und in der Rückbildung sol-
cher Nasenrachenpolypen eine Analogie mit der spontanen Involution der
Uterusfibrome während der Menopause. Legouest sagt ebenfalls, dass das
Wachsthum dieser Geschw^ülste nach dem 25. — 30. Lebensjahre von selbst zum
Stillstande komme und dass gar manche Heilung eines solchen Polypen trotz
unvollständiger oder misslungener Operation auf dessen spontane Rückbil-
dung zurückzuführen sein dürfte. Bensch erklärt das fast exclusive Vor-
kommen dieser Tumoren bei Männern und ihre spontane Involution nach der
Pubertät in folgender Weise:
1. Die Congruenz der Schädelentwicklung bei beiden Geschlechtern im
Kindesalter bewirkt das gleichzeitige Vorkommen der Nasenrachenpolypen
bei beiden.
2. Die Divergenz der Schädelentwicklung des männlichen Gesichts-
schädels zur Zeit der Pubertät erklärt den totalen Unterschied bezüglich
dieser Krankheit.
3. Der Stillstand der Schädelentwicklung nach dem 25. Jahre erklärt
das plötzliche Verschwinden dieser Geschwülste. Nach Bensch ist demnach
die Neuentstehung einer solchen Geschwulst nach dem 25. Lebensjahre aus-
geschlossen, ein Fortbestehen unwahrscheinlich und eine Rückbildung der vor-
handenen zu erwarten; vor Ablauf der Pubertät kann man eine Radicalheilung
nur dann erwarten, wenn die Insertionsstelle des Polypen von Grund aus zer-
stört wurde. Langenbeck sieht den Grund der Entwicklung dieser Tumoren
bei gesunden jungen Subjecten „in der excessiven Vegetationsfähigkeit, die
NASENRACHENPOLYPEN. 361
in der Pubertät vorhanden ist, wie sich dies wälirend dieser Jahre auch in
Form der aufgedunsenen Nase, Nasenbluten, Hautefliorescenzen zeige!"
Symptome. Im Anfang macht sich diese Geschwulst kaum bemerkbar;
erst bei ihrem Grösserwerden fängt sie an, die Athmung zu behindern und
der Sprache einen näselnden Beiklang zu verleihen; bald stellt sich ein stär-
kerer seröser Austiuss aus der Nase ein, und es treten zeitweilige Schmerzen
in der Stirngegend auf. Alle diese leichten Erscheinungen steigern sich in
der Folge und die jetzt hinzutretenden Symptome hängen vor allem vom je-
weiligen Sitze der Geschwulst ab. Bei ihrem stetigen Wachsthume kommt
sie mit den benachbarten Theilen des Nasenrachenraumes in Berührung, es
entstehen durch diese gegenseitigen Reibungen Erosionen und Geschwüre an
der Oberfläche des Tumors selbst, wie auch an den Wandungen des Pharynx,
den Choanenrändern und den hinteren Muschelenden; bei dem grossen Blut-
reichthume der betroffenen Schleimhautdecken stellen sich leicht Nasen-
blutungen ein, die durch ihre Heftigkeit, wie durch ihre Häufigkeit höchst
bedenklich werden können. Der Austiuss aus der Nase nimmt allmählich
eitrige Beschaffenheit an, wird ungemein übelriechend, theils weil die schwer
entfernbaren Secretmassen in der Nasenhöhle liegen bleiben und sich zer-
setzen, theils auch weil sie von der geschwürigen Oberfläche der Geschwulst
und der Pharynxtheile herrühren. Bei der behinderten Nasenathmung schläft
der Kranke mit offenem Munde und seine Sprache wird völlig klanglos. Die
immer grösser werdende Hauptgeschwulst drückt und fixirt das Gaumensegel
so stark nach vorn und unten, dass sich Schlingbeschwerden einstellen und
Speise und Trank leicht in die Nasenrachenhöhle und Nase eindringen;
bei noch tieferem Herabreichen des Polypen gegen die Epiglottis können
Erstickungsanfälle eintreten. Der Tumor kann weiterhin die Tubenostien
vollständig verlegen und dadurch Taubheit verursachen, oder auch die Ent-
zündung der Rachenschleimhaut greift per continuitatem auf Tuba und Pauken-
höhle über und es kommt zur eiterigen Mittelohrentzündung. Ausserdem
klagen auch solche Kranke über intensive Stirnkopfschmerzen oder andere
heftige Neuralgien und Parästhesien im Gebiete des zweiten Trigeminusastes.
Bilden sich Tumorfortsätze und wachsen dieselben durch die Choanen
in die Nasenhöhle oder durch die untere Augenhöhlenfissur in die Orbita
oder endlich durch die fissura pterygo-maxillaris gegen den Jochbogen zu
u. s. w., so machen sich im Gesichte charakteristische Entstellungen be-
merkbar. Die Nasenknochen werden auseinander gedrängt, der Nasenrücken
verbreitert, die Nasenscheidewand wird verbogen selbst zerstört, der Bulbus
verdrängt, die Kranken schielen und klagen über Doppeltsehen; der Augapfel
wird stark vorgetrieben, die Jochbogengegend schwillt an; ist ein solcher
Fortsatz bis in die fossa temporalis gedrungen, so werden die Kaubewe-
gungen erschwert, ja der Unterkiefer kann luxirt w^erden (Postel); schliess-
lich kann an der Ansatzstelle des Tumors die Schädelbasis sich verdünnen
und perforiren, oder ein Geschwulstfortsatz dringt indirect dui'ch eine
Knochenfissur in das Schädelinnere; hiedurch entstehen dann Gehirnerschei-
nungen, wie Schwindel, Erbrechen, Schlafsucht, Pulsverlangsamung, Nacken-
starre, Meningitis u. s. w.; in den meisten Fällen jedoch ist der Tod solcher
Patienten nicht die Folge einer derartigen Gehirncomplication, sondern er
tritt öfters, in einem Zeiträume von 2- — 3 Jahren entweder durch Erstickung
oder durch zunehmende Erschöpfung infolge der häufigen Blutungen ein.
Letztere treten oft ganz ohne jede äussere Veranlassung auf, sind zuweilen
enorm und können direct tödtlich werden; Bensch bezieht dieselben nicht
auf den Tumor selbst, sondern auf die Blutgefässe des Schleimhautüberzuges.
Bei der Operation jedoch stammen sie aus den weiten venösen Räumen der
Geschwulstmasse selbst. Der tödtliche Ausgang ist die Regel für alle Fälle
ohne operative Behandlung, und nur jene wenigen Beobachtungen aus der
362 NASENRACHENPOLYPEN.
Literatur machen hievon eine Ausnahme, bei denen gegen das Ende der
Pubertätsjahre die Neubildung sich spontan zurückgebildet hatte.
Diagnose. In den Frühstadien werden diese Polypen nur zu oft über-
sehen; ihre geringgradigen Symptome gleichen denen eines chronischen
Schnupfens und eine genauere rhinoskopische Untersuchung wird versäumt
und gerade zu dieser Zeit schon könnte man bei dieser Untersuchungsmethode
den Tumor sehen, gleichwie ihn auch ein mit der hinteren Rhinoskopie nur
wenig vertrauter Arzt bei der Digitaluntersuchung zu erkennen und zugleich
seine Härte und seinen Ursprung zu bestimmen imstande ist. Schwieriger ist
es im Anfange sicher zu bestimmen, ob es sich um einen typischen Nasen-
rachenpolypen oder ein einfaches Fibrom oder einen Choanaltumor handelt.
Auch einfache Nasenpolypen, die im hinteren Nasenabschnitte entstanden und
in den Pharynxraum gewachsen sind, können mit einem Nasenrachenpolypen
verwechselt Averden. Carcinome des Nasenrachenraumes sind ungemein selten
und kommen nur bei älteren Leuten vor; die hiebei stets vorhandenen Drü-
senanschwellungen, wie auch die heftigen Schmerzen im Halse fehlen beim
Nasenrachenfibrom. Zwischen dem Sarkom und Fibrom dagegen sind die Un-
terschiede geringer, um so mehr, als Uebergänge von Fibrom in Fibrosarkom
oder reines Sarkom beobachtet worden sind; hier unterscheidet nur die mikros-
kopische Untersuchung. Auch Enchondrome sind für Nasenrachenpolypen ge-
halten worden, DuPLaY hat einen vom ersten Halswirbel ausgehenden Retro-
pharyngealabscess anfangs für einen derartigen Tumor gehalten, bis die
Fluctuation die Diagnose klar stellte. Cruveilhier erwähnt in seiner patho-
logischen Anatomie einen Fall von Gehirnprolaps durch die zerstörte Lamina
cribrosa des Siebbein der zu einem ähnlichen Irrthume Veranlassung gab.
Vor dem Auftreten cerebraler Symptome wird es nicht leicht sein festzustellen,
ob der Tumor die Schädelbasis schon durchbrochen hat.
Hat der Tumor schon Fortsätze getrieben oder bestehen Verwachsungen,
so ist seine Natur nicht mehr zweifelhaft; auch sprechen alsdann hiefür die
anderen klinischen Erscheinungen, die häufigen Blutungen, der stinkende
Nasenausfluss u. s. w^; zuweilen reicht der Tumor so weit nach abwärts, dass
er vom Munde aus besonders beim Aufheben des Gaumensegels als blaurothe
runde Geschwulst sichtbar ist.
Sitz und Ursprung der Neubildung lassen sich leichter durch die Pal-
pation als im rhinoskopi sehen Bilde erkennen; bei sehr voluminösen Tumoren,
die den Nasenrachenraum fast vollständig ausfüllen, ist es zuweilen erst nach
der Exstirpation möglich, die Ursprungsstelle zu erkennen.
Prognose. Wenn auch diese Fibrome als Geschwulstform nicht ma-
ligner Natur sind, so bedrohen sie doch in bedenklicher Weise durch ihr Wachs-
thum und ihre häufigen erschöpfenden Blutungen das Leben der Patienten; auch
ihrer häufigen Recidive halber müssen wir in ihnen ein sehr ernstes und ominöses
Leiden sehen. Das Alter der Patienten ist für die Prognose höchst wichtig;
je jünger der Kranke, desto schneller wachsen diese Geschwülste und desto
leichter recidiviren sie; je älter dagegen, je mehr sich der Patient dem
Mannesalter nähert, desto eher dürfen wir hoffen, dass die Geschwulst nicht
mehr recidivirt, ja sogar sich vollständig zurückbildet.
Behandlung: In den Frühstadien können diese Fibrome, besonders
wenn sie einen gut fühlbaren Stiel und noch keine Verwachsungen besitzen,
vermittelst der galvanokaustischen Schlinge abgetragen werden; man führt
mit der rechten Hand eine in der elektrischen Führungsröhre liegende und
gut federnde Stahldrahtschlinge durch den unteren Nasengang bis in den
Nasenrachenraum und sucht dann, mit Zeige- und Mittelfinger der linken
Hand von der Mundhöhle aus, die Schlinge um den Tumor so hoch als
möglich zu legen. Allerdings gelingt dies trotz Vorsicht und Geduld nicht
in allen Fällen; bei schwereren zieht Moldenhauee die Drahtschlinge, ver-
NASENRACHENPOLYPEN. 363
mittelst einer BELLOc'schen Eöhre, vom Munde her in die Nase und sucht
nun vom Rachen aus mit zwei Fingern die Schlinge über den Tumor hinauf-
zuschieben, um schliesslich die zur äusseren Nasenöffnung herausragenden
beiden Drahtenden im galvanokaustischen Schiingenträger zu fixiren. Grün-
wald führt die BELLOc'sche Sonde zu beiden Seiten des Tumors ein, um so
jedes der beiden Drahtenden vom Munde her gesondert durch den unteren
Nasengang führen zu können. Die Schlinge muss langsam zusammengezogen
und der elektrische Strom abwechselnd geschlossen und geöffnet werden; der
Draht wird hiebei nur rothglühend und übt grössere hämostatische Wirkung aus.
Beim Abschneiden dieser Fibrome, besonders derer mit breiter Basis, treten
nicht selten starke Blutungen auf; zu ihrer Stillung bringt man am besten
mit einer gekrümmten Kornzange einen grossen festen Wattetampon in den
Nasenrachenraum und drückt ihn eine Zeit lang stark gegen das Ilachendach
an; wenn nothwendig, werden noch mehrere Tampons eingeführt und der
nasale Pharynx damit ausgefüllt (Voltolini). Zaufal empfiehlt schon vor
der Operation vom Munde her einen Faden durch die Nase zu legen und
an dessen Mundende einen dicken Wattetampon zu befestigen, der dann im
Nothfalle in den Rachenraum gezogen werden kann; auch kann man unter
solchen Umständen bei herabhängendem Kopfe die Digitalcompression an der
blutenden Stelle ausüben.
Das Ligaturverfahren ist in früheren Jahren vielfach zur Anwendung
gekommen; um starke Blutungen zu verhindern, verkürzte man einige Zeit
hindurch täglich dre Schlinge; allein es schwoll hiebei der Polyp stark an
und es traten Erstickungsanfälle auf, oder auch der Tumor fiel während des
Schlafes ab und war in die Luftwege gerathen.
In ähnlicher Weise haben Chassaignac und Maisonneuve mit ihrem
^ßcraseur'-^ und ^^Constricteur'-'- und Pean mit seiner ,^Scie pince'' operirt.
Gegenüber diesen Methoden ist die galvanokaustische Schlinge zweifelsohne
einfacher und gefahrloser, sie ist aber nur bei ziemlich frühzeitiger Diagnose
anwendbar.
Ist die Geschwulst zu voluminös geworden, bestehen schon Verwach-
sungen, haben sich Fortsätze entwickelt, so müssen wir bei Kranken, die dem
Mannesalter nahe stehen, durch Palliativoperationen versuchen, die Beschwer-
den zu lindern und die Gefahren zu beseitigen; auf diese Art und Weise soll
abgewartet werden bis der Patient jenes Alter erreicht, wo wir auf eine
spontane Rückbildung dieser Geschwülste rechnen dürfen. Bei jüngeren In-
dividuen dagegen, die erst am Anfange der Pubertätsjahre stehen, liegen in
dem fortschreitenden Wachsthume der Geschwulst, in den allzu häufigen pro-
fusen Blutungen so bedenkliche und gefahrdrohende Symptome vor, dass wir
deren Beseitigung durch eine spontane Involution vor Ablauf eines längeren
Zeitraumes nicht abwarten können; bei solchen Patienten erscheint eine Ra-
dicaloperation gerechtfertigt.
Die Palliativoperationen bezwecken, durch Verkleinerung der voluminösen
Geschwulst die Athem- und Schluckbeschwerden wie auch die profusen Nasenblu-
tungen zu vermindern und möglicherweise auch die spontane Rückbildung zu
befördern. Am meisten haben sich hiefür die Galvanokaustik und die Elek-
trolyse bewährt; man trägt entweder mit der galvanischen Schlinge in ähnlicher
Weise, wie wir dies oben beschrieben haben, Stücke des Tumors ab oder man
bohrt messer- oder kuppeiförmige Brenner an verschiedenen Stellen in die
Geschwulst ein und sucht so dieselbe allmählich zu zerstören, respective zu
verkleinern. Bensch hat für diesen Zweck einen bogenförmigen galvano-
kaustischen „Doppelmeissel" empfohlen. — Voltolini zuerst hat für derar-
tige Neubildungen die Elektrolyse in Anwendung gebracht, und seitdem
Kuttner gezeigt hat, dass auch bei wiederholter Anwendung derselben und
bei sehr hohen Stromstärken eine Schädigung des Gehirnes nicht eintritt,
364 NASENRACHENPOLYPEN.
ist dieselbe ziemlich häufig angewendet worden. Eine Reihe von Erfolgen
(Kael Michel u. A.) hat gezeigt, dass wir vermittelst dieser Methode die
Geschwülste verkleinern, dieselben sogar völlig heilen können; eine grössere
Zahl von Sitzungen ist hiebei immer nothwendig gewesen. Die von Vol-
TOLiNi zu diesem Zwecke angegebene Doppelnadel wird entweder vom un-
teren Nasengange oder vom Munde aus in verschiedene Theile des Tumors
eingestochen, während die andere Elektrode auf die Brust gesetzt wird. Die
Heilung erfolgt durch das Zusammensinken der Neubildung ohne Eiterung
oder es bilden sich Schorfe um die Einstichsstellen, die sich durch die nach-
folgende Entzündung und Eiterung abstossen. — Was die Radicaloperation an-
belangt, so kann nicht mehr angezw^eifelt werden, dass sich bei frühzeitiger
Anwendung der hinteren Rhinoskopie die Fälle mehren werden, wo die Nasen-
rachenpolypen noch nicht aussergew^öhnlich gross, noch ohne complicirende
Fortsätze sind und vermittelst der galvanokaustischen Schlinge oder der Elek-
trolyse radical entfernt werden können. Es ist das grosse Verdienst von
Bensch und Voltolini gezeigt zu haben, „dass man auf rhinoskopischem
Wege — Elektrolyse und galvanokaustische Schlinge — ohne Voroperation
oder nur nach einer kleinen ungefährlichen und nicht entstellenden, Nasen-
rachenpolypen radical zu operiren vermag"; Bensch fordert deshalb auch, „dass
diese Kranken nicht dem Chirurgen, sondern dem Rhinologen überwiesen
werden sollen".
Noch immer beachten die meisten Chirurgen diese verhältnismässig ein-
facheren Methoden nicht oder nur wenig; sie operiren stets nach den ver-
schiedenen Verfahren früherer Jahre. Eine der einfacheren chirurgischen
Methoden ist noch die von König für nicht aussergewöhnlich grosse Tumoren
angegebene: er führt nach Spaltung der Nase einen langgestielten, nicht sehr
scharfen aber ziemlich grossen Löffel durch den unteren Nasengang in den
Pharynx und drängt nun mit Hilfe des in den Rachenraum eingeführten
Zeigefingers der anderen Hand, den Polypen nach vorn, um ihn schliesslich
abzureissen. Sonst kommen hier hauptsächlich die temporäre Resection des
Oberkiefers (von Langenbeck), die Resection der Nasenknochen (Ollier), die
partielle Abtragung des knöchernen Gaumens (Nelaton, Gussenbauer) oder
auch die Quer- und Längsspaltung des weichen Gaumens (Manne, Dieffen-
BACH, BöCKEL, Weber) in Betracht; alles operative Eingriffe, die meist grosse
Entstellungen im Gesichte des Patienten hinterlassen.
Nachdem man sich durch diese sogenannten Präliminaroperationen Zugang
zum Tumor geschaffen hat, wird derselbe entweder mit einem gekrümmten
stumpfendigen Bistouri (Dieffenbach) abgeschnitten und der Stumpf des Tu-
mors ausgemeisselt (Borelli, Guerin und Ollier) oder mit dem Pacquelin
ausgebrannt. — Ausser den narbigen Verstümmelungen, welche diese Vor-
operationen im Gesichte hinterlassen, liegt die Gefahr der Blutungen in die
Luftwege während derselben vor und es soll fast immer die Tracheotomie
der Operation vorausgehen. Den Wert aller dieser Operations verfahren
schildert uns König mit den Worten Dieffenbach's: „Eine derartige Operation
nimmt die ganze Gewandtheit, Sicherheit und ünerschrockenheit des erfahrenen
Chirurgen in Anspruch; er hat fast nur zwischen Dreierlei zu wählen: Er-
stickung des Kranken, wenn er die Unterbindung des Polypen macht, zu
Tode bluten bei der Operation durch Ausschneiden und Ausreissen oder Nicht-
voUendung der Operation." Dieser Ausspruch gilt auch heute noch voll zu
Recht trotz einer vollkommeneren Technik, und trotz Antisepsis und er müsste
gewässermassen den Praktiker verpflichten, die rhinoskopische Untersuchungs-
methode zu erlernen, um derartige Nasenrachenpolypen schon in ihren An-
fangsstadien zu erkennen und sie in verhältnismässig einfacherer Weise zu
operiren.
NASENRACHENPOLYPEN. 365
Mag man nun in der einen oder anderen Weise operirt haben, stets ist
es nothwendig, die Insertionsstelle des Polypen gründlich zu zerstören, um
neuen Recidiven vorzubeugen; auch hiefür ist das Ausbrennen der betreffen-
den Stellen mit dem galvanokaustischen Kuppelbrenner allen früheren Mitteln,
wie Ruginen, scharfen Löffeln und Meissein vorzuziehen; dasselbe kann aber
sicher und genau nur bei der hinteren Rhinoskopie gemacht werden, was auch
König zugibt, wenn er die Kenntnis der hinteren Rhinoskopie von allen jenen
Aerzten verlangt, die gewissenhaft die Reste einer Geschwulst der Rachen-
höhle entfernen wollen.
2. Pseiulo-Nasenracheiipolypeii.
Mit diesem Namen fassen wir alle gutartigen polypenförmigen Ge-
schwülste zusammen, die an irgend einem Theile des hinteren Nasenabschnittes
ihren Ursprung nehmen und erst mit ihrem stärkeren Wachsthum in den Na-
senrachenraum gelangen und denselben mehr oder weniger ausfüllen. Es
sind dies a) Schleimpolypen an den hinteren Abschnitten der unteren
und mittleren Muschel, ß) Fibrome, die am Choanenrande und speciell
am hinteren Ende des Septum entspringen und 7) polypöse Hypertro-
phien des hinteren Endes der unteren Nasenmuscheln.
Die Schleimpolypen stellen auch hier, wie in der Nasenhöhle selbst,
länglich runde gestielte grauröthliche Tumoren dar; ihre Form, Consistenz
wie auch ihre mikroskopische Structur sind die gleichen wie die des gewöhn-
lichen Nasenpolypen, also die des weichen ödematösen Fibroms mit seiner
Drüsen- und Cystenbildung; sie stellen demnach auch hier nur eine Wucherung
der normalen Schleimhautelemente ihres Mutterbodens dar. Meist finden wir,
neben Polypen der Nasenhöhle selbst, eine oder mehrere derartige Geschwülste,
die von einem tieferen Nasenabschnitte entspringend, nach hinten zu sich ent-
wickelt haben und in den Nasenrachenraum hinein gewachsen sind; zuweilen
verwachsen mehrere Nasenpolypen mit einander, theils an ihrem Stiele theils
an ihrem Körper und nur der hinterste dieser Polypen oder auch mehrere
drängen sich durch die Choanen in den Nasenrachenraum.
Diese Tumoren erreichen selten eine so beträchtliche Grösse wie die här-
teren Choanal-Fibrome, sie bilden auch keine Fortsätze und gehen keine Ver-
wachsungen mit den Nachbarth eilen ein; durch die völlige Verlegung der
hinteren Nasenöffnung rufen sie die bekannten Beschwerden der behinderten
Nasenathmung hervor: offener Mund, gestörter Schlaf, näselnde Stimme, all-
gemeine Nervosität u. s. w.; nicht selten klagen auch diese Kranken über
Schwerhörigkeit und Ohrensausen.
Die an den Choanen rändern und besonders am hinteren Ende der
Scheidewand entspringenden Geschwülste sind derbere und härtere Fibrom-
arten als die oben geschilderten Schleimpolypen; sie bestehen aus viel feste-
rem Fasergewebe, sind arm an Blutgefässen und haben ein trockenes, weiss-
liches Aussehen; auch sie besitzen weder Fortsätze noch gehen sie Verwach-
sungen mit den Nachbartheilen ein; dagegen erreichen sie häufig ein viel
grösseres Volumen als die oben geschilderten Schleimpolypen und können
zu einer so enormen Grösse gedeihen, dass sie bis zum Larynxeingang herab-
reichen (Stoeek, Zaufal).
Schliesslich haben wir die polypösen Hypertrophien der hinteren
unteren Muschelenden, die so gross werden können, dass sie die Choane voll-
ständig ausfüllen, in die Nasenrachenhöhle hineinragen und zuweilen das
Tubenostium verlegen; ihr Wachsthum ist ein langsames, sie erreichen jedoch
zuweilen die Grösse eines Taubeneies; ihre Oberfläche ist unregelmässig, him-
beerartig und stark hyperämisch. Diese Tumoren stellen Hyperplasien des
hinteren Muschelendes dar und bestehen aus einem dichten, aber doch zellen-
reichen Bindegewebsstroma mit zahlreichen alten und neugebildeten Blutge-
366 NASENRACHENPOLYPEN.
fassen. Bei stärkerer Entwicklung rufen auch sie die gleichen Sjanptomeund
Beschwerden hervor, w^ie die beiden oben erwähnten Geschwulstarten.
In den meisten Fällen wird es möglich sein, alle diese Geschwülste von
der Nase aus mit der kalten oder der Glühschlinge abzutragen. Die Leitungs-
röhre des Instrumentes muss länger sein als für die gewöhnlichen Nasenpolypen
und vor allem muss man sich eines gut federnden Drahtes (z. B. Ciavier-
draht) bedienen; in manchen Fällen ist es nothwendig, wie bei den typischen
Nasenrachenpolypen, die durch die Nase eingeführte Schlinge vermittelst der
Finger vom Munde her, über den Polypen hinaufzuscMeben. Bei den Schleim-
polypen wie bei den Choanalfibromen reicht die kalte Schlinge aus, denn
nur selten entstehen hiebei starke Blutungen; haben wir jedoch im rhinosko-
pischen Bilde die vorliegende Geschwulst an ihrer unebenen papillomatösen
Oberfläche und an ihrer stärkeren ßöthe als eine polypöse Hypertrophie der
unteren Muschel erkannt, so muss die galvanokaustische Schlinge in Anwen-
dung kommen, weil diese Tumorart häufig zu profusen Blutungen Veran-
lassung gibt.
Bei der Schiingenoperation gelingt es fast immer, den Polypen mit der
Schlinge aus der Nase herauszuziehen; doch könnte es vorkommen, dass der
Glühdraht den Stiel des Tumors so prompt durchschneidet, dass die Geschwulst
aus der Schlinge heraus in den Kehlkopf oder in die Speiseröhre hinabfällt;
eingedenk dieser Möglichkeit muss man darauf gefasst sein, die Neubildung
rasch mit dem Finger oder mit einer Zange herauszuholen. Rethi gibt eine
galvanokaustische Leitungsröhre an, deren vorderes Ende durch ein Charnier-
gelenk nach der Seite umgelegt werden kann und so das Anlegen der Schlinge
erleichtert.
Bei sehr grossen Choanalfibromen kann man vom Munde aus vermittelst
einer rechtwinklig gebogenen MuzEux'schen Zange oder auch mit dem von
mir für die Abtragung der hypertrophischen Pharynxtonsille angegebenen In-
strumente den Tumor fassen und ihn losreissen (Hansberg). Lange führt
einen rechtwinkligen stumpfen Haken, ähnlich dem Decapitationshaken der
Geburtshelfer, durch die Nase in den Pharynxraum und zieht damit die vom
Munde her durch den Finger in die Choane hineingedrängte Geschwulst stark
nach vorn, bis sie von ihrem Ursprünge abgerissen wird. Zaufal gelang
es ein 11 bis 16 cm langes, 6 cm breites und 12 g schweres Fibrom vom
Munde her auszureissen; dasselbe hatte seinen Ursprung am hinteren Rande
des Septum und dem oberen Choanenbogen.
Eine eigenthümliche, seltene Geschwulstform des oberen Pharynxraumes
wurde von Conitzer unter dem Namen des behaarten Rachenpolypen
beschrieben. Conitzer hat ausser seinem Falle noch neun ähnliche in der
Literatur auffinden können; bei allen diesen handelte es sich sieben mal um
angeborene Tumoren, in den übrigen 3 Fällen betraf es 13-, 22- und 26jährige
Individuen. Die Neubildung war immer von der linken Seite der vorderen
Pharynxwand ausgegangen, und zwar vom Pharynxdache oder von der oberen
hinteren Fläche des weichen oder harten Gaumens. Die Hauptmasse der Ge-
schwulst bestand aus Fettgewebe und ihre Bedeckung hatte die Charaktere der
behaarten äusseren Haut; in den einzelnen Fällen sind Schweissdrüsen, glatte
und quergestreifte Muskelfasern gefunden worden; letztere bildeten in der
Beobachtung von Schuchardt den Kern des Polypen. Die Haare waren meist
pigmentlos, auch hell oder dunkelblond. In einigen Fällen fand sich hyaliner
oder elastischer oder Faserknorpel mit deutlichem Perichondrium. Schuchardt
sieht diese Tumoren als parasitäre Doppelmissbildungen an (foetus in foetu),
während Conitzer mehr der Ansicht Arnold's zuneigt, der sie bei der Ent-
wicklung der Mundrachenhöhle aus verirrten Gewebskeimen entstehen lässt.
Im Falle von Conitzer handelte es sich bei einem 26jährigen Arbeiter um
einen mandelgrossen flaschenförmigen Tumor, der links neben der Uvula
NERVÖSE GEHÖRAFFECTIONEN. 367
herabhing und unterhalb der linken Choane mit einem bleistiftdicken Stiele
entsprang; die Geschwulst wurde mit der kalten Schlinge extrahirt.
KUHN.
Nervöse GehÖraffectIonen. Es ist schwer, das Gebiet der nervösen
Affectionen des Gehörorgans zu bestimmen, da im gegebenen Falle das gleich-
zeitige Bestehen anatomischer Läsionen, namentlich wenn diese unbedeutend
und einer directen objectiven Untersuchung unzugänglich sind, klinisch nicht
immer ausgeschlossen werden kann. Hiezu kommt noch, dass sich die ner-
vösen Gehörstörungen sehr oft organischen, zuweilen leichten Veränderungen
zugesellen; in derartigen Fällen kann es geradezu unmöglich werden, den
Antheil zu bestimmen, welchen die verschiedenen Factoren an dem Zustande-
kommen des Krankheitsbildes nehmen. Wir wollen uns hier, der üblichen
Classification folgend, mit der echten Hyperacusis, mit der schmerzhaften
Hyperästhesie, den subjectiven Ohrgeräuschen (obzwar diese letz-
teren in der Mehrzahl der Fälle eine organische, mehr oder weniger bedeutende
Alteration des Gehörorgans bedeuten) und schliesslich mit den verschiedenen
Formen der nervösen Taubheit (reflectorischen oder hysterischen Charak-
ters) beschäftigen.
Hyperacusis. Es müssen zwei Formen der acustischen Hyperacusis
unterschieden werden. Bei der einen handelt es sich um eine wirkliche
Steigerung der Gehörschärfe, welche die normale übertrifft. Die andere Form
könnte eher als schmerzhafte Hyperacusis bezeichnet werden und
zeichnet sich durch das Vorhandensein einer Art von Schmerz aus, welchen
Schallwirkungen, auch wenn sie von geringer Intensität sind, im Patienten
hervorrufen.
Echte Hyperacusis, Oxyecoia. Diese kommt äusserst selten vor,
und ich gestehe, dass mir mit Sicherheit kein einziger Fall begegnet ist.
Die in der Literatur angeführten Fälle sind schwer zu beurtheilen, denn oft
handelte es sich um hysterische Individuen, in welchen die psychischen Er-
scheinungen über diejenigen der Gehörsempfindungen die Oberhand gewannen,
noch öfters war die Steigerung der Gehörsschärfe nur eine scheinbare, da
die Schmerzgefühle, welche auch geringfügige und von den Anwesenden kaum
wahrgenommene Geräusche in den Kranken hervorriefen, die Hörschärfe der-
selben excessiv gesteigert erscheinen Hessen. Die gleiche Erscheinung wurde
auch bei Reizzuständen des Gehörorgans beobachtet, namentlich wenn sie
schweren intracraniellen oder Labyrinthveränderungen vorangehen.
In allen diesen Fällen wäre es von Wichtigkeit, genau die Hörschärfe
zu messen, und man würde sehr wahrscheinlich hiebei erkennen, dass die-
selbe die normalen Grenzen nicht überschreitet.
Die schmerzhafte Hyperacusis hingegen kommt in der Praxis
oft vor; sie kann, namentlich bei nervösen Individuen, bei normaler Hör-
schärfe und Integrität des Gehörorgans beobachtet werden; gewöhnlich jedoch
gesellt sie sich zu einer mehr oder weniger deutlichen Herabsetzung der
Hörschärfe und in aussergewöhnlichen Fällen wurde sie auch bei vollstän-
digem Fehlen jedweder acustischen Empfindung constatirt.
Die schmerzhafte Hyperacusis manifestirt sich oft nach Entfernung von
grossen Cerumenpfröpfen, welche den äusseren Gehörgang vollständig aus-
füllen und schon seit vielen Jahren bestanden. In derartigen Fällen wird
das Gehörorgan, welches lange Zeit hindurch acustischen Reizen entzogen
war, da es plötzlich denselben wieder ausgesetzt wird, schmerzhaft berührt.
Man kann jedoch deshalb nicht sagen, dass die Hörschärfe feiner sei als
unter normalen Umständen, ebensowenig als die Blendung eines Auges, das
lange Zeit hindurch im Dunkeln gehalten wurde und plötzlich einem hellen
368 NERVÖSE GEHÖRAFFECTIONEN.
Lichte ausgesetzt wird, eine Zunahme der Sehschärfe bedeutet. Die schmerz-
hafte Hyperacusis ist übrigens in diesen Fällen nur vorübergehend und ver-
schwindet gewöhnlich in wenigen Stunden.
Die in Rede stehende Krankheitsform zeigt sich oft auch bei hysterischen
Individuen und kann als acustisches Aequivalent der hysterischen Otalgien, die
in derartigen nervösen Individuen vorkommen, angesehen werden. Bei einigen
der von mir beobachteten Patienten dieser Art war auffallend, dass auch schwache,
aber continuirliche Geräusche ihnen Beschwerden verursachten, so z. B. das
Herumgehen in dem über ihrem Wohnzimmer gelegenen Stockwerke, der Gesang
der Vögel, das tik-tak eines Pendels, während andererseits sehr intensive, aber
nicht continuirliche Geräusche (Kanonenschüsse in der Nähe) von denselben
ganz gut vertragen wurden.
Der Schmerz, welchen manche Patienten wegen intensiver Geräusche
empfinden, kann so bedeutend sein, dass sie energische Bewegungen machen
um sich instinctiv von der Schallquelle zu entfernen. Eine Frau, die ich
zu beobachten Gelegenheit hatte, welche Residuen einer eitrigen Mittelohr-
entzündung mit Anlöthungen in der Trommelhöhle und Symptome einer
schweren, allgemeinen, nervösen Ueberreizbarkeit mit hysterischem Charakter
darbot, fiel vom Sessel unwiderstehlich auf die Erde, wenn man sich dem
erkrankten Ohre derselben mit einer Stimmgabel, auch der mittleren Octaven,
mit massiger Schwingung näherte. In noch anderen Fällen ruft ein intensiver
Schall Schwindel- und sogar Ohnmachtsanfälle hervor.
Subjective Ohrgeräusche. Die Ohrgeräusche müssen in subjective
und objective unterschieden werden. Die ersteren sind gewissermaassen vir-
tuell und hängen von einer Reizung des schallempfindenden Apparates (Hör-
nerv und seine Endigungen im Labyrinthe) ab; die letzteren sind hingegen
wirkliche Geräusche, welche im Ohre selbst oder in dem ihm nahelegenen
Organen entstehen und aus irgend welchem Anlasse mit besonderer Intensität
dem Gehörapparat mitgetheilt werden (innere Ohrgeräusche).
Wir wollen uns hier blos mit den subjectiven Geräuschen beschäftigen.
Diese sind grösstentheils durch anatomische Läsionen des Gehörorgans bedingt,
welche eine Reizung des schallempfindenden Apparates verursachen, und wenn
man auch in einzelnen Fällen das Bestehen solcher Läsionen im Lebenden
nicht mit Sicherheit nachweisen kann, so müssen sie doch jedenfalls als sehr
wahrscheinlich angenommen werden. Eine genaue functionelle Prüfung lässt
in der That leichte Verminderung der Hörschärfe erkennen.
Die Ursachen, welche öfters eine Reizung des schallempfindenden
Apparates bedingen, können in folgende Kategorien eingetheilt werden:
Auf das Labyrinth, a) Es kommt eine Steigerung des Druckes inner-
halb des Labyrinthes, durch Lageveränderung der Steigbügelplatte, vor, und
zwar kann dies auf verschiedene Weise erfolgen: durch Druck eines fremden
Körpers auf das Trommelfell, wodurch dieses sammt der Kette der Gehör-
knöchelchen nach innen verschoben wird, oder durch Verdünnung der Luft
in der Trommelhöhle mit nachfolgender Retraction des Trommelfells und der
Kette der Gehörknöchelchen oder schliesslich durch Ansammlung von Exsudat
in der Trommelhöhle, namentlich in der Gegend der Labyrinthfenster u. s. w.
h) Hyperämie des Labyrinthes, entweder direct, wie bei gewissen Intoxi-
cationen, oder indirect durch Diffusion vom mittleren Ohr oder auf reflexem
Wege bei Otitis media et externa acuta.
c) Entzündliche Processe des inneren Ohres.
Auf den Nervenstamm, Kerne und corticale Centren des Acusti-
cus kann eine Reihe intracranieller Reize einwirken, die wir hier nicht auf-
zählen wollen.
Der schallempfindende Apparat reagirt, bei gesunden Individuen unter
physiologischen Umständen auf mechanische, acustische, elektrische oder
NERVÖSE GEHÖRAFFECTIONEN. 369
von den Gefässen ausgehende Keize mit einem sehr hohen Schalle von
fast constanter Tonhöhe (Tirritus aurium). Eine Gruppe von Gehörzellen
oder Nervenfasern wird also von Keizen im allgemeinen leichter berührt,
und zwar wahrscheinlich wegen besonderer anatomischer Verhältnisse, die
namentlich von der Gefässversorgung abhängig sind. Mit Hilfe der Theo-
rie von Helmiioltz, welche den zelligen Elementen der Basilarwindung
der Schnecke die Perception hoher Töne zuschreibt, kann auch die That-
sache erklärt werden, warum die elektrischen und mechanischen Reize vor-
wiegend jene zelligen Elemente treffen, welche in der Nähe der Labyrinth-
fenster gelegen sind, durch welche ja gewöhnlich die Reize ins Labyrinth
eindringen. Bei Steigerung der Intensität des Reizes können auch solche
Elemente getroffen werden, welche den mittleren Tönen entsprechen.
Die pathologischen, subjectiven Geräusche lassen mit Rücksicht auf die
Tonhöhe drei Typen erkennen:
1. Tiefe Geräusche.
2. Hohe musikalische Geräusche, welche dem physiologischen Klingen
ähnlich sind.
3. Musikalische Geräusche von verschiedener Tonhöhe.
Diese drei Arten von Geräuschen können isolirt sein, oder sie com-
biniren sich in verschiedener Weise.
L Am häufigsten kommen Geräusche von tiefer Tonhöhe vor, die sich
oft (64 Schwingungen) nähern und von den Kranken mit dem Geräusche des
Windes zwischen den Blättern oder des Regens oder eines fliessenden Stromes
u. s. w. verglichen werden, Sie kommen bei chronischem Katarrh, Mittel-
ohrverletzungen, wie auch bei langsamen Krankheitsprocessen vor, welche
vom Mittelohre durch die Labyrinthfenster hindurch auf das innere Ohr über-
greifen.
Diese Erscheinung könnte möglicherweise einer Reizung der percipiren-
den Elemente des Vorhofes zugeschrieben werden. Diese Geräusche können
in den Krankheitsformen, welche auf das Mittelohr beschränkt bleiben, von
vorübergehendem Charakter sein; wenn sie aber continuirlich sind, dann ist
auch die Prognosis eine schwere, da dann die Geräusche mit permanenten
Circulationsstörungen im Vorhofe zusammenhängen.
n. Der hohe musikalische Klang hat gewöhnlich die Tonhöhe des phy-
siologischen Klingens (C4,C5), zuweilen ist er tiefer (ungefähr Cg); er steht
in Beziehung zu einer diffusen Reizung des gesammten schallempfindenden
Apparates und kommt mit transitorischem Charakter bei acuten Vergiftungen
mit Chinin und salicylsauren Salzen und permanent bei entzündlichen Pro-
cessen im inneren Ohre vor.
HL Die subjectiven Geräusche, welche musikalischen Klängen von ver-
schiedener Tonhöhe, wie z. B. einer Glocke, einer Trompete oder eines Or-
chesters ähnlich sind, werden durch schwere Alterationen des Perceptions-
apparates hervorgebracht, und sie sind es, welche auf das Vorhandensein ana-
tomischer Läsionen des inneren Ohres schliessen lassen. Wenn jedoch die
subjectiven Geräusche den Charakter von Harmonien, Melodien oder von
Stimmen annehmen, dann deuten sie eine Reizung der entsprechenden Gehirn-
centren an.
Der intermittirende Charakter oder die Continuität der subjectiven Ge-
räusche hat eine sehr bedeutende prognostische Wichtigkeit, und wenn sie
nach Versuchen einer Correction der abnormen Stellung der Gehörknöchelchen
(Lufteintreibung in die Trommelhöhle u. s. w.) unverändert bleiben, dann
kann vermuthet werden, dass sie ihren Sitz im Labyrinthe selbst haben. Die
Geräusche wechseln fast in allen Fällen an Intensität je nach der Einwirkung
einer ganzen Serie von Ursachen, und man kann sagen, dass alle Umstände,
welche auf die Circulation des Gehörorgans störend einwirken, auch den Grad
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopf krankheiten. ^4
370 NEOPLASiMEN DES KEHLKOPFES.
der Geräusche verschlimmern. (Starke Gemüthseindrücke, Ermüdung des
Körpers und des Geistes, Gebrauch von reizenden Substanzen, Allgemein-
erkrankungen u. s. w.)
Die Geräusche werden von den Kranken gewöhnlich im Inneren des
Gehörorgans localisirt, zuweilen sind sie, und zwar hauptsächlich dann, wenn
beide Ohren angegriffen sind, diffus auf dem ganzen Kopfe verbreitet, viel
seltener werden sie nach aussen verlegt, und können bei psychopathischen
Individuen zu Hallucinationen Anlass geben. Sie kommen nicht bei allen
krankhaften Processen des Gehörorgans vor und fehlen gewöhnlich bei den
eitrigen Mittelohrentzündungen mit chronischem Verlaufe und in gewissen
Formen von progressiver Taubheit, welche durch chronischen Katarrh des
Mittelohres entstehen, während sie in anderen Fällen, bei anscheinend gleichem
klinischem Verlaufe, das schwerwiegendste Symptom darstellen. Das Fehlen
oder Vorhandensein der Geräusche in diesen Fällen kann durch die Eigen-
thümlichkeiten der Localisation des krankhaften Processes erklärt werden.
Man kann im allgemeinen sagen, dass die subjectiven Geräusche ein
schweres Symptom der chronischen Ohrerkrankung darstellen, welche dem
Kranken zuweilen viel mehr Beschwerden als die Taubheit selbst ver-
ursachen. Eine aufmerksame, klinische Beobachtung zeigt in den meisten
Fällen von progressiver Taubheit, dass während die Geräusche erst aufzutreten
beginnen, die Taubheit schon seit Jahren, und zwar in fortschreitender Zu-
nahme bestanden hat, wenn auch diese Thatsache vom Kranken nicht wahr-
genommen wurde. Dies erklärt uns auch, warum unter solchen Umständen
die Geräusche nur schwer zum Schwinden gebracht oder modificirt werden
können; sie entsprechen eben einem schon zu stark vorgeschrittenen Stadium
der chronischen Erkrankung.
Es geht aus dem Gesagten hervor, dass die Behandlung der subjectiven
Geräusche mit der Behandlung der vorhandenen Ohrkrankheit Hand in Hand
gehen muss, von der sie ja nur ein Symptom darstellen; ja man kann noch
weiter gehen und behaupten, dass, mit Ausnahme bestimmter Fälle, die Besse-
rung oder Verschlimmerung der subjectiven Geräusche das sicherste Kriterium
zur Feststellung der Methode abgeben, die wir in der Therapie der bestehen-
den Erkrankung des Ohres anwenden müssen. Sämmtliche palliative Mittel,
welche in den Handbüchern angegeben und direct auf das Ohr oder in dessen
Nachbarschaft angewendet werden, ergeben, nach meinen Erfahrungen, gar
keine oder nur vorübergehende Resultate, und es sind deshalb blos beruhigende
Arzneimittel, zumal Bromkalium, zu empfehlen, um dem Kranken sein Leiden
zu erleichtern. Zuweilen hilft auch die Galvanisation des Ohres, aber nur
vorübergehend, und es ist Grund zur Annahme vorhanden, dass die durch
die Galvanisation erhaltenen guten Resultate eher einer beruhigenden Wirkung
derselben auf das Nervensystem im allgemeinen als auf das Ohr selbst zu-
geschrieben werden müssen. gradenigo.
Neoplasmen des Kehlkopfes. {KeMkojjfgeschvUlste, Neoplasmata la-
rt/ngis.) Begriffsbestimmung. Es soll hier nur die eigentliche Neubil-
dung betrachtet werden, nicht aber die Schwellung, welche durch acute oder
chronische Entzündung hervorgerufen wird. Man bezeichnet die Neubildungen
des Kehlkopfes öfters auch zusammen als Polypen, wie sich überhaupt in
der Medicin die Gewohnheit eingebürgert hat, Neubildungen in Körperhöhlen
so zu benennen, besonders Avenn sie gestielt sind. Eppinger dagegen versteht
unter Kehlkopfpolyp eine umschriebene Neubildung, welche alle Bestandtheile
der Kehlkopfschleimhaut und des submucösen Gewebes enthält. Wegen dieser
verschiedenartigen Auflassung des Wortes Polyp dürfte es sich daher empfeh-
len, diesen Ausdruck nicht mehr zu gebrauchen, sondern von Neubildungen
zu reden. Der Ausdruck Geschwulst kann leicht zur Verwechslung führen mit
NEOPLASMEN DES KEHLKOPFES. . 371
Entzündungen, tuberkulösen, syphilitischen oder durch andere Dyskrasien ver-
anlassten Schwellungen.
Allgemeine Eintheilung. Die Kehlkopfneubildungen theilt man
im allgemeinen ein in gutartige und bösartige. Schon bei dieser Unter-
scheidung macht sich eine grosse Schwierigkeit geltend. Als Kennzeichen
der gutartigen Neubildung wird nämlich angenommen 1. Strenges Beschränkt-
sein auf den Kehlkopf, 2. keine Neigung zum Zerfall oder zur Blutung,
3. sie macht nur durch Grösse oder Sitz Störungen in Bezug auf Stimme
und Athmung, 4. keine Neigung zur Infection der benachbarten Lymphdrüsen
oder zur Metastasenbildung.
Wenn wir diese Merkmale gelten lassen, so müssten von den gutartigen
Neubildungen auch die Enchondrome und Schilddrüsengeschwülste aus-
geschieden werden. Gewöhnlich aber rechnet man nur die Sarkome, Lympho-
sarkome und Carcinome zu den bösartigen. Es wird sich also hier empfehlen,
das Fibrom, das Papillom, die Cyste, das Lipom, Myxom, Angiom, Adenom
und die Ekchondrosen als entschieden gutartig zu betrachten, dagegen p]n-
chondrom, Thyreoidealtumor, Sarkom, Lymphosarkom und Carcinom als bös-
artig zu bezeichnen.
Das Carcinom wird in einem eigenen Artikel behandelt (vide pag. 56
ds. Bds.). Die einzelnen Arten beider Classen werden nach ihrer histo-
logischen Structur unterschieden.
Vorkommen und Häufigkeit. Vor der Erfindung des Kehlkopf-
spiegels wurden nur wenige Neubildungen im Kehlkopf beschrieben und noch
weniger operirt. Nach Ziemssen's Angabe dürften nicht mehr als 80 Fälle
zu dieser Zeit bekannt worden sein. Mit der Einführung des Kehlkopf-
spiegels aber häuften sich die Beobachtungen, und nachdem v. Bruns 1861
die erste endolaryngeale Operation einer Kehlkopfneubildung ausgeführt hatte,
auch die Operationen ausserordentlich.' Einzelne Laryngologen konnten schon
in den Siebzigerjahren mehrere 100 Fälle veröffentlichen; trotzdem ist aber
ihr Vorkommen kein häufiges, wenn man nämlich alle Patienten, die wegen
Hals- oder Nasenleiden den Arzt aufsuchen, berücksichtigt. So machen die
Neubildungen des Kehlkopfes nach meiner Statistik nur 0-89 7o aller dieser
Leiden aus; also auf 100 Patienten kommt noch nicht einer mit Kehlkopf-
neubildung. Fauvel fand etwas mehr als 1%; M. Schmidt I'ö^q.
Ich verfüge, alles zusammen, über eine Zahl von 20.000 Patienten,
von denen wohl mehr als die Hälfte an der Nase oder im Rachen ki'ank
waren, sodass vielleicht nur 8000 am Kehlkopfe litten. Bei diesen fanden
sich 178 Neubildungen des Kehlkopfes, also etwas über 2% aller Kehlkopf-
leiden.
Rechnet man zu den Neubildungen aber auch die sogenannten Entzün-
dungsknötchen oder Sängerknötchen an den Stimmbändern, die in 50 Fällen
beobachtet wurden, so kommt eine höhere Procentzahl zustande, nämlich
2-857o.
Unter diesen 178 Fällen waren 90 Fibrome, 35 Papillome, 7 Cysten,
5 sogenannte Schleimpolypen, 37 Carcinome, 2 fibröse Polypen, eine "harte
Warze und ein Angioma.
Von diesen 178 Fällen betrafen nur 21 weibliche Patienten; dagegen
wurden die Sängerknötchen öfters bei Frauen als bei Männern beobachtet.
Die Papillome wurden in 5 Fällen bei Individuen unter 20 Jahren gesehen,
Carcinome nur bei einem Alter von über 40 Jahren beobachtet. Unter meinen
141 Fällen von gutartigen Neubildungen betrafen nur 19 w^eibliche Patienten.
Rechnet man aber die Sängerknötchen auch noch dazu, welche bei 35 weib-
lichen und 15 männlichen Individuen beobachtet wurden, so bekommt man
andere Verhältniszahlen; nämlich unter 191 gutartigen Neubildungen wurden
24*
Fauvel . . .
. 300 Fälle
M. Mackenzie .
• 287 „
SCHRÖTTER . .
. 391 „
Chiari . . .
• 191 „
372 NEOPLASMEN DES KEHLKOPFES.
54 bei weiblichen Individuen gesehen. Die Statistiken anderer Beobachter
weisen folgende Verhältniszahlen bei den gutartigen Neubildungen auf:
männL weibl.
. . . 770/0 23%
. . . 69»/o 31«/o
. . . 67-87o 22-27o
• . . 72% 28%
Aetiologie. Dieselbe ist wie überhaupt bei allen Neubildungen eine dunkle.
Im allgemeinen nimmt man öfters wiederholte, leichte Reize als Ursache an.
Wir sehen trotzdem jene Leute, welche ihre Stimme stark anstrengen, die öfters
wiederholten Temperatursänderungen, dann dem Einlluss von Staub und Rauch
ausgesetzt sind, nicht auffällig oft an Neubildungen des Kehlkopfes erkranken,
obwohl anderseits die grössere Häufigkeit des Leidens bei Männern uns den
Gedanken nahelegt, dass die öftere Einwirkung obiger Schädlichkeiten daran
Schuld trägt. Es muss also noch eine gewisse Disposition dazu kommen.
Diese kann angeboren oder erworben sein. So beobachtete ich erst vor
kurzem bei einem jungen Manne eine Stimmbandneubildung, und erfuhr von
ihm, dass auch sein Vater daran gelitten habe. Wahrscheinlich dürfte eine
solche angeborene Disposition öfters vorkommen, sich aber meist der Be-
obachtung entziehen, weil die Eltern der jetzt in das Polypenalter kommenden
Generation meist noch in der Zeit vor der Erfindung des Kehlkopfspiegeis
lebten, daher ihre etwa vorhandene Kehlkopfneubildung nicht diagnosticirt
wurde. Für eine gewisse Art der Kehlkopfneubildungen, nämlich für die
Papillome, die sich nicht selten im jugendlichen Alter, manchmal sogar vor
der Geburt entwickeln, muss eine angeborene Disposition entschieden ange-
nommen werden.
Es hat schon Oertel darauf hingewiesen, dass diese Papillome beson-
ders bei Individuen beobachtet werden, die mit Anämie, Chlorose, Scrophu-
lose behaftet sind, während andere Beobachter dies nicht constatiren konnten.
Als weitere Ursache ist gewiss der chronische Katarrh zu bezeichnen,
wenn auch viele hervorragende Forscher, so Schröttter, diesen Katarrh
mehr als Folge der Neubildung ansehen. Man sieht nämlich häufig die Neu-
bildung im Larynx von Katarrh begleitet und erfährt, dass die Patienten
schon viele Jahre vorher oft vorübergehend an Heiserkeit litten. Man sieht,
dass nach Entfernung der Neubildung der Katarrh oft noch fortdauert und
erst durch eine besondere Behandlung beseitigt werden kann. Endlich ent-
wickeln sich oft bei chronischen Katarrhen bis stecknadelkopfgrosse, um-
schriebene Verdickungen an den Rändern der Stimmbänder (Sängerknötchen),
welche aus verdicktem Epithel und theilweise auch aus Bindegewebe bestehen
und oft symmetrisch an beiden Seiten liegen, und in anderen Fällen be-
obachtet man an derselben Stelle des Stimmbandes sogenannte Fibrome.
Diese so häufige Localisation der Sängerknötchen und der sogenannten
Fibrome in der Mitte oder am Uebergange vom mittleren zum vorderen Drittel
des Stimmbandrandes legen den Gedanken nahe, dass der Schwingungs-
Mechanismus der Stimmbänder Schuldan der Wahl dieses Ortes trägt. Schnitzler
suchte die Sache so zu erklären, dass an diesem Punkte häufig ein Schwin-
gungsknoten entsteht, während Störk geradezu annimmt, dass dieser Punkt
bei der Phonation die grösste Erschütterung erleidet. Jedenfalls steht die
Thatsache fest, dass bei leichter Schleimbildung im Kehlkopf während der
Phonation gerade an diesem Orte kleine Schleimklümpchen sich festsetzen.
Es wirken also bei der Entstehung der Kehlkopfneubildung congenitale,
dyskrasische, dann in der Function der Stimmbänder begründete mechanische
und äussere Ursachen mit, obwohl die chronischen Katarrhe nach meiner
Ansicht die Hauptrolle spielen.
NEOPLASMEN DES KEHLKOPFES. 373
Histologische Eintheilung der Neubildungen. Nach ihrer histo-
logischen Beschatienheit unterscheidet man Fibrome, Papillome, Cysten,
Myxome, Lymphangiome, Angiome, Varices, Adenome, Myome, Lipome, Thyreoi-
dealtumoren, Ekchondrosen, Lnchondrome, Sarkome, Lymphosarkome, Car-
cinome.
lieber ihre relative Häufigkeit liegen sehr abweichende Angaben vor;
jedoch stimmen sie alle darin überein, dass Fibrome, Papillome und Carciiiome
am häufigsten beobachtet werden. Ein Blick auf die beiliegende Tabelle
lehrt dies sofort. Auöallend ist hauptsächlich die Verschiedenheit der Procent-
zahlen bei Fibrom und Papillom. Nach Morel, Mackf:nzip:, Fauvel, Klh-
BERG, Massei, Jurasz, Tobold und Störk machen die Papillome 47 bis
687o, die Fibrome dagegen 14 bis 31% aller gutartigen Neubildungen aus.
Nach ScHRöTTER, Rosenberg (Berlin), M. Schmidt (Frankfurt a/M.) und
mir beträgt die Procentziffer für Papillome von 11 bis 25, für Fibrome da-
gegen von 43 bis 69, wobei die Sängerknötchen nicht gerechnet sind.
Diese Verschiedenheit in der relativen Häufigkeit des Papilloms und
Fibroms katn kaum ihren Grund haben in localen Verhältnissen, da z. B.
Heidelberg, wo Jurasz wirkt, und Frankfurt a/M. doch in Klima und Bevölkerung
nicht gar so different sind, während die Procentzahlen für Papillome dort 62 und
hier 11 betragen. Wahrscheinlich liegt der Grund in der verschiedenen Auf-
fassung des Begriffs Papillom, so dass z. B. vielleicht einzelne Autoren auch
die papillären Excrescenzen bei Tuberkulose, Syphilis und ähnlichen Leiden
zu den Papillomen rechneten. Auch manche Fibrome haben eine grobhöckerige
Oberfläche, doch niemals einen papillären Bau; daher können sie makro-
skopisch mit Papillomen verwechselt werden.
Schon Paul Bruns, der im Jahre 1878 eine Statistik von 1100 gut-
artigen Kehlkopfpolypen aufstellte, betont diese Abweichungen in den Pro-
centzahlen der Fibroide (so sagt er statt Fibrome) und der Papillome. Er
verwertet die Angaben von M. Mackenzie, v. Bruns, Tobold, Fauvel,
Oertel, Störk, Hopmann, Böcker und seine eigenen und erwähnt, dass bei
den englischen und französischen Beobachtern die Papillome, bei den deutschen
die Fibroide überwiegen. Die Erklärung dafür sucht er auch in verschiedener
Benennung der Geschwülste und in dem Umstände, dass in diese Statistik
besonders viele Fälle von Polypen des kindlichen Alters aufgenommen wurden,
die fast immer zu den Papillomen gehören.
Nach diesen Ausführungen glaube ich, dass viele Autoren Tumoren
als Papillome gezählt haben, die eigentlich zu den Fibromen gehören.
Dafür spricht auch das Ergebnis der von Felix Semon in London
1888 — 1889 veranstalteten Sammelforschung betreffs des Ueberganges gut-
artiger Kehlkopfneubildungen in bösartige. Von 107 Beobachtern, wozu fast
alle hervorragenden Laryngologen der ganzen Welt gehörten, wurde über
10,747 gutartige und 1550 bösartige Kehlkopfneubildungen berichtet.
Von diesen waren 4190 Papillome, also nur 39% aller gutartigen Neu-
bildungen, mithin lange nicht die Hälfte. Die Cysten, Myxome, Lipome
und Angiome sind aber relativ so selten, dass für die Fibrome (die leider in
Semon's Sammelforschung nicht besonders aufgezählt sind) gewiss die grössere
Procentzahl anzunehmen ist. Eine Zahl ist noch in der Tabelle zu be-
sprechen, nämlich die 53 Myxome Fauvel's unter 300 Polypen. Faüyel"s
Angaben beruhen offenbar auf Verwechslung von ödematös durchtränkten
Fibromen mit dem eigentlichen Myxom, wovon später mehr die Rede
sein soll.
374
NEOPLASMEN DES KEHLKOPFES.
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02
M. Mackenzie
1871
100 Söo/o
67%
Stoerk 1872 .
36 69%
19%
Tobold 1874 .
Oertel 1875. .
206 48%
68 57%
29%
35%
fauvel 1876 .
300
5%
69%
18%
P. Bruns 1878
1100
31-4%
54-7%
2-4%
6-6%
Sammel-
forsohung
Eisberg 1880 .
310
54%
Massei 1885. .
200
16%
47%
Semon 1889. .
10747
39%
^1550
Sammel-
forsclinng
Jurasz 1891 .
192
14%
10%
62'"o
7%
1-6%
15
6
8 un-
bestimmt
Schrötter 1892
391
18-5%
Rosenberg 1893
152
43%
25%
^
3^
M.Sclimidtl894
424
60%
25-7%
11%
2%
0-2%
l"/»
75
3
Chiari .....
191
51%
26%
18-3%
3-6%
0-5%
37
Symptome. Bei den gutartigen Neubildungen sind die subjectiven meist
sehr gering ; da Schmerzen immer fehlen, kann höchstens von einem Fremd-
körpergefühl die Rede sein. Dasselbe äussert sich manchmal als Kitzel oder
in seltenen Fällen als ein fortwährender Reiz zum Husten. Die objectiven
Symptome sind sehr verschieden nach der Grösse, dem Sitz und der Beweg-
lichkeit der Geschwülste; es sind wesentliche Störungen der Stimme und der
Athmung, nur selten ist das Schlingen gehindert, wenn nämlich die Ge-
schwulst sehr gross ist und über den Kehlkopf herausragt. Bösartige Neu-
bildungen dagegen veranlassen oft Schmerz und hochgradige Störungen in
Athmung und Schlingen (s. „Carcinoma laryngis^' pag. ,56 ds, Bd.).
Ganz kleine Knötchen an dem Stimmbandrande verursachen gewöhnlich
keine Störung, wenigstens beim Sprechen; beim Singen aber behindern sie
häufig die Bildung einzelner höherer Töne, nämlich in piano. Sie veranlassen
deshalb fast nur Sänger, den Arzt aufzusuchen. Grosse Polypen dagegen er-
zeugen fast immer starke Störungen in der Stimmbildung auch beim Sprechen,
so zwar, dass länger dauernde Heiserkeit bei einem gesunden Menschen vor
allem den Verdacht auf Kehlkopfneubildung erwecken muss. Die Stimm-
störungen sind übrigens verschieden je nach Grösse, Sitz und Art der An-
häufung des Gebildes. Sie stehen durchschnittlich (ceteris paribus) mit der
Grösse in geradem Verhältnisse. Was den Sitz anlangt, so werden alle auf
dem Stimmband sitzenden Neubildungen (und das ist die grosse Mehrzahl)
mehr Heiserkeit erregen als solche, die anderswo angeheftet sind. Von der
grössten Bedeutung ist die Art der Anheftung und die Beweglichkeit der Ge-
schwülste. Breit aufsitzende, unbewegliche Geschwülste werden gleichblei-
bende Heiserkeit bedingen, gestielte dagegen können, wenn sie unter die
Stimmbänder zu liegen kommen, die Stimme fast rein lassen. Sowie sie aber
zwischen den Stimmbändern eingeklemmt werden, behindern sie die Schwin-
gungen derselben sehr bedeutend; daher ist der schnelle Wechsel in der
Stimmstörung charakteristisch für gestielte Polypen. Endlich können auch
breit aufsitzende, doch weiche Geschwülste, ohne Heiserkeit zu erregen, bestehen,
sie werden nämlich einfach zwischen den Stimmbändern eingeklemmt und von
ihnen bei der Phonation ganz zusammengepresst. Eine besondere Art der
Stimmstörung, die man hauptsächlich bei Fibromen beobachtet, ist die
Diphtonie. Dieselbe besteht darin, dass zugleich zwei Töne von verschiedener
Höhe gebildet werden, und wird nach Türck wahrscheinlich bedingt durch
NEOPLASMEN DES KEHLKOPFES. 375
Theilung der Glottis in zwei tönende Spalten. Die dabei gebildeten Töne
stehen verschieden weit von einander ab. Der Doppelton wird manchmal
bei jedem Ton beobachtet, manchmal nur bei der Hervorbringung gewisser
Töne. Einmal beobachtete ich das Auftreten der Diphtonie nach Exstirpation
eines kleinen Knötchens an einem Stimmbandrande; die Operation war von
einem Fachcollegen sehr exact durchgeführt worden; wahrscheinlich war hier
eine seichte Narbe am Stimmbandrande vorhanden, obwohl derselbe ganz
gerade aussah und makroskopisch nicht die geringste Vertiefung zeigte.
Sehr selten entstehen durch den Reiz der Neubildung vorübergehende
Spasmen. Die Ursache dieses seltenen Auftretens des sonst bei fremden
Körpern im Kehlkopf so prompt erscheinenden Stimmritzenkrampfes liegt
wohl in der Gewöhnung des Kehlkopfes an den langsam entstehenden Polypen.
Mechanische Athmungsbeschwerden kommen begreiflicher Weise nur bei
grossen Polypen vor; besonders grosse gestielte Polypen, die, gewöhnlich unter
den Stimmbändern liegend, keine wesentlichen Athembeschwerden machen,
können plötzlich in der Stimmritze eingeklemmt werden und Erstickung hervor-
rufen. Weniger bewegliche Geschwülste veranlassen allmählich zunehmende
Athmungsbehinderung, welche zu einem äusserst hohen Grad gedeihen kann,
ohne Erstickung hervorzurufen.
Diagnose. Wenn es auch, wie schon früher erwähnt wurde, gewöhnlich
gelingt, aus der Anamnese, aus der allgemeinen Untersuchung und besonders
aus der Stimmstörung das Vorhandensein einer Kehlkopfneubildung mit Wahr-
scheinlichkeit zu erkennen, so gibt doch erst die laryngoskopische Unter-
suchung Sicherheit darüber und über Art, Grösse, Sitz der Neubildung, wovon
im Speciellen mehr die Rede sein soll.
Therapie. Dieselbe muss fast immer eine operative sein. Spontan er-
folgt nämlich die Entfernung der Neubildung nur ausnahmsweise und dann
unvollständig bei Papillomen. Auch Einathmungen, Pinselungen oder Aetzungen
führen höchstens bei den an der Grenze zwischen Entzündung und Neubildung
stehenden sogenannten Sängerknötchen manchmal zum Ziele. Will man also
die Neubildung entfernen, so bleibt nur die Operation über. Contraindicirt ist
dieselbe nur bei hochgradiger Schwäche des Patienten, bei gutartigen, kleinen,
nicht störenden und voraussichtlich nicht wachsenden Tumoren (was natürlich
schwer festzustellen ist) und endlich bei sehr ausgebreiteten bösartigen Neu-
bildungen.
Was die Geschichte der endolaryngealen Operation anbelangt,
so sind aus der Zeit vor der Erfindung des Kehlkopfspiegels die Nachrichten
sehr selten. Da die Neubildung meist nicht diagnosticirt werden konnte, be-
schränkte sich ihre Behandlung auf die Beseitigung der durch sie hervorge-
rufenen Stenose des Kehlkopfes. Uebrigens wird ein Fall von Fibrom des Kehl-
deckels erwähnt, der vom Munde her entfernt wurde. (Derselbe Hess sich bei
herunter gedrückter Zunge von vorne direct sehen.) Sonst machte man die Spal-
tung des Kehlkopfes und entfernte dann erst die Neubildung. Der erste, w^ elcher
eine Kehlkopfneubildung endolaryngeal unter Leitung des Spiegels entfernte, war
Victor v, Beuns, welcher im Jahre 1861 seinen Bruder von einem solchen
Gewächse befreite. Er bediente sich dazu eines scheerenartigen Instrumentes.
Seither hat sich die Anzahl solcher endolaryngealer Operationen ausserordent-
lich vermehrt, so dass viele Laryngologen über hunderte von Fällen berichtet
haben. Jetzt bedient man sich zur Operation kleiner weicher Geschwülste
meist der Kehlkopfpincette oder des Quetschers. Man fasst die Geschwülste
knapp an ihrem Ansatz, quetscht sie etwas und entfernt sie dann mit einem
leichten Rucke von ihrer Basis. Man wartet nun einige Minuten, bis die
meist geringe Blutung aufgehört hat, entfernt noch etwaige Reste, bis die
Ansatzstelle ganz eben ist. Zweckmässig ist es, den nächsten Tag nochmals
eine genaue Besichtigung vorzunehmen, um etwaige früher durch kleine Blut-
376 NEOPLASMEN DES KEHLKOPFES.
klümpchen verdeckte Reste der Geschwulst wieder sorgfältig zu entfernen. Hat
man sich endlich davon überzeugt, dass die Basis vollständig glattrandig ist, so
wird die Ansatzstelle mit Lapis in substantia geäzt. Diese endolaryngeale Opera-
tion wird nach vorhergegangener Anasthesirung des Kehlkopfes mit Cocain
ausgeführt. Man bedient sich dazu einer 20 bis oO^oigen Lösung von Cocain
mur. in Wasser und pinselt dieselbe mit einem feinen Haarpinsel energisch
auf die Schleimhaut des Kehlkopfes auf. Bei grosser Empfindlichkeit des
Patienten hat man. früher auch den Zungengrund, den weichen Gaumen, die
Mandeln und die hintere Eachenwand ebenso zu bepinseln. Nach der Ein-
pinselung wartet man eine halbe Minute und prüft dann mit der Kehlkopf-
sonde, ob die Empfindlichkeit ganz geschwunden ist. Ist das nicht der Fall,
so wiederholt man die Pinselung eventuell 5 bis 6mal. Die Operation hat
stattzufinden, wenn der Patient ausgeruht ist und leeren Magen hat. Sonst
kann leicht der Brechreiz hinderlich sein. Nur sehr selten wirkt die Cocaini-
sirung nicht vollständig anästhesirend, noch seiteuer hat sie üble Folgen.
Zwar stellt sich sehr bald ein unangenehmes Gefühl von Kälte oder Lähmung
im Rachen und Kehlkopf ein, ja die Patienten behaupten oft, dass sie nicht
athmen könnten, doch beobachtet man schlimme Erscheinungen, eigentliche
Intoxicationen, bei dieser Methode nur sehr selten. Natürlich muss man immer
den Patienten ermahnen, ja nichts von der Flüssigkeit zu schlucken. Merk-
w^ürdigerweise gelingt die Anasthesirung durch Cocain bei Kindern häufig
nicht gut.
Vor der Einführung des Cocains waren diese Operationen sehr schwierig.
Gewöhnlich gelang es zwar in zwei bis drei Tagen die Neubildung zu ent-
fernen, ja in einzelnen Fällen konnte man ohne jede Vorbereitung operiren.
Sehr häufig jedoch musste man den Patienten durch vier bis fünf Tage, ja
manchmal durch mehrere Wochen zur Operation vorüben. Diese Vorübung
bestand in der oftmaligen Einführung einer Sonde in den Larynx. Ferner
gelang es fast nie, den Kehlkopf vollständig unempfindlich zu machen, so
dass alle Operationen mit einer besonderen Geschwindigkeit ausgeführt werden
mussten, und eine besondere Geschicklichkeit dazu gehörte. In seltenen
Fällen endlich konnte auch der geschickteste Operateur die Geschwulst nicht
entfernen wegen der Empfindlichkeit des Patienten. Dann musste man seine
Zuflucht nehmen zu der von Türck eingeführten und von Schrötter modi-
ficirten localen Anasthesirung mit Morphin-Bepinselung. Dieselbe wurde in
folgender Weise ausgeführt. Abends, beiläufig um 6 Uhr, wurde der Patient
12mal mit reinem Chloroform im Larynx gepinselt, um eine starke Hyperämie
der Schleimhaut zu erzeugen. Diese Procedur war sehr unangenehm, da sie
starkes Brennen im Halse veranlasste. Eine Stunde darnach wurde der
Patient 12mal hintereinander mit einer Lösung von O'bg Morphii muriatici
in 5 ^ Wasser gepinselt. Diese Procedur war viel angenehmer, aber für den
Patienten etwas gefährlich. Es musste nämlich sorgfältigst vermieden werden,
etwas von dieser Lösung zu schlucken. Man Hess daher den Patienten fleissig
ausspucken* und sich nach jeder Pinselung mit einer 2%igen Lösung von
Tannin ausgurgeln. Nun wurde der Patient die Nacht über beobachtet, um
Vergiftungserscheinungen sofort entgegentreten zu können. Nur in sehr
wenigen Fällen kam es zu ; schweren Erscheinungen, und einmal erlag auch
ein Patient. In den anderen Fällen aber schliefen die Patienten meist gar
nicht und zeigten ausser engen Pupillen keine Vergiftungserscheinungen.
Den nächsten Morgen war der Kehlkopf gewöhnlich vollständig unempfindlich
und blieb es sogar häufig durch viele Stunden. Man nahm die Bepinselung
Abends vor, weil die Erfahrung gezeigt hatte, dass die Anästhesie gewöhn-
lich erst mehrere Stunden, sogar bis 12 Stunden nach der Bepinselung sich
einstellte. War der Patient am Morgen noch nicht anästhetisch, so wurde
er neuerdings 12mal mit Morphinlösung gepinselt. Trotz der Umständlich-
NEOPLASMEN DES KEHLKOPFES. 377
keit und Gefährlichkeit dieses Verfahrens führte es in seltenen Fällen nicht
zum Ziele. Es ist daher begreiflich, dass man die Anästhesirung mit Cocain
bei weitem vorzog. Grosse derbe Geschwülste kann man noch durch Injection
von sehr schwachen Cocainlösungen in ihre Substanz bis ins Centrum unem-
pfindlich machen. Aetherzerstäubung auf die Gegend des Durchtrittes des ner-
vus laryngeus superior (Rossbach) oder Morphininjection ebendort ist selten
wirksam.
Endlich hat man namentlich bei Kindern endolaryngeale Operationen in
der Narkose ausgeführt. Schnitzler war der erste, der dies durchführte.
Natürlich braucht man dann eine grosse Menge Assistenten, da das Kind
aufrecht gehalten werden muss, man den Mund gewaltsam zu öffnen, die Zunge
hervorzuziehen und den Rachen und Kehlkopf fortwährend von Schleim und
Blut zu reinigen hat.
Um nun allen diesen Mühseligkeiten zu entgehen, hatte Voltolini
seine Schwammmethode angegeben. Er Hess nämlich an einem gekrümm-
ten ziemlich festen Metallstiel einen rundlichen Schwamm von circa 1 cm
Durchmesser recht genau und sicher befestigen und führte nun diesen Schwamm
schnell in den Kehlkopf ein und wartete, bis die Stimmbänder sich öffneten.
Dann bewegte er ihn in schnellem Tempo auf- und abwärts, immer wieder
den Schluss der Stimmbänder durchbrechend. Dadurch nun wurden kleine,
an der Kante oder der inneren Fläche der Stimmbänder sitzende Geschwülste
abgerissen oder doch so vielfach gequetscht, dass sie sich bald von selbst
abstiessen. Natürlich wurden dabei sehr häufig auch die gesunden Theile
der Stimmbänder abgeschabt und abgeschunden und sehr häufig das kleine
Geschwülstchen gar nicht getroffen. Doch ist es richtig, dass eine Zerreis-
sung oder schwere Schädigung der Stimmbänder niemals beobachtet wurde.
Diese früher von vielen ungeduldigen Operateuren sehr begünstigte Methode
konnte sich natürlich nach Einführung des Cocains nicht mehr halten, da sie
zu roh und unsicher war. Man wendete sich allgemein den exacten Opera-
tionsmethoden zu, welche in Abtragung der Geschwulst unter Leitung des
Spiegels bestanden. Dazu hatte man nach dem Beispiele v. Bruns schon
eine grosse Reihe von Instrumenten construirt, welche an anderer Stelle
{„Instrumentarium der Laryngologen" pag. 214 ds. Bds.) kurz besprochen
werden.
Die Wahl der Instrumente hängt natürlich vom Belieben jedes Opera-
teurs ab, aber am meisten dürften sich für die kleinen, weichen Geschwülste
Kehlkopfpincetten mit kleinen Branchen empfehlen (vide die entsprechenden
Figuren auf pag. 214 u. ff.).
Harte oder sehr grosse Neubildungen entfernt man entweder mit dem
Messer, indem man den Stiel damit durchschneidet, oder mit der Guillotine
oder mit der galvanokaustischen Schlinge. Besonders findet das letztere In-
strument Anwendung bei sehr blutreichen Neubildungen. Die Operation ist
übrigens selten von starker Blutung gefolgt. Gewöhnlich hört sie von selbst
auf durch Gurgelung mit kaltem Wasser oder auf Pinselung mit Cocain.
Eventuell kann man mit einer Lösung von einigen Tropfen liquor ferri in
einem Glas Wasser bepinseln. Gelegentlich jedoch waren die Blutungen so
heftig, dass man Tracheotomie machen und den Kehlkopf tamponiren musste.
Deshalb soll bei solchen Operationen jedenfalls alles dazu bereit sein. Natür-
lich hängt die Möglichkeit der Durchführung der endolaryngealen Operation
sehr viel von der Geschicklichkeit und Geduld der betreffenden Operateui'e
ab. Was darin geleistet werden kann, lehrt die Casuistik von Bkuns,
SCHRÖTTEß, StÖRCK, MaCKENZIE U. A.
Eine der seltensten Methoden ist die Injection von Flüssigkeiten in den
Tumor, welche denselben entweder langsam zum Schwinden oder zur Nekrose
bringen sollen. Diese Behandlungsmethode bedarf fortwährender Ueberwachung
378 NEOPLASMEN DER NASENHÖHLE.
des Kehlkopfes, weil man nie weiss, welche Keaction die Flüssigkeit im Tumor
hervorruft. Man verwendete in dieser Art besonders Ueberosmiumsäure und
Liquor ferri.
Extralaryngeale Operation. Ist der Tumor bösartig oder sehr
gross, sehr hart, sehr blutreich, sind schon Athembeschwerden vorhanden, ist
überhaupt das Individuum sehr unruhig und ängstlich, so kommt natürlich
die Operation von aussen in Frage. Dieselbe besteht darin, dass man ent-
weder die Pharyngotomia subhyoidea oder Pharyngotomia late-
ralis oder die Laryngotomia transversa oder Laryngof issur oder
Exstirpatio laryngis vornimmt und auf diese Art den Tumor entfernt.
Diese Operationen werden bei gutartigen Neubildungen nur in sehr seltenen
Fällen, dagegen bei bösartigen recht häufig vorgenommen. Sie sind deswegen
in dem Artikel „Carcinoma laryngis" ausführlich besprochen. chiari.
Neoplasmen der Nasenhöhle. {Neoplasmata narlum.) Die Nasenhöhlen
sind sehr häufig der Sitz von Neubildungen, deren graurothe Farbe, weiche Con-
sistenz, deren Form und Stielbildung grosse Aehnlichkeiten mit den Mollusken
darbieten und die man deshalb ^Polypen'-'- nennt. Diese Bezeichnung galt in frü-
heren Jahren für alle Nasentumoren, gleichviel, wo ihr Sitz war, welche anato-
mische Structur und welche sonstigen klinischen Eigenschaften sie hatten;
höchstens sprach man von harten und von weichen Polypen und trennte hievon
späterhin die bösartigen Neubildungen, das Sarkom und Carcinom. Heute ist
es nothwendig und auch möglich, vom anatomischen wie vom klinischen Stand-
punkte aus die in der Nase vorkommenden Neubildungen schärfer von ein-
ander zu trennen; Form, Consistenz und Sitz der meisten dieser Geschwülste
bieten schon bei der klinischen Untersuchung genügende Anhaltspunkte für
die Bestimmung ihrer anatomischen Natur; anderseits jedoch sehen wir zuweilen
eine Anzahl Nasengeschwülste von ganz verschiedener anatomischer Zusammen-
setzung, die aber in ihren klinischen Symptomen so viel Gemeinsames haben,
dass wir nach ihrer mikroskopischen Untersuchung erst in der Lage sind,
ihre wahre Natur nebst ihrer Prognose und Behandlung zu bestimmen. Es
ist daher auch für den klinischen Gebrauch richtiger, bei der Eintheilung der
Neubildungen in der Nase deren anatomische Structur zu Grunde zu legen.
Von homologen (A) Neubildungen finden wir in der Nase Binde-
substanz- und epitheliale Formen:
I. Fibrome (weiche und harte).
IL Papillome (fibröse und epitheliale).
IIL Angiome.
IV. Ekchondrome uud Osteome. — Wir können diese Geschwülste
klinisch als gutartige bezeichnen.
Von heterologen (B) Tumoren, die sich wie überall auch hier mit
dem klinischen Begriffe der Malignität decken, beobachten wir in der Nase:
1. Neubildungen des Bindegewebes, die Sarkome und
2. die des Epithels, die Carcinome.
I. Wir unterscheiden zwei Arten von Fibromen: 1. die weichen öde-
matösen und 2. die harten trockenen Fibrome.
Von anderen gutartigen Neubildungen sind von Landgraf u. A. Cysten
an den Nasenmuscheln beobachtet worden, im Falle von Landgraf handelte
es sich um einen weichen, weisslichen, kirschgrossen Tumor mit bindegewebiger
Hülle und Detritusinhalt.
Sqüire (London Lancet 1891) hat einen Fall von Lipom in der Nase
gesehen; ebenso Gomperz, der ein Lipom aus der Nase eines 60jährigen
Mannes beschreibt, das als kirschgrosser und derber Tumor an der oberen
NEOPLASMEN IM NASENRACHENRÄUME. — NEOPLASMEN DES OHRES. 379
Nasenwand aufgesessen und häufiges Nasenbluten verursacht hatte; bei der
mikroskopischen Untersuchung bestand dasselbe an der Oberfläche aus kem-
reichem festem Bindegewebe, das allmählich in ein zartes grossmaschiges
fibröses Gewebe übergieng, in dessen Maschen die Fettzellen lagen, welche
die Hauptmasse der Geschwulst ausmachten.
Die weichen Fibrome werden Schleimpolypen oder Nasenpolypen
sensu strictiori bezeichnet und im Artikel „iVasmjJo/^/jvm" ausführlich besprochen.
Bezüglich der übrigen Tumoren der Nasenhöhle {Papillome^ Angiome, Elccho-
drome, Osteome, Carcinome und Sarcome) sei auf die gleichlautenden Sticli-
worte in diesem Bande verwiesen. k.
Neoplasmen im Nasenrachenräume, wir theiien die Neubildungen
des Nasenrachenraumes in A. gutartige und B. bösartige ein. Die
Gruppe A umfasst a) die Nasenrachenpolypen und b) die Enchon-
drome; die Gruppe B die Sarkome und Carcinome. Die Gruppe A a) ist
im Artikel „Nasenrachenpoli/pen'' ausführlich beschrieben. Bezüglich der
übrigen Tumoren des Nasenrachenraumes verweisen wir auf die entsprechen-
den Stichworte: Enchondrome, Carcinome, Sarkome.
Neoplasmen des Ohres. (Neubildungen im Gehörorgane.) Die Neu-
bildungen des Ohres theilt man ein in Neubildungen der Ohrmuschel,
des Gehörorganes, des Trommelfelles, der Tube, des Mittelohres, des Warzen-
fortsatzes und des inneren Ohres.
I. Neubildungen der Ohrmuschel.*)
Von den Geschwülsten der Bindesubstanzreihe haben wir vor allem der
Fibrome zu gedenken. Ihr Prädilectionssitz ist der Lobulus auriculae; sie
entwickeln sich ausserordentlich lang-
sam im Laufe vieler Jahre, aber meist ,,^:;., ,-,,.
im directen Anschluss an Verletzungen, - -^.ß'-.^'' '? -'i W^H:-. '/
den chronischen Keiz von Ohrgehän- ^ ^^ /";!;; ^:; ; 0:^ '■: ■ /> vr ■^^- '
gen etc. Ihre Grösse wechselt von hirse- " ""^~-^"' ' ^/ ^i V '/V .^v , ^r '
korngrosser Einlagerung bis gewöhn- ' '^' ' . ' ^ ; / ■ : .,,
lieh zu Kirsch- oder Nussgrösse; in b ~^\-:''----:'':v:<':y:^^'' '' ^": /:;
den Tropen gedeihen sie zu noch viel ""A{^ : . ' -^ -
ansehnlicherem Umfange. Die Consi- ^ "*>;"""; . V
stenz dieser knolligen Excrescenzen ist, ""^'^ ^, - " . ,_. ,V^
so lange sie als benigne Fibrome be- - " ' V, -" " _-:"'..-
stehen, immer eine derb-feste; die Haut
zeigt sich zumeist verwachsen mit dem J7=i^««^)v.
Tumor. Drüsenschwellungen fehlen, Kg. i. Fibroma lobuU aunculae. «.Epldermisstratum
ebenso Schmerzen. Makroskopisch ha- ™". """f i:«l^'*^ """^t^^''' ?"j"=°,':^'^^f: infiit"rter
. -J^. . Cutis, h. Grossere längliche Infiltrationsherde m das
ben sie auf dem DUrChSChnittee m weiss- beginnende Fibrom eingesprengt, c Die Bindegewebs-
gelbes oder sehnig glänzendes Gefüge; ''''T^^^^Sn^^^^Z^'^S^:T'''
mikroskopisch zeigen sie sich aus ge-
fässarmem Bindegewebe mit zelligen Einlagerungen von Spindelzellen zu-
sammengesetzt; Eundzelleninfiltrate sind häufig in verschiedener Ausdehnung
vorhanden als Ausdruck einer stattgehabten entzündlichen Reizung.
Die Therapie muss eine operative sein (Keilexcision mit oder ohne
Plastik). Die Prognose ist im allgemeinen eine günstige; jedoch kommen
* j Haug, Zur mikroskopischen Anatomie der Geschwülste des äusseren
Ohres. Archiv f. Ohr. XXXHI, und: Weitere Beiträge zur Klinik und mikro-
skopischen Anatomie der Geschwülste des äusseren und mittleren Ohres.
Archiv f. Ohr. XXXV und Arch. f. Ch. Bd. XLIil. sowie in Ziegler's Beiträgen z. path.
Anat. u. z allgem. Pathologie. Bd. XVI.
380 NEOPLASMEN DES OHRES.
Uebergänge zum Sarkom und Carcinom vor. Auch weiche Fibrome (wie bei
der Elephantiasis) kommen zur Beobachtung. Elephantiasis der ganzen
Muschel ist sehr selten. Ein Fall, bei welcher das vergrösserte Ohr folgende
geradezu colossale Ausmaasse aufgenommen hatte: I272 ctm im Längendurch-
messer, 7 ctm im Querdurchmesser und 23 ctm in dem Umfang, ist auch
jüngst (Arch. f. Ohr. Bd. 46, pag. 15) beschrieben worden.
Aus Narben am Ohre, speciell am Lobulus, entwickeln sich zuweilen
Keloide, die bei -jedem Exstirpationsversuch wieder recidiviren.
In selteneren Fällen gelangen Chondrome oder Chondro myxome
als nussgrosse knotige derbe Geschwülste, festaufsitzend gewöhnlich der hin-
teren Fläche der Muschel zur Beobachtung. Chondrome der Parotis können
auf das Ohr übergreifen. N e u r 0 m e (Fibroneurome) entwickeln sich zuweilen
auf keloidartigen Narben; sie sind schmerzhaft. Ausserdem findet sich noch
Einlagerung von Kalksalzen in den Knorpel als Verknöcherung der Ohr-
muschel, jedoch nie als Knochenneubildung (Osteom).
Atherome sind gar nicht selten; sie etabliren sich mit Vorliebe an
dem hinteren Insertionswinkel der Muschel, sehen glatt aus bei meist verschieb-
licher Haut und fühlen sich teigig an. Dermoide greifen zuweilen von
der Schläfe auf das Ohr über; sie sind ganz leicht kenntlich durch ihren
periostealen Wall.
Ob selbständige Cysten an der Vorderfläche der Ohrmuschel vor-
kommen, ist noch nicht sicher erhärtet; für gewöhnlich handelt es sich in
Fällen von sogenannten Cysten mit gelblichem synoviaähnlichem Inhalt um die
Producte einer Perichondritis oder eines Othämatoms.
Angiome können als einfache verschieden grosse Naevi vasculosi an
beliebigen Stellen des Ohres angeboren beobachtet werden, oder es bilden sich
im Laufe der Zeit, zuweilen veranlasst durch ein Trauma, grosse, oft sehr
grosse, bläulich-rothe, von dünner Hautlage überzogene Tumoren, die sich bei
entsprechender Richtung des Druckes vergrössern oder verkleinern lassen;
Aneurysmen der A. A. temporalis oder occipitalis oder auricul. posterior
geben das bekannte Aneurysmageräusch. Therapie: Unterbindung oder lange
Compression der zuführenden Gelasse; eventuell Stichelungen mit dem Paquelin
in wiederholten Sitzungen. Injectionen von Eisenchlorid etc. sind sehr zu
widerrathen. Bei kleineren Geschwülsten, Naevis, kann hie und da Elektro-
lyse abhelfen.
Plexiforme Angiosarkome kommen in seltenen Fällen am Tragus
vor, (Diagnose nur mikroskopisch) ebenso sind Cylindrome der Muschel
ausserordentlich selten, ebenso Endotheliome.
Aus der Gruppe der epithelialen Geschwülste ist die hauptsächlichste,
weil am öftesten vorkommend und die grössten Zerstörungen anrichtend, der
Krebs der Ohrmuschel. Er entwickelt sich entweder von vorhandenen Naevis,
Warzen oder von kleineren, nicht beachteten, vernachlässigten und häufig
irritirten Erosionen, Rhagaden, meist im höheren Lebensalter; unter Umstän-
den kann das chronische Ekzem zum Epitheliom führen. Für gewöhnlich
etablirt sich ein kleines derbes Knötchen am Rande des Helix, das zuweilen
durch Jahre als solches bestehen kann, öfters juckt und deshalb zerkratzt
wird; aus ihm entsteht dann schnell das Ulcus carcinomatosum mit meist
wallartig erhabenen, mit papillären Excrescenzen besetzten, grossbuchtigen
Rändern, das Centrum mit missfarbigem, schmierigem Detritus belegt. Die
regionären Lymphdrüsen sind in diesem Stadium immer schon vergrössert,
zuweilen auch schmerzhaft; die Geschwürsfläche verbreitet einen penetranten
Gestank. Der Knorpel wird bald ergriffen und in die Destruction mit ein-
bezogen, so dass bald langsamer, bald rapide der grösste Theil der Muschel
oder die ganze in Verlust geräth, und ausserdem die Neubildung weiter auf
die knöchernen Lager des Gehörganges, des Felsenbeines, die Parotisgegend
NEOPLASMEN DES OHRES. 38 1
und bis auf den Schädelgrund übergreift. Es ist aus diesen Gründen die
möglichst frühzeitige Exstirpation der primären Knötchen mit gleichzeitiger
sorgfältiger Ausschälung der Lymphdrüsen das einzig rationelle Verfahren,
und es sollte nie die kostbare Zeit verschwendet werden mit Aetzmitteln,
Sodawaschungen und ähnlichem. Bei den vorgeschritteneren Ulcerationen
lassen sich die absolut sicheren Recidive nicht mehr ausschliessen.
Was den histologischen Charakter dieser Epitheliome anbelangt, so ist
nach meinen Untersuchungen anzunehmen, dass die unterste Schichte der
cylindrischen Basalzellen des Bete das eigentlich wuchernde Epithelstratum
abgibt. Das bindegewebige Stroma, sehr gefässreich und aus hinfälliger jugend-
licher Bindesubstanz bestehend, tritt in den bösartigen, schnell destruirenden
Fällen vollständig in den Hintergrund gegenüber der Epithelial Wucherung; in
den benigneren Fällen ist das Stroma überwiegend und von derberer Structur.
Der Knorpel zeigt sich infiltrirt, die Knorpelkapseln gesprengt und durch die
Neubildung substituirt.
Von den Neubildungen infectiösen Charakters ist es vor allem die
Tuberkulose, die in verschiedenen Formen als Neubildung die Ohrmuschel
häufig befällt.
Nicht zu selten ist sie der Sitz des Lupus vulgaris, der entweder,
gewöhnlich gleichzeitig mit Gesichtslupus, seltener ohne diesen, in Form des
Lupus maculosus als braunrothe, flache, eventuell abheilende Eruption
{L. exfoUativus) auftritt, oder in bösartigeren Fällen bei einer Masseninfil-
tration mit kleinen Primäreffiorescenzen zu einer hochgradig lupösen Ver-
sch wellung des ganzen Organes führt, insbesondere am Ohrläppchen. Ulce-
rationen bleiben oft lange Zeit aus, zuweilen jedoch zerfällt das Ohr rapide
und gibt so zu argen Verunstaltungen Veranlassung; kommt es zur Heilung,
so bleiben als Residuen Stenosirung oder Atresie des Gehörganges nicht sel-
ten zurück.
Die linsen- bis
fingernagelgrossen,
braunröthlichen, im
Centrum abblassen-
den und verheilen-
den, an der Periphe-
rie in Bogenlinie mit
wallartigem Saume
fortschreitenden
Scheiben des Lupus
erythematoides
treten selten primär
an den Ohren auf,
vielmehr werden sie
meist secundär er-
griffen von der
W^ange oder Schläfe ^ ^ .^^^ _. ^^ «i;^ - .. , • •. •.'...-- -- - ■
aus. Die Drüsen- <^, .•,• *'- "y- -^ ji^'-*«'--\ •"•.•;•''•': •': •' 'Dll^«^ f«^.
Schwellung, die beim
Lupus vulgaris nie ■^.?f,<.— •".
fehlt, ist hier bei-
nalio nio vnrliQTiflpn ^^S- 2. Circmnscripte Knotentuberkulose. a. Unterhalb des noch normalen Stra-
Uciue liit! VUlUclUUeu. ^^^ papilare beginnt diffuse, disseminirte KundzeUeninEltration der Cutis, die
Eine dritte Art sich bei & in den tieferen Partien zu massenhaften Eundzellenanhäufungen zu-
, , , IT" sammenballen, um bei c die rundlichen epitheloiden Zellhaufen zu umschliessen.
der tUberKUlOSen d. Vielkemlge Rlesenzellen, bei Immersion bacillenhältig. — Hartnack II. 5.
Neubildung finden
wir in der circumscripten Knotentuberkulose des Lobulus, die nicht
mit einem Lupus identificirt werden darf. Die Krankheit entwickelt sich
ausserordentlich langsam im Laufe von vielen Jahren und Jahrzehnten und
^'-»
382 NEOPLASMEN DES OHRES.
etablirt sich in Gestalt eines kirsch- bis nussgrossen, derb weichen, mit der
bedeckenden Haut verwachsenen blass-röthlichen Knotens nur und allein im
Lobulus auriculae, gewöhnlich auf einer Seite. Das Ohrläppchen ist da
von Anfang an der primäre Sitz der Geschwulst, während beim Lupus der
Lobulus durchgehends secundär zu erkranken pflegt; auch fehlen bei der
circumscripten Knotentuberkulose immer die lupösen Efflorescenzen an den
anderen Partien des Ohres, es ist völlig gesund bis auf den Lobulus. Die
regionären Auriculardrüsen erweisen sich leicht geschwellt und geben im hi-
stologischen Bilde mit gleich absoluter Sicherheit eine wahre Tuberkulose
wie die Stammgeschwulst. Ulcerationen pflegen dabei gewöhnlich nicht auf-
zutreten.
Gerade wegen seiner langsamen Entwicklung, wegen des Fehlens von
irgend welchen Veränderungen in der Umgebung, wegen der Schmerzlosigkeit
und wegen des Sitzes im Lobulus wird der Tumor fast Die als das erkannt,
was er in Wirklichkeit ist; er wird beinahe immer verwechselt mit Fibroma
auriculae. Es ist deshalb in allen solchen Fällen die klinisch-makroskopische
Diagnose nie genügend, nur das Mikroskop kann die Diagnose sichern. Ich
bin der festen Ueberzeugung, die Sache wäre viel früher entdeckt worden,
hätte man nicht im guten Glauben, es mit Fibromen zu thun zu haben, die
Detailuntersuchung einfach oft unterlassen.
Die Prognose ist eine im Allgemeinen gute, da es sich um eine rein
locale Infection handelt, die bei gleichzeitiger DrüsenentfernuDg eine dauernde
Radicalheilung gestattet; meine fünf Fälle sind bisher (über 5 Jahre theil-
weise) völlig gesund geblieben; doch ist ein Fall beobachtet worden (Düring),
in welchem von dieser primären Infectionsstelle aus eine allgemeine Tuber-
kulose sich entwickelte, die rasch in IV2 Jahren zum Tode führte.
Die Perichondritis tuberculosa ist hier als Entzündung nicht zu
erwähnen. Einfach tuberkulöse Hautgeschwüre kommen ebenfalls
am Ohre vor.
Syphilis kann sowohl in den Frühformen als Roseola und Papel, als
insbesonders in den späteren Stadien als Rupia, serpiginös-ulceröses Syphilid
und als Gumma am Ohre sich repräsentiren. Primäraffecte am Ohre sind
sehr selten.
Molluscum contagiosum ist bis jetzt erst in einem Falle an der
Muschel beobachtet worden.
Zum Schlüsse möchte ich nicht vergessen, dass von anorganischen Bil-
dungen ausser der obgenannten Ablagerung von Kalksalzen es bei Arthritis
Vera sehr häufig zur Bildung von harnsauren Concrementen am Ohre, speciell
am Helix kommen kann; richtige Gichttophi, weissgelbliche harte Knötchen,
umgeben von einem stark vascularisirten Hofe.
n. Neubildungen des Gehörganges.
Ein guter Theil der an der Ohrmuschel beobachteten Geschwülste kommt
auch im Meatus vor. Wir haben Fibrome, harte und weiche Mischformen
Fibrosarkome, Chondrofibrom, Atherome, Milium, Papillome,
Carcinome, Sarkome (plexiformes Angiosarkom, auch melanstische), Ade-
nome und Adenocarcinome, letztere ausgehend von den Ohrschweiss-
drüsen oder auch von den Talgdrüsen, Angiome und Lymphangiofi-
brome- und sarcome (Endothelion) Lupus, Condylome, Gumm ata.
Polypen kommen zwar im Meatus sehr häufig vor, jedoch entspringen
sie verhältnissmässig selten in ihm, und wir werden sie deshalb bei den
Mittelohrgeschwülsten zu betrachten haben. Bezüglich der Art des Auftretens,
der Prognose verhalten sich alle diese genannten Neubildungen genau so wie
die der anderen Körperregionen und verlangen ein rechtzeitiges, zumeist
chirurgisches Eingreifen. Die functionellen Störungen sind oft, solange die
NEOPLASMEN DES OHRES. 383
Neubildung den Gehörgang noch nicht abgeschlossen oder auf für das Hören
nöthige Theile übergegriffen hat, (Sausen, leichte Schwerhörigkeit etc.), oft
aber bei weichen vorgeschrittenen Stadien in hohem Grade ausgesprochen
und vergesellschaften sich dann mit den Schädeldrucksymptomen. Ebenso
schwanken die subjectiven Erscheinungen in den weitesten Grenzen.
Dagegen haben wir in der Knochenneubildung ein für den Meatus
neues Neoplasma, das wir ins Auge fassen müssen. Sie etablirt sich nur
an dem knöchernen Theile des Gehörganges und kann in zwei strenge zu
scheidenden Abarten auftreten.
Die Exostose entwickelt sich entweder im Laufe langer Jahre infolge
äusserer Reizeinwirkungen, oder sie tritt, und dies ist gar nicht selten, schon
angeboren auf, häutig doppelseitig an correspondirenden Stellen. Sie stellt
oft eine kugelige, compacte Prominenz von Stecknadelkopf- bis zu etwa
Erbsengrösse und darüber an irgend einer Partie der Gehörgangswand, be-
sonders der hinteren, überzogen mit normaler oder stark verdünnter und in
solchen Fällen gegen Berührung sehr empfindlicher Cutis, dar. Am Ptivini-
schen Ausschnitte des Anulus tympanicus zeigen sich zuweilen je zwei klei-
nere, mehr spitze oder auch kugelige Höckerchen (Osteophyten); diese wie
die griffel- und stachelförmigen Exostosen sind zumeist congenital; irgend
welche klinische Bedeutung wohnt ihnen nur insoferne inne, als sie bei
Schwellungen, Retensionen etc. sich unangenehm bemerkbar machen können.
Gestielte Exostosen oder mit Knochenmasse überdachte Hohlräume {Kno-
chenblasen) sind selten.
Im Gegensatz zu diesen circumscripten Knochenneubildungen steht die
diffuse Umwandlung einer mehr weniger ausgedehnten Partie des Meatus in
hyperplastische Knochenmasse, die Hyperostose. Sie stellt eine oft ziemlich
gleichmässige concentrische Verengung des Gehörgangslumens dar, so dass
die Lichtung auf Stricknadeldicke oder beinahe ganz verschlossen erscheint.
Was die Aetiologie solcher Knochenneubildungen anbelangt, so steht es
fest, dass in einem Theil der Fälle, speciell bei diffuser Hyperostose, Lues
als Grundlage angenommen werden muss; es kommt zu einer proliferiren-
den Periostitis gummosa mit consecutiver periostealer Knochenapposition,
Uebrigens dürfen wir nicht ausseracht lassen, dass es im Verlaufe lange
dauernder, chronisch-eitriger Mittelohrprocesse durchaus nicht selten zu einer
condensirenden Ostitis der Felsenbeinpartien kommen kann, infolge deren
sich, gleich wie am Warzenfortsatze, auch im Meatus Hyperostose speciell der
hinteren Gehörgangswand herausbilden kann.
Für die circumscripten Exostosen wird nicht selten Arthritis als ver-
anlassendes Moment angenommen, indes dürfen wir nicht vergessen, dass die
typischen Exostosen in den allermeisten Fällen als eine einfache Wachsthums-
störung der Knötchen im Gehörgangswandungen zu betrachten ist und dass
oft genug Rasseneigenthümlichkeiten mit im Spiele sind. Es ist hier der an-
thropologisch interessanten Thatsache zu gedenken, dass bei den Schädeln
der Völker der neuen Welt (speciell Amerikaner, Peruaner) verhältnissmässig
viel mehr mit Exostosen behaftet gefunden wurden als bei denen der alten
Welt. Am häufigsten wiesen nach Ostmann's Untersuchungen Exostosen
auf die Amerikanerschädel, dann die Australier und Oceanier, die übrigen
Rassen traten weit zurück.
Subjective Symptome dieser über lange Jahre sich hinausziehenden Neu-
bildungen sind überhaupt für gewöhnlich nicht vorhanden. Die Patienten
werden sich ihrer gar nicht bewusst, so lange als es nicht durch Verhinderung
des Austritts des Cerumens zur Ansammlung desselben und mithin zur
Schwerhörigkeit kommt. Bei Schwellungszuständen kann sich infolge der
Verengerung des Lumens eine auffallend rasche Schwerhörigkeit entwickeln;
auch kann bei gleichzeitig bestehender Mittelohreiterung dem Abfluss nach
384 NEOPLASMEN DES OHRES.
aussen der Weg versperrt und vermögen so die bedrohlichsten Symptome von
Retention ausgelöst zu werden. Sonst bilden sich Harthörigkeit, dann aber
hochgradige, zuweilen auch Schmerzen nur bei sehr grossen, den Gehörgang
vollkommen abschliessenden Knocheneinlagerungen.
Der hyperostotischen Einwärtssenkung der hinteren Meatuswand, wie
auch der Schwellungssenkung der hintern obern Wand, die von Ungeübten
nicht selten mit Furunkeln verwechselt wird, wohnt noch eine besondere
diagnostische Wichtigkeit inne, insoferne, als sie bei chronisch-eitrigen Mit-
telohrprocessen mit und ohne Cholesteatom sich ausserordentlich häufig
mit Eiterungen, Caries und Nekrose in der Mastoidealgegend complicirt, d. h.
auf sie hindeuten kann. Die Senkung der hintern obern Wand deutet mit
Zuverlässigkeit auf das Weitergreifen auf die Pars mastoidea hin.
Spontanheilungen finden nur ausnahmsweise statt. Bei nicht progre-
dienten Tumoren braucht man nichts zu thun; zuweilen muss aber wegen der
durch grosse Exostosen bedingten Schwerhörigkeit oder aus indicatio vitalis
(Retention) die Abtragung vorgenommen werden, und zwar geschieht dies am
zweckmässigsten mit Hammer und Meissel. Luetische Hyperostosen er-
weisen sich wohl nur in den allerersten Anfängen durch Allgemeinbehandlung
involutionsfähig.
Das Cholesteatom des Meatus siehe „Mittelohr",
HI. Neubildungen des Trommelfelles.
Cornua cutanea oder Papillome sind in einzelnen Fällen am
Trommelfell beobachtet worden; sie stellen kleine umschriebene, warzen-
ähnliche, sehr fest aufsitzende, derbe Wucherungen des Cutislagers dar,
können weggerissen werden, recidiviren aber gerne.
Periförmige Epithelbildungen, zuerst von Uebantschitsch
gefunden, kommen als Nebenbefund bei chronischem Mittelohrkatarrh hie und
da vor das Auge. Sie repräsentiren sich als punkt- bis stecknadelkopfgrosse,
matt glänzende, w^eissliche, harte, kugelige Excrescenzen; es sind ihrer eines
oder mehrere bis fünf. Eine besondere Bedeutung für den Patienten besitzen
sie nicht. Auch Katz hat neuerdings solche beschrieben.
Verkalkungen begegnen wir sehr häufig als Residuen von Entzün-
dungen, Abscessen der Membran, in Gestalt von meist milchweissen, scharf
contourirten Flecken; es kann die Verkalkung beinahe das ganze Trommelfell
betreffen oder nur einzelne Segmente desselben, hier dann in einem oder
mehreren Exemplaren, die häufig eine sichelförmige Begrenzungslinie auf-
weisen. Bei stark ausgeprägten Verkalkungen, die alle Schichten der Membran
durchsetzen, sehen wir ein leichtes Herausragen über das Niveau des übrigen
Trommelfelles. Die Verkalkungen an und für sich beeinflussen das Gehör nicht
in hohem Grade; die dabei vorhandene Harthörigkeit ist auf Rechnung der
Begleitaffectionen, chronischer Mittel ohrkatarrhe zu setzen. Therapeutisch ist
höchstens bei totalen Verkalkungen eine Ausschneidung zu befürworten, die
umsoweniger gefährlich ist, als sich das Trommelfell, wenn es nicht im Kno-
chenfalze excidirt wurde, bald wieder ersetzt.
Knochenneubildung wird am Trommelfell sehr selten gesehen; sie
betrifft entweder eine Ablagerung von Knochensubstanz in vorhandene Kalk-
flecken oder ganz ausnahmsweise das totale Trommelfell.
Kleine Angiome, Cysten, erstere an der Aussenfläche, letztere ander
Innenfläche sind selten. — Tuberkeln als miliare, grau-gelbliche, stecknadel-
kopfgrosse Knötchen, die an der Spitze sehr bald haarfein durchbohrt werden
und zu einem rapiden Zerfall der Membran führen (multiple Perforation bei
sehr geringen Eutzündungserscheinungen, ohne Schmerzen), werden bei Kindern
und Erw^achsenen beobachtet.
NEOPLASMEN DES OHRES. 385
Syphilitische Papeln, sowie kleine Gummata treten manchmal, ge-
wöhnlich in der oberen Hälfte, auf.
Polypen siehe Mittelohr.
IV. Neubildungen der Tuba.
Pharyngitis granulosa setzt sich in manchen Fällen auf das
Ostium pharyngeum fort und producirt hier die nämlichen Knötchen wie an
der Rachenwand; es kann zu einem drüsig-papillären Auswachsen derselben
kommen, so dass eine Verlegung der Mündung daraus resultirt. — Kleinere
polypoide Wucherungen sind nicht selten; einengrossen fibro sarkoma-
tösen Polypen der vorderen Tubenlippe habe ich durch Operation entfernt.
VoLTOLiNi beschrieb einen Polypen, der vom Ostium tympanicum zum Ostium
pharyngeum durch den ganzen Tubencanal ging.
Kalkeinlagerungen in den Tubenknorpelplatten finden sich ge-
wöhnlich nur als symptomloser Ausdruck der senilen Involution. Ebenso
sollen zu dieser Zeit auch Exostosen da vorkommen.
Syphilis kann die Tube in allen Stadien ergreifen. Primäre harte
Schanker am Ostium pharyngeum durch Katheterismus sind bis jetzt in sieben
Fällen zur Beschreibung gelangt (sechs von Bueow, einer von mir). Secundäre
und tertiäre ülcerationen setzen sich nicht selten auf das Ostium pharyngeum
fort, es kann die Folge der Verschwärung, sehr folgenschwerer Stenosirung,
eventuell Obliteration des Tubencanales sein.
Tuberkulose kann als serpiginöses Geschwür grosse Substanzverluste
anrichten. (Schleimhautlupus und einfache Tuberculose.)
V. Neubildungen des Mittelohres.
Die wichtigste und häufigste Neubildung der Paukenhöhle ist der Polyp.
Wohl gut 74 aller Polypen gehen von der Pauke aus, zumeist auf Grund
einer chronischen, oft mit Caries und Nekrose einhergehenden Mittelohreiterung;
selten nehmen Polypen vom Gehörgange ihren Ursprung, etwas häufiger vom
Trommelfell, sehr selten dagegen von den Warzenzellen oder von der Tube.
Auch ohne nachweisbare Ursache sollen sie gefunden worden sein, ja sogar
angeboren.*)
Im Grossen und Ganzen dürfen und müssen wir für die Aetiologie der Ohrpolypen
annehmen, dass es am allerhäufigsten Fremdkörper sind, die die Veranlassung zur Polypen-
bildung geben. Freilich handelt es sich dabei weniger um Fremdkörper im gewöhnlichen
Sinne als vielmehr um Stückchen des Organismus selbst, die infolge irgend welcher Pro-
cesse dem localen Tode erlegen sind. Abgestorbene Knochenstückchen, mortificirte Epithel-
fetzen, Cholestarin- und Kalkconcremente und noch v. a. werden nicht oder nicht voll-
ständig resorbirt oder eliminirt; sie reizen das umgebende Gewebe zur Granulationsbildung
an, um vermittelst ihrer zur Elimination zu gelangen. In einzelnen Fällen sind aber auch
wirkliche von aussen eingedrungene Fremdkörper, wie z. B. in den Fällen von Kühn und
mir Haare, die directe Ursache. Selbstverständlich werden in einer Anzahl von Fällen
auch mechanische oder infectiöse Momente (Störungen im Blutlaufe, Uebertragung infec-
tiöser Keime auf die Mucosa) die Schuld haben können. Mit dieser Auffassung lässt sich
auch ganz gut der (siehe unten) pathologisch-anatomische Befund vereinigen, indem wir
alle die 3 verschiedenen Hauptformen der Polypen als Formen verschiedenen Alters
ansehen können, da in jedem Granulationsgewebe die Tendenz herrscht sich zu Binde-
gewebe, eventuell zu bleibendem Bindegeweben umzubilden. Hierdurch werden uns die
üebergänge von Granulom zum Angio- und Myxofibrom und schliesslich zum reinen Fibrom
am einfachsten plausibel.
W^as ihr makroskopisches Aussehen, ihre Gestalt und ihre Grösse
anbelangt, so repräsentiren sie sich als längliche, rundliche, birnförmige, einfache
oder gelappte Geschwülste, entweder breit aufsitzend oder häufiger sich rasch
nach hinten verjüngend, gestielt. Wir unterscheiden demgemäss an einem
Polypen den rundlich-länglichen, keulenartigen Körper und den am Ursprungs-
*) Vergleiche mit der nachfolgenden Darstellung auch den selbständigen Artikel
„OJnyolypen"' in diesem Bande.
Ohren-, Nasen-, Kachen-, Eehlkopfkiankheiten. 25
386 NEOPLASMEN DES OHRES.
punkte aufsitzenden Stiel; zuweilen können mehrere Polypen auf einem Stiel
aufsitzen. Was die Anzahl der Geschwülste in einem Ohre betrifft, schaben
wir öfters mehrere kleinere, grosse sind meist einfach, solitär. Ihre Farbe
wechselt vom Graurothen bis zum Weisslichblauen, vom Gelbrothen bis zum
Blau- oder tief Dunkelrothen. Bezüglich ihrer Consistenz können wir unter-
scheiden zwischen weichen, Schleimpolypen ähnlichen und derben harten Ge-
schwülsten. Ihre Oberfläche ist zumeist glatt, feucht glänzend, zuweilen finden
sich oberflächliche oder auch tiefere Substanzverluste, geschwüriger Zerfall
an ihnen; er wird hervorgerufen durch die macerirende Einwirkung des nur
zu häufig den Tumor umspülenden Eiters. Ihre Grösse bewegt sich in den
weitesten Schranken; wir finden hirsekorn- bis erbsengrosse Polypen in der
Trommelhöhle; so lange sie in ihr sind, eirund, sowie sie aber in den
Gehörgang verwachsen, nehmen sie eine mehr längliche oder keulenförmige
Gestalt an, und so können sie dann, rasch oder langsam wachsend, den ganzen
Gehörgang allmählich ausfüllen, ja über sein Orificium externum hinauswuchern,
so dass sie dem Blicke des Beschauers als bläulichweisse oder röthliche Aus-
wüchse sofort auffallen. Auf diese Weise kommen Polypen zur Beobachtung,
die eine Länge von 3 — 4 cm haben, bei einer Dicke von 1 — P/o cm. Der-
artige mit der Aussenluft in Berührung kommende Polypen verhornen gerne
an der Oberfläche, so dass sie sich derb und hart anfühlen. Die grossen harten
Polypen sind auch meist viel älteren Datums, oft recht ehrwürdige, Jahrzehnte
alte Burschen, während die kleineren weichen, schleimigen und roth aussehen-
den meist jugendlicher sind. Alte dicke und grosse Polypen drücken sich
enge in jede Nische des Gehörgangs hinein und erweitern sein Lumen durch
den immerwährenden expansiven Druck.
Mikroskopisch können wir
nach meinen nun an ca. 300 Ohrpoly-
a — ^' g ^^ pen angestellten Untersuchungen, die
^^ , -5 /^ , im Grossen und Ganzen mit deneii
"^ ,j ,w'?,'^^, '/ - von Moos, Steinbrügge, Kessel,.
^ -j^ ~'~ "z. ^ ' Steudener, Kuhn, Manasse überein-
\ ' \' stimmen, unterscheiden:
^^% ,, j 1. Granulationsgeschwül-
- 1^, * "~ ste. Sie repräsentiren zum Theile
die sogenannten Schleimpolypen des
Ohres und sind fraglos die am öfte-
^' " — 'iy* 1^ ' ^' /-^ sten vorkommenden; zu ihnen gehö-
'\ ""I *^r «^ ^'^"< ^^^ ^^® kleinen bis mittelgrossen
/^* !^^ ^ '^j^'' "">/7 Tumoren von saftigrothem, glänzen-
r'^ '\ Vo * '•'C^'^ ' dem, zuweilen brombeerähnlichem
C-- "^'V^^ ^"'*^'^® **"' ^ ^^^"^ bläulichrothem Aussehen, die
/ ' (!^ "^ ^ '5* sich weich anfühlen und im Ohre
/)» ^ttuijt ' \ / sehr häufig Veranlassung geben zu
/^. *^ - ,/ ^' ^,/ <£?-/ Blutungen infolge ihres Gefässreich-
V • C ^i thums. Histologisch entpuppen sie
V"^*^ sich durchschnittlich als Kundzel-
len-Geschwülste. In einem zi em-
Fig. 3. Polypöse Granulationsgeschwulst, a Epithelsaum ,. , o.pv,;no- pn+wipVpltPTl fpiTIPn nft
des Polypen 6. Auf dem Querschnitt getroffene Einsen- HCU gCrmg eniWlCKeiien ICineU, ÜIl
kung des Epithelsaumes, ein Drüsenlumen imitirend r. ödematÖS geqUOllCnen StrOma VOU
Gefässe mit proliferirenoer Intima und Adventitia. a. Jie ■• ^ • t t->- ^ 1.1.
Kundzellen des Granuloms allenthalben sichtbar e. Spar- jUgOndllChCr BindeSUDStaUZ
lichere spindelförmige Zellelemente. - Hartnack II. 7. ^^^.^ spärilcheu odcr Seltener Zahl-
reicheren spindelförmigen und ovalen Zellelementen sind die Rundzellen
des Tumors in grosser Menge eingestreut. Dem makroskopisch succu-
lenten Aussehen entspricht auch ein ausserordentlicher Gefässreichthum von
jungen Gefässp rossen. Diese Polypen tragen auf ihrer Oberfläche eine
NEOPLASMEN DES OHRES. 387
Epithel läge, die übrigens sehr variiren kann bezüglich ihres Charakters.
Sehr häufig finden wir die ganze Peripherie besetzt mit einer einfachen Lage
Cylinderepithels, oft noch Flimmerepithel, besonders ist dies bei jüngeren
Geschwülsten der Fall. Grössere ältere Tumoren tragen zuweilen zweierlei
Epithel, indem die Epithellage des dem Meatusausgange nahe gerückten
Körpers des Polypen aus Plattenepithel besteht, das sich aus dem Cylinder-
epithel umgewandelt hat, während die" Stielpartie noch reines Cylinderepithel
trägt. Sehr häufig geht das Epithel, insbesondere bei sehr kleinen Polypen,
durch die Eiterung zu Grunde oder wird wenigstens oft sehr undeutlich ge-
trübt.
Ein nicht seltenes Vorkommnis müssen wir hier noch kurz ins Auge fassen, das für
alle Polypenarten gleichmässige Giltigkeit hat. Bei grösseren oder lappigen Geschwülsten
finden wir Einstülpungen der bedeckenden Epiihellage in das Innere des Tumors; hier-
durch entstehen buchtige oder längliche, mit demselben Epithel ausgekleidete Spalten, die,
wenn sie in der Tiefe auf einem Quer- oder Längsschnitt getroffen werden, den Anschein
erwecken, als ob es sich hier um drüsenähnliche Anlagen handle; thatsächlich sind es
aber keine Drüsen, sondern wie gesagt einfache Epithelfortsätze. Zuweilen werden auch
cystenähnliche Hohlräume auf diese Art gebildet. — Uebrigens sind Polypen mit mehr-
fachen Epithellagen übereinander durchaus kein seltenes Vorkommnis; es betrifft dies so-
wohl das Flimmer- als das Plattenepithel, die an einzelnen Stellen von Polypen als ge-
schichtete Lagen sich dem Auge darstellen.
2. Fibrome. Zu ihnen gehören
meist die grossen alten und auch dem- ^
gemäss harten und derben Polypen. Sie - . i j / . '
haben ein derbes, faserig-fibrilläres Stroma i \ ,,^\;^, J- ,/ ,
von altem fertigem Bindegewebe, in das '<vfv \ 1*"^ ^ ' ^'
bei geringer Gefässentwicklung nur spar- , ^J / i^r
liehe langgezogene Spindelzellen eingela- ^ ' \ -(?__
gert sind; vereinzelte Rundzellen finden , ^ ' ^^'■•^, , ;^
sich auch hier, insbesondere um die Ge- 6.^ ' ' •,
fasse herum. Sie tragen beinahe con- "^'*"^L\ ^'. ~^ '
stant aussen ein Pflasterepithel, nach in- ^ i --.' i f
nen zu Cylinderepithel; zuweilen geht, '^' ^ '
wie ich wiederholt beobachtet habe, das , i ^ ',/ ..^
eine Epithel ohne eigentlichen Uebergang ' ,A
ganz plötzlich in das andere über. An
dem nach aussen zu befindlichen Körper jj\ j^^^^^^^ t
kann sich sogar ein ganz gewöhnlicher ' "«^/<t-
EpidermiSÜberZUg, allerdings selten mit ?■'"• *• centrale gegen die Wurzel zu gelegene
-n„„'ii ^-u-ij i. 1 T T- 1 j Partie eines alten, rein fibrösen Polypen CFibrom).
Papillenblldung, etabliren. V erhornUng der «. centrales nur noch einziges Ernährungs-e-
obersten Schichte der Epidermis gelangt 'lll,tl^^Z:;J^M^^:!:it^i^t'lk
bei alten Polypen, besonders fibrösen, oft ^^enigen rundlichen und ovalen Zelleu haupt-
-711^ 'Rar\Ko/iTi+ sächlich noch längs des Gefässes, sonst in dem
zur -öeODaCniUng. Fibrom sehr spärlich zerstreut. Der Polyp hatte
Es hat eben bei solchen Fibromen die Bil- *^ seinem Körper geschichtetes Plattenepithel,
düng von definitivem Bindegewebe aus dem Gra- ^'^'^ "'^ Wurzel ^z^u ^Cylinderepithel. - Hart-
nulationsgewebe heraus allmählig stattgefunden;
das Granulationsgewebe hat seine Endbestimmung in patholoo-ischer Weise erreicht.
Häufiger als die histologisch und klinisch einlachen wirklichen Fibrome
treffen wir die Misch formen des Fibroms an, die Uebergänge von Granu-
lom zum Fibrom.
3. Angio- und Myxofibrome. Die ersteren entwickeln sich ge-
wöhnlich aus den Granulomen, indem sowohl das Perithel der Adventitia als
das Endothel der Intima durch Wucherung zur Obliteration der Gelasse
führt; es entstehen hieraus erst Züge jugendlichen, spindelzellenhaltigen Ge-
webes, das sich mit der Zeit zu einfacher, zellarmer, fertiger Bindesubstanz
umwandelt. Die Rundzelleneinlagerung kann als solche in dem neuen Binde-
gewebsstratum bestehen bleiben. Es wäre also falsch, zu meinen, es handle sich
hier um ein Angiom, blos das Stroma hat sich aus den Gelassen heraus gebildet.
25*
a
388 NEOPLASMEN DES OHRES.
Die Myxofibrome verdanken ihre
Entstehung einer mehr oder weniger aus-
gebreiteten myxomatösen Entartung der
fibrösen Grundsabstanz, sie wird homogen,
*' oft gallertig und enthält neben sehr spär-
V v^f y-~^' K liehen Rundzellen entweder in früheren Sta-
)\'"/ ^ '-' dien noch relativ viele grössere Spindel-
. \/' . ■. \ Zellen, oder später nur mehr wenige kleine
/y ' fixe Bindegewebszellen; ausserdem jedoch
^-"^ » noch eine verschieden grosse Anzahl von
, .-^ I ^ multipolaren oder bipolaren Sternzellen;
■^ enthält sie blos diese Sternzellen in einem
V _ reinen homogenen, gallertigen Stroma, so
y' J^^ . haben wir das reine Myxom.
/^ ... yf^ Reine Angiome sind sehr selten.
'-" ><i^ '' ^ - Angiosarkome ebenfalls. Nicht so gar
^ V ^ selten kommt es aber bei anfangs benig-
^'' .-' nen Polypen zu einer secundären Malig-
D^' ^"^ ,^ ■ - -^ nität, indem das schleim- und spindelzel-
'**' lenhaltige Gewebe durch neue Sarkomzel-
Fig. 5. Die grossen sternförmigen, peitschen- und leU (Rundzelleu) SUbstltuirtwlrd ; daS MyXO-
ganglienzellähniic^en^^^ellen eines reinen ^^^^^^ -g^ -^^ ^j^g Sarkom metaplaslrt.
Es ist selbstverständlich, dass es auch
primäre maligne Tumoren in der Pauke ihren Ursprung nehmen können, wie
wir weiter unten sehen werden.
Was die Symptome der Polypenbildung anbelangt, so können kleine, zu-
weilen auch grössere, an und für sich für den Patienten völlig symptomlos bleiben,
neben der beinahe immer vorhandenen Mittelohreiterung. Ein Wahrzeichen,
das immer mit grösster Wahrscheinlichkeit auf Granulations-, bezw. Polypen-
bildung hindeutet, ist das Blut, das sich entweder dem Eiter beimengt oder
zuweilen rein aus dem Ohre ab träufelt. Wird der Polyp sehr gross, so dass
der ganze Meatus ausgefüllt ist, oder treten Schwellungen der Gehörgangs-
wände ein, so treten in kürzester Zeit die Erscheinungen der Reten-
tion auf: die Patienten bekommen Schmerzen im Ohre, im Warzenfortsatze,
hauptsächlich aber intensive Kopfschmerzen, verbunden mit Schwindel, Un-
sicherheit der Gehbewegungen, schliesslich Erbrechen, Fieber, zuweilen auch
Faciallähmung. Ebenso kann während der Zeit das Hören verändert sein,
muss es aber' nicht. Nimmt man oft noch zur rechten Zeit die Entfernung
des Polypen vor, so gehen die Erscheinungen häufig rasch zurück.
Reflexneurosen (Husten, Niesen etc.) kommen zuweilen auch bei
nicht eingeklemmten Polypen vor. Die Polypen des Recessus epitympanicus
bei Perforation der Membrana Strapnelli lösen gerne schwere Symptome aus.
Erkannt werden die Polypen gewöhnlich leicht, besonders die grösseren
sind oft schon ohne Reflector zu diagnosticiren. Der Sitz der Polypen wird mit-
telst der Sonde eruirt, und wir finden ihn zumeist in der Pauke, da das Trom-
melfell gewöhnlich perforirt ist. Verwechslungen können stattfinden mit dem
granulös entarteten Trommelfell, das als breite, roth granulirte Fläche leicht
blutend vor uns liegt; indes ist das Trommelfell bei Berührung empfindlich,
der Polyp nicht. Auch die Luftdouche lässt sich mit zur Diagnose ver-
wenden. Bei unperforirtem Trommelfell kann die Diagnose a priori über-
haupt nicht gestellt werden; erst nach dem Spontandurchbruch oder einer
Incision wird das Bild klar.
Die Prognose richtet sich nach der Art und dem Wachsthum des
Polypen. Harte, grosse, solitäre Polypen besonders wenn sie schon im
Meatus oder am Trommelfell selbst entspringen, recidiviren fast nie; kleine
NEOPLASMEN DES OHRES. 389
weiche, leicht blutende dagegen recidiviren sehr gerne, wenn sie nicht gründ-
lich al3getragen werden. Kleinere (trotz der Entfernung) immer wieder-
kehrende Granulationen deuten auf versteckte Caries und werden niemals zur
definitiven Heilung gelangen, bevor der cariöse Herd nicht durch operativen
Eingriff beseitigt worden. Sehr rasch wachsende Geschwülste sind suspect
auf Malignität. Die mikroskopische Untersuchung ist für die Stellung der
Prognose unerlässlich.
Therapie. Obwohl es in Ausnahmsfällen zu einer Spontanabstossung
oder zu einer Vereiterung oder Schrumpfung der Polypen kommen kann,
dürfen wir nie auf ein solches Vorkommnis rechnen. Der Polyp muss ent-
fernt werden. Wir können zweierlei Arten der Behandlung unterscheiden, die
medicamentöse und die operative. Bei kleineren Polypen, besonders bei
multiplen Granulationen, kommt man, so lange nicht Caries der Grund ihres
Daseins ist, zuweilen zum Ziele durch Einträufelungen von absolutem Alko-
hol mit Sublimat (O"! S. :100-0 A). Auch Aetzungen bringen eine Heilung
oft zu Stande: Argent. nitric. in Substanz an die Sonde angeschmolzen oder
Chromsäure rein; ebenso sind Aetzungen mit Trichloressigsäure sehr
ausgiebig, wenn schon die Schmerzhaftigkeit momentan eine sehr hohe ist.
Bei grösseren Polypen oder bei Ketentionserscheinung ist die operative Ent-
fernung angezeigt, ebenso bei recidivirenden kleineren. Sie wird am bequem-
sten vorgenommen mit der alten WiLDE'schen Schlinge; sehr harte Polypen
müssen mit der galvanokaustischen Schneideschlinge abgetragen werden. Ab-
rissen und Abquetschen, ebenso Abdrehen oder Abbinden sind als theils sehr
unzuverlässig, theils als roh und gefährlich zu verwerfen. Kleine recidi-
virende Granulome müssen mit dem scharfen Löffel oder der Curette (für
die Pauke) ausgekratzt werden, jedoch unter grösster Vorsicht. Xach jeder
Abtragung muss der Stumpf möglichst gründlich verödet werden. (Vergleiche
auch Artikel „ Ohrjjoli/pen" dieses Bandes.)
Die zweite Neubildung, die uns als sehr wichtige entgegentritt, ist das
Cholesteatom. (Vergleiche mit der nachfolgenden Darstellung den aus-
führlichen Artikel „Cholesteatom^^ pag. 86 dieses Bandes.) Es repräsentirt
sich uns als eine mehr weniger rundliche, kirsch- bis oft über eigrosse, perl-
mutterähnlich glänzende, weisslichgelbe oder weissbräunliche Geschwulst, die
aus concentrisch zusammengeschächtelten Plattenlagern polygonaler, kernloser
Epidermiszellen mit Cholestearin- und Fettkörncheneinlagerungen sich zusam-
mengesetzt erweist.
Die Genese der Geschwulst ist noch nicht definitiv geklärt; es bestehen
drei Anschauungen. Virchow u. A. sehen es als eine heteroplastische Ge-
schwulst, als eine eventuell congenitale Neubildung des Mittelohres nach
Analogie der branchiogenen Kystome an.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass es thatsächlich solche Cholesteatome gibt,
die nur als wahre primäre Neubildungen aufzufassen sind, *wie z. B. von Seh wart ze ein
derartiger Fall beobachtet wurde, aber immerhinist diese Genese des Ch. die bei weitem
seltenste.
Tröltsch und mit ihm sehr viele Ohrenärzte betrachteten es als ein Pro-
duct alter abgelagerter Epithel- und Eitermassen; es handle sich hiebei noch
um ein Metaplasie des Trommelhöhlenepithels, das sich in ein geschichtetes
Plattenepithel umwandle.
Habermann und mit ihm die Mehrzahl der jetzigen Otologen nimmt
an, es bilde sich eine Hyperplasie des Epithels des äusseren Ohres, das
secundär durch die Perforation hindurch in die Mittelohrräume hineinwuchere
und dort durch selbständiges Fortwachsen das Cholesteatom erzeuge. Letztere
Ansicht hat die meiste Wahrscheinlichkeit. Veranlasst kann das Cholesteatom
werden durch chronische Entzündungen im äusseren Gehörgange (Fremdkör-
per, Cerumen- und Epidermispfröpfe, Entzündungen) oder im Mittelohr.
390 NEOPLASMEN DES OHRES.
Nach meinen eigenen *) Untersuchungen, die die Resultate Habermann's im Ganzen
nur bestätigen, entsteht die grösste Mehrzahl der Ohrcholesteatome secundär durch ein
primäres Hineinwachsen des Plattenepithels des äusseren Ohres durch eine Trommel-
felllücke. Das einfache Hineinwachsen an und für sich erzeugt aber das Cholesteatome noch
nicht, durch dieses wird im Gegentheil die epidermoidale Heilung, die beste Naturbildung
erzielt, die eben eintritt, wenn das eingewanderte fremde Epithel seiner Bestimmung, als
einfache vicariirende Ueberzugsdecke zu fungiren nachkommen kann. Erst wenn die ein-
gewanderte Epidermis durch die Secretions- und Lokalverhältnisse gezwangen anfängt,
sich in niederer Lage übereinander zu schichten und in Folge des permanenten Reizes in
hyperphysiologischer Menge producirt wird, entsteht das Gh., da das producirte Epithel
seiner Bestimmung nicht zugeführt werden kann und somit als todter Körper, als selbst
wieder irritirend wirkender Fremdkörper vom Organismus eliminirt werden soll, aber
nicht kann (vermöge der eigenartigen, reuseiiähnlichen Lagerung der Zelllagen selbst, der
Lage und der Gestalt der Perforation, sowie anderer Lokalverhältnisse). Es kommt zu
einem Missverhältniss zwischen Production und Abfuhr und als Resultat dieser frucht-
losen Bemühungen der Natur, die Elimination mit der Production ins Gleichgewicht zu
bringen, tritt das Cholesteatom mit seiner in ihm selbst begründeten Tendenz der escen-
trischen Expansion, da allmählich die knöchernen Widerlager zum Opfer fallen müssen,
zu Tage. Kümmel scheint neuerdings mehr der Auffassung zuzuneigen, dass die meisten
Cholesteatome das Product einer lediglich desquamativen Otitis sein dürften.
Der Liebliügssitz des Cholesteatoms ist der obere Paukenraum, der Re-
cessus und das Antrum mastoideum; zuweilen etablirt es sich auch im Gehör-
gange und kann dann sackartig in die Pauke hineinragen. Zu den letzteren
gehört auch ein Theil der von Nessler genau geschilderten Epidermis-
pfröpfe des Gehörganges. Ueberall, wo es sich befindet, kann es im Laufe der
Zeit durch Druckusur zum Schwunde und zur Destruction des Knochens füh-
ren, so dass die grossartigsten ossalen Zerstörungen aus ihm entspringen; es
kann, wie ich u. a. das beobachtet haben, die ganze Paukenhöhle sammt dem
Processus mastoideus und Meatus in eine einzige grosse Höhle umgewandelt
werden.
Vor nicht sehr langer Zeit habe ich einen Fall obducirt, in dem das Ch. nach
Usurirung der Schädelknochen der Dura und des Gehirns sogar in dem Seitenventrikel
durchgebrochen war.
Symptomatologisch bleiben oft ziemlich grosse Cholesteatome für den
Patienten ohne eigentliche Merkmale, ausgenommen eine sehr variable Schwer-
hörigkeit, so dass der Patient keine Ahnung hat, in welcher Lebensgefahr
er schwebt. Dies ist der Fall besonders, wenn ein Stillstand des Wachsthums
des Cholesteatoms eingetreten ist. Es verräth sich das Cholesteatom dem
Patienten höchstens durch den Abgang weisslichgelber, plattenartiger Häute
aus dem Ohre. In anderen Fällen aber stellen sich entweder ganz plötzlich,
häufig auf einen äusseren Anlass hin (Eindringen von Wasser beim Baden,
Ausspritzen) oder mehr langsam bedrohliche Erscheinungen von Seite des
Labyrinthes und Gehirnes ein, heftige Ohr- und Kopfschmerzen, speciell auf
der kranken Seite, Erbrechen, Schwindel, Coordinationsstörungen. Die Eite-
rung, die meist dabei vorhanden ist, ist gewöhnlich keine profuse, dagegen
ausserordentlich stark stinkend. Ausserordentlich häufig findet man bei die-
sen subacuten Schüben eine mit Otitis externa verwechselbare Anschwellung
des Gehörganges und insbesondere stark ausgeprägt die Senkung der hinteren,
oberen Wand. Häufig tritt eine temporäre Besserung ein, wenn sich spontan oder
artificiell ein Theil des Cholesteatoms entfernen lässt; später aber treten wieder
die gleichen Erscheinungen, die rasch zur letalen Meningitis führen können,
auf, falls nicht eine gründliche Entfernung vorgenommen wird. Die Dauer
des Cholesteatoms erstreckt sich immer auf viele Jahre.
Bezüglich der speciellen Symptomatologie, Prognose und
Therapie vergleiche den ausführlichen Artikel „Cholesteatom" pag. 90 u. ff.
Ausser diesen wichtigsten Neubildungen des Mittelohres haben wir noch
zu registriren von malignenprimären Paukenhöhlentumoren das Sarkom,
*) Centralblatt f. allg. Path. u. path. Anatomie Bd. VL 1895.
NEOPLASMEN DES OHRES. 391
das, wie angedeutet, zuerst unter dem Bilde eines rasch wachsenden Polypen
auftreten kann; es kann, wie ich das in einem Falle beobachtet habe, die
Wucherung gleichzeitig aus dem Gehörgang heraustreten und an der Ober-
fläche des Warzenfortsatzes, nach Durchbruch der knöchernen Decklager zum
Vorschein kommen als bläulichrothe, schwammige, bei der geringsten Derührung
colossal blutende, über taubeneigrosse Geschwulst. Sarkome können auch unter
Umständen eine subcutane periosteale, teigige Schwellung der regio mastoidea
veranlassen und so verwechselt werden (Schwartze) mit einem subperiostealen
Abscess oder einem durchgebrochenen Empyem; bei der Incision findet sich
statt des Eiters die Geschwulstmasse. Ein primäres melanotisches Sarkom
hatte ich zu beobachten Gelegenheit gehabt. Ebenso Kuhn. Es handelt sich
meist um Rundzellensarkome, seltener Spindelzellensarkome oder grosszellige
Sarkomformen. Osteosarkome entstehen selten in der Pauke, gewöhnlich
greifen sie über. Fibrosarkome, relativ benigne, gehen vom Periost des
Mittelohres aus. EinChlorom, das eine Sinusentzündung vortäuscht, ist
von Körner beobachtet.
Carcinome, primäre, sind beobachtet worden mit colossaler consecutiver
Zerstörung des ganzen Felsenbeines. Sie finden sich als Plattenepithelkrebse
oder Cylinderepitheliome, die sich gegen den Oberkiefer, die Schädelbasis,
den Hals, das Cavum pharyngeum und bis zur Occipitalgegend ausbreiten
unter ausgesprochenen Lähmungserscheinungen. Chronische, jahrelange be-
standene Mittelohreiterung ist für gewöhnlich mit leicht blutenden Granu-
lationsbildungen vorausgegangen; die subjectiven Erscheinungen (frühzeitiger
Schmerz im Ohre, zuweilen in Form von Trigeminusneuralgie, Schwindel,
Taubheit, Facialslähmung) sind nicht ausgesprochen. Therapeutisch sind die
meisten Mittelohrcarcinome, wenn sie nicht schon frühzeitig histologisch ana-
lysirt werden, nahezu unzugänglich. Konnte man nicht sehr frühzeitig aus-
reichend exstirpiren, so beschränkt sich die Behandlung auf Insufflation von
Pulv. Herb. Sabin, u. Alumin. cüi oder die sonstige, obligate Behandlung, jeder
andere Eingriff beschleunigt nur erst recht das Wachsthum, insbesondere die
Aetzungen.
Tuberkulose des Mittelohres als primäre Erkrankung kommt vor;
dem Schleimhautlupus kann das ganze Ohr als Panotitis luposa zum
Opfer fallen (Gradenigo).
Syphilis kann als Ulceration oder periostales Gumma in der Pauke
auftreten.
Osteome (benigne) stellen sich als flache oder kugelige Hervorragungen
ein; Hyperostose ist nicht selten, in der Umgebung der Fen. rot. und
ovalis von besonders schweren Folgen für die Hörfunction; auch allgemeine
Hyperostose bei chronischen exsudativen Processen ist nicht zu selten.
Cystische Entartung der Paukenschleimhaut, nach Analogie der Kolpo-
hyperplasia cystica, kommt bei chronischen Eiterungen in Form vieler kleiner
gelblicher Bläschen zur Beobachtung; Blutcysten ausnahmsweise.
VI. Neubildungen des Warzenfortsatzes.
Bei Hyperostose des ganzen Warzenfortsatzes als Product einer durch
chronisch-eitrige Mittelohrprocesse hervorgerufenen condensirenden Ostitis
gelangen sämmtliche pneumatischen Räume mehr oder weniger zur Oblitera-
tion; der Percussionsschall ist, trotzdem in der Tiefe Ansammlungen von
Eiter sein können, absolut hell.
Die Hyperostose legt der Natur- und Kunsthilfe oft schwere Hinder-
nisse bei der Unschädlichmachung der eitrigen Processe in den Weg. —
Osteome können sich infolge einer Entzündung innerhalb der Zellen als
drüsige Excrescenzen bilden. — Exostosen kommen als rundliche, glatte,
schmerzlose Geschwülste vor.
392 NEUROSEN DES KEHLKOPFES.
Sonstige Neubildungen: Gummata (nicht selten), primäre Schanker
(selten), Sarkome, Carcinome; bei diesen handelt es sich zumeist um
Krebse, die vom Mittelohr durchgebrochen oder vom äusseren Ohr her
herübergewandert sind; primäre centrale Tuberkulose, bei der immer die
Lymphdrüse auf dem Warzenfortsatz tuberkulös infiltrirt und palpabel ist,
habe ich nachgewiesen.
Luftgeschwülste kommen infolge von Traumen zur Beobachtung
bei congenitaler Dehiscenzbildung an der Corticalis des Processus.
YIL Neubildungen des inneren Ohres.
Neubildungen des Acusticus sind mehrfach beobachtet worden; es
gehören hieher Fibrome, Sarkome, Neurogliome und Gummata;
auch ein „knorpeliger Körper" wurde an der Austrittsstelle des Acusticus
aus der Medulla beschrieben. Kalkeinlagerungen in Gestalt von phos-
phorsaurem oder kohlensaurem Kalk sind im Periost des Porus acusticus
internus und im Neurilem gefunden worden.
Die Diagnose solcher Geschwülste intra vitam wird oft eine sehr un-
sichere sein und bleiben müssen, wenigstens bei Tumoren, die nur den
Acusticus allein betreffen, da die dabei sich langsam oder schnell entwickelnde
Taubheit gerade so gut von einer Labyrinthaffection herkommen kann. Erst
wenn sich Symptome von Seite der anderen Hirnnerven dazu gesellen, wird
der objective Thatbestand einer Acusticusneubildung näher gerückt, insbeson-
dere wenn Lähmungserscheinungen im Gebiete des Facialis auftreten.
Die klinisch-casuistische und pathologisch-anatomische Literatur über
Neubildungen des Labyrinthes ist bislang noch eine sehr kleine.
Am häufigsten sind noch Bindegewebsneubildungen als Residuen
entzündlicher Processe im Vorhofe oder im Porus acusticus internus näher
verfolgt werden. Ihnen folgen dann die Hyperplasien der knöchernen Kapsel
als Osteophyten oder Exostosen. Ausserdem wurden noch als primäre
Tumoren beschrieben ein „fibromusculärer Tumor", und das Chole-
steatom soll nach Böticher auch seinen Ursprung im Labyrinthe nehmen
können. Syphilom ebenfalls.
Häufiger sind schon die Fälle, in welchen das Labyrinth secundär von
Neubildungen ergriffen wurde. So können sich Parotiskrebse, Carcinome des
Nasenraumes oder der Zunge oder des Mittelohres auf das innere Ohr fort-
setzen. Maligne Neoplasmen, besonders der Meningen, setzen sich häufig
in der Weise fort: Fibro- und Spindelzellensarkom, Rundzellen-
sarkom, Endotheliom, Carcinom, Psammom. Ein Osteosarkom
habe ich übergreifen sehen bei einem 19jährigen jungen Mann.
HAUG.
Neurosen des Kehlkopfes. Dieselben werden eingetheilt in A) Sen-
sibilitätsneurosen, B) Motilitätsneurosen. Die Sensibilitätsneurosen
sind unter dem gleichlautenden Stichworte in diesem Bande abgehandelt.
Die Motilitätsneurosen zerfallen wieder in a) hyperkinetische und b)
hypokinetische Motilitätssstörungen des Kehlkopfes. Erstere sind als
Spasmus glottidis, Larynxkrisen, inspiratorisch functioneller Stimmritzenkrampf,
phonischer functioneller Stimmritzenkrampf „Nervöser Kehlkopf husten" und
„Kehlkopfschwindel," unter dem gemeinsamen Stich worte ^^Glottiskrämpfe'-'
auf pag. 168 u. ff. dieses Bandes abgehandelt. Die hypokinetischen Moti-
litätsstörungen werden kurz als Kehlkopfmuskellähmungen bezeichnet und
finden ihre Ursache entweder in einer Erkrankung der Kehlkopfmuskel —
myopathische Form oder es liegt eine Erkrankung der den Kehlkopf ver-
sorgenden Nerven, neuropathische Form, vor. Die Kehlkopfmuskellähmungen
sind ausführlich im Artikel ^^Parahjsis musculorum laryngis'-^ behandelt, r.
NEUROSEN DER MUNDHÖHLE, DES RACHENS. — OHRPOLYPEN. 393
Neurosen der Mundhöhle. Die Neurosen der Mundhöhle theilt man
gleichfalls ein in Sensibilitätsstörungen (vide Artikel „ Sensibüitätsstörun^en
der Mundhöhle"), in Störungen des Geschmacksinnes (dieselben sind im Artikel
j^GeschmacJisinnstörungen^^ im Bd. I, der Int. Med. 2)ag. 775, sowie in den Ar-
tikeln „Ägeusie'"'- und Hypergeusie auf pag. 17., bezw. 2()() ds. Bds. besprochen)
und in Störungen der Motilität. Letztere betreffen Lähmungen der Lippen,
Kau- und Zungenmusculatur. Paresen der Lippenmusculatur finden sich bei
centralen Erkrankungen und bei der peripheren Facialislähmung. Läh-
mung der Kaumusculatur sind Zeichen schwerer centraler Erkrankungen.
Vielfältiger sind die Ursachen der Zungenlähmung. Die letzteren sind
ebenso wie die Zungenkrämpfe unter gleichlautenden Stichworten in die-
sem Bande besprochen. k.
Neurosen des Rachens. Die sensiblen Neurosen des Rachens werden
im Artikel „ Sensibüitätsstöi^ungen des Rachens'''' besprochen. Bezüglich der
Krämpfe in der Pharynxmusculatur vergl. den Artikel ,^ Schlundh-ämpfe'-' . Die
Lähmungen der Gaumenmusculatur werden im Artikel „Paresis veli imlati^
behandelt. u,
Ohrpolypen, in früheren Jahren bezeichnete man mit dem Namen
„Ohrpolyp" eine jede Geschwulst im Ohre, ob gut- oder bösartig, ob weich
oder hart, ob im äusseren oder im mittleren Ohrabschnitte. Heute geben
wir diesen Namen nur jenen gutartigen Bindesubstanzgeschwülsten im äusseren
und mittleren Ohre, die von länglicher Form, graurother Farbe eine meist
glatte, selten eine gefurchte Oberfläche besitzen und die vermittelst eines
dünneren oder dickeren Stieles mit der Mittelohrschleimhaut oder der Cutis
des äusseren Gehörcanales in Verbindung stehen. Die Grösse dieser Ge-
schwülste variirt von der eines Stecknadelkopfes bis zu einer Nuss; im letz-
teren Falle füllen sie die Paukenhöhle und den Gehörcanal aus, können sogar
aus der äusseren Ohröftnung herausragen ; ebenso variirt ihre Zahl, meist ist
nur ein Tumor vorhanden, oftmals aber sind es deren mehrere bis zu fünf
und sechs. Ihre Form ist anfangs eine rundliche; meist aber wachsen sie
in der Richtung des länglichen, äusseren Gehörcanales
und nehmen dann auch eine längliche, keulenartige Form ^jg- 2.
an (Fig. 1 und 2); ihre Oberfläche ist meist ganz glatt,
andere Male ist dieselbe unregelmässig, leicht gefurcht '^^s- 1-
und papillomatös; in den häufigsten Fällen besitzt der
Polyp nur einen einzigen Körper, zuweilen jedoch ist &
er aus mehreren, kleineren oder grösseren lappigen Ein- ^
zeigeschwülsten zusammengesetzt, die von einem ein- ^m
zigen breiten Stiele ausgehen (Fig. 3). ^^
Kleinere Polypen und solche, die noch im Bereiche i'^g- \ poIj-p aus dem rech-
der Paukenhöhle liegen, haben eine hochrothe Farbe; ten Muteiohre^emes lojahng.
je mehr sie dann bei ihrem Wachsthum den Gehörcanal e'*?- 2. Poiyp aus dem rech-
erreichen und so der äusseren Luft ausgesetzt sind, ^^'^ölährigen n'a'n^ner*''
desto trockener ist ihr Aussehen und sie nehmen eine
graurothe, selbst grauweisse Farbe an. Die Consistenz der Polypen ist meist
eine ganz weiche, nur die grösseren und trockenen sind härter und resisten-
ter. Die Geschwulst ist mit ihrem Mutterboden durch einen mehr oder min-
der langen, häufig ganz dünnen, oftmals auch sehr breiten Stiel verbunden.
Die meisten Ohrpolypen entstammen der Paukenhöhle, viel seltener
kommen sie aus dem äusseren Gehörcanale, vom Trommelfell, und am seltensten
findet man sie in den Warzenzellen und der Tuba Eustachii; sie wurzeln in
den oberflächlichen Gewebsschichten dieser Ohrtheile, zuweilen auch gehen
sie vom Periost aus. In der Paukenhöhle entspringen diese Geschwülste
394
OHRPOLYPEN.
Fig. 3. Polyp (Fibroma mol-
luscum) aus dem linken Mit-
telohre eines 40jährigen
Mannes.
vorzugsweise von der inneren Trommelhöhlenwandung, im Meatus externus
von dessen hinterer oberer Wand; sie entstehen an der Aussen- wie auch an
der Innenfläche des Trommelfelles; oftmals bilden sie sich als Granulome an
den Rändern einer kleinen, frischen oder alten Trom-
melfellperforation oder auch infolge eines mechanischen
Reizes (Cerumenpfropf) oder einer instruraentellen ober-
flächlichen Verletzung oder schliesslich an cariös-nekro-
tischen Knochenpartien. Zu den grössten Seltenheiten
gehören Polypen der Paukenhöhle bei intactem Trom-
melfell. (Zaufal, Gottstein, Eitelberg.) Im Inneren
des Warzenfortsatzes kommen nicht allzu selten polypöse
Tumoren vor, die durch die hintere Meatuswand in den
Gehörcanal oder durch die Corticalis des Knochens
nach aussen durchbrechen können. Einige wenige Fälle
von Polypen am Paukenostium der Tuba sind ebenfalls
gesehen worden (Voltolini). Gar oft finden wir Polypen zu gleicher Zeit
im äusseren und im mittleren Ohre, zuweilen sogar in beiden Ohren und
manchmal an symmetrischen Stellen.
Mikroskopisch unterscheiden wir nur zwei Arten von Ohrpolypen: die
Granulome und die Fibrome. Die ersteren und häufigsten bestehen
aus einer spärlichen Grundsubstanz von jungem Bindegewebe und aus zahl-
reichen, dicht gelagerten Rundzellen; ausserdem besitzen sie eine grosse
Menge capillärer Blutgefässe; ihre Oberfläche ist meist von einem einfachen
cylindrischen Flimmerepithel überzogen. Bei grösseren Polypen sehen wir oft-
mals Cylinderepithel an der Wurzel und den jüngeren Geschwulsttheilen,
während das periphere Stück des Tumors Pflasterepithel trägt. An der
papillären Oberfläche solcher Geschwülste senkt sich das Deckepithel zapfen-
artig in die Tiefe, und beim Weiterwachsen dieser Neubildungen schnüren
sich diese zapfenförmigen Epitheleinsen-
kungen ab und stellen drüsenschlauch-
artige, mit Cylinderepithel ausgekleidete
Gänge dar; letztere können sich später
erweitern und mehr weniger grosse, cysten-
artige Räume bilden, in denen freier
Schleim, Schleimzellen, Cholestearinkry-
stalle liegen (Fig. 4). Zuweilen erreichen
diese cystösen Räume eine solche Grösse,
dass der ganze Polyp nur eine einzige
Cyste darstellt. Die Cystenbildung kann
aber auch in der Weise zu Stande kom-
men, dass zunächst in dem Granulations-
gewebe eine circumscripte Anhäufung von
Leukocyten entsteht, ein richtiger Lymph-
follikel, in dessen Centrum eine schlei-
mige Erweichung stattfindet, die dann nach
der Peripherie fortschreitet, und schliess-
lich bleibt nur ein einschichtiger Leuko-
cytensaum übrig, der die Wandung oder
das Epithel der jetzt fertigen Cyste dar-
stellt (Manasse). Die zweite Art von Ohr-
polypen besitzen den Bau der harten oder
weichen Fibrome. Die viel selteneren
harten und trockenen Tumoren bestehen aus dichten, dicken Bindegewebsfasern
mit nur wenigen spindelförmigen Zellen und einer ganz geringen Anzahl von
Blutgefässen; die weichere ebenfalls blutgefässarme Form, das sogenannte
Fig. 4. Querschnitt durch einen Granulations-
polypen. Linkes Mittelohr einer 47j&hrigen
Frau. Hartn. 3 1 1.
OHRPOLYPEN. 395
ödematöse oder Myxofibrom, kommt viel häufiger vor und ist aus dünnen
durchsichtigen Fibrillen zusammengesetzt, zwischen welchen ziemlich viele
Kund- oder Spindelzellen eingestreut sind; zuweilen zeigt das Bindegewebs-
stroma alveoläre Anordnung mit homogener mucinhaltiger Zwischensubstanz
(Steudener, Kisselbach). Zwischen den harten Fibromen und diesen öde-
matösen weichen beobachtet man zahlreiche Uebergangsformen; selbst im
gleichen Tumor wechseln härtere mit weicheren Stellen ab. So ist auch das
von Steudener u. a. geschilderte Myxom der Paukenhöhle nur ein gallertiges
weiches Fibrom, in welchem neben dem embryonalen Bindegewebe hie und
da auch etwas derbere fibröse Partien vorkommen; das durchsichtige Binde-
resp. Schleimgewebe dieser letzteren Fibromart ist dem in der Nabelschnur ganz
analog, und sie haben sich aller Wahrscheinlichkeit nach aus zurückgeblie-
benen Resten jenes fötalen Schleimhautpolsters entwickelt, das beim Neu-
geborenen an der Promontorialschleimhaut regelmässig vorhanden ist.
Es ist unnöthig, bei den Ohrpolypen noch weitere anatomische Formen
zu unterscheiden, z. B. Angiome (Moos und Steinbrügge), Fibroepitheliome
und Adenome (Niemack), denn schliesslich dürften alle Ohrpolypen, mit Aus-
nahme der seltenen harten Fibrome des Gehörcanales, ursprünglich nur Gra-
nulome (Weydner) gewesen sein, die eine allmähliche Umwandlung in Fibrome,
Angiome erlitten haben. So z. B. ist das Angiofibrom nur eine weitere Ent-
wicklungsform des Granuloms, entstanden „durch Bildung von Bindegewebs-
zellen aus den Zellen der Adventitia der zahlreichen später meist obliteri-
ten Gefässe von Granulationsgeschwülsten."
In den Fibroepitheliomen, die besonders im äusseren Ohre zur Beob-
achtung kommen, finden wir ein an Blutgefässen armes bindegewebiges Stroma,
in welches von der Oberfläche her starke, atypische Wucherungen des Epithels,
resp. der Epidermis hineingewachsen sind.
Der Epithelüberzug der Ohrgranulome und Fibrome ist ein sehr ver-
schiedener. Die glatte, nicht blutende Oberfläche der kleinen Granulome be-
sitzt oft gar keinen Epithelüberzug, ebensowenig wie der geschwürige Mutter-
boden, auf dem sie sich entwickelt haben; andere Polypen sind mit einem
einfachen, wieder andere mit einem mehrschichtigen flimmernden Cylinder-
epithel überzogen, hohen cylindrischen Zellen mit grossem runden Kerne.
Zuweilen wird am geschichteten Cylinderepithel die obere Zellschichte durch
Einwirkung der äusseren Luft, durch Druck u. s. w., so auf die tiefere
Schichte gepresst, dass die oberen Cylinderzellen horizontal zu liegen kommen
und wie Plattenepithelien aussehen. Andere Male haben wir es mit einem
epidermoidalen Ueberzuge zu thun; wir finden über der untersten Cylinder-
schichte Stachel- und Riffzellen und darüber w^ahres Plattenepithel. Ob wir
es hier mit einer Metaplasie von Cylinderepithel in Plattenepithel zu thun
haben, ist schwer zu sagen; jedenfalls sieht man sehr oft Cylinderzellen in
die Retezellen hineinwachsen und anderseits die cubischen Riffzellen sich
in die wahren Cylinder hineindrängen. Einen solchen epidermoidalen Ueber-
zug finden wir an der Oberfläche der Geschwulst sowohl, wie auch an ihren
Einkerbungen; zuweilen sieht man an den jüngeren Geschwulsttheilen schönes
einfaches Cylinderepithel, während die älteren Abschnitte von Plattenepithel
und Epidermis überzogen sind. — Wendt hat Schweissdrüsen, Lucae Schleim-
drüsen in Ohrpolypen gefunden. Drüsenartige, schlauchförmige Bildungen
sieht man häufig auf Quer- und Schrägschnitten solcher Tumoren; in vielen
Fällen handelt es sich hiebei um Abschnürungen des ins Stroma hinein-
gewachsenen Deckepithels, andere Male aber sind diese mit Cylinderzellen
ausgekleideten Schläuche von festem Bindegewebe umgeben und stellen wahre
Drüsengebilde vor. Ausser diesen drüsenartigen Bildungen finden wii' auch häufig
kleinere und grössere cystenartige Räume, wir sehen oftmals Blutungen und
deren Umwandlungen in Pigment. Wir finden Riesenzellen der verschie-
396 OHRPOLYPEN.
densten Art und Form um abgefallenes Epithel oder Cholestearinschollen
(Manasse); alle diese Riesenzellen müssen als Fremdkörperriesenzellen be-
trachtet werden; Epidermisschuppen im lebenden wie im abgestorbenen Zu-
stande oder Cholestearinkrystalle wirken auf das vorhandene Granulations-
gewebe als Fremdkörper, und es bildet sich um dieselben eine einzige oder
auch ein geschlossener Kranz von Riesenzellen.
Es kommen ferner Verkalkungen vor, selbst Yerknöcherungen, bei
welchen die Knochensubstanz von der Mittelohrwand, wo der Polyp aufsass,
in das Granulom hineingewachsen ist, oder auch völlige Verknöcherung des
ganzen Tumors (Bezold). Schliesslich wurden auch Haare in diesen Tumoren
gesehen, die, sei es zufällig, von aussen auf das Granulom gefallen waren
(Kuhn) oder in demselben (!) sich gebildet haben sollen (Scheibe).
Aetiologie. Wir kennen aus der Literatur einige wenige Fälle von
angeborenen Ohrpolypen (Itaed, Urbantschitsch). Die Neubildungen ent-
stehen im Ohre auch ohne bekannte vorausgegangene Schädigung oder
Eiterung, so in erster Linie die Fibrome des äusseren Gehörcanales; oftmals
bilden sich Granulationsgeschwülste im Verlaufe acuter Entzündungen des
äusseren Gehörcanales, des Trommelfells und der Paukenhöhle, hervorgerufen,
sei es durch die irritirende Wirkung der eiterigen Secretion, sei es auch in-
folge eines medicamentösen Reizes; in den meisten Fällen jedoch besteht
neben den Ohrpolypen eine chronische Eiterung, besonders in der Pauken-
höhle; es entstehen zuerst oberflächliche, später tiefere Substanz Verluste auf
der entzündeten Schleimhaut des Mittelohres, und auf diesen wuchern dann
die Granulationen; w^arum dies nur in gewissen Fällen von chronischen Mittel-
ohreiterungen stattfindet, in anderen vielleicht schon länger bestehenden der-
artigen Paukenprocessen dagegen nicht, warum in dem einen Falle diese
kleinen Granulome weiterwachsen, in anderen aber nicht, diese verschiedenen
Momente sind uns bis jetzt noch unbekannt. Die Erfahrung lehrt uns nur,
dass Constitutionsanomalien (Scrophulose, Tuberkulose, Anämie u. s. w^) zu
eiterigen Ohrkatarrhen ungemein disponiren und auch häufig zu Bildungen
von Granulationspolypen Veranlassung geben. Wir finden weiterhin, dass, wie
an allen Körpertheilen, so auch im Ohre polypöse Granulationen sich häufig
auf cariösen Stellen entwickeln; es kommen aber auch zahlreiche Fälle von
Ohrpolypen vor, ohne cariöse Erkrankung des Standortes.
Symptome. Bei kleineren Polypen finden wir nur die Erscheinungen
eines eitrigen Ohrenflusses und mehr weniger hochgradige Taubheit, gerade
so wie bei der einfachen, eitrigen Mittelohrentzündung; aus der häufigen
Beimengung von Blut zum Ohreiter dürfen wir einen solchen Tumor ver-
muthen und werden ihn auch bei genauer Untersuchung des gut gereinigten
Ohres in vielen Fällen finden; wir sehen dann eine kleine bewegliche,
erbsengrosse, stark geröthete, weiche und leicht blutende Geschwulst in der
Tiefe des Ohres. Bei grösseren Geschwülsten gesellen sich den Symptomen
der Ohreiterung und der Schwerhörigkeit erst dann noch andere Erscheinungen
bei, wenn der Tumor durch sein grösseres Volumen den Gehörcanal verlegt
und den Eiterabfluss aus der Tiefe hindert; dann treten sogenannte Reten-
tionserscheinungen auf, die in starker Eingenommenheit des Kopfes, in hef-
tigen einseitigen Kopfschmerzen, unsicherem Gange, Schwindel und Er-
brechen bestehen. Dieselben sind durch jenen Druck verursacht, welchen
bei sehr voluminösen Polypen, die in der Pauke zurückgehaltene, weil an ihrem
Abflüsse behinderte Eitersecretion auf die Labyrinthfenster und den Labyrinth-
inhalt ausübt, und der schliesslich eine Reizung des Kleinhirnes bedingt; der-
artige Symptome machen häufig den Eindruck einer beginnenden Gehirner-
krankung und verschwinden erst, w^enn durch die Entfernung des grossen
Ohrpolypen der Eiter wieder abfliessen kann; in allen solchen Fällen, bei
welchen diese Remission nicht eintritt, können wir eine schon bestehende
OHRPOLYPEN. 397
complicirende Gehirnaffection annehmen. Bei Polypen des Mittelohres beob-
achten wir manchmal eine Facialisparalyse, die meist infolge einer Caries des
FALLOP'schen Canales entstanden ist, aber auch ohne eine solche auftreten
kann, wie uns dies jene Fälle beweisen, in welchen nach der Extraction von
Ohrpolypen die Lähmungen sich gebessert haben, zuweilen sogar vollständig
verschwunden sind.
Hie und da werden auch Reflexneurosen im Verlaufe von Ohrpolypen
beobachtet: Husten, Niesen, Hemianästhesie, Gesichtsparese mit Ptosis, Erec-
tionen u. s. w^; alles Reüexerscheinungen, die indirect vom Kleinhirn aus-
gelöst werden. — Die Functionsstörungen sind bei den Polypen des äusseren
Ohres nur durch die mechanische Verlegung des Gehörcanales bedingt; sie
können sehr beträchtlich sein, verschwinden aber vollständig mit der Entfer-
nung des Polypen, vorausgesetzt, dass keine andere Ohrerkrankung ausser
dem Polypen vorhanden ist. Bei den Polypen des Mittelohres dagegen ist die
Schwerhörigkeit vor allem die Folge der mannigfachen Veränderungen in der
Pauke und an den Gehörknöchelchen, und sie verbleibt auch meist trotz Ent-
fernung der Neubildung.
Diagnose. Bei Polypen des äusseren Ohres und des Trommelfelles
braucht letzteres nicht perforirt zu sein; dem grössten Theile (757o) dieser
Neubildungen liegt aber eine chronische Mittelohreiterung zu Grunde, und
hier besteht immer eine Trommelfellperforation. Den Tumor selbst, seine
Consistenz, seine Beweglichkeit erkennen wir, nach guter Pieinigung des Ohres,
vermittelst der Sonde, und es ist alsdann nicht schwier, den gut beweg-
lichen, weichen, nicht empfindlichen und meist leicht blutenden Ohrpolypen
von der geschwellten Promontorialschleimhaut, einem Ohrfurunkel, einer Vor-
bauchung der hinteren oberen Gehörgangswand oder von einer Exostose zu
unterscheiden. Die Beimengung von Blut zu dem Ohreiter wird bei Polypen
sehr häufig beobachtet.
Schwieriger ist es, den Standort der Polypen genau zu bestimmen und
seine anatomische Gattung. Die leichtblutenden, weichen Geschwülste ent-
stammen meist der Paukenhöhle; je beweglicher, desto dünner und länger ist
ihr Stiel; härtere, hellere und weniger blutreiche Polypen wurzeln meist im
äusseren Ohre, und es gelingt uns häufig ziemlich leicht, den Sitz der letzteren
vermittelst der Sonde genau zu bestimmen und sie als Fibrome zu erkennen.
Bei Polypen der Paukenhöhle ist es ebenfalls möglich, je nach der Tiefe und
der Richtung, in welcher wir die Ohrsonde einführen können, Lage und Sitz
derselben genauer zu diagnosticiren. Maligne Tumoren lassen sich in ihren
Anfangsstadien kaum von den gutartigen Polypen unterscheiden; nur wenn
diese polypenähnlichen Bildungen sehr rasch nach ihrer Extraction nach-
wachsen und wenn sie häufig und stark bluten, so müssen sie unsern Ver-
dacht erregen und erheischen eine genaue mikroskopische L^ntersuchung und
dies besonders dann, wenn die benachbarten Lymphdrüsen noch nicht
geschwollen sind.
Prognose. Bei Polypen, die dem äusseren Ohre entstammen und bei
denen das Trommelfell intact ist, wird die Prognose eine günstige sein; sie
können vollständig entfernt und ihr Recidiviren verhindert werden; lag vor-
her keine functionelle Ohrerkrankung vor, so kehrt auch das Gehörvermögen
vollständig zurück.
Die bei acuten Eiterungen zuweilen sich bildenden kleinen Granulome
verschwinden meist sehr leicht bei richtiger Behandlung und bei gutem Ab-
flüsse des Paukenhöhleneiters. Besteht jedoch neben dem Obrpolypen eine
chronische Mittelohraffection, wie ja dies so häufig der Fall ist, so "haben wir
es, wie bei einer jeden chronischen Eiterung der Paukenhöhle mit oder ohne
Caries, mit einer ernsten Erkrankung zu thun und dies umso mehr, als durch
den Ohrpolypen die Möglichkeit einer Eiterretention mit ihren bedenklichen
398 OHRPOLYPEN.
Complicationen gegeben ist. Bestehen seit längerer Zeit heftige Kopfschmerzen.
Schwindelanfälle, so ist die Prognose immerhin eine bedenkliche, aber auch
jetzt kann die baldige Extraction des Tumors noch Heilung bringen. Stets muss,
auch nach vollständiger Entfernung der Neubildung, der zu Grunde liegende
chronische Mittelohrprocess behandelt werden. Facialislähmungen heilen zu-
weilen vollständig nach Entfernung der Polypen; das Gehörvermögen dage-
gen wird durch die Extraction der Mittelohrpolypen nur in seltenen Fällen
gebessert werden können, weil ja die zu Grunde liegenden entzündlichen
Veränderungen auf der Mittelohrschleirahaut und am Gehörknöchelchen-
apparate es sind, welche die Hörfunction herabsetzen, und dieselben fast
nicht mehr zur vollständigen Heilung gebracht werden können. Wird bei
Polypenbildungen in einem Ohre die Stimmgabel beim WEBER'schen Versuche
nur im nichterkrankten Ohre vernommen, so ist neben der Erkrankung
des mittleren Ohres auch das Labyrinth afficirt. Nur in jenen Fällen, bei
denen schon im Momente des operativen Eingriffes eine otitische Gehirncom-
plication besteht, ist die Polypenextraction bedenklich; in allen anderen
Fällen wird eine vorsichtige Hand diese leichte Operation ohne jeglichen
Schaden für den Kranken ausführen, und die in der Literatur bekannt gewor-
denen Todesfälle bei Polypenextraction dürften auf schon vor der Operation
bestandene intracranielle Complicationen zurückzuführen sein.
Behandlung. Kleinere Polypen werden zuweilen infolge fettiger Dege-
neration ihres dünnen Stieles spontan oder bei Einspritzungen ausgestossen;
GoMPERZ hat Granulome durch Schrumpfung verschwinden sehen; oftmals
jedoch recidiviren diese spontan entfernten Geschwülste. — Die in früheren
Jahren viel versuchten Mittel (Zinkvitriol, Bleiessig, Creosot, Opiumtinctur
u. s. w.) werden kaum von Nutzen sein; es ist vielmehr zu befürchten, dass
während ihres Gebrauches bei dem inzwischen fortschreitenden Wachsthume
der Neubildung bedenkliche Rententionserscheinungen auftreten. Auch die
von manchen Ohrenärzten angegebenen Eisenchlorideinspritzungen in das
Gewebe des Polypen sind nach neueren Erfahrungen nicht unbedenklich. Die
von Politzer, Löwenberg und Morpurgo wiederholt beobachtete Heilung
von Polypenresten und Granulationen durch die methodischen Einträufelungen
von absolutem Alkohol konnten von Anderen nicht bestätigt werden.
Die Ohrpolypen müssen operativ entfernt, ihre Wurzel muss zerstört
werden und bei den Polypen des Mittelohres ist ausserdem auch die Behandlung
des zu Grunde liegenden chronischen Mittelohrprocesses nothwendig.
Polypen des äusseren Ohres und des Trommelfelles, sowie auch einige wenige
des Mittelohres können durch die Extraction und die Zerstörung der Wurzel
rasch und definitiv geheilt werden; bei Mittelohrpolypen dagegen dauert die
Behandlung viel länger; denn die nach der Extraction der Neubildung noth-
wendige Nachbehandlung des ursächlichen Mittelohrleidens nimmt meist lange
Wochen und Monate in Anspruch und erheischt ausserdem sehr häufig,
neben der bekannten localen Therapie, besonders bei Kindern eine tonisirende
und antiscrophulöse Allgemeinbehandlung (Salzbäder, Eisen, Arsenik u. s. w.);
die Erfahrung hat gelehrt, dass gerade bei den in ihrem Allgemeinbefinden
geschwächten Kindern und Erwachsenen die Mittelohrpolypen sehr häufig zu
jenen oben geschilderten bedenklichen Ptetentionserscheinungen Veranlas-
sung geben; ihre Entfernung ist deshalb so bald als möglich vorzunehmen,
denn es kann ja auch der eitrige Mittelohrprocess ohne Entfernung des Tu-
mors niemals geheilt werden.
Grössere aus dem Gehörcanale hervorragende Polypen kann man
mit einer gekrümmten Scheere abschneiden, resp. verkleinern; der hiebei zu-
rückbleibende Stumpf muss aber in der unten zu schildernden Weise noch nach-
träglich behandelt werden. Zur Extraction des Ohrpolypen bediente man sich
in früheren Jahren der bekannten „Verband- oder Kornzange"; hiebei läuft
OHRPOLYPEN.
399
man aber immer Gefahr, die Ge-
schwulst zu zerquetschen, sie nur
unvollständig zu entfernen und bei
breitaufsitzenden Tumoren die an-
grenzenden Schleimhautpartien oder
die Gehörknöchelchen gewaltsam mit
herauszureissen. Viel besser, weil viel
schonender, geschieht jetzt allgemein
die Extraction vermittelst des Wilde-
schen Schlingenschnürers; das In-
strument kann in seiner ursprüng-
lichen Form, wie es durch v. Tröltsch schon
vor 35 Jahren in Deutschland bekannt ge-
worden, auch heute noch mit grösstem Nu-
tzen verwendet werden; nur um sich des
gleichen Instrumentes auch zur Entfernung
von Ohr-, Nasen- und Nasenrachenpolypen
bedienen zu können, sind einige Modificatio-
nen des alten Modells nothwendig gewesen,
vor allem solche, die es ermöglichen, Lei-
tungsröhren von verschiedener Länge einzu-
legen. An dem modificirten WiLDE'schen
Schnürer (Figur 5) ist eine Flügelschraube
angebracht, vermittelst welcher der Draht auf
einer darunter befindlichen gerifften Quer-
stange rasch und sicher befestigt werden
kann; als Draht bewährte sich mir am besten
ausgeglühter Stahldraht, der auch für die
galvanokaustische Glühschlinge geeignet ist.
Die Extraction des Polypen geschieht
in folgender Weise: Man legt eine der Grösse
des Polypen entsprechend weite Drahtschlinge
um die Geschwulst, schiebt dieselbe langsam
so tief als möglich vor, verkürzt sie hiebei
allmählich und zieht dieselbe alsdann fest
zusammen; schliesslich wird durch einen leich-
ten Zug mit dem Instrumente die Geschwulst
extrahirt. Bei Polypen mit dünnem Stiele
genügt eine ganz leichte Traction,
während bei breit aufsitzenden ein
etwas kräftiger Zug nothwendig ist.
Kleinere und weichere Polypen wer-
den von dem dünnen Stahldrahte
leicht durchgeschnitten und müssen
nachträglich mit der Pincette entfernt
werden; in den meisten Fällen jedoch
bleibt der Tumor in der Schlinge
hängen und lässt sich sammt dem
Instrumente aus dem Ohre heraus-
ziehen. Bei Polypen des Trommel-
felles, bei Granulomen an den Gehör-
knöchelchen oder anderer CariÖSer ^'°- ^- ModiScirter Wllde-scher Polypenschnürer.
Mittelohrpartien muss die Extraction eine behutsame sein. Geschwülste, die
sich derb und hart anfühlen, und besonders die mit breiter Basis aufsitzen-
den, entfernt man am besten vermittelst der Glühschlinge, deren Anlegen um
400 OHRPOLYPEN.
den Tumor in gleicher Weise geschieht wie der WiLDE'sche Schnürer; beim
Gebrauche von gut isolirten und schlanken Leitungsröhren sind die Nach-
bartheile vor der Glühhitze gut geschützt, auch darf der elektrische Strom
erst dann geschlossen werden, wenn die Schlinge den Polypenstiel schon fest
umfasst hat.
Da der WiLDE'sche Schlingenschnürer durch Compression und Schnitt
wirkt, so ist die Operation nur selten von einer stärkeren Blutung gefolgt;
aber auch etwas, stärkere Blutungen hören spontan auf und erheischen
höchstens Einspritzungen von kaltem Wasser; bei profusen, besonders arte-
riellen Blutungen, wie solche in seltener Zahl zur Beobachtung gekommen
sind, wird die Tamponade des Gehörganges mit Eisenchloridwatte nothwendig.
Bei Mittelohrpolypen, die durch eine Perforation in den Gehörgang
gewachsen sind, muss häufig die Trommelfellöffnung erweitert werden, um das
Instrument gut in die Paukenhöhle einführen zu können. — Kleine und
weiche Granulome entfernt man auch leicht und vollständig mit kleinen
scharfen Löffeln (0. Wolf) oder mit kleinen ovalen Curetten, deren schnei-
dende Concavität den Tumor an seiner Basis durchschneidet und abdrückt;
besonders geeignet sind dieselben für Granulome der Membrana Shrapnelli und
im recessus epitympanicus; hiebei können auch cariöse Stellen der darunter
gelegenen Knochentheile vorsichtig abgekratzt werden, wobei wir jedoch nur
mit grösster Behutsamkeit vorgehen dürfen, da <Jiese cariösen papierdünnen
Knochentheile sehr leicht perforirt werden könnten und wir, je nach Lage der-
selben, das innere Ohr, den FALLOp'schen Canal u. s. w. unfreiwillig er-
öffnen würden. Jene polypösen Tumoren, die dem Inneren des Warzenfort-
satzes entstammen und durch die hintere Meatuswand in den Gehörcanal oder,
was seltener, durch die Corticalis nach aussen durchgebrochen sind, können
vollständig nur durch eine breite Eröffnung des Warzenfortsatzes exstirpirt
werden, — Bei Granulomen, die in Perforationen der SnEAPNELL'schen Membran
gelegen sind, die aber oft von dem cariöserkrankten Hammer ausgehen,
muss der Hammer mit entfernt werden. Zur Zerstörung der Polypenwurzel
eignet sich am besten die Aetzung mit einem knopfförmigen Galvanokauter;
derselbe muss bis zu seiner Spitze gut isolirt sein, um die Aetzung nur auf
den Stumpf des Polypen beschränken zu können. Unter den so zahlreich em-
pfohlenen chemischen Aetzmitteln, dem Höllenstein, der Chloressigsäure, Salpeter-
säure, Wiener- und Chlorzinkpaste, ziehe ich die Chromsäure vor; ihre Anwen-
dung geschieht in der Weise, dass ein paar kleine Crystalle an das geriffte Ende
einer silbernen Ohrsonde angeschmolzen werden und damit der Polypenstumpf
zerstört wird; auch hier müssen die Nachbartheile so viel als möglich ge-
schont werden, sonst dauern die auf die Aetzung folgenden Schmerzen mehrere
Stunden; die galvanokaustische Aetzung ist viel schmerzhafter als die ver-
mittelst Chromsäure, dauert aber nur ganz kurze Zeit, während letztere oft-
mals einige Stunden währt. In einigen wenigen Fällen genügt ein einmaliges
kräftiges Aetzen; der Aetzschorf stösst sich nach einigen Tagen ab, der Polyp,
wie auch die durch ihn unterhaltene Eiterung sind und bleiben verschwunden;
andere Male jedoch muss das Aetzen mehrfach wiederholt werden und eine
solche Nachbehandlung kann Wochen und Monate andauern. Harte, libro-
matöse Polypen recidiviren selten, allein auch die übrigen Granulationspolypen
des Mittelohres lassen sich bei consequenter Anwendung obiger Behandlungs-
weise sicher und definitiv beseitigen. Die Extraction des Polypen, und oft-
mals sind mehrere Geschwülste vorhanden, die zuweilen nothwendige Aus-
kratzung cariöser Stellen, sowie auch die nachfolgende Aetzung des Stieles,
sind recht schmerzhafte Proceduren, und man wird am besten daran thun, die-
selben bei Kindern und auch bei etwas empfindlichen Erwachsenen in der
Narkose auszuführen; die Extraction, wie vor allem die Aetzung können als-
dann in viel gründlicherer Weise vorgenommen werden. Wird jedoch die
OSTEOM DER NASENHÖHLE. 401
Narkose verweigert, so sucht man für die Extraction sowohl, wie für eine
jedesmalige Aetzung, durch Eingiessen einer 20'Voigen Cocainlösung in die
Paukenhöhle die Schmerzhaftigkeit so viel als möglich zu vermindern. Ist
bei der Extraction die Blutung von längerer Dauer, so verschiebe man die
Aetzung des Polypenrestes auf einige Tage später, um sich in der von Blut-
gerinnsel frei gewordenen Paukenhöhle besser orientiren und kleinere Wurzel-
reste genauer zerstören zu können. — In allen jenen Fällen, wo stärkere
Granulomententwickelung neben cariösen Erkrankungen einzelner Mittelohr-
partien vorliegt, besonders an schwer zugänglichen Theilen, wie z. B. gegen
das Antrum zu, im Atticus u. s. w. genügt weder die Extraction noch die
Aetzung der polypösen Massen zur völligen Heilung des eiterigen Mittelohr-
processes; nur durch die sogen. Radicaloperation werden wir alsdann im
Stande sein, die chronische Eiterung vollständig zu beseitigen. kühn.
Osteom der Nasenhöhle. Osteome kommen in der Nase häufiger
vor als Enchondrome (v. pag. 115 ds. Bds.); früher hielt man dieselben für ver-
kalkte Polypen (Cloquet) oder verknöcherte Chondrome (Rokitansky). Es sind
Knochengeschwülste, die in der Regel vermittelst eines dünnen Stieles mit der
Nasenschleimhaut, resp. mit dem Perioste in Zusammenhang stehen. Virchow
betrachtet sie als Exostosen, wie ja die Osteome überhaupt von entzündlichen
und einfachen Knochenwucherungen nicht zu trennen sind; möglicherweise
beginnt das Nasenosteom als Exostose, deren knöcherner Zusammenhang mit
dem Mutterboden später zum grössten Theile zerstört wird.
Wir finden harte und weiche Osteome in der Nase; die harten oder
elfenbeinernen sind die häufigeren; sie sind aus sehr dünnen concentrischen
Knochenlamellen zusammengesetzt; die weichen oder spongiösen Osteome
haben nur eine mehr weniger dicke, compacte Knochenschale, während sie
im Inneren aus spongiösem, markhaltigem Knochengewebe bestehen. Alle
diese Osteome besitzen eine bindegewebige Hülle, durch deren stielartige,
fibröse Verlängerung sie mit dem Perioste zusammenhängen; zuw^eilen jedoch
fehlt eine solche Verbindung und sie liegen als „todte Osteome" frei in
einer Höhlung des Naseninneren; nach Tillmanns ist die spontane Loslösung
dieser todten Osteome durch Druckatrophie ihrer knöchernen Stielstellen zu
erklären.
In der Regel ist nur ein Tumor vorhanden; seine Form ist rundlich,
eiförmig und kann er die Grösse eines Hühnereies erreichen. — Auch das
Osteom gehört dem jugendlichen Alter an, wo das Wachsthum des Knochens
am meisten ausgesprochen ist; es entwickelt sich an den verschiedensten
Theilen der Nase, meist jedoch am Nasendache i. e. am Siebbein (Sprengel,
MoNTAZ, Habermaas, Kammeree, Spielmann, Atkin, Helferich); im Ganzen
sind die Osteome der Nasenhöhle viel seltener als die der Nebenhöhlen.
Beim Osteom tritt die Nasenstenose sehr bald in den Vordergrund, die
Sprache wird näselnd, es stellt sich heftiges Jucken in der Nase ein, Anosmie
und ausserdem häufiges und starkes Nasenbluten; hiezu gesellen sich schon
frühe heftige Neuralgien in der Nasen-, Wangen-, und Stirngegend: die
bindegewebige Hülle der Geschwulst ist stark geröthet, ulcerirt bald trotz des
langsamen Wachsthums der Neubildung, und es kommt zu eitriger, fötider
Secretion, selbst zur oberflächlichen Nekrose der Knochensubstanz. Mit dem
Grösserwerden des Osteoms wird die äussere Nase auseinander getrieben, es
entsteht das sogenannte Froschgesicht, die Nasolabialfalte verstreicht, die
untere Orbitalwand wird in die Höhe gehoben, der Bulbus verdrängt, und das
Gaumengewölbe senkt sich nach der Mundhöhle zu.
Diagnostisch kann das knochenharte Osteom nur mit einer Exostose
oder einem Rhinolithen verwechselt werden; erstere jedoch erreicht nie eine
so beträchtliche Grösse und sitzt ganz breit auf dem Knochen auf; vom Rhi-
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten. -"
402 OTITIS EXTERNA.
nolithen lassen sich immer vermittelst der Sonde oberflächliche Kalktheile
losbröckeln. Nach Sprengel soll man mit dem Finger, wenn nöthig in der
Narkose, das Naseninnere untersuchen: die Ausfüllung der Nase an der
Stelle, wo die Geschwulst aussen bemerkbar ist, sei ein sicheres diagnostisches
Zeichen für die Gegenwart eines Osteoms.
Je früher wir diese Osteome erkennen, desto eher wird ihre Extraction
durch die Nase möglich sein, entweder vermittelst einer kräftigen Knochen-
zange oder sogar noch mit der kalten Schneideschlinge. Bei allen grösseren
Geschwülsten, besonders bei den elfenbeinernen Osteomen muss zu ihrer Ent-
fernung die Nase durch Resection der betheiligten Knorpel- und Knochen-
theile breit eröffnet werden. kühn.
Otitis externa. Das anatomische Substrat für die meisten Erkran-
kungen des äusseren Gehörganges bildet die häutige Auskleidung desselben.
Die topographischen und anatomischen Eigenthümlichkeiten, wodurch sich
dieselbe von der allgemeinen Körperdecke unterscheidet, bewirkt einerseits,
dass manche Krankheiten, welche beiden gemeinsam sind, sich im äusseren
Ohre durch eine besondere pathologische Form und einen eigenthümlichen,
klinischen Verlauf auszeichnen, anderseits, dass man hier Krankheitsbilder
antrifft, wie sie an andern Stellen des allgemeinen Integumentes nicht zur
Beobachtung kommen, z. B. hämorrhagische, parasitäre, desquamative Ent-
zündungen, Cerumen etc.
Aus dem Umstände, dass der äussere Ohrcanal vermöge seiner ganzen
Configuration nicht blos dazu dient, die Schallwellen dem Trommelfelle und
dem Mittelohre zuzuführen, sondern auch um äussere Schädlichkeiten von
diesen Gebilden fernzuhalten, folgt schon a priori, dass er selbst diesen Schäd-
lichkeiten in höherem Grade exponirt sein muss. In der That sind Erkran-
kungen des äusseren Ohres sehr häufig. Unter diesen Erkrankungen nehmen
die Entzündungen wegen ihrer Häufigkeit — sie bilden nach Cerumen ob-
turans die häutigste Erkrankung des äusseren Gehörganges — und wegen ihrer
Erscheinungen die wichtigste Stellung ein. Ihren Sitz haben sie entweder
im knorpeligen oder im knöchernen Abschnitte des Ohrcanales oder in beiden,
in verschiedener Tiefe der Cutis, und breiten sich sehr oft auch auf das
Trommelfell aus. In klinischer und pathologisch-anatomischer Beziehung
müssen die Entzündungen des äusseren Gehörganges in zwei grosse Gruppen
unterschieden werden und zwar in acute und in chronische Entzündungen.
A. Otitis externa acuta.
Aetiologie. Die acuten Entzündungen des äusseren Gehörganges,
auch kurzweg mit „Externa" bezeichnet, können auftreten: 1. Secundär, ver-
anlasst durch Erkrankungen der Ohrmuschel oder der benachbarten Haut des
Gesichtes (Seborrhoe, Ekzema etc.), der Parotis, des Warzenfortsatzes, benach-
barter Lymphdrüsen u. dgl.; viel öfter findet man secundäre Ohrgangsentzündung
in Begleitung und als Folgen einer eitrigen, perforativen Mittelohrentzündung.
2. Primär und idiopathisch können solche Entzündungen auftreten entweder
ohne jede bekannte Ursache oder erzeugt durch die mannigfaltigsten, mecha-
nischen, chemischen und thermischen Reize. Verschiedene Manipulationen
im äusseren Ohre, wie Kratzen mit Fingernägeln, Herumstochern und Bohren
mit Haarnadeln, Bleifedern, Streichhölzern u. dgl., ungeschickte Extractions-
versuche von Fremdkörpern und sonstige mechanische Verletzungen, Cerumen,
scharfe kantige oder spitze Fremdkörper, thierische und pflanzliche Parasiten,
z. B. verschiedene Aspergillusarten, Verticillium Graphi (Otomycosis), etc. ge-
hören zu den häufigsten Ursachen dieser Krankheiten. In anderen Fällen
sind es scharfe Stotte, die zu curativen Zwecken ins Ohr eingelassen wurden,
wie Knobel, Petroleum, Chloroform, heisse Dämpfe, Schnaps u. dgl., Be-
OTITIS EXTERNA. 403
giessungen mit Vitriol bei Attentaten, Application gewisser, irritirender Sub-
stanzen, wie Säuren, Terpentin, Lapis, die sich Militärpflichtige behufs Selbst-
beschädigung ins Ohr hineingiessen, ferner zu heisses oder zu kaltes Wasser
ins Ohr gelangt, zu häufiges Ausspritzen mit reizenden Medicamenten etc.,
die als Ursache dieser Entzündungen angesprochen werden müssen. Es unter-
liegt weiters auch gar keinem Zweifel mehr, dass diese Entzündungen in
■vielen Fällen durch eine Infection mit Mikroorganismen zustande kommen,
und wurden wiederholt pathogene Bacterien (Staphylococcus pyogenes au-
reus, albus) im Entzündungsherde nachgewiesen, Otitis externa ex infectione.
Einmal trat eine solche Entzündung durch Infection mit Impfstoff auf.
Eine sehr wichtige prädisponirende Rolle kommt allgemeinen Zuständen,
wie Constitutionsanomalien, verschiedenen Dyskrasien und Diathesen, Tuber-
kulose, Rhachitis, Lues, Scrophulose, Anämie, Chlorose, Rheumatismus, Diabetes.
Menstruationsanomalien zu. Gewisse Formen sind häufig in Begleitung von
Infectionskrankheiten, wie Influenza, Typhus, acute Exantheme etc. anzutreffen.
Frauen sind zur Zeit des Climacteriums leichter zu dieser Krankheit disponirt.
Sie kommt in jedem Alter vor, bald auf dem einen, bald auf dem anderen
Ohre oder auf beiden, vielleicht häufiger bei Frauen als bei Männern, was
sich wahrscheinlich auf das Tragen von Ohrgehängen und den häufigeren
Missbrauch, den sie durch Kratzen im Ohre mit Haar- und Stricknadeln üben,
zurückzuführen sein dürfte.
Auch atmosphärische Einflüsse sind beobachtet worden, wie rascher
Temperaturwechsel, plötzliche starke Abkühlung, besonders bei feuchtem
Ohre, das häufigere Auftreten der Krankheit zu gewissen Jahreszeiten als zu
anderen.
Schliesslich sind noch zu erwähnen sympathische Entzündungen des
einen Ohres nach vorausgegangener Erkrankung des anderen, wie z. B. die
von Weber-Liel beobachteten, alternirenden Furunkelbildungen in beiden
äusseren Gehörgängen und die auf trophische Störungen zu beziehenden Ent-
zündungen des äusseren Gehörganges, die sich im Gefolge von Mittelohr-
processen, von Trommelincisionen u. dgl. einzustellen pflegen. Auch lässt
sich ein gewisser Einfluss der Heredität, wie bei Ohrenkrankheiten überhaupt,
so auch speciell bei der in Rede stehenden Affection nicht mehr leugnen und
wurde sie oft bei mehreren Mitgliedern derselben Familie beobachtet.
Symptome. Objectiv können Zeichen der Erkrankung bei manchen
Formen im Anfange fehlen, oder es zeigen sich gleich Hyperämie, Röthung,
Schwellungen verschiedenen Grades und verschiedener Ausdehnung, welche Ver-
engerung oder vollständigen Verschluss des Gehörcanales bewirken können.
In schwereren Fällen breitet sich das Oedem in die Umgebung über Ohr-
muschel und Gesichtshaut bis über die Augenlider und zur Nase der be-
trefi'enden Seite aus, bisweilen auch über Schläfe und Warzenfortsatz bis zum
Scheitel und dem Hinterhaupte, so dass der Patient ganz entstellt erscheint.
Subjectiv das wichtigste und constanteste Symptom bilden die
Schmerzen, welche oft plötzlich und als erstes Zeichen der Krankheit sich
manifestiren. Sie können verschiedene Dimensionen annehmen, von einem
leichten spontanen Brennen und einer unbedeutenden Empfindlichkeit des Ohr-
knorpels bei Berührung bis zu den heftigsten, ausstrahlenden Schmerzen. Am
häufigsten strahlen sie gegen die Zähne aus, nicht selten aber auch gegen die
Schläfe, das Hinterhaupt oder gegen den ganzen Kopf, und sind Kopf-
schmerzen bei dieser Krankheit eine sehr gewöhnliche Erscheinung. Die
Schmerzen können den Patienten des Schlafes und des Appetites berauben und
wenn sie länger dauern, was glücklicherweise nur selten der Fall ist, ihn auch
physisch und moralisch herunterbringen. Die Intensität der Schmerzen ist
nicht immer der Intensität der Entzündung proportional, sondern hängt dies
zum Theil von dem Sitze, resp. der Tiefe des Entzündungsherdes, zum Theil
26*
404 OTITIS EXTERNA.
von der individuellen Empfindlichkeit des Patienten ab. So können unbedeu-
tende Veränderungen im Ohre sehr bedeutende Schmerzen verursachen,
während andererseits, was seltener der Fall ist, stärkere Entzündungen fast
schmerzlos verlaufen.
Als Begleitsymptome findet man oft Schwerhörigkeit verschiedenen Grades,
abhängig einerseits von den Grade der Schwellung des Gehörganges und der
consecutiven Verengerung seines Lumens, andererseits von der Anhäufung
von Secret, Exsudat, Eiter oder Epithelschollen daselbst oder auf dem Trommel-
felle. Damit im Zusammenhange steht häufig das Gefühl der Völle und des
Verlegtseins im Ohre. Nicht selten begleiten die Krankheit subjective Ge-
hörswahrnehmungen, welche sich auf eine collaterale Hyperämie im Mittel-
ohre und im Labyrinthe oder (nach Uebantschitsch) auf eine reflectorische
Wirkung der irritirten Trigeminuszweige auf die akustischen Centren zurück-
führen lassen. In schwereren Fällen und bei jugendlichen und leicht erreg-
baren Individuen können allgemeine Reactionserscheinun^en auftreten, wie
Fieber, Abgeschlagenheit, grosse Schwäche, selbst Schüttelfrost und Benommen-
heit des Sensoriums, kurzum Erscheinungen einer Infectionskrankheit.
Diagnose. Das charakteristischeste Merkmal einer Entzündung des
äusseren Gehörganges bildet die Empfindlichkeit der Ohrmuschel und des
Knorpels des äusseren Ohres auf Druck, Zug oder Berührung. Dieses Symptom
ist so constant, dass es als pathognomisch angesehen werden kann und ge-
stattet es oft für sich allein ohne weitere Untersuchung eine Wahrscheinlich-
keitsdiagnose. Klagt ein Patient über Schmerzen im Ohr, erweist sich der
Tragus, Antitragus und Meatus auf leichten Druck empfindlich, ist das Liegen
auf dem Ohre und sind die Bewegungen des Unterkiefers beim Kauen mit
Schmerzen verbunden, so wird man selten in der Diagnose einer Entzündung
des äusseren Gehörganges fehlgehen. Doch darf die objective Untersuchung
nie unterlassen werden, die zumeist leicht ist, mitunter auch ein negatives
Resultat ergeben oder auch durch Verengerung des Gehörganges sehr er-
schwert und selbst unmöglich gemacht sein kann.
Verlauf. Die Dauer der Krankheit ist meist eine kurze und beträgt
einige Tage bis höchstens einige Wochen. Der Verlauf ist gewöhnlich günstig,
Restitutio ad integrum ist die Regel. Doch sind Recidiven ziemlich häufig
und ist selbst der Uebergang in eine chronische Entzündung möglich. Unter
ungünstigen Umständen, bei Vernachlässigung, mangelhafter, geringer Wider-
standsfähigkeit des Organismus, bei sehr geschwächten, anämischen, recon-
valescirenden Patienten kann der Verlauf auch eine ungünstigere Wendung
nehmen. So kann es zum Durchbruche der Entzündung in die benachbarten
Organe, in die Paukenhöhle und sogar bis in die Schädelhöhle kommen, wie
wir weiter unten sehen werden. Vom äusseren Gehörgange kann der Process
in die Paukenhöhle übergeleitet Averden, selbst mit Umgehung des Trommel-
felles, und zwar durch die Fissura petro-tympanica, welche häufig im innersten
Abschnitte des Gehörganges in einer Ausdehnung von 1 — 2 min offen bleibt.
Auf demselben Wege können solche Entzündungen unter Umständen un-
mittelbar in die Schädelhöhle übergeführt werden. Die vordere und untere
knöcherne Gehörgangswand steht in naher, räumlicher Beziehung mit dem
Kiefergelenke. Dieser Zusammenhang ist umso inniger, wenn an der unteren
Wand eine persistirende Ossificationslücke sich befindet, was nachweislich
vorzukommen pflegt. An der hinteren Gehörgangswand liegen unmittelbar
die Warzenzellen an, welche mit dem Gehörgange durch kleine Canälchen
communiciren, durch welche Bindegewebszüge und Gefässe hindurchtreten.
Die hintere obere Gehörgangswand tritt in ihrem innersten Abschnitte in Be-
ziehung zum Antrum mastoideum, die obere zum Mittelohre, resp. zur mitt-
leren Schädelgrube. Der knorpelige Gang ist ausgezeichnet durch seine Be-
ziehungen zur Parotis, zum Warzenfortsatze und zum Unterkiefergelenke, an
OTITIS EXTERNA. 405
der unteren, vorderen Wand grenzt diö häutige Auskleidung des Gehcirganges,
den Incisurae Santorini entsprechend, unmittelbar an die Parotis.
Wenn wir diese Beziehungen des Gehörganges zu seiner Nachbarschaft
berücksichtigen, so erscheint die Leichtigkeit, mit welcher eine Otitis externa
auf die Nachbarschaft übergreift, einleuchtend und selbstverständlich.
Hier möge noch die Beobachtung von Szenes Erwähnung finden, nach
welcher eine zu einer acuten „Media" hinzugetretene „Externa" manchmal einen
augenfälligen heilungsbefördernden Einfiuss auf die primäre Mittelohratt'ection
ausüben kann. Dieser curative Einfiuss wird als Ableitung, Depletion oder als
kritische Metastase angesehen und erklärt.
Prognose. Dem Vorstehenden entsprechend wird man bei einer „Ex-
terna" in der grossen Mehrzahl der Fälle im allgemeinen eine günstige
Prognose stellen können. Mit Berücksichtigung jedoch der möglichen Com-
plicationen darf eine gewisse Reserve nicht aus den Augen gelassen werden.
Man muss daran denken, dass neben der Erkrankung des äusseren Gehör-
ganges eine solche des mittleren oder inneren Ohres vorhanden sein kann.
Lässt sich durch die Anamnese, durch die Untersuchung, durch die Prüfung
der Kopfknochenleitung eine solche Complication ausschliessen, dann kann
auch eine Wiederherstellung des Gehörs und ein Verschwinden der anderen
vom Labyrinthe herstammenden Symptome vorausgesetzt werden.
Therapie. Durch eine abortive Behandlung — Injection von Carbol-
säurelösung in den Entzündungsherd oder in die Umgebung oder durch
Massage — kann manchmal, wie wir weiter unten sehen werden, eine
Coupirung der Krankheit gelingen. Sonst hat die Behandlung zu berücksich-
tigen: 1. die Indicatio causalis, 2. die Indicatio morbi, 3. die Indicatio sym-
ptomatica. Dort wo sich Fremdkörper, stagnirendes Secret oder andere
Ursachen nachweisen lassen, ist es natürlich die erste und dringendste Auf-
gabe der Therapie, dieselben zu entfernen. Dabei muss man daran denken,
dass Ausspritzungen gewöhnlich irritirend auf den entzündeten, äusseren
Gehörgang wirken, daher sie nach Möglichkeit zu meiden und nur dort aus-
zuführen sind, wo eine entsprechende Indication sie unbedingt erheischt. In
manchen Fällen wird es angezeigt sein, erst die Rückbildung der heftigen
entzündlichen Reactionserscheinungen abzuwarten, bevor man zur Spritze
greift. Die zweite Indication erfordert anfangs wie bei jedem entzündlichen
Processe die Anwendung der Antiphlogose. Diese besteht in der Anwendung
der Blutentziehung durch Blutegel vor dem Tragus oder im Warzenfortsatz-
unterkieferwinkel, bei Kindern in der Zahl zwei bis vier, bei Erwachsenen
sechs bis acht angesetzt, und in der Anwendung von Kälte ums Ohr, entweder
in Form von Eisbeutel oder der LEixEß'schen Bleiröhren auf dem Warzen-
beine. Wenn auch die thermometrischen Versuche von Eitelbeeg keine con-
stante Temperatursteigerung im äusseren Ohre bei Entzündungen daselbst
nachweisen konnten, so unterliegt doch die rasche, antiphlogistische Wirkung
der kalten Umschläge bei dieser Affection nach den Versuchen von Winterxitz,
und von Webek-Biel und nach den Erfahrungen der Ohrenärzte keinem
Zweifel.
In demselben Sinne wirken Einpinselungen ums Ohr mit Tinct. jodin.,
Tinct. gallar. ää. pp. aequales, Einreibung mit Ungu. einer., Ichthyolsalben,
Application eines Vesicans hinter der Ohrmuschel, Ableitung durch den
Darm etc. Da durch diese Behandlung gewöhnlich auch der Schmerz gelin-
dert wird, so erscheint dadurch auch die dritte Indication erfüllt.
Ist die Entzündung bereits weiter vorgeschritten, wird Kälte nicht ver-
tragen oder bringt es die gewünschte Linderung nicht, dann tritt Wärme an
ihrer Stelle. Diese kommt zur Anwendung entweder in Form von „Ohr-
bädern", indem warme, antiseptische Flüssigkeiten ins Ohr eingegossen und
einige Zeit darin gelassen werden oder ein mit ihnen getränkter Wattetampon
406 OTITIS EXTERNA.
ins kranke Ohr eingelegt wird, wodurch gleichfalls der zweiten und dritten In-
dication genügt wird. Solche dazu besonders geeignete Flüssigkeiten sind
2 ^/oige essigsaure Thonerde oder die ßuROw'sche Lösung (Almini acet. l-0,Plumb.
acet. 5-0, Aqu. destill. lOO'O), welche sich als desinficirendes, adstringirendes
und schmerzstillendes Mittel empfiehlt. Auf das Ohr wird eine in warmes
Wasser oder in BuROw'sche Lösung getauchte Compresse aufgelegt, mit einer
Lage von Guttapercha bedeckt und mit einer Binde befestigt. Diese Com-
presse soll dann ' alle drei bis vier Stunden gewechselt werden. Weiters
erweisen sich zu palliativen Zwecken, zur Linderung besonders der Schmerzen
nützlich, warme Cataplasmen und warme Einlagen ins Ohr, z. B. von ge-
kochten Rosinen, erweichten Reiskörnern u. dgl. Demselben Zwecke dienen
auch Carbolglycerinlösungen (0-5: 15-0) auf Watta geträufelt, in den Gehör-
gang eingelegt (Politzer), Eingiessungen von Spiritus vini rectificatissimi.
In neuerer Zeit werden Menthollösungen empfohlen: Menthol 4-0, Ol.
Olivar. 20*0. Ein mit dieser Flüssigkeit getränkter Wattetampon wird so
dicht und so tief in den Gehörgang eingelegt, dass damit ein massiger
Druck auf die Wandungen desselben ausgeübt wird. Der Tampon bleibt dort
24 Stunden liegen, um dann mit einem frischen, wenn möglich dickeren ver-
tauscht zu werden.
Zu rein symptomatischen Zwecken, zunächst um die heftigen Schmerzen
zu lindern, werden verschiedene narkotische Mittel angewendet; Morphium,
Opium, Cocain, Belladonna in verschiedener Form, z. B. in Tropfen als Tinct.
capit. papaveris (1:10'0), dem noch etwas Morphium zugesetzt werden kann,
oder Tinct. opii. simpl. ö'O Aqu. destll. Glycerin ää 15-0; Cocain. l'O — 2-0 auf
Aqu. destll. Glycerin m, 10-0 ; Morph, muriat. 0'20. Aqu. lauroceras. 20-0
u. dgl. lauwarm ins Ohr gegossen, oder in Form von Salben oder Pasten, die
auf die entzündete Gehörgangswand aufgetragen werden, oder in Form von
Gelatinkugeln oder Gelatinmandeln (Gruber), ^velche im Gehörgange allmählich
zerfliessen und dadurch mit den kranken Stellen in innige Berührung
kommen etc. Oft erzielt man Erleichterung auch durch Priessnitzumschläge,
auf die Ohrgegend aufgelegt, und von Chloroform und Ol. hyoscyam. coct. in
der Umgebung des Ohres einige Minuten eingerieben. Nur selten dürfte es
nöthig sein, narkotische Mittel innerlich darzureichen. Lässt sich irgendwo
Eiter nachweisen, so muss er entleert werden, ist Secretion vorhanden, so
muss der Gehörgang gereinigt werden, etwa vorhandene Complicationen er-
fordern selbstverständlich eine entsprechende Berücksichtigung.
In Fällen, in denen bei entzündlich verengtem Gehörgange Stagnation
vom Secret oder Eiterretention in der Tiefe vorhanden ist und sich dies
in anderer Weise nicht beseitigen lässt, dann müssen energische Mittel in
Anwendung gezogen werden, um die Permeabität möglichst rasch wieder her-
zustellen und die nöthige Reinigung zu ermöglichen. Solche Mittel sind:
forcirte Dilatation des Gehörganges mittelst Pincette, Diktatoren, Press-
schwammkeilen, Laminariastifte oder tiefe Incisionen in die Wände des Gehör-
ganges und nachträgliche Einführung entsprechend dicker Kautschukröhrchen
oder feiner, biegsamer, durchbohrter Silberröhrchen und darauffolgende, gründ-
liche Reinigung.
Wichtig ist auf die allgemeinen Verhaltungsmaassregeln solcher Patienten
zu achten, die ein gewisses Regime einhalten sollen. Am besten ist, wenn
solche Patienten zu Bette bleiben, keineswegs dürfen sie bei schlechtem
Wetter das Zimmer verlassen. Alles, was Congestionen zum Kopfe, somit
auch zu den Ohren veranlassen kann, soll vermieden werden; somit Obsti-
pation, Genuss heisser Flüssigkeit, alkoholischer Getränke, körperliche An-
strengungen, jedwede mechanische Reizung des Ohres, wozu auch Aus-
spritzungen gerechnet w^erden müssen, Bücken, Senken des Kopfes u. dgl.
OTITIS EXTERNA. 407
Zur Verhütung von Recidiven ist wieder die Beseitigung ursächlicher
Momente nothwendig, wie Kratzen, Jucken, Ekzem etc. am Ohre, Verhütung
des Eindringens von kaltem Wasser ins Ohr beim Baden, ferner erweisen sich
diesem Zwecke dienlich Einträul'elung von Sublimatspiritus und Anwendung
von Präcipitatsalben im äusseren Gehörgange.
Die Entzündungen des äusseren Gehörganges werden je nach ihrer Aus-
dehnung eingetheilt in Otitis externa circumscripta und Otitis externa diffusa.
Von letzterer unterscheidet man nach dem pathologischen Processe und den
klinischen Erscheinungen Otitis externa diffusa 1. simplex, phlegmonosa oder
crouposa, 2. diphtheritica, 3. haemorrhagica.
I. Otitis externa, circumscripta {simplex oder furuncidosa) ist die
häufigste Entzündungsform des äusseren Gehörganges. Man versteht darunter
die Entzündung einer scharf umschriebenen Stelle des äusseren Gehörganges.
Sie bildet wegen ihrer Häufigkeit und wegen der Heftigkeit ihrer Symptome
für den praktischen Arzt eine der wichtigsten Ohrenkrankheiten. Ihr Standort
befindet sich zumeist im knorpeligen, seltener im knöchernen Abschnitte, bald
in einer tieferen Schichte der Cutis, bald näher ihrer Oberfläche; Lieblings-
stellen sind die vordere und untere Wand des knorpeligen Gehörganges.
Diese Krankheit beruht auf einem verschiedenen, pathologisch-anatomischen
Processe und kann daher eine verschiedene Form annehmen.
In den meisten Fällen geht der Entzündungsprocess von einem Haar-
balge oder von einer Schw'Cissdrüse aus; es kommt zur Entwicklung : eines
Furunkels mit Bildung eines nekrotischen Pfropfes im Centrum des Entzün-
dungsherdes {Otitis externa follicularis s. furunculosa). Es kommen aber im
Gehörgang ebenso wie an anderen Körperstellen auch einfache Abscesse oder
Periostitiden vor ohne Gewebsnekrotisirung. Es bildet sich erst eine infiltrirte
Stelle in oder unter der Hautoberfläche, die immer mehr gegen die Oberfläche
fortschreitet und schliesslich als eine geröthete Prominenz im Gehörgange
zum Vorschein kommt. Der Sitz ist am häufigsten die untere oder die vor-
dere, seltener die anderen Gehörgangswände, Manchmal entwickeln sich gleich-
zeitig oder rasch hintereinander einige solche Herde. Dies betrifft zumal
die eigentliche Furunkelbildung, während die besonders durch Kratzen ohne
Infection hervorgerufene circumscripte Entzündung in der Regel nur aus einem
Herde besteht.
Aetiologie. Auffallend oft findet man diese Krankheit bei Personen,
welche über häufiges Jucken im Ohre klagen und sich dort mit verschiedenen
Gegenständen zu kratzen pflegen, daher auch besonders bei mit Ekzema im
Ohreingange Behafteten. Durch Kratzen im Ohre mit unreinen Fingernägeln
oder Bohren mit unreinen Instrumenten kann daselbst eine Verletzung und
eine Infection mit septischen Stoffen zustande kommen {Otitis externa ex in-
fectione), welche auch grössere Dimensionen annehmen kann. Besonders ist
dies bei der Furunkelbildung der Fall, daher diese auch eigentlich als eine
Infectionskrankheit zu betrachten ist. Es ist auch unstreitig, dass gewisse
Personen eine besondere Inclination zu dieser Aftection zeigen und regelmässig
einigemal im Jahre davon betroffen werden. Secundär kommen circumscripte
Entzündungen im äusseren Gehörgange zum Vorscheine infolge von Durch-
bruch eines Abscesses aus der Umgebung, aus der Parotis, aus dem Warzen-
fortsatze, oder auch einer benachbarten Lymphdrüse in den Gehörgang hinein.
Dies geschieht am häufigsten an den knorpel- und knochenfreien Stellen des
Gehörganges, so an der Verbindungsstelle zwischen dem knorpeligen und dem
knöchernen Abschnitte, an den den SANXORixi'schen Lücken entsprechenden
Stellen des knorpeligen Ganges und schliesslich an der vorderen, unteren Wand
des knöchernen Gehörganges, wo bei Kindern nicht selten eine lange, persi-
stirende Knochenlücke angetroffen wird. Auch als Folge einer der sonstigen
oben angeführten Ursachen und auch als Theilerscheinung einer allgemeinen
408 OTITIS EXTERNA.
Furunculose der äusseren Haut kann diese Krankheit vorkommen. Doch tritt
sie oft genug auch ohne jede nachweisbare Ursache auf. In gewissen Jahres-
zeiten, so im Frühjahre und im Herbste, pflegt man sie viel häufiger als sonst
anzutreften. Nicht selten wurde auch epidemisches Auftreten derselben con-
statirt.
Symptome. Die objectiven Symptome können im Anfange ganz
unbedeutend sein. Ja es kommt vor, dass der Arzt trotz Klagen seitens des
Patienten über heftige Ohrenschmerzen mit dem Auge anfangs gar keine
objective Veränderung wahrnehmen kann. Dies ist besonders der Fall, wenn
der Sitz der Entzündung in den tieferen Gewebsschichten sich befindet. Später
und bei mehr oberflächlichem Sitze zeigt sich der Eingang des Meatus geröthet,
geschwellt, spaltförmig. Zieht man die Ohrmuschel ab, so bemerkt man eine
oder mehrere scharf begrenzte, überaus empfindliche, mehr oder weniger ge-
röthete, harte Erhabenheiten an der einen oder der anderen Gehörgangswand,
aus denen sich manchmal bereits ein Eitertröpfchen herauspressen lässt. Das
Gehörgangslumen ist meist gleichfalls verengt. Gewöhnlich sind auch die
Weichtheile um die Ohrmuschel herum angeschwollen und druckempfindlich.
Sitzt der Herd an der vorderen Wand, so erscheint die Parotisgegend vor dem
Tragus mehr geschwollen. Hat die Entzündung an der hinteren Meatuswand
ihren Ausgangspunkt, dann findet man zuweilen in der Regio mastoidea eine
empfindliche Anschwellung, Abstehen der Ohrmuschel, was für eine Periostitis
2)rocessi mastoidei imponiren kann. Seltener finden sich auch die Lymph-
drüsen im Maxillomastoidealwinkel, unter dem Lobulus und vor dem Tragus
geschwellt.
Subjectiv macht sich diese Krankheit vor allem durch Schmerzen
fühlbar. Diese erreichen manchmal excessive Grade und sind besonders heftig
bei der Localisation des Processes im knöchernen Abschnitte, wo dann die
Krankheit wegen der Dünne der Hautauskleidung an dieser Stelle den Charakter
einer Periostitis annimmt oder an der oberen Gehörgangswand, wegen des
grösseren Reichthums dieser Stelle an Gefässen und Nerven. Charakteristisch
ist die Empfindlichkeit des ganzen Ohrknorpels. Druck auf denselben, Zug
an der Ohrmuschel, mitunter schon die leiseste Berührung derselben beim
Waschen, ebenso wie Bewegungen des Unterkiefers beim Kauen, Einführung
des Ohrtrichters steigern den Schmerz ins Unerträgliche. Die Patienten
können nicht auf der kranken Seite liegen, können sich die Ohrmuschel nicht
waschen, und die Empfindlichkeit kann so gross sein, dass der Patient beim
Versuche, den Ohrtrichter hineinzuschieben, ohnmächtig zusammenstürzt. Der
Schmerz beim Kauen kann so vehement sein, dass sich die Patienten tagelang
jeder festen Nahrung enthalten. Auch das Sprechen ist oft erschwert, Appetit-
und Schlaflosigkeit, Fieberbewegungen und in deren Folge deprimirte Stim-
mung sind nicht selten. So kommt es, dass schwächliche Personen bei diesem
Leiden infolge des Mangels an Nachtruhe und der beständigen Schmerzen
ebenso entkräftet werden können wie bei einer langdauernden Allgemein-
krankheit. Subjective Geräusche, Gehörsstörungen und andere subjective Er-
scheinungen sind bereits oben besprochen worden.
Verlauf. In den meisten Fällen ist der Gang der Krankheit ein
rascher. In drei bis fünf Tagen, je nach der Tiefe des Entzündungsherdes,
kommt es gewöhnlich zur Vereiterung, l)ald darauf zur Oeffnung des Abscesses,
und damit verschwinden die heftigen, bohrenden und stechenden Schmerzen
mit einem Schlage. Die entzündlichen Reactionserscheinungen bilden sich
schnell zurück und in kurzer Zeit (8 bis 14 Tage) ist die Krankheit ganz
geheilt. Doch bleibt manchmal noch einige Zeit nach der Heilung eine leichte
Verdickung, etwas Jucken und vermehrte Abschuppung an dieser Stelle zurück.
Manchmal dauert es etwas länger, bis der Abscess aufbricht, was von der Tiefe,
von welcher die Exsudation ausgeht, abhängt. Auch Exacerbationen und hart-
OTITIS EXTERNA. 409
nackige Recidiven sind nicht selten. Es kommt ferner besonders bei lym-
phatischen und rhachitischen Personen vor, dass bereits offene Wunden nicht
so schnell zuheilen, torpid werden, Granulationen wuchern, Geschwüre bilden
und einen chronischen Verlauf nehmen. Spontane Rückbildung und Zertheilung
eines solchen circumscripten Entzündungsherdes ohne Eiterbildung kommt
wohl auch vor, ist aber selten.
Die Diagnose kann sehr erschwert sein. Erstens im Beginne der
Krankheit, wo der Entzündungsherd in der Tiefe der Haut steckt und ober-
flächlich sich noch durch nichts markirt und nicht wahrnehmbar ist. Die
subjectiven Angaben über Schmerzen, die Anamnese, die Empfindlichkeit der
Ohrmuschel und des Tragus auf Druck und Berührung, die Schmerzhaftigkeit
bei der Einführung des Ohrtrichters, sobald dieser eine bestimmte Stelle er-
reicht, lenken die Aufmerksamkeit des Arztes auf die richtige Spur. In der
Regel kann man dann beim Suchen mit der geknöpften Sonde im äusseren
Gehörgange eine Stelle finden, welche auf Druck empfindlicher ist als die
Umgebung. Hier ist dann der Sitz der Infiltration in der Tiefe anzunehmen.
In einem späteren Stadium kann wiederum die Schwellung der Umgebung
und an dem Ohreingaoge den Blick in den Gehörgang verwehren und die
Diagnose erschweren. Ist es bereits zur Eiterung gekommen, dann gelingt
es mitunter durch Druck auf die geschwellten Partieen der Umgebung, durch
Zug am Tragus oder an der Ohrmuschel, einen Eitertropfen aus einer Lücke
einer Gehörgangswand auszupressen.
Verwechslungen können vorkommen mit Exostosen, Polypen und son-
stigen Tumoren im Meatus externus, wenn sie mit gerötheter Haut bedeckt
sind. Die Anamnese und die Sondenuntersuchung sind dann geeignet, jeden
Zweifel aufzuklären. Die mit der Sonde nachzuweisende- knochenharte Resi-
stenz, geringe Schmerzhaftigkeit auch bei Berührung, der Mangel eines In-
jectionshofes und das nahezu constant bleibende Aussehen unterscheiden eine
Exostose gegenüber dem weichen, schmerzhaften, empfindlichen, in der Um-
gebung gerötheten, sich rasch verändernden Furunkel oder Abscess. Sonstige
Tumoren unterscheiden sich durch die Verschiedenheit in der Consistenz, im
Wachsthum und im Verlaufe. So z. B. entwickeln sich Polypen langsam und
schmerzlos, können von der Sonde umkreist werden, entleeren bei der In-
cision nur reines Blut, während bei der Incision eines Abscesses neben Blut
auch Eiter zum Vorschein kommt.
Es können weiters Verwechslungen vorkommen mit einer Entzündung
des Warzenfortsatzes, besonders wenn die Haut über demselben geschwellt ist.
Andererseits können Senkungen der hinteren oberen Gehörgangswand, wie sie
im Verlaufe von Mastoiditis vorzukommen pflegen, ebenso wie Vorwölbungen
der vorderen Wand bei Parotitis für eine circumscripte Externa imponiren.
Findet man bei der Ocularinspection eine scharf begrenzte, stark geröthete,
überaus empfindliche Prominenz oder einige solche im äusseren Gehörgange,
kann eine Aff'ection der Nachbarschaft wegen Mangels sonstiger Symptome
einer Erkrankung der Parotis oder des Processus mastoideus ausgeschlossen
werden und sind die oben erwähnten subjectiven Symptome vorhanden, so
kann die Diagnose nicht mehr zweifelhaft sein. Schwieriger muss sich die
Diflerentialdiagnose gestalten, wenn bei einem gleichzeitig in der Nachbar-
schaft bestehenden entzündlichen Processe es darauf ankommt, zu entscheiden,
ob die Entzündung, ursprünglich im Gehörgange, sich von da in die Umgebung
fortgepflanzt, oder ob umgekehrt ein in der Warzengegend, in der Parotis
oder in einer benachbarten Drüse primär entstandener Process, resp. Abscess
erst secundär den Gehörgang ergriff'en, resp. dahin durchgebrochen hat. Eine
von der Parotis ausgehende Entzündung lässt sich als solche erkennen durch
die bedeutende Schwellung der Gegend vor dem Ohre, durch Zunahme der
Spannung und der Schwellung im Gehörgange bei Druck auf die Parotis, die
410 OTITIS EXTERNA.
verhältnismässig grosse Menge des sich entleerenden Eiters, Steigerung des
Eiterausliusses aus dem Ohre bei Druck auf die Parotisgegend, die Möglich-
keit, eine Sonde von der Wunde im Gehörgang aus in das Parotisgewebe tief
vorzuschieben.
Ein Mastoidealabscess unterscheidet sich von einem nach hinten durch-
gebrochen Furunkelabscesse durch eine meist gleichzeitig bestehende eitrige
Media, durch den reichlichen Erguss von Eiter nach dem Durchbruche nach
vorne und durch die Möglichkeit, mit der Sonde vom Gehörgange weit nach
hinten in die Warzenzellen vorzudringen. Bei einem vom Meatus nach hinten
durchgebrochenen Abscesse sind die entzündlichen Erscheinungen, Röthung,
Schwellung, Schmerzhaftigkeit, in der Nähe des primären Herdes und in der
Furche zwischen Ohrmuschel und Proc. mastoideus am prägnantesten, hingegen
sind diese Erscheinungen bei einem von der Warzengegend ausgehenden
Abscesse über der Durchbruchsstelle und über dem Planum mastoideum am
meisten ausgesprochen.
Bei gleichzeitig vorhandenem Fieber sprechen die Schmerzhaftigkeit im
Gehörgange und heftige Stirnkopfschmerzen für Furunkelabscess, da bei von
einem Mastoidealabscess etwa inducirter Sinusphlebitis mit pyämischem
Fieber heftige Kopfschmerzen selten sind, während die von Erkrankungen des
Warzenfortsatzes oder Extraduralabscess ausgehenden Schmerzen in der Regel
nur auf der betreffenden Seite und am wenigsten an der Stirne empfunden
werden. Uebrigens ist das Fieber gemeiniglich bei Meatusabscessen erheblich
höher als das die subperiostalen, vom Warzenbeine ausgehenden Abscesse be-
gleitende. Ist noch die charakteristische Form eines Furunkels erhalten, seine
Communication mit dem Abscesse nachweisbar, so erleichtert dies natürlich
die Diagnose bedeutend, ebenso wie das Vorhandensein von weisslichen
Pfropfen, von eitrig zerfallenen, nekrotischen Gewebsfetzen im Eiter. Letzteres
kann auch zur Unterscheidung von einem auf dem Lymphwege entstandenen
nach dem Gehörgange durchgebrochenen Abscesse dienen (Leüteet).
Wenn nun auch die Prognose im allgemeinen als günstig bezeichnet
werden kann, so muss doch mit Rücksicht auf die erwähnten möglichen Even-
tualitäten in Verlauf und Complicationen eine gewisse Reserve in der Vorher-
sage beobachtet werden.
Therapie. Es empfiehlt sich, neben der anfangs anzuwendenden Anti-
phlogose, eventuell vor derselben ein abortives Verfahren zu versuchen, mit dessen
Hilfe es nicht selten gelingt, die Krankheit zu coupiren. Zu diesem Zwecke
wurden Injectionen von einigen Tropfen einer Steigen Carbolsäurelösung in den
Furunkel empfohlen, was aber ein viel zu schmerzhafter Eingriff ist. Ludewig
empfiehlt zur Behandluug sowohl des gewöhnlichen Furunkels im äusseren
Gehörgange als auch für manche Formen vom Externa diffusa subcutane In-
jection von 3°/oiger Carbolsäurelösung vor dem Tragus oder hinter der Ohr-
muschel, und zwar 1 bis 2 PEAVAz'sche Spritzen voll. Hierauf sah er beginnende
Furunkel und diffuse entzündliche Schwellung des äusseren Gehörganges
prompt zurückgehen. Politzee sah oft Coupirung und Rückbildung des Pro-
cesses nach wiederholten Einpinselungen des Furunkels mit Carbolglycerin.
Sicherer und vorzuziehen ist ein anderes abortives Verfahren, nämlich die
sogenannte Massage. Diese Methode wird in folgender Weise ausgeführt.
Man streicht die entzündete Stelle einigemal mit einem mit Ungu. einer,
oder Vaselin. hydrargyr. imprägnirten Tampon ein und legt einen entsprechend
dicken Tampon oder ein Drainröhrchen (Urbantschitsch, Eitelberg), das
mit der Salbe befeuchtet wird, so in den Gehörgang, dass dadurch ein
leichter Druck auf die entzündete und verengte Stelle ausgeübt wird. Der Seiten-
druck des elastischen Röhrchens bringt die Gehörgangswand zum Abschwellen,
und das locker gewordene Röhrchen muss dann durch ein stärkeres ersetzt werden,
daher nach 24 Stunden der eingelegte Tampon oder das Röhrchen entfernt und mit
OTITIS EXTERNA. 411
einem dickeren vertauscht werden soll, u. s. w. Dadurch kann manchmal der
Process im Keime erstickt, im Fortschreiten gehindert, Eiterbildung hintangehalten
werden. Die einzige Vorsichtsmaassregel, die man hier zu beobachten hat,
besteht darin, dass man das äussere Ende des eingeführten Drains kurz ab-
schneide, damit beim Anstossen an das Röhrchen, beim Liegen auf der kranken
Seite, durch eine Ohrenbinde oder sonst dasselbe nicht gegen das Trommelfell
hineingestossen wird. Oft aber nimmt die Schwellung um einem solchen
Tampon herum noch stärker zu, oder die Methode erweist sich als zu schmerz-
haft und wird nicht vertragen; dann muss zu der oben erwähnten Behandlung
mittels Wärme und narkotischer Mittel übergegangen werden, wodurch zu-
gleich die Reifung des Furunkels, resp. Abscesses beschleunigt wird. Dies
wird so lange fortgesetzt, bis sich mit der Sonde an einer Stelle des Meatus
Fluctuation nachweisen lässt, worauf die 'Spaltung des Abscesses und Entlee-
rung des Eiters vorzunehmen ist. Dieser gemeiniglich sehr schmerzhafte
Eingriff kann eventuell bei sehr empfindlichen Personen unter Anwendung
der Localanästhesie, mit Zuhilfenahme von Methylchlorid oder der
ScHLEicn'schen Injectionen ausgeführt werden. Man soll sich aber nicht mit
dem blossen Einschnitte begnügen, sondern auch trachten durch einen nach-
träglichen Druck den nekrotischen Pfropf oder den Eiter möglichst gründlich
und rasch zu entfernen. Doch wird man von diesem Eingrifie wegen der
grossen Schmerzhaftigkeit manchmal im ersten Momente abstehen und ihn auf
eine spätere Zeit verschieben oder auch sich damit begnügen müssen, die
spontane Entleerung durch weitere Anwendung von Wärme zu beschleunigen.
Man versuchte früher, um den Process zu beschleunigen, den Einschnitt noch
vor der vollständigen Reifung der infiltrirten Stelle auszuführen. Die Erfah-
rung hat aber ergeben, dass dadurch der Process durchaus nicht verkürzt,
die Schmerzen nur vorübergehend oder gar nicht erleichtert werden und nicht
selten eine zweite Incision an einer benachbarten Stelle nothwendig wird, was
leicht auch den Verlust des Vertrauens seitens des Patienten zum Arzte nach
sich ziehen kann. Allerdings hat dies oft seinen Grund darin, dass bei der
ersten Incision nicht die richtige Stelle getroffen und an einem unrichtigen
Punkte eingeschnitten wurde, was in einem früheren Stadium der Entzündung
wegen der gleichmässigen Schwellung der Umgebung des Entzündungsherdes
schwer zu vermeiden ist. Es ist daher rathsamer und sicherer, trotz der
quälenden Schmerzen und der Ungeduld der Patienten sich nicht zu über-
hasten und früher sichere Zeichen der Eiterbildung abzuwarten und dann erst
zu incidiren. Nur beim Sitze der Entzündung im knöchernen Abschnitte ist
es rathsam, die Incision nicht zu lange hinauszuschieben, da hier die Gefahr
nahe liegt, dass der dicht darunter liegende Knochen bei längerer Dauer
mitafficirt werden könnte. Der Einschnitt soll auch möglichst tief gemacht
werden, wodurch eine raschere und gründlichere Entleerung des Inhaltes des
Furunkels oder des Eiters erleichtert wird. Eine spontan entstandene Auf-
bruchsöffnung soll nöthigenfalls erweitert werden. Zur Ausführung der In-
cision wurden verschiedene Instrumente, sogenannte Furunkelmesser angegeben;
man kommt aber auch mit einem einfachen, schmalen Spitzbistouri ganz gut
zum Ziele. Doch ist der Eingriff weniger schmerzhaft, wenn dazu ein an der
Spitze doppelseitig geschliffenes Messer benützt wird. Dasselbe wird in die
Basis der vorgewölbten Stelle eingestochen und gegen die Oberfläche durch-
geführt. Nach der Operation ist die Wunde weiterhin nach chirurgischen
Regeln zu behandeln; Reinigung, antiseptischer Verband etc.
Zur Verhütung von Recidiven sind tägliche Einpinselungen des Gehör-
ganges mit 0-1— 0-2%igen Sublimatlösungen in Alkohol, Ohrbäder mit l^oigen
Kali sulfuratum, das Tragen eines Wattatampons im Ohre durch längere Zeit,
Verhütung des Kitzeins und Juckens, Vermeidung von Kratzen und von Be-
feuchtung des Ohres empfohlen. Zur Verhütung des Juckens erweist sich
412 OTITIS EXTERNA.
Bepinselung des äusseren Gehörganges mit weisser Präcipitatsalbe (Hydrargyr,
praecip. alb. 0*2, Yaselin 10-0) noch durch längere Zeit nach der Krankheit
wirksam. Es ist von grosser Wichtigkeit für die Vermeidung von Recidiven,
der Indicatio causalis eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ein im
Ohreingange bestehendes Ekzem muss behoben werden. Bei vorhandener
Otorrhoe muss der die Wandungen des Meatus reizende und arrodirende Eiter
möglichst oft und gründlich entfernt werden, am besten auf trockenem Wege,
durch fleissigen Wechsel der Tampone unter möglichster Vermeidung von
Ausspritzungen. Dabei ist es rathsam, excoriirte Stellen des äusseren Gehör-
ganges mit einem Fette, Vaselin oder irgend einem sonstigen Deckungs-
mittel zu bestreichen, um so die schädliche Wirkung des Secretes zu paraly-
siren. In gleicher Weise müssen etwaige Allgemeinzustände, welche der Ent-
stehung von Recidiven günstig sind, z. B. allgemeine Furunkulose, Diabetes etc.
gehörig berücksichtigt werden.
IL Otitis externa, acuta, diffusa (simplex, phlegmonosa und croiqwsa).
Eine zweite Form der Externa ist die diffuse Entzündung des äusseren Ohres,
welche an Häufigkeit der vorigen zurücksteht. Bei dieser Afi'ection ist ein
grosser Theil des Ohrcanales oder seine ganze häutige Auskleidung er-
griffen. Die Krankheit beginnt mit Schwellung, Röthung der Haut, Schmerz-
haftigkeit im Ohre. Nach einigen Tagen tritt Ausfluss eines anfangs dünn-
flüssigen, serösen, später dichteren, eitrigen oder visciden, meist spärlichen,
leicht eintrocknenden Secretes auf, während das Epithel in kleineren Schuppen
oder mit grösseren Fetzen sich abzustossen beginnt. In den meisten Fällen
erscheint das Paukenfell in stärkerem oder geringerem Grade mitergriften. In
seltenen Fällen finden sich an einzelnen Stellen des äusseren Gehörganges,
besonders im knöchernen Abschnitte desselben und am Trommelfelle, croupöse
Auflagerungen, welche aus geronnenen Faserstoftausschwitzungen bestehen.
Dieselben lassen sich leicht mit der Sonde oder durch Ausspritzung entfernen,
bilden sich aber ebenso rasch wieder zurück, Otitis externa acuta
diffusa crouposa.
Aetiologie. Ebenso wie bei der vorherbeschriebenen können auch bei
dieser Krankheit durch Kratzen im Ohre mit unreinen Instrumenten in den
dabei^' zustande gekommen en Läsionen der Haut des Meatus organisirte Ent-
zündungserreger überimpft und dadurch eine unter Umständen sehr heftige
Entzündung mit tiefer Infiltration phlegmonöser Art gesetzt werden, Otitis
externa phlegmonosa. Oefter ist die primäre, diffuse Entzündung des
äusseren Gehörganges auf das Hineingelangen scharfer, reizender Substanzen ins
Ohr, auf Fremdkörper, Otomycosis u. s. w. wie eingangs ausgeführt, zurückzu-
führen. Viel häufiger jedoch erscheint diese Krankheit secundär, in Begleitung
von Infectionskrankheiten, wie Influenza, Typhus, Scharlach, Diphtheritis, Ery-
sipel u. s. w., ferner consecutiv bei Otorrhoe, infolge des arrodirenden eiterigen
Secretes aus dem Mittelohr oder auch durch die gegen, die Otorrhoe in
Anwendung gezogenen scharfen, antiseptischen, adstringirenden Medicamente,
Ausspritzungen u. s. w. Es kann aber auch eine diffuse Entzündung aus
einer ursprünglich circumscripten Erkrankung hervorgehen, wenn sich mehrere
umschriebene Entzündungsherde gleichzeitig und nebeneinander entwickeln,
mit einander confluiren und so diffuse Schwellung und Infiltration des äusseren
Gehörganges verursachen, oder es entwickelt sich eine diffuse Entzündung
gleichzeitig mit einer folliculosen.
Symptome. Objectiv fällt in erster Reihe die diffuse Schwellung,
Röthung und Infiltration der Gehörgangswände ins Auge. Oft kommt es zu
einer vermehrten Epithelabstossung an der Oberfläche, wodurch diese mit
einer Lage weisser Epidermisschuppen bedeckt erscheint. Diese lassen sich
durch Ausspritzen leicht entfernen, worauf die Veränderungen an den ge-
rötheten und aufgelockerten W'änden des Gehörganges darunter und nicht
OTITIS EXTERNA. 413
selten auch auf dem Trommelfell sichtbar werden. Oder die Hautauskleidung
des Gehörganges zeigt sich nässend, eine wässerige, schmierig eitrige
Flüssigkeit secernirend oder mit eingetrockneten Borken bedeckt. Ist das
Trommelfell mitafficirt, so erscheint es aufgelockert, congestionirt, geröthet,
trüb oder mit Desquamationen bedeckt und nur undeutlich vom Gehör-
gange abgegrenzt, oder man findet eitrige Geschwüre oder Erosionen auf
demselben oder auch eine Perforation neben einer primären oder secundären
Mittelohreiterung. Manchmal findet man eine Combination einer diffusen
mit einer circumscripten Entzündung. Bei der Otitis externa, crouposa zeigt
sich zumeist an der hinteren Wand des knöchernen Ohrcanales eine Auf-
lagerung von gräulichweissen Pseudomembranen, welche sich bei massiger
Blutung und unter grossen Schmerzen leicht mit der Sonde abstreifen lassen,
worauf die blutigsuffundirte Unterlage zum Vorschein kommt.
Subjectiv äussert sich die Krankheit durch mehr oder weniger heftige,
ausstrahlende Schmerzen, die, wenn die Entzündung nicht gerade sehr intensiv
ist, weniger heftig sind als bei der circumscripten Entzündung. Empfindung
von Hitze, von Pulsation und von Völle im Ohr fehlt selten, subjective
Gehörseindrücke und Hörstörungen sind abhängig einerseits vom Grade der
Schwellung, von der Mitbetheiligung der Trommelmembran, andererseits von
stagnirendem, letzterer aufliegendem Exsudate oder Secrete. Allgemeinerschei-
nungen, Fieber, Störungen des Allgemeinbefindens u. s. w. sind nicht selten
und erreichen zuweilen eine bedeutende Höhe.
Diagnose. Die richtige Erkennung der Krankheit kann bei starker
Schwellung und Schmerzhaftigkeit unüberwindliche Schwierigkeit darbieten,
so dass mitunter nichts anderes übrig bleibt, als abzuwarten, bis unter anti-
phlogistischer Behandlung die entzündlichen Reactionsersch einungen abge-
nommen und eine genaue Untersuchung ermöglicht ist. Ist dann der Einblick
in die Tiefe gestattet, so sind die beschriebenen, objectiven Veränderungen
leicht wahrzunehmen und klären sammt der oben erwähnten, charakteristischen
Empfindlichkeit des Ohrknorpels den Sachverhalt auf. Es kann aber mitunter
zweifelhaft sein, ob eine Affection des Mittelohres gleichzeitig vorhanden ist
oder nicht, ob das Secret vom äusseren oder vom mittleren Ohre herstammt
oder von beiden. Eine vorhandene Perforation der Membrana tympani kann
leicht übersehen werden dadurch, dass sie an einer dem Blicke schwer zu-
gänglichen Stelle liegt, oder durch Schwellung oder Schuppen oder zähes
Secret verdeckt ist. Eine bedeutendere Beeinträchtigung des Gehöres macht
eine Mitaffection des Mittelohres wahrscheinlich. Luftdouche und Auscul-
tation geben Aufschluss über etwaiges Vorhandensein, resp. Abwesenheit einer
Trommelfelllücke. Schleimiges Secret kann nur vom Mittelohre herstammen,
seröses und eitriges sowohl vom mittleren als auch vom äusseren. Beim
Fehlen von Erscheinungen einer Otitis med. gestatten die abgestossenen
Epidermiszellen und die Secretion von viscidem Eiter die Diagnose Otitis
externa. Bei der mikroskopischen Untersuchung des Secretes eventuell nach-
gewiesene Mikroorganismen, Epidermisplatten, pflanzliche Parasiten u. dgl.
tragen gleichfalls zur Sicherstellung der Diagnose bei. Findet man eine Com-
bination von Otitis med. und externa, dann ist wohl in den meisten Fällen
die erstere als primär, die letztere als secundär entstanden anzunehmen.
Doch ist das Umgekehrte denkbar und die Möglichkeit vorhanden, dass eine
Media von einer Entzündung des Meatus secundär inducirt worden, was, w^enn-
gleich selten, doch vorgekommen ist. Für die Differentialdiagnose zwischen
primärer und secundärer Media, resp. Externa wird einerseits die objective
Untersuchung, andererseits die Anamnese in den meisten Fällen jeden Zweifel
beseitigenden Aufschluss geben. Man muss aber daran denken, dass äusseres
und mittleres Ohr gleichzeitig und unabhängig von einander, z. B. bei einer
allgemeinen Infectionskrankheit afficirt werden können.
414 OTITIS EXTERNA.
Epitheliale Auflagerungen, wie sie im Geliörgauge bei verschiedenen Zu-
ständen vorkommen, können croupöse Auflagerungen vortäuschen. Die Ent-
fernung derselben mit der Pincette, der Sonde oder durch Ausspritzung fördert
eine verschieden beschaffene Unterlage zu Tage, die leicht vor Verwechslung
schützt.
Der Verlauf ist in den meisten Fällen ein günstiger und rascher. In
einigen Tagen lassen die Entzündungserscheinungen nach. Schwellung und
Secretion nehmen ab, schwinden, und es erfolgt Restitutio ad integrum.
Schmalz beschreibt eine eigene Form von Otitis externa, welche mit einem
von starkem Juckreiz eingeleiteten, von wechselnd starken, im Ganzen massig
bleibenden Schmerzen begleiteten, acuten Stadium einer entzündlichen Haut-
schwellung beginnt. Bald kommt es zu einer wässerigen, häutiger auch dünn
eiweissartigen, später nur bisweilen schwach eitrigen Absonderung. Dann folgt
eine völlig entzündungslose Zwischenpause, während welcher sich im Gehörgange
nur reichlich weisse Schüppchen abstossen, worauf in kürzeren oder längeren
Intervallen eine verschieden grosse Reihenfolge von Recidiven auftritt, ohne
dass es zu einem wirklich chronischen Verlaufe zu kommen pflegt. Besonders
gern werden Leute von dieser Otitis befallen, deren Kopfhaut, beziehungsweise
Haarboden nachweislich schon längere Zeit seborrhoisch erkrankt war, und
solche, die an Acne vulgaris der Gesichtshaut leiden, und zwar hört die
Neigung zu Recidiven erst auf, wenn die Erkrankung der Kopfhaut mit Erfolg
bekämpft wird. Schmalz bezeichnet daher diese Otitis, welche mit der er-
wähnten Hautkrankheit des Kopfes in ursächlichem Zusammenhange steht,
als Otitis seborrhoica und rechnet sie zu den mycotischen Entzündungs-
vorgängen.
Selbstverständlich kann der Verlauf nur dann eine günstige Wendung
nehmen, wenn es gelingt, allfällige ursächliche Momente, z. B. Fremdkörper,
zu eliminiren. In anderen Fällen, in denen entweder eine locale oder allge-
meine constitutionelle Ursache fortdauert, ist der Verlauf weniger günstig,
unregelmässig. Besserungen wechseln mit Exacerbation ab. Auf eine Remis-
sion der Erscheinungen erfolgt nach kürzerer oder längerer Zeit plötzlich ein
neues Aufflackern der Entzündung mit erneuerter Schwellung und gesteigerter
Exsudation, und die Krankheit kann sich Wochen und Monate hinziehen. Es
bilden sich Ulcerationen an den Wänden des Gehörganges, an dem Trommel-
felle mit Durchbruch ins Mittelohr, es kommt zur Entwicklung von Granu-
lationen, polypösen Wucherungen, Bloslegung der Knochen, kurz es ent-
wickelt sich der Uebergang in der chronischen Form zur Otitis externa
chronica.
Prognose. Wie aus dem Vorausgeschickten hervorgeht, ist unter
günstigen, hygienischen und constitutionellen Bedingungen, besonders wenn
das ursächliche Moment herausgefunden und leicht weggeschafft werden kann,
eine günstige Prognose gestattet. Doch soll dieselbe vorsichtshalber mit
Rücksicht auf den verschiedenen Verlauf, den diese Krankheit nehmen, und
die verschiedene Folgezustände, die sie nach sich ziehen kann, erst nach einer
gewissen Beobachtungszeit mit Entschiedenheit ausgesprochen werden. Ist
der Process nur auf die häutige Auskleidung des Gehörganges beschränkt,
dann ist die Prognose unbedingt günstig; weniger günstig ist sie, wenn bereits
die knöcherne Unterlage das Trommelfell oder gar das Mittelohr mitergriffen
worden ist.
Therapie. Die Behandlung richtet sich anfangs nach den im allge-
meinen Theile auseinandergesetzten, allgemeinen Grundsätzen. Tritt Secretion
ein, dann sind lauwarme Ausspritzungen mit antiseptischen Lösungen, 2 — S^oigei'
Carbolsäurelösung oder Seiger Borsäurelösung mit nachfolgender Insufflation von
feingepulverter Borsäure von vorzüglicher Wirkung. Diese Manipulation ist je
nach der Menge der Secretion 1 — 3mal täglich zu wiederholen. Wenn die
OTITIS EXTERNA. 415
Schwellung und die Infiltration der Gehörgangswände mit bedeutender Ver-
engerung oder fast völligem Verschlusse des Lumens trotz energischer Anti-
phlogose längere Zeit nicht weicht, dann sind ausgiebige Incisionen durch die
ganze Dicke der häutigen Auskleidung bis auf den Knochen und durch die
ganze Länge des Meatus auszuführen, worauf Irrigationen des Ohres mit er-
wärmten, antiphlogistischen Flüssigkeiten zu folgen haben. Mit dem Nach-
lassen der Schwellung und der Secretion kann man zur Einblasung von Bor-
säurepulver übergehen.
Bei der Otitis crouposa empfiehlt es sich, zuvor die Pseudomembranen
durch Ausspritzen oder mit dem Instrumente wegzuschaffen und dann erst
die pulverisirte Borsäure zu insuffliren.
III. Otitis externa, acuta, diffusa, diphtlieritica. Die diphtheritische
Entzündung des äusseren Ohres stellt eine sehr seltene Affection dar und
kommt fast nur als Complication des diphtheritischen Processes in der Nasen-
oder Ptachenhöhle oder der Otitis media diphtheritica vor. Bei einer Diphtheritis
in der Nachbarschaft kommt sie meist durch mittelbare Uebertragung mit dem
Finger zustande, indem die Patienten, zumeist Kinder, den verunreinigten
Finger von der Nase und dem Munde ins äussere Ohr führen und durch
Kratzen daselbst eine Uebertragung der Infection bewerkstelligen.
Symptome. Diese Entzündung charakterisirt sich ausser den allen,
acuten Externis gemeinsamen, entzündlichen und Schwellungserscheinungen
besonders durch einen schmutziggrauen oder weisslichen Belag auf der Ober-
fläche der geschwellten und infiltrirten Gehörgangswände. Die charakteristische
Auflagerung lässt sich nur schwer abstreifen, und ist dies gelungen, dann
erscheint die darunter liegende Haut blutend und ulcerirt. Die Schwellung
greift zumeist auf die Umgebung des Ohres über. Besonders sind dabei ge-
wöhnlich die Lymphdrüsen unter dem Ohre und im Unterkieferwinkel mit-
afficirt. Gleichzeitig besteht zumeist ein massiger, blutig seröser Ausfluss
aus dem Ohre. Die Krankheit ruft oft stürmische Fiebererscheinungen
hervor, geht in der Regel mit enormen Schmerzen einher und ist von Schwer-
hörigkeit, Sausen, dem Gefühle von Hitze und Völle im Ohre etc. begleitet.
Die Diagnose ergibt sich leicht, sobald der festanhaftende, diphtheri-
tische Belag der Untersuchung zugänglich ist. Wo aber vorhandene Schwellung
und bestehende Verengerung die Constatirung der Pseudomembranen unmög-
lich macht, da wird die Diagnose einige Zeit in suspenso bleiben müssen.
Manchmal kann die Besichtigung der inneren Partien des Meatus und die Er-
kennung der Krankheit erst nach nekrotischer Abstossung der Auflagerung
möglich werden. Erleichtert wird die Diagnose bei bestehender Diphtheritis-
epidemie oder bei gleichzeitig an anderen Stellen des Körpers bestehenden
diphtheritischen Processen. Unter Umständen kann eine Verwechslung mit
weissen Auflagerungen in Frage kommen, wie sie durch Maceration der Epi-
dermis des Gehörganges bei gleichzeitiger Mittelohreiterung verursacht werden
kann. Doch lassen sich diese Epithelauflagerungen leicht in grossen Platten
und ohne Verletzung der Basis abstreifen, was bei den diphtheritischen Mem-
branen nicht der Fall ist. In zweifelhaften Fällen kann durch die mikro-
skopische Untersuchung des Inhaltes des Gehörganges und durch den Nachweis
der charakteristischen Diphtheriebacillen die Diagnose sichergestellt werden.
Der Verlauf ist wie bei allen acuten Entzündungen dieser Stelle ein
kurzer. Speciell bei der idiopathischen, diphtheritischen Externa kommt es ge-
wöhnlich in einigen Tagen zur Abstossung des Belages, Reinigung des Gehör-
ganges und Rückbildung der Entzündungserscheinungen. Seltener bilden sich
diese Membranen wiederholt wieder, oder die Entzündung greift auf die Nach-
barschaft, auf Trommelfell, Ohrmuschel u. s. w. über. Weniger günstig ist
der Verlauf der mit Diphtherie im Rachen, Mittelohre, in der Nase oder an
anderen Orten complicirten, diphtheritischen Entzündung des äusseren Ohres,
416 OTITIS EXTERNA.
da diese leicht zu ausgebreiteten Zerstörungen, zu Caries, Gangrän, Narben,
Stenosirungen u. dgl. führen kann.
Die Prognose wird demgemäss auch nur bei auf den Gehörgang be-
schränkter Affection günstig gestellt werden können, sie ist hingegen bei
vorhandenen Complicationen zweifelhaft.
Therapie. Die Behandlung ist anfangs eine antiphlogistische, gegen
die Entzündung, und eine symptomatische, gegen die Schmerzen gerichtete.
Später sind Ohrbäder mit Aqua Calcis, Bepinselungen mit concentrirten Lapis-
lösungen (10 — 15%), Einblasungen von Jodoformpulver, Salicylsäure oder
Borsäure anzuwenden. Bei wiederholten Nachschüben sind Eingiessungen von
Salicylspiritus (1:100-0), Sublimatspiritus (l7oo) oder Bepinselungen der affi-
cirten Stellen mit S^/o Carbolspiritus vorzunehmen.
IV. Endlich ist als acute, diffuse Entzündung des äusseren Gehörganges
die sogenannte
„Otititis externa, haemoiTliagica" anzuführen. Bei jugendlichen Personen
kommt es zumeist in Begleitung einer Infectionskrankheit oder im Beginne
einer fulminanten Otitis media bei Influenza oder auch ohne bekannte Ur-
sache zu einer Schwellung des äusseren Gehörganges, infolge einer Entzün-
dung der Cutis daselbst und einer Extravasation unter der Epidermis. Die-
selbe erscheint in Form von Blasen oder länglichen Wülsten von der Unter-
lage abgehoben, wodurch im Gehörgange verschieden geformte, dunkle, livide
Prominenzen von verschiedener Ausdehnung zum Vorschein kommen. Die
Krankheit befällt häufiger Männer und den linken Meatus, als Frauen und
den rechten Gehörgang.
Symptome. Objectiv findet man eine mehr oder weniger starke Be-
einträchtigung des Gehörgangslumens, infolge Schwellung seiner Wände, wo-
durch die Inspection der tieferen Theile erschwert wird. Zumeist findet man
im knöchernen Abschnitte die oben beschriebenen, blutig durchschimmernden,
weichen, blauen Wülste oder hämorrhagischen Blasen, die sich einerseits
gegen den knorpeligen Gehörgang, andererseits auf die Trommelmembran aus-
breiten können. Bei der Untersuchung mit der Sonde erweisen sie sich als
nachgiebig, manchmal elastisch, lassen sich eindrücken, werden leicht einge-
rissen, worauf sich eine dunkle, blutige Flüssigkeit aus denselben entleert.
Die subjectiven Reactionserscheinungen sind gemeiniglich nicht besonders
intensiv. Sowohl die Schmerzen als auch die Schwerhörigkeit und die sub-
jectiven Geräusche erreichen bei dieser Krankheit in der Regel keinen sehr
hohen Grad. In den meisten Fällen ist nur etwas Jucken und das Gefühl
von Brennen und Völle im Ohre vorhanden. Nur in einem Falle (Wagen-
häusee) wurden im Verlaufe derselben Delirien mit Verfolgungswahn beob-
achtet.
Diagnose. Diese kann natürlich nur möglich sein, wenn die erkrankten
Stellen der Ocularinspection zugänglich sind. Zu Verwechselungen können
Anlass geben Polypen. Die Untersuchung mit der Sonde wird, in zweifel-
haften Fällen zu Hilfe genommen, für die eine oder die andere Krankheit
entscheiden können. Ferner können durch die Rarefication der Luft im
äusseren Gehörgange bei der Ausführung der Massage des Trommelfelles nach
Delstanche daselbst ähnliche Extravasate und Sugillationen entstehen, die
mit der hämorrhagischen Entzündung viel Aehnlichkeit haben und mit der-
selben verwechselt werden können. Auch sonstige, traumatische Läsionen
könnten ein ähnliches Bild hervorrufen. Mit Hilfe der Anamnese wird man
jedoch in den meisten Fällen imstande sein, die spontane Entstehung der
Krankheit zu constatiren und traumatische und andere Ursachen auszuschliessen.
Verlauf. Diese Krankheit dauert immer nur kurz und verläuft günstig.
Die subjectiven Erscheinungen vergehen innerhalb 3 bis 4 Tagen. Es kommt
bald zur Eindickung, Eintrocknung und schliesslich zur Resorption des
OTITIS EXTERNA. 417
hämorrhagischen Ergusses, oder die abgehobene Epitheldecke bricht durch
und der Inhalt entleert sich nach aussen. Es folgt eine kurze, spärliche
Secretion, innerhalb etwa 14 Tagen kommt es zur Abstossung der abgehobenen
Epidermis und zur vollständigen Heilung. Kestitutio ad integrum ist die
Kegel. Mitunter treten noch durch einige Zeit Kecidiven an anderen Stellen
des äusseren Gehörganges auf, die gewöhnlich ebenso schnell zurückgehen.
Therapie. Im Beginne der Erkrankung ist eine antiphlogistische
Behandlung am Platze; ist das erste acut entzündliche Stadium vorüber, dann
tritt eine chirurgische an ihre Stelle. Die blutigen Iläume werden mit einer
Nadel oder einer Sonde eröffnet, ihr Inhalt entleert und ein Jodoformgaze-
streifen eingeschoben. Dann wird Borsäurepulver eingeblasen und ein Watte-
tampon eingelegt. Diese Behandlung, durch einige Tage unter Beobachtung
antiseptischer, Cautelen fortgesetzt, führt zum schnellen Versiegen der Secretion,
Trockenlegung des äusseren Gehörganges und vollständiger Heilung.
B. Otitis externa chronica.
Die chronischen Entzündungen des äusseren Gehörganges sind viel sel-
tener als die acuten. Sie gehen in den meisten Fällen aus der letzteren
hervor; viel seltener verlaufen sie vom Beginne an chronisch. Sie entstehen
durch längere Einwirkung der oben angeführten mechanischen und chemischen
Reize, namentlich unter dem gleichzeitigen Einflüsse gewisser constitutioneller
Anomalien und dyskrasischer Zustände. Die sie bedingenden pathologischen
Processe sind sehr verschiedenartig und beschränken sich nicht auf die häu-
tige Auskleidung des Gehörganges, sondern greifen tiefer auf die benach-
barten Gewebe und Gebilde über.
Symptome. Dementsprechend sind auch die objectiven Veränderungen
in der Form, in der Extensität und Intensität sehr verschieden und differiren
von der oberflächlichen chronischen Infiltration der Haut bis zu tiefgreifenden
Geschwüren, Zerstörungen der Knochenunterlage, Caries und Nekrose; Aus-
fluss aus dem Ohr fehlt dabei entweder ganz oder ist nur unbedeutend.
Die subjectiven Symptome sind ebenso, wie die allgemeinen Reactions-
erscheinungen, insoferne sie nur von den Veränderungen am Gehörgange selbst
herrühren, im allgemeinen viel weniger intensiv als bei den acuten Processen.
Diagnose. Bei den hier durchgehends auffallenden objectiven Verän-
derungen ist die Diagnose in den meisten Fällen leicht.
Der Verlauf ist immer schleppend, lange dauernd, oft sehr hartnäckig
und führt nicht selten zu mehr oder weniger ausgebreiteten destructiven
Processen der Nachbarschaft, so des Felsenbeines und, wenn auch seltener, zu
schweren intracraniellen Complicationen. Nicht selten wird der chronische
Verlauf durch zeitweises Aufflackern der Entzündung, durch acute Exacerba-
tionen unterbrochen. Als Endresultat dieser Krankheiten, als Residuen der-
selben findet man oft Hypertrophie der Haut des Meatus, Verengerungen und
partielle und totale Verwachsungen, Atresien seines Lumens. Seltenere
Folgezustände sind Atrophie und Rarefication der Gehörgangswand, Erwei-
terung des Gehörcanales und abnorme Communicationen mit der Nachbarschaft.
Therapie. Die Behandlung ist eine allgemeine und eine locale.
Erstere ist auf die Verbesserung des Blutes, der allgemeinen constitutionellen
Beschaffenheit, der hygienischen und sanitären Bedingungen des kranken
Individuums gerichtet. Die locale hat in erster Reihe etwaige locale Ursachen,
z. B. Parasiten etc., zu beseitigen und dann den pathologischen Process ent-
weder mit conservativen antiseptischen, adstringirenden oder mit chirur-
gischen, operativen Mitteln zu bekämpfen.
Unter den chronischen Entzündungen des äusseren Gehörganges unter-
scheidet man Otitis externa chronica 1. circumscripta, 2. diffusa simplex,
3. diffusa desquamativa.
Ohren-, Nasen-, Eachen-, Kehlkopfkrankheiten. 27
418 OTITIS EXTERNA.
I. Otitis externa circumscripta subacuta und chronica. Zu dieser
Krankheit rechnen wir umschriebene Infiltrate und Geschwüre im äusseren
Gehörgange mit längerem, oft hartnäckigem Verlaufe, welche entweder aus
der acuten Externa circumscripta durch Vernachlässigung oder lymphatische
Beschaffenheit besonders nach Infectionskrankheiten hervorgehen, oder durch
zerfallende Neubildungen, Syphilis, Tuberkulose etc, bedingt werden. Bei
dyskrasischen Individuen und unter sonstigen ungünstigen hygienischen und
sanitären Verhältnissen tritt oft nach der Entleerung des Eiters aus einem
Abscesse oder Furunkel am äusseren Gehörgang nicht, wie sonst gewöhnlich,
eine rasche Rückbildung der Entzündungserscheinungen mit baldiger Heilung
ein, sondern es bilden sich Substanzverluste, Hautgeschwüre mit schlaffen
unterminirten Rändern, mit einem dünnflüssigen, manchmal mit Blut unter-
mischten Ausflusse. Es kommt zu Wucherungen von Granulationen, zur
Bildung von Polypen, welche einen langwierigen, hartnäckigen Ausfluss unter-
halten. In weiterer Folge können sich tiefe sinuöse Senkungsabscesse in die
Fossa retromaxillaris oder fistulöse Gänge unter der Haut des Gehörganges
ausbilden. Aber auch Erkrankungen des darunter liegenden Knochens, Caries,
Nekrose und deren Folgezustände sind nur die natürliche Folge eines solchen
chronischen Verlaufes.
Symptome. Objectiv findet man manchmal an der unteren Gehör-
gangswand kegelförmige, zapfenförmige Hervorragungen, welche bis zur gegen-
überliegenden Wand reichen und so das Lumen des Gehörganges einschränken
und als eine Neubildung imponiren können. Nach gehöriger Reinigung und
Untersuchung mit der Sonde gelangt man an der Spitze des Zapfens in eine
Oeffnung, aus der sich etwas Eiter ausdrücken lässt, während man bei weiterem
Vordringen mit der Sonde in einen Fistelgang geräth oder auf cariösen
Knochen stösst. Je nach dem weiteren Verlaufe wird man auch verschiedene
objective Veränderungen constatiren können. So wird man unter Umständen
Senkungsabscesse in der Nachbarschaft, in den seitlichen Partien des Halses,
nach hinten gegen den Warzenfortsatz, nach vorne in der Parotisgegend
finden. Es kann auch zu Ausstossungen von Knochensequestern und zu
Knochenlücken im äusseren Gehörgange kommen, wodurch, wenn dies an der
inneren Partie der oberen Wand geschieht, Theile der Paukenhöhle biosgelegt
und dem Blicke zugänglich werden, die sonst nach aussen abgeschlossen und
unsichtbar sind.
Die subjecti ven Beschwerden sind dabei gemeinhin nicht sehr bedeu-
tend; nur selten sind stärkere Schmerzen vorhanden.
Diagnose. Trotz gehöriger Reinigung und genauer Ocularinspection
wird eine richtige Diagnose oft erst mit Hilfe der Sonde möglich sein. Zur
Difi"erentialdiagnose von aus der Nachbarschaft in den Gehörgang durch-
brechenden Abscessen wurde das Nöthige oben bei der acuten Entzündung
ausgeführt.
Die Prognose ist, eine entsprechende Behandlung vorausgesetzt
und nur in solchen Fällen günstig. Manchmal kommt es jedoch erst nach Ex-
folication grösserer Knochenpartien der hinteren W^and des äusseren Gehör-
ganges, des oberen Theiles des Anulus tympanicus, öfter auch mit gleich-
zeitiger Abstossung eines Theiles der Warzenzellen, zur Heilung.
Therapie. Die Behandlung hat vor allem das causale Moment ins
Auge zu fassen. In erster Linie müssen etwaige Reize im äusseren Ohre,
z. B. aus dem Mittelohr secernirter Eiter u. dgl., nach Möglichkeit entfernt
oder in der bereits erwähnten Weise unschädlich gemacht werden. Local
sind torpide Wunden und Geschwüre mit Adstringentien zu behandeln, und
zwar sind Grund und Ränder der Geschwüre mit Tinct. opii. croc. oder
mit einer starken Lapislösung zu bepinseln, Granulationen sollen mit Lapis
oder Chromsäure geätzt, Polypen mit Drahtschlingen oder Galvanokauter ab-
OTITIS EXTERNA. 419
getragen werden. Siebenmann empfiehlt zur Heilung der oft zu beobach-
tenden, mit hartnäckig recidivirenden Granulationen verbundenen Geschwürs-
bildung im äusseren Gehürgange eine Salbe aus Argent. nitr. 0*1 — 0-2, Bal-
sam, peruv. 0'5, Ungt. zinc. 10*0, welche mit Hilfe von festgedrehten und
zugespitzten Wattawicken 1 bis 2 mal täglich an die erkrankten Partien ge-
bracht wird. Cariöser Knochen wird ausgelölielt, Fistelgänge gespalten,
nekrotische Sequester extrahirt, nöthigenfalls Gegenöffnungen und Drainröhren
angelegt und auch sonst nach chirurgischen Regeln verfahren. In der Nach-
behandlung muss man immer an die Möglichkeit einer zurückbleibenden
Stenose des Gehörganges denken und eine solche, ebenso wie eine Verwach-
sung der gegenüberliegenden Wände mit einander zu verhüten trachten.
Circumscripte Infiltrationen und Geschwüre specifischer oder neoplasma-
tischer Natur im äusseren Gehörgange unterscheiden sich in ihrem Verlaufe,
ihren Symptomen, ihrer Diagnose und der erforderlichen Behandlung nicht
von jenen an einer anderen Stelle der allgemeinen Körperdecke, erfordern
daher an dieser Stelle keine besondere Besprechung.
IL Otitis externa diffusa simplex chronica. Diese Krankheit geht
fast immer aus der acuten Form hervor, infolge unpassender fehl^^rhafter
Behandlung, Vernachlässigung, geringer Widerstandsfähigkeit des afficirten
Organismus, oder auch infolge der fortdauernden äusseren reizenden Ursachen
(chronische Seborrhoe, Parasiten im Ohre u. dgl.). Sie charakterisirt sich durch
eine Hyperplasie der Cutis, somit durch Verdickung der Haut, öfters auch
durch Geschwürsbildungen in den Gehörgangswänden und durch einen serösen
oder eitrigen nicht sehr beträchtlichen Ausfluss. Beactionserscheinungen sind
dabei nur sehr geringfügig, somit auch die Schwellung entweder fehlend oder
minder ausgeprägt. Stellenweise findet man die erschlafften Gehörgangswände
mit polypösen Wucherungen besetzt und mit einem übelriechenden, serösen,
zuweilen auch sanguinolenten, schmierigen oder eitrigen, manchmal ein-
trocknenden Secrete bedeckt, in welchem in der Regel neben Eiterzellen noch
Epidermiszellen und Mikrococcen sich nachweisen lassen.
Symptome. Neben den eben angeführten objectiven Veränderungen
sind die subjectiven Symptome meist nur sehr unbedeutend. Am constantesten
besteht Jucken, mitunter sind auch etwas Ohrenrauschen und geringgradige
Schwerhörigkeit vorhanden.
Diagnose. In den meisten Fällen wird die Erkennung der Krankheit
keinen Schwierigkeiten unterliegen. Zur Aufklärung ihrer Ursache jedoch
empfiehlt es sich in zweifelhaften Fällen, das Secret und die abgestossenen
Epidermiszellen auf Mikroorganismen und auf Parasiten, Aspergillus zu
untersuchen.
Der Verlauf ist ein langwieriger. Der häufigste Ausgang ist bei ent-
sprechender Behandlung und Besserung des Grundleidens Heilung, oft mit
zurückbleibender Verdickung der Cutis, seltener Hyperostose der Knochen-
wandungen mit mehr oder weniger beträchtlicher Verengerung, seltener Auf-
hebung des Lumens des Gehörganges, durch Verwachsung, Narbenbildung,
Obliteration. Doch kann es auch zu tieferen Verschwärungen, zu Caries,
Nekrose und weitergreifenden Destructionen mit Durchbruch in die Parotis,
in den Warzenfortsatz und von da selbst in den Sinus transversus kommen,
oder der Process setzt sich durch die obere Gehörgangswand auf die Schädel-
basis fort und führt zu einer Erkrankung der Meningen. Von der unteren
Wand ist ein Uebergreifen der Entzündung auf das Unterkiefergelenk mög-
lich. Solche Fortpflanzungen des entzündlichen Processes auf die Nachbar-
schaft werden erleichtert durch vorhandene constante oder zufällige Knorpel-
und Knochenlücken oder längs der Gefäss- und Bindegewebszüge in den
Wandungen des Gehörganges. In äusserst seltenen Fällen soll eine einfache
chronische Externa in eine desquamative Otitis externa übergehen können.
27-
420^ OTITIS EXTERNA.
Die Prognose ist, wenn die consecutiven Veränderungen nicht etwa
schon zu weit gegriffen haben, eine günstige, sonst ist dieselbe von dem Grade
und der Intensität der secundären Erkrankungen und Complicationen abhängig
zu machen. Am gefährlichsten ist secundäre Knochencaries, wegen der Mög-
lichkeit eines Durchbruches nicht nur in die Parotis und in das Kiefergelenk,
sondern auch in den Warzenfortsatz, in den Sinus transversus und in die
Schädelhöhle, wodurch selbst Todesfälle infolge von Entzündungen des äusseren
Gehörganges, wenn auch selten, doch vorkommen können.
Therapie. Local sind je nach den vorliegenden Veränderungen Pei-
nigung durch antiseptische Ausspülungen, Einträufelungen oder Bepinselungen
mit Adstringentien: Sublimatspiritus, Plumb. acet. dep., Zinc. sulfur.
(0"5^/o — 1*0%), Argent. nitr. (1 — 5%), rectificirten Alcohol und Einblasungen
von Jodol, Dermatol, Airol, Borsäure vorzunehmen. Geschwüre, Granulation,
Polypen, Knochenaffectionen und sonstige Complicationen sind me oben an-
gegeben zu behandeln. Es ist selbstverständlich, dass man auch die Beseiti-
gung allgemeiner und localer schädlicher Einflüsse, die allgemeine Kräftigung
des Organismus gleichzeitig anzustreben hat.
III. Otitis externa diffusa desquamativa, auch „Keratosis ob-
turans" genannt, ist jener chronisch entzündliche Zustand, welcher zur Accu-
mulation von Epidermismassen im äusseren Gehörgange d. i. zum primären
Cholesteatom des Gehörganges führt. Toynbee beschrieb zuerst diese Krank-
heit unter dem Namen „Sebaceus tumours", die Bezeichnung „Keratosis ob-
turans" stammt von Wreden. Sie kommt nur sehr selten vor. Hessler fand
sie in O'OB^o der Kranken; er stellte aus der Literatur 67 solcher Fälle zu-
sammen und entwarf auf Grund derselben ein klinisches Bild dieser
Aflfection.
Aetiologie. Nach Politzer können die primären Cholesteatome des
äusseren Gehörganges durch vorausgegangene circumscripte oder diffuse Ent-
zündungen hervorgerufen werden, welche zu Structurveränderungen der Cutis
mit andauernder Desquamation von Epidermis führen. Auch vermehrter
Juckreiz im Ohre, wie er oft bei vorhandenen Katarrhen in der Tuba und
des Mittelohres vorkommt, kann zu dieser Krankheit Anlass geben. Das
Jucken veranlasst nämlich häufiges Kratzen im Ohre, wodurch eine chronische
Hyperämie der Gehörgangswände und in weiterer Folge eine Hyperplasie
derselben und vermehrte Epithelabstossung hervorgerufen wird. Ferner
wurde diese Krankheit nach vorausgegangenen Otorrhoen ohne ursächlichem
und zeitlichem Zusammenhang mit denselben beobachtet.
Nach Hessler besitzt diese Krankheit eine gewisse Analogie mit Ceru-
minalpfröpfen. Während bei manchen Personen infolge der Hypersecretion
im äusseren Gehörgange Cerumen abgesetzt wird, entsteht bei anderen in-
folge Hyperplasie des Epithels an denselben Stellen Absetzung und Verwach-
sung von Epidermislamellen zu Epidermispfropfen, während bei wieder an-
deren beide Arten von Pfropfen combinirt vorkommen.
Selbstverständlich muss unter den der Entstehung dieser Krankheit
günstigen und sie fördernden Umständen auch allen jenen Verhältnissen eine
gewisse Ptolle zugeschrieben werden, w^elche eine Herausbeförderung dieser
Massen nach aussen erschweren, wie Fremdkörper, angeborene und erworbene
Verengerungen, eigenthümliche Configuration des Meatus u. s. w., ähnlich wie
-bei Cerumen.
Verlauf. Die vermehrte Anhäufung von Epidermislamellen im äusseren
Ohre führt zur Bildung von Geschwülsten daselbst von verschiedener Grösse,
von gelblich weisser Farbe mit perlenartigem Glänze, welche beim Zusammen-
ballen zu Klumpen einen zwiebelartigen, concentrisch geschichteten, lamel-
lösen Bau und eine ziemlich beträchtliche Consistenz annehmen und mit den
Wandungen des Gehörganges mehr oder weniger fest zusammenhängen. In
OTITIS EXTERNA. ä21
seltenen Fällen wurden in alten angehäuften Epidermismassen Steinconcre-
mente gefunden, die bei näherer Untersuchung das balkige Gefüge und das
Aussehen von Sequestern spongiöser Knochensubstanz aufwiesen.
Diese Epithelaccumulation im äusseren Gehörgange kann bis zu einem
gewissen Grade stationär bleiben und sogar latent verlaufen. Durch lang-
sames progressives Wachsen des Propfes jedoch entsteht ein gleichmässiger
Druck auf die Gehörgangswand und auf das Trommelfell, welcher bedeu-
tende Veränderungen und tiefgreifende Zerstörungen verursachen kann.
Der Gehörgang wird immer mehr ausgeweitet, das Trommelfell an die Laby-
rinthwand angedrückt, die Gehörknöchelchen dislocirt. Es kommt zu Druck-
atrophie und zur Usurirung des Knochens mit Durchbruch in die Warzen-
höhe, in die Paukenhöhle und schliesslich sogar in die Schädelhöhle, wodurch
selbst Hirndruckerscheinungen hervorgerufen werden können. Durch den
Druck auf den Facialis kann seine Lähmung, durch Druck auf den Steig-
bügel Schwindelerscheinungen und bleibende Schwerhörigkeit herbeigeführt
werden.
Ein anderer Verlauf kommt zustande, wenn mehr durch Zufall als durch
unzweckmässige Behandlung Feuchtigkeit ins Ohr hineingelangte und die hygro-
skopischen Epidermismassen zum Aufquellen brachte. Der Druck ist dann ein
viel stärkerer und rascher zunehmender. Dadurch, sowie auch durch Kratzen
im Ohre mit fremden Körpern werden Ulcerationen an den Wandungen des
Gehörganges gesetzt, an denen die allgegenwärtigen Bacterien einen günstigen
Boden zu ihrer Entwicklung und zur Entfaltung ihrer deletären Wirksamkeit
finden. Die nächste Folge davon ist eine acute infectiöse Entzündung des
Gehörganges mit manchmal sehr intensiven Reactionserscheinungen, Schüttel-
frost, vehemente Schmerzen, extensive Schwellung u. s. w.
Mit dem Nachlasse der acuten Erscheinungen kommt es zu Otorrhoe,
Ulcerationen und Granulationsbildungen an den Wänden des äusseren Gehör-
ganges. Der inficirte, die Umgebung usurirende Epidermispfropf kann weiters
zu einer Otitis media mit Durchbruch der Trommelmembran und in weiterer
Consequenz zu Meningitis mit oder ohne Gehirnabscess, ferner zu Sinus-
phlebitis, otitischer Pyämie und zum Exitus letalis führen. Die Affection kann
sowohl einseitig als auch doppelseitig auftreten, verläuft fast immer chronisch
und nur in äusserst seltenen Fällen kann sie auch einen acuten Verlauf
nehmen. In einem Falle von Gottstein bildeten sich unter heftigen Schmerzen
und Fiebererscheinungen grau- weisse Membranen in der Tiefe beider Gehör-
gänge, die nach ihrer Entfernung einen vollständigen Abdruck des Trommel-
felles darstellten und sich bei der mikroskopischen Untersuchung als epitheliale
Membranen erwiesen.
Objective Symptome. Aus dem Vorstehenden ist ersichtlich, dass die
Symptome je nach der Art und dem Stadium des Verlaufes verschieden sein
werden. Anfangs wird man den Gehörgang von schmutzig grau-weissen oder
bräunlichen Massen mit der beschriebenen Beschaffenheit angefüllt finden,
späterhin werden die durch das continuirliche schrankenlose Wachsen des
Pfropfes oder durch die entzündlichen Erscheinungen erzeugten Veränderungen
in der Umgebung auffallen. Durch die Entfernung des Pfropfes kann man
oft an demselben einen Abdruck des Gehörganges und des Trommelfelles
bemerken, während am Gehörgange und Trommelfelle die durch den Druck
erzeugten Veränderungen zu Tage treten.
Subjective Erscheinungen können wie bei Cerumen vollständig fehlen,
oder sie beschränken sich auf geringere oder stärkere Schwerhörigkeit, Juck-
reiz und Sausen. Es können aber auch sämmtliche bei Cerumen angeführten
locale Symptome, subjective Beschwerden und mannigfachste, reflectorische
Erscheinungen (vgl. „Cerwwm") zur Beobachtung kommen.
422 OTITIS EXTERNA.
Kommt es durch Erosionen unter Vermittlung der in dem Epidermis-
zapfen zahlreich vorhandenen Mikroorganismen zur Wundinfection, dann treten
allgemeine Erscheinungen auf, wie Krankheitsgefühl, Frieren, Hinfälligkeit,
Schwäche und die sonstigen oben bei den acuten Processen geschilderten
Symptome. Recidiven sind bei dieser Krankheit ziemlich häufig.
Diagnose. In ähnlicher Weise, wie bei den vorausgegangenen Er-
krankungen wird auch bei der in Kede stehenden eine sichere Diagnose nicht
gemacht werden können in Fällen, in denen der Gehörgang durch Schwellung
für den kleinsten Ohrtrichter undurchgängig, somit für die otoskopische Unter-
suchung unzugänglich ist. Im allgemeinen lässt eine nach einem voraus-
gegangenen Kratzen oder Reinigen des Ohres plötzlich auftretende Schwer-
hörigkeit ohne Schwindel und Erbrechen und ohne sonstige Cerebralerschei-
nungen, ohne vorausgegangene Affection der Nase oder des Rachens und
ohne anderweitige für eine Affection des mittleren oder des inneren Ohres
sprechende Anhaltspunkte mit Recht einen Verschluss des Meatus durch einen
Fremdkörper voraussetzen. Alles, was vom Cerumen in dieser Beziehung ge-
sagt wurde, hat auch hier seine Geltung. Die nähere Diagnose wird erst
möglich sein, wenn nach einiger Zeit die entzündlichen Erscheinungen und
die Schwelluugszustände abgenommen haben. Ist die Ocularinspection möglich,
so wird man mit Hilfe der Sonde Hyperostosen, Exostosen und etwaige harte
Fremdkörper leicht ausschliessen können. Nicht so leicht ist die Unter-
scheidung vom Cerumen, mit welchem unsere Krankheit in der That sehr viel
Aehnlichkeit besitzt. Indessen geben der eigenthümliche lamellöse Bau, die
gelblich-weisse, perlartig glänzende Farbe der Epidermismasse, ihr festerer
Zusammenhang mit der Matrix, der Epidermis des Gehörganges, wodurch die
Entfernung der obturirenden Massen mittelst Ausspritzen viel langsamer von
statten geht und viel schwieriger gelingt als beim Ceruminalpfropf, ferner die
durch ihre Druckwirkung verursachten Folgen, wie z. B. die gleichmässige
Erweiterung des Gehörganges u. s. w., wichtige Anhaltspunkte für die Dif-
ferentialdiagnose. Die Dislocation des Trommelfelles medianwärts, seine Ver-
wachsung mit der Labyrinthwand und der Durchbruch der fremden Masse
durch den hinteren oberen Quadranten des Trommelfelles in die Paukenhöhle
und durch den angrenzenden Abschnitt des knöchernen Gehörganges nach
dem Atticus zu ist charakteristisch für Epidermismasse. Aehnliche Verände-
rungen kommen zwar auch bei Cerumen vor, doch sind sie bei diesem nicht
so constant, ja überhaupt selten und erreichen nie solche Dimensionen, sa
dass diese Alterationen der Nachbarschaft als pathognomonisch für Epidermis-
zapfen angesehen werden können. In zweilelhaften Fällen wird man mit Hilfe
der mikroskopischen Untersuchung eines mit der Sonde entfernten Partikel-
chens der den Gehörgang ausfüllenden Masse die Zusammensetzung derselben
aus Epidermiszellen leicht nachweisen und so die Natur der Krankheit in
einer jeden Zweifel ausschliessenden Weise klarlegen können. Doch muss
man daran denken, dass auch beide diese Krankheiten mit einander combinirt
vorkommen können, so dass sich keine ausschliessen lässt.
Noch schwieriger ist die Differentialdiagnose von einem secundären, aus
dem Warzenfortsatze oder der Paukenhöhle in den Gehörgang eindringenden
Cholesteatom. Durch die Anamnese oder durch die Untersuchung constatirte
vorausgegangene Entzündung des Mittelohres, entsprechende krankhafte Ver-
änderungen in der Nase und in deren Nebenhöhlen, starker, penetrirender^
fauler Geruch aus dem Ohre entfernter Bröckel sprechen für secundäres
Cholesteatom, während das Fehlen dieser Beweismomente Epidermismasse
wahrscheinlich macht.
Trotzdem wird es genug Fälle geben, in denen die Difterentialdiagnose
a priori nicht möglich sein und sich erst im Verlauf der Beobachtung und
der Behandlung, nach Räumung und Reinigung des Ohrcanales ergeben wird.
OTITIS EXTERNA. 423
Es könnte, wie bereits erwähnt, zufällig ein Mittelohrleiden vorausgegangen
oder später dazugekommen, eventuell durch die Erkrankung des äusseren
Ohres provocirt worden sein, während letztere später, resp. früher und ganz
unabhängig von der ersteren primär entstanden ist. Nach einer gewissen
Observationszeit werden sich jedoch oft auch diese Schwierigkeiten beseitigen
lassen. Man darf sich natürlich in solchen P'ällen mit der Diagnose nicht
übereilen. Zeigt sich nach Entfernung der fremden Masse aus dem Ohre
der Mutterboden rein und glatt, so spricht dies für Epidermispfropf, da bei
dem aus der Nachbarschaft ins äussere Ohr eingedrungenen Cholesteatom eine
entzündliche Reizung des angrenzenden Gewebes bestehen bleibt; die die Matrix
des Cholesteatoms bildende darunter liegende Knochenoberfläche erweist sich
meist uneben wie bei beginnender Caries; für primäre Epithelaccumulation
im äusseren Gehörgang spricht weiters das Vorkommen von mehrfachen
Zapfenbildungen von Epidermismassen in den Wandungen des Gehörcanals,
hohes Alter des Patienten und subjective Gehörserapfindungen und Schwer-
hörigkeit ohne Ohrenzwang.
Die Prognose ist nur dann günstig gestaltet, wenn die Krankheit
noch keine bedeutenden consecutiven und bleibenden Veränderungen ver-
ursacht hat. Sind bereits ausgebreitete Entzündungen eingetreten oder blei-
bende Veränderungen am Trommelfelle, an den Gehörknöchelchen u. s. w.
infolge der Druckwirkung gesetzt worden, dann ist die Prognose bezüglich
des Gehörs und der Gesundheit weniger günstig und von der Art und dem
Grade dieser secundären Alterationen abhängig zu machen.
Therapie. Die Behandlung ist verschieden, je nach dem Zustande,
in welchem die Krankheit zur ärztlichen Beobachtung gelangt. Ist das Ohr
mit den trockenen Massen ausgefüllt, dann soll man trachten, dieselben wo-
möglich auf trockenem Wege mit Sonde und Ohrlöffel zu entfernen. Bedenkt
man, wie hygroskopisch und quellbar diese Massen sind, ferner dass quellende
Epidermismassen einen Reiz auf die Gehörgangswand ausüben, wodurch die
dort angenisteten Mikroorganismen mobilisirt und ihre pathogene Wirkung
ausgelöst wird, so wird man begreifen, dass Feuchtigkeit, somit auch Ein-
spritzungen hier, wo nur möglich, zu umgehen sind, ausser in Fällen, wo
sichere Aussicht vorhanden ist, die angehäuften Massen auf einmal oder in
einer Sitzung vollständig zu entfernen, was nur selten der Fall ist. Wichtiger
noch ist es, Ausspritzungen zu vermeiden in Fällen, wo eine Perforation der
tympanischen Membran constatirt werden kann, z. B. wenn das Spülwasser
durch die Nase herauskommt, da dadurch sehr leicht eine Infection und eine
acute Entzündung der Paukenhöhle heraufbeschworen werden kann. Sind
jedoch die Epidermisschollen schon zuvor befeuchtet und zur Quellung ge-
bracht worden, dann sind sie möglichst rasch und gründlich zunächst dui'cli
starke Ausspritzungen zu entfernen. Diese ihre Extraction kann nur langsam
und schwierig vor sich gehen, da diese Massen der Gehörgangswand, mit deren
Epidermis sie zusammenhängen, viel fester anhaften als Ceruminalmassen.
Man wird daher die Ausspritzungen in mehreren Sitzungen vornehmen müssen
und in der Zwischenzeit die Aufweichung durch Eingiessungen alkalischer
Flüssigkeiten oder 2^0 iger öliger Salicylsäurelösung zu vervollständigen trachten.
In hartnäckigen Fällen ist zu dieser Aufweichung absoluter Alkohol zu be-
nützen. Durch Lockerung des Pfropfes mit der Sonde oder einem Ohrspatel
wird seine Loslösung von der Unterlage bedeutend erleichtert. Gelingt die
vollständige Elimination dieser Schollen mit den erwähnten Mitteln durchaus
nicht, dann wird man zur Curette greifen müssen, um den Meatus in der
Chloroformnarkose gründlich zu reinigen.
Beim Ausspritzen muss man sich vor Augen halten, dass es oft durch
den langdauernden Druck zur Atrophie des Trommelfelles kommt, welches
424 OTITIS EXTERNA.
dann durch einen etwas stärkeren Strahl leicht perforirt werden kann, woran
sich schwere eitrige Entzündungen des Mittelohres anzuschliessen pflegen.
Sind entzündliche Reactionserscheinungen, Schwellung und Verengerung
des Meatus vorhanden, dann soll man anfangs nur symptomatisch Antiphlogose
anwenden und diese — Kälte, Eisumschläge etc. — so lange fortsetzen, bis
absolute Abschwellung erfolgt ist; ist dies erreicht, dann kann erst an die
Extraction gesehritten werden (Hessler). Ulcerationen, Granulationen, Polypen,
die sich nach der Reinigung des Ohres an den Meatuswänden zeigen, sind in
der oben angedeuteten Weise entsprechend therapeutisch anzugehen. Doch
sollen solche Polypen unter der blossen Einwirkung von Kälte auf die ent-
sprechenden Weichtheile ums Ohr zur spontanen Schrumpfung und zum
Schwinden gebracht werden können.
Complicationen seitens des Warzenfortsatzes und des Mittelohres sind
nach den in den betreö'enden Abschnitten auseinandergesetzten Grundsätzen
zu behandeln. Als Grundsatz hat zu gelten, dass, während bei dem aus der
Nachbarschaft stammenden Cholesteatom gewöhnlich eine viel eingreifendere
operative Behandlung, Entfernung der Knochenmatrix, Abmeisselung der
Knochenunterlage etc. erforderlich ist, reicht bei dem primären Epidermis-
pfropf des äusseren Gehörganges selbst mit Durchbruch ins Mittelohr und in
den Warzenfortsatz die blosse Entfernung der Epidermislamellen zur voll-
ständigen Heilung aus (Hessler).
Nach Entfernung dieser Massen ist es zur definitiven Heilung und
namentlich zur Hintanhaltung von Recidiven angezeigt, noch durch einige Zeit
öftere Einträufelungen von Jodkalilösungen oder von Sublimatlösungen
(0*1 :30 — 50) ins Ohr vorzunehmen.
Nachtrag.
Die forensische Bedeutung der Entzündungen des äusseren
Gehörganges.
Wie oben auseinandergesetzt wurde, spielen unter den Ursaclien der bespro-
chenen Entzündungsformen Fremdkörper und scharfe Substanzen im äusseren Ohre
eine hervorragende Rolle. Nun gehört es keineswegs zu den Seltenheiten, dass
solche Gegenstände durch fremde Schuld oder gewaltsam durch fremde Hand ins Ohr
gelangen. Bei Attentaten mit Vitriol, Salpetersäure, Schwefelsäure u. dgl. kann
leicht etwas von diesen Flüssigkeiten ins Ohr gelangen. Bei Stellungspflichtigen
wurde es oft genug beobachtet, dass sie sich solche oder ähnliche Stoffe ins Ohr
hineingegossen oder hineingiessen Hessen, um eine Entzündung daselbst und Dienst-
untauglichkeit zu erzeugen. Fremdkörper können durch fremde Schuld, durch Fahr-
lässigkeit (z. B. bei Einsturz von Gebäuden, Gerüsten u. dgl.) ins Ohr gelangen und
die erwähnten Folgezustände herbeiführen.
Viel zu oft begegnet man auch Fällen von Otitis externa, verursacht durch
von Laien, nicht selten leider auch von Aerzten vorgenommene ungeschickte und
misslungene Extractionsversuche wirklich oder angeblich zufällig ins Ohr hinein-
gerathener Fremdkörper. Die Folgen solcher Manipulationen beschränken sich nicht
immer auf den äusseren Gehörgang, sondern können nach Durchbohrung des Trommel-
felles sogar zu Meningitis und Exitus letalis führen. Ja es sind sogar Fälle bekannt, in
denen Verletzungen im Meatus gesetzt wurden bei Versuchen Fremdkörper von dort
zu entfernen, die gar nicht vorhanden waren. In dieser Art entstandene Entzün-
dungen können natürlich unter Umständen leicht Gegenstand gerichts- und polizei-
ärztlicher Untersuchung und Begutachtung werden. Wir haben gesehen, dass alle
Formen von Otitis externa in der Regel leicht verlaufen, unter ungünstigen Um-
ständen jedoch dauernde üble Folgen nach sich ziehen können. Man wird also bei
der Begutachtung berücksichtigen müssen, ob die beschuldigten mechanischen, che-
mischen oder thermischen Reize in der That geeignet sind, gegebene entzündliche
Erscheinungen hervorzurufen, ob letztere thatsächlich durch eine inculpirte Verletzung
OTITIS MEDIA CATARRHALIS. '425
bedingt sind, oder ob diese Folgen, beziohungswoiso ein wenig günstiger Verlauf
durch „besondere körperliche JJeschaifenheit" des Verletzten, durch unpassende Be-
handlung oder durch andere zufällige Umstände herbeigeführt wurden. Ist ein
causa 1er Zusammenhang der Krankheit mit ins Ohr hineingerathcnen Fremdkörpern
nachweisbar, so muss man erwägen, ob die Entzündung wirklich auf den Koiz des
Fremdkörpers allein oder vielleicht nur auf nachträglich vorgenommene unzweck-
raässige Extractionsversuche zurückzuführen ist. Dabei hat man sich vor Augen zu
halten, dass Fremdkörper lange Zeit im Ohre verbleiben können, ohne welche
schädliche Folgen nach sich zu ziehen, dass wenn sie von glatter Oberfläche, geringem
Umfange weich, nicht quellbar sind und nur lose im Gehörgange sitzen, sie durchaus
nicht geeignet sind, Entzündungserscheinungen daselbst hervorzurufen, wohl aber
unebene, harte, höckerige, spitzige, kantige, quellbare oder fest eingekeilte Fremd-
körper und lebende Parasiten.
Sind in dieser Weise Entzündungen mit acuten Reactionserscheinungen ver-
ursacht worden, so ist der Fall als eine „leichte körperliche Beschädigung" zu be-
urtheilen, die gewöhnlich eine Gesundheitsstörung und eine Berufsunfähigkeit von
weniger als 20 Tagen nach sich zieht, die aber eventuell „mit besonderen Qualen"
für den Verletzten verbunden war.
"Wie oben erwähnt, können unter ungünstigen Umständen auch acute Entzün-
dungen des äusseren Gehörganges eine Heilungsdauer von einigen Wochen bean-
spruchen. Man muss sich daher bezüglich der Dauer der Gesundheitsstörung, resp.
auch der Berufsstörung anfangs nur vorsichtig und reservirt aussprechen und ein
definitives Urtheil erst nach einer gewissen Beobachtungszeit abgeben. Ist eine solche
acute Otitis externa chronisch geworden oder sind Verengerungen, Constrictionen
oder Narbenverschluss u. dgl. des äusseren Gehörganges aus der Entzündung resul-
tirt, dann ist eine längere resp. bleibende Gesundheitsstörung, eventuell auch
Berufsunfähigkeit und eine schwere körperliche Beschädigung anzunehmen. Doch er-
fordert da wieder eine besondere Berücksichtigung und Erwägung die Frage, ob
dieser Verlauf und dieses Resultat durch die Art der Verletzung selbst oder etwa
durch besondere, zufällige, von der Verletzung unabhängige Nebenumstände, wie
bereits oben hervorgehoben, bedingt wurde. Sind Nebenverletzungen gesetzt worden,
z. B. am Trommelfelle, Mittelohre etc. oder ernstere Folgezustände und Complica-
tionen am Knochen, in der Nachbarschaft u. s. w. aufgetreten, so wird dadurch das
Gutachten natürlich entsprechend beeinflusst. e. spiea.
Otitis media CatarrhaliS. MitdleserBenennungbezeichnen wir jenen
Krankheitsprocess der Trommelhöhle, bei w^elchem die Schleimhaut derselben
anschwellt und mehr minder flüssigen Schleim in abnormer Menge absondert.
Mit Ausnahme des ersten Lebensjahres, in welchem die Auskleidungs-
membran der Trommelhöhle noch alle Attribute der Schleimhaut besitzt, und
wo man in der Trommelhöhle eine seröse schleimige Flüssigkeit vorfindet,
ist bei erwachsenen gesunden Individuen die Schleimhaut der Trommelhöhle
und der Eustachischen Röhre zu einer dünnen, mit dem Perioste eng ver-
wachsenen Membran, in welcher man keine Schleimdrüsen findet, umgewandelt.
Dieser physiologische Zustand des Mittelohres ist für das normale Gehör-
vermögen nothwendig, indem Störung desselben erfolgt, w^enn die Luft ent-
weder durch Schwellung der Tubenschleimhaut nicht eindringen kann, oder
wenn in der Trommelhöhle Schleim abgesondert wird, oder selbst dann, wenn
die Schleimhaut derselben anschwellt und so das Lumen der Trommelhöhle
verengt wird.
Die katarrhalische Anschwellung der Trommelhöhlenschleimhaut hat auf
das Gehörvermögen auch noch durch den Umstand eine störende Wirkung,
weil dieselbe, so wie die serösen Membranen, die Gebilde umhüllt, sie um-
zieht den Hammer, Amboss und Steigbügel, wodurch deren Beweglichkeit, die
426 OTITIS MEDIA CATARRHALIS.
doch zur Fortpflanzung der Schallwellen erforderlich ist, sehr beträchtlich be-
hindert wird.
Die Otitis media catarrhalis simplex kommt sehr häufig im kindlichen
Alter vor, indem in diesem Alter die Schleimhaut der Nasenrachenhöhle
noch nicht rückgebildet ist, und wir dieselbe entweder gleichmässig ge-
schwellt vorfinden, oder wo die folliculare Pharyngitis constant anzutreöen
ist, ebenso sehen wir im kindlichen Alter die Tonsillen hypertrophisch, und
deren Vergrösseruiig bildet einen permanenten Reiz auf die Tubenmündung,
oder dieselbe wird mechanisch durch die grosse Tonsille verlegt, wodurch
entweder eine Anschwellung der Tuben- und Trommelhöhlenschleimhaut oder
Behinderung der Luftzufuhr in die Trommelhöhle sich einstellt.
Auch bei Erwachsenen ist oft ein einfacher Schnupfen, aber noch
viel mehr die katarrhalische Affection des Nasenrachenraumes die Ursache
der Otitis media catarrhalis; man kann also füglich alle Schädlichkeiten, die
diese Aliectionen verursachen, als ätiologische Momente für den einfachen
Trommelhöhlenkatarrh annehmen, so Erkältungen, Influenza, Syphilis, acute
Exantheme u. s. w. Unter den Ursachen lässt sich auch hereditäre Anlage
sehr häutig finden, es gibt Familien, in welchen beinahe jedes Mitglied der-
selben an Trommelhöhlenkatarrh leidet, es ist hier eine prävalente Vulnera-
bilität der Schleimhäute im allgemeinen und besonders des Nasenrachentractes
zu beobachten.
Die subjectiven Erscheinungen sind je nach dem Grade und der Dauer
des Katarrhes verschieden; im Beginne fühlen die Kranken eine unangenehme
Völle im Ohre, derart, dass sie sehr lebhaft fühlen, als ob das Ohr von aussen
her verlegt, verstopft wäre; diese Klage der Kranken veranlasst auch Aerzte,
die das Ohr nicht untersuchen können, zum Ausspritzen desselben. Auch stellt
sich häufig ein spannendes Gefühl im Ohre ein, hie und da fühlen die Kranken
einen flüchtigen Stich in der Tiefe des Ohres. Besteht der Katarrh schon
längere Zeit, stellt sich beträchtliche Hörverminderung ein, die Uhr wird nur
an der Ohrmuschel angelegt gehört, während mit dem WEBER'schen Versuch
die Stimmgabel lebhaft auf dem kranken Ohre gehört wird, der RiNNE'sche
Versuch fällt gewöhnlich negativ aus. Wird die Secretion in der Trommel-
höhle profus, und befindet sich in derselben flüssiges bewegliches Exsudat, so
können die verschiedensten Erscheinungen sich einstellen, so kommt es vor,
dass Kranke bei einer gewissen Neigung des Kopfes besser, ja auch ganz
gut hören, und sobald sie diese Kopfstellung auflassen, total taub sind; manch-
mal treten auch Schwindel und Brechneigung auf; so habe ich einen Collegen
behandelt, der nur horizontal im Bett liegen konnte, indem bei der leisesten
Bewegung Schwindel und Erbrechen sich einstellte, nach der Paracentese des
Trommelfelles und Entfernung des visciden eigelbartigen Exsudates aus der
Trommelhöhle waren diese Erscheinungen wie mit Zauberschlag geschwunden.
Auch die Erscheinung des Besserhörens bei einer gewissen Kopfstellung wird
dadurch erklärlich, dass das flüssige Exsudat in der Trommelhöhle seine
Stellung ändert und dem Fortpflanzen der Schallwellen freien Weg lässt. Bei
längerem Bestehen des Trommelhöhlenkatarrhs stellen sich abnorme subjective
Gehörsempfindungen, Ohrensausen in den verschiedensten Formen ein, welche
manchmal constant anhalten, manchmal zeitweise aussetzen. In manchen Fällen
hören die Kranken ein Knacken im Ohre, sie geben die Empfindung derart
an, als ob etwas im Ohre platzen würde, w^orauf sich das Gehör bessert, um
in kurzer Zeit wieder reducirt zu werden; es bezieht sich diese Erscheinung
auf das momentane Eindringen von Luft in die Trommelhöhle, wodurch das
eingezogene Trommelfell vorübergehend seine normale Lage annimmt.
Bei der Untersuchung finden wir je nach dem Stadium der Erkran-
kung sowohl das Trommelfell als die Trommelhöhle in verschiedenem Grade
verändert; wir haben jedoch nicht nur diese Gebilde, sondern auch den Rachen
OTITIS MEDIA CATARRHALIS. 427
und die Nasenrachenhöhle zu untersuchen. Erstreckt sich die Erkrankung
nur auf die Tubenmündung und etwa auf den Tubencanal, so dass die Trommel-
höhle noch in relativ normalem Zustande sich befindet, so sehen wir das
Trommelfell, was Farbe, Glanz und Lichtkegel anbelangt, noch unverändert,
und nur die Lage desselben ist eine abnorme, das Trommelfell ist seiner
ganzen Fläche nach mehr gegen die Trommelhöhle hin gerückt, mehr ein-
wärts gewölbt, wir sehen den Hammergriff mehr nach hinten oben gerichtet,
dafür wird an der Peripherie des Trommelfelles der kurze Fortsatz des Hammers
wie ein Stecknadelkopf von knöcherner Farbe deutlich sichtbar; infolge
dieses abnormen Spannungsverhältnisses stellt sich alsbald Hyperämie in den
Blutgefässen des Trommelfelles ein, wir sehen einen rothen Streifen längs des
Hammergriffes und Röthe an der Peripherie des Trommelfelles, welche sich selbst
auf die angrenzenden Wandungen des äusseren Gehörganges ausdehnt. Tritt
Schwellung in der Trommelhöhlenschleimhaut auf, so verändert das Trommel-
fell seine Farbe und Durchsichtigkeit, wir sehen ein schiefergraues, verdicktes
Trommelfell, der Lichtkegel fehlt gänzlich oder ist zu einem Punkte am Umbo
verkleinert. Bei freiem Exsudate in der Trommelhöhle kann das Trommel-
fell seine normale Lage behalten oder ist oft, besonders an der unteren Hälfte,
mehr gegen den äussern Gehörgang gerückt. Bei durchscheinendem Trommel-
felle können wir bei äusserer Besichtigung das Exsudat sehen, dasselbe nimmt
in der Regel die untere Hälfte der Trommelhöhle ein, und man kann dessen
Grenze als gerade oder wellige Linie am Umbo genau sehen, auch kann man
durch verschiedene Kopfstellungen eine Veränderung in der Lage des Exsu-
dates und hiemit auch der Grenzlinien herbeiführen.
Beim Katheterisiren der Tuba Eustachii dringt in den meisten Fällen die
Luft mit Rasseln in die Trommelhöhle, wir sehen dann das Trommelfell
seine normale Lage und Farbe annehmen. Ist Schwellung der Tubenschleim-
haut vorhanden, so dringt selbst die comprimirte Luft schwer, mit dünnem
zischendem Tone in die Trommelhöhle; besteht die Schwellung der Schleim-
haut schon längere Zeit und geht sie mit profuser Schleimabsonderung einher,
so kann es geschehen, dass die Luft absolut nicht in die Tuba dringt, die
Tuba kann verstopft sein und sich bei forcirten Schluckbewegungen entleeren,
oder die Wandungen sind aneinander derart gerückt, dass Stenose des Tuben-
canals gewöhnlich am Isthmus tubae constatirt werden kann; wir führen in
solchen Fällen eine dünne Sonde oder eine Geigensaite in die Tuba, wodurch
eben die unpassirbare Stelle deutlich zu Tage tritt.
Die Otitis media catarrhalis simplex tritt in manchen Fällen plötzlich
auf und befällt in der Regel beide Ohren, es ist jedoch nicht selten, dass an-
fangs nur ein Ohr ergriffen wird und dass das andere Ohr in einem späteren
Stadium erkrankt. Der Verlauf ist ein sich hinschleppender, was gewöhnlich
noch durch die Veränderlichkeit im Gehörvermögen befördert wird; indem
die Kranken durch das zeitweilige Besserhören ärztlichen Rath nur nach län-
gerem Bestehen der Krankheit in Anspruch nehmen; am schnellsten findet
Heilung statt, wenn keine constitutionelle Anlage vorhanden ist, und der Ka-
tarrh in Begleitung eines Schnupfens sich einstellt; hier kann Heilung von
selbst erfolgen oder bei zweckmässiger Behandlung in einigen Tagen sich
einstellen. Anders ist es bei acuten Exanthemen, bei der Influenza, bei Syphilis
und chronischen Pharyngealkatarrhen; bei diesen zeigt sich eine grosse Nei-
gung zu Recidiven, und nicht selten stellt sich chronischer Katarrh der Trom-
melhöhlen ein; ebenso verhält es sich bei hochgradiger Anschwellung der
Tubenschleimhaut und noch mehr, wo schon Verengerung im Lumen der
Tuba sich gebildet hat.
Die Behandlung bei Otitis media catarrhalis hat folgende Aufgabe
zu lösen: Wegsammachung der Tuba, Entfernung vorhandener Schleimmassen,
428 OTITIS MEDIA CATARRHALIS.
und die Schwellung der Trommelhöhlensclileimhaut zum normalen Zustande
herunterzubringen.
Die Wegsammachung der Tuba wurde in älterer Zeit durch den Val-
SALVA'schen Versuch angestrebt, es bringen jedoch selbst Gesunde nicht
immer durch Zuhalten von Mund und Nase bei forcirtem Exspiriren die Luft
in die Trommelhöhle, viel weniger gelingt es, bei geschwellter, schwer durch-
gängiger Tuba auf diese Weise dies auszuführen.
Um Luft durch die Tuba in die Trommelhöhle einzutreiben, bedienen
wir uns des Katheters, durch ^velchen wir entweder mittelst eines faustgrossen
Gummiballens oder einer Compressionspumpe comprimirte Luft eintreiben;
man führt vor allem den Katheter durch den unteren Nasengang bis zur
Tubenmündung, fixirt denselben in dieser Lage durch die PtAu'sche Brille und
verbindet hierauf die äussere Oeffnung des Katheters durch einen Gummi-
schlauch mit dem Ballon oder der Compressionspumpe. Bei Verengerungen
und Stenosen der Tuba können wir den Katheter nicht entbehren, wir be-
nöthigen ihn, um die Darmsaite oder Bougie in die Tuba zu führen, wo wir
dieselbe so lange liegen lassen, bis sie anschwellen, und so durch Druck das
Lumen der Tuba erweitern, auch können die zur Erweiterung verwendeten
Darmseiten und Bougies mittelst medicamentöser Mitteln imprägnirt sein,
wozu man gewöhnlich eine l%ige Lapislösung benützt. Wir können ferner den
Katheter durch nichts ersetzen in den Fällen, wo der Katarrh nur auf ein
Ohr localisirt ist.
Das Katheterisiren der Tuba erfordert eine geübte Hand, auch gibt es
Fälle, wo infolge Deformitäten in der Nase das Einführen des Katheters un-
möglich ist; ebenso beschwerlich ist es, bei Kindern den Katheter zu appli-
ciren, und diese Umstände haben es veranlasst, dass für den Katheter andere
Verfahren in die Therapie eingeführt werden, mittelst denen es ermöglicht
wird, Luft per tubam in die Trommelhöhle einzutreiben.
Politzer hat die Thatsache, dass beim Schlingen der Nasenrachenraum
abgeschlossen wird, dazu benützt, um durch einen Ballon bei diesem Acte
durch die Nase Luft einzutreiben, indem die Nase zugehalten wird und auf
diese Weise im Nasenrachenraum die eingepresste Luft nur in die Tuben
eindringen kann. Gruber hat dieses Verfahren modificirt, indem er nicht
Wasser schlucken lässt, sondern die Kranken die Selbstlaute a, o, u aus-
sprechen lässt, wodurch auch ein Verschliessen des Nasenrachenraumes erfolgt.
Es lassen sich beide Verfahren anwenden in leichteren Fällen von Otitis media
catarrhalis, insbesonders wenn beide Ohren ergriffen sind, denn, ist nur ein
Ohr krank, so dringt die auf diese Weise eingetriebene Luft viel mehr in die
wegsame Tuba, als in die kranke undurchgängige. Geschieht nun die Luft-
eintreibung auf welche Weise immer, so wird der Schleim aus Tuba und
Trommelhöhle in leichteren Fällen entfernt, und der Kranke hat momentan
sein Gehör erlangt und fühlt sich bedeutend erleichtert; die Erleichterung ist
in prognostischer Beziehung insoferne von Bedeutung, indem deren Dauer auf
die schnelle oder langsame Heilung folgern lässt; wir finden nämlich nach
erfolgter Lufteintreibung manchmal, dass das Gehörvermögen stundenlang
sich gebessert erhält, während in schwereren Fällen die Besserung entweder
gar nicht erfolgt oder nur für kurze Zeit anhält. Wir richten auch nach
dieser Erscheinung unser Vorgehen ein, bei längere Zeit bestehender Gehör-
verbesserung genügt es, jeden zweiten bis dritten Tag die Lufteintreibung vor-
zunehmen, während im schlechteren Falle dieselbe täglich durch zwei bis drei
Wochen anzuwenden ist.
Bei Schwellung der Tubenschleimhaüt und der Schleimhaut der Trommel-
höhle ist es von Vortheil, wenn durch den Katheter einige Tropfen von
Lösungen adstringirender Mittel, am geeignetsten von einer P/oigen Sulfat.
Zinci-Lösung, mittelst comprimirter Luft eingetrieben werden; man darf nur nicht
OTITIS MEDIA SCLEROTICA. 429
einen starken Luftstrom einwirken lassen, weil hiedurch die Flüssigkeit einen
starken Reiz, manchmal infolge hochgradiger Hyperämie in der Trommelhöhle
auch heftigen Schmerz verursacht; dieser Schmerz hört wohl in den meisten
Fällen in kurzer Zeit auf; es kommt jedoch vor, dass hiedurch eitrige Entzün-
dung in der Trommelhöhle erfolgt.
Ist in der Trommelhöhle freies Exsudat in grösserer Menge angesammelt,
was durch Besichtigung des Trommelfelles leicht zu constatiren ist, so thun wir
am besten, wenn die Taracentese des Trommelfelles vorgenommen wird,
LufteintreilDungen sind in solchen Fällen von keinem bleibenden Nutzen; selbst
wenn eine leichte Besserung nach derselben sich einstellt, so können wir bald
darauf das Exsudat auf seiner früheren Stelle finden, während wir in der Para-
centese ein sicheres Vorgehen zu dessen Entfernung besitzen und den Krank-
heitsprocess auch in kürzester Zeit zum Schwinden bringen.
Die Paracentese des Trommelfelles verursacht gewöhnlich gar keine un-
angenehmen Zufälle, auch der Schmerz ist ganz unbedeutend, und ich vollziehe
dieselbe beinahe immer ambulanter; es ist mir jedoch vorgekommen, dass
neurasthenische Individuen bei der Paracentese des Trommelfelles ohnmächtig
wurden.
Zur Paracentese des Trommelfelles gebrauche ich eine kleine lanzen-
förmige, zweischneidige, gut zugespitzte Nadel, deren Heft 5 cm lang ist und
in einen Griff durch eine Schraube befestigt wird, derart, dass der Grifi mit
der Nadel einen stumpfen Winkel bildet; man kann die Lanzennadel auf diese
Weise je nach Bedarf entweder horizontal oder vertical placiren und so das
Trommelfell mit derselben durch einen horizontalen oder verticalen Ein-
schnitt eröftnen.
Bei Ausführung der Paracentesen ist es zweckmässig, obwohl nicht un-
umgänglich nothwendig, wenn ein Gehilfe den Kopf des Patienten fixirt; wir
führen den Trichter ein, und bei gehöriger Beleuchtung der zu operirenden
Stelle wird die Nadel eingestochen und mit einem 2 — S^mm grossen Einschnitt
eröffnet man das Trommelfell.
Wo das Trommelfell zu paracentesiren ist, das zeigt am besten der
Trommelfellbefund, wir handeln jedoch zweckmässig, wenn wir die Paracen-
tese an dem hinteren unteren Quadranten des Trommelfelles ausführen, indem
hier die tiefste Stelle ist, durch welche das Exsudat am leichtesten nach aussen
befördert werden kann. Indem in den meisten Fällen das Exsudat eine
klebrige viscide Masse ist, so sind es die seltenen Fälle, wo dasselbe durch die
einfache Paracentese sich entfernen lässt; gewöhnlich entleert sich dasselbe
nur, wenn nach der Paracentese eine kräftige Lufteintreibung ausgeführt wird;
es ist dies umso nothwendiger, weil in den meisten Fällen der Einschnitt im
Trommelfelle im Verlauf von 24 Stunden sich vollkommen schliesst. Nach
der Paracentese wird der äussere Gehörgang von den ausgetriebenen Schleim-
massen mittelst Wattatampons gereinigt und der Gehörgang luftdicht ver-
schlossen. BÖKE.
Otitis media SCierotica. (Synonym: Otitis media plastica, trockener
Paukenhöhlenkatarrh, Rigidität der Paukenhöhlenschleimhaut.)
Pathologische Anatomie. Bei der Sklerose der Paukenhöhlen-
schleimhaut handelt es sich um eine narbige Schrumpfung des vorher
häufig hyperplastischen und infiltrirten submucösen Bindegewebes, wodurch
der Ueberzug der Wandungen und der einzelnen Gebilde (Gehörknöchelchen)
starr, „rigid" wird. Dazu tritt im weiteren Verlaufe eine Einlagerung
von Kalksalzen zwischen die Bindegewebsfasern und sehr oft eine theil-
weise Verknöcherung namentlich in den tieferen, dem Periost anliegenden
Schichten der Mucosa, in den bindegewebigen und knorpeligen Bekleidungen
der Ossicula und in den Bändern ihrer Gelenke. Da unter diesen degene-
480 OTITIS MEDIA SCLEROTICA.
rativen Vorgängen ein Theil der Blutgefässe verloren geht, erscheint die
Paukenhöhlenauskleidung blass, grauweiss.
Diese narbige Schrumpfung und Verkalkung kann ausgedehntere Flächen
der Schleimhaut befallen oder ganz umschrieben auftreten. Das erstere ist
öfter der Fall, wenn sich die Sklerose im Anschluss an einen chronischen
Mittelohrkatarrh entwickelt, und wir sehen dann zuweilen neben den erwähn-
ten Veränderungen noch charakteristische Zeichen dieser ursächlichen Krank-
heit wie Hyperämie und zellige Infiltration. Umschriebene sklerotische Herde
hingegen entstehen meist ohne nachweisbare vorhergehende locale Störungen;
ihr Lieblingssitz ist die Umgebung des Steigbügels und der Labyrinthfenster,
und gerade hier wird der Process besonders verhängnisvoll, weil er an dieser
für die Hörfunction hervorragend wichtigen Grenze zwischen Schallleitungs-
und Empfindungsapparat durch abnorme Fixationen (Ankylose des Steig-
bügels) die schwersten Formen von Taubheit erzeugt. In der That sind
Erkrankungen des Labyrinths bei Sklerose sehr häufig, und es ist wahrschein-
lich, dass sie zum grösseren Theile als secundäre, durch die übermässige
Belastung und Erstarrung des Leitungsapparates bedingte, aufzufassen sind,
obwohl man andererseits nicht selten zu der Annahme gezwungen wird, dass
die Betheiligung des inneren Ohres primär zustande kommen kann. Viel-
leicht handelt es sich öfter um Vorgänge, wie sie Politzee und Voltolini
beschrieben haben, nämlich um eine gleichzeitige Hyperostose der äusseren
und der inneren Fläche der Umrandung der fenestra ovalis.
Ausser am Stapes werden Ankylosen auch am Hammer- Ambossgelenke
und am Amboss-Steigbügelgelenke beobachtet, sowie auch die Membrana tym-
pani secundaria zuweilen verkalkt oder durch Hyperostose ihrer Nischen-
wandungen fixirt gefunden wird. Das Trommelfell zeigt keine charakteristi-
schen Veränderungen. Erstreckt sich die Atrophie der Schleimhaut auch auf
seinen Ueberzug, so erscheint es dünn, vermehrt durchscheinend, und der
Hammer sieht breiter aus als gewöhnlich, was übrigens zum Theil auch von
einer Verknöcherung seines Knorpelüberzuges herrühren kann. Bei Steigbügel-
Ankylose hat Schwaktze öfters eine umschriebene Hyperämie der Schleim-
haut am Promontorium nachgewiesen, welche auch dem Trommelfelle an der
entsprechenden Stelle einen röthlichen Schimmer verleihen kann. Die Tube
wird fast stets normal gefunden.
Aetiologie. Die Ursachen der Sklerose sind oft in tiefes Dunkel
gehüllt. Es ist zwar nicht zu bestreiten, dass den degenerativen Verände-
rungen der Schleimhaut nicht selten katarrhalische Processe voraus-
gehen, doch entwickelt sich die Sklerose viel häufiger, als man früher anzu-
nehmen geneigt war, primär. Ernährungsstörungen verschiedener Art, nament-
lich Anämie, scheinen ihre Entstehung zu begünstigen, auffallend oft wird
das weibliche Geschlecht befallen, und das gesammte Geschlechtsleben des
Weibes, ganz besonders die Schwangerschaft und das Wochenbett, übt einen
entschiedenen Einfluss auf die Krankheit aus. Eine hervorragende Rolle
spielt die Heredität, und jedenfalls ist ein sehr grosser Theil der zur
Beobachtung kommenden Fälle von Sklerose auf diese Ursache zurückzuführen
— auf Grund welcher pathologischer Vorgänge ist freilich durchaus unauf-
geklärt. Die Krankheit befällt weit weniger Kinder als Erwachsene; doch
kann man sie gerade auf hereditärer Basis zuweilen schon im zweiten Decen-
nium des Lebens beginnen sehen.
Symptome. Die subjectiven Erscheinungen der Sklerose entwickeln
sich in den meisten Fällen so schleichend, dass der Kranke noch frei von
Beschwerden ist und vollkommen gesund zu sein glaubt, wenn sein Leiden
schon Jahre lang besteht und bereits unheilbar ist. Dies gilt besonders von
der Schwerhörigkeit, und das lange Verborgenbleiben dieses Symptoms er-
klärt sich dadurch, dass in der Regel zuerst vorwiegend nur ein Ohr erkrankt
OTITIS MEDIA SCLEROTICA. 431
und erst bei erheblicherer Functionsstörung auf dem zweiten Ohre dem Patien-
ten bemerkbar wird, dass er bestimmte Geräusche, wie das Uhrticken, Vogel-
zwitschern, weniger deutlich und auf geringere Entfernung vernimmt als
andere, oder dass er das Durcheinandersprechen in der Gesellschaft, die auf
der Bühne gesprochenen Worte, die Predigt in der Kirche, nicht mehr ver-
stehen kann. Doch kommt es auch nicht selten vor, dass die .Schwerhijrig-
keit sich schneller und auf beiden Ohren gleichzeitig einstellt und dann früh-
zeitiger festgestellt wird. Sehr gewöhnlich ist die weitere Zunahme der
Functionsstörung eine ungleichmässige, sprungweise, d. h. auf ein Stadium
einer sehr langsamen Verschlimmerung oder vollständigen Stationärbleibens
folgt eine raschere Verschlechterung, und besonders bei älteren Patienten ist
ein rapides Fortschreiten der Gehörsabnahme ein häufiges Vorkommnis. In
solchen Fällen kann die Hörfähigkeit erheblichen Schwankungen unterliegen,
so dass der Kranke bald leidlich gut, bald, und zwar besonders bei feuchter,
schwüler Witterung, infolge von Aufregungen und Anstrengungen, sehr viel
schlechter hört. Auffallend ist auch häufig eine schnell eintretende Er-
müdung des Gehörsinnes, besonders bei angestrengtem Lauschen, wie
sie sich z. B. bei länger ausgedehnten Hörprüfungen leicht geltend macht.
Diese Erscheinung, welche Schwartze gewiss mit Recht auf eine Ueber-
anstrengung der Binnenmuskeln der Paukenhöhle zurückführt, kann auch mit
einem ;,heimlichen" Schmerz von ziehendem und reissendem Charakter ver-
bunden sein.
Während in vielen Fällen die Schwerhörigkeit schliesslich eine sehr
hochgradige wird und bei Ankylose des Steigbügels eine nahezu vollkommene
Taubheit eintritt, kommt es auch vor, dass ein gewisser Grad von massiger
Hörschwäche nicht überschritten wird; feinere und besonders tiefe Geräusche
und Töne werden aber regelmässig schlecht gehört.
Subjective Geräusche fehlen bei Sklerose fast niemals. Oft sind
sie das erste Symptom, welches der Kranke bemerkt, zuweilen schon Jahre
lang, ehe ihm seine Schwerhörigkeit zum Bewusstsein kommt. Die Geräusche
pflegen zunächst nicht continuirlich zu sein, sich bei gewissen Gelegenheiten,
z. B. nach körperlichen und geistigen Anstrengungen, nach Excessen etc. ein-
zustellen, werden aber später in der Regel persistent und steigern sich bei
den schwereren Fällen, besonders wenn Synostose des Steigbügels besteht,
bis zur Unerträglichkeit, so dass der Patient lieber taub zu sein als das fort-
währende Toben länger zu hören wünscht. Die Fälle, in welchen die Ge-
räusche intermittirend oder so schwach bleiben, dass der Kranke sich an sie
gewöhnt, müssen als besonders günstig bezeichnet werden.
Schwindel kommt nicht regelmässig, aber doch in vielen Fällen vor,
meist bei bestimmten Bewegungen, z. B. beim Bücken oder wenn der Patient
rasch nach oben sieht. Stärkere Anfälle mit vermehrtem Sausen und Er-
brechen sind ungewöhnlich, so lange das Labyrinth intact ist.
Ein sehr häufiges Symptom ist die Paracusis WiUisii, das Besserhören
bei Geräuschen, welches vielleicht bei keiner anderen Ohrenkrankheit so
ausgeprägt beobachtet wird, wie bei der Sklerose. Es ist keine seltene Er-
scheinung, dass Sklerotiker z. B. im Eisenbahnwagen während der Fahrt die
Unterhaltung leichter verstehen als Normalhörende.
Diagnose. Die objectiven Erscheinungen sind durchaus typisch, so
dass die Diagnose mehr oder weniger per exclusionem gestellt werden muss.
Vor allem zeigt das Trommelfell, besonders bei umschrieben verlaufender
Erkrankung, oft gar keine Abweichung. In anderen Fällen ist es atrophisch,
so dass der Amboss und das Promontorium durchscheint, oder verdickt,
fleckig oder diffus weiss getrübt, zuweilen theilweise oder gänzlich verkalkt.
Der Hammergriff erscheint oft, theils infolge der Verdünnung der ihn um-
432 OTITIS MEDIA SCLEROTICA.
gebecden Weiclitheile, tlieils infolge der oben erwähnten Verkalkung und
Verknöcherung seines Knorpelüberzuges, breit und sehr weiss, zuweilen ist
ein röthlicher Schimmer, welcher von der Hyperämie der Promontorium-
schleimhaut herrührt, in der Umbogegend zu bemerken. Ein häufiger Befund
ist eine leicht eintretende Injection der am Hammer entlang laufenden Gefässe;
bei manchen Kranken genügt schon die Einführung des Ohrtrichters, um
diese Congestion zu erzeugen, bei anderen stellt sie sich beim Katheterisiren
ein. Die Wölbung des Trommelfelles ist entweder, und zwar häufiger, normal,
oder es besteht eine vermehrte Einziehung, sei es der ganzen Membran oder
einzelner Theile, wie der membrana flaccida. Der Gehörgang ist meist arm
an Cerumen.
Alle diese Erscheinungen können einzeln oder neben einander bei Skle-
rose, wie bei verschiedenen anderen Krankheiten, vorhanden sein, während
andererseits hochgradige Schwerhörigkeit infolge von Steigbügelankylose
bestehen kann, ohne dass irgend welche objective Veränderungen nachweis-
bar sind.
Auch die Auscultation gibt nicht immer bestimmten Aufschluss für
die Diagnose. Meist ist die Tube vollkommen durchgängig, so dass das Aus-
cultation sgeräusch von dem normalen nicht abweicht. Verengerung des Lumens
besteht jedenfalls selten und nur, wenn neben beginnender Sklerose noch
Katarrh vorhanden ist. Hingegen kommt bei ausgesprochener Sklerose ein
charakteristisches Geräusch vor, ein breites, eigenthümlich hartes, scharfes,
zuweilen fast pfeifendes Blasegeräusch, welches auf eine abnorme Trockenheit
und besonders leichte Durchgängigkeit der Eustachischen Röhre, sowie auf
vollkommenen Secretmangel in der Paukenhöhle schliessen lässt. Nach der
Luftdouche schimmert zuweilen die Schleimhaut deutlich roth durch das
Trommelfell durch.
Die Hörprüfung ergibt, so lange keine Labyrinthaffection hinzugetreten
ist, die ausgesprochenen Anzeichen einer Erkrankung des Schallleitungsappa-
rates. So wird beim WEBER'schen Versuche der Stiramgabelton, falls eine
erhebliche Differenz in der Hörfähigkeit zwischen beiden Ohren besteht, aus-
schliesslich oder wesentlich stärker auf der schlechteren Seite wahrgenommen;
der BiNNE'sche Versuch fällt überwiegend häufig negativ aus, die Perceptions-
dauer für den Stimmgabelton ist ganz beträchtlich verlängert. Die Taschen-
uhr wird schon frühzeitig auffallend schlecht durch die Luft, oft aber noch lange
vom Knochen aus gehört, hohe Töne werden gut, tiefe schlecht wahrgenommen,
Flüstersprache wird meist nur auf eine kurze Entfernung verstanden.
Ist gleichzeitig eine Labyrinthaffection vorhanden, so gibt die Hör-
prüfung sehr widersprechende Resultate; doch lässt sich auf eine Betheiligung
des Empfindungsapparates schliessen, wenn bei jüngeren Individuen die cranio-
tympanale Leitung abgeschwächt ist, der RiNNE'sche Versuch positiv ausfällt
und auch die hohen Töne auffallend schlecht gehört werden. Ein wichtiges
Zeichen ist auch die Verkürzung der Perceptionsdauer.
Der neuerdings von Bloch weiter ausgeführte Versuch von Gelle, eine
bestehende Steigbügelankylose mit Hilfe der Verdichtung der Luft im Gehör-
gange während einer Stimmgabelprüfung (Pressions centripetes) nachzuweisen,
ist unzuverlässig. Nach Bjloch ist auf Steigbügelfixation zu diagnosticiren,
wenn bei einseitiger Schwerhörigkeit durch die. Luftverdichtung im Gehör-
gange bei Zuleitung des Stimmgabeltones durch die Luft eine Intensitäts-
abnahme der Tonwahrnehmung, bei craniotympanaler Zuleitung des Tones
(Aufsetzen der Stimmgabel auf den Scheitel) hingegen ein Gleichbleiben der
Intensität des Schalles festgestellt wird. (Siehe „Untersuchungsmethoden.")
Die Verwendung der Sonde zur directen Erkennung der verminderten
Beweglichkeit des Leitungsapparates ist schwierig, da es sich um selbst nor-
maler Weise verschwindend kleine Excursionen handelt. Der Hammer lässt
OTITIS MEDIA SCLEROTICA. 433
sich ohne weiteres, am besten nach Lucae mit einer am Knopfe eingekerbten
Sonde betasten; will man am Steigbügel Mobilisirungsversuche anstellen, so
muss der hintere obere Quadrant des Trommelfelles ausgeschnitten werden.
Liegt vollkommene Ankylose vor, so fühlt man wohl bei grosser Uebung mit
der Sonde die Unbeweglichkeit des Knöchelchens, auch fallen daun die bei
beweglichem Stapes recht erheblichen subjectiven Erscheinungen aus; gerin-
gere Differenzen in der Schwingungsfähigkeit sind indessen durch die tactile
Untersuchung kaum festzustellen.
Bezüglich der Differentialdiagnose zwischen Sklerose und ein-
fachem Mittelohrkatarrh ist es wichtig zu bemerken, dass durch die Luftdouche
bei letzterer Affection fast regelmässig eine messbare Hörverbesserung erzielt
wird, während bei Sklerose bei der einzelnen Anwendung des Katheters meist
kein nennenswerter Einfluss auf die Function nachweisbar ist. Auch erhält
man bei dem in der Kegel mit Tubenverengerung complicirten Mittelohr-
katarrh, selbst wenn nicht viel Exsudat vorhanden ist, ein anderes Auscul-
tationsgeräusch als bei der Sklerose.
Prognose. Die Prognose der Otitis media sclerotica ist ungünstig.
Zwar gelingt es zuweilen, namentlich wenn keine hereditäre Disposition vor-
liegt, bei sehr frühzeitiger Behandlung, dem Schallleitungsapparate seine Be-
weglichkeit einigermaassen zu erhalten, bei bereits vorgeschrittenerem Leiden
eine zeitweilige Besserung zu schaffen oder doch den Eintritt einer erheblichen
Verschlimmerung hinauszuschieben; allein in der Mehrzahl der Fälle sind die
Beschwerden progressiv, und wenn man die soeben erwähnten Erfolge der
Therapie skeptisch betrachtet, so können sie doch oft recht zweifelhaft er-
scheinen, da ein Stillstand der Krankheit auch spontan nicht selten beobachtet
wird. In den meisten Fällen verschlimmern sich die Symptome trotz aller
Behandlung und leider auch oft infolge einer unzweckmässigen Behand-
lung; denn es steht fest, dass eine rapide Zunahme der Schwerhörigkeit durch
übertriebenes ärztliches Eingreifen in vielen Fällen verschuldet wird.
Die Prognose ist relativ besser, wenn das Leiden nicht ererbt ist und
noch nicht lange besteht, wenn die craniotympanale Leitung erhalten ist, die
subjectiven Geräusche nur zeitweilig auftreten und noch Schwankungen in
der Hörfähigkeit zu beobachten sind. Hingegen ist die Prognose schlecht bei
ausgesprochener Betheiligung des Labyrinthes, bei nachweisbarer Verschlech-
terung des Gehöres oder bei Eintreten von Dumpfheit und Schwindel nach
der Luftdouche, bei rascher und gleichmässiger Zunahme der Schwerhörigkeit,
bei continuirlichen subjectiven Geräuschen. Ungünstig beeinflusst wird der
Verlauf auch durch die fortdauernde Einwirkung gewisser Schädlichkeiten,
welche den Hörnerven reizen oder Congestionen zum Kopfe verursachen. Beim
Manne ist daher die Berufsthätigkeit häufig von grossem Nachtheile für das
Ohr, wie beim Weibe Schwangerschaft und Wochenbett oft eine rapide Ver-
schlimmerung herbeiführen.
Behandlung. Die Behandlung der Sklerose ist, wie aus dem Gesagten
hervorgeht, in der Mehrzahl der Fälle eine undankbare. Nur bei noch ver-
hältnismässig frischer Erkrankung gelingt es zuweilen, die allmähliche Er-
starrung des Leitungsapparates aufzuhalten, und es muss deshalb als eine
Pflicht des praktischen Arztes, insbesonders des Hausarztes, bezeichnet werden,
bei den Angehörigen von Familien, in welchen Schwerhörigkeit aufgetreten
ist, in regelmässigen Zwischenräumen das Gehörorgan genau zu prüfen, damit
jede Störung früh entdeckt wird und Behandlung findet.
Die geeignete Therapie ist in derartigen Fällen der Käthe terismus.
Wenn manche erfahrene Ohrenärzte die Anwendung der Luftdouche für nutzlos
oder für verderblich erklären und diese Behandlung grundsätzlich verwerfen,
so stimme ich ihnen in Bezug auf das PoLiTZER'sche Verfahren, dessen
Stosswirkung in der That geradezu gefährlich für die brüchige Paukenhöhlen-
ohren-, Nasen-, Kachen-, Kehlkopfkrankheiten. 28
434 OTITIS MEDIA SCLEROTICA.
auskleidung werden kann, vollkommen bei; aber die Hände vollkommen resig-
nirt in den Schoss zu legen, finde ich nicht für alle Fälle gerechtfertigt. So
entschieden das PoLiTZER'sche Verfahren bei der Sklerose contraindicirt ist,
so unzweifelhaft kann die vorsichtige Anwendung des Katheters bei sorg-
fältiger Individualisirung von Nutzen sein. Der Katheterismus darf aber
freilich immer nur kurze Zeit, etwa 4 — 6 Wochen lang dreimal wöchent-
lich und immer nur mit sehr schwachem Drucke ausgeführt werden und ist
in jedem Falle sofort auszusetzen, wenn sich etwa Reizungserscheinungen,
wie vermehrtes Sausen, Druckgefühl oder Schwindel, danach einstellen. Auch
in vorgeschritteneren Fällen tritt zuweilen ein Stillstand von längerer oder
kürzerer Dauer bei der Behandlung mit der Luftdouche ein — ob post oder
propter hocV ist, wie schon bemerkt wurde, nie mit Sicherheit zu entscheiden.
Jedenfalls sollte man, so lange sich nicht eine Neigung zum Schlechterwerden
herausstellt, namentlich in älteren Fällen nicht katheterisiren und diese Be-
handlung erst wieder für kurze Zeit aufnehmen, wenn das Gehör weiter zu
sinken beginnt. Ich habe auf diese Weise, durch etwa jedes Jahr oder in
mehrjährigen Zwischenräumen wiederholte mehrwöchentliche Anwendung der
Luftdouche und bei fortgesetzter Controle der Patienten, eine ganze Reihe von
Fällen ziemlich stationär bleiben sehen und bei jüngeren Individuen niemals
schädliche Einwirkungen bei dieser maassvollen Benützung des Katheters nach-
weisen können. Von einer übertriebenen Anwendung der Luftdouche ist
aber ganz entschieden zu warnen, wie denn überhaupt bei kaum einer anderen
Ohraffection das r.pw-ov jjlsv to [itj ßXccTctsiv mehr Beherzigung verdient als
bei der Otitis media sclerotica. Zumal wenn es, infolge der Betheiligung
des Labyrinthes, mit dem Gehör rapid bergab geht, ist die Luftdouche nicht
am Platze; sie bewirkt dann meist ein vermehrtes Druckgefühl, zuweilen
geradezu eine Betäubung, und selbst, wenn es auch manchmal den Anschein
hat, als ob die Beschwerden vorübergehend gemildert würden, so ist doch
längstens binnen wenigen Stunden Alles beim Alten oder gar dann schon eine
Verschlechterung nachzuweisen.
Die Injection von Medicamenten durch den Katheter ins Mittel-
ohr bringt nur selten einigen Nutzen und wohl nur in solchen Fällen, in
welchen die Luftdouche allein günstig einwirkt. Empfohlen werden theils
dampfförmige Mittel, wie W^asserdämpfe, Jodäthyl, Salmiak- und Terpentin-
dämpfe, Aether, Chloroform etc., theils Flüssigkeiten, wie Natrium carbonicum
und bicarbonicum, Kalium jodatum, Chloralhydrat. Namentlich mit dem
letzteren Medicamente (1:30 aqua) sind von Lücae vielfach gute Erfolge er-
zielt worden; doch hat sich auch dieses Mittel, zumal da es mitunter erheb-
lich reizt, nicht allgemeiner bewährt. Auch die Bestrebungen, mit Hilfe von
injicirten Lösungen (Salpetersäure, Glycerinphosphorsäure) die in der Pauken-
höhlenschleimhaut deponirten Kalksalze zu lösen, sind als gescheitert anzu-
sehen.
Anstatt der Injectionen hat man auch die Behandlung mit Bougies zur
Einführung von Arzneimitteln durch die Tuben benutzt, und es ist namentlich
von Delstanche Jodoformvaselin in dieser Weise angewendet worden; allein
der Erfolg ist auch hier selten ein befriedigender, und die Bougirung der
Ohrtrompete ist bei der Sklerose umso weniger indicirt, als die Tube, wie
erwähnt, in der Regel normal oder gar übermässig leicht durchgängig ist.
Verhältnismässig bessere Ergebnisse liefert zuweilen die Luft Ver-
dünnung im äusseren Gehörgange, welche auch in solchen Fällen
versuchsweise ausgeführt werden kann, in welchen die Luftverdichtung in der
Paukenhöhle in Gestalt des Katheterismus keinen oder einen nachtheiligen
Einfluss übt. Am einfachsten geschieht dies nach dem von Lucae angege-
benen Verfahren mit einem vor der luftdichten Einführung des Ohransatzes
in den Gehörgang mit Gewichten belasteten Gummiballon, welchen man durch
OTITIS MEDIA SCLEROTICA. 435
allmähliche Eatfernung der Gewichte langsam aufgehen lässt. Recht gut
eignet sich auch der von IJelstanche construirte Rarefacteur, mit welchem
die Luft durch einen SiEGLE'schen Trichter mit Hilfe eines durch eine Hebel-
vorrichtung in Thätigkeit gesetzten spritzenartigen Saugapparates aus dem
Gehörgange ausgesogen wird. Bei dieser Behandlungsmethode muss man
indessen sehr vorsichtig zu Werke gehen, damit nicht Blutblasen entstehen
und auf das Trommelfell nicht ein zu starker Zug ausgeübt wird. Die Beein-
flussung der Hörfähigkeit ist bei der Luftverdünnung im Gehörgange mit-
unter weniger fühlbar als die günstige Wirkung auf die subjectiven Geräusche,
welche in manchen Fällen auf längere Zeit vermindert werden.
In neuerer Zeit hat Lucae versucht, durch eine direct auf den Hammer
wirkende Massage die Beweglichkeit der Gehörknöchelchen zu bessern. Er
benützt dazu eine nach dem Princip der Eisenbahnpuffer hergestellte „federnde
Drucksonde", einen durch eine Leitungsröhre gezogenen stählernen Stift,
welcher zur Aufnahme des Processus brevis einen kleinen oben eingedrückten
Knopf trägt und welcher auf einer im Handgriffe angebrachten, leicht nach-
gebenden Spiralfeder ruht. Das Instrument wird unter Leitung des Auges
parallel mit der hinteren-oberen Gehörgangswand gegen den kurzen Fortsatz
eingeführt und, nachdem der Knopf auf diesem gut fixirt ist, ein bis zwei
bis zehnmal hintereinander in stempelartige Bewegungen versetzt. Der Erfolg
dieser oft sehr empfindlichen Massage ist stets nur ein vorübergehender, d. h.
es tritt zuweilen eine Zeit lang eine gewisse Erleichterung ein; leider folgt
auf dieselbe recht oft eine ganz entschiedene Verschlechterung, so dass diese
Behandlung im allgemeinen nicht empfehlenswert erscheint; und ganz ent-
schieden ist die Anwendung der Drucksonde in älteren Fällen, in welchen
ein höherer Grad von Brüchigkeit der Paukenhöhlenauskleidung angenommen
werden muss, mit Rücksicht auf die Gefahr einer Verletzung zu vermeiden.
Weniger bedenklich ist eine andere Form der Massage, die Tragus-
presse, welche von Hommel herrührt. Das Verfahren besteht in rhyth-
misch aufeinander folgendem luftdichtem Einpressen und Freilassen des
Tragus, wodurch gleichmässig abwechselnde Luftverdichtungen und -Verdün-
nungen im Gehörgange entstehen. Die Presse soll bei täglich ein bis vier bis
sechsmaliger Anwendung ungefähr 120 bis löOmal in der Minute wiederholt
und jedesmal auf ein bis zwei Minuten Dauer ausgedehnt werden. Sie führt
bei nicht veralteter Sklerose, mitunter in Fällen, in welchen die Luftdouche
erfolglos blieb, eine merkbare subjective Erleichterung und eine messbare
Hörverbesserung herbei und wirkt niemals nachtheilig, w^eshalb sie, zumal bei
Patienten, bei welchen sich die Anwendung des Katheters aus irgend einem
Grunde verbietet, unbedenklich empfohlen werden kann. In den letzten Jah-
ren sind ferner noch verschiedene, zum Theil recht complicirte Apparate für
die regelmässig abwechselnde Verdichtung und Verdünnung der Luft im Ge-
hörgange angegeben worden. Sie alle bezwecken eine Vibrationsmassage
des Trommelfelles. Die Apparate von Wegener und Breitung sind, nament-
lich, wenn sie mit Elektromotor getrieben werden und dabei gleichmässige
und sehr schnelle Vibrationen ermöglichen, nach meinen Erfahrungen in nicht
zu veralteten Fällen von Sclerose und mit Vorsicht augewendet, nicht selten
auch da von Nutzen, wo der Katheterismus erfolglos oder contraindicirt ist.
Zuvor wird auch mit Hilfe der Vibrationsmassage die Hörfähigkeit fast nie-
mals gebessert, allein die subjectiven Geräusche und das so oft vorhandene
Druckgefühl werden sehr häufig — zuweilen auf längere Dauer — ganz er-
heblich gemildert. Diese Behandlungsweise kann daher als eine wesentliche
Bereicherung unserer therapeutischen Methoden bezeichnet w^erden.
Die Bestrebungen, die traurigen Folgen der Sklerose und namentlich
die Ankylose der Gelenke auf operativem Wege zu beseitigen, sind bis-
her nur wenig glücklich ausgefallen. In Fällen, in welchen nur das Hammer-
28*
436 OTITIS MEDIA SUPPURATIVA.
Ambossgelenk unbeweglich ist, kann die zuerst von Kessel empfohlene
Excision des Trommelfelles mit dem Hammer Abhilfe schaffen.
Die subjectiven Geräusche werden dadurch wohl selten verschlimmert, oft
vermindert, zuweilen dauernd beseitigt; das Gehör erfährt mitunter eine Besse-
rung. Doch scheitert der temporär nicht selten augenfällige Erfolg oft an
der grossen Kegenerationsfähigkeit des Trommelfelles. Bei bestehender Stapes-
synostose ist in neuerer Zeit, gleichfalls zuerst von Kessel, der Steigbügel
extrahirt worden, theils mit, theils, und zwar viel öfter, ohne Erfolg. Jeden-
falls haben diese Operationen, über welche an anderer Stelle nachzulesen ist,
nur dann einen Zweck, wenn die vorausgeschickte Paracentese Besserung
schafft und das Labyrinth nach den Ergebnissen der Hörprüfung als intact
angenommen werden darf; denn die Eingriffe sollen durch die Beseitigung
des untauglichen Leitungsapparates den Schallwellen einen directen Zugang
zum Labyrinthe schaffen. In solchen Fällen mag auch die jetzt in Frank-
reich vielfach geübte Mobilisirung des Steigbügels mit Hilfe einer
Sonde versucht werden; sie ist jedenfalls weniger schwierig und weniger ge-
fährlich als die Excision des Knöchelchens, welcher leicht eine eitrige Menin-
gitis folgen kann. Es ist mit Zuversicht zu hoffen, dass in der Zukunft
Operationsmethoden werden erfunden werden, welche die Krankheit wirksamer
bekämpfen als die bisher geübten.
Ist, wie aus dem Gesagten hervorgeht, die locale Therapie der Sklerose
meistens ohnmächtig und erscheint sie in vielen Fällen sogar schädlich, so
wird man umso eher versuchen müssen, durch eine vernünftige Allgemein-
behandlung günstig auf den Krankheitsprocess einzuwirken. Vor allem
ist dafür Sorge zu tragen, dass der schallempfindende Apparat, welcher so
häufig in Mitleidenschaft gezogen wird, möglichst geschont werde. Der Kranke
hat daher laute und anhaltende Geräusche, sowie fortgesetztes angestrengtes
Lauschen, welches eine Uebermüdung des Gehörnerven herbeiführen kann,
zu vermeiden, hat sich vor übermässigem Genuss von Tabak und Alkohol,
vor psychischen und nervösen Aufregungen, namentlich auch vor sexuellen
Excessen zu hüten. Besteht Anämie oder eine andere Constitutionsanomalie,
so muss zunächst gegen diese zu Felde gezogen werden, und hierdurch wird
man in der Regel den merkbarsten Nutzen stiften. Die Verdauung ist zu
regeln, für warme Füsse Sorge zu tragen, Beschäftigungen, welche anhalten-
des Bücken erfordern, müssen thunlichst beschränkt werden. Sehr zu warnen
ist vor kalten Douchen und Bädern, namentlich vor Seebädern; sie schaden
fast stets, und vielen Sklerotikern bekommt selbst der Aufenthalt an der See
schlecht. Patienten, welche häufig an Katarrhen erkranken, werden unter
Umständen, mit Rücksicht auf die dem Ohre daraus erwachsenden Gefahren,
für die rauhe Jahreszeit in südlichere Gegenden geschickt werden müssen.
Will man einen Cur ort empfehlen, so kommen Ems, Kissingen, Karlsbad und
die mittelhoch gelegenen Gebirgs-Sommerfrischen (im Harz Schierke, Braun-
lage, St. Andreasberg, in Thüringen Oberhof, Neuhaus am Rennweg u. a.,
in den süddeutschen Bergländern eine grosse Anzahl zu beliebiger Auswahl)
in Betracht. Man erreicht dadurch manchmal wenigstens einen Stillstand und
eine vorübergehende Besserung der Geräusche. büekner.
Otitis media suppurativa, Eitrige Mittelohrentzündung. (Synomjm;
Otitis media perforativa., Eitriger Mittelohr katarrh.)
Die Mittelohrentzündungen gehören zu den ernstesten Krankheiten des
Gehörorganes nicht allein ihrer Häufigkeit und ihrer intensiven, subjectiven
Beschwerden wegen, sondern auch infolge der nicht seltenen Ausdehnung
des Processes auf Nachbarorgane und ganz besonders in Anbetracht der Ge-
fahren, welche sie für Gesundheit und Leben des Betroffenen in sich bergen.
OTITIS MEDIA SUPPURATIVA. 437
Aetiologie. Die Otitis media suppurativa ist gekennzeichnet durch
Hyperämie und eitrige Exsudation in der Paukenhöhle mit Perforation des
Trommelfelles. Sie kann acut und chronisch verlaufen und entsteht am
häufigsten bei Constitutionsanomalien, wie Scrophulose, Pthachitis,
sowie bei chronischen und acuten Nasen- und P^achenaff ectionen, bei
Bronchitis und Pneumonie, bei acuten Inf ectionskrankheiten,
wie Scharlach, Masern, Diphtherie, Typhus, Influenza, Keuchhusten. PJine
grosse Zahl von Erkrankungen kommt ferner zustande unter der Ein-
wirkung von Kälte und Nässe, z. B. beim Eindringen von Wasser ins
Ohr beim Waschen und Baden; und besonders schwere Entzündungsformen
werden durch das Eintreiben von Flüssigkeit durch die Tuben bei fehler-
hafter Anwendung der Nasendouche hervorgerufen. Nach der Veranstal-
tung von Bähungen und der Auflegung von heissen Breiumschlägen
wird gleichfalls eine Otitis media suppurativa nicht selten beobachtet, und
zwar kann sie sich in solchen Fällen rasch aus einem einfachen Pauken-
höhlenkatarrh entwickeln, wie denn überhaupt diese leichtere Erkrankungs-
form unter ungünstigen Umständen sich oft in die eitrige verwandelt. Das
auffallend häufige Vorkommen der Otitis media bei Neugeborenen kommt
anscheinend durch Störungen bei der Rückbildung das von der Labyrinth-
wand ausgehenden Gallertgewebes (v. Teöltsch) zustande, welches die
Paukenhöhle des Fötus polsterartig ausfüllt. Aber hier wie bei den durch
Krankheiten und durch acute Veranlassungen hervorgerufenen Entzündungen
des Mittelohres dürfte die eigentliche Krankheitsursache zum mindesten sehr
häufig in einer Infection zu suchen sein. Wenigstens werden Mikroorga-
nismen im eitrigen Secrete der Paukenhöhle fast niemals vermisst, und
zwar kommen besonders häufig ausser den pyogenen Staphylococcen und Strepto-
coccen der FßiEDLÄNDER'sche Pneumoniebacillus und der Diplococcus pneu-
moniae (FeInkel-Weichselbaum) vor. Nicht selten finden sich mehrere dieser
Mikroorganismen neben einander, und Zaufal hat beobachtet, dass im Ver-
laufe einer Eiterung ein Mikroparasit durch einen anderen verdrängt wer-
den kann.
Das Eindringen dieser Infectionsträger kann sowohl auf dem Wege der
Blutbahn als auch durch die Tube, z. B. beim Schneuzen, bei der Luftdouche,
oder durch das perforirte Trommelfell vom Gehörgange aus, wie bei der
Paracentese, bei rohen Extractionsversuchen bei Fremdkörpern und ähnlichen
Verletzungen, erfolgen. Ueber die pathogene Bedeutung der verschiedenen
Mikroorganismen herrscht noch viel Unklarheit. Jedenfalls kann man als
sicher annehmen, dass ihre blosse Einwanderung in das Mittelohr zur Er-
zeugung der Otitis nicht genügt, wie schon aus der Thatsache hervorgeht,
dass diese Bacterien auch in dem Secret der gesunden Paukenhöhle gefunden
worden sind. Ob es gelingen wird, aus dem Vorhandensein eines bestimmten
Mikroorganismus auf eine bestimmte Form der Entzündung zu schliessen,
erscheint zunächst noch zweifelhaft; doch hat man Grund zu der Annahme,
dass einzelne Infectionsträger, wie namentlich die Streptococcen, besonders
heftige Otitisformen erzeugen können.
I. Otitis media suppurativa acuta.
Pathologische Anatomie. Die Schleimhaut der Paukenhöhle zeigt
Hyperämie und Schwellung durch seröse und zellige Infiltration
entweder an einzelnen Abschnitten oder in ihrer ganzen Ausdehnung. Die
Dickenzunahme der Mucosa kann so beträchtlich sein, dass der ganze Hohl-
raum durch eine lockere, succulente Masse ausgefüllt ist, in welche die Gehör-
knöchelchen vollständig eingehüllt sind. Hyperämie und Schwellung erstreckt
sich oft auch auf die angrenzenden Wände des Gehörganges, auf die Tube,
den Warzenfortsatz, das Labyrinth. Das Exsudat ist vorwiegend eiterig,
438 • OTITIS MEDIA SUPPURATIVA.
im Beginn auch oft hämorrhagisch; stets enthält es einzelne Blutkörperchen
und zahlreiche Epithelzellen in verschiedenen Degenerationsstadien. Einzelne
Stellen der Paukenhöhlenauskleidung werden nicht selten nekrotisch, in
welchem Falle der Process auch auf den Knochen übergehen kann.
"Während diese Erscheinungen mit Ausnahme der Nekrose in ähnlicher
Weise, wenn auch minder intensiv, beim acuten Mittelohrkatarrh vorkommen,
ist für die eitrige Entzündung ein charakteristisches Zeichen die in der
Regel schon frühzBitig eintretende Perforation des Trommelfelles.
Der Gewebszerfall, welcher zu dieser Defectbildung führt, entsteht durch eine
Auflockerung und Ulceration der Weichtheile und durch den vom angesam-
melten Exsudate auf die Membran ausgeübten Druck.
Subjective Symptome. Die ersten Erscheinungen sind meist stür-
misch, wiewohl nicht immer direct vom Ohre ausgehend, sondern zuweilen
sehr unbestimmter Art, etwa wie in dem Prodromalstadium einer acuten In-
fectionskrankheit: Allgemeines Uebelbefinden, Kopfweh, Schwindel,
Erbrechen leitet die Otitis häufig ein, bevor ausgesprochene Symptome
am Ohre auftreten. Fieber fehlt fast niemals, und bei kleinen Kindern ist
es oft das einzige Symptom, dessen Deutung bei Unterlassung der Otoskopie
natürlich unmöglich ist. Entwickelt die Ohrentzündung sich im Verlaufe
einer acuten Infectionskrankheit, so zeigt sich ein durch die letztere entweder
verdecktes oder, wenn die durch sie bedingte Temperatursteigerung bereits
vermindert war, nicht erklärtes erneutes Ansteigen der Körperwärme. Schüttel-
fröste sind nicht selten, Temperaturen von 39 — 40° gewöhnlich, bis über
41* wiederholt beobachtet worden. Morgenremissionen und abendliche Ex-
acerbationen sind meist nachweisbar, ein steiler Abfall der Curve tritt erst
ein, wenn der Eiter den Ausweg aus dem Mittelohre gefunden hat; aber auch
nach dem Entstehen der Perforation fällt die Temperatur nicht immer sofort
auf die Norm, sondern es besteht unter unregelmässigen Schwankungen noch
Fieber fort, und eine Entfieberung in geradezu lytischer Form ist nicht so
selten.
Das Fieber ist fast stets begleitet von Sopor und Delirien; aber
auch andere, eigentliche cerebrale Erscheinungen, wie F'lockenlesen,
Pupillenstarre, Nackensteifigkeit, Convulsionen, kommen häufig
vor, was bei den anatomischen Verhältnissen nicht verwundern kann. Die
bei Kindern durch die fossa subarcuata und die fissura petroso-squamosa regel-
mässig eine Verbindung zwischen Dura und Paukenhöhlenschleimhaut her-
stellenden Bindegewebszüge müssen für das Auftreten der Hirnreizungs-
erscheinungen und für die nicht seltene Fortleitung des Entzündungsprocesses
in erster Linie verantwortlich gemacht werden. Auch Dehiscenzen im tegmen
tympani können dieselbe Eolle spielen. Da auch der Facialcanal oberhalb
des ovalen Fensters und an anderen Stellen seines Verlaufes um die Pauken-
höhle oft nur durch Bindegewebe geschlossen ist, so kommt durch Druck
der Schleimhaut oder des Exsudates auf den Nerven nicht selten eine
Facialislähmung zu Stande.
Unter den localen Symptomen tritt der Schmerz entschieden in den
Vordergrund. Er ist meist äusserst heftig, bohrend, stechend, reissend und
strahlt mehr oder weniger über die ganze Kopfseite, über Hals und Nacken
und gegen den Schlund aus. Auch der Processus mastoideus ist fast regel-
mässig mindestens druckempfindlich, oft spontan schmerzhaft. Bewegungen,
des Kopfes, Schlucken, Niesen, Husten, besonders Schneuzen steigern die
Schmerzen, welche ihren höchsten Grad in der Nacht zu erreichen pflegen.
Schwankungen in der Intensität der Schmerzempfindung sind häufig und fallen
oft mit den Remissionen und Exacerbationen der Temperatur zusammen, am
auffallendsten nach der Eröffnung der Paukenhöhle. Bei Kindern und hoch-
gradig fiebernden Kranken, welche über ihre Beschwerden nicht Aufschluss-
OTITIS MEDIA SUPPURATIVA. 439
ZU geben vermögen, äussert sich der Schmerz in einer besonderen Unruhe,
welche bei Säuglingen in der Form eines charakteristischen Hin- und Her-
scheuerns des Kopfes auf dem Kissen anzunehmen pflegt.
Druckgefühl im Ohre und Eingenommensein des Kopfes
fehlen fast nie, treten aber gegen die Schmerzen zurück. Subjective Ge-
räusche stellen sich meist schon im Beginn der Krankheit ein; sie sind
continuirlich und in der Regel von pulsirendem Charakter, wenigstens so
lange das Trommelfell noch nicht perforirt ist; später können sie diesen
Rhythmus verlieren. Das Sausen ist oft dasjenige Symptom, welches am
längsten fortbesteht.
Schwerhörigkeit ist stets nachweisbar, wenn der Kranke auch nicht
immer darüber klagt. In ihrer Intensität ist sie im wesentlichen vom
Schwellungsgrade und der Secretmenge in der Paukenhöhle abhängig und
daher mannigfachen Schwankungen unterworfen. Doch kann bekanntlich auch
das Fieber sehr erheblich auf die Hörfunction einwirken, und wenn eine
Allgemeinkrankheit besteht, welche innerlich behandelt wird, so muss man
an die Möglichkeit denken, dass das verordnete Heilmittel (Chinin, Salicyl-
säure, Antipyrin) das Gehör herabsetzen kann. Dauernde hochgradige Schwer-
hörigkeit muss den Verdacht auf eine Betheiligung des Labyrinths erwecken.
Objective Symptome. Ausser den erwähnten, zum Theil auch ob-
jectiv nachweisbaren Störungen des Allgemeinbefindens, welche für die Dia-
gnose mit zu verwerten sind, kommen sehr beträchtliche locale Verände-
rungen in Betracht, und die Feststellung der letzteren durch die Untersuchung
mit dem Ohrspiegel gibt regelmässig und, wenn wir von den Säuglingen ab-
sehen, ohne Schwierigkeiten die Erklärung für jene. Wenn jeder praktische
Arzt im Stande wäre und sich der Mühe unterziehen wollte, in jedem Falle
von fieberhafter Erkrankung das Gehörorgan in den Bereich der Untersuchung
zu ziehen, so würden in einer überraschend grossen Zahl von Fällen Ohr-
affectionen bemerkt und, was für die Prognose von grösster Bedeutung ist,
frühzeitig behandelt werden. Leider bleibt aber gerade die Otitis media
suppurativa acuta nur allzu oft unbemerkt und selbst ungeahnt, bis schliess-
lich der aus dem Ohre ausfliessende Eiter ihr Vorhandensein verkündet und
die Erklärung für die stürmischen Allgemeinerscheinungen liefert, vor welchen
der Arzt rathlos gestanden hat. Und wie viele Fälle von Mittelohrentzündung,
in welchen nicht einmal dem eitrigen Ausflusse Beachtung geschenkt wurde,
mögen als Erkrankungen an Typhus oder Meningitis angesehen werden! Die
erste Veränderung, welche am Trommelfelle, wenn man es ganz im Be-
ginn der Krankheit betrachtet, zum Vorschein kommt, ist Injection der
Gefässe, welche sich mitunter mit erstaunlicher Geschwindigkeit entwickelt,
indem zunächst nur die Hauptgefässstämme am Hammergriffe deutlich roth
erscheinen, nach wenigen Stunden aber von diesen aus in der oberen Hälfte
der Membran parallel zu einander und senkrecht zum Manubrium, in der
unteren Hälfte radiär zum Umbo verlaufend, eine ganze Anzahl von Aeder-
chen ein dichtes Netz auf dem blaugrau oder violett verfärbten Grunde
bilden. Der Hammergriff selbst verschwindet sehr bald unter dieser Hyper-
ämie, zu welcher sich rasch eine beträchtliche Schwellung gesellt, so dass
auch der bis dahin noch sichtbare kurze Fortsatz nicht mehr hervorragt. Noch
vor Ablauf der ersten 24 Stunden bildet das Trommelfell eine gleichmässig
blaurothe und glanzlose Membran, auf welcher sich ausser einigen dickeren
Gefässen nichts differenzirt, und welche auch ihre Trichterform eingebüsst hat.
Unter einer serösen Durchfeuchtung und einer theilweiseu Abhebung
des Epidermisüberzuges wölbt sich das Trommelfell allmählich nach aussen
und ist nun, meist schon am zweiten Tage, einem blaurothen Tumor mit
zahlreichen kleinen Lichtpunkten und landkartenähnlichen weissen Zeich-
nungen, den umgerollten Rändern der stehengebliebenen Epidermisinseln,
440 OTITIS MEDIA SUPPURATIVA.
ähnlich. Noch scheckiger wird das Bild, wenn durch die Entstehung von
Ecchymosen auch hellrothe Flecken auf der Membran gebildet werden, und
w^enn auf einer meist besonders stark vorspringenden, mehr gelbrothen Stelle
ein weissgelber, pustelartiger Fleck den bevorstehenden Durchbruch des Eiters
anzeigt.
In manchen Fällen erscheint das Trommelfell in diesem Stadium auf-
fallend klein, weil auch der tiefste Theil des Gehörganges an der Schwellung
und Röthung theilnimmt und dadurch die Grenzen zwischen der Membran
und ihrer Umrahmung verwischt werden. Zuweilen bewirkt auch das Ex-
sudat, nachdem es den oberen Rand der Membrana flaccida abgehoben hat und
zwischen Haut und Periost der oberen Wand eingedrungen ist, eine um-
schriebene stärkere Vorwölbung über dem Trommelfelle, welche das Bild
natürlich noch mehr einengen muss.
Der Durchbruch des Eiters erfolgt meist zwischen dem zweiten
und fünften Tage, im Durchschnitt am dritten, zuweilen aber schon am ersten,
selten erst nach dem fünften Tage. Ausser der fast stets bedeutenden Besse-
rung des Allgemeinbefindens zeigt sich nun auch das Trommelfellbild verändert.
Es tritt schnell eine erhebliche Abschwellung ein, wobei sich gleichzeitig
die Farbe in ein helles Rosa umwandelt und grössere Epidermisschollen ab-
gestossen werden. Die wichtigste Veränderung wird aber durch die Per-
foration selbst bedingt. Dieselbe ist in den ersten Tagen, so lange die
Schwellung und Auflockerung der Weichtheile noch kein eigentliches Klaffen
ihrer Ränder zulässt, sehr klein, oft kaum grösser als ein Nadelstich,
nimmt später aber in der Regel die Gestalt einer freien
Oeffnung an (Fig. 1). Der Lieblingssitz der Perforation ist
der vordere-untere Quadrant, demnächst der hintere-untere,
seltener der hintere-obere, am seltensten der vordere-obere
Quadrant und die SnEAPNELL'sche Membran. Ist der Defect,
was ziemlich häufig vorkommt, unsichtbar, so kann sein Vor-
handensein doch stets aus bestimmten Anzeichen erkannt
werden. In manchen Fällen wird man nämlich an einer
bestimmten kleinen Stelle zu Zeiten etwas Secret hervor-
geschwoiienes from- sickcm seheu, lu audcrcn erscheint die Gegend der Perfo-
melfel mit kleiner .. , , ., r i t i. i jr-iii-i
Perforation (Otitis ratiou bcsouders stark aufgelockert und anders gelarbt als ihre
""^'^'''acüta)"'^^*'''^ Umgebung. Augenfälliger aber ist die Erscheinung des pul-
sirenden Reflexes. Wenn nämlich eine auf der äusseren
Fläche des Trommelfelles liegende Flüssigkeitsschicht, gleichviel ob sie vom
Paukenhöhlensecret oder einer eingespritzten Lösung herrührt, durch ein
Löchelchen mit der die geschwollene Paukenschleimhaut bedeckenden Flüssig-
keit communicirt, so theilen sich die auf die letztere von den pulsireuden
Mittelohrgefässen übertragenen Bewegungen der ersteren so regelmässig mit,
dass man an ihren rhythmischen Verschiebungen ohne weiteres die Pulsfre-
quenz nachzählen kann. Da diese Pulsation einer im Gehörgange befindlichen
Flüssigkeit fast ausschliesslich bei einer bestehenden Trommelfellperforation
beobachtet wird, so kann sie als ein ziemlich untrügliches Zeichen betrachtet
werden, dass das Trommelfell defect ist. Unbedingt sichergestellt wird die
Diagnose durch das Auftreten des charakteristischen pfeifenden Perforations-
geräusches bei der Luftdouche, welches der Patient zuweilen schon selbst
beim Schneuzen bemerkt hat.
Andere Methoden sind für den Nachweis einer Perforation entbehrlich,
so z. B. das von Politzer empfohlene Ausfüllen des Gehörganges mit einer
Flüssigkeit und darauf folgende Luftdouche, wobei in der Flüssigkeit Luft-
blasen aufsteigen, die Einstäubung von Pulver ins Ohr, welches bei einer
Lufteinblasung herausgeschleudert wird (Pins), das luftdichte Einführen eines
Pfeifchens in den Gehörgang u. a. m.
OTITIS MEDIA SUPPURATIVA. 441
Für die Erkennung einer Perforation ist es stets von ganz besonderer
Wichtigkeit, dass das Trommelfell von den ihm anhaftenden Epidermis-
schollen und Secretschichten sorgfältig befreit werde. Dies geschieht am
besten durch Abtupfen mit Watte oder, wo dies nicht ausreicht, durch Aus-
spülungen mit einer sterilisirten Flüssigkeit. Auch was von letzterer zurück-
bleibt, muss stets mit Wattetampons entfernt werden.
Was das Secret anbelangt, so ist dasselbe schleimig- eitrig, von gelb-
licher Farbe, anfangs nicht selten blutig tingirt, ja vorwiegend serös-hämorrha-
gisch. Es bildet in dem aufgefangenen Spritzwasser eine wolkige Trübung
oder, wenn es reichlich mit Schleim vermischt ist, flockige Klumpen oder
langausgezogene Fäden. Zahlreiche Epidermisschuppen werden mit dem Ex-
sudate aus dem Ohre herausgespült.
Die Eiterung dauert im Mittel etwa drei Wochen, oft wesentlich weniger
lange; ist sie nach etwa fünf Wochen noch vorhanden, so kann es zweifelhaft
erscheinen, ob man es nicht mit einer chronischen Entzündung zu thun hat.
Andererseits muss man an die Möglichkeit einer Complication denken, wenn
schon die subjectiven Beschwerden nicht, wie es Regel ist, in den auf den
Eiterdurchbruch folgenden Tagen wesentlich zurückgehen, wenn insbesondere
die Schmerzen nur wenig vermindert fortbestehen und die Temperatur an-
dauernd hoch bleibt oder nach einem afebrilen Stadium von neuem steil
ansteigt.
Nachdem die allmählich spärlicher gewordene Eiterung vollständig auf-
gehört hat, schliesst sich die Perforation meist sehr rasch, oft binnen 24
Stunden, jedenfalls bei gesunden Individuen binnen wenigen Tagen. Bei sehr
kleinen Defecten kommt diese Heilung durch einfaches Aneinanderlegen der
Wundränder zustande, so dass nachher nichts mehr von der stattgehabten
Continuitätstrennung zu bemerken ist, bei grösseren Perforationen aber kommt
es zur Bildung einer Narbe. Dieselbe ist ebenso scharf begrenzt, wie es
vorher der Sub stanz verlust war, und ist als dünnere Stelle — es fehlt ihr
die membrana propria — genau zu erkennen. Fast regelmässig bleiben
ausserdem weissliche, fleckige oder diffuse Trübungen oder scharf umschrie-
bene, grell weisse Verkalkungen zurück.
Prognose. Falls eine geeignete Behandlung rechtzeitig eingeleitet
wird, der Kranke von gesunder Constitution ist und der Verlauf ein durch-
aus ungestörter blieb, so ist die Prognose der Otitis media suppurativa acuta
als günstig zu bezeichnen. Ungünstige Umstände sind Scrophulose und
Tuberkulose, Syphilis, schlechte Ernährungsverhältnisse. Mit grosser Vor-
sicht ist die Prognose auch zu stellen, wenn als Ursache der Ohrafi'ection
Scharlach, Diphtherie, Typhus und Influenza angesehen werden muss, da
diese Krankheiten oft zu schweren Complicationen und zu einem chronischen
Verlaufe führen. Ebenso ist das Auftreten von Strepto- und Pneumococcen
verdächtig. Jede erheblichere Abweichung vom typischen Krankheitsbilde,
insbesondere die längere Dauer des ersten, nicht perforativen Stadiums, die
Hartnäckigkeit der subjectiven Beschwerden, der Hirnerscheinungen, eine
anhaltende Schmerzhaftigkeit am Warzenfortsatze, plötzliches Aufhören der
vorher abundanten Eiterung mit folgender Temperatursteigerung, müssen als
suspect betrachtet werden, wenngleich auch in solchen Fällen meist noch
Heilung erfolgt. Exitus letalis durch Pyämie und Sinusthrombose, Menin-
gitis oder Hirnabscess kommen seltener vor, als bei der chronischen Form
der Entzündung. Wenngleich die Gefahr, dass eine dieser Folge-
krankheiten sich entwickeln kann, nicht so naheliegt, so ist
sie doch in keinem Falle, so lange Eiterung besteht, aus-
geschlossen.
442 OTITIS MEDIA SUPPURATIVA.
Die im Verlaufe der acuten Mittelohrentzündung zuweilen auftretende
Facialisparalyse heilt meist, zuweilen sogar ohne directe Behandlung, mit fort-
schreitender Besserung des Ohres.
Behandlung. Die erste Anforderung, welche in frischen Fällen an
die Therapie gestellt wird, bezieht sich in der Regel auf die Beseitigung der
Schmerzen. Zu diesem Zwecke empfehlen sich Blutegel (je 2 — 3 vor den
Tragus und auf den Processus mastoideus gesetzt), Eiswassercompressen,
Eisbeutel oder LEiTEß'sche Kühlröhren. Die letzteren werden von den
meisten Patienten allem Anderen vorgezogen. Einträufelungen von narko-
tischen Mitteln, wie Morphin, sind zu vermeiden, weil sie die Gehörgangs-
haut leicht reizen; man erreicht mit sterilisirtem, reichlich lauwarmem Wasser
und mit erwärmtem Thymolöl (0'5:25"0) oft eine vorübergehende Linderung,
bei sehr intensiven Schmerzen, welche am besten mit subcutanen Morphin-
Injectionen bekämpft werden, kann man Atropinlösungen (0-05'.25*0)
einträufeln, muss aber dafür sorgen, dass diese Flüssigkeit, wenn sie 5 — 10
Minuten im Ohre verweilt hat, wieder ausgetupft wird, weil sonst leicht
Furunkel entstehen. Carbolglycerin (Bendelack-Hewetson) zu 10— 207o
wirkt zuweilen stark irritirend, Cocain ganz unzuverlässig. Bähungen
und Breiumschläge aller Art werden von praktischen Aerzten leider
noch oft verordnet oder vom Kranken aus eigener Weisheit angewandt; sie
sind aber, obwohl sie subjectiv erleichternd wirken und den Eiterdurchbruch
befördern, unbedingt zu verwerfen, weil sie zu einer ausgedehnten Maceration
des Trommelfelles führen können. Hingegen sind PEiESSNiTz'sche Um-
schläge mit sterilisirten Flüssigkeiten oder essigsaurer Thonerde, welche
von manchen Patienten den kalten Umschlägen vorgezogen werden, nicht
schädlich. Schmerzen am Warzenfortsatze werden durch einen ausgiebigen
Jodanstrich zuweilen rasch beseitigt.
Zweckmässig ist es, gleich im Anfang eine kräftige Ableitung auf
den Darm (Calomel) herbeizuführen und bei heftigen Allgemeinerscheinungen
Bromkalium oder Chloralhydrat, bei hohem Fieber Äntifebrin (nicht
aber Chinin, Salicylsäure oder Antipyrin) zu verordnen. Bestehen schwere
Hirnsymptome, so bewähren sich die von Schw^artze empfohlenen Einreibungen
von Unguentum cinereum und subcutane Sublimatinj ectionen.
Der Kranke hat das Bett zu hüten und ist auf Fieberdiät zu setzen; das
kranke Ohr wird mit Wundwatte oder sterilisirter Gaze verstopft; regel-
mässige Temperaturmessungen müssen mindestens zweimal täglich vorgenom-
men werden, weil sie für den Verlauf maassgebend sind.
Sobald die Anwesenheit von Eiter in den Mittelohrräumen festgestellt
ist, darf mit der Paracentese nicht gezögert werden, welche hier gerade-
zu eine indicatio vitalis erfüllen kann. Der Einschnitt wird an der typischen
Stelle im hinteren-unteren Quadranten angelegt und muss ziemlich gross, min-
destens 3 mm lang sein, weil sonst leicht Verklebung mit Eiterretention ein-
tritt. Bei ungenügender Sicherheit dringt das Messer zuweilen nicht durch
alle Schichten des sehr stark geschwollenen Trommelfelles, so dass der Ein-
griff sofort wiederholt werden muss. Man sei daher nicht allzu ängstlich
und lasse es darauf ankommen, ob bei dem erforderlichen tiefen Eingehen
mit dem Instrumente die innere Paukenhöhlenwand etwa angeritzt wird; die
erhebliche Vorwölbung der Membran lässt es dazu nicht so leicht kommen.
Die bei der Operation eintretende Blutung ist selten nennenswert, wenn
schon zuweilen grösser als beim einfachen Katarrh. Die Schmerzen, welche
der Schnitt verursacht, sind mitunter äusserst heftig, weshalb bei den durch
das allgemeine Uebelbefinden schon geschwächten Patienten nicht selten ein
Ohnmachtsanfall folgt.
Die Luft dou che ist für die Herausbeförderung des Exsudates bei ge-
nügend lang angelegter Incision entbehrlich, kann aber bei vorübergehender
OTITIS MEDIA SUPPURATIVA. 443
Eiterstöckung durch Verklebung einer kleinen Perforation sehr entschieden
schmerzstillend wirken, und es lässt sich in derartigen Fällen mitunter durch
die Temperaturmessung feststellen, dass die Einblasung auch direct eine
Herabsetzung des Fiebers zur Folge haben kann. Im Allgemeinen ist es frei-
lich rathsam, die Luftdouche gänzlich zu unterlassen.
Wenn der Eiter dünnflüssig und spärlich ist, so ist es zweckmässig,
unmittelbar nach der Operation mit Hilfe einer Sonde oder Pincette einen
etwa 10 cm langen, 1cm breiten Streifen von sterilisirter Gaze bis an das
Trommelfell einzuführen und 12 — 24 Stunden liegen zu lassen, um ihn dann
zu erneuern — stets die schonendste und zweckmässigste Behandluiigsweise
— oder im weiteren Verlaufe die Reinigung auf nassem Wege eintreten zu
lassen. Ausspritzungen sind jedenfalls indicirt bei copiöser Eiterung
und bei allen Patienten, welche man nicht täglich mindestens einmal sehen
kann. Sie sind täglich ein- bis zweimal zu wiederholen und mit einer '""'U^lo
Kochsalzlösung oder S^igen Borsäurelösung unter schwachem Drucke
und nach genügender Erwärmung der Flüssigkeit (etwa 38" C) auszuführen.
Man versäume nicht, so oft man Ausspülungen einem Laien verordnet, dem-
selben genau zu zeigen, in welcher Weise die Spritze zu handhaben ist. Auf
jede Ausspritzung muss eine Austrocknung mit Watte folgen.
Wenn schon in den leichten Fällen die blosse Reinigung durch Drai-
nage mit Gaze oder durch Ausspülungen mit Borsäurelösung genügt, so kommt
man doch häufig in die Lage, auch gegen die Eiterbildung etwas zu ver-
ordnen. Bei der Auswahl eines Medicamentes hat man vor allem darauf zu
sehen, dass es nicht irritirend wirke; ob man ein Adstringens oder ein Anti-
septicum wählt, ist von untergeordneter Bedeutung.
Besonders gut eignet sich der von Schwartze empfohlene Liquor
plumbi subacetici, von welchem für den jedesmaligen Gebrauch 1 — 2
Tropfen mit 10 Tropfen destillirten Wassers gemischt und mit Hilfe eines
Tropfgläschens in den Gehörgang eingegossen werden, wo sie 5 — 10 Minuten
verweilen sollen. Diese schwache Bleiessiglösung wird fast ohne Ausnahme
gut vertragen und wirkt auf den Entzündungsprocess günstig ein; an dem
Auftreten eines weissen Bleiniederschlages am Trommelfelle erkennt man mit
ziemlicher Sicherheit das Aufhören der Eiterung. Auch Liquor Aluminii
acetici (1:10—5 Aqu. dest.) und 3"/oige Borsäurelösung eignen sich sehr
gut zu Einträufelungen; Salicylsäure- und Sublimatlösungen sind
mit Vorsicht anzuwenden.
Vielfach wird zur Bekämpfung der Eiterung von fein pulverisirter Bor-
säure Gebrauch gemacht, welche die Secretion in der That oft überraschend
schnell zum Verschwinden bringt, und bei vorsichtiger, vom Arzte selbst
unter täglicher Controle vorgenommener Einblasung kaum je Unheil stiften
dürfte. Obwohl die gegen die Borpulverbehandlung erhobenen Einwände
nach meiner Ueberzeugung übertrieben sind, erscheint es nach vereinzelten
üblen Erfahrungen, welche bei kritikloser Anwendung des Medicamentes
gemacht worden sind, doch rathsam, bei den in Fällen von acuter Mittel-
ohrentzündung in der Regel sehr kleinen Perforationen kein pulverförmiges,
sondern ein flüssiges Mittel, noch besser die höridoe Behandlung zu wählen.
Die Behandlung der acuten Otitis media suppurativa mit spontanem
Durchbruch des Eiters ist dieselbe wie nach einer Paracentese. Nur hat
man hier ganz besonders darauf zu achten, dass der Secretabfluss vollkommen
frei erfolgen kann, weil bei ungenügender Eiterentleerung der Verlauf ein
schleppender und durch Complicationen, namentlich von Seiten des Warzen-
fortsatzes, erschwert wird. Ein ungenügender Abfluss kann bedingt sein durch
zu geringe Grösse und zu hohe Lage der Perforation; beiden Uebelständen
ist leicht abzuhelfen, indem man im ersteren Falle den Defect mit dem
Trommelfellmesser verlängert, im letzteren Falle im hinteren-unteren Qua-
444 OTITIS MEDIA SUPPURATIVA.
dranten eine Gegenöft'nung anlegt. Bilden sich Granulationen, so werden
dieselben mit einer an eine Sonde angeschmolzene Lapisperle geätzt.
Von ganz besonderer Wichtigkeit ist es schliesslich, in jedem Falle
von Mittelohrentzündung etwa gleichzeitig vorhandenen Erkrankungen der
Nase und des Rachens eingehende Beachtung zu schenken.
II. Otitis media suppurativa chronica.
Pathologische Anatomie. Die chronische eitrige Mittelohrent-
zündung entwickelt sich meist aus einer acuten, kann indessen auch von
Anfang an einen chronischen Verlauf nehmen.
Charakteristische anatomische Befunde sind Hyperämie, Gefässneu-
bildung und rundzellige Infiltration der verdickten Schleimhaut in
der Paukenhöhle und ihren Nebenhöhlen, Zotten und Höcker oder Gra-
nulationen an einzelnen Stellen der Mucosa, Verhornung und fettige
Degeneration des Epithels, welches fleckenweise auch völlig fehlen
kann. Die Lymphgefässe sind erweitert zu cystenartigen Hohlräumen
und kolbigen Ausbuchtungen. In den meisten Fällen finden sich ferner ab-
norme Band Züge, in verschiedenen Richtungen zwischen den Gebilden der
Paukenhöhle ausgespannt, welche, wenn sie breit sind, ganze Theile des
Cavum tympani mehr oder weniger vollständig absperren können. Das
Trommelfell ist ausnahmslos perforirt, doch kann Grösse und Form
des Defectes sehr verschieden sein; von einem punktförmigen Löchelchen bis
zum totalen Verlust der Membran können alle denkbaren Ausdehnungen des
Substanzverlustes angetroffen werden. Der Rest des Trommelfelles ist
meist verdickt und verfärbt und enthält nicht selten fettig degenerirte
Zonen in Gestalt weisslicher Trübungen und kreideweisser Verkalkungen.
Je grösser die Perforation ist, umso stärker ist in der Regel der Hammer-
griff, dem die Stütze fehlt, medialwärts gezogen, und in dieser Stellung der
Retraction verwächst er nicht selten mit der inneren Paukenhöhlenwand.
Das Secret ist vorwiegend eitrig, von gelblicher oder graulicher
Farbe. Ist es spärlich und eingetrocknet, so erscheint es in Form von bräun-
lichen Krusten. Zahlreiche Mikroorganismen sind im Eiter der chro-
nischen Mittelohrentzündung nachgewiesen werden, am häufigsten Pneumo-
coccen, Staphylococcen und Streptococcen, selten der Bacillus pyocyaneus,
welcher die blaue Otorrhoe hervorruft.
Da die Nebenhöhlen fast regelmässig in Mitleidenschaft gezogen sind,
so finden sich in der Tuba und namentlich im Warzenfortsatz ähnliche
Schwellungszustände me im Cavum tympani selbst.
Nach Ablauf der Eiterung kann die Perforation, auch wenn sie sehr
gross ist, sich durch Bildung einer Narbe schliessen oder persistent
bleiben, in welchem Falle zuweilen die ganze Paukenhöhle an Stelle der
Schleimhaut mit Epidermis ausgekleidet ist.
Subjective Symptome sind in vielen Fällen kaum vorhanden. Oft
bemerkt der Kranke nichts als etwas eitrigen Ausfluss, welcher leider
vielfach noch als ganz harmlos gilt und weniger Beachtung findet als das
unschuldige Cerumen, auf das zuweilen förmlich Jagd gemacht wird. Ist
das Secret sehr gering, so trocknet der stagnirende Eiter am Trommelfelle
und in der Tiefe des Gehörganges so vollständig ein, dass der Kranke sein
Ohr für ganz heil hält; in anderen Fällen besteht so reichlicher Ausfluss,
dass wenigstens reinlichen Menschen Unbequemlichkeiten daraus erwachsen.
In der Regel entwickelt sich bei spärlicher Secretion ein intensiver Foetor,
der aber auch vorkommt, wenn eine reichliche Eiterung vernachlässigt wird.
Schmerzen fehlen meist oder treten nur zeitweilig auf, sowohl im Ohre
als in der entsprechenden Kopfhälfte. Stellen sie sich plötzlich und heftig
OTITIS MEDIA SUPPURATIVA. 445
ein, so sind sie in der Regel als ein Symptom eines acuten Nachschubes oder
einer beginnenden Complication aufzufassen, und die Veranlassung liegt dann
oft in einer Verlegung der Ausflussöftnung mit folgender Eiterretention. An-
haltende bohrende und reissende Schmerzen deuten auf einen cariösen
Process hin.
Nicht selten werden die Kranken von Schwindel befallen, am häufigsten
beim Ausspritzen mit zu kühlen Lösungen oder unter zu starkem Drucke;
doch stellen sich Anfälle von verschiedener Intensität auch spontan ein.
Schwerhörigkeit lässt sich durch die Hörprüfung fast regelmässig
nachweisen, auch wenn sie, wie es oft vorkommt, dem Patienten im Verkehre
nicht zum Bewusstsein kommt. Höhere Grade von Hörschwäche kommen bei
Verwachsungen und sehr erheblicher Schleimhaut-Hyperplasie, bei Granulationen
und Polypen, sowie bei gleichzeitig bestehenden Atfectionen des schallpercipi-
renden Apparates vor; die Perforation an sich bedingt keine erhebliche Herab-
setzung der Hörfunction. Sehr häufig werden Schwankungen in der Intensität der
Schwerhörigkeit beobachtet, welche vorzugsweise vom Schwellungsgrade der
Schleimhaut und der Menge des angesammelten Secretes abhängig sind.
Subjective Geräusche fehlen oft gänzlich und bilden selten einen
Gegenstand der Klage. Nur bei Synechiebildung und Labyrintherkrankung
erreichen sie einen hohen Grad.
Zu den Erscheinungen, welche zwar nicht selten vorkommen, aber dem
Kranken meist verborgen bleiben, gehören Anomalien der Geschmacks-
empfindung, welche sich, von einer Eeizung der Chorda tympani aus-
gehend, in einer Herabsetzung oder vollständigen Aufhebung des Geschmackes
an der dem erkrankten Ohre entsprechenden Hälfte der Zunge, zuweilen auch
am Gaumen und der hinteren Rachenwand äussern. Facialislähmung
kommt bei einfacher Schleimhauteiterung vor, wenn die infiltrirte Mucosa
oder Secretmassen und Desquamationsproducte auf den Nervenstamm drücken,
ist aber viel häufiger bei cariösen Processen. Andere nervöse Ercheinungen,
welche zuweilen beobachtet werden, sind von der Paukenhöhlenauskleidung
ausgehende reflectorische Einflüsse („sympathische Synergien") auf die
Sinnesnerven, z. B. das durch Vermittlung des Trigeminus zu erklärende, von
ÜRBANTSCHiTSCH constatirte Sinken der Sehkraft und der Nystagmus,
welcher sich entweder spontan oder bei einem auf die Paukenhöhlen- oder
Gehörgangswände mit einer Sonde ausgeübten Druck einstellt. Auch psychische
Alterationen und epileptif orme Anfälle sind mehrfach beobachtet
worden.
Objective Symptome. Bei der Untersuchung zeigt sich als erstes
Symptom in der Regel das Secret; ist es in grosser Menge vorhanden, so
erblickt man es zuweilen schon vor der Beleuchtung mit dem Ohrspiegel in
der Concha, während es sonst meist auf die tieferen Theile des Gehörganges
beschränkt ist. Eine ganz geringfügige Secretion kann auf den ersten Blick
übersehen werden, da entweder zur Zeit der Untersuchung überhaupt kein
Eiter vorhanden ist, oder derselbe hinter den bereits erwähnten, fest an den
Gehörgangswänden und am Trommelfelle haftenden Krusten versteckt ist.
Für die deutliche Erkennung der Perforation ist, wie bei der acuten Ent-
zündungsform, so auch hier die gründliche Beseitigung aller Secretmassen
und der durch Maceration der Gehörgangswände oft zustande kommenden
Desquamationsproducte sehr nothwendig; im übrigen macht ihre Diagnose
in gewöhnlichen Fällen keine Schwierigkeiten. Die Befunde sind höchst mannig-
faltig, so dass nur die besonders typischen Bilder erwähnt werden können.
Was zunächst den Trommelfellrest betrifft, so kann derselbe sich
normal verhalten oder verändert sein: grauweiss oder grauroth, aufgequollen,
theilweise verkalkt. Der Hammergriff steht, wie oben erwähnt, bei grösseren
446
OTITIS MEDIA SUPPURATIVA,
Defecten stark nach innen und erscheint daher bei der Besichtigung von
aussen verkürzt; oft sieht man nur den processus brevis. In anderen Fällen
ragt das Manubrium in seiner normalen Stellung frei in die Perforation hin-
ein. Der Rand der Perforation ist entweder glatt oder wulstig, oft callös
verdickt, mit Granulationen bedeckt, nach innen abgeschrägt. Nicht selten
wird er in einer gewissen Ausdehnung mit der gegenüberliegenden Pauken-
höhlenwand verwachsen gefunden.
Der Sitz der Perforation ist auch bei der chronischen Mittelohreiterung
in der Mehrzahl der Fälle der vordere-untere Quadrant; doch dehnt sich der
Defect sehr oft auf die benachbarten Quadranten aus. Am seltensten wird
der vordere-obere Quadrant, etwas häutiger, indessen vorwiegend bei cariösen
Processen, die membrana flaccida befallen. Da der annulus tendineus wider-
standsfähiger ist als das übrige Trommelfell, so bleibt er selbst bei vollstän-
digem Verlust der Membran in der Regel erhalten.
Dass die Grösse der Perforation innerhalb der weitesten Grenzen
schwankt, ist bereits erwähnt worden. Am kleinsten sind meist die Defecte
in der Shrapnell' sehen Membran, welche die Form einer ganz feinen fistel-
artigen Oeffnung annehmen können und dem Auge, zumal wenn wenig Eiter
vorhanden ist, leicht verborgen bleiben. Im Verlaufe der Eiterung hat man
oft Gelegenheit, das allmähliche Grösserwerden einer anfangs kleinen Per-
foration zu verfolgen und zu beobachten, wie bei fortschreitendem Schwund des
Trommelfelles der Hammer nach und nach immer weiter blossgelegt wird.
Die Gestalt der Perforation ist rund, oval, elliptisch oder eckig.
Geht die Umbogegend verloren, dann entsteht bei freiem Hineinragen des
Hammergriffendes in den oberen Rand desDefectes eine nierenförmige oder
herzförmige Perforation; ist der Substanzverlust noch grösser, so dass
Fig. 2.
Eunde Perforation.
Pig. 3.
Ovale Perforation.
Fig. 6.
Doppelperforation.
Fig. 4
Nierenförmige
Perforation.
Fig. 7.
Perforation mit
granulirter Schleim-
haut.
nur ein schmaler dreieckiger Zwickel zu beiden Seiten des Manubrium stehen
geblieben ist, so wird die Perforation nach dem übrig gebliebenen Trommel-
fellstücke als V-förmig bezeichnet. Mehrere Defecte an einem Trommel-
felle sind nicht eben selten, namentlich in der unteren Hälfte der Membran.
Zu Verwechslungen mit einer Doppelperforation gibt mitunter eine vom
Hammergriffende zum unteren Rande herabhängende Hautlamelle Veranlassung,
welche den vorhandenen grossen Defect überbrückt. (Fig. 2 — 6.)
OTITIS MEDIA SUPPURATIVA. 447
Sehr verschieden kann auch der Zustand der Paukenhöhlen seh leim-
haut sein. Man kann denselben natürlich um so deutlicher erkennen, je
grösser der Substanzverlust im Trommelfelle ist. Kleine Perforationen er-
scheinen nur als dunkle Löcher, weil das wenige hindurchfallende Licht in
der Tiefe absorbirt wird; grosse Defecte zeigen einen blass- oder dunkelrothen,
normal dicken, verdünnten oder hyperplastischen, glatten oder wulstigen
Hintergrund, je nach der Beschaffenheit der Mucosa. Häufig sind Granula-
tionen, welche entweder jenseits des Perforationsrandes in der Paukonhölile
liegen oder bis über die Fläche des Trommelfelles hervorspriessen. (Fig. 9.)
Nach Ablauf der Eiterung nimmt die Auskleidung der Paukenhöhle einen
gelblichen Schimmer an und erscheint dünn, mitunter wohl auch etwas ver-
dickt und sehnig getrübt.
Die Gebilde der Paukenhöhle kommen bei günstiger Lage des
Defectes mehr oder weniger deutlich und ausgedehnt zum Vorschein. So
sieht man beim Fehlen des hinteren-oberen Quadranten den absteigenden
Ambossschenkel zuweilen auch den Steigbügelkopf und den äusseren Schenkel
dieses Knöchelchens, die Chorda tympani, die TRöLTScn'sche Tasche; bei
Defecten im hinteren-unteren Quadranten erscheint das Promontorium mit
seinen Gefässen und seiner schroffen Kante, welche die gleichfalls sichtbare
Nische des runden Fensters begrenzt. Reicht der Substanzverlust bis zum
unteren Rande, so erblickt man einen Theil des Bodens der Paukenhöhle mit
netzförmig verlaufenden Trabekeln und den zwischen ihnen liegenden Cellulae
tympanicae.
Die Luftdouche und die Hörprüfung ergeben für die Diagnose im
allgemeinen keine wichtigen Anhaltspunkte. Das bei der Auscultation wahr-
nehmbare Perforationsgeräusch ist bei sehr grossen Trommelfelldefecten
nicht immer so typisch wie bei kleinen, doch fühlt man zuweilen den Luft-
strom am eigenen Ohre umso deutlicher.
Prognose. Die Prognose der Otitis media suppurativa chronica ist
sehr wesentlich abhängig von der Constitution des Patienten. Liegt Anämie,
Rhachitis, Scrophulose zu Grunde, so ist wenig Neigung zur Heilung vor-
handen, und jedenfalls bleibt nach Ablauf der Eiterung die Perforation in
den meisten Fällen persistent. Noch ungünstiger ist der Verlauf der Otitis
nach Scharlach, Diphtherie und Tuberkulose, nicht selten auch nach Masern
und Typhus, indem es dann häufig zu Complicationen von Seiten des
Labyrinthes und zur Erkrankung des Knochens kommt. Der günstigste Aus-
gang in vollständige Heilung, d. h. Aufhören der Eiterung, Verschluss des
Trommelfelles und Wiederherstellung der Function, ist bei gesunden Indivi-
duen bei geeigneter Behandlung nicht selten. In anderen Fällen schwindet
die Eiterung auch bei kräftiger Körperconstitution, ohne dass der Defect ver-
narbt, wobei dann Recidive der Eiterung gewöhnliche Erscheinungen
sind. Dieselben können noch nach Decennien eintreten, wenn irgend ein
übler Zufall eine Reizung der freiliegenden Paukenhöhlenschleimhaut verur-
sacht. Eine besonders lange Dauer hat die Eiterung, w^enn Granulationen und
Polypen bestehen und w^enn Caries eingetreten ist. Auch die Bildung von
Adhäsionen erschwert die Heilung erheblich und verhindert namentlich die
Vernarbung.
Im allgemeinen muss ganz entschieden betont werden,
dass jede Entzündung des Mittelohres, solange Eiterung be-
steht oder, weil das Trommelfell defect geblieben ist, jeder-
zeit wieder einsetzen kann, als eine ernste Krankheit ange-
sehen werden muss, welche eine indirecte Gefahr für Gesund-
heit und Leben in sich schliesst. Wenn auch unzählige mit Otorrhoe
behaftete Menschen, ohne je erheblichere Ohrbeschwerden gehabt zu haben, ein
hohes Alter erreichen und schliesslich an einer nicht mit der Ohraffection in
44:8 OTITIS MEDIA SUPPURATIVA.
Zusammenhang stehenden Krankheit zu Grunde gehen, so gehören doch
andererseits äusserst schwere, oft letale Folgekrankheiten nicht zu
den Seltenheiten. Jeder Umstand, welcher eine Eiterretention herbei-
führen kann, ist für die Prognose von Bedeutung, da er an Stelle der in-
directen Gefahr eine directe Gefahr setzt.
Auf eine Wiederherstellung der Function ist nur dann zu rechnen,
wenn die Schleimhaut sich vollständig zurückbildet. Ungünstig quoad func-
tionem ist jede Betheiligung des Labyrinthes, die Ausstossung von Gehör-
knöchelchen, welche auch ohne Caries vorkommen kann, die Entstehung von
Verwachsungen in der Paukenhöhle. Die Heilung der Eiterung und der Ver-
schluss der Perforation ist umso wahrscheinlicher, je kürzer die Dauer der
Krankheit ist, je rascher die Eiterbildung abnimmt, je schleimhaltiger das
Exsudat ist, je glatter und blasser die Schleimhaut und der Trommelfellrest
aussieht und je kleiner und tiefer gelegen der Defect ist. Am ungünstigsten
verhalten sich die Perforationen der membrana flaccida.
Behandlung. Die wichtigste Indication für die Therapie der chronischen
Mittelohreiterung ist die Reinigung des Ohres. Dieselbe wird vorbereitet
durch die Luft dou che, und zwar bei einseitigen Affectionen besser mit dem
Katheter, während bei bilateraler Erkrankung unter normalen Durchgängigkeits-
verhältnissen der Tuben ebensowohl das PoLiTZER'sche Verfahren angewendet
werden kann. In Fällen, in welchen Nasen- und Rachenaffectionen infectiöser
Natur bestehen, wird man freilich von der Luftdouche Abstand zu nehmen
haben. Durch die Lufteinblasungen wird das vorhandene Secret gelockert und
zum Theil schon aus der Perforation herausgeschleudert. Seine Entfer-
nung aus dem Ohre geschieht am sichersten mit Hilfe der Spritze. Bei der
Ausspritzung hat man vor allem für eine geeignete Temperatur der Flüssig-
keit (38** C) zu sorgen und sich vor zu starkem Drucke zu hüten. Liegt die
Perforation hoch, so genügt nicht immer die Ausspülung vom Gehörgange
her, es muss vielmehr auch von der Tuba her durch den Katheter oder
durch nur in die Paukenzelle eingeführtes Röhrchen direct eine grössere,
erwärmte Flüssigkeitsmenge in das Mittelohr injicirt werden. Hiezu eignet
sich am besten eine ^U^Io^gQ Kochsalzlösung oder eine 37oige Borsäurelösung.
Für die Ausspritzungen vom Gehörgange her sind unzählige Flüssigkeiten
empfohlen worden. Für viele, aber nur für uncomplicirte Fälle ist abgekoch-
tes Wasser mit etwas Salzzusatz ausreichend; Burckhardt-Merian
beobachtete besonders gute Erfolge bei Anwendung einer 5 böigen Glauber-
salzlösung, in welcher das Ei weiss des Eiters gelöst bleibt. Im allge-
meinen wird man mit Rücksicht auf die fast stets im Secrete vorhandenen
Mikroorganismen die Injection von anti septischen Mitteln vorzuziehen haben.
Unter ihnen eignet sich vermöge ihrer Unschädlichkeit in erster Linie
die von Bezold eingeführte Borsäure in S^/oiger Lösung; Carb Ölsäure,
welche höchstens 2%ig zur Anwendung kommen sollte, und Salicyl-
säure (nach Politzer ein Theil einer lO^oigen alkoholischen Lösung
auf ^/g Liter Wasser) haben sich weniger bewährt. Sublimat, welches in
Lösungen von 0*5 — 1:1000 am sichersten antibacteriell wirkt, ist wegen des
häufig vorkommenden Abflusses der eingespritzten Flüssigkeit in den Schlund
nicht für alle Fälle brauchbar. In der von Kretschmann abgegebenen Do-
sirung (O'lilOO'O Aqua. dest. und ro Acid. hydrochlor.) leistet es oft ausge-
zeichnete Dienste. Kalium hypermanganicum erschwert die Beobach-
tung durch die Erzeugung bräunlicher Niederschläge.
Zu den besten Mitteln gehört neben der Borsäure das gleichzeitig anti-
septisch und adstringirend wirkende Aluminium aceticum, besonders in
der BuROvs^'schen Lösung zu 27o- Will man abgestossene Epidermismassen
gründlich entfernen, so ist mit dem von Trautmann empfohlenen Jod tri Chlo-
rid in wässerigen Lösungen von Vs — VaVo mehr als mit anderen Mitteln
OTITIS MEDIA SUPPURATIVA. 449
ZU erreichen; da dieses Medicament das Metall angreift, muss hier eine Glas-
spritze, am besten die von Trautmann angegebene, aseptische verwendet werden.
Von den zahllosen neueren Antisepticis wird besonders Creolin (5 g
auf V2 Liter Aqua.) viel benutzt, obwohl es sich wegen der milchigen Trübung
seiner wässerigen Verdünnung nicht besonders eignet und öfters ein unan-
genehmes Brennen im Ohre erzeugt; besser bewährt sich das Kresolum
purum liquefactum Nördlinger, welches in V2%iger Lösung wasserhell
ist und nicht reizt. Lysol und Naphthol (Haug), Wasserstoffsuperoxyd
(Bettman, Rohrer), Aseptol (Franchi), Pyoktanin (Rohrer) besitzen
keine Vorzüge, zum Theil aber erhebliche Nachtheile. Gut desodorisirend
wirkt Aqua chlorata 1:2 Aqua (Jacobson).
Wesentlicher als die Auswahl des zum Ausspritzen zu benutzenden
Mittels ist die Gründlichkeit der Ausspritzung. Soll dabei der Kranke
selbst oder seine Angehörigen das Reinigen übernehmen, so muss der Arzt
diese Procedur nicht nur genau zeigen, sondern sich auch durch den Augen-
schein die Ueberzeugung verschaffen, dass seine Vorschriften richtig befolgt
werden.
Die Reinigung der Paukenhöhle auf trockenem Wege,
welche in der Erwägung, dass die Ausspülung irritirend wirkt und zur Ver-
schleppung von Entzündungserregern dienen kann, wiederholt empfohlen
worden ist, hat für den praktischen Arzt nur eine beschränkte Berechtigung,
weil diese Behandlungsmethode in der Regel nur vom Arzte selbst ausge-
führt werden kann, eine regelmässige tägliche Controlle und eine grössere
Uebung erfordert. Diese trockene Behandlung besteht in äussert gründlicher
Entfernung aller Secretmassen durch wiederholtes Abtupfen mit steriler Gaze
und in darauf folgender Einführung von 10 ctm. langen, 1 ctm. breiten Strei-
fen von steriler Gaze (Jodoform- oder Sublimatgaze). Manche auf diese Weise
behandelte Fälle heilen schneller als bei der Reinigung mit der Spritze,
welche im allgemeinen nur bei geringerer Uebung in der Behandlung des
Ohres den Vorzug verdient.
Eine zweite Indication der Therapie richtet sich gegen den Entzün-
dungsprocess selbst. Hier kommt vorwiegend die Behandlung mit Adstrin-
gentien, caustischen und antiseptischen Mitteln in Betracht, die beiden ersteren
wesentlich bei stärkerer Schwellung und Hyperämie der Paukenhöhlenschleim-
haut, die letzteren bei fötider und bei Cocceneiterung.
Alle Lösungen müssen in Mengen von etwa 10 Tropfen erwärmt und
sterilisirt eingeträufelt werden, und zwar unter Abziehung der Ohrmuschel
nach hinten und oben und bei nach der gesunden Seite geneigtem Kopfe.
Man lässt sie 3 bis 10 Minuten im Ohre verweilen und sorgt durch mehr-
maliges Drücken auf den Tragus dafür, dass sie wirklich in das Mittelohr
gelangen. Die Einwirkung der Medicamente kann verlängert werden durch
die Application mittelst Gelatinebougies nach Gruber, doch tritt nach
der Erweichung des Leimes eine unangenehme Verschmierung des Gehör-
ganges ein, weshalb diese Methode sich nicht eingebürgert hat.
Von Adstringentien ist durch v. Tröltsch und Schwartze na-
mentlich das essigsaure Blei (Liquor plumb. subacet. 1:20 mit allmählich
zunehmender Concentration) empfohlen worden, welches nach meinen Erfah-
rungen bei der chronischen Eiterung weniger günstig wirkt als bei der acuten,
V. Tröltsch verwendete auch mit Vorliebe Plumb um nitricum (l^'/o),
Lucae rühmt das Cuprum sulfuricum (0'12:30-0), Miot das Borax-
glycerin (1:30). Am wenigsten irritirend wirken Zincum sulfuricum
(0-5— P/o), Liquor Aluminii acetici (2%) und Acidum tannicum,
welche ich am häufigsten in Lösungen von 0'5:25-0 Glycerin verordne.
Unter den caustischen Mitteln ist das sicherste das Argentum
nitricum, welches bei kleineren Perforationen ohne Complication oft ganz
Ohren-, Nasen-, Eachen-, Kehlkopfkranklieiten. ^^
450 OTITIS MEDIA SUPPURATIVA.
auffallend rasch die Eiterung beseitigt. Nach der Anweisung von Schwaetze,
■welcher diese „caustische Methode" eingeführt hat, wird eine erwärmte,
wässerige Lösung von Argentum nitricum von 1:30 bis 1:10 in das vorher
sorgfältig gereinigte Ohr bei seitlicher Kopflagerung eingeträufelt; dieselbe
bleibt ^/a bis 1 Minute im Ohre und wird dann wieder entfernt durch mehr-
maliges Ausspritzen des Ohres mit Kochsalzlösung; um das Zurückbleiben
von Chlorsilberklumpen zu verhüten, wird noch einige Male mit sterilisirtem
Wasser nachgespritzt. Nach Abstossung des durch die Einwirkung des Lapis
entstandenen grauweissen Aetzschorfes, welche am 2. bis 5. Tage erfolgt,
wird dieses Verfahren so lange wiederholt, bis die Eiterung aufhört. Erheb-
liche Schmerzen entstehen dabei selten, doch ist es unbedingt nothwendig,
die Neutralisirung mit Chlornatrium jedesmal vorzunehmen. Besonders gute
Erfolge hat Schwaetze beobachtet, wenn er nach mehrmaliger Wiederhalung
der Lapiseinträufelung minimale Mengen von feinpulverisirtem Alaun in die
Paukenhöhle einstäubte. Es muss indessen betont werden, dass die Anwen-
dung des fast unlöslichen Alaunpulvers nur geübten Händen überlassen
werden darf.
Andere Aetzmittel, wie Zincum chloratum, Acid. aceticum, Li-
quor ferri sesquichlorati sind viel unzuverlässiger und schwerer ver-
träglich als das Argentum nitricum. Auch die von Lange empfohlene Milch-
säure in 15 bis 307oiger Lösung und die von Katz neuerdings wieder ange-
wandte Chrom säure (37o) muss der zu starken Reizung wegen nicht selten
ausgesetzt werden.
Die antiseptischen Mittel werden mit umso grösserer Vorliebe
angewendet, je mehr man geneigt ist, alle Entzündungsvorgänge auf eine
Infection zurückzuführen. Zwar wird sich Niemand verhehlen, dass eine
eigentliche, antiseptische Behandlung des Mittelohres aus anatomischen Gründen
überhaupt nicht möglich ist; allein die Versuche, welche mit den verschie-
denen, keimtödtenden Medicamenten angestellt worden sind, haben gleichwohl
zum Theil befriedigende Erfolge aufzuweisen. Die zuerst erprobte Carb Öl-
säure wird oft schlecht vertragen, mag man sie in wässeriger Lösung oder
in Glycerin (2 — 5%) einträufeln. Weniger reizt die Salicylsäure, welche
in 2—5^0 alkoholischer Lösung vielfach verordnet wird, und das Sublimat,
dessen wässerige und alkoholische Lösungen (0"05:50-0) mitunter gute
Dienste leisten. Doch kommen namentlich bei den letzteren, sowie bei der
von Menieee empfohlenen Anwendungsweise mit Glycerin (0 05 — 0*3: 10*0)
beträchtliche Hyperämien vor. Ziemlich gut bewährt sich, namentlich in Fällen
von Hyperplasie der Schleimhaut, Resorcin in 4Voiger Lösung, während der
für die gleichen Zwecke empfohlene Alkohol (Politzee) zuweilen lebhafte
Schmerzen erzeugt und nur sehr langsam wirkt. Handelt es sich nicht gerade
um eine fötide Eiterung, bei welcher Sublimat in erster Linie angezeigt wäre,
so verdient die 37oige Borsäurelösung den Vorzug vor den meisten anderen
Mitteln, obwohl diese zum Theil kräftigere, antizymotische Eigenschaften be-
sitzen. Auch das Boroglycerid (Beandeis) in 10 — 50^/oiger Lösung, das
neutrale und alkalische bor saure Natrium (Jaenicke, Kafemann)
sind vielfach mit Erfolg angewendet worden. In neuerer Zeit hat man auch
mit schwachen Formollösungen ganz gute Erfahrungen gemacht.
In geeigneten Fällen wirkt in der Regel kein Medicament so ausge-
zeichnet wie die fein pulverisirte Borsäure, welche, in kleinen Quan-
titäten in die Paukenhöhle eingeblasen, langdauernde Eiterungen oft in
wenigen Tagen beseitigt. Eiterretentionen und Entzündungen am Warzen-
fortsatze, wie sie bei kritikloser und fehlerhafter Anwendung des Pulvers
beobachtet worden sind, hat man nicht zu befürchten, so lange man sich an
die Regel hält, dass das Borpulver nur bei grossen und tiefliegenden Perfo-
rationen, in kleinen Mengen und bei regelmässiger Controle angewendet werden
OTITIS MEDIA SUPPURATIVA. 451
soll. Für die Selbstbehandlung eignet sich das Mittel wenig. Die Angriffe,
welche namentlich von Schwartze und seinem Schüler Stacke gegen die
Borsäurebehandlung gerichtet worden sind, müssen als übertrieben bezeichnet
werden, zumal Eiterretentionen auch ohne die Anwendung von pulverförmigen
Medicamenten keine Seltenheit sind. Die p]inblasungen von Borsäure müssen,
so oft die Eiterung wieder zum Vorschein kommt, wiederholt werden, sollen
aber unterbleiben, sobald das zuletzt insuffiirte Pulver trocken geblieben ist.
Fälle, in welchen das Medicament nach einigen Wochen nicht zur Sistirung
der Otorrhoe geführt hat, eignen sich nicht für diese Therapie.
Die anderen in grosser Zahl für die Pulverbehandlung empfohlenen
Mittel stehen der Borsäure weit nach und sind auch ihrer schweren Löslich-
keit halber unzweckmässig. Dahin gehören das Jodoform (Rankin, Spencer)
das Jodol (Stetter), das Aristol (Rohrer), das ß-Naphthol (Haug)
u. a. m.
Mit Recht hat Politzer betont, dass man bei längerer Dauer der
Eiterung nicht unterlassen solle, mit den Medicamenten, deren es ja genug
zur Auswahl gibt, öfters abzuwechseln. Man findet dann doch meistens
schliesslich eines, das anschlägt, nachdem ihm vielleicht der Boden durch die
vorhergegangene Therapie bereitet worden ist.
Was die Behandlung von Granulationen betrifft, so wird man mit
den meisten der oben angeführten Medicamente nicht viel erreichen, obwohl
Borsäurepulver und Aristol, sowie Resorcinlösungen und Alkohol mitunter
kleinere Wucherungen zum Schrumpfen bringen. Hier empfiehlt sich in erster
Linie die Anwendung des Galvanokauters oder, wo ein solcher fehlt, die
an eine Sonde angeschmolzene Lapisperle, mit welcher man ganz genau
umschriebene Aetzungen vornehmen kann. In hartnäckigen Fällen bewährt
sich auch die Tri chlore ssigsäure und die Chromsäure, welche in
Krystallform mit Watte auf die Granulationen aufgetragen werden. Am
schnellsten lassen sich Granulationen mit einem scharfen Löffel beseitigen,
und da es bei zu befürchtender oder bereits eingetretener Eiterretention von
der grössten Bedeutung sein muss, solche Hindernisse sofort und radical zu
beseitigen, so sollte man beim Eintritt verdächtiger Erscheinungen (Ausbleiben
des Eiters, Schmerzen, Schwellung des Gehörganges und Warzenfortsatzes,
Fieber) etc. mit dem Auskratzen nicht zögern. Ueberhaupt ist es eine
besonders wichtige Aufgabe der Therapie, für einen regel-
mässigen und glatten Eiterabfluss Sorge zu tragen, damit der
Eintritt von Complicationen verhütet werde. Dahin gehört auch die
schon bei der acuten Eiterung erwähnte Erweiterung zu kleiner Per-
forationen und die Anlegung von Gegenöffnungen, wenn der vor-
handene Defect sehr hoch liegt; ferner dieAetzung sehr verdickter
Perforationsränder mit Lapis, die Trennung von Synechien, die
ihrer Lage nach zu Eiterabsackungen führen können, die Beseitigung von
Desquamationsproducten und Krusten und das schleunige Ein-
greifen gegen alle diffusen und circumscripten Schwellungs-
processe im Gehörg'ange. In manchen Fällen wird der stockende Eiter-
abfluss befördert, wenn man hydropathische Umschläge mit sterilisirtem Wasser
oder essigsaurer Thonerde auf das Ohr und seine Umgebung auflegen lässt.
Abgesehen von dieser localen Therapie darf zweierlei nicht unberück-
sichtigt bleiben: erstens die Beseitigung von pathologischen Zu-
ständen in der Nase und im Rachen (worüber das betreffende Capitel
nachzulesen ist) und zweitens die Allgemeinbehandlung.
Für die letztere ist es von ganz besonderer Wichtigkeit, dass die
hygienischen Verhältnisse, in welchen der Kranke lebt, möglichst
günstig gestaltet werden. Wo das nicht dauernd möglich ist, muss wenigstens
zeitweise durch Luft- und Badecu ren Ersatz geschaffen werden, und in
29*
452 OTITIS MEDIA SUPPURATIVA.
dieser Hinsicht kann die moderne Einrichtung der Feriencolonien nicht:
genug gewürdigt werden. Geschützte Gebirgsthäler und Hoch-
plateaus, Waldgegenden sind oft ebenso zweckdienlich wie ein Auf-
enthalt im Süden. Sehr günstig wirken oft, nicht nur bei Scrophulösen,
Soolbäder ein, besonders die Jod- und bromhaltigen, wie Kreuznach, Tölz. Bei
Anämie sind namentlich Stahlbäder angezeigt (Pyrmont, Elster, Franzens-
bad, Brückenau, Berka, Liebenstein und die arsenhaltigen Bäder Levico, Ron-
cegno).
Ebenso ist für die innere Medication reichlich Gelegenheit gegeben.
Leberthran, Eisen, Arsen, Jod sind von jeher mit Erfolg verordnet
worden. Hier gibt es keine specifische Indication, vielmehr ist die Therapie
ganz der Constitution des Kranken anzupassen.
Dass jeder an einer Mittelohreiterung Leidende Watte im Ohre zu
tragen hat, ist selbstverständlich; und diese Vorsichtsmaassregel ist nicht
allein im eigenen Interesse des Patienten, sondern auch mit Rücksicht auf
das Wohl seiner Mitmenschen geboten, denn es darf wohl als feststehend ange-
nommen werden, dass in dem zahlreiche Mikroorganismen enthaltenden Ohr-
secrete eine gewisse Ansteckungsgefahr für Andere liegt. Auch in allen Fällen,
in welche eine „trockene Perforation" besteht, d. h. in welchen die Eiterung
aufgehört, das Trommelfell sich aber nicht geschlossen hat, sollte das Ohr
stets mit Watte verstopft werden, damit nicht durch irgend eine Schädlichkeit,
z. B. durch Eindringen von Wasser, eine Becidiv der Eiterung hervorgerufen
werde.
Ueber Eiterungen im oberen Theile der Paukenhöhle mit Durchbruch
durch die membrane flaccida ist unter dem Kapitel Caries, über die Com-
plicationen der Mittelohreiterung in dem betreffenden Abschnitte nachzulesen.
Der vorstehende Artikel behandelt ausschliesslich die einfache Schleimhaut-
eiterung. BÜRKNER.
Folgezustände der Mittelolirentzündungen.
Bei der Betrachtung der mannigfaltigen Folgezustände der Mittelohrentzün-
dungen erscheint es zweckmässig, die verschiedenen Formen und Abstufungen der
Entzündung auseinander zu halten. Wenn wir die übliclie Eintheihmg der Mittel-
ohrentzündungen in sogenannte einfache und in eitrige Formen zu Grunde
legen, so lässt sich im allgemeinen vorausschicken, dass die eitrige Entzündung unter
Umständen theils zu ausgedehnteren Zerstörungen aller Gebilde des Mittelohres, theils
zu viel erheblicheren Verunstaltungen derselben führen kann, als die einfache Ent-
zündung.
Die schweren Formen eitriger Mittelohrentzündung, wie sie im Gefolge des
Scharlachfiebers, der Diphtherie, der Tuberkulose und anderer Infectionskrankheiten
zuweilen auftreten, charakterisiren sich nämlich durch nekrotisirende Vorgänge, welche
einen raschen Zerfall der Gewebe zur Folge haben. Dadurch entstehen mehr oder
weniger ausgedehnte Zerstörungen des Trommelfelles, sowie der Schleimhaut des
Mittelohres, welche letztere wiederum die Veranlassung zu cariösen Processen im
Felsenbeinknochen, zu Caries oder partieller Nekrose der Gehörknöchelchen, selbst
zu vollständiger Ablösung und Ausstossung derselben geben können.
Die Folgezustände der einfachen und auch der leichter verlaufenden, eitrige»
Mittelohrentzündungen sind weniger in die Augen fallend, wenngleich sie ebensowohl
zu erheblichen Functionsstörungeu des Hörorganes führen können wie die eben-
erwähnten Processe. Sie bestehen im wesentlichen in Verdickung oder Schrumpfung
der Mittelohrschleimhaut, je nach dem Zeitpunkte der anatomischen Untersuchung;
in bindegewebigen Verwachsungen der Knöchelchen und des Trommelfelles, in Nar-
benbildungen, Ablagerung von Kalksalzen, Ankylosirung der Gelenkverbindungen..
OTITIS MEDIA SUPPURATIVA. 453
Wir unterscheiden bei den einfachen Entzündungsformen wieder zweierlei Vorgänge,
nämlich einmal die grosse Reihe der auch als „katarrhalische Entzündungen'' be-
zeichneten Erkrankungen des Mittelohres, welche dasselbe vorüljergeliend in acuter
"Weise befallen und nach einigen Wochen mit vollständiger Heilung ablaufen können,
in einer grossen Zahl von Fällen aber sich schubweise, nach längcnjr oder kürzerer
Zeit wiederholen, wobei nach jeder Attaque eine grössere Abnahme der Beweglich-
keit des schallleitenden Apparates zurückbleibt. Letztere Fälle werden gewöhnlich
unter der nicht ganz zutreffenden Bezeichnung der „chronischen Mittelohrkatarrhe"
zusammengefasst.
Von diesen Fällen unterscheiden sich die sogenannten sklerosirenden Formen
.dadurch, dass sie unmerklich und schleichend die Gehörorgane besonders dazu dis-
ponirter, oft erblich belasteter Individuen befallen und schädigen, wobei der krank-
hafte Process vorwiegend in der Schleimhaut und wahrscheinlich auch im Knochen
der Labyrinthwand, namentlich in der Nische des ovalen Fensters, sowie in der Steig-
bügel-Yorhofsverbindung verläuft, während der das Trommelfell bekleidende Theil
der Schleimhaut meist frei bleibt, oder nur sehr geringe Entzündungsresiduen in
Form leichter Trübungen erkennen lässt.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen wenden wir uns zu der speciellen Be-
trachtung der Folgezustände der Mittelohrerkrankungen in Bezug auf
a) Das Trommelfell.
Zu den häufigsten Befunden gehören die bekannten Wölbungsanomalien des
Trommelfelles, welche infolge lange dauernder Tubenverengerung, entsprechend der
dabei stattfindenden Luftverdünnung innerhalb der Paukenhöhle und dem Ueberdruck
der äusseren Atmosphäre, zu Stande kommen. Durch die damit verbundene Eetraction
und Verkürzung der Sehne des Musculus tensor tympani wird die abnorme Stellung
des Hammers und Trommelfelles permanent. Das Trommelfell bleibt in übermässig
concaver Wölbung der Labyrinthwand genähert, der kurze Fortsatz des Hammers
und die hintere Trommelfellfalte treten scharf hervor. Bei längerer Dauer dieses
Zustandes, vielleicht auch infolge begleitender, entzündlicher Vorgänge kommt es in
manchen Fällen zu einem Schwunde der Faserschichte in der Membrana propria,
mithin zu einer Verdünnung des Trommelfelles.
Ueberaus häufig findet man als Zeichen stattgehabter, einfacher Trommelhöhlen-
entzündung Trübungen der Membran, welche sich zuweilen auf die Schleimhaut-
schichte beschränken, oft aber auch die Membrana propria und Cutifsschichte ein-
nehmen. Sie beruhen bald auf Zunahme des Bindegewebes, bald au Einlagerung
von Fettmoleculen oder Kalksalzen. Das Trommelfell verliert dadurch seinen nor-
malen Glanz, der dreieckige Lichtreflex wird verkümmert oder geht ganz verloren,
die Farbe der Membran, anfangs dunkler erscheinend, wird später milchglasartig,
oder man sieht grau-weisse Streifen in wechselnder Zahl auftreten, während die
Ablagerung von Kalksalzen in der Gestalt auffallend weisser, oft halbmond- oder
keulenförmiger Figuren in die Erscheinung tritt.
Zugleich mit der Trübung findet man öfters eine Verdickung der Membran,
welche durch Zunahme des Bindegewebes in der Cutis- und Schleimhautschichte be-
dingt ist. Je nachdem die Cutisschichte an der Verdickung betheiligt ist, wird der
Hammergriff mehr oder weniger unsichtbar.
Bei weitem auffallender sind die Veränderungen des Trommelfelles, welche
nach abgelaufenen eitrigen Mittelohrentzündungen zurückbleiben. Hier
handelt es sich bald um permanente Perforationen, welche in Form mannigfaltiger,
grösserer oder kleinerer Defecte des Trommelfelles restiren, bald um Narbenbildung,
durch welche eine, wenn auch nur unvollständige Heilung des Defectes erfolgte,
da in der bindegewebigen Narbensubstanz eine Neubildung von elastischen Trommel-
fellfasern nicht zu Stande kommt. Die Ränder der permanenten Perforationen findet
man nicht selten mit der Labyrinthwand verwachsen, häufiger gilt dies jedoch für
die neugebildeten Narben. In Betreff' der Verdickungen und Trübungen der Mem-
454 OTITIS MEDIA SUPPURATIVA.
bran, deren Vorkommen nach einfachen Mittelohrentzündungen oben geschildert
■wurde, gilt dasselbe auch für die Residuen eitriger Entzündung, doch sind die
Verdickungen meist noch hochgradiger, die Kalkablagerungen häufiger. In sehr
seltenen Fällen wurde auch Knochenneubildung im Trommelfelle nachgewiesen.
b) Die Gebilde des Mittelohres.
Die Schleimhaut des Mittelohres erleidet nach Ablauf von einfachen Ent-
zündungen, wenn keine vollkommene Heilung stattfand, eine Verdickung, welche in
früheren Stadien durch Einlagerung von Zellen, später durch Bindegewebs-Neubildung
bedingt ist. In früheren Stadien findet man ferner zuweilen noch Reste flüssigen
Exsudates, in Form zäher, schleimiger Masse. Die Farbe der Schleimhaut wird je
nach dem Füllungszustande der Gefässe grau, grau-roth oder livide-roth gefunden.
Häufiger werden kleine Knötchen, Zotten oder Kolben an der Schleimhautoberfläche
beobachtet.
In späteren Stadien finden gewöhnlich Schrumpfungsvorgänge in dem neu-
gebildeten Bindegewebe statt, es erfolgt eine Sklerosirung namentlich der tieferen
periostalen Schichten, nicht selten mit Ablagerung von Kalksalzen verbunden. In
veralteten Fällen, und namentlich bei den oben skizzirten Formen, welchen ins-
besondere die Bezeichnung der Sklerose zukommt, findet man demnach die Mucosa
eher geschrumpft, die knorpeligen Belege des ovalen Fensters, das Ringband der
Steigbügelplatte verkalkt oder verknöchert. In vielen Fällen betheiligen sich auch
die oberflächlichen Knochenschichten an dem chronisch entzündlichen Processe, so
dass der Knochen stellenweise, insbesondere in der Gegend der Fensternischen eine
Dickenzunahme erfährt. Diese Verdickung ist insofern von verhängnisvoller Bedeu-
tung, als jede Einengung der Fensternischen eine schon vorhandene Behinderung der
normalen Schallübertragung auf das Labyrinth im höchsten Grade steigert.
Die Folgezustände der eitrigen Mittelohrentzündung sind davon abhängig, ob
die Trommelfellperforation zur Heilung gelangte oder offen blieb. In ersterem Falle
findet man neben verdickter Schleimhaut oft Verwachsungen des Trommelfells mit
der Labyrinthwand, welche bereits oben erwähnt wurden, ferner Adhäsionen der
Membran des runden Fensters mit der Fensternischenschleimhaut, selbst Verschluss
des runden Fensters durch eine neugebildete Pseudomembran. Insbesondere aber
sind solche Verwachsungen des Trommelfells oder derartige Neubildungen von Binde-
gewebsplatten von Wichtigkeit, welche einen Abschluss des oberen Theiles der
Trommelhöhle, also der Gegend des Hammer-Ambossgelenkes bedingen. Nicht selten
besteht nämlich ein entzündlicher Process in diesem sogenannten Kuppelraume fort,
nachdem die primäre Trommelhöhlenentzündung abgelaufen ist. Da nun der Abfluss
des dabei entstehenden eitrigen Secretes nach abwärts durch die Verwachsungen behin-
dert bleibt, so resultiren daraus Fistelbildungen in der Membrana flaccida und weitere
verderbliche Folgen für den Kranken. Es kommt zu cariösen Processen im Kuppel-
raume, an den Gehörknöchelchen, nicht selten zum Uebergange der Entzündung auf
die Meningen, resp. auf das Gehirn.
In den Fällen, in welchen die Perforation des Trommelfelles nicht zur Heilung
kommt oder keinen Verschluss durch Narbenbildung erfährt, dauert die Eiterung
oftmals fort; die Paukenhöhlenschleimhaut bleibt aufgelockert, verdickt, roth gefärbt,
zeigt nicht selten eine granulirte Oberfläche und enthält zuweilen kleinere Cysten-
bildungen. Bei längerer Dauer der Eiterung entwickeln sich von der Schleimhaut
aus grössere Granulationen, aus welchen wiederum weichere oder härtere Polypen-
formen entstehen können.
In anderen Fällen sistirt die Eiterung trotz offener Perforation. Die Mittelohr-
schleimhaut blasst ab und nähert sich dem normalen Zustande. Da jedoch unter
diesen Verhältnissen leicht pathogene Keime vom äusseren Gehörgange aus durch die
offene Perforation in die Trommelhöhle eindringen können, kommt es sehr oft zu
Rückfällen der Entzündung und zu erneuter Eiterung.
OTITIS MEDIA SUPPURATIVA. 455
Bei läDgerer Dauer des Bestehens von Trommelfelldcfecten hat man nicht
selten eine epidermoidale Umwandlung der Mittelohrauskleidung heohachtet. Wie
diese Umwandlung zu Stande kommt, kann noch nicht mit Sicherheit entschieden
werden. "Wahrscheinlich wächst die Epidermis vom äusseren (jehörgangc durch den
Trommelfelldefect auf die Mittclohrausklcidung hinüber. Dieser Vorgang kann unter
günstigeu Verhältnissen zur Heilung der eiterigen Entzündung beitragen, er kann
jedoch ebensowohl verderbliche Folgen nach sich ziehen. Erlischt nämlich der ent-
zündliche Reiz in der Mittelohrauskleidung nicht vollständig, bleiben pathogene
Mikroorganismen in den Geweben zurück, so zeigt die epidermisirte Haut einen
chronisch- entzündlichen Zustand, in welchem es zu abnormer Bildung und stetiger
Ablösung der obersten Schichten des Bete Malpighii kommt. Es erfolgt die Bildung
der fälschlich sogenannten Cholesteatommassen, welche zum grössten Theile aus ange-
häuften Epidermislagen bestehen, und im übrigen Eiterzellen, Mikroorganismen und
fettige Producte, darunter auch Cholestearintafeln in wechselnder Menge enthalten.
Diese Massen können bei weiterem Wachsthum zu den ausgedehntesten Zerstörungen
des Felsenbeinknochens führen.
c) Gehörknöchelchen,
Die Folgezustände der Mittelohrerkrankungen in Bezug auf die Gehörknöchel-
chen erklären sich leicht, wenn man den Umstand in Betracht zieht, dass letztere
dieselbe periostal-mucöse Umhüllung tragen, welche auch die Wände der Trommel-
höhle überzieht. In frischen Fällen von einfacher Mittelohrentzündung findet mau
auch diesen Ueberzug der Knöchelchen serös infiltrirt und daher geschwellt; nach
Ablauf der Entzündung zeigen sich häufig bindegewebige Adhäsionen zwischen den
einzelnen Kuöchelchen oder zwischen diesen und dem Trommelfell, resp. den anderen
Paukeuhöhlenwändeu. Am häufigsten sind die Steigbügelschenkel mit der Xische
des ovalen Fensters verwachsen, oder es ist der Baum, welchen sie mit der Fuss-
platte einschliessen, durch eine bindegewebige Platte ausgefüllt. In anderen Fällen
findet man die fibröse Scheide des Musculus tensor tympani verdickt, ihre Anheftung
an den Hammerhals durch Bindegewebszunahme verbreitert, den langen Amboss-
schenkel mit dem Hammergriff bindegewebig verlöthet, das Hammer-Ambossgelenk
mit dem Paukenhöhlendach durch Pseudoligamente verwachsen.
Bei öfterer Wiederkehr einfacher Mittelohrentzündungen werden die Gelenk-
verbindungen der Gehörknöchelchen durch Schrumpfungsvorgänge, Yerlöthungen,
Ablagerungen von Kalksalzen mehr und mehr beeinträchtigt, so dass es schliesslich
zu Ankylosen der Gelenke kommen kann; auch scheint zuweilen eine Zunahme der
Knochensubstanz infolge chronisch-entzündlicher Zustände vorzukommen, so dass die
Knöchelchen im Dickendurchmesser vergrössert erscheinen.
Nach eitrigen Entzündungen kommen mannigfaltige Zerstörungen der Knöchel-
chen, Lockerung der Gelenkverbindungen, langdauernde Caries an denselben vor.
Am seltensten wird die Steigbügelplatte von Caries befallen.
d) Binnenmuskeln der Trommelhöhle.
Bei häufig wiederkehrender Tubenverengerung durch katarrhalische Anschwellung
der Schleimhaut derselben, sowie infolge von narbiger Eetraction der die Sehne des
Musculus tensor tympani überziehenden Bindegewebsscheide findet man Verkürzung
dieser Sehne.
In Fällen von Taubstummheit, sowie nach langjähriger Schwerhörigkeit ist
reichlicher Fettgehalt der Muskeln, Schwund der Fibrillen und Zunahme des Binde-
gewebes beschrieben worden.
Nach langjähriger, mit Caries des Felsenbeines complicirter Ohreiterung be-
obachtete man, dass die Querstreifimg der Muskelfibrillen grösstentheils verloren ge-
gangen war. Der Sarkolemmaschlauch enthielt eine bald feinkörnige, bald homogene
wachsartige Masse. STEnreKüGGE.
456
OTOMYCOSIS.
OtomyCOSiS. Unter diesem Namen verstehen wir die durch Ansiede-
lung und Entwicklung verschiedener Pilze in den Wandungen des äusseren
Gehörganges hervorgerufene Erkrankung, die auch mit „Otitis externa para-
sitaria" bezeichnet werden kann. Diese Krankheit entsteht entweder primär,
wenn die pflanzlichen Parasiten von der äusseren Luft direct ins Ohr gelangen,
oder secundär, wenn sie sich schon zuvor in einer anderen Stelle der Haut
eingenistet und festgewurzelt hatten. Sie manifestirt sich durch circumscripte,
disseminirte oder auch diÖuse, verschieden gefärbte, punkt- oder fleckenförmige
Auf- oder Einlagerungen der Epidermis der Gehörgangswände, resp. des
Trommelfelles, und durch die in ihrem Gefolge auftretenden subjectiven und
objectiven entzündlichen Erscheinungen. Solche im äusseren Ohre vor-
kommende Pilze sind die verschiedenen Aspergillusarten, von denen die
häufigsten Aspergillus niger flavescens, fumigatus und nidulens sind, zu denen
sich nach Lindt als fünfter Ohrpilz Eurotium malignum anreiht. Seltener sind
Verticillium Graphi, Otomyces Hageni, Acaphora elegans, Mucor corymbifer,
Eurotium repens, Mucor septatus und Penicillium minimum, ferner Micro-
sporon furfur u. a.
Die Diagnose wird durch die Constatirung der objectiven Verände-
rungen mit Hilfe der Ohrspiegeluntersuchung und in schwierigen Fällen mittelst
der mikroskopischen Untersuchung festgestellt.
Die Prognose ist durchgehends günstig.
Die Therapie besteht in der mechanischen Entfernung der fremden
Colonien, in der Anwendung antizymotischer Mittel und in der Beseitigung
der ursächlichen und disponirenden Momente und wird gewöhnlich von glück-
lichen Erfolgen gekrönt.
I. Otomycosis aspergillina. Die häufigsten pflanzlichen Parasiten im
äusseren Gehörgange gehören dem Schimmelpilze, der Gattung Aspergillus
an, von der verschiedene Arten vorgefunden wurden. Dieselben stellen makrosko-
pisch einen aus verfilzten feinen Fäden bestehenden Pilzrasen von verschie-
dener Farbe dar; Fruchtlager, Thallus (Th.). Unter dem Mikroskop findet
man einzelne einfache oder gegliederte Fäden, Mycelien, Hyphen, Frucht-
^^
Fig. 1. Aspergilluspilze.
Fig. 2. Fruchtlager von Aspergillus.
fäden (H.), die von dem Fruchtboden in senkrechtem oder spitzem Winkel
abgehen und mit einem knopfförmigen rundlichen Köpfchen Fruchtkopf
oder Sporangium, endigen. Letzteres besteht aus einer blasenförmigen
OTOMYCOSIS. 457
Anschwellung im Centrum, als unmittelbare Fortsetzung des Fruchtfadens,
Receptaculum (R.), welchem radiär gestellte, haarfeine, pinselförmige
Zellen, Sterigmen (St.), aufsitzen, die sich an ihrer Peripherie zu kleinen,
rundlichen Knöpfchen abschnüren, Pilzsporen oder Gonidien (G.j.
Diese Sporen sind von verschiedener Farbe, von der die Farbe der
ganzen Art abhängig ist. Sie können schwarzbraun, gelblich, grünlich oder grau-
schwarz sein, und darnach unterscheiden wir Aspergillus nigriscens, liavescens,
glaucus und fumigatus. Nur ausnahmsweise können sie auch blutrothe Farbe
haben. Diese Pilze können auch gezüchtet werden.
Aetiologie. Die Pilzsporen sind fast stets in der uns umgebenden
Luft unserer Wohnräume enthalten, finden jedoch im gesunden Gehörgange
keinen günstigen Bedingungen zu ihrer Niederlassung und Entwicklung.
Unter gewissen pathologischen Zuständen hingegen, besonders bei solchen,
welche mit einer Auflockerung der Epidermisschichte oder mit einer krank-
haften Beschaffenheit der Cutis im Gehörgange einhergehen, können die aus
der Luft hineingelangten Pilzsporen daselbst einen günstigen Boden zur
Keimung und raschen Vermehrung antreffen. Solche Zustände, welche einen
zur Einnistung der Parasiten gleichsam präparirten Boden bilden, sind Ekzeme
des äusseren Gehörganges und spärliche, seröse Otorrhoe. Sind die Pilze
einmal hier eingenistet, dann können sie umso leichter zur vollen Ent-
wicklung gelangen, als sie daselbst vor äusseren Schädlichkeiten so ziemlich
geschützt sind.
Begünstigt wird die Pilzwucherung durch Eingiessungen von öligen
und fettigen Substanzen, von Milch-, Kräuterabkochungen und anderen sich
leicht zersetzenden Stoffen, welche bei verschiedenen Erkrankungen des Ohres
zur Anwendung kommen, wie durch Einträufelungen von Zink-, Alaun-,
Glycerinlösungen etc., wie auch durch mechanische Insulte des äusseren
Gehörganges und durch alle jene Umstände, die wir als Ursache der Otitis
externa kennen gelernt haben. Ein weiteres, die Entstehung dieser Krankheit
begünstigendes Moment bildet der Aufenthalt in feuchten und schmutzigen
Localitäten. In vielen Fällen kann gar keine Ursache dieser Krankheit nach-
gewiesen werden. Cerumen und profuse eitrige Secretion scheinen für die
Pilzbildung sehr ungünstig zu sein.
Diese Krankheit ist dem äusseren Gehörgange eigenthümlich und
kommt an keiner anderen Stelle der Haut vor. Bei Kindern wurde sie noch
nicht beobachtet, bei alten Individuen selten, zumeist wurde sie im mittleren
Lebensalter, viel häufiger bei Männern als bei Frauen angetroffen.
Verlauf. Die Pilzwucherungen betreffen hauptsächlich den knöchernen
Abschnitt des äusseren Gehörganges und das Trommelfell (Myringomycosis
aspergülina). Doch können sie sich auch auf den ganzen Gehörgang erstrecken.
Sie finden sich nur selten auf der Epidermis, meist unter derselben auf der
Oberfläche des Bete Malpighi oder des Corium. Sie können längere Zeit be-
stehen, ohne welche krankhaften Erscheinungen hervorzurufen, besonders wenn
sie sich auf die Epidermis beschränken. Dringen sie jedoch in die Tiefe,
oder kommt eine andere Ursache, eine wenn auch nur geringe Aufschürfung
der Haut hinzu, so kann eine mehr oder weniger heftige Otitis externa die
Folge sein. Manchmal treten Schmerzhaftigkeit und seröser Ausfluss als
erste Kundgebungen einer durch diese Krankheit bedingten Dermatitis des
äusseren Gehörganges auf. Die Entzündungserscheinungen können in einigen
Tagen ablaufen, um nach verschieden langen Intervallen mit erneuerter Vehe-
menz zu recidiviren. Es ist aber auch eine vollständige spontane Aushei-
lung durch Erschöpfung der Pilzbildung möglich. In anderen Fällen ist der
Verlauf ein langwieriger, chronischer, mit verschiedenen Schwankungen der
Intensität und kann sich durch mehrere Wochen und länger hinziehen. Da-
bei können die Parasiten innerhalb des Trommelfellgewebes gelangen und
458 OTOMYCOSIS.
nach Zerstörung dieser Membran oder bei bereits bestehender Perforation in
die Paukenhöhle eindringen. In einem Falle von Haug waren die Schimmel-
pilze durch die Paukenhöhle bis in die Räume des Warzenfortsatzes vorge-
drungen. Nach spontaner oder durch Behandlung erfolgter Heilung sind
Recidiven sehr häufig.
Symptome, Subjective Beschwerden können bei dieser Krankheit
auch ganz fehlen. Am constantesten besteht jedoch Jucken, bisweilen auch
Brennen oder Stechen im Ohre, seltener sind Schmerzen, die mitunter ausser-
ordentlich heftig sein und gegen Kopf und Hals ausstrahlen können; findet
Verstopfung oder Verlegung des Gehörganges oder Druck auf das Trommel-
fell statt, dann sind auch Ohrensausen und Schwerhörigkeit vorhanden.
Objectiv findet man bei der Untersuchung schwärzliche, braune, weisse
oder gelbliche punktirte Flecke, Plaques oder Membranen von verschiedener
Ausdehnung in der inneren Partie des äusseren Gehörganges und auf dem
Trommelfelle, Die hervorstehenden feinen Pilzfäden verleihen denselben das
Aussehen einer mit verschiedenfarbigem Staube bestreuten, rasenförmigen,
sammtartigen Fläche. Gewöhnlich haften die Parasiten ihrer Unterlage so fest
an, dass sie anfänglich nur theilweise von derselben abgelöst werden können.
Manchmal gelingt es, grössere Fetzen durch Ausspritzen zu entfernen, an
welchen man schon mit freiem Auge, noch besser mit Hilfe einer Lupe die
verschieden gefärbten charakteristischen Pünktchen wahrnehmen kann. Oder
man bekommt einen blindsackförmigen Abguss des Gehörorganes in Form
eines aus Epidermis bestehenden Handschuhfingers, an dessen Innenseite die
braunen, gelblichen, dunkelgrünen oder schwarzen Pilzanhäufungen, Hyphen
und Sporangien deutlich hervortreten. Nach Entfernung der Pilzmasse zeigt
sich die darunter liegende Auskleidung des Gehörganges und des Trommel-
felles von Epidermis entblösst, geröthet und geschwellt. Dabei kann eine
spärliche, seröse oder serös eitrige Secretion bestehen oder auch nicht.
Schwindet nach der Ausspritzung die Hyperämie der ergriffenen Partie in
kurzer Zeit, dann ist vollständige Heilung zu erwarten, besteht aber die
Röthe fort, dann ist ein Recidiv vorauszusehen, das manchmal schon nach
24 Stunden unter Bildung frischer Pilzmembranen eintritt. Eine Weiterver-
breitung der Parasiten auf andere und entferntere Organe ist nicht zu
fürchten, ebensowenig ein Eindringen derselben in die Blutbahn.
Diagnose. Bei den zumeist charakteristischen, objectiven Erscheinungen
unterliegt die Diagnose einer Mycose des äusseren Gehörganges in der Regel
keinen Schwierigkeiten. Es können jedoch unter Umständen Verwechslungen
mit andersartigen Auflagerungen vorkommen, die ein den Pilzwucherungen
ähnliches Aussehen darbieten. So können Gemmen, Staub, Pflanzentheilchen,
Kohlenpartikelchen, Puder und andere ähnliche, staubförmige Fremdkörper
von verschiedener Farbe inselförmige, disseminirte, fleckige Belege an den
Gehörgangswandungen bilden und Schimmel- oder Sprosspilze vortäuschen.
Die begleitenden Erscheinungen einer Otitis externa tragen allerdings zur
Aufklärung des Sachverhaltes bei, da sonstige indifferente Fremdkörper nicht
in demselben Maasse geeignet sind, entzündliche Erscheinungen hervorzurufen.
Dennoch wird man bisweilen zur vollständigen Sicherstellung der Diagnose
der mikroskopischen Untersuchung nicht entrathen können. Dann entferne
man durch Ausspritzen oder mit dem Ohrlöffel einen Theil der so veränderten
Epidermis aus dem Gehörgange. Man bekommt dann weisse Hautfetzen mit
aufsitzenden gelblichen, schwarzen etc. Punkten. Zerzupft man nun ein
kleines Stückchen der aufgelagerten, abnorm gefärbten, prominirenden Flecken,
so kann man schon bei schwacher Vergrösserung ein aus feinen Fasern ver-
filztes Lager mit zahlreichen zerstreuten Sporen erkennen, von denen hie
und da die Fruchtträger mit den an ihren Enden mohnkopfförmigen Ver-
dickungen abgehen. Am deutlichsten treten diese morphologischen Differen-
OTOMYCOSIS. 459
cirungen an den dem Trommelfelle anliegenden Massen hervor, da daselbst
die meist entwickelten Formen der Parasiten sich finden, während diese weiter
nach aussen immer weniger entwickelt erscheinen. Mit Hilfe dieser Unter-
suchung wird es auch in schwierigen Fällen immer gelingen, diagnostische
Zweifel auszuschliessen.
Prognose. Wenn wir auch gesehen haben, dass in vernachlässigten
Fällen die Pilze sogar in die Paukenhöhle eindringen und daselbst eine Otitis
media heraufbeschwören können, so geschieht dies doch nur sehr selten, und
ist selbst in diesen Fällen, eine sachgemässe Behandlung vorausgesetzt, die
Prognose absolut günstig, da nicht blos die Krankheit selbst leicht zu heilen,
sondern mit ihrer Beseitigung auch etwaige Folgen leicht der Heilung zu-
geführt werden können. Doch sind Recidiven die Regel und manchmal so
hartnäckig, dass man gut thun wird, diesem Umstände in der Vorhersage
Rechnung zu tragen, besonders bei Fortdauer der erwähnten disponirenden
Verhältnisse.
Therapie. In prophylaktischer Beziehung ist die Vermeidung von fett-
und ölhaltigen Medicamenten für das Ohr und gründliche Desinfection der
bei der Behandlung von Ohrenkrankheiten zur Verwendung kommenden In-
strumente, Ohrenspritzen u. s. w. erforderlich. Die erste Aufgabe einer sach-
gemässen Behandlung der in Rede stehenden Krankheit ist die gründliche
Entfernung der anhaftenden Pilzmembranen. Dies gelingt manchmal mit der
Spritze allein nicht, und dann müssen sie von ihrer Basis zuvor gelockert
werden, was mit der Sonde zu geschehen hat. Wenn nun auch nach der
Entfernung der fremden Massen auf mechanischem W^ege in der Regel die
Schmerzen und die sonstigen entzündlichen Symptome schnell zurückgehen,
so ist mit dieser Manipulation allein doch noch nicht den Ansprüchen einer
rationellen Therapie Genüge geleistet. Denn einerseits können an dem Auge
schwer zugänglichen Stellen des Gehörganges kleinere parasitäre Ansiede-
lungen leicht übersehen und zurückgelassen werden, die sich dann später
wieder weiter ausbreiten können oder sie setzen ihrer vollständigen Aus-
räumung auf mechanischem Wege einen unüberwindlichen Widerstand ent-
gegen, andererseits lehrt die Erfahrung, dass nach scheinbar vollständiger
Elimination eine Rückbildung dieser Massen in sehr kurzer Zeit sehr häufig
erfolgt. Man wird daher zur sicheren und gründlichen Beseitigung der
Krankheit zu den bekannten antimycotischen, pilztödtenden Mitteln greifen
müssen. Als solche wirken am sichersten Einträufelungen von reinem Alko-
hol, 27oige Salicylalkohollösungen, ferner 0-27oige Sublimatlösungen, Steige
Carbolsäure-, S^oige Borsäurelösungen am besten in Alkohol. Sehr wirksam
erweisen sich auch Eingiessungen starker Lösungen von Kali hypermanganicum
und von 27oigen Lösungen von Cuprum sulfuricum u. a. Diese Flüssigkeiten
müssen nach mechanischer Entfernung der Pilzmembranen lauwarm 2 — 3 mal
täglich ins Ohr eingegossen werden. Damit soll man immer seltener, manch-
mal durch einige Wochen in Zwischenräumen von einigen Tagen so lange
fortsetzen, bis die Epidermisauskleidung des äusseren Gehörganges und des
Trommelfelles ihr normales Aussehen wiedererlangt hat.
Um Recidiven zu verhüten, darf man auf die disponirenden Momente
nicht vergessen, und soll man die Beseitigung antihygienischer Verhältnisse
und etwa vorhandener krankhafter Zustände, wie Ekzem des Ohres, chro-
nische Otorrhoe, anzustreben trachten. Zu demselben Zwecke empfiehlt es
sich, die erwähnten parasiticiden Mittel noch durch eine längere Zeit nach der
Heilung mit gewissen Unterbrechungen anzuwenden.
II. Eine andere seltenere Mycose des äusseren Gehörganges bildet die
Pityriasis versicolor (Kirchner). Dieselbe kommt im Ohre fast nie primär
vor. Am häufigsten ist sie gleichzeitig an der Brust und am Halse an-
zutreffen, wo sie die bekannten bräunlich-gelben Flecken mit kleienartigen
460 OTOSKOPIE.
Schüppchen bildet. Von hier wird die Krankheit durch Kratzen mit dem
Finger auf den Gehörgang übertragen. Hier tritt sie unter demselben Bilde
wie an der übrigen Körperoberfläche auf und ruft meist hartnäckiges Jucken
hervor, kann aber, wenngleich seltener, auch subjective Geräusche, Schwer-
hörigkeit, bedingt durch Ansammlung der abgestossenen Schuppen oder eine
Verdickung der Gehörgangswände, Wärmegefühl im Ohr, mitunter auch neu-
ralgische Gesichtsschmerzen veranlassen.
Diagnose. Diese Krankheit kann im Ohre um so leichter übersehen
und verkannt worden, als sie hier meist keine solchen in die Augen sprin-
genden Veränderungen veranlasst, wie die Aspergillusarten, und leichte Ab-
schuppungen oder Jucken auch bei normalem Gehörgange ziemlich häufig an-
getroffen werden. Auch hier wird die mikroskopische Untersuchung und der
Nachweis der für den specifischen Pilz, Mikrosporon furfur, charakteristischen
fadenförmigen Mycelien und Gonidienhaufen in den Epidermislamellen zur
sicheren Diagnose verhelfen.
Therapie. Diese Pilzkrankheit lässt sich gleichfalls durch Einpinse-
lungen der erkrankten Stellen mit parasiticiden Mitteln, am besten mit Ol.
cadin. und Spiritus vini aa. pp. aequales, 2—3 mal wöchentlich wiederholt, be-
kämpfen, womit auch die durch sie veranlassten Folgen, das lästige Jucken
verschwinden. Um Recidiven vorzubeugen, ist es rathsam, sich nicht damit
zu begnügen, die Ohrenkrankheit geheilt zu haben, sondern darnach zu
trachten, auch den primären Ausschlag an anderen Körperstellen wegzuschaffen.
IIL Von Ladreit de Laciianciere wurde auch eine seltene Mycose unter
dem Namen „Pityriasis alba" beschrieben, die im Alter von 40— 50 Jahren
in Combination mit Pityriasis capitis vorkommt. Nach Entfernung der
Schüppchen, welche mikroskopisch die charakteristischen Pilzsporen zeigen,
erscheint die Cutis des Gehörganges verdickt und geröthet. Die Mycose ist
nicht mit der Seborrhoe des Gehörganges zu verwechseln, bei welcher es eben-
falls zur Bildung eines mit fettigen Schüppchen durchsetzten, gelblichgrauen
Secretes ohne merkliche Veränderung der Cutis kommt. Die Therapie der
Pityriasis alba besteht in der Extraction der meist steifen Haare und in Be-
pinselungen der Gehörgangsauskleidung mit einer 0-57oigen Sublimatlösung
(Politzer).
IV. Der Vollständigkeit halber wollen wir noch eine Krankheit hier
erwähnen, deren mycotische Natur noch nicht allgemein anerkannt ist, näm-
lich die Psoriasis. Dieselbe bildet auch im äusseren Gehörgange die von
anderen Hautstellen her bekannten charakteristischen Plaques. Sie gewinnt
aber für den Gehörgang eine besondere Bedeutung dadurch, dass durch das
von ihr hier verursachte starke Jucken Anlass zu häufigem Kratzen mit Ohr-
löffeln, Fingernägeln u. s. w. gegeben wird, und die hier so zustande kom-
menden häufigen Insulte öfters acute und chronische Otitides externae nach
sich ziehen können. Die Krankheit hat ihren Sitz meistens im knorpeligen
Gehörgange, kann sich aber bis in den knöchernen Abschnitt ausbreiten.
Therapie. Auch diese Krankheit wird am besten mit Einpinselungen
von Ol. cadin. und Weingeist aa. pp. aequales 2 — 3 mal in der Woche aus-
geführt, behandelt, wodurch auch das Jucken beseitigt und das Kratzen ver-
hütet wird. SPiRA.
OtOSkopie. Zur Otoskopie ist ein Ohr Spiegel und ein Satz von
Ohrtrichtern (siehe „Instrumentarium des 0/ire««r2;^es'') erforderlich. Bevor
man das Trommelfell untersucht, soll man nicht versäumen, das äussere Ohr
und seine Umgebung einer genauen Betrachtung zu unterziehen und unter
Beleuchtung mit dem Spiegel, aber ohne Trichter, den knorpeligen Gehörgang
zu besichtigen. Es bleiben sonst leicht Schwellungszustände, Fisteln, Furunkel
und dergleichen unbemerkt.
OTOSKOPIE. 461
Als Lichtquelle für die Untersuchung des Tronimolfelles verwendet
man mit Vortheil diffuses Tageslicht, weil dasselbe am reinsten weiss
ist und die beleuchteten Gebilde daher in ihrer natürlichen Farbe, ohne
fremde Beimengung erscheinen lässt. Die hellsten weissen Strahlen liefern
die das Sonnenlicht retlectirenden Wolken oder auch von der Sonne beschie-
nene helle Mauern, welche dem Untersuchungszimmer gegenüber liegen; bei
blauem und gleichmässig grauem Himmel fehlt es dem Lichte gewöhnlich an
Intensität. Directes Sonnenlicht soll man nicht oder höchstens mit einem
Planspiegel reflectirt verwenden, weil es zu stark blendet und die Erkennung
feinster Nuancen unmöglich macht. Scheint die Sonne in das Zimmer, so
kann durch einen dichten weissen Vorhang gedämpftes Licht benutzt werden.
Ist man auf eine künstliche Lichtquelle angewiesen, wie es am
Abend, in grossen Städten häufig auch am Tage der Fall ist, so genügt für
die Untersuchung jede Lampe. Da aber das Petroleum-, Oel- oder Gaslicht
viele gelbe Strahlen enthält, so erscheinen die damit beleuchteten Gebilde
nicht in ihrer natürlichen Farbe, und man bekommt, wenn man mit Tages-
licht zu otoskopiren gewöhnt ist, leicht den Eindruck, als ob das Trommelfell
hyperämisch wäre. Man kann diesem Uebelstande bis zu einem gewissen
Grade durch einen blauen Cylinder abhelfen, wenn man Gas zur Verfügung
hat, aber wirksamer, indem man Auer'sches Glühlicht verwendet, das ohne
weiteres auf jeden Gasbeleuchtungskörper aufgesetzt werden kann und ein
relativ reines Licht liefert. Noch weissere Strahlen gibt die elektrische
Glühlampe, deren Benutzung in Städten, in welchen eine elektrische Central-
stelle vorhanden ist, schon vielfach Verwendung findet.
Zum Zwecke der Untersuchung setzt man den Kranken derartig gegen
ein Fenster (die Lichtquelle), dass das zu besichtigende Ohr vom Lichte ab-
gewendet ist. Der Kopf muss etwas seitlich und schräg gedreht werden, so
dass er die Lichtstrahlen nicht auffangen kann. Der Ohr Spiegel wird in
der Hand gehalten, welche dem zu untersuchenden Ohre entspricht, also bei
der Beleuchtung des rechten Ohres in der rechten Hand, die andere Hand
fasst zwischen den dritten und vierten Finger den oberen Theil der Ohr-
muschel, um durch sanften Zug nach hinten und oben den in der Ruhelage
gekrümmten Gehörgang gerade zu strecken; zwischen Daumen und Zeigefinger
den möglichst weiten Ohrtrichter, welcher unter leicht rotirenden Bewe-
gungen so tief, wie es ohne die geringste Gewalt möglich ist, in den Gehör-
gang eingeführt wird. Da es in der Regel nicht gelingt, das ganze Trommel-
fell auf einmal einzustellen, so muss der Trichter nach und nach in ver-
schiedene Stellungen gebracht werden, bis jeder Abschnitt der Membran be-
sichtigt worden ist.
Eine Hauptbedingung für das gute Gelingen der Otoskopie ist es natür-
lich, dass das Trommelfell focal beleuchtet werde; der Spiegel muss also in
einer genau so weiten Entfernung von der Membran gehalten werden, wie
seine Brennweite beträgt. Für Normalsichtige, welche gut accommodiren
können, und für nicht übermässig Kurzsichtige ist diese Entfernung, welche
etwa 15 cm beträgt, eine günstige; Hypermetropen müssen sich bei der
Spiegelung einer Convexlinse bedienen, welche in Form einer Brille oder mit
Hilfe einer mit einem Charnier befestigten Gabelvorrichtung an der Rückseite
des Spiegels angebracht werden kann.
Finden sich im Gehörgang Gegenstände, welche den Einblick erschweren,
wie Cerumen- oder Epitheltheilchen, so werden dieselben, wofern sie sich gut
fassen lassen, mit einer Pincette oder, wenn sie wandständig oder in grosser
Menge vorhanden sind, durch Ausspritzen mit warmem Wasser entfernt. Bei
Extractionsversuchen ist der Handspiegel mit einem Stirnspiegel zu vertauschen,
wodurch eine Hand frei wird.
462 OTOSKOPIE.
Will man die Beweglichkeit des Trommelfelles prüfen, so benutzt man
den SiEGLE'schen pneumatischen Ohrtrichter, welcher in dem Artikel
„Instrumentarium des Ohrenarztes" beschrieben worden ist. Normaler Weise
gentigt ein leichter Druck auf den mit dem Apparate verbundenen Gummi-
ball, um eine Verschiebung der Membran zu erzeugen, und bei einiger
Uebung kann man gut feststellen, ob und welche Stellen des Trommelfelles
den mit dem Trichter erzeugten Luftdruckschwankungen nicht Folge leisten.
Bei der Untersuchung des Trommelfelles empfiehlt es sich, denjenigen
Theil zuerst einzustellen und zur weiteren Orientirung zu benutzen, welcher
am constantesten ist, den kurzen Fortsatz des Hammers. Derselbe
liegt nahe dem vorderen-oberen Rande, hat das Aussehen einer kleinen perlen-
artigen Vorwölbung oder springt mehr schnabelartig vor. Vom kurzen Fort-
satze in der Richtung nach hinten, unten und innen verläuft der gelblich-
weisse, schwach S-förmig gekrümmte Hammerhandgriff, dessen etwas
schaufeiförmig verbreitertes Ende im U m b o, der am weitesten eingezogenen
Stelle des Trommelfelles liegt. Betrachtet man den Hammergriff als Radius
des Trommelfelles, was er genau genommen nicht ist, weil der hinter ihm
gelegene Theil der Membran grösser ist als der vordere, so kann man sich
mit Hilfe einer einfachen geometrischen Construction das Trommelfell in vier
Quadranten getheilt denken: einen hinteren-oberen, einen hinteren-unteren,
einen vorderen-unteren und einen vorderen-oberen, und sich dadurch die Be-
zeichnung der Regionen erleichtern.
Nach oben und vorn vom kurzen Fortsatze befindet sich die Mem-
brana flaccida, welche meist etwas concav nach innen gewölbt erscheint
und deren Grenze gegen die Membrana tensa durch die vom Processus brevis
ausgehenden Falten gebildet wird; nach hinten von jenem zieht sich sanft
geschwungen, etwa in einem rechten Winkel zur vorderen Kante des Hammer-
griffes, die hintere Falte, in ihrer Verlängerung vom kurzen Fortsatze
nach vorn die bedeutend kürzere vordere Falte. Vom Processus brevis
nach vorn-oben und hinten-oben divergiren ausserdem zwei, nicht immer
deutlich ausgeprägte obere Falten, welche in der Membrana flaccida ent-
halten sind. Die obere Grenze der letzteren gegen die obere Gehörgangswand
lässt sich zuweilen nicht scharf erkennen.
Beim normalen Trommelfelle springt am stärksten in die Augen der
dreieckige Licht fleck {Lichtkegel^ Reflex), welcher im vorderen-unteren
Quadranten seinen typischen Sitz hat. Seine Spitze liegt dicht am Hammer-
griffende im Umbo, seine etwa 2 mm breite Basis nahe dem vorderen-unteren
Rande der Membran; seine Grösse und Form, sowie die Intensität seines
Glanzes unterliegt selbst innerhalb der normalen Breite mannigfachen Schwan-
kungen. Da seine Entstehung nämlich durch die Trichtergestalt des Trommel-
felles und durch den Umstand bedingt ist, dass infolge der Verticalstellung
eines Theiles des vorderen-unteren Quadranten unsere Sehachse senkrecht auf
eine bestimmte Zone auffällt, so muss jede noch so unbedeutende Abweichung
in den Wölbungsverhältnissen der Membran eine Veränderung des Lichtkegels
zur Folge haben. Ausserdem aber ist nur dann ein Reflex vorhanden, wenn
die Oberfläche des Trommelfelles von einer gleichmässigen, glatten Epithel-
schicht bedeckt ist, während abnorme Zustände, wie Quellung der Epithel-
zellen, den Glanz mehr oder weniger aufheben.
Die Farbe des Trommelfelles ist eine Mischfarbe, welche aus dem
Zusammenwirken der Farbe des angewandten Lichtes, derjenigen der durch-
scheinenden Paukenhöhlenschleimhaut und der Eigenfarbe der Membran resul-
tirt und als ein helles Grau (Perlgrau) bezeichnet werden kann. Dasselbe
verhält sich an verschiedenen Stellen des Trommelfelles verschieden; da näm-
lich, wo die innere Paukenhöhlenwand weiter von der durchscheinenden
OZAENA. 463
Membran entfernt ist und das durch letztere durchfallende Licht zum grossen
Theile absorbirt wird, erscheint das Grau dunkler als an denjenigen Stellen,
an welchen infolge des Naheliegens des Hintergrundes ein grösserer Theil des
Lichtes von diesem reflectirt, der Trommelfarbe beigemischt wird. Deshalb
ist die Farbe am dunkelsten im vorderen und oberen Theile, heller im Umbo
und in der Gegend des Promontoriums nach hinten und unten von diesem;
am hellsten erscheint der Hand, der Annulus tendineus, welcher durch
eine besonders dichte Verfilzung der Trommelfasern mit Letheiligung des
Periosts gebildet wird und oft Knorpelzellen {Annulus cartilarjineuH) enthält.
Bei sehr durchscheinendem Trommelfelle kommen einzelne Gebilde der
Paukenhöhle mehr oder weniger deutlich zum Vorschein. So insbesondere
hinter dem Hammergriffe und mit ihm ungefähr parallel und von ähnlicher
Form und Farbe der absteigende Ambossschenkel, von welchem, im
rechten Winkel abgehend, der äussere Steigbügelschenkel zuweilen
sichtbar wird; unter der hinteren Falte und ungefähr parallel mit dieser
erscheint mitunter der untere Rand der TRöLTScn'schen Tasche, seltener
die Chorda tympani; ziemlich regelmässig schimmert unten und hinten
vom Umbo das Promontorium röthlich-gelb durch.
Da es für die Beurtheilung nicht allein der auf das Trommelfell selbst
beschränkten Krankheitsprocesse, sondern auch für alle Vorgänge in der
Paukenhöhle von der grössten Wichtigkeit ist, dass man am Trommelfelle die
geringste Abweichung von der Norm erkennt, so muss die Untersuchung der
Membran in jedem einzelnen Falle mit der Genauigkeit ausgeführt werden.
Je mehr Zeit man auf die Otoskopie verwendet, umso mehr Anhaltspunkte
wird man für vorhandene pathologische Zustände finden. Aber weder die
genaueste Beschreibung des Befundes, noch die vollkommenste Abbildung
kann die Uebung ersetzen. bürkner.
Ozaena [SUnknase, Rhinitis atropldcans foetida). Als Ozaena (o'Cvj, Ge-
stank) bezeichnen wir eine eigenthüraliche, diffuse Erkrankung der
Nasenschleimhaut, die durch Production eines dicken, zur
Krusten- und Borkenbildung tendirenden, specifisch übel-
riechenden Secrets und durch Atrophie der Schleimhaut und
des darunterliegenden Nasengerüstes charakterisirt ist.
Objective Symptome. Das hervorragendste und in unbehandelten
Fällen stets vorhandene Symptom der Ozaena ist ein specifisch er, übler
Geruch der Athmungsluft.
Die eigenthümliche Geruchsqualität lässt sich mit nichts vergleichen.
Sie erinnert etwas an den Gestank von Schweissfüssen oder von fötiden Cho-
lesteatomen, viel weniger an den zerquetschter Wanzen (die Stinknase heisst
französisch punaisie von punaise, Wanze). Die Stärke des Geruchs ist sehr
verschieden. Oft ist er nur in unmittelbarer Nähe des Kranken wahrzunehmen,
oft ist er so stark, dass er seine Umgebung in weitem Umkreise verpestet.
Er wechselt bei derselben Person zuweilen merklich. Bei Frauen ist es häufig
die Zeit der Periode, in der er beträchtlich zunimmt.
Häufig ist die Nase klein im Verhältnis zum übrigen Gesicht, etwas
abgeplattet und breit. Doch kann ihre Gestalt auch ganz normal sein.
Die Rhinoskopie zeigt weite Nasenhöhlen, die von grüngelben oder
schmutziggrauen oder schwarzgescheckten, bei der Betastung klebrig schmie-
rigen oder lederharten Borken, Schalen, Krusten oder Klumpen austapezirt
werden. Daneben finden wir stellenweise ein zähweiches, glasiges, fadenziehendes,
graues oder grüngelbes Secret. Die Borkengebilde sitzen in der Regel ziem-
lich fest, sodass sie ohne Vorbereitung nur unter Blutung abgelöst werden
können. Wo sie lose sitzen, zeigt sich an ihrer der Schleimhaut zugewandten
464
OZAENA.
Oberfläche das schon beschriebene, zähe Secret, durch dessen Eintrocknung,
wie wir schliessen müssen, die Borke entstanden ist.
An den Secreten haftet der vorher geschilderte mephi-
tische Gestank. Sie sind es, die ihn der Athmungsluft mittheilen, und
die von ihnen befreite Nase ist geruchlos.
Bei der mikroskopischen Untersuchung des Secretes findet man
von morphologischen Bestandtheilen vorzüglich Eiterzellen und äusserst zahl-
reiche Mikroorganismen der verschiedensten Arten (Fig. 1, 2). Schuchardt
hat daneben zahlreiche, zum Theil kernlose Plattenepithelien vorgefundeo.
Fig. 1. Secret bei einer Ozaena. Fig. 2. Secret bei einer andern Ozaena.
Vergr.: ^''o/,. ' Gefärbt mit Löfflers Methylenblau. .
Nach Präparaten des Verfassers, gez. von P. Günther.
Erst nach der Entfernung der Secrete (s. Therapie) können wir uns von der
Gestalt der Nasenhöhle ein rechtes Bild machen. Wir finden sie stets
abnorm gross, und zwar vorzugsweise durch Schwund der Nasenmuscheln,
besonders der unteren. Diese sind oft zu einer dünnen Schleimhautfalte redu-
cirt, die wie ein Zeltdach den untern Nasengang bedeckt. Ist dabei die
mittlere Muschel intact, so erscheint sie besonders gross. Manchmal aber ist
auch diese fast völlig eingegangen, sodass die Gegend des Hiatus semilunaris
ohne weiteres im Präparate sichtbar ist (Fig. 3). Oft kann man an der mitt-
leren Muschel vorbei die Keilbeinostien sehen und unter der Leitung des
Auges sondiren. Besonders deutlich aber zeigt sich uns die Hinterwand des
Nasenrachenraumes, die Tubenmündung mit ihrer Umgebung und ihren
Veränderungen beim Sprechen, Schlucken, Würgen. Die Schleimhaut erscheint
blass, sehnenartig glänzend, sie liegt straff auf ihrer Unterlage.
Die Erkrankung findet sich in den meisten Fällen bilateral. Häufig er-
streckt sie sich auf den Nasenrachenraum, manchmal weiter hinab auf
den Rachen (Pharyngitis sicca) und den Kehlkopf (Laryngitis
sicca). Selten sind die Anhänge der Nase (Nebenhöhlen und des
Rachens (Tube, Mittelohr) in Mitleidenschaft gezogen.
Bei der retronasalen Ozaena ist die Schleimhaut verdünnt, trocken
glänzend und häufig mit massenhaften, stalaktitenähnlichen Klumpen ein-
getrockneten Secretes bedeckt, die gewöhnlich sehr fest haften.
Der Geruch der Ozaenakranken ist wohl stets herabgesetzt, manchmal
ganz aufgehoben. Daher kommt es, dass sie durch ihre Exhalationen selten
belästigt werden.
Ozaenakranke sind in der Mehrzahl schlechtgenährte, blutarme
Individuen mit fahler Hautfarbe, schlaffer Musculatur, geringer Kraft und
OZAENA.
465
Energie. Die einen sagen, diese Constitution sei das Primäre, sie disponire
zur Ozaena. Andere behaupten, die Schädlichkeiten der Nasenerkrankung
(Einathmung verdoi*bener Luft, zeitweiliges Verschlucken fauliger Secrete und
dadurch erzeugte Verdauungsstörungen, psychische Depression) seien die Ur-
sache des schlechten Ernährungszustandes. Vermuthlich haben beide An-
schauungen ihre Berechtigung.
Subjective Symptome. Merkwürdigerweise, und man kann wohl
sagen, glücklicherweise riechen viele Patienten den in der eigenen Nase er-
zeugten Gestank nicht, weil ihre Riechschärfe zu sehr herabgesetzt ist. Diese
Eig. 3. Linke Nasenhälfte. Ozaena. — ei, cm, es, untere, mittlere, obere Muschel.
/, Sinus frontalis, hs, Hiatus semilunaris. ot, Ost. pharyng. tubae
(aus Dr. Arthur Hartmann's Sammlung).
wissen auch nichts von der Abscheulichkeit ihres Leidens, bis sie von ihrer
Umgebung darauf aufmerksam gemacht werden. Wie niederschmetternd muss
eine derartige Mittheilung wirken! Die Kranken fühlen sich geächtet, sie be-
merken, wie man ihrem Athem aus dem Wege geht und sind umso miss-
trauischer, weil sie selbst ihre Exhalationen nicht controliren können. Diese
Wahrnehmungen führen zur Menschenscheu und Schwermuth, ja in einzelnen
Fällen zur Verzweiflung und zum Selbstmorde.
Gewöhnlich leiden die Kranken unter zeitweiliger Nasen Ver-
stopfung, dann nämlich, wenn der Luftweg durch massenhafte Borken-
bildung verlegt wird. Mit der Entfernung der Borken wird die Nase frei.
Die Entfernung der Borken ist in der Kegel mit grossen Schwierig-
keiten verknüpft. Die Kranken müssen übermässig schnauben und beim Ver-
such, die Massen nach hinten durchzuziehen, erfolgt oft Würgen und Er-
brechen.
Das gilt besonders auch für die im Nasenrachenraum festsitzenden Se-
crete. Diese führen ausserdem zu mannigfaltigen perversen Sensationen
(Fremdkörpergefühl in der Kehlkopfgegend, Kratzen und Hustenreiz u. dgl. m.).
Die bei der Ozaena gewöhnlich vorhandenen, zeitweiligen Kopf-
schmerzen können von verschiedenen Ursachen abhängig sein, von der
Resorption der verdorbenen Inspirationsluft, von der zeitweiligen Nasenver-
stopfung, von der mit heftigem Schneuzen verbundenen Blutstauung, zuweilen
wohl auch von einer complicirenden Nebenhöhlenerkrankung.
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten. ""
466 OZAENA.
Verlauf, Die Ozaena entwickelt sich unmerklich, schleichend. Sie
wird gewöhnlich anfangs für einen heftigen Schnupfen gehalten, und die
Kranken suchen ausnahmslos den Arzt erst bei vollentwickelter Krankheit
auf. So kommt es, dass noch niemand ihre Entwicklung exact beobachtet
und beschrieben hat.
Wir sind also lediglich auf die Angaben der Kranken angewiesen, die
fast regelmässig etwa folgendermaassen lauten: Sie litten schon lange Zeit an
Schnupfen, d. h. an vermehrter Absonderung aus der Nase. Das Abgesonderte
wäre allmählich dicker geworden, es hätte einen üblen Geruch angenommen,
der immer stärker geworden sei. Von anfänglicher Nasen Verstopfung
wissen viele nichts; andere geben an, dass sie zeitweilig, aber nie dauernd
daran gelitten hätten.
Aus diesen Angaben lässt sich nichts weiter schliessen, als dass die
Ozaena sich schleichend entwickelt und dass sie ein geruchsfreies Vorstadium
hat. Welcher Art aber dieses Vorstadium ist, welche Veränderungen an
Schleimhaut und Secret dabei im Spiele sind, das entzieht sich völlig unserem
Urtheil.
Eine Anzahl namhafter Rhinologen verficht die Anschauung, dass die
Ozaena nichts anderes als das Endstadium einer hypertrophi-
schen Rhinitis sei. Diese Behauptung könnte ganz allein durch die
klinische Beobachtung bewiesen werden, dass sich eine hypertrophische
Rhinitis im Laufe der Zeit in eine veritable Ozaena verwandelt habe. Eine
derartige Beobachtung existirt bis jetzt trotz der Häufigkeit der Ozaena nicht.
Die Thatsache, dass man am Lebenden und an anatomischen Präparaten nicht
so selten entzündlich verdickte Partien neben atrophischen findet, beweist
natürlich gar nichts. Wie man sieht, steht die angeführte Behauptung auf
schwachen Füssen. Aber sie ist von ihren Autoren sehr bestimmt aus-
gesprochen und wird unentwegt nachgesprochen und geglaubt, weil man ganz
vergisst, nach ihrer Begründung zu fragen.
Vorkommen und Aetiologisches. Die Krankheit ist unter den
niederen Schichten weiter verbreitet als bei den wohlhabenden Classen, wenn-
gleich sie auch hier häufig genug vorkommt. Sie betrifft vorzüglich das
weibliche Geschlecht, so dass Voltolini sie kurzweg als ein Frauenleiden
bezeichnet.
Die Prädilectionszeit der Ozaena ist die der Pubertätsentwicklung
und man hat darauf hingewiesen, dass gerade in dieser Zeit beim weiblichen
Geschlecht manche constitutionelle Erkrankungen (Chlorose, Anämie) sich
mit Vorliebe einstellen.
Die Disposition zur Ozaena ist exquisit vererbbar. Sie überträgt sich
in der Regel von der Mutter auf weibliche Descendenten, die nach ihr oder
in ihre Familie ähneln.
Pathologische Anatomie. Im Präparat findet man die Schleim-
haut der Muscheln dünn, blass, glänzend, ähnlich einer serösen Haut. Der
Schwellkörper ist geschwunden. Der Knochen wird — wie Präparate von
verschiedenen Stadien zeigen — dünner, biegsamer und kleiner, stellenweise
durchlöchert. Er nimmt an Höhe ab dadurch, dass sich am Rande dünne
Streifen loslösen und resorbirt werden (Zuckerkandl). Selten sind die Neben-
höhlen mitergriffen.
Das Mikroskop zeigt am Anfange des Processes Rundzelleninfiltration
der Schleimhaut. Die Rundzellen neigen zu körnigem Zerfall und zur Ver-
fettung. Aehnliche Degenerationserscheinungen sind bei den Drüsen, sowohl
den acinösen wie den Bov^aiAN'schen, vorhanden. An den Knochenrändern
sieht man reichlich HowsHip'sche Lacunen mit Osteoklasten darin.
Das Epithel ist gewöhnlich in ein cubisches oder mehrschichtiges
Plattenepithel verw^andelt, dessen oberflächliche Schichten verhornen. In
OZAENA. 467
späteren Stadien tritt die Zellinfiltration gegen eine Neubildung von faserigem
Bindegewebe zurück, die zur Schrumpfung der Schleimhaut führt. Daneben
ist bedeutender Schwund von Drüsen und Gefässen constatirbar.
Ueber das Wesen der Ozaena ist man bis heute noch vollständig
im Unklaren.
Eine Theorie der Krankheit muss die beiden Hauptsymptome: die Bil-
dung specifisch-fötider Borken und die Atrophie der Schleimhaut und des
Nasengerüstes zum Ausgangspunkte nehmen. Sie muss beide Zustände entweder
auseinander oder aus einer einheitlichen Ursache heraus abzuleiten suchen.
Bevor wir deshalb die vorhandenen Ozaenatheorien streifen, müssen wir
die Genese der beiden Cardinalsymptome betrachten.
Dass der Fötor durch bacterielle Zersetzungen von Nasensecreten ent-
steht, ist leicht zu beweisen. Welcher Art aber sind diese Zersetzungen?
Als einfache Fäulnisprocesse werden sie heute wohl von den wenigsten be-
trachtet.
Der specifische Geruch weist vielmehr deutlich darauf hin, dass bei den
Zersetzungen etwas besonderes vorhanden sein muss, entweder ein eigenthüm-
licher Zersetzungserreger oder ein besonderes Secret oder beide zusammen.
Diesem Gedankengange folgend hat H. Krause in dem Fettgehalt des Secrets,
hat E. FßÄNKEL in dem Fehlen des Saftes der BowMAN'schen Drüsen, haben
YoLKMANN und ScHUCHAEDT in der Anwesenheit von Hornsubstanz in dem
metaplasirten Epithel das Besondere gesehen, während Löwenberg seinen
Ozaenacoccus als den specifischen Erreger des Gestanks anspricht, Hajek
seinen Bacillus ozaenae foetidus. Löv^^enberg fordert daneben noch eine
nicht näher definirte chemische Alteration des Secrets, und er befindet sich da-
mit in Uebereinstimmung mit B. Fränkel, der sowohl eine Eiterung der
atrophischen Schleimhaut, als auch ein besonderes Ferment verlangt.
Die Atrophie sehen die einen als congenitalen Defect an (Zaufal),
die Mehrzahl der Autoren hält sie für die Folge eines entzündlichen Processes
(s. 0.), einzelne messen mit Walb dem Druck der Borken Bedeutung bei.
Als die Grundlage der ganzen Erkrankung nun betrachten
die meisten Autoren eine Entzündung. Diese erzeuge sowohl das
veränderte zu besonderer Zersetzung neigende Secret, als auch die Atrophie.
Einzelne (Zaufal, Hajek) legen das Hauptgewicht auf die Stagnation des
Secrets, die es ihm überhaupt erst ermögliche, in Zersetzung zu gerathen.
Gegen alle die aufgeführten Theorien lässt sich vieles einwenden. Keine
erklärt in völlig befriedigender Weise den eigenthümlichen Symptomencomplex
der Ozaena.
Ich *) habe auf folgende Möglichkeit hingewiesen. Nehmen wir an, dass eine
neurotrophische Störung Schleimhaut und Nasengerüst betreffe. Die ersten Folgen
■werden sein: Ernährungsstörung des Epithels mit consecutiver Metaplasie, Atrophie der
Schleimhaut und des Gerüstes. Weiter: Unmöglichkeit durch Flimmerbewegung allerhand
Schädlichkeiten zu eliminiren, Reizung der Schleimhaut, Entzündung. Das aufgequollene
verhornte Pflasterepithel gibt einen guten Nährboden für einen ubiquitären, specifischen
Zersetzungserreger ab, der den specifischen Fötor verursacht.
Die bisherige Darstellung fasst die Ozaena als eine wohlumgrenzte eigen-
artige Krankheit auf. Sie lässt es beispielsweise nicht zu, dass man die
Ozaena mit den nach tertiärer Nasenlues oft zurückbleibenden Veränderxingen
zusammenwerfe, auch wenn diese in vielen Stücken denen bei der Ozaena zum
Verwechseln ähnlich sind.
Wir dürfen aber nicht verschweigen, dass in neuester Zeit wiederum
der Versuch gemacht ist, die Ozaena als Krankheit sui generis zu streichen.
GutJNWALD ist es gelungen, eine beträchtliche Anzahl von Fällen, die er
selbst und vor ihm Fachautoritäten als Ozaena diagnosticirt hatten, auf Neben-
*) Vgl. Zarniko: Die Krankheiten der Nase etc. Berlin 1894.
30*
468 OZAENA.
höhlenempyeme zurückzuführen und durch sachgemässe Behandlung auszu-
heilen. Geünwald glaubt, dass noch andere Processe, insbesondere circum-
scripte Naseneiterungen, das Bild der „Ozaena" liefern könnten, und empfiehlt,
deshalb, die Bezeichnung lediglich für das Symptom der stinkenden Borken-
bildung ohne Präjudiz auf die Natur der Grunderkrankung zu reserviren. Die
wertvollen Mittheilungen Grünwald's fordern zu einer erneuten Prüfung der
Frage dringend auf. Ich vermuthe jedoch, dass diese nur dazu führen wird,,
per exclusionem die Existenz einer einheitlichen Erkrankung sicherzustellen,,
die ich in den früheren Ausführungen zu umgrenzen und auseinanderzulegen
bemüht gewesen bin. Und es hindert uns nichts, diese auch weiterhin als
genuine Ozaena oder als Ozaena schlechthin zu benennen.
Diagnose. Nach den Erfahrungen Grünwald's müssen wir mit der
Diagnose Ozaena sehr vorsichtig sein, wir dürfen sie erst aussprechen, wenn
wir mit Sicherheit circumscripte Erkrankungen, insbesondere Nebenliöhlen-
empyeme ausschliessen können. Diese Ausschliessung ist, wie sich aus dem
Artikel y^Pyeine der Nasennehenhöhlen'-'' dieses Werkes ergeben wird, oft mit
den allergrössten Schwierigkeiten verknüpft.
Uebrigens glaube ich bis auf weiteres, dass uns der Geruch des
Secretes hier einen zuverlässigen Anhalt gibt. Ich wenigstens habe bei
Nebenhöhlenempyemen, mögen sie noch so abschreckend gerochen haben, noch
nie die specifische Färbung des Ozaenagestankes wahrnehmen können.
Prognose. Die Ozaena ist unheilbar. Wir können die atrophische
Schleimhaut nicht in einen functionsfähigen Zustand zurückversetzen, nicht ihr
Gefässe, Drüsen und Flimmerepithel wiederverschaffen. Aber wir können die
Erkrankung vollständig cachiren, indem wir Borken und Fötor wegbringen und
die Patienten in den Stand setzen, sich in diesem Zustande dauernd zu erhalten.
Therapie. Dazu sind zwei Mittel vorzüglich geeignet, die Nasen-
pumpe und die GoTTSTEm'sche Tamponade.
Die Nasenpumpe (Fig. 4) besteht aus einem starken Gum-
miballon, der zwischen zwei sich in derselben Richtung öffnenden
Ventilen angebracht ist. Deshalb treibt er aus, wenn man ihn
comprimirt, saugt er ein beim Nachlassen des Druckes. Die viel
gebrauchte, aber wenig empfehlenswerte Olive als Ansatzstück hat
Hartmann durch einen fingerlangen, sich etwas verjüngenden
Gummischlauch ersetzt, der tief in die Nase eingeführt und bis
dicht an die wegzuspülenden Theile gebracht werden kann. Die-
ses Ansatzstück setzt die Gefahr, dass Spülwasser durch die Tube
ins Mittelohr gepresst werden könne, auf ein Minimum herab^
weil das Wasser neben ihm vorbei einen Ausweg findet.
Die Anwendung der Nasendouche ist jedem Pa-
tienten genau zu zeigen. Er muss sie zuerst unter der
Controle des Arztes richtig ausführen können, bevor
man sie ihn selbständig anwenden lässt.
Als Spülflüssigkeit benutzt man am besten eine lauwarme
physiologische Kochsalzlösung (7*5^ NaCl auf 1 Liter
gekochten und nachher auf 25" abgekühlten Wassers). Man vermeide
differente Mittel (Desinficientien, Desodorantien*) unter allen Um-
*"'*Anslt"z^°'''^ ständen, wenn noch eine Spur von Riechfähigkeit vorhanden ist,
sonst könnte man auch diese noch vernichten. Und es lässt sich
leicht zeigen, dass Desinficientien auf die Mikroorganismen des Nasenschleims
gar keine oder so gut wie gar keine Wirkung ausüben können. (Vgl. darüber
Zarniko 1. c.)
*) Sublimat 1 : 10000 (Löwenberg), Carbol 1—2 : 100, Lysol 1—2 : 100, Eesorcin 1 : 100,.
rosafarbene Lösung von Kai. permanganic. etc.
OZAENA. 469
Die Spülflüssigkeit steht in einem Napf zur Linken des Patienten.
Dieser senkt das Saugventil hinein und übt rhythmische Compressionen auf
den Ballon der Pumpe, solange, bis die Flüssigkeit ohne Luftblasen zum Vor-
schein kommt. Nun führt er den Ansatz in das eine Nasenloch, und zwar in
der Richtung auf den Prädilectionssitz der Borken, die ihm gezeigt werden
muss. Er beugt sich über eine leere Waschschüssel, die zum Auffangen des
Spülwassers dient, athmet ruhig durch den geöflneten Mund und beginnt zu-
nächst sanft, später kräftiger zu pumpen. Dabei hebt sich das Gaumensegel
reflectorisch und die Spülflüssigkeit nimmt durch den Nasopharynx zum an-
deren Nasenloch ihren Ausweg, Nasenschleim und Borken lockernd und mit sich
fortschwemmend. Nach einer Weile wird die Pumpe ins andere Nasenloch ein-
geführt und dasselbe Spiel wiederholt. Gewöhnlich kommt man mit 7l' — 1 Liter
Flüssigkeit aus.
Folgende Regeln hat der Patient sich fest einzuprägen und genau zu
befolgen: Er muss während der Douche fest durch den Mund
athmen, darf nicht sprechen und nicht schlucken (weil sich dabei
die Tube öffnet!). Er soll nach der Douche das restirende Spül-
wasser durch leichtes Blasen entfernen. Schneuzen darf er
sich erst nach Verlauf von 72 Stunde.
GoTTSTEiN'sche Tamponade. Legt man eine grosse Wattewieke
derart in die Nase, dass sie den mit Borken bedeckten Stellen massig fest
aufliegt, so findet eine Lösung der Borken statt, wahrscheinlich dadurch, dass
sich reflectorisch eine Secretion zwischen Schleimhaut und Borke einstellt und
die Borke a tergo lockert und abhebt. Entfernt man daher nach einiger
Zeit (^4 — 2 — 12 Stunden) den Tampon, so haften entweder die Borken darauf
oder sie sind doch so lose, dass sie leicht ausgeschnoben, abgewischt oder
abgespült werden können.
Für seine Tamponade hat Gottstein einen besonderen Watteträger in
Form einer Doppelschraube angegeben. Dieser kann, wenn der Tampon an
der rechten Stelle liegt, nach rückwärts herausgedreht werden. Er ist be-
sonders für den Selbstgebrauch des Patienten empfehlenswert. Der Arzt wird
sich einfacher der knieförmigen Nasenzange bedienen.
Die Anwendung der besprochenen Mittel geschieht beim besonderen Falle
zweckmässig in folgender Weise: Man beginnt die Behandlung damit, dass
man in die erkrankte Nasenhöhle Tampons einlegt. Entfernt man diese nach
V4 — V2 Stunde, so kommt der grösste Theil der Borken in der Regel mit
heraus". Was zurückbleibt, sitzt lose auf und lässt sich leicht mit der Gummi-
pumpe wegspritzen, wenn man den Strahl direct darauf richtet, oder mit
Sonde und Zange entfernen. Auf diese Weise gelingt es häufig gleich am
ersten Tage, die Nase vollkommen zu reinigen, den Gestank zu bannen.
Sicherlich ist dies aber am zweiten oder dritten Behandlungstage möglich.
Inzwischen hat sich der Patient eine Nasenpumpe besorgt und man unter-
weist ihn gründlich in ihrer Anwendung. Insbesondere zeigt man ihm, wo-
hin er das Ansatzstück zu richten hat, um die Prädilectionsstellen der Borken-
bildung zu treffen. Ist der Patient in allem sicher, so besorgt er fortan die
Reinigung selber, indem er morgens und abends die Douche applicirt. In
mehrtägigen Intervallen erscheint er zur Controle. Finden sich dabei Borken
vor, so forsche man nach der Ursache. Fast immer wird man einen Fehler
in der Anwendung der Douche finden. Wo dies nicht der Fall ist, hat der
Patient die Douche durch die Tamponade zu unterstützen. Man zeigt ihm
die Zubereitung der Wattewieke und die Richtung, in der er sie mit Hilfe
der GoTTSTEiN'schen Schraube einzuführen hat. Er legt die Tampons ent-
weder morgens vor der Douche für 1 Stunde ein oder am Abend abwechselnd
in die eine oder die andere Nasenseite, um sie die Nacht über darin zu
lassen.
47Ö PACHYDERMIA LARYNGIS.
Hat man die Ueberzeugung gewonnen, dass der Patient mit Douche und
Tampon gut umzugehen versteht, so kann man in immer längeren Zwischen-
räumen controliren, wöchentlich, monatlich, vierteljährlich. Man kann dann auch
versuchen, die Reinigung seltener ausführen zu lassen, einmal täglich oder
jeden zweiten Tag. Die Patienten ermitteln selber am besten die Dauer der
Zeiträume, die sie zwischen den einzelnen Reinigungen verfliessen lassen
dürfen. — In jedem Falle sind die Patienten von vornherein darüber auf-
zuklären, was wir niiit der Therapie leisten können und wollen. Sie müssen
sich in den Gedanken einleben, die vorgeschriebenen Proceduren bis an ihr
Lebensende sorgfältig und unverdrossen auszuführen, wie sie sich das Haar
kämmen und die Zähne putzen. Und sie können das um so eher, als die
Proceduren sehr einfach und von kurzer Dauer sind und die dazu nöthigen
Instrumente handlich und auf Reisen leicht mitzuführen sind.
Mit der geschilderten Behandlung erreicht man bei der Ozaena alles über-
haupt Erreichbare. Und man hat daher nicht nöthig, sich anderen Maass-
nahmen und Mitteln zuzuwenden.
Solche sind in ungeheurer Zahl gegen die Ozaena empfohlen. Mit allen
wollen die Autoren glänzende Erfolge erzielt haben. Das kann man wohl
glauben, denn es gibt kein Mittel, das bei der Ozaena nicht wirksam wäre,
wenn nur eine gründliche Reinigung der Nase mit seiner Application ver-
knüpft ist. Und das ist immer der Fall. Denn es wird niemandem einfallen,
ein Pulver, sei es nur desinficirend, adstringirend oder ätzend, in die un-
gereinigte Nase zu blasen. Die Borken und Secrete werden vielmehr immer
vorher entfernt. — Aehnlich ist es mit der Vibrationsmassage. Durch die
Vibrationen werden ja die Borken gelockert, die Secrete infolge der reflec-
torisch angeregten Thätigkeit der noch vorhandenen Drüsen flüssiger gemacht
und auf diese Weise die Nase reingehalten.
Neben der localen Behandlung hat man dem Allgemeinzustande der Pa-
tienten gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es wird sich bei der Ozaena
wohl immer nur darum handeln, die Ernährung anämischer, scrophulöser In-
dividuen zu verbessern und ihre Gesammtconstitution zu kräftigen. Die hierzu
geeigneten Vorschriften finden in den Artikeln „Anämie" und ^, Scrophulose"
dieses Werkes ihre Erledigung. zaeniko.
Pachydermia laryngis. Bekanntlich stammt dieser Name von Viechow,
welcher damit alle Veränderungen bezeichnet, die mit Verdickung des Platten-
epithels und Papillenbildung in dasselbe hinein einhergehen. Er unterscheidet
besonders zwei Formen, nämlich die diffuse und circumscripte. Die letztere
(auch Pachydermia verrucosa genannt) begreift in sich die sogenannten Papillome
des Larynx. Da nun diese wohl charakterisirte und in ihren klinischen
Erscheinungen ganz verschiedene Wucherungen sind, so hat ihre Einord-
nung in die Pachydermie bei den meisten Anatomen und Laryngologen keine
Anerkennung gefunden. Die Papillome des Larynx gehören also nicht zur
Pachydermie; sonach wird hier nur von der Pachydermia diffusa die Rede
sein. Viechow beschrieb unter diesem Namen besonders die eigenthümlichen,
schalenförmigen Wülste an den Processus vocales, die er gewöhnlich bei
älteren Männern fand, die Missbrauch mit Alkohol und Tabak getrieben
hatten; in seltenen Fällen fand er gleichzeitig Veränderungen an der Plica
interarytaenoidea.
Aetiologie. Als Ursache wurde von Viechow chronischer Katarrh,
Missbrauch von Alkohol und Tabak, Ueberanstrengung der Stimme an-
gegeben; spätere Untersuchungen haben aber gezeigt, dass auch Tuber-
kulose, Lues und andere chronische Reize die gleichen oder sehr ähnliche
Veränderungen im Larynx hervorrufen können. Das Wesen der Verände-
rung liegt in der Bildung eines stark verdickten, viele Zellenlagen enthalten-
PACHYDERMIA LARYNGIS. 471
den, oberflächlich verhornten Plattenepithels; in dasselbe dringen zahlreiche,
oft dicke und verzweigte Papillen ein; die Schleimhaut und das submucöse
Gewebe betheiligen sich in der Form einer chronischen Verdickung, Dieser
Process entwickelt sich an den Stellen des Larynx, welche Plattenepithel
theils de norma, theils infolge pathologischer Vorgänge besitzen. Da jedoch
diese Verdickungen nicht blos durch Katarrh, sondern auch durch die anderen
oben erwähnten chronischen Pteize bedingt werden, manchmal stärker, manch-
mal geringer sind, darf die Pachydermie nicht als eine Erkrankung sui generis,
sondern als ein Symptom verschiedener Erkrankungen betrachtet werden.
Besonders charakterisirt ist jene Form der Pachydermie, welche sich an den
Processus vocales localisirt; dieselbe wird daher auch Pachydermia typka ge-
nannt. Es bilden sich nämlich infolge chronischer Pteize an den Processus
vocales schalenartige Wülste; die Vertiefung in diesen Wülsten, Delle genannt,
kommt meist einseitig vor und ist so gelagert, dass der erhabene Kand des
Wulstes in die Vertiefung der Gegenseite genau hineingreift, so dass der
Verschluss der Stimmbänder ein ziemlich exacter ist. Die Dellenbildung
wurde von einer strafferen Anheftung der Schleimhaut an die Spitze des
Processus vocalis abgeleitet; jedoch ist es wahrscheinlich, dass dieselbe
nur durch Druck des Wulstes der Gegenseite langsam entsteht. Die Wülste
sind meist roth und leicht gekörnt, die Oberfläche der Delle glatt und bläs-
ser. Im Larynx finden sich deutlich Zeichen von chronischem Katarrh und
nicht selten auch Verdickungen der Plica interarytaenoidea, welche ebenfalls
aus verdicktem Epithel und Bindegewebe bestehen; in ihnen bilden sich oft
Rhagaden; nur sehr selten finden sich Wülste der Plica interarytaenoidea
ohne Wülste an den Processus vocales. Alle diese Formen sind selten. Sehr
häufig dagegen beobachtet man leichte Epithelverdickungen und Trübungen
an den Stimmbändern, kleine weissliche Knötchen an ihren Rändern {Sän-
gerknötchen), dann weissliche Verdickungen des Epithels der Plica inter-
arytaenoidea. Diese Formen sind ebenfalls Pachydermie zu nennen, so zwar,
dass man Uebergänge findet von der leichtesten Form bis zu den typischen
Wülsten. Alle diese Formen wurden auch schon vor Virchow gesehen, ja
auch die typischen Wülste an den Processus vocales abgebildet, doch meist
wegen des Vorhandenseins der Delle als Geschwüre mit wulstigen Rändern
gedeutet. Wie schon früher erwähnt, bilden sich auch infolge anderer
chronischen Reize, z. B. Tuberkulose, Lues, Lupus, chronische Perichondritis,
nahezu gleiche oder ähnliche Verdickungen an denselben Stellen des La-
rynx; dieselben sind auch histologisch gleich, nur z. B. bei Tuberkulose
durch das Vorhandensein von Tuberkelknoten unterschieden. Man wird daher
auch mit Recht diese Formen als Pachydermie bezeichnen, fügt aber zur
Unterscheidung von reinen, primären Formen den Beisatz accessorische oder
secundäre bei.
Die Diagnose ist nach dem Vorstehenden leicht zu stellen. Subjective
Beschwerden sind meist sehr gering. Bei der typischen Form an dem Pro-
cessus vocalis fehlt meist die Heiserkeit, nur leichte Schlingbeschwerden
stellen sich manchmal ein. Grosse Wülste an der Plica interarytaenoidea
dagegen behindern oft den Schluss der Glottis und erzeugen daher Heiser-
keit, manchmal sogar Athembeschwerden. Die accessorischen Formen machen
durchschnittlich mehr Beschwerden entsprechend der zu Grunde liegenden
Krankheit.
Verlauf. Die typischen Wülste an dem Processus vocalis können oft
jahrelang bestehen, ja man hat sogar spontan Rückbildung derselben be-
obachtet.
Selbst bei tuberkulösen Menschen hat man sie unbeeinflusst von der
bacillären Krankheit fortdauern gesehen; in sehr seltenen Fällen scheinen sie
472 PAPILLOME DES KEHLKOPFES.
aber bei zufälligem Hinzutreten schwerer allgemeiner Erkrankungen zu ge-
schwürigem Zerfall zu neigen.
Die Behandlung wird sehr verschieden sein, je nach dem Grade der
Entwicklung der Pachydermie. 1. Die leichtesten Formen, Trübungen und leichte
Verdickungen der Stimmbänder und der Plica interarytaenoidea werden der-
selben Behandlung unterzogen, wie der sie veranlassende, chronische Katarrh.
2. Bei den Knötchenbildungeu an den Stimmbändern muss man bedenken, dass
dieselben oft bei Schonung der Stimme von selbst verschwinden. Ihre Ope-
ration ist nur bei bedeutender Grösse angezeigt und erfordert grosse Vorsicht.
3. Die zahlreichen Knötchen, die sich in seltenen Fällen an den Stimmbändern
finden {Chordüis tuberosa) sind energisch abzuschaben. 4. Die typischen Wülste
an den Processus vocales bedürfen meist keiner Behandlung. Leichte Gaben
von Jodkali innerlich, Einathmung von schwachen Essigsäurelösungen haben
sich oft als nützlich erwiesen. Die operative Entfernung derselben hat zwar
hie und da gute Erfolge gehabt, war aber öfters von langandauernder Granu-
lationswucherung an der Operationsstelle gefolgt. Es empfiehlt sich daher
eine mehr expectative Behandlung. 5. Die typischen Wülste an der Plica
interarytaenoidea verlangen dagegen, wegen der Behinderung der Stimme und
Athmung, gewöhnlich eine chirurgische Behandlung. (Entfernung derselben
mit schneidenden Pincetten oder Zangen, mit der Galvanokaustik oder Elek-
trolyse.) 6. Die accessorischen Formen sind mit Rücksicht auf die Grundkrank-
heit und die localen Beschwerden zu behandeln; namentlich kommen hier am
meisten die tuberkulösen pachydermischen Wucherungen und Infiltrate in
Frage, deren chirurgische Behandlung in neuerer Zeit vielfach empfohlen und
ausgeführt wurde. (Siehe Artikel ^Tuberculosis laryngis"-.) chiari.
Papillome des Kehlkopfes. Die Papillome sind nach den Fibromen
die nächst häufige Neubildung des Kehlkopfes. Sie kommen auch bei jungen
Individuen, manchmal sogar angeboren vor. Unter meinen 36 Patienten
waren 4 unter 12 Jahren. Paul Beuns konnte schon 1878 40 Fälle von endo-
laryngealer Operation dieser Gebilde bei Kindern unter 1 5 Jahren zusammen-
stellen.
Aetiologie. Während einige Autoren nichts Bestimmtes darüber an-
geben, hält Oertel geradezu für die Ursache der Papillome eine gewisse
scrophulöse oder anämische Anlage der Individuen. Doch findet man sehr
häutig ganz gesunde, kräftige Menschen von diesem Leiden befallen.
Anatomie. Die Papillome bestehen aus einem mehr oder weniger
feinen bindegewebigen Grundgewebe, welches zahlreiche Papillen aussendet.
Die Blutgefässe in ihnen sind verschieden reichlich entwickelt. Die oft viel-
fach verästigten Papillen sind von einem dicken geschichteten Plattenepithel
bedeckt, dessen obere Schichten nicht selten theilweise verhornen und sich
in Form von Schuppen abstossen. Eine starke Verhornung findet sich aber
nur ausnahmsweise. Durch diese dicke Epithelschichte bekommt die Geschwulst
oft eine weissliche Farbe, welche durch das Durchscheinen der Gefässe mehr
weniger ins Rothe übergeht. Mehrere dieser kleinen Papillen sitzen auf
grösseren auf, und dadurch wird die Geschwulst an der Oberfläche zackig
und blumenkohlartig gestaltet. Da nun die Hauptmasse aus verdicktem
Epithel und hypertrophischen Papillen besteht, so hat Virchow dafür den
Namen Pachydermia verrucosa vorgeschlagen, welcher sich aber nicht in der
Literatur einbürgern konnte, weil dadurch für einen scharf umschriebenen
Begriff eine neue Bezeichnung eingeführt wurde, ferner, weil die Aetiologie
der Pachydermia auf chronisch entzündliche, mehr ausgebreitete Erkrankungs-
zustände der Schleimhaut hinweist, während die Papillome gewöhnlich auf
ganz gesunder Schleimhaut aufsitzen. Ferner recidiviren die Papillome sehr
gerne, während die Pachydermia dazu die Neigung nicht hat.
PAPILLOME DES KEHLKOPFES. 473
Endlich kommen die Papillome so ziemlich auf allen Stellen des Larynx
vor, mit besonderer Vorliebe aber auch wieder an den Stimmbändern, oft
jedoch zu gleicher Zeit an mehreren Orten; ja manchmal wuchern sie über-
all auf der Schleimhaut, so dass sie die ganze Larynxhöhle ausfüllen und
Erstickung veranlassen können. Bei kleinen Kindern hat man sie auch
schon öfters mit Croup oder fremden Körpern verwechselt. (Jertel unter-
scheidet drei Formen: 1. rundliche, röthliche Geschwülste mit kleinen, ober-
flächlichen Erhabenheiten, besonders an den vorderen Antheiien der Stimm-
bänder, 2. weisse, grauliche Geschwülste von papillösem Bau, wieder an den
Stimmbändern, 3. trauben- oder maulbeer- oder blumenkohlähnliche Ge-
schwülste, welche von verschiedenen Theilen des Larynx ausgehen. Sie sind
manchmal so locker der Oberfläche der Schleimhaut angeheftet, dass sie spon-
tan abgestossen und ausgehustet werden. Sie lassen sich daher sehr leicht
mit Pincette oder Zange entfernen, haben aber leider auch die Gewohnheit,
sehr gern zu recidiviren.
Es scheint manchmal eine Neigung der ganzen Larynxschleimhaut zu
bestehen, immer wieder solche Bildungen zu produciren. Gewöhnlich gelingt
es aber doch, durch wiederholtes Entfernen auf endolaryngealem Wege den
Patienten vor schweren Zufällen zu bewahren, bis endlich die Disposition zur
Kecidive erlischt. Ich hatte selbst solche Patienten bis sechs Jahre lang in
Behandlung, die endlich nach vielen Recidiven doch noch geheilt wurden.
Die Symptome bestehen in Heiserkeit, wenn die Papillome an den
Stimmbändern oder zwischen ihnen sitzen oder wenn sie das ganze Lumen
ausfüllen. Athembeschwerden treten natürlich nur bei ausgebreiteten solchen
Wucherungen auf.
Die Diagnose ist nach dem Gesagten leicht. Bei der Differentialdia-
gnose hat man namentlich das Carcinoma und die papillären Wucherungen
zu berücksichtigen, die bei tuberkulösen, syphilitischen und lupösen Erkran-
kungen vorkommen. Gegen Carcinoma ist die Abgrenzung nur schwer im
Anfange. Das Carcinom kann nämlich manchmal als eine umschriebene papilläre
Stimmbandgeschwulst beginnen, welche ganz dem gewöhnlichen Papilloma
gleicht. Dieselbe wird natürlich exstirpirt, und nun zeigt die histologische
Untersuchung den Charakter sicher an.
Es kann dabei der Larynx sonst vollständig gesund erscheinen. Ge-
wöhnlich aber wird das in papillärer Form beginnende Carcinom sehr blut-
reich erscheinen, die Beweglichkeit des Stimmbandes sehr bald beeinträch-
tigen, bei der Exstirpation verhältnismässig stark bluten und schnell an dem-
selben Orte recidiviren. Aeltere Formen des Krebses sind leicht zu erkennen
an dem Vorhandensein eines grossen Tumors, welcher blumenkohlartig oder
höckerig einzelne Theile des Larynx substituirt, oft ulcerirt, und bald Blutun-
gen und Schlingbeschwerden veranlasst; kommen dazu noch angeschwollene
Drüsen, so steht die Diagnose ganz sicher.
Gegen andere papilläre Wucherungen, die durch Tuberkulose, Lupus
oder Syphilis veranlasst sind, wird die Abgrenzung erleichtert durch das Vor-
handensein von entzündlichen oder geschwürigen Veränderungen im Kehlkopf
selbst, dann durch das Auftreten von Erscheinungen im Rachen, in der Nase
oder endlich in den Lungen oder am ganzen Körper. Doch gibt es seltene
Fälle von isolirten, ganz umschriebenen warzigen Wucherungen infolge von
Tuberkulose, welche nur durch histologische Untersuchung diagnosticirt
werden können.
Prognose. Dieselbe ist günstig, was das Leben anbelangt, wenn nicht
etwa schon hochgradige Stenose vorhanden ist. Dagegen kann man nie sicher
auf das Ausbleiben von Recidiven rechnen.
Therapie. Dieselbe besteht in der Exstirpation: bei beschränkter Zahl
und geringer Grösse der Papillome ist sie leicht in ähnlicher Weise wie bei
474 PAPILLOME DER NASENHÖHLE.
den Fibromen vorzunehmen. Doch muss nachträglich die Basis recht ener-
gisch abgekratzt oder geätzt werden. Zu Aetzungen ist hier sehr häufig der
Lapis infernalis unzureichend und Kali causticum oder der Galvanokauter vor-
zuziehen. Bei grossen gestielten Tumoren wird man zur Exstirpation zweck-
mässig die Schlinge verwenden. Nur muss man Sorge tragen, dass die
Geschwulst nicht in die Trachea fällt. Bei sehr grossen und zahlreichen
Wucherungen mit Stenose muss wegen Erstickungsgefahr mit grosser Vor-
sicht vorgegangen werden. Oefters ist man in solchen Fällen gezwungen,
die Tracheotomie vorzunehmen, wenn es nicht gelingt, durch Intubation das
Athemhindernis zu beseitigen; doch lässt sich die letztere manchmal nicht
anwenden, wenn nämlich die Geschwulst weit über den Kehlkopfeingang
hervorragt. Es ist daher in soeben Flällen immer alles zur Tracheotomie
bereit zu halten. Gewöhnlich gelingt aber die endolaryngeale Operation, die
man auch nach ausgeführter Tracheotomie noch fortzusetzen hat, bis endlich
alle "Wucherungen entfernt sind.
Dies erfordert grosse Geschicklichkeit und Geduld, namentlich bei
Kindern. In solchen Fällen konnte man sich manchmal durch Einführung
gefensterter Tuben nach O'Dvv^yer und Lichtw^itz helfen, indem nämlich
in den Fenstern beim Extubiren Stücke der Neubildung hängen bleiben; diese
Schwierigkeiten bei der endolaryngealen Operation haben namentlich die Chi-
rurgen veranlasst, den Kehlkopf zu spalten und dann die Neubildung sammt
ihrer Basis vollständig wegzuschneiden. Doch hat man auch hier häufig
Recidiven gesehen, welche wiederholte Laryngofissur nöthig machten, wobei
oft die Stimmbänder verletzt wurden. Daher geht man von dieser Behand-
lungsmethode immer mehr ab. Es empfiehlt sich also nach dem Gesagten,
durch wiederholte endolaryngeale Operationen, sei es ohne oder nach Vor-
nahme der Tracheotomie, eventuell mit Intubation die Papillome so lange zu
behandeln, bis sie endlich nicht mehr wiederkehren. Man vermeidet dadurch
am leichtesten dauernde Störungen der Stimmbildung. chiari.
Papillome der Nasenhöhle. Die Papillome der Nasenhöhle theilt
man in fibröse oder weiche und epitheliale oder harte Papillome ein.
a) Die fibrösen oder weichen Papillome.
Es war Hopmann, der zuerst auf die klinischen und anatomischen Eigen-
schaften dieser Nasengeschwülste aufmerksam gemacht hat. Das fibröse Nasen-
papillom stellt einen röthlichen, auch gelbrothen breitaufsitzenden Tumor dar
mit leicht gelappter papillärer Oberfläche, an Grösse und Gestalt einer Maul-
beere ähnlich; die einzelnen papillären Läppchen der Geschwulst sehen oftmals
wie kleine glasige Schleimpolypen aus und der ganze Tumor macht dann den
Eindruck „kleiner beerenartiger Polypchen, die auf etwas breiter Basis aufsitzen";
die Läppchen selbst liegen ziemlich dicht aneinander und gehen immer von
einer centralen dickeren Gewebsbasis aus, die breit und ohne deutliche Stiel-
bildung der Schleimhaut aufsitzt. Die Geschwulst, die man ihrer Form und
Structur nach auch weiche Warze nennen kann, ist durchschnittlich erbsen-
bis haselnussgross, kann aber auch die Grösse eines Hühnereies erreichen;
im allgemeinen wachsen diese Geschwülste sehr langsam. Wir finden die
Papillome ausschliesslich an der unteren Muschel, meist an deren vorderem
und mittlerem Theile, am freien medianen Bande oder an ihrer concaven
Fläche, unter anderem auch an der Einmündungssteile des Thränennasenganges;
sehr selten dagegen sitzen dieselben an der convexen Muschelfläche; oftmals
ist es nur eine einzelne Geschwulst, andere Male finden sich mehrere an den
verschiedenen Theilen der unteren Muschel und in noch anderen Fällen ist
die Muschelschleimhaut in ihrer ganzen Ausdehnung von hirsekorn- bis bohnen-
grossen, weichen Warzen besetzt, gleichsam papillomatös degenerirt.
PAPILLOME DER NASENHÖHLE.
475
Bei der mikroskopischen Untersuchung finden wir an der Basis
und im Centrum dieser papillomatösen Fibrome alle ßestandtheile der Nasen-
schleimhaut; zuweilen prävalirt das Bindegewebsstroma oder auch die Drüsen
und die cystösen Erweiterungen der Drüsengänge; andere Male sind die Blut-
gefässe in etwas grösserer Zahl vorhanden und theilweisc stark erweitert.
Das fibröse Gewebe ist ziemlich locker, aber nicht areolär wie die ödematöse
Form des Nasenpolypen; an den peripheren Läppchen jedoch trifft man die
gleiche, maschenartige Bindegewebsstructur des gewöhnlichen Schleimpolypen.
Im Gewebe der Papillome liegen viele Leukocyten, die besonders zahlreich
unter dem Epithel sied; derartige Zellen finden sich nur spärlich in dem ein-
fachen Nasenpolypen sowohl, wie auch in der normalen Muschelsclileimhaut.
Die Geschwulst mit allen ihren lappenförmigen Theilen ist vom cylindrischen
Flimmerepithel der normalen Nasenschleimhaut überzogen; an einzelnen Stellen
fand Zarniko Uebergangs- und selbst Pflasterepithel. Das Hineinwachsen der
Epitheldecke in die Geschwulstmasse ist es, wodurch die papilläre Form der
Neubildung zu Stande kommt, (s. Fig.)
Im Centrum der einzel-
nen Läppchen, deren fibröses
Stroma gleichfalls zahlreiche
Rundzellen enthält, verlaufen
dicke Blutcapillaren, die von
den erweiterten Venen der Ge-
schwulstbasis stammen.
Die äussere papilläreForm
dieser fibrösen Geschwulst, so
wie auch ihr exclusiver Sitz an
der unteren Muschel sind es,
die ihre Trennung von den
gewöhnlichen Schleimpolypen
und ihre Benennung „fibröses Papillom oder auch papilläres Fibrom'
fertigen.
Wie schon wiederholt hervorgehoben, finden wir diese Papillome nur an
der unteren Muschel, an welcher der gewöhnliche Schleimpolyp fast nie beob-
achtet wird; ob es das cavernöse Schwellgewebe dieser Muschel oder ihre vielen
acinösen Drüsen mit dem reichlichen Epithel sind, welche die Entwicklung
dieser weichen Warzen begünstigen, oder ob der chronische Reizzustand in-
folge der durch die bei der Athmung der unteren Muschel leicht sich nieder-
schlagenden Staub- und Schmutztheilchen diese Bildungen verursacht, wissen
wir nicht; jedenfalls beobachtet man häufig neben diesen Papillomen die
Zeichen einer atrophischen Rhinitis, und es wäre nicht unmöglich, dass die
schleimigeitrige Secretion dieser Krankheit sich grösstentheils in dem unteren
Nasengange ansammelt und dort einen chronischen Reiz bedingt, dessen Folge
das langsam wachsende Papillom mit seinen gewucherten Schleimhaut- und
Epithelelementen ist. Es ist oftmals recht schwer festzustellen, ob bei solchen
Kranken der eitrige Nasenkatarrh vor oder nach der Bildung solcher Papil-
lome vorhanden war; jedenfalls findet man häufig da, W'O Papillome vorhan-
den sind, eine mehr weniger ausgesprochene Atrophie der Nasenschleimhaut;
auf der anderen Seite aber sehen wir unzählige Fälle von Ozaena, bei denen
jede Spur eines Papilloms oder einer papillomatösen Degeneration der unteren
Muschel fehlt.
Diese Geschwulstart findet sich meist nur in einer Nasenseite, erreicht
niemals eine so beträchtliche Grösse oder kommt in so überaus grosser
Zahl vor, dass die betreffende Nasenhälfte undurchgängig wird; meist sind
mehrere Papillome vorhanden. Sie kommen viel seltener zur Beobachtung
Fibröses Papillom der unteren Muschel aus der rechten Xase
eines 4ijährigen Mannes.
recht-
476 PAPILLOME DER NASENHÖHLE.
als der gewöhnliche Schleimpolyp; auf circa 20 Fälle der letzteren Geschwulst-
form kann man höchstens einen Fall von Papillom rechnen.
Die Beschwerden des schleimig-eitrigen Nasenkatarrhes sind es, welche
diese Papillompatienten in erster Linie behelligen: Verstopfung einer Nasen-
hälfte durch Borkenbildung, Trockenheit im Halse, Räuspern, Hustenreiz,
Würgen, leichte Heiserkeit, Ermüdung beim Sprechen, kurz alle Symptome,
me sie dem atrophischen Nasenrachenkatarrhe zukommen und dessen ander-
weitige Läsionen wir auch häufig bei der Untersuchung der Nase und des
Halses vorfinden. Die Beobachtung Hopmann's, dass solche Patienten häufig
und heftig aus der Nasenseite bluten, wo die Papillome sitzen, habe ich nur
ganz selten bestätigen können; dagegen fand ich in einigen Fällen, die vom
Augenarzte wegen eines hartnäckigen Thränenleidens des einen Auges unserer
Klinik zugewiesen worden waren, dass ein weiches Papillom die Ausgangs-
öffnung des Thränennasencanales verlegte.
Bei der vorderen Rhinoskopie erkennt man das fibröse Papillom sehr
leicht an seiner himbeerähnlichen Form und Farbe und vor allem auch an
seinem Vorkommen im Bereiche der unteren Muschel, wo andere Neubil-
dungen nur ausnahmsweise zur Beobachtung kommen; die nicht selten vor-
handene hypertrophische Anschwellung des vorderen oder hinteren unteren
Muschelendes lässt sich bei ihrem grösseren Volumen, ihrer glatten Ober-
fläche, ihrer Unbeweglichkeit von dem kleineren, lappigen Papillom leicht
unterscheiden.
Man extrahirt die Papillome am besten mit der Glühschlinge, theils um
stärkere Blutungen zu vermeiden, theils um die Tumorbasis zu gleicher Zeit
zu zerstören und allenfallsige Recidive zu verhüten, die nicht selten an der-
selben Stelle wieder auftreten. Mit der kalten Schlinge hatte ich in einigen
Fällen recht starke Blutungen. Nach Ausräumung der Nase muss der chro-
nische, atrophische Nasenkatarrh in geeigneter Weise behandelt werden.
b) Das epitheliale oder harte Papillom.
Im Gegensatz zu dem verhältnismässig häufigen weichen oder fibrösen
Papillom der Nase sind nur wenige Fälle (Hopmann, Michel, Verneuil,
V. BüNGNER, Heymann, Kahn, Zarniko, Aysaguer, Kisselbach, Weil, Hell-
mann) des harten oder epithelialen Papillomes in der Nase bekannt
geworden. Bei allen diesen Tumoren handelt es sich trotz ihres atypischen
Baues um gutartige Geschwülste. In den bis jetzt veröffentlichten Fällen war
das Papillom entweder am vorderen Abschnitte oder im oberen Theile der Nase
entstanden, hatte aber bald durch sein ungemein schnelles und mächtiges
Wachsthum die Muschelgebilde verdrängt und das Nasengerüste stark aufge-
trieben. Die Gesch\vulst stellt eine grauröthliche, blumenkohlartige Masse dar
mit vielen zottigen und papillären Auswüchsen. In dem einen Falle von
Hopmann war der Tumor von der äusseren Nasenöffnung, im anderen vom
Siebbein ausgegangen; v. Büngner beschreibt sehr ausführlich eine derartige
„Hornwarzengeschwulst", die am oberen Abschnitte des knorpeligen und
knöchernen Septum und am Nasendache entstanden war und sich zu einer
enormen Grösse entwickelt hatte; bei dem 45-jährigen Patienten Kahn's war
der hühnereigrosse, gefässreiche, epitheliale Tumor mittels breiten Stieles von
der unteren und vorderen Fläche der mittleren Muschel entsprungen; der von
Kiesselbach als Epithelioma papilläre der mittleren Muschel mitgetheilte
Fall gehört bei seinem gutartigen Verlaufe und der Abwesenheit jeder Drüsen-
schwellung trotz seiner Recidive zu diesen harten Papillomen; auch in der
Beobachtung Verneuil's muss es sich bei der langen Dauer der Erkran-
kung um ein hartes Papillom gehandelt haben, wenn auch der Tumor trotz
ausgiebigster Eröffnung der Nasenhöhle immer mehr am sich griff' und schliess-
lich die Lamina cribriformis des Siebbeins zerstörte.
PARALYSIS MÜSCULORUM LARYNGIS. 477
Im ganzen also kommt das harte Papillom, das im ViKCnovv'schen
Sinne einzig und allein als Papillom bezeichnet werden dürfte, sehr selten in
der Nase vor; seine Prädilectionsstelle ist der Naseneingang, also da, wo die
äussere Haut mit ihrem PÜasterepithel noch eine kleine Strecke weit in das
Naseninnere übergreift; zu seiner Entwicklung bedarf diese Geschwulstform
eines Mutterbodens mit geschichtetem Pfiasterepithel; wo immer es sich in
den tieferen Theilen der Nase entwickelt, wie in den meisten obigen Phallen,
muss das dort vorhandene Cylinderepithel eine Umwandlung in PHasterepithel
erlitten haben, wie dies auch von einigen Autoren für das Cholesteatom des
Mittelohres angenommen wird und wie dies nach Schuciiardt auch bei der
Rhinitis atrophicans stattfindet; in Wirklichkeit bestand in den Fällen von
Hopmann und v. Büngner eine derartige chronische Nasenerkrankung mit
Metaplasie des normalen Cylinderepithels in mehrschichtiges Plattenepithel
und mit Psoriasis der Septumschleimhaut, auf deren Boden sich das harte,
exquisit hornige Papillom entwickelt hatte.
Bei der mikroskopischen Untersuchung dieser Papillome finden
■wir in den centralen Theilen ein spärliches Bindegewebsstroma, zu welchem
von der Oberfläche her zahlreiche gefässführende, mehr weniger dicke, theils
isolirte, theils fest aneinander gelagerte Bindegewebskegel stossen, die alle
mit einem epidermisähnlichen, theilweise sogar verhornten Plattenepithel
überzogen sind; der Epithelüberzug ist scharf gegen das Bindegewebe abge-
grenzt und dringt an keiner Stelle in dasselbe ein. Wir haben es demnach
mit einer epithelialen Neubildung zu thun, bei der das Epithel dem Binde-
gewebe gegenüber prävalirt; jene concentrisch angeordneten Hornzellen, die
sogenannten Cancroidperlen, wie wir sie sonst in den harten Papillomen z. B. im
äusseren Ohre finden, sind bei den Nasenpapillomen nicht beobachtet worden.
Alle bisherigen Beobachtungen sprechen dafür, dass das epitheliale
Papillom trotz seiner oft mächtigen Ausbreitung und seiner hartnäckigen
Recidive eine gutartige Neubildung ist, ferner dass dasselbe nicht wie das
Sarcom und Carcinom zerfällt oder in Verschwärung übergeht und schliesslich,
dass es durch eine vollständige Exstirpation vermittelst des scharfen Löffels,
sei es per vias naturales oder durch Aufklappen der Nase vollständig geheilt
werden kann. kühn.
ParalysiS mUSCUlorum laryngis. {KehmopfmuskelWimungen.) Das
Capitel von den Nervenkrankheiten des Kehlkopfes gleicht gegenwärtig, wie
Semon in einer kürzlich erschienenen Monographie über diesen Gegenstand
ausführt, einem ausgedehnten Baugrunde, in welchem viele Baumeister gleich-
zeitig, aber nicht nach einheitlichem Plane thätig sind.
Die Anatomie und Physiologie der Innervation des Kehl-
kopfes weist eine Reihe unklarer, strittiger Momente auf. Ohne auf die
Darstellung der letzteren näher einzugehen, wollen wdr im Nachfolgenden
möglichst dogmatisch die wichtigsten Thatsachen der Neuropathologie des
Kehlkopfes mittheilen.
Aetiologie. Die Kehlkopfmuskellähmungen pflegt man in neuropa-
thische und myopathische einzutheilen, je nachdem sie durch Erkran-
kungen der Kehlkopfmusculatur oder der Kehlkopfnerven bedingt sind.
Als Ursachen für Kehlkopfmuskellähmungen können wir folgende Er-
krankungen anführen.
1. Erkraiikiiiigen des Centralnerveiisystemes. Darunter sind jene
Affectionen verstanden, welche die Medulla oblongata und den Pons betreffen,
sei es, dass es sich um eine Sklerose, um eine Bulbärparalyse oder um Tabes
handelt. In diesen Fällen sind die Kerne des Kehlkopfnerven (Vagus, Acces-
sorius) betroffen. Auch bei Erkrankungen des Grosshirnes (Hämorrhagien)
sind Kehlkopfmuskellähmungen beobachtet worden.
478 PARALYSIS MÜSCDLORÜM LARYNGIS.
Es ist heute durch das Thierexperiment über jeden Zweifel hinaus sichergestellt,
dass der Kehlkopf bis in die Hirnrinde hinauf in Form eines selbständigen „Centrams"
vertreten ist und gerade die Pathologie der Kehlkopfmuskellähmungen dürfte zur Klärung
dieser Frage noch weiter beitragen.
Nach Krause ist es beim Hunde eine Stelle im Gyrus praefrontalis, auf deren
Reizung doppelseitige Annäherung der Stimmbänder erfolgt. Nach Semon befindet sich
am Fasse des aufsteigenden Gyrus frontalis hinter dem unteren Ende des Sulcus praecen-
tralis ein Focus für die Phonationsbewegungen der Stimmbänder. Dieser Focus wird nach
vorne durch den Sulcus praecrucialis, nach unten durch die Fissura Sylvii begrenzt.
Rüssel hat beim Hunde auch ein specielles Gebiet für die Glottiserweiterung in der Hirn-
rinde entdeckt. Dieses Inspirationsgebiet in der Rinde des Hundes liegt dicht bei dem
Phonationsgebiet.
Von der Hirnrinde ziehen die Fasern durch die Corona radiata zur inneren Kapsel.
Die für die respiratorische Function des Kehlkopfs bestimmten Fasern liegen im vorderen
Schenkel und im Kern der Kapsel, die der Phonation dienenden Fasern liegen ebendaselbst,
aber hinter den ersteren.
Onodi hat ein Stimmbildungscentrum beschrieben, dessen Intactheit die Stimm-
bildung und Annäherung der Stimmbänder ermöglicht, selbst, wenn auch oberhalb der-
selben jede Verbindung mit dem Gehirn und Gehirnganglien durchschnitten wurde. Das-
selbe umfasst die hinteren Corpora quadrigemina und den entsprechenden Theil des Bodens
vom vierten Ventrikel. Der OjMODi'sche Befund wird von anderer Seite bestritten (Klem-
PERER, GrABOWER).
2. Erkrankung des Vagus, Accessoriusstammes und deren Aeste.
Gleich nach dem Austritte aus dem Gehirne kann Vagus und Accessorius
durch an der Schädelbasis sitzende Processe betroffen werden {Einisyplülis,
Hirntumoren).
In seinem weiteren Verlaufe kann der Vagus, resp. seine Aeste, Laryn-
geus superior und inferior, betroffen werden: durch Geschwülste am Halse,
Strumen, Oesophaguskrebs, Aneurysmen der Arteria anonyma und subclavia
dextra, Tumoren innerhalb der Brusthöhle etc.
Der Vagus komiut vor dem Processus mastoideus aus der Schädelhöhle
heraus, betheiligt sich an dem Plexus ganglioformis und gibt unterhalb des-
selben den Nervus laryngeus superior ab. Letzterer theilt sich hierauf in
einen Ramus internus und externus. Der Ramus externus versorgt den Mus-
culus cricothyreoideus, der Ramus internus ist sensibler Natur und breitet
sich in der Schleimhaut des Kehlkopfes aus.
Die Frage, ob die Fasern des Ramus externus nicht aus dem Accesso-
riuskern stammen, also dem Vaguskern nicht angehören, ist Gegenstand
jahrelanger Discussion der bedeutendsten Laryngologen und bisher noch un-
entschieden. Es herrscht jedoch kein Zweifel, dass sämmtliche für den Kehl-
kopf bestimmten Nervenfasern nach dem Austritt des Vagus aus dem Foramen
jugulare in dessen Fasern verlaufen.
Nachdem der Vagus sin. den Aortenbogen gekreuzt hat, gibt er den
Nervus recurrens sin. (s. laryngeus inferior sm.) ab, der sich der Hinter-
wand des Bogens nach aufwärts schlingt und zurück zum Kehlkopf läuft. Der
Nervus recurrens dexter {s. laryngeus inferior dexter) entspringt aus dem
Nervus vagus dexter; aber schon dort, wo derselbe die Arteria subclavia über-
quert. Derselbe steigt hinter der Carotis zwischen Trachea und Oesophagus
gegen den Larynx empor. Neuere anatomische Untersuchungen haben ergeben,
dass mit Ausnahme des Musculus cricothyreoideus (s. oben) alle übrigen Kehl-
kopfmuskeln sowohl vom laryngeus inferior (recurrens) als vom laryngeus su-
perior innervirt werden.
Relativ häufig pflegen Aneurysmen des Aortenbogens durch Druck auf
den umschlingenden Recurrens Kehlkopfmuskellähmungen zu erzeugen. Der
rechte Recurrens, welcher sich um die Subclavia schlingt, kann von aneu-
rysmatischen Erweiterungen dieses Gefässes comprimirt werden, ebenso wie
anderseits die rechte Lungenspitze, die sich an dieser Stelle direct dem Nervus
recurrens anschmiegt, bei Schrumpfung ihres Gewebes (Schwielenbildung) eine
rechtsseitige Recurrenslähmung erzeugen kann.
PARALYSIS MUSCULORÜM LARYNGIS.
479
3. Allgemeine Neurosen, namentlich Hysterie.
4. Reflexljihmungen. So beobachtete man Kehlkopfmuskellähmungen
bei Erkrankungen der Mandel, bei Nasenpolypen, bei submaxillaren Lym-
phomen, Helminthiasis, Uteruserkrankungen etc. etc.
5. Infectionskrankheiten: Typhus, Cholera, Diphtherie, Variola, Per-
tussis, Erysipel, Influenza, Malaria, Dysenterie u. a. Höchstwahrscheinlich
handelt es sich in diesen Fällen um specielle Neuritiden.
6. Vergiftungen. Kehlkopfmuskellähmungen sind beschrieben bei Blei-,
Belladonna-, Opium- und Strammonium-Vergiftungen.
Pathologische Anatomie. Die Zahl der makro- und mikroskopischen
Befunde an Muskeln und Nerven bei Kehlkopfmuskellähmungen ist sehr
spärlich. Es handelt sich um degenerative, atrophische Veränderungen (Ver-
fettung; körniger Zerfall, Kernwucherung, Bindegewebshyperplasie). Oft ist die
Muskelveränderung erst die secundäre Folge der länger bestehenden neuro-
pathischen Lähmung.
Symptomatologie und Diagnose. Die Symptomatologie der Kehlkopf-
muskellähmungen wechselt je nach den Muskelgruppen, die von der Lähmung
befallen wurden. AVir unterscheiden folgende Typen von Lähmungen:
1. KeMkopfspiegelbüd bei Lähmung beider
Mm. crico-arytaenoidei postici,
Inspirationsstellung.
Fig. 2. Kehlkopf Spiegelbild bei Lähmung des
rechten M. crico-arytaenoideus posticus.
Fig. 3. Kehlkopfspiegelbild bei Lähmung] der
[Mm. arytaenoidei. Phonationsstellung.
4. Kehlkopfspiegelbild bei Lähmung beider
Mm. thyreo-arytaenoidei interni.
Pbonationsstellung.
a) Lähmung der Musculi, crico-arytaenoidei postici. Das Kehlkopfspiegel-
bild zeigt in Inspirationsstellung, dass die Stimmbänder nicht auseinander-
gehen, sondern sich vielmehr bis auf einen feinen Spalt nähern. Bei einseitiger
Lähmung bleibt das Stimmband auf der gelähmten Seite in der Mittellinie
stehen, während das gesunde nach aussen verzogen wird, so dass die Stimm-
ritze einen dreieckigen Spalt bildet.
h) Lahmung der Musculi arytaenoidei. Das Kehlkopfspiegelbild zeigt
beim Phoniren, dass die Stimmbänder im Bereiche der zwei vorderen Drittel
aneinanderschliessen, im Bereiche des hinteren Drittels einen dreieckigen Spalt
bilden.
c) Lähmung der Musculi arytaenoidei interni. Das Kehlkopfspiegelbild
zeigt bei der Phonation, dass das Stimmband im Bereich der Glottis vocalis
480
PARALYSIS MüSCULORüM LARYNGIS.
(die vorderen zwei Drittel der Stimmbänder) eine ovale Spalte bildet. Bei
der einseitigen Form bildet das gesunde Stimmband eine gerade Linie, wäh-
rend das gelähmte eine Einbuchtung aufweist.
Sind gleichzeitig die Musculi arytaenoidei gelähmt, so bleiben bei Pho-
nationsversuchen sowohl die Glottis ligamentosa als auch die Glottis carti-
laginea offen. Die vorderen zwei Drittel der Stimmbänder bilden einen ovalen,
das hintere Drittel einen dreieckigen Spalt.
d) Lähmung der Musculi thyreo- anjtaenoidei lat. Die isolirte Lähmung
dieser Muskel lässt sich durch den Kehlkopfspiegel nicht erkennen. Das
gleiche gilt
Fig. 5. Kehlkopfspiegelbild bei Lähmung des
1. M. thyreo- arytaenoideus internus (Phonation).
Fig. 6. Lähmung beider M. thyreo-arytaenoid.
interni und beider M. arytaenoidei.
Fig. 7. Kehlkopfspiegelbild bei doppelseitiger
Kecurrenslähmung. Stimmbänder in Cadaver-
stellimg.
Fig. 8. Kehlkopfspiegelbild bei linksseitiger Ke-
currenslähmung mit Atrophie des gelähmten
Stimmbandes. Inspirationsstellung n. v. Ziemssen.
Fig. 9. Kehlkopf Spiegelbild bei linksseitiger Be-
currenslähmung. Inspirationsstellnng.
Flg. 10. Kehlkopfspiegelbild bei linksseitiger
Kecurrenslähmung in Phonationsstellung mit^
Ueberkreuzung der Giessbeckenknorpel.
e) von der Lähmung der Musculi thyreo-arytaenoidei externi.
f) Lähmung des ganzen Nervus recurrens. Das gelähmte Stimmband
bleibt sowohl bei der In- und Exspiration, als auch bei der Phonation un-
beweglich in gleicher Stellung stehen; in einer Position, welche in der Mitte
zwischen der inspiratorischen Aussensteilung des Stimmbandes und der Median-
linie des Kehlkopfes liegt {Cadaverstellung der Stimmbänder). Bei der Phona-
tion überschreitet das gesunde Stimmband die Mittellinie und sucht sich dem
gelähmten bis zur Berührung zu nähern. Die Glottis bildet dabei einen
PARÄLYSIS MUSCüLORUM LARYNGIS. 481
schrägen Spalt, dabei findet häufig eine Ueberkreuzung der Giessbecken-
knorpel statt, und zwar steht gewöhnlich das gelähmte Stimmband vor dem
gesunden, also im laryngoskopischen Bilde nach innen.
Das weitaus häufigste ursächliche Moment der linkssei tigen, totalen
Recurrenslähmung ist das Aneurysma des queren Theiles der Aortenbogens,
bei re eh ts ei tig er, peripherer Recurrenslähmung muss man an pleuritische
Schwielenbildung um die rechte Lungenspitze denken.
Bei doppelseitiger Recurrenslähmung sind die beiden Stimmbänder
in Cadaverstellung. Das Sprechen ist ein unartikulirtes Brummen oder ein
Flüstern, Flüssigkeiten gerathen durch die offene Glottisspalte in den Kehlkopf
und erzeugen Hustenstösse.
g) Lähmung der Musculi cricothyreoidei. Dieselbe ist entweder Symptom
einer Vaguslähmung oder einer isolirten Lähmung des Nervus laryngeus supe-
rior. Die letztere kommt hauptsächlich nach Diphtherie vor. Die Stimme der
Kranken ist tief und rauh und es ist ihnen unmöglich, hohe Töne zu repro-
duciren. Bezüglich des laryngoskopischen Bildes gehen die Angaben der Autoren
weit auseinander. Bei einseitiger Lähmung des Musculus crico-thyreoideus
haben Riegel und Semon Niveaudifferenzen der Stimmbänder gesehen, indem
bei der Phonation das afficirte Stimmband tiefer steht als das gesunde. Böse
beschrieb sichtbaren Mangel der Stimmbändervibrationen, Makenzie ein Sicht-
barwerden der Processus vocales, Kieselbach Auswärtsdrehung des Giess-
beckenknorpels. Bei der doppelseitigen Form ist nach Schrötter ein Klaffen
der Glottis bei der Phonation in ihrem ligamentösen Antheile zu sehen.
h) Lähmmig der Musculi thyreo-argepiglottici kommt häufig vereint mit
einer Lähmung der Musculi crico-thyreoidei vor. Dieses Muskelpaar hat
die Aufgabe, den Kehldeckel über den Larynxeingang nach rückwärts zu ziehen
und dadurch das Hineingelangen von Speisen ins Kehlkopfinnere zu hindern.
Das Kehlkopfspiegelbild zeigt Unbeweglichkeit des Kehldeckels.
i) Lähmung des ganzen Nervus laryngeus superior setzt sich aus den
Symptomen zusammen, die in g und h beschrieben wurden, dazu kommt noch
Anästhesie der Kehlkopfschleimhaut von der unteren Schlundregion bis zu
den Stimmbändern herab.
Prognose. Die Vorhersage der Kehlkopfmuskellähmungen richtet sich
nach der Grundursache. Am gefährlichsten ist die Lähmung der Musculi
erico-arytaeuoidei postici.
Therapie. Dieselbe ist zunächst eine causale; da Kehlkopfmuskel-
lähmungen auch reflectorisch entstehen können, so muss das ursächliche
Moment auch zuweilen an einem entfernten Organ (Uterus) beseitigt werden.
Bei diphtheritischen Lähmungen sind Strgchnininjectionen (O'l : 10-0, 1—5 Theil-
striche subcutan) versucht worden. Von Valleix, Gerhardt, Levisün beschrie-
bene Fälle von intermittirender Stimmbandlähmung sollen nach
Chiningebrauch geschwunden sein.
Die locale Behandlung muss zunächst auf einen complicirenden Katarrh
einwirken. Direct angreifend wirkt die Elektricität; die Art und Weise, in
welcher die Elektricität bei Kehlkopfmuskellähmungen verwendet wird, ist aus-
führlich im Artikel ^Elektro-Lary7igo-Therapie'' (pag. 111 dieses Bandes)
beschrieben.
Bei Lähmung der Musculi crico-arytaenoidei postici muss, wenn Er-
stickungsgefahr droht, die Tracheotomie ausgeführt werden, als Ersatz
derselben wurde in einzelnen Fällen auch die Intubation versucht.
jüL. weiss.
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten. öl
482 PARESIS VELI PALATINI.
ParesiS veli palatini. Aetiologie. Eine Lähmung der Rachen-
muskulatur kann centralen oder peripheren Ursprungs sein. Acute und
chronische Krankheiten des Gehirns, Geschwülste, Blutungen bei Apoplexie,
die den Vago-Accessorius drücken, degenerativ- atrophische Processe des Ge-
hirns und der Medulla, Bulbärparalyse, Tabes, multiple Sklerose, amyatro-
phische Lateralsklerose, ferner Tumoren an der Schädelbasis, besonders in der
Gegend des Foramen jugulare, und ähnliche Erkrankungen können eine Schlund-
lähmung herbeiführen. Auch eine Schädigung des Nervus facialis in seinem
centralen Ende bis zum Ganglion geniculi ist oft mit einer Gaumenlähmung
complicirt. Weiterhin ist diese beobachtet worden bei Bleiintoxicationen, In-
fluenza und Typhus.
Zu den peripheren Ursachen zählt vor allem die Diphtherie; auch nach
einfachen Anginen habe ich eine Gaumensegellähmung zuweilen beobachtet,
wobei ich freilich dahin gestellt sein lassen muss, ob in den aus den Lacu-
nen der Tonsille heraustretenden Secrettröpfchen Diphtheriebacillen vorhan-
den waren. Ferner kann eine Bewegungsbeschränkung veranlasst werden
durch besonders im sagittalen Durchmesser vergrösserte Tonsillen, die rein
mechanisch die vollständige Hebung des Gaumensegels hindern, und durch
entzündliche Processe in seiner Muskulatur, vor allem durch eine Periton-
sillitis.
Die Lähmung des Gaumensegels ist entweder eine einseitige oder doppel-
seitige, eine vollständige (Paralysis) oder unvollständige (Paresis).
Auch bei der doppelseitigen Lähmung sieht man dieselbe nicht selten
auf der einen Seite mehr ausgesprochen als auf der anderen.
Symptome. Bei doppelseitiger, vollkommener Lähmung besteht abso-
lute Unbeweglichkeit; die Phonationsstellung des Velum unterscheidet sich
in nichts von der Ruhestellung. Bei incompleter, beiderseitiger Parese da-
gegen bemerkt man ein träges Hinaufsteigen des Gaumensegels, aber nur bis
zu einem Bruchtheil des Weges, den es bei normaler Function zurücklegt,
so dass ein mehr oder minder breiter Raum zwischen ihm und der hinteren
Rachenwand übrig bleibt. Ist die Lähmung auf einer Seite vollständiger als
auf der anderen, so weicht die Raphe nach der letzteren hin von der Mittel-
linie ab.
Bei einseitiger Erkrankung wird das Velum nach der gesunden Seite hin
verzogen, so dass die Raphe einen nach der kranken Seite hin offenen Bogen
macht. Die Arkade ist dementsprechend auf der letzteren breiter und tiefer
als auf der gesunden.
Die Lähmung macht sich bemerkenswert durch eine Störung der Sprache
und des Schluckactes. Während erstere bei vollständiger doppelseitiger Para-
lyse absolut nasal (Rhinolalia aperta) klingt, manche Worte geradezu unver-
ständlich gesprochen werden, hat sie bei incompleter Lähmung nur einen
nasalen Beiklang, ähnlich wie bei einseitiger Functionsstörung. Das Gurgeln,
Backenaufblasen und ähnliche Verrichtungen, zu deren Ausführung der Ab-
schluss der Mund- und Schlundhöhle vom Nasenrachen Erfordernis ist, sind
erschwert oder unmöglich.
Flüssigkeiten, die geschluckt werden sollen, gelangen wegen des Offen-
bleibens der Pforte zum Nasenrachen in diesen und von da in die Nase
hinein, so dass sie aus den Nasenlöchern herausgeschleudert werden, und zwar
gelangen sie bei einseitiger Lähmung aus dem Nasenloche, das der gelähmten
Seite entspricht.
Häufig ist die Gaumensegellähmung mit einer solchen der Constrictores
pharyngis und der Muskulatur des tieferen Schlundes complicirt; im ersteren
Falle bleibt beim Schlucken die Schleimhaut auf der gelähmten Seite glatt,
runzelt sich nicht und der Schlund erscheint erweitert; im letzteren bleiben
die Bissen im Schlünde stecken und können zu Erstickungsanfällen führen
PEMPHIGUS LARYNGIS, OPJS ET PIIARYNGIS. 483
Die Diagnose ist nach dem Gesagten leicht zu stellen; jedoch ist darauf
zu achten, ob die mangelhafte Beweglichkeit des Velum mit ihren I'olge-
erscheinungen nicht zurückzuführen ist auf eine Tonsillenhyperplasie, eine
tuberkulöse oder syphilitische Infiltration des Gaumensegels oder entzündliche
Vorgänge an demselben.
Auch adenoide Wucherungen und Retronasalpolypen können mechanisch
die Hebung des Velum beeinträchtigen.
Was die Eruirung des Sitzes der Ursache betrifft, so gibt uns die elek-
trische Prüfung einen Anhaltspunkt. Während nämlich bei centralen Läh-
mungen die elektromotorische Erregbarkeit normal bleibt, nimmt sie bei voll-
ständiger peripherer Lähmung rasch ab.
Die Prognose ist abhängig von der Grundursache; ist diese eine cen-
trale, so ist die Prognose infaust, ist die Lähmung eine periphere, so ist die
Vorhersage günstig.
Die Behandlung richtet sich natürlich nach der Ursache. Im übrigen
verspricht uns die Anwendung der Elektricität den meisten Erfolg. Daneben
empfehlen sich subcutane Strychnininjectionen. Bei den schweren Lähmungen
ist man zuweilen zu künstlicher Ernährung gezwungen.
A. liOSENBEKG.
Pemphigus laryngis, OriS et pharyngiS. Die Aff^ectionen der Schleim-
häute des Mundes, wie derjenigen der oberen Luftwege spielen in dem Krank-
heitsbilde des Pemphigus vulgaris in allen seinen Gestaltungsformen eine
nicht unbedeutende Rolle. Nicht gar selten bieten sie sogar während eines
grossen Theiles des Krankheitsverlaufes die hervorstechendsten Symptome, sei
es, dass es sich um einen benignen Pemphigus vulgaris, oder, was häufiger
ist, um eine maligne Art desselben, um den Pemphigus foliaceus oder Pem-
phigus vegetans handelt. Das sich darbietende Krankheitsbild kann ein ver-
schiedenes sein, jedoch handelt es sich nur um graduelle Differenzen desselben
Processes. Das eigentliche Charakteristicum des Pemphigus vulgaris, die
etwas schlappe Blase, fi^nden wir relativ selten. Es bedeutet das nicht, dass
es auf der Schleimhaut nicht zur Bildung derselben käme; es ist das viel-
mehr leicht so zu erklären, dass das Epithel der Schleimhäute im Vergleich
zu demjenigen der äusseren Haut sehr zart und dementsprechend leichter ver-
letzlich ist. Unter dem Einflüsse der Kau- und Sprechbewegungen, also rein
mechanischer Momente, kommt es schnell zu einer Zerstörung der Blasen-
decke, noch bevor die Blase von dem Kranken beachtet oder vom Arzt be-
obachtet ist. Die relativ geringe Schmerzhaftigkeit der Blase gegenüber den
im weiteren zu schildernden Veränderungen begünstigt das Unbeachtetbleiben.
Jedoch gilt dieses nicht für alle Fälle, denn zuweilen findet man, zumal
wenn erst die Aufmerksamkeit des Kranken darauf gelenkt ist, ganz intacte
Blasen von verschiedener Grösse. Vielfach mag allerdings auch die Blase
von vornherein gefehlt haben, nämlich w^enn die Exsudation keine besonders
umschriebene und lebhafte ist und nicht stürmisch einhergeht. Dann findet
man gleich das auch nach vorangegangener Zerstörung etwaiger Blasen hervor-
tretende Bild. Man sieht weisslich grau belegte Schleimhautstellen, die mit
Membranen bedeckt sind, welche croupösen oder diphtheritischen Membranen
ähneln. Entfernt man diese Auflagerungen, die aus Epithelmassen und De-
tritus bestehen, so bietet sich uns eine epithellose, excoriirte, wunde, leicht
blutende, geröthete, zuweilen etwas unebene Schleimhaut dar, die sehr schmerz-
empfindlich ist. Die Oberfläche dieser erodirten Stelle ist zuweilen etwas
trocken, sodass dieselbe wie überfirnisst erscheint. Die Entfernung der Auf-
lagerungen macht übrigens bald mehr, bald weniger Schwierigkeiten. Einfach
wegzuwischen sind sie in keinem Falle; zuweilen haften sie sogar sehr fest.
Die Umgebung der so veränderten Schleimhautstellen kann ganz normal sein;
31*
484 PEMPHIGUS LARYNGIS, ORIS ET PHARYNGIS.
in anderen Fällen ist sie etwas entzündlich geröthet und geschwellt. Nur wo
die Schleimhaut durch sehr lockeres Bindegewebe an die von ihr überzogene
Unterlage befestigt ist, kann es zu stärkerer Exsudation in der Umgebung,
zu starkem Oedem kommen. Das ist möglich an den Gaumenbögen, vor allem
aber im Larynxeingang und an den falschen Stimmbändern.
Man darf nicht annehmen, dass die wunde Schleimhaut stets erst nach
künstlicher Entfernung sichtbar wird. Auch spontan stossen sich die Epithel-
massen ab und legen so die Schleimhaut blos. Sind eine Reihe von Schleim-
hautstellen gleichzeitig an Pemphigus erkrankt, dann bekommt man oft, wenn
man die Schleimhaut betrachtet, ein buntes Bild zu sehen: Blasen, croup-ähn-
lich belegte Stellen, Excoriationen findet man gleichzeitig neben einander.
Localisirt sich Pemphigus an der Schleimhaut des Mundeinganges, dann
kommt es unter dem eintrocknenden Einflüsse der äusseren Luft leicht an
den Lippen zur Krustenbildung. Bei den Bewegungen des Mundes bilden
sich, wie bei vielen entzündlichen Affectionen dieser Stelle, an den Lippen
leicht Fissuren und Rhagaden, die ausserordentlich schmerzhaft sind. Bevor-
zugt sind in dieser Richtung, wie immer, die Mundwinkel. Die Ausdehnung
der einzelnen afficirten Schleimhautstelle ist gewöhnlich keine grosse, selten
grösser als ein Zehnpfennigstück. Dennoch kann man ausgedehnte Theile
der Schleimhaut ergrifien finden, da die verschiedenen Efflorescenzen so dicht
gesät sind, dass sie schliesslich confluiren. So sieht man bei einer starken
Eruption zuweilen die ganze Rachenhöhle mit den Membranen wie aus-
tapezirt.
Die weitere Gestaltung des Processes ist folgende: Nach Ab-
stossung der Auflagerungen tritt, nachdem sich die excoriirte Schleimhaut
eventuell noch einmal oder auch wiederholt mit weisslichgrauen, schmierigen
Membranen bedeckt hat, schliesslich eine Epithelisirung ein, die erkrankten
Stellen heilen, und zwar ohne jede Narbenbildung, so dass der frühere Sitz
der Pemphigusaffection gar nicht mehr erkennbar wird, ganz wie es meistens
auf der äusseren Haut der Fall ist. Ein anderer Verlauf zählt zu den Aus-
nahmen. Dabei kann es dann zur Granulationswucherung kommen, ähnlich
wie beim Pemphigus vegetans der äusseren Haut. In anderen Fällen tritt ein
geschwüriger Zerfall der ergriffenen Schleimhautstelle ein, wobei ein mehr
oder weniger erheblicher Gewebsverlust stattfindet. In diesen Fällen wiederum
ist natürlich die Narbenbildung unvermeidlich. In der Nasenhöhle hat Land-
graf sogar eine secundäre Zerstörung des knöchernen und knorpeligen Ge-
rüstes beobachtet, was aber ganz vereinzelt scheint. Noch eine andere Mög-
lichkeit bedarf der Erwähnung: die nachfolgende Schrumpfung der Schleim-
haut ohne eigentliche Narbenbildung durch cirrhotische Veränderung des sub-
mucösen Bindegewebes. Dieser traurige Folgezustand, der auf der Conjunctiva
bulbi nach Phemphigus etwas öfter beobachtet ist, hat in einem Falle von
Fuchs infolge einer Schrumpfung der Wangenschleimhaut sogar zur Mund-
sperre geführt. Der Vollständigkeit halber sei schliesslich noch erwähnt,
dass Landgraf in einem Falle von Pemphigus laryngis eine Verwachsung der
vordem Commissur der Stimmbänder eintreten sah.
Charakteristisch ist für den Pemphigus der Schleimhaut, ebenso wie für
denjenigen der Haut, das schubweise Auftreten. Ziemlich plötzlich treten
mehrere kranke Stellen hervor, es kommen einige weitere nach, dann tritt
ein Stillstand ein. Die Efflorescenzen heilen ab, es scheint völlige Genesung
vorhanden. Ein nach kürzerer oder längerer Pause eintretender weiterer
Schub lehrt aber gewöhnlich, das es leider nur eine Täuschung war. Dabei
werden bei den weiteren Attaquen gewöhnlich nicht dieselben Stellen ergriffen,
wie bei den vorigen; die Localisation der Efflorescenzen wechselt. Die Dauer
der einzelnen Eruption ist deshalb eine begrenzte, kann sich aber in malignen
PEMPHIGUS LARYNGIS, ORIS ET PHARYNGIS. 485
Fällen auf Wochen und Monate erstrecken. Es kommen da die grössten
Variationen vor.
Der Einfluss, den der Pemphigus des Mundes, Rachens und Kehlkopfes
auf das Allgemeinbefinden ausübt, hängt ab von der Ausdehnung des Pro-
cesses, seiner Dauer, der Häufigkeit der einzelnen Schübe, der Länge der
Intervalle. Stets ist derselbe aber ein beträchtlicher. Am wenigsten bedeut-
sam, wenn auch sehr quälend ist der zuweilen sehr starke Speichelfluss und
der Foetor ex ore, der ja nicht nur den Kranken, sondern auch seine Um-
' gebung sehr belästigt. Sehr viel schlimmer ist die Beeinträchtigung der Er-
nährung durch die Erschwerung des Kauens und Schluckens. Der Schmerz
ist es, der hier hinderlich ist, er kann sogar so hochgradig werden, dass jede
Nahrungszufuhr verweigert wird. Infolge dessen kommen die Kranken, wenn
es sich nicht gerade um sehr geringe Eruptionen handelt, während derselben
stets sehr herunter, um sich in den Pausen wieder zu erholen, wenn diese
lang genug dazu sind. Sehr wichtig ist das Vorhandensein oder Fehlen von
Temperaturerhöhung. Gewöhnlich fehlt dieselbe bei der Eruption, stellt sich
aber, wenn dieselbe ausgebreitet ist und lange dauert, zuweilen ein, einen inter-
mittirenden Charakter zeigend. Die Consumption ist dann natürlich eine sehr
beschleunigte. Grosse Beschwerden, ja eine directe Lebensgefahr kann ein
sich, wie oben erwähnt, in seltenen Fällen einstellendes Larynxödem be-
dingen. Dass eine Afiection des Larynx von Heiserkeit begleitet ist, die sich
zur Aphonie steigern kann, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung.
Die Häufigkeit der SchleimhautafFectionen bei Pemphigus ist keine sehr
grosse. Da auch der Pemphigus vulgaris an sich kein sehr häufiges Leiden ist,
darf es um so weniger Wunder nehmen, dass nur eine beschränkte Zahl von
Fällen bisher bekannt ist, als es noch gar nicht lange her ist, dass man die
Schleimhäute beim Pemphigus zu beachten angefangen hat.
Wie erwähnt, kann die Schleimhaut bei allen Formen des Pemphigus
vulgaris ergriffen werden; der Zeitpunkt ist ein verschiedener. Bald erkrankt
sie erst im Verlaufe des bis dahin auf die Haut beschränkten Leidens, bald
gehen die Schleimhautveränderungen den Hautanomalien voraus. Es können
Monate, selbst Jahre vergehen, bis die Erkrankung der Haut derjenigen der
Schleimhaut folgt.
Die Diagnose wird da leicht sein, wo das Hautleiden deutlich aus-
gesprochen ist. Die Zusammengehörigkeit der Veränderungen dürfte dann
kaum Zweifel erregen. So lange aber die äussere Haut frei ist, — auf die
Dauer ist das niemals der Fall — können die grössten Schwierigkeiten
sich der Diagnose in den Weg stellen. Jedenfalls vergesse man nie, bei
zweifelhaften Affectionen der sichtbaren Schleimhäute die Haut sorgsam zu
beachten. Hält man sich nur an das locale Krankheitsbild, dann wird man
zunächst die Diphtherie abgrenzen müssen; die ganze Gestaltung, der acute
Verlauf wird letztere leichter erkennen lassen, als der locale Befund. Ferner
müssen ausgeschlossen werden: Herpes, Aphthen, luetische Plaques, Tuber-
kulose. Aehnliche Bilder können auch Soor, Aetzungen mit Schwefelsäure
und Kalilauge geben. Eine sorgsame, klinische Beobachtung, die mikro-
skopische Untersuchung, eventuell auch die Anamnese w^erden die Situation
klären müssen. Wo man die Zweifel absolut nicht bannen kann, da bleibt
schliesslich nichts übrig, als abzuwarten, ob nicht eine Hauteruption mit einem
Schlage das Räthsel lösen wird.
Die Prognose des Pemphigus der sichtbaren Schleimhäute ist insofern
von vornherein eine sehr traurige, als es an sich häufiger die malignen Pem-
phigusfälle sind, zu denen die Schleimhautaffectionen sich hinzugesellen, resp.
welchen die Schleimhautaft'ectionen vorausgehen. Zur Beschleunigung des
Processes tragen sie da bei, wo sie in häufigen Schüben vUnd starker Extension
auftreten. Jedenfalls muss man einen traurigen Schluss stets als wahrschein-
486 PERICHONDRITIS AURICDLAE.
lieh annehmen. Man hüte sich aber, das dem Patienten anzudeuten, da
manchmal grosse, selbst jahrelange Stillstände eintreten können, bevor der
traurige Schlussact folgt.
Die Therapie kann nur eine symptomatische sein, solange wir keine
Heilmittel für Pemphigus kennen. Sorgsames Spülen mit 5%igem Kali chloricum
(Vorsicht!), Adstringentien, Desinficientien sind zur Reinigung nothwendig. Die
von den Auflagerungen entblössten Stellen pinselt man mit 27oiger Argent.
nitr.-Lösung. Sind sie sehr schmerzhaft, so muss man zur Application von
Cocain und seinen Ersatzmitteln (Eucain etc.) greifen; unter letzteren wird
man das am wenigsten toxisch wirkende wählen. Bei der Ernährung wird
man sich möglichst an flüssige und milde Kost halten, alles Salzige und stark
Gewürzte verbietet sich bei der Schmerzhaftigkeit von selbst. Die Hauptrolle
wird natürlich die Milch spielen. jessnek.
PerichondritiS auriCUlae. Die Entzündung der Knorpelhaut ist eine
seltene Erkrankung der Ohrmuschel. Pathologisch stellt sie einen sämmtliche
Weichtheile bis auf den Knorpel ergreifenden phlegmonösen Process an der
vorderen Fläche der Auricula vor.
Aetiologie. Diese Krankheit tritt: 1. primär, ohne bekannte Ur-
sache, also spontan auf. Diese idiopathische Perichondritis lässt sich in
manchen, vielleicht in vielen Fällen auf eine Infection zurückführen,
welche durch directe Eesorption der Keime vom Meatus aus oder auf Basis
einer Allgemeinerkrankung verursacht werden kann. Nach Biehl bilden in
manchen Fällen vasomotorische Störungen die einzige plausible Möglichkeit
der primären Entstehung dieser Krankheit ebenso wie der Othämatome.
2. Secundär kann diese Affection infolge von Trauma, Otitis externa,
Otitis media purulenta, Phlegmone, Periostitis und anderen Erkrankungen
des Meatus auftreten. Ferner wurde sie mehrere Male in der plastischen
Nachbehandlung der operativen Freilegung der Mittelohrräume beobachtet,
besonders in Fällen, wo bei der Lappenbildung der horizontale Schnitt durch
die hintere Gehörgangswand zu weit nach aussen bis in den Ohrmuschel-
knorpel hinein verlängert wurde (Grunert). Als Ursache dieser Complica-
tion wird der in Culturen aus dem perichondritischen Exsudate gefundene
Pyocyaneus angesehen. In frischen Präparaten fand sich aber auch der Staphylo-
coecus vor. Hartman sah einmal Perichondritis auriculae nach einer Ver-
brennung sich entwickeln.
3. Bei der Perichondritis tuberculosa (Haug) sind meist gleich-
zeitig tuberkulöse Herde an anderen Körperstellen oder wenigstens hereditäre
Belastung vorhanden.
Decursus. Der Verlauf dieser Krankheit ist meist ein acuter. Der
Process steigt rasch an und erreicht manchmal schon in einigen Tagen seine
Akme, kann aber bis zur Heilung einige W^ochen und selbst Monate in An-
spruch nehmen. Er beginnt mit einer circumscripten Röthe und Schmerz-
haftigkeit oft unter fliegendem Stechen und Brennen an der vorderen Fläche
der Ohrmuschel. Die afficirte Stelle kann circumscript bleiben oder auch
sich immer weiter ausbreiten und schliesslich die ganze laterale Fläche der
Auricula einnehmen. Es kommt zu Schwellung, Infiltration und Fluctuation.
Die Vertiefungen der Ohrmuschel werden ausgefüllt, die Geschwulst in
der Concha kann Taubeneigrösse erreichen, und die Mündung des Gehör-
ganges erscheint durch die Schwellung vollständig verschlossen. Gegen das
Läppchen erscheint die Entzündung immer scharf abgesetzt. Da der Lobulus
keinen Knorpel, somit auch kein Perichondrium besitzt, so muss er natur-
gemäss von dieser Krankheit verschont bleiben. Ist es zur Fluctuation ge-
kommen, dann kann der Zustand einige Zeit stationär und unverändert bleiben.
Die Ausgänge sind verschieden. Entweder kommt es zur Abscedirung und
PERICHONDRITIS AÜRICÜLAE. 487
zum Durchbruche; es entleert sich eine synovia-ähnliche, viscide helle oder
eitrigschleimige Flüssigkeit, worauf die entzündlichen Erscheinungen zurück-
gehen. Die umgebenden Weichtheile bleiben oft noch einige Zeit hart an-
geschwollen und zeigen meist nach Entleerung der Flüssigkeit nur geringe
Neigung, zur früheren Beschaffenheit zurückzukehren. Auch wiederholte An-
sammlung der Flüssigkeit nach ihrer Entleerung kommt nicht selten zustande.
Es kann aber auch zur liückbildung des Processes und Itcsolution ohne Ei-
terung kommen. In ungünstigen Fällen tritt Gangrän der Haut und des
Knorpels ein, oder die Krankheit heilt mit Schrumpfung der Ohrmuschel und
Zurücklassung einer Deformation und Verkrüppelung derselben, ähnlich wie oft
bei Hämatom. Es kann ferner eine circumscripte Perichondritis nach ihrer Hei-
lung an einer Stelle sich an einer anderen wiederholen, immer wieder an-
dere Knorpeltheile ergreifen und so nach einander die ganze äussere Auri-
cularfläche durchwandern^ wodurch die Krankheit einen schleppenden und
langwierigen Verlauf annimmt. Seltener sind die Ausgänge in kalkige und
käsige Degeneration des Knorpels, und wurde sogar eine partielle Ossifica-
tion derselben und Umwandlung in ostoides Gewebe infolge einer Perichon-
dritis beobachtet (Knapp).
Gradenigo beobachtete einen Fall von beiderseitig symmetrischer
Perichondritis serosa, welche in Form von serösen Cysten verliefen, mit Ab-
hebung des Perichondriums vom Knorpel.
Die Perichondritis tuberculosa hat immer einen hartnäckigen protra-
hirten Verlauf, da das Knorpelgewebe allmählich einem ausgedehnten Zerfalle
anheimfällt.
Symptome. Objectiv charakterisirt sich diese Krankheit durch
starke Schwellung, Infiltration und Spannung der Cutis, eventuell auch durch
Fluctuation, durch die rothe oder blaurothe, bei Fingerdruck nicht verschwin-
dende Verfärbung und die erhöhte Temperatur der sich heiss anfühlenden
Ohrmuschel. Die Furchen und Vertiefungen an der lateralen Fläche der
Auricula erscheinen verstrichen und ausgefüllt, die Ohrmuschel durch An-
schwellung des Bindegewebes um das zwei- bis dreifache seiner normalen
Dicke unförmlich gestaltet. Kommt es zur Abscedirung und Eröffnung, dann
findet man das Perichondrium vom Knorpel abgelöst. Letzterer liegt bloss
und fühlt sich mit der Sonde rauh und uneben an. Manchmal stossen sich
einzelne, nekrotische Theile des Knorpels ab.
Subjectiv machen sich nur mehr oder weniger heftige Schmerzen,
Brennen, Stechen u. s. w. geltend. Bisweilen, besonders bei empfindlichen
Individuen, sind allgemeine Reactionserscheinungen, wie allgemeines Unwohl-
sein, Kopfschmerz, fieberhafte Temperaturbewegungen etc. vorhanden.
Diagnose. Trotz der nicht zu verkennenden, deutlich ausgesprochenen
objectiven Symptome dieser Krankheit kann doch die Diagnose derselben
in einem gewissen Stadium zweifelhaft und eine Verwechslung mit Hämatom
sehr leicht möglich sein. Im Stadium der Fluctuation nämlich bieten beide
diese Krankheiten so viel Aehnlichkeit mit einander dar, dass die Difi'eren-
tialdiagnose auf den ersten Blick unmöglich erscheinen kann. Difi'erential-
diagnostische Momente ergeben die Anamnese und die weitere Beobachtung.
Das Hämatom entsteht plötzlich, auf einmal und nach einem vorausgegan-
genen Trauma. Perichondritis entwickelt sich langsam, allmählich und meist
ohne bekanntes veranlassendes Moment unter entzündlichen Erscheinungen. Bei
der Punction oder Spaltung entleert sich aus ersterem eine blutige, aus letz-
terer eine helle synovia-artige oder auch eitrige Flüssigkeit. Charakteristisch
für unsere Krankheit ist ferner die Beschränkung derselben auf die vordere
Fläche der Ohrmuschel und das Freibleiben des Lobulus.
Bei der tuberkulösen Perichondritis der Ohrmuschel erscheinen als
charakteristischer Befund bei Eröffnung der Geschwulst grauröthliche oder
488 PERICHONDRITIS LARYNGEA.
gelbliche fimgöse Granulationswucherungen, zuweilen mit weissfarbigem,
krümmeligem Eiter durchsetzt oder mit demselben erfüllte Fistelgänge. Auch
lassen sich mikroskopisch die für Tuberkulose charakteristischen Gebilde, wie
miliare Knötchen und Kiesenzellen, und in dem Eiter oft auch, wenngleich
spärlich, Bacillen nachweisen. Die Drüsen in der Nachbarschaft sind in der
Regel stark geschwollen (Haüg).
Prognose. Diese ist quoad sanationem günstig, quoad restitutionem
ad integrum, wie aus dem Verlaufe hervorgeht, zweifelhaft.
Therapie. In den Anfangsstadien wird man durch exacte Antiphlo-
gose den entzündlichen Process zu bekämpfen trachten. Zu diesem Behüte
sind Kälte, Eisumschläge, LEiTER'sche Apparate, Umschläge mit Liqu. Burowii,
Aqu. Goulardi etc. anzuwenden. In vorgeschrittenerem Stadium, wo Eiter-
bildung zu erwarten ist, sind warme Compressen besser am Platze. Bei
bereits nachweisbarer Abscedirung oder Fluctuation müssen die bedeckenden
Weichtheile breit incidirt, der Inhalt möglichst gründlich entfernt werden, um
dann weiterhin nach chirurgischen Grundsätzen zu verfahren. In die Abscess-
höhle werden Drains oder Jodoformgazestreifen eingeschoben und darüber ein
leichter Druckverband angelegt. Manchmal müssen die Incisionen wieder-
holt ausgeführt werden. Treten Granulationswucherungen auf, dann müssen
sie mit dem scharfen Löffel ausgekratzt, nekrotische Knorpelstücke sollen
eventuell excidirt werden, um die Heilung zu beschleunigen. Haug hat durch
wiederholte Function und Aspiration des Inhaltes mittelst der PRAVAz'schen
Spritze ohne Incision vollständige Heilung ohne Deformität erzielt, und er
empfiehlt dieses Verfahren wenigstens bei jungen, frischen Perichondritiden.
Einfachheit, Gefahrlosigkeit und Bequemlichkeit für den Patienten und sehr
befriedigende, kosmetische Effecte sprechen für dieses Heilverfahren, welches
in frischen Fällen probatorisch Anwendung finden kann. Ein vorgeschritte-
neres Stadium der Entzündung und Knorpelnekrose contraindiciren es. An-
dere empfehlen Function des Abscesses und Injection verdünnter Jodtinctur.
Nach Kuhn empfiehlt sich Massage besser als Spaltung und Injectionen.
In einem Falle von Perichondritis serosa Gradenigo's konnte selbst Aus-
brennen mit dem Galvanocauter die Wiederansammlung der Flüssigkeit nicht
verhüten, und die Heilung erfolgte erst unter der Behandlung mit Zink-
chlorür und Sublimatinjectionen.
Die Behandlung der Perichondritis tuberculosa der Ohrmuschel unter-
scheidet sich nicht von jener der localen Tuberkulose an anderen Körper-
stellen: Entfernung der Granulationen, Drainirung mit Perubalsamgaze,
Einspritzungen von Jodoformglycerin in die Knorpelsubstanz, Exstirpation der
infiltrirten Drüsen etc. eafael spira.
Perichondritis laryngea benennt sich die Entzündung der Knorpel-
haut einzelner oder mehrerer, das Larynxskelett bildender Knorpel, wobei es
auch zu secundärer Nekrose und Caries der Knorpelsubstanz kommen kann.
Aetiologie. Die genuine Perichondritis, die überhaupt selten zur
Beobachtung gelangt, kann ebenso traumatischen (Fracturen, Schnitt-, Schuss-
wunden etc.) Ursprunges sein, als rheumatischen Einflüssen entspringen.
Letztere sind anzunehmen, wenn bei gutartigem Verlauf keine eigentliche
Ursache aufzufinden ist. Allenfalls hat Gottstein Recht, wenn er darauf auf-
merksam macht, dass es noch dahingestellt bleiben muss, ob man nicht eine
localisirt septische Infection als Ursache voraussetzen soll.
Gewiss kann über das Vorkommen der primären Perichondritis kein
Zweifel obwalten. Schrötter, der bereits vor Jahren eine grössere Anzahl
derartiger Fälle veröffentlicht hat, ist der Ansicht, dass die Erkältung als
Ursache dieser Erkrankung eine grosse Rolle spielt, doch meint auch er, dass
es nahe liegt, an Infectionsmomente zu denken, v. Ziemssen betont, dass
PERICHONDRITIS LARYNGEA. 489
speciell Perichondritis cricoidea bei altern Leuten, bei denen die Kingknorpel-
platte verknöchert ist, öfter durch Einführung der Schlundsonde entstehen
kann. Die Behauptung Dittkich's, wonach die als traumatische Ursache der
Perichondritis gekennzeichnete entzündliche Ernährungsstörung, welche
durch den Druck der hinteren Fläche des verknöcherten Jlingknorpels gegen
die Wirbelsäule hervorgerufen wurde, ist eigentlich nicht erwiesen. Floumann
veröffentlichte schon gegen Ende des vorigen Jahrhunderts Fälle von primären
Perichondritiden des liingknorpels, welche nach vielem und lautem .Schreien
entstanden sein sollen, und noch von vielen anderen Autoren werden über-
grosse und andauernde Anstrengung des Kehlkopfes als irritative Momente
hingestellt. Tobold hingegen bezeichnet diese Entstehungsursache als zweifel-
haft, da er in zahlreichen Fällen von entzündlichen Larynxerkrankungen,
welche durch Ueberreizung des Organes entstanden, nie Gelegenheit hatte,
Perichondritis zu beobachten.
Unvergleichlich häufiger bekommen wir die Perichondritis als eine
secundäre Erkrankung zur Beobachtung, und zwar im Gefolge von acuten
und chronischen Infectionskrankheiten, entweder als metastatischen Process
oder infolge von bestehenden Ulcerationsprocessen im Larynx.
Eingekeilte Fremdkörper, sowie in seltenen Fällen eitrige Entzündungen
der den Kehlkopf bedeckenden Weichtheile des Halses können auch Anlass
zum Auftreten perichondritischer Erscheinungen geben. Gottstein ist der
Ansicht, dass bei Tuberkulose und Syphilis auch selbständig, also ohne Ulce-
ration, Perichondritis auftreten kann. Nach den Beobachtungen Schmidt's
pflegt sich in manchen Fällen von Carcinom dasselbe am Perichondrium oder
in der Nähe desselben zu entwickeln. „Es verräth seine Anwesenheit ziemlich
früh durch Erregung von Perichondritis und diese Neigung zu Perichondritis
scheint diesen Fällen durch die ganze Dauer des Leidens innezuwohnen."
Dass ein ulcerirtes Carcinom, bis in die Nähe der Knorpelhaut reichend, eine
Entzündung hervorbringen kann, ist selbstverständlich.
Aus der Zusammenstellung, die Retslag aus den Sectionsprotokollen der
Berliner path. anat. Anstalt angefertigt hat, ergibt sich, dass das männliche
Geschlecht in auffallender Weise mehrbetheiligt ist (von 20 Fällen 16 Männer,
4 Frauen).
Am häufigsten wird bei der genuinen Perichondritis die C. cricoidea
befallen. Ihr folgen die C. thyreoidea, die Aryknorpel und zuletzt der Kehl-
deckel. Bei der secundären hingegen sind es die Aryknorpel, welche in
erster Reihe ergriffen werden, dann folgen erst die C cricoidea und C. thyre-
oidea nach.
Pathologische Anatomie. Bei der Perichondritis finden wir, wie
schon oben erwähnt, gewöhnlich den einen oder anderen Knorpel erkrankt,
selten das ganze Kehlkopfgerüst. Verschieden gestalten sich die Verände-
rungen, je nachdem ein acuter oder langsamer Verlauf zu beobachten ist.
Bei ersterem geht die entzündliche Anschwellung sehr bald in eitrige Infiltra-
tion über, die Knorpelhaut wird vom Knorpel losgelöst und so Nekrose des
Letzteren hervorgerufen. Die nekrotisirten Theile sind von schmutzig dunkel-
grauer, selbst schwärzlicher Farbe. Die Entfärbung scheint von der Existenz
der Communication zwischen dem Knorpel und der atmosphärischen Luft ab-
zuhängen (Mackenzie). Dies ist gewöhnlich der Fall, wenn Perforation der
Weichtheile vorhanden ist.
Ist der Verlauf ein langsamer, so bildet der Abscess eine Vorwölbung,
die ebenso wie beim acuten \ erlauf durch consecutives Oedem des umge-
benden, submucösen Bindegewebes zu hochgradigen Stenosirungen des Kehl-
kopfraumes Veranlassung geben kann. Der Abscess kann, die Weichtheile
durchbrechend, bald nach dem Pharynx hin, bald in das Innere des Kehl-
kopfes oder nach aussen sich eröffnen. Erfolgt der Durchbruch des Eiters
490 PERICHONDRITIS LARYNGEA.
spät, SO wird der ergriffene Knorpel ganz nekrotisch, das Perichondrium wird
zerstört, es können sogar der eine oder beide Aryknorpel eliminirt werden,
gewöhnlich jedoch werden nur kleinere oder grössere Fragmente der Knorpel
ausgestossen.
Wenn die Perichondritis im Anschlüsse von Schleimhautulcerationen
entsteht, so ändern sich die Verhältnisse, indem die entzündliche Schwellung
nicht so gross wird, und die Abscessbildung schneller ihren Abschluss findet,
da der Durchbruch durch das geringere Hindernis leichter vor sich geht, und
so die Entleerung des Eiters rascher stattfindet. Geschieht der Durchbruch
des perichondritischen Abscesses gleichzeitig nach innen und aussen, so ent-
steht ein Fistelgang. (v. Ziemssen erwähnt eines Falles von primärer Perichon-
dritis, wo die linke Schildknorpelplatte nekrotisch geworden und eine com-
plette Kehlkopffistel entstand.)
Nach Mackenzie findet man bei mikroskopischer Untersuchung in den frühesten
Stadien eine theilweise Destruction der Knorpelkörperchen und schliesslich Verschwinden
infolge fettiger Degeneration. „Die Intercellularsubstanz ist zuerst verdickt und getrübt,
später findet eine retrogressive Metamorphose derselben in Eiter statt."
Nach Ausstossung des Knorpels collabirt der Abscess; die Höhle füllt
sich mit Granulationen aus und es entstehen feste Narben.
In seltenen Fällen entsteht durch Organisation des Entzündungsproductes
callöse Bindegewebsverdickung. Ein andermal tritt bei äusserst chronisch
verlaufenden Perichondritiden (Syphilis) Sklerosirung (bindegewebige Umge-
staltung — Metaplasie) des Knorpels auf.
Symptomatologie und Verlauf. Die ersten Spiegeluntersuchungen
bei Perichondritis sind von Türck ausgeführt worden und verdanken wir ihm
die grundlegenden Kenntnisse hierüber. Im Beginne der Erkrankung pflegen
die Symptome nicht so ausgeprägt zu sein, dass sie als charakteristische
Kennzeichen verwertet werden können. Selbst Schmerzhaftigkeit oder auf-
fallende Empfindlichkeit auf Druck bestimmter Larynxtheile deuten ebenso-
wenig auf perichondritische Veränderung, als das Schmerzgefühl beim Sprechen
oder Schlucken, da man die eben erwähnten Symptome bei sehr verschiedenen
Larynxerkrankungen zu finden Gelegenheit hat.
Die Symptome der primären Perichondritiden sind deutlicher. Bei den
secundären Formen hingegen können die perichondritischen Erscheinungen
theils durch Symptome der Primäraffection verdeckt sein, theils ist das be-
gleitende Oedem derartig, dass hiedurch der laryngoskopische Befund für die
Diagnose der Perichondritis negativ ausfällt. Beweisbringend für die Erkran-
kung sind die im späteren Verlaufe auftretenden Erscheinungen, wie Ent-
fernung von nekrotischen Knorpelstücken nach Entleerung eines Abscesses
und durch Sondenuntersuchung constatirbare freiliegende, rauhe Knorpeltheile.
Ein wichtiges Symptom der Perichondritis kann die Laryngostenose bilden.
Je nach dem Sitz der Erkrankung wechselt nicht nur der laryngosko-
pische Befund, sondern das ganze Krankheitsbild. Sonach sieht man bei der
Perichondritis arytaenoidea, welche als secundäre Erkrankung am
häufigsten zu beobachten ist, eine mehr oder minder ausgebreitete Schwellung
der Schleimhaut der pharyngealen Fläche des Aryknorpels, welche oft auf das
Lig. aryepiglotticum und Taschenband derselben Seite übergeht. Kommt es
zur Abscessbildung, so entleert sich der Eiter am häufigsten am Processus
vocalis oder an der Spitze des Aryknorpels, seltener gegen den Sinus pyri-
formis.
Die Perichondritis der Aryknorpel findet ihre Entstehungsursache meistens
in tuberkulösen Geschwüren der hinteren Kehlkopfwand, häufig in Ulcerationen
des Processus vocalis. Nebst sehr heftigen, schmerzhaften Schlingbeschwerden
ist oftmals auch ünbew^eglichkeit des Aryknorpels zu bemerken.
PERICHONDRITIS LARYNGEA. 491
V. ZiEMSSEN hat bei einer grossen Zahl Typhuskranker totale, seltener
partielle Nekrose des Aryknorpels beobachten können. Ist der nekrotische
Knorpel ausgestossen worden, so fällt der Abscess zusammen, und es kommt
durch Neubildung von Bindegewebe zu narbigen Schrumpfungen, die sich
laryngoskopisch als Depression der hinteren Partie des Ligamentum aryepi-
glotticum kennzeichnen. Es muss bemerkt werden, dass an der Stelle, wo
der Knorpel eliminirt wurde, statt Einziehung durch Hyperplasie des sub-
mucösen Gewebes sogar eine Verdickung beobachtet werden kann, wodurch
das Fehlen des Knorpels maskirt wird.
V. ZiEMSSEN meint, dass die partielle speciell auf den Processus vocalis
localisirte Perichondritis weder unbedingt zur Nekrose, noch zur Betheiligung
des ganzen Aryknorpels führt, sondern als schmerzhafte, geschwulstartige
Erhabenheit unverändert bestehen, sogar sich rückbilden kann. Die partielle
Ausstossung des Aryknorpels kann ohne besondere Beschwerden vor sich
gehen, wie dies aus einem von Gottstein erwähnten Fall ersichtlich ist, wo
der Kranke, ohne Unannehmlichkeiten zu verspüren, den Knorpel auf der
Strasse ausstiess, weshalb gar keine ärztliche Hilfe in Anspruch genommen
wurde.
Die Perichondritis cricoidea kommt vornehmlich ander hinteren
Platte vor, seltener werden die Seiten und der Vordertheil angegriffen. Ge-
wöhnlich geht mit der Perichondritis cricoidea die Nekrose des einen oder
beider Aryknorpel einher. Besonders sind es tuberkulöse und syphilitische
Geschwüre, die Anlass zu ihrer Entstehung geben.
Die exquisiten Symptome der Perichondritis cricoidea bestehen in
heftigem Schmerz beim Schlucken (insbesondere, wenn die Platte afficirt ist)
und in Athemnoth, welche durch die rasch entstehende Larynxstenose bedingt
wird. Die Larynxstenose hat ihre Ursache in der Hervorwölbung des Abscesses
an der hinteren Wand, oder sie wird dadurch hervorgerufen, dass durch
Lähmung je eines oder beider mm. cricoaryt. post. das eine oder beide Stimm-
bänder in der Medianlinie verbleiben.
Die Perichondritis thyreoidea ist die seltenere Form. Meistens
wird die innere Fläche ergriffen. Durch Hervorwölbung der Abscesswand
entsteht die Larynxstenose. Die Erkrankung zeigt sich selten gleichzeitig an
der äusseren Fläche; ist das aber dennoch der Fall, so ist die Möglichkeit
zur Bildung einer Larynxfistel gegeben. (Schrötter hatte einen Fall, in dem
die von aussen in die Fistelöffnung eingeführte Sondenspitze in der Kehl-
kopfhöhle laryngoskopisch gesehen werden konnte.)
Ein Hauptsymptom bildet bei der Perichondritis thyreoidea die grosse,
auf Druck vermehrte Schmerzhaftigkeit der Cartilago thyreoidea, die, wenn
ihre äussere Fläche erkrankt ist, eine auffallend prominente Anschwellung
mit Schwinden der Contouren des Larynx zeigt.
Die primäre Perichondritis der Epiglottis ist die seltenste Erscheinung.
Es gibt Autoren, die ihr Vorkommen geradezu bezweifeln. Tobold erklärt
sich für das selbständige Auftreten der Perichondritis epiglottidea. Er sagt:
„Das Vorhandensein der verschiedenartigsten DiÖormitäten der Epiglottis bei
Intactheit oder nur geringfügiger Affection der übrigen Larynxtheile spricht
deutlich für die Annahme einer isolirten Erkrankung, oder wenigstens für das
hervorragende Ergriöensein dieses Larynxtheiles." Die Perichondritis epi-
glottidea kennzeichnet sich durch einen auffallenden Schmerz bei jedweder
Schluckbewegung. Haben wir es mit einer primären Affection zu thun, so
sieht sich die Epiglottis vielfach verdickt an, besonders ihre linguale Fläche.
Der Rand ist verbreitert. Bei secundärer Perichondritis epiglottidea, als
Folge eines Geschwüres, kann man am Grunde desselben den nekrotischen
Knorp eltheil finden.
492 PERICHONDRITIS LARYNGEA.
In den günstigeren Fällen ist der Process ein langsamer. Sobald es
jedoch zur Abscessbildung kommt, wird der Verlauf gewöhnlich ein rascher.
In der Mehrzahl der Fälle geht der Kranke schon seines primären Leidens
halber zu Grunde, bevor noch die perichondritischen Erscheinuugen ihr Maximum
erreicht haben. Dass der Abscess selbst oder das sich anschliessende Oedem,
weiters die Entleerung des Fiters in die Larynxhöhle oder das Stecken-
bleiben eines ausgestossenen nekrotischen Knorpelstückes durch Erstickung
tödten können, braucht nicht besonders betont zu werden. In vereinzelten
Fällen kann durch Durchbruch des perichondritischen Abscesses nach aussen
Hautemphysem entstehen. (Rokitansky, Wilks.) Als eine besondere Form
des Ausgangs der Perichondritis wäre die Anckylose des Cricoary-
taenoidalgelenks (Semon) zu erwähnen, die, wenn sie auch nicht aus-
schliesslich im Gefolge dieser Krankheit entsteht, zweifellos häufig durch
sklerosirende Perichondritiden verursacht wird.
Im allgemeinen ist der Verlauf der primären, traumatischen, eventuell
syphilitischen Perichondritis günstiger. Es kann nach Ausstossung nekrotischer
Knorpel Veruarbung entstehen und so Heilung eintreten. Selbstverständlich
ist die Heilung so zu verstehen, dass die gefahrdrohenden Erscheinungen ver-
schwinden, doch müssen wir darauf vorbereitet sein, dass unter den besten
Umständen bedeutendere oder mindere Defecte am Kehlkopfskelette zurück-
bleiben, die durch Form und Lageveränderung bestimmter Larynxtheile, aus-
gebreitete NarbenbilduDg und callöse Bindegewebsverdickungen zu nicht un-
erheblichen Veränderungen führen.
Diagnose. Mit absoluter Sicherheit kann die Diagnose auf Perichon-
dritis nur dann gestellt werden, wenn entweder nach Durchbruch des Abscesses
nekrotische Knorpelfragmente ausgestossen werden, oder wenn mittelst Sonden-
untersuchung in der Abscesshöhle oder am Geschwürrande entblösste Knorpel-
theile zu finden sind. Erschwert wird die Erkenntnis dieser Erkrankung da-
durch, dass der perichondritische Abscess von einem submucösen Abscesse
eigentlich kaum zu unterscheiden ist. Als differentialdiagnostisches Moment
dürfte vielleicht hervorgehoben werden, dass der Durchbruch des Abscesses
bei der Entzündung des submucösen Zellgewebes rascher geschieht. Das
Symptom der Veränderung der Stimme kann für die Perichondritis nicht als
bestimmend betrachtet werden. Oft kann schon die äussere Inspection, dann
Palpation (circumscripte Anschwellung bestimmter Knorpelbezirke), weiters der
laryngoskopische Befund (siehe Symptomatologie) über den perichondritischen
Process Aufschluss geben.
Die Verwechslung des perichondritischen Abscesses mit einem Neuge-
bilde kann nach Schrötter nicht leicht vorkommen, da die Neubildungen
allmählich eine unregelmässige, höckerige Oberfläche annehmen, ausserdem
durch ihren Verlauf bald Klarheit bringen. Die Erkenntnis der secundären,
von einer Ulceration ausgehenden Perichondritis bietet weniger Schwierig-
keiten als die der primären.
Therapie. Aus dem Vorhergesagten geht hervor, dass der therapeu-
tische Eingriff sich immer dem speciellen Fall anzupassen hat. Wir werden
bei den primären Perichondritiden anders verfahren, als sich die Maassnahmen
gestalten müssen, wenn wir es mit secundären Knorpelhautentzündungen zu
thun haben. UnlDedingt ist v. Ziemssen beizustimmen, der betont, dass durch
die Eröffnung eines neuen Luftweges (Tracheotomie) die im Kehlkopfe befind-
lichen entzündlich destructiven Processe meistentheils günstig beeinflusst
werden. Seiner Meinung nach sind mit Genesung endigende Fälle in der
Mehrzahl durch die rechtzeitig ausgeführte Tracheotomie erreicht worden.
Die Behandlung der primären Knorpelhautentzündungen besteht im
Anfangsstadium, also bei Beginn der ersten entzündlichen Erscheinungen, in
Anwendung von Kälte (Eisumschläge und Eispillen) und localer Blutentziehung
LARYNGITIS. 493
(Blutegel an den Hals). Nach Schmidt sind Einreibungen des Halses mit
grauer Salbe und Einpinselungen der erkrankten Stelle mit Jodtinctur vor-
zunehmen. Kommt es zur Abscessbildung und hiedurch zu den Erscheinungen
der Larynxstenose, so muss operativ eingegriffen werden, und zwar durch
Scarificationen oder Eröffnung des Abscesses, eventuell Tracheotomie, je nach-
dem die Stenosirung vom Oedem der umgebenden Weichtheile oder von der
Hervorwölbung des Abscesses verursacht wird. Zeigt sich die Eiterung nach
aussen, so ist hier die Incision zu machen.
Ungleich schwieriger gestaltet sich das therapeutische Verfahren der
seeundären Perichondritis gegenüber, da doch in erster Reihe auf die primäre
Erkrankung Rücksicht zu nehmen ist. Günstigere Ausnahmen können syphi-
litische Perichondritiden bilden, wo energische antisyphilitische Curen einzu-
leiten sind. So habe ich im Jahre 1892 Mittheilung gemacht über zwei Fälle
von Perichondritis laryngea syphilitischen Ursprungs, bei welchen, trotzdem
hochgradige, laryngostenotische Erscheinungen aufgetreten waren, durch intra-
musculäre Injectionen einer öligen Sublimatlösung (Lukasiewicz) nicht nur die
Tracheotomie umgangen wurde, sondern sehr rasch die Rückbildung des Pro-
cesses beobachtet werden konnte. Von der localen Behandlung des Kehl-
kopfes ist wenig zu erwarten. Die endolaryngeale Application verschiedener
Mittel scheint sogar bei Perichondritis schädlich zu sein, da das erkrankte
Organ vor allem der Ruhe bedarf. Bleiben nach günstig abgelaufenen Peri-
chondritiden Larynxstenosen zurück, so tritt die Stenosenbehandlung
in ihre Rechte. Die Behandlung geschieht mittelst der ScHRöTTER'schen Hart-
kautschukröhren oder, wenn die Tracheotomie vorhergegangen, mittelst Ein-
legung von Zinnbolzen. Die Beschreibung beider höchst genialen Verfahren
gehört nicht in den Rahmen dieses Artikels, doch soll bemerkt werden, dass
über die Zweckmässigkeit und den glänzenden Effect dieser beiden Methoden
nur eine Stimme herrscht. Vor einigen Jahren war es Leffert, der bei
durch syphilitische Perichondritiden entstandenen Stenosen die Intubation an-
wendete. Leffert's Erfolge waren so zufriedenstellend, dass die Tracheotomie
umgangen werden konnte. Seitdem ist dieses Verfahren von Vielen mit
Erfolg erprobt worden, doch bleibt es immer den jeweiligen Umständen an-
* heimgestellt, welches von den erwähnten Verfahren angewendet werden soll.
Auf Grund meiner theils mit den ScHRöTTER'schen Hartkautschukröhren,
theils durch Intubation erfolgreich behandelten Fälle möchte ich der letz-
teren Methode deshalb den Vorzug geben, weil durch das längere Liegen-
lassen (Verbleiben) des Tubus eine intensivere Dilatation eher möglich
erscheint. irsai.
Pharyngitis. Nach Ausscheidung der Entzündungen des Isthmus fau-
cium unter dem Sammelnamen Angina (s. diese) beschränkt sich heutzutage
.der Begriff" Pharyngitis in Deutschland wenigstens auf die Entzündungen der
hinteren und oberen Rachenwand, sowie der medialen Fläche
der Tuben und der oberen Fläche des weichen Gaumens, welche
letztere noch keine, ausgebildete, specielle Pathologie besitzen.
Die bisherige Vereinigung mit den weit aufdringlicheren Erkrankungen
des Isthmus faucium hat vielfach zu einer mehr nebensächlichen Beachtung
der eigentlichen Rachenwand Anlass gegeben, so dass über das Verhalten
derselben nicht immer genügende Berichte zu finden sind.
Nach der bekannten Einth eilung des Gesammtrachens in eine Pars su-
perior, der im erweiterten Sinne die übrigen Flächen des Nasenrachenraumes
sich anschliessen, und in eine Pars inferior, die wieder in eine Pars oralis
und laryngea zerfällt, ist praktisch eine Pharyngitis superior und in-
ferior (partis oralis und laryngeae) zu unterscheiden.
494 PHARYNGITIS.
A. Pharyngitis acuta.
1. Pharyngitis acuta catarrhalis.
Hyperämien des Rachens infolge von anderweitigen Erkrankungen, der Menstrua-
iion, verschiedener Reizungen des Halses oder in der Art arzneilicher und anderer Ery-
theme dürfen wegen des Vorhandenseins gewisser, subjectiver Beschwerden als eine Art
rudimentärer, infolge der ungenügenden Reize nicht ganz ausgebildeter Entzündungen an-
gesehen werden.
Aetiologie. Am häufigsten werden Erkältungen angeschuldigt;
besonders die Verweichlichung des Halses leistet denselben Vorschub,
z. B. beim Anlegen von Civilkleidern statt der hochgeschlossenen Uniform.
Dem Einflüsse trockener und staubiger Luft sind besonders Jene aus-
gesetzt, welche bei rauhem Winde oder in überheizten oder rauchigen Eäumen
während stimmlicher Anstrengungen oder Verlegung der Nase durch den
Mund athmen. Traumatische Momente sind Fremdkörper, galvanokaustische
und andere Eingriffe, Verbrennungen durch heisse Luft, z. B. beim Rauchen,
oder heisse Ingesta, unter welchen die oft unvernünftig erwärmten medicamen-
tösen Aufgüsse und Mineralwasser nicht zu vergessen sind. Als toxische
Pharyngitiden werden die unter Einwirkung des Jodes, Quecksilbers, Brech-
weinsteins, der Belladonna, sehr scharfer ätherischer Oele, concentrirter Säuren
und Alkalien entstandenen, als infectiöse die besonders im Anfange der
acuten Infectionskrankheiten, der Röthein, Masern, Blattern, Typhusarten, der
Maul- und Klauenseuche etc. auftretenden, später mitunter durch ausge-
prägtere Erscheinungen ersetzten Katarrhe bezeichnet. Im Auslande wird
mehr Wert als bei uns auf die Aufstellung einer rheumatischen und einer
gichtischen Pharyngitis gelegt. Dass die Rachenentzündung vielfach
durch Fortleitung eines Nasenkatarrhes, und speciell wieder die Entzündung
des unteren Theiles durch Ausbreitung einer solchen des oberen Theiles ent-
steht, ist bekannt; ausserdem ist heutzutage den im Anschlüsse an Anginen
(s. oben) auftretenden Erkrankungen des eigentlichen Pharynx der secun-
däre Charakter aufgedrängt worden. — Am häufigsten wird das kindliche
und überhaupt das jugendliche Alter befallen.
Symptome und Befund. Es besteht, besonders zu Anfang, ein
höheres Fieber. Auf Trockenheit folgt eine zum Räuspern reizende Ver-.
schleimung. Häufig kommt es zu Verlegung des Nasenrachenraumes, zu Ent-
zündungen des Gehörganges oder zu Heiserkeit und Husten. Schmerzen
werden bei Pharyngitis superior mehr im Hinterhaupte, bei Pharyngitis inferior
in der Tiefe des Halses und zwar hauptsächlich beim Schlucken und Sprechen
verspürt. Objectiv fällt die Injection der Schleimhaut, die übrigens in Stärke
und Ausbreitung (sie ist mitunter nur auf einen Streifen beschränkt) variirt, auf;
wenn es zu Ecchymosen oder freien Blutungen, meist geringen Grades, kommt,
so kann man von Pharyngitis acuta haemorrhagica sprechen; die be-
sondere Localisation der Entzündung auf die seitlichsten Theile des Rachens
bezeichnet man als Pharyngitis acuta lateralis. Die Schwellung im
unteren Rachenabschnitte ist meist nur massig, wogegen es im Nasenrachen-
räume leicht zu Oedemen kommt, die sich besonders am Zäpfchen bemerkbar
machen. Bei Kindern erhält der entzündete Rachen durch Anschwellen der
folliculären Gebilde ein höckeriges Ansehen (Pharyngitis acuta folli-
cularis).
Die Dauer der Erkrankung ist normaler Weise einige Tage; einfache
Fälle haben eine gute Prognose, doch bleibt infolge ungenügender Ausheilung
häufig die Neigung zu immer schnelleren Recidiven und zur chronischen Ent-
zündung zurück.
Therapeutisch ist die Abortivbehandlung durch Diaphorese
sehr populär; es darf aber bemerkt werden, dass das längere Einathmen der
heissen trockenen Luft in der Heissluftkammer, dann das Trinken sehr heisser
PHARYNGITIS. 495
Getränke, endlich der Gebrauch PRiESSNiTz'scher Umschläge in einer Form,
in der sie die Venen des Halses comprimiren oder von der durchleuchteten
Halshaut unwillkürlich im Schlafe abgezogen werden können, oder bei Ausser-
achtlassung einer nachfolgenden, zweckmässigen Abkühlung nur zu leicht
schädlich wirken; Verfasser lässt die feuchtwarmen Umschläge noch zu
wachender Zeit und unter Vermeidung des Umhergehens anwenden, vor dem
Schlafengehen aber durch ein trockenes Wolltuch ersetzen. Ebenfalls als
Abortiva findet man die bewährte Darreichung von 5—10 Tropfen Tinct. op.
simpl. des Morgens nach dem Stuhlgange, welchem überhaupt
Aufmerksamkeit zu widmen ist, dann Pastillen mit 0*2 Piesin. Guajaci,
Antipyretica und Antirheumatica, 5"/oige Höllensteinpinselungen u. a. em-
pfohlen. Gegen die Schmerzen dienen Eispillen und Bepinselungen am besten
mit Cocain 1-0 (Antipyrin 2-0) Aqu. dest. lO-Q; gegen die Trockenheit Ein-
führung von Borsalbe oder Einträufeln einer nicht zu süssen Glycerinver-
dünnung (1:3—4) während der Rückenlage in die Nase, schleimige Pastillen
oder Getränke und anfrischende Bespülungen des Piachens (das Kalium
chloricum lässt sich hier durch schwachsaures Citronenwasser oder eine Ptotte-
rinlösung vorzüglich ersetzen). Die Entfernung der Schleimmassen ist gleich-
falls durch die ebengenannten, möglichst ohne Würgen auszuführenden Gurgel-
ungen, für den Nasenrachenraum mittels Aufziehens ^/^^lo^S^^ Kochsalz-
lösung durch die Nase bis in den Hals zu bewerkstelligen. Mit Ptecht ist
neben anderen Verboten, die sich aus den Beschwerden von selbst ergeben,
hauptsächlich dasjenige des Ausgehens zu betonen. Eine Vorsicht für das
Gehörorgan kann insoferne walten, als der Kranke angewiesen wird, sich nicht
in der gebräuchlichen Weise zu schnauzen, sondern, was überhaupt vorzu-
ziehen ist, die beiden Nasenseiten nach einander einfach auszublasen. Eine
sehr vorth eilhafte desinficirende Anw^endung ist die Einblasung von Jodol- und
ähnlichen Pulvern am besten mittels eines kurzschnäbeligen Pulverbläsers direct
hinter den Gaumen oder wenigstens in die Nase. Reste der Pharyngitis sind
mit adstringirenden Gurgelungen (Alaun oder Tannin 1:100), beziehungsweise
mit den genannten Einblasungen nachzubehandeln. Gegen die Recidive ist
eine geeignete Abhärtung anzuordnen.
2. Pharyngitis acuta haemorrhagica. Zwar bereits oben besprochen, ver-
langt sie doch noch die Erwähnung, dass ganz ähnliche Erscheinungen bei
der hämorrhagischen Diathese während der WERLHOF'schen Krankheit auf-
treten. Freie Blutungen des Rachens können den Anschein von solchen der
Lunge erwecken.
3. Pharyngitis ßbrinosa oder crouposa henigna. Sie ist nicht häufig. Ihr
Aussehen gleicht dem der Diphtherie, von w^elcher sie sich durch ihre voll-
kommene Gutartigkeit und den nicht specifischen bacteriologischen Befund
unterscheidet. Die Membranen erneuern sich manchmal hartnäckig, was zu
Pinselungen mit Sublimat 1:3000 Anlass gibt.
Fibrinösen Beschlag, der sich aber nicht erneuert, bekommen auch die
galvanokaustisch oder mit Chrom- und anderen Säuren oder Alkalien ver-
ätzten Stellen und die geplatzten Herpes- und Pemphigusblasen.
4. Pharyngitis dijyhtheritica. Es ist nur hervorzuheben, dass die Diph-
therie auch an der Rachenwand und im Nasenrachenräume beginnen so^ie
local unter dem Bilde einer einfachen Pharyngitis verlaufen kann.
5. Pharyngitis acuta mycotica. Als solche liest man die Soorinvasion
bezeichnet, welche aber auch einen langwierigen Verlauf nehmen kann, Sie
ist gekennzeichnet durch die bekannten diphtherieähnlichen Flecke auf
der Schleimhaut. Obwohl sie zumeist secundär neben Soor der Mundhöhle
an Kindern und Geschwächten beobachtet wird, kann sie doch auch primär
unter den Symptomen eines Rachenkatarrhes selbst bei gesunden Erwachsenen
496 PHARYNGITIS.
auftreten. Der Nasenrachenraum wäre von der Nase aus mit 2 böiger Borax -
lösung zu bespülen.
6. Pharyngitis cachectica seu desquamativa. Die ihr eigenthümlichen diph-
therieähnlichen Abschilferungen von kleineren oder grösseren Epithelbezirken
können bei acuten und chronischen Schwächezuständen zur Beobachtung
kommen.
7. Pharyngitis acuta exsudativa. Bei derselben wird ein wenigstens im
Anfange seröses Exsudat unter die obersten Epithelschichten ergossen.
a) Gelegentlich bilden sich seröse Blasen, die eintrocknen oder platzen, bei Erythema
exsxidativum multiforme der Haut, Erysipel, Blattern.
h) Miliaria crystallina, eine sehr seltene Krankheit. Die in geringer
oder in unzählbarer Menge auftretenden wasserhellen Bläschen bilden im
Gegensatze zum Herpes niemals Geschwüre, sondern trocknen ein. Hieher
zählt wohl auch der „Pseudoherpes", eine in 8—14 Tagen ablaufende
Bläschenbildung über der Mündung der Schleimdrüsen sowie die vielleicht
mit diesem identische „Acne pharyngis".
c) Als ^Ekzema pharyngis'^ bezeichnete Schmidt eine von ihm beob-
achtete ganz eigenartige fieberhafte Erlirankung, die etwa zehn Tage währte
und sich durch Tausende und Millionen ganz nach Art des Herpes heilender
Bläschen kennzeichnete.
d) Herpes. Derselbe betrifft nur selten und fast nie ausschliesslich die
Pharynxwand. Die von einem entzündlichen Hofe umgebenen hirsekorn-
grossen Bläschen können in sehr verschiedener Zahl einseitig oder diffus auf-
treten; anfangs wasserhell, trüben sie sich bald und bilden durch ihr Platzen
kleine Geschwüre, die ohne Narbe heilen. Soweit treten nur geringes Fieber
und Lymphdrüsenschwellungen hinzu. Es können aber die Bläschen auch
eitrig werden oder confluiren und zu schwieriger heilenden Substanzverlusten,
ja zu ßachengangrän führen, oder es kann sich der Verlauf durch schub-
weises Auftreten wie man liest, bis zu einem Monate hinausziehen. Gegen
recidivirende Formen sind Arsen, Antipyrin und sonstige Antirrheumatica
empfohlen. 10*^/o Lapis deckt die schmerzenden offenen Stellen.
e) Pemphigus. Derselbe kann acut und chronisch, selbständig oder als
vom Hautleiden abhängige Affection auftreten. Bis auf die Grösse der Blasen
(bis zu Zehnpfennigstückumfang) und der Beschwerden gleicht er ganz dem
Herpes. Die Heilung geht unter fibrinösem Beschläge oder unter Eiterung
vor sich.
f) Pharyngitis pustulosa. Vergleiche Herpes und Pemphigus. Speciell
tritt bei Blattern häufig, und zwar mitunter neben nur geringer oder sogar
fehlender Betheiligung der Haut, 2—3 Tage nach dem initialen
Katarrhe die Bildung von Pusteln ein, die mit Narben heilen und besonders
durch Hervorrufen eines Kehlkopfödemes gefährlich werden können. Die
Behandlung ist symptomatisch; die Gurgelwässer sollen reizlose sein.
8. Pharyngitis acuta submucosa. Dieselbe, in Analogie mit Infiltrationen
der Schleimhaut an anderen Gebieten stehend, ist noch wenig studirt.
a) Pharyngitis acuta oedematosa. An der Uvula, gewissermaassen dem
periphersten Theile des Nasenrachenraumes, kann man Oedeme entzündlichen
Affectionen der hinteren Gaumenwand gar nicht selten beobachten. Wenig
beachtet sind offenbar die Oedeme des übrigen Rachens; doch hat Verfasser
solche der Plica salpingopharyngea bei erysiplatöser Infection der hintern
Wand der Pars laryngea, endlich des Rachendaches unter bedeutender Ver-
kleinerung der einen Choane bei Vorhandensein von Geschwüren, bezw. in
Form einer polypoiden Entartung in Erinnerung.
bj Pharyngitis erysipelatosa. Diese kommt sowohl primär, und zwar
manchmal zunächst unter dem Bilde einer einfachen Pharyngitis, die erst
nach der typischen Efflorescenz in der Ohrgegend richtig gewürdigt wird, als
PHARYNGITIS. 497
auch, und zwar viel häufiger, secundär zum Ausbruche. Hochgradige lack-
farbene Hyperämie und Schwellung, besonders des adenoiden Gewebes, Ver-
legung des Nasenrachenraumes, eitriges oder hämorrhagisches Beeret, Lymph-
drüsenschwellung am Halse, häufige Mittelohr- und ödematöse Kehlkopfent-
zündung verleihen ihr im Vereine mit sonstigen localen und allgemeinen Er-
scheinungen einen besonderen schweren Charakter. An der Hinterwand können
sich Blasen entwickeln; es kann zu Phlegmone und Gangrän kommen. Nor-
maler Weise erreicht die Infiltration in 2—3 Tagen ihren Höhepunkt. Die
locale Therapie hat Eis innerlich und äusserlich am Halse sowie Reinigung
des Rachens und des Nasenrachenraumes etwa mit Borsäurelösung anzuwen-
den; wegen der stets drohenden Entwicklung eines rasch ansteigenden Kehl-
kopfödemes muss der Patient wenn möglich laryngoskopirt und sorgfältigst
überwacht werden.
c) Pharyngitis phlegmonosa. Sie ist noch recht selten beschrieben worden.
An der unteren Rachenwand werden Traumen (Fremdkörper), galvanokaustische
Operationen und das Erysipel, als dessen localisirte Form man sie bezeichnet
finden kann, die hauptsächlichsten Ursachen sein; im Nasenrachenräume
mögen auch periostitische und peripharyngotonsilläre Processe zu Grunde
liegen. Unter ähnlichen, Erscheinungen wie bei Pharyngitis erysipelatosa
kommt der Abscess zur spontanen oder geeigneten Falles künstlichen Eröffnung.
Als „acMife infediöse Phlegmone des Bachens"' beschrieb Senator eine
spontan oder durch Fremdkörper eintretende Affection mit frühzeitigen Hals-
schmerzen besonders beim Schlucken, Fieber, dann Heiserkeit und laryngealer
Athemnoth, Drüsenschwellungen, Sensoriumstörung und zumeist letalem Aus-
gange, ohne dass erhebliche Erscheinungen an anderen Organen festzustellen
waren. In den tieferen Geweben der Pharynxschleimhaut fand sich constant
eine diffuse eitrige Entzündung. Die Eigenart der Krankheit ist noch nicht
sichergestellt.
9. Pharyngitis acuta ulcerosa. Abgesehen von den Geschwüren infolge
Zerfalles von Blasen und Pusteln und den gelegentlich auftretenden bei acuten
Infectionskrankheiten (diphtheritische, specifisch -typhöse) kommt es noch be-
sonders manchmal zum Zerfall von Follikeln oder Schleimdrüsen; im ersteren
Falle haben die Geschwürchen eine flache Form, im letzteren aber einen
überhängenden Rand. Sie sind mit Höllenstein zu tupfen.
10. Pharyngitis gangraenosa. Spontan oder im Gefolge des Herpes, Pem-
phigus, Scorbutes, Erysipels, der Diphtherie, von Verletzungen und consumi-
renden Krankheiten, angeblich auch nach der Impfung auftretend, macht der
feuchte Brand manchmal erst an der Knochenunterlage Halt. Das bei grösserer
Ausdehnung wohl unvermeidliche, letale Ende tritt infolge Sepsis, Blutungen
oder Inanition ein. Die Therapie hat für Erhaltung der Kräfte, Linderung
der Leiden, sowie Reinhaltung und Desinfection der befallenen Stellen zu
sorgen.
11. Pharyngo-tonsillitis acuta. Die Entzündungen der Rachenmandel
nehmen eine sehr ähnliche Stellung auch in Bezug auf das umliegende Ge-
webe ein, wie jene der Gaumenmandel. Mit dem Nasenrachenspiegel sind die
nachstehenden Formen studirt worden:
o^ Pharyngo-tonsillitis acuta catarrhalis oder simplex
(Adenoitis der Franzosen). Sie ist am häufigsten im Kindesalter; ihre Aetio-
logie ist ähnlich wie "jene der einfachen Pharyngitis, nur wird hier besonders
noch die Schädigung durch diagnostische Palpation erwähnt (es ist keines-
wegs überflüssig, darauf aufmerksam zu machen, dass einmal die Nase keine
absolute Reinigung der eingeathmeten Luft vollzieht und dann, dass vor dem
Eingehen in den Nasenrachenraum nicht nur der Finger und die Instrumente,
sondern auch die Mundhöhle und der untere Rachen einer möglichst gründ-
lichen Desinfection bedürfen). Die Symptome sind lebhafter wie bei der
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten. öjS
498 PHARYNGITIS.
gewölmlichen Entzündung des Nasenrachenraumes, besonders hinsichtlich des
meist remittirenden Fiebers; die Absonderung kann rostfarben sein. Die
Prognose ist an sich gut. Die Therapie entspricht ebenfalls jener beim
acuten oberen Rachenkatarrhe.
h) Pharyngo-tonsillitis acuta follicularis. Man kann dieselbe
mitunter als Vorläufer der gleichartigen Gaumenmandelentzündung zu sehen
bekommen; sie verhält sich sonst wie eine obere Rachenentzündung.
c) Pharyngo-tonsillitis phlegmonosa seu parenchymatosa.
Hiebei vereitert infolge Streptococceninvasion eine grössere Masse des folli-
culären Gewebes; den häufigsten Anlass sollen Operationen an der Rachen-
mandel und die Palpation geben. Die Erscheinungen sind etw^a wie bei der
Pharyngitis phlegmonosa; die Rachenmandel selbst ist hochgradig und derb
geschwollen, oft mit einem harten Kerne. Es soll auch zu Senkungsabscessen
kommen können. Ob es möglich ist, dem Rachenmandelabscesse instrumenteil
von der Nase oder dem Munde aus beizukommen, sei noch dahingestellt.
Jedenfalls ist nach Ablauf der Entzündungen, wie überhaupt, die vergrösserte
Rachenmandel zu entfernen.
B. Pharyngitis chronica.
1. Pharyngitis chronica catarrhalis.
Vorkommen. Dieselbe ist ungemein verbreitet; kein Lebensalter ist
von ihr verschont; das Hauptcontingent stellen aber Männer zwischen dem
20. und 50. Lebensjahre und nur relativ häufig ist auch das Kindesalter von
der folliculären Form betroffen. Ganz besonders zahlreich sollen die Nord-
amerikaner an chronischem Rachenkatarrhe leiden; neben der berüchtigten
Stärke der von ihnen genossenen, geistigen Getränke und Tabake wird noch
der ungesunden Beschaffenheit der bald staubreichen, bald zu trocken er-
wärmten Luft die Schuld beizumessen sein. In England ist entsprechend der
besonderen Häufigkeit bei den Geistlichen der Name ;,clergyman's sore throat"
aufgebracht worden; hierzulande wird man dagegen das Wirtschaftsgewerbe
als besonders disponirend erklären müssen.
Aetiologie. Die Nichtausheilung eines acuten Rachen-
katarrhes oder gehäufte Recidive desselben führen recht oft zur chronischen
Entzündung; häufige und glücklicherweise leichter abzustellende Veranlassungen
solcher wiederkehrender Anfälle sind u. a. die unvorsichtige und gewohnheits
massige Benetzung des Haupthaares, der Wechsel von verweichlichender, zu unge-
nügender Bekleidung des Halses und noch andere vermeidbare Erkältungen.
Meistens entwickelt sich aber der chronische Rachenkatarrh schleichender.
Eine sehr häufige cumulative Wirkung entfaltet der gewohnheitsmässige Genuss
heisser, scharfer und kratzender Speisen bezw. Getränke (nicht zu vergessen
rauhkörniger Früchte und der Trinkcuren an Thermen), von grösseren Mengen
kalten Bieres, wie auch sauren Weines und sonstigen Alkohols an sich sowohl
als auch wegen der nebenlaufenden, anderen Schädlichkeiten des Kneiplebens,
von Tabak in jeder Form. Dass Anstrengungen der Stimme für sich allein
zu einem chronischen Rachenkatarrhe führen könnten, ist nicht wahrscheinlich
(wir müssen damit nicht verwechseln, dass allerdings Entzündungen des
Rachens durch sie verschlimmert werden); es wird vielmehr die Zuhilfenahme
der Mundathmung infolge des höheren Luftbedürfnisses und die damit
eintretende Bestreichung des Rachens durch nicht gereinigte, vorgewärmte
oder angefeuchtete Luft den Schaden anrichten. Den ganz gleichen Umstand
finden wir auch sonst bei theilweiser oder vollständiger Mundathmung, durch
welche die Beeinträchtigung des freien Lumens der Nase oder des Rachen-
raumes die Nasenathmung ergänzt oder ersetzt wird. Die Behauptung, dass
die grosse Weite der Nase oder des Nasenrachenraumes Anlass zu Rachen-
katarrhen gibt, muss Verfasser als jedenfalls nicht durchaus zutreffend er-
PHARYNGITIS. 499
klären. Ein Punkt von ganz hervorragender Wichtigkeit ist die Erkran-
kung des Rachens, zunächst des Nasenrachenraumes, infolge Weiterleitung
chronischer Entzündungen der Nase, und sodann jene des unteren Ilachens
im Anschlüsse an den Nasenrachenraum; es können diese secundären Entzün-
dungen in interstitieller Fortpflanzung oder durch den verschiedenartigen
Reiz der nach hinten und unten weiter geführten Absonderungen der Nase
und ihrer Nebenhöhlen oder des oberen Rachens erfolgen. Wenn auch die
Neigung, diesen Zusammenhang gar zu obligat aufzufassen, nicht gerechte
fertigt ist, so muss doch die Erkenntnis und Kenntnis desselben als unge-
mein wichtig erklärt werden. Ganz ähnlich verhält es sich mit der secun-
dären Entzündung von Seite des Mundes, von wo schon die Zersetzung
der nicht entfernten Speisereste fortwährend reizende Stoffe und
Mikroorganismen aussendet, ferner des Isthmus faucium und der subpharyn-
gealen, secernirenden Athmungswege; auf welche Weise Magenerkrankungen
die Miterkrankung des Halses bewirken, ist weniger klargelegt. Wieder sind zu
erwähnen die Störungen im mechanischen oder chemischen Verhalten der
Körperflüssigkeiten bei Stauungen allgemeiner und localer Art (letztere
besonders bei Enge der Hemdkrägen und Kropf), Diabetes, Gicht und Rheu-
matismus, ferner die mechanische oder chemische Schädigung durch Silicate,
Blei, Zink, Wismuth, Antimon, Chrom, Jod, Quecksilber, Salmiak, schwefelige
Säure, Methylalkohol. Die einstmals moderne Anschuldigung des verlängerten
Zäpfchens erlaubt man sich heutzutage nur mehr angesichts eines ganz rie-
senhaften Exemplares.
Symptome. Die Beschwerden der betroffenen Individuen stehen sehr
häufig in ihrer Geringfügigkeit umgekehrt zu ihrer Grösse, letzteres nament-
lich bei Nervösen, ausser Verhältnis zu der Schwere der objectiven Verände-
rungen. Localer Art sind die durch das schleimige oder eitrige und selbst
blutgemischte Secret hervorgerufenen Belästigungen, die sich im unteren
Rachentheile als Fremdkörpergefühl und Reiz zum Schlucken oder Räuspern,
im Nasenrachenräume als ein eigenthümliches kurzes Ausblasen oder Hinab-
schnauben bemerklich machen; ferner Schluckschmerzen, besonders an der
Pars lateralis, Brennen und Kitzeln, blitzartige oder rheumatische Schmerzen
zwischen den Schulterblättern oder Schlüsselbeinen und am Kopfe, in den
Ohren (besonders von den Tubenwülsten aus), im Hinterhaupte (von der Gegend
des Fornix aus), ja bis in die Stirne und Schläfen. Bei Nasenrachenkatarrh be-
bekommt die Stimme gerne einen näselnden Ton. Zersetzte Secrete können
subjective Geschmacksempfindungen und, wie Verfasser bestimmt bei einem
Nasenrachenkatarrh es fand, subjectiveKakosmie hervorrufen. Motorische
Reflexneurosen sind manchmal nervöser Husten nnd Asthma, häufiger aber
Würgen; mit Recht wird heute bei Vomitus matutinus, Globus hystericus und
Ermüdung der Stimme dem Zustande des Rachens Aufmerksamkeit geschenkt.
Nicht sehr häufig ist es, dass eine Affection des Gehörorganes und des Kehl-
kopfes ausbleibt. — Durch die andauernden Beschwerden oder die in manchen
Fällen eintretenden leichteren Blutungen im Halse gelangen nicht wenige
Patienten zur Einbildung andersartiger Erkrankungen, wie Krebs, Tuberku-
lose, Syphilis, Gehirnleiden, und gerathen in schwermüthige und grübelnde
Stimmung. Sehr gerne bleiben auf pharyngitischer Grundlage langdauernde
Parästhesien nach Fremdkörpern zurück.
Bezüglich der Diagnose bedarf es oft umständlicher und gründlicher
Untersuchungen, wobei local auch der Kehlkopf- und Nasenrachenspiegel, die
Inspection vom Nasenloche aus, die Sonde, die Cocainprobe u. a. in An-
wendung kommen, um besonders den Schmerz- und Reflexpunkten, den äti-
ologischen Momenten und Erkrankungsherden nachzuspüren; es ist dies für
die Therapie von grosser Wichtigkeit. Nicht zu vergessen ist, dass Sensa-
32*
500 PHARYNGITIS.
tionen wie beim Rachenkatarrhe im Anfange der Lungentuberkulose und man-
cher Psychosen auftreten können.
Formen. Dieselben sind häufig combinirt; es ist dann Gelegenheit ge-
geben, nach dem Vorwalten der einzelnen Charakteristica die Einreihung vor-
zunehmen.
a) Pharyngitis hypertrophica oder simplex: Die geröthete oder rothbraune
Schleimhaut ist geschwollen und sammtartig, bisweilen auch mit wohl er-
kennbaren Zotten besetzt; das Epithel ist oft stellenweise verdickt; selten ver-
dünnt oder meist nur auf kleine Strecken, abgestossen. Gewöhnlich liegen
Zahlreiche Rundzellen in der Schleimhaut bis sogar in die oberflächlichen
Muskellagen. Die Schleimdrüsen sind hypertrophisch, das schleimige oder
eitrige Secret besonders des Nasenrachenraumes ist oft sehr massenhaft. Der
schwammige Turgor der Schleimhaut des Rachens und der Uvula hat Anlass
zu dem nicht unpassenden Ausdrucke „relaxed throat and uvula" gegeben.
b) Pharyngitis atrojjhica. Die Annahme, dass sich diese Form aus der
hypertrophischen entwickelt, bedarf bei den diabetischen und consumptiven
Fällen noch der Prüfung. Im Uebrigen findet sich häufig ein Neben- und
Durcheinander der Erscheinungen von a) und b), welches man neutral als
Uebergangsformen ansprechen wird. Die atrophische Schleimhaut ist meist
roth, aber dünn und oftmals wie lackirt; das Bindegewebe ist vermehrt, oft
wie narbig, die Drüsen sind vielfach degenerirt. Sehr hohe Grade finden sich
als Pharyngitis foetida zumeist im Gefolge der Rhinitis atrophica foetida
oder Ozaena vera. Die STöRK'sche Blennorrhoe mit ihren Rachenaffec-
tionen wird, so weit sie nicht dem Rhinosklerom entspricht, von den meisten
Autoren unter diese Form eingereiht.
c) Pharyngitis granulosa oder follicularis chronica. Schon bei der hyper-
trophischen, noch weit mehr aber bei der atrophischen Rachenentzündung
können sich sogenannte Granula finden; eine Beherrschung des pharyngo-
skopischen Bildes durch sie gibt Anlass, nach ihnen den Gesammtzustand des
Rachens zu benennen. Die Granula sind graue oder rothe, rundliche oder
längliche Erhabenheiten von Hanfkorn- bis Erbsengrösse, die an den seitlichen
oder hinteren Rachenpartien sitzen und auch die Partes retronasalis und
laryngea nicht verschonen. Sie verdanken einer bedeutenderen, bald diffusen,
bald folliculär angeordneten Vermehrung des lymphatischen Gewebes in der
Umgebung der erweiterten Ausführungsgänge der Schleimdrüsen ihre Ent-
stehung. Ihre Kuppen können des Epithels verlustig gegangen sein. In der
Mündung des Drüsencanales können sich Concremente gleich den Mandel-
pfropfen finden.
d) Pharyngitis lateralis oder retroarcualis '= chronische Entzündung oder
Hypertrophie der Seitenstränge. Es ist dies eine nur durch ihre
Localisation, nicht aber durch eigenartige Schleimhautveränderungen aus-
gezeichnete Form. Es handelt sich bei ihr um eine Hypertrophie der Schleim-
hautpartie in der Rinne zwischen der hinteren Rachenwand und dem Isthmus
faucium, beziehungsweise der oberen Gaumenfläche, im allgemeinen also der
Plica salpingopharyngea und ihrer Fortsetzung gegen den Kehldeckelrand.
Man sieht ohneweiters oder beim Würgen und Abdrängen des hinteren
Gaumenbogens die mehr minder starken bis kleinfingerdicken blass- oder
lebhaftrothen Wülste meistens zu beiden Seiten des Rachens. Ihre Oberfläche
ist bald glatt, bald durch Granula uneben gemacht. Als Pharyngitis
granulosa lateralis bezeichnete Heryng ein Conglomerat von Granula
an der Plica salpingopharyngea ohne Hypertrophie der Seitenstränge.
e) Als ^^Bursitis" wurde von Tornvvaldt die hypersecretorische oder
cystische Erkrankung der „Bursa pharyngea" bezeichnet; die fernere Prüfung
dieser ungemein anregenden Studie bediente sich der Bezeichnung „Torn-
WALDT'sche Krankheit". Wenn auch später festgestellt worden ist, dass
PHARYNGITIS. 501
eine eigenartige Bursa im Sinne Tornwaldt's nicht besteht, sondern es sich
nur um eine Umwandlung des Recessus medius der Rachenmandel zu einem
hartnäckigen Entzündungsherde handelt, ferner dass auch die seitlichen
Furchen derselben sowie Buchten an der oberen Tubenwulstgrenze und in den
RosENMüLLEii'schen Gruben oder Keilbeinempyerae ganz ähnliche Erschei-
nungen hervorrufen können, so haben doch die TouNWALDx'schen Unter-
suchungen eine höchst beachtenswerte Ursache der Hartnäckigkeit vieler
zumal atrophischer Rachenkatarrhe aufgedeckt. Die directen Erscheinungen
bestehen in einem nach abwärts divergirenden eintrocknenden Secretflusse,
in Kopfschmerzen und Fremdkörpergefühl.
Der Name Pharyngitis sicca bezieht sich nur auf das oft zu beobachtende
Eintrocknen der Rachensecrete; am häufigsten, aber nicht ausschliesslich,
kommt es dazu bei der Pharyngitis atrophica. Davon zu trennen ist das
Eintrocknen von Kehlkopf- und Lungensecreten an der Rachenwand, beson-
ders in der letzten Zeit der Schwindsucht.
Therapie. Palliativ und zugleich unterstützend als Reinigungs-
mittel dienen das Trinken von Säuerlingen und massig warmen Aufgüssen,
die kühle Inhalation von l%iger Kochsalz- oder Sodalösung oder entsprechen-
der Mineralwässer, die hiemit ziemlich gleichartigen Spülungen vom Mund oder
der Nase aus, die Anwendung von Mandelöl, Glycerinlösung 1:3 und Borsalbe
direct, beziehungsweise von der Nase aus. Gurgelung oder Inhalation von
1— 47oiger Bromkaliumlösung lindert die Schmerzen. Ebenfalls nur palliativ
anfeuchtend wirken die schleimigen und alkalischen Pastillen.
Betreffs der causalen Behandlung ergibt sich das Nähere aus der
Aetiologie von selbst. Anzuführen wäre noch, dass der Patient das oft so
übertriebene Räuspern und Würgen lassen muss, wobei man anfangs durch ein
Narcoticum den Reiz abstumpfen kann. Anstrengungen der Stimme sind zu
verbieten. Eine häufige Ursache der Erkältungen ist im Fussschw^eisse zu
behandeln. Bei unterer Pharyngitis ist Nachdruck auf die auch sonst höchst
empfehlenswerte Reinigung des Mundes direct nach jeder Mahlzeit zu legen.
Betreffs der schädlichen atmosphärischen Einflüsse und Genussmittel kann
man die energischeren Patienten nach Belehrung oft vielfach ihrer eigenen
Beobachtung folgen lassen; der Ersatz des Bieres durch gleichwertige Mengen
Weines ist beliebt, aber nicht ohneweiters zu billigen. Die Freimachung
des obersten Luftweges geschieht nach specialistischen Grundsätzen.
Von balneologischen Curen ist direct gegen die Pharyngitis der
eigentliche Bädergebrauch in Deutschland wenig geübt. Die angepriesene
heilende Wirkung kalter und vor allem heisser alkalischer Trinkcuren bei
Pharyngitis jeder Art bedarf einer ganz unparteiischen Prüfung; jedenfalls
sind die Patienten zu veranlassen, den Aufenthalt an den durch die j\Iilde
der Luft mindestens ebenso sehr wie durch die Bestandtheile ihrer Quellen
ausgezeichneten Heilplätzen zu einer sachgemässen localen Behandlung zu
benützen. Klimatische Curorte können nur solche mit staub- und bacterien-
armer Luft sein; für hypertrophische Rachenkatarrhe eignet sich ein mildes
Klima, für atrophische der Aufenthalt am Meere oder in milden, nicht trockenen
Gebirgsthälern. Die der populären Hydrotherapie anhaftende Chablonirung
ist absolut zu verw^erfen.
Die medicamentöse innere Behandlung der Rachenkatarrhe weist
directe Erfolge wohl nur bei syphilitischer und scrophulöser Grundlage (für
letztere im Jod und Solveol) auf; unterstützend wärkt sie durch Anwendung
gegen andere causale Leiden. Local wählt man je nach dem hypertro-
phischen und atrophischen Zustande des Rachens verschiedene Mittel. So
werden gegen die erstere Form mit Vorliebe Adstringentien (Argentum nitri-
cum 5— lO^/o, Chlorzink 1— 2'^/o, Tannin, welches leicht die Zähne bräunt,
und Alaun bis zu 2% u. a.) verschiedentlich als Pinselungen, gurgelnde
502 PHARYNGITIS.
Bespülungen und Inhalationen verwendet; sehr gerne bedient sich Verfasser
für den Nasenrachenraum kleiner Tannin- und Jodol-Insufflationen, des Sprays
mit Argentum nitricum, der leider über 1— 27o sehr empfindlich werden
kann, und mit LiGOL'scher Lösung. Für die atrophische Form und auch für
hypertrophische eignen sich Jod-Jodkali-Glycerinlösungen (0-25— O'S: 1—3:20)
als Pinselung und die kleinweise, aber täglich öfters wiederholte Benützung
eines Gurgelwassers aus 7 Tropfen Jodtinctur, 1 Kaffeelöffel Kochsalz, 2500
Wasser; Die Pinselungen sind energisch und anfangs täglich, später drei-
mal wöchentlich vorzunehmen, nach ein paar Wochen aber zu unterbrechen;
für den Nasenrachenraum bedarf man gebogener Instrumente.
Die Granula und vergrösserten Seitenstränge lassen mitunter eine Ope-
ration mit schneidenden Instrumenten vortheilhaft erscheinen; im allgemeinen
behandelt man sie aber mit Kaustik, besonders Galvanokaustik. Dass
diese Operationen nicht ohne volle Vertrautheit mit der Technik vorgenommen
werden sollen, beweist der buchstäblich tabaksbeutelförmig zusammengezogene
Rachen eines auswärts operirten Patienten, zufällig eines Sängers.
Der Behandlung des Nasenrachenraumes können verschiedene
Aufgaben gestellt sein; so die Spaltung der Verwachsungen zwischen der
Tube und dem Nasenrachendache oder im Gebiete der RosENMtJLLER'schen
Gruben, die Auskratzung und Abtragung secernirender Recessus beziehungs-
weise folliculären Gewebes.
Fortgeleitete Entzündungen sind zunächst an den primären Herden zu
behandeln.
Im ganzen kann man sagen, dass die Behandlung der Rachenkatarrhe
viele Zeit, Geduld und Erfahrung zu erfordern vermögen, und dass ohne Aus-
schaltung der ätiologischen Factoren Rückfälle nur selten vermieden werden.
2. Pliaryngitis chronica erythematosa ist als eine Pharyngitisform der Tabakarbeiter
beschrieben worden.
3. Pharyngitis chronica haemorrhagica. Mit diesem Namen wird mitunter auf die
nicht wesentliche Beimengung von Blut zu den Secreten und die freien oder interstitiellen
Hämorrhagien beim chronischen Rachenkatarrh hingewiesen. Nur beim Scorbut haben
diese Erscheinungen mehr Eigenart.
4. Pharyngitis chronica ulcerosa. Chronische Geschwüre finden sich bei Lupus,
Tuberkulose, Syphilis, Scrophulose, rasch heilende, aber chronisch sich erneuernde auch
beim Pemphigus; recht selten sind tiefere Substanzverluste beim chronischen Rachen-
katarrh, am häufigsten wohl noch bei Arbeitern in Chromsäurefabriken.
5. Pharyngitis chronica submucosa. Es gibt zweifellos chronische Infil-
trationen der Submucosa des Rachens, die aber anscheinend noch wenig be-
achtet sind. S. Pharyngitis acuta Nr. 8 a.
6. Pharyngitis chronica exsudativa. Ueber den Herpes s. Pharyngitis
acuta Nr. 7 c.
7. Pharyngitis desquamativa oder cachectica s. Pharyngitis acuta Nr. 6.
8. Pharyngitis chronica mycotica. Abgesehen davon, dass der Soor mit-
unter sehr hartnäckig ist, findet sich sehr selten auch an der hinteren
Rachenwand jene Affection, welche als Mycosis benigna oder leptothricia
bezeichnet wird. Nach neuesten Forschungen handelt es sich wesentlich um
eine stachelförmige Epithelwucherung, während die gefundenen Leptothrix-
formen nur nebensächliche Ansiedler sind, so dass Siebenmann den Namen
Hyperkeratosis lacunaris vorschlägt. Die weissen, sich hartnäckig er-
neuernden Kornstacheln haben nur durch die Erinnerung an Diphtherie eine
praktische Bedeutung.
9. Pharyngitis scorhutica. Sie soll durch eigenthümliche Schleimhaut-
excrescenzen gekennzeichnet sein.
10. Pharyngitis skleromatosa. Dieselbe ist meist eine Fortsetzung des
Rhinoskleroms, kann aber auch primär und selbst ganz ohne Betheiligung der
äusseren Nase auftreten. S. „Rhinosklerom".
PHARYNGOSKOPIE.
503
S. Tuberkulose des Rachens.
11. Pharyngitis scrojohulosa. Sie wird heutzutage viel seltener als früher
diagnosticirt. Ihre Geschwüre gleichen spätsyphilitischen und sitzen retro-
nasal, wo sie mitunter besser von der Nasenhöhle her zu sehen fsind, oder
in der Pars oralis. Sie sind local mit Argentum nitricum zu behandeln; Ver-
fasser hat, nach vorübergehendem Erfolge der antisyphilitischen Curen, dau-
ernden Erfolg von Solveol gesehen.
12. Pharyngitis tuberculosa.
13. Pharyngitis luposa.
14. Pharijngitis syphilitica. Während einzelne Autoren das Vorkommen
von Plaques auf der hinteren Rachenwand leugnen, beschreibt Schuhmacher
denselben ganz ähnliche Flecke als Vorläufer des Mercurialismus im Munde;
Verfasser hat an dem vorderen Piande von Resten der Rachentonsille
nach Schmiercuren eine anscheinend gleichartige weissliche Verfärbung
gesehen.
15. Durch die Lepra scheinen ebenfalls Veränderungen hervorgerufen
zu werden.
16. Pharyngotonsillitis chronica. Dieselbe ist an hypertrophischen Rachen-
mandeln häufig und kann zu recht lästigen Schleim- und noch öfter Eiter-
entleerungen auch durch die Nase Anlass geben. Auch Syphilis und Tuber-
kulose der Rachenmandel ist zu beobachten. Ob die Vergrösserung der
Rachenmandel durchaus als Folge einer Entzündung anzusehen ist, erscheint
bei dem Mangel von Secret an vielen operirten Exemplaren und dem so häu-
figen Fehlen anderer Rachenerscheinungen zweifelhaft. beegeat.
Pharyngoskopie. Für die Besichtigung des Rachens ist eine gute
Beleuchtung desselben nothwendig; sie geschieht entweder durch diffuses
Tageslicht oder directes Sonnenlicht, indem wir den Patienten mit dem Ge-
sicht gegen das P'enster setzen, oder aber wir benutzen letzteres sowohl wie
künstliche Lichtquellen, um es mittels Reflectors in den Rachen des Kranken
zu werfen. (Ueber den Gebrauch
des Reflectors sowie die Stel-
lung des Patienten zum Licht
s. unter „Laryngoskopie"). Als
Lichtquellen dienen helle Petroleum- oder
Gaslampen oder durch Batterien oder Accumu-
latoren erzeugtes elektrisches Licht. Man ver-
wende für letzteren Zweck Glühlämpchen von
circa 8 Volt Spannung und mit einem in Form
eines Hufeisens oder einer Schlinge gebo-
genen Kohlenfaden; sie geben bei einem Ab-
stand von 25 cm eine Intensität von 1200
Meterkerzen. Bei Sonnenbeleuchtung oder
bei Benutzung des diffusen Tageslichtes er-
scheint die Schleimhaut heller, mehr zart-
rosa, die anämischen oder ulcerirten Stellen
sehen weisslicher aus als bei künstlichem
Licht, das gewissermaassen einen gelblichen
Schleier über die natürlichen Farben deckt.
Bei manchen Menschen, insbesondere bei Sängern, kann man, wenn sie
den Mund öffnen, ohne weitere Hilfsmittel den oralen Theil des Rachens, ja
manchmal sogar den laryngealen übersehen, weil sie die Zunge glatt auf den
Mundboden legen; gewöhnlich sind wir aber gezwungen, die sich aulbäumende
Zunge aus dem Wege zu räumen. Man benutzt dazu improvisirte Instru-
mente — Löffelstiel, Zahnbürste, Federhalter u. a. m, — oder eigens für
Fränkers
Mundspatel.
Türck's Mundspatel.
50 4 PHARYNGOSKOPIE.
diesen Zweck angefertigte. Am meisten zu empfehlen sind der FEÄNKEL'sche
und TüRCK'sche Mundspatel (s. P'ig.)
Ersteren nimmt man in die Faust, legt den Daumen an seine hintere
Krümmung und den Zeigefinger unter das Kinn des Patienten. Den Spatel
lege man auf die Mitte der Zunge, und zwar noch vor den papill. vallatae,
und drücke sie nach unten und vorne von der hinteren Rachenwand fort,
so dass die Richtung der Kraft vor das Zungenbein fällt. Man setze den
Spatel fest auf und überwinde mit Kraft die etwa auftretenden Widerstands-
bewegungen der Zunge.
Je näher man mit dem Spatel den Gaumenbögen kommt, desto leichter
tritt eine Würgbewegung ein; man ruft dieselbe gelegentlich absichtlich her-
vor, weil man dabei die seitlichen und tieferen Partien des Rachens besser
übersehen kann Gelangt der Spatel hinter die papill. vallatae, so tritt
ebenfalls eine Würgbewegung ein. Dieselbe kann aber bei sensiblen Patienten
— besonders bei Potatoren und Schwangeren — auch ohnedies erfolgen, ja
manche Kranke würgen schon, wenn sie den Mund öffnen sollen. Man stelle
sich daher immer etwas seitlich vom Patienten, damit man nicht eventuell
mit dem Erbrochenen und bei etwaigen Operationen mit Blut beschmutzt
werde.
Kinder wollen oft den Mund nicht öffnen, man muss ihnen dann die
Nase zuhalten, damit sie gezwungen w^erden, ihr respiratorisches Bedürfnis
durch die Mundathmung zu befriedigen. Oeffnen sie dabei den Mund noch
nicht in ausreichender Weise, indem sie die Zähne aufeinanderbeissen, so
führt man den Spatel durch eine Zahnlücke oder hinter dem letzten Backzahn
nach hinten bis auf den Zungengrund und löst so eine Würgbewegung aus,
bei der dann der Mund in genügender Weise geöffnet wird.
Wir sehen nun bei der pharyngoskopischen Untersuchung den weichen
Gaumen mit der Uvula, jederseits den vorderen und hinteren Gaumenbogen
— arcus glosso — resp. pharyngo-palatinus — zwischen ihnen die Tonsille
mit ihren lacunären Oeffnungen; die Mandeln liegen manchmal so tief in der
Nische zwischen den Gaumenbögen, dass man, um sie ganz zu übersehen, den
arcus glosso-palatinus bei Seite schieben muss. Die hintere Rachenwand liegt
nicht immer genau in der frontalen Ebene, sondern weicht zuweilen auf einer
Seite schräg nach hinten ab, so dass das Velum hier weiter von ihr ent-
fernt ist als auf der anderen Seite.
Lässt man den Patienten „a" sagen, so hebt sich das Gaumensegel,
und wir übersehen einen grösseren Theil der hinteren Rachenwand; dabei
strecken sich die Gaumenbögen und nähern sich der Mittellinie. Die bogen-
förmig ansteigenden Gaumenbögen begrenzen einen in der Mitte durch das
Zäpfchen in zwei Theile getheilten Raum, den man gewöhnlich mit gothischen
Fenstern vergleicht; durch sie hindurch sieht man die die vordere Wirbel-
säulenfläche bekleidende Schleimhaut der hinteren Rachenwand.
Die Schleimhaut des Velum, sowie die Gaumenbögen, von denen der
vordere gewöhnlich stärker geröthet ist, und die hintere Rachenwand zeigen
oft deutlich sichtbare Gefäss Verzweigungen; in der Mittellinie des Gaumen-
segels verläuft vom harten Gaumen bis zur Uvula ein circa 1 mm breiter weisser
Streifen, die Raphe, die einen von dünner Schleimhaut überzogenen, fibrösen,
und daher weiss aussehenden Streifen darstellt. Er bleibt unter normalen
Bedingungen, bei unveränderter Motilität, beim Heben des Gaumensegels in
der Mitte. Der Abstand des letzteren von der hinteren Rachenwand beträgt
bei ruhiger Athmung circa 1 — 2 cm; bei Neugeborenen ist er verhältnismässig
gross. Auf der hinteren Wand sieht man auch bei Gesunden nicht selten
mehrere etwa linsengrosse, rundliche rothe Erhabenheiten (granula), die,
ähnlich den Zungenbalgdrüsen, im Centrum eine kleine Oeffnung zeigen; die-
selbe entspricht der Mündung eines Drüsenausführungsganges, um den herum
PHARYNXNEOPLASMEN. 505
lymphoides Gewebe — das granulum — sich angehäuft hat. Hinter dem hin-
teren Gaumenbogen sieht man jederseits einen dünnen Strang bis in den
Nasenrachen verlaufen — den Seitenstrang.
Um den Nasenrachen zu inspiciren, bedient man sich der lUiinoskopia
posterior. (Näheres siehe daselbst.) a. eosenbekg.
Pharynxneoplasmen. Die gutartigen Neoplasmen des Rachens (Cy-
sten, Papillome, Fibrome, Angiom e, Lipome, Myxome, Adenome)
sind unter den entsprechenden Stichworten speciell behandelt. Es erübrigt
an dieser Stelle nur von den malignen Geschwülsten im Pharynx zu sprechen.
Sarkome und Carcinome kommen im Pharynx überhaupt selten zur
Beobachtung und auch dann finden wir dieselben häufiger im unteren Ab-
schnitte desselben, im Mundrachen, als im oberen, im Nasenrachenräume. Die
Sarkome bilden missfarbige, unregelmässig runde Geschwülste, die mit breiter
Basis vom Pharynxdache, von der vorderen Fläche der Wirbelkörper oder auch
in der Gegend der Tubenöffnungen ihren Ausgang nehmen. In einem Falle
von Delanx (cit. von Hoppe) war ein kleinzelliges Sarkom von der Schleim-
haut des hinteren Vomerrandes ausgegangen; König operirte mit Erfolg ein
bis zum Kehlkopf herabreichendes Rundzellensarkom, das mit dünnem Stiele
vom Pharynxdach ausgegangen war. Nach diesem Autor gibt es bei älteren
Leuten fibrosarkomatöse Mischgeschwülste im oberen Rachen, die -wie die
typischen Nasenrachenpolypen mit breiter Basis aufsitzen, die aber im Ge-
gensatz zu jenen die Neigung haben, in das benachbarte Gewebe hineinzu-
wuchern. In einem Falle von Myxosarkom, das mit dichtem, langem Stiele
vom Rachendache entsprang (ebenfalls citirt von Hoppe) war der Tumor
durch die Choanen bis ins Antrum Highmori hineingewachsen.
Das Sarkom zeigt ungemein rasches Wachsthum, zerfällt aber nicht so
schnell, als wir dies beim Carcinome sehen; letzteres tritt anfangs in der
Form von circumscripten harten Knoten auf, die aber bald zerfallen und in
eine grosse schmutzige Geschwürsfläche sich umwandeln, deren Ränder unregel-
mässig zerrissen und stark infiltrirt sind. Im Gegensatze zu den Nasen-
rachenpolypen greifen diese beiden malignen Geschwiüstformen bald auf das
benachbarte Gewebe über, wuchern in dasselbe hinein und es entstehen dann
besonders beim Carcinom starke Anschwellungen der benachbarten Lymph-
drüsen. Neben der profusen und bald schon fötiden Eiterung, die theils an
der hinteren Pharynxwand herabfliesst, theils aus der Nase entleert wird,
verursachen diese Geschwülste sehr leicht heftige Blutungen.
Die Diagnose dieser Tumoren hat in den Anfangsstadien ihre grossen
Schwierigkeiten und selbst die mikroskopische Untersuchung kann uns zu der
Zeit nicht immer vollständig aufklären; beobachten wir dagegen eine rasche
Zunahme der Geschwulst, entstehen jauchige Geschwüre, so ist die Diagnose
nicht mehr zweifelhaft; bei diesen speckigen, zerfallenen Geschwüren muss
auch an Syphilis und Lupus gedacht werden, die gleichfalls in dieser Gegend
vorkommen.
Eine erfolgreiche Therapie kennen wir auch hier nicht; immerhin liegen
einige wenige Fälle vor, wo grössere mit der Schlinge oder auch in anderer
Weise abgetragene Sarkome nicht mehr recidivirten (König); stets muss die
Basis der Geschwulst und ihre Umgebung mit dem galvanokaustischen Brenner
zerstört werden. Galvanische Aetzungen oder elektrolytische Versuche können
an inoperablen Geschwülsten gemacht werden, sei es, um dieselben zu ver-
kleinern und Suffocationserscheinungen zu beseitigen oder Blutungen zu stillen.
Sonst beschränkt sich unsere Thätigkeit auf Anwendung symptomatischer
Mittel zur Hebung der Kräfte, Reinigung der Geschwüre und Linderung der
Schmerz-en. K.
506 PSEUDOCROUP.
PS6UdOCrOUp- Laryngotracheitis catarrhalis acuta. Laryngitis stridulosa.
Katarrhalischer Croup. Laryngitis hypoglottica acuta.
Eine acut verlaufende, dem diphtheritischen Croup symptomatisch viel-
fach ähnliche Entzündung- der Laryngotrachealmucosa, welche jedoch ätiologisch
und anatomisch zu den katarrhalischen oder katarrhähnlichen'"') Erkrankungen
gerechnet werden muss. Sie ist dem kindlichen Lebensalter vorzugsweise
eigen und endet meist in Genesung.
Zeichnen wir den Verlauf des Leidens nach einigen selbst beobachteten Fällen.
Die erste Beobachtung (vgl. Corresp. -Blatt f. Schweizer Aerzte, IX. Jahrgang, 1879,
Nr. 9 T. 1. Mai) betrifft einen kaum neunjährigen, etwas zart aussehenden, sonst gesunden
Knaben. Mehrere Jahre nacheinander je Ende Februar an bellendem Husten erkrankt, traf
ihn am 1. März 1879 der gewohnte Katarrh wieder, nachdem er am 26. Februar sich beim
Schlitteln durchnässt hatte. Schon am Morgen des dritten Krankheitstages traten aber schwe-
rere Erscheinungen auf als sonst, ausgesprochene Laryngostenose mit grosser Angst, livide
"Wangen, rauher Husten mit bellendem Charakter und Aphonie, so dass nur bei erheblicher
Anstrengung die Vocale laut tönten. Rectumtemperatur 39°, Puls 132, Respiration 32 in
der Minute.
In der nun folgenden Nacht trat ein Anfall gesteigerter Dyspnoe hinzu, der jedoch
von selbst nach einer halben Stunde zurückging. Am vierten Krankheitstage um 10 Uhr Vorm.
Rectumtemperatur 39'5, Puls 116, Respirationsfrequenz 16 per Minute. Weniger Dyspnoe.
Abends 5 Uhr Rectumtemperatur 39 3, Puls IIU, Respiration 26. Immerhin tönte der
Husten noch bellend, die Stimme blieb lautlos ausser bei forcirter Ansprache. Keine Sputa.
Abnehmende Dyspnoe.
Am füniten Krankheitstage war die laryngeale Athemnoth vorbei, kein Stenosen-
geräusch mehr hörbar, der Husten aber noch bellend, die Stimme klang nur mit Mühe.
Morgens 5 Uhr etwas Nasenbluten. Das Fieber ist verschwunden, Temperatur 37-8, Puls 92,
Respiration 22.
Während dieser stürmisch verlaufenden Laryngitis konnte durch die Laryngoskopie,
mehrmals unter Verwendung des Sonnenstrahles, der anatomische Befund erhoben werden.
Am dritten Tage, auf der Höhe der Krankheit, fa^nd sich gegen meine Erwartung ein fast
normaler Pharynx und eine fast normale obere Kehlkopfhöhle, namentlich die Sclileimhaut
der Plic. aryepiglott., interarytaenoidea, auch der Seitenwand kaum hyperämisch. Auch
die Stimmbänder erschienen weiss und beweglich, bei Intonation nicht fest geschlossen,
ausgebogen. Dagegen trat am inneren Rande jedes Stimmbandes ein gerötheter
Saum zu Tage, der ganzen Län'ge nach, welcher dergeschwollenen unteren
Stimmbandüberkleidung angehörte. Darunter ist die Laryngotracheal-
mucosa stark geschwollen, so dass das Lumen laryngotracheale in eine
schmale, von hinten nach vorn laufende Spalte umgewandelt ist. Kein
Secret, aber graulich dünner Belag auf der Mucosa.
Die Untersuchung der Lunge ergab dabei spärliches Schleimrasseln und Lungen-
blähung mit tiefstehendem Zwerchfell und kleiner Herzdämpfung.
Am fünften Krankheitstage, als der Sturm vorbei war, liess sich wenig mehr von
einer Vorschwellung der Mucosa hypoglottica erkennen, dagegen bestand noch ein rother
geschwollener unterer Saum längs den Stimmbandrändern. Die Stimmbänder
schlössen besser und es trat viel Schleim aus der Trachea nach oben.
Der rauhe Husten verlor sich als das letzte Symptom. Die Behandlung bestand
anfangs in kaltnassen Compressen auf den Hals, halbstündlich gewechselt, warmen
Dämpfen aus Gefässen, die am Bett standen, Inhalationen mit dem Dampfapparat von
Kochsalzlösung, innerlich wurden warme Getränke, heisse Milch mit Selterswasser gegeben
und Chinin, sulfur. per rectum, später Calomel mit Sulf. aurant. antim.
In einem zweiten Falle handelte es sich um einen siebenjährigen Knaben, den ich ein Jahr
vorher an einer knötchenähnlichen Anschwellung am linken und rechten Stimmbandsaume
behandelt hatte. Nach zweifelloser Erkältung, infolge raschen Sinkens der Lufttemperatur
unter Regengüssen, erkrankte der zu Katarrh disponirte Knabe am 3. September 1890
unter rauhem Husten, leichter Heiserkeit, wozu Abends Athemnoth und etwas Fieber
hinzukamen. Am folgenden Tage constatirte ich Abends 4 Uhr in der Sprechstunde einen
Puls von 136, 28 Respirationen in der Minute, fieberhafte Appetitlosigkeit. Die Stimme
war erloschen. Bei dem Worte „Ernst" ertönte der Vocal erst am Ende der Sylbe, der
Husten war selten, aber anhaltend und von bellendem Charakter, Dyspnoe massig.
Die Laryngoskopie ergab bei ganz normalem Pharynx, Kehldeckel und normalem
plic. aryepiglottic. eine leichte Hyperämie der mucosa interaryt. Die Stimmbänder
von oben weiss; ihre innere Kante geht über in einen gerötheten und ge-
schwollenen Saum, der sich nach unten fortsetzt in einen Wulst, der von
der entzündlich gerötheten und geschwollenen unteren Schleimhautaus-
*) Katarrhähnlich sind die anatomischen Schleimhautveränderungen z. B. bei In-
fluenza, bei Keuchhusten, bei Masern.
PSEUDOCROUP. 507
kleidung der Stimmbänder auszugehen scheint. Die Beweglichkeit der
Stimmbänder ist vermindert, bei Intonation schliessen sie nicht ganz
fest, es dringt Sclileim zwischen ihnen herauf, die Stimme tönt an, aber
nur ruckweise. Im Inspirium öffnen sich die Stimmbänder wenig über
Cadaverweite, zäher Schleim bleibt zwischen den Stimmbändern. —
Ordination: Morph, c. infus, ipecac. Dämpfe. Priessnitz.
Abends 10 Uhr verschlimmerte sich der Zusland des Knaben durch Erstickungsanfälle.
Ich fand ihn hochgelagert, mit hörbarer Anstrengung athmend, mit dunkelgefärbfen Lippen.
Die Stimme erloschen, zeitweise ein lauter Ton. Puls 136, liespiralion 3G in der Minute.
Die Laryngoskopie ergab wieder normalen Rachen, nirgends Exsudate, die Stirn mbän der
von weisser Oberfläche. Sie liegen auf den geschwollenen gerötheten
Schleimhautwänden, die sich nach unten ziehen, und bewegen sich kaum
im Inspirium. Die untere Kehlkop flichtung bildet einen sehr schmalen
Spalt von vorne nach hinten. Die Mucosa interary taenoidea ist nicht ge-
schwollen. Kein Secret. Die jetzt verordnete Inhalation von Kochsalzlösung steigert eher
die Dyspnoe, der Knabe steht verzweifelnd auf, schliesslich trug ich ihn ans offene
Fenster und fasste die Tracheotomie ins Auge. Es ging auf Mitternacht. Als ultimum
refugium gab ich ein Emeticum, bestehend aus P. ipecac. lÜO mit Tart. stibiat. 0-10, wo-
von alle 10 Minuten der vierte Theil genommen wurde. Das nun eintretende Erbrechen
brachte etwas Mageninhalt zu Tage, keinen Tracheaischleim. Der Patient liegt eimattet
an der äussersten Grenze der Dyspnoe. Nach fünf Minuten werden die Inspirationen
tiefer. Ich vermehrte die Zahl der dampfenden Wassereimer am Bettrand. Jetzt beginnt
feuchtes Rasseln auf Distanz hörbar zu werden, Respiration 32, Puls 1.32. Dann kommt
noch ein Anfall von Orthopnoe, das Rasseln vermehrt sich, wieder tritt Erbrechen ein von
reichlichem Schleim, und von jetzt an auffallendes Wohlbefinden, der Knabe lachte und
scherzte zwischen 1 und 2 Uhr Nachts.
Am dritten Krankheitstage, 5. September Vormittags 9 Uhr, fand ich 22 Respirationen,
82 Pulse in der Minute. Subjective Dyspnoe gering, die Stimme heller. Die Laryngoskopie
ergab die subglottische Spalte zwischen den Schleimhautwänden etwas weiter, ihre Mucosa
blasser. Kein Schleim sichtbar. Ordination Calomel c. Sulfur. aurant.
Am gleichen Tage, Abends 7 Uhr, ist mehr Stimmbandbewegung sichtbar, die Spalte
breiter, die subchordalen Wülste blasser, die Stimme ist heller. Temperatur 372, Puls 84,
Respiration 14.
Am vierten Krankheitstage, 6. September, Vormittags 9 Uhr: Keine Dyspnoe, die
Stimme heller, die Nacht ruhig. Die Stimmbänder weiss, bewegen sich nach aussen mehr
und schliessen besser. Die subchordale Wulst ragt jederseits etwa 3 m?» nach innen vom
Stimmband vor. Die Mucosa ist blasser, grünliche Krusten in der Tiefe des Spaltes.
Ordination von Dampfinhalation, Morphium cum Ipecac.
Am 10. September tritt ein leichter Nasenkatarrh auf, auch leichter Husten und der
Knabe bleibt noch einige Zeit leicht heiser.
Eine dritte Beobachtung betrifft eine ca. 40-jährige Dame, die nach Besorgung von
Kellergeschäften von Heiserkeit, Beengung und rauhem Husten befallen wurde. Erst nach
bald 4 Wochen sah ich die Kranke und constatirte, dass die Stimme erst bei Anstrengung
laut antönte, sonst war sie klanglos. Der Husten war von bellendem Charakter gewesen,
setzte aber jetzt wieder fest ein und tönte normal. Dyspnoe subjectiv wenig mehr, ein
Stenosengeräusch nicht hörbar. Puls 80, Respiration 28, kein Fieber. Die Laryngoskopie
ergab weisse Stimmbänder. Ihr innerer Saum um 1mm jöderseits vor-
geschwollen, stark geröthet. Bei schiefem Einblick erweist sich dieser
Saum 1cm nach unten als vortretende Mucosa fortgesetzt. Zwischen den
Processus vocales ist dicklich weisses Secret, das den vollständigen Stimmbandschluss und
die Schwingungen erschwert, nach seiner Entfernung jedoch tönen die Vocale rein an. Die
Abduction der Stimmbänder ist prompt und complet, die Adduction aber unvollständig.
An der Mucosa interarytaenoidea weder Entzündung noch Secret.
Fünf Minuten später findet sich in der Mitte der Mucosa interarytaenoidea ein dicker
Schleimzug, die beiden Stimmbänder entfernen sich schwieriger in
inspirio
Am folgenden Tage besteht weder Dyspnoe noch Heiserkeit, aber mehr Hustenreiz.
Der rothe Saum der Stimmbandkanten ist blasser, die Stimmbänder erweitern sich rasch
und vollständig. Ein leichter Hustenreiz, welcher von der Patientin zurückgehalten wird,
veranlasst reflectorisch Zusammentreten der Stimmbänder.
Zwei Tage später erweist sich das rechte Stimmband von oben ohne rothen Saum;
seitlich betrachtet, mit schiefer Stellung des Kehlkopfspiegels ist noch Schwellung der
Schleimhaut sub chorda erkennbar. Heute Morgen trat bei einer Todesnachricht ein
Krampf im Halse ein mit ziehendem geräuschvollem Athmen, und jetzt noch
ist eine verminderte Abduction beider Stimmbänder auffallend. Diese Reiz-
barkeit der Stimmbänder zum krampfhaften Schluss bei Schwächung der Glottisöffner Hess
sich noch einige Tage später nachweisen, schon beim Laryngoskopiren näherten sich die
Stimmbänder zeitweise krampfhaft während des Inspiriums.
508 PSEUDOCROUP.
Am 15., letzten Tage der Beobachtung fand sich kaum mehr eine Spur von rother
Besäumung der Stimmbänder. Es bestand noch grosse Hustenreizbarkeit. Der Husten
tönte nicht mehr bellend, unmittelbar vor dem Husten trat das rechte Stimmband ganz
gerade an die Mittellinie nach innen.
Die Behandlung der Patientin hatte im Anfang in der Anlegung eines Blasenpflasters
auf dem Pomum Adami und in Inhalationen mit dem Dampfapparat (Siegle) bestanden,
wobei eine Emulsion mit Cocain und etwas Menthol günstig und angenehm wirkte.
Der Pseudocroup beginnt nach diesen eigenen Beobachtungen, denen
aus der classischen Bearbeitung dieses Capitels im Handbuch der Kinder-
krankheiten, herausg. v. Gerhaed (IIL Bd., 2. Hälfte), durch C. Rauchfuss
in Petersburg (Tübg. 1878), und ferner aus der Monographie von Dehio
(Jahrbuch der Kinderheilk. 1883, XX. Band, pag. 243 u. ff.) eine ganze Reihe
ähnlicher Krankheitsgeschichten in sorgfältigster Beschreibung und mit
trefflichen Illustrationen angereiht werden könnten, meist als acute Steigerung
eines unscheinbaren Schnupfens und Halskatarrhes. Vorzugsweise sind es
Kinder vom 3. bis 7. Jahre *) — doch sah ich auch ein einjähriges daran
heftig erkranken, und Dehio beschreibt unter zehn Fällen nur einen mit vier
Jahren, die anderen vom 7. bis 14. Jahre — welche nach ruhigem Schlafe in den
ersten Nachtstunden z. B. ihre Angehörigen mit lautem bellenden Husten,
ohne Auswurf, oft auch mit heiserer mühsamer Stimme und meist auch mit
erschwerter Athmung, wecken und ängstigen. Dabei besteht bald mehr, bald
weniger Fieberhitze, Durst und psychische Aufregung. Schon in wenigen
Stunden kann nach diesem Anfall das Krankheitsbild sehr gefahrvoll aus-
sehen, die Stimme ist erloschen, nur Weinen oder starke Anstrengung bringt
noch laute Töne, der Husten wird frequent, schmerzhaft, von rauhem, laut
bellendem Klange, trocken, die Dyspnoe steigt unter tönenden, pfeifenden,
mühsamen Athemzügen zu zeitweiser Orthopnoe, die Kinder stehen ver-
zweifelnd auf im Bette, verlangen nach Luft, ans offene Fenster, ermattet
legen sie sich mit erhitztem, gedunsenem Gesicht nieder an der äussersten
Grenze des Lufthungers. Selten kommt es zu letalem Ausgang oder zur
Tracheotomie, meist gelingt es, unter Secretbildung in den Luftwegen das
Athemhindernis zu vermindern, und zauberhaft rasch tritt oft an Stelle der
drohenden Suffocation ein ruhiges, fast behagliches Befinden, die Erschöpfung
endet in ruhigem Schlafe.
Nach der einmal erreichten Akme sinken die Symptome in der Regel
stetig, so dass an den folgenden Tagen kaum mehr erhebliche Laryngostenose
besteht; der Husten wird lockerer, weniger rauh tönend, die Stimme spricht
eher an, namentlich wenn der Larynx schleimfrei gemacht wurde, das Fieber
sinkt rasch. Nach 5 — 15 Tagen sind die jugendlichen Patienten meist ausser
Behandlung.
Beim Erwachsenen verläuft die Erkrankung lange nicht so stürmisch
und gefahrvoll. Die Dyspnoe kann dem Patienten lästig werden, sie steigt
aber nie zu gefährlicher Höhe. Der Husten ist bellend wie beim Kinde, die
Stimme spricht mühsam an, tönt heiser, und es bleibt wohl nach einem lang-
samen Ablauf der Beschwerden noch längere Zeit eine Reizbarkeit des Kehl-
kopfes zu Glottiskrampf oder zu Husten zurück. Der Erwachsene bietet aber
einerseits der Allgemeinwirkung des katarrhalischen Agens grösseren Wider-
stand, andererseits scheint die Grösse des Kehlkopfes und die geringere Nach-
giebigkeit seiner Gewebe gegenüber den localen Störungen günstigere Bedin-
gungen zu schaffen als im kindlichen Alter.
Aber auch beim Kinde finden sich sowohl leichtere als schwerere Er-
krankungen im Vergleich zu den eingangs geschilderten Fällen.
Analysiren wir die Symptome des Pseudocroup sammt den zu
Grunde liegenden anatomischen Veränderungen, so erscheint die initiale
*) Vgl. „Aetiologie" weiter unten.
PSEUDOCROUP. 509
Fieberbewegung als ein ziemlich schwankendes und wenig dominirendes
Moment. In meinem ersterwähnten Falle war am dritten Krankheitstage
eine Rectumtemperatur von 39*^, Puls 132, am vierten Tage Temperatur 3!J"5,
Puls 110 und am fünften Tage beinahe vollständige Apyrexie vorhanden. Im
zweiten Falle war am ersten und zweiten Krankheitstage ausgesprochenes
Fieber, Puls bis 136 nachweisbar, schon am dritten Tage aber completer
Fiebernachlass. So pflegt in nicht complicirten Fällen die Temperatur am
zweiten oder dritten Tag zur Norm zurückzukehren. Der Puls überschreitet
die Parallele zur Temperatur, vorerst wegen der Heizung der Ilespirations-
schleimhaut, die z. B. auch bei den Bronchitiden diesen Einfluss aufweist,
und zweitens wegen der höheren nervösen Empfindlichkeit der meist sehr
jugendlichen Kranken. Behalten Temperatur und Puls ihre Höhe nach Ablauf
der ersten paar Tage, dann ist entweder eine Fortsetzung der Affection auf
die Bronchien (Bronchitis capillaris, Bronchopneumonie) oder eine fieber-
hafte Allgemeinerkrankung (z. B. Masern, Influenza) im Spiele.
Eine der Temperatur nicht adäquate Störung des Allgemeinzustandes,
die auf toxisch-infectiöse Einflüsse schliessen liesse, ist in den nicht compli-
cirten Fällen nicht beobachtet worden.
Der Schwerpunkt der Krankheitserscheinungen liegt in den localen
S ymptomen, im rauhen bellenden Husten, in der Dyspnoe und in der Heiser-
keit. Darin sind alle Beobachter einig; nur darin weichen sie auseinander,
welche anatomischen Veränderungen denselben zu Grunde liegen.
So beruft sich Tkousseau (Clinique medicale de V Hotel Dieu de Paris,
4— Edition, Paris bei Bailiiere et fils 1873), der das klinische Bild sehr
genau zeichnet und von dem der diphtheritischen Croup sorgfältig trennt,
auf Keishaber und Peter, welche die materielle Grundlage des Pseudocroup
in der „schwachen Entwicklung der glottis intercartilaginosa, in der engen
Glottisspalte beim Kinde" finden.
V. ZiEMSSEN (Handb. d. spec. Path. u. Ther. IV. Bd. Leipzig 1876, bei
Vogel) weist auf die im Verhältnis zur kleinen kindlichen Glottis zu starke
Schwellung der Schleimhaut und das im Schlaf angetrocknete Secret zur Er-
klärung der Stenosensymptome. Wahrscheinlich sei auch, doch eher selten,
dass reflectorischer Glottisspasmus mit im Spiele sei. Den bellenden Husten
bezieht er auf Vibrationen der geschwollenen aryepiglottischen Falten, nebst
den durch die erschlafi'ten Muskeln nicht gehörig fixirten Giesskannen mit
den SANTORiNi'schen Knorpeln.
MoNTi (Ueber Croup und Diphtheritis im Kindesalter, 2. Auflage, 1884,
bei Urban und Schwarzenberg, Wien), der an dem reichen Krankenmaterial
des St. Anna Kinderspitales und der Kinderabtheilung der Allgemeinen Poli-
klinik in Wien die ausgiebigsten Erfahrungen gewinnen konnte, bezeichnete
im Jahre 1884 die laryngoskopischen Erfahrungen als noch zu vereinzelt,
um daraus allgemein giltige Regeln aufzustellen (pag. 15). Nach den Be-
funden von Gerhard und Schnitzler bestehe in der Mehrzahl der Fälle
Pharyngitis und Tonsillenschwellung, Oedem der Uvula, in vielen Fällen aber
wieder ganz normaler Pharynx. Gewöhnlich seien Kehldeckel; aryepiglottische
Falten und die Taschenbänder stark geschwellt und dunkelroth. Die Stimm-
bänder bleiben in leichten Fällen zuweilen weissgelblich, in schwereren Fällen
gehe vom Stimmfortsatze eine fleckig-streifige Röthung aus, untermischt mit
Extravasatpunkten. An einzelnen Stellen sehe man streifenförmige Epithel-
abschürfungen, die sich leicht zu seichten Geschwüren vertiefen können. Bei
sehr heftiger Laryngitis komme es zu Verdickung der aryepiglottischen Falten,
der Taschenbänder und der Falten der hinteren Kehlkopfwand, mitunter auch
des Kehldeckels, und bei bedeutender Heiserkeit und Laryngostenose bestehe
zumeist hochgradige Anschwellung der ganzen Larynxschleimhaut, insbesondere
510 PSEUDOCROUP.
der hinteren Kehlkopfwand und der Aryknorpel, die nach Schnitzler oft zu
ödematösen Wülsten umgewandelt seien.
Gottstein (Die Krankh. d. Kehlkopfes, 4. Auflage, pag. 107, Leipzig
1893, bei F. Deuticke, hält die Weise, in welcher die vorübergehende Stenose
zu Stande komme, für nicht ausreichend erklärt und hat Bedenken gegen
die von Dehio (vgl. unten) angegebene Erklärung der Symptome. Er be-
hauptet, im Widerspruch zu unseren Fällen, dass „am Tage bekanntlich die
dyspnotischen Anfälle nicht auftreten", konnte subchordale Schwellungen nie
beobachten, und nach seiner Meinung spiele der reflectorische Glottiskrampf
eine bedeutendere Rolle, als verschiedene Autoren zugeben. Der bellende
Husten komme dadurch zu Stande, dass die krampfhaft geschlossene Glottis
durch einen kurzen Exspirationsstoss auseinander getrieben werde.
ScHRöTTER (Vorl. Über d. Krankh. d. Kehlkopfes, Wien, 1893, bei Bräu-
MtJLLER) anerkennt die subchordale Laryngitis als Ursache des Bellhustens,
aber hält die subchordale Schwellung für zu unbedeutend, um die Dyspnoe zu
bewirken, sondern für deren Ursache einen reflectorischen, nicht genug
erklärten Glottiskrampf.
Diesen Schilderungen des laryngoskopischen Befundes beim Pseudocroup,
welche meist mit dem der Laryngitis catarrhalis des Erwachsenen zusammen-
fallen, widersprach zu meinem grössten Erstaunen das Verhalten des Rachens
und Kehlkopfes in meiner eingangs erwähnten ersten Beobachtung vom
März 1879. Dort fand ich vollständige Unversehrtheit des Kehlkopfeinganges
und der oberen Kehlkopfhöhle, ja sogar der Stimmbänder in ihrer Farbe,
dafür aber eine ganz merkwürdige Aufschwellung der unteren Larynxhöhle
bis zur unteren Ueberkleidung der Stimmbänder, wodurch unterhalb der
Stimmbänderglottis eine zweite engere Glottis, ein von hinten nach vorn ver-
laufender schmaler Spalt zwischen der hochentzündeten Schleimhaut der un-
teren Kehlkopfhöhle gebildet wurde. An den Stimmbändern selber fand sich
blos ein rother Saum an der freien Kante, welcher zu der tieferen Schleim-
hautanschwellung einen Uebergang bildete.
In meiner zweiten Beobachtung vom Jahre 1890 wiederholte sich dieser
Befund an einem anderen jugendlichen Patienten, und im Jahre 1894 an
einem Erwachsenen. Gleiche Erhebungen mit dem Kehlkopfspiegel, von denen
ich leider im Jahre 1879 keine Kenntnis hatte, sind aber von Rauchfuss
(1. c.) schon im Jahre 1878 beschrieben und dann im Jahre 1883 von seinem
Assistenzarzt Dehio in ausgiebigster Weise bestätigt und erweitert worden.
Rauchfuss fand bei einem elfjährigen Knaben am zweiten Krankheits-
tage eines schweren Pseudocroupanfalles das Vestibulum laryngis leicht ge-
röthet, nicht geschw^ollen, die Stimmbänder weiss, intact, an ihrem scharfen
Saum aber beiderseits intensiv rothe, 2—3 mm breite Wülste, welche die
Glottis einengten. Am folgenden Tage waren die subchordalen Schleimhaut-
infiltrate noch mächtiger, der von ihnen begrenzte Spalt sehr eng. Erst
Tags darauf wurden die Aryknorpel wieder beweglich, die weissen Stimm-
bänder begannen sich auf den subchordalen Wülsten zu verschieben, und zu-
letzt waren diese Wülste mit dem Rückgang der Entzündung und dem Ein-
treten feuchten Hustens blos noch längs des processus vocales sichtbar. In
einem zweiten Falle bei einem vierjährigen Mädchen hebt Rauchfuss noch-
mals den Befund der Laryngitis subchordalis hervor, einen schmalen Spalt
zwischen den Infiltrationswülsten unterhalb der Stimmbänder.
C. Dehio, der nach Beobachtungen aus dem Kinderhospital des Prinzen
von Oldenburg in St. Petersburg die Symptome des Pseudocroup und ihre
anatomische Grundlage erörtert (1. c.) schildert zehn Fälle bei sieben Knaben
und drei Mädchen, von 4 bis 14 Jahren, bei denen ausnahmslos die Vor-
wulstungen der heftig entzündeten unteren Larynxhöhle als das Wesentlichste
auffielen, hochrothe Wände, welche sich von den wenig entzündeten oberen
PSEUDOCROUP. 511
Stimmbandflächen leicht unterschieden, vorne schon im vorderen Drittheil der
Glottis zusammenstiessen und nur in der hinteren Glottisspaltc einen kleinen
dreieckigen Kaum für die Athmung übrig Hessen. Solange die obere Larynx-
höhle intact bleibt, trennt eine longitudinale Kerbe am Stimmbandrande die
scharfe Kante der Stimmbänder von der subchordalen Schleimhautwulstung.
Allerdings hat Dehio in vier Fällen noch leichtere und schwerere Entzün-
dungen der Schleimhaut im Pharynx, am Kehldeckel, an den Plicae aryepi-
glotticae in der regio interarytaenoidea starke Anschwellung der Taschen-
bänder, graurothe glanzlose Anschwellung der Stimmbänder mit seilähnlicher
entzündlicher Deformation neben der Laryngitis hypoglottica beobachtet,
in einem Falle von Masern bestand eher ein Vorwiegen der specifisch mor-
billösen Laryngitis am Kehldeckel und Kehlkopfeingang über die hypo-
glottische Schleimhautentzündung, doch Hess sich gerade in diesen compli-
cirten Fällen mit Bestimmtheit nachweisen, dass die charakteristischen Sym-
ptome der Dyspnoe, des bellenden Hustens und der zeitweise heiseren Stimme
erst mit der Laryngitis subchordalis kamen und gingen.
Mit den Fällen von Rauchfuss, von Dehio und meinen Beobachtungen
stimmt auch ein Fall von Roth vom Jahre 1882 (Arch. f. Kinderheilk., Bd. III,
pag. 75), von Fischer (Berl. klin. Wochenschr. 1884, Nr. 50), von E. Burow
(Laryngoskop. Atlas, pg. 37, Stuttgart 1867, bei Enke) und auch die Schilderung
von Stoerk (Klinik d. Krankh. des Kehlkopfes etc. pag. 143, Stuttgart 1880.
bei Enke) und die trefflichen Abbildungen von Krieg (Atlas der Kehlkoptkrankh.,
Stuttgart 1892, bei Enke).
Es erhellt somit, dass das schwerste und wichtigste Symptom des Pseudo-
croup, die Laryngo Stenose, auf einer entzündlichen Anschwellung der un-
teren Schleimhautauskleidung beider Stimmbänder des unteren Larynx beruht.
Nach oben überschreitet sie die scharfe Kante der Stimmbänder nicht, unter
welcher gelegentlich eine scharfe Kerbe die gesunde obere Stimmbandfläche von
der Entzündung trennt, nach unten reicht sie bis zum Ringknorpel und treibt
die ganze Mucosa des unteren Larynx als eine hochroth entzündete Wand
von links und rechts über die Stimmbandbreite nach innen, dieselbe um
2 — 3 mm überragend und einen schmalen longitudinalen Spalt formirend.
Anfangs erscheinen die Wände dieses Spaltes graulich (Epithelabstossung?),
später hochroth und glänzend, um schon nach einem oder mehreren Tagen
einer gefältelten blasseren Färbung und weniger prallen Spannung Platz zu
machen. Die enorme Schwellungsfähigkeit der subchordalen Kehlkopfschleim-
haut scheint dem Kindesalter vorzugsweise eigen zu sein, sie besteht aber auch
noch in geringerem Grade bei Erwachsenen (vgl. meine dritte Beobachtung),
nur folgt sie bei diesen seltener schon den flüchtigeren Erregern von Katan'h
als den tiefer wirkenden Keimen der Tuberkulose und der Syphilis. In der
That gehören namentlich tuberkulöse Infiltrate der subchordalen Larynx-
mucosa zu den häufigsten Beobachtungen, während die einfach katarrhalische
Laryngitis der Erwachsenen mit Vorliebe die obere Fläche der Stimmbänder,
die Region der Taschenbänder und der hinteren Larynxschleimhaut und end-
lich die Eingangsfalten mit der unteren Epiglottisfläche ergreift. Dehio be-
tont die Lockerheit und Verschieblichkeit des submucösen Gewebes unter den
Stimmbändern, und es gelang ihm an der Leiche, durch eine Inj ection von
Carminlösung von aussen durch den Ringknorpel hindurch die betreÖende
Schleimhautstrecke so vorzutreiben und ähnliche subchordale Wulstungen zu
erzeugen, wie sie bei der Laryngitis des Pseudocroup am Lebenden zu be-
obachten waren. Die straffe Anhaftung der Schleimhaut an der Stimmband-
kante hinderte auch bei diesem Experimente die Ausbreitung der Carmin-
lösung über dieselbe hinauf. Dass mit der Mutationszeit auch die Disposition
zu Pseudocroup fast ganz erlischt, möchte ich darauf zurückführen, dass die
mächtiger gewordenen Muskelzüge der Stimmbänder, namentlich beim Manne,
512 PSEUDOCROUP.
die lockere Anhaftung der Tunica elastica auf der Innenwand der Larynx-
knorpel vollständiger ausfüllen als beim Kinde.
Ob zeitweiser Glottisspasmus in der Höhe des Pseudocroupanfalles noch
zu dieser hypoglottischen Schleimhautschwellung hinzutrete, ist mehr als
zweifelhaft. Sobald die subchordalen Wülste das Maximum ihrer Anschwel-
lung erreicht haben, nimmt die Beweglichkeit der so straffer fixirten Stimm-
bänder erheblich ab, ihre inspiratorische Abduction wird kleiner, ihre Schluss-
fähigkeit schwächer.' Auch war von einem krampfhaften Glottisschluss nichts
wahrnehmbar, z. B. in meinem zweiten Falle, in welchem ich noch während
der höchsten Dyspnoe der Patienten laryngoskopiren konnte. Die Dyspnoe
überfällt den Kranken infolge der raschen Schleimhautanschwellung in dem
relativ engen unteren Kehlkopftrichter, sie wird durch angestrengte Inspira-
tionen überwunden, durch Hustenstösse, dann genügt die erzwungene Luft-
aufnahme für einige Zeit, bis die drohende Kohlensäureintoxication wieder
zu neuem Kampfe anspornt. Wird durch Bewegungen, durch Weinen, durch
reflectorischen Husten das schwer erhaltene Gleichgewicht zwischen Einnahme
und Ausgabe des Sauerstofies nur um ein Minimum gestört, so beginnt der
Kampf aufs neue und um so ängstlicher und ungeordneter, je erregbarer
der Kranke ist und je weniger ihm Zeit gelassen blieb, sich an das Athem-
hindernis zu gewöhnen.
Auf diese Verhältnisse, die sich beim diphtheritischen Croup wieder
finden, ist die Laryngostenose zurückzuführen, nicht auf einen nie beobach-
teten, rein hypothetischen Spasmus der Stimmbänder, der ja auch zur Er-
klärung der stundenlang dauernden Laryngostenose nicht hinreichen würde.
Auch nicht die Anhäufung von compactem Secrete in der Glottis ist
die wesentliche Bedingung der Dyspnoe im Pseudocroup. In der Akme der-
selben ist die Schleimhautschwellung unter den Stimmbändern eine trockene,
hochrothe, pralle; sobald sich Secret einstellt, nimmt auch die Anschwellung
ab, die Schleimhaut wird gerunzelt. Im Stadium der abnehmenden Stenose
kann immerhin eine vorübergehende Steigerung der Athembeschwerden durch
Schleimklumpen entstehen, welche sich auf der Glottis häufen, bis sie ein
Hustenstoss entfernt. Auch ist in meinen wie der anderen Beobachter laryn-
goskopischen Schilderungen oft der Mangel von Secret im Larynx, und zwar
gerade zur Zeit der höchsten Dyspnoe hervorgehoben, und es ist wohl möglich,
dass gerade diese Trockenheit der Mucosa zu Hustenbewegungen und dadurch
zur Steigerung der xUhemnoth führt.
Das schnelle Auftreten und baldige Verschwinden der subchordalen
Schleimhautschwellung, oft nach wenigen Tagen, sowie ihr Aussehen im Spiegel-
bilde lässt betreffs ihres histologischen Charakters schliessen, dass eine pralle
Schleimhautentzündung und dahinter ein entzündlich ödematöses Infiltrat der
lockeren Submucosa vorliegt, ähnlich wie bei einer heftigen katarrhalischen
Conjunctivitis mit ödematös geschwollenen Lidern.
Das zweitwichtigste Symptom des Pseudocroup ist der rauhe Husten
von bellendem Ton wie beim echten Croup. Gewöhnlich ist er die früheste
Krankheitserscheinung und immer das am meisten charakteristische Zeichen
der Erkrankung. Während der bronchitische Husten bei normalem Larynx
scharf einsetzt und einen kurzen explosiven Ton erzeugt, ist der Einsatz des
Hustens im Pseudocroup unbestimmter, weniger scharf, der Hustenton tief
und rauh, schwirrend, er dauert länger und ist anfangs ohne Beimischung
feuchter Rasselgeräusche. Er entsteht durch die acut entzündliche Reizung
der Endausbreitung des Nervus laryngeus superior in der Mucosa laryngis, die
ja besonders an der Hinterwand des Kehlkopfes im Niveau der Stimmbänder
und unterhalb demselben, sowie an der unteren Ueberkleidung der Stimm-
bänder besonders hustenempfindlich ist. Je langsamer die Entzündung ein-
tritt, wie bei tuberkulöser Laryngitis hypoglottica z. B., desto geringer ist
PSEUDOCROUP. 513
HusteDreiz und Dyspnoe. Den bellenden Ton des Hustens erklärt Dehio
durch Vibrationen der subchordalen Wulstungen beim Hustenstoss, die er
auch bei einem seiner Fälle deutlich beobachten konnte. Solange als die
subchordale Schleirahautauskleidung der unteren StimmhandÜäche und der
Seitenwände vor die Stimmbänder nach innen gedrängt ist, und die Stimm-
bänder darauf liegen bleiben, um 2 — 3 mm zurücktretend, kann der Husten-
stoss ausschliesslich nur diese Schleimhautwände erschüttern und den schwir-
renden tiefen Ton dadurch erzeugen. In ähnlicher Weise beobachtete ich
einen „Crouphusten" bei strumöser Compression der Trachea von beiden
Seiten, wo das tracheale Lumen die Form eines Schlüsselloches bekam und
bei ganz normalem Larynx jeder Husten von einer schwirrenden Vibration
der angenäherten Trachealwände begleitet war. Lässt jedoch die subchor-
dale Stenose nach, durch Abschwellen der Mucosa hypoglottica; oder entwickelt
sich, wie in leichteren Fällen, diese Anschwellung weniger mächtig, so bleibt
zur Erklärung des zurückbleibenden Crouphustens der rothe Saum am Stimm-
bandrande, der mit einer entzündlichen Veränderung des Stimmbandkörpers
verbunden sein muss. Wie wir nicht selten bei zarten Mädchen oder Frauen
Bellhusten bei anscheinend normalem Larynx beobachten, auf Neuroparese
der Stimmbandschliesser und -Oeffner beruhend, so veranlasst die laryngitische
Musculoparesis der Stimmbänder, dass dieselben dem Hustenstoss nicht die
normale Kraft entgegensetzen und auch langsamer als in der Norm in die
Abductionsstellung zurücktreten, sodass sie halb erschlafft noch zur Vibration
gelangen. Dadurch wird der Husten von lautem schwirrendem Ton und sein
Einsatz schwach, wie verzogen.
Das dritte charakteristische Symptom des Pseudocroup bildet die
Störung der Sprechstimme. In meinem ersten Falle war auf der Höhe
der Krankheit die Stimme tonlos, bei forcirter Ansprache aber nur w^enig
belegt, in meinem zweiten Falle die Stimme erloschen, die Silbe „Ernst" er-
tönte erst am Schlüsse der zur Phonation aufgewendeten Anstrengung, in
meinem dritten Falle tönte die Stimme laut erst bei Anstrengung, sonst w'ar
sie klanglos. Der schliesslich erreichte Ton der Stimme ist aber ziemlich
hell, wenig rauh und heiser und contrastirt dadurch mit dem bellenden
Husten. Diese für eine schwere und acute Laryngitis auffallende Beobach-
tung, dass die Stimme kaum anspricht, für die gewöhnliche Sprechanstrengung
sogar erloschen ist, bei Weinen oder erhöhter Anstrengung zum Anlauten
dagegen antönt, und zwar viel heller als der rauhe Husten erwarten lässt,
ist durch den Befund der ziemlich intacten Stimmbänder erklärt. Ihre obere
Fläche bis zur freien Kante ist in meinen Fällen, in denen von Rauchfuss,
in der Mehrzahl derer von Dehio, in dem von Bueow^, im KßiEG'schen Atlas,
weiss, der rothe Saum der entzündeten unteren Stimmbandfläche hindert die
Vibration nicht absolut, wohl ist das Stimmband ausgebogen und seine Juxta-
position erschwert, aber sein innerer Rand vibrirt schliesslich noch und erst,
wenn das Parenchym des Stirambandes mit erkrankt, dann tritt rauhe heisere
Stimme hinzu. Die Heiserkeit der Stimme ist im Pseudocroup, solange
die Stimmbänder nicht mitentzündet und noch einiger Bewegung fähig sind,
eine eigenartige, eine erschwerte und bisweilen unmögliche Anlautung, die
aber bei forcirter Ansprache eine helle dünne Tongebung gestattet. Besonders
MoNTi (1. c.) hebt diesen Contrast als diagnostisch wichtig hervor.
Verlauf, Ausgang und Prognose des Pseudocroup richten sich
nach der Intensität der localen Erscheinungen und nach dem Vorhandensein
von Complicationen. Je heftiger sich die Laryngostenose einstellt, je jünger
das Individuum ist, je mehr complicirende Bronchitis und Bronchopneumonie
oder infectiöse Allgemeinleiden, Influenza, Masern, auch Keuchhusten mit in
Frage kommen, desto ungewisser ist der Verlauf: Complicationen in loco mit
Entzündung des Larynxeinganges, der Epiglottis und der Stimmbänder, und
Ohren-, Nasen-, Eaolien-, Kehlkopfkrankheiten. 0"
514 PSEUDOCROUP.
endlich die Möglichkeit, dass hinter dem Bilde einer acuten Laryngitis in-
ferior nur der Beginn einer echten perniciösen Larynxdiphtherie versteckt
sei, können einen schleppenden oder gefährlichen Verlauf bedingen. Wohl
ist ein rascher und glücklicher Ablauf der Erscheinungen die Regel, ja Monti
erklärt, dass ihm noch kein Todesfall vorgekommen sei, allein mein zweiter
Fall zeigt doch, zu welchem bedrohlichen Grade die Suffocation ansteigen
kann, ja Trousseau. (1. c. pag. 640) erwähnt einen tödtlichen Ausgang bei
einem 13jährigen Knaben, der Morgens unter rauhem Husten und erloschener
Stimme mit Laryngostenose erkrankte und in wenigen Stunden starb. Die
Autopsie ergab eine bemerkenswerte Anschwellung der Stimmbänder, weniger
der aryepiglottischen Falten, mit Röthung der Kehlkopfschleimhaut, etwas „mem-
branöse Concretion" auf einem Stimmband, die aber keineswegs den Charakter
einer diphtheritischen Pseudomembran trug. Auch kann der Ablauf der Ent-
zündungserscheinungen, die Rückbildung der Schleimhautanschwellung sich
hinausziehen, und ich habe zwei Fälle im Gedächtnis, in denen wochenlang
noch Heiserkeit, Husten und rasselndes Athemgeräusch zurückblieb.
Die Diagnose des katarrhalischen Croup stützt sich auf das fast
gleichzeitige Auftreten des rauhen bellenden Hustens, der Heiserkeit und der
mehr oder weniger ausgesprochenen Laryngostenose, die zusammen auf eine
Entzündung der Nachbarschaft der Glottis hinweisen. Wohl können Fremd-
körper, Knochenstücke, Fragmente künstlicher Gebisse und ähnliches, die über
den Stimmbändern eingekeilt sind, sehr ähnliche Symptome veranlassen, doch
entscheidet hier schon meist die Anamnese. Am wichtigsten ist die Unter-
scheidung vom diphtheritischen Croup. So sicher nun bei Diphtheritisepi-
demien Fälle constatirt sind, in denen die Erkrankung des Pharynx nicht
über die Grenzen des Katarrhes ging und doch die specifische Infection nach-
weisen liess, so sicher könnte auch im Larynx bei blos katarrhalischem
Befund eine Abortivform diphtheritischer Infection vorliegen, ein Fall, der
durch Bacterioskopie des Auswurfes oder durch Beobachtung unzweifelhafter
secundärer Erkrankung entschieden würde. (Vgl. Rauchfuss pag. 121.)
Das Hauptgewicht liegt vorerst im Nachweis von Pseudomembranen im
Rachen oder Larynx. Sind beide sichtbar — und die Laryngoskopie ist bei
einiger Geduld und Ruhe des Arztes bei den hilfesuchenden Kindern oft
noch möglich, wo es nicht zu erwarten wäre — so ist der bacteriologische
Nachweis nicht mehr nöthig, sind sie aber blos im Rachen zu finden, dann
ist es wahrscheinlich, dass auch auf der katarrhalisch erkrankten Schleim-
haut im Larynx bald die Beläge erscheinen werden, und hier kann die bac-
teriologische Analyse die Diagnose sichern. Fehlen charakteristische Beläge
im Rachen, so kann doch Diphtherie im Larynx vorliegen. Ich erinnere mich
eines Falles bei einem sechsjährigen Mädchen, wo sechs Wochen nach Beginn
der Krankheit und bei längst verschwundenen Rachenbelägen echter Larynx-
croup auftrat, zu Tracheotomie führte, und wo ich laryngoskopisch den Ent-
scheid fällen konnte. Wo aber die Laryngoskopie unmöglich ist und auch keine
bacteriologische Untersuchung aushilft, da sind folgende Anhaltspunkte für eine
Wahrscheinlichkeitsdiagnose vorhanden: Der Beginn der Diphtheritis im Halse
erfolgt meist ohne rapide Temperatursteigerung oder auffallende Klagen der
Patienten, schleichend und unmerkbar, und die Krankheit erreicht ihre Höhe
langsam ansteigend ohne wesentliche Remission binnen einigen Tagen. Um-
gekehrt der Pseudocroup, der vielleicht nach einem wenig beachteten Schnupfen
in wenigen Stunden die drohendsten Beschwerden zeitigt, aber auch durch
eine Wendung zu bleibender Besserung überrascht. Auch bei stark ent-
wickelten Croupsymptomen weist ein laut tönendes Weinen, ein scharfer oder
heller Husteneinsatz oder ein heller Vocal, wenn er auch nur mit Anstren-
gung antönt, auf den katarrhalischen Process hin, der ja in der Regel das
Stimmband, selbst intact lässt und erst in der Phase höchst entwickelter
PSEUDOCROUP.
515
hypoglottischer Schleimhautschwellung die Stimmbänder immobil macht. In
der Larynxdiphtherie wird die Stimme stetig heiserer und schliesslich tonlos,
in gleichem Maasse der Husten rauher, schliesslich pfeifend, wobei der
schwirrende Klang sich verliert, und auch das Weinen wird lautlos. Bei der
Larynxdiphtherie nämlich zeigt der Kehlkopfspiegel anfangs vereinzelte matt-
weisse Exsudate auf stark gerötheter Mucosa, an der unteren Fläche der
Epiglottis, an der seitlichen und hinteren Kehlkopfwand, die Stimmbänder
missfärbig, mit weissem filzähnlichem Ueberzug. Dabei sind sie einander
auf wenige Millimeter angenähert und werden allmählich unbeweglich, un-
fähig zum genügenden Schluss und zur Vibration bei der Phonation und
auch im Inspirium nicht mehr erweiterungsfähig. Auf der Höhe des Pro-
cesses ist die obere und die untere Larynxhöhle sammt den Stimmbändern
in eine starre fibrinöse Decke eingebettet, welche den Piaum für die Athmung
verengt und jede Stimmgebung unmöglich macht. Diese eigenen Beobach-
tungen stimmen überein mit den Schilderungen von Rauchfuss (1. c.) und
von Dehio (1. c). Auch Monti betont die ungleichmässige Entwicklung der
Symptome im Pseudocroup gegenüber derjenigen der Diphtherie.
Schliesslich deuten Drüsentumoren am Halse und erhebliche Albuminurie
auf das Einwandern einer schweren Infection in den Körper, auf Diphtherie.
Kleinere Drüsen am Halse kommen bei chronischem Nasenrachenkatarrh schon
zu Stande, sind somit ohne Beweiskraft.
Die Ursachen des Pseudocroup, der katarrhalischen Laryngitis
inferior, sind nicht vollständig bekannt, so wenig als die des gewöhnlichen
Schnupfens. Oft beginnt die Krankheit als einfach katarrhalischer Process
in der Nase, wandert dann, unter dem Einfluss einer erneuten Schädlichkeit
vielleicht, hinab in Schlund und Larynx, und nach Ablauf der gefährlichen
hypoglottischen Laryngitis kommt der inzwischen erloschene Schnupfen wieder
zum Vorschein. Auf die histologische Prädisposition der Regio hypoglottica
wurde oben hingewiesen, sowie auf die Thatsache, dass dieselbe mit der
Mutation meist verschwindet. Auch mag einmaliges Ueberstehen des Leidens
zu Recidiven disponiren, wie ja z. B. eine Blepharoconjunctivitis catarrhalis
bei einem Individuum jahrelang auf die geringste Veranlassung zurückkehren
kann. Im weiteren kommen bei Kindern, namentlich Knaben, die viel schreien
und rufen, nicht selten spindelförmige und nodose Anschwellungen des Stimm-
bandsaumes vor, blasse Knötchen, welche von der unteren Auskleidung des
Stimmbandes als Entzündungsproducte oder fast miliare Tumoren gebildet
werden und sich gelegentlich wieder spontan zurückbilden binnen einigen
Monaten. Wie mein zweiter Fall zeigt, scheint hierin eine Prädisposition
für subchordale, acute Laryngitis zu liegen. Auch dürfte, wie bei Erwachsenen,
so beim Kinde, infolge von chronischer Entzündung der Nasen- und Rachen-
schleimhäute, namentlich bei bestehenden Hypertrophien der Mandeln im
Gaumen oder am Rachendache, eine wesentliche locale Disposition gegeben
sein. Ein rasches Weiter wandern des katarrhalischen Entzündungszustandes,
unter dem die Gewebe lähmenden Einfluss der Erkältung, vom Rachen
in den Larynx ist leicht verständlich. Beobachtet man doch auch etwa bei
erwachsenen Individuen, dass der Nasenkatarrh ganz regelmässig in den
Kehlkopf hinabsteigt, ähnlich wie beim sogenannten Heuasthma der Reiz zu-
erst in der Nase beginnt und dann den Larynx, die Trachea und Bronchien
ergreift. Auch der Keuchhusten, der in der Nase beginnt und als leichte
Schleimhautentzündung der Athmungswege mit specifischer Reizung der
Nerven der Mucosa respiratoria verläuft, veranlasst nicht selten Entzündungen
der Stimmbänder und kann sich auch mit Laryngitis hypoglottica compliciren,
ebenso die Influenza, wenn sie wesentlich die Athmungswege mit Katarrh
befällt. Bei den Masern (vgl. Dehio 1, c.) ist es die specitische Eruption
33*
516 PSEUDOCROUP.
auf den Schleiraliäuten, welche eine Laryngitis mit hypoglottischer Stenosirung
erzeugen kann.
Im allgemeinen scheinen Kinder mit zarter Haut, empfindlichen Schleim-
häuten, besonders verzärtelte und verwöhnte Kinder in den ersten Lebens-
jahren vorzugsweise disponirt zu sein, in der späteren Kinderzeit möchte ich
die überfüllten Schulen mit ihrem Staub, ihrer Hitze und Zugluft und den
beständigen katarrhalischen Ansteckungen von Kind zu Kind verantwortlich
machen. Immerhin kommen Epidemien von Pseudocroup nicht vor. Doch scheint
die rauhere Jahreszeit und wieder plötzlich eintretende feuchte Kälte in den
Sommermonaten am häufigsten den Anstoss zu geben.
Auch durch Einathmen reizender Dämpfe und Gase (Rauchgase, schwe-
felige Säure) kann direct Laryngitis verursacht werden. (Monti.) Nach einer
Zusammenstellung von 349 Fällen von Laryngitis catarrhalis, welche der
nämliche Autor aus den Protokollen der Kinderpoliklinik herausgehoben hat,
würden auf die ersten drei Lebensjahre bis 60 7o fallen; dann käme das 4.,
5. und 6. Jahr mit zusammen 207o und das 7. — 14. Jahr mit ebenfalls zu-
sammen 20 "/o der Erkrankungen.
Die Therapie des Pseudocroup hat vorerst den Krankheitsanfall
zu bekämpfen und in zweiter Linie die Krankheitsdisposition zu beseitigen.
Zur Heilung des acuten Kehlkopfkatarrhes steht uns leider heute noch
kein Specificum zu Gebote, ein Antitoxin, das wir auf kürzestem Wege, etwa
subcutan wie das BEHRiNG'sche Heilserum gegen Diphtheritis, verwenden
könnten. Ob gerade schon in diesem biochemischen Mittel auch gleichzeitig
gegen acuten Katarrh wie gegen Diphtheritis wirksame Stoffe enthalten seien,
wird die Zukunft lehren. Immerhin ging das Bestreben der Aerzte auch dem
katarrhalischen Croup gegenüber dahin, Mittel und Methoden zu seiner Unter-
drückung oder „Coupirung" zu finden. So erwähnt Monti (1. c), dass von
verschiedenen Seiten die Anwendung des Jaborandi und seines Alkaloides
Pilocarpin empfohlen worden sei. Unstreitig führen ja beim Erwachsenen
subcutane Dosen von 20 Milligramm Pilocarpin, muriat. rasch Diaphorese,
Salivation und reichliche Bronchialsecretion herbei, allein nach Monti's Er-
fahrungen üben weder Jaborandi noch Pilocarpin einen wesentlichen Einfluss
auf die Laryngitis aus. Auch zur raschen Beseitigung des gewöhnlichen acuten
Katarrhes der Erwachsenen, sei er auf die naso-laryngealen Schleimhäute
beschränkt oder zu grösserer Ausdehnung gelangt, hat sich dieses Mittel
keinen Eingang erobert.
Mehr Berechtigung scheint die Empfehlung des Aconit von Sidney
Ringes (Handbuch der Therapeutik, übers, von Dr. 0. Thamhayn, 5. Auflage,
Stuttgart 1877, bei Enke,) zu besitzen. Dieser Autor rühmt, wie die Wirkung
in die Augen falle. Die quälende Dyspnoe sei nach einigen Stunden ver-
schwunden, das Fieber lasse bald nach: der sonst 3 — 4 Tage anhaltende Zu-
stand könne nach wenigen Stunden gänzlich beseitigt sein. Die Tinctur (die
englische benützt 1-00 Theil Wurzel zu 2"013 Alcohol. rectif., die schweize-
rische z. B. 1*00 Wurzel zu 10*0 Percolatur) müsse aber gleich im Beginne
der Erkrankung gegeben werden, während zwei Stunden alle 10 — 15 Minuten
ein halber bis ein Tropfen, in einem Theelöliel Wasser, dann stündlich, bei
schwachem Pulse noch kleinere Dosen.
Diese warme und ins Einzelne gehende Empfehlung des englischen
Arztes verdient sicherlich die eingehendste klinische Prüfung, ist doch der
Aconit bei unseren älteren Praktikern ein beliebtes Mittel in der Kinder-
praxis bei acuten Anginen, Bronchitiden u. dgl., fast als ein Specificum gegen
Erkältungskrankheiten angesehen. Wohl ist der Pseudocroup auch bei wenig
eingreifender Behandlung von sehr günstiger Prognose, auch ist der rasche
Verlauf desselben nicht dafür geeignet, dass viele Fälle in das Spital ge-
bracht und einer methodisch-klinischen Beobachtung unterworfen werden.
PSEUDOCROUP. 517
Ferner ist die empfohlene Pflan/e selbst von variirendem Werte und auch
das Alkaloid noch so wenig zuverlässig, dass Flügge (Die wichtigsten Heil-
mittel etc. etc., Jena 1886, bei G. Fischer) den Gebrauch des Aconitins als
Heilmittel für ein gefährliches Unternehmen hält. Dennoch konnte ich, als
ich auf Empfehlung eines befreundeten Apothekers anstatt der machtlosen
Tinct. aconiti e foliis die Muttertinctur der Homöopathen, die sogenannte
Tinct. aconiti genevens., bei einer Erwachsenen anwandte, die an
acuter febriler Tracheobronchitis litt, und wieder in einem Falle von acutem
Rheumatismus des Muse, deltoides, schon von einem Zehntel Tropfen, viertel-
stündlich gegeben, eine prompte Wirkung beobachten. Der Puls verlor nach
3 — 4 Dosen an Frequenz und Härte, die Ptespiration wurde langsamer und
tiefer, der Husten wurde feucht, es trat Schweiss auf, und im zweiten Falle
Hessen die rheumatischen Schmerzen rasch nach. Hätten wir ein sicheres,
leicht zu dosirendes Aconitpräparat, so wäre dasselbe im Begiane des acuten
Larynxkatarrhes mit Recht zu versuchen.
Immerhin besitzen wir in den modernen antipyretischen Mitteln, Anti-
pyrin, Phenacetin, Malakin, Antifebrin, wobei ich dem ersten den Vorzug gebe,
Stoffe, deren Anwendung weniger unsicher und gefährlich ist und die durch
ihre gleichzeitig transspiratorische und anticongestive Wirkung in den ersten
Stadien des katarrhalischen Croup von grösstem Werte sind. Erst in einem
der letzten Winter sah ich davon bei einem vierjährigen Mädchen, das im
Keuchhusten von stridulösem Kehlkopfkatarrh und nachfolgender Bronchitis
befallen wurde, prompten, günstigen Einfluss, von 10 Centigraram Antipyrin
1 — 2stündlich in Lösung.
Noch häufiger geübt werden wohl die alten, schweisstreibenden Methoden,
um den katarrhalischen Process zu unterbrechen: Warme Aufgüsse von Linden-
blüthen, von Wollblumen, Holder, Eibisch, warme Milch mit Selters- oder
Emser- Wasser, Infus, ipecac, Pulv. Doweri u. a., bei gleichzeitigem Auf-
enthalt in warmer feuchter Luft, ferner die Anwendung von Bettdampf-
apparaten. Auch werden Gefässe mit dampfendem Wasser an die Betten ge-
stellt, die Kinder sorgfältig verhindert, auf einem kalten Boden zu sitzen, im
Schlafe geweckt, um den trockenen Schlund mit warmem Getränk anzu-
feuchten u. dgl.
Zur Unterstützung dieser Allgemeinbehandlung w'erden örtliche Mittel
beigezogen, die theils aussen über dem Kehlkopfe, theils direct mit der In-
spirationsluft auf der kranken Schleimhaut zur Wirkung gelangen. Zu den
ersteren gehört die Blutentziehung auf der vorderen Halsregion mittelst Blut-
egeln, von denen wir am sichersten und schnellsten eine Herabsetzung der
Schleimhautentzündung in dem nahe gelegenen Organ erwarten sollten.
MoNTi nennt diesen Eingriff jedoch wirkungslos nach seiner Erfahrung,
Rauchfuss unnütz oder schädlich, und auch ich möchte ihn für die wenigsten
Fälle anempfehlen.
Auch die Anwendung der Kälte wird nicht von allen Autoren gerühmt.
Gerhardt (Lehrb. der Kinderkrankh., Tübingen 1874, bei Laupp) erörtert,
dass kalte Umschläge und Eisgurgelwasser die Hyperämie und Exsudation im
Larynx am ehesten vermindern werden, v. Ziemssen (1. c.) empfiehlt Eis-
beutel und Eisschlucken, und in der That wirkt beim Erwachsenen eine oft
gewechselte kaltnasse Compresse auf dem Halse sehr wohlthätig gegen Wund-
gefühl und Brennen bei acuter Laryngitis, ohne dass damit der Process cou-
pirt würde. Monti dagegen hat von der Kälte entweder keine oder nur
nachtheilige Wirkung beobachtet und empfiehlt ausschliesslich feuchte Wärme
durch warme PRiESSNiTz'sche Einwickelungen oder durch Cataplasmen.
Trousseau (1. c.) erklärt, „der falsche Croup heilt von sich aus" und em-
pfiehlt seinen Schülern die Behandlung von Grates, nach welcher ein
Schwamm in so heissem Wasser, als der Patient erträgt, ausgedrückt und
518 PSEUDOCROUP.
dem Patienten unter dem Kinn auf dem Brustbein gehalten wird, öfter
wiederholt, 10—15 Minuten lang.
Ich liess den Schvamm durch Flanellbinden sorgfältig zuwickeln und
fand diese Methode kürzlich sehr angenehm, einfach und wirksam. Ich bin
der Meinung, dass bei einigermaassen vorgeschrittenen Symptomen die Kälte
zu spät kommt und dass die Wärme bei den Kindern in der Regel den Vor-
zug verdient.
Auch Sinapisuien auf dem Halse, ja selbst bei ganz sicherer Diagnose
die Anwendung von Blasenpflastern, Collodium cantharidatum in sehr ernsten
Fällen sind berechtigte Mittel. Rauchfuss ist in solchen Fällen zur ener-
gischen Inunctionscur mit Unguent. einer, merc. geschritten. In meinem
dritten Falle, wo es sich um eine Erwachsene und um sehr langsamen Ver-
lauf handelte, leistete mir ein Vesicans, das ich einige Tage unterhalten
liess, gute Dienste.
Direct auf die erkrankte Mucosa laryngea, auf Entspannung der prall ent-
zündeten Schleimhaut, Verminderung ihrer Trockenheit, vermehrte Secretion
derselben zielen eine Reihe von Mitteln, die bei älteren Kindern vermittelst
Dampfinhalationsapparaten nach Siegele, oder mit Handsprayapparaten nach
Schnitzler angewandt werden. Für die ersten Kinderjahre passen eher
Wasserdämpfe aus Gefässen, die am Bettrande stehen. Für den SiEGLE'schen
Apparat empfiehlt Rauchpuss Lösungen von Natr. bicarb. V2 7o' Borax V2%i
Glycerin lO^o, Carbolsäure 0-25— O'S^o, Monti Alaun l7o, Acid. boric 1%,
Natr. benzoic. S^o, Kali chloric. l^o "^it Natr. bicarb. l^^ oder Terpentin
20 — 30 Tropfen auf heissem Wasser eingeathmet. Auch Schrötter hält viel
von Ol. pini pumil, in gleicher Weise angewendet.
Ganz besonders ist hier Cocain mur. 0*1 bis 0-5 auf 100*0 wegen seiner
anämisirenden und abschwellenden Wirkung zu erwähnen, auch Menthol, das
allerdings schwächer wirkt, und, als ölige Emulsion angewandt, die Secrete
in der Glottis eher aufweicht. Bei älteren, willigen Kindern und bei
Erwachsenen wäre eine ö^/oige Cocainlösung mit der Kehlkopfspritze direct
einzubringen.
Wird auch mit diesen örtlichen Mitteln der zunehmenden Laryngostenose
nicht Einhalt gethan, wie z. B in meinem zweiten Falle, dann bleibt als
mächtigstes Expectorans noch das Emeticum zu verwenden, das mir auch
dort die grössten Dienste geleistet hat. Während dasselbe im Beginne des
Processes oft fruchtlos und zum Nachtheil der Kräfte der Patienten ver-
schrieben wird, hat es in der Höhe der Krankheit als ultimum refugium seine
volle Berechtigung. Rasch treten Ausscheidungen in den Schleimhäuten auf
und mit ihrer gewaltsamen Entleerung ein zauberhafter Nachlass der Laryngo-
stenose. Ich verwandte bei dem 7jährigen Knaben (2. Fall) Tart. stib. 0*1
mit P. ipecac. l'O auf vier Theile, wovon drei Theile genommen wurden.
MoNTi empfiehlt Tart. stib. 0*1 auf 30-0 Linctus gummös., in zwei Theilen
binnen 15 Minuten zu nehmen, für einjährige Kinder; oder 06 — 1*0 Ipecac.
auf 50*0 Infus. Auch wurde Apomorphin. muriat. verwendet, nach v. Dusch
für Kinder von drei Monaten V2 — ^U '^''W^ ^on zwölf Monaten ^/g — IV2 '^W->
bis fünf Jahren Vj^ — 3 mgr^ bis zehn Jahren 3 — 5 mgr, in subcutaner Injec-
tion. Doch hat Monti das Apomorphin sowohl als Brechmittel, als auch als
Expectorans aufgegeben, weil ihn seine Versuche nicht befriedigten, und dafür
das Kalium jodatum als wirksam erprobt. In der That sind die kleinen
Dosen und die schweren Collapsuszustände, welche nach der Verwendung von
Apomorphin oft folgen, sehr zu beachten.
Zur grössten Seltenheit kommt es nach den Berichten der Autoren zu
Tracheotomie im Pseudocroup. Trousseau (1. c.) erwähnt einen glücklich
operirten Fall, Rauchfuss den Fall von Scouletten, der seine sechs Wochen
PYEME DER NASENNEBENHÖHLEN. 519
alte Tochter dadurch rettete. Unbedingt wäre hier die Tubage nach O'Dwyer
von grösstem Werte, da die Krankheit von sich aus zu raschem Ablauf neigt.
Um die Anlage zu liecidiven zu beseitigen, müssen in relativ gesunden
Tagen die localen und allgemeinen Dispositionen beseitigt werden, die Resi-
duen von Stimmbandentztindungen, die chronischen Nasenrachenkatarrhe, die
Hypertrophien der adenoiden Gebilde am Kachendach, der Gaumentonsillen
u. s. w. Durch viel Aufenthalt in frischer Luft, Abwaschungen, Bäder,
namentlich habituelle Seebäder, Salzbäder ist Abhärtung und durch richtige
Kleidung u. a. Schutz vor überraschenden Temperaturwechseln zu erzielen.
KUD. MEYER.
Pyeme der Nasennebenhöhlen. Die Pyeme der Nasennebenhöhlen
entstehen meistentheils aus acuter, katarrhalischer, eitriger Entzündung, nicht
immer muss jedoch letztere vorausgegangen sein, da sich die Pyeme auch
schleichend entwickeln können, und von allem Anfang an den Charakter einer
chronischen Eiterung zeigen.
Aetiologie. Die acute Entzündung der Nebenhöhlen tritt häufig
als Complication der Pihinitis acuta auf und die Secretansammlung in den
Nebenhöhlen ist sehr häufig die Ursache jener lebhaften Kopfschmerzen und
Neuralgien, die die acute Coryza so häufig begleiten. Selbstverständlich ist
es nicht allein die als Schnupfen bekannte Atfection der Nasenschleimhaut,
welche zu einer Nebenhöhlenerkrankung führen kann, sondern auch alle jene
Entzündungen, die im Gefolge der Influenza, der acuten Exantheme und der
übrigen Infectionskrankheiten auftreten, können zu einer secundären Nasen-
höhlenerkrankung Veranlassung geben.
Welche Ursache eine acute Nebenhöhlenerkrankung zu einer chro-
nischen macht, ist nicht vollkommen klargestellt, ebensowenig ist es bekannt,
aus welchen Gründen acute Entzündungen der Schleimhaut oft trotz sorg-
fältigster Behandlung chronisch werden. Bei den Nebenhöhlenerkrankungen
hat man speciell die Secretstauung für das „Chronischwerden" beschuldigt,
obwohl mit viel mehr Berechtigung specielle, anatomisch-histologische Ver-
änderungen der Schleimhaut und das Wachsthum von Mikroorganismen, die
oft accidentell zur Entwicklung gelangen, eine wichtige Rolle spielen.
Symptomatologie. Gewisse Erscheinungen sind sämmtlichen Neben-
höhlenempyemen gemeinsam:
1. Die Pyorrhoea nasalis (Eiterausfluss aus der Nase). Dieselbe
tritt periodisch zu gewissen Zeiten auf, zuweilen nur bei Rückenlage, ist
meist einseitig, hat eine zuweilen grüngelbe {pus bonum et laudabUe), zu-
weilen auch zähschleimige, klumpige Eiterballen mit sich führende Be-
schaffenheit.
2. Das Auftreten von Fibromen an den von Secret bedeckten Stellen,
das sind kleine gestielte Tumoren, die meist eine gelatinöse Beschaffenheit
zeigen; in dem Winkel zwischen ihren Oberflächen mit der Schleimhaut stockt
der Eiter.
3. Nasenblutungen, die theils spontan, theils durch äussere Ver-
anlassung (Schneuzen, Kratzen, Instrumente) eintreten.
4 Kopfschmerz. Eines der wichtigsten Symptome der Nasenneben-
höhlenempyeme, da diese Erscheinung es oft ist, welche die Patienten zum Aizt
führt, so dass das Symptom Kopfschmerz, wenn keine Ursache hiefür auf-
findbar, immer den Verdacht eines latenten Nebenhöhlenempyems erwecken
soll. Der Kopfschmerz ist nicht immer derselbe, d. h. er ist constant gleich
stark, was mit dem Secretabfluss, resp. dem Füllungszustand der Höhle in
Zusammenhang steht.
5. Störungen des Geruches, welcher sich besonders in Form von
subjectiven, üblen Geruchsempfindungen äussert.
520 PYEME DER NASENNEBENHÖHLEN.
Diagnose. Die Diagnose eines Nebenhöhlenempyemes kann nur durch
directen Nachweis des Eiters sichergestellt werden. Hiezu dienen specielle
Untersuchungsmethoden.
Soviel sei im allgemeinen über die Nebenhöhlenempyeme gesagt. Einzel-
heiten werden im nachfolgenden, speciellen Theil besprochen werden.
A. Kieferhölileiiempyem.
Das Empyem der Kieferhöhle kommt am häufigsten als Folgezustand von
Zahnerkrankungen vor. Als typisches Symptom des Kieferhöhlenempyems
werden bezeichnet: 1. Auftreibung des Oberkiefers und Verdünnung seiner
Wandung. Die Palpation der Fossa canina ergibt das Gefühl des Pergament-
knitterns. 2. Schwellung der Wange. 3. Vermehrter Eiterausfluss bei Lagerung
auf der entgegengesetzten Seite. 4. Infraorbitalneuralgie. Die beiden letzt-
genannten Symptome können auch bei Empyem der Stirnhöhle und der vor-
deren Siebbeinzellen bestehen, aber auch die beiden erstgenannten Symptome
können nicht vorhanden sein (Ziem). Das constanteste Symptom des Kiefer-
höhlenempyems ist der Uebertritt von Eiter in den mittleren Nasengang,
von wo er einen weiteren W>g zur unteren Muschel, dem Nasenboden und bei
Rückenlage in den Nasenrachenraum nimmt. Die Eiteransammlung erkennt
man am besten durch Sondirung des infundibularen Ostiuras der Kiefer-
höhle. Man geht mit einer geknöpften, an ihrem Ende rechtwinklig abge-
bogenen Nasensonde in den mittleren Nasengang ein und sucht ins Infundi-
bulum einzudringen. Gelingt es durch Sondirung nicht, den Eiter nachzu-
weisen, so muss man eine Probeausspülung mittels des von Hartmann ange-
gebenen Apparates vornehmen. Eine weitere für die Punction der Kieferhöhle
geeignete Gegend ist der Alveolar fortsatz. Von den Alveolen der vor-
deren beiden Molarzähne gelangt man leicht in die Kieferhöhle. Sind die
Zähne gesund, so geht man durch den Spalt zwischen Praemolaris II und
Molaris I mittels eines Bohrers ein. Ist einer der Molarzähne cariös, so kann
man den Zahn extrahiren und von dort aus in die Kieferhöhle eindringen.
Therapie. Um die Eiterung in der Kieferhöhle therapeutisch durch
Ausspülungen, Einblasungen von antiseptischen Pulvern zu beeinflussen, muss
man sich einen Zugang zu derselben verschaffen.
Zu diesem Zwecke wählt man ein Verfahren, welches die Kieferhöhle
möglichst gut zugänglich macht. Als solche sind in Gebrauch
1. das Verfahren von Krause. Derselbe stosst einen Troicart vom un-
teren Nasengang aus in die Kieferhöhle, entfernt das Stilet und kann nun
durch die Kanüle Ausspülungen, resp. Pulvereinblasungen vornehmen;
2. das Verfahren von Cooper. Bei demselben wird die Kieferhöhle vom
Alveolarfortsatz aus angebohrt;
3. das Verfahren von Küster. Ein Schleimhautperiostlappen, dessen
Basis von Praemolaris I bis zum Molaris I reicht, wird abpräparirt, nach
aufwärts geschlagen und die Höhle mit einem Meissel eröffnet. Die eröffnete
Höhle wird mit Jodoformgaze tamponirt und die Tamponirung alle 3 — 4
Tage erneuert.
B. Das Siebbeiiizelleiiempyem.
Das Siebbeinzellenempyem kann durch primäre Nasenschleimhauteite-
rungen und durch Abscesse innerhalb der Schädelkapsel, der Kieferhöhle und
der Orbita veranlasst werden. Beim Empyem der Vorderzellen erscheint
der Eiter im mittleren, bei dem der hinteren im oberen Nasengange.
Der Kopfschmerz localisirt sich im wesentlichen in der Stirngegend und der
Nasenwurzel. Druck auf letztere löst Schmerzen aus. Das Siebbeinempyem
ist häufig mit Caries des Knochens combinirt. Zur Sicherstellung der Dia-
gnose dringt man mit der Sonde in den mittleren Nasengang und zwischen
mittlerer Muschel und Septum hinauf ein. Beim Siebbeinzellenempyem ist
PYORRHOEA. NASALIS. 521
man häufig gezwungen, krankhaft wuchernde Granulationen und fibröse Gallert-
geschwülstchen mit dem scharfen Löffel auszukratzen, hieran schliesst sich
die Ausspülung des Operationsfeldes und die Einpul verung mit Jodoform-
pulver.
C. Das Stirnbeiiihöhlenempyem.
Dasselbe hat dieselbe Ursache als das Empyem der Siebbeinzellen. Der
Eiter erscheint bei demselben im mittleren Nasengang. Häufig ist die Nasen-
wurzelgegend äusserlich verdickt, geröthet. Die Sondirung der Stirnhöhle
geschieht entweder vom mittleren Nasengang oder durch eine künstliche
Oeffnung vom Boden der Stirnhöhle aus. Schäffer beschreibt folgendes Ver-
fahren: Will ich den Sinus frontalis sondiren, resp. suche den Sitz des Leidens
in ihm, so gehe ich mit einer festen, aber biegsamen Messingsonde von 2 imn
Dicke — Silbersonden sind viel zu weich und biegsam und dadurch unbrauch-
bar — nach vorheriger Cocainisirung der Weichtheile entlang dem Nasenrücken
zwischen Septum und mittlerer Muschel direct nach der Stirn zu in die Höhe.
Bald hört man ein leises Knistern, wie vom Zerbrechen feiner Knochenplättchen,
fühlt ab und zu einen stärkeren Widerstand, schiebt aber die Sonde weiter
vor und hat zuletzt das Gefühl, in einen Hohlraum gelangt zu sein, dadurch,
dass die Sonde plötzlich rascher vorwärts schlüpft.
Die Therapie besteht in Ausräumung der Wucherungen mit dem
scharfen Löffel und Ausschabung. Zuweilen ist jedoch die Eröffnung der
Höhle von aussen nothwendig. (Hautschnitt längs des Supraorbitalrandes,
Abtrennung des Periostes, Durchmeisselung der Vorderwand.)
D. Das Keilbeinhöhlenempyem.
Es entsteht nicht blos fortgeleitet von Nachbareiterherden, sondern auch
metastatisch; der Eiter fliesst über die Vorderfläche des Keilbeines auf
den Fornix pharyngis und auf die hinteren Enden der oberen und mittleren
Muschel.
Zur Sondirung der Keilbeinhöhlen führt man eine Sonde in der Rich-
tung einer Linie, welche vom hinteren Rand des Nasenloches am Septum
entlang zur Mitte der mittleren Muschel zieht. Die Therapie ist gleich
der des Siebbeinzellenempyems.
Pyorrhoea nasaiiS. Bei zahlreichen pathologischen Zuständen im
Bereich der Nasenhöhlen und ihrer Adnexa enthält das Secret so reichlich
Eiterzellen, dass diese das makroskopische Aussehen des Secrets mitbestimmen.
Es wird bei massigen Graden der Eiterbeimengung schleimig-eitrig, bei
höheren Graden tritt der Schleimgehalt in den Hintergrund, und wir sprechen
schlechthin von einem eitrigen Secret.
Wird eitriges oder schleimig-eitriges Secret in stark
vermehrter Menge abgesondert, so nennen wir diese Erschei-
nung Pyorrhoea nasalis. Sie bezeichnet, wie nochmals betont werden
soll, keine selbständige Erkrankung, sondern sie ist ein Symptom sehr zahl-
reicher Erkrankungen.
Man wähnte früher, dass Eiterabsonderung in der Nase immer durch
eine diffuse, eitrige Entzündung der Nasenschleimhaut {Bhinitis pundenta)
hervorgerufen werde. Neuere Beobachtungen haben gelehrt, dass diese An-
nahme irrig ist. Naseneiterungen beruhen mit wenigen xlus-
nahmen immer auf circumscripten Erkrankungen der Nasen-
höhle selbst oder der Nebenhöhlen. Solche sind: 1. ülcerationen
jeder Art, seien sie nun durch Traumen oder durch Fremdkörper oder Nasen-
steine erzeugt, oder seien sie durch Zerfall von infectiösen Granulomen (tuber-
kulösen [lupösen], syphilitischen [Gummiknoten], rotzigen, leprösen) entstanden
oder endlich durch localisirte Einwirkung von eiter- und fäulniserregenden
522 EACHEN-MÜNDHÖHLE.
Mikroorganismen, wozu bei Eiterretention die Bedingungen gegeben sind;
2. Ab sc esse, die spontan aufbrechen oder künstlich eröffnet werden, 3. die
Nebenhöhlenempyeme. Diese nehmen unter allen Ursachen der Nasen-
eiterung den ersten Platz ein. (s. o.)
Gegen die genannten Processe treten die diffusen, eitrigen Erkrankungen
der Nasenschleimhaut, die wir im Artikel „Rhinitis" besprechen, ihrer
Seltenheit wegen ganz in den Hintergrund.
Ueber das Aussehen des Secrets, seine Menge und sonstigen Eigen-
schaften, über die Art seiner Absonderung und andere Einzelheiten geben die
betreffenden Artikel näheren Aufschluss. zarniko.
Rachen - Mundhöhle. Der Eingangstheil des Verdauungscanales wird
durch zwei hinter einander gelagerte Höhlen und einen Canal gebildet; die
Höhlen sind: die Mund- und Rachenhöhle; der Canal ist die Speiseröhre,
Mundhöhle. Die erste Höhle oder Mundhöhle (Cavum oris) wird durch
die Kiefer und Zähne in einen vorderen Theil oder Vorhof (Vestibulum oris)
und einen hinteren Theil oder die eigentliche Mundhöhle getrennt.
Der Vorhof ist der Empfangstheil der Verdauungsorgane; die Zähne mit den
Kiefern, Kiefergelenken und Muskeln bilden einen Kauapparat; die hier ge-
lagerten Drüsen umgeben, verdünnen und bewirken eine Veränderung der
Speisen, die zur ihrer Verdauung beiträgt; die in der Mundhöhle gelagerten
Theile nehmen Antheil an der Bildung des Speisebreies und Sprache; endlich
ist hier der Anfangstheil des Geschmackorganes und des Schlingapparates
gelagert.
Der Vorhof der Mundhöhle ist von der inneren Fläche der Backen-
wände, den Lippen und den vorderen Flächen der Kiefer und Zähne begrenzt.
Vorne führt zum Vorhofe die Mundöffnung (Fissura oris s. os), die durch
eine obere und untere Klappe oder Lippe (Labia) umgrenzt ist. Die obere
Klappe oder Oberlippe (Labium superius) ist länger und steht stärker hervor
wie die untere Klappe oder Unterlippe (Labium inferius). Die obere unter-
scheidet sich durch eine Mittelfurche {Philtrum) in der Mitte ihrer äusseren
Fläche; die Schleimhaut der Oberlippe ist durch eine scharfe Trennungslinie
von der äusseren Haut geschieden. Diese Linie ist in verschiedene Grade
gebogen und scharf bei den verschiedenen Nationen, je nach der Zahl der
Lippenlaute, die in der Sprache enthalten sind. Bei den südlichen Völkern,
wie Italiener, Spanier, Franzosen, sind die kleinen dünnen Lippen durch
einen wenig vorspringenden und wenig gebogenen Rand begrenzt, da ihre
Sprache reich an Vocalen ist und wenig Lippenlaute enthält; während bei
den nördlichen Völkern, wie Engländer, Finnen u. s. w., grosse dicke Lippen
mit gebogenem und vorspringendem Rande vorherrschen. Die Mundöffnung
bildet beiderseits etwas vertiefte Winkel {Anguli s. Commissurae oris).
Die Oberlippe ist an der äusseren Fläche mit Haut bedeckt; die Basis
dieser Lippe ist durch die Oberlippennasenfurche {Sulcus nasolabialis) von
der Backe getrennt, die Furche geht vom Seitentheile der Nasenflügel ge-
bogen nach aussen und unten bis zur Fläche der Mundwinkel. In der Mitte
der äusseren Fläche der Lippe ist eine verticale Mittelfurche — das Philtrum,
die durch zwei Leisten begrenzt ist. Die Leisten sind die Nahtstellen der
fötalen Spaltung der Oberlippe und der beiden Oberkieferknochen. Als Hem-
mungsbildung kann eine einseitige oder beiderseitige Spaltung der Lippe oder
der Kieferknochen beobachtet werden, das sind die sogenannte Hasenscharte
und der Wolfsrachen. Die Haut der Lippe ist von mehr und weniger starkem
Haar bedeckt, welches den Schnur- oder Schnauzbart {Mystax) bildet.
Die Unterlippe ist verhältnismässig weniger vorspringend, das Rothe
der Lippe ist weniger scharf begrenzt. Sie ist durch eine quere, verschieden
tief ausgeprägte Kinnlippenfurche {Sulcus mentolabialis) vom vorspringenden
RACHEN-MUNDHÖHLE. 523
Kinne getheilt. Die Haut der Unterlippe ist ebenso wie die der Oberlippe mit
Haaren bedeckt, die bei stärkerem Wachsthume den Kinnbart {Barha) bilden.
Das Gewebe der Lippen bildet, von aussen nach innen betrachtet, fol-
gende Schichten: 1. Haut, 2. Muskellage, 3. Schleimdrüsen, 4. Schleimhaut.
Die unter der Haut gelagerte Muskellage bildet einen Ergreifungs- und Schliess-
apparat der Mundöffnung. Der Mechanismus dieses Apparates besteht darin,
dass beim Eröffnen des Mundes die Unterlippe etwas gehoben bleibt und eine
seichte Unterlage bildet, während die Oberlippe aufgehoben wird. Beim Er-
greifen der Speise drückt die herabgezogene Oberlippe auf das Ergriffene und
rückt letzteres auf den Zahnrand. Beim Ausspeien der Speise oder des
Inhaltes der Mundhöhle wird die Oberlippe etwas aufgehoben und die Unter-
lippe herabgezogen, so dass die Innenfläche der Lippe eine schiefe, nach unten
gerichtete Ebene bildet; oder es wird einer der Mundwinkel herabgezogen,
so dass sich eine trichterförmige Furche als Abzugscanal ausbildet, längs
der der Inhalt leicht abfliesst oder herausbefördert wird. Diese Muskel-
apparate wirken auch beim Mechanismus des Saugens, der nicht angeboren
ist, sondern erst vom Neugeborenen erlernt werden muss. Dieser Mechanis-
mus besteht darin, dass die Warze der Milchdrüse von den Lippen hermetisch
dicht umfasst wird, wobei die Unterlippe die Unterlage des umfassten Theiles
bildet. Zu gleicher Zeit wird durch die Contraction der Backenmuskel die
Luft aus dem Vorhofe ausgepresst und mit der ausgeathmeten Luft durch
die Nasenhöhle entfernt. Diese Drukverhältnisse bewirken, dass durch Wir-
kung des Luftdruckes auf die Milchdrüse der Inhalt dieser Drüse in die
Mundhöhle ergossen wird. Die erste Arbeit des Neugeborenen besteht in
gleichzeitiger Contraction der hier bezüglichen Muskelapparate, was erlernt
werden muss.
Diese Mechanismen des Ergreifens und Saugens werden von den die
Mundöffnung umgebenden Muskeln und ihren Antagonisten vollführt. Der
Schliessmuskel des Mundes {Sphinder oris) enthält keine Kreisfasern,
sondern ist grösstentheils eine Fortsetzung seiner Fasern der Backenmuskeln
(ilf. huccinator). Dieser letztere liegt in der seitlichen Backenwand; er ent-
springt von einem Sehnenstreifen, der zwischen Ober- und Unterkiefer hinter
dem letzten Backenzahne gelegen ist. Nach hinten von diesem Streifen gehen
Bündel des oberen Schlundkopfschnürers, nach vorn Bündel des Backen-
muskels; oben beginnt der Muskel von der Spitze des Flügelfortsatzhakens
und der Aussenfläche des Zahnfortsatzes des Oberkiefers bis zum zweiten
Backenzahne. Von unten beginnt der Backenmuskel ebenfalls von der Aussen-
fläche des Unterkiefers bis zum letzten Backenzahne. Alle diese Fasern
richten sich zum Mundwinkel, wo sie sich mit Fasern anderer Muskeln ver-
flechten, die oberen Bündel mit den unteren kreuzen und in die Lippen
übergehen. Hier kann man eine Kand- oder innere Schicht und eine äussere
Schicht unterscheiden; die Schichten sind nicht streng von einander geschie-
den, sondern können nur annähernd durch die Lage der Kranzarterien unter-
schieden werden. Dieser Muskel ist nicht nur aus Fasern der Backenrauskeln
gebildet, sondern, wie es sich bald erweist, noch aus Muskelbündel zusammen-
gesetzt, die zu den Mundwinkeln gehen. Damit der Schliessmuskel wirken
kann, müssen an den Mundwinkeln fixe Punkte erzeugt werden, die sich als
Stütze bei der Wirkung des Muskels erweisen. Ein Punkt kann fixirt werden,
wenn drei Kräfte auf diesen Punkt wirken, von welchen jede den Resultiren-
den der beiden anderen Kräfte gleich und direct entgegengesetzt wirkt
(P. Lesshaft*). Den Mundwinkeln entsprechend wird dieser Punkt erzeugt
durch die gleichseitigen äusseren Schichten, die an den Kiefern ansitzen und
als Anzieher der Mundwinkel wirken {Mm. incisivi s. addudores angidi oris),
*) Grundlage der theoretischen Anatomie. I. Th. Leipzig, 1892, p. 239.
524 RACHEN-MUNDHÖHLE.
und durch die Backenmuskeln. Am Oberkiefer beginnen diese Muskelbündel in
einer Linie von der Wurzel des ersten Backenzahnes nach innen und unten
zum ersten Schneidezahn. Am Unterkiefer geht dieses Bündel von der Wurzel
des Eckzahns und dem äusseren Schneidezahn bis zum Ursprung des Kinn-
hebers. Vom Ober- und Unterkiefer gehen diese Bündel jederseits zum
Mundwinkel, wo sie sich mit den Bündeln des Backenmuskels verflechten und
verschmelzen. Bei fixirtem Mundwinkel wirkt der Schliessmuskel der Mund-
öffnung als Greif- und Saugmuskel; bei Wirkung der Anzieher werden die
Mundwinkel genähert und die Lippen in verschiedenen Graden vorgeschoben.
Ausserdem wirken beim Eröffnen der Mundöffnung und Ergreifen der
Speise: der Pyramidenmuskel, der Heber der Oberlippe, der Heber des Lippen-
winkels, der kleine und grosse Jochbeinmuskel. Beim Entleeren der Mund-
höhle und Ausspeien wirken: der Herabzieher des Lippenwinkels, der Herab-
zieher der Unterlippe, der Kinnheber.
Der Pyramidenmuskel {Levator labü superioris alaeque nasi) beginnt
auf der Aussenfläche des Stirnfortsatzes des Oberkiefers, gibt ein Bündel zur
Haut des Nasenflügels und zur Haut der Lippe, dem Sulcus nasolabialis ent-
sprechend.
Nach aussen von ihm liegt der Heber der Oberlippe (Levator labii
superioris), er beginnt zwischen dem inneren Theile des unteren Augenhöhlen-
randes und dem Unteraugenhöhlenloche; er geht gleichfalls zur Haut der
Oberlippe nach aussen nach dem Pyramidenmuskel. Der Aufheber des
Mundwinkels {Levator anguli oris) beginnt in der Oberkiefergrube und
geht zum Mundwinkel, wo er sich mit den hier gelegenen Muskelfasern ver-
flechtet und theilweise in den Mundschliesser übergeht. Vom Jochbeine ent-
springen der kleine und grosse Jochbeinmuskel {M. Zygomaticus minor et
major).] der erstere endigt nach aussen vom Heber der Oberlippe in der Haut
der Lippe; der letztere geht zum Mundwinkel, wo er sich verflechtet und in
den Bündeln des Mundschliessers endigt, die in der Unterlippe gelagert sind.
Der Herabzieher des Mundwinkels (M. depressor anguli oris s.
Triangularis) beginnt vom Unterkiefer zwischen dem unteren Rande und dem
Kinnloche, vom Kinnhöcker nach hinten bis zum vierten Backenzahn. Die
Fasern gehen zum Mundwinkel, verflechten sich hier und gehen theilweise
zum Oberlippentheil des Mundschliessers. Der Herabzieher der Unter-
lippe (M. depressor labii inferioris) entspringt unter dem Kinnloche vom
Eckzahn bis zum dritten Backenzahn, geht zur Lippe nach oben und innen,
verflechtet sich theilend mit den Fasern des Schliessmuskels und geht bis
zur Haut der Unterlippe. Der Heber des Kinnes {M. Levator menti)
nimmt seinen Anfang zu beiden Seiten der Erhabenheit des Kinnes, dem
Eckzahne und den zwei Schneidezähnen entsprechend. Die Fasern gehen
nach unten und innen und endigen in der Haut des Kinnes. Durch die
Wirkung dieses Muskels kann der Inhalt der Mitte des Vorhofs entweder auf
den Zahnrand erhoben werden oder über den Lippenrand ausgespieen werden.
Ausser der angeführten physiologischen Wirkung haben diese Muskel-
apparate eine nicht minder wichtige, psychologische Bedeutung. Das Ver-
hältnis der Form zu ihrer physiologischen und psychologischen Function,
d. h. die Beziehung der Muskelcontraction zum Gesichtsausdrucke, ist folgen-
des: zuerst erlernt man, die Contractionen der die höheren Sinnesorgane um-
gebenden Muskeln mit den Empfindungen oder erhaltenen Eindrücken in
Beziehung zu bringen, um sodann dieselben Contractionen unter dem Einfluss
von diesen Empfindungen entsprechenden Gefühlen auszuführen, wobei die
Anzahl der theilnehmenden Muskelgruppen und der Grade der Contraction
der Kraft des Eindruckes direct proportional ist. Entsprechend dieses Satzes
erweist sich, dass der zuerst erlernte Saugact als Kuss emblematisch das
Liebliche eines anderen einsaugt und uns versöhnt. Jedes Freudegefühl wird
RACHEN-MUNDHÖHLE, 525
durch ein Eröffnen der Mundöffnung, wobei die Oberlippe gehoben wird, wie
beim Ergreifen der Speise, ausgedrückt; im Gegentheil wird Gram und Kummer,
sowie jedes Missvergnügen durch das Herabsenken der Unterlippe, P]kel
durch ein Herabsenken des Mundwinkels ausgesprochen, der Geiz durch die
Contraction des Hebers der Oberlippe und Neid durch den kleinen Jochbein-
muskel ausgedrückt. Der grosse Jochbeinmuskel ist der Muskel der Ironie,
der Mephistophelmuskel (P. Lessiiaft. *)
Die Muskeln der Mundöffnung erhalten ihre Gefässe von den Aesten
der äusseren Kieferarterie, von der A. transversi faciei aus der Arteria tem-
poralis und Aeste aus der inneren Kieferarterie. Die Venen sammeln sich
zur V. facialis communis und der V. facialis posterior.
Die Lymphgefässe gehen zu den Gl. submaxillares und den Gl. facia-
les profundae, die Nerven gehören dem N. facialis an.
Nach innen von der Muskelschicht sind die acinösen Schleimdrüsen
gelagert {Glandulae labialis sup. et in/.). Diese Schicht ist von einer Schleim-
haut bedeckt, die mit einem geschichtetem Pflasterepithelium bedeckt ist,
die um so feuchter und dünner ist, je weiter sie vom Lippenrande sich
entfernt.
Die Gestalt und Grösse der Lippen variirt sehr nach Gewohnheit und
Sprache. Grosse Lippen sind gewöhnlich mit geräumiger Mundhöhle und gut
erhaltenen Zähnen verbunden, ebenso wie mit Gastronomie und Gesprächig-
keit. Grosse Oberlippe kommt bei Oedem und schlechter Nährung vor; kurze
kleine Lippen bedecken oft unvollständig die Zähne. Bei solcher Unterlippe
wird /nicht rein ausgesprochen, bei kleinen oder fehlerhaft gebildeten Lippen
werden undeutlich p, m, v, w, überhaupt die sogenannten Lippenlaute ge-
bildet.
Der Vorhof der Mundhöhle wird von einer Schleimhaut austapezirt, die
die Lippen, Backen und Kiefer bedeckt. Von der Mitte der Ober- und Unter-
lippe geht die Schleimhaut als Falte zum Kiefer über, die obere Falte (Frenu-
lum lahii superioris) ist stärker ausgeprägt, die untere Falte (Frenulum
lahii inferioris) ist gewöhnlich sehr schwach ausgesprochen. Der Rand der
Kiefer wird von den Zähnen eingenommen.
Die Zähne (Dentes) sind Gefühlspapillen, die von Horngebilde oder
von mehr oder weniger festem Gewebe bedeckt sind. Die äussere Schicht
der festen Kapsel der Papille kann so hart sein, dass sie die Härte des Dia-
manten erreicht. Daher dienen die Zähne zum Schneiden, Zerreissen oder
Zerreiben der als Speise genommenen Nahrungsmittel. Die Zähne sind in
Fächern der Kiefer längs ihrem freien bogenförmigen Rande eingekeilt. Sie
bilden als obere und untere Reihe die Grenze des Vorhofs und der eigent-
lichen Mundhöhle.
An jedem Zahne unterscheidet man: 1. die Krone (Corona dentis), das
ist der Theil, der über dem Kieferrande hervorsteht, 2. den Hals {Collum
dentis), der von der Schleimhaut umfasst wird und dem Rande der Gruben
oder Fächern des Kiefers entspricht; und 3. die Wurzel {Radix dentis), die in
diesen Gruben eingelagert ist. An der Spitze jeder Wurzel befindet sich
eine Oeffnung, die in einen Canal führt, der in die Höhle der Zahnenkrone
endet, das ist die Zahnhöhle {Cavum dentis), in der die Zahnpapille oder der
Zahnkeim {Pulpa dentis) gelagert ist. In den Canal der Wurzel gehen Gefässe
und Nerven zu und von den Weichtheilen des Zahnes.
Das Gewebe des Zahnes besteht aus einer festen Scheide oder dem
Zahnbein {Dentin)^ die die Höhle der Krone und den Canal der Wurzel
begrenzt; die Höhle ist durch die Zahnpapille ausgefüllt, die ihre Fortsätze
oder Zahnfasern in die Canälchen des Zahnbeines einbettet. Das Zahnbein
*) Grundlagen. I. Th., p. 296-297.
526 BACHEN-MUNDHÖHLE.
der Krone des Zahnes ist von einem harten Horngebilde bedeckt — dem
Schmelz (Suhstanfia vitrea s. adamantina), welches noch von einer elasti-
schen structurlosen Membran bedeckt wird — das Schmelz ob er häutchen.
Die Wurzeln sind von echter Knochensubstanz — dem Cement {Substantia
ossea s. ostoidea) bedeckt, welches von dem Zahnfächer des Kiefers durch eine
gefässreiche Beinhaut gesondert ist.
Das Zahnbein ist gelblich, wenig elastisch, hart, auf einen Bruch
asbestartig, faserig, wobei die Fasern wie Radien sich von der Höhle zur
Oberfläche richten. Das Zahnbein besteht aus einer organischen Substanz,
die dem Ossein identisch ist. beim Kochen Leim gibt und von phosphorsaurem
und kohlensaurem Kalksalze imprägnirt ist. Es enthält Knochenknorpel 287o
und unorganische Substanz 72% (Beezelius). Nur ist diese Grundsubstanz
nicht in concentrischen Cylindern gelagert, sondern enthält feine Zahncanal-
chen, die scharf contourirte, sich verästelnde Zahnfasern enthalten. Von der
Grundsubstanz werden noch die die Wände der Canäle bildenden Scheiden
unterschieden, die isolirt werden können, nachdem die Fasern durch Maceration
oder Kochen entfernt sind. Diese Zahnscheiden, begrenzen wellenförmige oder
spiralige Röhren, die sich stellenweise gabelig theilen und strahlig von der
Höhle oder dem Canal des Zahnes spitzwinkelig sich gegen die Oberfläche
richten. Das Zahnbein bildet die feste Grundlage des ganzen Zahnes.
Der Schmelz ist die härteste Substanz des Zahnes, sie ist bläulich-
weiss, sehr spröde und gibt Spalten bei bedeutenden und schnellen Temperatur-
veränderungen. Der Schmelz enthält am meisten phosphorsauren Kalk (88-5%)
und am wenigsten organische Substanz, Alkali und Wasser (2-0"/(j). In grossen
Sammlungen von Zähnen ist es fast unmöglich, einen Zahn aufzufinden, an
dessen Krone unter der Lupe nicht Spalten zu bemerken sind. Wenn man
einen Zahn genau untersucht, die hier existirenden Spalten bemerkt, in heisses
Wasser auf 2—3 Minuten legt und dann ihn sogleich in kaltes Wasser bringt,
so findet man immer neue Spalten, die durch den Temperaturwechsel sich
gebildet haben. Daher müssen kalte und heisse Speisen, die zugleich oder
bald hinter einander genommen werden, das Erscheinen solcher Spalten des
Schmelzes bewirken. Sobald hierauf Reste von Speisen zwischen den Zähnen
bleiben und hier sich zersetzen, so können die Producte der Zersetzung
durch die Capillarität in diese Spalten gelangen und sie durch weiteres
Zersetzen erweitern. Die Beobachtung erweist, dass die Zähne meist von der
zu einander gerichteten Seite erkranken. Daraus folgt, dass bald nach ein-
ander genommene kalte und heisse Speisen so wichtige Organe, wie die Zähne,
schädigen und dass beim Reinigen der Zähne die Zahnbürste nicht horizontal,
sondern parallel den Zahnzwischenräumen geführt werden muss, um die hier
möglicherweise gelagerten Speisereste zu entfernen. Ausserdem ist eine reine
Bürste das beste Reinigungsmittel und müssen alle organische Substanzen
durchaus vermieden und nicht als Zahnpulver gebraucht werden. Der Schmelz
ist aus sechsrandigen prismatischen Elementen gebildet, von epithelialem
Charakter. In diesen Elementen ist das Protoplasma durch Kalksalze im-
prägnirt. Die Elemente sind spiralig, an einander gedrängt, gelagert von
der Oberfläche des Dentins zur freien Fläche. Unter der Einwirkung der
Salzsäure isoliren sich die einzelnen Prismen, und man bemerkt in ihnen
dunkle Querstreifen, die in gleichen Abständen von einander gelagert sind.
Die Lage des Schmelzes ist auf der Kaufläche am grössten.
Das Schmelzoberhäutchen ist eine verkalkte, structurlose, elasti-
sche Membran, die die Oberfläche des Schmelzes bedeckt.
Das Cement bedeckt die Wurzel des Zahnes und ist an der Spitze
und zwischen den Wurzeln am dicksten aufgelagert, es ist gewöhnliches
Knochengewebe mit Knochenlücken und Knochencanälchen. Es ist gelblicher
Farbe, von Seite des Periostes aufgelagert.
RACHEN-MUNDHÖHLE. 527
Die Zahn Papille enthält ein feines Netz von Bindegewebe als Grund-
lage, in den Maschen der Grundlage ist an jungen Zähnen adenoides Gewebe
gelagert, das an der Oberfläche aus länglichen Zellen mit vielen Fortsätzen
besteht, das sind die Odontoblasten. Sie gehen nach aussen in feine sich
verästelnde Fasern über, die in den Canälen des Dentins gelagert sind.
Aus dem Perioste dringen durch den Canal der Wurzel Gefässe ein, die in
der Zahnpapille Netze von Capillargefässen bilden und als Venen wieder aus-
treten. Nerven beginnen mit den Zahnfasern als marklose, äusserst feine
Fasern in den Dentincanälen, sammeln sich in kleine markhaltige Bündel
und gehen centripetal durch den Canal der Wurzel zum Periost.
Beim Erwachsenen sind in jedem Kiefer sechszehn Zähne gelagert, die als
beständige (Dentes permanentes) bezeichnet werden, zum Unterschiede von
Milch- oder Wechsel zahnen {Dentes lactae s. decidni), die nur zu zehn in
jedem Kiefer vorhanden sind. In der Zahnreihe werden unterschieden in
jedem Kiefer: Schneidezähne (Dentes insivi) [4, Eckzähne {Dentes
cuspidati) 2, Backenzähne (Dentes molares) 10; von ihnen sind jeder-
seits zwei kleine {Dentes molares ant. s. minores) und drei grosse
(Dentes molares post. s. majores) zu unterscheiden. Der letzte Backenzahn wird
noch Weisheitszahn {Dens sapientiae) genannt. Von der Mitte des Kiefers
nach aussen sind gelagert: Schneidezähne 2 (innere, äussere), Eckzahn 1,
kleine Backenzähne (innere, äussere) 2, grosse Backenzähne (erster, zweiter,
dritter) 3.
Die Zahnreihe des Ober- und Unterkiefers unterscheidet sich von ein-
ander und erweisen sich die Zähne hier folgendermaassen:
1. Die Zähne des Oberkiefers sind grösser, die Zahnkronen oval. Der
Oberkiefer ist der befestigte Theil, hier ist die Hauptstütze beim Zerreiben
und Zerstückeln der Speise, daher sind auch die Wurzeln grösser, mehr ge-
theilt und oft zu ihrer Spitze convergirend. Die Zähne des Unterkiefers sind
kleiner, die Zahnkronen mehr rundlich; das ist der bewegliche Theil, die
Wurzeln sind hier kleiner und weniger getheilt, das Extrahiren des Zahnes
ist hier leichter.
2. Die Zähne von rechts und links unterscheiden sich dadurch, dass der
äussere Winkel der freien Fläche der Krone immer stumpfer und mehr ab-
geschliffen ist als der innere Winkel. Dieses erklärt sich dadurch, dass die
Gewebe desto härter und fester werden, je grösser während der Entwicklung
der auf sie wirkende Druck oder Zug ist. Die Mittellinie des Oberkiefers
entspricht der Basis des Schädels, hier ist der Widerstand am grössten, die
von diesseits sich bildenden Gewebe sind daher fester und härter; die Gewebe
der entgegengesetzten Seite sind lockerer, sie bilden sich auf der Seite des
minderen Widerstandes, daher schleifen sie sich leichter ab und sind über-
haupt weniger vorstehend — sie bilden mehr abgerundete Winkel.
3. Der grösste Zahn ist der erste grosse Backenzahn, gewöhnlich mit
5 Höckern, nach vorn sind die kleinen Backenzähne mit 2 Höckern, die sich
in der Richtung zum Eckzahn verkleinern und hier einen Haupthöcker bilden,
nach hinten ist der zweite grosse Backenzahn mit 4 Höckern und der dritte
oft mit 3 Höcker, variirt aber am meisten, je nach der Grösse und dem
Grade der Entwicklung des Kiefers. Von den Schneidezähnen ist der
grösste der innere obere und der kleinste der innere untere. Sobald die
Wurzeln der Zähne in der Richtung ihrer Spitze gekrümmt sind, so gewöhn-
lich nach aussen (von der Mittellinie) in der Richtung des minderen Wider-
standes.
Die Schneidezähne (8) mit meisselförmiger Krone, die Zungenfläche
concav, die Lippenfläche etwas convex, die Seitentheile dreiseitig mit zum
freien Rande gerichteter Spitze. Der freie Rand, eben gebildet mit mittleren
grösseren und seitlichen kleineren Zacken ; später nimmt der Rand die Form
528 EACHEN-MÜNDHÖHLE.
einer Scheide an. Am Halse des Zahnes ist der Schmelz wellenförmig be-
grenzt, an der Lippen- und Zungenfläche concav zum freien Rande des Zahnes.
Die grösste Krone ist oben und innen, etwas quer gebogen am äusseren
oberen Zahne; am kleinsten und seitlich platt gedrückt ist der innere untere
Zahn. Die Wurzel ist länglich, seitlich flach, nicht selten mit einer Längs-
furche in der Mitte. Diese Zähne dienen zum Schneiden und Nagen der Speise.
Die Breite an der Schneide beträgt für die oberen Zähne 6-5 — Smin, die Länge
der Krone am oberen inneren 9'5 — 11 mm, am oberen äusseren 8—9 mm,
am unteren 8-5 — d'bmm. Die ganze Länge des Zahnes ist 2-1 — 2'5 m.
Die Eckzähne (4) mit kegelförmiger Krone, dessen stumpfe Spitze
gewöhnlich etwas über den freien Zahnrand hervorragt. Seine Lippentiäche
ist convex; die Zungenfläche hat eine mittlere, verticale, lineare Erhöhung
und zu beiden Seiten kleine Vertiefungen. Der Schmelzrand am Halse ist
wenig gekrümmt. Die Wurzel ist dicker und länger als bei dem Schneide-
zahne, sie ist am oberen Zahn doppelt so lang wie die Krone; seitlich etwas
platt und mit einer Längsfurche. Sie dienen zum Halten und Reissen der
Speise. Die Höhe der Krone ist 9'5 — 10-5mm, die grösste Breite 6-5 — l-6mm,
die Totallänge 2'4 — San.
Die kleinen Backenzähne (8) des Oberkiefers haben eine elliptische
Krone, die des Unterkiefers eine runde; die Krone dieser Zähne ist durch
eine Querfurche in eine Backenzacke und eine Zungenzacke getheilt. Am
Oberkiefer ist am ersten Zahne die Backenzacke etwas stärker wie die Zungen-
zacke, am Unterkiefer ist am zweiten Zahne die Backenzacke grösser. Am
Halse ist die Schmelzgrenze horizontal. Die Wurzel ist am Oberkieferzahn,
besonders dem zweiten, meistens getheilt, am unteren Zahne ist die Wurzel
gewöhnlich flach und seitlich mehr oder weniger tief gefurcht. Die Höhe der
Wangenfläche der Krone beträgt 7 — 8mm, die Breite ist 5mm, der sagit-
tale Durchmesser 8"5— 9 mm für die oberen Zähne, 7 — 8 mm für die unteren.
Die Totallänge ist 2— 2' Sem.
Die grossen oder hinteren Backenzähne (12) sind im Oberkiefer
mit ovalen Kronen, im Unterkiefer mit runden; die Schmelzgrenze ist hori-
zontal; der erste Zahn hat 2 bis 4 Wurzeltheile, die im Oberkiefer immer in
grösserer Zahl sind und divergiren. Im Unterkiefer ist er meist zweitheilig.
Sobald die Kiefer eng sind, so fehlt gewöhnlich der dritte Backenzahn. Die
Backenzähne dienen zum Reiben und Zermalmen der Speise.
Die Zahnreihe des Oberkiefers bildet einen grösseren Bogen als die
Zahnreihe des Unterkiefers, daher ragen die oberen Zähne stärker hervor,
besonders die Schneidezähne, die in der Mitte des Bogens gelagert sind. Die
Höhe der grossen Backenzähne ist 7 — 8 m7n zwischen Wangen- und Zungen-
fläche, am Halse ist die Entfernung an oberen 10- — 12 mm, an unteren
8*5 — 9'5 mm. Die Gesammtlänge ist 2*0 — 2-3 cm.
Die Entwicklung des Zahnes beginnt zwischen dem 58.— 65. Tage,
am Ende des zweiten Monats des menschlichen Embryo. Von der den
Kieferrand bekleidenden Hornschicht bildet sich durch Wucherung der Ele-
mente ein in die Gewebe der Kieferanlage eindringender Fortsatz, der
Schmelzorgan genannt wird und aus dem sich der Schmelz und das
Schmelzoberhäutchen bilden. Von Seite der Kieferanlage, welches aus Schleim-
gewebe besteht und reich an Gelassen ist, geht die Zahnpapille aus; diese
Papille dringt bis zum Schmelzorgane vor und bedeckt sich von dem sie
überwachsenden Organe, wie eine Mütze den Kopf deckt. Aus dieser Papille
bildet sich das Dentin und der Rest mit den Gelassen und Nerven bildet die
Weichtheile des Zahnes.
Beim Differenziren der Elemente des Schmelzorganes bilden sich an den
Schichten, die die Nahrung unmittelbar von dem umgebenden Theile erhalten,
aussen Elemente cubischer Form, auf der Papille lange, sechsseitige
RACHEN-MUNDHÖHLE.
529
Pyramiden; das sind Elemente epithelialen Charakters. Zwischen diesen
Elementen ist das Stratum intermedium gelagert, das ist Schleimgewebe,
das sich gebildet hat aus Elementen, die ihre Nahrung nur mittelbar
erhalten. Dieses beweist, dass aus dem Hornblatte (Ectoderm) sich verschie-
denes Gewebe bilden könne, je nach der Nahrung und den mechanischen
Verhältnissen, unter denen die Bildungszellen sich formiren. Der Theil des
Bindegewebes, der die Zahnanlage umgibt, erweist sich als Zahnsäckchen.
Von dem ausgezogenen Anfangstheil oder Hals des Schmelzorganes bilden
sich paarig die Keimtheile der permanenten Zähne; von diesen Theilen ent-
wickelt sich nur der Keim, der nach aussen vom Hals sich bildet; der innere
Keim stösst auf grösseren Widerstand, er regressirt und verschwindet.
Beim Neugeborenen sind in jedem Kiefer zehn solcher Säckchen mit
einfachen oder complicirten Papillen (Backenzahnkeime). Die Papillen sind
mit zarten Kronen bedeckt. Der Rand des Ober- und Unterkiefers ist mit
einer fibrösen Leiste bedeckt, deren Seitenenden etwas verdickt sind. Diese
Leisten sind gefässreich, sie werden Zahnfleischleisten {Cristae gingivales)
genannt. Mittelst dieser Leisten können die Brustwarzen beim Saugen sehr
fest umfasst werden (Robin und Magitot).
Durch Wachsthum des Zahnes und die Bildung der Krone dringt er auf
Seite des kleinsten Widerstandes nach aussen. Bei normalen Verhältnissen
schneidet sich der Zahn nach aussen gradatim und consequent, wobei die am
Rande des Kiefers befindlichen Gewebe mit den hier gelegenen Gefässen und
Nerven sich so allmählich theilen, dass durchaus keine krankhaften Erschei-
nungen hierbei beobachtet werden müssen. Jede Beschleunigung dieses Pro-
cesses mittelst der üblichen Knochen, Wurzeln, Knochenringe u. s. w. ist
durchaus schädlich und darf nicht zugelassen werden; es beweist nur, wie
leicht man durch unnöthiges Einmischen krankhafte Erscheinungen hervor-
rufen kann. Wenn sich das Durchschneiden des Zahnes verspätet, so weist das
gewöhnlich nur auf ungenügende Nahrungsverhältnisse und damit verbun-
denes behindertes Wachsthum hin, fordert folglich Reinheit und günstige
hygienische Bedingungen und durchaus nicht mechanische Einwirkungen, die
nur dem Kinde schaden können und durchaus nicht zugelassen werden dürfen.
Das Durchschneiden der Zähne geht gewöhnlich in folgender Ordnung
in Monate und Mittelzahlen ausgedrückt, vor sich:
24
12
18
18
12
24
Das sind die Wechsel- oder Milchzähne (Dentes decidui s. lactes),
20 an Zahl, wobei meistens zuerst die unteren sich durchschneiden und dann
die oberen. Ueberhaupt variirt dieser Process sehr, der Neugeborene kann
mit durchgebrochenen Zähnen zur Welt kommen; die Zähne durchbrechen
den Kieferrand in einzelnen Fällen am Ende des ersten Jahres und später,
meist hängt das mit den Nahrungsverhältnissen des Kindes zusammen.
Die Wechselzähne sind kleiner, weisser und zarter als die bleibenden,
die Form ist wie bei bleibenden, nur haben die Backenzähne die Form der
hinteren oder grossen Backenzähne.
Mit dem 5. Jahre beginnt der Wechsel der Zähne, die Milchzähne
.werden durch die beständigen Zähne ersetzt. Die Ursache dieses Wechsels
ist in Aenderung der Form des Kiefers zu suchen. Der halbkreisförmige
Oberkiefer wächst durch Uebung beim Kauen mehr nach vorn in der Richtung
des geringeren Widerstandes und nimmt daher eine elliptische Form an; die
Alveolen vergrössern sich, die Zähne werden hierbei schräg gelagert und sind
weniger günstige Schneideapparate. Bei diesen Verhältnissen entwickelt sich
der in der Alveole gelagerte Keim des beständigen Zahnes. Der wachsende
Ohren-, Nasen-, Kachen-, Kehlkopfkrankheiten. öl
530 RACHEN-MüNDHÖHLE.
Keim des bleibenden Zahnes drückt auf die Wurzel des Milchzahnes und auch
auf die Gefässe. Infolge dieses Druckes regressirt die Wurzel dieses Zahnes
von der Spitze zum Halse. Die Krone wird lose und fällt leicht aus, an der
Stelle des ausgefallenen Zahnes ist immer die Spitze des beständigen zu
sehen. Die Reihenfolge des Durchbrechens der bleibenden Zähne entspricht
gewöhnlich der entsprechenden Ordnung der Milchzähne, nur beginnt dieser
Process meistens mit dem Durchschneiden des ersten grossen Backenzahnes,
nach dessen Erscheinen beginnt der Wechsel der Schneidezähne. Die Ordnung
des Wechsels, in Jahren ausgedrückt, ist gewöhnlich folgende:
18 i 14
10
9 i 12 i 8
12
10 !
14
18
Das Durchschneiden des letzten Backenzahnes variirt sehr von 17 — 25
Jahre, bei schwach entwickeltem Kauapparate und Kiefer kann er auch gar
nicht existiren. Zuerst wechseln gewöhnlich die Zähne des Unterkiefers und
dann die des Oberkiefers.
Die Zähne fordern viel Reinlichkeit und Sorgfalt, um sich gut zu er-
halten. Rascher Temperaturwechsel und mechanische Einwirkungen sind wohl
die Hauptursachen der Leiden des Zahnes. Das Ausfallen der Zähne im
höheren Alter ist durchaus nicht als normal anzusehen, sondern immer eine
Folge von Summirung ungünstiger Bedingungen, die zu regressiven Erschei-
nungen und pathologischen Veränderungen führen. Jede Extraction des Zahnes
oder einer Wurzel führt zur Verwachsung der Alveole, in welcher der Zahn
eingereiht war. Bei dieser Verwachsung der Alveole verengen sich die nach-
barlichen Alveolen und drängen die Zahnwurzeln aus, daher jede Extraction
eines Zahnes sehr unvortheilhaft auf die Befestigung der Nachbahrzähne wirkt.
Die Gefässe der Zähne stammen aus der Art. maxillaris interna; für
den Oberkiefer erhalten die hinteren Zähne aus den Art. alveolares sup.
post. und den R. alveolares sup. ant , Zweige der A. infraorbitalis. Die
Zähne des Unterkiefers erhalten ihre Zweige aus der A. alveolares inf. Die
Venen entsprechen den Arterien. Die Lymphgefässe gehen vom Oberkiefer
zu den Gl. faciales profundae; von dem Unterkiefer zu den Gl. submaxillares.
Die Nerven sind Zweige des N. trigeminus. Von dem Oberkiefer gehen
die Nerven zum N. infraorbitalis vordere obere Zähne, und zu dem N. alveo-
laris s. dentalis sup. post. von den oberen hinteren Zähnen. Das sind Aeste
des R. supramaxillaris N. trigemini. Ein Geflecht dieser Nerven liegt
zwischen den Lamellen der Wand des Oberkiefers, entsprechend der Spitze
der Wurzel des Eckzahnes.
Die Zähne des Unterkiefers geben ihre Aeste zum N. mandibularis des
N. trigeminus.
Die sympathischen Fasern sind Aeste des Plexus maxillaris internus von
Plexus caroticus externus.
In der Mundhöhle ist die Z u n g e gelagert, das ist ein sehr bewegliches
Organ, das zum Kauen und Schlingen dient, als Organ der Sprache und als
Geschmacksorgan functionirt.
An der Zunge unterscheidet man ihre obere Fläche oder den Rücken,
ihr hinteres Ende oder die Wurzel, ihr vorderes Ende oder die Spitze und
ihre Seitenränder. Das Gewicht der Zunge des Menschen ist im Mittel
90 — 120^, im Verhältnisse zum Gesammtgewicht des Körpers wie 1:450 — 600.
Die Länge der Zunge ist 8— 9 cm, im ausgestreckten Zustande 11 — 13 cm
die Breite 5 cm, die Dicke 1*8 — 2-0 cm.
Die Zunge ist ein musculöses Organ, in dem, beim Menschen, keine
Knochenstütze existirt. Diese Knochenstütze ist durch eigene Muskeln er-
.setzt, deren Bündel, um einen festen Kern zu bilden, in drei unterein-
RACHEN-MUNDHÖHLE. 531
ander unter einen rechten Winkel sich kreuzenden Richtungen gelagert sind.
Dieser Kern wird in seiner Lage gehalten durch Muskeln, die von drei Seiten
von den Skelettheilen ihren Ursprung nehmen. Bei der Wirkung der ein-
zelnen Theile dieses Muskelapparates wird die Zunge auf die bezügliche Seite
gezogen. Die Skelettheile, wo die äusseren Zungenmuskeln ihren Ursprung
nehmen, sind die aus dem Unterkieferfortsatze des ersten Kiemenbogeris und
aus dem zweiten und dritten Kiemenbogen sich bildenden Theile. Der
Mechanismus der Zungenbewegung und Zungenfixirung ist daher analog dem
Mechanismus der Bewegung und Fixirung der Mundwinkel, des Zungenbeines
oder des Schulterblattes; nur dass diese Knochen in der Zunge durch innere
Muskeln ersetzt sind.
Die inneren oder eigentlichen Zungenmuskeln beginnen und endigen im
Bindegewebsgerüst der Zunge; dieses Gerüst wird gespannt, kann daher als
Stütze dienen, von den Muskeln, die vom Unterkiefer, vom Griffelfortsatze des
Schläfenbeines und vom Zungenbeine entspringen. Um den Mechanismus des
Kauens und der Zunge zu verstehen, muss man zuerst den Mechanismus der
Befestigung und Bewegung des Zungenbeines erlernen.
Das Zungenbein (Os hyoideum) wird fixirt durch die summirte Wir-
kung der Muskeln, die von unten, von unten hinten und von oben hinten zum
Zungenbeine herantreten. Von unten ist es der Brust-Zungenbeinmuskel
{M. sterno-hi/oideus), der Brust-Schildknorpelmuskel (M. sterno - thyroideus)
und der Zungenbein-Schildknorpelmuskel (i¥ hyo-thyreoideus)\ von hinten
und unten der Schulter-Zungenbeinmuskel (if. omo-Jiyoideus); von hinten und
oben der hintere Bauch des zweibäuchigen Unterkiefermuskels {M. digastricus
maxillae inferioris) und der Griffel-Zungenbeinmuskel {M. sfylo-hyoideus). Bei
der einzeitigen Wirkung aller dieser Muskeln wird das Zungenbein fixirt und
äussert sich dann als Stütze: 1. für die Muskeln, die den Unterkiefer beim
Kauen nach unten ziehen, 2. für die von unten kommenden Zungemnuskeln,
3. für die beim Schlingen wirkenden mittleren Schlundschnürer {M. con-
strictor pharynyis medius s. hyo-pharynyeus); 4. die gesammten Zungenbein-
muskeln mit den Muskeln des Unterkiefers wirken als Beuger des Kopfes.
Die beim Kauact wirkenden Muskeln, die zugleich die untere Wand der
Mundhöhle bilden, sind folgende: 1. der vordere Bauch des zweibäuchigen
Unterkiefermuskels (M. digastricus max. in/.), 2. der Kiefer-Zungenbeinmuskel
(M. mylo-hyoideus) und 3. der Kinn-Zungenbeinmuskel {M. genio-hyoideus).
Der erste dieser Muskeln beginnt von der mittleren Sehne, in die der hintere
Bauch") übergeht; die Fasern des Muskels gehen fächerförmig auseinander,
richten sich nach oben und vorn und endigen an der inneren Lippe des
Unterkieferrandes neben dem Kinnvorsprung. Der zweite Muskel nimmt seinen
Anfang am unteren Rande und unteren Theile der Vorderfläche des Zungen-
beinkörpers und an einer von der Mitte dieses Körpers nach oben und vorn zum
Kinnvorsprung gehenden Linie. Die Muskelbündel gehen schräg auseinander
(nach aussen, vorn und oben) zur schiefen Linie {Lineae hyo-myloideae) beider
Hälften der Innenfläche des Unterkiefers vom letzten Backenzahne bis zur Kinn-
erhabenheit. Endlich entspringt der dritte Muskel von der unteren Hälfte
der vorderen Fläche des Zungenbeinkörpers und geht zu beiden Seiten der
Mittellinie zum Höcker an der inneren Seite der Mitte des Unterkiefers. Xur
nach genauer Kenntnis der Lage und Function der eben beschriebenen Mus-
*) Dieser hintere Bauch des Unterkiefermuskels beginnt von einem Zitzenvorsprung
(Eminentia digastrica) des Schläfenbeines, seine Fasern gehen nach unten und vorn zum
Körper des Zungenbeines in eine Sehne über, von der der vordere Bauch beginnt. Diese
Sehne umgibt eine fibröse Scheide, die sich an der vorderen Fläche des Zungenbein-
körpers und zum Theil am grossen Hörn des Zungenbeines befestigt. Die Sehne dieses
Muskels wird von den einander weichenden Muskelbündeln des M. stylo-hyoideus umfasst .
34*
532 RACHEN-MUNDHÖHLE.
kein kann man zur Analyse des Mechanismus der Zungenbewegung und
Fixirung übergehen.
Die cäusseren Muskeln der Zunge, die von drei Seiten von den
Skelettheilen zur Zunge gelangen, sind: von vorn vertical, fächerförmig die
Achse der Zunge kreuzend, die Kinn-Zungenmuskeln (il/. genio-glossi), sie
nehmen den mittleren Theil der Zunge ein; von hinten, aussen, oben —
die Griffel-Zungenmuskeln (i¥. stylo-glossi), lagern sich sagittal längs der
vorderen Hälfte des Zungenrandes, und von hinten, innen, unten — die
Zungenbein-Zungenmuskeln {M. hyo-glossi), sie gehen auch sagittal längs der
hinteren Hälfte des Zungenrandes.
Die inneren Muskeln der Zunge beginnen und endigen am Binde-
gewebsgerüste der Zunge. In der Mitte der Zunge zwischen den Mm. genio-
glossi ist eine verticale fibröse Membran {Septum linguae) gelagert, die" als
Septum der Zunge dient, die Form einer Sichel hat, hinten breit, vorn spitz
endend. Von den lateralen Flächen dieser Membran gehen die transversalen
Bündel des queren Zungenmuskels (m. transversus linguae) ab, unter der
Schleimhaut des Zungenrückens ist eine Schicht sagittaler Fasern des ober-
flächlichen Längsmuskels der Zunge {M. Ungualis superficialis s. superior)
gelagert; endlich sind beiderseits zwischen dem M. genio-glossus einerseits
und die Mm. hyo-glossus und stylo-glossus anderseits der untere Längsmuskel
der Zunge {M. Ungualis proprius s. inferior) gelagert.
Der Kinn- Zungenmuskel (M. genio-glossus) beginnt von der Spina
mentalis, zu beiden Seiten der Mitte der Innenfläche des Unterkiefers, mit
einem sehnigen Theile. Die Muskelfasern gehen fächerförmig auseinander,
die vorderen in der Richtung zur Spitze, die hinteren zur Wurzel, die mitt-
leren Bündel zum Rücken der Zunge. Von den hinteren Fasern gehen einige
zum oberen Theil des Körpers des Zungenbeines und von einigen Fasern wird
angenommen, dass sie bis zur Mitte der Vorderfläche des Kehldeckels reichen.
Die Fasern gehen in elastisches Gewebe über, das man bis zum Kehldeckel
verfolgen kann. In der Zungensubstanz verflechten sich die Fasern des
M. genio-glossus mit den Fasern des M. transversus linguae und verlieren
sich in dem hier gelagerten Bindegewebe. Zwischen den paarigen Muskeln
ist das Septum linguae gelagert.
Der Griffel-Zungenmuskel (M. stylo-glossus) beginnt an der Spitze
und der vorderen Fläche des Griffelfortsatzes, ausserdem von dem zwischen
diesen Fortsatz und dem Unterkiefer gelagerten Bande (Lig. stylo-maxillare),
seine Fasern gehen nach vorn, unten und innen zum Rande der Zunge und
lagern sich hier von der Mitte nach vorn bis zur Spitze der Zunge. Seine
Fasern verflechten sich mit den Fasern des M. hyo-glossus, transversus linguae
und lingualis inferior und endigen im Bindegewebe der Zunge, theilweise in
der Innenfläche der Schleimhaut des Zungenrandes.
Der Zungenbein-Zungen muskel (ili. hyo-glossus) nimmt seinen
Anfang von dem grossen Hörne, vom oberen Rande des Körpers und gewöhn-
lich vom kleinen Hörne des Zungenbeines. Der platte Muskel geht nach vorn,
oben und aussen zum hinteren Theile des Zungenrandes, verflechtet sich hier
mit den Fasern des M. transversus linguae, lingualis proprius und stylo-
glossus und endigt im Bindegewebe der Zunge in der Richtung des Seiten-
theiles des Rückens. Vom medialen Theile des kleinen Horns wird noch ein
Bündel als eigener Muskel {M. chondro-glossus) beschrieben; das ist der me-
diale Theil des Zungenbein-Zungenmuskels.
Der quere Zungenmuskel (i¥. transversus linguae). In der Mitte
der Zunge ist das sichelförmige Septum linguae gelagert, hinten reicht das
Septum bis zur Mitte des Körpers des Zungenbeines und nach vorn endigt
es spitz; dessen Dicke ist 0'5 — 0*7 mm. Nach vorn in der Richtung der
Spitze d-sr Zunge geht das Septum in Zellgewebe über, ebenso wie nach
RACHEN-MUNDHÖHLE. 533
hinten, wo es bis zum Körper des Zungenbeines reicht. Von den Seitenflächen
dieses Septum beginnen die Fasern des Quermuskels, sie gehen quer, etwas
schief nach oben, da die am oberen Theile des Septum beginnenden Fasern
näher zur Mittellinie des Rückens der Zunge gehen, während die vom unteren
Theile zum Rande sich richten. Die Fasern durchsetzen und verflechten
sich mit den hier gelagerten verticalen und sagittalen Muskeln von der Spitze
bis zur Wurzel der Zunge. Von dem Theile des Randes der Zunge, wo der
vordere Gaumenbogen (Arcus palato-glossus) in die Schleimhaut des Zungen-
randes übergeht, gehen Fasern zwischen den Schichten dieses Bogens nach
oben bis zur Mitte des Gaumens {M. palato glossus); weiter nach hinten gehen
Fasern zur Aussenfläche der Tonsillen {M. amygdalo-glossus), endlich gehen an
der Wurzel Fasern des Quermuskels in die Bündel des unteren Theiles des
oberen Schlundkopfschnürers (M. glosso-pharyngeus) über.
Der obere oder oberflächliche Längsmuskel der Zunge (iV/. /m-
gualis superior s. superficialis) bedeckt als 1 — Vbmm dicke musculöse Schicht
den vorderen und mittleren Theil der Zunge, soweit auf der Zunge Papillen
gelagert sind. Im hinteren Theile liegt diese Muskelschicht unter den Drüsen
und kann bis zum oberen Rande des Zungenbeines verfolgt werden. Die
Fasern beginnen hinten und endigen an der Innenfläche der Schleimhaut des
Zungenrückens, nach vorn bis zur Spitze. Daher kann hier die Schleimhaut
nicht als Falte erhoben werden und ist auf ihrer Unterlage nicht beweglich,
was beim Zerreiben der Speise mittelst der Zunge und beim Betasten Be-
deutung hat.
Der untere Längsmuskel der Zunge {M. lingualis inferior s. pro-
prius) ist in dem spindelförmigen Zwischenräume vom Kinn-Zungenmuskel
einerseits, vom Zungenbein-Zungen- und Griffel-Zungenmuskel anderseits ge-
lagert. Die Fasern dieses Muskels beginnen hinten von den Bindegewebs-
lagerungen, die zwischen den angeführten Muskeln gelegen sind. Die Fasern
gehen beiderseits nach vorn, verzweigen sich mit den Bündeln des Griffel-
Zungenmuskels und dringen theilweise bis zur Innenfläche der Schleimhaut
des Zungenrandes, nach vorn bis zur Spitze der Zunge.
Nach der Kenntnis der angeführten Muskeln kann man zum Studium
des Mechanismus der Fixirung der Zunge und der Bewegung nach vorn,
hinten, seitlich rechts und links, nach oben und unten, wobei die Zunge eine
verschiedene Dicke und Consistenz annehmen kann, übergehen,
1. Die Bewegung der Zunge nach vorn wird ausgeführt durch
die Muskeln, die das Zungenbein nach oben und vorn ziehen und den Muskeln,
die die Zunge nach vorn und unten ziehen. Die ersten sind: der vordere
Bauch des M. digastricus, der M. mylo-hyoideus, der M. genio-hyoideus; nach
vorn und unten ziehen die mittleren und hinteren Theile des M. genio-glossus.
Der feste Kern wird erhalten durch gleichzeitige Contraction der M. lingualis
superior, inferior und transversus linguae. Bei Gegenwirkung der Antagonisten
wird die Zunge als festes Organ nach vorn gezogen.
2. Die Bewegung der Zunge nach hinten wird möglich bei
Fixirung des Zungenbeines nach innen und unten, dieses wird ausgeführt durch
die Contraction folgender Muskeln: M. sterno-hyoideus, sterno-thyreoideus,
omo-hyoideus, des hinteren Bauches des digastricus und der stylo-hyoideus.
Bei Fixirung des Zungenbeines ziehen die Mm. hyo-glossi nach unten und hinten,
die Mm. stylo-glossi nach hinten und oben, zusammen nach hinten, wobei
die inneren Muskeln den festen Kern bilden, der bei Gegenwirkung der
Antagonisten nach hinten gezogen wird.
3. Die Bewegung der Zunge nach oben wird erlangt durch Wir-
kung der Muskeln nach oben und vorne, oben und hinten und gerade nach
oben. Nach oben und vorn ziehen: der vordere Bauch des digastricus beider-
seits, die Mm. mylo-hyoidei, genio-hyoidei, die hinteren Theile der Mm. genio-
534 RACHEN-MUNDHÖHLE.
glossi; nach oben und hinten wirken: die Mm. stylo-glossi, der hintere Bauch
des digastricus beiderseits, die Mm. stylo-hyoidei. Gerade nach oben ziehen
die Mm. palato-glossi, theilweise die Mm. palato-pharyngei et stylo-pharyngei.
Den festen Kern bilden die inneren Muskeln bei Gegenwirkung der Antago-
nisten.
4. Die Bewegung der Zunge nach unten erfolgt durch Fixirung
des Zungenbeines nach unten mittelst der schon genannten Muskeln; ausser-
dem ziehen die Mm. hyo-glossi nach unten und hinten, die vorderen und
mittleren Bündel der Mm. genio-glossi richten die Zunge von unten und
vorn zusammen nach unten, bei gleichzeitiger Wirkung der inneren Muskeln
und der Gegenwirkung der Antagonisten.
5. Die Bewegung der Zunge seitwärts geschieht bei gleichzeitiger
Wirkung des M. stylo-glossus einerseits — der Zungenrand wird gerichtet seit-
wärts und oben — des M. hyo-glossus anderseits — bei fixirtem Zungenbeine, der
Band wird gezogen seitwärts und unten — zusammen richten sie die Zunge
seitwärts, bei der Contraction der inneren Muskeln und der Gegenwirkung
der Antagonisten. Beim Hervorziehen der Zunge aus der Mundhöhle wird
die Zungenspitze seitswärts gerichtet, wenn der Wurzeltheil in einer entgegen-
gesetzten Richtung gezogen wird. Dieses kann experimentell controlirt werden,
sobald bei einem Hunde einerseits der Bewegungsnerv der Zunge (N. hypo-
glossus) durchschnitten wird, besonders wenn die Stelle der Section des Nerven
nach aussen vom Abgange des Ramus descendens hypoglossi liegt. Da dieser
letzte Ast zu den Muskeln geht, die von unten zum Zungenbeine gelangen,
so wird das Os hyoideum und die Wurzel der Zunge nach der gesunden Seite
gezogen und die Spitze der Zunge nach der gelähmten Seite. Dies lässt sich
gut demonstriren, wenn ein so operirter Hund in ein Sandbad gesetzt wird,
bei ungefähr 40'^ C, er streckt die Zunge hervor, wobei die Spitze nach der
paralysirten Seite gerichtet wird. Diese Erscheinung ist schon Schröder-
VAN DER Kolk bekannt gewesen.
Die übrigen Bewegungen der Zunge lassen sich leicht bestimmen auf
Grund der angeführten Wirkungen der hier thätigen Muskeln.
Die Zunge ist mit einer Schleimhaut bedeckt, die an der unteren
Wand der Mundhöhle zur unteren Fläche der Zunge geht und bei diesem
Uebergange in der Mitte eine Falte bildet, das Zungenbändchen (Frenulum
linguae). Am Bande, dem vorderen und mittleren Theile des Rückens ist die
Schleimhaut der Zunge unbeweglich und mit Warzen {Papulae linguae) be-
deckt. Am hinteren Theile des Zungenrückens bedeckt die Schleimhaut eine
Drüsenschicht und ist hier locker mit dem unterliegenden Gewebe verbunden.
Auf dem mit Papillen bedeckten Rücken der Zunge ist die Oberfläche
sammtartig, und hier sind drei Hauptformen von Warzen zu unterscheiden;
ausserdem sind noch längs dem Rande der Zunge, besonders der Mitte ent-
sprechend, kammförmige Hervorragungen zu unterscheiden. Die grössten Warzen
sind von Schleimhautfalten umgeben und werden daher umwallte Warzen
[Papulae magnae s. circumvallatae) genannt, sie sind gewöhnlich nur an der
hinteren Grenze des Rückens gelagert, so dass sie beiderseits mit ihrer Lage
einen nach vorn offenen, nach hinten spitzen Winkel bilden. Die grösste
dieser Papillen ist entsprechend der Spitze des Winkels gelagert. Hinter
dieser Papille ist eine mehr oder weniger tiefe Grube, das blinde Loch
{Foramen coecum linguae), in dessen Wände Oeffnungen von Ausführungsgängen
von Schleimdrüsen und folliculären Drüsen gelagert sind. Die Grube ist mehr
oder weniger tief mit dem blinden Ende nach hinten gerichtet. Die Zahl
der umwallten Papillen ist jederseits von 5 — 6; je grösser der Umfang, desto
kleiner die Zahl und umgekehrt. Die kleinen Papillen sind haar- und
kegelförmig {Papillae filiformes et conicae), sie bedecken die ganze Rücken-
fläche der Zunge, nach vorn von den umwallten Papillen, und geben diesem
RACHEN-MUNDHÖHLE. 535
Theile ein sammetartiges Ansehen. Die mittleren Warzen sind pilz- oder
keulenförmig {Papulae fungiform es), sind grösser als die vorigen, sie sind
zwischen den kleinen Papillen zerstreut, besonders in den vorderen und seit-
lichen Theilen der Zunge; sie erheben sich mit ihren breiten Enden über die
kleineren Papillen. Ausserdem sind längs dem Ptande, besonders gegen die
Mitte schräg nach hinten und unten gehende kammförmige Hervorragungen
{Papulae foliatae).
Alle diese Warzen und Hervorragungen haben die Bedeutung einer
grossen Fläche im gegebenen Räume, die als Anfangstheil für centripetal
leitende Nerven dienen. Jede Papille besteht aus einem Grundtheile und
einer epithelialen Auflagerung. In dem Grundtheile ist Bindegewebe mit
elastischen Fasern, hier sind Gefässschlingen und Netze und Nervenfasern ge-
lagert. Die letzteren beginnen mit protoplasmatischen Anschwellungen, die
in den epithelialen Auflagerungen gelegen sind oder als feine Härchen in den
sogenannten Geschmacksknospen.
Die Papillen variiren sehr je nach der Qualität der genommenen Speise
und dem Grade der Reizung der Oberfläche der Zunge, je nach der Ernährung
der oberflächlichen Schicht der Papillen; bei gestörter Ernährung kann leicht
Abschilferung eintreten und die Oberfläche der Zunge eine grauweissliche Fär-
bung annehmen; auch können hier sich mikroskopische Pilzfäden entwickeln,
besonders auf den regressirenden Theilen des Epitheliums, und dadurch die
sammtartige Oberfläche in eine mehr einförmige, glatte Fläche verwandeln.
Die Höhe der Papillen wechselt von 0'4 — 1*5 und sogar 2mm. Der Epithelial-
stiel der Papille beträgt von O'Ol — 0*05 wm.
Die fadenförmigen Papillen können eine haarförmige, sich zuspitzende
feine Form haben, wobei die platten Epithelelemente sich als feine Fäden
ausziehen; oder die secundären Papillen nehmen eine mehr fingerförmige
Gestalt an und enden mit abgerundeten freien Theilen.
Die pilzförmigen Papillen sind länger; zur Basis sind sie gewöhn-
lich enger und zum Endtheile breiter; sie sind gröber und verhalten sich zu
den fadenförmigen Papillen wie Fausthandschuhe zu einem Fingerhandschuhe.
Die "wallförmigen Papillen sind gewöhnlich grösser, wie die pilz-
förmigen, ausserdem sind sie von einer P'alte der Schleimhaut wäe von einem
Walle umgeben. Die Seitentheile, die zu dieser Falte gerichtet sind, ebenso
wie die innere Fläche des Walles enthalten in ihrer Epithelialschicht ovale
Geschmacksknospen. Diese Knospen sind äusserlich von spindelförmigen Ele-
menten umgeben und enthalten Protoplasmafäden mit Kernen, die auf der
freien Oberfläche mit feinen Fäden beginnen und central wohl in Nervenfäden
übergehen.
Die kammförmigen Hervorragungen unterscheiden sich nicht
von Baue der Papillen, nur dass sie länglich ausgezogen sind und gewöhnlich
den Rand der Zunge schief kreuzen. Sie sind auch mit secundären Epithelial-
auflagerungen bedeckt, von wo aus die Nervenanfänge gehen.
Je feiner die Papille endigt, desto grösser muss der Grad der Differen-
zirung der Wirkung der äusseren Erregung sein, während eine grössere Fläche
der Papille das Betasten der Theile erleichtert.
In der Zunge verzweigen sich zwei Zungenarterien [Art. linguales).^ aus
der Art. carotis externa stammend. Jederseits dringt diese Arterie über den
M. hyo-glossus, zwischen dem M. genio-glossus und lingualis inferior nach
vorwärts in der Richtung zur Zungenspitze. Einen Ast gibt die Zungenarterie
zur Schleimhaut des Rückens der Zunge (Art. dorsalis linguae), nach hinten
bis zur Epiglottis, zu den längs den Seitenrandes hier gelegenen Muskeln und
zur Tonsille. Weiter gehen Aeste zum unteren Theile der Zunge, die Unter-
zungenäste {R. sublinguales) zur Unterzungendrüse, die unter ihr liegenden
Muskeln und zum Alveolarrand des Unterkiefers, zum Zungenbein und die
536 RACHEN-MUNDHÖHLE.
ZU diesen Knochen gehenden Muskeln. Endlich verzweigt sich die Arterie
als tiefe Aeste (R. profundi linguales) in allen die Zuugensubstanz bilden-
den Geweben. Nur die Rücken- und Unterzungenäste verbinden sich in
der Mittellinie mit einander; die Verzweigungen der tiefen Aeste anasto-
mosiren gewöhnlich nicht in der Mittellinie mit einander. Die Papillen sind
so reich an Gefässnetzen, dass sie normal fast wie die Lippen roth gefcärbt
sind. Die Venen entsprechen den Arterien, sie sammeln sich in die Vena
facialis communis. Die Lymphgefässe gehen mit den Venen, sie sammeln sich
in den Zungendrüsen, die von 2 — 4 unter dem Rande der Mitte des Kiefers
zur Seite des M. genio-glossus und hyo-glossus gelagert sind.
Die Nerven der Zunge gehören dem 5., 7., 9. und 12. Paare der
Kopfnerven an und dem Geflechte der äusseren Kopfpulsader (Plexus caroHcus
externus). Zum Stamm des N. trigeminus geht centripetal der N. lingualis,
mit den Fasern zum und vom Ganglion lingualis; vom Rücken der Zunge und
namentlich von den hier gelagerten Papillen filiformes, fungiformes und den
AVarzen des Randtheiles der Zunge. Mit dem Stamm des N. facialis ver-
binden sich centripetal und centrifugal Fasern der Chorda tympani. Der
N. glosso-pharyngeus bekommt Fasern vom Wurzeltheile der Zunge und von
den Papulae circumvallatae. Die Muskeln der Zunge erhalten ihre Aeste vom
N. hypoglossus; die unter dem Zungenbein gelagerten Muskeln erhalten ihre
Zweige vom N. hypoglossus und vom Halsgefiechte namentlich Aeste des 1.,
2. und 3. Halsnerven. Die sympathischen Zweige gehen mit allen hier ge-
legenen Gefässen vom Plexus lingualis, der vom Plexus caroticus externus
abstammt.
Die Drüsen des Vorhofes und der Mundhöhle, ebenso wie der Zunge
sind gelagert in allen den Theilen, wo die Schleimhaut locker mit dem unter-
liegenden Gewebe verbunden ist, oder wo Räume zwischen den benachbarten
Theilen und zwischen diesen Theilen und der Zunge sich erweisen. Es exi-
stiren keine Drüsen unter der Schleimhaut des Kiefers, am harten Gaumen,
auf dem Rücken der Zunge, weil hier die Schleimhaut fest mit dem unter-
liegenden Gewebe verbunden ist. Im Gegentheil sind Schleimdrüsen vor-
handen: an der Zahnfläche der oberen und unteren Lippe {Glandulae
labiales sup. et inf.)^ ander Wange (Glandulae buccales); hinter dem letzten
Backenzahne und der Crista buccinatoria des Unterkiefers Backenzahndrüsen
{Glandulae molares)^ Gaumendrüsen {Glandulae 2Mlatinae) am hinteren
Theile des harten und am weichen Gaumen, endlich Zungendrüsen
{Glandulae linguales), die als Rand- und Wurzeldrüsen unterschieden werden
müssen. Die Randdrüsen lagern an der unteren Fläche und dem Seiten-
rande der Zunge in einer unterbrochenen Reihe von der Spitze bis hinter die
Mitte des Randes. Die vordersten dieser Drüsen sind zwischen den Bündeln
des M. genio-glossus einerseits und dem vorderen Theile des M. stylo-glossus
und lingualis inferior andererseits gelegen. Das sind die sogenannten Drüsen
der Spitze der Zunge {Glandulae apicis linguae); sie bilden eine längliche
Gruppe, die unter der Schleimhaut hier leicht zu finden ist. Ihre 4—5 Aus-
führungsgänge öffnen sich an der unteren Fläche der Zungenspitze vom
vorderen Theile des Zungenbändchens nach hinten und aussen an einer kleinen
Erhabenheit der Schleimhaut, die Plica fimbriata genannt wird. Weiter nach
hinten ist nach aussen vom M. stylo-glossus eine geringe Zahl Drüsen ge-
lagert, das ist die kleinste, mittlere, unbeständige Gruppe. Nach hinten, wo
der Rand der Zunge am vorderen Gaumenbogen grenzt, ist die hintere
Gruppe der Randschleimdrüsen der Zunge gelagert. Auf der Rückenfläche
der Wurzel der Zunge, wo keine Papillen sich befinden und wo die Schleim-
haut als Falte aufgehoben werden kann, von den wallförmigen Papillen bis
zur Epiglottis nach hinten, ist eine ganze Schicht von Schleimdrüsen unter
EACHEN-MÜNDHÖIILE. 537
der Schleimhaut gelagert, das sind die Wurzeldrüsen (Glandulae radicis
linguae). Diese Schicht ist stellenweise bis 6 mm dick.
Ausser diesen Drüsen unter der Schleimhaut ist noch in den Zwischen-
räumen unter der Zunge die Sublingualdrüse {GlandiUa suUingualiH)
zwischen der Innenfläche des Unterkiefers, der Zunge und über dem M. mylo-
hyoideus gelagert. Weiter nach unten, unter dem M. mylo-hyoideus, lateral-
wärts von den zwischen dem Zungenbeine und dem Kinnvorsprunge ge-
lagerten Muskeln, unter dem Rande des Unterkiefers ist die Unterkiefer-
drüse gelegen. Endlich ist die grösste der hier wirkenden Drüsen eine
Speicheldrüse, die Ohrspeicheldrüse [Glandula parotis) in der Hinter-
kiefergrube {Fossa retromaxillaris) und auf der Aussenfläche des hinteren
Theiles des M. masseter, nach unten bis zum Winkel des Unterkiefers gelagert.
Alle diese Drüsen sind acinöse Drüsen und sind Schleimdrüsen, nur die letzte
wird als Speicheldrüse unterschieden.
Die Unterzungendrüse [Glandida subungualis) liegt unter der
Schleimhaut der unteren Wand der Mundhöhle; sie ist die kleinste der drei
in der Umgebung der Mundhöhle gelagerten Drüsen. Das Gewicht dieser
Drüse ist 2 — Sg, von dem Umfange einer Mandel, platt-ovaler P'^orm. Die
Länge der Drüse ist 2— 3 cm, der verticale Durchmesser 1cm, in querer
Richtung ist der Durchmesser 6 — 7 mm. Am äusseren Theil der Drüse ist
eine Reihe von kleinen Drüsen gelagert, 5—7 an Zahl, die mit ihren Gängen
an der unteren Wand der Mundhöhle, dem Kieferrande parallel, sich öffnen,
das sind die Glandulae sublinguales minores, ihre Gänge werden Ducti sublin-
guales minores s, Rivini genannt. Die grosse Drüse geht am inneren Rande
in einen mehr oder weniger langen Gang über (Ductus subungualis major
s. Bartholinianus), der gewöhnlich sich mit dem Ausführungsgang der Unter-
kieferdrüse verbindet und zusammen mit einer Oeffnung sich am Boden der
Mundhöhle öffnet.
Die Gefässe der Unterzungendrüse stammen aus den Gefässen der Zunge;
auch erhält sie Aeste aus der Art. submentalis, ein Ast der Maxillaris externa.
Die Lymphgefässe öffnen sich in die tiefen Halsdrüsen.
Die Nerven sind Zweige des N. lingualis und der Chorda tympani.
Sympathische Fasern entsprechen den Gefässen.
Die Unterkieferdrüse (Glandula submaxillaris) ist unregelmässig
prismatischer Form, sie reicht nicht bis zum Unterkieferrande, sondern ist
von diesem Rande durch eine Reihe von Lymphdrüsen (8 — 10) geschieden.
Die Drüse geht nach unten bis zur oberen Fläche des oberen Halsdreieckes,
sie ist von den Blättern des oberen Abschnittes der oberflächlichen Cervical-
aponeurose umgeben. Das Gewicht der Drüse ist 7 — 8 g, die Länge ist
1-5— 2 cm. Von oben-hinten wird die Unterkieferdrüse durch die Arteria ma-
xillaris externa und die Vena facialis gekreuzt, die der Drüse hier nahe an-
liegen und längs dem oberen Rande einen Ast nach innen geben, die Vasa
submentalia. Vom oberen Theile der Drüse geht über den M. mylo-hyoideus
der Ausführungsgang (Ductus submaxillaris) nach innen, er verbindet sich
gewöhnlich mit dem Gange der Unterzungendrüse und öffnet sich am Boden
der Mundhöhle, dicht neben dem Unterzungenbändchen auf der Spitze der
Caruncula salivalis.
Die Gefässe der Drüse stammen von der Arteria submentalis der Maxil-
laris externa und Aeste der Arteria subungualis. Die Venen gehen in die
Vena submentalis, die sich in die Vena facialis ant. öffnet und die Vena
subungualis, ein Zweig der Vena lingualis. Die Lymphgefässe gehen zu den
Glandulae submaxillares.
Die Nerven sind Aeste des Nervus lingualis und des Gangl. linguale
des Trigeminus, und vom Nervus mylo-hyoideus; ebenso sind hier auch Aeste
538 RACHEN-MUNDHÖHLE.
der Chorda tympani vom Nervus facialis. Ausserdem sind hier noch sym-
pathische Netze vom Plexus maxillaris externus.
Die Ohrspeicheldrüse {Glandula parotis) ist in der Fossa retro-
maxillaris gelagert, in die die Drüse keilförmig eindringt und mit einem
Fortsatz den Hals des Gelenkfortsatzes des Unterkiefers umfasst. Nach hinten
reicht die Drüse bis zum knorpeligen Theile des äusseren Gehörganges und
dem vorderen Kande des M. sternocleido-mastoideus; nach unten geht sie bis
zum hinteren Bauche des M. digastricus und dem Lig. stylo-maxillare; nach
vorne bedeckt sie den hinteren Rand, oder das hintere Drittel des M. mas-
seter; nach oben ist sie bis zur Wurzel des Jochbogens gelagert und gibt
hier gewöhnlich einen Fortsatz nach vorn, der fingerbreit bis zum M. zygo-
maticus major oder bis zum vorderen Rande des M. masseter reichen kann.
Längs dem unteren Rande dieses Fortsatzes, auf eine Fingerbreite unter dem
unteren Rande des Jochbogens, geht ein Ausführungsgang nach vorn, der
vor dem vorderen Rande des M. masseter sich vertieft, den M. buccinator
durchbohrt und sich an der Aussenwand des Vorhofes öffnet. Die Oeffnung
des Ausführungsganges {Ductus parotideus) entspricht der Lage des ersten
grossen Backenzahnes oder des hinteren kleinen Backenzahnes. Der Durch-
messer der Oeffnung ist O'l mm, die Länge des Ganges 5-5— 6 cw, seine Dicke
3mm mit einem Lumen von l'bmm. Die platten rundlichen Läppchen der
Drüse sind locker mit einander verbunden. Von aussen ist die Drüse mit
einer starken Aponeurose bedeckt, die Aponeurosis parotidea-masseterica. Diese
starke Bindegewebsmembran geht nach hinten bis zum Processus mastoideus
und dem knorpligen äusseren Theil des Ohres, nach unten geht sie in die
Cervicalaponeurose und das Lig. stylo-maxillare über, nach oben befestigt
sich die Membran am unteren Rande des Jochbogens, nach vorn bedeckt sie
den M. masseter und geht bis zur Backenaponeurose, mit der sie verschmelzt.
Von der Innenfläche dieser Membran gehen Fortsätze zwischen den Läppchen
der Drüse; diese Fortsätze theilen sich hier und gehen endlich in das die
Läppchen verbindende Bindegewebe über. Die Läppchen sind somit wie von
Bindegewebskapseln umfasst, und die die Drüse von aussen bedeckende Mem-
bran ist hier so befestigt, dass sie einen ebenso grossen Widerstand der
durch Reizung bedingten Nahrungszufuhr erweisen kann, wie von den übrigen
Seiten die Knochenwände der Grube es erweisen, in die die Drüse gelagert
ist. Ausserdem wird der Widerstand dieser Aponeurose noch bedeutend ver-
stärkt durch einen queren Muskel, der von ihm beginnt und zum Mundwinkel
geht und sich hier verflechtet und in den Bündeln des M. sphincter oris
übergeht. Das ist der Spanner dieser Aponeurose (M. tensor aponeurosis
parotideae-massetericae), gewöhnlich als M. risorius bekannt. In der Tiefe
der Retromaxillar- Grube ist der Processus styloideus und die von ihm be-
ginnenden Muskeln gelagert; hier grenzt an die Drüse die Arteria carotis
externa, die im obersten Theile der Grube sich in die Arteria temporalis
superficialis und Arteria maxillaris interna theilt. Nach aussen und vorn von
der Arteria carotis dringt durch die Drüse der Nervus facialis, der sich hier
in seine Zweige theilt. Im oberen Theile der Drüsen liegen 2—4 Lymphdrüsen
{Glandulae auriculares ant. s. facialis super/.), die auch von der Aponeurosis
parotidea-masseterica bedeckt sind.
Das Gewicht der Parotis ist 22*5— 30^, ihr Volumen 28 — 38 cm^. In
senkrechter Richtung ist die Länge 4 — 5 cm, von vorn nach hinten 2-8 — 3-5 cm^
die dickste Stelle 2- 5 cm.
Die Gefässe der Parotis gehen als Rami parotidei von der Arteria
carotica externa und der Arteria temporalis superficialis ab; noch bekommt
sie Aeste aus der Arteria transversa faciei. Im unteren hinteren Theile grenzt
an die Drüse die Arteria auricularis posterior. Die Venen sammeln sich in die
Vena facialis posterior. Die Lymphgefässe gehen in die Glandulae submaxillares
RACHEN-MUNDHÖHLE. 539
et cervicales superficiales über. Die hier gelagerten Glandulae auriculares
ant. erhalten ihre Gei'ässe aus der Schläienregion, sie erkranken bei Leiden
dieser Gegend und von ihnen geht der Krankheitsprocess leicht zur Parotis
über, was bei convalescirenden Kranken nach Infectionskrankheiten be-
obachtet wird.
Die JNerven gehören dem Nervus facialis und dem Nervus auriculo-
temporalis aus dem dritten Aste des Nervus trigeminus an. Ausserdem sind
hier noch sympathische Aeste aus dem Plexus caroticus externus.
Die mit geschichtetem Pflasterepithelium bedeckte Schleimhaut geht von
dem Rande der oberen und unteren Lippe, bedeckt die Lippen und die Innen-
wände der Backen und geht auf die Kiefer über, hierbei bildet sie ein oberes
und ein schwach ausgesprochenes unteres Bändchen {Frenulum lafni superioris
et lahii inferioris). Am Ptande des Kiefers umfasst die Schleimhaut den Hals
der Zähne und, längs dem Rande des Kiefers, die Spalten zwischen dem Hals
der benachbarten Zähne, wo die Schleimhaut mit der Beinhaut der Alveolen
sich verbindet. An den Kiefern ist die Schleimhaut fest mit dem Perioste
verbunden, sie ist hier reich an Gefässpapillen, verhältnismässig arm an
Nervenfasern. Hier ist die Schleimhaut als Zahnfleisch (Gingiva) bekannt.
Hinter dem letzten Backenzahne, zwischen ihm, dem vorderen Rande des
Processus coronoideus, hauptsächlich aber dem Lig. pterygo-maxillare, tapezirt
die Schleimhaut eine primatische oder ovale, verticale Spalte aus, durch die
der Vorhof mit der eigentlichen Mundhöhle communicirt. Der quere Durch-
messer dieser Spalte ist o—bmm, die Höhe 9 — 11 mm. Von unten ist
diese Spalte durch die mit der Schleimhaut bedeckte Glandula molaris be-
grenzt. Das Ligamentum pterygo-maxillare ist zwischen dem Hamulus des
Processus pterygoideus und dem hinteren Theile der Lineae mylo-hyoideae
ausgespannt; von ihm entspringen Fasern des M. buccinator.
In der eigentlichen Mundhöhle setzt die Schleimhaut zwischen und
hinter den Zähnen auf die Innenfläche des Kiefers fort, bedeckt oben die
Beinhaut der Gaumenfortsätze des Oberkiefers, mit der sie eng verschmolzen
ist und besetzt im vorderen Theile quere, mehr oder weniger vorstehende
Kämme. Das ist der harte Gaumen {Palatiim durum), der ein Gewölbe
darstellt, dessen Krümmung der Krümmung des Zungenrückens entspricht.
Im vorderen Theile des harten Gaumens bedeckt die Schleimhaut die Oeff-
nung des Nasengaumencanals. Nach hinten lagert sich zwischen der Schleim-
haut und der Beinhaut der Gaumenknochen eine Schicht Schleimdrüsen, die
Schleimhaut bildet hier eine Falte, deren hintere Lamelle in die Wand der
Rachenhöhle übergeht. Diese Falte mit denen in ihr enthaltenen Muscheln
und Drüsen ist der weiche Gaumen {Palatum moUe), das aus einem mitt-
leren, unpaaren Fortsatze, der nach unten gerichtet ist, dem Zäpfchen (Uvula)
und zwei seitlich nach unten auseinander gehenden Bögen besteht. Der
vordere Bogen dieser Falte, der Zungen-G aumenbogen (J.rcHS ^:»atoo-
glossus) geht zu den Seitenwänden der Zunge, in deren Schleimhaut er über-
geht; der hintere oder Schlundgaumenbogen {Arcus ;palato-pharijngeus)
geht zur Seite und hinterer Wand der Rachenhöhle über. Zwischen diesen
convergirenden Bögen bleibt ein mit der Basis nach unten, zur Zungen-
wurzel, gerichteter, dreieckiger Raum, der durch einen mandelförmigen Vor-
sprung ausgefüllt ist. In diesem Räume ist die sogenannte Mandeldrüse
{Tonsilla s. Amygdala) gelagert. Zwischen dem Rande dieser Falte und der
Zungenwurzel ist die hintere Oeffnung der Mundhöhle oder die
sogenannte Rachenenge {Isthmus faucium) gelegen, die die Mundhöhle mit
der Rachenhöhle verbindet.
Von der Zahnfläche des Unterkiefers geht die Schleimhaut auf die untere
Wand der Mundhöhle über, bedeckt hier die kleinen und die grossen Unter-
zungendrüsen und setzt sich auf die untere Fläche der Zunge fort. Beim
540 RACHEN-MüNDHÖHLE.
Uebergange zur unteren Fläche der Zunge bildet die Schleimhaut in der
Mittellinie eine Falte, das Zungenbändchen (Frenulum linguae).
Auf der Wurzel der Zunge, von den Papulae vallatae nach hinten bis
zur hinteren Grenze der oberen Fläche der Zunge sind kleine Gruben von
1 — 5wm, mit Oetfuungen von circa 1mm Durchmesser zu sehen; je näher
nach vorn, desto kleiner sind sie, weiter nach hinten sind sie grösser. Das
sind die Zungenbalgdrüsen. In der Dicke der Wände dieser Gruben
sind folliculäre Drüsen und adenoides Gewebe gelagert, die ausserdem auch
zwischen diesen Gruben, als tuberk eiförmige solitäre, folliculäre Drüsen
sich in der Substanz der Schleimhaut erweisen und normal mit freiem Auge
sich hier nicht unterscheiden lassen. Die Schleimhaut ist hier mit geschich-
tetem Epithelium und Papillen bedeckt, nach hinten geht sie von der Zungen-
wurzel zur VorderÜäche des Kehldeckels, wobei sie zwei seitliche und eine
mittlere Falte (Lig. glosso-epiglottica lateralia et medium) bildet; zwischen
diesen Falten bleiben zwei paarige Gruben (Fossae glosso-epglotticae) liegen.
Diese Theile bilden schon Wände der Rachenhöhle.
EacJienhöhle {Cavum fauciwn). Die Rachenröhre bildet sich aus dem
obersten blinden Ende des primären Darmcanales, und erst secundär verbindet
sie sich mit der Mundgrube. Die Höhle dieser Röhre ist die Rachenhöhle.
In der Höhle dieser Röhre kreuzen sich das Nahrungsrohr mit dem
Athmungsorgane, sobald die einen Organe geschlossen sind, so sind die
anderen hier wegbar. Dieses Schliessen und Oeffnen der bezüglichen Wege
wird durch eine Klappe bedingt, diese Klappe bildet der weiche Gaumen. Ist
der Gaumen gespannt, zurück und nach oben gezogen und die Zungenwurzel
nach hinten und unten dislocirt, so sind die Speisewege geöffnet, die Athmungs-
wege geschlossen; ist dagegen der weiche Gaumen nach unten und vorn
herabgelassen, die Zunge nach vorn und oben gelegen, so sind die Athmungs-
organe geöffnet und die Speisewege getrennt. Die Wände der Rachenhöhle
bilden somit ein einfaches Rohr mit verticalen und circulären Muskelfasern,
das von einer Schleimhaut austapezirt ist; die Höhle kann durch eine Klappe
geschlossen und geöffnet werden. Nach oben ist diese Röhre blind endend;
vorn und oben sind die Eingangstheile der Athmungswege mit dem Geruchs-
organe gelegen, die schon als Nasenhöhle beschrieben sind, vorn und unten
ist die Eingangshöhle der Speisewege mit dem Geschmacksorgane gelagert;
unten theilt sich die Röhre, nach vorn liegt der Eingang zum Kehlkopf
(Larynx), nach hinten der Schlundkopf (Phari/nx), der in die Speiseröhre
führt. Oben reicht die Rachenhöhle bis zu der Unterfläche des Schädels,
nach hinten ist der Halstheil der Wirbelsäule gelagert, von der Schädelbasis
bis zur Fläche des unteren Theiles des fünften Halswirbels. Entsprechend
dem hinteren Theile der Nasenhöhle und namentlich des unteren Nasenganges
ist an der Seitenwand der Rachenröhre schief die innere Oeffnung der Pauken-
röhre (Tuba ti/mpanica) gelagert, mittelst der die Schwingungen, die das Ge-
hörorgan passiren, zum Athmungsausgang gerichtet werden. Die hintere Wand
der Röhre ist durch lockeres Bindegewebe mit der vorderen Fläche der Wirbel-
säule verbunden. Entsprechend dieser Wand sind an der Wirbelsäule, nach
unten convergirend, die beiderseitigen M. recti capitis antici majores und
die Mm, longi colli gelagert. Beim Beugen des Kopfes und bei Contraction
dieser Muskeln kann die hintere Wand etwas vorgetrieben werden.
Die äussere Schicht der seitlichen und hinteren Wand der Rachenhöhle
bilden die Rachenschnürer (M. constricfores pharyngis)\ aussen und seitwärts
und nach innen von den Schnürern sind die Heber der Wand der Rachen-
röhre {Mm. levatores pharyngis) gelagert. Weiter nach innen sind die Muskel-
schichten von der Schleimhaut bedeckt.
Die Rachenschnürer werden in obere, mittlere und untere Bündel
unterschieden; die oberen nehmen ihren Anfang von der Basis des Schädels
RACIIEN-MUNDHÖIILE. 541
und der Gesichtstheile, der mittlere Muskel beginnt vom Zungenbeine, der
untere von den Knorpeln des Kehlkopfes. Die Muskelbündel bedecken sich
von unten nach oben dachziegelförmig und gehen von den .Skelettheilen nach
hinten und innen, wo sie sich längs der Mittellinie mit einander verflechten
und an einer oben etwas fibrösen Mittellinie endigen.
Der obere Rachenschnürer (M. constridor faucis superior) beginnt
mit dem obersten Bündel vom Felsenbeine, nach aussen und hinten vom
Anfang des Levator palati. Unter ihm beginnt das Bündel von Hamulus
pterygoideus und vom hinteren Rande und der inneren Fläche des inneren
Blattes des Flügelfortsatzes des Keilbeines. Niedriger geht ein Bündel vom
Lig. pterygo-maxillare, wo es mit dem Bündel des M. buccinator sich be-
gegnet. Weiter geht ein Bündel von der Linia mylo-hyoidea des Unter-
kiefers. Endlich gehen Fasern des M. transversus linguae in den unteren
Theil des oberen Rachenschnürers über, der noch vom Rande der Zungen-
wurzel, zwischen den Fasern des Zungenbein-Zungenmuskels einige Fasern
erhält. Alle diese Bündel zusammen genommen bilden den oberen Rachen-
schnürer.
Der mittlere Rachens chnürer {M. constridor faucis medius) be-
ginnt am Zungenbein, das obere Bündel vom kleinen Zungenbeinhorne, das
untere vom oberen Rande des grossen Zungenbeinhornes; die oberen Bündel
gehen nach hinten, oben und innen, die mittleren Bündel fast horizontal
oder sogar etwas nach hinten, unten und innen, zur Mittellinie, wo die Fasern
sich verflechten.
Der untere Rachenschnürer (ilf. constridor faucis inferior) nimmt
seinen Anfang vom Höcker des Schildknorpels des Kehlkopfes und der von
ihm nach unten gehenden schiefen Linie; vom unteren Hörne und der seitlichen
Umgebung des Ringknorpels. Die unteren Bündel gehen horizontal und grenzen
nach unten an die Kreisfasern der Speiseröhre. Alle verflechten sich in der
hinteren Mittellinie.
Die Heber (Levatores) der Rachenwand sind folgende Muskeln:
Der Griffel-Rachenmuskel (M. stylo-pharijngeus) entspringt theils
sehnig von der oberen inneren Seite des Griffelfortsatzes des Schläfenbeines,
die Fasern gehen nach innen, unten und etwas nach vorn. Die Fasern dieses
Muskels gehen auseinander und dringen zwischen die Bündeln des oberen
Rachenschnürers und besonders zwischen die oberen und mittleren Schnür-
muskeln, sie reichen bis an die fibröse Membran der hinteren und Seiten-
fläche der Schleimhaut der Rachenröhre, einige Fasern dieses Muskels gehen
bis zum oberen Rande des Schildknorpels.
Der Gaumen-Rachenmuskel {M. palato-pharyngeus). Die Bündel
dieses Muskels beginnen von der Bindegewebsstütze des weichen Gaumens
und von dem fibrösen Theile, der als Fortsetzung des harten Gaumens nach
hinten und unten geht, weiter nach aussen vom unteren Rande des Knorpels
der Tuba tympanica und vom Haken des Processus pterygoideus mit den
Fasern des von hier entspringenden Bündels des oberen Rachenschnürers.
Die Bündel gehen nach unten und hinten zur hinteren Wand der Rachenröhre
bis zur Medianlinie, vom oberen bis unteren Rachenschnürer, einige dieser
Fasern verflechten sich mit den Bündeln des oberen Rachenschnürers und
endigen hier im Zwischengewebe der Muskelbündel. Die mittleren Bündel
inseriren sich von der Mittellinie der Rachenröhre nach vorn bis zum unteren
Hörn des Schildknorpels. Die vom weichen Gaumen gehenden Fasern gehen
nach unten zum oberen Hörn, dem oberen und hinteren Rande des Schild-
knorpels. Einige Fasern dieses Muskels reichen bis zur Schleimhaut, die die
innere Fläche des Schildknorpels austapezirt.
Die Wirkung aller Heber der Wand der Rachenröhre besteht darin, dass
sie diese Röhre nach oben ziehen, sie im oberen Theile des Eingangstheiles
542 RACHEN-MÜNDHÖHLE.
des Darmrohres befestigen. Hierbei wirken die zwei oben, vorn und innen
gelagerten Mm. palato-pharyngei, und die zwei oben, hinten und aussen be-
ginnenden Mm. stylo-pharyngei. Die festen Punkte befinden sich am hinteren
Theile des harten Gaumens und an der Basis des Griffelfortsatzes des Schläfen-
beines, wohin die Wände des Rachenrohres und der Schildknorpel gezogen
werden. Die darauf folgende Contraction der Rachenschnürer bei abgezogener
nach hinten und gespannten weichen Gaumen, drückt die aus der Mundhöhle
in die Rachenhöhle gleitende Speise in der Richtung des minderen Wider-
standes, d. h. in die Speiseröhre. Bei diesem Acte bildet die Zunge eine
geneigte Fläche nach hinten und unten, zu gleicher Zeit ist der Kehlkopf
mittelst der zum Schildknorpel gehenden Muskeln nach oben und etwas nach
vorn gezogen, während der Kehldeckel von der Zunge nach hinten geschoben
und durch die Mm. thyreo-ary-epiglottici noch mehr nach hinten gehalten wird.
Die Athmungswege sind hierbei geschlossen und die Speise geht auf der ge-
neigten Fläche der Zungenwurzel zur Speiseröhre. Das ist der Mechanismus
des Schlingactes.
Wenn der Kopf zwischen dem 7. Hals- und dem 5. Brustwirbel vom
Cadaver abgetrennt wird und dann die Halswirbelsäule im Occipitalgelenk,
zwischen dem ersten Wirbel und den Gelenksfortsätzen des Hinterhaupttheiles
des Schädels articulirt ist, die Halswirbelsäule mit den hier liegenden Muskeln
und die Aponeurosis praevertebralis weggeschnitten sind, so können sehr
demonstrativ die eben beschriebenen Muskeln appräparirt werden, namentlich
die Rachenschnürer und die m. stylo-pharyngei. Wird dann die hintere
Wand in der Mitte gespalten und die Hälften zu beiden Seiten zurückgelegt,
so übersieht man die Höhle des Rachenrohres. Die hintere und die Seiten-
wände gehören den beschriebenen Muskeln an und werden von innen durch
eine Schleimhaut bedeckt, oben endigt diese Höhle blind, das ist das Gewölbe
des Rachenrohres (Fornix pharyngis), vorn sind von oben nach unten gelegen
die paarigen hinteren Oeffnungen der Nasenhöhle (Choanae), seit-
lich entsprechen dem unteren Nasengange jederseits die etwas schräg ge-
lagerten Oeffnungen des Trommelrohres {Ostium phari/ngeum tubae
tympanicae). Unter den Nasenöffnungen ist der weiche Gaumen, dann die
hintere Oeffnung der Mundhöhle und die Wurzel der Zunge gelegen. Unten
ist vorn der Eingang zur Stimmritze und hinten der Schlundkopf {Pharynx)
gelagert, der nach unten zur Speiseröhre führt, im ganzen sind hier sieben
Oeffnungen. In dieser Höhle kann daher oben der Nasentheil bis zur
Basis des weichen Gaumens unterschieden werden, vom darunter gelegenen
Mundtheil bis zur Fläche des Zungenbeines. Von dieser Fläche ist hinten
der Schlundkopf, der bis zur Fläche des unteren Randes des Ringknorpels
vom Kehlkopfe reicht oder bis zur Fläche des unteren Randes des fünften
Halswirbels geht.
Die Länge der Höhle des Rachenrohres ist 14 — 15 cm, wobei die Länge
des Nasentheiles vorn 2-5 — ^ cm ist, hinten 5cm; die Länge des Mund-
theiles ist 4 — 5 cm, die des Schlundkopfes 5— 6 cm. Der Querdurchmesser
des Nasentheiles hinter den Oeffnungen des Trommelrohres beträgt 4' 5 — hcm,
die Quere des Mundtheiles 3"5 — 4 cm; der Pharynx ist oben im Querdurch-
messer 4 cm, unten 2 — 2 5 cm. Der sagittale Durchmesser ist in der Mitte
des Nasentheiles 2 cm, unter dem weichen Gaumen, in der Mitte des Mund-
theiles ist er 3 "5— 5cm, im Niveau des Zungenbeines 4 cm und 1 — 1-5 cm
im unteren Theile des Pharynx.
Die Mitte der Vorderwand gehört dem weichen Gaumen an; das ist,
wie schon gesagt, eine Klappe, die die sich in der Höhle des Rachenrohres
kreuzenden Speise- und Athmungswege scheidet. Diese Klappe kann nach
hinten gezogen und gespannt werden, so dass sie ein Gewölbe bildet und nach
vorn und unten herabgelassen die hintere Oeffnung der Mundhöhle deckt.
RACHEN-MUNDHÖHLE. 543
Der hier wirkende Mechanismus hängt ab von den in der Dicke der Schleim-
hautfalte gelegenen Muskeln, die von unten, von oben-vorn-median und von
oben-hinten-lateral zur P'alte treten und insgesammt wirkend die Falte in
ihrer Lage fixiren, bei Theilwirkung sie in der Richtung von unten nach
oben und in entgegengesetzter Eichtung bewegen. Die Fortsetzung der Bein-
haut, die in diese Falte eindringt und zugleich das Grundgewebe der Schleim-
haut bildet und am harten Gaumen einen sagittalen festen Punkt hat, wird
noch von zwei seitlich gelegenen Muskeln in querer Richtung so gezogen,
dass sie eine gespannte Falte bildet, die, bewegt, einen entsprechenden Wider-
stand leisten kann. Die Muskeln, die hier wirken, sind zwei hintere äussere
Heber, zwei vordere innere Heber, vier Herabzieher und zwei Spanner des
weichen Gaumens.
Der hintere Heber des weichen Gaumens (M. levator palati posterior
s. petrosalpingostaphylinus) geht schräg von oben, hinten, aussen nach vorn,
unten innen zum Zäpfchen (Uvula) des Gaumens. Der Muskel beginnt schräg
von der äusseren vorderen Fläche der Pyramide des Schläfenbeines, am vorderen
Rande der äusseren Oeffnung des carotischen Canales, von angrenzendem
Theile der Knorpelwand der Trommelröhre (Tuba tympanica). Der zuerst
cylindrische Muskel wird flach, geht nach vorn und innen, verflechtet sich am
weichen Gaumen mit dem M. palato-pharyngeus und geht mit einem Theile
in die sehnige Ausbreitung des Spanners über, der grösste Theil der Fasern
des hinteren Hebers geht fächerförmig auseinander, die oberen Fasern gehen
in einen Bindegewebsfortsatz über, der von der Spina nasalis posterior sich
nach hinten und unten begibt, weiter zur Mitte und zur Spitze des Zäpfchens
gehen die Fasern beiderseits in einander oder verflechten sich in der Mitte.
Der vordere Heber des weichen Gaumens (M. levator palati anterior
s. palatostaphylinus) geht schief von vorn nach hinten, ist paarig, zu beiden
Seiten der Mittellinie gelegen, zwischen der Spina nasalis posterior und dem
stumpfen Ende des Zäpfchens. Der platte Muskel beginnt von der Spina und
der fibrösen Fortsetzung des harten Gaumens, geht nach unten und hinten
und endigt, indem er in die Bindegewebsstütze der Spitze des Zäpfchens
übergeht.
Die Herabzieher des weichen Gaumens liegen im vorderen und
hinteren Gaumenbogen, im vorderen der M. palato-glossus, im hinteren der
M. palato-pharyngeus. Der M. imlato-glossus stellt hauptsächlich eine Fort-
setzung der Fasern des M. transversus linguae dar, einige Fasern entstehen
augenscheinlich vom Zwischengewebe des M. hyo-glossus, alle diese Fasern
gehen in dem vorderen Zungengaumenbogen nach oben zur Basis des weichen
Gaumens, wo sie sich an den Bindegewebsfortsatz der Beinhaut des harten
Gaumens ansetzen oder mit den entsprechenden Fasern der anderen Seite ver-
flechten. Der M. palato-pharyngeus liegt im hinteren Gaumenbogen, ist schon
oben beschrieben.
Der Spanner des weichen Gaumens {M. tensor palati s. spheno-
staphylinus) liegt nach innen vom M. pterygoideus internus, geht in eine
Sehne über, die unter einem fast rechten Winkel nach innen umbiegt, unter
den Hamulus pterygoideus in die Seitentheile des weichen Gaumens aus-
strahlt. Der Muskel beginnt jederseits vom inneren Theile der Spina angu-
laris, von der hinteren W^urzel des grossen Flügels des Keilbeines bis zur
inneren Platte des Flügelfortsatzes des Keilbeines. Nach aussen und vorn
ist der Ramus inframaxillaris N. trigemini und die Arteria spinosa gelegen,
nach hinten und innen ist die häutige Wand des Trommelrohres gelagert,
wie von dieser W^and so auch vom knorpeligen Theile der Röhre nehmen
auch Fasern dieses Muskels ihren Ursprung. Die Bündel gehen nach unten,
werden sehnig und richten sich nach innen, wie über eine Blockrolle über
den überknorpelten Hamulus pterygoideus. Zwischen der Sehne und dem
544 RACHEN-MUNDHÖHLE.
Hamulus ist hier ein Schleimbeutel eingeschaltet. Nach innen von dieser
Rolle gehen die Sehnenfasern strahlig auseinander und endigen in der fibrösen
Schicht des Gaumens; einige Fasern gehen noch zum Bindegewebe des hin-
teren Gaumenbogens, wo er zur Seitenwand des Rachenrohres übergeht.
Durch gleichzeitige Wirkung aller Muskeln des weichen Gaumens wird die
Klappe in der angenommenen Lage erhalten und gespannt. Wirken die vier
Heber zugleich mit den beiderseitigen Spannern, beim Antagonismus der Herab-
zieher, so wird die Klappe nach hinten und oben gezogen und gespannt. Es
wird bei Wirkung der Mm. levatores palati anteriores zugleich mit den Mm.
levatores palati posteriores die Klappe nicht gerade nach oben gezogen, sondern
nach oben und hinten, weil die hinteren Heber stärker sind als die vorderen,
und ihre Fasern sich länger erweisen, daher wird der freie Rand des weichen
Gaumens nach hinten gezogen, hier ist auch die Excursion der Klappe grösser.
Hierbei ist der Schildknorpel nach oben gezogen durch die Wirkung der Mm.
stylopharyngei und palato-pharyngei. Sind die Heber erschlafft, das Zungen-
bein und der Kehlkopf unten befestigt, so wird die Klappe nach unten gezogen
durch die Herabzieher des weichen Gaumens und namentlich die Mm. palato-
pharyngei und glosso-pharyngei. Hierbei wirken auch die Muskelfasern, die
als Fortsetzung des M. transversus linguae zur Aussenfläche der Tonsille
gehen. Das ist der Mechanismus der Klappe, die der weiche Gaumen dar-
stellt. Er ist theoretisch analog dem Mechanismus der Zunge, des Zungen-
beines, des Schulterblattes, nur dass hier der zu bewegende Kern durch die
Spanner und die fibröse Fortsetzung des harten Gaumens gebildet wird.
Die gespannte Klappe wirkt nicht nur beim Schlingact, sondern hat auch
eine grosse Bedeutung bei der Bildung der Stimme und Sprache. Der Laut i
ist rein nur bei gut gespannter und in Form eines Gewölbes nach hinten
gezogener Klappe möglich. Ausserdem wirkt die Gaumenklappe bei der Höhe
der Töne durch die Erweiterung oder Verengerung der hinteren Oeffnung der
Mundhöhle.
Die Gefässe des Gaumens sind Aeste der äusseren und inneren Kiefer-
arterien; von den äu ss er en geht die Arteria ^^alatini ascendens zum unteren
Theile des weichen Gaumens, zum Arcus palato-glossus und den Tonsillen.
Von der inneren Kieferarterie geht die Arteria palatina descendens, die ihre
vordere Aeste zum harten Gaumen geben, diese Aeste anastomosiren mit der
Arteria septi narium durch den canalis incisivus; die hinteren Aeste verzwei-
gen sich am oberen und mittleren Theile des weichen Gaumens, sie anasto-
mosiren mit den Aesten der Arteria pharyngea und palatina ascendens.
Die Venen gehen zur Vena facialis anterior und mittelst des Plexus
pterygoideus richten sich die Venen zur Vena facialis posterior und Vena
facialis communis.
Die Lymphgefässe richten sich zu den Glandulae facialis profundae
und zu der Glandula lingualis, die in der Mitte der Eminentia hyo-maxillaris
gelegen sind.
Die Nerven des Gaumens gehören den Aesten des Nervus trigeminus,
glossopharyngeus und facialis an. Die centripetalen Fasern gehören den Nervi
palatini, die zum Ganglion nasale des zweiten Astes des Nervus trigeminus
gehen, ebenso wie die Nervi nasopalatini, die durch den Canalis incisivus zum
Nasenknoten verlaufen. Vom Nasenknoten und Ohrenknoten gehen centrifugal
laufende Fasern zu den Muskeln des Gaumens, und namentlich vom ersten
Knoten gehen Fasern zum M. levator anterior und dem M. levator posterior;
das sind wohl Zweige des Nervus facialis, die als Nervus petrosus superficialis
major zum Nasenknoten gelangen und dann weiter zu den angeführten Muskeln;
vom Ohrenknoten gehen Zweige zum M. tensor tympani, diese stammen vom
Nervus pterygoideus internus des Nervus trigeminus. Zum Nervus glosso-pharyn-
geus gehen Zweige von der Schleimhaut der Tonsillen, von dem vorderen
RACHEN-MUNDHÖHLE. 545
Gaurn enbogen; ausserdem sind hier sehr wahrscheinlich Fasern, die zum
M. palato-glossus gehen. Die sympathischen P'asern gehören auch dem Nasen-
knoten, so wie die Geflechte der Aeste der äusseren und inneren Kieferarterien.
Die Schleimhaut der Wand der Rachenröhre ist eine Fortsetzung
der Nasenschleimhaut, der Schleimhaut der Tuba tympani und der Mundhöhle.
Die Propria dieser Schleimhaut ist eine feste Bindegewebshaut mit elastischen
Fasern, die oben fest mit der Beinhaut des Körpers des Hinterhauptknochens
verbunden ist, nach hinten bis zum Tuberculum pharyngeum und nach vorn
bis zum hinteren Rande des Os vomeris, so wie an diesen Knochen selbst.
Seitlich geht die Schleimhaut nach vorn bis zum hinteren Rande der inneren
Lamelle des Processus pterygoideus, dem Hamulus, weiter nach unten bis
zum Lig. pterygo-maxillaris, den grossen Fortsatz des Zungenbeines und den
Knorpeln des Kehlkopfes. Vom unteren Umfange der Choane geht die
Schleimhaut in die hintere Wand des weichen Gaumens über, bis zum
Zäpfchen in der Mitte und dem Gaumen-Rachenbogen zu jeder Seite. Wo
die Wand des Rachengewölbes zur hinteren Wand übergeht, ist an dieser
Wand in der Mitte eine kleine Grube, die Fossa oder Bursa pharyngea.
Hinter der Oetfnung der Tuba tympanica ist auch eine längliche von oben
nach unten ziehende Vertiefung, der Recessus infundibuliformis, wo-
hin man leicht mit dem Instrumente geräth, statt es in die Tuba tympanica
einzuführen. Entsprechend dieser Vertiefung ist in der hinteren Wand der
Rachenröhre eine Verdickung der Schleimhaut, die nach oben bis zur Bursa
pharyngea sich erhebt und nach unten bis zur Fläche des unteren Randes der
Choane reicht. Diese Verdickung ist mit tuberkelförmigen Erhöhungen und
kleinen Balgdrüsen bedeckt, sie besteht aus folliculären Drüsen und adenoidem
Gewebe, entspricht daher der Structur des Würz eltheiles der Zunge und der
Tonsille und variirt in ihrer Länge und Dicke ebenso sehr wie die letztere
Drüse. Sie wird gewöhnlich Tonsilla pharyngea genannt. Von dem unteren
Theile der Tuba tympanica geht noch eine kleine Falte nach unten bis zum
Arcus palato-pharyngeus, den er durch seine Richtung kreuzt; unter dem
letzten Bogen geht diese Falte bis zum Seitentheile des Kehldeckels, diese
Falte wird Arcus pharyngo-epiglotticus genannt.
Zwischen dem vorderen und hinteren Bogen des weichen Gaumens bleibt
zur Seite der Zunge ein dreieckiger, mit der Spitze nach oben gerichtete:
Raum, der durch eine ovale Verdickung der Schleimhaut ausgefüllt ist. Diese
Verdickung bildet die sogenannte Mandeldrüse {Tonsilla palatina s. Afnijg-
dala). Von aussen hat diese Verdickung eine starke fibröse Bedeckung, an
der Fortsetzungen der Fasern des M. transversus linguae sich befestigen und
als M. amygdalo-glossus schon oben erwähnt ist. Ihre Innenfläche ist unregel-
mässig kugelig, mit mehr oder weniger ausgesprochenen Gruben und Er-
habenheiten bedeckt. Normal ist diese Drüse, wenn ihre innere Fläche nicht
vor dem vorderen Bogen des Gaumens vortritt, wenn man bei geöffneter
Mundhöhle gerade von vorn hineinsieht.
Die Länge dieser Drüse ist 20— 25 mm, von vorn nach hinten ist ihr
Durchmesser 10 — 12mm, ihre Dicke 6 — lOmm.
Diese Drüse besteht aus Follikeln, die in der Dicke der Schleimhaut
hier gelagert sind, in den Wänden der Vertiefungen und Gruben und stellen-
weise als tuberkelförmige Erhabenheiten vorstehen. Zwischen diesen Follikeln
ist adenoides Gewebe gelagert.
Weiter nach unten und vorn geht die Schleimhaut auf die Innenfläche
des Schildknorpels über, tapezirt hier die Fossae pyriformes zu beiden Seiten
des trichterförmigen Einganges zur Stimmritze aus. Nach hinten bedeckt die
Schleimhaut den Giessbeckentheil des Kehlkopfes und geht zugleich mit der
Schleimhaut der hinteren und Seitenwand der Rachenröhre in die Schleim-
haut des Schlundkopfes und weiter nach unten der Speiseröhre über.
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten. '^'^
546 RACHEN-MUNDHÖHLE.
Wo die Schleimhaut sich locker mit dem umgebenden Gewebe verbindet,
sind Schleimdrüsen gelagert, das ist auf der hinteren Fläche des Anfanges
theils des weichen Gaumens, die hinteren Gaumendrüsen {Glandulae
2)alatinae posteriores), auf der hinteren Wand der Kachenröhre, entsprechend der
hinteren Oeffnung der Mundhöhle, nach oben bis zur Fläche des unteren
Randes der Choane, hier sind die Rachendrüsen {Glandulae ijharyngeae)
gelagert und auf der hinteren Fläche des Giessbeckenmuskels die hinteren
Giessbeckendrüsen {Glandulae arythenoideae 2)osteriores).
Am Lebenden sind die Wände des mittleren Theiles der Rachenröhre in
vollständigem Contact mit einander, wenn nicht Luft oder Speise hier durch-
tritt, die Wände begrenzen ein offenes Lumen nur im oberen Theil dieser
Röhre und am Eingange zum Kehlkopf.
Die Gefässe der Rachenröhre sind Aeste der Arteria carotis externa
und der Arteria maxillaris interna. Von dem ersten Stamme geht vom oberen
Theile des Halses aus die aufsteigende B. sl eh. ensirt er i e {ÄrteriajyJiari/n-
gea ascendens), sie steigt längs der Seitenwand der Rachenröhre nach oben
bis an die Basis des Schädels und gibt hier feine Aeste ab, die durch den Canalis
caroticus, Foramen lacerum, ovale, jugulare, canalis hypoglossus in die Schädel-
höhle eindringen und in der harten Hirnhaut sich verzweigen. Am Halse gibt
diese Arterie Zweige nach unten, die mit Aestchen der Arteria thyreoideae
superior anastomosiren, Zweige nach innen zu den Wänden der Rachenröhre,
zu den hier gelegenen Muskeln und der Schleimhaut; noch gibt diese Arterie
Aeste zu dem Zellgewebe, die die vorderen Halsmuskeln decken (R. praeverte-
bralis) und zum Ganglion cervicale superior. Ausserdem gehen zur Rachen-
röhre und anastomosiren mit den eben beschriebenen diesen Aesten die Arteria
Vidiana, die Arteria sphenopalatina und die Arteria pterygo-palatina aus der
Arteria maxillaris interna. Diese verästeln sich hauptsächlich im oberen
Theile des Rachenrohres.
Die Venen bilden sehr ausgesprochene Geflechte {Plexus pharyngeus)^
deren Aeste sich in die Vena facialis communis und Vena vertebralis ergiessen.
Die Lymphge fasse gehen zu den Glandulae cervicales profundae.
Die Nerven des Rachenrohres sind Zweige des Plexus ganglioformis n.
Vagi, glosso-pharyngeus und des Ganglion cervicale superior. Alle diese
Zweige bilden ein Geflecht von centripetalen und centrifugalen Fasern, in
welches Fasern von den Wänden des Rachenrohres und zu den hier gela-
gerten Muskeln gehen. Hier sind auch feine Zweige, die als R. pharyngei
zu dem Nervus spheno-palatinus des Trigeminus gehen, sowie von Nervus laryn-
geus superior und inferior des Vagus. Die sympathischen Fasern gehören dem
Ganglion cervicale superior an, sowie den Geflechten der sich hier verästeln-
den Gefässe aus dem Plexus caroticus externus und dem Plexus arteriae
maxillaris internae.
Die Bedeutung der hier besprochenen Formen der Mund- und Rachen-
höhle folgt aus dem Gesagten. Die Lippen ergreifen beim Kinde mittelst des
beschriebenen Mechanismus die Brustwarze beim Saugen und die in die Mund-
höhle gelangte Milch mischt sich mit dem Schleim und Speichel der hier in
den Wänden gelagerten Drüsen, wirkt auf das Geschmacksorgan, ist folglich
mit einer bestimmten Empfindung verbunden und wird durch den Schlingact
durch die Rachenhöhle in den Schlundkopf und die Speiseröhre weiter be-
fördert. Oder, bei weiterer Entwicklung, ergreifen die Lippen die zur Mund-
öffnung gereichte Speise, sie wird durch die Contraction der diese Oeffnung
umgebenden Muskelapparate auf den Zahnrand gelegt, mit Hilfe der Zunge
hier gehalten und bewegt und mittelst dem Kauacte geschnitten, zerrissen
und zerrieben.
Ausserdem wird die Speise mit dem durch Reizung der Schleimhaut
reflectorisch ausgeschiedenen Schleim und Speichel vermischt und in eine
REFLEXNEUROSEN EX AURE. 547
breiige Masse verwandelt. Folglich wird hier die Speise nicht nur mechanisch
zertheilt und verkleinert, sondern auch verflüssigt und chemisch verändert
mittelst der hier eingeleiteten Verdauung. Das heisst: die eingenommene
Speise wird mittelst der hier gelegenen Fermente und der darauf folgenden
Gährung aus einem unlöslichen in einen löslichen Zustand üherführt. Aber
ausser dem Schleim und Speichel sind hier noch in dem Vorhof und
der Mundhöhle Colonien mit Elementarorganismen, ohne welche, wie die
Experimente erweisen, der Verdauungsprocess sehr langsam vor sich geht
und im Gegentheile sehr beschleunigt wird, sobald diese thierischen Sub-
stanzen wirken. Besonders soll hier die Verdauung der Kohlenhydrate be-
ginnen, von welchen Maly meint, „dass neuerdings immer mehr bestätigt wird,
dass ein gewisses wenn auch kleineres Sacharificationsvermögen den ver-
schiedensten thierischen Flüssigkeiten, Geweben, ja selbst rein dargestellten
Eiweisskörpern zukommt". Folglich dass der hier eingeleitete chemische
Process der Verdauung nicht ein specifischer und nur von Ptyalin oder
Speichelstoff abhängiger ist, sondern von den verschiedensten thierischen
Flüssigkeiten und Geweben hervorgerufen werden kann. Vielleicht hat dieser
von Maly ausgesprochene Satz eine noch grössere Bedeutung und bezieht
sich nicht nur auf die Kohlenhydrate, sondern auch auf die übrigen Speise-
substanzen.
In der Rachenröhre kreuzen sich die Athmungs- und Verdauungswege
und werden mittelst einer Klappe alternativ der eine Weg geschlossen, der
andere geöffnet.
Die Mund-, Nasen- und Rachenröhren sind noch Ansatztheile für den
Sprach- und Stimmapparat, und ihre Form und Structur hat eine sehr grosse
Bedeutung bei der Bildung der Consonanten, Vocale, und wirkt auf den Klang
der Töne.
Rhachitische Processe und Ernährungsstörungen bei der Entwicklung der
Zähne, des harten Gaumens und der Kiefer bedingen hier sehr verschiedene
abnormale Formen, die aber durchaus nicht auf „angeborenes Verbrechen"
hinweisen, sondern nur auf ungünstige Verhältnisse, die auf die Ernährung
der Theile bei der Entwicklung wirkten und anormale Formen bewirkten.
Hier ist auch das Geschmacksorgan gelegen und mit der Structur des
Zungenrückens verbunden. p. lesshaft.
RefiexneurOSen exaure. Die hervorragende Stellung des Gehör-
organs im Haushalte des Organismus, die nahen Beziehungen zwischen dem-
selben und den verschiedenen Theilen des Organismus machen es verständ-
lich, dass dasselbe unter physiologischen und noch mehr unter pathologischen
Umständen den Ausgangspunkt zahlreicher und verschiedener Reflexerschei-
nungen bildet, die in Form von Hustenanfällen mit besonderen klinischen
Kennzeichen, in Anfällen von Schwindel, von Ekel und Erbrechen und schliess-
lich in verschiedenen allgemeinen Reactionen von zuweilen beträchtlicher
Intensität, bestehen.
Eine besondere Stellung vindiciren für sich die Hämorrhagien aus dem
Ohre bei gesundem Trommelfelle, welche man zuweilen bei hysterischen In-
dividuen '") als Ausdruck einer Reflexwirkung auf den vasomotorischen Appa-
rat antrifft, und welche von zuweilen nur geringfügigen, organischen Läsionen
des Ohres selbst hervorgerufen werden. In den wenigen bis jetzt beobach-
teten Fällen scheint der Mechanismus der Entstehung dieser Hämorrhagien
immer der gleiche gewesen zu sein. Das Blut trat nämlich tropfenweise aus
den Ausführungsgängen der Ohrenschmalzdrüsen heraus, und zwar vornehmlich
an der hinteren oberen Wand des Gehörganges. geadenigo.
*) Vergl auch Artikel „Hi/sterie des Ohres'' in diesem Bande.
35*
548 EETROPHARYNGEALABSCESS.
RetropharyngealabSCeSS {Abscessus retropharyngealis) wird diejenige
circumscripte, entzündliche Affection des retropharyngealen Bindegewebes
benannt, bei der es zur Eiterbildung und Eiteransammlung kommt.
Aetiologie und pathologische Anatomie. Obwohl der Retro-
pharyngealabscess vorwiegend eine Erkrankung des kindlichen Alters ist,
werden jedoch auch Erwachsene nicht selten davon befallen. Besondere Dis-
position für diese Erkrankung zeigen lymphatische, scrophulöse Individuen.
Die Abscesse sind ihrer Entstehung gemäss als idiopathische (pri-
märe) und als symptomatische (secundäre) zu unterscheiden. Nach
Johann Bokai sen., dem wir die Mittheilung der grössten Zahl klinisch
beobachteter Fälle bei Kindern zu verdanken haben, ist es die durch ihn als
Lymphadenitis retropharyngealis benannte Entzündung der retropharyngealen
Drüsen, welche oftmals als Anfangsstadium des eigentlichen Retropharyngeal-
abscesses zu betrachten ist, da der Abscess sozusagen als Folge der retro-
pharyngealen Lymphdrüsenentzündung entsteht. Die Lymphadenitis retro-
pharyngealis muss jedoch nicht unbedingt zur Abscedirung führen, sondern
in vielen Fällen ist Rückbildung möglich, Den Ausgangspunkt der Absce-
dirung bilden die Lymphdrüsen, welche im oberen Theil der mittleren Rachen-
wand, in der Höhe des zweiten und dritten Halswirbels, zu beiden Seiten der
Mittellinie sitzen (Henle). Diese Drüsen sind im frühen Kindesalter am
grössten, später, gewöhnlich nach dem dritten Lebensjahre, atrophiren sie,
weshalb bei älteren Kindern und Erwachsenen selbe schwer aufzufinden sind.
Der idiopathische Retropharyngealabscess, eventuell die Lymphadenitis
retropharyngealis können ihre Ursache in katarrhalischen und phlegmonösen
Entzündungen der Rachen- und Nasenhöhle haben. „Man muss annehmen",
sagt ScHECH, „dass phlogogene Stoffe (Streptococcen) in das submucöse Binde-
gewebe und die Drüsen verschleppt werden und dort ihre Wirksamkeit ent-
falten." Ebenso können Ekzeme des Gesichtes und der Kopfhaut zur Er-
krankung dieser Drüsen führen. Im Verlaufe von Scarlatina und nach Diph-
theritis sind ebenso Retropharyngealabscesse beobachtet worden. Traumen,
Fremdkörper, chemische und thermische Reize bilden selten Ursache des
Abscesses. Der symptomatische, secundäre Retropharyngealabscess findet seine
Ursache in der Erkrankung der Halswirbelsäule (Spondylitis, Caries), tuber-
kulösen, syphilitischen oder traumatischen Ursprungs. Hieher müssen die
zwar vereinzelt vorkommenden Fälle gerechnet werden, in denen, wie aus
den Berichten Bokai's ersichtlich, die Eitersenkung durch grosse Eiterherde
bedingt war, welche durch Vereiterung der äusseren Halsdrüsen entstanden
waren.
Eine besondere Prädisposition des einen oder anderen Geschlechtes
für diese Krankheit ist nicht zu constatiren. Die verschiedenen Jahreszeiten
üben auf die Entstehung des Retropharyngealabscesses keinen eigentlichen
Einfiuss aus. Es scheint jedoch, dass Witterungsverhältnisse, die überhaupt
zu entzündlichen Erscheinungen der Rachengebilde Anlass geben, auch auf
diese Erkrankung einwirken. Nach Mackenzie ist die Entstehungsursache
wahrscheinlich in dem eigenartigen Bau des leidenden Theiles, theilweise in
der von Simon beschriebenen Anordnung der Lymphgefässe zu suchen. Durch
die im lockeren, retropharyngealen Zellgewebe entstandene Eiterbildung hebt
sich die hintere Rachenwand von der Wirbelsäule ab und bildet die charak-
teristische Hervorwölbung. Die Abscesse können oft grosse Dimensionen an-
nehmen, so dass, je nachdem die Erkrankung im oralen oder laryngealen
Theile des Pharynx sitzt, entweder der Nasenrachenraum fast obturirt, oder
der Larynxeingang bedeckt erscheint. Gewöhnlich ist der entleerte Eiter dick
und grünlichgelb, seltener dünnflüssig, oder von Hämorrhagien bräunlich gefärbt.
Symptomatologie und Verlauf. Je nachdem wir es mit einem
acut oder chronisch verlaufenden Abscess zu thun haben, werden wir ver-
RETROPHARYNGEALABSCESS. 549
schiedene Symptome beobachten können. Aus den Bindegewebsphlegmonen
entstehende Abscesse entwickeln sich rasch, während die aus »Senkungs-
abscessen hervorgehenden in ihrer Entstehung langsamer sind.
Als erstes Zeichen des primären Retropharyngealabscesses muss das er-
schwerte Schlucken betrachtet werden, weiters sind massige Schmerzen im
oberen Theile des Halses, Temperaturerhöhung, in sehr acuten Fällen oft
heftige Fiebererscheinungen vorhanden. Bei Säuglingen zeigt sich das Schluck-
hindernis darin, dass sie, trotzdem sie die Brust mit Hast nehmen, dieselbe nach
einigen Zügen wieder loslassen, unruhig werden und weinen. Grössere Kinder
und Erwachsene klagen über Schmerzen, wenn sie feste und etwas grössere
Bissen nehmen. Doch dürfen diese Symptome nicht als absolut charakte-
ristische hingestellt werden, da doch verschiedene entzündliche Erkrankungen
der Mund- und Rachenhöhle oft dasselbe Symptom bieten. Mit dem Fort-
schreiten der Erkrankung wird das Schlucken mehr und mehr erschwert, und
während es im Anfange allein durch den Schmerz behindert ist, wird es
später durch das Anwachsen des Abscesses fast unmöglich. Die Nahrungs-
aufnahme wird sowohl bei Kindern wie bei Erwachsenen ausserordentlich
beschwerlich; das Genossene regurgitirt durch Nase und Mund. Hiezu tritt
namentlich im Schlafe erschwertes Athmen, besonders, wenn der Abscess in
der Höhe des Kehlkopfeinganges sitzt, was bei längerem Bestehen sogar zu
Suffocation führen kann. Befindet sich der Abscess im oberen Theile des
Rachens, so wird die nasale Athmung behindert, und athmen die Kranken,
wie wir das besonders bei Kindern zu beobachten Gelegenheit haben, mit
w^eit geöffnetem Munde. Bei ganz entwickeltem Abscesse ist immer ein lautes,
schnarchendes Geräusch vernehmbar, welch' letzteres als ein diagnostisches
Moment zu betonen ist, selbstverständlich nur dann, wenn, wie Bokai richtig
erwähnt, dieses Symptom im Verlaufe der Erkrankung auftritt, da eine ähn-
liche Erscheinung auch durch hypertrophische Tonsillen hervorgebracht werden
kann. Die Respiration wird noch dadurch erschwert, dass neben vermehrter
Schleimabsonderung der Mund- und Rachenhöhle die lEntfernung der Schleim-
massen schwer bewerkstelligt werden kann. Das Athmen geht mit auffallen-
den Rasselgeräuschen einher. Die Stimme der Erkrankten erleidet auch eine
Veränderung; sie wird gedämpft und die Sprache der grösseren Kinder be-
kommt einen näselnden Ton (Bokai). Schmitz will diesen Ton als Gaumen-
ton bezeichnet wissen.
Der Husten ist kein ständiges Symptom des Retropharyngealabscesses.
Ist er aber vorhanden, so wird er, abgesehen von Complicationen von Seite
des Kehlkopfes und der Lunge, durch die in der Mund- und Rachenhöhle ent-
standene und in den Kehlkopf fiiessende Schleimabsonderung hervorgerufen.
Die Kopfhaltung ist ein äusserst charakteristisches Symptom, besonders
bei acut verlaufenden Fällen. Die Erkrankten bekommen eine gewisse Nacken-
steifheit, die Halsmusculatur wird straff, der zurückgebeugte Kopf fast un-
beweglich, und bekunden die Kranken einen auffallenden Schmerz bei passiven
Bewegungen. Zu bemerken wäre, dass die Grösse des Abscesses nicht immer
im Verhältnisse zu den Beschwerden steht, denn wir können besonders bei
chronischen Abscessen beobachten, dass oft bedeutenden Veränderungen nur
geringe subjective Beschwerden entsprechen.
Aus den Fieberbewegungen, dem unausbleiblichen katarrhalischen Zu-
stande des Verdauungstractes resultiren Inanitionserscheinungen, welche, lang
andauernd, leicht zum hochgradigen Verfall führen können.
Dem secundären Retropharyngealabscess, welcher aus den Eiterungs-
processen der Halswirbelsäule entsteht, gehen längst Symptome voran, die
zweifelsohne auf die Primärerkrankung hinweisen. Der ausgesprochene
Nackenschmerz oder wenigstens auffallende Empfindlichkeit fehlt nie. Die
Bewegungen des Kopfes sind beeinträchtigt und verursachen ebenfalls
550 RETROPHARYNGEALABSCESS.
Schmerzen. Die Kranken beugen den Kopf nach rückwärts oder nach der
gesunden Seite hin. Nackensteifheit, Schmerzhaftigkeit auf Druck der Hals-
wirbel sind wertvolle Symptome. Im allgemeinen sind die Erscheinungen
dieselben, wie die der primären, nur entwickeln sie sich langsamer.
Zur Ergänzung des Symptomencomplexes beim Retropharyngealabscess
gehören die Befunde, welche bei der objectiven Untersuchung zu Tage treten
(Inspection und Digitaluntersuchung). Leider ist bei kleinen Kindern durch
den Umstand, dass theils enge, räumliche Verhältnisse des Rachens vorhan-
den sind, theils, dass durch entzündliche Veränderungen der Mund- und
Rachenhöhle das Oeffnen des Mundes erschwert mrd, die Inspection fast un-
ausführbar. Wäre die Besichtigung sonst möglich, wird durch das Würgen
und Erscheinen des copiösen Schleimes alles verdeckt.
Unvergleichlich vortheilhafter und sicherer ist die Digitaluntersuchung,
Trotzdem möchte ich nicht empfehlen, sich allein auf dieselbe zu verlassen,
wenn auch vielerseits betont wird, dass auf die Inspection kein besonderes
Gewicht zu legen sei.
Bei der Inspection sieht man, je nach dem Alter des Kranken, an der
hinteren Rachenwand eine grössere oder kleinere, mehr oder weniger gespannte
Geschwulst. Dem Verlaufe entsprechend erscheint dieselbe entweder intensiv
geröthet oder von fast normaler Schleimhaut bedeckt. Bei der Digitalunter-
suchung ist im Beginne die schmerzhafte Geschwulst prall und resistent an-
zufühlen, später weicher, elastischer und fluctuirend.
Durch Zuhilfenahme des Kehlkopfspiegels ist es bei grösseren Kindern
und Erwachsenen möglich, den Sitz und die Verbreiterung des Abscesses ganz
präcise zu bestimmen.
Der Verlauf des secundären Retropharyngealabscesses ist im Gegensatze
zum primären gewöhnlich ein chronischer, da sein Ausgang von der Primär-
erkrankung abhängt. Auch die Prognose wird sich bei den primären anders
gestalten als bei den secundären Abscessen. Die primären Abscesse geben
bei nicht allzu grosser Ausbreitung und rechtzeitigem therapeutischem Ein-
griffe keine schlechte Prognose ab. Im frühen kindlichen Alter freilich ist
auf einen günstigen Ausgang weniger zu rechnen.
Die secundären Abscesse haben schon der Primärerkrankung halber eine
schlechte Prognose.
Grosse Abscesse können den Kehlkopfeingang verdecken und durch
spontane Eröffnung, was übrigens äusserst selten vorkommt, zur Erstickung
führen. Eitersenkung nach dem Larynx und Oesophagus sind gefahrvolle
Complicationen.
Ist die Eröffnung des Abscesses geschehen, so treten sämmtliche gefahr-
drohenden Symptome rasch zurück, die Respiration wird frei und das Schlucken
unbehindert.
Diagnose. Wird die im Vorstehenden erwähnte combinirte Unter-
suchungsmethode ausgeführt, so ist eine Verwechslung mit anderen Erkran-
kungen nicht leicht möglich. Im Beginne der Erkrankung können insoferne
Zweifel entstehen, ob wir es mit einer entzündlichen Pharyngitis oder einer
Lymphadenitis retropharyngealis zu thun haben. Eine Verwechslung mit Croup
kann nur durch eine oberflächliche Untersuchung und Ausserachtlassung der
subjectiven Beschwerden möglich werden. Die subjectiven Beschwerden und
der Befund der objectiven Untersuchung werden also die Diagnose sichern.
Schwieriger gestaltet sich die Diagnose nur dann, wenn in der Mund-
Rachenhöhle anderweitige entzündliche Erkrankungen vorhanden sind, oder
wenn von Seite des Larynx Veränderungen auftreten (Oedeme), die dann
eventuell das Symptom des Abscesses verdecken. Selbstverständlich bezieht
sich das nur auf die Erkrankung bei Kindern, da bei Erwachsenen die leicht
ausführbare laryngoskopische Untersuchung Klarheit verschafft.
RHINITIS. 551
Vor Verwechslung mit einem retropharyngealen Hämatom, trotzdem auch
da Fluctuation zu finden ist, schützt die Anamnese und das plötzliche Ent-
stehen desselben. Bei weichen Tumoren ist die Probepunktion als differen-
tialdiagnostisches Mittel zu verwerten.
Die Diagnose der secundären Retropharyngealabscesse verursacht in An-
betracht der bestehenden Grunderkrankung keine Schwierigkeit.
Therapie. Bei der Besprechung der Prognose des Ptetropharyngeal-
abscesses wurde betont, dass der günstige Ausgang der idiopathischen Ab-
scesse unter anderem dem rechtzeitigen therapeutischen Eingriffe zu ver-
danken ist. Wenn nun die Diagnose des Abscesses in jeder Ptichtung ge-
sichert ist, so soll beim idiopathischen Abscesse nicht gewartet werden, bis
gefahrdrohende Symptome auftreten, sondern die Entleerung des Eiters hat
je eher zu geschehen, trotzdem die Möglichkeit einer spontanen Eröffnung,
Avie aus mitgetheilten Fällen ersichtlich, nicht ausgeschlossen ist.
Die Eröffnung geschieht am leichtesten mittelst eines bis auf die Spitze
mit Heftpflaster umwickelten Spitzbistouri, indem bei herabgedrückter Zunge
mit dem vorgeschobenen Messer eine Incision des Abscesses vorgenommen
wird. (Vorsicht ist rücksichtlich der Nähe der Carotis interna geboten, wes-
halb nicht zu tief eingestochen werden darf.) Bei Kindern, wo die Inspection
nicht ausführbar ist, wird das Messer unter Leitung des linken Zeigefingers
bis an die Abscesswand gebracht und so eingestochen.
Selten gelingt die Eröffnung des Abscesses mittelst Druckes durch den
Fingernagel.
Sofort nach der Incision muss der Kopf vornüber gebeugt werden,
damit der sich rasch entleerende Eiter nicht in den Larynx ergiesst und
suffocatorische Erscheinungen hervorbringt.
Zur Eröffnung der Abscesse sind auch eigene Instrumente empfohlen
worden, die eigentlich nur in solchen Fällen zu verwenden sind, wo der Ab-
scess in den tieferen Theilen des Pharynx gelegen ist (u. a. Pharyngotom
von Stoerk).
Entleert sich nach Incision der Abscess nicht gänzlich, so genügt
gewöhnlich der Fingerdruck, den Eiter heraus zu befördern. Schliesst sich
jedoch die Oeftnung, was allerdings selten zu beobachten ist, so muss eine
zweite Incision gemacht werden.
Wenn wir es nur mit einer acuten Lymphadenitis retropharyngealis zu
thun haben, so kann Antiphlogose eingeleitet werden, u. zw. kalte Umschläge
um den Hals, bei Erwachsenen noch Eispillen. Ebenso sind Blutentziehungen
gebraucht worden, doch ohne besonderen Erfolg. Gautier und Schmitz em-
pfehlen Pinselungen des Gaumensegels und der hinteren Rachenwand mit
Jodtinctur und Jodkalilösung. Zeigen sich die Zeichen der Abscessbildung,
so sind warme Breiumschläge bis zum Zeitpunkt der Eröffnung angezeigt.
Als Nachbehandlung sind Ausspritzungen mit 3 — i^/oiger Borsäurelösung,
bei Erwachsenen Gurgelungen mit derselben Lösung vorzunehmen.
Die secundären Retropharyngealabscesse sollen ein noli me tangere bilden.
Der operative Eingriff, d. h. die Eröffnung des Abscesses, darf nur bei gefahr-
drohenden Symptomen geschehen. irsai.
Rhinitis. Diffuse Entzündung der Nasenschleimhaiif.
Wir trennen die Rhinitiden nach ihrem Verlauf in acute und chro-
nische.
Zu den acuten gehören : die Rhinitis catarrhalis acuta, die Rhinitis puru-
lenta acuta, die Rhinitis diphtherica und fibrinosa; zu den chronischen kann
man ausser der Rhinitis catarrhalis chronica noch die infectiösen Granulome der
Nasenschleimhaut (Tuberkulose [Lupus], Syphilis, Rotz, Lepra, Sklerom) zählen,
obwohl diese nur zum Theil regelmässig in diffuser Ausbreitung vorkommen.
552 RHINITIS.
In diesem Artikel sollen nur die Rhinitis catarrhalis acuta, die Rhinitis
purulenta und die Rhinitis catarrhalis chronica besprochen werden. Die
übrigen sind in besonderen Artikeln einzusehen.
Rhinitis catarrhalis acuta. Der acute Katarrh der Nasenschleimhaut
ist kein ätiologisch einheitlicher Krankheitsbegriff. Er kann durch infec-
tiöse, mechanische und chemische Ursachen entstehen.
Durch Mikroorganismen werden, wie wir annehmen dürfen, die
acuten Nasenkatarrhe bei folgenden Erkrankungen hervorgerufen: bei der
acuten Coryza (dem Schnupfen), der Influenza, den Masern, den
Röthein, dem Flecktyphus, der Syphilis.
Bei der Coryza und der Influenza bildet die Rhinitis eine der hervor-
stechendsten Krankheitserscheinungen, bei den übrigen eine entweder con-
stante (Masern, Röthein) oder wenigstens sehr häufige Theilerscheinung.
Welche Mikroorganismen bei den fraglichen Rhinitiden betheiligt sind,
wissen wir nicht. Möglicherweise sind es immer dieselben, die mit der Luft in
den Nasenschleim gelangen und hier warten, bis ihnen eine Gelegenheits-
ursache (heftige Erkältung, Durchnässung, Infection mit Masern-, Röteln- etc.
Gift) die Möglichkeit gewährt, activ zu werden. Es wäre aber auch denkbar,
dass unsere Rhinitiden trotz ihrer klinischen Uebereinstimmung ätiologisch
streng zu scheiden wären, so dass die Coryza durch ein noch hypothetisches
Bacterium coryzae, die Influenzarhinitis durch die Bacillus influenzae Pfeiffers
entständen, dass die Rhinitiden bei Masern, Röthein etc. einer durch den Blut-
strom vermittelten Localisation der betreffenden specifischen Krankheitserreger
ihre Entstehung verdankten. Vorläufig wird man jedenfalls gut thun, die
verschiedenen Processe nicht miteinander zu vermengen. Wir empfehlen
deshalb auch, den Ausdruck Coryza nur auf den Schnupfen an-
zuwenden, im übrigen aber von einer Influenza-, Masern- etc.
Rhinitis zu sprechen.
Durch mechanische Reizung vermögen die Blütenpollen mancher
Pflanzen, insbesondere der Gräser, bei disponirten Individuen acuten Nasen-
katarrh hervorzurufen. Gewöhnlich ist damit noch eine Reihe anderer katar-
rhalischer und nervöser Symptome verbunden, die zusammen das Bild des
Heufiebers geben.'")
Stoffe, die auf chemischem Wege unseren Katarrh hervorrufen,
kommen entweder mit der Inspirationsluft auf die Nasenschleimhaut, wie
Pulv. ipecac, lycopodii, Cementstaub, Kalium bichromic. in feiner Verthei-
lung, Ammoniak-, Säuredämpfe u. a. m., oder auf dem Blutwege, wie die Jod-
salze. Der Jodschnupf en entsteht durch die Einwirkung von freiem Jod, das
an der Oberfläche der Schleimhaut „durch die Massenwirkung der Kohlen-
säure auf die in den Secreten ausgeschiedenen Jodide und die hier nie fehlen-
den salpetrigsauren Salze in Freiheit gesetzt wird" (Schmiedeberg).
Pathologische Anatomie. Die Schleimhaut ist stark geschwollen,
ödematös durchtränkt, die Blutgefässe sind stark gefüllt. Es besteht beträcht-
liche Rundzelleninfiltration durch die ganze Dicke der Schleimhaut, Austritt
von rothen Blutzellen, theils per rhexin, theils per diapedesin, häufig ver-
mehrte Verschleimung und Desquamation von Epithelzellen. Suchannek
hat eine lebhafte Betheiligung sowohl der acinösen als auch der BowMAN'schen
Drüsen aufgefunden (vermehrte Verschleimung und verschiedenartige Degene-
ration der Zellen). Die geschilderten Veränderungen spielen sich auf insel-
artig zwischen normalem Gewebe sitzenden Flecken ab.
Die klinischen Erscheinungen der acuten Rhinitis sind bei
der Besprechung der Coryza acuta angeführt. (Vide Artikel „Coryza" in
diesem Bande.)
*) Siehe Artikel „Catarrlms aestiv. Bd. I. Int. Med." dieses Werkes.
.RHINITIS. 553
Als Rhinitis piirulenta acuta bezeichnen wir eine Entzündung der
Nasenschleimhaut, bei der von vornherein ein eitriges Secret abgesondert wird.
Bei oberflächlicher Entzündung sprechen wir von einer Blennorrhoea na-
salis. Ist die Entzündung im submucösen Gewebe localisirt, so kann sie als
Phlegmone nasalis bezeichnet werden.
Die eitrige Rhinitis wird immer durch die Invasion pyogener Bacterien
hervorgerufen. Sie hat also ebensowenig wie die acute katarrhalische Rhinitis
eine einheitliche Aetiologie, da es eine ganze Anzahl derartiger Mikroorganis-
men gibt.
Sicher bekannt ist uns als Erreger des Erysipels der Nasen-
schleimhaut der Fehleisen 'sehen Streptococcus. Das Erysipel breitet
sich in den Lymphbahnen der oberflächlichen Schleimhautschichten aus. Es
nimmt entweder vom Rachen seinen Ursprung und kriecht durch die Nase
auf die äussere Gesichtshaut, oder es nimmt den umgekehrten Weg.
Nicht sicher kennen wir die Erreger der beim Scharlach und der
Diphtherie vorkommenden phlegmonösen Naseneiterungen. Wir dürfen
aber wohl annehmen, dass sie dieselben pyogenen Streptococcen sind, die auch
die sonstigen schweren Complicationen dieser Erkrankungen verursachen. Bei
der Diphtherie findet sich die eitrige Entzündung gewöhnlich neben der spe-
cifisch diphtheritischeUj es handelt sich also um eine Mischinfection.
Pyogene Bacterien (Streptococcus pyog., Staphylococcus pyog., der FRiEDLÄNDER'.sc/je
und der FRÄNKEL'scAe Pneumoniecocciis) sind von vielen üntersuchern im Nasenschleim
Gesunder und nicht an eitriger Rhinitis leidender Nasenkranker aufgefunden worden. Man
muss deshalb annehmen, dass eine disponirende Ursache dazu nöthig ist, um solchen
Bacterien das Eindringen und die Vermehrung in der Nasenschleimhaut zu ermöglichen.
Zu der nicht allseitig anerkannten eitrigen Infection der Nasenschleim-
haut gehört die Rhinitis gonorrhoica, deren Urheber, der Gonococcus
Neisser's, entweder während des Geburtsactes oder durch inficirte Taschen-
tücher, Finger u. ä. oder endlich bei Gelegenheit geschlechtlicher Ver-
irrungen übertragen werden soll (B. Feänkel, Voltolini u. a.). Gegen
das Vorkommen einer Rhinitis gonorrhoica sprechen sich viele erfahrene Der-
matologen aus, wie Ricord, Roket, Diday, Zeissl, von den Rhinologen
namentlich Moldenhauee, der sich auf das reiche Material der Leipziger
geburtshilflichen Klinik stützt.
Symptome. Das klinische Bild der eitrigen Rhinitis unterscheidet
sich von dem des acuten Katarrhs nur durch die vermehrte Heftigkeit aller
Symptome und durch das andersartige Secret. Das Secret ist entweder rein
eitrig oder durch Blutbeimengung dunkel gefärbt oder durch putride Zersetzung
übelriechend. — In schweren Fällen kann es zu Substanzverlusten der Schleim-
haut und zur Nekrose der darunter liegenden festen Theile (Knochen oder
Knorpel) kommen (Rhinitis gangraenosa).
Trotz alledem ist der Ausgang in der Regel günstig. Es tritt voll-
ständige Ausheilung der Schleimhaut ein, manchmal natürlich erst, nachdem
die Substanzverluste durch Narbenbildung gedeckt sind.
Diese günstige Prognose bezieht sich aber nur auf die Erkrankung
der Nase. Im übrigen wird der Complication mit eitriger Rhinitis sowohl
beim Scharlach wie bei der Diphtherie eine sehr üble prognostische Bedeu-
tung für den Ausgang der Grunderkrankung beigemessen.
In diagnostischer Hinsicht kommt vorzüglich die Dififerenzirung
der eitrigen Rhinitis von den acuten eitrigen Herderkrankungen (Geschwüren,
Abscessen, Fremdkörpereiterungen, Nebenhöhlenempyemen) in Betracht. Unter
Berücksichtigung der begleitenden Umstände und des Verlaufes werden wohl
Inspection und Sondirung stets die Entscheidung ermöglichen. Man bedenke
auch, dass Herderkrankungen lieber einseitige, die eitrige Rhinitis stets doppel-
seitige Pyorrhoe hervorrufen.
554 RHINITIS.
Therapie. Pteinhaltung der Nase, Sorge, dass der Eiter nicht zurück-
gehalten wird und sich anhäuft, sind die nächsten Aufgaben. Dazu spritzt
man die Nase nach leichter Cocainisirung (Spray von Cocain, mur. 1:100)
mit 0-75"/oiger, sterilisirter Kochsalzlösung aus, wozu man sich der Gummi-
pumpe (vgl. den Artikel Ozaena) oder einer mit dünnem Gummischlauch
armirten Wundspritze bedient. Will man nachträglich, wie es vielfach
empfohlen wird, die Schleimhaut mit Höllensteinlösung (2:100) einpinseln oder
Höllensteinpulver (0-l:20-0 Tale.) authlasen, so hat man zur Spülung statt
der Kochsalzlösung einfaches gekochtes Wasser zu verwenden.
Auf die symptomatische Behandlung ist ganz besondere Sorgfalt zu ver-
wenden. Sie ist dieselbe wie bei der acuten Coryza.
Rhinitis catarrhalis chronica.
Aetiologie. Als Ursachen des chronischen Nasenkatarrhs sind fort-
dauernde oder sich häufig wiederholende kleine Reize anzusehen. Deren gibt
es sehr viele. Sie wirken auf chemischem oder mechanischem Wege oder
auf beiden zugleich. — Der chronische Nasenkatarrh ist keine Infections-
krankheit, d. h. er wird nicht durch Bacterien erzeugt, die in der Schleim-
haut leben. Er kann aber durch Bacterien hervorgerufen und unterhalten
werden, die sich im Secret der Nase einnisten und durch ihre Stoffwechsel-
producte (d. h. also chemisch) die Schleimhaut reizen.
Nach dem Gesagten werden wir es verstehen, dass Tabakraucher und
Schnupfer, dass Stammgäste schlecht ventilirter, raucherfüllter Kneipen häufig
an chronischem Nasenkatarrh leiden, ebenso wie Müller, Tabaksarbeiter,
Cementarbeiter, Drechsler, Schleifer, Arbeiter in chemischen Fabriken, die
mit Ammoniak, starken Säuren, Kalium bichromicum u. ä. zu thun haben.
Wir finden die Krankheit ferner ganz gewöhnlich bei chronischen Neben-
höhlenempyemen, wo sie durch die Berieselung der Schleimhaut mit dem
Nebenhöhleneiter erzeugt wird. — Zuweilen entwickelt sich der chronische
Katarrh aus einem acuten dadurch, dass dieser nicht über das zweite Stadium,
das der schleimig-eiterigen Secretion, hinauskommt. Auch sollen häufige
acute Katarrhe einen chronisch-katarrhalischen Zustand der Nasenschleimhaut
zuwege bringen können.
Die Disposition für den chronischen Nasenkatarrh ist sehr verbreitet,
aber individuell verschieden. Manche sind mit einer ererbten Schwäche der
Schleimhäute behaftet, die gewöhnlich als Theilerscheinung der Scrophulose
betrachtet wird. Aber in vielen Fällen ist die Scrophulose erst die Folge
von Nasenleiden (vgl. darüber Zaeniko, Krankh. d. Nase 1894).
Eine erhöhte Disposition für unsere Erkrankung liefern ferner Stauungen
in der Nasenschleimhaut, mögen sie durch locale Ursachen (Tumoren im
Nasopharynx, insbesondere adenoide Vegetationen) oder durch allgemeine
erzeugt sein (Herzfehler, Nierenleiden, häufige Anwendung der Bauchpresse
bei chronischer Obstipation).
Symptome und Verlauf. Bei der Inspection bekommen wir die
verschiedenartigsten Bilder zu Gesicht. Bald ist die Schleimhaut hochroth,
sammtartig aufgelockert, leicht blutend; bald ist sie blass, weissgrau, etwas
uneben. In der Kegel ist sie dicker als normal. Sie lässt sich mit der Sonde
leicht eindrücken und man hat dabei das Gefühl, als ob man einen Gummi-
ball eindrückte („Luftkissengefühl"). Nach Entfernung der Sonde gleicht sich
die Vertiefung sehr bald wieder aus. Durch Cocain kann die Anschwellung
zum Verschwinden gebracht werden, sie ist also lediglich durch vermehrte
Blutfülle hervorgerufen. — Die Schleimhautschwellung betrifft hauptsächlich
die unteren Muscheln, sodann die mittleren, seltener das Septum und die
übrigen Wände.
Das Secret ist bald gelblich, dick, stellenweise zu Klümpchen und
Krusten eingedickt, bald ist es mehr schleimig, weissgrau, in langen Fäden
RHINITIS. 555
sich hühnereiweissähnlich ausziehend. — Dünneres flüssiges Secret jjflegt sich
am Nasenboden anzusammeln, dickeres klebt an den Wänden und in den
Nasengängen. Das Secret ist entweder völlig geruchlos oder es hat einen
kaum merklichen, faden Geruch. Es besteht, wie die mikroskopische Unter-
suchung lehrt, aus einem schleimigen Menstruum, worin mehr oder minder
zahlreiche Leucocyten eingebettet sind. Epithelzellen sind sehr selten darin.
Ebenso sind relativ wenige Bacterien vorhanden und diese in wenigen Arten.
Selten ist der chronische Katarrh auf die Nasenhöhlen beschränkt. Ge-
wöhnlich sind auch die Schleimhäute des gesammten Pharynx und häufig auch
des Kehlkopfes mitergriffen. Die Ursache liegt zum Theil in der Einwirkung
derselben Schädlichkeiten, die den Nasenkatarrh erzeugen, auf diese Schleim-
häute, zum Theil in der Nasenverstopfung und der dadurch bedingten Mund-
athmung.
Die Klagen der Patienten beziehen sich selten auf die Nase allein. Ge-
wöhnlich klagen sie zugleich auch über Rachenbeschwerden, und manchmal
führen diese allein sie zum Arzte.
Was sie an ihrer Nase nicht in Ordnung finden, nennen sie ^Stock-
schnupfen'-^ das ist, wenn man näher fragt, Verstopfung der Nase und
vermehrte Secretion {„Verschleimung''). Die Verstopfung schwankt gewöhnlich
auf derselben Seite von leidlicher oder vollkommener Durchgängigkeit bis zur
totalen Verlegung. Oft tritt dieser Wechsel sehr plötzlich ein infolge einer
psychischen Erregung. So wird bei manchen Patienten die Nase frei, sobald
sie sich zum Arzt begeben. Von Schwellung ist dann nichts zu finden, erst
beim zweiten oder dritten Besuche, wenn die anfängliche Erregung verschwun-
den ist, kann man sie constatiren. — Zuweilen vollzieht sich der Wechsel
unter den Augen des Arztes bei der Inspection. Häufig ist bald die eine,
bald die andere Seite mehr verstopft, oft alternirend. Beim Liegen ist es
gewöhnlich die untere Seite, während die obere frei ist. Fast immer ist die
Verstopfung Nachts stärker als am Tage.
Die Verschleimung der Nase äussert sich in dem erhöhten Verbrauch
von Taschentüchern oder deren Surrogaten. Um ein Urtheil darüber zu
gewinnen, genügt es nicht, dass man die Anzahl der täglich verbrauchten
Taschentücher kennt, sondern man muss sich auch die Taschentücher zeigen
lassen, um zu sehen, wie viel Ausgeschnobenes darin ist.
Manche Kranken geben spontan, die meisten erst auf Befragen an, wie es
um ihr Geruchsvermögen bestellt ist. Es ist gewöhnlich herabgesetzt
zuweilen ganz aufgehoben.
Ebenso lästig, wie ihr Stockschnupfen, sind den meisten ihre Hals-
beschwerden, die von dem consecutiven Rachenkatarrh abhängen. Die
Verschleimung des Halses und „hinter der Nase" wird besonders
morgens nach dem Aufwachen unangenehm empfunden. Die Nacht hat der
Patient grösstentheils mit offenem Munde schnarchend verbracht. Das Secret
der Nase ist nicht aufgeschnoben, sondern es hat sich nach hinten gesenkt
und das im Halse producirte vermehrt. Durch den trockenen Luftstrom ist es
zum Theil eingedickt und bedeckt die Wände des Pharynx in ziemlich fest haf-
tenden Krusten oder Ballen. Nach dem Erwachen stellt sich deshalb neben
einem peinigenden Trockenheitsgefühl der Drang ein, das Secret wegzu-
bekommen. Was im Bereich des Exspirationsstromes liegt, wird ausgehustet
oder ausgeräuspert. Das im Nasopharynx festsitzende Secret aber wird durch
eine lebhafte Inspiration nach hinten durchgezogen und dann ausgespuckt.
Hierbei ereignet es sich sehr häufig, dass die im Pharynx gezerrten und be-
wegten Secretmassen einen Brechreiz erzeugen, der Würgbewegungen und
manchmal geringes Erbrechen von Mageninhalt zur Folge hat. Auf diese
Weise erklärt schon A. v. Tköltsch den Vomitus matutinus der Säufer, die ja
alle an intensivem Rachenkatarrh leiden.
Ö56
RHINITIS.
Neben dem erwähnten Gefühl von Trockenheit oder statt dessen stellen
sich häufig andere belästigende Parästhesien des Pharynx ein. Die Patienten
geben an, es sitze ihnen irgend etwas im Halse, was nicht dahin gehöre
(Fremdkörpergefühl). Manchmal können sie den Gegenstand nicht be-
schreiben, nicht einmal sagen, ob sie ihn hart oder weich, eckig oder rund
fühlten. Manchmal aber geben sie genau an, es sässe ihnen eine Gräte, eine
Borste, eine Fruchtschlaube od. dgl. im Halse und sind dermaassen von der
Wahrheit des Gefühlten überzeugt, dass es einer grossen Sicherheit und
Festigkeit bedarf, um es ihnen auszureden. Eine andere, sehr gew^öhnliche
Sensation ist die, dass der Hals geschw^ollen wäre. Vielleicht ist diese durch
eine Hyperästhesie der betreffenden Gegend bedingt. Durch Cocainisirung des
Eachens kann man w^enigstens jederzeit eine ähnliche Empfindung hervor-
rufen. — Endlich seien noch aus der grossen Zahl der Parästhesien die Em-
pfindungen des Brennens, Juckens, Kriebelns an gewissen Stellen des Pharynx
erwähnt, ohne dass dabei ein Fremdkörper gefühlt wird. — Parästhesien des
Pharynx geben bei disponirten Individuen gern zu hypochondrischen Vor-
stellungen Anlass. Sehr häufig fürchten solche Kranke, an Halsschwindsucht
oder an Krebs zu leiden.
Bei einer ziemlichen Zahl von Patienten finden wir als weitere Folgen
des Rachenkatarrhs chronischenKatarrh der Tube und derMittel-
ohr Schleimhaut. Manche zeigen eine leichte Bhinolalia clausa, einzelne
leiden infolge der Mundathmung an häufig recidivirenden Mandelentzün-
dungen und nächtlichem Alpdruck.
In sehr vielen Fällen kommt es im Verlauf und, wie man wohl annehmen
darf, infolge des chronischen Katarrhs zu einer Volumszunahme der
Schleimhaut, besonders der der Muscheln, durch Vermehrung
von Gewebselementen.
Das makroskopische Aussehen der Neubildungen ist sehr verschieden.
Entweder finden wir die Muscheln in ihrer ganzen Ausdehnung gleichmässig
verdickt oder, und das viel häufiger an circumscripten Stellen, vorzugsweise
an den vorderen oder den hinteren Enden. Die Oberfläche der Verdickungen
ist entweder glatt oder durch seichte Einkerbungen gerunzelt oder durch tiefe
Einschnitte in Felder, Lappen oder Beeren abgetheilt. Dadurch kann ein
froschlaich-, himbeer- (Fig. 1, Fig. 2"), trauben-, blumenkohlkopf- (Fig. 3)
oder hahnenkammähnliches Aussehen zu Stande kommen.
Fig. 2.
Fig. 1. Polypoide Verdickung der hinteren Enden beider unteren Muscheln mit himbeerförmiger Oberfläche.
Verdickungen zu beiden Seiten des Septums.
Kg. 2. Dasselbe Object in seinen Umrissen nach Cocainisirung der unteren Muscheln.
(Fig. 1 u. 2 n. d. Nat. gez. vom Verf.)
Die mikroskopische Untersuchung zeigt, dass sich die einzelnen Gewebs-
arten in verschiedenem Grade an der Volumsvermehrung betheiligen. Der
Schnitt enthält bald reichlich, bald spärlich Gefässe, bald viel, bald wenig
*) Die Abbildungen zu diesem Artikel sind — mit Ausnahme der Fig. 6. — Originale,
die ich mit liebenswürdiger Erlaubnis des Verlegers, Herrn Karger in Berlin, aus meinem
S. 554 citirten Lehrbuche habe übernehmen können.
RHINITIS.
557
Fig. 3. Linke Nasenhälfte, Siebbeinzellen zum grossen Theil eröffnet,
insbesondere auch eine, die sich weit in die mittlere Muschel hin-
überstreckt. Im Ductus nasofrontalis und im Ostium einer frontalen
Siebbeinzelle liegen Sonden. Ciroumscripte Verdickung des hinteren
Endes der unteren Muschel mit blumenkohlähnlicher Oberfläche.
Präp. aus Dr. Arth. Hartmanns Sammlung.
Drüsen. Immer aber findet
sich im Vergleich zur nor-
malen Schleimhaut das Binde-
gewebe vermehrt (vgl. Fig. 4
mit Fig. 5). Die frag-
lichen Verdickungen
verdienen daher den
Namen Fibrome, wobei
man einen besonderen Reich-
thum an Drüsen oder Ge-
fässen durch passende Zu-
sätze (Adenofibroma;
Angiofibroma und Fi-
broma cavernosum) aus-
drücken kann.
Für gewöhnlich wird nach
Hopmann's Vorschlag der Zustand
als Hypertrophie bezeichnet,
werden die glatten, circumscripten
Fibrome als polypoide Hyper-
trophien, die mit sehr uneben-
mässiger Oberfläche als (weiche)
Papillome oder Himbeer-
polypen. Ich habe
mich an anderer
Stelle*) bemüht, das
Nähere darzulegen,
weshalb diese Be-
nennungen für die
übergrosse Mehrzahl
der Fälle unzutreffend
und deshalb wenig
empfehlenswert sind.
Viele behaupten,
die „Hypertrophie"
der Schleimhaut sei
ein reguläres Stadium
des chronischen Na-
senkatarrhes, er gehe
durch diese Etappe
mit der Zeit in das
atrophische Stadium
über, mit anderen
Worten, die Ehinitis
chronica werde zur
Rhinitis hypertrophi-
cans und darauf zur
Rhinitis atrophicans.
— Wenn man aber
zahlreiche Patienten
kennt, die Jahre und
Jahrzehnte lang ihre
chronische Rhinitis
ohne „Hypertrophien" haben, und wenn man hört, dass noch niemand aus einer hyper-
trophischen eine atrophische Nasenschleimhaut hat entstehen sehen, so muss man wohl die
üeberzeugung gewinnen, dass jene Behauptungen lediglich durch theoretische Speculationen
zu Stande gebracht sind und der thatsächlichen Begründung entbehren.
Diagnose. Dass sich die Schleimhaut der Nase im Zustande des
chronischen Katarrhs befindet, das zu entscheiden unterliegt keiner Schwie-
rigkeit. — Aber über einzelne Dinge können wir anfangs im Zweifel sein.
So über die Beschaffenheit vorhandener Schleimhautverdickungen. Diese
können ja lediglich durch Anschoppung der Schwellkörper zu Stande kommen,
Fig. i. Schnitt durch eine polypoide Verdickung des hinteren Endes einer unteren
Nasenmuschel, "j^. d ^ Drüse, g = Gefäss.
(Nach einem Präparat des Verf. gez. von P. Günther.)
*) Zarniko, 1. c. § 511 ff.
558
RHINITIS.
Fig. 5. Schnitt durch die untere Muschel. Vergr. ca. ^i nach einem
Präparate des Verf. gez. von P. Günther.
d ^= Drüse, g = Gefäss. k = Knochen. Der untere Kand sieht in der
Abbildung nach rechts oben, die mediale Fläche nach oben, die obere
Fläche nach links. Bei der Herausnahme haben sich die Weichtheile
stellenweise etwas vom Knochen losgelöst.
sie können ferner durch
Vermehrung von Gewebs-
elementen, insbesondere
des Bindegewebes ent-
stehen, oder endlich, es
können beide Verän-
derungen im Spiele sein.
Manchmal gibt uns allein
die Inspection im Verein
mit der Sondenunter-
suchung genügenden An-
halt. Die hyperämische
Schwellung betrifft immer
grössere Schleimhautab-
schnitte, z. B. die Ober-
fläche einer ganzen
Muschel. Das Fibrom ist
häufiger circumscript be-
grenzt, als diffus verbrei-
tet. Die hyperämische
Schwellung hat stets eine
glatte Oberfläche, das
Fibrom viel häufiger eine unebene, durch Einschnitte gefelderte. Die
hyperämische Schwellung hat stets eine hochrothe Farbe, das Fibrom selten.
Es zeigt vielmehr in der Regel ein graurothes oder blassgraues, manchmal
gelatinöses Colorit, Veränderungen, die auf ödematöser Durchtränkung des
sub epithelialen Stratum beruhen. Die hyperämische Schwellung gibt bei der
Sondenberührung Luftkissengefühl, das Fibrom lässt sich wie ein Beutel oder
Lappen hin- und herschieben.
In vielen Fällen genügen die aufgeführten Merkmale zur sicheren Ent-
scheidung nicht. Dann führt uns das Cocainexperiment *) zum Ziele.
Was hyperämisch ist, schwillt danach ab, das Neugebildete bleibt.
Nach der Cocainisirung kann man gewöhnlich von vorn die ganze Nase
überschauen. Dazu ist es freilich — und besonders für die Inspection der
hinteren Theile — sehr oft nothwendig, mit der Sonde Neubildungen bei
Seite zu drücken, um für Beleuchtung und Blick die Bahn frei zu machen.
Für die Erkennung von verdickten hinteren Muschelenden achte man auf den
Levatorwulst. ") Die durch die ßhinoscopia anterior gewonnenen Ptesultate kann
man, wo es wünschenswert erscheint, noch durch die Rhinoscopia posterior
controliren und ergänzen. Die von Einzelnen für den vorliegenden Zweck
empfohlene Palpation der Choanen ist immer zu umgehen.
Zweifel können ferner entstehen, wenn etwas reichlicherer Eiter vor-
handen ist. Wir müssen dann fragen, ob der Eiter wirklich nur von der
Nasenschleimhaut producirt oder ob nicht vielmehr eine locale Eiterung vor-
handen ist (Ulcus, Knochencaries, Fremdkörper, Nebenhöhlenempyem), die
vielleicht zu unserem Katarrh im Verhältnis der primären Erkrankung zur
consecutiven steht. Ueber diese Frage geben die Artikel Pyorrhoea nasalis
und Nebenhöhlenempyeme Aufschluss.
Therapie. Unsere erste Aufgabe ist, die Schädlichkeiten auszuschalten,
die den chronischen Katarrh erzeugen und unterhalten. Das ist freilich oft
sehr schwer, manchmal, wie bei den Berufskatarrhen, ganz unmöglich. Auch
passionirte Raucher und Wirtshausbesucher sind kaum von ihren Gewohn-
*) Vgl. den Artikel: „Diagnostik der Nasenkrankheiten".
RHINITIS.
559
heiten abzubringen, und sie ertragen lieber die Bescliwerden ihres Katarrhs,
selbst Hypochonder, nachdem sie die Ueberzeugung von der llarnrilosigkeit
ihres Leidens gewonnen haben. In derartigen Fällen rauss man sich wohl
oder übel damit begnügen, die Schädigungen auf ein möglichst geringes Maass
zu reduciren.
Die Scrophulose, allgemeine Circulationsstörungen sind nach den giltigen
Grundsätzen zu behandeln, locale Stauungsursachen und Nebenhöhlen-
affectionen nach den in den betreffenden Artikeln dieses Werkes gegebenen
Anweisungen.
Gewöhnlich bleibt der chronische Katarrh auch nach Ausschaltung der
causalen Schädlichkeiten in vermindertem Maasse bestehen. Es empfiehlt sich
deshalb, die erkrankte Schleimhaut von vornherein einer localen Therapie
zu unterwerfen, die darauf hinausläuft, die gesammten Circulations- und Er-
nährungsverhältnisse in einem für die Abtheilung der Entzündung günstigen
Sinne zu beeinflussen, die Schleimhaut „umzustimmen".
In vielen Fällen genügt hierfür die regelmässige Application von
Pulvern, die entweder einfach einen Reiz auf die Schleimhaut ausüben oder
in verschiedenem Grade adstringiren oder ätzen. Zu den erstem gehören
das Mentholboraxpulver ((0"1 : 10, Hartmann's Poliklinik), der Borax und die
Borsäure unvermischt; zu den letzteren Ärgent. nitric. (0*05 — 0-.5:10"0),
Acid. tannic. {l'0 — b'0:10'0), Bismuth. subnitric. (5'0: 10"0); Alaune und Zink-
sa^se sind zu vermeiden, weil sie die Riechzelle n schädigen.
Als Excipientia für die angeführten Medicamente werden Talcum oder Amylum
oder Sacch. lad. benützt.
Die Application der Pulver geschieht
entweder durch Aufschnupfenoder durch
Einblasen mit dem Pulverbläser
(Fig. 6). Es folgt darauf unmittelbar eine
Reaction, die in reichlicher, wässeriger
Secretion, brennendem oder stechendem, oft
nach Auge und Stirn ausstrahlendem
Schmerz, Niesen und Thränenfluss besteht.
Die Stärke der Reaction bestimmt die
Häufigkeit der Application des Pulvers. Im
allgemeinen kann man die milderen Pulver
2— 3mal täglich auf beiden Seiten, die
stärkeren ein- bis zwei- täglich anwenden lassen und dann immer nur auf einer
Seite, abwechselnd rechts und links.
Statt der Pulver kann man die entsprechenden Lösungen in Wasser
€der verdünntem oder reinem Glycerin oder Oel mit der watteumwickelten
Sonde aufpinseln. Die Pinselungen können aber richtig nur vom Arzte aus-
geführt werden und verbieten sich deshalb für eine Reihe von Fällen von
selber. Auf der anderen Seite hat man dafür den Yortheil, mit der Wirkung
des Medicamentes zugleich die Massage verbinden zu können. Ja manche
glauben, dass der Massage der Hauptantheil zukommt und betrachten das
Medicament lediglich als das unterstützende Princip. Die Massage wird vor-
zugsweise in Form der Vibrationen ausgeübt (M. Braun, Verh. des X.
Internat, medic. Congr. in Berlin 1890, Abth. XII. S. 113 fi'.; Lakee, Die Heil-
erfolge der Schleimhautmassage, Graz 1892; Garnault, Le massage vibra-
toire et electrique des muqueuses etc. Paris 1894), von Yulpjüs neuerdings
auch in Form von Streichungen (Arch. f. Ohlk. 36, Heft 3).
Bei sehr hartnäckigen Katarrhen erweisen sich oft Aetzungen mit
Argen t. nitric. in Substanz nützlich. Man schmilzt etwas davon an eine
Fig. 6. Pulverbläser.
560
RHINITIS.
Sonde und zieht damit mehrere parallele Längsstriche über die erkrankte
Schleimhaut. Diese Aetzungen sollen keine tiefergehenden Wirkungen ent-
falten. Sie sollen nicht zerstören, sondern energisch umstimmen.
Nasenbäder und Douchen mit differenten Mitteln sind zu
widerrathen. Sie können durch Zerstörung des Riech epithels unheilbaren
Schaden stiften.
Zur Beseitigung der fibromatösen Verdickungen stehen uns zwei
Mittel zu Gebote: die kalte schneidende Schlinge und die galvano-
kaustische Zerstörung. Beide ergänzen einander. Die Schlinge be-
nutzen wir bei circumscripten, die Galvanokaustik bei diffusen Neubildungen;
die Schlinge lieber bei Weniger gefässreichen, die Galvanokaustik bei tele-
angiectatischen Neubildungen. Oft müssen wir beide nach einander an-
wenden. Beide Operationen werden unter Cocainanästhesie ausgeführt.
Die kalte schneidende Schlinge unterscheidet sich von den
Schlingen der meisten Operateure dadurch, dass der Schiingendraht in die
Führungsröhre hineingezogen werden kann. Der Draht ist aus Stahl, er muss
federn und soll etwa 0-4 mm stark sein. Wir benutzen einen besonders her-
gerichteten Claviersaitendraht. *) — Die Wirkung einer solchen Schlinge ist
die, dass sie schneidet und quetscht zugleich, aber mehr schneidet als quetscht.
Man kann deshalb selbst derbere Tumoren damit glatt abtragen, wie mit einem
Messer, ohne zu reissen oder zu rupfen. Und doch ist die Blutung wegen der
quetschenden Componente viel geringer als beim Messerschnitt.
Zeigefinger
Mittelfinger
Fig. 7. Hartmann'scher Sehlingenschnüier. */a.
Fig. 8.
Vortreffliche Schlingenschnürer sind die von Hartmann (Fig. 7) und von Krause
(Fig. 8). Um sie mit Vortheil anzuwenden, muss man sie freilicli genau kennen und sieb
mit ihrer Armirung und Handhabung vertraut machen. Ausführliches darüber habe ich
an anderm Orte **) gebracht.
Um mit unserer Schlinge einen Tumor abzutragen, formt man sie ein
klein wenig grösser als der grösste Umfang des Tumors ist. Sie lässt sich
*) Erhältlich bei H. Windler in Berlin.
**) Zarniko, 1. c.
RHINITIS. 561
dann um so leichter darüber hinweg bis zur Basis vorschieben. Hier wird
das Ende der Führungsröhre gegen den Tumor angedrängt und unverrück-
bar festgehalten, während man den Schlitten in festem Zuge gegen den
Daumenring hinzieht. Nur der Schlitten darf sich bewegen und mit
ihm der Schiingendraht, alles übrige soll feststehen. Oft wird man bei
derberen Tumoren, um das zu erreichen, die rechte Hand mit der anderen
unterstützen, nachdem diese das Speculum weggelegt hat.
Auf diese Weise ist die Abtragung von Verdickungen an den vorderen
Muschelenden kinderleicht. Die Schwierigkeit wächst, je weiter nach hinten
die Tumoren sitzen, und die Abtragung verdickter hinterer Muschelenden wird
vielfach als eine sehr schwere Operation ausgegeben. Sie ist es in der That
nur für die, die nicht geübt sind, auch die hintersten Theile der Nase, die
hintere Rachenwand und den Levatorwulst in allen Fällen vorn zu inspiciren
(vgl. d. Artikel Allg. Diagnostik). Für uns bleiben nur sehr wenige Fälle
übrig, in denen es nicht gelänge, die Schlinge ohneweiteres von vorn her
auch um Tumoren zu legen, die in den hintersten Theilen der Nase sitzen.
Die Ausnahmsfälle sind solche, in denen weiter nach vorn sitzende Geschwülste,
stärkere Auswüchse oder Verbiegungen des Septums die Inspection verhin-
dern. Gewöhnlich sind diese Hindernisse derart, dass sie an und für sich
die Athmung beeinträchtigen. Man hat dann also ein gutes Recht, sie zu-
vörderst zu beseitigen und die Exstirpation des dahinterliegenden Tumors
später folgen zu lassen. Man wird so dem Patienten am meisten nützen.
Wenn die Bahn von vorüber bis zu dem verdickten Muschelende frei
ist, so ist dessen Abtragung mit unserer Schlinge durchaus nicht so schwierig.
Wir sehen ja den Tumor nach gehöriger Cocainisirung der übrigen Schleim-
haut deutlich vor uns, können ihn mit der Sonde eindrücken, bewegen, auf-
heben und uns dadurch hintere Rachenwand und Levatorwulst zn Gesicht
bringen! Der Schlinge geben wir für den vorliegenden Zweck am vorderen
Ende der Führungsröhre eine leichte Abknickung, für einen linksseitigen
Tumor nach der concaven, für einen rechtsseitigen nach der convexen Seite
des Schlingenschnürers hin. Wenn wir die also präparirte Schlinge zwischen
unterer Muschel und Septum vorschieben, so ist sie in einem spitzen, nach
vorn offenen Winkel zur Muscheloberfläche gerichtet. Sie streift über die
Oberfläche hin, diese leicht eindrückend, wird wohl auch etwas zurückgebogen.
Sobald sie aber im Nasenrachenraum angelangt ist, federt sie zurück und
legt sich von selbst hinter den Tumor. Wir brauchen sie jetzt nur ein wenig
vorzuziehen und haben ihn gefangen.
Hat man es mit einer grösseren Anzahl von Fibromen zu thun, die die
Muschel in ihrer ganzen Ausdehnung besetzt halten, so empfiehlt es sich, von
vorn nach hinten vorzugehen. Die Blutung ist nach ausreichender Cocaini-
sirung so gering, kann durch Ausschnauben und Tupfen so vollkommen be-
herrscht werden, dass sie niemals die Fortsetzung der Operation verhindert.
Die abgetragenen Stücke werden entweder ausgeschnoben oder mit der Zange
herausgeholt. Tumoren der hinteren Enden fallen oft in den Rachen hinab
und werden ausgespuckt oder wohl auch einmal verschluckt.
Der Schmerz bei der Operation ist nicht der Rede wert. Ledig-
lich beim Zuschnüren wird ein Ziehen oder Stechen empfunden, das vorn
nach den Vorderzähnen, in der Mitte nach den Backzähnen, hinten nach dem
Halse und dem gleichnamigen Ohre, von allen Stellen nach dem Auge und
der Stirn ausstrahlen kann.
Die Blutung während der Operation ist sehr gering. Bei der Exstir-
pation eines haselnussgrossen, gefässreicheu Fibroms beträgt sie vielleicht
einen Kaffeelöffel voll.
Auf die Operation folgt die Säuberung des Patienten von Blut und
Schleim, die ihm auf Lippe und Bart geflossen sind. Er erhält ein Stückchen
Ohren-, Nasen-, Kachen-, Kehlkopfkrankheiten. ""
562 RHINITIS.
Watte in den Naseneingang und begibt sich schleunigst nach Hause mit fol-
gender Anweisung: Er hat sich mit erhöhtem Kopfe niederzulegen und einen
Napf neben sich in Bereitschaft zu stellen. Sobald die Cocainwirkung auf
die Vasoconstrictoren aufhört (nach 72 — 1 Stunde, manchmal noch später),
beginnt es etwas stärker zu bluten. Der Patient hat dann ruhig das Blut
nach hinten laufen zu lassen und von Zeit zu Zeit nach leichtem Erheben
und Seitwärtsdrehen des Kopfes in den Napf auszuspucken. Er darf nicht
aufstehen, sich nicht über die Schüssel beugen, nicht schneuzen oder pressen.
Er hat Niesen thunlichst zu vermeiden und darf keine aufregenden Getränke
geniesseu. Befolgt er diese Regeln, so hört die Blutung nach kurzer Zeit
ganz von selbst auf oder vermindert sich auf ein Minimum. Er darf dann
aufstehen und mit dem Wattebausch in der Nase seiner Beschäftigung nach-
gehen, wenn diese nicht Fluxion noch dem Kopfe mit sich bringt.
Auf diese Weise kann man bei unserer Operation unter allen Umständen
die Tamponade der Nase vermeiden, was sehr erstrebenswert ist. Denn
die Tamponade ist stets mit sehr lebhaften Belästigungen für den Patienten
verknüpft.
Manche wenden aus Furcht vor der Blutung statt der kalten die galvanokau-
stische Schlinge an. Wir halten diese P'urcht für unbegründet, wenn man die kalte
schneidende Schlinge richtig zu brauchen versteht. Dabei verliert der Patient ins-
gesammt selten mehr als 2 — 3 Esslöffel voll Blut, ein Verlust, den er gewiss ohne Störung
ertragen wird. Sichere Garantien in Betreff der Blutung gibt die Glühschlinge auch
nicht. Sie ist aber viel complicirter herzurichten und zu gebrauchen und die Reaction
(s. u.) danach ist bedeutend stärker.
Bluter darf man überhaupt nicht mit der Schlinge operiren.
Zur galvanokaustischen Zerstörung unserer Neubildungen be-
dienen wir uns des Spitzbrenners, Wir wollen dessen Anwendung an einem
Beispiel erläutern, in dem wir annehmen, dass eine diffuse Verdickung einer
unteren Muschel wegzubringen sei. Man legt dann nach gründlicher Cocaini-
sirung des Operationsgebietes den Brenner kalt ans hinterste Ende der Muschel,
lässt ihn erglühen und zieht ihn langsam und stetig nach vorn, während man
ihn fest ins Gewebe drückt, gleich als wollte man dieses durchschneiden.
Vorn wird der Brenner noch glühend — sonst backt er fest und muss
unter Blutung losgerissen werden — abgehoben, und nachdem der Contact
unterbrochen ist, schnell herausgezogen, ohne dass man den Introitus berührt.
Auf diese Art entsteht eine längsverlaufende tiefe Furche auf der Muschel.
Man fügt eine ähnliche parallel zur ersten oberhalb und unterhalb hinzu und
hat damit in der Regel die Operation beendet.
Während des Brennens füllt sich die Nase mit brenzlich riechendem Qualm,
der das Sehen verhindert. Man lässt ihn deshalb in kurzen Stössen ausblasen.
Der Schmerz bei der Operation ist selten nennenswert. Die meisten
Patienten klagen nur über den unangenehmen Geruch des eigenen verbrannten
Fleisches.
Bei einer richtig ausgeführten galvanokaustischen Operation darf kein
Tropfen Blut fliessen.
Ueberlässt man nach der Operation den Patienten sich selber, so tritt eine
recht heftige Reaction ein. Die Nase schwillt zu, ein reichliches wässeriges
Secret quillt hervor, starke Kopf- und Gesichtsschmerzen gesellen sich hinzu,
manchmal ist Frösteln und leichtes Fieber vorhanden. Am anderen Tage
findet man die operirte Partie von einer dicken, weissgelblichen Croup-
membran bedeckt, die aus netzartig verflochtenen Fibrinfäden mit spär-
lichen Eiterzellen besteht. Die Membran lockert sich am 4. — 6. Tage und
wird dann ausgeschnoben. Oefters bildet sie sich noch ein oder noch meh-
rere Male wieder.
In manchen Fällen entstehen im Laufe der Zeit sträng- oder brück en-
förmige Verwachsungen zwischen der operirten Muschel und dem Septum,
dessen Epithel durch strahlende Wärme des Käufers stellenweise lädirt ist.
RHINOSKLEROM IN DER NASENHÖHLE. 563
Alle diese Dinge fordern dringend dazu auf, eine kaut erisirte
Nase nicht sich selber zu überlassen, sondern sie sorgfältig nach-
zusehen und nachzubehandeln (Bresgen).
Wir können nämlich sämmtliche Heactionserscheinungen beträchtlich
vermindern, wenn wir unmittelbar nach der Operation eine Lage Derma toi
auf die Wunde blasen (Aronsoiin). Man wiederholt die Eini)ulverung am 1.,
(2.), 3., 5. Tage, später wöchentlich zweimal, immer nachdem man den Schleim-
eiter oder die Membran, sobald sie gelockert ist, weggewischt hat oder durch
Ausschnauben hat entfernen lassen.
Um ein Ekzem des Naseneinganges, das durch ätzendes Secret leicht
eintritt, zu verhindern, lässt man die Nasenlöcher fleissig mit Fett einsalben,
genau so wie beim Schnupfen (s. daselbst).
Bresgen empfiehlt statt der Pulverbehandlung, die Wunde täglich mit
Anilinfarbstoffen (Pyoctanin, Hexaäthylviolett, Methylenblau) in wässeriger
Lösung (0-3: 10*0) anzufärben. Es sollen dann sämmtliche Reactionserschei-
nungen ausfallen, nach Application des Methylenblaues auch die Membran-
bildung. Ein Nachtheil der Methode ist ihre öfters gar nicht zu vermeidende
Unsauberkeit.
Bemerkt man irgendwo Neigung zum Verkleben gegenüberliegender
Theile, so durchreisst man nach gründlicher Cocainisirung die suspecten
Stellen mit der Sonde und pulvert Dermatol dazwischen. Das wird alle
1 — 2 Tage wiederholt. Man bemerkt dann, dass die zur Verwachsung ten-
direnden Stellen abschwellen und dadurch weiter auseinanderrücken, wonach
die Ueberhäutung ungestört erfolgt.
Statt der Galvanokaustik kann man zur Zerstörung unserer Tumoren
auch die Aetzung mit Chromsäure oder mit Trichloressigsäure
anwenden. Sie stehen in ihrer Wirkung aber beide der Galvanokaustik nach.
ZARNIKO.
Rhinosklerom in der Nasenhöhle. Das skierom der oberen
Luftwege beginnt, wie neuere Beobachtungen lehren, gewöhnlich im Nasen-
rachen, von wo es sich nach vorn über die Schleimhaut und die Haut der
äusseren Nase (Rhinosklerom) und nach unten über Rachen, Larynx und
Trachea ausbreiten kann.
Das Infiltrat des Skleroms unterscheidet sich durch eine Reihe von
Eigenthümlichkeiten von den übrigen infectiösen Granulomen. Es besitzt eine
beträchtliche, knorpelartige Härte, nach der die Erkrankung benannt ist. Es
entsteht und vergeht aussergewöhnlich langsam. Es hat gar keine Neigung
-Zum Zerfall und zur Verschwärung, sondern führt zur Bildung von narben-
ähnlichem Bindegewebe, durch dessen Schrumpfung benachbarte Theile
nennenswerte Verziehungen und Gestaltveränderungen erleiden. Wenn darin
Substanzverluste durch Traumen oder Operationen entstanden sind, so schliessen
sie sich und überhäuten rasch.
Die mikroskopische Untersuchung des Infiltrates zeigt, dass es aus Zell-
haufen zusammengesetzt ist, deren Bau principiell mit dem der infectiösen
Granulome übereinstimmt. Eigenthümlich sind dem Skierom zahlreiche bläschen-
förmige Zellen (MiKULicz'sche Zellen), die wahrscheinlich durch hydro-
pische Quellung epithelioider Zellen entstehen. Diese Degeneration wird ver-
muthlich durch die Thätigkeit wohlcharakterisirter, dem FRiEDLlNDEE'schen
Kapselcoccus ähnlicher Bacillen hervorgerufen, die sich massenhaft in den
MiKULicz'schen Zellen vorfinden. Diese sind es auch, die nach der allge-
meinen Annahme den ganzen Process des Skleroms verursachen und sie
werden deshalb als Sklerombacillen bezeichnet.
Das Skierom ist ähnlich wie die Lepra an gewisse geographische Be-
zirke gebunden. In Europa sind seine Hauptherde Galizien, die Walachei,
Bessarabien und die daran grenzenden Striche. Ueberall aber wird die
36*
564 RHINOSKLEROM IN DER NASENHÖLE.
ärmere Volksclasse vorzugsweise ergriffen, die in den aufgeführten Gegenden
in unnennbarem Schmutz aufwächst. Man ist deshalb geneigt, schlechten sani-
tären Verhältnissen eine prädisponirende ßolle für das Sklerom zuzuschreiben.
Klinische Symptome und Verlauf. Die Krankheit entwickelt
sich schleichend, ohne Schmerzen, ohne Störung des Allgemeinbefindens. Die
Kranken sagen gewöhnlich aus, dass sie an einem langdauernden Schnupfen
litten und suchen die Hilfe des Arztes nach wegen zunehmender Nasenver-
stopfung. Die Rhinoskopie zeigt je nach dem Stadium der Erkrankung ver-
schiedene Bilder. Im Beginne sieht man die Schleimhaut diifus oder knoten-
förmig verdickt, anfangs stark geröthet mit einem Stich ins Bläuliche, später
blässer. Die knotenförmigen Infiltrate können entweder mehr in der Schleim-
haut liegen oder sich über deren Niveau halbkugelig oder pilzförmig erheben.
Ihr Lieblingssitz ist der vordere Abschnitt der Nasenhöhle, besonders das
vordere Ende der unteren Muschel. Im zweiten Stadium findet man die
Schleimhaut trocken, zuweilen mit harten Borken bedeckt, die einen pene-
tranten Fötor von so eigenthümlichem Charakter verbreiten, dass daraus allein
die Diagnose gestellt werden kann (Juffinger). Einigermaassen charakteri-
stisch ist die Veränderung des Nasenbodens. Er ist durch die Kraft des
schrumpfenden Bindegewebes in die Höhe gezogen, seine Oberfläche durch
seichte transversal von der Muschel zum Septum ziehende Fältchen gefeldert.
Excoriationen und oberflächliche Ulcera werden nur durch accidentelle Schäd-
lichkeiten hervorgerufen. Sie heilen bald ab, wenn solche ferngehalten werden.
Zuweilen schreitet der Process auf die äussere Haut der Nase und ihrer
Umgebung (Stirn, Wangen, Oberlippe) fort. Hier zeigt sich in seltenen Fällen
nur eine abnorme Härte der im übrigen normal erscheinenden Haut. Für
gewöhnlich ist die Haut diffus oder knotenförmig verdickt, braunroth oder
blauroth verfärbt.
Im Nasenrachen kommen die Frühstadien des Skleroms selten zur
Beobachtung, weil ja hier die Erkrankung zu beginnen pflegt, also schon in
das Stadium der Schrumpfung getreten ist, wenn die Kranken ärztliche
Hilfe nachsuchen.
Man findet dann gewöhnlich das Gaumensegel bis zur Horizontalstellung
in die Höhe gezogen, wodurch die Rhinoskopia posterior sehr erschwert ist;
die Tubenwülste vorgezogen, so dass die Tubenmündung nach vorn gerichtet
ist, wobei übrigens das Gehör wenig leidet; die Choanen concentrisch einge-
engt oder ganz verschlossen; an der hinteren Gaumensegelwand strahlige
gefältelte Narben.
Diagnose. Die Anfangsstadien des Skleroms können mit analogen
tuberkulösen Bildungen, ferner mit fibromatösen oder mit sarkomatösen Neu-
bildungen makroskopisch verwechselt werden. Neben der Berücksichtigung
der übrigen Schleimhautpartien, des Nasenrachenraumes, des Gaumensegels,
an denen sich beim Sklerom gewöhnlich schon ältere charakteristische Ver-
änderungen finden, dient die mikroskopische Untersuchung zur Feststellung
der Diagnose. — Im Stadium der Schrumpfung kommt die Differenzirung von
syphilitischen Residuen in Betracht. Dafür hat man folgende Anhaltspunkte:
bei abgelaufener tertiärer Lues findet man gewöhnlich Substanzverluste des
Nasengerüstes, beim Sklerom niemals; das Sklerom tritt stets symmetrisch
auf, die Lues tertiaria selten; die Syphilis ist immer mit Schmerzen und
gewöhnlich mit Allgemeinstörungen verknüpft, das Sklerom niemals.
Therapie. Weder Allgemeinbehandlung (Quecksilber, Jod, Arsen, Tuber-
kulin), noch locale Zerstörung sind im Stande, den Process zu vernichten.
Man muss sich deshalb damit begnügen, die Nase durchgängig und rein zu
erhalten. Dafür räth Juffinger, sich möglichst conservativer Methoden
(mechanischer Dilatation durch Einlegen von Bolzen) zu bedienen, da bei der
Involution der Infiltrate die Nase später spontan frei werde. zarniko.
RHINOSKLEROM DES LARYNX. 565
RhinOSklerom des Larynx. Die Ursache des Skleroms ist der zu-
erst von Fkitsch (1882) beschriebene Rhinosklerombacillus; es handelt sich um
kurze Stäbchen mit abgerundeten Enden, die von einer Gallerthülle (Kapsel)
umgeben sind, so dass sie den FitiEDLÄNDER'schen Pneumoniecoccen sehr
ähnlich sehen, unterscheiden sich von ihnen aber u. a. dadurch, dass sie in
Milch wachsen, ohne sie wie jene zur Gerinnung bringen.
Es bilden sich unter der Einwirkung dieser in die Schleimhaut ein-
gedrungenen Bacillen circumscripte, weiche, rothe, glatte oder drüsige Tumoren,
die allmählich hart werden; ihre Oberfläche wird blasser, besonders und zuerst
im Centrum, die Umgebung atrophirt ebenfalls, und es entsteht an Stelle des
Knotens eine strahlige Narbe. Oder aber statt der Knoten — und das ist
das häufigere im Larynx — findet sich ein diffuses Infiltrat, mit besonderer
Vorliebe in der Regio hypoglottica; die befallene Partie zeigt eine anfänglich
rothe, später blasse gleichmässige Verdickung, die bis in die Tiefe auf den
Knorpel dringt.
Die Schleimhaut durchsetzt sich mit Rund- und Spindelzellen, die später
sich in Bindegewebe umwandeln und zur Schrumpfung resp. Narbenbildung
führen. Selten kommt es zur Bildung von Ulcerationen, und diese sind dann
nur sehr oberflächlich.
Symptome. Die am häufigsten beobachtete Veränderung im Kehlkopf
ist die gewöhnlich doppelseitig ausgebildete Geschwulstbildung unterhalb der
Stimmbänder, so dass sich im Spiegelbilde unter denselben je ein blassrother,
glatter, oder grauweisser, feinhöckeriger Wulst zeigt. Aus den Infiltraten
bilden sich infolge der fortschreitenden bindegewebigen Schrumpfung nicht
selten membranöse Narben. Weiter oben findet man gewöhnlich am Taschen-
band, und zwar an der Abgangsstelle der aryepiglottischen Falte, harte Infil-
trate, durch deren Schrumpfung die Umgebung verzogen wird; in diesem
Falle z. B. werden die Aryknorpel gegen die Epiglottis gezogen, und die
aryepiglottischen Falten verlaufen mehr in querer Richtung, so dass der
Larynxeingang erheblich verengt wird. Diese Verengerung kann sich nach
unten zu fortsetzen, wenn eben der sklerosirende Process auch nach abwärts
steigt. Ausserdem aber kann auch noch durch Circulationsstörungen ein
Oedem in den befallenen Partien entstehen und so das Lumen noch mehr
verengern. Das Secret ist meist zäh, borkig und hat einen faden Geruch.
Die gewöhnlichen Zeichen sind Heiserkeit und Husten, der wegen der
erschwerten Expectoration meist sehr quälend ist. Vor allen aber macht sich
fast regelmässig infolge der Verengerung des Lumens Athemnoth bemerkbar.
Die Diagnose ist nicht immer leicht, sie stützt sich auf die Beobach-
tung der beschriebenen Knoten und Infiltrate. Immer untersuche man Nase
und Rachen, und vor allem den Nasenrachen, in dem am häufigsten der
Process beginnt; hier werden sich wohl immer ähnliche Verdickungen finden.
Gegenüber der Syphilis charakterisirt sich der sklerotische Process da-
durch, dass seine Infiltrationen einen sehr langsamen Verlauf zeigen, schmerz-
los sind und fast nie zur Geschwürsbildung führen.
Eine Sicherstellung der Diagnose geschieht durch den Nachweis von
Rhinosklerombacillen in excidirten Partien.
Die Prognose ist getrübt durch die Gefahr der Suffocation infolge
einer Laryngostenose.
Die Behandlung ist gegenüber dem eigentlichen Process resultatlos.
ScHRöTTER empfiehlt zur Erleichterung der Expectoration Einathmungen von
Hollunderthee, Terpentindämpfen u. a. ^
Die Stenose behandle man mit Schrötter' sehen Bougies; Lunin sah
einmal nach der Intubation eine Besserung derselben eintreten.
A. Rosenberg.
566
RHINOSKOPIE.
RhinOSkopiß. Die Besichtigung der Nasenhöhle wird auf zwei Arten
vorgenommen, von den äusseren Nasenöönungen aus {Rhinoskopia anterior)
und von hinten {Rhinosho^pia posterior). Beide Methoden müssen, wenn die
Untersuchung der Nase eine vollständige sein soll, angewandt werden, da
sie sich erst gegenseitig ergänzen. Für die Ausführung der Rhinoskopie ist
vor allem eine Lichtquelle nöthig. Die beste aller Beleuchtungsarten ist die
Sonne, die das hellste und weisseste Licht liefert, die aber nur den grossen
Nachtheil hat, dass sie nicht immer zur freien Verfügung steht und oft
gerade dann, wenn wir sie nöthig gebrauchen, nicht vorhanden ist. Das
Sonnenlicht lässt man entweder direct in die Nasenhöhle hineinfallen oder,
was angenehmer und besser ist, mittelst eines Hohlspiegels, ßetlectors, der
mittelst eines Stirnbandes am Kopfe des Untersuchers befestigt wird. Von
künstlichen Lichtquellen kommt dem Sonnenlicht am nächsten das elektrische
Licht, die elektrische Glühlampe, für deren Speisung der Strom entweder von
der Dynamomaschine einer Centralstation oder von den jetzt vielgebrauchten
Accumulatoren geliefert wird. Als andere Lichtquellen dienen das ausge-
zeichnete AuER'sche Gasglühlicht, die einfache Gasflamme, die Petroleum-
flammen (Mitrailleusenbrenner), und schliesslich ist im Nothfalle auch eine
gewöhnliche Kerze zu benutzen. Wohl zu beachten ist, dass nur das Sonnen-
licht die Theile der Nasenschleimhaut in ihrem natürlichen Colorit erscheinen
lässt, und dass nur die elektrische Beleuchtung auch hierin wohl dem Sonnen-
licht am nächsten kommt, dass sie die Schleimhaut in ihrer natürlichen Farbe
zeigt, während andere Beleuchtungsarten, indem sie zu der eigentlichen Farbe
der Schleimhaut die verschiedenen Farben ihres eigenen Lichtes hinzufügen,
dieselbe immer etwas röther erscheinen lassen. Will man genau untersuchen,
so ist stets eine intensive Beleuchtung erforderlich, und dies gilt auch speciell
für operative Eingriffe in der Nasenhöhle. (Bezüglich der Lichtquellen siehe
auch ^.^Pharyngoskopie"- .)
A. Rhinoskopia anterior.
Einen Einblick in den vorderen Theil der Nasenhöhle kann man schon
erhalten, wenn man den Patienten einem hellen Fenster gegenübersetzt, den
Kopf desselben nach hinten überbeugt und die Nasenspitze etwas nach oben
drängt. Je nach der Intensität der Beleuchtung und der Weite der Nasen-
löcher wird man im Stande sein, einen grösseren oder kleineren Theil des
Naseninneren zu überblicken. Um die Nasenhöhle aber vollkommen übersehen
zu können, ist es erforderlich, den Naseneingang zu erweitern und
das Licht soviel wie möglich hineinfallen zu lassen. Hierfür ist eine
grosse Zahl von Nasenspecula angegeben, wie das Nasenspeculum
von DuPLAY, VoLTOLiNi, Hartmann u. s. w. (siche Fig. 1, 2, 3).
Welches Speculum das beste ist, lässt sich schwer sagen, da
hierin Gewohnheit und Uebung des Untersuchers zu sehr ins
Gewicht fallen. Ein sehr practisches und einfaches Speculum hat
JuRASz publicirt. Es hat
gleichzeitig den unbe- '^'^s- 1- Kg- 2.
streitbaren Vorzug, dass
es zu jeder Zeit und über-
all und zwar mit Hilfe
einer Haarnadel herzu-
stellen ist. Wir benützen
mit Vorliebe den von
B. Fränkel construirten
Nasenspiegel (siehe Fig. 4
und 5) und als Licht-
quelle eine elektrische
Fig. 3.
Nasenspeculum
nach Duplay.
Speculum nach
Voltolini.
Speculum nacli
Ilartmann.
RHINOSKOPIE.
567
Speculum nach B. Fränkel.
Glühlampe (Elektroskop nach L. Jacobson, ^'»- *•
bei welchem der Beleuchtungsapparat an
einem über den Kopf zum Nacken reichenden
Stahlbügel befestigt ist). Bedient man sich
eines Reflectors, so muss das Licht zur rechten
Seite des Patienten stehen.
Die Ausführung der Rhinoskopia anterior
geschieht derartig, dass man erst mit dem
Daumen die Nasenspitze leicht in die Höhe
hebt, die Ränder der Nasenlöcher und das
Vestibulum nasi genau besichtigt und dann
das Speculum geschlossen einführt, aber nicht
zu tief, und zwar nur so weit, dass die Spitze
des Instrumentes vor dem vorderen Ende
der unteren Muschel noch zu liegen kommt,
worauf man die Branchen des Speculums
durch langsames Drehen an der Schraube (bei B. Fränkel) oder durch Druck
auf die Griffe (Hartmann) so weit als möglich von einander zu entfernen sucht.
Das Nasenloch darf nicht zu weit gedehnt werden, da man sonst dem Patienten
grosse Schmerzen und leicht Einrisse am Naseneingang verursachen kann. Eine
vorsichtige Einführung und behutsame Erweiterung des Nasenspiegels ist
namentlich erforderlich bei Kranken, die wegen Nasenblutens in Behandlung
kommen, weil gerade am vorderen unteren Theil der Nasenscheidewand (Kiesel-
BACH'sche Stelle) die Stelle sich befindet, die häufig Ursache der Epistaxis
ist. Verlegen Krusten den Naseneingang, so müssen dieselben vor Einfüh-
rung des Speculums entfernt werden.
Will man den unteren Nasengang, den hinteren Theil der unteren
Muschel, sowie den Nasenboden untersuchen, so neige man mit der auf den
Scheitel des Patienten gelegten rechten Hand den Kopf nach vorn und unten.
Beugt der Kranke den Kopf nun nach rückwärts, so verschwindet der Nasen-
boden und der hintere Theil der unteren Muschel, und man erblickt nun die
mittlere Muschel, den mittleren Nasengang und den oberen Theil der Nasen-
scheidewand. Dem vorderen Ende der mittleren Muschel gegenüber sieht
man das Tuberculum septi, zwischen mittlerer Muschel und Nasenscheide-
wand befindet sich die Rima olfactoria, in die man in den seltensten Fällen
hineinsehen kann. Die obere Muschel kann man mittelst der Rhinoskopia
anterior unter normalen Verhältnissen nicht sehen und ebensowenig den oberen
Nasengang von vorn. Wohl aber gelingt es in den meisten Fällen, von vorn
die hintere Pharynxwand zu sehen, namentlich dann, wenn das Naseninnere
nicht zu eng und das Septum keine starken Verbiegungen zeigt. Die Er-
kennung der Wucherungen der Pharynxtonsille ist in vielen Fällen schon
durch diese Art der Untersuchung ermöglicht. Nicht zu selten kann man
auch von vorne den oberen Choanenrand als einen nach unten concaven
Bogen erkennen und die Bewegungen des Gaumensegels beim Anlauten von
Vocalen beobachten. Oberhalb dieses Bogens liegt die vordere Fläche der
Keilbeinhöhle, unter demselben beginnt die hintere Rachenwand. Zwischen
mittlerer und unterer Muschel liegt der mittlere Nasengang mit dem in seinem
vorderen Theile befindlichen Hiatus semilunaris, in den sich der grösste
Theil der Nebenhöhlen der Nase eröffnet, und zwar die Kiefer-, Stirnhöhle,
vordere und mittlere Siebbeinzellen. Deshalb ist bei der Untersuchung gerade
auf den mittleren Nasengang besonders Gewicht zu legen.
Die Untersuchung der Nase von vorn ist eine leichte und kann schnell
ausgeführt werden. Man unterlasse es nie, namentlich beim weiblichen Ge-
schlecht die betreffende zu untersuchende Person auf die Ungefährlichkeit
des Speculums aufmerksam zu machen und derselben zu erklären, dass durch
568 RHINOSKOPIE.
das Dilatiren des Nasenloches keine Schädigung in Betreff der Form der Nase
zurückbleibt. Auch versäume man nicht, die Nasenspitze von innen mittelst
eines an den Naseneingang gehaltenen, natürlich vorher erwärmten kleinen
Kehlkopfspiegels zu untersuchen, da gerade in dieser Bucht häufig kleine
Schrunden und Furunkel sitzen, die Ursache grosser Schmerzen sein können
und wegen ihres versteckten Sitzes leicht übersehen werden. Zur Untersuchung
des Naseneinganges und des vordersten Theiles des Nasendaches empfiehlt
Wagner neuerdings das Einführen kleiner Spiegel, wie sie zur hinteren
Rhinoskopie verwandt werden. Der Naseneingang wird erst mittelst des
Nasenspeculums erweitert, und dann der Spiegel zwischen den Branchen
desselben eingeführt mit nach vorn und oben spiegelnder Fläche.
Mit Rhinoskopia media bezeichnet Kilian eine Untersuchungs-
methode, welche die Bestimmung hat, uns gewisse Spalträume im Inneren
der Nase sichtbar zu machen, zu deren Betrachtung weder Rhinoskopia an-
terior noch posterior ausreichen. Er benutzt dazu das verlängerte Kramer-
HARTMANN'sche Naseuspeculum, dessen Branchen nach vorheriger Cocainisirung
der Theile zwischen mittlerer Muschel und Scheidewand, also in die Rima
olfactoria, und zwischen mittlerer und unterer Muschel eingeführt werden.
Die Untersuchung erfordert ein langsames geduldiges Vorgehen und nimmt
daher einige Zeit in Anspruch, Es gelingt auf diese Weise, die beiden seit-
lichen Wände der Riechspalte von dem freien Rande der mittleren Muschel
bis zur Lamina cribrosa vollständig zu übersehen. Der obere Nasengang und
die obere Muschel markiren sich oft nur wenig. Man übersieht die vordere
Keilbeinfläche und die Mündung zur Keilbeinhöhle, den Eingang zur Stirn-
höhle und den mittleren Siebbeinzellen, wodurch die Diagnose der Neben-
höhlenerkrankungen und die Sondirung derselben wesentlich erleichtert wird.
j,.^ g Zu einer genauen Untersuchung
des Naseninneren gehört unbedingt
der Gebrauch der Sonde, ohne
welche man in den meisten Fällen
keine sichere und vollständige
Diagnose stellen kann (s. Fig. 6).
Biegsame Sonde nach B. Fränkel. ^S^ ]y[j|. ^gj. gondo ermitteln Wlr die
Consistenz der Schleimhaut, ob die
inspicirten Gebilde pathologische oder normale sind, ob eine Schleimhaut-
schwellung oder Neubildung vorliegt, die Empfindlichkeit der Schleimhaut,
die Beschaffenheit ihrer Oberfläche, den Grad der Schleimhautschwellung durch
Hineindrücken mit der Sonde; wir können durch die Sondirung die An-
wesenheit von Fremdkörpern erforschen, auf der Schleimhaut festliegende
Borken entfernen, und die den Einblick in die Tiefe störenden Schwellungen
der Mucosa bei Seite schieben, um einen besseren Einblick in die Tiefe der
Nasenhöhle zu erhalten. Letzteres erreicht man auch durch Application von
Cocain (5 oder lO^o), entweder mittelst Spray oder kleiner Wattebäuschchen.
Ebenso ist die Sonde erforderlich zur Erkennung der Ursprungsstelle von
Neubildungen, zur Bestimmung der Beweglichkeit derselben, zur Diagnose
der Affection der Knorpel und Knochen, zur Erforschung der von der Nase
ausgehenden Reflexneurosen, und schliesslich zur Untersuchung der ver-
schiedenen Nebenhöhlen der Nase.
B. Rhinoskopia posterior.
Diese Untersuchungsmethode ist bedeutend schwieriger zu erlernen wie
die erste, und erfordert viel Ruhe und Geduld, sowohl von Seiten des Arztes
wie seitens des Patienten. Die Lichtquelle muss recht intensiv sein. Zur
Untersuchung lasse man den Patienten den Mund so w^eit wie möglich öffnen.
Man befehle ihm, ruhig durch die Nase zu athmen und die Zunge am Boden der
RIIINOSKOPIE.
569
i-<'ig. 7.
Fig. 8.
Zungenhalter
nach B. J;'ränkel.
Mundhöhle liegen zu lassen, was aber leichter gesagt wie ausgeführt ist. Da nur
wenige Menschen im Stande sind, willkührlich ihre Zunge am Boden festzu-
halten (am besten können dies Sänger), so muss man die Zunge mittelst ge-
eigneter Instrumente niederdrücken. Die Zahl der verschiedenen Zungen-
spatel ist eine grosse (Tüek, Hartmann, Tobold). Wir bedienen uns des
von B. Fkänkel angegebenen (s. Fig. 7
und 8). Man drücke mit demselben die
Zunge leicht herunter und nach vorn,
indem man ihn auf den Zungenrücken
aufsetzt und nun langsam, aber kräftig
und nicht ruckweise herunterdrückt. Die
Hauptsache ist nun, dass der weiche
Gaumen schlaff herunterhängt, und die
Entfernung zwischen Gaumensegel und
Rachenwand so gross wie möglich wird.
Ist es gelungen, mit der linken Hand die
Zunge ruhig am Mundboden zu fitxiren,
und macht der Patient keine Würg-
bewegungen, so führe man mit der rechten
Hand einen vorher angewärmten Kehlkopf- nrc'h ^Tobow.
Spiegel schreibfederartig vom linken Mund-
winkel aus in die Mundhöhle, die Spiegel-
fläche dem harten Gaumen zugekehrt, und neben dem Zäpfchen durch die
linke oder rechte Arcade bis in den Rachenraum hinein. Man hüte sich aber,
irgendwo die Schleimhaut mit dem Spiegel zu berühren, da dies sofort eine
Würgbewegung zur Folge haben würde.
Wir benutzen zur Untersuchung einfache runde Kehlkopfspiegel, welche
in einem Winkel von etwas über 90*' zum Stiel gestellt sind. Erst wird die
Untersuchung mit einem kleinen Spiegel vorgenommen, um allmählich, wenn
der Patient schon etwas eingeübt ist, zu grösseren überzugehen. Nur selten
gebrauchen wir die verstellbaren Nasenrachenspiegel (Michel, B. Fränkel).
Um ein vollkommenes Bild vom Nasenrachenräume und dem hinteren
Theil der Nasenhöhle zu bekommen, muss der Spiegel nach allen Richtungen
zweckmässig gedreht und gestellt werden. Erst durch die Zusammenstellung
der verschiedenen kleinen Bilder, die man jedes Mal sieht, wird man im
Stande sein, sich das Gesammtbild zu construiren.
Die Untersuchung wird um so leichter sein, je grösser der Abstand des
weichen Gaumens von der Rachenwand ist; dadurch, dass der Patient bei der
Untersuchung den Kopf etwas nach vorn neigt, entfernt sich das Gaumen-
segel mehr von der Rachenwand. Kinder lässt man bei der Untersuchung
des Nasenrachenraumes und der hinteren Nasenhöhle am besten stehen. In
den meisten Fällen gelang es uns, auch bei Kindern von nicht zu jugend-
lichem Alter bei etwas Geduld die Rhinoskopia posterior auszuführen, so dass
wir behufs einfacher Diagnosenstellung nur selten die für die Kinder sehr pein-
liche digitale Untersuchung des Cavums ausführen brauchten. Wir geben
sowohl bei Erwachsenen wie bei Kindern der postrhinoskopischen Unter-
suchung vor der Palpation entschieden den Vorzug. Die Palpation kann man
in der Weise ausführen, indem man das Gaumensegel in Ruhestellung zu
bringen sucht und dann schnell ohne Gewalt mit dem gleichsam auf der
Lauer liegenden Zeigefinger in den Nasenrachenraum eindringt.
Wenn trotz Geheiss, ruhig durch die Nase zu athmen, das Gaumensegel
sich an die hintere Rachenwand anlegt und dadurch die Untersuchung illu-
sorisch wird, so versuche man, eine Erschlaffung des Gaumensegels dadurch
herbeizuführen, dass man den Patienten schnüffelnde Inspirationen mit der
Nase ausführen oder einen nasalen Ton (französisches an, on) angeben lässt.
570
RHINOSKOPIE.
Bei einzelnen Patienten (namentlich Säufern und Rauchern) ist die Reizbarkeit
des Rachens so gross, dass schon die Einführung des Zungenspatels und noch
mehr die des Kehlkopfspiegels genügt, um eine Würgbewegung und damit
einen Verschluss des Nasenrachenraumes herbeizuführen. Hier kann nur
Ruhe und Geduld zum Ziele führen, indem schliesslich der Patient selbst
lernt, das Gaumensegel in schlaffem Zustande zu erhalten. Etwas erleichtern
kann man sich die Untersuchung durch Einpinselung der Schleimhaut mit
5°/oigei' Cocainlösung. Schliesslich können wir auch, wenn wir auf andere Weise
nicht zum Ziele kommen, mechanisch einen genügenden Abstand des weichen
Gaumens von der hinteren Rachenwand durch die von den verschiedensten
Autoren Hopmann, Barth etc. empfohlenen Gaumenhaken erreichen. Volto-
LiNi (s. Fig. 9) empfahl, mit einem nach Art der Mundhaken construirten
Instrumente durch einen kräftigen Zug das Gaumensegel nach vorn zu ziehen.
Die Uvula kommt hiebei auf die Aushöhlung des Hakens zu liegen. (Fig. 10
Gaumenhaken nach B. Fränkel.) Bequemer sind noch die feststellbaren
Gaumenhaken, die durch besondere Vorrichtungen sich selbst fixiren (s. Fig. 11
nach Hartmann, Fig. 12 nach Moritz Schmidt, Fig. 13 nach Krause.)
Fig. 10.
Fig. 12
Fig. 13.
Gaumenhaken,
nach Voltolini,
a mit Fenster
b ohne Fenster.
Gaumenhaken
nach B. Fränkel.
Gaumenhaken
nach
Hartmann,
Gaumenhaken
nach
Moriz Schmidt.
Gaumenhaken
nach
Krause.
Diese sind dem VoLTOLiNi'schen deshalb vorzuziehen, weil
nun die eine Hand frei ist und einem anderen Zwecke dienen
kann (operativer EingrijS, Sondirung.)
Das postrhinoskopische Bild: Zuerst suche man sich stets die
Nasenscheidewand auf, die zur Orientirung des Gesammtbildes dienen kann.
Das Septum erscheint genau in der Medianlinie gelegen als eine gerade bicon-
cave Leiste von etwas blassrother Färbung, zu beiden Seiten liegen die
Choanen, zwei länglich ovale Höhlen, in denen zu jeder Seite die hinteren
Enden der drei Nasenmuscheln erscheinen. Am deutlichsten ist die mittlere
Muschel zu sehen. Um die unterste Muschel zu inspiciren, muss man den
Spiegel mehr senkrecht stellen, das heisst, man muss den Spiegelgriif senken.
Stellt man die spiegelnde Fläche des Spiegels mehr horizontal, hebt man also
mehr den Griff, so zeigt sich das Rachendach (Fornix) mit der Rachentonsille,
welche letztere bei der Untersuchung des Cavum nasopharyngeum eine wich-
tige Rolle spielt. (Adenoide Vegetationen.) Die obere Muschel, welche die
kleinste ist, liegt häufig ganz versteckt und ist in vielen Fällen nur undeutlich
zu sehen. Zwischen den Muscheln liegen die einzelnen Nasengänge, von
RÖNTGENUNTERSUCHUNG IN DER RHINO-LARYNGOLOGIE. 571
denen der unterste durch das Gaumensegel meist verdeckt ist. Macht man
nun mit dem Spiegel eine Rotation nach aussen nach rechts oder links, so
sehen wir die Seitenwand des Nasenrachenraumes. Hier fällt sofoi't ein starker,
von aussen nach innen vorspringender, etwas rundlicher Wulst von röthlich
gelber Farbe auf, der Tubenwulst, in dessen unterem mittleren Theil die
meist an ihrer gelben anämischen Farbe leicht erkennbare trichterförmige
innere Ohröffnung, der Tubeneingang, erscheint. Derselbe wird nach vorn
zu von der Plica salpingo-palatina, nach hinten zu von der Plica salpingo-
pharyngea eingeschlossen. Zwischen beiden Falten erhebt sich der Levatorwulst.
Mehr nach aussen und hinter den Tubenwülsten befindet sich die ItOSEX-
MüLLER'sche Grube. scheiek.
Röntgenuntersuchung in der Rhino - Laryngologie. Nachdem
Röntgen am Ende des Jahres 1895 in der Würzburger physikalisch-
medicinischen Gesellschaft zum ersten Male über eine neue Art von Strahlen
berichtet hatte, welche, ohne der Re- und Infraction zu unterliegen, die
eigenthümliche wunderbare Eigenschaft besitzen, eine Reihe für das gewöhn-
liche Licht sonst undurchdringbarer Substanzen zu durchstrahlen und ent-
sprechend ihrer Dichte mehr oder weniger durchsichtig zu machen, und welche die
Fähigkeit haben, sowohl auf einem mit fluorescirenden Substanzen, wie Barium-
platincyanür, präparirten Schirm, als auch auf der lichtempfindlichen
photographischen Platte Bilder zu erzeugen — ist sofort eine rege wissen-
schaftliche Thätigkeit der Naturforscher und Aerzte hervorgerufen worden, die
epochemachende Entdeckung den Zwecken der ärztlichen Kunst nutzbar zu machen.
Auch die Rhino- und Laryngologie hat sich bald dieses neuen Untersuchungs-
mittels bemächtigt und die Röntgenstrahlen für dieses Fach in Anwendung
gebracht. An der Hand der vorliegenden Literaturangaben, wie eigener Er-
fahrungen beabsichtige ich, einen Ueberblick über das bisher mit dem Ver-
fahren für das Gebiet der Nasen- und Halsleiden Erreichte zu geben und den
Wert und die Verwendbarkeit der neuen Untersuchungsmethode festzustellen.
Man kann auf zweierlei Weise die Untersuchung mittelst der X-Strahlen
vornehmen. Die eine Art ist die, dass man in einem absolut dunklen Räume
die eine Seite des Gesichtes oder des Halses des zu Untersuchenden der
Röntgenröhre zukehrt und nun den Fluorescenzschirm an die andere Seite dicht
heranhält. Damit man nicht bei der Untersuchung durch den über den Kopf
hervorragenden Theil des Schirmes geblendet wird, ist es angebracht, einen
nicht zu grossen Schirm zu nehmen. Für die Besichtigung des Kehlkopfes
eignen sich am besten ganz kleine Schirme in der Grösse von 9:12. Die
andere Untersuchungsmethode ist die, dass man an die Stelle des Schirmes
die photographisch empfindliche Platte setzt, auf welcher gleichfalls ein
Schattenbild von dem untersuchten Organ zur Entstehung kommt, wenn
es in der sonst in der Photographie üblichen Methode entwickelt und fixirt
wird. Beide Arten ergänzen sich und können sich gegenseitig theilweise
vertreten. Die photographische Platte ist aber viel empfindlicher als der
Schirm; die schärfsten Feinheiten wird man nur auf der Platte sehen
können. Bei der photographischen Aufnahme ist nur das Unangenehme,
dass, wenn auch die Expositionszeit gegen früher, wo sie 15 Minuten, ja noch
länger dauerte, infolge der von Tag zu Tag verbesserten Technik, sowohl
durch Verbesserung der Strahlenquelle, wie auch durch vollkommenere und
bessere Ausnutzung der einmal gewonnenen Strahlen (Levt, Cowl) schon
bedeutend herabgesetzt ist, immerhin dieselbe beim Kopfe circa 3 — 6 Minuten
im allgemeinen beträgt (mittelst Verstärkungsschirms noch weniger). Während
es bei der Leiche gelungen ist, gute photographische Aufnahmen vom Kehl-
kopf zu bekommen, auf denen die verschiedenen Einzelheiten der Knorpel,
und das feine innere Maschenwerk des Knochengewebes zu erkennen sind, so
können die bisherigen Aufnahmen vom Kehlkopf beim Lebenden nicht als ge-
572 RÖNTGENUNTERSUCHUNG
lungen betrachtet werden. Es liegt dies eben daran, dass die Patienten den Kehl-
kopf nicht längere Zeit in ruhiger Lage halten können. Wenn auch die Ver-
schiebungen des Kehlkopfes infolge Athmens, Schluckens, Pulsirens der benach-
barten Gefässe nur ganz geringe sein mögen, so genügen sie doch dazu, ein
scharfes Bild auf der Platte nicht zu Stande kommen zu lassen. Nur durch eine
Momentaufnahme würde man von einem so beweglichen Theil, wie der Kehlkopf
es ist, ein gutes Bild erhalten; doch dazu ist die Lichtstärke vorläufig noch zu
gering. In letzter Zeit sind uns massige Aufnahmen vom Kehlkopf gelungen bei
einer Exposition von 8 — 12 Secunden, man kann auf ihnen die Schild- und
Bingknorpel sehr gut differenziren. Für die Untersuchung des Kehlkopfes ist
daher vorläufig das Verfahren der directen Beobachtung auf dem Schirm
anzuwenden und allein für die Diagnose zu verwerten. Als erste Be-
dingung für die Durchleuchtung dieser Organe muss man hierbei" auf-
stellen, dass die Durchleuchtung in einem vollkommen verdunkelten Kaume
vorgenommen werden muss, damit das auf dem Fluorescenzschirm erschei-
nende Licht ganz zur Ausnutzung gelangen kann. Der Beobachter darf weder
durch Tageslicht, noch durch gedämpftes Lampenlicht geblendet werden. Das
Licht der Röntgenröhre selbst stört auch, deshalb verhängt man die Röhre mit
einem dichten schwarzen Tuch. Die Bilder werden auf dem Schirm um so
schärfer hervortreten, je intensiver die Dunkelheit in dem Räume hergestellt
werden kann. Auf die Gleichmässigkeit der Ausstrahlung der Röhre, d. h.
darauf, ob das grüne Licht zuckt, flackert und ganz aussetzt oder nicht, ist
der Gang des Unterbrechers am Inductor von grösstem Einfluss. Das auf
dem fluorescirenden Schirm erzeugte Licht muss stets gleichmässig sein. Der
Unterbrecher muss derartig schnell aufeinander folgende Unterbrechungen
geben, dass die einzelnen Lichtstösse nicht mehr als einzelne Stösse wahr-
genommen werden können, sondern dass das Licht ganz gleichmässig erscheint.
Derartige Unterbrecher sind die Quecksilberunterbrecher, die durch elektro-
motorische Kraft getrieben werden. Der Funkeninductor muss für unsere Unter-
suchungen eine Funkenlänge von mindestens 40 cm haben. Von grosser
Wichtigkeit ist auch, dass man den Fluorescenzschirm derartig hält, dass
die Nasenspitze, die immer am deutlichsten und sofort auf dem Schirm zu
erkennen ist, gerade nach vorne gerichtet ist. Wenn man nur um ein Ge-
ringes den Kopf des zu Untersuchenden verschiebt, sei es nach rechts oder
links, so tritt sofort eine starke Verzerrung des Bildes ein. Auch die Ent-
fernung der Lichtquelle vom Object ist von grösster Bedeutung für das Bild.
Je näher die Lichtquelle dem Object sich befindet, desto grössere und ver-
zerrtere Bilder wird man natürlich erhalten. Die Bilder werden dagegen kleiner
und entsprechen mehr den natürlichen Verhältnissen, wenn man mehr von
der Röntgenbirne sich entfernt. Die Röhre muss stets so gestellt werden,
dass sie direct gegenüber der Mitte des Organes steht, das man zu unter-
suchen hat. In jedem Falle ist zu berücksichtigen, dass die Lichtquelle, der
zu untersuchende Gegenstand und der Schirm, resp. die photographische
Platte stets in bestimmter Richtung sich zu einander befinden. Da die
Schattenbilder vom Kopf sehr complicirt sind, weil einen je grösseren Körper-
durchmesser die X-Strahlen zu durchdringen haben, immer mehr Gebilde in
ein- und derselben Ebene in- und aufeinander gezeichnet werden, so bedarf
es einer grossen Uebung, diese Bilder richtig zu deuten.
Wenn man nun die Nase untersucht, und zwar direct mit dem Schirm
von der Seite, so sieht man, dass der vordere Theil der Nase fast vollkommen
durchsichtig ist. Er gibt nur einen ganz schwachen Schatten, so jedoch, dass
man die Umrisse der Nase noch genau erkennen kann. Die Durchsichtigkeit
des vorderen, d. h. knorpeligen Theiles der Nase erkennt man sofort, wenn
man eine Sonde in die Nasenhöhle hineinführt. Bei vielen Menschen kann
man auf diese Weise noch den feinen Sondenknopf auf dem Durchleuchtungs-
IN DEK RHINO-LARYNGOLOGIE. 573
bilde erkennen, wenn man die Sonde 5 — 6 cm tief hineinschiebt, ja wenn sie
sich sogar im Nasenrachenraum befindet. Natürlich kommt es dabei ganz
auf die Dicke der umgebenden Knochen an und selbstverständlich auch auf
die Lichtquelle selbst. Die häutige Bedeckung des Kopfes ist als ein durch-
scheinender Saum zu erkennen, darunter tritt der knöcherne Schädel todten-
kopfähnlich hervor. Sehr gut lässt sich die Stirnhöhle erkennen, dieselbe
erscheint oft ganz durchsichtig. Die Oberkieferhöhle tritt als hellerer Schatten
aus der Umgebung hervor, aber nicht so hell, klar und umschrieben wie die
Stirnhöhle. Während auf der photographischen Platte die Keilbeinhöhle meist
zu erkennen ist, wird sie bei der directen Durchleuchtung nicht so oft sicht-
bar. Einen etwas stärkeren Schatten als der vordere Theil der Nase geben
die Lippen, die sich auf dem Bilde scharf gegen den dunklen Schatten des
Unter- und Oberkiefers abgrenzen. Auch sehen wir auf dem Schirm die
Gestalt und Lage der Zunge natürlich stets im Profil. Bei der Untersuchung
der Zunge ist es wichtig, vorher dieselbe erst herausstrecken zu lassen, um
den Schatten, den die Zunge, auf dem Schirme bildet, sich zur Wahrnehmung
zu bringen. Am besten wird man die Zunge in der Mundhöhle beobachten
können bei Leuten, welchen einzelne Backenzähne fehlen. Stellt man nun
die Röntgenröhre direct gegenüber dem W'^arzenfortsatz, so sieht man den
Nasenrachenraum und Rachen als hellen Schatten hervortreten, der hinten
von der dunkelschwarz erscheinenden Halswirbelsäule abgegrenzt wird. Die
einzelnen Halswirbel kann man deutlich differenziren, sowohl den Wirbelkörper
wie Wirbelbogen, Gelenk-, Quer- und den Dornfortsatz. Lässt man die zu unter-
suchende Person einen Vocal phoniren, so sieht man, wie das Gaumensegel
sich hebt, und zwar ganz verschieden in den Nasenrachenraum sich hinein-
legt, je nach dem Vocal, den man aussprechen lässt. Genau wie man auf
dem Schirm beim ersten Mal nicht immer sofort die Bewegungen des Herzens
wird sehen können, sondern bei längerer Betrachtung erst dann, wenn sich
unser Auge an das dunkle Bild gewöhnt hat, die einzelnen Schattendifferenzen
allmählich deutlicher und schärfer hervortreten, ebenso ist es mit der Be-
wegung des Gaumensegels. Am deutlichsten sieht man die Bewegungen des
weichen Gaumens bei erwachsenen Leuten, die einen grossen Nasenrachen-
raum und eine nicht zu starke Halsmusculatur haben. Hat man jedoch erst
einmal das Gaumensegel auf dem Schirm gesehen, so erkennt man es leicht
bei jedem anderen Individuum. Hält man den Schirm dicht an den Hals,
so sieht man den Kehlkopf fast ganz durchscheinend als hellen Schatten,
etwas darüber als tiefdunklen Schatten das Zungenbein, welches stets als
Orientirungslinie dienen kann, und an den Kehlkopf anschliessend die Luft-
röhre. Dass der hellere Schatten der Kehlkopf ist, erkennt man deutlich,
wenn man eine Schluckbewegung ausführen lässt. Ist die Untersuchungs-
person schon über 20 Jahre, so hat meist schon die Verknöcherung des bis
dahin knorpeligen Kehlkopfes begonnen, und der Kehlkopf erscheint dann
nicht mehr überall vollkommen durchscheinend, sondern zeigt bereits ver-
schiedene dunkle Stellen, so dass man den Ringknorpel vom Schildknorpel
oft sehr gut abgrenzen kann. Zwischen den Zungenbeinhörnern sieht man
auf dem Bilde auch deutlich den Kehldeckel. Betrachtet man den Kehlkopf
noch genauer, so sieht man am Schildknorpel einen helleren Schatten in
ovaler oder vielmehr elliptischer Form von vorn nach hinten verlaufen. Er
entspricht der Stelle des Ventriculus Morgagni. Voraussetzung ist hierbei, dass
die Schildknorpelplatten an dieser Stelle noch nicht verknöchert sind, da
hierdurch der hellere Schatten durch den dunklen Schatten des Knochen-
gewebes verdeckt wird. Bei den weiblichen Kehlköpfen haben wir fast immer
diese hellere Stelle gesehen. Die Stimmbänder selbst lassen sich bei der
Durchleuchtung nicht erkennen.
Anwendung der Röntgenstrahlen als diagnostisches Mittel, a) Natur-
gemäss war es das Gebiet der Fremdkörper, denen die neue Untersuchungs-
574 RÖNTGENUNTERSUCHUNG
methode zuerst zugute kam. Es handelte sich im wesentlichen um die für
die X-Strahlen fast völlig undurchgängigen Metalle, welche wegen der grösseren
Durchlässigkeit des Knochens auch dann noch klare Bilder geben, wenn sie
ganz in den Knochen eingelagert sind. Um zu erkennen, ob Fremdkörper in
der Nasenhöhle sich als solche auf dem Schirm deutlich documentiren, führten
wir seinerzeit die verschiedensten Gegenstände, die man in der Praxis im
Naseninneren oft findet, in die Nasenhöhle und deren Nebenhöhlen hinein.
Metallische Körper, Münzen, Knöpfe, Schnallen, Gegenstände aus Hartgummi
und Hörn, Knochenstückchen, Steine etc. konnte man deutlich auf dem Schirm
sich als scharfen Schatten abgrenzen sehen, selbst dann noch, wenn man sie in
die vordere Gegend des knöcheren Theiles der Nasenhöhle hineinbrachte. Auch
unechte Perlen geben sich deutlich zu erkennen, dagegen sind Obstkerne auf
dem Schirm gar nicht oder nur sehr schwach zu sehen, da dieselben ganz
oder fast ganz durchlässig für die Röntgenstrahlen sind. Man wird eben
natürlich nur dann den Fremdkörper erkennen können, wenn er sich durch
Schattenschwärze aus dem helleren Grundton des Durchleuchtungsbildes ab-
hebt. Deshalb können wiederum Fremdkörper, welche genau so durchlässig
für die Strahlen wie die umgebenden Theile sind und demnach denselben
Schatten wie letztere geben, auf diese Weise nicht aufgefunden werden. Die
Auffindung der Fremdkörper gelingt um so leichter, je grösser und dichter
dieselben sind, und je dünner der Körpertheil ist, in welchem sie stecken.
Selbst Fremdkörper, die in die Tonsillen des Gaumens sich einkeilen, wird
man mittelst der X-Strahlen zur Darstellung bringen können. Hierbei muss
man, wenn z. B. der Eisensplitter oder die Stecknadel in der linken Mandel
sich befindet, den Kopf des Kranken ganz auf die rechte Schulter neigen,
damit durch das Herauftreten des Angulus mandibulae die Mandel freier zu
liegen kommt.
Wenn es auch in den meisten Fällen gelingt, den Sitz des Fremdkörpers
in den oberen Respirationsorganen mit den bisherigen Methoden zu localisiren,
so dürfte es doch vereinzelte Fälle geben, wo die früheren Methoden uns im
Stiche lassen, und wo wir nun die X-Strahlen sehr gut zu Hilfe ziehen können.
Es ist schon eine grössere Anzahl von derartigen Fällen publicirt worden,
wo einzig und allein durch diese neue Methode die Ermittlung des Fremd-
körpers ermöglicht wurde (Downie-Nadel im Kehlkopf). Zuweilen ist eben
die Diagnose eines Fremdkörpers nicht leicht zu stellen, namentlich dann,
wenn keine anamnestischen Angaben vorliegen, die den Schluss auf das Vor-
handensein eines Fremdkörpers ziehen lassen. Besonders bei kleinen Kindern,
bei denen die Untersuchung mit dem Spiegel und der Sonde oft infolge der
Widerspenstigkeit derselben auf die grössten Schwierigkeiten stösst, wird man
die Röntgenstrahlen mit bestem Vortheil für die Feststellung der An- resp.
Abwesenheit von schattengebenden Fremdkörpern anwenden können. Noch
vor kurzem theilte Gustav Spiess einen Fall von Fremdkörper in der Nase
mit, in welchem mittelst der gewöhnlichen Untersuchung der Fremdkörper
nicht gefunden werden konnte. Das Nasenloch war in diesem Falle im unteren
Umfang narbig sehr verengt, so dass die Einführung eines Nasenspeculums
nur schwer möglich war. Als trotz eingehenden Cocainisirens, genauen Ab-
suchens mit geraden und gebogenen metallischen Sonden weder ein härterer
Körper, noch ein metallisches Klingen zu vernehmen war, auch bei Per hin-
teren Rhinoskopie nichts entdeckt werden konnte, so glaubte er, dem datienten
die Versicherung geben zu können, dass ein Fremdkörper in der Nase skaum
mehr sitzen könne. Durch die Anwendung der Röntgenstrahlen wurde ofort
die Anwesenheit und der genaue Sitz des Fremdkörpers in der Nase fest-
gestellt. Der praktische Wert der X-Strahlen tritt auch besonders dann
hervor, wenn es sich um den Nachweis vielleicht zurückgelassener Stücke
handelt, oder wenn nach Entfernung eines Fremdkörpers die Beschwerden
IN DER RHINO-LARYNGOLOGIE. 575
noch fortbestehen. So ist mir gerade ein Fall in Erinnerung, wo der Patient
kurze Zeit, nachdem ich ihm einen Knochensplitter aus dem Zungengrunde
entfernt hatte, wiederkam, mit der Behauptung, es müsse ihm der Ilammel-
knochen noch im Halse stecken oder er müsse noch einen verschluckt haben.
Die genaueste pharyngo- und laryngoskopische Untersuchung konnte nichts
ergeben. Trotzdem blieb er bei seiner Ansicht und war erst dann beruhigt,
als auch die Durchleuchtung mit den Röntgenstrahlen einen Fremdkörper
nicht constatiren konnte.
Bedeutungsvoll ist die diagnostische Verwertbarkeit der X-Strahlen für
den sichtbaren Nachweis von Fremdkörpern, wie Kugeln bei Schussverletzungen
des Kopfes, für die schnelle und leichte Feststellung der Lage der Fremd-
körper, zumal, ohne dem Patienten Schaden zufügen zu brauchen und ohne
j'ede schmerzhafte Empfindung für den Verletzen der Sitz derselben erkannt
werden kann. So gelang es uns auf diese Weise Kugeln im Antrum High-
mori nachzuweisen, was man ohne chirurgischen Eingriff gar nicht hätte fest-
stellen können. Sehr interessant ist ein Fall von Schussverletzung, dessen
Betrachtung uns so recht die Tragweite und den Wert der X-Strahlen zeigt.
Infolge der Schussverletzung war eine Lähmung des rechten N. trigem mit Aus-
nahme seines motorischen Astes des rechten Olfactorius und Opticus eingetreten.
Gleich nach dem Unfälle wurde versucht, die Kugel aus dem Schädel zu entfernen,
aber ohne Erfolg. Den Sitz der Kugel vermutheten wir in den Siebbeinzellen,
möglicherweise auch in der Stirnhöhle. Einige Jahre nach dem Unfall trat der
Patient mit einer starken Naseneiterung wieder in Behandlung. Wir glaubten, da
verschiedene andere Symptome dafür noch sprachen, dass die Eiterung auf die
Anwesenheit der Kugel in einer Nebenhöhle der Nase, höchstwahrscheinlich
Stirnhöhle, zurückzuführen sei. Bevor jedoch zur Eröffnung des Sinus frontalis
geschritten wurde, um die Kugel zu entfernen, nahmen wir zur Sicher-
stellung der vermeintlichen Diagnose über den Sitz der Kugel noch eine
Aufnahme mittels Röntgenstrahlen vor. Bei der einfachen Durchleuchtung
mit dem Schirm konnte man von einer Kugel nichts wahrnehmen; die photo-
graphische Aufnahme ergab aber das überraschende Resultat, dass die Kugel
gar nicht im vorderen Theil des Kopfes sich befand, sondern im hinteren
Theile in der Gegend des rechten Felsenbeines. Zur genaueren Lagebestim-
mung des Fremdkörpers ist es natürlich nöthig, die Lichtquelle von ver-
schiedenen Richtungen auf den Kopf einwirken zu lassen, einmal seitlich und
das andere Mal von vorn nach hinten. Durch die Vereinigung beider photo-
graphischen Aufnahmen wird man die Lage des Fremdkörpers meist fest-
stellen können. In vielen Fällen ■ wird es nöthig sein, die Aufnahme des
Kopfes nicht allein in sagittaier und transversaler Durchleuchtung vorzu-
nehmen, sondern in den verschiedensten Richtungen, wobei zur Orientirung
auch Metallmarken an der Haut angebracht werden können. So kommt es
vor, dass die Kugel beim Hindurchgehen durch den Knochen und Wieder-
aufschlagen auf einen anderen Knochen zuweilen ganz platt gedrückt wird.
Eine Aufnahme von der Seite könnte, falls die Kugel mit der grössten Breite
parallel der Medianebene des Kopfes liegen würde, wo die Kugel demnach
nur eine geringe Dicke haben würde, einen nur schwachen Schatten von dem
Projectil auf dem Bilde ergeben, der vielleicht gar nicht erkennbar sein und
sich von dem Nachbarschatten für unser Auge gar nicht abgrenzen lassen
würde. Dagegen würde eine Aufnahme, vorgenommen in einer anderen
Richtung, wo also die X-Strahlen in einem anderen Durchmesser die Kugel
durchsetzen, einen kräftigeren leichter erkennbaren Schatten auf dem Bilde
hervorbringen. So musste ich in einem Falle von Schussverletzung des
Olfactorius die Aufnahme von den verschiedensten Richtungen aus machen,
so dass erst aus der Combination der einzelnen Skiagramme der Sitz der Kugel
in den Siebbeinzellen festgestellt werden konnte. Um den Sitz eines Fremd-
576 RÖNTGENUNTERSUCHUNG
körpers noch genauer bestimmen zu können, sind die mannigfachsten Vor-
schläge gemacht worden; ich will nur erwähnen, dass Exnek einen besonderen
Apparat beschrieben hat, welcher es ermöglicht, allerdings mit Hilfe der
Rechnung, verhältnismässig einfach auf dem Schirm Lage und Form von
Fremdkörpern zu bestimmen. Man muss aber wohl berücksichtigen, dass
mittels der X-Strahlen der Sitz eines Fremdkörpers niemals ganz mathematisch
genau bestimmt werden kann, sondern infolge der perspectivischen Verzerrung
nur annähernd. Wir müssen deshalb bei der Deutung des gewonnenen
Schattenbildes niemals vergessen, unsere sonstigen diagnostischen Erwägungen
an der Hand des klinischen Befundes mitzuverwerten.
Ebenso wie man die Röntgenstrahlen zur Diagnosenstellung eines Fremd-
körpers in den oberen Luftwegen verwenden kann, so haben wir auch zuweilen
Gelegenheit genommen, den Fremdkörper bei directer Durchleuchtung und
Beobachtung auf dem Schirm zu entfernen. Der Durchleuchtungsschirm wird
hierbei von der einen Hand oder der des Assistenten an den Kopf, resp. die
Halsseite herangehalten, während man mit der freien Hand mittels einer
Zange den Fremdkörper zu fassen sucht.
h) Schon auf dem Naturforscher-Congress in Frankfurt am Main hatte
ich mitgetheilt, dass wir in den X-Strahlen ein Mittel haben, uns auf ein-
fache und schnelle Weise von der Existenz der Nebenhöhlen der Nase und
deren Grösse zu überzeugen. Namentlich tritt die Stirnhöhle als hellerer
Schatten aus der dunklen Umgebung hervor, in einzelnen Fällen erscheint
dieselbe ganz hell, als ein grosses, fast rechtwinkliges Dreieck auf dem Durch-
schnitt und grenzt sich scharf gegen die Nachbarschaft ab. Man kann auf
diese Weise genau erkennen, ob bei dem betreffenden Individuum eine Stirn-
höhle vorhanden ist, wie hoch dieselbe nach oben zieht und wie weit nach
hinten, und wie dick die vordere Wand der Höhle ist. W^ir hatten bis dahin
keine Methode, uns darüber zu vergewissern, ob bei dem zu untersuchenden
Patienten eine Stirnhöhle vorhanden ist oder nicht. Nicht selten wurden bei
Eiterungen der Nase, deren Herkunft man aus dem Sinus frontalis zu constatiren
glaubte, Eröffnungen desselben vorgenommen, wo sich alsdann bei der Opera-
tion ergab, dass gar keine Höhle vorhanden war. Schon hieraus sehen wir
die Wichtigkeit der Durchleuchtung für die Rhinochirurgie. Bei der Unter-
suchung muss, wie wir schon vorhin erwähnten, darauf geachtet werden, dass
die Röhre stets so gestellt wird, dass die Strahlen möglichst durch die Mitte
der zu untersuchenden Höhle hindurchgehen, und die Entfernung der Licht-
quelle genau bestimmt ist. Die Schattenligur wird sonst perspectivisch ver-
zerrt und würde zu falschen Schlüssen und Fehlern führen. Auf dem Schirm
sieht man mehr den rechten Sinus, wenn die linke Seite des Gesichtes der
Röntgenbirne und die rechte dem Schirm zugewandt ist, also stets die Seite,
die dem Schirm am nächsten liegt. Der Nachtheil der seitlichen Durch-
leuchtung ist natürlich der, dass man nicht jede Höhle für sich allein sieht,
sondern dass die Strahlen durch beide Höhlen gemeinsam gehen; deshalb
kann man auch über die seitliche Ausdehnung der Stirnhöhle durch diese
Art der Untersuchung schwer etwas aussagen. Durchleuchtet man den Kopf
von hinten nach vorne, so bekommt man wegen der Undurchsichtigkeit der
Schädelhöhle nur ganz selten von der Stirnhöhle etwas zu sehen. Wohl aber
gelingt es bei der photographischen Aufnahme, wobei die Platte gegenüber
dem Gesicht liegt, die Stirnhöhle jeder Seite einzeln zur Darstellung zu
bringen, mit einander zu vergleichen und so auch den Breitendurchmesser
der Höhle festzustellen. Selbstverständlich wird man nicht im Stande sein,
nun mittelst der X-Strahlen die Grösse und Ausdehnung der Stirnhöhle
mathematisch genau anzugeben, sondern nur annähernd, so dass die Grösse
des weissen Fleckes nicht immer mit der Grösse der Stirnhöhle correspondirt.
Ich muss bemerken, dass es Fälle geben mag, wo durch ausnahmsweise starke
IN DER RHINO-LARYNGOLOGIE. 577
Knochen der weisse Fleck, den sonst die Stirnhöhle gibt, verdeckt werden
kann. Auch Flatau ist der Meinung, dass durch die Anwendung des
KöNTGEN'schen Verfahrens die Frage nach dem Vorhandensein und nach der
Ausdehnung der Nebenhöhlen der Nase sich ziemlich genau beantworten lässt.
Es ist sehr schwierig, die Eöntgenstrahlen für die Feststellung von Ei-
terung der Nebenhöhlen anzuwenden und aus dem Befund allein ein Empyem
zu diagnosticiren. Will man die eine Stirnhöhle des Patienten mit der an-
deren vergleichen und nun einen Unterschied in der Helligkeit der beiden
Höhlen wahrnehmen, so kann man sehr leicht hierbei Täuschungen ausgesetzt
sein. Wenn man beim Umdrehen des Kranken um einige Centimeter mit dem
Kopfe der Birne sich nähert, so treten dadurch schon Helligkeitsditferenzen
ein. Ferner ist es auch nicht leicht, den Grad der Helligkeit der beiden
Seiten aus der Erinnerung auf dem Schirmbilde zu vergleichen. Hierzu
tritt nun noch der Umstand, dass die beiden Gesichtshälften nicht ganz
symmetrisch gebaut sind, dass die Höhlen verschieden dicke Wandungen haben
u. s. w. Untersuchten wir nämlich Individuen mit gesunden Oberkieferhöhlen
resp. Stirnhöhlen, natürlich bei Beobachtung aller Cautelen, so kann man
in vielen Fällen keinen Enterschied in der Helligkeit der beiden Kieferhöhlen
erkennen, ganz gleich, ob man die rechte oder linke Seite des Gesichtes an
den Schirm hält. Oft aber zeigte sich doch eine augenscheinliche Differenz
im Schattenbilde in Fällen, wo mit Sicherheit eine Eiterung ausgeschlossen
werden konnte. Genau so wie die einfache Durchleuchtung der Oberkiefer-
höhle mit dem elektrischen Glühlämpchen nicht ein diagnostisches Mittel ist,
auf Grund dessen wir mit Sicherheit entscheiden können, ob die zu unter-
suchende Höhle gesund oder krank ist, ebenso unsicher und trügerisch sind
auch die Schlüsse, die man aus der Durchleuchtung mit den X-Strahlen allein
ziehen würde. Immerhin ist die Beobachtung auf dem Schirm ein sehr wert-
volles Unterstützungsmittel für Feststellung einer schon auf andere Weise
gestellten Diagnose. Glauben wir mit Hilfe der bisherigen Methoden ein
Empyem feststellen zu können, und sehen wir nun an der vermuthlich er-
krankten Seite den Schatten, den das Antrum gibt, dunkler als auf der ge-
sunden Seite, so ist dieser Befund doch immer eine sehr gute Bestätigung
für unsere Diagnose. Auch A. Kosenberg schliesst sich dieser Ansicht
an, dass unsere Diagnose durch die Durchleuchtung eben mit grösserer Sicher-
heit gestellt werden kann, und dass die Bestätigung einer auf anderer Grund-
lage ruhenden Diagnose durch den Gesichtssinn ein sehr wertvolles Unter-
stützungsmoment ist. Fehlen jedoch die für das Empyem sonstigen charak-
teristischen Symptome, so ist es nicht gestattet, aus dem Resultat der Diascopie
einen Schluss zu ziehen; höchstens kann der Verdacht auf eine Erkrankung
erweckt werden.
Da man auf dem Schirmbilde deutlich sehen kann, wie die Zähne in die
Höhle des Oberkiefers hineinragen, so kann man bei Eiterungen des Antrums
auf diese Weise eventuell den dentalen Ursprung der Eiterung constatiren
und zugleich auch feststellen, welcher von den schlechten Zähnen extrahirt
werden muss, damit dadurch gleichzeitig das Antrum eröffnet werden kann.
Ebenso leisten die Röntgenstrahlen gute Dienste bei Feststellung des Sitzes
von verlagerten und überzähligen Zähnen.
Um jede Höhle einzeln zu durchleuchten, hat der um das Röntgenver-
fahren hochverdiente Macintyee empfohlen, kleine Schirme in den Mund ein-
zuführen. Wohl zu gleicher Zeit hatten auch wir derartige Versuche ange-
stellt. Ein Stück Schirm von circa 2 bis 3 cm Länge und Breite auf beiden
Seiten mit dünnem hellen Celluloid belegt und mit einer Fassung zusammen-
gehalten, wird mittelst eines Handgriffes an den harten Gaumen gelegt, wäh-
rend die Birne sich in der Stirngegend befindet. Mittelst eines gewöhnlichen
Kehlkopfspiegels kann man nun das Schirmbild auffangen. Praktische Erfolge
Ohren-, Nasen-, Kachfn-, Kehlkopfkranklieiten. ^i
578 RÖNTGENUNTERSUCHUNG
haben wir, abgesehen von Ermittelung von Fremdkörpern, bei dieser Art der
Untersuchung nicht gesehen.
c) Die Durchleuchtung kann auch dazu herangezogen werden, die Frage
über die Möglichkeit der Stirnhöhlensondirung beim Lebenden zu lösen. Die Mei-
nungen gehen ja über das Procentverhältnis, in dem die Sondirung in vivo
möglich ist, weit auseinander. Während die einen Autoren behaupten, dass
die Sondirung per vias naturales in den meisten Fällen ohne Schwierigkeit
zu erreichen sei, ist nach Berichten anderer die Sondirung ohne vorbereitende
Operation sehr schwierig, meist sogar unmöglich. Hierzu kommt nun noch
der Umstand, dass man es bis dahin beim Lebenden niemals mit voller Be-
stimmtheit sagen konnte, ob die Sonde wirklich in der Stirnhöhle sich be-
findet oder nicht, vielmehr in einer hoch hinaufreichenden Siebbeinzelle. Wir
hatten eben bis jetzt keine vollkommen einwandsfreie und sichere Methode, in
vivo die gelungene Sondirung wirklich zu beweisen, abgesehen von den
wenigen Fällen, wo gerade die Stirnhöhle vorn offen war. Erst die Durch-
leuchtung des Kopfes mittelst der X-Strahlen setzt uns allein in den Stand,
mit vollkommener Bestimmtheit anzugeben, ob die Sondirung geglückt ist
oder nicht. Sie beweist, dass die Sondirung in vielen Fällen wohl gelingt (in
40 daraufhin untersuchten Fällen, gelang sie uns 5 mal), ja, dass sie bisweilen
sogar leicht auszuführen ist.
d) Ueber eine praktische Anwendung der Röntgenstrahlen im Dienste
der Rhinochirurgie hat Spiess berichtet. Er ist von dem Gedanken ausge-
gangen, dass sich die Gefahren, welche die Eröffnung der Stirnhöhle nach
ScHÄFFER von der jS^ase aus mit sich bringt, leicht vermeiden lassen, und
dass damit auch die endonasale Eröffnung des Sinus mit ihren grossen Vor-
zügen gegen die Aufmeiselung desselben von aussen wieder in ihr Recht
treten würde, sobald es nur gelänge, das operirende Instrument bei seinem
Vordringen zu verfolgen. Die Unsicherheit der ScHÄFFER'schen Methode, die
durch unser Unvermögen bedingt war, uns von den anatomischen Verhältnissen
der Stirnhöhle, der Schädelbasis etc. am Lebenden schon Rechenschaft zu
geben, ist es, die durch Mitwirkung der Röntgenstrahlen sicher zu beseitigen
ist. Mit ihrer Beseitigung aber ist auch die ScHÄFFER'sche Methode von
einem neuen Gesichtspunkte zu beurtheilen, sie kann wieder in ihre Rechte
treten, denn sie hat das „ihr anhaftende Unheimliche" verloren. Da man nun
bei der Trepanation des Sinus von der Nase aus das eingeführte Instrument
(einen von einem Elektromotor getriebenen Bohrer) jeden Moment in seinen
Bewegungen auf dem Schirm genau verfolgen kann, so ist jede Gefahr aus-
geschlossen. Man kann zu jeder Zeit sehen, ob man zu weit nach hinten, ob
zu weit nach vorne operirt, wie weit man von der Höhle entfernt ist, oder ob
man schon in derselben sich befindet. Spiess hat nicht au der von Schäffer
angegebenen Stelle den Sinus perforirt, sondern einen mehr nach vorn gele-
genen Eröffnungspunkt gewählt. Von dieser Oeft'nung aus kann man alsdann
den ganzen Boden abtragen und es ermöglichen, ein gründliches Abkratzen
aller Buchten vorzunehmen. Damit würde man im Stande sein, die Behand-
lung des Stirnhöhlenempyems auch in seinen schweren Formen dem Rhinologen
wiederzugeben, nachdem sie bereits dem Chirurgen ganz überlassen war. Bei
dem Vorhandensein aller erforderlichen Apparate verbindet diese Methode
Einfachheit und Schnelligkeit mit grösster Sicherheit. Auf diese Weise hat
Spiess drei Fälle operirt. Auch bei Eröffnung der Keilbeinhöhle leistete ihm
diese Methode gute Dienste.
e) In weiterer Weise wurde das Röntgenverfahren benutzt, um Ge-
schwülste, deren Grösse und Ausbreitung zur Darstellung zu bringen (Büttner
und Müller, Oberkiefersarkom). Edmund Meyer zeigte in einer der letzten
Sitzungen der medicinischen Gesellschaft zu Berlin ein Sciagramm von einem
Sarkom der rechten Oberkieferhöhle, das schon den Orbitalboden ergriffen
IN DER RIIINO-LARYNGOLOGIE. 579
hatte. GuuNMACii ist es gelungen, in drei Fällen von Struma, in denen die
Kranken über grosse Athemnoth klagten, bei seitlicher Durchstrahlung des
Halses eine deutliche Verengerung der Luftröhre zu constatiren. Dieselbe
zeigte sich als ein feiner mattheller Streifen im dunklen Schattenbildo des
Halses, während unter normalen Verhältnissen die Luftröhre als ein finger-
breiter heller Streifen erscheint. Auch wir konnten in mehreren Fällen die
zur Säbelscheide zusammengepresste Luftröhre sehen.
Schon unmittelbar nach der Publication Röntgen's hatte Sir Felix
Semon auf die praktische Tragweite der grossartigen Entdeckung aufmerksam
gemacht, und die Hoffnung ausgesprochen, dass die neue Methode von grösster
Wichtigkeit für die Diagnose mancher Kehlkopfkrankheiten, vor allem für die
Ditferentialdiagnose zwischen gutartigen und bösartigen Neubildungen des
Kehlkopfes werden dürfte. Dieser Anregung folgend, haben wir diesbezügliche
Versuche während der ganzen Zeit angestellt. Bis jetzt war es aber nicht
möglich, gutartige und bösartige Geschwülste des Kehlkopfes mittelst der
Köntgenstrahlen differenziren zu können. Da eben die normalen Stimmbänder
im ganzen weniger dichte Körper darstellen, als die umgebenden Knorpel, so
wird die Hoffnung, die Stimmbänder im Röntgenbilde zu erkennen, schon aus
theoretischen Gründen ja wohl unmöglich sein. Es müssen sich eben günstige
Dichtigkeitsdifferenzen gegenüberstehen, wohl aber gelingt es in den Fällen,
wo der Ventriculus Morgagni durch einen helleren Schatten auf dem Schirm-
bilde erkenntlich ist (es ist dies bei Leuten, bei denen diese Stelle in der
Schildknorpelplatte noch nicht verknöchert ist), Tumoren der Stimmbänder
von derber Consistenz und genügender Grösse zu erkennen. Man muss natür-
lich wiederum dabei bedenken, dass diese kleinen dunklen Schatten von einem
Kalk- resp. Verknöcherungspunkt der Schildplatte herrühren können. Aber
auch diesen Einwand könnte man bei genauerer Beobachtung ausschliessen, da
die Verknöcherung eben symmetrisch auf beiden Seiten vor sich geht und man
also den Kalkfleck beiderseits sehen würde. Je dichter und fester die Ge-
schwulst ist, um so dunkler ist auch der Schatten. Da jedoch gutartige Ge-
schwülste ebenso feste Consistenz haben können als bösartige, so ist auf
diesen Befund für die Differentialdiagnose demnach nicht viel zu geben.
f) "Wenn auch die Untersuchung der intrathoracischen Geschwülste nicht
ganz m das Gebiet der Laryngologie fällt, so haben wir doch recht oft Ge-
legenheit, uns auch mit diesen Tumoren zu beschäftigen, da dieselben zu-
weilen Lähmungen der Stimmbänder herbeiführen und Verengerungen der
Luftwege zur Folge haben. Gerade bei Erkrankungen der im Mediastinum
gelegenen Organe hat sich die Durchleuchtung von hervorragender Bedeutung
gezeigt. Diese Untersuchungsmethode hat sich sowohl zur Bestätigung einer
schon gestellten Diagnose bewährt, als auch eine Erkrankung im Mediastinum
festgestellt, welche mittelst der bisherigen Methoden gar nicht gefunden
werden konnte. Die Literatur über Fälle von Aneurysmen des Arcus aortae,
welche schon durch die gewöhnliche objective Untersuchung diagnosticirt
wurden, und bei denen die Durchleuchtung nur zur Bestätigung der Diagnose
vorgenommen wurde, ist schon eine sehr grosse. Aber auch schon viele Fälle
sind publicirt, bei denen die objective Untersuchung normale Verhältnisse
ergab, wo niemals das geringste auscultatorische oder sonstige physikalische
Zeichen für Aneurysma gefunden werden konnte, während es mittelst der
X-Strahlen gelang, ein ausgesprochenes Aortenaneurysma festzustellen. Ich
erinnere nur an Fälle, wie Aeon, Wassermann, Sendziak, bei denen als Ur-
sache für die linksseitige Recurrensparalyse einzig und allein durch die
Durchleuchtung ein Aneurysma festgestellt wurde. Sehr eingehend berichtet
an der Hand zahlreicher Beobachtungen Albert Rosexberg in dem
FRÄNKEL'schen Archiv für Laryngologie über die Bedeutung der Rönt-
genstrahlen für die Diagnose dieser Geschwülste. Nach Rosenberg,
37*
580 EÖNTGENÜNTERSUCHUNG
auf dessen Darlegungen icli bei der grossen Wichtigkeit dieses Gegenstandes
hier ausführlicher eingehen möchte, ist die Dichtigkeit des Schattens, den
wir auf dem Schirm sehen, sehr verschieden. „Sie ist natürlich proportional
dem specitischen Gewichte derjenigen Gewebe, die die Strahlen nicht hindurch-
gehen lassen, so dass z. B. Lymphome, die ein geringeres specifisches Gewicht
haben, einen weniger intensiven Schatten geben als z. B. ein Carcinom von
gleicher Grösse. ,Es ist dies aber keineswegs ein absolut sicherer Satz, der
keine Ausnahme zulässt, sondern er ist nur das combinatorische Resultat
aus den bisher bei dem Studium der Eöntgenstrahlen gefundenen Beobach-
tungen. Natürlich kann z. B. innerhalb eines Lymphomschattens ein inten-
siver Schatten dadurch entstehen, dass im Innern desselben Verkalkungen
eintreten. Auf diese und ähnliche Weise können mannigfache Nuancirungen
vorkommen, die den obigen Satz modificiren. Was nun die Form des Schattens
auf dem Schirmbilde betrift't, so ist diese für die Diagnose schon von grösserer
Bedeutung. Beim Aneurysma finden wir eine charakteristische Form, nämlich
einen rundlichen, ungefähr einem Theile der Peripherie eines Kreises oder
einer Ellipse entsprechend contourirten Schatten, und zwar einen nach allen
Seiten hin pulsirenden. Dagegen sieht man bei soliden Geschwülsten, bei
den Mediastinaltumoren, verschiedene Formen, gewöhnlich einen Schatten,
der mehr geradlinig, beiderseits begrenzt nach oben aufsteigt oder unregel-
mässige Figuren bilden kann, jedenfalls aber nie oder fast nie einen so runden,
wie den beim Aneurysma aortae. Von letzterem unterscheidet er sich ausser-
dem durch den Mangel einer allseitigen Pulsation. Die Oesophagustumoren
sieht man meist substernal, und sie machen sich für gewöhnlich dadurch
bemerkbar, dass der Sternalschatten nach einer Seite oder nach beiden hin ver-
breitert ist. Bei retrosternalen Strumen sieht man beim Schluckact eine Be-
wegung, ein in die Höhe Steigen des Schattens, so dass diese Geschwülste von
den anderen auch actinoskopisch unterschieden werden können." Koch vor
kurzem untersuchten wir einen Patienten, der an einer schon seit längerer Zeit
bestehenden rechtsseitigen Recurrenslähmung litt. DasEigenthümliche in diesem
Falle war noch, dass die heisere Stimme vollkommen versagte, wenn der Patient
den Kopf nach der linken Schulter neigte. Eine Ursache für die Paralyse konnten
wir nicht finden. Die Durchleuchtung aber ergab sofort an der rechten Seite der
Wirbelsäule einen stark ausgesprochenen circumscripten Schatten, der nicht
pulsirte. Die Annahme eines Mediastinaltumors war darnach gerechtfertigt.
Bei der Untersuchung thut man gut, wie Rosenberg sagt, den Kranken
tief einathmen und dann den Athem anhalten zu lassen, weil man dabei ein-
mal die respiratorischen Bewegungen des Thorax ausschaltet und andererseits
bei aufgeblähten Lungen und der weiteren Entfernung der Rippen von ein-
ander eine bessere und deutlichere Uebersicht gewinnt. Die Pulsationen sieht
man natürlich vollkommener auf dem Schirm als auf der Photographie, weil
auf letzterer das diastolisch verbreiterte Gefäss ja nicht so lange, sondern
immer durch die Pause der Systole unterbrochen, exponirt wird. Dement-
sprechend sieht man auf der Photographie die systolische Contour als Kern-
schatten, während die Diastole sich nur durch einen Hauch von Schatten
bemerkbar macht. Den Schatten eines Aneurysmas, das den aufsteigenden
oder concaven Theil dieses Gefässes einnimmt, sieht man, wenn man von
vorn nach hinten durchleuchtet, auf dem dem Rücken aufgelegten Schirm
grösser und deutlicher, weil es der vorderen Thoraxwand näher liegt als der
hinteren. Man muss den Kranken von vorn und von hinten durchleuchten,
und aus der Differenz der Grösse, die man bei diesen beiden Versuchs-
anordnungen findet, wird man sich annähernd ein Bild machen können ein-
mal von der wahren Grösse der Geschwulst und dann gleichzeitig von dem
Lageverhältnis derselben zur vorderen und hinteren Wand. Die Bestimmung
der Lage einer Geschwulst in dem Tiefendurchmesser des Brustkorbes kann
IN DER RHINO-LARYNGOLOGIE. 581
man auch durch eine quere Durchstrahlung genauer feststellen, indem man
ihr Verhältnis zum Herzschatten und zu dem der Wirbelsäule berücksichtigt.
Die Schattenbilder sind aber in diesem Falle bei weitem nicht so deutlich
wie bei sagittaler Durchleuchtung." So wertvolle Resultate uns auch diese Unter-
suchungsmethode liefert, so gibt sie uns nichtsdestoweniger allein an und für sich
durchaus kein so ausreichendes Material für eine exacte Diagnose, vielmehr
müssen wir die so gefundenen Kesultate combiniren mit den durch unsere
bisherigen Untersuchungsmethoden festgestellten, und erst aus der Summe
aller Befunde werden wir uns ein klares Bild von der vorliegenden Erkran-
kung machen können. Andererseits kann unter Umständen die Untersuchung
mit den X-Strahlen unsere vorher auf Grund der üblichen Methoden aufgebaute
Diagnose umstossen oder modificiren. Man findet, dass die Dämpfungsfiguren
keineswegs immer genau mit den Schattenfiguren sich decken, und diese
Controle durch die Durchstrahlung kann vielleicht manches, was uns in Bezug
auf die Deutung einer Dämpfung Schwierigkeiten bereitet, aufhellen.
Von wie grosser Wichtigkeit es aber ist, das bei Lebzeiten gewonnene
Schirmbild durch die Section controliren zu können, beweist ein Fall un-
serer Beobachtungen, w'o der Patient so heftige Schluckbeschwerden hatte,
dass er schon seit Monaten nichts Festes herunterbekommen konnte. Die
Durchleuchtung ergab ein massiges Aortenaneurysma, welches auf die gewöhn-
liche Weise nicht nachw^eisbar war. Bei der Section erwies sich aber diese
Annahme als trügerisch, es zeigte sich vielmehr ein mächtiges Carcinom der
Cardia, das schon den oberen Theil des Magens ergriffen hatte, während die
Aorta ganz normal befunden wurde. Wenn demnach auch thatsächlich die
Durchleuchtung bei frühzeitiger Erkennung von Aortenaneurysmen sich in
vielen Fällen den sonstigen physikalischen Untersuchungsmethoden überlegen
gezeigt hat und nicht bezv/eifelt werden kann, dass die X-Strahlenanwendung
uns ermöglicht, die Diagnose zu einer Zeit schon zu stellen, wo die Aus-
cultation und Percussion noch keine Veränderung erkennen und uns voll-
kommen im Stiche lässt, beziehungsweise ungenügenden Aufschluss gibt, so
mahnt uns doch die Betrachtung dieses Falles zu einer gewissen Vorsicht in
der Deutung des Röntgenbildes bei den beginnenden Aneurysmen, namentlich
von solchen, welche noch keine physikalisch nachzuweisenden Erscheinungen
zeigen. Sehr wahr sagt Dümsteey, dass ein Röntgenbild richtig zu deuten
nicht immer leicht sei und jemand, der mit der Untersuchungsmethode nicht
ganz genau vertraut ist, kann leicht dazu kommen, die durch fehlerhafte Ein-
stellung der Lichtquelle oder des Objects oder der Platte bewirkten Ver-
änderungen als pathologische Befunde an dem Object anzusehen. Man ist
zweifellos nicht selten in der Gefahr, aus dem Röntgenbilde falsche Schlüsse
zu ziehen. Ich möchte nur daran erinnern, dass auf dem vorletzten Con-
gresse für innere Medicin Levy-Doen berichtete, dass eine sehr grosse Anzahl
von Patienten, die wegen der verschiedensten Beschwerden zur Untersuchung
kamen, ja Leute, die ganz gesund waren, auf dem Röntgenbilde eine leichte
Ausbuchtung der Aorta am Arcus zeigten. Er ist daher auch der Ansicht,
dass es sich um eine für den Träger desselben unerhebliche Eigenthümlich-
keit handelt, und vermuthet, dass bei der Section w^ohl meist eine gesunde
Intima gefunden werden würde. Wie wir nun das bei Lebzeiten gewonnene
Röntgenbild von dem vorher erwähnten Patienten mit dem Sectionsbefund in
Einklang zu bringen haben, ist uns noch nicht recht klar geworden. Auch
RosENBEEG citirt einen ähnlichen Fall und erklärt denselben derartig, dass,
wenn Geschwülste im hinteren Mediastinum sich befinden und nun von hinten
und unten her die Aorta zusammendrücken, es zu einer Stauung komme, zu
einer Erweiterung derselben, und diese Erweiterung mache sich bei Leb-
zeiten auf dem Schirm bemerkbar durch eine Verbreiterung des Aorten-
schattens, der auf beiden Seiten des Sternums pulsire.
582 EÖNTÖENUNTERSUCHÜNG
g) Macintyre hat die Anwendung der X-Strahlen noch empfohlen bei
Fracturen des Oberkielers, Jochbeins, Zungenbeins etc. In einem Fall von
Kehlkopfbruch haben wir zum Nachweis der Difformität, in einem Falle von
Unterkiefernekrose zur Darstellung des Knochendefectes diese Methode erfolg-
reich angewandt.
Aiiwendiiiig der X-Strahlen für die Physiologie.
1. Spracheund Stimme. Auf dem Schirm, den wir dicht an die
eine Seite des Gesichtes halten, ganz parallel zur Medianebene desselben,
bekommen wir einen vollkommenen Idealdurchschnitt des Ansatzrohres zu
sehen und können nun auf directem Wege den Mechanismus der menschlichen
Sprache studiren. Eine photographische Aufnahme vom Kopfe zu machen um
zu erkennen, wie sich das Ansatzrohr bei einem bestimmten Vocal verhält,
ist uns bis jetzt noch nicht gelungen. Es ist eben dazu eine Momentauf-
nahme des Kopfes nöthig, die wir aber mit unseren jetzigen Instrumenten
noch nicht ausführen können; vielleicht gelingt es bei einer weiteren Vervoll-
kommnung des Instrumentariums. Aber selbst, wenn es einmal gelingen sollte
Momentaufnahmen zu machen, so sind dieselben zum Studium der Sprach-
physiologie wohl unnöthig; sehr viel mehr wie auf dem Schirmbilde wird man
auf der photographischen Platte wohl auch nicht erkennen. Das Schirmbild
gestattet auf diesem Gebiete viel sicherere und deutlichere Schlüsse wie ein
Photogramra, da es sich ja gerade hier um Veränderungen handelt, die jeden
Moment wechseln, und die sich daher auf dem Schirmbilde viel leichter mit
einander vergleichen lassen können,, als wenn man Sciagramme von verschie-
denen Vocalstellungen neben einander stellen würde, zumal da das Sciagramm
oft genug von zu vielen und schwer zu berechnenden Kleinigkeiten abhängt.
Sehr einfach kann man aber eine Art Momentaufnahme erreichen, wenn man
das auf dem Schirm beobachtete Bild zugleich schnell durch Aufzeichnen
fixirt. Zu diesem Zweck legt man auf die fluorescirende Schicht eine dünne
Glasplatte oder noch besser eine durchsichtige Celluloidplatte, auf welcher
Pauspapier auf irgend eine Weise befestigt wird. Mittels eines Bleistiftes
kann man nun dasjenige vom Ansatzrohr, worauf es gerade ankommt, nach-
zeichnen, sei es, dass man die Gestalt der Lippen besonders studiren will,
oder die der Zunge oder die des Gaumensegels. Man wird nicht sofort alle
Einzelheiten auf dem Schirmbilde erkennen können; es sind so feine Unter-
schiede in den einzelnen Abstufungen der Schatten, dass man erst durch viele
Uebung und intensive Beschäftigung allmählich lernen muss, die Schatten-
ditferenzen sich zur Wahrnehmung zu bringen. Sagt doch Benedikt mit Recht,
das Röntgensehen müsste im Schweisse des Angesichtes erworben werden. Die
Bewegungen des Kehldeckels wird man bei den meisten Individuen leicht
erkennen. Viel schwieriger gestaltet sich die Bewegung des Gaumensegels
wahrzunehmen. Wir sehen auf dem Schirmbild die Hebung der Zunge, die
Wölbung, Aufrichtung, Senkung und Abflachung derselben, kurz ganz genau
die Gestalt und Lage der Zunge, natürlich stets im Profil. Die Versuche
über die Stellung des Gaumensegels beim Sprechen wurden bisher meist bei
Patienten angestellt, bei denen ein grosser Defect im Gesicht vorhanden war,
sei es infolge von Lues oder einer bösartigen Geschwulst (Hadra), so dass
man direct von oben auf das Gaumensegel sehen konnte (Gentzen, Gutzmann).
Aber man muss doch gegen alle diese Beobachtungen, wenn sie auch noch so
genau angestellt sind, einwenden, dass es doch sehr fraglich erscheint, ob der-
artige Fälle mit so hochgradig pathologischen Verhältnissen eine ganz nor-
male Sprachbildung zulassen. Dieser Einwand wurde auch schon von Voltolini
erhoben, der nur Experimente bei ganz gesunden Menschen für entscheidend
hält. Bei einem Kranken mit einem grossen Defect an der Nase ist zwar
kein Hindernis für die normale Sprache vorhanden, dafür ist aber der
IN DER RHINO-LARYNGOLOGIE. 583
Mangel eines wahrscheinlich nothwendigen Hindernisses da. Beim gesunden
Menschen erleidet der Exspirationsstrom, also derjenige, welcher die Töne
bildet, eine gewisse Stauung durch alle normalen Wege, wie die Nasenscheide-
wand und sämmtliche Muscheln. Diese Stauung kann aber nicht ganz ohne
Einfluss auf die freie Beweglichkeit des Gaumensegels sein. Ferner ist noch
zu bemerken, dass bei Individuen, bei denen eine derartig weite Oetfnung im
Gesicht vorhanden ist, wo das Gaumensegel frei zu Tage liegt, der Druck der
Luft von aussen und oben ganz anders auf das Gaumensegel wirken muss,
wie bei Leuten mit normal gebildeter Nase. Wir sehen deshalb auch, dass
die verschiedenen Autoren, die an derartigen Kranken ihre Versuche ange-
stellt haben, eben über die Hebung des Gaumensegels zu ganz verschiedenen
Resultaten gekommen sind. Ausserdem ist zu erwägen, dass, wenn man auf
die Oberfläche des Gaumensegels eine durch den unteren Nasengang einge-
führte Sonde legt, an deren Bewegungen vorn man die Bewegungen des
Gaumensegels ablesen kann, oder wenn man bei Leuten mit grossem Defect
im Gesicht einen Hebelapparat auf die Oberfläche des Gaumens setzt, ich
meine, dass derartige in den Nasenrachenraum gebrachte und auf den weichen
Gaumen gesetzte Fremdkörper doch das Gaumensegel mehr oder weniger in
seiner Bewegung beschränken. Auch die Methode anderer Forscher, wie
PiENiACZEK etc., die mittels der Ehinoskopia posterior die Bewegungen des Segels
studirt haben, kann man nicht für einwandsfrei gelten lassen. Denn erstens
ist wieder ein Fremdkörper in den Rachen hineingeführt, und zweitens können
bei dieser Art der Experimente alle Vocale nicht natürlich ausgesprochen
werden. Die Bildung der Vocale ist keine vollkommene. Der freie Einblick
in die Mundhöhle ist ja nur bei der Hervorbringung des „A" dem Beobachter
gestattet, bei allen übrigen Vocalen bleibt der Schlund dem Auge direct mehr
oder weniger verborgen. Wir können unmöglich ein reines „0" oder „U"
bei offenem Munde aussprechen. Daher ist die Methode der Untersuchung
die beste und einwandfreieste, wo wir das Verhalten des weichen Gaumens
beim Phoniren direct durch unser Auge, welches doch den Sinn abgibt, der
am sichersten controlirt, prüfen können, und zwar ohne weitere Einführung
von Instrumenten in die Nase resp. Mundhöhle, und wo die Untersuchungen
bei gesunden Menschen mit normal gebildeten Organen bei natürlicher Aus-
sprache angestellt werden können. Eine derartige einwandsfreie Untersuchungs-
art ist die Anwendung der Röntgenstrahlen. Die Methode eignet sich
auch sehr gut, dazu den physiologischen Vorgang bei der Sprache zu Unter-
richtszwecken zu demonstriren. Wir sehen auf dem Schirmbilde, wie sich das
Gaumensegel beim Phoniren von „A" am geringsten hebt, beim „E" etwas
mehr, dann bei „0", „U" und schliesslich bei „1" am höchsten steht. Während
das Gaumensegel bei „A" nicht die Ebene erreicht, die man sich durch den
harten Gaumen gezogen denkt, steht es bei „I" weit über der Horizontallinie.
Auch die Form, die das Gaumensegel bei der Phonation bildet, sieht
man deutlich, natürlich stets im Profil. Die Gestalt ist verschieden je nach
dem Vocal; wenn man „U" sagen lässt, so sieht man, wie das Gaumensegel
mit einem convexen Bogen in den Nasenrachenraum sich hineinlegt. Wir
können aber nicht erkennen, ob auch ein vollkommener Verschluss des
Nasenrachenraumes erfolgt, da wir das Gaumensegel ja nur von der Seite aus
sehen. Diese Methode wird demnach niemals die alten Untersuchungsmittel
verdrängen. Es würde zu weit führen, auf die ferneren Ergebnisse dieser
Studien an dieser Stelle einzugehen, und kann ich nur auf die diesbezügliche
Arbeit „Die Verwertung der Röntgenstrahlen für die Physiologie der Sprache
und Stimme" im FßlNKEL'schen Archiv verweisen. Nur erwähnen möchten wir,
dass die Röntgenstrahlen nicht allein über viele strittige Fragen in der Sprach-
physiologie uns genaue Aufschlüsse geben können, sondern auch dass dieselben
über das Verhalten des Gaumensegels beim Athmen, Schnarchen, Bauchreden
584 RÖNTGENUNTERSUCHUNG
u. s. w. leicht orientiren und auch im Stande sind in pathologischen Fällen
der Sprache die betreuenden Störungen präciser festzustellen. Während bis
dahin von den verschiedenen Forschern die Resultate meist nur aus den an
einem Patienten angestellten Beobachtungen gezogen wurden, können wir
nun mittelst der X-Strahlen bei jedem Menschen diese Beobachtungen an-
stellen und controliren. Wird es gelingen, das Verfahren noch mehr zu
vervollkommnen, so wird es mit Sicherheit noch besser für diese Studien sich
eignen. In dankenswerter Weise können die X-Strahlen die bis dahin üblichen
Hilfsmittel der Untersuchung ergänzen. Die Versuche sind geeignet, die alten
Lehren einer Revision zu unterwerfen und Falsches dabei zu eruiren.
2. Physiologie des Gesanges. Auch für die Gesangsphysiologie
hat sich das Röntgenverfahren von grossem Werte gezeigt. Bisher konnte
man die Versuche z. B. über die Stellung des Kehldeckels bei den verschie-
denen Registern und der verschiedenen Höhe der Töne selbstverständlich nur
mit dem Kehlkopfspiegel anstellen. Da ein ganz natürliches Singen jedoch
bei einem in die Mundhöhle eingeführten Spiegel und bei herausgezogener
Zunge nicht gut möglich ist, so sind auch die einzelnen Forscher, welche
sich hiermit beschäftigt haben, zu den verschiedensten Resultaten gekommen.
Alle bisherigen Untersuchungen in gesangsphysiologischer Beziehung ent-
sprechen deshalb nicht der Wirklichkeit. Nur eine völlig freie und zugleich
dem Auge deutlich erkennbare Thätigkeit der Gesangsorgane während der
Untersuchung kann uns schliesslich über viele wissenschaftliche Streitfragen
auf diesem Gebiete Klarheit verschaffen. Wir stehen ja erst im Beginne der-
artiger Untersuchungen. Was die Stellung des Gaumensegels bei den hohen
und tiefen Tönen betriflt, so sehen wir, dass, wenn man die Versuchsperson
„A" erst tief und dann recht hoch singen lässt, ohne dass gleichzeitig lauter
gesprochen wird, das Gaumensegel bei hohen Tönen auch höher tritt. Man
sieht auf dem Schirmbilde, dass, je höher der Sänger singt, der helle Schatten,
den der Nasenrachenraum giebt, desto kleiner wird. Wir sehen ferner, wie
mit steigender Tonhöhe der Kehldeckel sich immer mehr aufrichtet, und wie
er bei absteigender Tonleiter sich immer mehr und mehr senkt. Die Unter-
suchungen, die wir an circa 30 Sängern und Sängerinnen seinerzeit ange-
stellt haben, haben auf dem Schirmbilde ergeben, dass bei der Falsettstimme
der Kehldeckel sich steil aufrichtet, dass der Kehlkopf in die Höhe gezogen
und dem Zungenbein stark genähert wird. Um endgiltige Schlüsse über
diesen Gegenstand zu ziehen, müsste man natürlich an einer noch grösseren
Versuchsreihe diese Studien vornehmen. Mittelst der Durchleuchtung können
wir auch die Stellung des Schild- zum Ringknorpel studiren. Es eignen sich
zu diesen Untersuchungen natürlich nicht alle Personen, sondern nur solche,
bei denen der vordere Theil des Schildknorpels und auch der seitliche Theil
des Ringknorpels schon verknöchert ist, so dass man die beiden Knorpel und
namentlich die vorderen Theile derselben genügend differenciren kann. Bei
Frauen verknöchert ja nur selten der mediale Theil der beiden Knorpel. Am
besten eignen sich Männer über 30 Jahre, bei denen schon der untere Rand,
sowie der mediale Theil der Schildknorpelplatte deutlich durch den vom
Knochengewebe herrührenden schwarzen Schatten von dem helleren Lig. cric.
thyr. med. sich abgrenzt, während der seitliche Theil des Ringknorpels
auch schon in diesem Alter in vielen Fällen Knochengew^ebe zeigt.
Noch auf dem letzten internationalen Congress zu Moskau sagte
P. Hellet in seinem Vortrage zur Athmungsfrage beim Singen, dass die
Athmungsfrage beim Gesang zur Zeit noch recht verworren und die Rolle
des Zwerchfelles noch nicht definitiv bestimmt sei. Die Untersuchungen über
die respiratorischen Bewegungen des menschlichen Zwerchfelles konnten bis
dahin nur schwer ausgeführt werden und waren nicht im Stande, einen zu-
verlässigen Wert über die Excursionen desselben zu geben. Es ist nun
IN DER RIIINO-LARYNGOLOGIE. 585
mittelst der X-Strahlendurchleuchtung sehr leicht, bei jedem Individuum den
Stand des Zwerchfelles genau und sicher zu bestimmen und in allen Phasen
der Bewegung zu verfolgen. Das Zwerchfell ist überhaupt eines der günstigsten
Beobachtungsobjecte für die Durchleuchtung, Man kann genau beobachten,
wie bei dem Exspirationsvorgange es aus seiner Contractionsstellung all-
mählich wieder in die Ituhestellung zurückkehrt. Lässt man bei einer Ver-
suchsperson die verschiedenen Kespirationstypen (Zwerchfell-, P'lanken-,
Schlüsselbein- resp. Schulterathmung) unter directer Beobachtung auf dem
Leuchtschirm ausführen, indem die Böntgenbirne in Höhe des Zwerchfelles
aufgestellt wird, so kann man sich leicht orientiren, wie verschieden sich die
Lungen bei den einzelnen Arten der Athmung ausdehnen. Beim Zwerchfell-
athmen sieht man vollständige Ausdehnung der Lungen, bei der Schlüssel-
bein- und Flankenathmung unvollständige Ausdehnung, und zwar ist bei er-
sterer nur die obere, bei der letzteren die seitliche und untere Gegend der
Lungen betroffen. Wir sehen, wie beim Zwerchfellathmen das Diaphragma
bedeutend tiefer herabrückt als bei dem costalen Athmen. Beobachtet man
das Zwerchfell in der Axillarlinie, so kann man sehen, wie bei der Zwerch-
fellathmung das Diaphragma bei tiefer Inspiration um 6 — 8 cm tief herunter-
steigt, ja häufig hatten wir Gelegenheit, Sänger zu beobachten, bei denen das
Zwerchfell bei forcirter, tiefster Einathmung noch mehr sich senkt. Lässt
man nun gleich bei Beginn der Ausathmung einen Ton anstimmen und den-
selben anhaltend langsam exspiriren, so sieht man, dass das Zwerchfell lang-
sam und allmählich nach oben zurückkehrt. Anders bei der tiefen Einath-
mung mittelst der Schulterathmung. Das Zwerchfell tritt hierbei nicht so
tief während der Inspiration, und bei langsamer Exspiration sieht man auf
dem Schirm, dass dasselbe viel schneller und ungleichmässig in den Brust-
raum sich hinaufwölbt. Das Zwerchfell erschlattt also nicht continuirlich,
sondern ruckweise. Je langsamer nun und gleichraässiger das Zwerchfell
aus seiner Contraction in die ursprüngliche Lage zurückkehrt, desto lang-
samer und gleichmässiger wird natürlich auch die Luft aus den Lungen
herausgetrieben. Demnach ist der Ton viel fester, gleichmässiger, dauer-
hafter und ergiebiger als beim Schulterathmen. Abgesehen davon, dass das
Schlüsselbeinathmen mit bedeutend grösserer Anstrengung verknüpft ist, dass
das Athmen mittels Hebens des Schlüsselbeines auch auf den Klang der
Stimme nachtheilig wirkt, ist auch wegen der erwähnten Erscheinung, die
sich deutlich mittelst der X-Strahlen erkennen lässt, der Zwerchfellathmung
beim Gesang der Vorzug zu geben und die andere Art der Athmung für
unzweckmässig und unrichtig zu bezeichnen. So sind wir nun im Stande, die
Frage der richtigen Athmung beim Singen, der die grösste Bedeutung zu allen
Zeiten von Gesanglehrern und Sängern beigelegt wurde, mittelst der Methode
der Anwendung der Röntgenstrahlen direct physiologisch zu lösen. Auf diesem
Wege können wir bei weiterem methodischen Arbeiten viele noch strittige Punkte
über die Rolle des Zwerchfelles beim Singen, die früher mit den bisherigen Me-
thoden gar nicht in Angrifl genommen werden konnten, jetzt zur Lösung bringen.
Erwähnen wollen wir noch, dass die Röntgenstrahlen sich auch sehr gut
zu Untersuchungen bei den verschiedensten Polyphonisten eignen. Hierher
gehören alle jene Stimmenkunststücke, wie das Nachahmen von Thierstimmen,
des Gesanges der Vögel, Imitiren musikalischer Instrumente und aller
möglichen Geräuscharten, wie Hobeln, Sägen, Knarren von Thüren u. s. w.
So konnten wir bei einem Instrumentalimitator feststellen, auf w^elche Weise
der Mann die verschiedenen Instrumente so täuschend imitiren konnte, und
wie das Ansatzrohr bei dem betreffenden Instrument beschaffen sei. Bei der
Anwendung der gewöhnlichen Untersuchungsmethode Hess sich eben über
die Gestalt des Ansatzrohres nur wenig aussagen, da er den Mund beim
Singen fest verschlossen hielt.
586 RÖNTGENUNTERSUCHUNG
3. Physiologie des Schiin gactes. Ebenso wie man das Gaumen-
segel beim Sprechen auf dem Schirmbilde beobachten kann, so kann man die
Bewegungen desselben auch beim Schlingact studiren. Um bei der Versuchs-
person die Kau- und Schlingbewegungen zu beobachten, muss man derartige
Speisen verabreichen, die einen so starken Schatten geben, dass sie sich von
den umgebenden Schatten abgrenzen. Weissbrot z. B. gibt einen ganz
schwachen Schatten, dagegen ist gehacktes Fleisch oder Schinken schon
geigneter. Genauer sieht man natürlich den Bissen, wenn man das
Fleisch mit dem ungiftigen Wismuthpulver vermischt oder einem anderen
ungiftigen Körper, der für die Röntgenstrahlen möglichst undurchlässig ist.
Auf dem Schirm sehen wir zunächst, wie der zu verkleinernde Gegenstand
zerkaut wird, man sieht die einzelnen Bewegungen des Unterkiefers, Hebung,
Senkung und transversale Mahlbewegung, wie das Fleisch von aussen durch
die Lippen- und Kaumuskeln, von innen durch die Zunge zwischen die Kau-
llächen der Zähne geschoben wird. Ist nun die Speise zu einem Bissen ge-
formt, und man lässt nun den Bissen herunterschlucken, so kann man recht
schön die Schlingbewegung beobachten. Man sieht, wie die Zungenspitze,
der Zungenrücken und die Zungenwurzel dem harten Gaumen angepresst
wird, und indem das Gaumensegel sich hebt und den Nasenrachenraum ab-
schliesst, geht der Bissen mit Blitzesschnelle nach unten in die Speiseröhre.
Der ganze Schluckvorgang dauert nur einen ganz kurzen Moment. Die Er-
hebung des Gaumensegels ist am stärksten beim Leerschlucken. Der Kehlkopf
geht beim Schlucken nach vorn und oben, um gleich darauf wieder herunter
zu gehen, indem der Kehldeckel sich nach hinten herüberneigt.
Anwendung der X-Strahlen für die Anatomie. In einer meiner
ersten Mittheilungen hatte ich bereits darauf hingewiesen, dass die Röntgen-
bilder, die wir von Kehlkopfpräparaten aufgenommen hatten, aus dem Grunde
auch grosses Interesse erregen, weil man die Verknöcherungszonen an den
verschiedenen Stellen der Kehlkopfknorpel durch die X-Strahlen genau so
schön zur Darstellung bringen kann, wie es nur bei einer histologisch-mikro-
skopischen Untersuchung möglich ist. Während früher das genaue Studium
dieser Verknöcherungen nur auf dem Wege einer mühsamen und langwierigen
anatomischen Präparation und mikroskopischen Betrachtung möglich war,
haben wir nun in den X-Strahlen ein ganz neues Untersuchungsmittel, den
Uebergang des Knorpels in Knochen zu studiren und in einfacher und über-
sichtlicher, objectiver Weise zur Anschauung zu bringen. Ja die Sciagramme
geben ein deutlicheres und schöneres Bild von der zarten bälkchenartigen
Anordnung des Knochengewebes und dessen innerer Architectur, als es selbst
die feinsten Knochenschliffe zu thun vermögen. In dem Archiv „Fort-
schritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen" bin ich auf diese Studien
näher eingegangen und habe an dieser Stelle auseinandergesetzt, in welchem
Alter die Verknöcherung schon beginnt, dass die Verknöcherung regelmässig
sich ausbreitet, Unterschiede bei beiden Geschlechtern zeigt u. s. w. Aber auch
am Lebenden kann man bei der Durchleuchtung auf dem Schirmbilde die
Verknöcherung des Kehlkopfes und deren Entwicklungsvorgang studiren, durch
Untersuchungen in den verschiedenen Altersperioden. Die innere Knochen-
structur sieht man aber am Lebenden nicht so deutlich wie an dem der
Leiche entnommenen Präparat.
In der Berliner laryngologischen Gesellschaft habe ich zum Studium der
Verzweigungen des Gefässsystems einzelne Diagramme demonstrirt, auf welchen
die Gefässe des Kehlkopfes und der Zunge mit den feinsten Aesten zur Dar-
stellung gebracht waren. Die Gefässe waren hierzu mit einer für die X-Strahlen
undurchdringlichen Masse injicirt (Mennige, graue Salbe oder Sublimat). Man
bekommt dadurch über den Verlauf der Gefässe interessante Aufschlüsse,
welche man durch das die topographischen Verhältnisse verändernde mühsame
IN DER RHINO-LARYNGOLOGIE. 587
Präpariren nicht erzielen kann. Sehr geeignet sind diese Bilder zur
Demonstration für Unterrichtszwecke. Destot und Bekaim) bedienten sich der-
selben Methode, um Untersuchungen über die Circulation in der Schilddrüse
anzustellen; es zeigte sich auf den Bildern, dass die Gefässgebiete der verschie-
denen Arteriae thyreoideae nicht unabhängig von einander sind, sondern
reichlich mit einander communiciren. Die Untersuchungen von Glovkut und
Reynier erstreckten sich namentlich auf die Topographie des Gehirns in der
Schädelhöhle, auf die Verhältnisse der venösen Sinus des Schädelinneren,
sowie endlich auf die frontalen und maxillaren Knochenhöhlen.
Mit gutem Erfolge wurden die Röntgenstrahlen in einem Falle von Lordose
der Halswirbelsäule von uns angewandt. Durch das Sciagramm wurde die Diagnose
schnell und anschaulich klargestellt. Ebenso kann die Lage des Kehlkopfes
zur Wirbelsäule beim Lebenden durch diese? Verfahren leicht festgestellt werden.
Eine therapeutische Verwendung haben die Röntgenstrahlen bis jetzt
mit Erfolg nur bei der Behandlung des Lupus der Nase gefunden. Die bis-
herigen Versuche erscheinen wirklich hoffnungsvoll. Ueber Besserung, ja sogar
vollständige Heilung des Nasenlupus berichten Kümmel, Gocht, Schiff,
Albers- ScHöNBEEG, so dass man in den X-Strahlen ein mächtiges therapeu-
tisches Hilfsmittel in der Behandlung des Lupus erblicken kann. Wie die
Wirkung dieser Strahlen auf das lupöse Gewebe zu erklären ist, kann mit
Sicherheit noch nicht gesagt werden. Die heilende Wirkung der Röntgen-
strahlen auf den Lupus beruht nach Kümmel nicht auf einer Zerstörung oder
Verbrennung der Haut, wie sie ähnlich durch Kauterisation erzielt wird. Eine
tiefergehende artificieile Dermatitis ist zur Erzielung eines günstigen Erfolges
vielmehr nicht notwendig und lässt sich meistens bei genauer Beobachtung
und vorsichtiger Handhabung des Verfahrens vermeiden. Nach Jankau handelt
es sich vielleicht um einen elektro-chemischen Process, nach Barthelemy
um eine trophoneurotische Einwirkung. Möglicherweise besteht eine directe
Wirkung der Strahlen auf tuberkulöse Gewebe, eine Wirkung, die durch die
Hyperämie unterstützt wird (Albers). Die Sitzungen werden täglich vorge-
nommen, 20 Minuten bis eine halbe Stunde, oder auch täglich zweimal eine
Viertelstunde bei nicht zu starker Stromstärke und bei einer Distanz von
circa 40 cm. Zum Schutz der nicht zu bestrahlenden Partien wird das Gesicht
durch eine mit Stanniol oder Blei überzogene Maske, welche nur die zu be-
strahlenden Theile freilässt, geschützt; eine gleichfalls mit Stanniol belegte
Pappdecke bedeckt den Kopf. Die Bestrahlung muss so eingerichtet werden,
dass es nicht zur acuten Dermatitis mit Eiterung kommt, sondern beim Ein-
treten erheblicher Reactionserscheinungen muss die Behandlung ausgesetzt
und erst dann wieder begonnen werden, nachdem alle entzündlichen
Erscheinungen vollständig zurückgegangen sind (Albees). Die Behandlungs-
weise des Lupus dauert eine lange Zeit, die zwischen Wochen und mehreren
Monaten schwankt. Nach Kümmel sind die durch die Anwendung entstandenen
Narben weit glatter und schöner als die durch andere Behandlung entstan-
denen. Die Heilung vollzieht sich derartig, dass die Geschwüre sich reinigen
und vernarben. Die Borken trocknen ein und fallen ab, die Knötchen
schrumpfen, die Haut schuppt ab, die Röthung der Haut schwindet allmählich
und macht einer weissen Narbe Platz. Von tiefergehen der Narbenschrumpfung,
wie man sie bei chirurgischen Methoden so häufig entstehen sieht, hat
Kümmel niemals etwas gesehen. Die Heilung geht um so sicherer und
schneller vonstatten, je mehr die eine längere Unterbrechung erfordernden
schweren Verletzungen der Haut vermieden werden. Ob die Heilung bei
den publicirten Fällen auch eine dauernde bleiben wird, ist natürlich abzu-
warten. Jedenfalls fordern derartige Resultate zur allseitigen Nachprüfung auf.
Wir sehen, dass auch in der Laryngologie und Rhinologie das Röntgen-
verfahren, wenn auch nicht so wie in der Chirurgie, immerhin einen wohl-
588 ROTZ DER NASENSCHLEIMHAÜT.
berechneten Platz unter den diagnostischen Hilfsmitteln sich erworben hat
und dass, wiewohl speciell die direete Untersuchung des Kehlkopfes in kli-
nischer Beziehung bis dahin wenig durch diese Methode gefördert worden ist,
die X-Strahlen sehr wohl im Stande sind, uns über viele Dinge aufzuklären,
die bisher jeder anderen Untersuchungsmethode unzugänglich waren.
MAX SCHEIER.
Rotz der Nasenschleimhaut. Bei den Pferden, den hauptsächlichsten
Trägern des Rotzes, ist die Erkrankung der Nasenschleimhaut eines der
hervorragendsten Symptome der Krankheit. Beim menschlichen Rotz ist sie
zwar auch stets anatomisch nachweisbar, tritt aber klinisch gegenüber den
sonstigen Manifestationen der Krankheit gewöhnlich in den Hintergrund.
Wir wollen zur Orientirung bemerken, dass der Rotzbacillus durch
kleine Schrunden und Wunden der Haut oder der mit der Aussenluft in
Contact kommenden Schleimhäute in den Organismus eindringt. Es ent-
steht zunächst eine locale Erkrankung, die Bacillen gelangen aber sehr
bald in den Blut- und Lymphstrom und werden damit über den ganzen
Körper verstreut. Der Rotz localisirt sich auf diese Weise in allen Organen,
besonders in der Haut („Hautwurm"), in den Schleimhäutendes
Respirationstractes, in den Muskeln und Gelenken, in den Nieren,
den Hoden, der Leber, der Milz, dem Knochenmark, indenLymph-
gefässen und Lymphdrüsen. Der Darmcanal bleibt verschont.
Die Nasenschleimhaut kann demnach auf zwei Arten rotzig er-
kranken: Primär, wenn sich der Rotzbacillus zu allererst auf ihr ansiedelt,
und secundär, wenn er ihr mit dem Blutstrom zugeführt wird. Aber auch
im ersteren Falle kommen die Kranken erst dann in die Beobachtung, wenn
schon andere Organe ergriffen sind. Wir haben es also in praxi immer
mit generalisirtem Rotz zu thun.
Menschen acquiriren den Rotz nur durch direete Uebertragung. Des-
halb werden fast ausnahmslos Leute befallen, die mit Pferden in ständiger
Berührung sind, wie Kutscher, Pferdeknechte, Reiter von Beruf etc. Uebrigens
haftet der Rotz beim Menschen nur schwer. So kam in Deutschland im
Jahre 1888 bei 1182 rotzkranken Pferden 2mal Uebertragung auf Menschen
vor, im Jahre 1890 bei 1234 Pferden nur einmal.
Symptome und Verlauf. Nach den Schilderungen der Autoren ent-
stehen in der Nase unter starker entzündlicher Schwellung und Schleim-
secretion zahlreiche Knötchen, die sehr bald eitrig zerfallen, conÜuiren und
zur Bildung von ausgedehnten tiefen Geschwüren mit trübem, gelblichem,
„speckigem" Grunde führen. Die Geschwüre können bis auf Knochen und
Knorpel eindringen und Nekrose derselben herbeiführen. Die Erkrankung
erstreckt sich nicht allein auf die Haupthöhle der Nase. Gewöhnlich sind
auch die Nebenhöhlen ergriffen, oft ist das Septum in grossem Umfange
zerstört.
Das Secret ist dick, schleimig, eitrig, zuweilen jauchig, gelb, roth,
grau oder braun verfärbt. Es enthält neben den Rotzbacillen noch zahlreiche
andere Mikroorganismen.
Dem Verlaufe nach unterscheidet man eine acute, in wenigen Wochen
zum Tode führende, und eine chronische, sich über Monate und Jahre hin-
ziehende Form des Rotzes.
Diagnose. Die Diagnose des Rotzes lediglich aus den Krankheits-
erscheinungen ist sehr schwierig. Auch wo die Anamnese die Annahme des
Rotzes nahelegte, sind Verwechslungen mit Pyämie, Blutfleckenkrankheit,
Tuberkulose und Syphilis vorgekommen.
In zweifelhaften Fällen entscheidet die bacteriologische Unter-
suchung der Geschwürssecrete auf Rotzbacillen. Da der Rotzbacillus nicht,
wie der Tuberkelbacillus, tinctorielle Eigenthümlichkeiten besitzt, durch die
ROTZ DES RACHENS. SARKOME IM KEHLKOPF. 589
er von accidentellen, morphologisch gleichen Bacillen bacterioskopisch differen-
zirbar wäre, so ist die Heranziehung seiner biologischen Eigenthümlichkeiten
für die bacteriologische Diagnose erforderlich. Die Untersuchung ist im vor-
liegenden P'alle ziemlich umständlich. Das 8ecret muss, um die Kotzbacillen
von den übrigen Bacterien zu trennen, auf Meerschweinchen verimpft werden,
deren Infiltrate erst weiteres Ausgangsmaterial für die Cultur auf künstlichen
Nährmedien abgeben. Diese Dinge sind nur in wohleingerichteten bacterio-
logischen Laboratorien mit der nothwendigen Exactheit auszuführen und es
empfiehlt sich deshalb, verdächtiges Geschwürssecret in ausgeglühtem Kölbchen
unverzüglich und auf dem schnellsten Wege an ein solches zu übersenden.
Therapie. Die Behandlung des Nasenrotzes hat sich auf lieinhaltung
der Nasenhöhlen und auf Schutz des Introitus gegen die Aetzwirkung des
Secretes zu beschränken. (Vergleiche darüber das bei der „Rhinitis purulenta"
Gesagte.)
In prophylactischer Hinsicht empfiehlt es sich für solche, die mit rotz-
kranken Thieren umgehen, ihre Nase durch ein Wattefilter gegen directe
Infection möglichst zu schützen. Gewiss könnte dadurch manche Infection
per nares vermieden werden.
Die Prognose ist bei der acuten Form des liotzes infaust. Bei der
chronischen sind, wenn auch selten, Heilungen beobachtet.
ZAENIKO.
Rotz des Rachens. Der Rotz localisirt sich zuweilen auch auf der
Rachenschleimhaut und bildet daselbst Knoten in Form käsiger Herde, die
als kleine punktförmige Erhebungen beginnen, sich vergrössern, zerfallen und
dann Geschwüre mit callösen Rändern bilden; sie sind immer von Lymph-
drüsenschwellung begleitet. Eine intensive Phlegmone des Rachens mit
schweren Allgemeinerscheinungen beherrscht dabei gewöhnlich das Krank-
heitsbild. R.
Sarkome im Kehlkopf. Sarkome sind im Kehlkopf ebenfalls selten.
ZiEMSSEN konnte 1879 etwa zwei Dutzend Fälle in der Literatur auffinden,
ScHV^ARTZ (1886) 27 Beobachtungen; Wassermann (1889) stellte 13 P'älle
von Sarkom zusammen, wo man den Larynx ganz oder theilweise exstirpirt
hatte. Gewöhnlich waren es Spindelzellensarkome, seltener Rundzellensarkome.
Metastasen kommen sehr selten vor.
Im Larynxbilde zeigt sich entweder eine umschriebene oder diffuse Ge-
schwulst. Die umschriebenen sitzen breit auf, sind hart und unbeweglich.
Mit Vorliebe kommen sie an den Stimmbändern vor, selten an anderen
Stellen. Die mehr diffuse Geschwulst kann grosse Theile des Kehlkopfes
einnehmen und dieselben substituiren. Ihre Farbe ist bald blass, bald roth.
Sie veranlassen je nach ihrem Sitze und ihrer Grösse verschieden starke
Stimm- und Athembeschwerden. In späteren Stadien können sie sich weit-
hin ausbreiten, auch exulceriren und verjauchen, Drüsen-Metastasen werden
nicht beobachtet. Sie sind also wegen ihrer unbegrenzten Wucherung
und ihrer Neigung zu Zerfall entschieden bösartig. Ihre Diagnose ist sehr
schwer; die umschriebenen Formen können den Fibromen ähnlich sehen, die
diffusen den entzündlichen Geschwülsten, besonders der Knorpelentzündung.
Gewöhnlich musste man erst lange beobachten, um die Diagnose sicherzu-
stellen; in zweifelhaften Fällen ist die Untersuchung eines exstirpirten Stückes
unerlässlich, namentlich oft zur Abgrenzung gegen Krebs, wovon später mehr
die Rede sein soll. Ihre Therapie besteht in der Exstirpation. Solange sie klein
und umschrieben sind, kann dieselbe endolaryngeal mit Guillotine, Schlinge,
Messer oder Galvanokauter vorgenommen werden. Sind sie aber gross, und
namentlich bei diffuser Ausbreitung, bleibt wohl nichts übrig, als nach vorher-
gegangener Tracheotomie den Larynx partiell oder total zu exstirpiren. Nach
590 SARKOM DER NASENHÖHLE.
einer Zusammenstellung von Wassermann (Heidelberg) entfallen auf sieben
totale Exstirpationen des Kehlkopfes wegen Sarkom zwei Heilungen, die noch
nach vielen Jahren constatirt werden konnten, vier Recidiven und ein Todesfall
innerhalb der ersten Wochen nach der Operation. Von sechs partiellen dagegen
konnte bei einem die Heilung länger als sieben Jahre constatirt werden, zwei
blieben ein bis einundeinhalbes Jahr geheilt, starben aber an Lungenkrank-
heiten, einer bekam Recidive, einer starb in den ersten Wochen und einer
starb an einer anderen Erkrankung nach einigen Monaten.
Also unter 13 Operationen drei dauernde Heilungen, fünf Recidiven,
zwei Todesfälle infolge der Operation und drei Todesfälle an intercurrenten
Krankheiten. Diese 23 Procent Heilungen nach radicaler Exstirpation sind sehr
verlockend zur Fortsetzung der extralaryngealen Therapie, chiaei.
Sarkom der Nasenhöhle. Strohe hat aus den letzten eo Jahren
57 Fälle von Sarkom der Nasenhöhle zusammengestellt; es waren die
gleichen Sarkomformen wie an anderen Körpertheilen: meist Rund- oder
Spindelzellen- oder Fibrosarkome, dann auch Osteo-, Myxo-, selbst Gliosarkome
u. a.; in den allerletzten Jahren haben Katzenstein über Spindelzellen-
Clarke, Reinbold (Myxosarkom), Newmann (Rundzellen), Natier, Cozzolino
(Melanosarkom) und Wygodzinski (grosszelliges Sarkom) berichtet. Es
hat jeder etwas beschäftigte Ohr- und Nasenspecialist nicht allzu selten Ge-
legenheit, Sarkome der Nase zu sehen.
Das Sarkom der Nase stellt einen grau- oder auch blaurothen, selbst
schwarzen, ziemlich harten, breit aufsitzenden Tumor dar, der meist vom
Periost und nur ausnahmsweise von der Schleimhaut ausgeht, dann aber
bald auf den Knochen übergreift und denselben zerstört; die Geschwulst ent-
wickelt sich vorzugsweise an den oberen Abschnitten des Septum, perforirt
dasselbe sehr bald, wächst in die andere Nasenhälfte und füllt die ganze
Nase aus; sehr selten geht das Sarkom von den Muscheln oder vom Nasen-
boden aus.
Wir beobachten diese Neubildung meist bei Leuten im jüngeren und
mittleren Lebensalter; sie verursacht bald Nasenstenose, hebt den Geruch auf;
bald wird die Nasenscheidewand perforirt; schon früh stellt sich ein stinkender,
eitriger Ausfluss aus der Nase ein, der häufig mit Blut vermengt ist und oft
treten auch stärkere Blutungen auf. Der Tumor wächst sehr schnell, zerfällt,
und es entstehen ziemlich bald missfarbige Geschwüre am Septum; allmählich
treibt das Sarkom die Naseuknorpel und -knochen auseinander, der Nasenrücken
verbreitert sich (Froschgesicht wie beim Osteom), die äussere Haut wird stark
geröthet und kann sogar durchbrechen; oder auch die Geschwulst wächst
gegen die Orbita oder nach dem Antrum Highmori zu, und so kann Strabismus
entstehen, der Bulbus wird vorgetrieben, oder es kommt zu einer starken An-
schwellung der Wangengegend; auch, nach dem Schädel zu vergrössern sich
zuweilen diese Geschwülste, durchbrechen die Siebbeinplatte und es kommt
zu Meningitis; hiebei klagen die Kranken schon in frühen Stadien über
heftige Schmerzen in der Nase, sowie in den verschiedenen Quintusbahnen.
Nur ausnahmsweise schwellen bei dieser malignen Neubildung die Lymph-
drüsen am Unterkieferwinkel oder der seitlichen Halsgegend an.
Im Beginn der Erkrankung ist es sehr schwierig, die Sarkomgeschwulst
von anderen beweglichen gutartigen Nasentumoren zu unterscheiden ; beson-
ders mit den Syphilomen der Nasenhöhle ist eine Verwechslung möglich; sobald
es zu einer ülceration des Tumors gekommen, mit ihrer schmierig-eitrigen
Secretion, so ist die Diagnose schon gesicherter, dann auch, wenn Veränderungen
der äusseren Nase vorhanden sind. Nasenrachenfibrome, die ähnliche Ver-
unstaltungen des Gesichtes verursachen können, wird man bei der Unter-
suchung des Rachens erkennen; vor allem wird das Mikroskop entscheiden
müssen, nicht allein ob es sich um einen gutartigen Tumor, sondern auch,
SARKOME DES RACHENS. SCHLUNDKRÄMPFE. 591
ob es sich um Sarkom oder. Carcinom handelt. Iiri allgemeinen zerfallen die
Carcinome noch früher und schneller als die Sarkome. Die weichen, zell-
reichen Sarkomarten, wie z. B. das Rundzellen- und das Myxosarkom wachsen
viel schneller als die anderen Formen und geben deshalb eine noch un-
günstigere Prognose.
Selbst bei frühzeitiger Diagnose und trotz der Wahrscheinlichkeit, die
Geschwulst vollständig entfernt zu haben, bleiben die Recidive nur selten
aus; immerhin dürfen wir in diesem Stadium nicht zögern, mit der Schlinge
und dem scharfen Löffel alles Krankhafte wegzunehmen und den Grund des
Tumors galvanokaustisch zu veröden. Hellat will ein ausgebreitetes Kund-
zellensarkom bei einer 70jährigen Frau, bei der die Submaxillardrüsen schon
geschwollen waren, durch die Schlinge und Pyoktanineinspritzungen in die
geschwollenen Lymphdrüsen geheilt haben. Bei den vorgeschrittenen Fällen
müssen wir immer noch versuchen, nach Spaltung der Nase oder partieller
Resection der Nasenknochen die Geschwulst zu exstirpiren und den Mutter-
boden mit scharfem Löffel und dem Paquelin so gründlich als möglich zu
zerstören. In der Regel zeigen sich schon wenige Wochen nach der Opera-
tion Recidive, und es erwächst uns die Aufgabe, die Schmerzen der Patienten,
den stinkenden Ausfluss, die Nasenstenose durch Freimachen des Nasen-
innern mit Hilfe partieller Exstirpationen der voluminösen Tumormassen zu
bekämpfen, die Blutungen durch galvanokaustische Aetzungen zu verringern,
bis nach einigen Monaten der Tod durch Erschöpfung oder infolge von Ge-
hirncomplicationen eintritt. Kuhn.
Sarkome des Rachens. Das Sarkom des Rachens befällt vorwiegend
Männer zwischen 30— 60 Jahren. Es geht am häufigsten von den Tonsillen
aus, seltener von jenen zerstreuten, im Rachen liegenden lymphoiden Gewebs-
partien. insbesondere an der Zungenbasis. Histologisch hat dieses Sarkom
last durchaus den Charakter des malignen Lymphom (LymjjJiosarkom).
Die Sarkome des Rachens bilden theils breit aufsitzende Geschwülste, theils
ulceröse in einer Ebene fortwachsende Neugebilde, welche schwere Störungen
der Deglutition der Sprache und der Athmung veranlassen.
Diagnostisch müssen sie vor allem vom Carcinom unterschieden werden
(vergl. „Carcinom des Backens"'). Schwieriger ist zuweilen die Unterscheidung
von Gummata, die ja bekanntlich sehr häufig im Rachen sitzen. Die einzige
Entscheidung bringt oft nur den Effect einer eingeleiteten antiluetischen
Therapie.
Die Prognose der Sarkome des Rachens ist selbstverständlich ungün-
stig, insbesondere dann, wenn durch das eigenthümliche Flächen wachsthum
derselben eine Operation auch im Beginn Schwierigkeit macht.
Die Behandlung kann selbstverständlich nur in Entfernung des
Tumor bestehen und wird, wenn dieselbe durchs Messer nicht möglich ist,
die elektrolytische Zerstörung der Neubildung empfohlen. Symptomatisch
müssen die Deglutitionsbeschwerdeu durch Cocain und Mentholpinselungen ge-
mildert werden, zuweilen ist man gezwungen, die Ernährung mittels der
Schlundsonde durchzuführen und ad ultimum treten die Narcotica in ihre
Rechte. R.
Schlundkrämpfe. Aetiologie. Alle centralen Erkrankungen, die eine
Schlundlähmung (s. Pares. veli pal.) verursachen können, sind auch im Stande,
solange noch keine Leitungsunterbrechung eingetreten ist, Schlundkrämpfe zu
erzeugen. Diese werden weiterhin beobachtet bei Tetanischen, Hydrophobischen,
resp. solchen Leuten, die von einem wuthkranken Hunde gebissen zu sein
glauben, oder bei Hypochondern, Hysterischen, Onanisten, Tabikern. Der Globus
hystericus ist vielleicht auch hierher zu rechnen, weil es oft den Eindruck
macht, als würde die eigenthümliche Empfindung einer auf- und nieder-
592 SECÜNDÄRE SINNESEMPFINDÜNGEN.
steigenden Kugel durch Contractionen der Oesophagus- und Schlundmusculatur
hervorgerufen.
Gewöhnlich sind die Krämpfe tonische und nicht selten setzen sie sich auch
auf den Oesophagus fort und dies um so leichter, als der obere Theil des-
selben vom Plexus pharyngeus versorgt wird.
Trigeminusneuralgien infolge einer Wurzelerkrankung dieses Nerven,
oder periphere Reizung desselben, sowie Reizzustände im Bereiche des Accesso-
rius, Glossopharytigeus und Facialis können Krämpfe des weichen Gaumens
hervorrufen. Auch Rhinitis hyperplastic, sowie Pharyngitis granulosa et late-
ralis sind in einigen Fällen angeschuldigt worden.
Symptome. Werden die Schlingmuskeln von dem Krämpfe befallen,
so tritt natürlich eine Behinderung des Schluckactes ein; der Schlund wird
eng und lässt den Bissen nicht hindurch, oder dieser wird, wenn er etwas
weiter nach unten gelangt ist, festgehalten, es tritt ein Erstickungsgefühl ein,
und der Bissen wird entweder herausgeschleudert oder gelangt auch, wenn
der Krampf inzwischen aufgehört, hinunter in den Magen.
Bei dem Spasmus des Velum zeigen die Gaumenbögen einen senkrecht
in die Höhe steigenden Rand, das Gaumensegel liegt der hinteren Rachen-
wand fest an; infolge einer krampfhaften Eröffnung des Tubenostiums hören
die Kranken zuweilen ihre Stimme verstärkt (Autophonie). Beim klonischen
Krämpfe betheiligen sich vorzugsweise der Levator und Tensor veli palatini
und der Azygos uvula. Es treten rhythmische oder unregelmässige Zuckungen
(20 — 160 in der Minute) auf, durch die der weiche Gaumen nach oben und
hinten gezogen wird; dabei entsteht oft ein knackendes Geräusch, das wahr-
scheinlich hervorgebracht ward durch das gleichzeitig stattfindende krampf-
hafte Oeffnen und Schliessen der schleimbedeckten Tubenwände. Dieses Ge-
räusch kann ein rein subjectives oder auch ein objectives sein.
Die Diagnose stützt sich auf die objectiv wahrnehmbaren zuckenden
Bewegungen der Gaumenmusculatur, sowie auf den Umstand, dass die Schlund-
sonde während des Spasmus absolut nicht einführbar ist, während sie in der
anfallsfreien Zeit ohne Schwierigkeiten passirt. Ebenso sind auch die Schluck-
störungen nur in der spastischen Periode vorhanden.
Die Prognose, im ganzen günstig bei Neurasthenie, Hypochondrie
u. s. w., ist natürlich infaust bei Hydrophobie und gewöhnlich auch bei
centraler Ursache.
Die Behandlung richtet sich nach der Grundursache und hat eine
Herabsetzung der Reflexerregbarkeit durch Nervina, Allgemeinbehandlung, Kalt-
wassercuren und ähnliche Maassnahmen zum Ziele. A. eosenberg.
SeCUndäre Sinnesempfindungen. Man versteht darunter die eigen-
thümliche Erscheinung, dass einzelne Personen auf einen einfachen Sinnes-
reiz mit einer zweifachen Sinnesempfindung reagiren. Obgleich nach den
Untersuchungen Urbantschitsch's auch bei normal veranlagten Individuen
consensuelle Erregungen in mehreren Bahnen von Sinnesnerven bei Reizung
eines Sinnesorganes stattfinden, muss man doch die exquisiten Fälle wirk-
licher Doppelempfindung, bei welchen dieselbe deutlich zum Bewusstsein
kommt, von den eben erwähnten, innerhalb der physiologischen Breite ver-
laufenden und meist unbewussten Vorgängen unterscheiden.
In der Mehrzahl der Fälle von Doppelempfindungen handelt es sich um
Licht- und Farbenempfindungen, welche gleichzeitig mit der Wahrnehmung
musikalischer Töne oder sprachlicher Laute auftreten. Seltener ist das Vor-
kommen von Farbenempfindung bei Geruchs- und Geschmacks-Sensationen,
bei Tast-, Schmerz- und Temperatur-Eindrücken; noch seltener findet sich das
umgekehrte Verhältnis, dass optische Eindrücke Gehörsempfindungen zur
Folge haben.
SEKUNDÄRE SINNESEMPFINDUNGEN. 593
Man kaLn nun wieder zwischen solchen Personen unterscheiden, welche
bei einem akustischen Eindruck zugleich eine directe, wirkliche Farben-
empfindung haben, und solchen, welche schon beim Denken an gewisse Laute
oder Worte auch die Vorstellung einer bestimmten Farbe damit verbinden,
ohne dass der Laut oder das Wort gesprochen, respective gehört wird. So
gibt es eine nicht geringe Zahl von Individuen, welche mit den einzelnen
Vocalen sehr entschieden die Vorstellung einer bestimmten Farbe verbinden.
Ein constantes Verhältnis zwischen Vocal und Farbe liess sich jedoch bisher
nicht nachweisen; den Vocalen a, e, i entsprechen durchschnittlich hellere,
dem 0 und u dunklere Farben, es kommen aber mehrfache Ausnahmen von
dieser Regel vor. Man darf vielleicht annehmen, dass letztere Personen in
frühester Jugend wirkliche Doppelempfindungen gehabt haben, dass diese
später allerdings erloschen, jedoch erst dann, als die Combinationen der sen-
sorischen Wahrnehmungen dem Gedächtnisse bereits fest eingeprägt waren.
So erklärt es sich, dass später, bei d6r Erinnerung an den Laut oder das
Wort auch die associative Vorstellung der Farbe zwangsweise immer wieder-
kehrte.
Von grösserem Interesse sind die in die erste Rubrik gehörenden, aller-
dings seltenen Fälle, in welchen wirkliche Doppelempfindungen angegeben
werden. Durch eine im Beginne des Jahres 1873 in der „Wiener medicinischen
Wochenschrift" erschienene Arbeit eines damals in Wien Philologie Studiren-
den, Namens Nussbäumer, wurde zum ersten Male die allgemeine Aufmerk-
samkeit auf diese in physiologischer Beziehung ausserordentlich wichtige
Frage hingelenkt. Unter dem Titel ;;Ueber subjective Farbenempfindungen,
die durch objective Gehörsempfindungen erzeugt werden", beschrieb Nuss-
BAUMEE seine eigenen, höchst überraschenden Sensationen. Er hatte von
Kindheit auf so lebhafte Farbenempfindungen bei jeder Tonwirkung, z. B.
bei Glockenklängen, dass die Schönheit der dabei empfundenen Farben ihn
schon als Knaben zuweilen veranlasste, in laute Bewunderung darüber aus-
zubrechen, während die Tonempfindung an und für sich eine derartige Wir-
kung nicht erzeugte. Ein um zwei Jahre älterer Bruder Nussbaumer's hatte
dieselben Doppelempfindungen, sah aber bei der Klangwirkung andere Farben
als der jüngere Bruder. Das Gehörorgan des letzteren war sehr fein; er
konnte ohne Beihilfe von Resonatoren 11 Partialtöne aus einem tieferen
Klaviertone heraushören, und bei darauf gerichteter Aufmerksamkeit hatte
er bei jedem Partialtöne eine andere subjective Farbenempfindung.
Im Jahre 1881 erschien eine Broschüre von zwei damals in Zürich
studirenden Candidaten der Medicin, Namens Bleuler und Lehmann, unter
dem Titel: „Zwangsmässige Lichtempfindungen durch Schall und verwandte
Erscheinungen auf dem Gebiete der anderen Sinnesempfindungen". Von den
Verfassern war Bleuler selbst mit entschiedenen Doppelempfindungen be-
haftet. Derselbe hatte nicht nur Farbenempfindungen bei akustischen Ein-
wirkungen, sondern empfand auch umgekehrt Geräusche beim Anblick einer
Flamme oder einer lebhaften Farbe; er hatte ferner Licht- und Farbensensa-
tionen bei Geruchs- und Geschmacksempfindungen. Die Verfasser hielten
Umfrage bei etwa 600 Personen, wobei sich herausstellte, dass annähernd
der achte Theil derselben mit der in Frage stehenden Eigenthümlichkeit mehr
oder weniger begabt war. Häufig konnte Erblichkeit der Doppelempfindungen
nachgewiesen werden, und ferner constatirten die Verfasser, dass dieselben
bei manchen Personen nur in der Jugend auftraten, später dagegen an Inten-
sität abnahmen oder auch ganz verloren gingen. Auf letzterem Umstände
beruht die oben erwähnte, von mir zuerst ausgesprochene Vermuthung von
dem Uebergange der secundären Sinnesempfindung in associirende V o r-
stellung, wie sie bei einigen Individuen zeitlebens bestehen bleibt.
Ausser diesen beiden epochemachenden Publicationen erschienen Mit-
Ohren-, Nasen-, Eaclien-, Kehlkopfkrankheiten. «'O
594 SENSIBILITÄTSNEUROSEN DES KEHLKOPFES.
theilungen einer grösseren Anzahl von Gelehrten über Doppelempfindungen,
welche hier nicht näher berücksichtigt werden können.
Es ist zur Zeit nicht möglich, eine befriedigende Erklärung des uns
hier beschäftigenden Vorganges zu geben. Gibt man die Existenz centraler
Sinnesfelder zu, so ist die nächstliegende Vermuthung berechtigt, dass eine
sensorische Reizung, z. B. eine Reizung des Hörnerven, bei einigen Menschen
das Gehörcentrum, nachdem dieselbe hier zur Wirkung gekommen, über-
schreite, und auf associirenden Nervenbahnen zum optiscl^en Centrum ge-
langend, auch die Zellen dieses Sinnesfeldes zu einer Function anregen könne,
und umgekehrt.
Die Richtigkeit dieser Annahme vorausgesetzt, würde man wieder daraus
folgern können, dass der einem Sinnesnervenepithel adäquate Reiz von dem-
selben aufgenommen, dann aber nicht in specifischer, sondern überall in
gleicher Form und in bestimmten Nervenfasern zu den centralen Sinnes-
feldern geleitet werde, und erst hier wieder die specifische Function be-
stimmter Ganglienzellen anrege. Es wäre sonst unmöglich, dass der mecha-
nische Impuls einer periodischen Luftbewegung von einigen hundert oder
tausend Schwingungen in der Secunde, welcher im Gehörcentrum eine Ton-
empfindung erzeugt, auf das Farbencentrum übergehen und hier eine Wir-
kung ausüben sollte, zu deren Zustandekommen auf gewöhnlichem Wege eine
ungleich grössere Zahl von Schwingungen des Lichtäthers in dem gleichem
Zeiträume erforderlich ist.
Hinsichtlich der Frage, ob die mit entschiedenen Doppelempfindungen
behafteten Personen gesund seien, wäre zu bemerken, dass dieselben im all-
gemeinen körperlich und geistig vollkommen normal sein können, dass aber
doch ein gewisser Grad erhöhter cerebraler Reizbarkeit im Bereiche einiger
centraler Sinnesfelder, oder das Fehlen von centralen Hemmungsvorrichtungen
bei ihnen nicht in Abrede gestellt werden kann. Für diese Annahme spricht
auch die nicht selten nachgewiesene Erblichkeit der Doppelempfindungen,
ferner die Thatsache, dass die Erscheinung in der Jugend oft am lebhaftesten
aufgetreten sei und sich mit den Jahren abgestumpft habe.
STEINBRÜGGE.
Sensibilitätsneurosen des Kehlkopfes. Mit Sensibilitätsneurosen
des Kehlkopfes bezeichnen wir alle diejenigen Störungen der Empfindung im
Kehlkopf, welche ohne eine sichtbare pathologisch-anatomische Veränderung
des Organes selbst einhergehen oder zu den etwaigen vorhandenen Verände-
rungen nicht in geradem Verhältnisse stehen. Es handelt sich demnach um
eine Erkrankung der sensiblen Nerven des Kehlkopfes. Die Erkrankungen
derselben äussern sich entweder in einer Abnahme oder Steigerung oder Ver-
änderung des normalen Gefühles.
Anästhesie und Hypästhesie. Unter Anästhesie, resp. Hypästhesie
des Kehlkopfes verstehen wir eine vollkommen aufgehobene, resp. herab-
gesetzte Empfindlichkeit der Kehlkopfschleimhaut. Eine Abnahme der nor-
malen Sensibilität, eine Herabsetzung der Reaction der sensiblen Nerven
gegenüber dem einwirkenden Reiz kann man bei vielen Personen unter nor-
malen Verhältnissen constatiren, Fälle, in denen die Sensibilität des Kehl-
kopfes in so geringem Maasse entwickelt ist, dass man schon bei der ersten
Sitzung endolaryngeale Manipulationen vornehmen kann. Diese Hypästhesie
ohne irgend eine krankhafte Grundlage kann man noch nicht als pathologisch
betrachten und nur als eine individuelle Eigenthümlichkeit ansehen. Es ist
deshalb auch schwer, in jedem Falle zu entscheiden, ob es sich um eine
physiologische oder pathologische Hypästhesie handelt.
Die beiden Erkrankungen sind nur graduell von einander verschieden.
Sie können entweder durch centrale Zustände, wie Hysterie, Epilepsie, Bulbär-
paralyse, cerebrale Herderkrankungen, Hemiplegieen, durch Tabes, multiple
SENSIBILITÄTSNEÜROSEN DES KEHLKOPFES. 595
Sklerose, verursacht werden oder treten infolge von peripherer Lähmung der
sensiblen Fasern, namentlich des Nervus laryngeus superior auf. Am häufigsten
tritt die Anästhesie nach Diphtherie ein. Auch nach Influenza hat man
sie beobachtet.
RoMBEKG beobachtete Anästhesie der Kehlkopfschleimhaut im asphyktischen
Stadium der Cholera asiatica. Ott beschrieb neuerdings eine halbseitige
Anästhesie des Kehlkopfes, die durch eine Degeneration der rechtsseitigen
Vaguswurzeln infolge von Nervensyphilis verursacht war. Wir fanden, dass
auch bei der traumatischen Neurose die Sensibilität des Kehlkopfes in den
meisten Fällen abgestumpft, resp. vollkommen erloschen war, und zwar immer
nur einseitig. Welche Seite des Kehlkopfes befallen war, hing davon ab, auf
welcher Seite der Kranke bei dem Unfälle den Stoss, resp. die Verletzung
erlitten hatte. Stets correspondirte beides.
Eine künstliche Anästhesie können auch Arzneimittel hervorrufen, wie
Cocain, Menthol, Morphium, Chloroform- und Aethernarkosen.
Symptome. Viele Kranke haben in der Regel gar keine oder nur
wenig Beschwerden von der Hypästhesie, resp. Anästhesie. Erst die objective
Untersuchung wird die Krankheit erkennen lassen. Wenn man mit irgend
einem Gegenstande, z. B. mit der Sonde, das Innere des Kehlkopfes berührt,
so wird, wenn die Schleimhaut nur hypästhetisch ist, der Kranke wohl diese
Berührung fühlen, aber die Reflexe werden nicht in ihrer gewöhnlichen Inten-
sität ausgelöst. Bei dem vollkommenen Erloschensein der Sensibilität ist die
Schleimhaut des Kehlkopfinneren gegen Sondenberührung ganz unempfindlich.
Die Reflexe sind vollkommen aufgehoben. Ja das Stechen der Schleimhaut
mit einem spitzen Instrumente wird oft nicht empfunden (Analgesie). In
einzelne nFällen beschränkt sich die Anästhesie nur auf einige Stellen des
Kehlkopfes, und oft ist nur die eine Seite befallen. Zuweilen besteht Hyp-
ästhesie auf der einen Seite, während auf der anderen Seite Anästhesie vor-
handen ist. Beschränkt sich die Anästhesie allein auf das Ausbreitungsgebiet
des Nervus laryngeus superior, so ist die Kehlkopfschleimhaut nur bis zum freien
Rande der Stimmbänder anästhetisch. Manchmal setzt sich die Empfindungs-
losigkeit weit auf die Tracheaischleimhaut fort. Besteht neben der Anästhesie
des Larynx eine erhöhte Schmerzempfindung {Hyperalgesie), so nennt man
nach Schnitzler diesen Zustand Anaesthesia dolorosa laryngis.
Da namentlich bei Diphtherie in den meisten Fällen ausser dem sensiblen
Ast des Nervus laryngeus superior auch der äussere motorische Ast desselben
befallen ist, so wird auch eine Lähmung des Musculus cricothyreoideus und der
Musculi thyreo- und aryepiglottici zu constatiren sein. Die Epiglottis steht mehr
oder weniger aufrecht und neigt sich beim Schlingact nicht nach hinten. Infolge-
dessen kann der Kehlkopfeingang nicht verschlossen werden, die Speisetheile
können während des Schlingen s sehr leicht in den Kehlkopf gelangen,
rufen bei der Berührung mit der noch empfindlichen Trachealschleimhaut die
heftigsten Hustenanfälle hervor, und können dadurch nicht nur die Gefahr
des Erstickens herbeiführen, sondern auch folgenschwere Erscheinungen, wie
Fremdkörperpneumonie, veranlassen. Die Schleimhaut des Kehlkopfes zeigt
dabei keine Veränderung, in einzelnen Fällen ist sie durch die häufige Be-
rührung mit den eingedrungenen Speisen etwas geröthet. Das Eintreten der
Anästhesie erfolgt zuweilen schon während des entzündlichen Stadiums der
Krankheit, gewöhnlich aber erst, nachdem der diphtheritische Process abgeheilt
ist. Die sensible und motorische Lähmung entwickelt sich im Kehlkopf am
intensivsten auf der Seite, auf welcher die Diphtherie sich ausschliesslich
oder vorwiegend localisirte. Neben der diphtheritischen Anästhesie der Kehl-
kopfschleimhaut findet sich auch in den meisten Fällen die Rachenschleim-
haut empfindungslos.
38*
596 SENSIBILITÄTSNEÜROSEN DES KEHLKOPFES.
Die Anästhesie, die nach Diphtherie auftritt, schwindet meist spontan
nach sechs bis sieben Wochen. Stets ist die Dauer und der Ausgang der
Anästhesie des Kehlkopfes natürlich von dem Verlaufe des Grundleidens
abhängig.
Das Leiden der vollständigen Larynxanästhesie ist demnach als eine
sehr ernste Störung zu betrachten, und viele Kinder, die schon die eigent-
liche Diphtherie glücklich überstanden haben, können noch an der infolge
der Anästhesie auftretenden Lungenerkrankung zu Grunde gehen.
Die Diagnose lässt sich sicher nur durch die laryngoskopische Unter-
suchung mittelst Sondenberührung feststellen. Auch kann mit dem elektrischen
Strom mittelst feiner Kehlkopfelektroden die Sensibilität geprüft werden.
Bei der Hyperästhesie ist eine besondere Behandlung nicht nöthig. Ge-
ringe Abnahmen der Sensibilität können sogar ohne irgend welche Therapie
vorübergehen. Die Therapie der vollständigen Larynxanästhesie fällt zusammen
mit der Behandlung der eigentlichen ursächlichen Krankheit. Die örtliche
Behandlung besteht in der Anwendung des faradischen oder galvanischen
Stromes oder beider abwechselnd, indem man die Elektroden, am besten eine
Doppelelektrode nach Ziemssen in den Sinus pyriformis einführt, und die Spitzen
der Branchen durch Heben des Elektrodengriffes gegen die vordere Wand des
Sinus drückt, um die Plica N. laryngei direct zu treffen. Auch Strychnin-
injectionen sind mit gutem Erfolge empfohlen worden. Nach Ziemssen be-
ginne man mit kleinen Dosen, und zwar 0-005 in Lösung, und steige bei
Erwachsenen bis zu 0*01 zweimal täglich. Statt der Injectionen kann man
auch innerlich die Tinct. Semin. Strychni dreimal täglich 5 bis 10 Tropfen
geben. Besonders bei der nach diphtheritischer Halsentzündung auftretenden
Anästhesie konnten wir durch gleichzeitige Anwendung der Elektricität und
Strychninbehandlung den Verlauf günstiger gestalten und etwas abkürzen.
Das Wichtigste bei der Behandlung der completen Anästhesie ist jedoch die
Vermeidung der Fremdkörperpneumonie und die Sorge für eine kräftige Er-
nährung des Kranken. Der Patient muss mittelst der Schlundsonde ernährt
werden, bei deren Einführung man grosse Vorsicht üben muss, damit sie
nicht in den anästhetischen Kehlkopf gerathe. Auch ernährende KJystire
sind in vielen Fällen unerlässlich.
Hyperästhesie und Neuralgie. Unter Hyperaesthesia laryngis versteht
man eine gesteigerte Reizbarkeit des Kehlkopfes, welche durch einen centralen
oder peripheren Reiz zu Stande kommt. Durch einen derartigen Reiz wird
eine gesteigerte Sensibilität herbeigeführt, die entweder als Schmerz wahr-
genommen oder von Reflexerscheinungen begleitet wird. Die Hyperästhesie
findet sich oft als regelmässige Erscheinung bei acuten Entzündungen des
Kehlkopfes. Meist tritt sie auf infolge von Hysterie, Neurasthenie und Hypo-
chondrie, sehr häufig bei Anaemie und Chlorose. Auch beobachtet man die
Hyperästhesie des Kehlkopfes zur Zeit der Dentition, während der Menstru-
ation und Schwangerschaft. Bekannt ist, dass Lungenschwindsüchtige sehr
reizbar im Kehlkopf sind. Ja nicht selten kann eine Hyperästhesie des Kehl-
kopfes als Vorläufer der Lungenphthisis gelten, bevor noch an den Lungen
sich etwas nachweisen lässt. Häufig wird sie auch durch krankhafte Processe
im retronasalen Raum des Pharynx verursacht oder geht reflectorisch von
den Tonsillen oder der Nasenschleimhaut aus.
Zu bemerken ist, dass bei der individuellen Verschiedenheit der phy-
siologischen Reizbarkeit der Kehlkopfschleimhaut ebenso wie bei der Hyp-
ästhesie auch ein geringer Grad von Ueberempfindlichkeit durchaus nicht
pathologisch zu sein braucht.
Die Symptome, welche die Hyperästhesie macht, sind Hustenreiz, Kitzel
und Brennen, eine grosse Empfindlichkeit des Kehlkopfes gegen Temperatur-
unterschiede, gegen staubige und rauchige Luft. Die Reflexerregbarkeit ist so
SENSIBILITÄTSNEÜROSEN DES KEHLKOPFES. 597
gesteigert, dass die Schleimhaut gegen die leiseste Berührung abnorm stark
reagirt, und dass es unmöglich wird, Eingriffe in der Kehlkopfhöhle vorzu-
nehmen. Selbst nach kleinen Reizen der Schleimhaut kann es zu heftigen
Hustenparoxysmen und laryngospastischen Anfällen kommen. Die Hyper-
ästhesie ist oft so hochgradig, dass nicht nur die Berührung, sondern schon die
Annäherung eines Gegenstandes an das Kehlkopfinnere die heftigsten Reflexe
hervorruft. Zuweilen ist die Hyperästhesie mit brennenden, stechenden
Schmerzen in der Kehlkopfgegend verbunden (Hyperalgesie), ohne dass sich
bei der genauesten laryngoskopischen Untersuchung eine sichtbar pathologisch
anatomische Veränderung im Kehlkopfe als Ursache dafür erkennen lässt.
Wenn auch die Hypochondrie oft die Ursache der Hyperästhesie, so kann
umgekehrt die fortwährend gesteigerte Empfindlichkeit auf das Gemüt der
Kranken einen ungünstigen Einfluss über und zur Hypochondrie führen.
Eine besondere Form der Hyperalgesie ist die Neuralgie des Kehl-
kopfes. Sie kommt äusserst selten vor und charakterisirt sich durch anfalls-
weise auftretende Schmerzen im Halse oder unter dem Brustbein, ganz ent-
sprechend dem Verlauf der Kehlkopf nerven. Mackenzie beobachtete auch inter-
mittirende Neuralgie, welche er durch Chinin heilte. Der Schmerz kann nur
auf einer Seite vorhanden sein und nach dem Ohr der entsprechenden Seite
ausstrahlen. Mitunter treten die Schmerzen nur bei der Phonation auf; der-
artige Fälle sind von Krishabek, Peter, Gottstein beobachtet. Zuweilen
sind die Schmerzen so heftig, dass die Kranken zu absolutem Stillschweigen
verurtheilt werden (Phonophobie). In dem von Gottstein beobachteten Falle
konnte bei mehr als zweijähriger Beobachtung der Patientin nie eine Ver-
änderung im Kehlkopf nachgewiesen werden. Manchmal gelingt es, schmerz-
hafte Druckpunkte am Halse nachzuweisen,(E. Fränkel), die gegen die Appli-
cation des Constanten Stromes ausserordentlich empfindlich sind.
Wenn auch die Hyperästhesie für das Leben keine Gefahr herbeiführt,
so ist sie doch von grosser Hartnäckigkeit und recidivirt sehr leicht.
Die Therapie hat sich gegen die etwaige Allgemeinerkrankung zu richten.
Innerlich sind zu empfehlen Brompräparate, die die abnorm gesteigerte Sensi-
bilität der Kehlkopfschleimhaut herabzusetzen im Stande sind. Häufig und
mit gutem Erfolge haben wir auch die örtliche Application einer Bromkali-
lösung, sowie der vom Jurasz empfohlenen Chloralmorphiumlösung (Chloral-
hydrat 4, Morphin muriat O'l, Aqu, destill. lOO'O) angewandt. In anderen
Fällen bedienten wir uns des constanten Stromes, indem wir die Anode auf
die vordere Halsgegend aufsetzten und die Kathode auf die Halswirbelsäule.
Gelingt es, Schmerzpunkte zu finden, so wird die Anode auf dieselben gesetzt,
und man elektrisire 3 — 5 Minuten. Gottstein hat die feuchte Wärme in
Gestalt von in heisses Wasser getauchten Compressen gute Dienste geleistet.
Er lässt dieselben als handbreite, 6— Sfach zusammengelegte Tücher anwenden,
welche in so heisses Wasser getaucht werden, wie es die Kranken nur er-
tragen können, und gut ausgewunden auf den vorderen Umfang des Halses
gelegt werden. Die Compressen werden alle 1 — 2 Minuten gewechselt, eine
halbe Stunde lang (ein- bis zweimal täglich). Neuerdings haben Braun und
Lakeb die Schleimhautmassage für die Hyperästhesien empfohlen. Will man
die Hyperästhesie behufs eines operativen Eingriffes beseitigen, so ist natürlich
am einfachsten die Bepinselung der Kehlkopfhöhle mit einer 10 böigen
Cocainlösung.
Parästhesie. Unter Parästhesie des Kehlkopfes versteht man eine
krankhafte Veränderung der Gefühle, welche entweder ohne eine sichtbare
örtliche Erkrankung im Kehlkopf bestehen oder durch eine so leichte locale
A^'eränderung des Organes verursacht werden, dass die perversen Empfindungen
mit der etwa vorhandenen geringfügigen Affection qualitativ und quantitativ
in gar keinem Verhältnisse stehen. Unter den Sensibilitätsneurosen des Kehl-
598 SENSIßlLITÄTSNEUROSEN DES RACHENS. .
kopfes ist wohl die Parästhesie die häufigste. Als Ursache der Parästhesie
sind Anämie und Chlorose, Hysterie, Neurasthenie und Hypochondrie anzusehen.
Namentlich haben die Syphilophoben furchtbar unter den abnormen Sensa-
tionen am Kehlkopfe zu leiden. Häufig beobachtet man die Parästhesie des
Kehlkopfes im Verlauf von chronisch entzündlichen Zuständen der Lunge.
Manchmal ist sie eine Begleiterscheinung der beginnenden Lungentuberkulose,
worauf JuEASz zum ersten Male aufmerksam gemacht hat, und zwar schon zu
einer Zeit, wo nicht die geringsten Zeichen einer Lungenaffection festzu-
stellen sind.
Die abnormen Empfindungen äussern sich in Brennen, Drücken, Kratzen,
Kitzeln, Wundsein im Kehlkopf, namentlich aber in dem Gefühl eines Fremd-
körpers. Die fremdartigen Gefühle sind sehr verschiedener Natur und richten
sich in der Art, wie sie beschrieben werden, gewöhnlich je nach dem Bildungs-
grade und der Beschäftigung des Kranken. Bald ist es ein Knochenstück
oder eine Gräte, bald eine Nadel oder ein eiserner Stift, bald eine Glasscherbe,
Haar, "Watte u. s. w. Die Sensationen sind entweder beständig vorhanden
oder nur zeitweise, so namentlich während des Sprechens. Wird die Auf-
merksamkeit des Kranken von seinem Leiden abgelenkt, so vergisst er zu-
weilen seine Beschwerden. Neben der Parästhesie findet sich oft eine ver-
minderte Reizbarkeit oder auch eine Hyperästhesie der Kehlkopfschleimhaut.
Die Parästhesie des Kehlkopfes ist ebenso wie die H}Tperästhesie kein
gefährliches Leiden, aber von grosser Hartnäckigkeit und ein langwieriges
Leiden, welches nicht nur den Kranken, sondern auch den behandelnden Arzt
oft in Verzweiflung bringen kann.
Die Therapie hat stets das vorhandene Allgemeinleiden zu berücksich-
tigen. In allen Fällen muss man sorgfältig untersuchen, ob die Parästhesie
wirklich eine rein nervöse ist, oder ob dieselbe nicht auf einer, wenn auch
noch so geringfügigen Erkrankung der Schleimhäute beruht. Selbst wenn
die Empfindung von dem Kranken in den Kehlkopf verlegt wird, so kann die
Parästhesie ihre Ursache in einer Erkrankung der Zungentonsille, des Rachens
und namentlich des Nasenrachenraums haben. Die Therapie hat sich gegen
die etwa vorgefundenen nachweisbaren Veränderungen zu richten und wird
oft die Sensationen beseitigen können. Von einer localen Anwendung einer
2 — 37ogen Arg. Nitr. Lösung erzielte Gottstein zuweilen selbst in solchen
Fällen Nutzen, bei denen eine örtliche Affection der Kehlkopfschleimhaut
nicht nachgewiesen werden konnte. scheier.
Sensibilitätsneurosen des Rachens. Die Schleimhaut des Rachens
kann die Erscheinung der Anästhesie, Hyperästhesie und Parästhesie dar-
bieten. Anästhesie findet sich bei Anämien, Marasmen und Kachexien.
Specifisch ist die Anästhesie, namentlich als Hemanästhesie bei der Hysterie.
Hyperästhesie des Pharynx findet sich bei Potatoren, Phthisikern, Graviden.
Auch als Symptom von Gehirn erkrankungen, Meningitis, wird sie erwähnt.
Sehr empfindlich ist selbstverständlich der Rachen im entzündeten Zustande,
und zwar umso mehr, je acuter die Entzündung. Parästhesie, eine abnorme
Sensation im Pharynx, ist eine ungemein häufige Störung. Die Patienten
klagen über allerhand fremde, unangenehme Empfindungen im Halse, über
das Gefühl, als hätten sie eine Gräte, ein Haar, einen Lappen, eine Feder^
eine Nadel u. s. w. im Rachen stecken. Es gibt reine Parästhesien ohne
andere nachweisbare Veränderung, als manchmal Anämie; zuweilen findet sich
die Parästhesie häufig als Frühstadium von Lungenphthise. Diese gibt viel-
leicht durch trophische Störungen an den sensiblen Nervenästchen durch
Uebertragung von Reizzuständen im Centrum — also reflectorisch — zu einer
Sensibilitätsneurose Veranlassung. Selbst wenn pathologische Veränderungen
vorhanden, sind sie keineswegs immer mit der Parästhesie in causalen Zu-
sammenhang zu bringen. Sie ist centraler, peripherer oder reflectorischer Natur.
SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN. 599
Wenngleich bei fast all diesen Patienten für ihre abnormen Empfindun-
gen eine nervöse Grundlage nachweisbar ist, und der grösste Theil derselben
weibliche Personen zum Theil mit anderen ausgesprochenen hysterischen Sym-
ptomen sind, so ist andererseits doch in einer erklecklichen Zahl der Fälle
eine von der Norm abweichende objective Veränderung als Ursache für die
Parästhesie nachweisbar, eine Veränderung, die freilich bei sonst gesunden
Personen eine nur unbedeutende und nicht beachtete oder auch gar keine
besondere Empfindung hervorzurufen braucht.
Parästhesien finden sich am häufigsten bei Vorhandensein oder nach
Extraction von Fremdkörpern, als Symptom der Uvula elongata und endlich
bei Hyperplasie der Zungentonsille.
Neuralgien des Pharynx sind selten und am häufigsten auf hyste-
rischer Basis, zuweilen treten sie nur zur Zeit der Menses auf. Die Behand-
lung der Sensibilitätsneurosen des Rachens richtet sich durchaus nach der
Aetiologie. R-
Simulation von Gehörleiden. Simulation von Gehörleiden kommt
wohl am häufigsten vor zum Zwecke, sich einer lästigen Dienstverpflichtung,
insbesondere dem Kriegsdienste zu entziehen, oder um nach Misshandlungen,
beziehungsweise Verletzungen am Kopf, besonders am Ohr oder in der Nähe
des Gehörorganes, ein gehöriges Schmerzensgeld, beziehungsweise Versorgungs-
ansprüche zu erpressen.
Ersatzansprüche unbegründeter Art können ferner an Unfallversicherungs-
gesellschaften, und zwar wohl am häufigsten gestellt werden von Fabriks-
arbeitern, denen es bekannt ist, dass Beschäftigungen, welche mit Erschütte-
rungen des Gehörorganes verbunden sind, zu Schwerhörigkeit, selbst Taubheit
führen können (z. B. Signaltaubheit bei Eisenbahnbediensteten), endlich sind
analoge Anforderungen an Eisenbahnverwaltungen für angebliche Gehörs-
störungen infolge von Shock bei Eisenbahnkatastrophen denkbar.
Um Mitleid hervorzurufen, wie solches bei Simulation von Erblindung
oft der Fall sein dürfte, hat wohl kaum jemand eine Taubheit simulirt. Ist
ja doch bekannt, dass Schwerhörige und Taube mehr eine lächerliche, als
eine bemitleidete Rolle in der menschlichen Gesellschaft spielen. Indessen
wäre die Simulation von Gehörleiden bei Hysterie aus ziemlich verwandten
Motiven nicht ganz von der Hand zu weisen.
In weitaus den meisten Fällen ist die Simulation von Gehörleiden auf
Uebertreibung vorhandener Gebrechen zurückzuführen; also im strengsten
Wortsinne keine Simulation. Gleichwohl ist auch die Rückführung solcher
Uebertreibungen auf das richtige Maass Aufgabe des den Zustand begut-
achtenden Arztes.
Was nun diejenigen Simulanten betrifft, welche nicht von der Hand weg
als Schwindler zu bezeichnen sind, sondern ein factisch bestehendes Gebrechen
übertreiben, so finden sich solche als — sozusagen verzeihlichere Sorte — vor-
zugsweise unter den Wehrpflichtigen.
Es hat z. B. ein Solcher in seiner Jugend thatsächlich ein Ohrenleiden
gehabt; er weiss vielleicht, dass ein gewisser Grad von Schwerhörigkeit oder
erkennl3are Zeichen des überstandenen Leidens (Verkalkungen, Narben etc.)
am Trommelfell zurückgeblieben sind. Er weiss aber auch, dass das Gesetz
einen bedeutenden Grad von Schwerhörigkeit für die Befreiung von der Wehr-
pflicht fordert; nun ist aber z. B. dieser Grad von Schw^erhörigkeit nicht vor-
handen; begreiflich — wenn auch nicht zu billigen — ist, dass er seine ge-
ringe oder allenfalls sogar mittelgradige Schwerhörigkeit zu einer hochgradigen
emporzuschrauben versucht.
Wo gar kein materielles Suhstrat am Gehörorgane, also kein ausge-
sprochenes oder noch bestehendes Gehörleiden vorhanden ist, und wie aus
der Luft gegriifen ein solches behauptet wird, da beliebt das Vorgeben ein-
600 SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN.
seitiger Taubheit, weil, so glauben diese Leute, und nicht ganz mit Unrecht,
eine solche am leichtesten vorzutäuschen sei.
Totale Taubheit auf die Dauer zu simuliren, ist wohl kaum denkbar.
Welchen Aufwand an stets gespannter Aufmerksamkeit und Selbstbeherrschung
mtisste das erfordern!
Unter den Individuen, welche durch Yortäuschung krankhafter Zustände
des Gehörorgänes Hintergehungen — seien sie nun dieser oder jener Art —
auszuführen versuchen, lassen sich folgende drei Gruppen von einander
scheiden.
1. Die einen begnügen sich damit, eine mehr oder weniger vorhandene
Schwerhörigkeit zu übertreiben oder eine gar nicht vorhandene zu simuliren,
ohne weiteres darzuthun, als nur bei Hörprüfungen keine Antwort geben zu
wollen.
2. Die zweite Gruppe aber begnügt sich damit nicht; sie greift activ
ein, sie bringt fremde Körper in das Ohr, um den zu untersuchenden Arzt
zu täuschen, und zwar, entweder um eine Gehörerkrankung vorzutäuschen oder
aber, um bei vorgeschützter Schwerhörigkeit die Hörprüfungen leichter zu
bestehen.
3. Endlich scheut sich eine Anzahl von Menschen nicht, krankhafte Zu-
stände (Entzündungen), vielleicht selbst Verletzungen dem eigenen Gehör-
organe zuzufügen oder herbeiführen zu lassen, um einen thatsächlichen krank-
haften Zustand produciren zu können. Um gleich bei dieser letzten Gruppe
zu verweilen, so muss bemerkt werden, dass Verletzungen und Beschädi-
gungen des Gehörorgänes in der angedeuteten Art überhaupt selten vor-
kommen.
Wie eine directe Verletzung des Gehörorgänes durch ein Instrument
vom untersuchenden Arzt aus dem Befunde allein aufgeklärt werden soll, ist
schwer zu sagen.
Vielleicht könnten Anhaltspunkte entnommen werden aus den dies-
bezüglichen Versuchen, welche Zaufal (Archiv für Ohrenheilkunde, Band 1
und 2) an Leichen ausgeführt hat.
Er fand bei Verletzungen des Trommelfelles an der Leiche, dass das
Werkzeug eine Ablenkung nach vorne auf der schiefen Ebene der hinteren
Partie des Trommelfelles erfährt und daher meistens die vordere Hälfte des
Trommelfelles zerstört wird. Ebenso fand er, dass nicht einfache Stichöffnun-
gen, sondern mehr ausgebreitete Zerreissungen des Trommelfelles, selbst
Bruch von Gehörknöchelchen sich zeigen.
Bei durch Ohrfeigen entstandenen traumatischen Verletzungen des
Trommelfelles findet man in der Kegel die Ruptur an der hinteren Partie
des Trommelfelles, und zwar meist einen einfachen kleinen Einriss, zum
mindesten keinen Bruch eines Gehörknöchelchens. Loslösung des Hammer-
griffendes vom Trommelfell nach einer Ohrfeige habe ich wiederholt gesehen.
Es könnte also dieser Unterschied allenfalls Anhaltspunkte geben, die
angebliche Ursache des Traumas wenigstens zu bezweifeln.
Leichter ist die Beurtheilung solcher Fälle, wo durch Eingiessen von
ätzenden Flüssigkeiten Entzündungen im Ohre erzeugt worden sind; voraus-
gesetzt, dass der Fall nicht zu spät zur Beobachtung kommt. Es ist nämlich
eine Anätzung der äusseren OhröÖnung oder wenigstens des äusseren Gehör-
ganges beim Eingiessen von derlei Flüssigkeiten kaum zu vermeiden, und
hat eine auf derartige Manipulationen folgende Entzündung des äusseren
Gehörganges unbedingt ein anderes Gepräge, als eine Entzündung des äusseren
Gehörganges durch genuines Ekzem oder durch Arrosion infolge eines chro-
nischen Eiterungsprocesses im Mittelohr.
Bekannt sind Fälle, wo durch Canthariden, Seidelbast oder ähnliche
reizende Mittel künstlich Ekzeme erzeugt wurden.
SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN. 601
Durch Auffinden der Reste von derlei Substanzen im Gehörgang oder
sonst beim betreffenden Individuum, ferner durch die anstandlose und meist
rasche Heilung unter einem strengen Occlusivverband (z. B. Zinkleim mit
gestärkter Binde darüber) wird dieses Treiben entweder direct entlarvt oder
ihm für die Folge ein Ende gemacht.
Die zweite Kategorie von Schwindlern, welche durch Einbringen fremder
Körper in das Ohr zu täuschen sucht, kommt häufiger vor als die oben be-
sprochene.
So wurden von Pekant und Laurent Fälle angeführt, wo Hoden von
jungen Hühnern, Nieren von Kaninchen etc. zur Production von Polypen be-
nützt wurden. Auch die abgekappte Spitze von einem Hühnerherz, mit der
Schnittfläche gegen das Trommelfell geschoben, gibt einen ziemlich guten
Kunstpolypen ab. Ohrenflüsse werden in ähnlicher Weise erzeugt, und zwar
durch Eingiessen von Eidotter, Käsemulsion, Seife und dergleichen.
Alle derlei Artefacte sind durch eine einzige Ausspritzung aufgeklärt.
Einfacher ist somit das Verfahren jener, welche sich nicht die Mühe
nehmen oder nicht den Muth dazu haben, mit dem Ohre solcherlei Manipu-
lationen vorzunehmen, welche ein Gehörleiden vortäuschen könnten.
Beständiges Ohrensausen oder hochgradige Schwerhörigkeit nach einer
angeblichen Krankheit oder einer Verletzung am Kopfe können unbekümmert
um einen negativen Trommelfellbefund angegeben werden, und ist es nicht
unmöglich, bei consequenter Aufmerksamkeit die simulirte Taubheit oder
Schwerhörigkeit mit mehr oder weniger Erfolg zu behaupten.
Solche Fälle sind es, welche zu der ziemlich bedeutenden Zahl von Ver-
suchen geführt haben, namentlich einseitige Taubheit oder bedeutende Schwer-
hörigkeit zu entlarven.
Die meisten derselben beruhen mehr oder weniger darauf, die Simulanten
zu überlisten.
Da natürlich bei einem Individuum dieser, bei einem anderen jener
Versuch Erfolg haben und einer oder der andere fehlschlagen kann, so ist
es immerhin wünschenswert, alle die verschiedenen Untersuchungsmethoden
zu kennen, um je nach der Individualität des Falles dieses oder jenes Ver-
fahren zu erproben.
Von jeher ist natürlich das Bestreben des Arztes darauf gerichtet ge-
wesen, von „Ueberlistung" überhaupt absehen zu können, und mit Versuchen
zu arbeiten, welche selbst dem mit dem Vorgang Vertrauten die Simulation
unmöglich machen.
Mit Recht sagt Dewerni, dass Ueberraschungs- und Ueberlistungs-
methoden nur allzuleicht im Falle des Misslingens eine Schädigung der noth-
wendigen ärztlichen Autorität im Gefolge haben können. (Deutsche militär-
ärztliche Zeitschrift 1883, Heft 4, „Ueber Simulation von Gehörleiden und
ihre Entlarvung".)
Das Erwecken aus dem Schlafe durch Ansprechen kann leicht fehl-
schlagen, denn einerseits gibt es normalhörende Leute, welche erst durch
sehr lautes Anrufen wach werden, so dass auch ein sehr Schwerhöriger wach
werden müsste, andererseits kann ein jeder, welcher einen leichten Schlaf
hat und rasch zu sich kommt, trotz des Erwachens ruhig sich weiter schla-
fend stellen, beziehungsweise derart orientieren, dass ihm nichts Positives
bewiesen werden könnte.
Mir ist es ein einziges Mal gelungen, bei einem hochgradige Schwer-
hörigkeit Simulirenden die Schlaftrunkenheit auszunützen und ihn zu über-
listen.
Ganz gewiss kann ein beschämendes Misslingen sich ereignen bei dem
einst beliebten Kunststückchen, den Betreffenden nach Hause gehen zu heissen
oder ihm etwas Beleidigendes zu sagen und sein Mienenspiel zu beobachten
602 SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN.
(Gaujot, Gazette des hopiteaux, 1877 Nr. 11), hinter dem Simulanten ein
Geldstück fallen zu lassen oder mit dem Stock auf den Boden zu klopfen,
und aus dem Umstand, ob der Mann sich umkehrt oder nicht, auf Simulation
zu schliessen.
Letztere Finte ist merkwürdiger Weise in zwei ganz entgegengesetzten
Richtungen verwertet worden.
Der wirklich Taube soll nämlich (Casper's gerichtliche Medicin, p. 370)
die Erschütterung fühlen und sich deshalb umkehren, der Simulant aber in
der Meinung, dies nicht thun zu dürfen, sich nicht umkehren; nach der älteren
Auffassung aber soll der Simulant das Fallen und Stossen gehört haben und
sich dadurch, dass er sich etwa umkehrt, verrathen. Man sieht, dass ein
solcher Versuch sich deuten lässt, wie man eben will.
Uebrigens hat Eehaed (Deutsche militärärztliche Zeitschrift, 1874,
Nr. 5 und 6, pag. 358) gefunden, dass bei dem in Rede stehenden Versuch
in einem Taubstummeninstitut sich einige umwandten, andere nicht, also
sicher dieser Versuch von sehr zweifelhaftem Werte ist.
Wenn auch an und für sich nicht genügend, die Simulation von Taub-
heit oder beiderseitiger Schwerhörigkeit zu beweisen, so liegt ein nicht zu
unterschätzender Behelf für die eigene Orientirung und Wahl der Prüfungs-
methode in der „physiognomischen Diagnostik" (Dewerni, Deutsche militär-
ärztliche Zeitschrift, 1883, Heft 4). Wirklich Taube und Schwerhörige haben
in der Regel einen einfältigen Gesichtsausdruck; die Mühe, ja recht zu ver-
stehen, ist an den Mienen leicht zu erkennen, der Mund wird gewöhnlich
leicht geöffnet, um Schallwellen per tubam zu empfangen.
Auf einem Ohre Schwerhörige neigen etwas das gesunde oder wenig-
stens bessere Ohr dem Sprechenden zu und werden oft sichtlich verlegen,
wenn sie nichts oder falsch verstehen.
Simulanten, welchen diese Dinge etwa bekannt sind, thun nun in der
Regel des Guten zu viel.
Sie glauben, nie auf die erste Frage Antwort geben zu dürfen, fragen
jedesmal „wie?" und antworten meist erst auf die zweite oder dritte Frage,
und zwar in der Regel selbst dann, wenn dieselbe mit derselben
Stimmintensität oder gar abfallender Stimme gestellt wird
wie die erste.
Bei einseitig simulirter Schwerhörigkeit wird der Simulant oft das ge-
sunde Ohr demonstrativ vorstrecken oder auch die Gewohnheit nachzuahmen
suchen, durch die vor die Ohrmuschel gehaltene Hand, wie solches Schwer-
hörige zu thun pflegen, um eine grössere Menge von Schallwellen sich zuzu-
leiten, den Anschein von Schwerhörigkeit und den guten Willen, möglichst
zu hören, vorzutäuschen.
Möglicherweise irrt der Simulant sich auch und streckt das angeblich
kranke Ohr vor.
Auch pflegen Taube entweder ungewöhnlich leise oder laut zu antworten,
was Simulanten auf die Dauer nicht nachahmen, sondern gerne demonstrativ
laut sprechen.
Schwerhörige lernen bekanntlich bald von den Lippen der Sprechenden
abzulesen und verstehen besser, wenn sie den Sprechenden fixiren können;
auch dieser Umstand ist bei Verdacht auf Simulation im Auge zu behalten.
Simulanten geben sich entweder diese Mühe nicht oder copiren das
Benehmen der Schwerhörigen in einer übertriebenen, unnatürlichen und nicht
Constanten oder consequenten Weise.
All dem Gesagten zufolge ist es nothwendig, das Benehmen des zu
Prüfenden gleich bei Anfang der Untersuchung zu prüfen, während des ganzen
Untersuchungsganges im Auge zu behalten und wiederholte Untersuchungen
vorzunehmen.
SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN. 603
Es empfiehlt sich vorerst etwa bei verbundenen Augen einige Fragen
an den Betreifenden zu stellen, welche sich auf die Entstehung, iJauer und
Grad des Gehörleidens beziehen.
Dabei wird mittellaute Umgangssprache gewählt, die in der Nähe in der
Regel verstanden wird.
"Wird eine Frage z. B. nicht verstanden, so wird dieselbe Frage mit der
gleichen oder selbst mit geringerer Intensität wiederholt.
Auch NichtSimulanten antworten oft erst auf die wiederholte Frage,
wenn sie nicht etwa mit geringerer Intensität gestellt wurde, weil sie ent-
weder wirklich irgend ein Wort beim ersten Male nicht verstanden haben,
oder weil sie bei der zweiten Fragestellung von den Lippen absehen konnten,
was als Gegenprobe verwendbar ist.
Für alle Fälle gibt dieses einleitende Gespräch Anhaltspunkte für den
etwa zu erwartenden Grad von Schwerhörigkeit und ist namentlich geeignet,
Verdacht auf Uebertreibung zu erwecken oder von vornherein eine bedeutende
Schwerhörigkeit auszuschliessen.
Sodann wird die Untersuchung des Gehörorganes mit Ohrenspiegel und
Trichter vorgenommen.
Nach der Besichtigung des Gehörorganes entfallen nicht selten durch
Constatirung eines Befundes, der für die Schwerhörigkeit bedeutenden Grades
spricht, weitere Bedenken in die Glaubwürdigkeit des Mannes und würde es
allenfalls nur noch um Einschränkung der angegebenen Functionsstörung auf
das richtige Maass handeln.
Es empfiehlt sich hiebei, dem Betreffenden mitzutheilen, dass man sich
thatsächlich vom Vorhandensein des Gehörleidens überzeugt habe, und es
werde nur noch sozusagen pro forma die Hörweite untersucht.
Man wird bei solchem Vorgehen finden, dass sich der Untersuchte
weniger Mühe gibt, zu übertreiben, als wenn man sein Leiden rundweg be-
zweifelt.
Auch für solche Fälle, wo man nichts Krankhaftes am Gehörorgane ge-
funden hat, ist die erwähnte Mittheilung passend, sowohl aus dem oben ange-
führten Grunde, den Untersuchten gefügiger zu machen, als auch deshalb,
weil es sonst passiren könnte, dass die etwa gefallene Aeusserung, es fehle
dem Betreffenden nichts, später zurückgenommen werden müsste.
Bei negativem Trommelfellbefund werden, um über die Schallleitungs-
verhältnisse Anhaltspunkte zu gewinnen, Prüfungen mit Stimmgabeln, der
ÜALTON'schen Pfeife etc. vorgenommen.
Diese Prüfung ist stets mit verbundenen Augen und mit jedem Ohre be-
sonders vorzunehmen.
Der Verschluss des abgewendeten Ohres kann nicht dem Untersuchten
selbst überlassen werden, weil es wünschenswert wird, um Controlversuche zu
machen, auf einen gegebenen Wink den Verschluss möglichst unauffällig und
unmerklich zu unterbrechen. Um jedoch späteren eventuellen Recriminationen,
es sei das gesunde oder bessere Ohr nicht gut verschlossen worden, vorzu-
beugen, ist eine Schlussprüfung auch bei durch den Untersuchten selbst ver-
schlossenem Ohre vorzunehmen. Das Verbinden der Augen steigert bei einem
Simulanten wesentlich die Unsicherheit und führt manchmal allein schon dazu,
den Simulanten aus der Fassung zu bringen. Nicht selten wird schon aus
dem alterirten, ängstlichen oder andererseits störrigem Wesen des zu Unter-
suchenden der Verdacht einer Simulation oder Aggravation rege. Ein wirklicher
Schwerhöriger oder Tauber lässt im Bewusstsein seines Leidens die Unter-
suchung ruhig, fast theilnahmslos an sich vornehmen. Es ist ferner em-
pfehlenswert, das gesunde oder besser hörende Ohr zuerst zu prüfen, um
den Betreffenden für die Hörprüfung sozusagen etwas einzuüben.
604 SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN.
Zur Prüfung der Hörweite können mit Vortheil verschiedene Schall-
quellen benützt werden. Umgangssprache, Flüstersprache, Politzer's Hör-
messer, eine Taschenuhr etc., und es ist sogar bei Verdacht auf Irreführung
sehr wünschenswert, verschiedene derlei Schallquellen zu benützen; denn ob-
gleich keine absolute Beziehung zwischen diesen Schallquellen besteht, so ist
doch aus relativen Ergebnissen ein oft brauchbarer Schluss zu ziehen.
Anmerkung: Nach Hartmann's Versuchen (Archiv für Ohrenheilkunde,
Band XIII) verhält sich die Schallstärke des PoLiTZEii'schen Hörmessers und
der Flüstersprache, diejenige einer Taschenuhr = 1 gesetzt, wie 1 (Uhr) : 5
(Hörmesser)': 8 (Flüstersprache).
Als normale Hörweite gelten für den PoLiTZER'schen Hörmesser 1 5 Meter
(dessen Lehrbuch, III. Auflage, pag. 109), für die accentuirte Flüstersprache
25 Meter.
Für die Untersuchung Wehrpflichtiger soll die Flüstersprache solche
Intensität haben, dass dieselbe in freier, massig bewegter Luft auf 2 m bei
normal Hörenden vernommen werde.
Nach Conta's Versuchen besteht ein gerades Verhältnis zwischen dem
Sprachverständnis und der Dauer der Gehörempfindung einer Stimmgabel vor
dem Ohr (Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. I).
Was die Wahl der Worte betrifft, so ist zu beachten, dass leicht und
schwerer verständliche Worte in passendem Wechsel zu gebrauchen sind. Es
wird aber sehr gravirend sein, wenn der Untersuchte allgemein schwer ver-
ständliche Worte einmal hört und dann auf dieselbe oder gar etwas grössere
Entfernung leichter verständliche Worte nicht nachsprechen will. Simulanten
gefallen sich auch oft, in plumper Weise ganz und gar verkehrte Worte als
vorgeblich falsch verstanden nachzusprechen. Diese Verhältnisse sind unter
Umständen für die Feststellung simulirter oder übertriebener Schwerhörigkeit
praktisch verwertbar. So wird es beispielsweise gelingen, eine bedeutende
Hörweite für laute Umgangssprache zu gewinnen, wo auf accentuirte Flüster-
sprache keine Antwort gegeben ward; Grund genug, um die Hintergehung
augenscheinlich zu machen.
In allen Fällen müssen die Distanzen wiederholt gewechselt werden,
und zwar in einer Weise, dass es der Untersuchte nicht merkt.
Es empfiehlt sich auch, wenn man eine gewisse Distanz der Hörweite
erreicht hat, dem Untersuchten die Binde von den Augen nehmen zu lassen,
damit er sich überzeuge, dass er nicht gar so schwerhörig sei, als er angibt.
Oft kann der Untersuchte sein Erstaunen gar nicht verbergen, wenn
er sieht, dass er bereits auf einige Schritte weit Antwort gegeben hat. Er
erkennt dann w^ohl selbst das Nutzlose seiner Täuschung und muss sich
schliesslich bequemen, seine wahre Hörweite zu bekennen.
Die Hörprüfungen müssen, solange man nicht zufriedenstellende Resul-
tate erreicht hat, so oft als möglich in verschiedenster Weise wiederholt,
und jedesmal die Ergebnisse genau vorgemerkt werden, weil man durch con-
statirte Differenzen einen Anhaltspunkt für die Beurtheilung der richtigen
Hörweite gewinnt; wirklich Schwerhörige bieten nur geringe Unterschiede
bei verschiedenen Aufnahmen der Hörweite, während Simulanten kaum stets
die gleiche Distanz festzuhalten im Stande sind.
Wenn angeblich einseitig Taube bei verschlossenem gesunden Ohr mit
dem freigelassenen angeblich kranken Ohr selbst in nächster Nähe nicht
hören wollen, so mache man sie direct aufmerksam, dass sie sich eine Un-
wahrheit zu Schulden kommen lassen, da sie aus dieser Nähe selbst mit dem
verstopften Ohre laute Sprache hören müssten. (Vergleiche unten Erhard's
Verfahren.)
Nun wird weiter gegangen; der Untersuchte gibt jetzt anfänglich auf
nächste Distanz Antwort, kann aber bei allmählich steigender Entfernung die
SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN. 605
Hörgrenze nicht festhalten, gibt bald auf grössere Entfernung Antwort und
ist damit entlarvt, selbst wenn er das Verfahren kennt, oder sogar gerade
deshalb, weil er weiss, dass er durch die Kopfknochenleitung auch bei ver-
schlossenem gesundem Ohre doch etwas hören müsse.
Auf diese Art mit Geduld und Umsicht durchgeführte Hörprüfungen
schlagen fast nie fehl bei solchen Individuen, welche sich nicht auf Simulation
absoluter Taubheit oder so hochgradiger Schwerhörigkeit verlegen, dass un-
mittelbar in das Ohr gesprochen werden muss, wo dann der Untersuchte
durch die Tastempfindung des Exspirationsstromes von Seite des Sprechen-
den orientirt wird.
Sollte man jedoch nach diesem Vorgange nicht zum Ziele gelangt sein,
so sind die folgenden Ueberführungsmethoden bei simulirter einseitiger Taub-
heit zu versuchen.
Auf der Fähigkeit, durch die Kopfknochen auch bei verschlossenem
gesunden Ohre zu hören, beruhen die von Erhard und Knapp zur Constati-
rung einseitiger Taubheit empfohlenen Methoden.
Erhard's Verfahren (Das Gehörorgan als Object der Kriegsheilkunde,
Deutsche militärärztliche Zeitschr., 1872 p. 157) beruht auf der Thatsache, dass
wir, wenn wir uns beide Gehörgänge fest verschliessen, dennoch, selbst wenn
wir einseitig ganz taub sind, eine Repetiruhr oder Spieluhr bequem 10 Fuss
weit hören, indem die dadurch verursachten Schwingungen der Luft intensiv
genug sind, um durch die festen Kopftheile dem Hörnerv zu seiner Empfindung
zugeleitet zu werden.
Erhard stellt nun den Simulanten in die Mitte eines geräumigen
Zimmers, lässt die Repetiruhr etwa 6—8 Fuss vor dem gesunden Ohre bei
zugehaltenem, vorgeblich taubem schlagen, und die Schläge nachzählen. Dann
wird das gesunde Ohr verschlossen und das angeblich taube untersucht, durch
Schlagenlassen der Uhr in einer Entfernung von etwa vier Fuss, so dass
also selbst der diesseits Taube durch das, wenn auch verstopfte, gesunde Ohr
hören müsste.
Der Simulant leugnet indessen jedes Hören in der Meinung, er höre
mit seinem angeblich tauben Ohre und schade sich durch eine bejahende
Angabe.
Man kann, wie oben angeführt, laute Stimme statt einer Repetiruhr bei
diesem Verfahren anwenden.
Nach Knapp (A. F. 0. IV. p. 317) entsteht, wenn eine schwingende
Stimmgabel vor einem hörfähigen Ohr auf- und abbewegt wird, eine Ton-
verstärkung „gleich den Windstössen eines Dampfwagens", sowie die Stimm-
gabel vor dem äusseren Gehörgange vorübergeht. Wird die Stimmgabel
hingegen vor einem tauben Ohre auf- und abbewegt, so hört der Patient
den Ton zwar immer noch, nämlich mit dem gesunden Ohr, indessen gleich-
massig, d. h. ohne periodische Verstärkung.
Auf den physikalischen Gesetzen der Kopfknochen- und Luftleitung be-
ruhen die Methoden von Chimani, Lucae, J. Gruber.
Chimani (Militärarzt Nr. 9 vom Jahr 1869) hat nämlich den WEBER'schen
Stimmgabelversuch in dieser Richtung verwertet. Man lässt den Untersuchten,
indem man abwechselnd bald das eine, bald das andere Ohr mit dem Finger
verschliesst, die Angaben machen, wann und auf welcher Seite, wann stärker
und wann schwächer er die Stimmgabel hört. Ein Simulant, welcher die
diesbezüglichen Versuche nicht kennt, wird sich bald in Widersprüche ver-
wickeln. Er wird die auf dem Scheitel oder auf den Schneidezähnen aufge-
setzte Stimmgabel nach seiner Meinung auf der angeblich schwerhörigen Seite
schwächer hören, was nur dann wahr wäre, wenn eine Labyrinthaffection vorläge.
Als Gegencontrole wird nun das gesunde Ohr mit dem Finger ver-
schlossen.
606 SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN.
Der Simulant glaubt jetzt, er dürfe die Stimmgabel nur schwächer oder
gar nicht hören, und spricht damit eine positive Unwahrheit aus, denn er
müsste, wenn seine ersten Angaben richtig gewesen wären, nun die Stimm-
gabel wegen des gehinderten Schallabflusses auf der verstopften Seite geradezu
stärker hören.
Zweckdienlich ist es auch, mit der Stimmgabel die Stelle vom Scheitel
in der Art zu wechseln, dass man sich bald mehr, bald weniger von der
Mittellinie entfernt; man erhält dann noch mehr widersprechende Angaben.
Leider aber bekommt man auch bei Nichtsimulanten fehlerhafte An-
gaben; es müssen oft Individuen, bei welchen gar kein Grund für die An-
nahme einer Simulation vorhanden ist, förmlich aufmerksam gemacht werden,
nicht über das zu calculiren, was sie hören zu müssen glauben, sondern un-
befangen und richtig Antwort zu geben.
Dieser Umstand macht aber die Untersuchung von Simulanten unsicher
und kann wohl zum vollgiltigen Beweis nur dann führen, wenn der hierbei
ertappte und eingeschüchterte Simulant seinen Betrug bekennt.
Derselbe Autor (Chimani) empfiehlt in der obencitirten Arbeit einen
zweiten Stimmgabelversuch.
Es werden zwei Arme eines dreischenkeligen Otoskops gleichmässig fest
in den äusseren Gehörgang des zu Untersuchenden eingepasst; den dritten
Arm des Otoskops steckt sich der Untersuchende in eines seiner eigenen
Ohren.
Hierauf wird eine tönende Stimmgabel auf den 'Scheitel des zu Unter-
suchenden gestellt und nun abwechselnd der zum gesunden und der zum an-
geblich kranken Ohr führende Schenkel des Otoskops zusammengepresst.
Bei einem wirklich Schwerhörigen wird in der Regel (d. i. wenn es
sich um Schallleitungshindernisse im Mittelohre handelt) beim Zusammen-
drücken des zum gesunden Ohre führenden Schenkels der Ton schwächer ge-
hört, als wenn der andere, zum kranken Ohre führende Schenkel zusammen-
gedrückt wird.
Bei einem Simulanten aber oder bei einem normal Hörenden (d. i. bei
einem solchen, wo kein Schallleitungshindernis in einem Ohre besteht), wird
sich keine Differenz in der Tonstärke beider Seiten ergeben, weil stets die
gleiche Schallleitung durch einen der beiden Schenkel des Otoskops zum Ohre
des zu Untersuchenden stattfindet.
Wie ersichtlich, ist dieser Versuch eigentlich eine Diagnose auf ein
supponirtes Schallleitungshindernis; man kann hinzufügen, auf eines, welches
nicht ohnehin durch den Spiegelbefund erkannt wird. Auch ist wohl nur
eine etwas stärkere Differenz in der Schallleitung praktisch verwendbar und
beweisend.
Mehrere diesbezügliche, bei Ohrgesunden und Gehörkranken angestellte
Versuche ergaben bisweilen Abweichungen, welche theils auf die Art des
Leidens (z. B. Durchlöcherung des Trommelfelles), theils auf das mehr oder
weniger gleichmässige Einfügen eines Otoskopschenkels, welches nicht
sorgfältig genug controlirt werden kann, zurückzuführen sind.
LuCAE gibt ein auf die Interferenz der Schallwellen und auf die That-
sache, dass das menschliche Ohr einen grossen Theil der zu ihm gelangenden
Schallwellen reflectirt, basirtes Verfahren an. (Berliner klinische Wochen-
schrift, 1869, pag. 89.)
Er benützt dazu folgenden Apparat (nach Quincke). An ein T-förmiges
Röhrchen aus Glas oder Metall werden drei verschieden lange Gummiröhren
angefügt. Der eine, 15 Pariser Zoll lange Schenkel wird in das gesunde, der
zweite, ein Pariser Zoll lange Schenkel in das angeblich taube Ohr eingefügt,
und durch den dritten, etwa zwei Fuss langen Schenkel wird der durch eine
Resonanzröhre verstärkte Ton einer C-Stimmgabel geleitet. Der wirklich ein-
SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN. 607
seitig Taube, dessen Ohr den Ton nur reflectirt, nicht percipirt, wird eine
deutliche Tonverstärkung auf seinem gesunden Ohre wahrnehmen, wegen
gleicher Phase der Schallwellen. Entfernt man das Rohr aus dem tauben
Ohr, wird der Ton wieder schwächer, weil keine Interferenz vorkommt,
sondern nur die Perception einer Schallwelle. Führt man ein elf Zoll langes
Rohr in das taube Ohr, so entsteht eine deutliche Tondämpfung, weil die
reflectirte Schallwelle eine entgegengesetzte Phase mit der ersten hat; entfernt
man dieses Rohr wieder, so wird der Ton wieder stärker werden, weil die
Schwächung von vorhin wegfällt. Will man eine A-Stimmgabel benützen, so
muss man statt des elf Zoll langen einen sieben Zoll langen Interferenz-
schenkel wählen.
Ein Simulant, wenn er sich überhaupt dazu bequemt, auf derlei feine
Unterschiede einzugehen, wird diese verschiedenen Tonänderungen nicht an-
geben können, eben weil er nicht einseitig taub ist, sein Ohr sich also reflec-
tirend und percipirend verhält.
J. Gkuber („Zur Hörprüfung", M. F. 0. 1885, Nr. 2) will folgende That-
sache verwerten.
Der Ton einer Stimmgabel, welcher durch Luft- und Knochenleitung
nicht mehr gehört wird, erscheint wieder, wenn man dieselbe auf einen den
betreffenden Gehörgang lose verschliessenden Finger setzt. Der einseitige
Taubheit Simulirende soll sich nun durch den Verschluss des Ohres irreleiten
lassen und die Wahrnehmung des Tones in das als gesund bezeichnete Ohr
verlegen.
Es ist dieser Versuch dem WEBER'schen Stimmgabelversuche ähnlich;
er unterliegt aber, wie ich mich zu überzeugen Gelegenheit gehabt, denselben
Fehlerquellen und lässt sich ebenso wie dieser eher nur als affirmativer Be-
helf für NichtSimulation verwerten.
Eine andere Reihe von Versuchen, einseitige Taubheit Simulirende zu
überführen, sind von Voltolini, Coggin, Preüsse, L. Müller und Teuber an-
gegeben.
VoLTOLiNi (M. F. 0. 1882, Nr. 9) spricht in ein grosses, trompeten-
förmiges Hörrohr in das angeblich taube Ohr mit gedämpfter, doch von
Normalhörenden im ganzen Zimmer verständlicher Stimme, ohne das gesunde
Ohr verschliessen zu lassen. Der Simulant, im Glauben, es würde das taube
Ohr geprüft, soll verneinen, dass er etwas gehört habe, wo er doch mit dem
gesunden Ohr alles hat verstehen müssen.
Coggin (A. F. 0. Bd. 16, pag. 125) verschliesst einen Schenkel eines
CAMMON'schen binauriculären Stethoskops dicht mit einem Holzpfropf, steckt
diesen Schenkel in das gesunde, den freien Schenkel in das angeblich taube
Ohr und spricht in das Hörrohr.
Hört der Untersuchte jetzt gut, bezw. spricht er W^orte nach, so ist er
eigentlich schon überführt; behauptet er aber, wenn man das den Pfropf ent-
haltende Rohr aus dem gesunden Ohr entfernt und dasselbe mit dem Finger
verschliesst, nun nichts zu verstehen, so ist er durch diesen Gegenversuch
gänzlich überwiesen.
Preusse (A. f. Phys. 1879, pag. 377) schaltet zwei Telephone in eine
galvanische Kette ein, wobei die Vorrichtung getroffen ist, dass der Strom
beliebig je ein Telephon allein oder beide durchfliesst. Beide Telephone
werden fest an die Ohren des zu Untersuchenden gelegt. Fliesst der Strom
durch beide Telephone, so entsteht beim beiderseitig normal Hörenden eine
Gehörempfindung im Hinterkopf; fliesst derselbe nur durch eines, so wird
die Gehörempfindung auf der entsprechenden Seite stattfinden.
Der einseitige Taubheit Simulirende kann keine Gehörempfindung im
Hinterhaupt haben und verräth sich durch eine solche Angabe, ebenso wie
608 SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN.
durch etwaiges Nachsprechen von Worten bei Einschaltung des dem angeblich
tauben Ohre entsprechenden Telephons.
Allen bisher aufgezählten Untersuchungsmethoden haften Fehlerquellen
an. Um dieselben zusammenzufassen, so sind einfache Ueberlistungsversuche,
wie sie Eiugangs erwähnt wurden, augenscheinlich nur von der Unaufmerk-
samkeit und Unwissenheit des Simulanten, also gewissermaassen vom Zufalle
abhängig.
Alle Stimmgabelversuche, welche die Prüfung des Hörvermögens durch
Luftleitung oder Kopfknochenleitung bezwecken, können dadurch vereitelt
Averden, dass der zu Untersuchende, darüber belehrt, einfach auf der angeb-
lich tauben Seite gar nichts hören will, also eine Labyrinthaffection simulirt.
Endlich darf nicht verschwiegen werden, dass es wohl kaum angeht, auf
lediglich zur subjectiven Kenntnis gelangende Symptome hin den Unter-
suchten schon für einen Simulanten zu erklären.
Es müssen objectiv auch dritten Personen, also Zeugen, eventuell Laien,
erkennbare Beweise des Betruges oder der Uebertreibung beizubringen sein.
Solche Beweise sind blos jene, bei welchen es gelingt, den Untersuchten
dahin zu bringen, etwas nachzusprechen, was er nur mit dem angeblich
tauben, beziehungsweise schwerhörigen Ohr gehört haben konnte, respective
bei doppelseitiger Taubheit oder Schwerhörigkeit thatsächlich nachgewiesenes
Hörvermögen.
Auch unter diesen Methoden sind die meisten solche, bei welchen ge-
wissermaassen Ueberlistungen und Unbekanntsein des zu Untersuchenden mit
dem Verfahren die Prämissen bilden.
Wenn der zu Untersuchende z. B. das Experiment von Coggin oder
Preusse kennt, so wird er im ersten Falle thatsächlich nur dasjenige nach-
sprechen, was er deutlich in seinem angeblich guten Ohre empfindet, was
ihm auf Grund mehrerer Versuche, die ich angestellt habe, ganz leicht wird;
bei dem Versuche von Preusse leugnet er einfach jedesmal die Gehörempfin-
dung, wenn er sie in dem Hinterhaupte wahrnimmt, und vereitelt damit
ebenfalls die Untersuchung.
Wertvoller sind die Versuche von L. Müller und Teuber.
L. MtJLLER (Berlin kl. W. 1869, Nr. 15, zur Feststellung einseitiger
Taubheit) geht folgendermaassen vor: Angenommen, der zu Untersuchende
gibt an, auf dem linken Ohre taub zu sein, so spreche man leise und ziemlich
schnell durch einen Hörtrichter oder in Ermangelung dessen durch ein be-
liebiges Bohr, eine Papierrolle und dgl., in sein rechtes Ohr und lasse ihn
die gesprochenen Sätze laut wiederholen; dabei constatirt man, wie schnell
und wie leise man sprechen kann, ohne demselben unverständlich zu werden.
Nun lasse man durch einen zweiten Beobachter dasselbe Experiment auf dem
linken Ohre machen. Gibt der zu Untersuchende hiebei an, die auf diese
Weise gesprochenen Worte nicht zu hören, so wiederhole man des Experiment
auf dem rechten Ohre, worauf dann plötzlich beide Beobachter schnell und
leise zugleich sprechen, so dass verschiedene Sätze zu gleicher Zeit in beide
Ohren gelangen.
Hört der Patient wirklich auf dem linken Ohre nicht, so wird er die in
das rechte Ohr gesprochenen Sätze nach wie vor ruhig nachsprechen können;
ist er aber ein Simulant, so wird ihm dieses selbst bei der grössten Uebung
nicht gelingen, und dem, der diese Methode kennt, wird nichts übrig bleiben,
als sich ein anderes Leiden zur Simulation zu suchen.
Der Versuch setzt einseitige, vollkommene oder nahezu vollkommene
Taubheit voraus, denn wenn ein Mann angibt, auf einem Ohre schlecht, auf
dem anderen schlechter, aber doch noch etwas zu hören, so wird es niemand
verwundern, wenn er sich bei obigem Versuche verwirren lässt, ohne dass er
deshalb Simulant wäre.
SIMULATION VON GEHÜRLEIDEN. 609
Teuber benutzt folgendes von Lucae veröffentlichte Verfahren, '•) welches
gewissermaassen eine Verbesserung des eben beschriebenen ist.
Durch zwei passende Löcher, welche, etwa eine Spanne von einander
entfernt, durch eine zwei Zimmer verbindende Thüre oder durch eine Zwischen-
wand gehen, werden zwei Blechröhren von 2-0 bis 2*5 cm Durchmesser und
etwa 2 bis 3 M Länge hindurchgesteckt. In dem einen Zimmer endigen die
Blechröhren je in zwei kurze Schenkel, an deren Enden mitteldicke Gummi-
schläuche von etwa V2 ''* Länge angebracht werden, welche am freien Ende
Otoskop- Oliven haben, so dass sie genau passend in einen Gehörgang ein-
geschoben werden können.
Man setzt nun den zu Untersuchenden zwischen diese beiden gabel-
artigen Rohre und fügt die ihm zuliegenden (medialen) Gummischläuche in
die Ohröffnungen ein, beziehungsweise lässt sie, was sicherer ist, durch eine
Person einfügen und festhalten. Von den beiden übrig bleibenden (lateralen)
Gummiröhren nimmt je ein controlirender Assistent eines in sein Ohr.
Behauptet beispielsweise der zu Untersuchende, nur mit dem linken
Ohre gewöhnliche Umgangssprache zu verstehen, so wird in das rechte Ohr
desselben der eine Gummischlauch der rechten Blechröhre, in das linke Ohr
der der linken Röhre gesteckt.
Wenn nun im anderen Zimmer von einem dritten Assistenten in die
rechte Blechröhre und von einem vierten in die linke Blechröhre abwechselnd
schnell hinein gesprochen wird, so hört der erste Assistent und das rechte Ohr
des zu Untersuchenden das in die rechte Röhre Gesprochene, der zweite
Assistent und das linke Ohr des zu Untersuchenden das in die linke Röhre
Gesprochene.
Der zu Untersuchende ist vorher aufgefordert worden, dasjenige nach-
zusprechen, was er hört.
Ein auf dem rechten Ohr wirklich Tauber kann selbstverständlich nur
dasjenige nachsprechen, was durch die linke Röhre gesprochen oder ge-
flüstert wurde. Der Simulant dagegen soll sehr bald ausser Stande sein,
zu unterscheiden, was durch die linke und was durch die rechte Röhre ge-
sprochen wird, und kann auch solche Silben nachsprechen, welche durch
die rechte Blechröhre gesprochen oder geflüstert werden. Sobald er diese
nachspricht, ist die Simulation erwiesen.
BuRCHARD (Praktische Diagnostik der Simulationen, Berlin 1878)
empfiehlt, um die Orientirung durch die Tastnerven der Haut des äusseren
Gehörganges zu vermeiden, die Ohrmündung der Schläuche durch ein dünnes
Gummiblättchen abzuschliessen und das andere Ende des Rohres mittels
eines durchbohrten Korkpfropfens zu verengen.
Teuber's und Müller's Verfahren lassen sich leicht combiniren.
Statt rasch abwechselnd in beide Rohre nach Teuber zu sprechen,
können zwei Personen so rasch, dass der Untersuchte eben noch nachsprechen
kann, in beide Rohre zugleich sprechen.
Indessen hat eine Reihe von Versuchen sowohl mit intelligenten, als
auch mindergebildeten, normalhörenden, diesbezüglich instruirten
Individuen gezeigt, dass bei festem Willen, der doch von Simulanten voraus-
zusetzen ist, man im Stande ist, die Aufmerksamkeit derart auf ein Ohr zu
concentriren und das andere, angeblich taube Ohr derart auszuschliessen,
dass besonders bei etwas Uebung kein Wort aus dem angeblich tauben
Ohre nachgesprochen wird.
Eher gelingt es bei folgender Modification, den Untersuchten zu ver-
wirren und ausser Stande zu bringen, fliessend das Gesprochene nachzusagen.
*) Berlin klin. Wochenschrift, 1869, pag. 89, desgleichen beschrieben in Burchard's
praktischer Diagnostik der Simulationen.
Oiiren-, Nasen-, Eachen-, Kehlkopfkrankheiten. o9
610 SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN.
Dieselbe ist entlehnt und übertragen von einem Verfahren Buuchard's,
mit dem Stereoskop einseitige simuli rte Blindheit nachzuweisen (Buhchard,
Praktische Diagnostik der Simulationen, Berlin 1878). Publicirt ist dieselbe
auf Grund mündlicher Mittheilung in Politzer's Lehrbuch der Ohrenheil-
heilkunde, bereits 2. Auflage, 1887, Seite 531; ebenso 3. Auflage, Seite 577.
Beide Sprecher an den Doppelröhren lesen flüsternd in dem gleichen
Tacte eine einfache, kurze, hiezu besonders zusammengestellte Erzählung oder
Beschreibung, welche anfänglich ganz gleichlautend, im weiteren Verlaufe
aber an einer passenden Stelle etwas in der Silbenfolge differirt, dann wieder
gleichmässig fortgeht, um später wieder zu wechseln u. s. f., dem zu Unter-
suchenden so schnell und laut vor, dass derselbe den Tact noch nachzu-
sprechen vermag.
Durch dieses Manöver gelingt es, den Untersuchten ausser Stand zu
bringen, seine Aufmerksamkeit auf ein Ohr zu concentriren, weil der beider-
seits gleichmässig gesprochene und zusammenhängende Text ihn förmlich
einlullt, so dass er, wenn dann plötzlich differente Silben in seine Ohren ge-
langen, nicht mehr im Stande ist, rasch genug von dem angeblich tauben
Ohre zu abstrahiren.
Als Vorgang beim Lesen wurde als am brauchbarsten der gefunden,
wenn zwei Assistenten eine beliebige Zeitungsnotiz rhythmisch vorlesen, so
schnell, als der zu Untersuchende es nachsprechen konnte; der an dem zum
angeblich schwerhörigen Ohre leitenden Rohre Sprechende lässt an hiezu ge-
eigneten Stellen ein oder einzelne Worte aus, um dann wieder congruent
mit dem andern Assistenten einzufallen.
Wenn es auch bei diesen Versuchen nur selten vorkam, dass eine der
Versuchspersonen Worte der angeblich tauben Seite nachsprach, so wurde
i^och in allen Fällen, selbst bei sehr intelligenten und diesbezüglich sogar
eingeübten Personen das erreicht, dass der Nachsprechende derart verwirrt
wurde, dass er es aufgeben musste, zusammenhängend weiter zu sprechen,
ein für den Ernstfall (also bei der wirklichen Simulation) allerdings wohl
genügend gravirendes Moment.
Einen ähnlichen Vorgang hat Stabsarzt Dr. Kern im Heft 5 des
XX. Jahrganges der „Deutschen militärärztlichen Zeitschrift" angegeben:
Zwei Assistenten sprechen in die beiden Schlauchöfinungen genau gleich-
zeitig denselben Satz, von welchem der in das gesunde Ohr sprechende
Assistent ein vorher bestimmtes Wort unausgesprochen lässt, z. B.:
für das taube Ohr: „Vier mal fünf ist einundzwanzig",
für das gesunde Ohr: „Vier mal fünf ist zwanzig", oder:
für das taube Ohr: „Die preussischen Farben sind schwarz, roth, Aveiss",
für das gesunde Ohr: „Die preussischen Farben sind schwarz .... weiss".
Wird der volle Satz, einschliesslich des Stichwortes, nachgesprochen, so
ist die Hörfähigkeit des angeblich tauben Ohres mit Ausschluss jeden Zweifels
erwiesen.
Kern fügt noch einige Erläuterungen für die Ausführung dieser Proben
hinzu, darunter auch, dass der zuständige Assistent das ausfallende Wort
durch ein unbestimmtes Gemurmel ersetzen solle und betont als wichtig, dass
das Stichwort nicht aus dem Sinne willkürlich ersetzt werden könne (daher
in obigen Sätzen der fehlerhafte Inhalt).
In neuester Zeit ist, auf gleiche Grundsätze basirt, ein transportables
Handtelephon*), consruirt von Karl Hild de Galantha nach den An-
gaben von Stabsarzt Dr. J. Kalcic, demonstrirt am internationalen Congress
in Moskau 1897, zur Entlarvung der Simulation einseitiger Taubheit em-
pfohlen worden. Es lässt sich mit einem solchen Apparat sicherlich bequemer
und exacter arbeiten, als mit den TEUBER'schen Doppelröhren. Doch haben
*) Preis des completen Apparates 80 fl. bei K. Hild, Budapest, Eszterhäzygasse 20.
SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN. '611
(noch vor Jahren) von Lewandowski und mir ebenfalls mit Microphonen an-
gestellte Proben ergeben, dass die Möglichkeit, richtig zu localisiren, auch
da nicht absolut ausgeschlossen sei. (Siehe Politzer' s „Lehrbuch der Ohren-
heilkunde'^ 1. c.)
Ich muss nun gestehen, dass mir das TEUBEu'sche Verfahren mit sammt
seiner Modification gegenüber einem anderen Untersuchungsvorgange weniger
praktisch erscheint, zum mindesten umständlicher ist als das folgende. („Der
Militärarzt", Wiener med. Wochenschrift, Nr. 12 und 13, 1891.)
An Untersuchungsbehelfen für dieses Verfahren benöthigt man blos vier
vollkommen gleich grosse und gleichgeformte Ohrtrichter, deren Spitzen behufs
sicherer Einfügung in die Gehörgänge mit einem entsprechenden Stück Drainrohr
überzogen sind; zwei von diesen Trichtern werden von der Spitze bis etwa zur
Hälfte mit Wachs ausgegossen, die beiden anderen bleiben leer. Der angeblich
auf einem Ohr Schwerhörige oder Taube wird bei verbundenen Augen mit dem
Gesichte gegen eine Wand gestellt und beide Gehörgänge mit den nicht mit
Wachs ausgegossenen Trichtern versehen, also offen gelassen.
Der Untersuchende nimmt nun eine Hörprobe mit accentuirter Flüster-
sprache vor, wobei vorläufig ganz ausser Acht kommt, mit welchem Ohr der
Mann besser oder überhaupt hört.
Er wird daher angewiesen, überhaupt jedes Wort, welches er vernimmt,
nachzusprechen.
Die hiebei gefundene Hörweite dient hauptsächlich zur Orientirung für
die späteren Hörprüfungen.
Nun werden beide Ohren mit den ausgegossenen Ohrtrichtern fest ge-
schlossen und eine erneuerte Hörprobe vorgenommen.
Es empfiehlt sich hiebei, nicht gleich die accentuirte Flüstersprache zu
wählen, sondern mittellaute Umgangssprache, indem bei einem solchen Vor-
gange der Contrast zwischen der vorigen Hörprobe und der erneuerten bei
verstopften Ohren für den Untersuchten weniger auffällig ist.
Das Ergebnis dieser Hörprüfung ist insoferne von Wert, als zum min-
desten festgestellt wird, welches Perceptionsvermögen im Wege der Kopf-
knochenleitung besteht und wie weit der Mann mit verstopftem gutem Ohre
hört.
Hierauf werden nun einige weitere Hörproben gemacht, und zwar mit
abwechselnd rechterseits und linkerseits eingeführten ausgegossenen nebst
offenen Trichtern, also an dem gesunden und angeblich tauben Ohre mit und
ohne Verschluss.
Es wird bei diesem Vorgänge dem Untersuchten unmöglich, zu unter-
scheiden, mit welchem Ohre er hört, beziehungsweise ob das gute Ohr aus-
geschaltet sei oder nicht, da er stets in beiden Gehörgängen Trichter hat,
welche ihm das Gefühl von Verstopftsein erhalten, und anderseits das Sprechen
von rückwärts her die Orientirung weiter erschwert.
In der Nähe des zu Untersuchenden muss volle Kühe herrschen; nichts
darf den Mann aufmerksam machen, ob dieses oder jenes Ohr offen gelassen
ist. Auch beim Wechseln der Trichter muss darauf geachtet werden, dass
stets beide Trichter gleichzeitig entfernt und ebenso wieder beiderseits welche
eingefügt werden.
Der Mann ist anzuweisen, stets so wie bei der ersten Hörprobe Alles
nachzusprechen, was er hört, unbekümmert, ob er es mit dem guten oder
schlechten Ohre vernommen haben will.
Es gelingt nun bald, bei dem zu Untersuchenden die wirkliche Hörweite
der angeblich schwerhörigen oder gar vorgeschützt tauben Seite zu constatiren,
sobald bei verschlossenem gesundem Ohre Antworten erfolgen, welche jenseits
der Linie fallen, welche bei beiderseits verstopften Ohren erhoben wurde.
39*
612 SIMULATION VON GEHÖRLEIDEN.
Allerdings ist diese Hörweite nicht die eines zugewandten Ohres, ein
Umstand, welcher nicht die , vollkommene Hörweite ergibt, dieselbe muss
nämlich bei zugewendetem Ohre eine grössere sein.
Auf Grund diesbezüglicher Vergleiche kann im Mittel die dreifache
Entfernung als die wirkliche Hörweite angenommen werden.
Sobald man übrigens mit der beschriebenen Untersuchungsweise fest-
gestellt hat, dass der Mann auf dem angeblich tauben Ohre überhaupt hört,
so kann man ihn von ferneren Uebertreibungen in der Regel schon dadurch
abstehen machen, dass man ihm nun die Ohrtrichter zeigt und ihm erklärt,
dass das angeblich taube Ohr offen stand, während das gute Ohr verstopft
gewesen.
Diese Aufklärung wirkt gewöhnlich höchst verblüffend auf den Unter-
suchten, so dass weitere Hörprüfungen keinen weiteren Schwierigkeiten mehr
begegnen.
Der erörterte Untersuch ungs Vorgang ist wegen der wiederholt vorzu-
nehmenden Hörproben ein allerdings etwas mühsamer und zeitraubender;
doch bedarf man dabei anderseits keiner besonderen Localitäten, keiner um-
ständlichen Vorbereitungen, namentlich keiner mehrfachen Assistenz, wie beim
TEUBEü'schen Verfahren, und kann ziffermässig der Grad der Schwerhörigkeit
festgestellt werden.
Eine Fehlerquelle haftet auch diesem Verfahren an, der Laie aber wird
sie kaum entdecken.
Es ist nämlich die Möglichkeit, zu unterscheiden, welches Ohr verstopft
sei, dadurch gegeben, dass bei Beantwortung der gestellten Fragen und Worte
das verschlossene Ohr sich bei Aufmerksamkeit durch die auftretende Auto-
phonie bemerklich macht.
Ist das Ohr nicht vollkommen verschlossen, dann tritt auch die Auto-
phonie zurück; dann ist aber auch der Versuch nicht exact. Indessen habe
ich auch bei diesbezüglichen Proben mit intelligenten Individuen (Aerzten
und Medicinern) gefunden, dass Wenige auf dieses Phänomen aufmerksam
werden; übrigens kann man auch diesen Uebelstand vermeiden, wenn der zu
Untersuchende angewiesen wird, nichts nachzusprechen, sondern das
Vernommene nachzuschreiben.
Um nicht lediglich zu constatiren, dass der Untersuchte simulirt, sondern
um auch festzustellen, wie weit er hört, also über den Grad einer eventuellen
Schwerhörigkeit sich zu orientiren, ist auch der folgende von Burchard
(Praktische Diagnostik der Simulationen, Berlin 1878) angegebene Versuch
sehr brauchbar.
Gewissermaassen als Vorübung hiezu ist empfehlenswert, zu versuchen,
ob der Betreffende etwa durch einen Gehörschlauch, wie ihn hochgradige
Schwerhörige zu benützen pflegen, noch hört.
Es ist hiezu ein Gummischlauch nothwendig, der ähnlich dem Otoskop
an dem einen Ende eine .Olive zum Einstecken in den Gehörgang des zu
Untersuchenden, am anderen Ende einen Mundansatz zum Plineinsprechen
besitzt.
Gibt der (wirklich oder angeblich) Schwerhörige, durch den Gehör-
schlauch angesprochen, Antwort, so wird der Versuch gemacht, durch Sprechen
neben dem Gehörschlauch, der durch Andrücken der Olive an die Innenfläche
des Tragus oder allmähliches Herausnehmen derselben, ohne dass es der
Untersuchte merkt, denselben zum Weitersprechen zu verleiten.
Ist auf diese Weise ermittelt, dass der Untersuchte wenigstens aut
V2 Wh Umgangssprache oder vielleicht sogar Flüstersprache versteht, so nimmt
man nach Burchard eine 2 bis 5, selbst 10 m lange Röhre, deren Ohrenende
mit einem fingerförmigen Gummipropf, wie er an Säuglingsflaschen üblich ist,
verschlossen wird, und in deren anderem Ende ein durchbohrter Kork sich
SONDIRUNG DER TUBA EUSTACHII. 613
befindet. In diese Röhre wird mit möglichst gleichbleibender Stimmintensität
hindurch gesprochen, wobei ein Assistent den Gummipfropfen lose an den Ein-
gang des äusseren Gehörganges hält. Der zu Untersuchende wird angewiesen,
die ihm zugesprochenen Worte sofort zu wiederholen.
Wenn er hierin genügend geübt ist, spricht man, ohne die Stimmstärke zu
verändern, neben dem Rohr, dessen Oeönung man mittels eines Fingers sachte
schliesst, vorbei und dann wieder nach Freilassung der Oeffnung durch das
Rohr. Wiederholt der zu Untersuchende die neben dem Rohre vorbeigespro-
cheiien Worte, so liefert er den Beweis, dass er diese Worte gehört hat, und
ist überführt.
Je nach der Länge des Rohres ist auch der Grad der Hörweite zu er-
schliessen.
Es bliebe nur noch die Simulation vollständiger Taubheit oder sogar
Taubstummheit zu erörtern.
Letztere Fälle sind wohl ausserordentlich selten Gegenstand einer Con-
statirung. Abgesehen davon, dass eine totale Taubheit ohne objectiv nach-
weisbares Substrat zum mindesten ätiologisch erklärliche Momente bieten
müsste, so scheint das Festhalten an der simulirten Taubheit auf die Dauer
schier ein Ding der Unmöglichkeit.
Welcher Aufwand von stets gespannter Aufmerksamkeit und Selbst-
beherrschung müsste es erfordern, Tag um Tag und selbst bei Nacht auf
nichts zu reagiren, was gehört werden kann.
Uebrigens ist ein plötzliches, vollständiges Ertauben ohne andere krank-
hafte Erscheinungen eine grosse Seltenheit, allenfalls bei Hysterie, dann als
Folge von Erschütterungen des Labyrinthes vorkommend. Solche Fälle werden
anamnestisch allenfalls durch Zuhilfenahme der Behörden aufzuklären sein.
Eine erworbene Taubheit, ganz abgesehen von einer angeborenen oder
gar von Taubstummheit, ist der Umgebung bekannt, und selbst Laien können
aus dem Benehmen solcher Individuen richtige Schlüsse ziehen und brauch-
bare Angaben machen.
Da muss dann eine eventuell auf Monate hinaus sich erstreckende Beob-
achtung und stete Ueberwachung platzgreifen.
Es ist naheliegend, zu versuchen, derlei Fälle durch Erwecken aus dem
Schlaf zu überführen und die Schlaftrunkenheit auszunützen, gewagter, eine
Chloroform- oder Aethernarkose anzuwenden, um im Excitationsstadium den
Simulanten zum Sprechen zu bringen, obwohl eben hiefür keine förmliche
Narkose, sondern blos die Einleitung einer solchen nothwendig wäre und eine
Schädigung der Gesundheit hiebei also undenkbar ist.
In allen Fällen erfordert die Beurtheilung der Simulation von Hör-
störungen, sei es einseitiger, sei es beiderseitiger, vollkommen simulirter
oder blos übertriebener Schwerhörigkeit oder Taubheit, grosse Umsicht,
längere Beobachtung und wiederholte Untersuchung.
Schliesslich ist es vielleicht nicht überflüssig zu erinnern, dass bei der
Beurtheilung von derlei Fällen nicht etwa mit vorgefasster Meinung vorge-
gangen werde: Vertrauensseligkeit und Misstrauen (Simulantenfängerei) führen
in gleicher Weise in Sackgassen, welche bei streng objectiver LTntersuchung
sich vermeiden lassen. A. tschüdi.
Sondirung der Tuba Eustachii. Die Sondenuntersuchung der Eu-
stachischen Röhre gibt darüber Aufschluss, an welcher Stelle und in welcher
Ausdehnung der Tube ein durch die Luftdouche nachgewiesenes Hindernis
sich befindet.
Die Tubensonden müssen eine Länge von 20 — 25 c;» und eine Dicke
von 0-5 bis 2 mm besitzen. Sie werden aus Darmsaiten, Fischbein, Kaut-
schuk, Laminaria digitata, Catgut, Celluloid und anderen Materialien her-
614 SPRACHE.
gestellt; besonders zweckmässig erweisen sich die von Politzer und Ur-
BANTSCHiTSCH empfohlenen geknöpften Celluloidbougies.
Bevor man die Sonde in die Tube einführt, schiebt man sie in den zur
Verwendung bestimmten Katheter so weit hinein, bis gerade ihre Spitze in
der Schnabelöönung erscheint, und bringt an derjenigen Stelle, welche dann
am Rande der Trichteröffnung des Katheters liegt, eine Marke, z. B. einen Tinten-
strich, an. Dieselbe zeigt nachher an, in welchem Momente diese beim Vor-
schieben der Sonde den Katheter verlässt und in die Tube eintritt. Eine zweite
und dritte Marke, welche man 24 7nm und 1 1 mm nach rückwärts von der
ersten entfernt anbringt, können die Länge des knorpeligen und des knöchernen
Theiles des Tubencanales vergegenwärtigen.
Die so vorbereitete Sonde wird durch den in das Tubenostium ein-
geführten Katheter geschoben, nachdem man sich durch Luftdouche und Aus-
cultation von der richtigen Lage des letzteren überzeugt hat. Ist die erste
Marke im Katheter verschwunden, die Sonde also in die Tube eingetreten,
so schiebe man sie vorsichtig unter Vermeidung jeglicher Gewalt, jedem
Widerstände alsbald nachgebend, allmählich weiter vor, bis entweder ein
Hindernis das weitere Vordringen verbietet oder die dritte Marke in den
Trichter des Katheters eintritt, die Sondenspitze also ungefähr das Ostium
tympanicum erreicht haben muss. Weiter einzugehen hat nicht nur keinen
Zweck, sondern würde auch unstatthaft sein, mit Rücksicht auf die Möglich-
keit einer Verletzung der Paukenhöhlengebilde und des Trommelfelles. Die
Stelle der Sonde, welche gerade am Trichterende des Katheters liegt, w^enn
ein Hindernis gefühlt wird, kann man entweder bis nach erfolgter Ausführung
fest zwischen zwei Finger fassen oder mit einer vierten Marke versehen, um
nach der nun folgenden gleichzeitigen Entfernung beider Instrumente bemessen
zu können, in welcher Entfernung vom Tubeneingang der Sondenknopf sich
befunden hat.
Die Sondirung ist in der Regel eine ziemlich schmerzhafte Operation,
und schon aus diesem Grunde ist die grösste Vorsicht geboten. Da auch
leicht Verletzungen der Schleimhaut durch die Sonde erzeugt werden können,
ist diese Untersuchungsmethode nur von geübter Hand auszuführen.
BtJRKNER.
Sprache. Die Sprache besteht aus Geräuschen und Klängen, welche
von der durchströmenden Luft im Ansatzrohre unseres Stimmorganes, haupt-
sächlich in der Mundhöhle, gebildet werden, und zu welchen sich meist auch
die Kehlkopfstimme hinzugesellt. Dass aber die Kehlkopfstimme zum Sprechen
nicht unbedingt nothwendig ist, dies beweist das Flüstern. Beim Flüstern
ertönt nämlich im Kehlkopfe kein Ton, sondern ein Reibegeräusch, welches
die schwach ausströmende Luft an den einander nur wenig genäherten Stimm-
bändern erzeugt; dies Geräusch wird zur Flüstersprache benützt. Ja, man
kann flüstern, während durch den Kehlkopf überhaupt keine Luft geht.
Menschen, deren Kehlkopf ganz verschlossen ist und die durch eine Tracheal-
fistel athmen, können auch ganz verständlich flüstern; dieselben erzeugen mit
Hilfe ihrer Lippen und Gesichtsmuskeln einen unbedeutenden Luftstrom, und
dieser ist genügend, um die zur Flüstersprache nothwendigen Geräusche zu
bilden. Dies beweist zugleich am besten; dass bei der Sprache die wich-
tigste Rolle dem Ansatzrohre zufällt. Bei lauter Sprache schliessen sich der
Kehlkopfstimme Töne an, welche die Mund- oder Nasenhöhle durch Resonanz
erzeugen, sowie Geräusche, welche an verschiedenen Stellen des Ansatzrohres
gebildet werden, und eben diese sind für die Sprache charakteristisch.
Indem die Luft der Mund- und Nasenhöhle mit dem Klang des Kehl-
kopfes mitschwingt, verstärkt sie je nach ihrer Form einen oder zwei Töne,
diese werden stark vernehmbar und für den Laut der Art bezeichnend,
dass hiedurch die Vocale entstehen. Die Mundhöhle hat also für jeden
SPRACHE. 615
Vocal eine andere und ganz bestimmte Form und der hiediirch bedingte
Mundhöhlenton bestimmt den Vocal. Wenn man a sagt, dann ist die Mund-
ötfnung am grössten, die Zunge liegt tief auf den Boden der Mundhöhle,
ihre Wurzel ist stark nach rückwärts gezogen und das ganze Ansatzrohr ent-
spricht einem nach vorne offenen Trichter. Das Gaumensegel ist zum Ab-
sperren der Nasenhöhle massig gehoben, wie auch der Kehlkopf höher steht
als in der Ruhelage. Bei o wird die Mundöifhung kleiner, die Zunge nähert
sich mit ihrem hinteren Theile dem weichen Gaumen, das Ansatzrohr ent-
spricht einer bauchigen, kurzhalsigen Flasche. Das Gaumensegel ist mehr,
der Kehlkopf weniger gehoben als bei a. Am kleinsten ist die Mundöffnung
bei u. Die Lippen stülpen sich bei u nach vorne, die Zunge nähert sich
mit ihrem hinteren Theile noch mehr dem weichen Gaumen. Das Gaumen-
segel ist hoch, der Kehlkopf kaum etwas merklich gehoben. Das Ansatzrohr
gewinnt hiedurch die Form einer w^eiten, kurz- und dünnhalsigen Flasche.
Bei e und i ist die Mundöfi'nung etwas kleiner als bei «, aber grösser wie
bei 0 und u. Am auffallendsten verändert sich hier die Lage und Gestalt
der Zunge, indem dieselbe bereits bei e und noch mehr bei i sich mitten
dem harten Gaumen nähert und hinten und vorne, an der Spitze, nieder-
gedrückt erscheint. Zugleich berührt die Zungenspitze die vorderen Zähne
der unteren Zahnreihe, während ihre Seiten den Zähnen der oberen Zahn-
reihe anliegen. Das Gaumensegel sperrt die Nasenhöhle bei i am besten ab,
bei e besser als bei a, aber weniger wie bei o oder u. Der Kehlkopf wird
bei e mehr gehoben wie bei a und bei i noch mehr als bei e\ die Reihen-
folge der Hebung ist also: w, o, «, e, i. — Was die Gestalt des Resonanz-
raumes im Munde betrifft, so hat derselbe die umgekehrte Form bei e und i
wie bei o und m; der Hals der bauchigen Flasche liegt nämlich nach vorne,
ao, ä, ö, üf schliesslich sind Zwischenvocale, dementsprechend sind die
Stellungen der einzelnen bei der Sprache betheiligten Organe zwischen jenen
der angrenzenden Vocale gelegen. Bei den nasalirenden Vocalen ist die
Mundhöhle dadurch, dass das Gaumensegel an die Zungen wurzel anschliesst,
mehr weniger gesperrt.
Die für die einzelnen Vocale charakteristischen Mundhöhlentöne, „Vocal-
formanten", werden auf verschiedene W^eise bestimmt. So lassen sich die-
selben mittels Resonatoren erkennen, ja geübte Forscher können selbt diePartial-
töne heraushören. Wenn man die Mundhöhle auf einen gewissen Vocal ein-
stellt und die Wange oder den Kehlkopf mit dem Finger percutirt, so er-
schallt der entsprechende Mundhöhlenton; oder wenn man vor den Mund
verschiedene, tönende Stimmgabeln nach einander hält, dann verstärkt der-
selbe den Ton der den Mundhöhlenton entsprechenden Stimmgabel durch
Resonanz. Auf diese Weise fand Helmholtz die folgenden Töne:
uoaäeiöü
f b^b^ d2,g2 fi,b3 f,d* f^cis2 f,g3.
Für die Vocale von ä bis ü fand also Helmholtz zwei Töne, von
welchen der eine dein bauchigen, der andere dem halsförmigen Theile der
einer Flasche ähnlichen Mundhöhle entspricht. Auch Versuche mit der mono-
metrischen Flamme im rotirenden Spiegel von R. Köxig und mit dem Ediso^'-
schen Phonographen haben bewiesen, dass die Vocale Klänge sind, für welche
die Partialtöne maassgebend sind. König construirte nämlich eine kleine
Trommel, deren Innenraum eine feine Kautschukplatte in zwei Hälften theilt-
In die eine Hälfte der Trommel wird durch ein Röhrchen Leuchtgas geleitet,
aus welcher dasselbe durch einen feinen Brenner wieder hinausströmt, und
angezündet mit einer kleinen Flamme brennt. Die zweite Hälfte der Trommel
hat eine weite Oeffnung, welche ein entsprechend weites Kautschukrohr
mit einem schallleitenden Trichter verbindet. Wenn nun ein Schall in den
Trichter gelangt, so bringt derselbe die Kautschukplatte in Mitschwingungen,
616 SPRACHE.
■welche dieselbe auf das Gas und die kleine Flamme überträgt. Das hiedurch
verursachte Spiel der Flamme geschieht so rasch, dass man dasselbe un-
mittelbar nicht sehen kann, es ist aber leicht zu erkennen, wenn man im
Dunkelzimmer vor der Flamme einen viereckigen Spiegel rotirt und in diesem
das Flammenbild beobachtet. So lange nämlich die Flamme ruhig brennt,
so lange ist auch im Spiegel eine gleichförmige Lichtlinie zu sehen, sobald
aber in den Trichter ein Schall geräth, so lassen sich am Spiegelbild der
Flamme Erhabenheiten und Vertiefungen beobachten. Diese Erhabenheiten
sind regelmässig, wenn ein einfacher Ton oder ein musikalischer Klang er-
schallt, und unregelmässig, sobald irgend ein Geräusch die Flamme in Bewe-
gung versetzt. Wenn nun ein Vocal hörbar wird und die Flamme erschüttert,
so zeigt das Flammenbild ganz regelmässige Erhabenheiten und Vertiefungen,
welche zugleich für einen jeden Vocal ganz charakteristisch sind. Der Edison-
sche Phonograph zeichnet die durch den Schall erzeugten Schwingungen
seiner Glasplatte auf einen sich mit gleichmässiger Geschwindigkeit drehen-
den Paraffin-Wachscylinder, und reproducirt dieselben dadurch, dass ein mit
einem kugeligen Köpfchen versehener Läufer den Eingrabungen folgt und
auf die Glasplatte zurückwirkt. Wie Hermann bewiesen, gibt dieser Phono-
graph aufgesungene Vocale nur dann unverändert wieder, wenn sie mit gleicher
Drehgeschwindigkeit, also mit gleicher Note reproducirt werden. Hermann
untersuchte die Tiefencurven des Phonogramms auch mittels Spiegelchen
photographisch. Alle diese Analysen ergaben für jeden Vocal ganz bestimmte
Partialtöne. Nach Hermann sind diese „Formanten" für lange Vocale etwas
tiefer als für kurze. Pepping fand dieselben für lange Vocale wie folgt:
für U — bei d^ bis f^
. 0 - „ g^
;; Ao — „ e^ und dis^
;, A — „ gis- „ dis^
„ Ae — „ g2 „ fis^
„ E — „ lis« „ cis^
„ Ue „ a „ c
„ I — „ dl „ eis*
Man versuchte auch künstlich Vocale darzustellen. Schon die phono-
graphische und grammophonische Keproduction gehört hieher. Auch mit
Zungenpfeifen, Stimmgabeln, lassen sich den Vocal en ähnliche Klänge er-
zeugen, wenn man vor dieselben den Mundtönen entsprechende Resonatoren
hält. Helmholtz nahm 9 auf die Noten B, b, f\ b\ d^, f^, gis^ b^ und
d^ abgestimmte Stimmgabeln, welche durch Elektromagneten in Schwingungen
erhalten wurden; eine, den Strom, ähnlich wie der WAGNER'sche Hammer
unterbrechende B Gabel leitete den elektrischen Strom zu den Elektro-
magneten. Vor einer jeden sonst unhörbaren Stimmgabel befand sich der
entsprechende Ptesonator, der verschlossen und geöffnet werden konnte. Sobald
der Resonator einer Stimmgabel geöfinet wurde, dann erklang deren Ton.
Wenn die dem Grundton entsprechende 5-Stimmgabel allein erscholl, so
hörte man ein dumpfes u. — Das u wurde vollkommener, wenn neben B
noch b und f ^ schwach tönten. Im Falle b ^ stark und zugleich B, b, f 2, d^,
schwach hörbar wurden, war 0 rein hörbar. Das Telephon, ferner das Mikro-
phon reproduciren auch die Vocale. Wenn man bei aufgehobenem Dämpfer
gegen die Seiten des Klaviers einen Vocal mit einer Klaviernote singt, so
klingt derselbe nach; es gerathen jene Saiten in Mitschwingungen, deren Note
gesungen wurde.
Die für die einzelnen Vocale eigenthümlichen Mundtöne sind bei allen
Menschen gleich und ändern sich auch mit dem Alter kaum etwas.
Inwiefern also der Rauminhalt der Mundhöhle bei den einzelnen Personen
SPRACHE, 617
verschieden ist, und demnach mit verschiedenen Tönen mitschwingen kann,
insoweit wird während des Sprechens dieselbe und die Mundöff'nung durch
Muskelwirkung verschieden gross gemacht und die ansonst möglichen Ab-
weichungen compensirt. Kinder, die eine kleinere Mundhöhle haben, müssen,
um u deutlich auszusprechen, die Lippen mehr vorschieben als Erwachsene,
und diese wieder müssen den Kehlkopf stärker heben, wenn sie i scharf
betonen wollen.
Den Uebergang von den Vocalen zu den Consonanten bilden die Halb-
vocale, indem bei denselben ebenso wie bei den Vocalen Klänge ent-
stehen, welche, durch das Anblasen der Mund- oder Nasenhöhle, bei gewisser
Stellung derselben, hervorgerufen werden. Um n auszusprechen, schliessen
wir die Mundhöhle mit der Zunge ab, indem wir dieselbe an die Schneide-
zähne oder den Alveolarfortsatz des Oberkiefers, ja selbst an den harten
Gaumen stemmen; derselbe Verschluss kann auch noch so geschehen, dass
man die Zungenspitze an die Schneidezähne des Unterkiefers stemmt und den
Zungenrücken an die Zähne des Oberkiefers drückt. Wenn wir m, aussprechen,
dann schliessen die Lippen die Mundhöhle ab. Bei n nasale befindet sich
der Verschluss zwischen Zungenwurzel und harten oder weichen Gaumen.
Bei allen drei Lauten kann die Luft blos durch die Nase entweichen und
der Mundhöhle fällt die Rolle eines abgeschlossenen, resonirenden Hohl-
raumes zu.
Die eigentlichen Consonanten sind Geräusche, welche je nach dem
Consonanten auf verschiedene Weise entstehen. Die Lage der Zunge und
Weichtheile, während des Aussprechens von Consonanten, untersucht man
theils, indem man die Mundhöhle bei offenem Munde beobachtet, theils indem
man durch den offenen Mund den Finger einführt und die Weichtheile ab-
tastet. GßüTZNEE beobachtete die Lage der Zunge, indem er den Zungen-
rücken bei offenem Munde mit Karminstaub bestreute und, nachdem er den
Consonanten ausgesprochen, im Spiegel beobachtete, welche Stellen der Zähne
und des Gaumens von Karmin roth gefärbt worden war. Verschluss oder
Offensein des hinteren Naseneinganges lassen sich erkennen, indem man eine
weiche Feder, eine brennende Kerze oder aber einen Spiegel vor die Nasen-
löcher hält.
Je nach der Ursache des Geräusches unterscheidet man die Consonanten
als Reibungslaute, Verschlusslaute und Zitterlaute. Bei den Reibungs-
lauten erzeugt die aus den Lungen herausströmende Luft an irgend einer
Enge der Luftwege das dem Laut eigenthümliche Geräusch. Wenn man das
Stimmorgan der Richtung des Luftstromes entsprechend von rückwärts nach
vorne beobachtet, so lässt sich die erste solche Enge, welche ein Reibungs-
geräusch verursachen kann, im Kehlkopfe selbst finden; dies Reibungsgeräusch
ist für h bezeichnend. Bei dem Aussprechen von h findet man die Glottis
wohl etwas verengt, doch viel zu wenig, als dass die Stimmbänder durch die
ausströmende Luft in tönende Schwingungen versetzt werden könnten, allein
genug, damit bei der Exspiration das für /r charakteristische Geräusch
entstehe, h ist immer lautlos und kann bei einer jedem Vocal entsprechen-
den Stellung der Weichtheile des Mundes ausgesprochen werden. Wenn zum
Beispiel nach h ein Vocal folgt oder dem h ein solcher vorangeht, dann
nehmen die Theile des Mundes bereits die dem Vocal entsprechende Stellung
im vorhinein, bezüglich gleich nachher ein. Zahlreich sind die Laute, deren
Geräusch in einer durch die Zunge verursachten Enge entstehen, ch wird
in der Enge gebildet, welche die Zungenwurzel mit dem weichen Gaumen
(hinteres ch) oder der Zungenrücken mit dem harten Gaumen (vorderes ch) erzeugt.
Die durch die Enge getriebene Luft bricht an dem Gaumen und erzeugt das
Geräusch. Das hintere ch sprechen wir mit den tiefen {a, o, u), das vor-
dere mit den hohen (ä, e, i) Vocalen, denn so bilden wir die Enge dort,
618 SPRACHE.
WO Zunge und Gaumen einander auch sonst schon genähert sind, und dies
ist einlacher, bequemer. Wenn die Enge zwischen Zunge und den Zähnen
gebildet wird, dann entstehen die Laute seh, s, L Bei dem Aussprechen
von seh liegt die Zunge etwa 1 cm hinter den Schneidezähnen des Ober-
kiefers und lässt an ihrem vorderen Ende eine schmale Spalte zurück,
während ihre Seiten die Zähne und Alveolarfortsätze des Oberkiefers, ihr
Rücken zum Theil den harten Gaumen berühren. Bei s rückt die Zungen-
spitze weiter nach vorne, legt sich an den oberen Alveolarfortsatz an und
lässt vorne in der Mitte eine enge Lücke zurück, indem sie sich daselbst
etwas vertieft. Ansonst sind beide Zahnreihen einander bis auf eine geringe
Entfernung genähert. Um / auszusprechen, stemmt sich der Rand der Zunge an
die oberen Vorder- und Backenzähne und au den entsprechenden Alveolarfortsatz
in der Weise, dass zwei kleine Spalten in der Gegend der ersten Backenzähne
ofien bleiben. Das Geräusch, welches der durch diese Spalten nach aussen
dringende Luftstrom erzeugt, ist für l bezeichnend. Schliesslich lassen sich
auch durch die Lippen Engen bilden, so z. B., wenn man die Unterlippe
und Oberzähne einander nähert. Das in dieser Enge durch die Luft an den
Rand der Zähne verursachte Geräusch ist der /-Laut, ch, seh, s, / können
mit oder ohne Stimme gesprochen werden und bilden auf diese Weise zwei
Consonantenreihen, von welchen die mit Stimme gesprochene weich klingt.
So gibt eh mit Stimme gesprochen das J, seh das französische j; s wird
auch scharf und weich ausgesprochen, während / (v) mit Stimme das w gibt.
Die Verschlusslaute werden durch Geräusche erzeugt, welche ent-
stehen, indem bei gehobenem Gaumensegel entweder der Luftstrom durch
einen Verschluss plötzlich unterbrochen wird oder, indem der Luftstrom den
bereits vorhandenen Verschluss durchbricht. Alle diese Laute können mit
oder ohne Stimme gegeben werden und sind dementsprechend weich oder
hart. So kann ein Theil des Zungenrückens mit den hinteren Partien des
harten Gaumens oder mit dem weichen Gaumen einen Verschluss bilden.
Wird dieser Verschluss von der lautlos ausströmenden Luft durchbrochen, so
entsteht das k, und wenn zugleich im Kehlkopf die Stimme erschallt, dann
das g. Der Verschluss liegt mehr nach vorne, wenn vor oder nach Ä-, be-
züglich g, e oder i, und mehr nach rückwärts, wenn a, o oder u folgt.
Ein anderes Geräusch erhält man, wenn der durch die Zunge gebildete Ver-
schluss mehr nach vorne liegt, wenn wir zum Beispiel die Zunge an den
Alveolarfortsatz des Oberkiefers oder an dessen Vorderzähne stemmen. So-
bald die Luft diesen Verschluss durchbricht, entsteht das t. Befindet sich
der Verschluss zwischen Zunge und Vorderzähne, so nennt man das t ^-den-
tale, berührt die Zunge ausser den Vorderzähnen auch den Alveolarfortsatz,
so ist dies das ^-alveolare. Die Zungenspitze kann auch mit dem harten
Gaumen einen Verschluss bilden, auf diese Weise entsteht das ^-cerebrale;
endlich kann sich die Zunge mit der Spitze an die Vorderzähne des Unter-
kiefers stemmen und der Zungenrücken bilden mit den Vorderzähnen des
Oberkiefers einen Verschluss, welcher durchbrochen das t ertönen lässt. Wenn
zugleich die Stimme hörbar wird, so gehen alle diese t in das weiche d
über. Einen starken Verschluss können auch die Lippen bilden. Bei plötz-
lichem Oeflhen dieses Verschlusses hört man das 2^, welches, sobald die Stimme
mittönt, zu h wird.
Der einzige Zitterlaut ist das r. Hierbei bringt die ausströmende
Luft einen leicht beweglichen Theil des Ansatzrohres wie eine Zunge in
Schwingungen. Solche leicht bewegliche Theile sind auch die Stimmbänder,
und es gibt Menschen, welche das r durch eine Erschütterung der Stimm-
bänder erzeugen; es ist dies das r -gutturale. Man findet dieses r oft
bei fetten, dickhalsigen Personen, die mit der sogenannten Gaumenstimme
sprechen. Das r-uvulare wird durch Erzittern des weichen Gaumens oder
SPKACHANOMALIEEN. 619
der Uvula erzeugt. Die hinteren Partien der Zunge heben sich, lassen in
ihrer Mitte eine kleine Rinne für das Zäpfchen frei und hier schwirrt das-
selbe auf und nieder. Dies r ist schon mehr im Gebrauch, besonders bei
den Franzosen. Beim r der Zunge, r- linguale, erzittert der nach oben
gehobene vordere Theil der Zunge, wobei derselbe an die oberen Zähne und
an den Alveolarfortsatz des Oberkiefers anschlägt. Schliesslich lassen sich
auch die Lippen durch den Exspirationsstrom in Schwingungen versetzen.
Doch wird dies r- labiale in der Sprache nicht gebraucht; Kutscher pflegen
Pferde damit anzuhalten.
Zusammengesetzte Consonanten, wie ks^ pf,ps, ts, z^x werden durch
raschen Uebergang von Verschlusslauten in Reibungslaute erzeugt. Die
Sprachlaute sind, mit möglichst derselben Intensität gesprochen, aus sehr
verschiedener Entfernung hörbar, so werden die Zischlaute seh, s aus weit
grösserer Entfernung gehört als die übrigen; in abnehmender Entfernung
folgen auf diese ^, f, k, t^ b, u, r. fekd. klug.
Sprachanomalieen. Die Sprachanomalieen sollen hier besprochen
werden, soweit sie in einen directen oder indirecten Zusammenhang mit den
Ohren-, Nasen- und Kehlkopikrankheiten gebracht werden können. Es wird
deshalb eine grosse Zahl von rein centralen Sprachstörungen ausseracht ge-
lassen werden müssen, und wir werden uns darauf beschränken, folgende
Sprachstörungen, dem Rahmen dieses Werkes entsprechend, darzustellen:
1. Taubstummheit, 2. Hörstummheit, 3. Stottern, 4. functionelles Stammeln,
5. organisches Stammeln.
1. Taubstummheit besteht, wie ihr Name sagt, in der Stummheit, die
nothgedrungen einer angeborenen oder auch bis zu einem gewissen Alter er-
worbenen Taubheit folgt. Dabei ist es durchaus nicht nothwendig, dass die
Taubheit eine absolute ist; es können sogar relativ massige Grade von Schwer-
hörigkeit zur gänzlichen Stummheit führen.
Die Aetiologie ist sonach für die Sprachstörung vollständig klar. Auf
die Erscheinungen von Seiten des Gehörorganes bezüglich der Aetiologie
brauchen wir hier, da wir uns nur mit der Sprachstörung befassen, nicht
näher einzugehen. Ebensowenig haben wir hier zu zeigen, inwieweit die Erb-
lichkeit und die Blutsverwandten-Ehen auf die Entstehung Eintluss haben.
Die Diagnose ist in den allermeisten Fällen leicht. Schwierigkeiten
kann sie bei denjenigen Taubstummen machen, welche gleichzeitig einen
grösseren oder geringeren Grad von Schwachsinn resp. Idiotie zeigen. Da
Schwachsinn und Idiotie an sich oft genug zur Stummheit führen, so kann
es vorkommen und kommt in "Wirklichkeit auch oft genug vor, dass schwach-
sinnige Stumme in die Taubstummenanstalt statt in die Idiotenanstalt dirigirt
werden. Erst die Beobachtung kann darüber belehren, ob es sich um reine
Taubstummheit handelt, da die Höruntersuchungen bei diesen Kindern un-
endlich schwierig sind und Täuschungen selbst routiuirten Untersuchern oft
genug vorgekommen sind.
Des weiteren kann die Taubstummheit verwechselt w^erden mit der
noch zu besprechenden Hörstummheit. Auch hierbei wird es in denjenigen
Fällen, wo die hörstummen Kinder äusseren Anregungen schwier zugänglich
sind, unter Umständen einer längeren Zeit der Beobachtung bedürfen, um
die Differentialdiagnose zu stellen. In den meisten Fällen von Hörstummheit
allerdings kann sofort durch einfache Proben festgestellt werden, ob das Ge-
hör vorhanden ist und ob es normal ist.
Die Prognose der Taubstummheit in Bezug auf die Sprachstörung ist in
denjenigen Fällen, wo die Kinder intelligent sind oder höchstens nur ge-
ringe Spuren von Schwachsinn zeigen, eine absolut günstige, da sie sämmtlich
die Lautsprache erwerben können. Leider kommt aber neben der Taubstumm-
620 SPRACHANOMALIEEN.
heit auch gleichzeitig Schwachsinn vor, der die unterrichtliche Entwicklung
des Taubstummen ausserordentlich hindert. Zum Theil ist ferner die Pro-
gnose in Bezug auf die Erwerbung einer für den Verkehr mit den hörenden
Mitmenschen ausreichenden Lautsprache von den Organbefunden der Sprache
abhängig. Bei grösseren Untersuchungen an Taubstummen hat man recht
häufig Anomalien der Sprachwerkzeuge gefunden, die weniger darin bestanden,
dass sich Defecte oder Missbildungen nachweisen Hessen, als darin, dass die
Form und Beweglichkeit der Theile eine mangelhafte war. So finden sich
schwerfällige Zungenbewegung, schwerfällige Bewegung des weichen Gaumens
beim Sprechen, Inactivitätsatrophien von Seiten der Stimmbänder, fehlerhafte
Athmung und anderes. In den meisten Fällen lassen sich durch die allge-
mein übliche sprachliche Behandlung der Taubstummen in den Taubstummen-
anstalten diese Fehler durch Uebung ausgleichen, indess weiss jeder, der
einmal mit Taubstummen gesprochen hat, wie häutig der rauhe abgerissene
Klang der Stimme, die eigenthümliche Verdumpfung und schwerfällige Bildung
der Vocale das Verständnis der Sprache zu hindern im Stande ist. Es ist
auch bekannt, dass die Selbstcontrole der eigenen Sprache durchaus nicht
nur vom Ohre abhängt; denn das Muskelgefühl gibt uns jederzeit Aufschluss
über die Stellung, in welcher sich die einzelnen Organtheile der Sprache
gegeneinander befinden. Nun ist aber gerade dieses sprachliche Muskelgefühl
bei den Taubstummen im Unterrichte direct ausgebildet, und trotzdem finden
wir so häutig die geschilderte mangelhafte Sprache.
Die Behandlung der Taubstummheit geschieht seit dem Ende des
vorigen Jahrhunderts (Samuel Heinecke) nach der deutschen Methode, die
Taubstummen erlernen die Lautsprache der Vollsinnigen. Es ist in früherer
Zeit, und zwar trotz der grossen Erfolge, die sich diese Methode errungen
hatte, auch in neuester Zeit des öfteren gegen die deutsche Taubstummen-
Unterrichtsmethode der Vorwurf erhoben worden, sie sei nicht natürlich, sie
entspreche nicht der Psychologie des Taubstummen; für den Taubstummen
sei es viel natürlicher, dass er sich der Geberdensprache zum Ausdruck seiner
Gedanken bedient, die ihm mit unendlicher Mühe beigebrachte Lautsprache
sei eine Kunstsprache, ein Zwang gegen seine Natur, und daher komme es,
dass er sie häufig direct nach dem Verlassen der Taubstummenanstalt ablege
und zur natürlichen Geberde zurückkehre. Um gleich auf einen Hauptpunkt
einzugehen, muss bemerkt werden, dass die Geberdensprache nicht nur für den
Taubstummen natürlich ist, sondern dass auch alle vollsinnigen sich derselben
in principiell gleicher Weise wie die Taubstummen bedienen. In der That
ist die natürliche Geberdensprache des Taubstummen nichts weiter als eine
vollständigere Entwicklung unserer natürlichen Geberde, mit der wir Mit-
theilungen und Darstellungen, auch Ausdruck von Gefühlen zu begleiten ge-
wohnt sind. Die Zeichen für Essen und Trinken, Hunger und Durst, Kämmen,
Waschen, Schlafen und vieles andere sind in der natürlichen Geberde der
Taubstummen genau die gleichen, die wir anzuwenden gewöhnt sind. Wir
wissen auch, dass manche Völker zu der Anwendung der Geberdensprache
geneigter sind, als beispielsweise wir Deutschen. Wer hat nicht von der
Geberdensprache der Neapolitaner gehört, die im Stande sind, lange Ge-
spräche von einem Haus zum andern quer über die Strasse hinüber zu führen,
ohne auch nur ein einziges Wort dabei zu sprechen. Es darf deshalb die
Geberdensprache nicht für den Taubstummen allein als etwas Natürliches in
Anspruch genommen werden, sondern die natürliche Geberde ist allen Menschen
gemeinsam. Daher kommt es auch, dass die Taubstummen verschiedener
Länder sich ausserordentlich rasch in der Unterhaltung verständigen, wovon
ich mich mehr als einmal persönlich überzeugt habe. Andererseits muss man
daran festhalten, dass die natürliche Geberde, wenn sie vollständig zum Aus-
druck aller Gedanken angewendet wird, doch bei Darstellung der Abstrac-
SPRACHANOMALIEEN. 621
tionen vollständig versagt und zum Theil durch widersinnige Zeichen ein
Ersatz geschaffen werden muss. Bei der weiteren Ausbildung der natürlichen
Geberde, die zu diesem Zwecke nöthig ist, hört unser Verständnis, das Ver-
ständnis der Vollsinnigen dafür vollständig auf, und wir sind nicht mehr im
Stande, der natürlichen Geberdensprache des Taubstummen zu folgen. Damit
verliert aber der Taubstumme den Zusammenhang mit der übrigen mensch-
lichen Gesellschaft, woran ihm doch gerade unendlich viel gelegen sein muss,
und er ist deshalb, wenn er nicht die Lautsprache einigermaassen erlernt hat,
gezwungen, zur Schrift als Verständigungsmittel zu greifen. Untersuchen wir
ferner, ob der Taubstumme, wenn er die Lautsprache erlernt, in der That
von dem natürlichen Gange der Entwicklung abweicht, so sehen wir sofort,
dass das unmöglich der Fall sein kann, da alle Menschen ohne Ausnahme
stumm geboren sind. Sie schreien zwar, aber sie sprechen noch lange nicht:
die Sprache entwickelt sich erst in einer viel späteren Altersstufe. Es ist
deshalb die Ausbildung des motorischen Sprachcentrums beim Taubstummen
durch die Lautsprachmethode nichts weiter als eine Nachahmung des
natürlichen Vorganges des Sprechenlernens bei allen Menschen. Das moto-
rische Sprachencentrum fehlt dem neugeborenen Vollsinnigen ebenso, wie es
dem Taubstummen fehlt. Bei dem neugeborenen Vollsinnigen entwickelt es
sich unter dem Einfluss der Umgebung mittelst des Nachahmungstriebes, beim
Taubstummen wird es durch Einübung der sprachlichen Bewegungen sorgsam
ausgebildet. Wenn der zweite Weg auch ein schwierigerer ist, so ist er darum
doch durchaus natürlich. Unsere eigene Sprache controliren wir bekanntlich
nicht allein durch das Gehör, sondern gleichzeitig auch durch das Gefühl, und
so wie eine Abstumpfung der sensiblen Nerven zu einer Ataxie des befallenen
Körpertheiles führt (Tabes), so führt auch ein Abstumpfen der sensiblen
Nerven im Gebiet der Sprachorgane zu fehlerhafter, schwerfälliger Sprech-
weise. Freilich ist das vorwiegende Controlmittel des Vollsinnigen das Ohr.
Das kinästhetische Centrum, mittelst dessen wir unsere Sprachbewegungen
fühlen, wird beim Taubstummen ganz besonders fein ausgebildet, weil an
Stelle des fehlenden Gehörs das Auge zur Perception des Gesprochenen ein-
tritt. Wir vermögen die Sprachbewegungen mittelst des Auges leicht und
fast ebenso vollständig wie mittelst des Gehörs aufzufassen, wenn wir in
dieser Perception eine geeignete erziehliche Anweisung gemessen. Der Taub-
stumme hat demnach zur Perception des von anderen Gesprochenen das Auge,
zur Controle seiner eigenen Sprache das kinästhetische Centrum.
Die sprachliche Ausbildung beginnt mit dem sechsten oder siebenten
Lebensjahr in geeigneten Taubstummenanstalten, und zwar mittels des Ge-
fühles und des Gesichtes. Die an den Kehlkopf gelegte Hand fühlt die
Stimmbandschwingungen, und das Kind ahmt dieselben ohne weiteres nach,
indem es gleichfalls die Stimme anschlägt. Das Auge sieht die Bewegungen
des Kiefers, der Lippen, der Zunge, die Stellung der Zähne zu einander, und
es wird demnach beispielsweise der Laut a so eingeübt, dass die an den
Kehlkopf gelegte Hand die Schwingungen fühlt und das Auge das Herunter-
gehen des Unterkiefers sieht. Das Kind macht den Mund auf und spricht
mehr oder weniger deutlich und wohlklingend den Laut a. Der Laut m wird
so aufgenommen, dass die geschlossenen Lippen durch das Auge w^ahrgenommen
werden, die an die Nasenwand geführte Hand fühlt, dass die Schwingungen
durch die Nase entweichen. Verbindet man nun m und a zu der Silbe ma
und schliesslich durch Wiederholen zu dem Wort Mama, so ist dadurch das
erste Wort für das taubstumme Kind geschaffen. Das, was noch fehlt, ist
die Verknüpfung dieser Lautproduction mit dem dazugehörigen Begriff. Die-
selbe geschieht durch Anschauungsbilder. In dieser Weise wird der gesammte
Sprachschatz bei dem Kinde aufgebaut. Leider ist in den Taubstummen-
anstalten wenigstens Deutschlands die Hinzuziehung des Arztes bei der sprach-
622 SPRACHANOMALIEEN.
liehen Entwicklung und Erziehung gänzlich zurückgewiesen w^orden, während
in Frankreich, wenigstens in früherer Zeit, die grossen Taubstummenanstalten
unter Leitung von Aerzten standen. Es ist nun zw^ar mit dem Gehör in den
allermeisten Fällen nichts Besonderes mehr zu machen, wenngleich eine An-
zahl von Taubstummen durch geeignete Hörübungen grossen Vortheil wenig-
stens für die Entwicklung der Sprache haben können (die ersten Hörübungen
wurden 15 Jahre hindurch mit grossem Eifer von Itaed ausgeführt; in
neuerer Zeit sind sie von Ukbantschitsch wieder aufgenommen worden).
Die Untersuchung der Stimmorgane Taubstummer ergibt, wie schon gesagt,
öfters Atrophie, die im wesentlichen nichts weiter als eine Folge der In-
activität ist und die durch vorsichtige systematische Uebungen ausgeglichen
wird. Ich glaube, dass die Mithilfe von Aerzten bei der sprachlichen Ent-
wicklung der Taubstummen in gewissen Fällen von schwerfälliger Stimm-
entwicklung grossen Nutzen schaffen könnte.
2. Hörstummheit. Dieselbe besteht darin, dass die Kinder stumm sind,
obgleich sie hören und das zu ihnen Gesprochene verstehen, und obgleich sie
nicht idiotisch sind. Die Hörstummheit kann erst dann angenommen werden,
w^enn das Kind älter als drei Jahre ist, da, wie bekannt, sämmtliche Kinder
im ersten Jahre hörstumm sind; denn sie verstehen am Schluss des ersten
Jahres beispielsweise ausserordentlich viel, ohne dass sie selbst zu sprechen
vermögen. Die Grenze von drei Jahren ist angenommen, um doch überhaupt
eine Grenze zwischen den physiologischen und pathologischen Erscheinungen
zu setzen.
Die Aetiologie ist in den meisten Fällen ganz dunkel, jedoch muss
darauf hingewiesen werden, dass in sehr vielen Fällen Erblichkeit im Spiele
ist. Ich vermochte unter 289 Fällen von Hörstummheit die Vererbung in
107 Fällen, und zwar vorwiegend von Seiten des Vaters, nachzuweisen, das
heisst in o7^'o. Andererseits ist ein sehr häufiger Befund bei der Hörstumm-
heit die Hyperplasie der LuscHKA'schen Tonsille. Ich fand sie in höheren
Graden in 152 Fällen, das heisst 52"67o- Beide Befunde, die Erblichkeit
und die Hyperplasie der Ptachenmandeln, weisen darauf hin, dass die Ge-
sammtconstitution der kleinen Patienten eine gewisse Prädisposition zu dieser
Sprachhemmung darbietet. In welcher Weise dieselbe zu erklären ist, dürfte
mit Sicherheit schwier zu sagen sein. Es ist ja bekannt, dass sich zuerst das
Perceptionscentrum entwickelt und dass das motorische Sprachcentrura erst
viel später in die Erscheinung tritt. Eine Verzögerung in dieser Entwicklung
des motorischen Sprachcentrums, die ich als „Sprachhemmung" bezeichnet
habe, kann oft durch zufällige Ereignisse herbeigeführt werden. Da das Kind
in der Sprachentwicklung häufig unter dem Missverhältnis zu leiden hat, dass
es sehr vieles versteht, was es zwar schon sprechen möchte, aber infolge der
Ungeübtheit seiner Sprachorgane noch nicht sprechen kann, dieses Missver-
hältnis bringt oft Unlust an der Sprachäusserurg hervor und damit einen
Zustand, der der Aphrasia voluntaria gleichzustellen ist. Dass das in der
That bei einer Anzahl von hörstummen Kindern der einzige Grund der Hör-
stummheit ist, beweisen die praktischen Beobachtungen. Wenn man derartigen
Kindern durch geeignete Uebungen erst einige Wörter beigebracht hat, so
dauert es gar nicht lange, bis bei ihnen von selbst die Sprechlust und der
Sprachtrieb stärker wird, und es bedarf nicht mehr des gesammten Aufbaues
der Sprache, sondern der erste Anstoss genügt, um die übrige Entwicklung
spontan eintreten zu sehen. Auch über den Zusammenhang der hyperplasirten
Rachenmandeln mit dieser Sprachhemmung lässt sich nicht mit Sicherheit
urtheilen. Wenn man mit Key und Retzius einen Zusammenhang der Lymph-
bahnen des Rachens mit denen des Gehirns für erwiesen erachtet, so könnte
man sich wohl vorstellen, dass eine vorhandene Hyperplasie der Rachen-
tonsille eine Stauung in den Lymphbahnen des Schädelinnern zu Stande bringt.
SPRACHANOMALIEEN.
62J
In melireren Fällen war die Herausnahme der Rachenmandeln genügend, um
die bis dahin gehemmte Sprachentwicklung manchmal zu einem geradezu
rapiden Ausbruch zu bringen. Trotzdem mochte ich den Zusammenhang
noch nicht als erwiesen ansehen, da bekanntlich auch starke psychische Ein-
wirkungen den gleichen Erfolg haben können und die Operation der Adenoi-
den mehr als einmal als rein psychischer 8hock gewirkt zu haben scheint.
Die Behandlung ist zum Theil aus dem eben Erwähnten ersichtlich.
Bestehen Störungen von Seiten der Rachenorgane, so muss die geeignete
specialistische Abhilfe geschaffen werden. In den meisten P'ällen muss aller-
dings trotzdem eine medicinisch-didaktische Entwicklung der gesammten
Sprache eintreten. Die Kinder lernen, ganz ähnlich, wie es bei taubstummen
Kindern der Fall ist, zuerst die einzelnen Laute, dann Lautverbindungen und
später kleine Sätzchen, so dass allmählich der gesammte Aufbau der Sprache
vollendet wird.
3. Stottern ist eine spastische Coordinationsneurose, die darin besteht,
dass der Redefluss durch spastische Erscheinungen in den Sprachorganen
(Athmungsmusculatur, Articulationsmusculatur. Stimmmusculatur) in gewissen
Momenten, oft fortwährend, in anderen Fällen wieder nur selten .unter-
brochen wird. Die Spasmen sind in den einzelnen Theilen leicht nachzuweisen,
Fig. 1.
Fig. 2.
(Fig. 1 u. 2 sind entnommen aus H. Gutzmann, Das Stottern. Frankfurt a. M. IS98).
an dem Zwerchfell, durch den MAREY'schen Pneumographen. Die beistehende
Figur 1 gibt die In- und Exspirationsbewegung des Zwerchfells in der Ruhe und
beim Sprechen beim Normalen an. Die Figur 2, bei welcher die Curve
von rechts nach links gelesen werden muss, zeigt im Anfang zwar oberfläch-
liche, aber doch ruhige In- und Exspirationsbewegungen und darauf beim
Sprechen klonische und tonische Zwerchfellkrämpfe. Bei der Stimme sind
die Spasmen selten nachweisbar, weil beim Laryngoskopiren nur höchst selten
624 SPRACHANOMALIEEN.
gestottert wird, jedoch ist es mir in nunmehr 7 Fällen gelungen, auch laryn-
goskopisch den Nachweis des Stimmspasmus beim Stotterer zu erbringen.
Dieser Spasmus kann entweder darin bestehen, dass die Stimmbänder fest
aneinander gespresst werden und die Taschenbänder gleichzeitig über der
Stimmbandebene zusammengehen: tonischer Verschlusskrampf — oder darin,
dass die richtige Stimme erst nach mehreren zuckenden Versuchen der Stimm-
bänder, sich in die zum Tönen geeignete Lage zu begeben, eintritt; diese
Zuckungen können mit oder ohne Stimmgebung sein: klonischer Verschluss-
krampf. Ferner können die Stimmbänder, statt sich zum Tönen zu verengen,
krampfartig weit auseinandergehalten werden: Krampf des Muscularis cric.
arytaenvideus posticus, und dieser Krampf kann ebenfalls entweder tonisch
oder klonisch sein. Man findet aber ausser diesem directen laryngoskopischen
Nachweis bei fast allen Stotterern eine übermässig harte und
rig. 3. gepresste Stimmgebung. Dieselbe lässt sich mit dem
Laryngostroboskop leicht nachweisen, und die beistehende
Figur 3, die laryngostroboskopisch von Muschold aufge-
nommen worden ist, gibt ungefähr das Bild wieder, das ich
bis jetzt bei ca. 70 Stotterern im Laryngostroboskop zu
beobachten im Stande war. Man sieht dabei, wie das
eine Stimmband sich bogenförmig über das andere etwas
hinüberschiebt, so dass die Stimmritze nicht eine gerade
Linie bildet, sondern einen nach links oder rechts convexen
Bogen, je nachdem, ob das rechte oder linke Stimmband diese Ueberlagerung
ausführt. Endlich lassen sich die Spasmen der Articulationsorgane sehr leicht
erkennen, so dass darüber eine nähere Auseinandersetzung wohl erspart werden
kann. Es ist klar, dass die gesammten Erscheinungen von dem Centrum abhängig
sind und dass nur centrale functionelle Störungen sie erzeugen können. Trotz-
dem finden wir bei den Stotterern recht häufig auch in dem peripheren Sprech-
apparat Abnormitäten, die zwar nicht ätiologisch nothwendig mit dem Uebel ver-
knüpft sind, deren Beseitigung aber unter Umständen die Heilung des Stotterns
erst ermöglicht. Dazu gehören auch wieder die adenoiden Vegetationen, ferner
katarrhalische Veränderungen der Stimme, die in manchen Fällen in der
That durch den übermässigen Verschlusskrampf erzeugt zu sein scheinen.
Adenoide Vegetationen findet man ungefähr in 33^0 aller Fälle in stärkerem
Maasse. Sehr häufig ist damit, wie das bei den adenoiden Vegetationen fast
regelmässig der Fall ist, eine starke Erhöhung der Formveränderung des
Gaumens verknüpft. Das angewachsene Zungenbändchen, das so häufig, be-
sonders in früheren Jahren, als Ursache des Stotterns beschuldigt wurde,
findet man fast nie.
Die Aetiologie des Stotterns ist in den meisten Fällen wohl auf die
Sprachentwicklung selbst zurückzuführen. Bei den letzten 569 Fällen meiner
Poliklinik fand sich, dass das Stottern in 28*67o der Fälle in der Verwandt-
schaft vorhanden war und dass fernere 26'7*'/o sich ganz allmählich erst ent-
wickelt hatten. Von den Fällen in der Verwandtschaft dürfen jedoch die
weitaus meisten nicht als hereditäre Belastung aufgefasst werden, sondern
man muss bei den meisten annehmen, dass das stotternde Beispiel die
stotternde Nachahmung hervorgerufen hat, dass also ein Fehler in der Sprach-
entwicklung vor sich gegangen ist. In den übrigen 26-7*'/o muss man an-
nehmen, dass das schon früher geschilderte Missverhältnis zwischen Sprech-
lust und Sprechgeschicklichkeit die Ursache zu der Sprachstörung wurde.
In 10'27o waren Inf ectionskrankheiten die Ursache, in 14-07o Fall und
Schreck, in 11% andere Krankheiten, in 9"57o wurde ausdrücklich Nach-
ahmung, und zwar Nachahmung anderer stotternder Kinder als Ursache an-
gegeben. Wir sehen deshalb, dass das Stottern in einer fehlerhaften Sprach-
entwicklung selbst sich im ganzen fand in fast 65 "/o, wovon allerdings die
SPRACHANOMALIEEN. 625
wenigen Fälle, in denen reine hereditäre Belastung vorlag, abgezogen werden
müssen. Das Verhältnis zwischen männlichem und weiblichem (ieschlecht
war 74 : 26, wobei jedoch bemerkt werden muss, dass es sich vorwiegend
um Kinder handelt; wenn man die Erwachsenen allein betrachtet, war das
Verhältnis vom männlichem zum weiblichen Geschlecht wie 9:1. Die Ge-
sammtzahl der Fälle, bei denen Stottern in der Verwandtschaft vorhanden
war, betrug 162; von ihnen waren nur 29'% als solche anzusehen, bei denen
hereditäre Belastung nachweisbar war, wobei ich mit Epstein der Meinung
bin, dass man als hereditär belastet nur derartige Fälle ansehen darf, bei
denen das stotternde Kind den stotternden Vorfahr niemals hat stottern hören.
Unter den 569 Fällen fand ich in 30-97o hochgradige adenoide Vegetationen;
in der Hälfte dieser Fälle habe ich selbst die Geschwülste entfernt, die an-
dere Hälfte wurde von Khinologen und Laryngologen behandelt.
Wenn wir nun auf die wahre und scheinbare Erblichkeit beim Stottern
noch etwas eingehen, so finden wir die Gesammtzahl des Stotterns bei Ver-
wandten in der Höhe von 237 Personen (wohlgemerkt auf 162 Fälle von
jenen 569). Von diesen 237 Personen stotterte der Vater in 247o der Fälle,
die Mutter in 6*8%, der Grossvater in 4-7% und die Verwandten von Seiten-
linien (Onkel, Tanten etc.) in 16%; von Geschwistern stotterten 48-5%. Wie
schon gesagt, muss man als nicht ohne weiteres hereditär diejenige Zahl der
Fälle ausscheiden, bei denen das stotternde Kind den stotternden Vorfahr
gehört hat. So bleiben von den 24*^/0 stotternder Väter nur 8-9 7o übrig,
von den 6'87o stotternder Mütter nur 4*7 7o. Im ganzen haben als hereditär
belastend von jenen 237 Personen 34-3% eingewirkt. Die Prophylaxe des
Stotterns ist in sorgsamer Ueberwachung der Sprachentwicklung zu sehen und
jedenfalls im Stande, die grösste Zahl der Fälle zu verhüten.
Die Behandlung des Stotterns besteht darin, dass man die für das
Sprechen normalen Bewegungen einübt. Es ist deshalb ganz falsch, irgend
welche Athmungsübungen zu treiben, sondern die Athmungsübungen, die für
den Stotterer von Wert sind, müssen genau Nachahmungen des Athmens
beim Sprechen sein, das heisst, die Einathmung mit weitgeöffnetem Munde,
kurz und ohne Geräusch, die Ausathmung möglichst langsam, ebenfalls durch
den Mund. Je langsamer die Ausathmung ist, desto mehr können wir in
einem Athem sprechen, und dieser geschilderte Typus ist der Typus des für
das Sprechen normalen Athmens. Das Athmen durch die Nase ist als
Uebungsmittel für den Stotterer direct falsch, ebenso das Athmen durch die
halbgeschlossenen Lippen in Form des Schlürfens und vieles andere mehr.
Auch Widerstände bei der Athmung einzuschalten ist nicht rationell. Wenn
der Stotterer die Athmung in der geschilderten Weise genügend geübt hat,
um sie zu beherrschen, so kann man mit der Ausathmung allmählich die
Stimme verbinden. Damit dabei keine Spasmen eintreten, theilen wir die
stimmgebenden Factoren in die einzelnen Componenten, das heisst, wir lassen
mit weit offenem Munde einathmen und gehen dann in die Ausathmung so
über, dass wir zuerst hauchen, dann flüstern und dann erst die Stimnie an-
schlagen. Wie die beistehenden Figuren 4—7 zeigen, contrahiren wir bei
der Einathmung, bei der sich die Stimmritze sehr weit öffnet, die Musculi
cric. ar. post.; bei der Ausathmung im Hauchen contrahiren wir die Mus-
culi voc, so dass ein längliches Dreieck entsteht; gehen wir zum Flü-
stern über, so treten dazu die Musculi cric. ar. lat., und gehen wir
endlich vom Flüstern in die Stimme über, so kommen die Arytänoidmuskeln
in Thätigkeit. Wir setzen demnach durch eine derartige Uebung diejenigen
Componenten der Stimme nacheinander in Thätigkeit, die sonst bei dem so-
fortigen Stimmanschlage gleichzeitig wirken müssen. Eine Theilung aber
einer Coordination höheren Grades in die einzelnen Componenten verhindert
den Spasmus. Hat man so genügend geübt, so kann man vom Hauchen direct
Ohren-, Nasen-, Rachen-, Kehlkopfkrankheiten. *^
626 SPRACHANOMALIEEN.
Einathmung. Hauchen, plustern. Stimme.
Muscnl. cric. aryt. post. Miiscul. thyr. aiyt. int. Muscul. cric. aryt. lat. Muscul. aryt.
(Die Figuren sind direkte Kehlkopf-Photograpliien von Muschold.)
in die Stimme übergehen, dann die Stimme direct anschlagen und "vieles
andere mehr. Bei dem Beginn der Stimmgebung ist besonders darauf zu
achten, dass der leise Vocalansatz geübt wird. Derselbe besteht darin, dass
die Stimmbänder sich bei Beginn des Tönens nicht schliessen und dann erst
mit einer Explosion in Thcätigkeit treten, wie das beim festen Stimmenein-
satz geschieht, sondern dass die Stimmbänder sich ungefähr einander bis
zum Tönen nähern und dann ohne den bekannten coup de glotte zu schwingen
beginnen. Das laryngoskopische Bild gleicht dem der Figur 7. Dabei
wird das vorher laryngostroboskopisch beobachtete Aneinanderdrängen der
Stimmlippen vollständig vermieden. In genau derselben principiellen
Weise, d. h. fortwährend den Normalsprechenden nachahmend, geschieht
die Einübung der gesammten Articulationsmusculatur, die Einübung aller
einzelnen Consonanten, womöglich bewusst physiologisch mit Hilfe des
Spiegels. Die beim Stotterer regelmässig vorhandenen Mitbewegungen werden
gleichfalls durch die Controle im Spiegel sorgsam unterdrückt. Die so
häufig beim Stotterer vorhandenen psychischen Erscheinungen: Angst vor
dem Sprechen, deprimirter Gemüthszustand, Zweifel am Sprechenkönnen und
vieles andere sind nichts weiter als Secundärerscheinungen; sie fehlen bei
den Kindern im ersten Stadium des Stotterns vollständig und treten meistens
erst auf, wenn das Kind in die Schule kommt, auch gibt es erwachsene
Stotterer, bei denen sie ganz fehlen, obgleich dieser Fall immerhin selten ist.
Wo sie aber auch vorhanden sein mögen: sowie erst die normale Sprache
richtig eingeübt worden ist, verschwinden sie ganz von selbst, das beste
Zeichen dafür, dass sie wirklich secundärer Natur sind.
Auf die Einzelheiten dieser Art der Behandlung des Stotterns kann dem
mir gewährten Baume entsprechend nicht eingegangen werden, es muss daher
auf das Uebungsbuch von Albert Gutzmann verwiesen werden. Die medi-
cinische Behandlung des Stotterns muss sich auf die Beseitigung der orga-
nischen Hindernisse im Hals und Rachen beschränken, obgleich manchmal
auch die Anwendung gewisser Medicamente wie des Brom und der Wasser-
behandlung von grossem Einfluss auf den günstigen Heilverlauf sind. Dass
gymnastische Uebungen an sich, sorgsame Beobachtung der Diät, Behandlung
etwa vorhandener nervöser Nebenerscheinungen nothgedrungen eine bessere
Grundlage für die erfolgreiche Behandlung geben, dürfte klar sein. Es soll
deshalb auch die Behandlung des Stotterns mindestens unter Zuziehung eines
Arztes geschehen. Wünschenswert wäre, wenn die Aerzte im allgemeinen sich
mehr mit der Behandlung der Sprachstörungen befassten.
Die Prognose ist beim Stottern in den meisten Fällen eine günstige
zu nennen; nur sehr wenige Fälle liegen vor, bei denen die Prognose von
vornherein zweifelhaft sein muss. Das sind l3esonders diejenigen, bei denen
das Uebel schon sehr veraltet ist, bei denen ferner körperliche Zustände die
Heilung verzögern, bei denen hochgradige psychische Nebenerscheinungen,
die schon zu einer selbständigen Krankheit geworden sind, wie Melancholie,
SPRACHANOMALIEEN. 627
einen ruhigen Einfluss unmöglich machen, bei denen das fortwährende Stottern
in der Umgebung hemmend einwirkt. Es ist klar, dass ein stotterndes Kind,
das einen stotternden Vater und eine stotternde Mutter hat, fast unmöglich
von seinem Stottern durch Uebung befreit werden kann, es sei denn, dass
gleichzeitig Vater und Mutter ebenfalls in Behandlung kommen.
4. Fuiictionelles Stammeln. Unter Stammeln versteht man im all-
gemeinen die fehlerhafte Aussprache einzelner Laute. Es gibt demnach so
viele Arten des Stammeins, wie es Arten von Lauten gibt: es gibt ein Stammeln
bei Vocalen, es gibt ein Stammeln bei Consonanten, es gibt R-Stammeln
(Rhotacismus),L-Stammeln(Lambdacismus), S-Stammeln (Lispeln, Sigmatismus)
u. s. w. Die Erwerbung der einzelnen Laute in der Entwicklung der Sprache
des Kindes geschieht nach dem Grade der physiologischen Schwierigkeit,
welche diese Laute bieten. Wenn wir für diesen Grad auch keinen Mess-
apparat haben, so müssen wir doch annehmen, dass diejenigen Laute am
ersten und leichtesten gebildet werden, welche mit den vom Saugen bereits
geübten Muskeln articulirt werden, das sind also die Laute des ersten und
zweiten Articulationssystems, und zwar zunächst die Verschlusslaute und
Nasallaute. Erst später kommen die Reibelaute hinzu und meistens am
spätesten die Laute des dritten Articulationsgebietes, das g und l\ Es kommt
oft genug vor, dass Kinder im Alter von 5 und 6 Jahren diese Laute noch
nicht zu sprechen vermögen und statt dessen die Verschlusslaute des zweiten
Articulationsgebietes einsetzen, also d und t, dass sie also statt: „Komm her- :
„Tomm her", statt „Lieber Gott": „Lieber Dott" und anderes mehr sagen.
Es würde zu weit führen, alle einzelnen Fehler, die unter dem Gesammt-
namen des Stammeins zusammengefasst werden, hier zu beschreiben. Wir wollen
uns begnügen, die wichtigsten und am häufigsten vorkommenden heraus-
zuheben.
a) Paragammacismus, der, wie schon geschildert, darin besteht,
dass die Kinder statt g — d, statt k — t sprechen.
Die Aetiologie liegt, wie bei allen Fehlern der Aussprache, die rein
functioneller Natur sind, darin, dass die Articulationsmusculatur im all-
gemeinen eine gewisse Ungeschicklichkeit und Schwerfälligkeit zeigt. Be-
sonders die letztere ist oft so gross, dass man in manchen Fällen geneigt
ist, die Articulationsmuskeln für leicht paretisch zu halten.
Die Prognose des Fehlers ist fast stets absolut günstig.
Die Behandlung geschieht einfach so, dass man den vordersten Theil
der Zunge mittelst des eingeführten Zeigefingers festhält und den Zeigefinger
zwischen Zungenrücken und Gaumen nach hinten schiebt. Auf diese Weise
verlegt man die Verschlussstelle vom zweiten Articulationsgebiet in das dritte,
und es kommt fast sofort beim ersten Versuch das richtige h und g zum
Vorschein.
h) Sigmatismus, die fehlerhafte Aussprache des ö' und der verwandten
Laute, also vor allem der mit s zusammengesetzten Laute sowie des Zisch-
lautes seh und der Reibelaute ch und ;. Obgleich letztere nicht direct zum
Sigmatismus gehören, sind sie in vielen Fällen doch gleichzeitig fehlerhaft
gebildet. Die fehlerhafte Bildung des s kann so vor sich gehen, dass die
Zunge zwischen die beiden Zahnreihen geschoben wird und statt des scharfen
zischenden Lautes ein sanftes Lispeln entsteht (Blaesitas) — das ist der bei
weitem häufigste Fehler — oder so, dass die Zungenspitze statt, wie beim
normalen s, unter der unteren Zahnreihe zu liegen, in einer gewissen Ent-
fernung hinter der oberen Zahnreihe schwebt und nun der Luftstrom in über-
mässig zischender Kraft gegen die Zahnreihe geschleudert wird. Dadurch
entsteht ein zu scharfes Sprechen des s: Sigmatismus stridans. Der Sigma-
tismus lateralis oder lambdoides besteht darin, dass die Zunge mit ihrer
Spitze fest hinter der oberen Zahnreihe anliegt und der Luftstrom seitwärts
40*
628 SPRACHANOMALIEEN.
aus dem Munde heraustritt, und zwar entweder nach einer oder auch nach
beiden Seiten. Endlich gibt es einen im Verhältnis selten vorkommenden
Sigmatismus nasalis, bei dem die Patienten das s genau in derselben Form
durch die Nase entweichen lassen, während die Zungenspitze in der Lage
des n ruht, wie wir dies beim Gaumendefect regelmässig vorfinden.
Die Aetiologie des Lispeins ist in den meisten Fällen wohl auf die
Sprachentwicklung zurückzuführen. Nur wenige Anhaltspunkte deuten manch-
mal darauf hin, dass auch organische Veränderungen den Sigmatismus her-
vorgerufen haben. Sehr selten oder fast nie ist die Form oder Beweglich-
keit der Zunge daran Schuld, dagegen wird der Sigmatismus stridans durch
Zahnlücken öfter verursacht, und den Sigmatismus lateralis vermochte ich in
der Mehrzahl aller Fälle auf eigenthümliche Veränderungen des Kiefers, die
die Zahnreihen in Bögen anordneten, statt dass sie auf einer Ebene ruhen,
zurückzuführen. Man findet, wenn man die Patienten untersucht, oft, dass
bei aufeinander gesetzter oberer und unterer Zahnreihe sich an der Seite,
nach welcher der Patient das s herausstösst, die Zahnreihen nicht schliessen,
sondern eine mehr oder minder grosse ovale Lücke zwischen den beiden
Zahnreihen klafft. Es muss hervorgehoben werden, dass dieser organische
Befund nicht die directe Ursache des Fehlers ist, sondern aus verschiedenen
Gründen nur die Prädisposition zur Erwerbung desselben sein kann.
Die Aetiologie des Sigmatismus nasalis ist in den meisten Fällen eine
Verengerung des Nasendurchganges durch adenoide Vegetationen oder durch
Nasenverengerungen selbst. Wenn man die Adenoiden auch meist nicht mehr
nachweisen kann, so lässt der häufig sehr hohe Gaumen oft genug auf ein
früheres Bestehen derselben schliessen. Auch hier ist der ätiologische Zu-
sammenhang durchaus nicht so zu verstehen, dass eine Beseitigung der Ver-
engerung den Sprachfehler ohne weiteres beseitigt, sondern nur so, dass die
organische Veränderung die Erwerbung des Sprachfehlers disponirte.
Die Behandlung aller Arten von Sigmatismus ist sehr einfach. Es be-
darf nur der Rückführung der Zungenlage und der Kieferstellung zur Norm.
Dies lässt sich verhältnismässig leicht erreichen; wenn man mittelst geeignet
gebogener Sonden die Zungenspitze hinter der unteren Zahnreihe sich zu
lagern zwingt und jene physiologische mediane Rille der Zunge, die beim
Annähern an den Gaumen ein medianes Rohr bildet, das den Luftstrom auf
die Mitte der unteren Zahnreihe zwingt, hervorzurufen sucht. Die Einzel-
heiten dieser Sondenbehandlung lassen sich in kurzem nicht schildern, und
ich verweise auf die ausführliche und mit Abbildungen versehene Darstellung
in meinen Vorlesungen über die Störungen der Sprache (Berlin 1893). Sehr
einfach ist der Sigmatismus nasalis zu beseitigen. Man halte dem Patienten
mit Daumen und Zeigefinger die Nase zu, lasse ihn die Zahnreihen zusammen-
setzen und nun kräftig auf die Mitte der Zahnreihen zischen. Er wird fast
sofort das normale s bilden. Dann verbinde man diesen Zischlaut mit Vo-
calen und übe ihn zunächst mit zugehaltener Nase in einzelnen Worten ein.
5. Organisches Stammeln. Hier möchte ich mich auf die Darstellung
der Sprachstörung bei angeborenen Gaumendefecten beschränken. Bei erwor-
benen Gaumendefecten wird die Sprache sofort von selbst gut, sowie eine
Prothese angelegt ist oder der Defect durch Operation geschlossen wurde.
Die eigenthümliche Sprache bei angeborenen Gaumendefecten besteht einmal
in dem ausserordentlichen Nasaliren des Sprachklanges und andererseits darin,
dass eine grosse Anzahl von Lauten fehlen und eine andere Zahl falsch ge-
sprochen werden. Ausserdem bestehen sehr starke Mitbewegungen im Gesicht,
die durch die Bemühung, dem Zuhörer möglichst verständlich zu werden,
hervorgerufen sind. Von den Vocalen werden diejenigen am stärksten nasa-
lirt, welche normaler Weise den stärksten Abschluss erfordern und bei deren
SPRACHANOMALIEEN. 629
Bildung infolgedessen naturgemäss der Defect am intensivsten einwirken muss,
das sind die Yocale i und u\ a wird noch am besten gesprochen, o und e
klingen schon nasaler. Die Verschlusslaute p, t, k und h, d, (j werden
meistens so gemacht, dass das Explosionsgeräusch nicht an der Articulations-
stelle entsteht, sondern durch eine Stimmbandexplosion vorgetäuscht wird.
Statt h und d wird oft m und n eingesetzt; h und ^ werden fast regelmässig
so gebildet, dass der Zungengrund sich nicht gegen den Gaumen oder die
Gaumenspalte erhebt, sondern sich horizontal nach hinten gegen die hintere
Rachenwand anlegt. Es ist klar, dass auf diese Weise ein ]c und g in dem
sogenannten vierten Articulationssystem ganz gut gebildet werden kann. Voll-
ständig falsch und durch die Nase werden sämmtliche Reibelaute gebildet,
besonders auffallend schlecht das s, während das 8ch manchmal scheinbar
vorhanden ist. Am wenigsten Veränderungen erleidet das l, und normal
klingen m und n, während bei einigermaassen grosser Spalte das ng nicht ge-
bildet werden kann.
Ausser diesen functionellen Erscheinungen der angeborenen Gaumen-
defecte sind von grosser Wichtigkeit besonders die objectiven Befunde
im Rachen, Nase und Kehlkopf. Der lang bestehende angeborene
Gaumendefect muss nothwendig jedesmal zu einem mehr oder minder starken
Rachenkatarrh führen. Wir linden deshalb in den meisten Fällen grössere
Anschwellungen der Nasenmuscheln, sehr oft enorme Verdickungen der
hinteren Enden der unteren Muscheln, in den allermeisten Fällen mehr oder
minder grosse adenoide Vegetationen, häufig Verdickung der gesammten
Rachenschleimhaut, wobei manchmal beim Intoniren die ganz abnorme Grösse
des PASSAVANT'schen Wulstes in die Augen springt, der unter Umständen
kleinfingerstark werden kann. Der fortgepflanzte Rachenkatarrh bringt in
vielen Fällen einen Kehlkopfkatarrh hervor, der zu abnorm leiser oder chro-
nisch heiserer Stimme führt, und es ist klar, dass ein derartiges Verhältnis
das Resultat einer noch so guten Operation und einer noch so andauernden
sprachlichen Uebung sehr beeinträchtigen kann. Ebenso führt es zur Schädi-
gung des sprachlichen Resultates, wenn der Rachenkatarrh atrophirend wird,
und statt der beweglichen und dicken Rachenschleimhaut uns die glanzleder-
artige, trockene und ganz unbewegliche Rachenwand entgegenleuchtet. Anderer-
seits haben die Veränderungen auch Vortheile im Gefolge. Es kann vorkommen,
dass die hinteren Enden der unteren Muscheln gerade so geschwollen sind,
dass sie wie ein natürlicher Obturator wirken, und ich selbst habe zwei Fälle
gesehen, bei denen die Sprache ohne jede Operation nach einer gewissen
Uebungszeit recht gut wurde. In einem Fall war ein lappenartiger Auswuchs
der Rachenmandeln so befestigt, dass die Contractionen des Musculus pterygo-
pharyngeus, der die Grundlage des PASSAVANx'schen Wulstes darstellt, den
Lappen von unten her wie eine Klappe in den Gaumenspalt bei der jedes-
maligen Intonation hineinlegten. Eine gewisse Verengerung des Nasendurch-
ganges ist im allgemeinen sicherlich von Vortheil, auch nach der Anlegung
des Obturators oder der Operation, jedoch darf diese Verengerung nicht all-
zugross werden. Wenn Julius Wolff beschreibt, wie ein Patient mit an-
geborenem Gaumenspalt von selbst eine normale Sprache erworben habe, ohne
jegliche Sprachübungen, so ist das in dem einen Fall, den ich selbst gesehen
habe, vorzugsweise auf Kosten des Nasendurchganges geschehen. Der Betreffende
hatte eine derartige Verlegung des Nasenganges, dass er nicht eine Spur von
Luft durch die Nase bekam und die Sprache sich zwar nicht anhörte wie die
Sprache des Gaumendefectes, aber das sogenannte geschlossene Näseln {Bhino-
lalia clausa) in unangenehmer Weise auffiel. Die verhältnismässig gute
Sprache war also hier nicht durch die Operation, sondern durch die secun-
dären anatomischen Veränderungen bewirkt. Es wird deshalb in gewissen
Fällen nach der Operation sogar nöthig werden, den Nasengang etwas frei
630
SPRACHANOMALIEEN.
ZU maclien, jedoch warne ich ausdrücklich davor, hierbei zu radical vorzu-
gehen, da sonst das gesammte Resultat in Frage gestellt wird.
Die Aetiologie des angeborenen Gaumendefectes ist vollständig dunkel.
Wir wissen, dass der normale Gaumen beim Embryo im dritten Monat der
Entwicklung geschlossen ist. Für die Hemmung dieses normalen Schlusses
werden von König amniotische Stränge verantwortlich gemacht. Eine ge-
wisse Rolle, wenn auch eine sehr geringe, spielt wohl auch die Vererbung;
wenigstens fand ich unter den von mir behandelten 287 Fällen von angeborenen
Gaumendefecten nur 15, bei denen ich eine hereditäre Belastung nachweisen
konnte, d. h. 5"27o- Die Prognose in Bezug auf die Sprache wird abhängig
gemacht zunächst von dem Verschluss des Defectes, der durch Operation
oder Obturator geschehen kann, ferner aber hängt sie ab von den anatomischen
Verhältnissen, die vorher geschildert wurden. Wenn das durch die Operation
neu gebildete Gaumensegel genügend gross und beweglich ist und die Rachen-
wand gleichfalls sich gut bewegt, so ist mit ziemlicher Sicherheit nach ge-
eigneten Sprach Übungen eine normale Sprache zu erwarten.
Die Therapie besteht zunächst in der Operation oder, wenn diese ver-
weigert wird, in der Anlegung des Obturators. Die Operation ist von
L AN GENBECK zuorst iu der Weise ausgeführt worden, dass er nach seitlichen,
parallel zur Zahnreihe geführten tiefen Einschnitten des Involucrum des Ober-
kiefers mittelst des Raspatoriums den mucös-periostalen Ueberzug des harten
Gaumens vom Knochen loslöste. Nach Anfrischung der Ränder wurde dann
in der Mitte vernäht, und die seitlich entstehenden Lücken wurden austam-
ponirt. Julius Wolff macht diese Operation bei hängendem Kopf und hat
eine Reihe von Modificationen derselben angegeben, deren Darstellung im
einzelnen jedoch zu weit führen würde. Einen wichtigen Fortschritt hat
BiLLBOTH dadurch eingeführt, dass er den Hamulus pterygoideus abmeisselte
und somit unter Schonung des gesamm-
ten Zusammenhanges der Musculatur
die Lappen beweglich machte und die Be-
weglichkeit des neugebildeten Gaumens
sofort erreichte. Ich habe mich in den
von BiLLßOTH operirten Fällen von
der enorm leichten Beweglichkeit des
neu gebildeten Gaumens mehrere Male
überzeugen können, während dieser Er-
folg nicht immer vorhanden ist. Die
weitere Behandlung muss dahin streben,
die Beweglichkeit des neugewonnenen
Gaumens zu erhöhen oder, wo sie nach
der Operation noch nicht oder nur
wenig vorhanden ist, zu erwecken. Diese
geschieht in physiologisch rationeller
Art dadurch, dass man den neuge-
bildeten Gaumen mittelst eines kleinen
Instrumentes während der Sprachübun-
gen anhebt, in der Weise, wie es die
Fig. 8 zeigt. Hierdurch wird das
Gaumensegel constant massirt, und die
Narbe hat nicht Zeit, das sie umge-
bende Gewebe in die starre Retraction
einzuziehen. Mittelst sorgfältiger Mes-
Das Instrument besteht aus einem glatten Nickelin-
draht, der in der Weise gelogen ist, dass der Draht
der Ganmenwülbung eng anliegt. An seinem einen
Ende ist er in einem Handgriff befestigt, an dem an-
deren trägt er einen Pflock aus rotber Guttapercha
(Oder auch einfach aus Siegellack). Diückt man den
Handgriff in der am Pfeil unten angegebenen Sichtung,
BD hebelt man das Instrument um den an den Schneide-
zähnen befindlichen Drehpunkt und drückt nun den
Pflock in der am zweiten oberen Pfeil bezeichneten
Richtung direct nach oben. Der weiche Gaumen
wird also nicht nur gehoben, Eondetn auch um den
harten Gaumen herum gereckt. Ebenso wird hier
die hintere Bachenwand massirt.
sungen vermochte ich
dass unter Umständen
des Gaumensegels um
nachzuweisen,
eine Dehnung
7 mm zu er-
STIMME. 631
reichen war. Die Sprachübungen stützten sich auf folgende Principien. Unser
Gaumensegel bewegt sich bei allen Lauten mit Ausnahme der Nasallaute so,
dass sich eine etwas über dem Grunde der Uvula befindliche Stelle an die
hintere Rachen wand anlegt, und zwar ungefähr da, wo die Fasern des Mus-
culus pterygo-pharyngeus den PASSAVANx'schen Wulst bei ihrer Contraction
hervorrufen. Die Erhebung des Gaumensegels ist beim Vocal a am geringsten
und kann hier sogar so gering sein, ohne dass aber der Klangcharakter des
Vocals leidet, dass kein vollständiger Abschluss an jener Stelle entsteht.
Stärker wird der Abschluss bei den Vocalen o und e, am stärksten bei den
Vocalen u und «', ebenso stark bei allen übrigen Consonanten, am festesten
wohl bei den Reibelauten. Die physiologische Sprach Übung muss nun dahin
streben, diesen Abschluss entweder so, wie es im normalen Zustande der
Fall ist, oder doch wenigstens annähernd zu erreichen. Es ist ferner be-
kannt, dass bei sehr starker Intonation die Beweglichkeit der Theile eine stär-
kere wird, dass z. B. ein leise gesprochenes a unter Umständen keinen voll-
ständigen Abschluss der Gaumenklappe mit dem Rachen herbeiführt, dass
dagegen ein sehr laut und stark gesprochenes a das Gaumensegel bis zur
stärksten Erhebung zu treiben im Stande ist. Denselben Einfluss hat die
Höhe des Gesprochenen auf die Bewegung. Je höher und lauter ich demnach
die Vocale hervorstossen lasse, desto höher wird sich das Gaumensegel heben,
desto stärker die Bewegungen sein. Unterstützt wird diese Bewegung durch
das oben abgebildete kleine Instrument. Sollte die Neigung des Patienten
zu stark dahin gehen, trotz des angewendeten Instrumentes die Luft nach
der Nase hin zu dirigiren, so muss man bei den ersten Uebungen die Nase
mit Daumen und Zeigefinger schliessen lassen. Die Einzelheiten dieser sprach-
physiologischen Behandlung lassen sich hier in dem gegebenen Rahmen eben-
falls nicht schildern, und ich muss daher auf die bei Gustav Fischer in
Jena erscheinende Monographie über diesen Gegenstand verweisen.
HERMANN GUTZMANN.
Stimme. Während die Luft durch den Kehlkopf, die Rachenhöhle und
den Mund streicht, bringt sie die Stimmbänder in Mitschwingungen und er-
zeugt jene Klänge, welche wir Stimme nennen. Das Stimmorgan kann als
Blaseinstrument mit einer Orgel, oder besser mit einem Harmonium (Phys-
harmonika) verglichen werden. Dem Blasebalg entsprechen die beiden Lungen,
dem Windrohr die Bronchien und die Trachea, den Zungenpfeifen der Larynx,
während die Rachen-, Mund- und Nasenhöhle das Ansatzrohr vertreten.
Allein, während das Harmonium so viel Zungen enthält, als aus demselben
Klänge erhalten werden können, gelangt die Luft der Lungen in die durch die
wahren Stimmbänder gebildete einzige Zungenpfeife. Alle die vielen Klänge,
welche in der einen menschlichen Stimme überhaupt vorkommen, werden durch
Schwingungen der membranösen Zungenpfeife im Kehlkopf erzeugt. Dies
wird möglich, theils durch den Bau des Kehlkopfes, demzufolge Muskel-
wirkung die Grösse und Elasticität jener Zunge verändert und auf diese
Weise die eine Pfeife nach einander in so viel Pfeifen umändern kann, als
wie viel verschieden hohen Klänge die menschliche Stimme enthält, theils
durch jene Fähigkeit der Hirnrinde, mittelst welcher dieselbe die Muskeln
des Kehlkopfes stets im entsprechenden Maasse zu innerviren vermag.
Unter Zungen im acustischen Sinne versteht man solche, grössten-
theils länglich viereckige, elastische Platten, welche eine zur Luftströmung
dienende Oeffnung nahezu ganz verschliessen. Die Zungen sind an das Luft-
leitungsrohr nur mit einer Kante befestigt, während die drei übrigen Kanten
frei bleiben; bei membranösen Pfeifen pflegt nur die eine lange Seite frei zu
sein. Der geblasene Luftstrom spannt die Zunge und bringt sie bei genügender
Intensität, aus der Ruhelage, hiedurch wird Luft frei, daher sinkt der Luft-
druck und die Zunge schnellt ihrer Elasticität zufolge zurück, verschliesst von
632 STIMME.
neuem den Weg des Luftstromes und das Spiel beginnt wieder. Durch
diese Scliwingungen der Zunge entstellen Verdichtungs- und Verdünnungs-
wellen der Luft, und diese erzeugen den Klang. Die Höhe des Klanges starrer
Zungen, also die Schwingungszahl, hängt ab von der Dicke, der Länge,
dem specifischen Gewicht der Platte, ihrem Elasticitätsmodulus und der Be-
schleunigung des Falles. Solche Zungen enthalten die Kindertrompeten, die
Maultrommel, das Harmonium, ferner die Orgel, das Fagott, die Clarinette,
Oboe. Die Höhe des Klanges membranöser Zungen folgt nahe dem-
selben Gesetze wie die der Saiten; steht im umgekehrten Verhältnisse zur
Länge der Zunge und ist direct proportional mit der Wurzel der Spannung.
Bei membranösen Zungen ändert die Stärke des Anblasens auch die Spannung
der Zungen, beeinflusst demnach nicht nur die Stärke, sondern auch die Höhe
des Klanges. Bei Zungenpfeifen verstärkt das Ansatzrohr durch Resonanz den
Grundton oder irgend einen Oberton der Zunge, auch kann dasselbe durch
Schallinterferenz den Ton der Pfeife vertiefen. Die Höhe der menschlichen
Stimme ward durch das von der Bachen-, Mund- und Nasenhöhle gebildete
Ansatzrohr nicht verändert, da dessen Wandung nachgiebig, weich und von
ungleicher Form ist, doch hat das Ansatzrohr hier Einfluss auf die Klang-
farbe. Eine solche membranöse Zunge bilden die Stimmbänder im Kehlkopf,
die Lippen bei unseren Blasinstrumenten. Auch kann man sich sehr leicht
eine membranöse Zunge machen, indem man über das Ende eines Bohres
zwei Kautschukplatten auf die Weise spannt, dass dieselben über der Mitte
des Bohres zusammen kommend dort eine enge Spalte bilden. Auch die
wahren Stimmbänder lassen zwischen ihren scharfen Bändern eine
Spalte, die Stimmritze (Glottis), frei. Da die Stimmbänder vorne dicht neben
einander, an der hinteren Fläche des Schildknorpels, hinten aber getrennt am
Processus vocalis je eines Giessbeckenknorpels befestigt sind, so entspricht
die Form der Stimmritze, bei ruhigem Athmen, der eines V und erhält bei
tiefer Inspiration, durch Divergenz der Processus vocales, eine rhomboidale
Form. Sobald im Kehlkopf ein Klang erzeugt werden soll, werden die Stimm-
bänder in eine parallele Lage zu einander gebracht und dadurch die Stimm-
ritze verengt, ja ganz geschlossen. Hiedurch wird die aus den Lungen ge-
presste Luft gezwungen, durch die Glottis hervorzubrechen und die Stimm-
bänder in Schwingungen zu versetzen, wodurch die der Brust entströmende
Luft selbst, in Schwingungen geräth.
Die Giessbeckenknorpel sitzen dem abschüssigen Theile des oberen Randes
der Bingknorpelplatte auf und machen in dem Charniergelenk eine Bewegung,
durch welche die Schliessung und Oeflfnung der Stimmritze erfolgt. Auch
vermag der Giessbeckenknorpel, da seine Gelenkfläche in der Richtung der
Axe des Charniergelenks kürzer ist als die des Ringknorpels, etwas zu gleiten
und eine rotatorische Bewegung um seine Längsaxe zu machen, wodurch der
Processus vocalis des Giessbeckenknorpels wirksam ab- und adducirt werden
kann. Gespannt und verlängert, sowie entspannt und verkürzt werden die
Stimmbänder hauptsächlich durch die Bewegung im Gelenk des Schildknorpels
am Ringknorpel, indem der Ringknorpel durch Muskelverkürzung herauf-
gezogen, oder nach einigen der Schildknorpel herabgezogen wird. Die Drehung
geschieht um eine durch das Gelenk am Ringknorpel gehende frontale Axe.
Diese Verengerung und Erweiterung der Glottis, sowie Anspannung und
Erschlaffung der Stimmbänder ist die natürliche Folge der Wirkung der
Kehlkopfmuskeln. Als V e r e n g er der Glottis dient der Thyreo-aryepiglotticus,
der Thyreo-arytaenoideus externus, der Thyreo-arytaenoideus internus und die
Interarytaenoidei. Alle diese Muskeln verengern die Glottis, wenn sie zusammen-
wirken, auch hat jeder von ihnen allein denselben Effect. Die Interarytae-
noidei spannen die Stimmbänder in gewissem Grade auch an. Der Crico-
arytaenoideus lateralis schiebt durch Vorwärtsziehen des Aryknorpels den
STIMME. 633
Stimmfortsatz nach innen und verengt hiediirch die Stimmritze ebenfalls.
Erweiterung der Glottis verursacht vor allem der Crico-arytaenoideus pos-
ticus, auch zusammen mit dem lateralis. Die Anspannung imd damit auch
die Verlängerung der Stimmbänder ist eine Folge der Contraction des
Crico-thyreoideus und der Interarytaenoidei. Erschlaffend und verkür-
zend wirken die Thyreo-arytaenoidei externi und interni. Wenn alle Muskeln
erschlafien, wie in der Leiche, so bewirkt die blosse Elasticität der Bänder
und Knorpel ein massiges Offenstehen der Glottis. Dem entsprechend ist
auch das einfache Offenhalten derselben beim Athmen nicht die Folge einer
Muskelwirkung.
Die motorische Innervation des Kehlkopfes betreffend innervirt
der äussere Zweig des oberen Kehlkopfnerven (Ramus extr. nervi laryngei
superioris), als bestimmt auch motorischer Nerv, beim Menschen den M. crico-
thyreoideus allein. Der untere Kehlkopfnerv (Nervus laryngeus inferiorj ver-
sieht mit Ausnahme des M. crico-thyreoideus sämmtliche Kehlkopfmuskeln.
Auch wurde nachgewiesen (Onodi), dass in den Bahnen der Anastomosen
zwischen Plexus brachialis und Sympathicus, ferner zwischen dem unteren
sympathischen Halsganglion und dem ersten Brustganglion sich Fasern be-
finden, welche an der Innervation der Kehlkopfmuskeln theilnehmen.
Was die centrale Innervation betrifft, so gibt es sowohl ein subcorticales, wie
auch ein Rindencentrum. Beim Hund befindet sich das von Onodi entdeckte subcorticale
Centrum in den hinteren Hügeln und dem entsprechenden Theile des Bodens des vierten
Ventrikels, während das von Krause bestimmte Rindencentrum im Gyrus praefrontalis
liegt. — Beim Menschen sind die einwandsfreien klinischen Beobachtungen in so geringer
Zahl, und die Läsionen des Gehirns so verschieden, dass ein Phonationscentrum in der
Rinde nicht festgestellt werden kann ; auch können die Beobachtungen mit den experimen-
tellen Ergebnissen nicht in Einklang gebracht werden. Ansonst lehren pathologische Er-
fahrungen, dass Erkrankung oder Zerstörung der Rinde der dritten Stirn- und der ersten
Schläfenwindung, sowie der in der Tiefe der Fossa Sylvii liegenden Insel und Vormauer
mit Sprachstörung einhergeht. Die Störung ist mehr motorisch, wenn die Zerstörung die
Stirnwindung, und mehr sensibel, wenn dieselbe die Schläfenwindung betrifft. Höchst in-
teressant ist auch die Erfahrung, dass Aphasie gewöhnlich nur auf Läsionen der linken
Hemisphäre folgt, während Defecte der rechten nur bei Linkshändern von Störung der
Sprache oder Worttaubheit begleitet werden. Die Aesserung bestimmter Töne ist vor-
erst die Folge eines Willensactes, bei welchem jedoch auch centripetalen Erregungen eine
grosse Rolle zufällt. Gehörsempfindungen sind ebenfalls von grosser Bedeutung für einen
correcten Gebrauch der Stimme, daher fällt hier auch dem Gehörorgan und dessen Rinden-
centrum eine wichtige Rolle zu.
In den über den wahren Stimmbändern liegenden MoEGAGNi'schen
Taschen können die Stimmbänder ihre Schwingungen frei verrichten. Bei
manchen Thieren fällt diesen Taschen zugleich die Rolle von Resonanzräumen
zu. Das Secret der zahlreichen Schleimdrüsen, welche in der, den Morgagmi-
schen Taschen zugekehrten Seite der falschen oder oberen Stimm-
bänder, wie auch in der diese Taschen auskleidenden Schleimhaut enthalten
sind, befeuchtet die einem beständigen Luftstrom ausgesetzten wahren Stimm-
bänder und schützt dieselben auf solche Weise gegen das Austrocknen. An-
sonst kennt man den Zweck der falschen Stimmbänder nicht genau; einige
Forscher waren geneigt anzunehmen, dass sie bei der Falsettstimme die
wahren Stimmbänder berühren, was sich aber nicht als richtig erwies.
Die Veränderungen, welche bei der Stimmbildung im Kehlkopfe vor sich
gehen, beobachtete man vorerst an solchen Individuen, welche, in der Absicht
einen Selbstmord zu begehen, ihren Larynx oberhalb der Stimmbänder durch-
schnitten hatten. Gegenwärtig dient dazu der von Garcia entdeckte Kehl-
kopfspiegel.
Die Kehlköpfe der Menschen weichen stets etwas von einander ab.
Die Abweichungen sind theil weise die Ursache jener charakteristischen Ver-
schiedenheiten, durch welche man die Stimmen bekannter Personen erkennt.
Am auffallendsten ist dieser Unterschied zwischen dem Kehlkopf des Kindes,
der Frau und des Mannes. Der Kehlkopf des Kindes und der Frau ist kleiner
634
STIMME.
als der des Mannes, ihre Stimmbänder sind dünner und kürzer. Im Mittel
beträgt die Länge der Stimmbänder von Kindern 6 — 8, der von Frauen im
schlaffen Zustande 10 — 15, im gespannten 15 — 20 mm, während Männer Stimm-
bänder von 15—20, bezüglich 20 — 25 mm Länge besitzen. Dementsprechend
beträgt die Länge der Glottis im schlaffen Zustande der Stimmbänder bei
Frauen 17, bei Männer 23, im gespannten aber bei Frauen 20 und bei Männern
27'5 mm.
Wie an dem Klange eines jeden Instrumentes, so unterscheidet man auch
an der Stimme des Menschen die Höhe, Intensität und Klangfarbe. Die Höhe
der Stimme befindet sich zwischen E und c^, erstreckt sich demnach auf
nahezu 4 Octaven. Tiefer, etwa bis F^ (42 Schwingungen per Secunde) und höher
etwa bis ß (1708 Schwingungen) erstrecken sich nur Stimmen weniger
Sänger. Der Umfang gewöhnlicher Singstimmen einzelner Personen beträgt
nicht über 2—2^2 Octaven, Die Lagen der Singstimmen sind die folgenden:
80 128 256
EFGAHcdefgahcidieifi
512
a^ h^ c' d^ e^
1024
P s' a' h^
Bass
Bariton
Tenor
Alt
Mezzosopran
Sopran
Natürlich kann der Umfang der Stimme einzelner Personen die Grenzen
der Lage, zu welchen dieselbe gehört, sowohl übertreten, wie auch nicht er-
reichen. So ist zum Beispiel der Umfang der Singstimme von Kindern rela-
tiv klein und erstreckt sich bei Knaben im 8. — 14. Jahre nur auf 7 — 9 Töne,
bei Mädchen umfasst die Singstimme bereits im 6. Lebensjahr 9, im 8. — 10.
13 und im 13. Lebensjahre bereits 16 Töne. Später wächst der Kehlkopf,
insbesondere zur Zeit der Pubertät (Mutation) beim Manne, wo der kielförmig
vorstehende Schildknorpel lange Stimmbänder bedingt, der Stimmumfang
nimmt zu und die Stimme selbst wird tiefer. Im mittleren Lebensalter ist
der Umfang der Stimme am grössten. Später nimmt der Umfang wie auch
die Intensität der Stimme, infolge der Veränderungen, welche das Alter be-
dingt, wieder ab; die Elasticität der Knorpel sinkt und wegen der Abnahme
der Muskelkraft ist auch die Spannung der Stimmbänder nicht mehr die-
selbe als früher. Wie ungemein geübt die Kehlkopfmuskeln der Sänger im
Einsetzen des richtigen Tones sind, erhellt daraus, dass der mittlere Fehler,
beim Nachsingen eines nachgegebenen Tones, kaum ± 0-3577o der Schwin-
gungszahl beträgt. Die Tonhöhe hängt ab von der Zahl der Schwingungen,
welche die Stimmbänder in einer Secunde verrichten, und diese Zahl wieder
ist bedingt von der Länge, Dicke und Spannung der Stimmbänder. Lange
Stimmbänder geben daher tiefe, kurze hohe Töne. Daher ist die Stimme
der Männer allgemein tiefer als die der Frauen, und die Stimme der Kinder
höher wie die erwachsener Personen. Dass dicke Stimmbänder tiefe Töne
geben, lehrt die Erfahrung, welche man an mit Kehlkopfkatarrh behaf-
teten Personen machen kann, bei welchen die geschwollenen Stimmbänder
die Stimme vertiefen. Der M. thyreo-arytaenoideus internus kann durch
seine Contraction die innere Kante der schwingenden Stimmbänder je nach
Bedarf dicker oder dünner machen. Den Einfluss der Spannung der Stimm-
STIMME. 635
bänder auf die Höhe der Stimme hat insbesondere Johannes Mülleij an aus-
geschnittenen Kehlköpfen eingehend untersucht. Mülleu befestigte den lling-
knorpel, nähte die Giessbeckenknorpel vollkommen aneinander und band
das eine Ende eines Fadens an die obere P]cke des Schildknorpels, dann
wurde der Faden um eine Rolle geführt und konnte an seinem zweiten freien
Ende beliebig belastet werden, wodurch die Stimmbänder, je nach der Grösse
der Gewichte, verschieden stark gespannt wurden. Die Höhe des Tones,
welchen die mittelst Blasebalg durch den Kehlkopf gleichmässig getriebene
Luft erzeugte, war also nur von der Grösse des spannenden Gewichtes ab-
hängig. Auf diese Weise gelang es an einem einzigen Kehlkopf, nur durch
das Aendern des spannenden Gewichtes, die ganze Reihe der Töne von ais
bis dis^ zu erhalten. Vor allem werden die Stimmbänder natürlich durch
die entsprechenden Muskeln gespannt, es kann aber auch deren Spannung durch
den Druck der aus den Lungen strömenden Luft erhöht werden; denn, wäh-
rend die Luft die Stimmbänder drückt, spannt sie auch dieselben. Daher
steigern Sänger den Lungenluftdruck, wenn sie hoch singen wollen und die
Stimmbänder nicht weiter spannen können. Doch durch diesen gesteigerten
Luftdruck, welcher bei hohen Tönen nöthig ist, entweicht die Luft rascher
aus den Lungen, als wenn man tiefe Töne singt, daher tiefe Töne länger
ausgehalten werden können als hohe.
Die Intensität der Stimme hängt von der Amplitude der Schwingungen
ab. Daher die Stimme umso stärker ist, mit je grösserer Kraft die Luft
gegen die Stimmbänder gepresst wird. Nach von Johannes Müller an aus-
geschnittenen Kehlköpfen gemachten Versuchen ist zur Ergänzung der Stimme,
je nach der Intensität der Töne, ein Luftdruck von 13 — 135 mm Wasser
nöthig. An Menschen mit Luftröhrenfisteln fand Cagniard-Latour, dass der
Luftdruck beim Singen eines mittelhohen Tones 160 und beim starken
Schreien 945 mi?i Wasserdruck entspricht. Auch mit dem Kehlkopfspiegel
kann man sehen, dass die Stimmbänder bei starken Tönen ausgiebiger schwin-
gen. Der gesteigerte Luftdruck spannt die Stimmbänder und erhöht also nicht
nur die Stimme, sondern steigert auch die Intensität derselben. Sobald dem-
nach ein Ton von piano auf forte getrieben werden soll, müssen, damit seine
Höhe nicht zunehme, die Stimmbänder entsprechend abgespannt werden. Müller
konnte bei seinen oben angegebenen Versuchen, indem er mit dem Kehlkopf
denselben Ton piano, crescendo und forte ertönen lassen wollte, das spannende
Gewicht bedeutend verringern. An unseren musikalischen Instrumenten wird
die Intensität der Töne noch durch Resonanz gesteigert. Bei der Stimme
kommt diese Resonanz viel weniger in Betracht, und Vestibulum laryngis,
Cavum pharyngonasale, Mund- und Nasenhöhle üben auf die Höhe der Stimme
keinen Einfluss aus. Doch modificirt dies Ansatzrohr durch Verstärkung einzelner
Partialtöne des Kehlkopfklanges die Farbe der Stimme. Daher klingt oft ein
und dieselbe Note bei verschiedenen Sängern verschieden, ja dieselbe Person
kann die Farbe ihrer Stimme, durch absichtliche Veränderung im Ansatzrohr,
wechseln. Das Singenlernen besteht zum grossen Theil auch darin, dass man
die zweckmässigste Stellung des Ansatzrohres leicht zu finden erlernt.
Beim Singen unterscheidet man gewöhnlich drei Stimmarten oder
Register, welche durch, die Productionsweise und Klang, insbesondere aber
auch durch die Höhenlage bedingt sind, und zwar: die Brust-, Mittel- und
Fistel- oder Falsettstimme. Das Wesen ihrer Entstehung betreffend, gehört
die Mittelstimme auch zum Falsettregister und es ist genügend, die Brust-
und Falsettstimme zu unterscheiden. Diesen beiden entsprechende Unter-
abtheilungen werden auch unterschieden, nämlich ein tiefes und hohes Brust-
register und ein tiefes und hohes Falsettregister. Männer benützen gewöhn-
lich die unteren, Frauen die oberen zwei Register. Die Bruststimme ist
die normale Stimmart. Hier geräth eine breite Zone der Stimmbänder als
636 STIMME.
Ganzes in Schwingungen. Die freien Kanten der Stimmbänder scliwingen
nach auf- und abwärts, dem entsprechend erfolgt eine abwechselnde Erwei-
terung und Verengerung der Glottis. Die Bruststimme ist stärker und tiefer
als die Falsettstimme. Wäiirend das Singen oder Sprechen mit Bruststimme
sozusagen gar keine Mühe kostet, ist die Falsettstimme mit einem Gefühl der
Spannung und Anstrengung im Kehlkopf verbunden. Mit der Bruststimme
resonirt die Luft der Brust stark mit, daher das fühlbare Schwirren der
Brustwand, der Fremitus pectoralis. Die Falsettstimme betreffend fand
Oertel, bei Untersuchungen mit der stroboskopischen Scheibe, dass die
Stimmbänder bei dieser Stimme eine dem freien Rande parallele sagittale
Knotenlinie bilden, von der nach innen und nach aussen eine Bewegung in
entgegengesetzter Richtung stattfindet. Nach Lehfeld schwingen die wahren
Stimmbänder nur mit ihrem innersten Rande, während Rethi fand, „dass
überhaupt nur eine, wenige Millimeter breite Strecke am freien Rande des
Stimmbandes schwingt, und dass jede Schwingung des freien Randes sich als
allmählich abklingende Welle über die Oberfläche eine kurze Strecke weit fort-
setzt". Bei der Fistelstimme ist die Resonanz im Ansatzrohr am stärksten,
man gewinnt den Eindruck, als wäre ihr Ort im Kopfe, daher sie auch Kopf-
stimme heisst. Der Kehlkopf steht tiefer, wenn die Bruststimme, als wenn
die Falsettstimme erschallt. Bei der Bruststimme stehen die Stimmbänder
sehr nahe an einander, bilden einen langelliptischen und haarfeinen Spalt,
wobei die gesammten Massen der Stimmbänder, durch die Contraction des
M, erico-arytaenoideus lateralis, thyreo-arytaenoideus externus und internus,
nach der Mitte zu gedrängt und die Kanten der Stimmbänder relativ dick und
breit werden. Bei Personen, die mit der Falsettstimme singen, sind die Stimm-
bänder dünner und stehen mehr ab von einander, so dass eine relativ weite
elliptische Spalte zwischen ihnen offen bleibt. Man nimmt an, dass beim
Falsett der M. crico-arytaenoideus lateralis, thyreo-arytaenoideus externus und
internus schwach, der M. crico-thyreoideus stark contrahirt sind, und dies macht
die Stimmbänder so dünn. Die Klänge der Stimme sind den Registern ent-
sprechend für den Mann folgende:
E F G A H c d e f e a h ci dl ei fi gl a^ hl c^ d'^^ e^ '
Bruststimme
Falsettstimme
und für Frauen: '
d e f g a h ci dl ei fi gl ai hi c" d- e^ f- s' a^ h''^
Braststimme
Fistelstimme
Die Stimmen einzelner Menschen haben auch noch persönliche
Eigenschaften, wodurch man dieselben von einander unterscheiden kann,
und in der Lage ist, bekannte Menschen bereits nach ihrer Stimme er-
kennen zu können. Diese charakteristischen Eigenschaften der Stimmen
sind Folgen genau derselben Ursachen, welche auch die charakteristische
Klangfarbe der musikalischen Klänge bedingen. Die menschliche Stimme wird
nämlich von zahlreichen Obertönen begleitet, welche je nach der Intensität
des Grundtones in verschiedener Menge und Stärke erscheinen, und theilweise
auch darnach verschieden sind, ob die Lult durch Mund- und Nasenhöhle,
oder nur durch eine von beiden durchstreicht. Auch begleiten die mensch-
STOMATITIS. 637
liehe Stimme zahlreiche Geräusche, welche je nach der Form der Theile des
Stimmorganes von einander abweichen und das Unterscheiden der Stimme
erleichtern.
Was die Thierstimme betrifft, so ist dieselbe bei den Säugethieren
viel einförmiger, obgleich das Stimmorgan dem des Menschen gleich gebaut
ist. Bei den Vögeln befindet sich meist unten an der Theilungsstelle der
Luftröhre ein Kehlkopf mit medianen und lateralen Membranen, welcher die
Stimme der Vögel bedingt, während der obere Kehlkopf an der Stimmbildung
gar nicht theilnimmt. Die Frösche besitzen wahre Stimmbänder, ja die
Männchen haben auch noch mitresonirende Schallblasen. Die Töne schliess-
lich, welche einzelne Fische, so wie die übrigen Thiere und besonders die
Insecten, geben, entstehen auf ganz andere Weise als die menschliche Stimme.
FERDINAND KLUG.
Stomatitis. Die Mundhöhle, das Cavum oris, welches nach unten von
der Zunge, nach oben und bieten vom harten und weichen Gaumen begrenzt
wird, ist häufig Sitz von Entzündungen. Dieselben sind acut oder chronisch,
primär oder secundär, einfach katarrhalisch oder specifisch.
Die genuine Form der Stomatitis lässt sich zurückführen auf allerlei
mechanische, chemische und thermische Reize; Dentition, Zahncaries, Zahn-
kanten, Genuss zu kalter und zu heisser Speisen, zu sauerer oder harter
Stoffe, Abusus des Tabaks und Alkohols; ferner spielen reizende Medicamente :
Quecksilber, Wismut, Arsen, Phosphor, Jod u. a. eine ätiologische Rolle,
man könnte dann von einer Stomatitis toxica sprechen. — Für die secundäre
Form finden sich Ursachen in Verunreinigungen der Mundhöhle bei Säuglingen
durch unsaubere Gummipfröpfe u. a., ulcerativen Processen irgendwelcher Art
in Mund- und Rachenhöhle, verschiedenen Infectionskrankheiten : Masern,
Scharlach, Typhus, Erysipel u. a. — Die chronische Stomatitis findet sich
häufig bei Potatoren.
Symptome. Die Schleimhaut des Zahnfleisches, der Wange, der
Zunge und des weichen Gaumens, — fast nie des harten, weil die Schleimhaut
hier fest angeheftet — ist geschwollen und geröthet. An der Zunge finden
sich Zahnabdrücke, ebensolche an der der Berührungsfläche der Zähne ent-
sprechenden strichförmigen, gewöhnlich erhabenen Partie der Wangenschleim-
haut, die hier wegen der Verdickung des Epithels eine weissliche Farbe zeigt.
Die Schleimdrüsen sind geschwollen und oft deutlich sichtbar. Vermehrte
Absonderung von Speichel und Schleim, der wegen seines reicheren Gehalts
an Zellen dicker ist und auf der Zunge als weisser Belag erscheint. Das
Zahnfleisch ist lebhaft roth, überragt die Zähne stärker als gewöhnlich und
blutet leicht.
Subjective Beschwerden sind Schmerzen beim Kauen und Schlingen,
besonders beim Essen reizender Speisen etc., Säuglinge lassen deswegen häufig
die Flasche los; der Geschmack wird wegen des erwähnten Zungenbelags pappig
oder bitter, und die genossenen Speisen machen oft einen T^iderlicheu
Eindruck.
Nach Beseitigung der Schädlichkeiten schwindet sowohl die primäre als
die secundäre Stomatitis bald.
Die Behandlung besteht in der Entfernung der Ursache und in
sorgfältiger Pflege des Mundes, reizloser Diät und Mundspülungen mit Kali-
chloricum 1— 27o, Borax, Alaun, Myrrhentinctur (15 Tropfen auf 1 Glas
W^asser), Pinselungen mit Tanninglycerin 10%, Tinct. Catechu u. a. m.
Bei chronischer Stomatitis empfehlen sich Pinselungen mit Arg. nitr.-
Lösungen, alkalische Wässer.
Als specifische Stomatitiden gelten:
638 SYPHILOME DER NASENHÖHLE.
1. Die Stomatitis [jonorrhoica ;
2. „ „ aphthosa;
3. „ „ mercur/alis;
4. „ „ scorbutica;
5. „ „ phlegmonosa;
6. „ „ herpetiea;
7. „ „ hei Klauenseuche;
8. „ ,, diphtheritica.
Die specifischen Symptome dieser Stomatiden sind dieselben wie die der
entsprechenden Anginen (vide Artikel „Angina''), resp. jener der ent-
sprechenden Pharyngitiden (vide Artikel ^^Pharyngitis''). e.
Syphilome der Nasenhöhle. Bei den Syphilomen handelt es sich
nicht um echte Tumoren, sondern um infectiöse Reactionserscheinungen in
Form von Granulomen, die mit der Heilung der Infection von selbst ver-
schwinden.
Ich habe in den letzten Jahren diese gutartigen Nasengeschwülste bei
drei Patienten beobachtet. Der erste Fall betraf eine 40jährige li'rau, Mutter
von vier gesunden Kindern, die wegen fötider Nasensecretion und doppel-
seitiger Stenose in die Klinik aufgenommen wurde; in beiden Nasenhöhlen
lagen am vorderen Septumdrittel je eine weiche, leicht blutende, schmutzig-
graue, stark haselnussgrosse Geschwulst, die durch das durchbrochene Septum
hindurch in Zusammenhang standen. Jede specifische Erkrankung war von
der Frau sowohl wie vom Manne in Abrede gestellt worden, und wir glaubten
an ein Sarkom, welches die Scheidewand zerstört hatte. Bei der mikroskopischen
Untersuchung der mit der Glühschlinge abgetragenen Tumoren fanden wir die
beiden Geschwülste aus einem sehr zellreichen Gewebe zusammengesetzt, mit
massigem Gefässreichthum; die Zellen sind der Hauptsache nach Rundzellen,
dazwischen jugendliche Bindegewebszellen in ziemlich grosser Zahl; derbere
Bindegewebszüge finden sich nur ganz vereinzelt; fernerhin sah man eine
grosse Anzahl von Riesenzellen, die ohne bestimmte Anordnung im Gewebe
zerstreut lagen; sie waren von verschiedener Grösse und Form, bald rund,
bald länglich, bald ganz unregelmässig mit zahlreichen Ausläufern und mit
wandständigen Kernen wie die LANGHANs'schen Riesenzellen. Circumscripte
Lymphome fehlten vollständig, auch waren keine Degenerations Vorgänge
nachzuweisen, ebensowenig Tuberkelbacillen. Wir hatten demnach kein Sarkom
vor uns, es war auch kein Tuberkulom, weder ein scrophulöses Lymphom
oder ein einfaches Wundgranulom ; wir mussten an ein Syphilom denken; es
handelte sich jedoch nicht um das in der Nase häufige syphilitische Gumma,
das stets eine Einlagerung in das Gewebe darstellt, sich auch zuweilen leicht
über die Umgebung erhebt, sondern um eine stark aus dem Gewebe heraus-
gewachsene syphilitische Granulationsgeschwulst. Der hier einzig und allein
entscheidende therapeutische Erfolg (Jodkali in starken Dosen) rechtfertigte
diese Annahme; die schon wenige Tage nach der scheinbar radicalen Exstir-
pation der Geschwulst wieder nachgewachsenen Granulationen giengen auf
den Gebrauch des Jodkali zurück und nach mehreren Wochen war auch die
V2 Markstück grosse Septumperforation vollständig geschlossen und glatt
vernarbt. — Einen gleichen Fall sahen wir einige Monate später bei einer
30jährigen Fabriksarbeiterin, die ebenfalls jede Infection in Abrede stellte und
bei welcher ein nussgrosser Tumor, der breit dem Septum aufsass, die rechte
Nase verstopfte; die exstirpirte Geschwulst hatte Aussehen und die Consistenz
eines Sarkoms, ergab aber bei der mikroskopischen Untersuchung die ganz
gleiche Zusammensetzung, wie im obigen Falle, und auch hier trat durch den
Gebrauch von Jodkali prompte und vollständige Heilung ein. Bis heute, fast
zwei Jahre seit diesen Beobachtungen, scheint kein Recidiv eingetreten zu
sein. Während wir es in beiden Fällen aller Wahrscheinlichkeit nach mit
THYREOIDEA.LGESCI-IWÜLSTE. 639
erworbener Syphilis zu thun hatten, lag in unserem dritten Falle, l)ei einem
12jährigen Mädchen, eine hereditäre Infection vor; bei dieser Kranken waren
die beiden Nasenhöhlen von einer grossen Zahl (10 — 12) schmutzig grauer,
länglicher und durchschnittlich bohnen- bis haselnussgrosser Tumoren so voll-
ständig ausgefüllt, dass die Kranke selbst bei offenem Munde grosse Mühe
hatte zu athmen. Das Mikroskop sowohl, wie auch der günstige Verlauf
unter antisyphilitischer Behandlung erwiesen die luetische Natur aller dieser
Bildungen, von denen sogar einige, experimenti causa, nicht entfernt worden
waren, aber dennoch im Verlaufe der Jodkalicur gänzlich zurückgiengen; es
blieben jedoch bei dieser Kranken im Inneren der Nase alte knöcherne Ver-
wachsuDgen zwischen den hinteren Septumtheilen und der mittleren Muschel
zurück, welche die Durchgängigkeit der Nase immer noch erschwerten und
weitere chirurgische Maassnahmen nothwendig machten.
Diese Syphilome sind in ihrer Structur wesentlich verschieden von den
von Schuster und Sänger u. a. beschriebenen syphilitischen polypoiden
Excrescenzen, von denen diese Autoren selbst sagen, dass es sich um eine
primäre Hypertrophie der Schleirahautgefässe und Drüsen gehandelt habe, der
dann secundär eine Rundzelleninfiltration gefolgt war; noch andere Male
haben dieselben eine ähnliche Zelleninfiltration in die Schleimhaut, aber ohne
eigentliche Hypertrophie der Mucosa gesehen, und noch in anderen Fällen
fanden sie echte syphilitische Neubildungen (Condylome), bei denen die
Schleimhaut in ihrer Structur völlig verändert war und das Epithel fehlte.
KUHN.
ThyreoidealgeSChwÜiste. Die meisten Aufschlüsse darüber verdanken
wir R. Paltauf, welcher sieben Fälle dieser seltenen Erkrankung zusammen-
stellte und einige genau untersuchte. Es sind nicht vielleicht accessorische
Schilddrüsen, die zufällig im Kehlkopfinnern vorkommen, sondern es wächst
die Schilddrüse von aussen her in das Lumen der Luftwege hinein. Paltauf
hat in mehreren solchen Fällen den Nachweis erbracht, dass die Schilddrüse
ohne Kapsel direct dem Kehlkopf und der Luftröhre anliegt und an den
Knorpel angewachsen ist. Diese Anwachsung ist nicht durch Entzündung be-
dingt, sondern hat ihren Grund darin, dass bereits die fötale Drüse mit der
Knorpelhaut und den Interstitialmembranen verwachsen ist. Vergrössert sie
sich später in Form einer parenchymatösen Struma, so dringt die Schild-
drüsenmasse zwischen den Knorpelringen in das Lumen des Larynx oder der
Trachea ein und wächst dort weiter. Man beobachtet dann in diesen Lumen
breit aufsitzende, walzenförmige, manchmal auch leicht höckerige Tumoren,
die von unveränderter Schleimhaut überkleidet sind. Sie sitzen entweder an
der seitlichen, seltener an der hinteren Wand des Kehlkopfes, unterhalb der
Stimmbänder oder im obersten Theile der Luftröhre. Gewöhnlich sind Athem-
beschwerden das hervorstechendste Symptom, die Stimmbänder sind nur selten
betheiligt. Das Leiden tritt meist bei jüngeren Individuen auf oder beginnt
doch wenigstens in der Jugend. Solange das Schilddrüsengewebe nur die
Interstitialmembran durchdrungen hat, aber nicht weiter wächst, dürfte es
keine Beschwerden machen. Wenn aber das Schilddrüsengewebe in der Wand
der Luftwege strumös zu wachsen anfängt, so schiebt es die Schleimhaut vor
sich her, und verengt das Lumen. Erst zu dieser Zeit kommen die Patienten
zum Arzte. Natürlich kann dieser Zustand lange Zeit andauern, bis es zu
gefährlichen Athembeschwerden kommt, wie in dem Falle Bonns, wo die
Athembeschwerden schon 15 Jahre dauerten, bevor sie erst kurz vor der
Untersuchung so heftig geworden waren, dass die Tracheotomie nothwendig
wurde. Die Therapie hat zu bestehen in der Bekämpfung der Athemnoth.
Dieselbe kann wohl nur durch den Luftröhrenschnitt beseitigt werden, da
Erweiterungsversuche mit Röhren leicht Entzündungen des Schilddrüsen-
gewebes mit Ausgang in Verjauchung herbeiführen können. (Schrötter). Die
640 TONSILL ARHY PERPLÄSIE-TONSILLOTOMIE.
Prognose ist eine ungünstige, da die meisten der erwähnten Fälle an den
Folgen ihres Leidens starben. Eine Verwechslung könnte stattfinden mit
Sarkomen, welche ebenfalls in ähnlicher Form im Larynx auftreten und auch
die Schleimhaut lange Zeit unverändert lassen. Endlich könnten auch ent-
zündliche Infiltrate ein ähnliches Bild darbieten. Die Differentialdiagnose
wäre begreiflicher Weise eine sehr schwierige, wenn man nicht Stücke der
Neubildung exstirpiren und histologisch untersuchen würde. chiari.
Tonsillarhyperplasie-Tonsillotomie. Aetiologie. Die Hyperplasie
der Gaumenmandel ist vorwiegend eine Krankheit des Kindesalters und wird
nicht allzu selten in den ersten Lebensjahren beobachtet. Dass Kinder schon
mit vergrösserten Tonsillen zur Welt kommen können, ist bekannt. Häufig
macht man die Beobachtung, dass mehrere Geschwister mit Tonsillarhyper-
plasie behaftet sind, ja dass auch die Eltern daran gelitten haben, so dass
man an eine Vererbung der Disposition denken muss. Nach dem vierzigsten
Lebensjahre wird die Mandelvergrösserung nur selten und über das fünfzigste
hinaus nur ganz ausnahmsweise angetroffen.
Die Tonsillarhyperplasie kann bedingt sein durch wiederholt auftretende
Halsentzündungen (habituelle Angina lacunaris und abscedirende Tonsillitis),
indem nach jedem acuten Anfall die entzündlichen Veränderungen an den
Mandeln sich nicht wieder vollkommen zurückbilden, und die Hyperplasie all-
mählich grösser wird. In vielen Fällen entwickelt sie sich im Gefolge von
Diphtherie, Scharlach, Masern. Oft wird Scrophulose als Ursache der Krank-
heit angesehen. Möglich ist aber, dass die meisten Erscheinungen, die auf
Scrophulose hinweisen, erst Folgezustände der Tonsillarhyperplasie sind,
dass also die Scrophulose häufig die Folge der Erkrankung, nicht die Ursache
derselben ist. Nur selten wird die Hyperplasie veranlasst durch Syphilis,
Lyssa (Viechov^), lymphatische Leucämie und Pseudoleucämie. In vielen
Fällen lässt sich schliesslich gar kein ätiologisches Moment finden. Von
Einigen wird neben dem Kindesalter die Pubertätszeit als ein prädisponirendes
Moment für die Tonsillarhyperplasie angeführt, und soll das vermehrte Auf-
treten der Krankheit in diesem Alter auf einen sympathischen Zusammen-
hang mit den Geschlechtsorganen zurückzuführen sein. Wir müssen darin
der Ansicht B. Feänkels beistimmen, dass das zur Zeit der Pubertät öftere
Auftreten der Tonsillarhyperplasie nicht durch einen Zusammenhang zwischen
Genitalien und Tonsillen vermittelt wird, und dass, wenn auch beim weib-
lichen Geschlecht zur Zeit der Menstruation eine gewisse Fluxion gegen die
Mandeln eintreten kann, die Schw^ellung nie so stark wird, dass sie zur Hyper-
plasie führen könnte. Vielmehr ist anzunehmen, dass mit dem Aufhören des
Wachsthums eine physiologische Involution der Gaumentonsille eintritt, die
häufig sogar eine Verkleinerung hypertrophischer Tonsillen herbeiführen kann.
Die zur Pubertätszeit vermehrte Häufigkeit der Mandelvergrösserung lässt
sich wohl dadurch nach B. Feänkel erklären, dass durch den Aufenthalt
in hygienisch schlecht eingerichteten Pensionen und durch den Schulbesuch
die acuten Mandelentzündungen häufiger herbeigeführt werden, wodurch wieder
indirect die Fälle von Hyperplasie vermehrt werden können.
Symptome. Die Störungen, weiche durch die Tonsillarhyperplasie
hervorgerufen werden, machen sich zunächst in der Sprache und Athmung
geltend. Die Sprache bekommt einen klossigen Charakter, so als ob ein Kloss
im Rachen stecken geblieben wäre. Namentlich die Gaumenlaute werden
undeutlich ausgesprochen. Die Kranken klagen darüber, dass sie schlecht
verstanden werden, und dass es ihnen schwer fällt, längere Zeit zu sprechen.
Die Mandelschwellung ist daher besonders so unangenehm für Sänger, weil
sie sowohl den Wohlklang der Stimme stört als auch einen beständigen E,eiz-
zustand für frische Entzündungen abgiebt. Ist die Rachentonsille ebenfalls
TONSILLARHYPERPLASIE-TONSILLOTOMIE. 641
hypertrophisch, was sehr häufig der Fall sein wird, so finden wir die bekannte
klanglose todte Sprache, die Folge der adenoiden Vegetationen.
Von grösserer Wichtigkeit ist jedoch der schädliche Einfluss auf die
Respiration. Namentlich im Schlafe ist die Athmung sehr behindert, indem
bei der horizontalen Lage des Körpers die vergrösserten Tonsillen sich an
die hintere Pharynxwand anlehnen und den Durchtritt der Luft durch den
Nasenrachenraum verhindern. Daher schnarchen die Kinder stark, der Schlaf
ist unruhig, häufig unterbrochen von beängstigenden Erstickungsanfällen und
nicht erfrischend. Am Tage ist nur bei grösseren Körperanstrengungen eine
geringe Athemnoth zu bemerken. Besteht die Hyperplasie schon längere Zeit
und sind die Tonsillen so gross, dass sie den Weg nach dem Nasenrachen-
raum verlegen und auf diese Weise die Nasenathmung aufheben, so können
auch die vielfachen Störungen der Mundathmung eintreten. Es kann schliesslich
auch bei Nichtbetheiligung der Rachentonsille die bekannte Deformität der
Brust sich einstellen, wobei dadurch, dass in Folge der erschwerten Athmung
die accessorischen Athemmuskeln zu arbeiten anfangen, der obere Theil der
Brust erweitert wird, während in dem unteren Theil derselben eine Ver-
engerung eintritt. Die prädisponirende Ursache für diese Veränderung der
Thoraxform ist natürlich die Rhachitis, indem sie die Knochen biegsam macht
und erweicht, während die Schwierigkeit der Athmung erst die Gelegenheits-
ursache zur Deformirung bereits erweichter Knochen und zur Localisirung
derselben an der Brust abgibt. Schliesslich leidet das Allgemeinbefinden. Die
Kinder werden anämisch, matt und elend.
Stets ist bei sehr grossen Tonsillen die Gefahr vorhanden, dass die-
selben bei acuten Entzündungen so anschwellen können, dass sie auch im
wachen Zustande ganz bedeutende Athemstörungen machen können. Ja in
einzelnen Fällen (Schäfper, Donalies) war man sogar genöthigt, deshalb
den Luftröhienschnitt auszuführen. Schluckbeschwerden sind nur bei grösseren
Hyperplasien vorhanden. Die Kranken haben ein Hindernis beim Schlucken
und das Gefühl eines Fremdkörpers im Halse. Nur selten konnten wir die
Beobachtung machen, dass das Gehörvermögen durch die Mandelvergrösserung
litt. Meist war die eigentliche Ursache noch die Anwesenheit von adenoiden
Vegetationen.
Sehr nachtheilig wirken die Mandelhypertrophien dadurch, dass sie eine
Prädisposition für die verschiedensten Infectionen schaffen, sowohl für die
lacunären und phlegmonösen Anginen wie für Diphtherie. Moeiz Schmidt
konnte bei einem Erwachsenen einen lange dauernden Reizhusten beobachten,
der durch die Entfernung der hypertrophischen Mandeln beseitigt wurde. Auch
andere Reflexneurosen, wie Asthma, Heufieber können durch eine Mandel-
vergrösserung hervorgerufen werden und sind durch Exstirpation derselben
beseitigt worden.
Die Untersuchung des Kranken ergibt, dass meist beide Tonsillen an
Volumen zugenommen haben. Entweder sitzen sie breit auf, wie man es
häufiger bei Erwachsenen findet, oder sie sind mehr gestielt, wie bei Kindern.
In vielen Fällen sind die Tonsillen nur im sagittalen Durchmesser vergrössert
und drängen die beiden Gaumenbögen weit auseinander, so dass die Tonsillen
medianwärts gar nicht über den vorderen Gaumenbogen hervorragen. Die
Grösse der Tonsillen ist sehr verschieden, bald ist die eine grösser wie die
andere, bald haben sie beide dieselbe Grösse. Bei höherem Grade können
sie sich vollkommen berühren, der Eingang in den Pharynx erscheint fast
gänzlich geschlossen, und die häufig hypertrophisch gewordene Uvula wird
nach hinten und oben gedrängt. Grosse Tonsillen ragen zuweilen bis auf
den Zungengrund herunter, ja manchmal reichen sie bis an den Kehlkopfein-
gang. Meist haben die hypertrophischen Mandeln etwa den Umfang einer Wal-
nusS; zuweilen erreichen sie die Grösse eines Taubeneies oder sogar noch einen
Ohren-, Nasen-, Eachen-, Keblkopfkrankheiten. 41
642 TONSILLARHYPERPLASIE-TONSILLOTOMIE.
grösseren Umfang, wie wir es vor Kurzem bei einem circa 30 Jahre alten
Collegen beobachten konnten, bei dem an der entfernten Tonsille die grösste
Länge AOmm, Breite 31 mm und grösste Dicke Id mm betrug.
Selbst wenn die Tonsille noch so sehr geschwollen ist, so ist man doch
nicht im Stande, dieselbe von aussen zu fühlen. Was man zuweilen in der
Submaxillargegend fühlt, sind nur geschwollene Lymphdrüsen oder Binde-
gewebsinfiltrate.
Die Oberfläche der Tonsillen ist selten ganz glatt, meist uneben bucklig
mit vielen Vertiefungen, in denen sich oft weiche Pfropfe oder harte Kalk-
concremente (sogenannte Mandelsteine) vorfinden. Die Schleimhaut ist in
einzelnen Fällen geröthet, in anderen mehr blass.
Die mikroskopische Untersuchung der hypertrophischen Tonsillen ergibt,
dass die Vergrösserung der Tonsillen auf einer Hyperplasie sowohl des ade-
noiden Gewebes wie des interstitiellen Bindegewebes beruht. Je nachdem
das eine oder andere Gewebe mehr befallen ist, ist die Consistenz der Ton-
sillen verschieden. Ist das adenoide Gew^ebe stärker gewuchert, was meist
bei Kindern der Fall ist, so hat die Tonsille eine weiche Consistenz und ist
leicht zerreissbar. Hat aber das Bindegewebe mehr zugenommen, so be-
kommen die Tonsillen mehr eine harte, derbe Beschaffenheit, ja sie werden
ganz sklerotisch und können beim Schneiden knirschen.
Eine sehr häufige Complication der Tonsillenhyperplasie bilden die ade-
noiden Vegetationen, die Pharyngitis granulosa und die Hypertrophie der
Seitenstränge, Katarrhe der Nase, des Rachens, Kehlkopfs und der tieferen
Respirationsorgane.
Die Diagnose der Tonsillarhyperplasie ist bei einfacher Inspection
leicht zu stellen. Verwechselt könnte dieselbe werden höchstens mit einer acuten
Schwellung der Tonsille oder mit einem Tonsillarabscess. Bei der ersteren
Erkrankung ist aber meist Temperaturerhöhung, starke Röthung der Schleim-
haut vorhanden, und die Schwellung verschwindet schon binnen Kurzem. Beim
Tonsillarabscess kommt es bald zur Fluctuation und Eiterentleerung, sei es
spontan oder nach Incision. Neubildungen, die eine Hyperplasie der Mandel
vortäuschen könnten, sind meist Sarkome oder Carcinome. Diese werden sich
bald durch ihr rapides Wachsthum und ihr Uebergreifen auf die Umgebung
erkennen lassen.
Therapie. Eine bedeutende Verkleinerung vergrösserter Tonsillen
werden weder innere Medicamente, ausgenommen bei syphilitischen Hyper-
plasien, zu erzielen im Stande sein, noch werden Pinselungen mit Höllenstein-
lösung, Jodglycerin, Tannin, noch parenchymatöse Injectionen von Jod von
einem nennenswerthen Erfolge gekrönt sein. Helfen antiscrophulöse und
antisyphilitische Mittel nichts, und sind die Tonsillen so gross, dass sie eine
Verengerung des Pharynxeinganges herbeigeführt haben, oder wenn die ver-
grösserten Tonsillen die Disposition zu immer wiederkehrenden Halsentzün-
dungen abgeben, so müssen die Tonsillen entfernt werden. Wenn auch wieder
und wieder Versuche gemacht werden, die Abtragung der Mandel mit dem
Messer durch andere Mittel, wie Aetzmittel, Londoner Aetzpaste, Chlorzink,
Chromsäure zu ersetzen, so ist doch das zweckmässigste Mittel für die Ent-
fernung der vergrösserten Mandeln die blutige Entfernung mit schneidenden
Instrumenten, die Tonsillotomie. Bei geringen Graden von Hypertrophie und
bei Neigung zur Secretverhaltung haben wir oft mit Erfolg die Mandel-
schlitzung angewandt.
Die Tonsillotomie kann vorgenommen werden:
a) mit dem Messer. Wir bedienen uns eines Knopfmessers, das einen
langen Stiel und eine etwa 5 cm lange Schneide hat. Da man gewöhnlich
bei kleineren Kindern die Operation ohne Cocainanästhesie und ohne Narkose
ausführen wird, so muss ein Wärter das Kind auf den Schooss nehmen, setzt
TONSILLARHYPERPLASIE-TONSILLOTOMIE.
648
-Fig. 1. ITakeiizange nach Kosor.
es auf seinen linken Oberschenkel, schlägt sein rechtes Bein über die Beinchen
des Kindes, umschlingt mit der rechten Hand die beiden Unterarme des Kindes
oberhalb des Handgelenkes, während er mit seiner linken Hand den Kopf gegen
seine linke Schulter drückt. Vor der Operation forsche man, ob der Kranke an
hämorrhagischer Diathese lei-
det, und fühle mit dem Finger,
ob in der Tonsille Pulsation zu
fühlen ist. Bei weit geöffnetem
Munde des Patienten, so dass
das Tages- oder künstliche Licht
gut hineinfallen kann, ziehe
man mit einer KosER'schen Hakenzange (siehe Fig. 1) oder einem Doppelhaken
nach MuzEux die Tonsille etwas hervor, während man in etwas gebeugter
Stellung vor dem Kranken steht. Zur Entfernung der linken Mandel führe
man das Messer mit der rechten Hand am besten von unten nach oben, zur
Exstirpation der rechten Tonsille mit der linken Hand. Ist man nicht geübt,
mit der linken Hand zu operiren, so stelle man sich hinter den Patienten,
der seinen Kopf stark nach rückwärts neigen muss, fasse mit der linken
Hand die Hakenzange und das Messer mit der rechten.
Gewöhnlich ist die Blutung bei dieser einfachen Operation eine sehr
geringe. Man ziehe jedoch die Tonsille nicht zu stark hervor und gehe auch
nicht zu tief mit dem Messer nach aussen, um nicht zu nahe den grossen
Gefässen zu kommen. Bleiben grössere Reste zurück, so müssen dieselben
nachträglich entfernt werden.
Fig. 3. Tonsillotom nach Baginskj-. Fig. 4. Tonsillotom nach Mackenzie.
% h) Mit dem Tonsillotom. Dieses Verfahren ist be-
deutend bequemer und schneller als das mit dem Messer,
und verdient deshalb namentlich bei Kindern den Vorzug.
,,,.,. Handlicher und leichter zu reinigen, wie das von
Ke. 2. Tonsillotom nach Mathieu. _, i nr i „ • „i. J„r,
Fahnenstock oder Mathieu angegebene, ist das
Tonsillotom von Baginsky und von Mackenzie (siehe Fig. 2, 3, 4). Wir ge-
brauchen stets das letztere. Man drücke mit der einen Hand mittelst eines
41*
644 TONSILLARHYPERPLASIE-TONSILLOTOMIE.
ZuDgenspatels oder mit dem linken Zeigefinger die Zunge herunter, nehme
den Gritt' des Tousillotoms in die andere Hand, lege den Daumen an das
hintere Ende des Messers, und nachdem der Ring des Messers über die
Tonsille geschoben ist, ohne das Zäpfchen und die Gaumenbögen mitzufassen,,
schneide man die Tonsille durch schnelles Hinüberschieben des Messers über
den Ring ab. Die Tonsillotome kommen in drei verschiedenen Grössen vor,
und man wird je nach der Grösse der Tonsille den entsprechenden Ring
herauswählen. Es genügt, nur den über den vorderen Gaumenbogen nach
innen hervortretenden Theil der Tonsille zu entfernen, zumal sich in den
meisten Fällen der zurückgebliebene Theil von selbst zurückbildet. Man hüte
sich auch, von aussen mit der Hand die Mandel in den Ring des Tousillotoms
sich besser hineindrücken zu wollen, da man damit gerade grössere G.efässe
und benachbarte Schleimhautfalten mit hineindrücken könnte. In der Regel
ist die Blutung eine geringe, die nach Gurgeln mit Eiswasser bald zum Stehen
kommt. Eine Portion Fruchteis wirkt auf die kleinen Gemüther sehr wohl-
thuend. Es ist nicht nöthig, das Kind ins Bett zu legen, es genügt der Auf-
enthalt im Zimmer für mehrere Tage. Das Kind erhalte zuerst nur kühle
Getränke, weiche Speisen, vermeide die scharf gesalzene und bittere Kost^
und gurgele anfangs zweistündlich mit Myrrhentinctur (10 Tropfen auf ein
Glas Wasser). Auf der Stelle, wo die Tonsille gesessen hat, bildet sich schon
einige Stunden nach der Operation in den meisten Fällen ein weisser fibrinöser
Belag, der leicht mit Diphtherie verwechselt werden kann und die Eltern des
Kindes in die grösste Angst versetzt, wenn man dies ihnen nicht vorher mit-
getheilt hat. Nach mehreren Tagen stösst sich der Schorf spontan los, und
in 2 bis 3 Wochen ist die Wunde vollkommen geheilt. Sind beide Tonsillen
hyperplastisch, so entferne man beide am besten in einer Sitzung. Sind auch
adenoide Vegetationen vorhanden, so ist es wohl richtiger, dieselben nicht
in derselben Sitzung zu entfernen, sondern erst dann, wenn die Wunden an
den Tonsillen geheilt sind.
Schon in der ersten Nacht nach der Operation schnarchen die Kinder
nicht mehr und schlafen ganz ruhig. Binnen einigen Monaten hat auch das All-
gemeinbefinden sowohl in körperlicher, wie geistiger Beziehung sich bedeutend
gebessert. Mit Recht sagt Moriz Schmidt daher, dass die Entfernung hj^per-
plastischer Tonsillen eine der segensreichsten Operationen für die ganze Ent-
wicklung der Kinder sei.
Das einzige unangenehme Ereignis, welches in einer Anzahl von Tonsillo-
tomien sich eingestellt hat, ist das Auftreten von stärkeren Blutungen, ja es
sind sogar tödtliche Blutungen vorgekommen, in Folge angeblicher Verletzung
der carotis interna. Sieht man sich die topographische Lage der carotis
interna zur Tonsille an, so sollte man eine Verletzung der Carotis kaum für
möglich halten, da die carotis int. ziemlich w'eit nach hinten und aussen von der
Mandel liegt (l'^l^ cm von der Tonsille) und durch die Bindegewebskapsel
und die constrictores pharyngis von ihr getrennt ist; es müsste denn schon,
eine grosse Ungeschicklichkeit dazu gehören, oder auch ein abnormer Ver-
lauf der carotis interna vorliegen. Ist wirklich eine grosse Arterie verletzt,
so ist es nach Zuckerkandl die Tonsillararterie. Wird dieselbe in der Ebene
der Tonsillarkapsel oder gar noch seitwärts von derselben durchschnitten, so
kann sie sich nicht leicht retrahiren, und eine spontane Stillung der Blutung durch
Thrombosirung wird zur Unmöglichkeit. Daraus folgert Zuckerkandl, dass,
abgesehen von der Hämophilie, eine stärkere Blutung bei der Entfernung der
Tonsillen vermieden werden könne, wenn man eben mit dem Messer, resp.
Tonsillotom nicht zu weit nach aussen geht, sondern nur den über den vor-
deren Gaumenbogen vorspringenden Theil entfernt. Noch besonders warnt
B. Feänkel davor, unten an der Tonsille, wo dieTonsillararterie in die Mandel
eintritt, bis zur Kapsel einzuschneiden.
TONSILLARHYPERPLASIE-TONSILLOTOMIE. 645
Zu einer sehr schweren Blutung kann es auch kommen, wenn eine ab-
Borme Gel'ässanordnung vorliegt, die Vertretung der arteria maxillaris int.
nämlich durch die palat. ascendens. (IIyrtl), welche letztere in diesem Falle
als dickes Gefäss gleich hinter der Tonsille an der starken Pulsation sich erkennen
lässt. Häufiger stammt die Blutung überhaupt aus keinem grösseren Gefäss,
sondern aus kleinen innerhalb der Mandel liegenden Gelassen, was nament-
lich bei den festen fibrös-degenerirten Tonsillen (Schede) beobachtet wurde,
indem die Gefässe innerhalb des starren Gewebes klaffend bleiben. Bei jugend-
lichen Personen stammen die Blutungen meist aus erweiterten Venen oder
aus der im Arcus palato-gloss. verlaufenden Arterie. Die Blutungen erfolgen
entweder unmittelbar nach der Operation oder auch einige Stunden, zu-
weilen erst einige Tage später. Zuweilen treten Nachblutungen auf, nament-
lich dann, wenn die Operation mit Cocain vorgenommen wird. Durch die Cocain-
anästhesie tritt bekanntlich eine Contraction der Gefässe auf, welcher nach
Aufhören der Wirkung des Cocains eine Erschlaffung der Gefässe folgt. Des-
halb ist dringend anzurathen, den Patienten nach der Operation, im Falle
Cocain angewandt ist, mindestens eine Stunde noch im Wartezimmer unter
Beobachtung zu halten. Scheck glaubt, dass Ursache der Verblutungen
atheromatöse und sonstige Veränderungen der Gefässe sind.
Massige Blutungen stehen meist nach wenigen Minuten. Heftigere Blu-
tungen werden am besten mittelst der Compression behandelt, indem man
mit dem Zeigefinger die blutende Stelle comprimirt und mit der anderen
Hand von aussen entgegendrückt, so lange, bis die Blutung steht. Es
sind auch statt der schwierigen Digitalcompression besondere Compressionsinstru-
mente angegeben worden, wie das Compressorium von Mikulicz-Störk. Ge-
nügt die Compression nicht, so kann die Blutung, wenn man das blutende
Gefäss nicht direct fassen kann, auch durch Umstechung, durch Anwendung
des Galvanokauters gestillt werden. Ist die Carotis eröffnet, oder steht die
Blutung nicht auf andere Weise, so bleibt natürlich kein anderer Weg frei,
als die Carotis schleunigst zu unterbinden.
Um die Blutung sicherer vermeiden zu können, entfernt Moeiz Schmidt
die hyperplastischen Tonsillen mit der galvanokaustischen Schlinge. Er legt
die Schlinge um die Tonsille, sucht dabei vor allem das untere Ende der-
selben in die Schlinge zu bekommen und drückt das Ende der Röhren oben
in die Nische zwischen beide Gaumenbögen. Ist die Mandel gestielt, so zieht
er die Schlinge kalt zu und lässt dann erst den Strom, der nicht zu stark
sein darf, durchgehen. Sitzt die Tonsille aber breitbasig auf, so lässt er die
Schlinge erst erglühen und zieht dann langsam zu. Wir haben in den letzten
Jahren eine ganze Reihe von Tonsillarhyperplasien mit der heissen Schlinge
zu unserer grössten Zufriedenheit entfernt.
Eine directe Contraindication für die Wegnahme der Tonsillen mittelst
des Messers bildet natürlich die Hämophilie. Sollte bei Hämophilie eine Be-
handlung durchaus erforderlich sein, so wird man sich damit begnügen müssen,
die Tonsillen durch galvanokaustische Aetzung, eine etwas umständliche, aber
.gefahrlosere Weise, allmählich zu verkleinern. Auch dann, wenn man deut-
lich eine Gefässanomalie erkennen kann, oder auf der Oberfläche der Tonsille
sich grössere Blutgefässe vorfinden, wird man Glühhitze anzuwenden haben.
Während einer Diphtheritisepidemie soll man die Tonsillotomie überhaupt
nicht vornehmen, da die Gefahr der Infection der Wunde durch die Diph-
theriebacillen eine grosse ist.
Der galvanokaustischen Aetzung wird man auch in den Fällen sich be-
dienen, in welchen die Tonsillen mehr nach aussen geschwollen sind und
hinter dem vorderen Gaumenbogen vollkommen versteckt liegen, so dass sie
sich gar nicht in das Tonsillotom hineinbringen lassen, ohne eine Verletzung
der Gaumenbögen zu bewirken. Auch verdient diese Methode den Vorzug,
646 TRACHEALSTENOSEN.
wenn mehr die Neigung zur habituellen Angina als eine starke Hyperplasie
die Indication zur Beseitigung der Mandel gib,t. Den Galvanokauter wende
man schliesslich auch in den Fällen an, wenn der Patient sich absolut gegen
jedes schneidende Instrument sträubt, was ja nicht zu selten sogar bei sonst
verständigen Personen vorkommt. Der Galvanokauter muss glühend auf-
gesetzt und auch glühend abgenommen werden. Wir bedienen uns eines
Galvanokauters mit starker (2 mm im Durchmesser messender), im rechten
Winkel abgebogener Spitze, führen die Spitze erst in das Centrum der Ton-
sille hinein, dann daneben u. s. w,, so dass die ganze Oberfläche ein sieb-
förmiges Aussehen bekommt. Man sehe sich vor, nicht das Zäpfchen oder die
Gaumenbögen zu berühren. Damit die entzündliche Reaction nicht eine zu
starke werde, ätze man nicht gleich beim ersten Male die ganze Oberfläche,
sondern vertheile es auf mehrere Sitzungen, bis allmählich eine genügende
Verkleinerung eingetreten. Ist die eine Seite geheilt, so beginnt mau mit
der andern Seite.
Statt der Galvanokaustik kann man auch die Chromsäure, Trichloressig-
säure und den Argentum nitr.-Stift benützen. Diese Behandlung erfordert
aber bedeutend mehr Sitzungen und viel längere Zeit, bis eine irgendwie sicht-
bare Verkleinerung der hyperplastischen Tonsille nachweisbar ist.
MAX SCHEIBE.
Trachecllstenosen. Die Trachealstenosen können vom ätiologischen
Gesichtspunkte aus in zwei Hauptgruppen eingetheilt werden, in extratracheale
Stenosen, bei denen die Verengerung der Luftröhre durch den äusseren Druck
in der Umgebung der Trachea gelegener Organe und Gewebe entsteht, und
in intratracheale, bei welchen die Stenose durch eine Erkrankung der Luft-
röhre selbst oder durch Fremdkörper herbeigeführt wird.
Die extratrachealenStenosen, die man auch Compressionsstenosen
nennt, werden viel häufiger als die intratrachealen beobachtet.
Die Ursachen der extratrachealen Stenosen können sein:
a) Geschwülste der Schilddrüse, Wohl am häufigsten sind es die
Strumen, deren seitliche Lappen die Luftröhre so comprimiren können, dass
die Trachea keinen kreisförmigen Querschnitt mehr besitzt, sondern einen
spaltförmigen, und schliesslich die Form einer Säbelscheide bekommt. Bei Er-
wachsenen sind es namentlich die substernalen Kröpfe, die schon früh die Luft-
röhre, welche hier nicht ausweichen kann, gegen die Wirbelsäule abplatten
können. Auch acute Entzündungen der glandula thyr., die höchst selten,
besonders aber bei Erwachsenen, und zwar mehr bei Frauen beobachtet
werden, können zur Compression der Luftröhre führen.
ß) Aortenaneurysmen, und zwar sind es besonders die von der Concavität
und dem hinteren Umfange des Aortenbogens ausgehenden, die die Luftröhren-
wand nach innen vorwölben.
7) Lymphdrüsengeschwülste des Halses (malignes Lymphom) und ver-
grösserte Lymphdrüsen, die an der Bifurcation der Luftröhre liegen.
0) Geschwülste des Oesophagus, Mediastinums, der Thymusdrüse (Jurasz,
Fritz König), des Brustbeines, Schlüsselbeines und der Wirbelsäule, hoch-
gradige Exsudate im Pericardium, Dilatationen des linken Vorhofs.
s) Entzündliche Processe am Halse, Phlegmonen, Angina Ludovici u. s. w.
Wie die Beobachtungen von Penzold und Weight beweisen, können Stenosen
der Luftröhre mit oder ohne Erkrankung der Schleimhaut dadurch entstehen,
dass die Trachealwand durch syphilitische Affection des peritrachealen Gewebes
besonders der Drüsen nach innen eingedrängt wird.
Die intratrachealen Stenosen können zu Stande kommen:
a) Durch Narbenbildungen der Trachealschleimhaut. Die häufigste Ur-
sache derselben sind syphilitische Ulcerationsprocesse. Die diff'use gummöse
Infiltration führt zu grossen Substanzverlusten und durch Vernarbung zu den:
TRACHEALSTENOSEN. 647
verschiedenartigsten Difforraitäten. Es bildet sich ein Narbengewebe, das
Verengerungen in verschiedener Kichtung herbeiführt. Macht sich die
Stenose horizontal geltend, so wird das Caliber der Luftröhre beengt. Es
entstehen ringförmige Stricturen in Form von diaphragmaartigen Membranen.
Die Stenosen sind zuweilen so hochgradig, dass nur ein Bleistift oder P^eder-
kiel durchdringen kann. Sitzen aber die Verengerungen mehr in verticaler
Richtung, so zeigen sie sich als Wülste an den Wänden der Luftröhre. Meist
haben die syphilitischen Stricturen ihren Sitz im oberen Theil der Luftröhre
oder etwas oberhalb der Bifurcation.
Seltener entstehen die Narben nach Geschwüren, die bei Tuberculose,
Diphtherie oder Typhus sich entwickeln. Demakquay beobachtete einen P'all,
in welchem eine Strictur durch ein chronisches Rotzgeschwür entstanden war.
h) Durch Neubildungen der Trachea. Die primären gehören zu den
grössten Seltenheiten. In der Literatur finden sich nur wenige Fälle von Adeno-
men (Scheuer), Enchondromen, Osteomen, Syphilomen (Zeissl), nur einige
Fälle von Carcinom (Pick, Oestreich) und von Sarkom (Angiosarkom Jurasz).
Cysten können sich aus den Schleimdrüsen entwickeln, sitzen meist an der
hinteren Wand und können Haselnuss- bis Walnussgrösse erreichen. Noch
am häufigsten kommen Papillome vor. Häufiger aber kommen secundäre
Geschwülstbildungen vor. Maligne Geschwülste der umgebenden Organe durch-
brechen die Trachealwand und wachsen in das Lumen der Luftröhre hinein,
besonders der Krebs der Speiseröhre, des Kehlkopfes und der Schilddrüse.
Auch gewöhnliche Strumen von gutartiger Beschaffenheit können zwischen
Ringknorpel und dem ersten Trachealring, zwischen den obersten Tracheai-
ringen durch die Interstitialmembranen der Luftröhre selbst in die Trachea
hineinwuchern und eine Stenose herbeiführen. (Ed. Meyer, Paltauf.)
c) Durch entzündliche Zustände der Luftröhre selbst, Diphtherie, Croup,
Erysipel, Tracheitis sicca, Störk'sche Blennorrhoe, Nekrose der Knorpel, durch
ülcerationen und Granulationen. Hierher gehören die Granulationswucherungen,
welche sich namentlich bei Kindern entwickeln, die wegen Diphtheritis tra-
cheotomirt wurden und kürzere oder längere Zeit die Canüle tragen mussten.
Die Granulome wachsen bald vom Rande der Tracheotomiewunde, und zwar
gewöhnlich vom oberen Winkel derselben, bald von der Stelle, wo die
Trachealcanüle die Schleimhaut berührt, hervor. Dieselben kommen durchaus
nicht so selten zur Beobachtung, wie man früher annahm. Unter 200 tracheoto-
mirten Fällen konnten wir fünfmal derartige Granulationsbildungen beobachten.
In einem Falle war die Tracheotomie wegen einer Kehlkopffractur ausgeführt
worden, der Kranke war genöthigt, längere Zeit die Canüle zu tragen. In
den anderen vier Fällen war Diphtherie des Larynx die Ursache des Luft-
röhrenschnittes.
Die Granulome sind von verschiedener Grösse und Consistenz, Zuweilen
sitzen sie pilzförmig auf, zuweilen werden sie durch den mechanischen Einfluss
des inspiratorischen Luftstromes ganz langgestielt. Durch Hineinschleudern
der Geschwulst zwischen die Stimmritze kann plötzliche Erstickung herbei-
geführt werden. Liegt die Canüle und hat dieselbe kein Fenster, in welches
eventuell die Granulome aspirirt werden können, so ist von der Anwesenheit
der Granulationen nichts zu bemerken, weil dieselben durch die Canüle seitlich
gehalten werden. Entfernt man aber die Canüle, so tritt sofort Athemstörung
ein. Jedoch brauchen nicht immer gleich nach dem Decanülement die Stenosen-
erscheinungen einzutreten, sondern es kann Anfangs die Athmung ganz geregelt
sein, bis auf einmal die heftigste Athemnoth eintritt. Dies kann dadurch
entstehen, dass die kleinen Granulome plötzlich durch Füllung der Gefässe
derartig anschwellen, dass sie das ganze Tracheallumen ausfüllen. Es wird
Asphyxie erfolgen, wenn nicht sofort die Canüle wieder eingeführt wird.
648 TRACHEALSTENOSEN.
Wiewohl die Granulationsgeschwulst zur Zeit, in welcher man die
Trachealcanüle entfernen will, in den meisten Fällen bereits entwickelt ist
und ein Hindernis für das Decanülement abgibt, so macht man doch zuweilen
die Beobachtung, dass ihre Entwicklung zu der gefährlichen Grösse erst dann
erfolgt, wenn die Canüle schon längst entfernt ist, und die Trachealwunde
sich geschlossen hat. Dies beobachteten wir auch bei einem zehnjährigen
Knaben, bei welchem vier Wochen nach der wegen Diphtherie ausgeführten
Tracheotomie zur Zeit, wo die Trachealwunde schon bis auf eine minimale
Fistel geschlossen war, plötzlich die heftigste Athemnoth eintrat. Die schnell
vorgenommene laryngoskopische Untersuchung ergab, dass circa 2 cm unter-
halb der Stimmbänder an der vorderen Wand der Luftröhre eine grauröthliche
Geschwulst sass, die fast das ganze Lumen der Trachea ausfüllte. Die An-
wendung der 0' DwYER'schen Intubation beseitigte sofort die Athemnoth.
Ein anderer Grund für das erschwerte Decanülement liegt zuweilen in
der zu engen Trachealwunde. Ist nämlich der Eröönungsschnitt der Luft-
röhre zu klein angelegt, so entsteht bei der gewaltsamen Hineinschiebung der
Trachealcanüle im oberen Wundwinkel eine Einbiegung der Luftröhrenränder
nach innen. Wird nun die Canüle später entfernt, so sieht man mit Hilfe
der Tracheoskopie zuw^eilen den Stimmbändern parallel verlaufende dicke
Leisten, so dass man glaubt, eine zweite Glottis zu sehen.
d) Durch Fremdkörper, welche in verschiedenster Art in der Trachea
gefunden w^erden, wie Knochen, Fleischstückchen, Blutegel, Canülenstücke,
falsche Zähne u. s. w.
e) Durch Hysterie. Landgraf, Ilberg, Lublinski haben Trachealstenosen
auf hysterischer Basis beobachtet. Die Verengerung des Tracheallumens entsteht
durch Zusammenziehung der in der hinteren Trachealwand gelegenen dünnen
Muskelzüge und lässt sich im Hervortreten wulstartiger Schleimhautfalten an der
hinteren Wand erkennen. Einen hierher gehörigen Fall sahen wir vor
Kurzem in unserer Poliklinik bei einer 40jährigen Frau, w^o die Dyspnoe
so stark war, dass man daran dachte, die Tracheotomie zu machen.
Symptome. Die Erscheinungen, die die Stenosen der Luftröhren
verursachen, beziehen sich zum Theil auf die Verengerung selbst, zum Theil
gehören sie der Grundkrankheit an, die die Trachealstenose veranlasste. Unter
den subjectiven Beschwerden ist die Störung der Ptespiration das wichtigste
Symptom. Die Intensität der Dyspnoe schwankt je nach dem Grade der Ver-
engerung. Hat die Stenose nur einen geringen Grad, so stellen sich die
Athembeschwerden nur bei grösseren Körperanstrengungen ein, wie Treppen-
steigen u. s. w.j und sind sonst gar nicht vorhanden. In ganz schlimmen
Fällen können die heftigsten und gefahrdrohendsten Erstickungsanfälle auf-
treten. Zuweilen kann die Stenose ziemlich hochgradig sein, ohne Störungen
der Respiration hervorzurufen. In vielen Fällen tritt der stenotische Anfall
ohne alle Vorläufer ganz acut auf und überrascht den Kranken und den Arzt.
In anderen Fällen haben schon geringe Athemstörungen bestanden, die sich
ganz allmählich zu der gefährlichen Höhe des Luftmangels steigern. Ein-
tretende Katarrhe mit Schwellung der Mucosa werden natürlich eine Ver-
schlimmerung der Respirationsstörung herbeiführen. Bekannt ist der Kropftod,
worunter die Form der Athemnoth zu verstehen ist, welche ganz unerwartet, oft
mitten im Schlaf den Patienten überfällt und dem Leben ein jähes Ende bereitet.
Krönlein ist der Ansicht, dass diese acuten Erstickungsanfälle nicht
eine durch den Kropf bedingte Innervationsstörung der Glottismuskeln
sind, sondern dass der zur Erstickung führende Luftabschluss bedingt ist
durch den directen Druck des Kropfes gegen die nachgiebige weiche Trachea .
Die plötzliche Steigerung des Kropfdruckes werde verursacht, abgesehen von
plötzlicher Druckzunahme durch Hämorrhagieen im Kropf, in der überwiegenden
Mehrzahl durch plötzlich forcirte Athemmechanik (in Folge Schleimansammlung
TRACHEALSTENOSEN. 649
in der Luftröhre u. s. w.), woran namentlich die bei Kropfleidenden gewöhnlich
bedeutend hypertrophischen musc. sternohyoid. und -thyroid. theilnehraen.
Diese Muskeln drücken dabei die von ihnen überbrückte Kropfgeschwulst
fest gegen die Luftröhre, so dass deren Lumen verlegt wird.
Die Dyspnoe ist stets eine gemischte, sie bezieht sich sowohl auf die
In-, wie die Exspiration. Die Inspiration ist aber meist mehr behindert, ver-
längert und von einem weithin hörbaren, laut tönenden jjfeifenden, keuchen-
den Geräusche begleitet, was namentlich bei den Kropfstenosen der P'all ist.
Die auf die Luftröhre aufgelegten Fingerspitzen fühlen deutlich das Schwirren
beim Durchtreten des Luftstromes durch die verengte Stelle, sobald die Stenose
genügend hoch in der Luftröhre sitzt.
Auf ein sehr wichtiges Zeichen machte Gerhaiidt aufmerksam, wonach
bei Trachealstenosen der Kehlkopf beim Athraen gar nicht oder sehr wenig
auf- und abwärts steigt, während derselbe bei Larynxstenosen sehr starke
respiratorische Excursionen macht. (Ausgenommen Strumen, welche mit der
Trachea fest verwachsen sind.) Während bei Larynxstenosen der Kopf
meist nach rückwärts geneigt ist, strecken bei der reinen Trachealstenose die
Patienten den Kopf nach vorn und senken das Kinn. Bei der Auscultation
hört man den Stridor am deutlichsten hinten zwischen den Schulterblättern
über den Dornfortsätzen der oberen Rückenwirbeln, während bei Larynx-
stenosen das an der verengten Stelle entstandene Geräusch am besten über
den mittleren Halswirbeln zu hören ist. Bei sehr hochgradigen Stricturen ist
das vesiculäre Athmungsgeräusch bedeutend abgeschwächt oder überhaupt
nicht zu hören und wird durch das keuchende Athmungsgeräusch vollkommen
Itbertönt.
Die Stimme ist, solange der Kehlkopf selbst nicht afficirt ist, natürlich
unverändert, sie bekommt aber einen eigenthümlich matten Klang. Häufig
stellen sich im Verlauf der extratrachealen Stenosen Stimmbandlähmungen ein,
herbeigeführt meist durch den Druck der Geschwulst auf den musc. recurrens.
Sehr wichtig ist die Untersuchung mittelst des Kehlkopfspiegels. Erst
hierdurch können wir meist den genauen Sitz, die Natur des Hindernisses und
den Grad der Stenose feststellen. Ist schon der Luftröhrenschnitt gemacht,
so untersuche man die Luftröhre durch die Trachealfistel mittelst ganz kleiner
Spiegel.
Ganz erstaunlich ist zuweilen die Toleranz der Luftröhre gegen einge-
drungene Fremdkörper. So berichtet Moriz Schmidt von einem Patienten,
der angab, 19 Monate vorher einen Knochen verschluckt zu haben, sich aber
sonst so wohl fühlte, dass er die ganze Zeit über ein thätiges Mitglied eines
Gesangvereines gewesen sei. Er fand bei ihm einen in sagittaler Richtung
etwa in der Mitte der Luftröhre festsitzenden Knochen, an seinem vorderen
und hinteren Ende auf der Schleimhaut reichliche Granulationen, welch
letztere nun erst das Lumen der Luftröhre stenosirt zu haben schienen.
Meist ist jedoch die Gefahr bei eingedrungenen Fremdkörpern eine so grosse,
dass die laryngoskopische Untersuchung unterbleiben und sofort ein operativer
Eingriff gemacht werden muss. Wenn der Fremdkörper lose in der Trachea
sitzt, so wird er mit einem eigenthümlichen Geräusch gegen die Stimmbänder
geschleudert.
Der weitere Verlauf bei den Trachealstenosen wird, sobald der Tod
nicht plötzlich durch Asphyxie bedingt wird, von der eigentlichen LTsache
der Stenose, von dem Charakter der Grundkrankheit abhängen.
Diagnose. In einzelnen Fällen wird man schon aus den äusseren
Erscheinungen zur Diagnose einer Trachealstenose kommen, ohne dass die
Spiegeluntersuchung etwas Positives ergibt. Dabei ist auch die Stimme von
grosser Wichtigkeit. Bei der reinen Trachealstenose ist natürlich keine
Stimmstörung vorhanden.
650 TRACHEALSTENOSEN.
Durch sorgfältige Untersuchung der Mund-, Rachen- und Kehlkopfhöhle
muss eine Verengerung dieser Organe ausgeschlossen werden. In vielen Fällen
wird es gelingen, die Trachealstenose zu sehen. Wird die Stenose durch Com-
pression von Nachbarorganen hervorgebracht, so sieht man bei der Tracheo-
skopie mehr runde und gewölbt aussehende Vorbuckelungen der Tracheal-
wand, während man die Narben an ihrem scharfen weissen Rande erkennt.
Ungemein schwierig ist die Diagnose bei multiplen Verengerungen der Luft-
röhre. Hier kann die obere Strictur die untere vollkommen verdecken. Gerade
die syphilitischen Stenosen, die meist sehr tief liegen, sind schwer zu sehen.
Sehr empfehlenswerth ist, um die Luftröhre ganz überblicken zu können, die
Untersuchung mittelst KiLLiAN'scher Methode.
Zuweilen bekommt man bei der laryngoskopischen Untersuchung zuerst
den Eindruck, dass eine Trachealstenose vorliegt. Eine genaue Untersuchung
aber ergibt, dass es sich um keine Stenose handelt, sondern um eine Achsen-
drehung der Luftröhre, die wahrscheinlich angeboren oder sonstwie erworben
ist, die aber keine Symptome macht. (B. Fränkel.)
Ist die Stenose diagnosticirt, so wird in vielen Fällen schon die Kranken-
geschichte Aufschluss über die eigentliche Ursache ergeben. Bei den Com-
pressionsstenosen werden wir häufig den Tumor sofort wahrnehmen, der den
Druck auf die Luftröhre ausübt. Zu bemerken ist, dass, selbst wenn der Tumor
äusserlich sehr klein erscheint (Struma), doch eine bedeutende Fortsetzung
desselben bestehen kann, die hinter das Sternum herabzieht und sich durch
Percussion erkennen lässt. Für die Differentialdiagnose zwischen Aorten-
aneurysma mit Geschwulst des Mediastiums, sowie auch bei Anwesenheit von
Fremdkörpern wird man mit grossem Vortheil die Röntgenstrahlen anwenden
können. (Siehe Artikel „Böntgenuntersuchimg in der Rhino-Laryngolie'-^ .)
Wird ein Kind von plötzlicher Dyspnoe befallen ohne nachweisbare Ur-
sache und ohne erkennbare physikalische Veränderung, so muss man stets
in erster Linie an einen Fremdkörper denken. Falls dieser ausgeschlossen
werden kann, so muss man bei Kindern eventuell an eine Compression der
Trachea durch eine oberhalb der Bifurcation liegende geschwollene, verkäste
Bronchialdrüse denken.
In einzelnen Fällen wird erst die Stenose erkannt werden, wenn dieselbe
so heftige Athemnot hervorgebracht hat, dass der Luftröhrenschnitt gemacht
werden muss.
Die Diagnose des Grundleidens wird ausschlaggebend sein für den Er-
folg des chirurgischen Eingriffes sowie für die Prognose überhaupt.
Die Therapie der Trachealstenosen hat in erster Linie die eigent-
liche Ursache zu beseitigen. In dem einen Falle wird eine Struma entfernt
werden müssen, in einem anderen Falle die Entfernung einer Neubildung
der Luftröhre zu erzielen sein, in einem anderen Falle schliesslich, wo wirk-
liche Ulcerationen oder gummöse Neubildungen vorhanden sind, wird man
eine antisyphilitische Behandlung vorzunehmen haben. Sind aber schon voll-
kommen narbige Stenosen eingetreten, so kann nur ein chirurgischer Eingriff
eine Beseitigung derselben herbeiführen. Sitzen die Narben sehr hoch, so
dilatire man mittelst der O'DwYER'schen Intubation dieselben. Die Intu-
bation leistete uns — ausser zwei Fällen von syphilitischer Trachealstenose —
auch gute Dienste bei den nach der Tracheotomie auftretenden Granulations-
geschwülsten. Haben die Granulome eine bedeutende Grösse, und ist die
Tracheotomiewunde noch nicht zugeheilt, so kann man von der Wunde aus
die Wucherungen mit Argentum nitricum ätzen, oder bei hängendem Kopfe
mit dem scharfen Löffel auskratzen oder auf galvanokaustischem Wege ent-
fernen.
Sitzen die Narben sehr tief, so mache man den Luftröhrenschnitt und
versuche von der Tracheotomiewunde aus die Stenose mittelst Hartgummi-
TROMMELFELLERSATZ.
651
röhren oder Zinnbolzen zu dilatiren. Piniaczek verwendet zur Dilatation
abgeschnittene Oesophagus- oder Urethralkatheterstücke je nach dem Alter
des Patienten.
In den meisten Fällen wird bei ausgesprochenen Stenosenerscheinungen
als indicatio vitalis die Tracheotomie ausgeführt werden müssen. Dieselbe
muss so tief als möglich gemacht werden, damit die Verengerung noch ober-
halb der Trachealöffnung zu liegen kommt, oder falls die »Stenose tiefer liegt,
damit die Trachealcanüle wirklich das Athmungs-
hindernis umgeht. Für die Fälle, in welchen die
Strictur in der Luftröhre so tief liegt, dass eine ge-
wöhnliche Trachealcanüle über die verengte Stelle
gar nicht hinabreicht, empfahl König eine Canüle
(Fig. 1), die aus einem circa 8 cm langen Mittelstück h.
besteht, das sehr biegsam und analog angefertigt ist
wie die elastischen Pfeifenschläuche durch schrauben-
förmiges Aufwinden eines derben Silberdrahtes. An
dem einen Ende ist der der gewöhnlichen Canüle
entsprechende Theil a, während das andere Endstück
c ein katheterknopfförmiges Ende besitzt. Man beginne
nicht sofort mit der Erweiterung der Stenose,
sondern warte erst einige Wochen, bis der meist
durch die lange Dauer der Ptespirationsstörungen
erschöpfte Patient sich wieder etwas erholt hat. Dass
es möglich ist, auch bei ganz tief liegenden Stric-
turen einen Erfolg zu erzielen, beweist der Fall von
Landgraf, in dem es sogar gelang, eine Stenose des
Bronchus durch das Einführen seitlich abgekrümmter
Bougies für längere Zeit zu dilatiren.
Die sogenannten Compressionsstenosen sind
natürlich für das Dilatationsverfahren nicht geeignet.
Hier kann nur der Luftröhrenschnitt gegen die asphyktischen Erscheinungen
angewandt werden. Immerhin wird es auch hier Fälle geben, in denen die
Compression so stark ist, dass auch durch Einführung der KöNiG'schen
Canüle dieselbe sich nicht beseitigen lässt.
Ist die Trachealstenose durch einen Fremdkörper bedingt, so versuche
man erst auf endolaryugealem Wege denselben zu entfernen. Gelingt es
nicht, oder ist höchste Erstickungsgefahr im Verzuge, so führe man schleunigst
die Tracheotomie aus. Hierbei werden sofort lose Körper spontan heraus-
geschleudert. Sitzen dieselben fest, so kann man sie vorsichtig mit einer
gebogenen Zange fassen. max scheier.
Trommelfellersatz, im Gefolge der eitrigen Entzündungen des Mittel-
ohres, der acuten, wie insbesondere der chronischen, entstehen am Trommel-
fell Lücken von der Kleinheit, dass man sie nur mit Mühe nachweisen kann, bis
zu dem Umfang, dass sie fast die ganze Fläche der Membran einnehmen. Bei
rechtzeitiger und sachgemässer Behandlung ist es Regel, dass die acuten uncom-
plicirten Formen der eitrigen Mittelohrentzündung mit Verschluss der Trommel-
felllücke und Wiederkehr der alten Hörschärfe ausheilen. Nur bei den Fällen,
deren Behandlung in den ersten Wochen vernachlässigt wurde, oder bei schwe-
reren Infectionskrankheiten, oder bei marastischen Individuen werden die Lücken
im Trommelfell grösser, Stecknadelkopf-, hanfkorn- und linsengross, verkleinern
sich nach dem Ablaufen der Entzündung nur wenig oder gar nicht und persi-
stiren dann fürs ganze Leben. Noch grösser werden die Löcher bei den chro-
nischen Mittelohreiterungen, auf deren Conto die meisten und umfangreichsten
persistirenden Lücken zu schreiben sind.
Fig. 1. Canüle nach
652 TROMMELFELLERSATZ.
Die Durchlöcherung des Trommelfelles allein setzt nun die Hörweite in
verschiedenem Maasse herab, je nach dem Sitz und der Grösse der Lücke.
Je grösser diese wurde, desto auffallender ist gewöhnlich die Hörstörung, und
wenngleich die freie Schwingbarkeit des Steigbügels bei intactem schallempfin-
denden Apparat, auch bei vollständiger Zerstörung des Trommelfelles, ja
sogar bei Fehlen des Hammers und Ambosses, noch ein Hörvermögen für die
Flüstersprache von 10 m ermöglicht, so gehen doch viele Details, die von
einem unversehrten Organ leicht wahrgenommen werden, ganz verloren, wenn
auch nur kleine Continuitätsstörungen die Membran betroffen haben. Bei
grösseren Lücken ist der Hördefect schon recht störend, und wenn noch andere
Schalleitungshindernisse im Bereich des Paukenhöhlenapparates, Verkalkungen,
Verwachsungen, Bindegewebsverdickungen oder Continuitätsstörungen an der
Kette der Gehörknöchelchen zurückgeblieben sind, oder gar Erkrankungen des
nervösen Apparates, dann sind schwere Defecte an der Function des Ohres
unausbleiblich.
Sind, die Lücken im Trommelfell noch mit Eiterung aus der Pauken-
höhle complicirt, so steht die Sorge um die Beseitigung der Entzündung im
Vordergrunde; in der Mehrzahl dieser Fälle werden die hiezu getroffenen
Maassnahmen auch der Besserung des Hörvermögens dienen. Hat die Eiterung
sistirt, dann ist es unsere wichtigste Aufgabe, das Hörvermögen so weit als
nur möglich zu heben.
Solange die Lücken klein sind, die Schallleitung durch eine intacte
Gehörknöchelchenkette möglich ist, besitzen wir in der Luftdouche mit dem
PoLiTZER'schen Verfahren oder durch den Katheter, dann in der vom Gehör-
gang aus geübten Luftverdünnung und Luftverdichtung treffliche Methoden,
um die Hörweite zu heben; sowie aber die Lücken grösser sind, nimmt die
Wirkung dieser Behandlungsmethoden ab; die in die Paukenhöhle geblasene
Luft streicht bei der Lücke durch, ohne am Trommelfell Angriffspunkte zu
finden; noch weniger Effect bezüglich der Stellung der Gehörknöchelchen wird
der Luftstrom erzielen können, wenn Verwachsungen oder Continuitäts-
trennungen derselben bestehen, wenn z. B. der lange Ambossschenkel zerstört
ist, wo dann die Stellung des Trommelfelles mit dem Hammer, nicht aber die
des Steigbügels beeinflusst wird.
In allen diesen Fällen werden die Methoden heranzuziehen sein, welche
den Ersatz der fehlenden Theile bewerkstelligen wollen, theils durch die An-
regung des dem Trommelfell eigenen Regenerationstriebes, theils durch künst-
liche Prothesen.
Als der idealste Ersatz zu Grunde gegangenen Trommelfellgewebes ist
die Neubildung desselben durch Auswachsen von den Rändern des Substanz-
verlustes her anzustreben. Thatsächlich erfolgt dieser Process kraft der be-
deutenden Regenerationsfähigkeit der Membran ohne weiteres Hinzuthun in
unzähligen Fällen so tadellos, dass auch nicht die leiseste Spur auf den Sitz
der dagewesenen Lücke hindeutet und kein Zweifel darüber bestehen kann,
dass sich hiebei sämmtliche Schichten des Trommelfelles betheiligen.
Die künstliche Anregung dieser Regenerationsfähigkeit ist auch schon
seit der Zeit, wo unsere Disciplin noch in den Kinderschuhen steckte, viel-
fach versucht und ebenso oft wieder aufgegeben worden, aber die Ansichten
der erfahrensten Ohrenärzte über die Möglichkeit, alte Trommelfelllücken zum
Verschluss zu bringen, lauteten bis in die letzte Zeit so skeptisch, dass wir
Jüngeren wenig Lust hatten, diese mühevollen zeitraubenden Versuche wieder
aufzunehmen und den Patienten eine längere, mit Schmerzen verbundene Be-
handlung vorzuschlagen, ohne ihnen viel Aussicht auf Erfolg verheissen zu
können.
Am günstigsten äusserten sich noch Gruber und Politzer über die Chancen solcher
Versuche. Politzer erwähnt als einfachste Methode, um das Auswachsen von Narben-
TROMMELFELLERSATZ. 653
gewebe anzuregen, die schon von Wildk geübte Auffrischung der Ränder durch leichte
Touchirung mit einem auf die Sondenspitze aufgeschmolzenen Lapiskügelchen. Der Epi-
dermistiberzug des Perforationsrandes wird durch die Aetzung zerstört und eine Reaction
hervorgerufen, welche nicht selten zur Anlagerung neuen Gewebes führt.
Auf diese Weise sah Politzer Lücken von 3— 4: mm Durchmesser auf 1mm und
darunter sich verkleinern. In einem Falle wurde eine linsengrosse Oeffnung bis zur Grösse
eines Nadelstiches verengt, ohne dass durch fortgesetzte Touchirung der vollständige Ver-
schluss herbeigeführt werden konnte.
Bei diesem Verfahren, sagt Politzer, entsteht indes öfter eine reactive Entzündung
am Trommelfell, welche sich auf die Schleimhaut der Paukenhöhle fortpflanzt und die
Rückkehr längst abgelaufener Mittelohrentzündungen veranlasst.
„Gelingt es in solchen Fällen, die Secretion wieder zu beseitigen, so findet man die
Oeffnung in Folge der neuen Eiterung meist noch grösser als vorher."
Sehr eingehend hat sich Gruber mit diesem Capitel beschäftigt. Er schlägt vor, den
Perforationsrand zu ätzen, oder auch nur anzufrischen, wozu ihm namentlich die aus
englischem Pflaster angefertigten künstlichen Trommelfelle dienen, welche er für 24 Stunden
oder länger aufklebt; es entstehe hiedurch eine Hyperämie, welche sich leicht zur Ent-
zündung steigert, der Perforationsrand stösst die Epidermis ab und eine derartige, künst-
lich herbeigeführte Entzündung könne schliesslich mit Heilung der Perforation enden.
Zu dem gleichen Zwecke verwendete Gruber sein Leinentrommelfell, mit Kali-,
Natron- oder Höllensteinsalbe bestrichen.
Bei kleineren Substanzverlusten hatte Gruber mitunter Erfolg, wenn er zahlreiche
kleine Schnitte in der Länge von ^j^mm ganz nahe nebeneinander senkrecht auf den
Lückenrand führte. Bei sehr grossen oder ungünstig situirten Substanzverlusten lässt das
Verfahren meist im Stich; es erfolgt keine Gewebsneubildung darnach. — Auch die Ab-
tragung des den Substanzverlust zunächst begrenzenden Trommelfellgewebes in der Breite
von ^l^mm hat Gruber theils mit schneidenden Instrumenten, theils mit dem galvano-
kaustischen Brenner versucht und mitunter einen befriedigenden Erfolg erzielt; dabei ver-
schweigt aber Gruber nicht, dass der Wiederersatz eines grösseren Substanzverlustes im
Trommelfell durch eine membranöse Narbe nur sehr schwer erreicht werden kann, und
empfiehlt den Ohrenärzten, diesen Umstand im Auge zu behalten, um nicht nach langen
Mühen und vielfachen — durch schmerzhafte Eingriffe verursachten — Leiden des Kranken
schliesslich bedauern zu müssen, eine solche Behandlung unternommen zu haben; er hält
es für rathsam, vor Allem die Anwendung des künstlichen Trommelfells zu versuchen.
Viel absprechender ist das Urtheil Schwartze's: Nach ihm bleibt das Aetzen der
Ränder mit Lapis gewöhnlich erfolglos und hält er es oft für schädlich, weil sich nach
Ablauf der entzündlichen Reaction und Eiterung der Defect oft vergrössert zeigt.
Wie Politzer sah auch er keinen Erfolg von den multiplen Scarificationen der Per-
forationsränder.
Mehr Aussicht, wenn der Defect nicht zu gross ist, sieht Schwartze in der Aetzung
mit dem Galvanokauter, oder in der Abtragung der callösen oder verkalkten Ränder mit
dem Messer.
Doch gibt auch er zu bedenken, dass durch derartige Eingriffe die vielleicht mit
vieler Mühe geheilte Eiterung wieder hervorgerufen wird, dieselben daher nur bei der
Möglichkeit einer längeren, sorgsamen Nachbehandlung zulässig sind.
1895 th eilte nun Dr. Okuneff in Petersburg mit, dass er eine Anzalil
chronischer eitriger Mittelohrenentzündungen mit Trichloressigsäure
behandelt und durch consequent durchgeführte Curen mit Aetzungen der Per-
forationsränder sehr häufig die Vernarbung alter Lücken erreicht habe.
Die Richtigkeit dieser überraschenden Mittheilung konnte ich auf Grund
meiner Versuche vollinhaltlich bestätigen, und seither wird die Zuverlässig-
keit der Methode allgemein anerkannt.
Die Anwendung der Trichloressigsäure im Mittelohr ist eine
sehr einfache, und wenngleich ziemlich schmerzhaft, so doch vollkommen
ungefährlich.
Die Bepinselung mit 10 — 207oiger Cocainlösung, oder noch besser das
Andrücken eines mit dieser Lösung getränkten Wattebäuschchens, worauf
nach 5, besser nach 10 Minuten geätzt werden kann, setzt die Schmerzhaftig-
keit des Verfahrens sehr herab, ohne sie aber immer ganz aufzuheben.
Die Application der Säure geschieht am einfachsten in der Art, dass
man das Ende einer dünnen Sonde mit einigen Wattefäden umwickelt und
diese mit der zerflossenen Säure tränkt; mit diesem Sondenende bestreicht
man den vorher durch Reinigung des Ohres und gute Beleuchtung deutlich
eingestellten Perforationsrand.
654 TßOMMELFELLERSATZ.
Eine Dachträgliche Ausspülung des Gehörganges mit lauwarmer physio-
logischer Kochsalzlösung ist nur bei extremer Schmerzhaftigkeit nothwendig,
eine solche dauert übrigens selten länger als 10 Minuten. Nach dem Aetzen
bedeckt sich der Lückenrand sowie die etwa mitgetroffene Schleimhaut der
Paukenhöhle mit einem schneeweissen Schorf. Die Reaction ist meistens sehr
gering; nur selten tritt Eiterung ein, die übrigens die Vernarbung zu be-
schleunigen scheint und immer gutartigen Charakters ist; sie sistirt nach
wenigen Ausspülungen und Borsäureeinblasungen. Die Verkleinerung der
Lücke erfolgt manchesmal rapid, besonders in den Fällen, wo die Aetzung
von stärkerer Entzündung gefolgt ist, häufiger erst nach mehreren, nach fünf
bis zehn in wöchentlichen Intervallen vorgenommenen Aetzungen.
Oefters bildet sich eine concentrische Kruste, die man bei den Aetzungen
nicht abheben darf; sie breitet sich immer mehr aus, verschliesst endlich die
Lücke und wenn man sie dann vorsichtig entfernt, ist die Perforation ver-
wachsen oder sehr verkleinert.
Die Aetzungen sind bei allen alten Trommelfelllücken indicirt, da weder
Lage, noch Grösse derselben, ebensowenig wie das Alter der Patienten dem
Erfolge entgegenstehen. Es vernarben, auch bei Personen über die Fünfzig
hinaus, grosse Lücken oft ziemlich rasch, während manchmal kleine Löcher
nicht zum Verschluss zu bringen sind; man darf auch daher dem Patienten
die Vernarbung nie als sicher in Aussicht stellen. Das Auswachsen des
neuen Gewebes scheint mir besonders von der oberen Trommelfellhälfte herab
stattzufinden.
Oefters sieht man nach einigen Aetzungen einen Stillstand, der dann
nach einer weiteren Aetzung in ein rapides Tempo der Vernarbung übergeht,
besonders wenn mit dem Aetzmittel gewechselt wird. Verf. hat schon in
seiner ersten Publication über dieses Thema der Vermuthung Ausdruck ge-
geben, dass auch andere Aetzmittel dem gleichen Zwecke dienen könnten, und
hat den Liquor ferri sesquichlorati als sehr verwendbar hiezu befunden.
Schwer reagiren verkalkte Trommelfelle, bei atrophischen muss man auf
Vergrösserung der Lücke durch die Aetzung gefasst sein, doch kann selbst
da wieder Verkleinerung und Vernarbung erreicht werden, Verf. ist es ge-
lungen, die Vernarbung auch bei fast vollständiger Zerstörung des Trommel-
felles zu erreichen; es fällt dabei wenig ins Gewicht, ob der Hammergrifi
ganz oder nur zum Theil erhalten ist. Interessant ist das Aussehen des
Trommelfelles nach der Vernarbung; an Stelle der Perforation sieht man
meistens eine mehr weniger derbe, graue, getrübte Membran, welche ohne
deutliche Grenze in das übrige Trommelfell übergeht, erst nach längerer Zeit
differenzirt sich das bekannte Bild der Narbe, die von der Umgebung sich
abgrenzt. ■
Die Dauer der Behandlung ist eine ziemlich lange, da die Aetzungen
nur in Intervallen von acht Tagen vorgenommen werden sollen; öfters dürften
sie kaum gut thun. So kann es bis zur Vernarbung vier Wochen bis einige
Monate dauern; da aber die Untersuchung in den Intervallen nur selten er-
forderlich ist, beansprucht eine solche Behandlung trotzdem nur eine geringe
Visitenanzahl.
Wird die angestrebte Vernarbung erreicht, was sicher in mehr als der
Hälfte der Fälle möglich ist, dann werden die Patienten für die überstandenen
Schmerzen reichlich durch das gebesserte Gehör, oft durch das Sistiren der
subjectiven Geräusche entschädigt. Geradezu glänzende Hörverbesserungen
habe ich an Fällen erzielt, wo Adhäsionen der Perforationsränder mit der inneren
Paukenhöhlenwand bestanden; dieselben wurden mit dem Synechotom frei
gemacht, erst dann wurde geätzt, und bei der raschen Verkleinerung der Lücke
war die Wiederverwachsung der Synechien leicht zu verhindern.
TROMMELFELLERSATZ.
655
Geringeren Werth für das Hörvermögen wird der Verschluss der Lücke haben,
wenn die Continuität der Kette der Gehörlinöchelchen unterbrochen ist; doch
Fig. 1.
51 jähr. Jt'rau, eitörmige
Oestruction der vorderen
Trommelfellhälfte mit
Adhäsion des Hammers.
Laute Sprache nur beim
Hineinschreien. Nach Bil-
dung einer frei beweg-
lichen Narbe Flüster-
eprache 14 m.
FiK
26jähr. Mädchen. Per-
foration nach Otitis -
media supp. chron. Nar-
biger Verschluss nach .5
Aetzungen. Hörverbes-
serung von 15 auf Zi cm
f. d. Uhr.
29jähr. Musiker, grosse
Perforation nach Ma-
sern-Otitis. Vernarbung
nach 8 Aetzungen. Hör-
verbesserung von a. c.
auf 3 cm f. d. Uhr.
Fig. 5.
28jähr. Mann Perforation
nach Masern-Otitis. Ver-
narbung nach 9 Aetzun-
gen. Hörverbesserung
von 13 cm auf 51 cm f.
d. Uhr.
Gjähr. Knabe, Destruc-
tion des linken Trommel-
felles seit dem 1 Lebens-
jahre nach Grippe- Otitis.
Vollständ ige Vernarbung
nach 7 Aetzungen inner-
halb 4 Monaten. Hör-
verbesserung von 2 cm
auf 45 cm f. d. Uhr.
kann die Vernarbung auch in solchen Fällen angestrebt werden, da hiedurch
das Mittelohr vor Infectionen und dem neuerlichen Entstehen von Entzün-
dungen bewahrt wird und dieser Abschluss der Paukenhöhle gegen äussere
Schädlichkeiten immerhin eine werthvolle therapeutische Leistung darstellt.
Unter Umständen kann der narbige Verschluss einer grossen Lücke, auch
beim Fortbestehen von Adhaesionen, dadurch Vortheil bringen, dass die To-
leranz gegen künstliche Trommelfelle erhöht wird.
Weniger Erfolge können der sogenannten Myringoplastik nachgerühmt
werden, einer Methode, bei welcher lebendes Gewebe behufs Anheilung an
den Trommelfelldefect gebracht wird. Berthold empfahl, nach dem Versiegen
der Eiterung den Perforationsrand durch Aufkleben eines Stückchens Englisch-
Pjflaster und späteres (nach drei Tagen) Herunterreissen desselben den Per-
forationsrand wund zu machen und darüber ein frisch ausgeschnittenes Stück
Haut vom Oberarm zu adaptiren.
Später empfahl er statt der menschlichen Dermis die Schalenhaut vom
frischgelegten Hühnerei, die, wie Haug angab, mit der Schalenseite dem
Trommelfell aufgepflanzt werden muss, wenn Verwachsung erzielt werden soll.
Hier macht Beethold den Perforationsrand durch Abschaben des Epithels
mittelst eines feinen Messerchens wund; das mit der Pincette an Ort und
Stelle gebrachte Eihautstück kann mit Hilfe der Sonde genau über die Lücke
geschoben werden.
656 TROMMELFELLEESATZ.
Berthold glaubt, dass die Eihaut als Gruudmembran für die in sie
einwandernden Zellen und Blutgefässe dient und vollständig resorbirt wird,
nachdem sie diese ihre Schuldigkeit gethan hat.
Da Beethold von der Eihaut nur bei kleinen und mittelgrossen Per-
forationen Erfolg sah, empfahl er für grössere Lücken, oder für solche mit
ungünstig beschaffenen Bändern die Transplantation von Haut auf die granu-
lirende Schleimhaut der Paukenhöhle. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass
die Implantation von Epidermis in die Paukenhöhle, wenn sie gelingt, durch
die Gefahr der Cholesteatombildung bedenklich werden könnte.
Die Methoden von Berthold haben übrigens, wie es scheint, wenig
Anklang bei den Ohrenärzten gefunden, und es ist noch immer das künst-
liche Trommelfell als Mittel zur Hörverbesserung bei persistenten Lücken
favorisirt; es wird die Trichloressigsäurebehandlung dazu berufen sein, den
Gebrauch des künstlichen Trommelfelles einzuschränken und für die
Fälle aufzusparen, bei denen es das souveräne Mittel zur Hörverbesserung
darstellt.
Ursprünglich als Häutchen gedacht, welches die Trommelfelllücke ver-
schliessen sollte, hat diese Prothese im Laufe der Zeit die verschiedensten
Formen — ganz abgesehen von dem immer wechselnden Materiale — ange-
nommen. Plättchen, Kügelchen, stumpf konische, ja flach prismatische Pro-
thesen, theils für sich, theils in Verbindung mit Röhrchen, Drähten und
Zängelchen, ferner Aufschichtungen dicklicher Flüssigkeiten sowie pulver-
förmiger Medicamente wurden gewählt.
Die Idee, Lücken des Trommelfelles durch Prothesen zu schliessen,
datirt schon ins 17. Jahrhundert zurück, wo Banzer dazu ein Eöhrchen aus
Elenklau empfahl, das er an einem Ende mit thierischer Blase überzog.
1763 machte Leschevin den gleichen Vorschlag und im Beginne unseres
Jahrhunderts lenkte Auteneieth wieder die Aufmerksamkeit auf dieses
Thema, ohne mit seinem künstlichen Trommelfelle etwas Neuartiges zu
bieten. Wenn auch Lincke, der die Röhrchen aus dünnem Silber oder Gold-
blech herstellen Hess, angibt, gute Erfolge davon gesehen zu haben, so dürfte
das Tragen dieser Prothesen im Grossen und Ganzen doch recht beschwerlich
gewesen sein.
Ein grosser Fortschritt war zu verzeichnen, als der Londoner Ohrenarzt
James Yeaesley die Einführung einer Wattekugel bis an die Trommelfell-
lücke empfahl, eine Form des künstlichen Trommelfelles, die noch heute zu
den wirkungsvollsten gehört.
Auf diese Idee ward Yearslet durch einen Patienten gebracht, der an
beiden Ohren Zerstörungen der Trommelfelle aufwies und sich das Gehör
durch einen Papierpropf bessern konnte, welchen er an einem Ende mit
Speichel befeuchtete und in den Grund des äusseren Gehörganges einschob«
Yearsley ersetzte das Papier durch eine befeuchtete Wattekugel, die er mit
Hilfe einer Sonde, oder eines Zängelchens bis an das Loch im Trommelfell
brachte. Es ist sehr anziehend, die einfache Schilderung nachzulesen, welche
dieser Autor von seinen Erfolgen bringt, und seine Freude zu sehen, einer
ganzen Reihe von Menschen den lang entbehrten Genuss wieder gegeben zu
haben, in Gesellschaft verkehren zu können; es muss ihm auch die Mühe
nachgerühmt werden, mit der er seine Patienten in der Fertigkeit unterwies,
sich das Trommelfell selbst einzuführen.
Vier Jahre später empfahl Toynbee sein künstliches Trommelfell; eine
kreisrunde, etwa 1 cm Durchmesser haltende dünne Scheibe aus vulkanisirtem
Kautschuk, im Centrum mittelst zweier feiner Silberplättchen von 2 mm Durch-
messer an einem etwa 3 cm laogen dünnen Silberdraht fest genietet, der am
TßOMMELFELLERSATZ.
657
Fig. «.
Fig. c.
Fig. d.
anderen Ende zu einem Ringe gedreht ist (Fig. a). An diesem Ringe wird das
Instrument gefasst und in den Gehörgang geschoben, bis es die Trommelfell-
lücke verschliesst; vorher muss der breite Rand so zugeschnitten werden, dass
die Membran die Gestalt bekommt, welche im Hinblick auf die Grosse der
Trommelfelllücke wünschenswerth erscheint.
Durch die handliche Form des Instrumentes, wie durch die
Autorität seines Erfinders, nicht zum Geringsten durch eine grosse
Zahl schöner Erfolge fand die Entdeckung rasch allgemeine Ver-
breitung.
Das ToYNBEE'sche Trommelfell hatte jedoch einige in die
Augen springende Nachtheile; es erregte durch die Verbindung mit
dem Stift scharrende Geräusche beim Sprechen und Kauen, reizte
durch die Niete Trommelfell und Paukenwand, musste vorsichts-
halber vor der Schlafenszeit entfernt werden und verdarb rasch.
Den letzteren Nachtheil behob theilweise die Verbesserung
von LocHNEE, die ersteren versuchten Lucae und Burckhard
Merian zu beseitigen, Ersterer, indem er die Gummiplatte an
einem dünnen Drain befestigte, wobei die Einführung mit Hilfe Künstliches
eines abgerundeten Metallstiftes vorgenommen wird, Letzterer, ^'^^"^^^^^^J^
indem er die Membran an einem soliden Gummistreifen anbrin- ''°'' °^ ^®'
gen liess.
Im Hinblicke darauf, dass Unbemittelten die öftere Beschaffung eines
ToYNBEE'schen Trommelfelles des hohen Preises wegen unmöglich ist, con-
struirte Politzer sein Trommelfell für die Armenpraxis, bestehend aus einem
prismatischen Stückchen eines starken Gummischlauches, das an einem Draht
fixirt ist (Fig. ö), und konnte demselben schöne Erfolge nachrühmen.
Eine Reihe sehr zweckmässiger
Formen des künstlichen Trommel- Kg. b.
feiles wurde construirt, als man
den Draht wegliess und die Gummi-
platte an einem Faden befestigte,
Formen, die sich ganz besonders
zur Selbstbehandlung eignen.
Toynbee hatte bei seinen ersten
Versuchen die Platte an einem
dünnen Draht befestigt, diesen
durch ein enges Röhrchen gezogen
und damit ans Trommelfell ge-
bracht; beim vorsichtigen Heraus-
ziehen dieses Röhrchens blieb das
künstliche Trommelfell in der
richtigen Lage zurück. Hinton (Fig. c) ersetzte
den Draht durch einen Faden und führte das
Trommelfell mit Hilfe eines Röhrchens oder
eines Leitungsstäbchens ein, das von Gruber
in sehr zweckmässiger Weise modificirt wurde
(Fig. d). ^
Der Faden wird durch die Oese 0 gezogen, am
Einge R fixirt, bis das Trommelfell richtig sitzt; dann
lässt man den Faden bei R los und zieht das Stäbchen
aus dem Gehörgang.
Gruber machte es ferner dadurch, dass er die Gummischeibe durch
Leinwand ersetzte, möglich, gleichzeitig medicamentöse Flüssigkeiten, Salben etc.
an die krankhaft veränderte Schleimhaut der Paukenhöhle zu bringen; ferner
construirte er eine sehr handliche Pincette zum Einführen der Faden-
Trommelfelle (Fig. e).
Ohren-, Nasen-, Eaclien-, EehlkopQcrankheiten. *-
Politzer's künstl.
Trommelfell f. d.
Armenpraxis.
Hinton's
Trommelfell-
röhrchen.
:l
Grnber's
lieitungsstäbchen
f. künstl.
Trommelfelle.
658
TROMMELFELLERSATZ.
Zängelchen
Hassenstein.
Zu erwähnen ist noch der Apparat, den Gruber seinen Kranken zur Selbstbehand-
Inno- in die Hand gibt. Er besteht aus einer Hartgummikapsel, die das Führungsstäbchen,
Seide und Gummiplatten, sowie Nähnadeln enthält; am Deckel ist ein Locheisen L zum
Ausstanzen der künstlichen Trommelfelle angebracht (Fig. /).
Die Platten aus Papier (Blake), Protective Silk (Czarda), die Gummi-
platten mit Stalilrand (Turnbull) waren wohl recht überflüssige Erfindungen.
Sehr zweckmässig im Hinblick auf die damals bestandene Anschauung,
der Druck erzeuge die Hörverbesserung, waren die Vorrichtungen, um das
YEARSLEY'sche Wattekügelchen
Fig. e. Fig. /. Fig. g. leicht ans Trommelfell bringen
und wieder entfernen zu können.
Hassenstein construirte dazu
ein sehr zart gebautes - Zän-
gelchen (Fig. g) aus Hörn oder
Edelmetall, das mit Watte ar-
mirt eingeführt wurde, um im
Gehörgange liegen zu bleiben.
Hartmann empfahl eine mit
Baumwolle umwickelte Schlinge,
hergestellt aus einem 1 bis 2m')n
breiten papierdünnen, Fischbein-
stäbchen, Delstanche einen
weichen, oben umgebogenen
und mit Watte umsponnenen Draht.
Eine originelle Idee hatte Michael.
Im Hinblicke auf die Hörverbesserung, die
bei Perforationen öfters beobachtet wird,
wenn ein Tröpfchen Wasser beim Aus-
spritzen des Ohres zurück bleibt, goss er
tropfenweise Glycerin ins Ohr, bis die
weiteste Hördistanz erreicht war; dann
träufelte er etwas Collodium nach und
liess den Patienten eine Viertelstunde
ruhig liegen. Das Collodium bildete jetzt
ein Häutchen, das vier bis acht Tage hielt; so lange soll auch die Hörver-
besserung angehalten haben. Diese Methode ist übrigens von keiner Seite
weiter empfohlen worden.
Noch hübscher liest sich das Verfahren von Guranowski, der mit einer
lO^/oigen Photoxylinlösung die Ränder der Lücke bestreicht, wartet, bis der
Anstrich trocken ist, und ihn dann wiederholt, bis die Lücke von einer Mem-
bran verschlossen ist. Guranowski fand, dass dieselbe nicht reizt, fast haftet
und Monate lang unverändert und resistent bleibt.
Im Jahre 1884 machte Kosegarten Mittheilung von ganz ausge-
zeichneten Hörverbesserungen, die er nach dem Aufblasen von Alaunpulver
dann erhielt, wenn das Pulver eine Platte bildete, welche die Lücke abschloss;
thatsächlich können diese seine Angaben vollinhaltlich bestätigt werden, da m an
bei keinem anderen künstlichen Trommelfelle so bedeutende
Hörverbesserungen zu erzielen und auch k einanderes künst-
liches Trommelfell so leicht zu adaptiren vermag. Nur ver-
wende ich jetzt mit Vorliebe dazu die Borsäure, nachdem ich Jodoform,
Jodol, Dermatol etc. etc. statt des Alauns versucht und wieder aufgegeben
hatte.
Das Pulver wird nach Einführung eines möglichst weiten Ohrtrichters,
unter Beleuchtung des Gesichtsfeldes mit dem Stirnbindenreflector, mittelst
eines GERsuNY'schen Stäubers so aufgeblasen, dass die Oberfläche der Pulver-
schichte womöglich in eine Flucht mit der Oberfläche des Trommelfelles zu
Gruber' s
Pinoette zur
Einführung
künstlicher
Trommelfelle.
Gruber's Apparat
zur Anfertigung
künstlicher
Trommelfelle.
Bei D ist der Deckel
umgekehrt ein-
geschraubt, so dass
das Locheisen frei-
steht.
TROMMELFELLERSATZ. • 659
liegen kömmt; durch Ausblasen oder Ausspritzen kann das Pulver jederzeit
leicht entfernt werden.
Auch das Marktschreierthum hat sich der Erfindung des künstlichen Trommelfelles
lt)emächtigt; die in den letzten Jahren mit aufdringlicher Reclame angepriesene „NicnoLSON'sche
Öhrtrommel" ist ein durch Verdickung und Verkürzung des Leitungsdrahtes sowie An-
fügung einer zweiten Gummiplatte verschlechtertes ToYNßEE'sches Trommelfell.]
Wie wirkt nun das künstliche Trommelfell? Yearsley, der dasselbe in
ausgedehntem Maasse verwendet hat, wagte es selbst nach siebenjähriger Be-
obachtung nicht, eine Erklärung der Wirkung zu versuchen. Totnüee fl. c.)
stellte die Theorie auf, dass durch den Verschluss der Lücke beim Auflegen
des künstlichen Trommelfelles die Resonanz der Paukenhöhle wieder her-
gestellt werde. Er meinte, dass die zum Trommelfell gelangenden Schall-
wellen nicht nur auf dem Wege der Gehörknöchelchen, sondern auch durch
directe Uebertragung auf die Luft der Trommelhöhle und von da auf die
Membran des runden Fensters zum Labyrinthe gelangen. Bei Perforationen
könnten viele Schallwellen in den Gehörgang entweichen, was nach dem A''er-
schluss durch das künstliche Trommelfell verhütet werde. Es hat sich aber
gezeigt, dass die Hörverbesserung auch erzielt wurde, wenn die Lücke im
Trommelfell nicht vollständig verschlossen war, dass also eine andere Er-
klärung gefunden werden müsse.
Nun kam Erhard mit seiner Drucktheorie. Er hatte manchmal Dis-
locationen der Gehörknöchelchen vorgefunden, wo intra vitam Schwerhörigkeit
bestanden hatte, und verfocht die Anschauung, das künstliche Trommelfell
wirke einzig und allein durch Druck auf die gelockerte Kette der Gehör-
knöchelchen, deren einzelne Theile wieder fester an einander gepresst würden;
Politzer und Hassenstein schlössen sich dieser Meinung auch theilweise an,
Politzer betonte ferner, dass die Besserung beim Anlegen des künstlichen
Trommelfelles auch dadurch entstehen könne, dass die durch die Perforation
ausfallende Trommelfellfläche wiederersetzt wird und so wieder mehr Schall-
wellen zugeführt werden, dann dadurch, dass die unregelmässigen Schwin-
gungsknoten, die an perforirten Membranen entstehen, beseitigt werden. Frei-
lich kann man diesen letzteren Grund dort, wo Destruction des Trommel-
felles bestand, nicht gut ins Treffen führen. Sehr bemerkenswerth ist aber
das Argument Politzer's, das auf exactem Experiment beruht, dass das künst-
liche Trommelfell von Toynbee als schwingende Platte eine erhebliche Menge
von Vibrationen auf eines der Gehörknöchelchen übertragen und so die Hör-
verbesserung erzeugen könne.
Diesen Theorien fügte noch Lucae auf Grund eines Leichenexperimentes
die hinzu, dass es die Drucksteigerung im Labyrinthe sei, welche beim An-
legen des künstlichen Trommelfelles die Hörverbesserung bedinge; eine Theorie,
der auch Moos zustimmte.
Damit sollte die physiologische Erklärung für Erhard's Drucktheorie
erbracht sein; aber schon Knapp sprach die von Politzer mitgetheilte und
als treffend gekennzeichnete Vermuthung aus, dass durch den Druck des
künstlichen Trommelfelles auf den processus brevis die nach innen gedrängte
Kette der Gehörknöchelchen in eine normalere Stellung gebracht wird, was
der Theorie Lucae's direct widerspricht. Dieselbe ist übrigens auch von
anderer autoritativer Seite (Politzer) derzeit noch nicht anerkannt.
Wenn wir Anfangs die Indication für den Gebi'auch des künstlichen
Trommelfelles in weiterem Sinne besprachen, so können wir jetzt, nach Dar-
legung des Wesens und der Wirkung des künstlichen Trommelfelles, auf die
speciellenlndicationen seiner Anwendung eingehen. Der Enthusiasmus, welcher
jahrelang die Arbeiten über das künstliche Trommelfell begleitete, ist längst
verflogen und man kann ruhig behaupten, dass das künstliche Trommelfell
jetzt nicht mehr in dem ausgedehnten Maasse verwendet wird, wie in den
ersten Jahrzehnten nach der Popularisirung durch Yearslet.
42*
660 • TROMMELFELLERSATZ.
Sicher spielt hiebei der Umstand eine grosse Rolle, dass in den letzten
Jahren die Bedeutung der Ohrenkrankheiten von den praktischen Aerzten
immer mehr gewürdigt wurde und Dank den vervollkommten Behandlungs-
methoden der acuten Mittelohrentzündung die Zahl der Heilungen ohne per-
manente Lückenbildung immer mehr zunimmt. Andererseits hat es sich auch
hier gezeigt, wie sehr die segensreichsten Erfindungen durch die Misserfolge
bei ungenügender Indicationsstellung an Ansehen verlieren können. Dies wird
begreiflicher, wenn man erwägt, dass das künstliche Trommelfell auch schaden
kann. Ganz abgesehen von lästigen Geräuschen oder Schmerzen kann das
künstliche Trommelfell oft Wiederauftreten der schon versiegten, oder aber
Vermehrung einer noch bestehenden Eiterung hervorrufen. Es muss als
Regel aufgestellt werden, dass kein künstliches Trommelfell
von der Mucosa tympani, sofern dieselbe ihren schleimhaut-
artigen Charakter bewahrt hat, auf die Dauer vertragen wird.
Darin, dass dieser Thatsache bisher zu wenig Beachtung geschenkt wurde,
liegen die vielen Misserfolge. Bei der Ausheilung der mit Perforation einher-
gehenden Mittelohreiterungen verhält sich die Auskleidung der Paukenhöhle
in zweifacher Weise.
In der Mehrzahl der Fälle bewahrt dieselbe ihren Charakter als Schleim-
haut; nach dem Versiegen der Eiterung verliert sich die Röthung und
Schwellung, die Mucosa wird blass und überzieht als ein feucht glänzender,
zarter und durchsichtiger Ueberzug die knöchernen Wände der Paukenhöhle,
deren Contouren unter ihr scharf vortreten. In diesen Fällen wird jedes
künstliche Trommelfell die Eiterung wieder anfachen, sobald
es mit der Mucosa in Berührung kommt. Nur dort, wo die Perfora-
tionsstelle so weit von der inneren Paukenwand absteht, dass das künstliche
Trommelfell diese nicht berührt, darf ein Versuch damit gemacht werden.
Andererseits kann die Auskleidung der Paukenhöhle ihren Charakter als
Schleimhaut verlieren, wenn sich das Epithel der Gehörgangs- oder Trommel-
fell-Cutis in die Paukenhöhle hineinzieht, ein Ereignis, das besonders
bei den Totalperforationen, ferner bei den Lücken vorkommt, welche
bis an den Rand des Trommelfelles reichen. Bei diesen, gar nicht seltenen
Fällen präsentirt sich die Auskleidung der Paukenhöhle nach der Heilung
als eine derbere, sehnig graue, trocken glänzende Membran, die meistens die
verschiedenen Arten der künstlichen Trommelfelle vorzüglich verträgt.
Glücklicherweise ist nun diese Epidermisirung der Paukenschleimhaut
ein begleitendes Symptom gerade dort, wo das künstliche Trommelfell am
ehesten nothwendig ist, und hiemit gelangen wir zur Bezeichnung der Fälle, in
denen die Anwendung des künstlichen Trommelfelles indicirt ist.
Schon Moos hat darauf hingewiesen, dass sich der Streit über die Wirk-
samkeit des künstlichen Trommelfelles am besten an solchen Fällen entscheiden
lasse, wo der grösste Theil des Trommelfelles zerstört wurde und der Steig-
bügel isolirt ist und wo, wie Helmholtz bemerkte, das künstliche Trommel-
fell wie ein natürliches wirke.
Dann theilte Hinton mit, dass Toynbee den meisten Nutzen der künst-
lichen Trommelfelle dort sah, wo Trennung des Steigbügels vom Amboss
(Erhard 1. c), ferner partieller oder totaler Verlust des langen Amboss-
schenkels vorhanden war, und Gruber sah besonders günstige Resultate bei
Lücken im hinteren oberen Quadranten.
Die Beobachtung meiner Fälle lehrte mich nun, dass es gerade nur
eine bestimmte Gruppe von Perforationen ist, bei der eclatante, auffallende
Wirkungen vom künstlichen Trommelfell erzielt werden. Ich habe gefunden,
dass bei den meisten Perforationen, welche kleiner sind als ein Viertel des
Trommelfelles — und es ist bei diesen die Kette der Gehörknöchelchen
TROMMELFELLERSATZ. 661
meistens intact — das künstliche Trommelfell in keiner Form wesentlichen
Nutzen für das Gehör bringt.
Dagegen konnte ich mehrfach bei Patienten, die in Folge von derartiger
Durchlöcherung des Trommelfelles übersubjective Geräusche und Eingenommen-
heit des Kopfes klagten, die Beschwerden mit einem Schlage beseitigen, wenn
ich die Lücke mit der Wattekugel oder dem Hühnereihäutchen schloss.
In einer Reihe von Fällen der erwähnten Gruppe, wo die Prothese
nützt, war das Trommelfell bis auf einen schmalen Saum an der Peripherie
zerstört, der Hammergriff aber noch zum Theil oder vollständig erhalten,
und dann dem Promontorium adhärent. In einer anderen, grösseren Picihe
sass die Perforation im hinteren oberen Quadranten, oder nahm die ganze
hintere Hälfte der Membran ein. Fast immer waren der Hammergriff und
bei den Lücken in der hinteren Hälfte auch der in der Fortsetzung des
Hammergriffes liegende vordere Perforationsrand der inneren Paukenhöhlen-
wand adhärent; in allen diesen Fällen war die Nische zum ovalen Fenster
frei zugänglich. Selten hatte die Schleimhaut der Paukenhöhle an den frei-
liegenden Partien ihren Charakter bewahrt, war blass, zart oder geröthet
und gewulstet; meist war sie epidermisirt oder in Narbengewebe umgewandelt.
Ferner war in den meisten Fällen der lange Ambossschenkel zerstört, dem-
nach die Schallübertragung vom Hammer zum Steigbügel aufgehoben; nur in
der Minderzahl der Fälle war die Gehörknöchelchen-Kette complet. In einer
Anzahl der Fälle, in denen sich die Hörweite sehr bedeutend bessern Hess,
waren auch schon die Steigbügelschenkel zerstört und nur mehr die Fussplatte
vorhanden.
Immer war ein ziemlich stark in die Augen springender Abstand zwischen
der hinteren oberen Umrandung der Perforation und dem ovalen Fenster
vorhanden, so dass dort eine tiefe Nische hinter dem Hammergriffe bestand.
Dabei konnte ich Folgendes beobachten. Die geringste, aber immerhin noch
wesentliche Hörverbesserung erzielten plattenförmige Trommelfelle; viel
besser wirkten Wattekügelchen, die, mit Oel getränkt, in die oben erwähnten
Nischen eingedrückt wurden; die auffallendsten Hörverbesserungen konnte ich
nach der Einblasung von Borsäure-Pulver in diese Nische erzielen. Bei diesen
Borsäureeinblasungen konnte ich nun constatiren, dass das Aufblasen des
Pulvers auf die Nische zum runden Fenster keinen Erfolg hatte; dass ein
solcher aber sofort kam, wenn das Pulver in die Nische zum ovalen Fenster
geblasen wurde, und zwar schon wenn eine etwa 4 mm breite Pulverschichte
auflag, deren Oberfläche weder mit der Trommelfellperipherie, noch mit dem
Hammergriffe in Berührung stehen musste. Hier wirkte also die künstliche
Verbreiterung der schallauffangenden Stapesplatte.
Erhöht wurde der Effect, wenn noch mehr Pulver nachgeblasen wurde,
bis zur Ausfüllung der vom Hammergriff einerseits und vom hinteren und
oberen Perforationsrande anderseits begrenzten Nische, so dass eine Platte
gebildet wurde, die an Stelle der fehlenden Trommelfellpartie kam.
Jedesfalls werden auf diese Platte, die nach innen zu die Nische zur
fenestra ovalis erfüllt, auch Schallwellen übertragen, welche die erhaltenen
Trommelfelltheile aufgefangen haben.
Dazu kommt noch ein Punkt; wir wissen, dass dort, wo wir eine Zer-
störung des langen Ambossschenkels gefunden haben, oft der Körper des Am-
bosses noch erhalten sein kann, wie zahlreiche Befunde bei der Hammeramboss-
extraction gelehrt haben.
Hier kann die Superiorität der Wattekugel über die Gummiplatte und
des Pulvers über die Wattekugel daher kommen, dass durch Ausfüllung des
Raumes zwischen Ambossstumpf und Stapesplatte durch das Pulver ein lei-
tender Contact für Schallwellen hergestellt wird, die sich sonst nur auf dem
Wege vom Hammer zum Amboss und von diesem zum Steigbügel fort-
662 TROMMELFELLOPERATIONEN.
pflanzten. So manche dieser Fälle waren solche, welche später der Radical-
operation — der Freilegung sämmtlicher Mittelohrräumen — unterworfen
werden mussten ; doch leisteten auch dann noch Pulveraufblasungen glänzende
Dienste für die Hebung des Hörvermögens.
Schliesslich kommt noch der Zustand des anderen Gehörorganes in Be-
tracht. Ist dasselbe intact, und das Hörvermögen gut, so wird das künst-
liche Trommelfell nur dann anzuwenden sein, wenn seine Nachtheile hinter
dem Nutzen für die Hörweite zurückbleiben.
Bei dem Umstände, dass die Fortschritte der Ohrenheilkunde immer
mehr Gemeingut der praktischen Aerzte und die Behandlungsmethoden der
acuten Otitis immer mehr vereinfacht werden, ist es zu erhoffen, dass die
Fälle immer seltener vorkommen werden, welche die Anwendung künstlicher
Prothesen erfordern. b. gomperz.
Trommelfelloperationen. Indicationen. Die Paracentese der
Paukenhöhle (des Trommelfelles) ist in erster Linie indicirt bei Secretan-
sammlungen im Mittelohre, und zwar beim einfachen Mittelohrkatarrh,
wenn die Behandlung mit der Luftdouche und anderen nicht operativen
Methoden nicht binnen kurzer Zeit zur Beseitigung des Exsudates führt, oder
wenn das letztere in so grossen Massen vorhanden ist, dass seine Resorption
unwahrscheinlich ist, nicht minder auch bei höheren Fiebertemperaturen und
bei heftigen subjectiven Beschwerden; bei der acuten eiterigen Mittelohr-
entzündung hingegen, sobald die Untersuchung das Vorhandensein von
Eiter in der Paukenhöhle festgestellt hat. Ebenso muss die Paracentese zur
Herstellung einer Gegenöffnung angelegt werden, wenn bei acuter oder
chronischer Otitis media suppurativa die spontan eingetretene Perforation
eng und hochgelegen ist. Auch bei hochgradiger Schwellung und Schmerz-
haftigkeit in Folge von Myringitis erscheint die Operation zuweilen
angezeigt.
Der Trommelfellschnitt kann ferner indicirt sein bei übermässig stark
gespanntem Trommelfelle in Folge von abnormer Belastung und bei Schlaff-
heit des intacten oder vernarbten Trommelfelles mit irregulärer Beweglichkeit
der Membran. Ausserdem dient die Myringotomie als vorbereitende Operation
bei verschiedenen Eingriffen in die Paukenhöhle. Das Nähere über die Indi-
cationen für die Operation ist bei den betreffenden Sammlungen nachzu-
lesen.
Ausführung der Operation. Nachdem der Gehörgang von stören-
den Fremdkörpern, wie Cerumen- und Epidermistheilchen, mit Hilfe der Pin-
cette oder im Nothfalle mittelst einer aseptischen Spritze befreit und die
Ohrmuschel nebst ihrer Umgebung gründlich gereinigt worden ist, wird ein
unmittelbar vorher ausgekochter metallener Ohrtrichter eingeführt und das
Trommelfell mit dem Stirnspiegel bei diffusem Tageslicht oder bei Lampen-
licht möglichst hell beleuchtet. Der Kopf des Patienten muss durch einen
Gehilfen sehr sicher fixirt sein (eine Hand an die Stirn, die andere an den
Hinterkopf), weil sonst bei dem zwar rasch vorübergehenden aber lebhaften
Schmerz, welchen die Operation verursacht, ein Zucken nicht ausbleiben würde.
Narkose kann nur in Ausnahmsfällen bei sehr ängstlichen Patienten in Frage
kommen, die locale Anästhesie mit Cocain ist selbst bei Anwendung einer
20^/oig6ii Lösung ganz unzuverlässig, Aetheranaesthesie ist nicht zu em-
pfehlen.
Die Paracentesennadel muss gründlich sterilisirt sein, was am
sichersten durch Eintauchen in kochendes Wasser, in Ermangelung desselben
durch mehrmaliges Durchziehen durch die Flamme eines Streichholzes geschieht.
Auch Eintauchen in absoluten Alkohol oder in Wasserstoffsuperoxyd bewirkt
vollkommene Asepsis. In jedem Falle ist das Instrument vor dem Einschneiden
abzukühlen, beziehungsweise mit steriler Wolle abzutrocknen.
TROMMELFELLOPERATIONEN. 663
Als Einschnittsstelle für die dem Trommelfelle unter sehr genauer
Leitung des Auges langsam genäherte Spitze des Instrumentes ist der hintere
untere Quadrant als der am bequemsten gelegene und aus anatomischen
Gründen zweckmässigste zu empfehlen. Man sticht nahe dem hinteren Ilande
der Membran etwas unterhalb der Mitte desselben, keinesfalls aber höher,
ein und schneidet, um ein möglichst ausgiebiges Klaffen zu erzielen, in einer
die Radiärfasern senkrecht kreuzenden llichtung bis gegen die tiefste Stelle
des Trommelfelles (Fig. 1). Hierbei darf man nicht ausser Acht lassen, dass
das Trommelfell sehr schräg in den Gehörgang eingespannt ist, dass also das
Instrument, wenn es nicht die Membran nach der Incision alsbald wieder
verlassen soll, beim weiteren Schneiden nicht nur nach vorn und unten,
sondern auch gleichzeitig medianwärts bewegt werden muss (Fig. 2). Vor
einer möglichen aber leicht zu vermeidenden Anritzung der inneren Pauken-
höhlenwand braucht man sich nicht zu scheuen, da dieselbe ausser einer
etwas stärkeren Blutung keine üblen Folgen nach sich zu ziehen pflegt.
Fig. 1. Fig. 2.
Die Länge des Schnittes soll 2 — imw betragen und umso beträcht-
licher sein, je dicklicher das Exsudat ist. Nur bei serösem Secrete kann
allenfalls eine kleinere Oeffnung, ein blosser Einstich, genügen. Die Para-
centesennadel nach erfolgtem Einstechen mit dem vorn abgestumpften Trommel-
fellmesser zu vertauschen, wie es Schvv^artze vorzieht, ist bei einiger Uebung
nicht erforderlich, da man mit der Lanzennadel den Schnitt ebenso gut ver-
längern kann.
Zu vermeiden ist der hintere obere Quadrant, weil hinter ihm der Am-
boss und Steigbügel und die chorda tympani liegen, deren Verletzung schwere
Folgeerscheinungen nach sich ziehen könnte. Nur bei starker Auswärts-
wölbung dieser Trommelfellgegend durch Exsudat wird man vorziehen, hier
möglichst tief unten zu incidiren; doch genügt auch in solchen Fällen vielfach
ein Schnitt an der typischen Stelle im hinteren unteren Quadranten.
Der durch den Einschnitt hervorgerufene Schmerz pflegt sehr intensiv,
aber nur von kurzer Dauer zu sein. Er fehlt oder ist gering bei atrophischen
Trommelfellen und bei blasenartigen Vorwölbungen der Membran durch Ex-
sudat. Wurde die innere Paukenhöhlenwand verletzt, so kann der Schmerz
einige Stunden andauern; noch länger wird er empfunden, wenn aus Unacht-
samkeit die äussere Gehörgangswand angeritzt worden ist. Nicht selten treten
unmittelbar nach der Paracentese Schwindel, Uebelkeit und Ohnmacht
ein, Symptome, welche durch Schmerzen schon vorher geschwächte Patienten
zuweilen stundenlang in einer horizontalen Lage festhalten. Im Uebrigen
hat der Kranke fast regelmässig das willkommene Gefühl einer beträchtlichen
Erleichterung, sobald der Schnitt angelegt ist.
Das Exsudat fliesst, wenn es dünn, vorwiegend serös oder eiterig ist,
von selbst aus einer nicht allzu kleinen Oefinung aus, so dass sich weitere
Maassregeln zu seiner Entfernung nicht als nothwendig erweisen und der
Gehörgang, nachdem er ausgetrocknet worden ist, sofort verstopft werden
kann. Hingegen kommt zähes, glasiges Exsudat oft gar nicht zum Vorschein
und es bedarf dann der Lufteinblasung durch den Katheter oder mit Hilfe
664 .TROMMELFELLOPERATIONEN.
des PoLiTZER'schen Verfahrens, um es zu lockern und soweit möglich aus
der Paukenhöhle herauszuschleudern. Doch genügt auch dieses Vorgehen
oft nicht, und es müssen dann Durchspülungen mit warmer ^l^^l^iger Kochsalz-
lösung durch die Tube und vom Gehörgange aus vorgenommen werden, ja
zuweilen bleibt nichts übrig, als die fadenziehenden, klebrigen Schleimmassen
mit einer Pincette geradezu herauszupräpariren.
Durchspülungen der Paukenhöhle auch bei serös-schleimigem Exsudate
vorzunehmen, ist nicht zweckmässig, weil sonst leicht in P'olge des mecha-
nischen Reizes und vielleicht durch Infection Entzündungen eintreten; wie
denn überhaupt nach vollzogener Operation möglichst wenig an dem Ohre
manipulirt werden sollte. Aus diesem Grunde sind auch alle Vorrichtungen,
welche das Aussaugen des Secretes aus der Oeffnung bezwecken, gefährlich,
und man wird sie umso weniger anzuwenden geneigt sein, als sie nur in den
Fällen, in welchen das Exsudat ohnehin leicht aus der Paukenhöhle entweicht,
wirksam sein könnten.
Die Blutung ist in der Regel ganz unbedeutend, und oft sammelt sich
kaum ein Tropfen am Trommelfelle an, um dann einzutrocknen. Besteht eine
beträchtliche Hyperämie, wie es bei der eitrigen Mittelohrentzündung nicht
selten ist, so kann das Blut den Gehörgang immerhin anfüllen und selbst
etwas abtropfen. Starke Hämorrhagien sind nur in vereinzelten Fällen beob-
achtet worden, die stärksten in Fällen, bei welchen in Folge einer Lücken-
haftigkeit des Paukenhöhlenbodens der bulbus venae jugularis verletzt wor-
den war.
Die Nachbehandlung wird bei serös-schleimigem und nicht copiösem,
eitrigem Exsudate am besten in der Weise gehandhabt, dass, nachdem un-
mittelbar nach der Operation das aus der Oeffnung ausgetretene Secret durch
Wattebäusche aufgetupft und das Trommelfell genau besichtigt wurde, ein
etwa 10 cm langer und 1 cm breiter Streifen von sterilisirter Gaze bis an das
Trommelfell eingeführt wird. Derselbe ist nach 12 oder 24 Stunden zu er-
neuern, je nachdem er in grosser oder geringer Ausdehnung mit Flüssigkeit
durchtränkt erscheint. Bei zäherem Exsudate kann es nothwendig sein,
zunächst einmal am Tage die Luftdouche anzuwenden, damit der Schleim
besser gelockert wird ; jedoch sollte man mit diesem Verfahren mit Rücksicht
auf die Möglichkeit einer Infection äusserst sparsam sein. Grundsätzlich die
Luftdouche zu perhorresciren, ist andrerseits nicht am Platze, weil sie gegen-
über dem ohne ihr Hinzutreten leicht möglichen Zurückbleiben des Exsudates
in der Paukenhöhle oft das kleinere Uebel bedeutet. Ausspritzungen sind
bei nicht eitrigem Secrete streng zu vermeiden, womöglich auch zu unter-
lassen, wenn es sich um eine Otitis media suppurativa mit reichlichem Exsudate
handelt. In jedem Falle ist das Ohr mit Watte oder Gaze zu verschliessen,
und der Patient sollte in den ersten drei Tagen nach der Operation das Bett
nicht verlassen.
Sollte es zu einer abermaligen Exsudation kommen, nachdem die In-
cision bereits geheilt war, so muss die Operation unter Umständen wieder-
holt werden. Leider gelingt es nämlich sehr selten, wofern nicht eine eitrige
Entzündung besteht, den Schnitt längere Zeit offen zu halten; alle zu diesem
Zwecke empfohlenen Maassregeln, wie Einlegung von Fremdkörpern, können
es nicht verhindern, dass binnen wenigen Tagen die Ränder bereits verklebt
sind. Etwas länger hält sich die Paracentesenstelle offen, wenn die Operation
auf galvanokaustischem Wege ausgeführt wird, was grosse Sicherheit
und sehr gute, rasch zur Weissgluth kommende Brenner erfordert und nur
bei dicklichen Exsudatmassen geschehen darf.
Trotz sorgsamer Beachtung aller auf ein aseptisches Vorgehen gerich-
teter Maassregeln ereignet es sich zuweilen, dass eine Paracentese von einer
reactiven Entzündung gefolgt wird. Dieselbe tritt meist am dritten Tage
TROMMELFELLOPERATIONEN. 665
unter erneuten Schmerzen und unter Temperatursteigerung ein und hält
mehrere Tage, bei unzweckmässiger oder fehlender Behandlung aber länger
an. Ihre Entstehung dürfte meist auf eine eingetrete Jnfection zurückzuführen
sein, welche vom Gehörgange oder von der Tube her stattfinden kann, und es
werden besonders diejenigen Fälle von der Entzündung befallen, in welchen
Injectionen per tubam vorgenommen werden. Offenbar handelt es sich um
die Verschleppung von Mikroorganismen aus der Tuba in die Paukenhöhle.
Dieselbe kann auch beim Gebrauche der Luftdouche erfolgen, obwohl sie hier
nicht häufiger ist als in den ganz ohne Lufteinblasungen behandelten Fällen.
IL Mehrfache Diirchschiieiduiig des Trommelfelles. {Myrinfjotomia
multiplex). Indicationen: Die mehrfache Durchschneidung des Trommel-
felles wurde namentlich von Grüber empfohlen bei übermässiger Spannung
des Trommelfelles; sie kann auch bei abnormer Erschlaffung versucht werden.
Ausführung der Operation. Die Operation wird analog der Para-
centese ausgeführt, indem in der unteren Hälfte der Membran 4—5 oder
mehr Schnitte neben einander oder in sich kreuzenden Richtungen '^nach
Geuber auch in Form eines H) angelegt werden. Die Blutung ist meist
gering, der Schmerz oft recht lebhaft.
Zur Nachbehandlung ist ausser der Verstopfung des Ohres mit Gaze
nichts erforderlich. Der Kranke soll sich einige Tage ruhig halten, braucht
aber nicht unbedingt im Bette zu liegen.
Der Erfolg der multiplen Myringotomie ist leider in den meisten Fällen
ein wenig befriedigender und vor der Ausführung der Operation niemals auch
nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu bestimmen. Die Fälle von
Erschlaffung des Trommelfelles bieten etwas bessere Aussichten als jene von
abnormer Spannung der Membran.
III. Durchschneidimg der hinteren Trommelfellfalte (Plicotomia;
Ptychotomia). Indicationen: Die von Lucae zuerst ausgeführte Operation
soll die Beweglichkeit des Hammers, welche durch eine starke Anspannung
der hinteren Falte, nicht aber durch Adhäsivprocesse herabgesetzt ist, wieder
herstellen, ist also indicirt bei chronischem Mittelohrkatarrh und seinen Folge-
zuständen, wenn die hintere Falte sehr stark hervorspringt und der Hammer
bei beweglichem Trommelfelle verkürzt erscheint.
Ausführung der Operation: Der Schnitt wird dicht hinter dem
kurzen Fortsatze in der Pachtung von oben nach unten mit der Paracentesen-
nadel ausgeführt, die ganze Höhe der Falte durchziehend. Anstatt der Nadel
kann man auch ein spitzes Trommelfellmesser verwenden. Die Verlegung
der Incision nach Politzer's Vorschlage auf den hinteren Theil der Falte
erscheint mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer Verletzung des Ambosses,
des Steigbügels oder der chorda tympani nicht zweckmässig.
Der Erfolg stellt sich in Form einer subjectiven Erleichterung, wenn er
überhaupt eintritt, sofort nach der Operation ein, ist aber niemals von Dauer.
IV. Durchschneidmig des Ligamentum mallei anterius. Indica-
tionen: Die von Politzer angegebene Operation hat dieselbe Indication wie
die Plicotomie, wird also bei retrahirtem, aber nicht mit der inneren Pauken-
höhlenwand verwachsenem Hammergriffe ausgeführt.
Ausführung der Operation: Es wird die vordere Trommelfellfalte
dicht vor dem kurzen Fortsatze mit der Paracentesennadel von oben nach
unten durchschnitten und ein vorn abgestumpftes Trommelfellmesser durch
die Incisionsstelle 2 mm tief in die Paukenhöhle eingeführt, um unter sägen-
den Bewegungen in der Richtung von unten nach oben das Band zu durch-
trennen.
Die Resultate der Operation sind nicht günstiger als die der Plicotomie,
und auch die Combination beider Eingriffe erweist sich als wirkungslos auf
längere Dauer.
666 TROMMELFELLVEKLETZUNGEN.
V. Aussclmeiduiig eines Tlieiles des Trommelfelles (Myringedomie).
Indication: Gruber, welcher diese Operation neuerdings wieder aufgenommen
hat, hält sie für angezeigt bei unheilbarer Atresie der Eustachischen Röhre,
bei Verdickung und Verkalkung und bei schlaöen Narben des Trommelfelles.
Ausserdem wird zu diagnostischen Zwecken der hintre-obere Quadrant excidirt,
wenn die Beweglichkeit des Steigbügels direct geprüft werden soll.
Ausführung der Operation. Die Operation kann nach Anlegung
einer einfachen Incision mit Hilfe eines abgerundeten Trommelfellmessers aus-
geführt werden, und diese Methode dürfte bei der zuletzt erwähnten Indica-
tion den Vorzug verdienen. Gruber emptiehlt ausschliesslich die Anwendung
des Galvanokauters, dessen Glühende er je nach Grösse und Form des zu ent-
fernenden Stückes zurechtbiegt. Während des Erglühens des kalt gegen das
Trommelfell eingeführten Brenners soll der Patient den VALSALVA'schen" Ver-
such machen oder ein Assistent die Luftdouche ausführen, damit das Trommel-
fell möglichst weit von der inneren Paukenhöhlenwand abgehoben wird. Der
Schmerz ist heftig, aber meist rasch vorübergehend; Blutung erfolgt nicht.
Der Erfolg der Operation ist zuweilen momentan sehr wohl nachweisbar,
schwindet aber in der Regel bald, meist in 14 Tagen, mit der Wieder-
verwachsung der geschaffenen Lücke.
Aehnlich ist der Effect der Umschneidung des Hammergriffes,
welche nach Anlegung einer Incision dicht vor dem Manubrium, etwa in
dessen Mitte, mittelst eines Trommelfellmessers ausgeführt wird und bis etwas
über das schaufeiförmige Ende des Griffes hinaufreichen soll. Der Erfolg
bleibt natürlich aus, wenn der Umbo mit der Promontoriumwand ver-
wachsen ist.
Ueber die weiteren Eingriffe, welche zur Vorbereitung einer intratym-
panalen Operation dienen, ist in den einschlägigen Capiteln nachzulesen.
BtJRKNER.
Trommelfellverletzungen. Das Trommelfell, welches den äusseren
Gehörgang gegen die Trommelhöhle hin abschliesst, ist nicht eine straff ge-
spannte Membran, sondern hat eine gewisse Latitude zur Lageveränderung,
welche unter normalen Verhältnissen zum guten Hören, zur vollkommenen
Function des Gehörorgans unentbehrlich ist; diese Fähigkeit zur Lageverän-
derung wird durch den musculus tensor tympani unter dem Einflüsse unseres
Willens bei gewissen Toneindrücken hervorgerufen, wir sind im Stande, beim
Lauschen oder bei der Perception feinerer Töne unser Trommelfell bis zu
einem gewissen Grade in straffere Spannung zu versetzen und ebenso können
wir durch das Erschlaffen des musculus tensor tympani eine gewisse Er-
schlaffung des Trommelfelles hervorbringen, was immer bei Einwirkung grösserer
Schallwellen geschieht. Aber auch abgesehen von der Function des Trommel-
fellspanners, können wir das Ausweichen des Trommelfells bei mechanischer
Einwirkung constatiren; das Trommelfell kann gegen die Trommelhöhle sich
eimvärts wölben, wenn die atmosphärische Luft, die wir durch die Tuba bei
jedem Athemzug in die Trommelhöhle befördern, in Folge Unwegsamkeit der
Tuba sich nicht in der Trommelhöhle erneuern kann, und in Folge dessen der
Luftdruck von aussen her, ohne Widerstand von der Trommelhöhle her zu
finden, das Trommelfell aus seiner Lage verdrängt und nach der Trommel-
höhle hin wölbt.
Diese Beweglichkeit des Trommelfells ist nicht nur für das normale
Hören erforderlich, sie ist auch eine Schutzvorrichtung gegen Verletzungen
des Trommelfells, welche ohne Zweifel bei grösseren Schalleindrücken ohne
dieselbe eintreten würden, ebenso würden Menschen, die sich in Räumlich-^
keiten begeben, in welchen mehrere Atmosphären Luftdruck sich vorfinden,
ohne diese Accommodationsfähigkeit des Trommelfells an demselben Ver-
letzungen erleiden.
TROMMELFELLVERLETZUNGEN. 667
Die Trommelfellverletzungen können nach dem Vorangesagten durch
abnorme Luftdruckschwankungen oder durch Einwirkung mechanischer Noces
entstehen.
Verletzungen des Trommelfells durch Luftdruckschwankungen entstehen
vor allem sehr häufig von aussen her, und zwar immer, wenn die Luftsäule,
Avelche den äusseren Gehörgang ausfüllt, durch mechanische Einwirkung un-
erw^arteter Weise zusammengepresst unter grösserem Drucke das Trommelfell
aus seiner Lage drängt; dies geschieht, wenn die flache Hand plötzlich in
heftiger Weise das Ohr, das heisst die Ohröffnung trifft; wir sehen Ver-
letzungen des Trommelfells auf diese Weise entstanden durch Ohrfeigen,
beim Abfeuern von Schiessgewehren in unmittelbarer Nähe des Ohres, auch
kann ein derartiges Zusammenpressen der Luftsäule durch einen Kuss auf die
Ohröffnung erfolgen und hiedurch eine Trommelfellverletzung entstehen.
Verletzungen des Trommelfells können auch entstehen, wenn ein grösserer
Luftdruck durch die Tuba in die Trommelhöhle eindringt; so kann durch
Schneuzen der Nase das Trommelfell verletzt werden, bei tussis convulsiva
treten oft Blutungen aus dem Ohre auf, welche ebenfalls auf diese Weise
ihre Erklärung finden. Bei Anwendung der Luftdouche, gebrauche man nun
das PoLiTZEE'sche und GRUBEß'sche Verfahren oder verwende man zu diesem
Zwecke den Katheter, kann es bei gewissen krankhaften Veränderungen
geschehen, dass das Trommelfell verletzt wird.
Die Verletzungen, welche durch Luftdruckschwankungen im Trommelfell
entstehen, sind gewöhnlich lineare senkrechte Risse, parallel mit dem hinteren
Rande des Hammergriffes am hintern obern Quadranten des Trommelfells, in-
dessen kann es geschehen, w^enn die Einwirkung sehr vehement ist oder wenn
ein schon krankhaft verändertes Trommelfell getroffen wird, dass runde eckige
Risse in grösserer Ausdehnung erfolgen.
Die Verletzung des Trommelfells dringt durch alle Schichten desselben,
es entsteht eine lineare oder runde Oeffnung, welche von aussen her in die
Trommelhöhle führt, es werden auch die Gefässe des Trommelfells entzwei
gerissen, wodurch mehr minder namhafte Blutungen entstehen, die sowohl
gegen die Oliröffnung als auch gegen die Trommelhöhle sich ergiessen. Nach
Verlauf von einigen Tagen, besonders bei Verletzungen in grösserer Form,
tritt auch Eiterung auf, die Entzündung setzt sich in die Schleimhaut der
Trommelhöhle fort und es kann auf diese Weise Otitis media purulenta ent-
stehen.
In forensischer Beziehung sind die Verletzungen des Trommelfells sehr
häufig Gegenstand ärztlicher Begutachtung. Durch Ohrfeigen sind häufig sehr
ernste Folgen im Gehörorgan aufgetreten, insbesonders kann dies bei kleinen
Kindern geschehen, dass nicht nur das Trommelfell einreisst und Blutung in
die Trommelhöhle erfolgt, es kann auch eine Luxation in den Gelenken der
Gehörknöchelchen entstehen, es kann die Steigbügelplatte brechen und es
kann Entzündung im Labyrinthe oder Blutung in demselben erfolgen, das
sind Zustände von sehr ernster Natur, indem totale Taubheit sich einstellen
oder derartige Erkrankungen des Gehörorganes auftreten, welche zu Caries des
Felsenbeins, Gehirnerkrankung und zum letalen Ausgange führen.
Andererseits kommt es sehr häufig vor, dass Verletzungen des Trommel-
fells in einigen Tagen heilen und das Gehörvermögen entweder gar nicht
leidet oder in kurzer Zeit wieder das normale Maass erreicht.
Die Erscheinungen, worüber die Betreflenden klagen, sind Schwindel,
Summen im Ohre und Schwerhörigkeit, auch führen sie gewöhnlich an, dass
Blut sich in der Ohröffnung zeigte.
Bei der Untersuchung finden wir im äusseren Gehörgange eingetrock-
netes oder flüssiges Blut, in manchen Fällen Eiter, nach Reinigung des Gehör-
ganges sehen wir das Trommelfell geröthet, mehr nach der Trommelhöhle zu
668 TUBERCULOSIS LARYNGIS.
gesunken, wir finden entweder den linearen Riss oder Perforationen von der
Grösse eines Hirsekorns oder Hanfkorns mit zackigen Rändern. In den leich-
teren Fällen ist das Gehörvermögen entweder gar nicht oder nur im geringen
Grade vermindert, bei den tiefer dringenden Verletzungen kann das Gehör-
vermögen gänzlich fehlen, die Kranken hören weder die Uhr noch den
PoLiTZEn'schen Akumeter, sie hören nicht die Sprache, selbst ins Ohr ge-
sprochen, und von besonderer Wichtigkeit für Diagnose und Prognose die
Knochenleitung für jede Tonquelle ist negativ, ein Zeichen, dass in solchen
Fällen Zerstörungen im Labyrinthe erfolgt sind. Wir müssen zwar sehr vor-
sichtig mit unserem Urtheil einhalten, indem sehr häufig Simulation mit im
Spiele ist, indem gewöhnlich der Processweg eingeschlagen wird, und in
solchen Fällen spielt Rachsucht und noch häufiger das Trachten nach Ent-
schädigung eine wichtige Rolle; es ist gerathen, einige Tage genaue Beobach-
tung vorangehen zu lassen, bevor wir unser Gutachten abgeben.
Was die Behandlung der Trommelfellverletzungen anbelangt, so müssen
wir dieselben nach dem Grade der Verletzung handhaben; bei leichteren linearen
Verletzungen genügt es, wenn wir den äusseren Gehörgang luftdicht ver-
schliessen, kalte Umschläge auf den Processus mastoideus appliciren lassen
und für einige Tage vollkommene Ruhe und Meiden jeder lärmenden Umge-
bung empfehlen. Bei tiefer dringenden Verletzungen müssen wir streng anti-
phlogistisch vorgehen. Blutegel am Processus mastoideus ansetzen, kalte Um-
schläge auf Ohr und Kopf anwenden, und wenn nöthig, Calomel innerlich ver-
ordnen. Ist schon Eiterung aufgetreten, so ist diese mit grösster Sorgfalt zu
behandeln.
Die Verletzungen des Trommelfells, welche durch mechanische Schädlich-
keiten entstehen, können die verschiedensten Grade und Formen annehmen.
Das Trommelfell kann durch Einführen einer Stricknadel im äusseren Gehör-
gang durchlöchert werden; sehr häufig wird das Trommelfell durch unge-
schickte und unzweckmässige Extractionsversuche fremder Körper in mehr
minder ernster Weise verletzt, und ich habe schon Fälle gesehen, wo bei der-
artigem Vorgehen das Trommelfell zerstört und der fremde Körper in die
Trommelhöhle geschoben wurde.
Trommelfellverletzungen erfolgen, wenn ätzende Flüssigkeiten in den
äusseren Gehörgang gegossen werden, in solchen Fällen kann eine gänzliche
Zerstörung des Trommelfells Platz greifen und eine hochgradige Panotitis sich
einstellen. Ich habe einen Fall beobachtet, wo geschmolzenes Blei in den
Gehörgang einer Frau durch ihren Mann gegossen wurde, merkwürdigerweise
konnte ich den Bleiabguss des äusseren Gehörganges entfernen und fand das
Trommelfell wohl von Epidermis entblösst, lebhaft roth, aber in seiner Con-
tinuität intact. jül. böke.
Tuberculosis laryngis. Obwohl schon im Jahre 1819 Laennec die
Kehlkopfschwindsucht genau beschrieben und ihre tuberkulöse Natur erkannt
hatte, und auch später VmcHOw, Eppinger, Scheck u. A. dieser Ansicht bei-
stimmten, schwankten die Begriffe zwischen Tuberkulose und Entzündung bis
zum Jahre 1879, in welchem Heinze stricte Beweise ihrer tuberkulösen Natur
erbrachte und durch Sectionsbefunde und genaue mikroskopische Untersuchungen
bestätigte.
Als Ausgangspunkt und alleinige Ursache aller bei der Kehlkopfphthise
vorkommenden Veränderungen muss die tuberkulöse Infiltration der Schleim-
haut betrachtet werden.
Die tuberkulöse Infiltration wird durch Anwesenheit von
Tuberkeln im degenerirten Gewebe, resp. im Boden oder den Rändern der
Geschwüre gekennzeichnet. Indessen müssen wir auch solche Geschwüre als
tuberkulöse betrachten, die obwohl frei von typischen Tuberkeln, im Boden
TUBERCULOSIS LARYNGIS. 669
und in den Rändern isolirte oder im adenoiden Gewebe eingebettete Riesen-
zellen enthalten.
Die tuberkulöse Erkrankung tritt auf entweder in der Form von
miliaren Knötchen, die durch Zusammenfliessen eine diffuse Infiltration bilden
und durch Zerfall Geschwüre veranlassen, oder als tuberkulöse Tumoren.
Gewöhnlich ist bei chronischer Tuberkulose die Infiltration auf einen
kleinen Raum begrenzt. Seltener tritt sie an mehreren Stellen zugleich auf,
am seltensten wird der ganze Larynx auf ein Mal ergriffen, wie m
acuten Fällen manchmal beobachtet.
Die mikroskopische Untersuchung eines frischen tuberkulösen Infiltrates
zeigt uns unter dem zumeist wohlerhaltenen Epithel eine Zone, die aus
kleinen Rundzellen besteht, am dichtesten an der Grenze des Epithels auf-
tritt und in den tieferen Schichten der Schleimhaut immer spärlicher wird.
Im Bereiche dieser kleinzelligen Wucherung findet man öfters in den oberen
Schichten, seltener in den tieferen Lagen bald mehr, bald weniger zahlreiche,
circumscripte, rundliche oder ovale Herde, die theilweise ganz aus Kernen
bestehen, manchmal im Centrum oder an der Peripherie einen feinkörnigen
Detritus und Riesenzellen enthalten.
Die reticuläre Beschaffenheit und kugelartige Abgrenzung ist nur der
jüngeren Form der Tuberkeln eigen.
Die Riesenzellen sind gewöhnlich vielästig, mit deutlichen, wandständigen
Kernen. In den älteren Tuberkeln sind diese Einzelheiten kaum mehr zu
erkennen. Die lymphoiden Zellen atrophiren meist im Centrum und zerfallen
in einen feinkörnigen Detritus mit grösseren Myelin- und epithelioiden Zellen,
der allmählich das ganze Knötchen occupirt.
Bei weiterer Entwickelung des Processes nimmt die tuberkulös infiltrirte
Mucosa an Dicke zu, wird hypertrophisch und in Folge des auf den Gefässen
lastenden Druckes kommt es zu Oedemen, die an der Epiglottis und an den
Ligam. aryepiglott. am stärksten auftreten.
Die Schwellungen sind bedingt durch reactive Entzündung und durch
Eiterung. Sie tragen also einen entzündlichen Charakter und entwickeln sich
am häufigsten in der unmittelbaren Nähe der Ulceration.
Obwohl der tuberkulöse Process eine Tendenz zur Vernarbung besitzt,
die auf dem Wege der Elimination oder durch einen entzündlichen Demar-
cationsprocess eingeleitet wird, so gibt es dennoch Formen von bösartigem
Charakter, die immer Zerfall, Ulcerationen und Zerstörung des ganzen Organes
nach sich ziehen. Der Zerfall beginnt an der Oberfläche. Seine Verbreitung
und Schnelligkeit hängen ab nicht nur von seiner Localisation, von der Wider-
standsfähigkeit des Organismus, vom Kräftezustande oder zutretendem Fieber,
sondern vor Allem von der Complication des tuberkulösen Virus mit anderen
secundären, eitrigen, zuweilen selbst ichorösen Infectionen.
Damit erklärt sich die Vielfältigkeit des klinischen, wie auch anatomisch
pathologischen Bildes der Kehlkopfschwindsucht, die von sehr verschiedenen
Bedingungen beeinflusst wird.
Ueberhaupt erweisen sich bei Larynxphthise die Veränderungen und Zer-
störungen viel hochgradiger am Secirtisch als bei der laiyngoskopischen
Untersuchung. Die Larynxphthise muss daher nicht nur mit dem Spiegel,
sondern auch mit dem Scalpell in der Hand studirt werden.
Die tuberkulösen Geschwüre können eingetheilt werden in ober-
flächliche und in tiefe Substanz Verluste. Zu den ersten rechnen wir die tuber-
kulösen Erosionen und die lenticulären Geschwüre, zu den letzteren die tieferen
und kraterförmigen Ulcerationen der Mucosa.
Die tuberkulösen Geschwüre entwickeln sich in mannigfachen Formen
und verschiedener Anzahl. Zuweilen ist ihre Zahl sehr beschränkt, sie sind
bald begrenzt, bald confiuiren sie miteinander. Charakteristisch werden sie
670 TUBERCULOSIS LARYNGIS.
nach dem jetzigen Stande der Wissenschaft nur durch den Nachweis von
KocH'schen Bacillen, im Grunde oder an den Kändern des Geschwüres.
Eigene Untersuchungen belehrten mich, dass in allen tuberkulösen
Larynxulcerationen, von der kleinsten, kaum bemerkbaren Erosion bis zum
tief dringenden, kraterförmigen Substanz Verluste sich immer Kocn'sche Ba-
cillen nachweisen lassen. Manchmal finden sich Bacillen unter dem Epithel,
im submucösen Gewebe schichtenweise gelagert.
Je reicher sich Riesenzellen vorfanden, desto ärmer war das umgebende
Gewebe an Kocn'schen Bacillen, die alsdann in geringer Quantität in den
Riesenzellen selbst eingeschlossen waren. Ebenso gering erwies sich ihre Zahl
in Geschwüren, die in Vernarbung übergingen.
Lenticuläre Geschwüre finden sich am häufigsten auf der inneren
Fläche der Epiglottis oder auf den wahren Stimmbändern. Sie sind gewöhn-
lich rundlich, ihr Boden ist blass, obwohl auch solche mit hellrothen Rändern
und röthlichem Boden vorkommen. Durch Confluiren bekommen sie eine un-
regelmässige traubenartige Gestalt. Ihre Entwickelung aus zerfallenden Tu-
berkeln geht sehr schnell vor sich, zuweilen während 24 Stunden.
Die kraterförmigen Geschwüre entstehen gewöhnlich aus den
tiefer im submucösen Gewebe gelegenen und zerfallenen Tuberkeln, zu denen
sich später Eiterung und Zerfall der Schleimdrüsen hinzugesellen. Ihre Ränder
sind unregelmässig, wie angefressen, ihr Boden ungleich, härtlich infiltrirt,
granulös und mit schleimig eitrigem Secret bedeckt. Solche Geschwüre rufen,
falls sie in die Nähe des Perichondriums dringen, eine Perichondritis hervor,
die aber selten einen eitrigen Charakter annimmt. Manchmal endet der Pro-
cess mit partieller Zerstörung und Ausstossung des Processus vocalis, ohne
das Gelenk des Aryknorpels zu schädigen.
Verkalkt oder ossiticirt der Knorpel, so kommt es bei günstigem Aus-
gange zu einer echten oder falschen Anchylose des Gelenkes.
Die Perichondritis des Schildknorpels dringt öfters von innen nach
aussen durch und führt zu einer diffusen Anschwellung, die manchmal ein-
seitig bleibt. Der Eiterherd kann ebensowohl nach aussen, wie nach innen
durchbrechen. Derselbe Vorgang befällt auch den Ringknorpel, speciell seine
plattenförmige Fläche.
Nicht gerade häufig tritt die Larynxtuberkulose in der Form von
Geschwülsten auf. Sie entwickeln sich entweder solitär, scharf umschrie-
ben, oder zu Zweien oder Mehreren. Sie sind gewöhnlich rundlich, glatt, von
der Grösse einer Erbse bis zu Haselnussgrösse und bestehen aus derbem,
fibrösem Gewebe mit eingelagerten Tuberkelherden, die öfters Riesenzellen
mit spärlichen Bacillen enthalten und zur Fistelbildung führen, wird aber sehr
selten beobachiet.
Die grösseren Tumoren sitzen vorwiegend an den Taschenbändern,
seltener an den Stimmbändern oder entspringen aus den Morgagnischen Ven-
trikeln. An der hinteren Wand treten gewöhnlich nur secundäre Tumoren auf,
die von den hypertrophischen Rändern in Heilung befindlicher Geschwüre ihren
Ursprung nehmen und daher nach Schech dieser Gruppe nicht zugezählt
werden sollen.
Diese Geschwülste können im Kehlkopf auch ohne nachweisbare Lungen-
erkrankung primär auftreten, und zwar vorwiegend im jugendlichem Alter.
Sie sind fast nie ulcerirt, wachsen sehr langsam und sind von Aeiza als
selbstständige Erkrankung beschrieben worden. Schech bezeichnet als tuber-
culöse Tumoren nur solche Gebilde, bei welchen die frühere Anwesenheit
eines Geschwüres an der ergriffenen Stelle mit aller Sicherheit ausgeschlossen
werden kann.
Wir wollen noch auf eine seltene und wenig bekannte Frühform der
Larynxtuberkulose aufmerksam machen, die in der Gestalt halbkugliger, glänzend
TUBERCULOSIS LARYNGIS. 671
weisser, linsengrosser Knoten in der Gegend der Processus vocales,
am Taschenbande gewöhnlich einseitig aultritt. Diese Knötchen können län-
gere Zeit bestehen, ohne zu ulceriren.
Die mikroskopische Untersuchung der exstirpirten Knöt(;hen (HKJtYNfi)
zeigte Granulationsgewebe, das mit verdicktem Epithel bedeckt war und
typische Tuberkelconglomerate mit Riesenzellen enthielt.
Die kleineren Tuberkeltumoren sitzen häufiger an den wahren Stimm-
bändern, sind halbkuglig, von weisslicher Farbe und können im Anfang ihrer
Entwickelung, wenn sie noch sehr klein sind, mit Sängerknötchen verwechselt
werden.
Zur Differential-Diagnose mögen folgende von Castex hervorgehobene
Punkte dienen. Die Sängerknötchen haben eine konische Form, sind öfters
Symmetrisch, sitzen am Ptande des Stimmbandes, gewöhnlich solitär, die Stimm-
bänder sind fast immer normal, weiss, die Aryknorpeln sind unverändert. Sie
entstehen durch Ueberanstrengung der Stimme.
Die Tuberkelknötchen sind halbrundlich, selten symmetrisch, sitzen an
verschiedenen Stellen dQS Stimmbandes, manchmal mehrfach auf einem Stimm-
bande, das gewöhnlich etwas verdickt und geröthet ist. Die Aryknorpel sind
congestionirt, in den Lungen finden wir gewöhnlich Symptome der Tuberkulose.
Die Tuberkelknötchen sind von der Grösse eines Stecknadelkopfes bis
zu der einer Linse. Die Stimmbänder sind gewöhnlich grauröthlich, mit
geschlängelten, hyperämischen Gefässen, die sich öfters in
der Nähe des Knötchens pinselförmig ausbreiten. Bemerkenswerth
ist die Reizbarkeit solcher Stimmbänder gegen die geringsten localen Ein-
griffe. Auch die leichteste Touchirung mit dem Pinsel, sogar mit indifferenten
Mitteln, ruft eine manchmal tagelang andauernde Congestion und Schwellung
der Stimmbänder hervor.
Nicht selten tritt nach solchen Eingriffen eine reactive Entzündungszone
um die Knötchen herum, die in sehr kurzer Zeit in lenticuläre Geschwüre
zerfallen.
Die miliare Form der Tuberkulose wird überhaupt am Lebenden
seltener constatirt. Laryngoskopisch finden wir zuweilen kleine, weiss-
liche Knötchen unter dem Epithel oder unter der Schleimhaut sitzen. Am
häufigsten sind sie an den Rändern mancher Geschwüre sichtbar.
Verstopfte Schleimdrüsen-Ausführungsgänge können aber manchmal
Tuberkelknötchen simuliren, ebenso wie inselförmige Epithelverdickungen und
nekrotische epitheliale Herde.
Die Tuberkelbacillen gelangen in den Larynx am häufigsten aus der zu-
erst befallenen Lunge, und zwar durch das Secret, welches an der hinteren
Larynxwand in den Schleimhautfalten und -Buchten längere Zeit sich aufhält
und inficirend wirken kann. Die Ausführungsgänge der Schleimdrüsen, in
denen Tuberkelbacillen aufgefunden worden sind (Heryng), bilden einen we-
niger bekannten und wahrscheinlich sehr seltenen Weg der Infection. Die-
selbe wird natürlich an Stellen, die vom Epithel entblösst sind, erleichtert, aber
auch intactes Epithel stellt dem Eindringen der Tuberkelbacillen keine un-
überwindlichen Hindernisse (E. Fränkel).
Eine directe Uebertragung von ulcerirten Stellen ist von Fischer an
den Stimmbandfortsätzen angenommen worden.
Das infectiöse Material kann und wird sehr häufig mit dem Blut- und
Lymphstrom verschleppt werden, und zwar von degenerirten, käsig zerfallenen,
längere Zeit bestehenden tuberkulösen Herden. Auch ältere, fibröse entartete
tuberkulöse Herde können wieder aufbrechen und frisches Impfmaterial
liefern. Hierher gehören vor allem Erkrankungen der Hals- und Bronchial-
drüsen. Tuberkulöse Tumoren in der Nase, tuberkulös entartete adenoide
Vegetationen können längere Zeit fast symptomlos verlaufen.
672 TUBERCULOSIS LARYNGIS.
Tuberkulöse Knochen- und Gelenkaffectionen bieten ebenfalls Ursache
zur Verschleppung der Tuberkelbacillen.
Gewöhnliche chronische Larynxkatarrhe führen ohne bestehende Prädis-
position nicht zur Larynxphthise. Die Laringitis tuberculosa muss von dem
bei tuberkulösen Personen auftretenden Katarrh getrennt werden. Katarrhe
führen manchmal zu Erosionen, aber nicht zu Ulcerationen.
Dass bei bestehender Lungenphthise Erkältung, Ueberanstrengung der
Stimme, Syphilis, Abusus von Tabak und Alkohol zu Larynxkatarrhen dis-
poniren und dadurch eine tuberkulöse Erkrankung dieses Organs begünstigen
können, ist durch vielfache Beobachtung bestätigt.
Nach ScHECH erkranken ungefähr 30% von Lungenphthisikern an Larynx-
phthise. Ihres Berufes wegen sind Männer mehr als Frauen disponirt,, und
zwar im Verhältnis von 3 auf 1. Kinder unter 12 Jahren erkranken sehr
selten.
Die Krankheit entwickelt sich am häufigsten zwischen dem 20. und 30.
Lebensjahre. Das Greisenalter bleibt auch nicht verschont, der Verlauf ist
aber günstiger als bei jüngeren Individuen. Ich habe bei einem 65jährigen
Collegen eine typische Larynx- und Lungenphthise beobachtet, operativ be-
handelt und geheilt. Die Heilung dauert seit 4 Jahren. Der allgemeine
Zustand ist vortrefflich.
Larynxtuberkulose kann auch bei wohlgenährten, corpulenten, mit dickem
Fettpolster ausgestatteten Individuen vorkommen. Sie verläuft chronisch, ohne
bedeutendes Fieber, wird aber öfters durch Lungenblutung complicirt. Sie tritt
gewöhnlich secundär auf.
Die primäre Larynxtuberkulose, welche früher als besondere
Seltenheit betrachtet und von vielen Autoren sogar gänzlich negirt wurde,
ist nun sowohl klinisch als am Secirtisch nachgewiesen worden. Obgleich
im Anfangsstadium der Larynxerkrankung, trotz der sorgfältigsten Unter-
suchung, öfters gar keine Spuren eines localen Processes aufzufiinden sind,
entwickelt sich immer in ihrem Gefolge eine tuberkulöse Lungenerkrankung.
Die anatomischen Beweise für die Existenz einer primären Larynxtuberkulose
wurden erst in den letzten Jahren von Orth, E. Feänkel und Pogeebinski
geliefert.
Bei der Diagnose der primären Larynxphthise dürfen wir aber nicht ver-
gessen, dass trotz des negativen Befundes der Lunge bei der physikalischen
Untersuchung im Lungenparenchym kleine, käsige Herde in der Tiefe ver-
steckt sein können, die durch kein Symptom ihre Anwesenheit verrathen.
Die secundäre Infection des Kehlkopfes bei Lungentuberkulose durch
infectiöses Sputum, welche schon Louis angenommen hat, ist heute durch
Koch's Entdeckung gewissermaassen bestätigt.
Unter den objectiven Symptomen ist manchmal die bedeutende
Anämie des weichen Gaumens, bei stärkerer Röthung der Arcus palato-
glossi von diagnostischer Bedeutung.
Einseitige Erkrankung der Stimmbänder mit Röthung und Schwellung
ist immer verdächtig und ist gewöhnlich durch Lues oder Tuberkulose
bedingt.
Die subjectiven Erscheinungen der Larynxphthise sind, da
derselben fast ausnahmslos eine tuberkulöse Lungenaffection vorhergeht, ge-
wöhnlich mit Symptomen der Lungenerkrankung vereint.
Zu der Abmagerung, der Anämie, dem Kräfte verfall, dem Fieber, den
profusen Schweissen, dem Husten gesellen sich noch Erscheinungen seitens
des Kehlkopfes hinzu, und zwar vor allem Heiserkeit, sodann Dysphagie, end-
lich auch Respirationsstörungen.
Trockenheit und Reiz im Halse, öfteres Hüsteln, unterbrochen von
quälenden HustenparoxysmeU; profuser Auswurf, Schmerzen und Völle im Ohr
TUBERCULOSIS LARYNGIS. 673
sind fast immer vorhanden und gestalten den Verlauf der Erkrankung, falls
Dysphagie hinzutritt, zu einer der peinlichsten, das Leben zu einer wahren
Qual gestaltenden Affection.
Das Käuspern und Hüsteln wird verursacht ebensowohl durch Pharyn-
gitis sicca, wie durch die so häufig auftretende Aöection der hinteren Kehl-
kopfwand. Und diese bildet den Sitz der Frühformen der Larynxtuberkulose.
Sie manifestirt sich in einer ganz frühen Periode durch charakteristische Ver-
änderungen, obwohl eine Untersuchung der Lunge nicht immer deutliche
Erscheinungen der Lungentuberkulose nachzuweisen vermag.
Die eben besprocheneu Veränderungen treten in der Rimula auf, bald
als Trübungen, Verdickungen, zackige Unebenheiten, oder als halbkuglige,
resp. pilzartige Infiltrationen, die längere Zeit ohne in Zerfall und Uiceration
überzugehen, bestehen können.
Die Trübung und Schwellung der hinteren Wand, die Auflockerung des
Epithels, der sogenannte „Etat velvetique", kann aber auch bei chro-
nischen Katarrhen, besonders bei Stauungskatarrhen, vorkommen.
Die hypertrophischen Fältchen, in welche die Schleimhaut sich bei
chronischen Katarrhen zusammenlegt, verschwinden bei tiefer Inspiration, und
die Mucosa wird wieder glatt. Bei beginnenden, tuberkulösen Erkrankungen
der Pars interarytaenoidea bleiben solche hypertrophische Zacken und Ver-
dickungen unverändert. Der Sitz der Zacken ist prognostisch wichtig. Finden
wir eine zackige Prominenz, die bei tiefer Inspiration sich nicht glättet und
die Mitte der Pars interarytänoidea einnimmt, so kann dies auf chronischen
Katarrh bezogen werden. Sitzt die Zacke lateral näher den Processus vo-
cales, ist sie röthlich, einige Millimeter hoch, so spricht dies mit grösster
Wahrscheinlichkeit für ihre tuberkulöse Natur.
Die weiteren Veränderungen, die sich dort abspielen, bestehen in einer
tuberkulösen Infiltration, die entweder in Zerfall übergeht, oder zu einer
Hypertrophie der Mucosa führt und verschiedenartige Wucherungsproducte
liefert. Bald überwiegt die Verdickung des Epithels, bald der Papillen und
des Bindegewebes, resp. die Wucherung des Granulationsgewebes, welches
vom Boden und von den Rändern der Geschwüre hervorspriesst.
Je nach der Ausdehnung und der Localisation des tuberkulösen Infil-
trates hängt es ab, ob die Stimmproduction oder die Schlingfunctionen mehr
alterirt werden.
Erkrankungen der Epiglottis und der hinteren Larynxwand rufen, ebenso
wie das Befallensein der Aryfalten, starke Dysphagie hervor. Localisirt sich
der Process vorwiegend auf den Stimm- und Taschenbändern, so wird je nach
der Art und Intensität der Erkrankung die Stimme mehr oder weniger alterirt.
Combiniren sich diese beiden Affectionen, so tritt neben Heiserkeit auch
Dysphagie auf.
Infiltrate in der Gegend der Cricoarytänoidalgelenke, Knorpelhautent-
zündungen an den Processus vocales mit Schwellungen und Wucherungen
der hinteren Larynxwand und der Knorpel führen allmählich zur Stenose
des Larynx und zur Anchylose der Gelenke.
Die heftigsten Schmerzen verursachen Erkrankungen der Epiglottis, der
ösophagealen Fläche der hinteren Larynxwand und der Aryfalten, also das
Befallensein der äusseren Umrandung des Kehlkopfes.
Die Epiglottis bietet einige Variäteten in der Erkrankung, ent-
sprechend dem Charakter und Verlauf des Leidens. Das Infiltrat ist ent-
weder diffus oder einseitig. Begrenzte Infiltrate, die eine glatte Oberfläche
besitzen und hart sind, ohne bedeutende Entzündung auftreten, können län-
gere Zeit bestehen, ohne zu zerfallen.
Wird der ganze Kehldeckel befallen, so nimmt er die bekannte Turban-
form an und verdeckt gewöhnlich das Innere des Kehlkopfes. Die Geschwüre
Ohren-, Nasen-, Eachen-, Kehlkopfkranklieiten. 4o
674 TUBERCULOSIS LARYNGIS.
sitzen entweder am fielen Kande oder an der laryngealen Fläche des Kehl-
deckels. Sie besitzen eine Neigung zum Confluiren und bedingen im späteren
Stadium Nekrose des Knorpels, Einschmelzung desselben bis zur vollkommenen
Destruction der Epiglottis.
Infiltrate am Petiolus führen zu Ulcerationen, die wegen des Befallen -
seins der zahlreichen Schleimdrüsen zu krat erförmigen, manchmal perforiren-
den Geschwüren Veranlassung geben und von dort gerne auf die Taschen-
bänder und den Yentriculus Morgagni übergreifen. Der Knorpel erkrankt
seltener als die Weichtheile. Ist dies der Fall, so bleibt die Epiglottis stark
verdickt, starr und unbeweglich.
Die lenticulären Geschwüre der laryngealen Fläche der Epiglottis sitzen
manchmal vereinzelt auf der gerötheten, geschwollenen, aber wenig infiltrirten
Mucosa. Diese Formen sind der localen Behandlung vollkommen zugänglich
und geben eine relativ gute Prognose.
Die tuberkulösen Veränderungen der hinteren Larynx-
wand bilden im Stadium der Infiltration zwei blassgelbe, kissenartige An-
schwellungen von verschiedener Consistenz und Grösse.
Ist das Infiltrat sehr zellenreich, sind die Gefässe comprimirt und
degenerirt, so treten Oedeme hinzu, die beim Zerfall der Geschwüre, bei Zu-
tritt von eitererregenden Coccen, resp. bei Reizzuständen, sich sehr schnell
auf die angrenzenden Theile ausbreiten und gefahrdrohende Stenose bedingen
können.
Infiltrationen der Seitensiränge (Lig. ary-epigl.) können bis
zur Epiglottis reichen. Sie bilden dann zusammen mit dem kugelartig ge-
schwollenen Santorinischen Knorpel birnenförmige Tumoren.
Ein Punkt verdient noch hier besondere Erwähnung, nämlich die un-
richtige Angabe, dass eine tuberkulöse Infiltration der hinteren Wand immer
mit Perichondritis des Cricoarytänoidalgelenkes verbunden ist. Im Anfangs-
stadium ist die Unbeweglichkeit eines oder beider Stimmbänder durch
mechanische Behinderung der Muskeln und Fixation der Gelenke bedingt.
(Falsche Anchylose.) Erst in späteren Stadien wird auch das Cricoarytä-
noidalgelenk befallen. Die Symptome dieser Affection bestehen vor Allem
im Schmerz beim Sprechen und schmerzlicher Empfindung bei Annäherung
der Aryknorpel, wenn der Kehlkopf von beiden Seiten, in der Gegend des
oberen Hornes, mit zwei Fingern zusammengedrückt wird.
Die Perichondritis arytaenoidea, mit vorwiegendem Befallensein des Stimm-
bandfortsatzes kommt relativ häufig vor und führt öfters zur Caries oder
Nekrose des Knorpels. Tritt Eiterung hinzu, so schwillt die Umgebung stark
an, die Schmerzen steigern sich ganz excessiv und lassen erst nach Durch-
bruch des Eiters nach. Manchmal entsteht ein Fistelgang, der zum nekrotischen
Knorpel führt. Viel häufiger bilden sich Granulationen um das nekrotische
Knorpelstück herum und füllen die Höhle aus. Der Knorpel selbst fällt der
regressiven Fettmetamorphose an, kann verkalken und wird nur in den sel-
tensten Fällen ausgestossen.
Infiltrate der Aryfalten gehen seltener als die an anderen Stellen in
Ulceration über. Der Zerfall tritt oft von der Epiglottis oder vom Taschen-
band erst secundär auf die Aryfalten über.
Die tuberkulösen Erkrankungen der Taschenbänder nehmen
ihren Ursprung am häufigsten aus der tuberkulösen Erkrankung des Sinus
Morgagni. Dieser Process kann entweder primär auftreten oder vom Stimm-
band fortgeleitet werden.
Bei chronischen Geschwüren sehen wir öfters einen länglichen Granu-
lationswulst aus dem Ventrikel hervorragen. Die geschwollenen und infil-
trirten Taschenbänder bedecken gewöhnlich die Stimmbänder vollkommen oder
theilweise. Manchmal bilden sie rundliche, unregelmässige, höckrige Pro-
TUBERCULOSIS LARYNGIS. 675
minenzen von gelblichrother Farbe. Kommt es zum Zerfall, so sehen wir
Geschwüre in verschiedener Form und Zahl auftreten. Wegen lieichthums an
Schleimdrüsen entstehen in dieser Gegend durch Confiuiren tiefe, krater-
förmige Substanzverluste, die nicht selten auf die laryngeale Fläche der Epi-
glottis oder auf die hintere Larynxwand übergreifen. In solchen Fällen ist
auch gewöhnlich der Processus vocalis nekrotisch und das Cricoarytänoidal-
gelenk tuberkulös entartet. Wir finden alsdann öfters das Stinimband un-
beweglich und der Medianlinie genähert. Ist Tendenz zur Heilung vorhanden,
so reinigen sich die Geschwüre, Granulationen schiessen auf, manchmal in
solcher Ueppigkeit und Fülle, dass wahre Tumoren nnd Wülste entstehen, die
das Lumen des Kehlkopfs verengern können.
Die tuberkulöse Infiltration der Stimmbänder tritt sehr oft
nur einseitig auf, häufiger auf derselben Seite, wie die tuberkulöse Lungener-
krankung, aber nicht häufiger links als rechts. (Krieg.)
Die Chorditis tuberculosa kann längere Zeit in der Form eines rund-
lichen, dicken Wulstes von glatter Oberfläche und gerötheter Farbe bestehen.
Natürlich geht der scharfe Rand des Stimmbandes verloren, ebenso wie das
glänzende, sehnige Aussehen desselben.
Der innere Rand wird zuweilen auseinander gedrängt, gleichsam ge-
spalten. Am deutlichsten ist die Furche in der Nähe des Processus vocalis.
Trotzdem kommt es in diesem Stadium nicht immer zur Ulceration. Greift
die Infiltration auf die untere Fläche des Stimmbandes über, kommt es zur
Bildung eines länglichen Wulstes {Laryngitis hypoglottica), so können da-
durch, falls der Process doppelseitig auftritt, stenotische Symptome hervor-
gerufen werden.
Die geschwürigen Processe der Stimmbänder sind entweder circumscript
oder diffus, im letzten Falle öfters länglich oder serpiginös, parallel mit den
elastischen Fasern verlaufend. Am Processus vocalis bilden sie manchmal
dellenartige oder napfartige Vertiefungen. Oefters beginnt die Ulceration am
freien Rande, der ein zackiges ilussehen annimmt. Die oberflächlichen Ero-
sionen und .Substanzverluste treten häufiger auf im vorderen Drittel der
Stimmbänder, Anfangs als Epitheltrübungen und oberflächliche nekrotische
Epithelherde.
Von der Diagnose der Larynxphthise kann man dasselbe sagen,
was Cazaux von der Entbindung: „Quand c'est facile, c'est tres facile,
quand c'est difficile, c'est tres difficile."
Die Hauptschwierigkeit der Diagnose bilden Fälle, wo bei allgemeiner
guter Ernährung, bei tieberlosen Zuständen in den Lungen minimale oder
gar keine tuberkulösen Veränderungen zu finden sind, während der Larynx
das Bild einer beginnenden oder schon entwickelten Larynxphthise darstellt.
Zwei Formen der Erkrankung fordern specielle Berücksichtigung: die
Syphilis und der Lupus.
Der Lupus tritt gewöhnlich auf in Verbindung mit einer lupösen Haut-
affection oder einer Erkrankung der Nasenschleimhaut. Der Larynx wird
manchmal vor, manchmal nach der Erkrankung der Haut befallen, und zwar
vorwiegend bei Weibern zwischen dem 9. und 20. Jahr. Am häufigsten wird
der Kehldeckel afficirt, sodann die Taschenbänder und die Stimmbänder.
Wir sehen Knoten und Knötchen, papillomatöse Wucherungen, neben weichen,
schwammigen, leicht blutenden Granulationen ohne entzündliche Symptome
auftreten, und während eine Partie zerfällt und ulcerirt, tritt an anderen
Narbenbildung oder neue Hyperplasie hinzu.
Durch Zerfall und Narbenbildung entstehen bedeutende Difformitäten
der befallenen Theile, und was eigenthümlich ist, ohne besondere Beschwerden
hervorzurufen. Dieser Punkt ist diagnostisch sehr wichtig. Die Stimme wird
gewöhnlich mehr alterirt als das Schlingvermögen und die Respiration, die
43*
676 TUBERCULOSIS LARYNGIS.
erst in vorgeschrittenen Fällen beeinträchtigt wird. Der langsame Verlauf,
das gleichzeitige Auftreten der Hautaffection, die Prävalenz der Hyperplasie
und Knötchenbildung bei langsamem Zerfall sichern die Diagnose besser, als
die mikroskopische Untersuchung ad hoc excidirter kleiner Partikel, die
manchmal trügerische Bilder liefert.
S yp h il i s d e s Kehlkopfes wird öfters mit Larynxphthise verwechselt.
M. Schmidt gibt einige Zeit probeweise Jodkali und hat damit in manchen
Fällen die Diagnose gesichert. Solche Fälle sind aber nicht häufig.
Jodkali allein, selbst in grossen Dosen, ist nicht immer im Stande, die
Diagnose zu sichern. Manchmal sieht man nach längerer erfolgloser Jod-Dar-
reichung einen exquisiten Erfolg erst nach Inunctionscuren eintreten.
Aus der Localisation der Geschwüre können stricte Schlüsse nicht ge-
zogen werden, da beide Krankheiten dieselben Prädilectionsstellen besitzen.
Folgende Punkte sind bei der Differential-Diagnose wichtig.
Syphilitische Geschwüre besitzen gewöhnlich scharfe, unterminirte Ränder
mit sehr spärlichem Secret. Ihre Umgebung ist öfters geschwollen und ge-
röthet.
Tuberkulöse Geschwüre gehen auf hie Umgebung über, sind gewöhnlich
mit schleimigeitrigem Secret bedeckt und öfters von "Wucherungsproducten
umgeben.
Finden wir im Secret der Geschwüre zahlreichere Bacillen oder typische
Tuberkeln in den Wucherungsproducten, so ist damit die Diagnose gesichert,
natürlich bei specieller Berücksichtigung und Untersuchung des allgemeinen
Zustandes. Auf die Aussage der Kranken selber ist weniger Werth zu legen.
Das gleichzeitige Auftreten von unregelmässigen Geschwüren mit starren,
zackigen Rändern, wachsartigem, gelblichem Grunde neben Narbenbildung
spricht meistens für Syphilis, während kleinere, weisse Knötchen in den
Rändern der Geschwüre nicht immer tuberkulösen Einlagerungen ihre Ent-
stehung verdanken,
Krebs neben Tuberkulose (im Larynx) sind bei einem Patienten von
Zenker beobachtet worden.
Schmidt sah einen Fall, wo zuerst Larynxtuberkulose, dann Syphilis
und endlich Larynxkrebs bei einem Kranken auftrat.
Zu luetischen Geschwüren kann sich bei entsprechenden Bedingungnn
Larynxtuberkulose hinzugesellen.
Die Larynxtuberkulose, resp. die durch sie bedingte
Larynxphthise, kann spontan, ohne specielle Behandlung
ausheilen. Am häufigsten vernarben die geschwürigen Processe an den
Stimmbändern und der hinteren Larynxwand, ungemein selten die schweren,
mit Ulcerationen und Wucherungsproducten, mit tiefen Geschwüren und
Knorpelaffectionen auftretenden Fälle, welche von Aphonie und hochgradiger
Dysphagie begleitet sind und rasch zur Denutrition und zur Ausbreitung des
Processes in den Lungen führen.
Die besten Chancen zur Ausheilung geben diejenigen Fälle, in welchen
die Erkrankung als Infiltration oder als tumorartige Excrescenz an der hin-
teren Larynxwand auftritt, chronisch verläuft und in welcher der Kehldeckel
und die Santorinischen Knorpel wenig oder gar nicht afficirt sind.
Relative Erfolge sind noch in manchen Fällen von chronisch verlaufen-
der, mit Infiltrationen einhergehender einseitiger Erkrankung, die nicht zum
Zerfall neigt, zu erreichen, oder bei Anwesenheit sogenannter tuberkulöser
Tumoren der Stimmbänder oder der Taschenbänder.
Die schlechtesten Prognosen geben die diffus auftretenden Infiltrationen
des Larynx mit raschem Zerfall, die tiefen Geschwüre der Epiglottis und
am Kehldeckelwulste, welche auf die Ventrikel übergehen, ferner die
TUBERCULOSIS LARYNGIS. 677
nekrotischen Processe der Aryknorpel, Formen, die mit Stenosenerscheinungen
auftreten, endlich die Miliartuberkulose.
Die Möglichkeit einer Ausheilung ist in erster Linie abhängig von der Con-
stitution und der Kesistenzfähigkeit der Kranken, sodann von dem anatomischen
Charakter der Lungenerkrankung und ihrer Ausbreitung, ferner vom Alter
des Patienten, zum Theil von seinen materiellen Verhältnissen. Ausschlag-
gebend ist der Zustand der Lungenaffection und der Ernährung.
Tumorartige Infiltrate der pars interarytaenoidea führen durch Zerfall
zu Geschwürsbildung und allgemeiner Infection. Sie scheinen in manchen
Fällen primär aufzutreten, bilden aber öfters das Anzeichen einer latenten
Lungentuberkulose.
Bei der Heilung tuberkulöser Geschwüre bleiben in der Narbe Tuberkel
eingeschlossen, die obwohl fibrös entartet, dennoch lebensfähige Keime ent-
halten können, gerade wie dies in der Lungenspitze beobachtet worden ist.
Die locale Behandlung der Kehlkopf phthise war lange Zeit
eine palliative in Folge einer von gewissen Seiten mit grösster Obstinenz
negirten Möglichkeit einer Ausheilung des tuberkulösen Larynxprocesses.
Diese schädliche Doctrin ist heute als absolut überwunden zu be-
trachten.
Von den verschiedensten, bei dieser Affection angewandten und an-
empfohlenen Mitteln, wie Kreosotglycerin, Phenol, Balsam, peruvianum, Sublimat,
Jodoform, Jodol, Menthol hat sich nur die von Krause eingeführte Milch-
säure eine dauernde Stellung in der Therapie dieser Affection erworben.
Die Milchsäure lässt sich nicht bei allen Kranken anwenden, da sie
manchmal starke Entzündungserscheinungen hervorruft. Sie ist indicirt bei
hypertrophischen Geschwüren, bei Granulationsbildung, ebenfalls zur Reini-
gung des Geschwürsbodens. Gegen harte Infiltrate erweist sich die Milch-
säure von geringer Wirkung.
Menthol und Jodol stehen in ihrer Wirkung weit hinter diesem Mittel
zurück. Jodoform ist bei gewissen Formen von Geschwüren zur Reinigung
und Anregung der Granulationsbildung nützlich.
Das Phenolum sulforicinicum ist erst in letzter Zeit von Ruault
und Beelioz in die Praxis eingeführt und speciell bei Larynxphthise empfohlen
worden. Es übt manchmal einen günstigen Einfluss auf tuberkulöse Infiltrate
aus, fordert aber bei der Anwendung gewisse Vorsichtsmaassregeln.
30°/oige Lösung hat sich am meisten bewährt. Die Pinselungen rufen
öfters reactive Entzündungserscheinungen hervor und sollen daher erst
nach Ablauf derselben wiederholt werden.
Von den kaustischen Mitteln ist noch die Chrom säure zu erwähnen, die
an Silbersonden angeschmolzen, zur Anwendung gelangt. Die übertriebene
Furcht vor Vergiftungserscheinungen hat trotz Rethi's gründlichen auf
tausenden von Fällen geprüften und die Gefahrlosigkeit der Chromsäure be-
stätigende Beobachtungen dieses nützliche Mittel in den Hintergrund geschoben.
Von den ad stringir enden Mitteln, wie Alaun, Tannin ist wenig zu hoffen.
In Verbindung mit Morphium, wirkt es durch den Zusatz der Narkotica
mehr als durch ihre adstringirenden Eigenschaften.
Bismuthum nitricura und Bismuthum salycilicum, mit Zusatz von Eucain
und Antipyrin, leisten sie Einblasungen bei Dysphagie ganz vorzügliche
Dienste.
Rp. Mag. bismuthi . . . . 6'0
Antipyrini 4*0
Eucaini 2'0
M. F. pulver subtiliss. pulv. sie.
Bei starken Schlingbeschwerden muss Cocain oder Eucain örtlich an-
gewandt werden. Zum Bepinseln genügen lO^oige Lösungen.
678 TUBERCULOSIS LARYNGIS.
Spray soll mittelst einer entsprechend nach unten abgebogenen Köhre
nur in warmen, Steigen Lösungen Anwendung finden, und um Vergiftungser-
scheinungen zu vermeiden, nur während der Phonation applicirt werden.
Die submucösen Injectionen von Cocain mit Zusatz von 2% Carbol-
säure sind nur bei Erfolglosigkeit aller anderen Mitteln indicirt. Die HERYNG'sche
Spritze fasst 0-25 Cocain. Ein Tropfen enthält 0-03 Cocain. Die Formel
lautet: Cocaini mur. 0-25, Sol. Acid. Carbol. (2%) 2-5. S. zur submucösen
Injection.
Eucain besitzt dieselben anästhetischen Eigenschaften wie Cocain, wirkt
aber nicht zusammenziehend auf die Blutgefässe und tritt seine Wirkung
etwas später als bei Benutzung von Cocainlösung ein. Sein Geschmack ist
unangenehmer, schärfer als der des Cocains. Es ruft aber sehr selten Ver-
giftungserscheinungen hervor. Gewöhnlich genügen vollkommen 9"/oige warme
Lösungen, um die Dysphagie zu lindern.
Antipyrin als Zusatz zu Cocain oder Eucain verlängert ihre anästhesirende
Wirkung. In letzter Zeit hat sich das von Einhorn und Heinz eingeführte
Orthoform auch bei Larynxphthise, gegen die Dysphagie gut bewährt. Es
wirkt jedoch nur auf ulcerirte, epithellose Flächen, versagt bei Infiltraten
vollständig. Die Wirkung ist eine nachhaltige, dauert 6 — 10 Stunden je
nach der Application des Mittels. Es ist vortheilhaft, dasselbe ää mit Talk
zu verordnen, mit einem Zusatz von l'O Cocain (oder Eucain) auf 4*0 Ortho-
form. Die Insufflationen müssen zweimal täglich wiederholt werden. Ein
Nachtrinken oder Gurgeln ist zu verbieten.
Manche Kranke finden eine Erleichterung beim Schlingen, wenn sie
Flüssigkeiten mittelst Glasröhren schlürfen. Bei Fehlschlucken und dadurch
bedingten quälenden Hustenparoxysmen werden dieselben manchmal dadurch
gelindert, dass die Patienten sitzend, mit stark nach vorne geneigtem Ober-
körper, trinken.
Die Behandlung der Larynxphthise zerfällt nach der Natur des
Leidens in zwei Gruppen, d. h. in die Behandlung des Kehlkopfleidens und
des dasselbe fast immer complicirenden Lungenleidens.
Bei einer Erkrankung, welche manchmal Jahre lang dauert, ist es noth-
wendig, dass der Kranke verstehen lerne, dass die Besserung, eventuell Heilung
durch Vermeidung derjenigen Schädlichkeiten, welche sie hervorgerufen haben^
bedingt ist.
Es ist zu bedauern, dass bis jetzt noch keine speciellen Anstalten für
Kranke mit Kehlkopfphthise an der Riviera existiren, die den Anforderungen
der Hygiene entsprechen, d. h. dem Kranken die grösste Quantität möglichst
reiner, den Stoöwechsel anregender Luft geben und von gewissenhaften,
fachmännisch ausgebildeten Aerzten geleitet werden.
Die am Mittelmeere gelegenen Localitäten der Riviera di Ponente
oder Levante, obgleich sie kalkigen Boden besitzen, haben sich dennoch in
vielen Fällen als wirksame Heilstätten erwiesen (Mentone, Nizza, San-Remo,
Cannes, Nervi, Pegli). Günstige Erfolge sind auch durch Aufenthalt in Meran,^
Arco, Palanza, im Sommer in Reichenhall, Gleichenberg erzielt worden.
Entscheidend für ihre Wahl ist für mich weniger der Ort, als der be-
handelnde Arzt. Kraftlose Kranke mit hohen Temperaturen, mit starker Dys-
phagie und ausgebreitetem Lungenprocess, welche unbemittelt sind, sollten gar
nicht in entfernte Curorte geschickt werden.
Die erste Hauptbedingung für die Besserung dieser Kranken besteht in
einer reichlichen Zufuhr von reiner, frischer Luft.
Fiebernde Kranke werden, solange es ihr Kräftezustand erlaubt, statt
im Bett auf der Chaiselongue gelagert, um ihre Energie zu erhalten und
ihnen die Trostlosigkeit ihres Zustandes und ihre Hinfälligkeit länger zu
verbergen.
TUBERCULOSIS LARYNGIS. 679
Die von einigen Aerzten empfohlene Lungengymnastik ist nur dann
nützlich, wenn dieselbe mit Maass ausgeführt wird (Bergsteigen), kein Aus-
trocknen des Halses und keine Hyperämien zu den Lungen und dem Kehl-
kopf hervorruft. Alle Excesse in dieser Kichtung verursachen Reizung der
hinteren Larynxwand, vergrössern die Schwellung, rufen manchmal Husten
hervor und verschlimmern die Heiserkeit.
Schädlich wirken: Staub, Tabakrauch, starke alkoholische Getränke, stark
gesalzene, scharfe, gepfeHerte, zu heisse und zu kalte Speisen.
Das Sprechen verbiete man vollständig für längere Zeit bei Ulcerationen
der hinteren Wand, gestatte aber den Kranken mit halblauter Stimme oder
mit Flüstersprache, bei geringer Affection der Stimmbänder zu sprechen, wenn
sie nach dem Sprechen keine Schmerzen und keine stärkere Ermüdung
empfinden.
Die diätetische Behandlung spielt bei der Larynxtuberkulose eine sehr
grosse Rolle. Im Sommer und Winter verordne man den Kranken Milch in
grossen Quantitäten (1 — 2 Quart täglich). Gewöhnlich wird dazu Cognae
(1 Kaffeelöffel bis zu 1 Esslöffel) hinzugefügt. Bei Personen, welche Neigung
zum Durchfall zeigen, wird statt Cognae ein Löffel Aquae Calcis auf ein
Glas zugefügt. Wird denselben die Milch überdrüssig, so lasse man einen
Zusatz von Malzextract (Link) oder guten Bieres hinzufügen.
Systematisch ausgeführte Gurgelungen des Halses mit kaltem Wasser,
besser mit Sodawasser, einige Mal des Tages, mit Zusatz von Borax oder
einigen Tropfen Milchsäure, lindern das Trockenheitsgefühl im Halse und
entfernen den Schleim aus dem Pharynx, Entsprechend ausgeführt (Glougou-
risme), gelangen sie bis in den Kehlkopf und kommen mit der Schleimhaut
der hinteren Wand und der falschen Stimmbänder in Berührung.
Es erübrigt noch mit einigen Worten die Inhalationen zu erwähnen.
Dieselben werden entweder kalt (Spray) oder warm, d. h. mittelst heisser
Wasserdämpfe, verordnet. Für die Anwendung derselben haben wir zwei
Indicationen: entweder wollen wir durch das Einführen zerstäubter Mittel
oder des Wasserdampfes das Aushusten der den Kehlkopf und die Bronchien
verlegenden Sputa erleichtern, oder wir trachten auf die Schleimhaut mittelst
gewisser Medicamente therapeutisch einzuwirken.
Wir können dieselben nach Schech eintheilen in Resolventia: Natr.
chloratum, Natr. bicarbonicum, Ammonium muriaticum (V2 — l%ige Lösungen)
und Adstringentia: Alaun, Tannin, Tr. Ratanhiae in 1 — 27oigen Lösungen.
Die wichtigste Rolle spielen aber die Antiseptica. Hierher gehören: Borsäure
<1— 47o), Carbolsäure (V2— -27o)5 Thymol (0-6 : 180) Menthol, Natr. benzoicum
(2 — 57o), Natr. salicyl. (1 — S^o)- 2u dieser Gruppe müssen wir noch hinzu-
zählen: Kreosot, Reichenhaller Fichtenöl, Ol. pini pumilion. Ol. terebinthinae
depur., Aqua picea in verschiedenen Lösungen, je nach der Toleranz des
Kranken.
Was die inneren Mittel anbetrifft, so sind Expectorantia dann indicirt,
wenn sie wirklich eine Wirkung zeigen, was durch die Untersuchung der
täglichen Quantität und Qualität des Sputum leicht nachgewiesen werden kann.
Narkotica müssen, trotzdem man ihnen eine Begünstigung des Ver-
bleibens der Bacillen in den Luftwegen durch Beschränkung der Exspectora-
tion nachsagt, in Fällen, wo durch quälenden Husten der Schlaf der Patienten
gestört wird, oder nach dem Essen Erbrechen eintritt, am besten als Pulv.
Doveri gereicht werden. Opium oder Codein ist dem Morphium, welches
dennoch in manchen Fällen nicht zu entbehren ist, vorzuziehen.
Da in den meisten Fällen von Larynxphthise hochgradige Dysphagie auf-
tritt, so folgt daraus, dass als erste und wichtigste Indication der
Behandlung, die Beseitigung der Dysphagie zu betrachten ist.
(580 Tuberculosis laryngis.
Die zweite, ebenso wichtige Indication betrifft die speciellen
Fälle, in welchen durch tuberkulöse Infiltrate und ihre Wucherungsproducte
die Athmung erschwert wird und stenotische Erscheinungen auftreten.
Die dritte Indication wird ihr Ziel darin zu sehen haben, die
alterirte oder gänzlich geschwundene Stimme wieder herzustellen.
Um die Dysphagie erfolgreich zu bekämpfen, muss man trachten, ihre
Ursachen zu beseitigen.
Die Dysphagie wird bedingt:
a) Durch tuberkulöse Infiltration der Epiglottis, der hinteren Larynx-
wand und der Santorinischen Knorpel.
h) Durch tuberkulöse, aus Zerfall der Infiltrationen entstehende, an den-
selben Stellen sitzende Geschwüre.
c) Durch entzündliche, gewöhnlich secundär auftretende, manchmal zur
Knorpelentzündung und Nekrose führende Processe.
Als Grundsatz der allgemeinen Behandlung der Dysphagie muss die
Schonung des erkrankten Organs betrachtet werden, also Schonung der Stimme
und Entfernung aller die erkrankte Mucosa reizenden Momente.
Die Heilung der tieferen, auf infiltrirtem Grunde sitzenden, von Wuche-
rungsproducten umgebenen Larynxgeschwüre bei gewissen Formen localisirter,
chronisch verlaufender Larynxtuberkulose ist am schnellsten durch Auslötfelung,
resp. Ausschneidung der tuberkulösen Gewebe zu erreichen.
Zu dieser Methode, deren Grundsätze ich im Jahre 1887 veröffentlicht
habe, gehören auch die Galvanokaustik und die Elektrolyse.
Die chirurgische Behandlung ist indicirt:
a) Bei tuberkulösen Tumoren des Kehlkopfes.
h) Bei circum Scripten, chronischen, tumorartigen Infiltraten der hinteren
Larynxwand, die wenig Neigung zum Zerfall zeigen.
c) Bei chronischen, auf infiltrirtem Grunde sitzenden, von Wucherungs-
producten umgebenen Geschwüren, die einer anderen Behandlungsmethode
widerstehen.
d) Bei einseitiger Erkrankung des Kehlkopfes, auch wenn Epiglottis,
Taschenband und Seitenstrang afficirt sind.
Sie ist contraindicirt:
a) Bei hochgradiger Lungenphthise, die mit Hexis und starker Denutrition
einhergeht.
h) Bei diffuser Miliartuberkulose des Kehlkopfes, resp. des Kehlkopfes
und des Rachens.
c) Bei allen kachektischen Zuständen.
d) Bei hochgradiger Larynxstenose, die durch entzündliche Schwellung
der afficirten Partien bedingt ist (hier tritt die baldigst auszuführende Tracheo-
tomie in ihre Rechte).
e) Bei furchtsamen, nervösen, reizbaren, misstrauischen, den Arzt öfters
wechselnden, energielosen Kranken, überhaupt bei Personen, deren allgemeiner
Zustand wenig Hoffnung auf Genesung verspricht.
Die chirurgische Behandlung fordert vom Arzte Hingabe für den Kranken,
Geduld, grosse Ausdauer, vollkommenste Beherrschung der Technik,
präcis gearbeitete, scharfe Instrumente. Sie soll, wo möglich, nicht am-
bulant ausgeführt werden. Die grösste Aufmerksamkeit ist der Nachbehand-
lung zuzuwenden und müssen die Patienten Monate, manchmal Jahre lang in
Beobachtung bleiben.
Die Operation selber ist bei richtiger Anwendung des Cocains wenig
schmerzhaft.
Die Angehörigen der Patienten, ebenso wie die Kranken selbst, müssen
vor der Operation aufgeklärt werden, dass die Schlingbeschwerden durch den
chirurgischen Eingriff nicht sofort beseitigt werden können, dass sie sich
TUBERCULOSIS LARYNGIS. 681
manchmal während einiger Tage verschlimmern, ferner dass die Ausführung
der Operation in den seltensten Fällen eine radicale Heilung des Kehlkopfes
herbeiführt. Ebenso gut wird man thun, sie zu avisiren, dass in einer Sitzung
die Entfernung der Infiltrate nur selten gelingt, dass trotz gelungener Opera-
tion Kecidive im Kehlkopf sich später einstellen können, und dass der Arzt
keinerlei Garantie für die eventuell erlangte Heilung bieten kann.
Bei harten Tumoren der Taschenbänder, bei sklerösen Infiltrationen der
Epiglottis, bei Granulationsbildung in den Morgagnischen Ventrikeln ist die
galvanokaustische Behandlung manchmal von Nutzen. Bei sehr geduldigen
Patienten, die vollkommen an die locale Behandlung des Larynx gewöhnt sind,
kann, bei genauer Kenntnis der Technik und bei Benutzung präciser, mit
Rheostat und Galvanometer versehenen Batterien, eine elektrolytische Behand-
lung versucht werden. Ihre Nachtheile sind: Schmerzhaftigkeit und längere
Dauer.
Zur Nachbehandlung der operirten Theile hat sich das Pyoctanin (in
l_2°/oiger Lösung) ebenso Grübler's Malachitgrün als ein sehr gutes,
entzündungswidriges Mittel erwiesen, das ein bis zweimal täglich auf die
wunden Flächen applicirt werden muss.
Stärkere Blutungen gehören nach der Operation zu den grössten Selten-
heiten. Sie können durch Application eines Gemisches von Milchsäure und
Liq. ferri sesquichl. (ää) gestillt werden.
Eine Generalisation der Tuberkulose nach chirurgischen Eingriffen, so^^^e
eine Verschlimmerung der Lungenaffection soll in einigen Fällen beobachtet
worden sein. Dieses Ereignis ist ein äusserst seltenes, kann aber vorkommen,
besonders bei solchen Kranken, die sich nach der Operation einer Nach-
behandlung entziehen und verschiedenen Schädlichkeiten, als Erkältung u. s. w.
aussetzen.
Die Heilung der operirten Theile erfolgt bei richtiger Nachbehandlung
in 3 — 6 Wochen.
Der chirurgischen Behandlung sind fast alle Stellen des Larynx bis
zur unteren Stimmbandfläche bei Benutzung entsprechender Instrumente
zugänglich.
Als Princip der chirurgischen Behandlung soll gelten, so viel wie möglich
die afficirten Theile zu excidiren. Der Doppelcurette gebührt in vielen
Fällen der Vorzug vor der einfachen Curette.
Die Recidive entstehen manchmal an der Stelle der früher vollführten
Operation, manchmal an etwas entfernteren Orten. Sie finden ihre Erklärung
nicht nur in der Unzugänglichkeit gewisser Larynxtheile für unsere Instru-
mente, sondern auch in der mangelhaften Ausführung der Operation selber.
Am häufigsten ist aber die Schuld dem Fortschreiten des Processes in den
Lungen und der ungenügenden Resistenzfähigkeit des Organismus der In-
fection gegenüber zuzurechnen.
Die Erfolglosigkeit ebenso der chirurgischen Behandlung der Larynx-
phthise, wie auch anderer therapeutischer Methoden hat oft ihren Grund darin,
dass die Erkrankung zu spät erkannt, die Cur zu spät begonnen worden ist.
Schwere Fälle von Larynxphthise sollen am besten in speciellen, für
Lungenphthisiker bestimmten klimatischen Anstalten behandelt werden. Es
wäre zu wünschen, dass die in diesen Anstalten ordinirenden Aerzte sich die
Ausführung der Technik der operativen Behandlung aneignen möchten, so-
lange wir nicht über Mittel verfügen, welche uns die für manche Fälle noth-
wendige chirurgische Behandlung der Larynxphthise zu ersetzen vermögen.
Bei hochgradiger Dysphagie, die durch entzündliche Schwellung und
exulcerirte Infiltrate bedingt wird, kann manchmal trotz fieberhaften Zustandes
und Denutrition b ei völliger Erfolglosigkeit aller anderen Mittel
die chirurgische Methode mit Curettement der hinteren Larynxwand indicirt
682 TUBERCULOSIS NARIÜM.
sein und hat sich dieselbe in vielen Fällen als wirksam erwiesen. Die Dys-
phagie wird damit auf eine gewisse Zeit beseitigt, trotzdem der Process an
anderen Stellen sich manchmal weiter entwickelt, an anderen wieder sich
auffallend verbessert.
Bei combinirter Larynx- und Lungenphthise kann durch chirurgische Be-
handlung der Kehlkopf in den seltensten Fällen zur völligen Ausheilung ge-
langen und seine Functionen wieder erlangen. In anderen, häufigeren Fällen
ist eine bedeutende, Monate und Jahre lang anhaltende Besserung zu erzielen.
Trotzdem wird aber dadurch Recidiven nicht immer vorgebeugt, der w^eiteren
Entwicklung von Destructionen in den Lungen durch sie allein nicht ent-
gegengewirkt und muss die Allgemeinbehandlung als das wichtigste Moment
der Therapie angesehen werden. t. heryng.
Tuberculosis narium (Tuberkulose der Nase). Die tuberkulöse Er-
krankung der Nasenschleimhaut ist keineswegs so äusserst selten, wie man
dies bis in die jüngste Zeit aus den spärlichen literarischen Aufzeichnungen
anzunehmen berechtigt war.
Aus der von Schmalfuss zusammengestellten Statistik der Würzburger
chirurgischen Klinik (Zeitraum von 10 Jahren) ist ersichtlich, dass unter 1287
tuberkulösen Kranken kein einziger Fall von Tuberkulose der Nasenschleimhaut
vorkam. Willigk hat unter 476 tuberkulösen Leichen einmal Tuberkulose
des Septum gefunden, Weichselbaum konnte unter 146 Leichen zweimal
tuberkulöse Veränderungen der Nasenschleimhaut beobachten.
In den letzten Jahren sind jedoch die auf diese Erkrankung bezüglichen
Mittheilungen rasch auf einander gefolgt, wodurch die Literatur der tuber-
kulösen Erkrankung der Nasenschleimhaut erheblich angewachsen ist, was
gewiss seinen Grund darin findet, dass bei ulcerativen Processen der Nase
behufs Feststellung der Diagnose histologische und bacteriologische Unter-
suchungen gemacht wurden. Schon R. Volkmann erwähnt, dass Fälle von
scrophulöser Ozäna, die leicht für Lues gehalten werden konnten, sich auf
Grund histologischer Befunde als tuberkulös erwiesen haben.
Trotzdem muss zugestanden werden, dass die Tuberkulose der Nase im
Vergleiche zu den übrigen krankhaften Veränderungen der Nase selten zur
Beobachtung gelangt.
Aetiologie. Pathologische Anatomie. Das männliche Geschlecht
scheint von dieser Erkrankung mehr befallen zu w^erden, während das Alter
keinen besonderen Einfluss auf die Entstehung der Affection ausübt.
In den meisten Fällen sehen wir die Erkrankung secundär auftreten,
also wo tuberkulöse Affection anderer Organe der Nasentuberkulose voran-
geht. Doch ist es, wie nicht zu bezweifelnde Beobachtungen zeigen (Tokn-
WALDT, Riedel, Demme), erwiesen, dass die Nasenschleimhaut primär er-
kranken kann. Scheck erwähnt eines Falles von primärer Nasentuberkulose,
wo die Affection durch Gebrauch eines mit tuberkulösem Sputum verunreinigten
Taschentuches entstand.
So wie bei allen übrigen tuberkulösen Erkrankungen muss auch hier als
das ursächliche Moment der Tuberkelbacillus betrachtet werden.
Trotzdem fast allgemein angenommen wird, dass die tuberkulöse Infec-
tion durch das Eindringen der Tuberkelbacillen mit der Athmungsluft zu
Stande kommt, ist es auffallend, dass die obersten Luftwege — Nasen-, Rachen-
höhle — selten tuberkulös erkranken.
Nach Michelson kann die Ursache darin liegen, dass das Einwandern
der Bacillen in die betreffenden Schleimhäute durch besondere Verhältnisse
erschwert wird oder dass die locale Infection ohne ausgesprochene Symptome
verläuft.
Nach Koch sollen durch die Flimmerbewegung des Epithels die Tuber-
kelbacillen aus den Respirationswegen wieder hinausbefördert werden, bevor
TUBERCULOSIS NARIUM. 688
sie noch eine eigentliche Entwicklung erreichen. Nachdem die Schleimhaut
des obersten Respirationstractes jedoch nicht überall Flimmerepithel hat,
nimmt Michelson an, dass das besonders stark geschichtete Plattenepithel
der Einwanderung von Mikroorganismen einen ebenso erheblichen Widerstand
leistet. Weiters bildet die Schleimdecke, welche das Epithel überall überzieht,
einen schlechten Nährboden für den Bacillus.
„Auf den physiologischen Eigenschaften der die Nasen- und die Mund-
rachenhöhle auskleidenden Membranen beruht es," sagt Michklson, „dass der
langsam wachsende Tuberkelbacillus geeignete Angriffspunkte an diesen Loca-
litäten nicht leicht findet; eine Infectionsmöglichkeit scheint nur dann vor-
handen zu sein, wenn die specifischen Bacillen der Tuberkulose entweder in
ungewöhnlich grossen Massen in die betreffenden Cavitäten gelangen oder
aber, wenn deren Schleimhäute, sei es mechanisch, sei es durch einen prä-
existirenden krankhaften Process lädirt sind."
Die Tuberkulose der Nasenschleimhaut kann sowohl in Form von Ge-
schwülsten als in Form von Geschwüren auftreten (auch beide Formen
nebeneinander). Die Erkrankung bietet meistens ein charakteristisches Bild.
Sie beginnt fast immer am Septum cartilagineum in Form einzelner Knoten,
welche Hirsekorn- bis Walnussgrösse haben. Diese Tumoren sehen röthlich
oder gelblichgrau aus und sind meist mit eitrigem Secret bedeckt. Ihre Ober-
fläche ist uneben, zuweilen körnig, ihre Consistenz weich und brüchig (Zunesha-
BUEO KiKuzi). Nicht selten sind in der Umgebung von Ulcerationen grau-
weisse Knötchen (miliare Tuberkel) wahrgenommen worden, die durch ihr Zer-
fallen zur Vergrösserung des Geschwüres beitragen (Hajek).
Durch grosse Aehnlichkeit der Tuberkelnötchen mit Lymphknötchen können jedoch
bei oberflächhcher Untersuchung leicht Verwechslungen entstehen.
Die tuberkulösen Tumoren neigen auffallend zu ulcerösem Zerfall. Nach
KiKUzi bildet sich ein flaches Geschwür mit weichen, wallartigen Rändern,
welches einen schmutzig-graugelben Grund besitzt. Indem der geschwürige
Zerfall in die Tiefe dringt, greift er auf das Septum über und führt zur
Perforation desselben.
Trotzdem im Beginne der Erkrankung die Veränderungen nur auf der
einen Seite auftreten, erkrankt nach Perforation des Knorpels gewöhnlich auch
die andere Seite.
Der Lieblingssitz der Tuberkulose ist, wie schon erwähnt, das Septum
cartilagineum, dem der Naseneingang nachfolgt. Seltener tritt sie auf den
Muscheln auf. (Die pars cartilaginea septi ist Insulten durch den bohrenden
Finger am meisten ausgesetzt, dann berührt der Inspirationsstrom mit seinen
Infectionsstoffen eben diese Stelle am ehesten.)
Localisirt sich die Tuberkulose auf den Nasenflügeln, dann sind dieselben
verdickt, hart und uneben, mit bräunlichen Borken und Geschwüren besetzt
(SCHECH).
Durch die mikroskopische Untersuchung kann man fast immer den
tuberkulösen Charakter des Processes erkennen. Das histologische Bild ist
nach Meetens im Wesentlichen folgendes: „Die Tumoren wie die Piänder der
Geschwüre bestehen in der Regel aus einem zellen- und gefässreichen Granu-
lationsgewebe, welches von fibrösen Bindegewebszügen durchsetzt ist. An ver-
schiedenen Stellen dieses Granulationsgewebes sind knotenförmige Herde ein-
gelagert, welche ganz das Aussehen von Tuberkeln haben, wie man sie nament-
lich in tuberkulösen Lymphdrüsen und fungösen Granulationen findet. Sie
bestehen aus lymphatischen Elementen und epitheloiden Zellen und etwas
faseriger Grundsubstanz. Typische Riesenzellen sind in geringer Anzahl vor-
handen. Die Tuberkel sind theils zerstreut, theils in Gruppen gelagert.
Tuberkelbacillen sind in den Präparaten gewöhnlich nur in geringer Anzahl
oder gar nicht nachzmveisen. An den tieferen Stellen der Geschwüre häufen
sie sich jedoch oft in grosser Anzahl an."
684 TUBERCULOSIS NARIüM.
Audi Hajek und Michelson behaupten, dass mau oft keine oder nur
vereinzelte Bacillen findet, sicherer in den tieferen Theilen der Geschwülste
oder auf dem Grunde der Geschwüre.
In seltenen Fällen weist der histologische Befund nur auf einfaches
Granulationsgewebe hin, und es fehlen die charakteristischen Veränderungen
der Schleimhaut.
Symptome und Diagnose. Im Beginne der Erkrankung sind nur
ausnahmsweise erhebliche Beschwerden u. a. Schmerzen vorhanden. Die
Erscheinungen können leicht eine Rhinitis vortäuschen, da der Process ge-
wöhnlich mit einer erhöhten Secretion der Nasenschleimhaut einhergeht.
Anfangs ist das Secret wasserhell, später eitrig, schmutziggrün oder gelblich
und nicht selten übelriechend. Wachsen die Tumoren an, so stellt sich theil-
weise oder vollständige Nasenstenose ein und die Kranken werden durch- die
behinderte Nasenathmung auf ihren krankhaften Zustand aufmerksam. Bei
ülcerationen sind es der übelriechende Nasenfluss, die Borkenbildung und
manchmal das Nasenbluten, welche auf die Erkrankung hinweisen.
Das Allgemeinbefinden wird eigentlich nur dann ungünstig beeinflusst,
wenn tuberkulöse Erkrankung anderer Organe vorhanden ist.
Nach Scheck findet sich in den Fällen, wo zugleich die Lunge afficirt ist, die Tuber-
kulose der Nase öfter auf der der erkrankten Lunge entsprechenden Seite.
Bei der rhinoskopischen Untersuchung sieht man die Eingangs erwähnten
Tumoren und Geschwüre, die ihren Ausgangspunkt meist am Septum haben.
Die erkrankten Stellen sind fast immer mit blutigbraunen Krusten bedeckt.
Nach Entfernung der Krusten werden die grauen oder grauröthlichen, leicht
blutenden Geschwülste bemerkbar. Die Tumoren zeigen auf ihrer Höhe ge-
wöhnlich ulcerösen Zerfall. Der Grund der Geschwüre, meist graugelblich, ist
mit Eiter und Blut bedeckt. Die Erkenntnis der tuberkulösen Erkrankung
der Nasenschleimhaut ist oft keine leichte, da, wie wir wissen, die Möglichkeit
einer Verwechslung mit verschiedenen Krankheitsprocessen nicht ausge-
schlossen erscheint.
Eben deswegen erfordern bei Sicherstellung der Diagnose, abgesehen
von der Verwerthung der jeweiligen anamnestischen Daten, ausser den klinischen
Erscheinungen die histologischen und bacteriologischen Befunde besondere
Berücksichtigung. Selbstverständlich muss sich die Diagnose der tuberkulösen
Erkrankung der Nase vor allem auf die klinischen Erscheinungen (Symptome)
aufbauen. Daran reiht sich dann der mikroskopische Befund, welcher in den
afficirten Partien die Anwesenheit von Tuberkeln, Riesenzellen und Tuberkel-
bacillen erweist.
Hajek betont, dass man bei mikroskopischer Untersuchung sehr gründlich das
Präparat durchprüfen soll, da nach eifrigem Suchen oft auch isolirt stehende Bacillen auf-
zufinden sind, ferner müssen nach seinen Erfahrungen immer tiefer liegende Gewebsstücke
zur Untersuchung entnommen werden.
Die Erkenntnis der Natur der localen Veränderung wird in solchen
Fällen, wo in anderen Organen tuberkulöse Processe zu constatiren sind,
leicht geschehen können. Ist jedoch die krankhafte Veränderung nur in der
Nase zu finden und keine anderweitige tuberkulöse Erkrankung nachzuweisen,
so wird die Feststellung der Diagnose Schwierigkeiten bereiten, besonders
dann, wenn man, wie das aus mitgetheilten Fällen ersichtlich ist, weder am
Geschwürsgrunde noch in der Tiefe des erkrankten Gewebes Bacillen zu finden
im Stande ist. Hier wird dann ausser dem klinischen Verlauf der histologische
Befund ausschlaggebend sein, da der negative Befund von Bacillen nicht zu
dem Schlüsse berechtigt, dass keine tuberkulöse Erkrankung vorliegt.
Die tuberkulöse Erkrankung der Nasenschleimhaut ist von bösartigen
Neubildungen nicht schwer zu unterscheiden.
Die Sarkome sind viel grösser als die tuberkulösen Geschwülste. Wäh-
rend die letzteren höckerig, uneben und von grauweisser, bis graugelber Farbe
TUBERCULOSIS NAPJUM. 685
sind, haben die Sarkome eine glatte Oberfläche und sind gewöhnlich von
rother, seltener dunkelbrauner Farbe. Weiters ist bei den Sarkomen das
rasche Wachsthum charakteristisch, wohingegen die tuberkulöse Nasenaffection
Jahre lang bestehen kann, ohne erhebliche tJeschwerden zu verursachen.
Mit carcinomatüsen Veränderungen ist eine Verwechslung schon deshalb
nicht leicht möglich, da bei derselben der Zerfall rapid entsteht, die Zerstö-
rungen rasch um sich greifen, Anschwellungen der benachbarten Lymphdrüsen
und frühzeitige Kachexie eintritt.
Unstreitig schwieriger gestaltet sich oft die Differential-Diagnose zwischen
Tuberkulose und Lues. Der tuberkulöse Tumor kann den Eindruck eines
Syphiloms machen, das tuberkulöse Geschwür kann eventuell ein luetisches
vortäuschen. Es gibt jedoch auch da Anhaltspunkte, die gut verwerthet werden
können. So sehen wir, dass luetische Neubildungen sich gewöhnlich viel
rascher entwickeln und verlaufen, ihre Consistenz ist härter und die Geschwürs-
ränder sind derber. Tuberkulöse Processe haben ihren Lieblingssitz am knor-
peligen, syphilitische hingegen am knöchernen Nasengerüst. Bei Syphilis ist
die Ozäna eine häufigere Begleiterscheinung. Bei der ulcerösen Nasen-
syphilis sind diffuser Kopfschmerz und Neuralgien im Gebiete der Trigeminus-
äste zu beobachten, bei Tuberkulose fehlen diese Erscheinungen.
Eine genaue Anamnese nebst Fehlen von Symptomen und Residuen einer
syphilitischen Infection werden dazu beitragen, die Diagnose auf tuberkulöse
Affection stellen zu können.
Der Unterschied zwischen Tuberkulose und Lupus der Nasenschleimhaut
ist nicht in dem histologischen Bilde zu suchen, da doch der mikroskopische
Befund fast genau derselbe ist und der Lupus wie die Tuberkulose den
Tuberkelbacillus gemein haben, sondern in der Verschiedenheit der Erschei-
nung und des klinischen Verlaufes. „Immerhin muss man vom klinischen
Standpunkte aus," sagt Scheck, ,;im Auge behalten, dass Lupus des Nasen-
innern meist erst auftritt, wenn die Haut der Nase oder des Gesichtes in
charakteristischer Weise bereits befallen ist."
In den Fällen, bei welchen es nach einer erwiesenen tuberkulösen Schleim-
hautaffection zur Eruption von Lupusknötchen an der Haut kommt, geht die
richtige Meinuug Hajek's dahin, dass die genannte Erscheinung gerade als
Beweis dafür dient, dass das tuberkulöse Virus sich gleichzeitig auf der
Schleimhaut und Haut in verschiedener Form kundmachen kann.
Verlauf, Prognose. Der Verlauf der Tuberkulose der Nase ist ein
chronischer. Gewöhnlich dauert die Erkrankung Jahre lang, in den wenigsten
Fällen währt sie nur wenige Monate. In der Literatur sind Fälle verzeichnet,
wo der Process 20, selbst 27 Jahre (Tornwaldt, Riedel) bestanden hatte.
Die Prognose ist durchaus ungünstig, da bisher in keinem einzigen
Falle dauernde Heilung erzielt wurde. Es treten nämlich, wenn schon Heilung
beobachtet wird, nach kürzerem oder längerem Zeitraum (Fall Seifert 2 Jahre)
wieder Recidiven auf. Eine Spontanheilung ist bis jetzt nicht beschrieben
worden. Der Exitus wird durch die tuberkulöse Erkrankung anderer Organe
beschleunigt.
Therapie. Die Behandlung der Tuberkulose der Nase soll nicht nur
eine locale, sondern auch eine allgemeine sein. Durch letztere wird bei
zweckmässiger Ernährung die Kräftigung des Gesammtorganismus bezweckt,
was eher eine Möglichkeit zur Hintanhaltung der Recidive bieten kann.
Die locale Behandlung muss darin bestehen, dass alles Krankhafte ent-
fernt wird. Geschwüre müssen ausgekratzt, Tumoren mit der Glüh- oder
kalten Schlinge abgetragen werden. Die restlichen krankhaften Partien sind
mit Aetzmitteln und Galvanokauter zu zerstören. Nach Entfernung des krank-
haften Gewebes sind energische Einpinselungen, eigentlich Einreibungen mit
concentrirter Milchsäurelösung (50 — 80%) zu machen. Vor jedem Eingriff
686 TUBERCULOSIS PHARYNGIS.
ist CocainisiruDg des krankhaften Gewebes vorzunehmen, da die am häufigsten
ergriffene Partie der Nase äusserst empfindlich ist.
Tritt die zeitweise Heilung ein, so bildet sich an den früher erkrankten
Stellen ein Narbengewebe. irsai.
Tuberculosis pharyngiS. Bei Tuberkulose der Lungen und anderer
Körpertheile linden sich als P'olgen der Dyskrasie und der Reizung durch die
zersetzten Sputa häufig Anämie, einfacher und atrophischer Katarrh, Hyper-
ästhesie des Rachens ohne speci fischen Charakter.
Specifische Erkrankungen des Pharynx im engeren Sinne finden
sich dagegen recht selten; nur in der Aera der Tuberkulinbehandlung sind sie
häufiger zur Beobachtung gekommen und haben dazu beigetragen, das Miss-
trauen gegen dieselbe zu erwecken.
Es sind folgende Formen zu unterscheiden:
1. Die Miliartuberkulose mit Geschwürsbildung.
Verschiedene Beobachtungen zwingen dazu, auch ein primäres Auf-
treten der Rachen tuberkulöse anzuerkennen; der Regel nach ist es aber
secundär, und zwar insbesondere bei Tuberkulose der Lungen (ein directes
Uebergreifen findet manchmal vom Kehlkopfe auf die pars laryngea statt).
Betroffen ist hauptsächlich das Mannes-, nur sehr selten das Kindesalter.
Die Geschwüre entstehen durch Zerfall von Tuberkeln oder Infiltraten
der Schleimhaut und sind ursprünglich lenticulär, d. h. flach, mit ent-
zündlichem Hofe, speckigem Grunde und dickeitriger Secretion. Durch immer
neuen Zerfall von Tuberkeln in der Umgebung und Vereinigung der Substanz-
verluste entstehen grössere, flache, atonische Geschwüre mit einem buchtigen
Rande, welcher mit rothen oder grauen Granulationen besetzt ist. Die Lymph-
drüsen betheiligen sich mit Schwellung oder Vereiterung. Wiederholt ist
isolirte Tuberkulose der Rachenmandel mit Verschwärung bis auf den Knochen
beobachtet worden.
Die subjectiven Beschwerden sind grosse Schmerzen, besonders beim
Schlucken, zu welchem in Folge der Schleimabsonderung des Rachens ein er-
höhtes Bedürfnis besteht, ferner ins Ohr ausstrahlende Schmerzen. Der Ver-
lauf pflegt in Folge der Dysphagie und der Ausbreitung auf den Kehlkopf, die
Lungen oder auch die Meningen ein rascher zu sein.
Die Diagnose gegenüber Lupus oder Syphilis wird beziehungsweise
durch die viel lebhaftere Schmerzhaftigkeit, das Fehlen der Narbenbildung,
das Vorhandensein mikroskopischer Kennzeichen und das Ausbleiben der
bekannten Heilerfolge bei Lues gesichert.
Die Therapie ist nicht aussichtslos, muss aber besonders angesichts einer
primär scheinenden Affection ganz energisch sein. Heilungen sind durch
Curettement und Milchsäure, 207oiges Carbolglycerin und Mentholöl erzielt
worden. Zur Deckung der Geschwüre dient Jodolpulver. Gegen die Schmerzen
ist Orthof orm oder 10 böiges Carbolglycerin und Cocain besonders vor dem
Essen anzuwenden.
2. Geschvülste. Solche sind an der oberen Seite des Velum in beträcht-
licher Grösse gesehen und mikroskopisch von bösartigen Geschwülsten unter-
schieden worden.
3. Lupus. Obwohl meist secundär, besonders von der Nase her
eingewandert, ist er doch auch primär an der Pharynxwand beobachtet
w^orden. Er unterscheidet sich von der Miliartuberkulose durch seine kleineren
Knoten und weniger buchtigen Geschwüre, seine Tendenz zur narbigen Heilung
und besonders seine auffällige Schmerzlosigkeit, von der Syphilis durch seine
geringere Starrheit, Ausdehnung, Tiefe und Röthe. Bei eventueller Mitbe-
theiligung der Gaumenbögen kommt es zu Verwachsungen. Therapeutisch
wird man Jod nicht unversucht lassen, wegen des häufigen Zusammenhanges
UNTERSUCHUNG DER NASE. 687
mit Syphilis; local bedient man sich des scharfen Löffels und möglichst con-
centrirter Milchsäure.
4. Fisteln tuberkulöser retropharyngealer Wirbel- und Drüsenabscesse.
Noch ist, um verschiedenen Anschauungen gerecht zu werden, die Pha-
ryngitis scrophulosa (s. unter Pharyngitis chronica) zu erwähnen, sowie
dass man auch die adenoiden Wucherungen wegen der Fieberreaction
und des Zurückgehens auf Tuberkulin für ein tuberkulöses Product gehalten
hat; thatsächlich sind in ihnen Riesenzellen, aber keine Tuberkelbacillen
gefunden worden. bkhoeat.
Untersuchung der Nase. Bevor wir auf unser eigentliches Thema
eingehen, müssen wir hervorheben, dass Krankheiten der Nase sehr häufig
Störungen in andern Organen verursachen und dass umgekehrt die Nase bei
Erkrankungen entfernter Organe in Mitleidenschaft gerathen kann. Es wäre
deshalb sehr verkehrt, wenn der Nasenarzt seine Untersuchung auf die Nase
beschränken wollte, anstatt den angedeuteten Verknüpfungen eifrig nachzu-
spüren. Denn oftmals gelangt er erst auf diesem Wege zur Aufstellung eines
vernünftigen Heilplanes.
Die vorliegende Darstellung hat sich auf die Untersuchungsme-
thoden der Nase selbst zu beschränken. Wir wollen diese der Pteihe
nach durchgehen. Im Artikel ^^ Diagnostik der Nasenkrankheiten^ (vgl.
pag. 96 dieses Bd.) ist angegeben, wie und in welcher Vereinigung sie
beim einzelnen Falle zweckmässig angewandt werden.
1. Anamnese. Das Krankenexamen hat die Beschwerden des Patienten,
ihre Dauer und muthmassliche Ursache (Beschäftigung, Lebensweise, Infections-
gelegenheit, hereditäre Verhältnisse) zu erforschen.
Eine der häufigsten Klagen unserer Kranken bezieht sich auf die Ein-
schränkung oder Verlegung des Nasenluftweges mit der Folge,
dass die ganze Athemluft oder ein Theil davon durch den Mund strömt
(Mundathmung) .
Diese Störung kann einseitig oder doppelseitig, sie kann beständig oder
veränderlich sein, veränderlich nach Zeit und Stärke. Die genaue Erfor-
schung dieser Verhältnisse bietet uns für die Beurtheilung des Leidens oft
brauchbaren Anhalt. Constante Nasenverstopfung wird erzeugt durch stabile
Veränderungen, wie Diff'ormitäten des Nasengerüstes, Verwachsungen, massen-
hafte und derbere Neubildungen. Eine Nasenverstopfung, die häufig wechselt,
oft in wenigen Minuten kommt und geht, die von einer Nasenseite auf die
andere überspringt — bei Seitenlage gern auf die tieferliegende Seite — oder
die nur bei Rückenlage, also vorzugsweise Nachts, auftritt, diese Art der Ver-
stopfung ist gewöhnlich Folge von cavernösen Tumoren an den untern Nasen-
muscheln, oft auch nur von pathologisch gesteigerter hyperlabiler Schwell-
körperfüllung. Die ödematösen Fibrome (^ Schleimpolypen''-) endlich pflegen
bei feuchter Witterung grösser zu werden, so dass die Verstopfung dann
stärker ist als bei trockener Luft.
Eine andere, sehr häufige Klage hat es mit Veränderungen in der
Quantität und Qualität des Nasensecrets zu thun. Ist die Abson-
derung gesteigert, so geben viele Patienten „ Verschleim ung" der Nase an,
derentwegen sie mehr Taschentücher verbrauchten als Gesunde. Vermehrte
Secretion, verbunden mit Nasenverstopfung, bildet den Complex, den sie „Stock-
schnupfen" nennen. Das Aussehen des Secrets wird als wässrig, schleimig und
fadenziehend (ähnlich rohem Hühnereiweiss), als schleimig-eitrig, als rein
eiterig oder endlich als dick, klumpig, stückig und dunkelfarbig geschildert.
Zuweilen ist es übelriechend in den verschiedensten Graden und Qualitäten.
Es wird entweder in gleichbleibender Menge abgesondert oder es tritt periodisch
zu Tage und in diesem Falle gewöhnlich bei bestimmten Kopflagen oder
688 UNTERSUCHUNG DER NASE.
Morgens nach dem Erwachen. Rein eiteriges, fötides Secret, das periodisch
abgesondert wird, stammt in der Regel aus erkrankten Nebenhöhlen. Dicke,
dunkelgefärbte Stücke und Borken, die einen ganz besonderen, höchst penetranten
Gestank verbreiten, werden bei der üzäna producirt.
Im Gegensatz zu dem soeben Erwähnten beschweren sich manche
Patienten über Trockenheit in der Nase. Und sie schauen häufig un-
gläubig darein, wenn man ihnen versichert, dass dieser Zustand der eigentlich
normale ist. „Nur ein krankhaftes Uebermaass von Schleimabsonderung ver-
anlasst das den Thieren und Wilden unbekannte, ekelerregende Schnäuzen,
welches weit mehr üble Gewohnheit als wirkliches Bedürfnis ist" (Hyrtl).
Wenn man bedenkt, dass der Geruch einer unserer feinsten Sinne ist,
dass auf ihm der aromatische Geschmack, d. h. also der Wohlgeschmack über-
haupt beruht, dass er wie wenige andere Sinne auf unser Wohlbefinden ein-
wirkt, so muss man sich wundern, dass so wenige dem Arzte die Ab-
stumpfung oder den Verlust ihres Geruches klagen. Ursache zur
Consultation wird dieser Defect gewöhnlich nur für solche, deren Existenz auf
ihrem Geruchsvermögen beruht; z. B. Küfer, Köche und Conditoren, Cigarren-
händler, Parfumeure, Moschusriecher u. dgl. m. Von den übrigen erfährt man
in der Regel erst durch specielles Zufragen etwas über ihren Geruch.
Aeusserst selten auch werden Schmerzen in der Nase angegeben.
Sie treten vorzugsweise bei syphilitischer Knochenerkrankung auf, ferner bei
Verhaltung und Stauung von Secreten und Exsudaten, endlich bei den sehr
seltenen Erkrankungen durch thierische Parasiten. Die Schmerzen können die
verschiedensten Qualitäten und Grade annehmen. Sie werden sehr selten am
Ort ihrer Entstehung allein wahrgenommen, strahlen vielmehr gern auf andere
Gebiete (Zähne, Ohren, KopiO aus, ja sehr oft werden sie nur hier empfunden.
So viel sei hier über die hauptsächlichsten Klagen Nasenkranker gesagt.
Einige andere, wie die über Blutungen, subjective Gerüche, werden in den
speciellen Capiteln zusammenfassend behandelt.
Zur objectiven Untersuchung dienen Inspection, Durchleuchtung,
Palpation, Cocain isirungderNasen seh leimhau t, Auscultation,
Prüfung mit dem Gerüche, Probepunction, mikroskopische
Untersuchung, bacteriologische Untersuchung und endlich
Prüfung der Function.
2. Die Inspection hat sich zunächst auf die äussere Nase zu erstrecken.
Wir besehen bei Tagesbeleuchtung ihre Form, Farbe, ihr Verhältnis zum übrigen
Gesicht. Sehr häufig können wir aus der äusseren Inspection schon Schlüsse
auf die Veränderungen machen, die wir im Innern antreffen werden. So
pflegen adenoide Vegetationen, bösartige Neoplasmen, pflegt häufig auch die
Ozäna Nase und Gesicht in typischer Weise zu verändern. Bei andern
Krankheiten, wie beim Lupus, der Lepra, dem Sklerom ist häufig die Nasen-
naut ebenso erkrankt, wie die Schleimhaut.
Nachdem wir die ruhende äussere Nase betrachtet haben, lassen wir
den Patienten ein paar kräftige Inspirationen machen, um zu sehen, ob dabei
die Nasenflügel angesogen werden. Das Ansaugen der Nasenflügel gibt, wie
neuerdings noch M. Schmidt hervorgehoben hat, auch bei sonst Gesunden
Veranlassung zu beträchtlichen Respirationsstörungen.
Die Besichtigung des Naseninnern (Rhinoskopie) ist eine Kunst,
die nur mit Hilfe eines besondern, freilich sehr simpeln Instrumentariums, und
nur nach gehöriger und gewissenhafter Schulung vollendet ausgeübt werden
kann. Lichtquellen, Instrumentarium und Methodik der Rhino-
scopia anterior et posterior sind ausführlich im Artikel „RhinosJcopie" pag. 566
u. ff. ds. Bds. behandelt.
Eine besondere Form der Inspection ist die Durchleuchtung. Bei
ihr prüfen wir die Transparenz gewisser Theile für intensives Licht, um dar-
UNTERSUCHUNGt DER NASE. 689
aus auf ihre Eigenschaften Schlüsse zu ziehen. In der Ehinologic wird diese
Methode ausschliesslich für die Diagnostik der Nebenhöhlenerkrankungen, ins-
besondere der Empyeme angewandt und sie wird deshalb zweckmässig dort
besprochen werden. Hiezu ist in neuester Zeit die Untersuchung mittelst Könt-
GEN-Strahlen gekommen, wovon in dem Artikel ^Jiöntfjcnuntersuchung in der
Rhino-Laryngologie'^ ausführlich die liede ist (vgl. pag. 571 (h. Bd.).
3. Palpatioii. Die Untersuchung mit dem Tastgefühl wird auf zwei
Arten angewandt, entweder als directe mit dem blossen Finger oder als
indirecte, wobei die Sonde eine Verlängerung des Fingers darstellt.
In der Nasenhöhle selbst sind dem palpirenden Finger nur die vordersten
Theile zugänglich, über deren Consistenz, Festigkeit oder Yerschieblichkeit
wir uns damit unterrichten können. Ferner können wir in den seltenen Fällen,
in denen krankhafte Processe des Naseninnern sich bis zur Oberfläche er-
strecken (z. B. bei syphilitischen Erweichungen und Nekrosen), die Finger-
palpation mit Nutzen verwenden.
Das eigentliche Gebiet für die directe Palpation ist der Nasenrachen-
raum. Sie gibt uns hier Aufschluss über die Anwesenheit pathologischer Bil-
dungen, über ihre Anheftungsstelle, über die Resistenz und Verschieblichkeit
der Theile u. dgl. m. In den seltenen Fällen, wo die Rhinoscopia post. un-
ausführbar ist, bildet die Palpation das einzige Untersuchungsmittel.
Für die Palpation des Nasenrachenraumes benutzt man den dünnern
Zeigefinger, also gewöhnlich den der linken Hand. Der Nagel dieses Fingers
wird gehörig gekürzt und geglättet, die ganze Hand gründlich gereinigt.
Pharynx, Velum und Nasenrachenraum werden mit Cocainlösung bestrichen.
Nach diesen Vorbereitungen tritt der Arzt an die linke Seite des zu Unter-
suchenden, heisst ihn, den Mund zu öffnen und ruhig und tief zu athmen, und
fährt, während die Rechte den Kopf stützt, mit dem linken Zeigefinger in den
Mund bis an die hintere Rachenwand. Die übrigen Finger sind eingeschlagen,
die Dorsalseite der Hand schaut nach unten. Sobald die Kuppe des palpirenden
Fingers die Rachenwand fühlt, biegt er sich in den Endphalangen hakenförmig
in die Höhe und schlüpft hinter das Gaumensegel. Er fühlt jetzt deutlich an
der Fingerbeere das Septum, an der Nagelseite das schwammige Gewebe der
Rachentonsille. Er tastet weiter bei kleinen seitlichen Bewegungen und Rota-
tionen die Choanen mit den Enden der mittlem und untern Muscheln, an der
Seitenwand Tubenmündung, Tubenwulst und RosENMtJLLER'sche Grube. Alle
diese Theile werden im Fluge palpirt und sogleich nach beendeter Prüfung
wird der Finger entfernt. Denn die ganze Untersuchung, auch wenn sie noch
so geschickt und schonend ausgeführt wird, ist für den Untersuchten ausser-
ordentlich unangenehm. „Das Cavum retronasale und der Gaumen sind un-
gemein nervenreiche Gebilde, weswegen bei ihrer Betastung ;, augenblicklich
heftiger Schmerz im Hinterkopfe, seltener in den Schläfen oder am Scheitel
erzeugt wird." (v. Tröltsch.)
Wollen widerspänstige Kinder den Mund nicht öffnen, so halte man
ihnen die Nase zu. Manche öffnen ihn dann, um Luft zu holen. Andere,
gewitztere machen nur die Lippen auseinander und respiriren durch die
seitlich zwischen den Zahnreihen freibleibenden Zwischenräume. Solchen muss
man die Kiefer gewaltsam von einander bringen.
Um nicht auf den Finger gebissen zu werden, kann man ihn mit einer
passenden Metallhülse („Fingerschützer") umgeben oder besser sich folgenden,
von B. Fränkel angegebenen Handgriffes bedienen: Man krempt die Unter-
lippe des Patienten mit dem Daumen der rechten Hand über die untere Zahn-
reihe und hält sie dort fest, während sich der rechte Arm um das Hinter-
haupt schlingt und dieses stützt. Will das Kind jetzt zubeissen, so beisst es
sich zu allererst auf die eigene Lippe und hört dann schon von selber auf.
Wird das Gaumensegel krampfhaft hochgezogen, so dass der palpirende Finger
Ohren-, Nasen-, Eachen-, Kehlkopfkrankheiten. -±4
690 UNTERSUCHUNG DER NASE.
nicht dahinschlüpfen kann, so ist es nicht räthlich, den Verschluss gewaltsam
zu sprengen. Man suche vielmehr das Gaumensegel zu erschlaffen, indem man
0 nasale angeben lässt, oder indem man, während der Finger im Munde ver-
weilt, diesen etwas schliessen, darauf „ein paar Mal schlucken lässt und so-
wie abgeschluckt und das Gaumensegel hierbei heruntergefallen ist, behende
in den Nasopharynx eingeht". (Ziem.)
Die Palpation des Nasenrachenraumes ist durchaus nicht so einfach. Sie
muss schnell und elegant ausgeführt werden, weil sie dem Patienten stets
sehr unangenehm ist, und doch soll das Gefühl unserer Fingerspitze uns ein
detaillirtes Bild der Höhle übermitteln. Dazu verhilft nur oftmalige und
sorgsame Uebung. Der Finger muss ähnlich wie der des Gynäkologen auf
seine besondere Aufgabe einexercirt werden, damit er schnell und sicher das
Wesentliche erkenne.
Zur indirecten Palpation bedienen wir uns der Nasensonde. Für
die Palpation der Nasenhöhle und der des Nasenrachenraumes von vorn, hat
diese die Gestalt einer Knopfsonde, deren myrthenblatt- oder schleifenähnlicher
Handgriff 12 cm vom Knopfe stumpfwinklich abgebogen ist. Um für alle
Zwecke gerüstet zu sein, müssen wir weiche und biegsame Sonden (aus ge-
glühtem Kupfer mit Nickelüberzug), sowie festere (aus ungeglühtem Silber
oder Neusilber) in grösserer Anzahl vorräthig haben.
Mit der Sonde ermitteln wir die Resistenz, die Verschieblichkeit der
Theile, die Beschaffenheit ihrer Oberfläche, ob sie glatt oder rauh, fest oder
leicht verletzlich ist. Zugleich controliren wir mit dem Auge die Formver-
änderungen, die durch die Sondirung erzeugt werden. Die Sonde gibt uns
ferner über Gegenden Aufschluss, in die wir mit dem Blick nicht eindringen
können, über enge Canäle, Nischen und Buchten. Wir erkennen so deren
Ausdehnung, die Beschaffenheit ihrer Oberfläche, wir fördern durch die Son-
dirung häufig pathologische Secrete zu Tage, die wir zu weiteren Unter-
suchungen benutzen können.
Ueber die Ausführung der Sondirung ist nichts weiter zu sagen.
Zur Sondirung des Nasenrachenraums per os bedient man sich einer
längeren Sonde, die 3 bis 4 cm vom Knopfe nahezu im rechten Winkel kurz
abgebogen ist. Der Spitze können entsprechend der Lage der zu palpirenden
Theile, noch besondere Abbiegungen gegeben werden. Die Untersuchung wird
mit Vortheil nur unter Controle des Kachenspiegels vorgenommen. Dazu muss
man den Zangenspatel dem Patienten oder einem Assistenten übergeben.
Man führt selbst mit der linken Hand den Rachenspiegel, mit der rechten
die Sonde.
4. Cocaiuisiruiig. Das Cocainum muriaticum übt auf die Schleim-
häute zweierlei Wirkung aus. Erstens stumpft es die Sensibilität und Reflex-
empfindlichkeit bis zur Aufhebung ab, und zweitens erzeugt es Gefässver-
engerung und dadurch Blutleere. Die Anästhesie pflegt etwa 15 Minuten,
die Anämie etwa doppelt so lange anzuhalten. Auf die Anämie folgt eine
kräftige Hyperämie.
Beide Wirkungen des Cocains benutzen wir in geeigneten Fällen zur
rhinologischen Diagnose.
Oft erblicken wir an einer Muschel eine diffuse oder circumscripte Ver-
dickung, von der wir nicht sogleich sagen können, ob sie auf übermässige
Füllung des Schwellgewebes oder auf Neubildung von Gewebselementen be-
ruht. Zwar bietet die Hyperämie bei der Sondenbetastung mehr die Resistenz
eines Luftkissens dar, während sich Neubildungen mehr wie Lappen im
Ganzen hin und her schieben lassen. Aber diese Merkmale sind nur für
reine Fälle verwerthbar. Bei gefässreichen, hyperämischen Neubildungen lassen
sie uns im Stich.
UNTERSUCHUNG DER NASE. 691
Appliciren wir aber auf ein solches fragliches Gebilde eine geeignete
Cocainlösung, so tritt innerhalb einer Minute Anämie ein und wir können
jetzt aus der Differenz gegen früher ermessen, was an der Schwellung neu-
gebildetes Gewebe, was Auftreibung durch Gefässinjection gewesen ist.
Für den geschilderten Versuch reichen schwache Lösungen (0*5 — 1:100)
meist vollkommen aus. Die dem Patienten angenehmste Application ist die
als Spray, wofür Hartmann einen besonderen Zerstäuber angegeben hat.
Für den sogleich zu erwähnenden Versuch, bei dem eine Anästhesie
gewisser Schleimhautbezirke hervorgerufen werden soll, muss eine stärkere
Lösung (10: 100) verwandt werden. Von dieser dürfen wir nur geringe Mengen
auftragen, um keine Intoxication zu erhalten. Wir drehen dazu ein kleines
WatteÜöckchen an die Spitze einer ungeknöpften, mit einer Feile leicht an-
gerauhten Sonde derart, dass ein kleines Büschelchen pinselartig die Spitze
überragt. Diesen etwa 5 Tropfen fassenden Pinsel tauchen wir in die Lösung
und bestreichen damit die zu explorirende Schleimhautstelle.
Die Anästhesirung eines Schleimhautbezirks kommt für die Diagnose da
in Betracht, wo wir den Verdacht hegen, dass von ihm aus pathologische
Nasenreflexe ihren Ausgang nehmen. Gelingt es, durch Cocainisirung einen
bereits vorhandenen oder künstlich erzeugten pathologischen Nasenreflex zu
coupiren, so ist damit die Diagnose gesichert (vgl. über das Nähere den
Artikel ^^'Nasenigolypen'-'- , pag. 354).
5. Auscultatioii. In manchen Fällen entstehen bei der Athmung blasende
oder pfeifende Stenosengeräusche in der Nase, und wir können daraus sofort
auf ein Athmungshindernis in derselben schliessen.
Viel häufiger benützen wir unser Gehör zur Beurtheilung der durch
manche Nasenerkrankungen erzeugten oder begünstigten Sprachanomalien.
Ein Verständnis derselben ist nur möglich, wenn man die wichtige Ptolle
kennt, die Nase und Nasenrachenraum bei der Production unserer Sprach-
laute spielen.
Ein näheres Eingehen auf diese Materie würde uns hier zu w^eit führen. -)
Wir müssen uns damit begnügen festzustellen, dass die freie Passage des
Nasenluftweges für die Bildung der Nasenlaute (w, m, ng^ franz. an, on, in,
un) ebenso wichtig ist, wie sein Abschluss für die Bildung der übrigen
Laute, und dass während der fortlaufenden Rede zwischen den einzelnen
Worten ein etwaiger Ueberschuss der Exspirationsluft fortwährend unmerklich
durch die Nase abströmt.
Deshalb kommt, wenn aus irgend einem Grunde (Lähmung, Defecte des
Velums) der Nasenrachenraum gegen den Schlund nicht abgeschlossen werden
kann, die offene Nasensprache {Rhinolalia aperta) zu Stande. Sie ist
dadurch charakterisirt, dass alle Vocale nasalirt werden und dass die Ver-
schlusslaute undeutlich sind, weil dabei ein Theil der Exspirationsluft, dem
feineren Ohre deutlich vernehmbar, durch die Nase entweicht.
Bei verstopfter Nase erhalten wir die gestopfte Nasensprache
{Rhinolalia clausa). Sie ist charakterisirt:
1. Durch veränderte Resonanz der Nase beim Anlauten der Nasenlaute.
Sitzt das Hindernis im Nasopharynx, so ist die Resonanz abgeschwächt oder
aufgehoben, es entsteht die von Wilhelm Meyer so genannte todte Sprache.
Sitzt das Hindernis im vorderen Theile der Nasenhöhle, so ist die Resonanz
verstärkt, es entsteht ein näselnder Beiklang.
2. Die Luft, die bei den Nasallauten ausschliesslich durch die Nase
entweicht, kann dort nicht hinaus und ist gezwungen, sich durch den Mund
ihren Ausweg zu suchen. Das geschieht bei den Resonanten unter Sprengung
von Verschlüssen, und zwar beim m des Lippen-, beim n des vordem Zungen-,
beim ng des hintern Zungenverschlusses. Es entstehen auf diese Weise statt
'•'•■) Ausführliclie Belehrung hierüber findet man in meinem bereits cit. Lehrbnche.
44*
692 UNTERSUCHUNG DER NASE.
der Eesonaten die Explosivlaute: m wird zu h, n zu d, ng zu g.
Statt Amanda wird Abbadda, statt Amtmann Abtbadd, statt Engel Eggel ge-
sprochen.
3. Die verstopfende Ursache verwehrt der überschüssigen Exspirations-
luft (s. 0.) den Ausweg durch die Nase. Daher kommt es während der fort-
laufenden Rede zu häufigen Unterbrechungen und Stockungen.
Der Yolksmund nennt die gestopfte Nasensprache merkwürdigerweise ^Sprechen
durch die Nase": Lucus a non lucendo!
Auf die von der Mundathmung abhängigen, durch fehlerhafte Ent-
wicklung der Sprechmuskeln bedingten Dyslalien {D. labialis, dentalis^
lingualis, palatina), auf die mit gewissen Nasenleiden zusammenhängen-
den functionellen Dyslalien, auf den Zusammenhang zwischen
Stottern und Nasenleiden kann hier nicht näher eingegangen werden.
6. Prüfung mit dem Geriiclie. Manchen Nasensecreten, wie dem der
Ozäna, des Khinoskleroms haftet ein specifischer, mit nichts vergleichbarer
Fötor an, der allein hinreicht, um die Erkrankung zu diagnosticiren. Andere
Secrete, wie zuweilen das des chronischen Katarrhs oder der Nasentuberkulose,
zeigen einen wenig auffälligen, faden Geruch, während bei manchen Neben-
höhlenempyemen, bei der Knochensyphilis und beim Zerfall maligner Neu-
bildungen ein aashafter, aber nicht gerade charakteristischer Gestank zu
Stande kommt.
Die genannten Gerüche entstehen sämmtlich durch bacterielle Zer-
setzungen von Nasensecreten oder nekrotischen Gewebstheilen. Ihr Charakter
ist abhängig von den wirksamen Bacterienarten und von den in Zersetzung
gerathenden Substanzen. Bei den specifischen Gerüchen haben sehr wahr-
scheinlich beide Factoren specifische Eigenschaften.
7. Probepmiction. Sie kommt bei Abscessen oder Hämatomen
unter der Nasenschleimhaut, wie sie sich zuweilen am Septum einstellen, und
für die Diagnostik von Kieferhöhleneiterungen in Anwendung.
Ueber die mikroskopische und bacteriologische Untersuchung
von Secreten und excidirten Gewebsstücken geben die Lehrbücher der klini-
schen Mikroskopie, der histiologischen und bacteriologischen Technik Auf-
schluss.
8. Fuiictionelle Prüfung. Von den zahlreichen Functionen der Nase
unterwerfen wir nur ihre Durchgängigkeit für die Athmungsluft und ihre
Fähigkeit zu riechen einer besonderen Prüfung. Alles andere suchen wir aus
der Anamnese und dem sonstigen Befunde zu erschliessen.
Um die Durchgängigkeit der Nase zu prüfen, halten wir dem
Patienten ein Nasenloch zu und lassen ihn durchs andere respiriren. Der Grad
der Anstrengung, der dazu nolhwendig ist, etwaige dabei entstehende Ge-
räusche, die Kraft des Exspirationsstromes liefern uns brauchbare Anhalts-
punkte. Um die Durchgängigkeit beider Nasenhälften mit einander zu ver-
gleichen, halten wir einen nicht zu warmen Toilettenspiegel wagrecht unter
die Nase des zu Untersuchenden. Darauf zeichnen sich bei der Exspiration
durch den Athembeschlag zwei Figuren ab, die allmählich kleiner werden und
endlich verschwinden. Ihre Grösse ist annähernd proportional der in der
Zeiteinheit durch jede Nasenhälfte strömenden Luftmenge (Zwaaedemakee).
Prüfung des Geruchs. Zur qualitativen Prüfung des Geruchs
fordern wir den Patienten auf, eine Reihe von bekannten Riechstoffen zu be-
stimmen. Bedingung ist, dass diese nicht den Trigeminus, sondern aus-
schliesslich den Olfactorius reizen. Von solchen seien folgende genannt:
Tinet. moschi, Ol. cinnamom., Tinct. asae foetid., Ol. menth. pip., Ol. vale-
rian., Ol. terebinth., Spirit. Coloniens., Jodoform. Mit solchen Stoffen, die
der Patient nicht kennt, muss er vorher gut bekannt gemacht werden.
Für die quantitative Prüfung ein brauchbares Instrument ange-
geben zu haben, ist das Verdienst Zwaaedemakers. Dieses Instrument, der
UNTERSUCHUNG DES OHRES. 693
Riechmesser (Olfactom eter), besteht aus einem Glascylinder, dessen
eines Ende aufgebogen ist, um es bequem ins Nasenloch einzufügen.
Ueber diesen GLiscylinder ist ein anderer Cylinder, wir wollen ihn den
Testcylinder nennen, gestreift, der aus der riechenden Substanz besteht oder
mit ihr imprägnirt ist. Es ist dafür gesorgt, dass nach der freien Oberfläche
keine Gerüche abströmen können. Ist der Testcylinder vollkommen über den
andern hinübergestreift, so wird man beim Riechen an diesem keine Empfin-
dung haben. Wird aber der Testcylinder vorgezogen, so muss die Inspirations-
luft, bevor sie in den Cylinder tritt, zunächst über ein Stück riechender
Fläche streichen, von dessen Grösse die Stärke der Geruchsempündung ab-
hängt. Die Grösse der riechenden Fläche ist wiederum abhängig von der
Entfernung, um die das Testrohr vorgeschoben wird und die auf einer dem
Cylinder eingeritzten Scala abgelesen werden kann.
Für jeden einzelnen Testcylinder ist zunächst durch mehrfache Prü-
fungen normaler Geruchsorgane der Schwellenwerth zu ermitteln, bei dem
die erste Geruchsempfindung auftritt. Diesen Werth nennt Zwaakdemakek
1 Olfactie.
In der Olfactie haben wir ein einheitliches Maass, auf das andere Mes-
sungen bezogen werden können. Wir können jetzt, ähnlich wie es in der
Augenheilkunde geschieht, die Geruchsschärfe einer Person, bezogen auf eine
bestimmte Substanz, in Form eines Bruches ausdrücken. Jemand hat z. B.
Riechschärfen Vs für Kautschuk, w^enn das Testrohr aus Kautschuk um den
dreifachen Werth der Olfactie vorgeschoben werden muss, um eine Geruchs-
empfindung zu erzeugen.
Als Teststoffe benutzt Zwaardemaker für klinische Zwecke rothen
Kautschuk (Siegellackgeruch), eine Mischung von Gutta percha und
Gummi ammoniacum ää (Lakritzengeruch), Resina benzoes (Vanille-
geruch) und Radix sumbuli (Moschusgeruch). Zu feineren Messungen
dienen poröse Thonröhren, die mit den zu prüfenden wässerigen Lösungen
(z. B- Aq. amygd. amar. 1:100, schwacher Lösung von Acid. valerianic.) ge-
tränkt werden. Sie sind nach jedem Gebrauch auszukochen und jedesmal neu
zu tränken.
Zum Beginne der Untersuchung wird dem Patienten der zu benutzende
Testcylinder vorgehalten, damit er dessen Geruch kennen lernt. Darauf wird
der Cylinder über das sorgfältig gereinigte Innenröhrchen geschoben, und
während der Patient das Instrument vorne ins Nasenloch einführt und ruhig
daran riecht, so lange vorgeschoben, bis er die erste Geruchsempfindung an-
gibt. Man erhält dabei gewöhnlich einen etw^as zu hohen Werth, weil im
Verlaufe der Untersuchung an der Innenfläche des Glasröhrchens Riech-
partikelchen hängen bleiben und so die Riechfläche vergrössern. Durch Con-
trolversuche mit frischen Innenröhrchen corrigirt man den Fehler. Man muss
sich auch hüten, zu lange dieselbe Qualität zu prüfen, weil der Geruchsinn
sehr leicht ermüdet. Endlich darf die Temperatur des Testcylinders nicht
vernachlässigt werden, denn ein warmer Körper duftet stärker als ein kalter.
ZARNIKO.
Untersuchung des Ohres. Zu einer vollständigen Untersuchung des
Ohres gehört das K r an k en e xa m en , die 0 1 o s k op i e, der K a t h e t er i s m u s
der Eustachischen Röhre in Verbindung mit der Auscultation und
eventuell mit der Sondirung der Tube, die Functionsprüfung und
für manche Fälle die elektrische Untersuchung des Hörnerven.
Auch die Rhino skopie ist bei vielen Ohraffectionen unentbehrlich.
Die Hauptaufgabe der Anamnese ist es, ausser den Personalien des
Kranken Ursache, Dauer und Symptome der Ohrenkrankheit festzu-
stellen. Bezüglich der Ursachen werden oft und besonders in chronischen
Fällen ganz willkürliche Angaben gemacht, und es genügt daher selten, sich
694 UNTERSÜCHimG DES OHRES.
auf die spontanen Mittheiliingen des Patienten zu verlassen, sondern ist er-
forderlich, sich nach dem Vorhandengewesensein oder Bestehen bestimmter
Krankheiten, welche erfahrungsgemäss das Ohr häufig in Mitleidenschaft ziehen,
zu erkundigen. Es gehören dahin zunächst die sogenannten Constitutionsanomalien,
insbesondere Rhachitis, Scrophulose, Anämie; ferner die acuten und chronischen
Infectionskrankheiten: Masern, Scharlach, Diphtherie, Influenza, Typhus,
Keuchhusten, Mumps, Syphilis, Tuberkulose; die Erkrankungen des Respirations-
apparates, wie Bronchitis, Pneumonie, die Circulationsanomalien u. s. w.
Auch nach Erkrankungen der Nase und des Rachens muss man eingehend
forschen, obwohl hierüber oft erst die Aufnahme des Status Aufschluss ver-
schaffen wird. Ganz besondere Beachtung verdient die Frage, ob Ohrkrank-
heiten in der Verwandtschaft des Patienten mehrfach vorgekommen sind und
ob der Kranke selbst etwa früher schon am Ohre gelitten hat.
lieber die Dauer des Leidens wird man nur in acuten Fällen be-
stimmtere Angaben erlangen; in chronischen Fällen haben sich die Be-
schwerden meist so allmählich eingestellt, dass die Kranken, zumal bei ein-
seitigen Affectionen, sich über die Zeit ihres Eintrittes nicht Rechenschaft zu
geben vermögen. Auch hier werden oft ganz vage Behauptungen aufgestellt,
und es ereignet sich nicht selten, dass ein Patient, welcher als Dauer seiner
Beschwerden einige Monate angeführt hat, auf die Frage, ob er vor fünf Jahren
noch gut gehört habe, mit nein antwortet. Der Arzt ist daher sehr oft ge-
nöthigt, ein förmliches Kreuzverhör mit seinem Patienten vorzunehmen.
Selbst über die Symptome muss man, zumal weniger gebildete Kranke,
zuweilen mühsam ausforschen. Mancher gibt an, dass er Schmerzen habe,
will aber von Schwerhörigkeit nichts bemerkt haben, und sogar der eiterige
Ausfluss wird mitunter verschwiegen. Unter „Ausfluss" wird übrigens von
vielen Menschen nicht die pathologische Absonderung, die Otorrhöe, sondern die
Secretion von weichem Cerumen verstanden, so dass bei ungenügend eingehender
Examination Missverständnisse vorkommen können. Ueber den Schwindel, ein
besonders wichtiges Symptom, wird sehr selten spontan berichtet, weil an die
Möglichkeit seines Zusammenhanges mit dem Ohre vom Laien — und leider
auch vom Arzte — meist nicht gedacht wird. Ueberhaupt sollte man es nie
unterlassen, auch auf Krankheitserscheinungen bei der Anamnese einzugehen,
welche vielleicht mit der Ohraffection direct nichts zu thun haben, denn man
kann niemals vorher beurtheilen, ob scheinbar nebensächliche Umstände nicht
doch eine ganz entschiedene Bedeutung gewinnen können.
So weit möglich, muss man nicht allein über die Art der Beschwerden,
sondern auch über den Gang ihrer Entwickelung Näheres zu erfahren suchen,
da es z. B. nicht ohne Wichtigkeit ist zu wissen, ob Schmerzen, Schwer-
hörigkeit oder subjective Geräusche Schwankungen unterliegen, in welcher
Reihenfolge die Symptome eingetreten sind, ob namentlich ein eitriger Aus-
fluss von Schmerzen eingeleitet oder gefolgt wurde, ob Fieber im Anfang oder
erst im Verlaufe der Krankheit bestand; ferner ob die Beschwerden sich schnell
oder langsam, gleichmässig oder sprungweise eingestellt haben.
Schliesslich unterlasse man nicht, über die bisherige Therapie sowohl
der Ohraffection als etwa vorhandener Allgemeinerkrankungen Erkundigungen
einzuziehen, da man daraus zuweilen wichtige Schlüsse auf Verlauf und Ent-
stehung des Leidens gewinnen kann.
Es ist eine bekannte Thatsache, dass gerade Schwerhörige, da sie in
Folge ihres Gebrechens mehr oder weniger vom Verkehre abgeschlossen sind,
in ihren Berichten ungemein umständlich und weitschweifig sind. Die Ge-
duld des Arztes wird dadurch zuweilen auf harte Proben gestellt; dennoch
möchte es sich empfehlen, dem Redeflusse des zu Untersuchenden so weit
wie möglich freien Lauf zu lassen, weil unter zahlreichen vollkommen gleich-
VARICES IM KEHLKOPF. VERTIGO LARYNGEA. 695
giltigen Mittheilungen doch in der Regel manche Einzelheiten unterlaufen,
welche für die Würdigung des Falles von Bedeutung sind.
Die obengenannten manuellen Untersuchungsmethoden sind in den Ar-
tikeln ,,Auscultation des Ohres (pag. 30), Eleläro-Oto-Diu(jnostik (pag. 113),
Hörprüfung (pag. 198), Katheterismus tubae (pag. 242), Otoskopie (pag. 4G0)"
einzeln behandelt. Bezüglich der gebräuchlichsten Instrumente, deren der
Ohrenarzt zur Ausführung dieser Untersuchungen bedarf, sei auf den Artikel
^^Instrumentarium des Ohrenarztes {pag. 219) verwiesen. jjüiiKNEii.
YariceS im Kehlkopf. Varices sind verhältnismässig häufig in der Form
von Ausdehnung der Venen, welche an der oberen Fläche der Epiglottis bemerkbar
sind. Meistens sind dabei auch die Venen des Zungengrundes hochgradig
ausgedehnt. Diese Form, welche zuerst Mackenzie beschrieben hat, findet
sich nicht selten als Begleiterscheinung von allgemeinen Stauungen in den
oberen Theilen der Luft- und Verdauungswege; macht gewöhnlich keine Be-
schwerden, bedarf daher keiner besonderen Behandlung. Varices dagegen,
welche zur Bildung von wirklichen Geschwülsten führen, sind ausserordentlich
selten. So beschrieb Juefingee einen erbsengrossen, kugeligen, blauen Tumor
auf dem einen Aryknorpel, welcher sich nach aussen in eine Vene fortsetzte,
die in den sinus pyriformis herablief. Der Tumor wurde mit der galvano-
kaustischen Schlinge abgetragen und zeigte auf dem Durchschnitte deutlich,
dass es sich um eine hochgradig dilatirte venöse Gefässschlinge handelte. Ich
selbst beobachtete als zufälligen Befund an dem Stimmbande einer Leiche ein
1 mm im Durchmesser haltendes, halbkugeliges, bläuliches Knötchen. Das-
selbe zeigte sich auf Serienschnitten als Convolut von ausgedehnten, venösen
Gefässen, deren Wände theilweise mit einander verwachsen, an anderen Stellen
aber vollständig von einander getrennt waren, so dass hier eine deutliche
Abgrenzung gegen Tumor cavernosus möglich war. Chiaki.
Vertigo laryngea. (Kehlkopf schwindet, latus laryngis). Diese sehr
seltene Neurose hat grosse Aehnlichkeit mit den Larynxkrisen der Tabetiker,
doch tritt die Sensoriumstörung nur in den schweren Fällen der letzteren und
zwar anscheinend infolge des gestörten Gaswechsels ein, während sie beim
Ictus typisch vorhanden ist und wegen ihres zu raschen Erscheinens auf
andere Umstände bezogen werden muss. Chaecot, der erste Beobachter der
Affection, betrachtet sie als ein Analogon des MENiEEE'schen Schwindels, her-
vorgerufen durch Reizung der sensiblen Kehlkopf nerven; Andere glauben, dass
es sich um einen Laryngospasmus handle, während dessen der intrathoracische
Druck die Synkope veranlasse.
Aetiologisch ist festzustellen, dass die Patienten fast ausschliesslich
Männer von 35—70 Jahren waren und dass Heilungen durch die Entfernung
eines Kehlkopfpolypen oder der Zungentonsille bewirkt wurden.
Der Anfall beginnt mit einem kitzelnden oder reizenden Gefühle im
Kehlkopfe, welchem ein leichter bis sehr schwerer, meist mit Stridor einher-
gehender Hustenanfall folgt, in welchem der Kranke betäubt oder völlig be-
wusstlos zusammenbricht; er erholt sich aber augenblicklich wieder und be-
hält höchstens eine kurzdauernde Sinnesverwirrung zurück.
Bisher sind alle Patienten geheilt worden.
Die Therapie hat etwaige Kehlkopfreizungen zu beseitigen und ver-
wendet mit Vortheil die Brom salze. beegeat.
Vibrationsmassage. Die Vibrationsmassage der Schleim-
haut der oberen Luftwege mittelst Sonden wurde von Dr.
Michael Beaun in Triest erdacht, eingeführt und ausgebildet. Zum ersten-
male vorgetragen und demonstrirt im Jahre 1890 am X. internationalen
Congress in Berlin, später in Paris, in Rom und im Jahre 1897 in der
696 VIBRATIONSMASSAGE.
69. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Braunschweig. Die
ersten Versuche wurden mittelst Kupfersonden, deren geköpftes und geripptes
Ende mit einem Wattabäuschchen umwickelt waren, in Form der Effleurage
und des Tapottements, einen geringeren oder stärkeren Druck ausübend, vor-
genommen. Später jedoch wurde die Dr. Arvid KELLGEEN'sche Erschütterung,
welche Druck und Tapottement in einer einzigen Bewegung in sich vereinigt,
mit der Effleurage combinirt.
Beschreibung der Technik. Der Ausgangspunkt der Bewegung ist
das gebeugte Ellenbogengelenk, welches je nach Bedarf, massig gestreckt,
gehoben, gesenkt, vor- oder rückwärts bewegt werden kann. Die Dimensionen
der zur Verwendung kommenden Sonden sind verschieden, je nachdem sie
zur Massage der Nase, des Rachens, des Kehlkopfes gebraucht werden. Die
kürzeste ist 21 cm lang und an ihrem Fussende 2 mm dick, die längste
circa 50 cm lang und 4 — 5 mm am Fussende stark. Das Wattabäuschchen
muss um den gerippten Hals festgedreht werden und den Kopf um 2 — 3 cm
stets überragen. Die ausgeglühten elastischen Sonden lassen sich den ana-
tomischen Verhältnissen entsprechend leicht biegen, werden schreibfederartig
vom Daumen und Zeigefinger gehalten und sind vorzüglich geeignet, die
wellenförmigen Bewegungen der Armmuskulatur der Schleimhaut mitzutheilen,
ebenso einen beliebigen Druck auf die?elbe auszuüben. Die Sonden werden
vor ihrer neuerlichen Verwendung ausgeglüht. Das aseptische Wattabäuschchen
muss an Festigkeit und Elasticität der Endphalanx des Zeigefingers nahezu
gleichkommen und so gewissermaassen dessen Verlängerung bilden. Die ar-
mirte Sonde wird in jenes Medicament getaucht, das der behandelnde Arzt,
abgesehen von den Erschütterungen der Schleimhaut, dieser einzuverleiben
gedenkt. Bei besonders empfindlichen Individuen ist es rathsam, im Beginne
eine lO^oige oder 20°/oige Cocainlösung zur Anästhesirung zu verwenden.
Die gebräuchlichen Mittel sind 10%ige Menthol- Vaselinsalbe oder 10%iges
Jod-, Jodkali-Glycerin, Peruvianischer Balsam, oder 5°/oige Lysollösung, oder
Sublimat l^/oo^ Lanolin und Vaselin.
Behandlung der Nase und Nasenrachenraumes. Als Charak
teristicum der Behandlung der Nase und des Nasenrachenraumes führen wir
hier die Heilung einer fortgeschrittenen Ozäna an. Wenn Krusten, Borken
und Schleim durch die Cocainvibration gründlich entfernt sind, werden mit
geraden und den dünnsten Sonden, deren Wattabäuschchen in Alkohol oder
peruvianischcn Balsam oder lO^oiges Jod-, Jodkali-Glycerin oder in ein anderes
entsprechendes Medicament getaucht sind, der Nasenboden, der untere Gang, die
untere Muschel, der mittlere Gang, die mittlere Muschel, das Septum, die
oberen Partien und schliesslich die Schleimhaut in ihrer Ausdehnung vibrirt.
Zu Beginn werden für je eine Nasenhälfte etwa 10 Sonden, später bei er-
höhter Toleranz 2—3 Sonden gebraucht, die Berührungsdauer zwischen Sonde
und Schleimhaut soll durch die Uhr controlirt werden und Anfangs V2 > später
5—6 Minuten betragen. Der Nasenrachenraum soll stets mitbehandelt werden,
und zwar soll das Wattabäuschen um den ganzen aufsteigenden Theil der
gekrümmten Sonde derart befestigt werden, dass mit demselben die hintere
Wand des Nasenrachenraumes in einem Zuge vibrirt werden könne.
Schmerzempfindungen oder Blutungen während der
Sitzung oder auch nachträglich sind stets Beweise einer un-
geschickten oder rohen, eher schädlich en als nützlichen Hand-
habung der Vibrationssonden.
Uebler Geruch, Krusten oder Borken werden gewöhnlich nach 6—8
Wochen sistirt, um einer profusen Schleimabsonderung Baum zu geben. Die
Dauer und Art der Behandlung sowohl bei der Ozäna als auch bei sonstigen
katarrhalischen Erkrankungen hängt stets vom Individuum und der Hart-
näckigkeit seines Falles ab.
WARZENFORTSATZERKRANKÜNGEN. 697
Die Indication der Vibrationsmassage der Nasenschleimhaut zum Heil-
zwecke ist nicht nur bei Ozäna, sondern auch bei allen acuten und chro-
nischen katarrhalischen Erkrankungen, ebenso bei Ileflexneurosen aller
Art, ferner gegen Gesichts- und Kopfschmerz, Ohrensausen mit
Schwindelanfällen und Asthma angezeigt, gegen diese letzteren Er-
krankungen nur in dem Falle, wenn durch die während des Anfalles geübte
Probemassage entweder ein gänzlicher Nachlass oder eine bedeutende Ver-
minderung der krankhaften Erscheinungen eintritt.
Bachen. Zur Behandlung desselben werden die stärksten Sonden ge-
wählt. Da die meisten Kranken zu Beginn keinen längern Contact vertragen,
so wird derselbe auf ein Minimum beschränkt, desto häufiger jedoch wird er
wiederholt, so dass in einer Sitzung oft 10 — 12 Sonden gebraucht werden.
Bei niedergedrückter Zunge soll der Rachen in seiner Totalität und der
Nasenrachenraum mitbehandelt werden. Perubalsam, Jodglycerin, Zinklanolin
und Mentholvaseline sind die gebräuchlichsten Mittel bei chronisch-katar-
rhalischen Erkrankungen des Rachens.
Kehlkopf und oberer Theil der Luftröhre. Die Technik der
Massage im Kehlkopf und Luftröhre ist die schwierigste und erfordert die
meiste Uebung. Die einzelnen Eingriffe müssen mit der äusserst sorgfältig
armirten und entsprechend gebogenen Sonde Anfangs kurz und rasch vorge-
nommen werden. Die Stimmbänder müssen in ihrer Gesammtheit gleichmässig
erschüttert werden. Indicirt ist die Behandlung bei allen acuten und chro-
nischen Katarrhen des Kehlkopfes und der Luftröhre, ebenso bei katarrhalischen
und nervösen Lähmungen der Stimmbänder.
Tuba Eustachii. Die gekrümmte, armirte Sonde wird auf die Weise
der Itardi' sehen Röhre in das Ostium geführt und die Vibration steigernd
von V2 bis 5 Minuten vorgenommen. Bei exacter Technik wird das Gefühl
einer wellenförmigen Bewegung hervorgerufen, welche sich biss auf das Tym-
panum erstreckt. Indicirt ist die Behandlung bei chronischen Katarrhen. Ge-
wöhnlich werden beide Nasenhälften und der Nasenrachenraum mitbehandelt.
Die Vibrationsmassage bietet die Möglichkeit, den erkrankten Theil isolirt
zu behandeln und ihm ein beliebiges Medicament vollständig einzuverleiben.
Sie wirkt erregend und erzielt infolge der Umstimmung der noch vor-
handenen Gewebselemente, der chronisch-katarrhalisch erkrankten Schleim-
haut eine Umwandlung derselben.
Sie ist auch ein Hilfsmittel zu diagnostischen Zwecken, hauptsächlich bei
engen Nasenhälften, indem durch Retraction der Schleimhaut die Nasen-
hälften erweitert werden und die vorhandenen pathologischen Producte isolirter
zur Anschauung kommen.
Bis jetzt sind etwa 50—60 fachliche Publicationen erschienen, die in der
Semana Medica vom October 1897 angeführt sind. m. braux.
Warzenfortsatzerkrankungen. Von den Erkrankungen des Warzen-
theiles sind es zunächst die entzündlichen Processe dieser Region, die
wir in efster Linie ins Auge zu fassen haben.
Absichtlich sage ich „Entzündungen des Warzentheiles", weil es ana-
tomisch unrichtig ist, von einer Entzündung des Warzenfortsatzes allein
zu reden.
Der Warzenfortsatz selbst bildet nur einen Theil des Systemes,
als dessen Mittelpunkt wir die basale Haupthöhle, das Antrum, ansehen, das
ja mit der Paukenhöhle durch eine allerdings ziemlich hochgelegene Communi-
cationsöffnung, den Aditus ad antrum, in Verbindung steht. Mit dieser
Haupthöhle stehen, gewissermaassen in radiärer Anordnung, die übrigen pneu-
matischen Zellräume der Pars mastoidea in Communication.
Wir werden also in der Schilderung die Entzündungen der „Pars
mastoidea" ins Auge fassen. Gleich wie bei anderen Knochensystemen müssen
698 WARZENFORTSATZERKRANKÜNGEN.
wir die Entzündung des Knochens differenziren in eine Periostitis, bei
welcher das Periost und die den Knochen nach aussen zu bedeckenden Weich-
theile den Sitz der Affection bilden, und in eine Ostitis, bei der die cen-
tralen Partien ergriffen sind. Nun kommt es aber im Ganzen sehr selten
vor, dass der eine oder andere Knochenabschnitt ganz allein erkrankt; sie
ziehen sich immer mehr oder weniger gegenseitig in Mitleidenschaft, so dass
bei einer centralen Entzündung sehr häufig nach einiger Zeit auch die peri-
pheren Lager und umgekehrt bei Periostitis schliesslich auch die oberen Lagen der
inneren Partien sich ergriffen zeigen werden. Wenigstens finden wir in acuten
Processen sehr häufig dieses Verhalten. Eine Ausnahme jedoch beobachten
wir, wie wir später ausführlicher sehen werden, bei der condensirenden
zur Hyperostose führenden Ostitis: hier bleibt die äussere Decke voll-
ständig intact, obschon in der Tiefe oft gewaltige Veränderungen vorhanden
sein können. Auch sonst finden wir oft genug bei chronischen Eiterungen
ein Freibleiben der periostalen Bekleidung bei verschiedenster Ausdehnung
der Erkrankung im Innern des Eachens.
Diese Periostitis und Ostitis mastoidea kann nun ihrerseits wieder auf-
treten als primäre oder als secundäre. Ehe wir die Periostitis und
Ostitis betrachten, haben wir vorher noch zu gedenken
1. der Entzündung der über dem Perioste gelegenen Weichtheile, der
phlegmonösen Entzündung. Sie soll sich nach Erkältungen einstellen
und dann auch beide Hinterohrgegenden zugleich befallen können. Die ge-
wöhnlichere Veranlassung hiezu geben jedenfalls Traumen oder kleine Haut-
verletzungen am Orte selbst oder in dessen Nachbarschaft, durch welche die
Infectionskeime eindringen können.
Und verhältnismässig oft pflanzt sich auch eine Entzündung der
Gehörgangswandungen nach hinten auf die Regio mastoidea fort, so dass
gerade Schwellung der Mastoidealregion auf die Weichtheile und eventuell
das Periost beschränkt, bei Otitis externa durchaus nicht zu den Seltenheiten
gehört.
Zunächst kommt es innerhalb kurzer Zeit zu einer mehr weniger hoch-
gradigen Verschwellung der Hinterohrgegend, so dass in exquisiten Fällen die
Ohrmuschel ganz vom Kopfe abgedrängt erscheint; daneben macht sich eine
hell- bis blaurothe Verfärbungen der geschwollenen Theile bei sehr erhöhter
localer Temperatur bemerkbar. Dazu gesellen sich intensive Schmerzen,
die nicht selten über die ganze Gesicht- und Kopfhälfte, ja zuweilen auf die
gleichseitige Extremität und obere Thoraxparthie ausstrahlen. Die Schmerzen
sind spontan constant vorhanden, exacerbiren des Abends von selbst und er-
reichen bei Druck oder beim Beklopfen eine sehr grosse Höhe.
Auch kann sich zuweilen, insbesondere in Fällen, in welchen die An-
satzpartien des M. sternocleidomastoides in Mitleidenschaft gezogen sind,
ein ganz ausgesprochenes Caput obstipum herausbilden. Fieber, das zuweilen
mit einem Schüttelfrost sich einstellt, pflegt gewöhnlich dabei vorhanden zu
sein und sich erst im Ablaufe zu verlieren. Häufig bildet sich, deutlich das
Gefühl der Fluctuation gebend, ein subcutaner oder periostaler Abscess, der
entweder nach aussen aufbricht, oder aber, wenn er nicht rechtzeitig eröffnet
wird und wenn er sich in den tieferen Bindegewebslagern entwickelt hat, sehr
folgeschwere Senkungen in die tieferen Partien der seitlichen Halsregion,
bis gegen die Claviculargegend oder nach innen hinein hervorrufen kann.
Gerne bilden sich bei nicht rechtzeitigem Eingreifen Fistelgänge. Ein beson-
ders beliebter Durchbruchsort für die spontane Oeffnung ist die hintere
Gehörgangswand und man wird bei manchem scheinbaren Furunkel dieser
Partie durch die Einführung der Sonde und durch die relativ grosse Eiter-
menge, abgesehen von der Ausdehnung der Schwellung und Infiltration, be-
lehrt werden, dass die Ursache eine Abscessbildung der Bindegewebsschichten
WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN. 699
des Processus mastoides ist. Phlegmonöse Schwellungen der Tempero-Masto-
idealregion entleeren bei Abscedirung auch oft ihr Secret durch die vordere
oder obere Gehörgangswandung. Die Schwellung und Infiltration ist zuweilen
bei derartigen Phlegmonon so gross, dass sie die ganze Scheitelbeingegend
und Occipitalregion bis auf den Hals hinunter einnimmt. Wie die Bewegungen
des Halses, so sind auch die des Kiefergelenkes hier sehr alterirt.
Ausnahmsweise kommt es vor, dass sich ohne Ptöthung und Schmerz
eine acute Schwellung mit Vorbuchtung der hinteren Wand bildet, aus der
sich profuses, rein seröses Secret entleert (ürbäntschitscii).
Ebenso dürfen wir nicht vergessen, dass bei Frauen hie und da im
Zusammenhange mit den Menses eine Entzündung der Decke des Warzenfort-
satzes auftreten kann; sie verliert sich mit dem Ablaufe der Menses, um sich
dann durch einen längeren oder kürzeren Zeitraum hindurch stabil in diesem
Tempo zu wiederholen.
Leicht dürfen diese phlegmonösen, abscedirenden Entzündungen nie ge-
nommen werden, da sich, bei nicht rechtzeitigem Eingreifen, ganz gut schwere
pyämische und septische Allgemeinerscheinungen einstellen und der Patient
marantisch zu Grunde gehen kann.
Die Therapie dieser Affection fällt im Ganzen vollständig mit der der
Periostitis zusammen. Ganz im Anfange wird es sich noch empfehlen, die
Entzündung zu coupiren zu versuchen. Dem gemäss zwei bis drei künstliche
oder natürliche Blutegel in die Hinterohrgegend, jedoch kann bei den letzteren,
wie ich es einmal erlebt habe, zu der Phlegmone noch ein richtiges Erysipel
sich entwickeln in Folge einer Infection der Blutegelwunden; also grösste
Vorsicht. Weiterhin ein energischer Austrieb mit Tinctura Jodi und die
Application von Kälte in Form des Eisbeutels (nur die kleinen Augeneisbeutel
hier) oder des LEiTER'schen Kühlapparates. In neuester Zeit sind für diese
phlegmonösen Entzündungen sowohl des Meatus als auch der Pars mastoidea
die Alkohol verbände, wie sie bei derlei Infectionen in der Chirurgie auch
gehandhabt werden, mit sehr günstigem Erfolge verwendet worden und Ver-
fasser kann sie nach seinen eigenen Erfahrungen nur wärmstens empfehlen.
Sieht man aber, dass eine Rückbildung unmöglich oder sehr unwahrscheinlich
ist, so eignen sich jetzt Umschläge von essigsaurer Thonerde (87o 1 Esslöffel
auf 2 Esslöffel Wasser) mit nachfolgender Bedeckung vermittelst eines inper-
meablen Stoffes. Auf jeden Fall müssen dann da möglichst ausgiebige In-
cisionen (der sogenannte WiLDE'sche Schnitt) ausgeführt werden, sowohl um
durch das Debridement und die Blutung zu entlasten, als insbesondere um dem
Eiter Abfluss zu verschaffen. Je nach Lage der Dinge natürlich auch gut
situirte Contraincisionen und am besten Drainagirung mittelst längerer Jodo-
formgazestreifen.
2. Periostitis kommt nur sehr selten primär zur Beobachtung und
dann gewöhnlich nur im Anschlüsse an Traumen oder auch ohne jede nach-
weisbare Ursache.
Umso häufiger jedoch sehen wir sie als secundäre auftreten, und zwar
kann das zufolge der anatomischen Verhältnisse entweder in der Weise ge-
schehen, dass sich eine Entzündung der Gehörgangswandungen ohne
oder mit gleichzeitiger Affection des Mittelohres auf das Periost fort-
pflanzt, eine Fortleitung, die sich durch das Uebergehen der periostalen
Lagen des Meatus in die des Processus mastoides leicht erklären lässt, oder
derart, dass sich ein entzündlicher Process innerhalb der pneumatischen
Räume des Warzenfortsatzes längs der Vasa perforantia oder der beinahe
constant vorhandenen bindegewebigen Stränge auf die Periostlage fortpflanzt;
es kann dabei die Corticalis natürlich sehr leicht in Mitleidenschaft gezogen
werden, jedoch kann sie auch zuweilen frei bleiben. In entgegengesetzter
Weise wie die Hyperostose — wir werden das später sehen — den Durchbruch
700 WARZENFORTSATZERKRANKÜNGEN.
nach aussen erschwert, ja unmöglich macht, leisten hier die nicht so sehr
selten vorhandenen congenitalen Dehiscenzen der Corticalis oder die im frühen
Kindesalter noch nicht geschlossene Fissura mastoideo-squamosa der Fort-
setzung einer Entzündung geradezu Vorschub.
Die subjectiven und objectiven Erscheinungen decken sich bis zu einem
gewissen Grade so ziemlich mit denen der gerade geschilderten phlegmonösen
Entzündung, bloss dass, aber auch nicht in allen Fällen, die Entzündungsröthe
keine so tief dunkle oder bläuliche ist, wie bei der Phlegmone. Es fühlt sich
die Decke sehr derb an, später mehr teigig und es kann das Gefühl der
deutlichen Fluctuation, obschon thatsächlich ein Eitererguss von vielleicht
nicht unbeträchtlichem Umfange vorhanden ist, fehlen; oft genug ist sie
indess auch deutlich nachweisbar, insbesondere dann, wenn subperiostale
Abscesse sich nach Durchbruch des Periostes in das Unterhautzellgewebe er-
gossen haben. Die Ohrmuschel drängt sich bei höheren Graden constant vom
Kopfe ab, so dass, durch Verstrichensein des Warzenwinkels in Folge .der
Schwellung, die Muschel ganz oder nahezu ganz senkrecht auf die Kopfebene
steht. Manchmal wird man die Diagnose ob Periostitis oder Phlegmone
erst rectificiren können bei der Operation, indem wir bei der Periostitis,
speciell dem subperiostalen Abscess, das Periost in mehr weniger weitem Um-
fange vom Knochen abgehoben und verfärbt finden, was bei der Phlegmone
nicht der Fall ist. Auch der subperiostale Abscess kann sich in den Gehör-
gang spontan entleeren. In selteneren Fällen kann Röthung und Schwellung
der bedeckenden Theile vollständig fehlen, sogar der Schmerz, und doch findet
sich subperiostal Eiter. Regionäre Drüsenschwellungen können unter Um-
ständen bei beiden Formen der Periostitis angetroffen werden. Ebenso kann
bei den Periostitiden, die die unteren Partien, die Spitze des Warzenfort-
satzes mitergriften haben und die zu Senkungen tendiren, eine ausgesprochene
Torticollis vorhanden sein.
Was den Verlauf der Periostitiden anbelangt, so gelangt die primäre
entweder noch zur Resorption oder sie heilt, nach gehöriger Spaltung und
Entleerung des Abscessinhaltes, bald ad integrum aus. Zu lange warten sollte
man mit den tiefen und grossen Incisionen nie, da, je länger der Eiter unter
dem Perioste verweilt, umso leichter eine Schädigung des Knochens wiegen
des Fehlens seiner Schutzdecke etc. sich ausbilden kann und der natürlichen
Wiederanlagerung der Knochenhaut geradezu entgegengearbeitet wird. Sich
selbst überlassen heilen sie nur in einem kleinen Theile der Fälle nach dem
Spontandurchbruch; viel eher dagegen geben sie zur Fistelbildung und con-
secutiver Caries des Knochens, sowie zu Senkungsabscessen Veranlassung
und ziehen sich so auf lange Zeit hinaus. Allerdings kommt es noch viel
häufiger umgekehrt vor, dass der Eiter eines Empyems etc. von innen nach
aussen sich Bahn bricht und zum Periostabscess mit Fistelbildung führt. (Caries,
in der Tiefe.)
Der Verlauf der secundären Periostitis wird sich im Wesentlichen nach
der Erkrankung des Knochens richten. Differentialdiagnostisch wäre noch
zu bemerken, dass unter Umständen eine Verwechslung mit einem Neoplasma
der Pars mastoidea statt haben kann; insbesondere Sarkome der Mastoid-
region verlaufen zuweilen unter einem Bilde, das dem der Periostitis sehr
ähnlich ist, wenn auch die Schmerzen, Röthung und Fluctuation nicht so
sehr in den Vordergrund treten wie bei dieser; zudem sichert auch der Verlauf
der Neubildung meistens die Diagnose. (Langsameres Auftreten im Verhältnis
zur Periostitis. Siehe weiter unten „Neubildungen des Warzentheiles".)
Die auf dem Warzenfortsatze befindlichen Lymphdrüsen geben weniger leicht
hiezu Veranlassung, da man sie meist noch palpiren, umgreifen und ver-
schieben kann, ähnlich verhält es sich bei Atheromen. Die Behandlung ist
die nämliche, rein chirurgische, wie die der Phlegmone.
WAßZENFORTSATZERKRANKUNGEN. 701
3. Empyem und centrale Ostitis. Wenn es auch keinem Zweifel
unterworfen sein kann, dass die primäre Ostitis und Empyem des Warzen-
theiles ein seltenes Vorkommnis ist, so dürfen wir uns doch keineswegs, wie
dies von einer Reihe von Autoren urgirt zu werden pflegt, der Annahme
verschliessen, dass sie überhaupt vorkommt. Wir dürfen und können aber
bloss dann von einer primären Erkrankung der Knochenlager sprechen, wenn
wir den localen Knochenprocess mit Sicherheit als zeitlich einer Tauken-
höhlenalfection vorausgehend constatiren oder feststellen können, dass inner-
halb des Paukenraumes überhaupt keine Veränderungen vorhanden sind, die
in ursächlichen Zusammenhang mit der Warzentheilerkrankung gebracht
werden können. Immer aber müssen wir im Auge behalten, dass entzünd-
liche Processe in der Paukenhöhle möglicherweise schon längst abgelaufen
und ohne sichtbare Spur geheilt sein können, und erst nach geraumer Zeit
machen sich dann doch noch secundär Erscheinungen von Seite des Processus
bemerkbar. Erst seit Küster die keineswegs glatt von der Hand zu weisende
Behauptung aufgestellt, dass ein grosser Theil der tuberkulösen Ostitiden des
Warzenfortsatzes primäre, dort entstandene seien, ist man der Sache Avieder
näher gegangen. Einen Fall von primärer centraler Tuberkulose habe ich
früher schon beschrieben; es hatte sich hier bei völligem Freisein der Trommel-
höhle ein kleiner centraler Granulationsherd gebildet, der nach aussen beinahe
gar keine Erscheinungen hervorgerufen hatte und sich nur durch die geschwollene
Lymphdrüse auf dem Warzenfortsatz verrieth; anfänglich war die Sache für
eine Neuralgie oder eine Mastoiditis interna scleroticans angesehen worden.
Und erst neuerdings habe ich wieder einen Fall operirt, der sich nicht gut
anders deuten lässt, als primäres Empyem der Warzenzellen: es fand sich bei
vollständigem Intactsein des Mittelohres (früher nie ohrenkrank, wie auch
nachher und zur Zeit der Operation die Function vollständig normal sich
verhielt) in ziemlicher Tiefe ein kleiner Knochenabscess im Antrum; die
Hohlräume waren alle schwarzroth succulent, das Periost bleigrau verfärbt,
die Weichtheile sulzig infiltrirt. Eingeleitet war die Erkrankung durch einen
initialen Schüttelfrost und immer sich wiederholendes tägliches sehr hohes
Fieber, hochgradige Schmerzen und hatte in etwas über zehn Tagen den
Umfang erreicht, den wir bei der Operation feststellen konnten. Beobachtet
war der Fall vom ersten Tage an, so dass eine gleichzeitige Erkrankung der
Paukenhöhle mit Sicherheit ausgeschlossen werden konnte. Kurz es war ein
Bild, das, hätten wir einen langen Röhrenknochen einer Extremität vor uns
gehabt, zu der Diagnose einer acuten Osteomyelitis gezwungen hätte. Und
warum soll das beim Warzenfortsatze nicht auch einmal vorkommen können ?
Wir können somit sagen, dass in seltenen Fällen sowohl ein primäres
Empyem der Zellen des Warzenfortsatzes als auch wohl eine primäre Ostitis
vorkommen kann.
Wir müssen uns da vor Augen halten, dass der Verlauf der Erkrankung
ein dem gewöhnlichen entgegengesetzter sein wird, wenigstens in mancher
Hinsicht. Auch hier wird der Eiter an der Decke des Warzenfortsatzes, —
begleitet von Caries oder ohne sie — oder an der hinteren Wand des Gehör-
ganges austreten können, aber in einer Anzahl der Fälle wird sich die Sache
auch so modificiren, dass der Eiter secundär in die Paukenhöhle gelangt und
das Trommelfell somit ebenfalls secundär durchbrochen wird. Und zwar ge-
schieht dies dann in der Regel in der Weise, dass die Trommelfelllücke sich
nicht wie bei der gewöhnlichen primären Paukenentzündung in dem unteren
Abschnitte der Membran bildet, sondern dass die obere Partie, speciell
gerne der hintere obere Quadrant perforirt wird, und es ist dann neben dieser
eigentlich nicht gewöhnlichen Lage der Perforationsötfnung die auffallend
grosse, nicht im Verhältnis zur Paukenentzündung stehende Menge des
secernirten Eiters immer ein Umstand, der den Verdacht auf eine primäre
702 WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN.
ossale Erkrankung des Warzentheiles nicht zur Ruhe kommen lässt. Auf
diese Weise kann es kommen, dass eine primäre Paukenaffection vorgetäuscht
wird, besonders dann, wenn man die oft nicht sehr lange, bis zum Trommel-
felldurchbruch dauernden Begleitsymptome von Seite des Warzenfortsatzes
nicht von Anfang an scharf im Auge behalten hat.
Derlei Fälle sind es auch, die einen ausserordentlich langwierigen pro-
trahirten Verlauf nehmen, während sonst bei dem Spontandurchbruch nach
aussen oder der Kunster Öffnung die primären Empyeme und Ostitiden in
relativ kürzerer Zeit (in drei bis fünf Wochen) als die secundären zur defini-
tiven Heilung, oft zur Restitutio ad integrum zu gelangen pflegen. Immer
aber muss, falls irgendwie die Diagnose auf eine primäre Affection mit Sicher-
heit aufrecht erhalten werden soll, eine Beobachtung des Falles von Anfang
an, vom allerersten Beginne an, durchgeführt werden können; in späterer" Zeit
lässt sich die Diagnose nie mehr als absolut sichere, höchstens als wahr-
scheinliche gewinnen. Auch dürfen wir nicht ausser Acht lassen, dass gemäss
der neueren Untersuchungen es sich bei einer sehr grossen Anzahl insbe-
sondere der acuten eitrigen Mittelohrprocesse um eine gleichzeitige Er-
krankung der Paukenhöhle und des Warzentheils handelt.
Nicht vergessen dürfen wir, eine Reihe von Allgemeinerkrankungen zu
erwähnen, unter deren directem Einflüsse es unter Umständen zu einer
sowohl primären als secundären Erkrankung der Warzenlager kommen
kann. So haben wir zunächst die diabetische Ostitis am Warzenfortsatze,
bei der sich in Folge der Allgemeinerkrankung eine derartige Störung in der
Ernährung des Knochens entwickelt, dass die Widerstandskraft, wie sie dem
normalen Knochengewebe zukommt, völlig ausgeschaltet ist, und es wird hier-
durch jeder Versuch des Organismus, sich spontan der erkrankten Partien
zu entledigen, durch Reaction gegen ein völlig widerstandsloses Gewebe, ein-
fach von Seite des Knochens mit sofortigem Weiterschreiten des Zerfalls be-
antwortet. Deshalb erhalten wir auch beim Diabetes innerhalb so kurzer Zeit
so erschreckend grosse Zerstörungen an den Knochenlagen.
Weiterhin gehören hieher noch die Tuberkulose und Syphilis.
Während wir aber bei der ersteren ebenfalls einen mehr weniger raschen,
oft aber auch sehr langsamen Zerfall der Knochensubstanz bekommen, ändert
sich das Verhalten bei Syphilis in der Weise, dass es zu einer Verdickung
der Knochensubstanz, zu einer übermässigen Knochenwucherung kommt, die
schliesslich in die reine Hyperostose mit ihren Folgen übergehen kann.
Fraglos aber ist es, dass die Ostitis entweder als Empyem oder, wie
wir nun bald sehen werden, als Caries mit oder ohne Nekrose secundär
ausserordentlich häufig zur Beobachtung gelangt, dass die secundäre Er-
krankung der Warzentheillager das Gewöhnliche zu sein pflegt. Und das
kann ja auch nach Lage der anatomischen Verhältnisse nicht anders sein.
Gleichwie vom Gehörgange aus, wie wir oben bereits gesehen haben, eine
Fortsetzung auf die Pars mastoidea statt haben kann, gerade so, nur noch um
vieles leichter wird dies der Fall sein müssen bei den Erkrankungen des
Paukenraumes selbst, der ja durch den Aditus ad antrum mit dem Zellen-
system des Warzentheils direct in Verbindung steht und der die gleiche
Schleimhautauskleidung besitzt wie die pneumatischen Hohlräume. Und
thatsächlich finden wir, wie dies durch zahlreiche Sectionsergebnisse von ver-
schiedenen Autoren ebenfalls bestätigt ist, bei allen Arten der entzündlichen
Processe, die mit Bildung eines plastischen Exsudates einhergehen, sehr häufig
ein gleichzeitiges Mitergriffensein des Warzenfortsatzes.
Schon bei der einfachen acuten katarrhalischen Mittelohrentzündung
treffen wir die Mucosa des Antrums in demselben Schwellungszustand wie
die der Paukenhöhle, und es liegt auf der Hand, dass sich mit der Steigerung
WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN. 703
der Intensität des Processes innerhalb der Trommelhöhle auch der im Warzen-
abschnitte steigern wird.
Selbstverständlich wird das Hauptcontingent aller secundären Warzen-
theilatfectionen gestellt durch die Paukeneiterungen, sowohl die acuten als
auch die chronischen, und es ist durch die Sectionergebnisse zur Genüge er-
härtet, dass nur in seltenen Fällen die Warzenzellen wirklich völlig normal
bleiben.
Dass Eiteransammlungen so leicht in den Warzenzellen, hauptsächlich
im Antrum sich etabliren und dort deletär wirken können, beruht nicht allein
auf dem directem Zusammenhange zwischen Pauke und Warzenhöhlen, sondern
mehr noch in den eigenthümlich ungünstigen Abüussverhältnissen für eine im
Antrum angesammelte Eitermenge, denn bekanntlich liegt ja der Zugang
zu den Warzenzellen sehr hoch, er mündet in den oberen Paukenraum, in
den Recessus epitympanicus
Ausserdem sind die Abflussbedingungen im oberen Paukenraume an und
für sich, ganz abgesehen vom Antrum, im Ganzen sehr schlechte wegen der
vielen dort befindlichen Nischen und Schleimhautfalten, so dass es hier, bei
einmal eingeleiteter Eiter- und Secretproduction, mit grösster Leichtigkeit zur
Stauung kommen muss und ganz die gleiche Secretstauung und Pietention
spricht sich dann folgerichtig am Antrum und eventuell den übrigen Hohl-
räumen aus. So kommt es, dass bei Perforationsbildung in der oberen Hälfte
der Membran, insbesondere bei Durchlöcherung der Membrana Shrapnelli be-
sonders gerne secundäre Warzenfortsatzerkrankungen zur Beobachtung ge-
langen; es sind das die Eiterungen des Atticus (Recessus epitympanicus).
Aber wir dürfen nicht ausser Acht lassen, dass nicht jeder Warzenfort-
satz gleich leicht erkrankt; es sind gewisse Verbindungen nöthig, um diese
Prädisposition zur Mitaffection zu schaffen, und diese ihrerseits wird gegeben
sein bei Warzenfortsätzen, die eine starke Ausbildung der pneumatischen
Hohlräume aufweisen, sie erkranken am leichtesten insbesondere bei acuten
Processen. Umgekehrt erkranken die wenige und kleine, lufthaltige Räume
enthaltenden Warzenfortsätze relativ weniger oft.
Haben wir so zunächst die allgemeinen local-anatomischen Ursachen kurz
betrachtet, so müssen wir ebenfalls noch die häufigeren, weiteren, ätiologischen
Momente eines Streifblickes würdigen. Sowohl im Verlauf einer acuten eitrigen
Paukenentzündung, die ihrerseits wieder ihre Grundursache haben mag in
einer einfachen acuten Coryza, Angina oder insbesondere in einer morbillösen,
scarlatinösen, diphtheritischen, diabetischen Allgemeinerkrankung, als auch dem
einer chronischen, aus der acuten durch Vernachlässigung hervorgegangenen
Mittelohreiterung können sich jederzeit Symptome von Seite des Warzen-
fortsatzes einstellen.
Während wir bei den acuten Processen ein directes Fortwuchern der im
Virulenzstadium befindlichen, specifischen, pathogenen Organismen vorfinden,
haben wir bei dem Zustandekommen eines Knochenprocesses bei chronischen
Eiterungen ein Wiederaufwachen derselben aus dem Latenzstadium, eine
erneute Virulenz gewissermaassen als einleitendes Moment. Und dies wiederum
wird gemeiniglich häufig ausgelöst durch die Aufweichung, Quellung und
Lockerung der alten, käsigen, eingetrockneten, im Mittelohr scheinbar reactions-
los liegenden Massen. Im Allgemeinen können mr sagen, dass Empyeme
häufiger bei und nach acuten Mittelohreiterungen und relativ gesunden,
widerstandsfähigen Organismen zur Beobachtung gelangen, während Caries
und Nekrose mehr bei chronischen Processen und mehr oder weniger herab-
gekommenen Individuen vorzukommen pflegt. Indes gibt es auch ganz acut
sich entwickelnde cariöse Processe, aber dann nur unter der Einwirkung einer
schweren Allgemeinerkrankung (Morbillen, Scarlatina, Diabetes, Typhus etc.).
704 WARZENFORTSATZERKRANKÜNGEN.
Was nun die Symptome der Eiteransammlung in den Zellen der Warzen-
theile, das Empyem des Antrum mastoideum anbelangt — sie sind
selbstverständlich für primäre und secundäre so ziemlich die gleichen, abge-
sehen von der zeitlichen Differenz des Eintretens der Symptome am Warzen-
theile selbst — so haben wir in der Mehrzahl der Fälle als ein frühes Zeichen
einen verschieden hochgradigen Schmerz in der Warzengegend. In Fällen
von Empyem, die sich im Verlaufe acuter Eiterungen einstellen, 'macht sich
das etwa um das Ende der zweiten oder Anfangs der dritten Woche nach
Beginn der primären Media bemerkbar. Gleichzeitig pflegt zuweilen die
Menge des secernirten Eiters eine sehr geringe zu werden oder es sistirt die
Eiterung ganz; oft aber bleibt sie auch von Beginne an gleich stark copiös,
in Fällen, in welchen sich die Eiterung gleichzeitig oder nahezu gleichzeitig
in der Pauke und dem Warzenfortsatz e entwickelt hat. Intercurrente Fieber-
erscheinungen gesellen sich weiter häufig, aber nicht immer dazu, daneben
Kopfschmerz auf der erkrankten Seite ausstrahlend, ein dumpfes Gefühl des
Druckes im Ohre oder selbst Schmerzen darin, oft auch starkes Sausen und
Pulsiren, auch Schwindel, stärkere meningeale Beizungen sind durchaus nicht
selten. Der Warzentheil, der schon spontan und auf Druck die ganze Zeit über
empfindlich war, fängt nun an, auf seiner Oberfläche allmählich oder ganz
schnell die Zeichen des Uebergreifens auf das Periost zu documentiren, er
schwillt an bei Verfärbung der Hautdecken, der Warzenwinkel hinter dem
Ohre verstreicht, die Ohrmuschel steht mehr weniger senkrecht zur Schädel-
fläche und Caput obstipum ist in Fällen hochgradiger Schwellung durchaus
nicht selten. Gerne zeigt hier beim Empyem die Spitze des Warzenfortsatzes
die frühesten Entzündungserscheinungen. Jedoch kann bei dickerer Corticalis
auch jegliche Schwellung und Infiltration der Decklagen fehlen, oder nur in Form
einer geringen teigigen Schwellung auftreten. Als charakteristisch kann gelten
einmal der Druckschmerz an der Spitze des Warzenfortsatzes (beim Druck von
unten innen nach oben zu und beim Drucke von hinten nach vorne zu) sowie
der an der Basis des Warzenfortsatzes hart unterhalb der Linea temporalis
ausgeübte (über dem Antrum.) Es sind diese Drucksymptome insbesondere
werthvoll in Fällen von Abwesenheit der Schwellung. Beim Beklopfen, Per-
cutiren der Warzengegend erhält man, abgesehen von der prompten Schmerz-
reaction nicht selten eine deutliche Abdämpfung des Percussionsschalles als
Zeichen, dass die lufthaltigen Räume aufgehoben, von Secret erfüllt sind.
Hier wäre noch zu bemerken, dass es bei Spondylitis cervicalis unter
Umständen zu einer dem Empyem sehr ähnlichen Schwellung der Mastoid-
gegend und auch zur Torticollis kommen kann, so dass in solch seltenen
Fällen eine Verwechslung nicht absolut ausgeschlossen werden kann a priori.
Häufiger sind aber zweifellos die nach unten und hinten greifenden Schwel-
lungen in Folge von Otitis, bei welchen auch die ausgeprägte Tendenz zu
Senkungen nach abwärts vorkommt. Uebrigens lässt sich die Spondylitis
durch den Ohrbefund in fast allen Fällen ausschliessen; das Zusammentreffen
von Otitis und Spondylitis dürfte wohl sehr selten sein.
In anderen Fällen jedoch bieten die äusseren Decken nur sehr geringe
oder gar keine Erscheinungen der entzündlichen Mitbetheiligung dar; es trifft
dies hauptsächlich gerne zu bei sklerotischer Beschaffenheit der Corticalis
oder bei Hyperostose des ganzen Warzenfortsatzes; hier fehlt gemeiniglich
jede Schwellung, während die Schmerzen, sowie die Allgemeinsymptome sehr
hochgradig sein können.
Sehr selten endlich kommt es vor, dass die Entzündung der Warzen-
zellen völlig symptomlos verlauft.
Eines Merkmales müssen wir hier gedenken, das in einer sehr grossen
Anzahl der Fälle, mögen sie nun mit oder ohne Schwellung einhergehen, zu
bemerken und deshalb als ein werthvolles diagnostisches Symptom anzusehen
WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN. 705
ist: es ist das die Vorwölbung und Senkung der hinteren oberen Ge-
hörgangswand in den Meatus hinein, so dass die Gehörgangslichtung be-
trächtlich verengt erscheint. Diese Erscheinung wird nicht selten von Un-
geübten als Furunkel gedeutet und man muss sich in Acht nehmen vor einer
solchen vielleicht verhängnisvollen diagnostischen Verwechslung.
Die Auscultation des Warzentheiles bietet absolut keine verlässlichen
Anhaltspunkte; die elektrische Durchleuchtung wird unter Umständen als
brauchbares Adjuvans ins Recht treten können.
Der Verlauf des Empyems wird sich in verschiedener Weise gestalten
können. Einmal wird der Eiter sich selbst überlassen, bei normaler, nicht zu
dicker Corticalis und bei gehöriger Pneuraacität des Knochens, die Ober-
flächenschichte des Knochens direct oder längs der Vasa durchsetzen und so
als subperiostaler Abscess unter die Hautdecken gelangen, oder es bricht der
Knochenabscess an der hinteren Gehörgangswand durch oder aber er entleert
sich durch eine Trommelfelllücke, vermöge der Communication des Antrums
mit der Pauke, in den Gehörgang, (oder auch eventuell bei Kindern,
zum Theil durch die Tuba). Eine durchaus nicht zu unterschätzende
Rolle spielen beim Spontandurchbruch übrigens auch die in solchen Fällen
neben dem Eiter vorhandenen, die pneumatischen Zellen mehr oder weniger
ausfüllenden Granulationsmassen, die die Knochensepten und -Decken aufheben
und so den Durchtritt nach aussen erleichtern helfen. Sind die Knochen-
decken nach aussen nicht gut entwickelt, besonders in der unteren Partie,
und befinden sich gegen die Spitze des Warzenfortsatzes eine oder mehrere
grössere pneumatische Zellen, die allerdings zuerst als solche natürlich schon
präformirt gewesen, aber erst secundär durch die Entzündung excentrisch
erweitert sind, so kann es sehr leicht, insbesondere wenn noch Dehiscenzen
in der Gegend bestehen, zu einem Durchbruch nach unten, also entlang der
Incisura mastoidea, oder nach unten und innen kommen. Es bildet sich dann
unterhalb des Warzenfortsatzes eine brettharte, rothe, verschieden schmerz-
hafte Geschwulst, die sich von der Spitze des Warzenfortsatzes bis weit
hinunter erstrecken kann in Form eines Dreieckes. Der Eiter hat sich unter-
halb der Musculi sternocleidomastoideus, splenius und longissimus capit.
etablirt und wird nun, da er da nach aussen nicht durchbrechen kann, sich
längs der Fascien nach abwärts ziehen. (Bezold'sche Mastoiditis.) Werden diese
Senkungen nicht rechtzeitig erkannt und operirt, so kann der Tod erfolgen durch
eitrige Mediastinitis. Aber auch bei Fällen, die in Heilung übergehen, dauert es
oft monatelang, bis dieses Ziel erreicht wird. Zuweilen kommt es jedoch auch
hier vor, dass der Eiter spontan seinen Ausweg nimmt durch die hintere
Gehörgangswand. Diese Form stellt sich meist als ein an eine acute
Mittelohreiterung anschliessendes Empyem dar. Nicht zu vergessen ist, dass
sich auch in allerdings seltenen Fällen der Eiter des Paukenwarzenabschnittes
nach innen gegen das Cavum nasopharyngeum zu ziehen kann längs des
Gewebes und so zu einem wahren Retropharyngealabscess Veranlassung geben
kann. (Knapp, Haug.)
Den allerungünstigsten Verlauf aber können die Fälle unter Umständen
aufweisen, bei welchen die Knochenlager der Pars mastoidea verdickt geworden
sind, wo also die Corticalis eburneisirt und diese Eburneisation sich noch
weit hinein in den Knochen erstreckt und gleichzeitig die zelligen Hohlräume
verringert oder ganz aufgehoben sind durch Hyperostose. Der Naturhilfe
werden hier beinahe oder wirklich unüberwindliche Hindernisse entgegen-
gestellt und so wird, wenn nicht rechtzeitig die Kunsthilfe einsetzt, der
eingeschlossene Eiter nach dem Orte des geringsten Widerstandes hin auszu-
brechen suchen, er wird gegen die Schädelhöhle zu kriechen, und Meningitis,
Sinusthrombose, Phlebitis bringen die Sache zum Abschluss. Dabei machen
sich äusserlich gar keine Veränderungen bemerkbar, die Warzendecken bleiben
Ohren-, Nasen-, Kachen-, Kehlkopfkrankheiten. *0
706 WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN.
ohne jede Schwellung und Röthung, bloss der Schmerz ist beinahe constant
als starker, bohrender continuirlich vorhanden und die weiteren objectiven
Symptome des Kopfschmerzes, Brechreizes, Schwindels, Fiebers sind mehr
weniger ausgesprochen. Es ist also die Gefahr, die durch die Hyperostose
geschalten wird, immer als eine grosse anzusehen.
Selbstverständlich ist es, dass auch bei den anderen Formen des Em-
pyems die intracraniellen Complicationen als Folge- und Theilerscheinungen
sich jederzeit zeigen können; insbesondere wird das um so leichter geschehen
können in Fällen, in welchen congenitale Dehiscenzen am Paukendache, ab-
norme Dünnheit derselben oder der die Paukenhöhle vom Facialiscanal tren-
nenden, an und für sich schon sehr zarten Knochenlamelle vorhanden sind.
Therapie siehe „Warzenfortsatzeröffnung". Im Beginne der
Erkrankung w^ie bei Phlegmone.
4, Caries und Nekrose der Pars mastoidea. Es unterliegt keinem
Zweifel, dass die pars mastoidea der Theil des Schläfebeines ist, der verhältniss-
mässig oft den cariös-nekrotischen Processen anheimfällt, und zwar ist es auch
hier das bei weitem seltenere Vorkommnis, dass sich die Nekrose oder Caries
als primäre etablirt; bei weitem am häufigsten geschieht dies secundär im
Anschluss an eine acute oder chronische Mittelohreiterung.
Caries kann ohne Nekrose vorkommen, sehr häufig jedoch combiniren
sie sich gerne in der Weise, dass die Septen der pneumatischen Hohlräume
cariös werden, während die Deckknochen der Corticalis nekrotisiren. Es
können sich diese Processe in jedem Lebensalter einstellen als Folgeerschei-
nungen der purulenten Media, aber doch ist es auffallend, dass die Zeit des
jugendlichen Alters, der Entwicklung und insbesondere das Kindesalter relativ
am häufigsten betrofifen wird. Im mittleren und höheren Lebensalter kommen
sie bei weitem nicht mehr so häufig zur Beobachtung, und oft müssen wir als
Grund für das Zustandekommen hier eine der chronischen Allgemeinerkran-
kungen annehmen, durch die die Widerstandsfähigkeit des Organismus herab-
gesetzt oder die vitale Energie der Zellen gemindert oder völlig aufgehoben
ist. Insbesondere beim Diabetes und der Tuberkulose sprechen diese Momente
mit. Im kindlichen Alter sind es dagegen am häufigsten die acuten Infec-
tionen, speciell Morbillen, Scarlatina, Diphtherie, die zu einer oft peracuten
Caries führen und um so leichter wird das geschehen, wenn der kindliche
Organismus noch dazu die Stigmata einer hereditären Belastung mit bringt.
Auch die exsudative Paukenentzündung der Neugeborenen und Säuglinge,
deren Ursache ja bekanntlich in einem Theil der Fälle in einer blennor-
rhoischen Infection zu suchen ist, stellt ein geringes Contingent zu unserer
Caries.
Im frühen Kindesalter bei irgend solcher Gelegenheit zuerst erworbene und
später durch Vernachlässigung chronisch gewordene Mittelohreiterungen sind
es auch, die dann in späteren Jahren durch das Fortdauern der Eiterung,
durch Stagnirung des Secretes in den Hohlräumen und consecutive Zersetzung
die weitere normale Existenz des Knochens aufheben und zum Knochentod
führen.
Die Ausdehnung der Caries und Nekrose kann eine ausserordentlich
verschiedene sein. Entweder bildet sich eine mehr weniger flächenhafte
Arrosion an der Oberfläche der Corticalis; dies ist besonders gerne der Fall,
wenn durch einen subperiostalen Abscess, wie sie im Kindesalter so häufig
vorkommen^ das Periost längere Zeit vom Knochen abgehoben und derselbe
so seiner Schutz- und theilweise auch Nährdecke entblösst gewesen ist.
Oder es beginnt der Process im Innern, in der Tiefe des Knochens,
woselbst ihm durch die Stagnation und consecutive Zersetzung geradezu
Vorschub geleistet wird, und schreitet schnell oder langsam in der Weise
fort, dass die knöchernen Septen zwischen den einzelnen Zellen durch Granu-
WARZENFORTSATZEKKRANKUNGEN. 707
lationsbildung cariös eingeschmolzen und die Hohlräume excentrisch erweitert
werden; dabei kommt es häufig vor, dass grössere oder kleinere Knochen-
fragmente in die Granulationen eingebettet oder vom Eiter umspült erscheinen.
Auf diese Weise können sehr umfängliche Substanzverluste zu Stande kommen,
denen der ganze Warzenfortsatz und noch darüber hinaus zum Opfer fallen;
es ist schon die Exfoliation des ganzen Warzenfortsatzes nebst Stücken
der anliegenden Sinuswand, des Gehörganges, der Paukenhöhle mehrfach
beobachtet werden. In einem diesbezüglichen Falle meiner Beobachtung
(sechsjähriger Knabe) erstreckte sich die Caries nicht bloss auf die beiden
Felsenbeine, deren ganzer Warzenfortsatz beiderseits eliminirt wurde, sondern
sie griff auch noch weiter um sich derart, dass grosse Theile des Hinter-
hauptsbeines, des linken Seitenwandbeines entfernt werden mussten. Der
arme Knabe besass schliesslich an seinem Hinterkopfe und an der Seite bei-
nahe handtellergrosse, bloss von Haut überzogene Partien, unter denen das
Gehirn ohne weiteren Schutz lag; schliesslich bildete sich auch eine Meningo-
encephalocele an einer sehr wenig resistenten Stelle aus. Begonnen hatte
diese Caries als peracute beiderseitige nach Morbillenotitis.
Was die Symptomatologie, sowie den Verlauf der Caries und Nekrose
betrifft, so sind die subjectiven Klagen des Patienten oft in ähnlicher Weise
gelagert wie beim Empyem und bei der Periostitis; sehr häufig jedoch machen
sich hier nur geringe und insbesondere bei indolenten nachlässigen Patienten,
die ein grosses Contingent stellen, gar keine subjectiven Erscheinungen be-
merkbar.
Aeusserlich können wir in einem Theil der Fälle eine periostale Schw^el-
lung nachweisen und oft gesellt sich zu ihr ein fistulöser Durchbruch der
Haut, der an einer oder mehreren Stellen der Warzendecke erfolgen kann
und gemeiniglich sich gerne an der Durchbruchsstelle in der Haut mit knopf-
förmigen Granulationen besetzt.
Derartige P'isteln mit Granulationen, unterhalb welcher sich manchmal
von Zeit zu Zeit recidivirende verschieden grosse, subperiostale Eiteransamm-
lungen noch dazu etabliren können, sind ein fast sicheres Zeichen der Caries
und es kommt die eingeführte Sonde auch ziemlich regelmässig, oft in be-
deutender Tiefe, auf rauhen Knochen. Erfolgt der fistulöse Durchbruch, was
ebenfalls nicht selten vorkommt, an der hinteren, oberen Gehörgangswand,
welche dann wieder die ominöse Schwellung und Einwärtssenkung mit Ver-
engerung des Lumens aufweist, so bildet sich hier auch ein einem Furunkel
ähnlicher Granulationshöcker, dessen Granulationen schon dadurch, dass sie
jedem therapeutischen Versuche durch die sonst wirksamen Aetzungen con-
stant widerstehen und auch nach jeder oberflächlichen Abtragung sofort wieder
aufs Neue aufschiessen, den stärksten Verdacht auf Caries erwecken müssen;
das Eingehen mit der gebogenen Sonde wird umgehend völlige Klarheit in
die Situation bringen; Hier wie oben dringt die Sonde oft bis ans Antrum
vor. In anderen Fällen wiederum können die Decklager vollständig frei von
äusserlichen Veränderungen bleiben, während in der Tiefe oft schon weit-
gehende Zerstörung um sich gegriffen hat; insbesondere ist dies der Fall,
wenn die Corticalis eburneisirt und auch weitere Partien des Warzenfort-
satzes sich sklerosirt zeigen. Ist die Corticalis fest und noch nicht fistulös
durchsetzt, so kann es zuweilen zu sich von Zeit zu Zeit wiederholenden,
aber auch wieder spontan sich involvirenden, periostalen Schwellungserschei-
nungen am Processus kommen. Geschwellte Drüsen auf und in der Nähe
des Warzenfortsatzes sind dann und wann zu finden.
Sehr zu beachten ist auch unter allen Umständen der jeweilige Trommel-
fellbefund, denn es wird sich das Trommelfell bei vorhandener Caries am
Warzentheil beinahe ausnahmslos in mehr oder weniger grossem Umfange
durchlöchert erweisen. Insbesondere sind die grossen nieren- oder herz-
45*
708 WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN.
lormigen Perforationen, in denen der Hammergriff wie ein rostiger Drahtstift
liegt, und die Lückenbildungen im oberen Theile der Membran, speciell der
Membrana flaccida sehr suspect. Auch der Charakter des Eiters lässt einen
Schluss ziehen, er ist immer sehr stark stinkend und die Quantität häufig
keine grosse.
Der Verlauf und seine Zeitdauer wird sich wieder verschieden gestalten
können. Im Kindesalter kommt es nicht so gar selten vor, dass sich im
Laufe einer langwierigen Eiterung spontan grössere oder kleinere Stücke
sequestrirt abstossen und darnach tritt zuweilen völlige Naturheilung ein.
Häufiger aber muss durch Kunsthilfe der nekrotisch- cariöse Herd freigelegt
werden und es heilt die Sache dann immer ziemlich langsam. Sehr beeinflusst
werden natürlich gerade diese cariös nekrotischen Processe durch das Vor-
handensein schwerer Allgemeinstörungeu, die ja überhaupt, theilweise wenig-
stens, die Ursache derselben mitzubilden pflegen. Insbesondere ist es der Dia-
betes, unter dessen Einwirkung ganz kolossale Zerstörungen zu Stande kommen,
und die Tuberkulose.
Während im Kindesalter und beim Spontandurchbruch oder der recht-
zeitigen Entfernung der todten Massen die Prognose im Allgemeinen keine
ganz ungünstige ist, wenn auch die Heilungsdauer gemeiniglich eine ziemlich
protrahirte ist, kann sie in späteren Jahren und bei Sklerose der oberen
Partien als nicht so günstig erachtet werden. Wird die Sache nicht zur
rechten Zeit erkannt und werden die Herde nicht gründlich freigelegt und
weggeschafft, so können sich Senkungsabscesse unterhalb des Warzenfort-
satzes (siehe oben) in den Retropharyngealraum bilden oder es erfolgt unter
Umständen der Durchbruch gegen die Schädelhöhle zu mit Erstehung von
epi- oder subduralen Abscessen, Hirnabscessen, Meningitis, Sinusthrombose,
Phlebitis und Thrombose der Vena jugularis, Pyämie. Uebrigens können diese
Consequenzen natürlich auch bei jeder Art und zu jeder Zeit des Bestehens
der cariös-nekrotischen Processe in Scene treten. Es ist also sonst die Pro-
gnose immer reservirt zu stellen, so lange als der Process nicht als völlig
erloschen betrachtet werden kann.
Therapie siehe „Warzenfortsatz er Öffnung".
5. Hyperostose der Pars mastoidea. Wir haben schon zu
wiederholten Malen Gelegenheit gehabt, auf die Hyperostose hinzuweisen, jene
eigenthümliche Affection der Pars mastoidea, ja des ganzen Felsenbeines, bei
der wir eine Verkleinerung oder ein mehr weniger vollständiges Fehlen der
pneumatischen Hohlräume Hand in Hand gehend mit einer übermässigen
Bildung von Knochensubstanz antrefien. Gewöhnlich zeigt sie sich in der
Weise, dass sich zunächst eine Verdichtung der Corticalis, die sogenannte
Eburneisation derselben, bis auf verschiedene Tiefe repräsentirt, während die
mit der Haupthöhle, dem Antrum, communicirenden Zellen beinahe oder ganz
aufgehoben, das Antrum selbst sehr verkleinert, selten vollständig obliterirt
gefunden wird,
Obschon es nun keinem Zweifel unterliegen kann, dass wir schon unter
normalen Verhältnissen einem Fehlen der pneumatischen Hohlräume begegnen
können, — so hat Zuckerkandl in 20^0 der untersuchten Schläfebeine das
Fehlen der pneumatischen Räume constatiren können, — so fallen uns doch
unter pathologischen Verhältnissen diese Anomalien relativ so häufig auf, dass
wir hier nicht mehr an normale Contiguration denken dürfen oder auf ein
bloss zufälliges Zusammentreffen recurriren können. Und zwar ist es in erster
Linie die chronische Mittelohreiterung, in deren Gefolge uns diese Anomalie
als Complication entgegentritt; viel seltener sind es Allgemeinerkrankungen
wie Lues, Arthritis, die sich eventuell auch in der Weise aussprechen.
Früher schon wurde sie als das Product einer Mastoiditis interna be-
zeichnet und wir können sie füglich mit vollem Ptecht als das Resultat einer
condensirenden Ostitis betrachten.
WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN. 709
Es wurde und wird nun theilweise von einigen Autoren angenommen,
dass diese Sklerose als ein Schutzwall gegen das Vordringen der Eiterung
anzusehen sei, thatsächlich aber bildet sie, wie durch eine Reihe neuerer
Untersuchungen klar dargelegt worden ist, nicht nur keinen Schutz, sondern
sie vermag sogar dem Zustandekommen der schweren intracraniellen Com-
plicationen direct Vorschub zu leisten. Dass sie nicht als Schutzwall dienen
kann, geht schon daraus hervor, dass wir bei der anatomischen Untersuchung
immer nur eine Verdickung des Knochens in der Peripherie finden, während
die nach innen, gegen die Schädelhöhle zu liegenden Partien oft nicht
nur nicht verdichtet, sondern sogar meist usurirt, cariös sind. Dem-
zufolge wird der angesammelte, alte Eiter im Antrum oder Processus bei
Gelegenheit einer Wiederentfachung der Entzündung, da er, einem einfachen
physikalischen Gesetze zu Folge immer nach dem Orte des geringsten Wider-
standes hin sich ausbreiten muss, gegen die Schädelhöhle zu vorzudringen
bestrebt sein und dies umso mehr, als ihm durch die abnorme Dicke der
peripheren Knochenlager am Warzenfortsatz e und im Gehörgange der Durch-
bruch nach aussen einfach abgeschlossen ist. Ist also somit der Naturhilfe
des Spontandurchbruches ein beinahe unüberwindlicher Riegel vorgeschoben,
so wird auch die Kunsthilfe durch diese Verhältnisse in gewisser Weise etwas
erschwert, da wir, um zu dem Krankheitsherde gelangen zu können, meist
sehr tief und durch lauter feste Knochen vordringen müssen.
Es geht hiemit aus diesen kurzen Betrachtungen, die, wie ich andern-
orts in extenso dargelegt habe (Arch. f. Ohr. XXXVII. p. 161), dem Befunde
an der Leiche und am Operationstische entnommen sind und die ich hier
nicht weiter ausführen kann, ohne den mir gesteckten Rahmen zu über-
schreiten, zur Genüge hervor, dass die Sklerose als eine geradezu deletäre
Complication, nicht als Schutzmoment zu betrachten ist.
Was nun die Symptomatologie der Hyperostose der Pars mastoidea an-
belangt, so haben wir eine Reihe von Erscheinungen subjectiver und objectiver
Natur, die in Verbindung mit einander uns die Prognose einer durch Hyper-
ostose veranlassten intramastoidealen, intratympanalen und pericerebralen
Erkrankung des Schläfebeines beinahe zur Gewissheit wahrscheinlich machen.
Wir finden bei derartigen Patienten ausnahmslos, dass sie seit sehr
langer Zeit, meist vielen Jahren, ja Jahrzehnten an einer chronischen Mittel-
ohreiterung leiden, deren Secretion durchaus keine massenhafte sein muss,
die aber durchschnittlicli einen recht üblen Geruch verbreitet.
Während sie nun in früherer Zeit wenig Molesten von ihrer Eiterung
•hatten und deshalb auch meist nichts dagegen zu thun sich bemühten, fängt
ganz allmählich langsam, hie und da eingeleitet durch etwas subacutere Ex-
acerbationen, an sich, ein dumpfer Kopfschmerz auf der kranken Seite zu
zeigen, der sich mehr und mehr zu einem bleibenden, oft ziemlich intensiven
umwandelt. Dazu gesellen sich sehr häufig verschieden stark ausgeprägte
Schwindelerscheinungen und Coordinationsstörungen und weiterhin eine gewisse
geistige und psychische Alteration. Die Patienten werden entweder voll-
ständig theilnahmslos, apathisch gegen Eindrücke, auf die sie früher lebhaft
reagirt hatten, oder aber sie werden im Gegentheil durch Kleinigkeiten, die
sie bisher nicht im Geringsten irritirt hatten, unverhältnismässig aufgeregt;
meist ist eine morose Stimmung vorhanden und die Fähigkeit und Lust zu
geistigen Arbeiten und überkaupt zu Arbeiten, auch körperlichen tritt mehr
und mehr in den Hintergrund. Weiterhin treten dann und wann auch Schmerzen
vorübergehend oder bleibend, in der Tiefe des Ohres und häufig wird über
einen in der Tiefe des Warzenfortsatzes gefühlten, bohrenden, seltener klo-
pfenden Schmerz geklagt. So zieht sich der Zustand monatelang herum bis
auf einmal, vielleicht eingeleitet durch einen äusseren Anstoss (Katarrh, Ein-
dringen von Wasser ins Ohr etc.), sich Fieberbewegungen, einsetzend mit mehr
710- WAEZENFORTSATZERKRANKUNGEN.
weniger ausgesprochenen Schüttelfrösten, besonders gegen Abend bemerkbar
machen, denen dann in rascher Reihenfolge stcärkere, meningeale Reizerschei-
nungen aller Art, sowie oft genug pyämische Symptome sich anschliessen.
Es besteht, kurz gesagt, das klinische Symptomenbild, wie es sich so häufig
bei allen vernachlässigten Mittelohreiterungen von langer Dauer zeigt.
Vollständig im Gegensatz dazu steht das Fehlen bedeutenderer sichtbarer
Veränderungen, insbesondere von erheblichen Schwellungen oder Entzündungs-
erscheinungen am Ohrapparate. Der Warzenfortsatz und seine Umgebung,
insbesondere auch die Temporal- und Occipitalgegend, zeigt sich wohl spontan
und vielleicht auch auf Druck (etwas) schmerzhaft, jedoch ist nirgends auch
nur eine Spur einer Schwellung nachzuweisen und bei der Percussion er-
halten wir beinahe durchgehends einen hellen Schall. Beinahe constant zeigt
die hintere obere Gehörgangswand die ominöse buckelige Vorwölbung ins
Lumen herein, auf die wir schon früher aufmerksam gemacht haben, aller-
dings hier meist ohne jede Schwellungsröthe; das Trommelfell ist so ziemlich
ausnahmslos perforirt und es sitzt die Lücke gerne in der hinteren oberen
Partie des Trommelfells, ebenso wie sich sehr häufig die Membrana Shrap-
nelli als Sitz der Lücke erweist. Polypenbildung, Caries der Gehörknöchel-
chen und der Paukenwandungen, cholesteatomatöse Ablagerungen finden sich
ebenfalls nicht selten. Entzündungserscheinungen im Gehörgange und an
der Trommelhöhle sind meist nur da vorhanden, wo Cholesteatome durch
irgend welche Ursache acut ins Quellen gekommen sind; sonst fehlen sie
beinahe durchgehends und die Paukenschleimhaut ist oft blass, mit schlaffem,
torpidem Gewebe ausgekleidet, selten frischer, hyperämisch.
Es liegt auf der Hand, dass die Prognose einer derartigen Erkrankung
immer eine etwas zweifelhafte sein wird, so lange als nicht der centrale Herd
gut aufgedeckt, die kranken Massen entfernt und der Gefahr eines Durch-
bruches gegen das Schädelinnere vorgebeugt ist. Sich selbst überlassen, nicht
rechtzeitig erkannt und operativ beeinflusst, wird diese Art der Mastoideal-
erkrankung mit ziemlicher Sicherheit über kurz oder lang bei Gelegenheit
einer subacuten Attaque zum Tode des Befallenen führen; eine Spontanheilung
einer unter diesen Umständen aufgetretenen Hyperostose, respective der durch
sie gesetzten Retentions- und peri-cerebralen Reizerscheinungen gibt es nicht.
6. Das Cholesteatom (siehe auch „Neubildungen des Ohres" und
den selbstständigen Artikel „Cholesteatom") der Warzentheile kann hier nur
andeutungsweise erörtert werden, da dasselbe unter die Erkrankungen der
Paukenhöhle zu subsumiren ist. Wir verstehen bekanntlich seit neuerer Zeit
unter Cholesteatom eine Ansammlung epidermoider Lamellen, die sich inner-
halb des Gehörganges, der Paukenhöhle, speciell des oberen Paukenraumes
und im Antrum mastoideum zwiebelschalenähnlich concentrisch zusammen-
geschachtelt haben, eine weisslichgelbe bis bräunlichweisse, durch Beimischung
von Cholestearin opalescirende, schillernde Farbe aufweisen und in der Grösse
von Hanfkorn- bis zu Walnussgrösse und noch darüber wechseln; sie er-
zeugen eine allmähliche Usurirung der Knochenwandungen. Sie entstehen
durch das Hineinwachsen der Epidermis in die Paukenhöhlenräume.
Einer ihrer Lieblingssitze ist das Antrum mastoideum und der Recessus
epitympanicus, der ja direct in den Aditus ad antrum führt. Demgemäss
sind es auch sehr oft Perforationen der hinteren oberen Partie des Trommel-
fells, die im Knochenfalze oder an ihm sitzen, oder solche der Membrana
flaccida, bei welchen wir das Cholesteatom vorfinden. Caries des Hammers und
Ambos, sowie der Trommelhöhlenwände und der zunächst liegenden Schichten
des Warzentheils sind sehr häufig damit verbunden.
Dass im Processus mastoides ein Cholesteatom ist, lässt sich a priori
nur dann sicher diagnosticiren, wenn wir entweder durch den Substanzverlust
. WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN. 711
des Trommelfells aus dem nach hinten und oben gelegenen Recessus und
Aditus ad antrum die Massen herausbefördern oder wenigstens dort nach-
weisen können (durch Ausspülung mit der Paukenröhre), oder wenn wir durch
Fistelöffnungen in der Tiefe des Processus die Ansammlungen erkennen können.
Sonst wird uns die sichere Diagnose gewöhnlich erst bei der Operation. Der
das Cholesteatom deckende Knochen des Warzentheils ist nach aussen
häufig sklerosirt.
Von Zeit zu Zeit stossen sich spontan oder gelegentlich einer äusseren
Irritation (Eindringen von Spritzwasser) verschieden grosse Cholesteatom-
pfröpfe ab; dieser Spontanauslösung geht gemeiniglich eine stärkere Schwellung
der Gehörgangswandungen (Gomperz) voraus, die man nicht mit einer diffusen
Externa verwechseln darf. Die Secretion ist meist eine recht geringe, aber
ausserordentlich stinkende. An der hinteren Gehörgangswand auf der Ueber-
gangspartie zum Trommelfell finden sich nicht selten verschieden grosse
cariöse Arrosionen, die direct ins Antrum führen können.
7. Mycotische Erkrankungen des Warzentheils.
Anhangsweise möchte ich bei den Entzündungen nicht unerwähnt lassen,
dass in sehr seltenen Fällen Pilzbildungen innerhalb des Warzenfortsatz-
gebietes gefunden worden sind. Bis jetzt sind nur zwei derartige Fälle be-
kannt. Zaufal konnte in grossen Abscessen der Warzengegend, die auf den
Knochen übergegriffen hatten, deutliche Actinomyceskörner constatiren,
und Verfasser war in der Lage, bei einer Frau, die an einem Empyem des
Warzenfortsatzes litt, in dem eröffneten Antrum den Aspergillus nigrus
nachweisen zu können; er war vom Gehörgange aus, durch Vermittlung
einer grossen Trommelfelllücke bei sehr geringer Secretion in die Warzenhöhle
gerathen (veröffentlicht in Ziegler und Nauv^erck, Beiträge zur pathologischen
Anatomie 1894).
8. Luftgeschwulst und Emphysem.
Die Pneumatocele supramastoidea sowohl als das Emphysem
der Pars mastoidea kommen nur selten zur Beobachtung. Die erstere ent-
Avickelte sich nach den bisherigen Beobachtungen (Wernher, Sonnenberg)
als kleine circumscripte Erhabenheit, etwas an der Wurzel des Warzenfort-
satzes beginnend, und nahm langsam aber stetig zu, so dass die ganze be-
treffende Kopfhälfte beinahe von der Geschwulst eingenommen wurde. Dabei
war sie von einem Knochenwall umgeben, ähnlich wie bei den Dermoidcysten.
Beim Percutiren gab sie einen tympanitischen Schall, beim Palpiren jedoch
fehlte das Emphysem-Knistern; die Auscultation ergab Blasebalggeräusch und
bei Druck auf die Geschwulst bekam der Patient, der die Geschwulst durch
Niesen acquirirt hatte, Athemnoth. Heilung geschah durch wiederholte Jod-
injectionen; sonst wäre die Spaltung angezeigt.
Für das Zustandekommen dieser Pneumatocele müssen wir congenitale
Dehiscenzen an der Corticalis des Warzenfortsatzes verantworlich machen.
Emphyseme stellen sich gelegentlich eines Traumas dann und wann
ein, können sich jedoch, auch ohne dass eine Verletzung vorausgegangen war, in
Folge von stärkerer Luftverdichtung im Nasenrachenräume zeigen. Derartige
Fälle sind von Schmidt früher und dem Verfasser (Münch. med. Wochensch,
1894, Nr. 36) beobachtet worden. Im letzteren Falle kam es gelegentlich der
Ausübung des PoLiTZER'schen Verfahrens mit dem LucAE'schen Doppellballon
zunächst zu einer Ekchymosirung beider sehr atrophischen Trommelfelle, weiter
zur Emphysembildung am linken Trommelfelle und zur Abhebung der Haut
an der Basis des Warzenfortsatzes. Die emphysematöse Geschwulst an der
Warzengegend erreichte sofort Pflaumengrösse und w^uchs in kurzer Zeit bis
auf Eigrösse, immer das typische Luftknistern beim Palpiren, sowie beim
Percutiren einen tympanitischen Klang gebend. Bei Druck auf die Geschwulst
wurde Patient schwindelig.
712 .WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN.
Heilung iiacli zehn Tagen durch Massage und eine einmalige Injection
von Aether.
Hier ist dies der vierte Fall von Emphysem der Pars mastoidea und
der zweite der durch Luftverdichtung verursachten.
9. Neubildungen.
Polypöse Neubildungen (Fibrome) können vom Antrum ausgehen und
entweder durch das perforirte Trommelfell oder durch eine Usur des knöcher-
nen Falzes in den Meatus gelangen und dort Gehörgangspolypen vortäuschen;
die Sonde wird Klarheit in die Sachlage bringen. Bei Gelegenheit der Er-
öfinung des Warzenfortsatzes findet man hie und da auch im Antrum Polypen.
Von benignen Neoplasmen sind es, abgesehen von der bereits erörterten
Hyperostose, Exostosen, die in einzelnen Fällen den Warzenfortsatz als
Basis haben. Dermoid Cysten mit ihrem typischen Inhalte sind innerhalb
des Warzenfortsatzes selten gefunden worden. Atherome etabliren sich
nicht zu selten auf der Höhe des Warzentheiles, die Ohrmuschel stark ab-
drängend, Neuro me (Verfasser) können vom Lobulus aus auf die Pars mastoi-
dea sich ausbreiten. Von den Misch- und malignen Geschwülsten können
Chondrosarkome secundär auf den Warzenfortsatz übergreifen; Osteo-
sarkome können primär oder secundär sich entwickeln. Eundzellen- und
Myxosarkome können von der Paukenhöhle aus durch die Warzenzellen
bis unter das Periost vordringen und so dort eine subperiostale Schwellung
mit Eiter oder ein Durchbrechen des Empyem vortäuschen; haben sie die Cor-
ticalis, das Periost und die Haut bereits durchbrochen, so zeigen sich ver-
schieden grosse, weiche, schwammige, blaurothe, leicht blutende Geschwulst-
massen hinter dem Ohre; dabei kann zu gleicher Zeit (Verfasser) das Sarkom
zum Gehörgange herausgewuchert sein. Auch primär können sich derartige
Sarkome entwickeln, aber selten. Ebenso ergreifen Carcinome des Gehör-
ganges, der Paukenhöhle oder der Temporalgegend die Pars mastoidea meist
secundär, selten kommen sie primär vor. Es mag hier auch bemerkt sein,
dass die Chlorome zuweilen auch die pars mastoidea mitergreifen.
Von infectiösen Granulomen sind primäre Schanker am Warzenfort-
satze beobachtet worden; ferner Gummata; diese können, so lange sie noch
nicht zerfallen sind, Veranlassung zur Verwechslung mit subperiostalen Processen
geben, und wenn sie vereitert sind und sinuöse Geschwüre gebildet haben,
mit Carcinom- oder Tuberkulose- Geschwüren zusammengeworfen werden. Die
Diagnose wird bald durch den Einfiuss einer specitischen Therapie gewonnen.
Betrefis der primären Tuberkulose des Warzentheils gehen die Anschauungen
der Autoren noch auseinander. In einem diesbezüglichen Falle des Ver-
fassers waren als charakteristisch die auf dem Warzenfortsatz liegende kleine
Lymphdrüse tuberkulös entartet und ganz in der Tiefe des sklerosirten
Warzenfortsatzes fanden sich tuberkulöse, bacillenhaltige Granulationen.
10. Neurosen. Neuralgie der Pars mastoidea kommt zuweilen vor. Es
bestehen dabei intensive Schmerzen bei Fehlen jeglicher Entzündungserschei-
nungen und Schwellung. Die häufigste Ursache dieser bohrenden oder
stechenden Schmerzen ist Syphilis. Auch Malaria kann sich als Intermittens
larvata in Form einer in typischen Intervallen auftretenden Neuralgie am
Warzentheile zeigen.
Beide Arten weichen nur der jeweiligen passenden Jod-, respective Chinin-
medication. Besteht gleichzeitig Eiterung im Mittelohre, so kann eventuell
eine Verwechslung einer Neuralgie mit einer durch Hyperostose geschaffenen
tiefen intraossalen Eiterretention statthaben; übrigens darf man bei Eiterung
eine Neuralgie meist ruhig von vorneherein ausschliessen.
Bei einfachen wirklichen Neuralgien, auf nicht luetischer oder Wechsel-
fieberbasis, thut unter Umständen der constante Strom recht gut; sonst auch
Antipyrin, Migränin etc.
WARZENFORTSATZOPERATIONEN. 713
11. Fremdkörper kommen zuweilen vom Gehörgange aus, vermöge un-
geschickter Extractions versuche in die Paukenhöhle und von da ins Antrum
mastoideum, woselbst sie sich so sehr festkeilen können, dass ihre Entfernung
auch auf operativem Wege nur schwer gelingt; solche Fälle liegen von vorne-
herein prognostisch nicht günstig.
Von sonstigen Fremdkörpern wäre noch zu erwähnen, dass einmal
Oestruslarven in einem subperiostalen Abscess gefunden wurden, ferner in
dem eröffneten Warzenfortsatze ein steckengebliebenes Drainrohr; ich habe
bei einer Hysterischen, welcher der Warzenfortsatz aufgemeisselt worden war,
mehrere Male Nadeln, die sie sich in den Wundcanal hineinprakticirt hatte,
herausgezogen.
12. Schussverletzungen geben nicht selten Veranlsssung zum Ein-
dringen der Projectile in den Warzenfortsatz, da der Schuss meist in den Gehör-
gang abgefeuert wird und die Kugel dann durch die hintere Wand in den Warzen-
theil dringt, meist dort steckenbleibend. Deshalb sind auch derartige Schuss-
verletzungen relativ prognostisch nicht so sehr ungünstig. Taubheit folgt
beinahe constant, Facialislähmung sehr häufig. Gefährlicher werden die
Schüsse, wenn sie Splitterungen des Paukendaches herbeiführen mit gleich-
zeitiger Eröffnung des Subarachnoidealraumes.
Heilung durch Entfernung, Ausmeisselung der Kugel ist in einer ziem-
lichen Anzahl der Fälle beobachtet worden. Eine Zimmerstutzenkugel, die
Jahre lang am Warzenfortsatz eingekapselt gelegen war, habe ich durch
Meissein entfernt, als sie neuralgische Erscheinungen verursachte; sie hatte
das Periost durchschlagen und war in der Corticalis sitzen geblieben, die
Hautwunde war beinahe spurlos vernarbt. In den ersten zwei Jahren nach
der Verletzung sollen gar keine Symptome von dem Fremdkörper ausgegan-
gen sein.
Sonstige Verletzungen des Warzentheils kommen noch gelegentlich
durch Stich, Hieb, Quetschung vor.
Fracturen können die Pars mastoidea allein betreffen, oder von der Um-
gebung sich auf sie fortsetzen; es kommt dabei entweder bloss zu einer ein-
fachen Infraction der Aussenschichte oder zur Absprengung grösserer Stücke;
auch der ganze Warzenfortsatz kann totaliter von der Basis aus abgesprengt
werden. Fissuren können durch den Gehörgang auf das Trommelfell über-
treten.
In jüngster Zeit habe ich einen Fall beobachtet, in welchem es durch
Einwirkung einer starken stumpfen Gewalt in der Folgezeit zu einer Seques-
trirung beinahe des ganzen Fortsatzes kam.
Bei den durch Schlag, Stöss (beim Boxen z. B.) etc. hervorgerufenen,
hochgradigen Contusionen der Knochenlager des Warzenfortsatzes kommt
es sehr häufig zur Bildung eines Blutergusses nicht bloss im Inneren der
Warzenhohlräume selbst, sondern auch in die Paukenhöhlen hinein (Hämo-
tympanum). Der intratympanale Bluterguss, der dem Patienten damit hoch-
gradige Schwerhörigkeit mit oder ohne subjective Geräusche verursacht und
der objectiv an der bläulichen Verfärbung des vorgewölbten Trommelfells
erkenntlich ist, gelangt zumeist spontan langsam zur Resorption und mit ihr
verlieren sich die Symptome. Zuweilen ist es nothw^endig, deshalb die Para-
centese zur Entlastung und Heilung vorzunehmen. In seltenen Fällen tritt
consecutive Vereiterung des Hämotympanums ein. haug.
WarzenfortsatZOperationen. {Mastoidopemtion.) wir können bezüg-
lich der am Warzentheil vorzunehmenden operativen Eingriffe eine gewisser-
maassen graduelle, abstufende Unterscheidung treffen zwischen der sogenannten
WiLDE'schen Incision, der eigentlichen Eröffnung des Warzenfort-
satzes mit Freilegung des Antrum mastoideum (Schwahtze's Ope-
714 WARZENFORTSATZOPERATIONEN.
ration) und dem grossen Eingriff der Wegnahme der hintern Gehör-
gangswand unter gleichzeitiger Abtragung des Warzenfort-
satzes und Freilegung der Paukenhöhlenräume (Radicaloperation).
Die WiLDE'sche Incision besteht lediglich in einem die Weichtheile auf der
Höhe des Warzenfortsatzes von der Basis bis zur Spitze, bis auf oder durch
das Periost dringenden Schnitte. Sie bezweckt bei einfach geschwollenen
Weichtheilen eine Entlastung durch die reichliche Blutung oder bei nach-
weisbarer oberflächlicher oder tiefer Fluctuation die Eröffnung eines subcu-
tanen, epi- oder subperiostalen Eiterherdes. Sie wird gemeiniglich deshalb ange-
wandt bei Phlegmonen des Warzen theils und primären oder secundären
Periostitiden mit Abscedirung. Nur in ganz einfachen Fällen, in welchen
der Knochen sich nicht krank erweist, genügt dieser kleine operative Eingriff.
Unter Umständen kann er als Hautschnitt bei der Eröffnung des Warzenfort-
satzes provisorisch oder präparatorisch dienen, provisorisch dann, wenn die Er-
öffnung des Warzenfortsatzes nicht gleich sich anschliessen soll, wenn man
also warten will, ob sich die Erscheinungen eventuell nicht durch ihn allein
beheben lassen. Anzuempfehlen ist aber diese Art der Verwendung des
Schnittes im Allgemeinen nicht, ebenso nicht als präparatorischer Haut-
schnitt, da Ort und Ausdehnung des Schnittes oft nicht völlig passen für die
günstige Fortsetzung der Operation.
Ehe wir die eigentliche typische Warzenfortsatzeröffnung des
Näheren besprechen, müssen wir die Indicationen, wie sie von Schwaetze
für die nach ihm benannte Operationsmethode muster- und allgemein giltig
angegeben worden sind, erörtern.
Diese Indicationen sind nach Schwaetze:
1. „Acute Entzündung des Warzenfortsatzes (Empyemoder
Mastoiditis), welche einer symptomatischen bisherigen Behandlung, Eis-
application, Blutentziehung, Jod, nicht innerhalb 6 bis längstens 8 Tagen
gewichen ist, wenn also Schwellung, Röthung, Fieber und Schmerz zugenommen
haben." Antipyretica sollen nach Verfassers Ansicht nie gegeben werden, weil
wir am Fieber auch hier einen oft ausserordentlich verlässlichen Gradmesser
für den Stand der Erkrankung haben. Ueber 8 Tage lang zu warten bei aus-
gesprochenen Symptomen, Messe leichtsinnig das Leben des Patienten in die
Wagschale werfen, um so mehr als die Operation unter den heutigen anti-
und aseptischen Bedingungen als eine gefahrlose angesehen werden muss.
Uebrigens würde auch schliesslich, wenn wirklich gar kein Eiter gefunden
würde, die Operation also umsonst gemacht worden wäre, der Eingriff gar
nichts auf sich haben. Im Gegentheil aber würden wir uns einer gewaltigen
Nachlässigkeit, eines sträflichen Leichtsinnes zeihen müssen, wenn wir bei
Vorhandensein der objectiven Symptome die günstige Zeit und den Ort der
Wahl verpassten und den Patienten einer Lebensgefahr preisgeben würden.
2. Chronische Entzündung des Warzenfortsatzgebietes, die sich als
Caries oder Nekrose bemerkbar gemacht hat durch Fistelbildungen
entweder auf der Oberfläche des Warzenfortsatzes oder an der hintern und
hintern obern Gehörgangswand (Granulationen sind häufig damit ver-
gesellschaftet) oder durch Se n kungs ab scesse in die seitlichen Halspartien
in den Meatus und gegen den Schlund zu. Oefters wiederkehrende und
wieder sich involvirende Schwellungen der Warzenfortsatzdecken bei ge-
wöhnlich bestehender Mittelohreiterung. Unter solchen Voraussetzungen sollte
die Operation immer gemacht werden, auch wenn zur Zeit keine das Leben
bedrohenden Symptome bestehen." (Siehe Ptadial Operation). Gerade hier
wird oft unendlich viel gefehlt und geschadet dadurch, dass man nicht zu einer
vielleicht noch relativ günstigen Zeit eingreift und somit dem Process Ge-
legenheit gibt, sich weiter auszudehnen, bis es eben dann zu spät wird.
WARZENFORTBATZOPERATIONEN. 715
3. „Chronische Eiterung des Mittelohre söhne äussere Zeichen
von Entzündung des Warzenfortsatzes, sobald sich Symptome ein-
stellen, die das Hinzutreten einer lebensgefährlichen Complication in Folge
von Eiterretention oder Cholesteatombildung wahrscheinlich machen."
4. „Sonst unheilbare Neuralgie des Warzenfortsatzes."
5. „Als prophylaktische Operation gegen letale Folgezustände un-
heilbarer fötider Mittelohreiterungen ohne Entzündungserscheinungen am
Warzenfortsatze und ohne Zeichen von Eiterretention, sobald durch die ge-
naue otoskopische Untersuchung festgestellt ist, dass der Sitz der Eiterung
nicht auf die Paukenhöhle beschränkt ist." Alle die Indicationen von 2 — 5
gelten speciell für die am Ende geschilderte liadicaloperation.
Zu diesen fünf von Schwartze aufgestellten und nach ihm angeführten
Indicationen möchte Verfasser noch eine auch anderweitig urgirte zufügen:
6. Zur Entfernung von in der Paukenhöhle oder im Aditus
ad. antrum eingekeilten Fremdkörpern, die sich rascher, durch
Ablösung der Ohrmuschel mit partieller Abtragung des Gehörganges, auch
nicht haben entfernen lassen und gefahrdrohende Erscheinungen bereits hervor-
gerufen haben.
Die Eröffnung muss unter allen Bedingungen gemacht werden, wenn bei
der opthalmoskopischen Untersuchung eine beginnende Stauungs-
papille sich kundgibt; ist die Stauungspapille schon sehr stark ausgesjjrochen
confirmirt, so kommt die Operation oft schon zu spät. Selbstverständlich
müssen die allgemeinen und localen Symptome des Schmerzes an oder im
oder hinter dem Ohre, Fieber, Schwindelerscheinungen, Sehstörungen, Brech-
neigung in der Mehrzahl der Fälle ebenfalls vorhanden sein; dass Schwellung,
Röthung und Schmerz nicht allein maassgebend sind, wurde bereits früher er-
wähnt, und wir finden gar nicht selten in Warzenfortsätzen, deren Haut-
bedeckungen absolut keine Abnormität aufweisen, nach Wegnahme der völlig
gesunden oder eburneisirten oberen Partien ganz ausgedehnte Zerstörungen.
Die Mitbetheiligung des Warzenfortsatzgebietes war vielleicht ausser mehr
oder weniger ausgesprochenem Druckschmerz nur an der typischen Senkung
der hintern oberen Gehörgangswand zu erkennen gewesen (siehe Erkrankungen
des Warzentheils). Als relative Indication zur Eröffnung des Antrum kann
übrigens (Rich. Müller) jede acute Mittelohreiterung aufgefasst werden, bei
welcher es trotz vorausgegangener sachgemässer Behandlung (Trockenbe-
handlung) im Laufe der ersten 14 Tage bis zur dritten Woche nicht zur
Heilung oder ausgesprochenen Besserung (Sistirung der Secretion und Besserung
des Hörvermögens) gekommen ist. Für die chronische Mittelohreiterung
schiebt sich die Zeitgrenze auf ca 2 Monate erfolgloser Behandlung hinaus.
(Müller und v. Trautmann.)
Kein Erfolg mehr zu erwarten ist von der Operation bei bereits aus-
gesprochener Meningitis, oder wenn diese schon gar ins Stadium des
Comas übergetreten ist. Nicht zu vergessen ist, dass wir in zweifelhaften
Fällen in der Lumbalpunction eine eminente, differential-diagnostisch
unterstützende wirkende Probe haben, deren negativer Ausfall (Fehlen von
Leukocyten oder Mikroorganismen im Liquor) uns das Nichtergriffensein
der Meningen andeutet. Es wird uns da oft noch ermöglicht sein, mit Er-
folg zu operiren, wo wir sonst es nicht mehr für rathsam hätten halten
müssen. Dass aber der Lumbalpunction selbst an und für sich auch bei der
subtilsten Ausführung gewisse Gefahren innewohnen, dürfen wir nicht ver-
schweigen. Bei Diabetes hat man bis vor nicht langer Zeit wie vor allen
operativen Eingriffen, so auch von unserem absehen zu müssen geglaubt, indes
hat die Erfahrung gelehrt, dass auch Diabetiker, und zwar ausgesprochen
hochgradige, mit vollem Nutzeftect ohne Gefahr wegen ihrer Allgemeinerki'an-
kung sich operiren lassen. Ausgesprochene Pyämie ist kein Grund zur Nicht-
716 WARZENFORTSATZOPERATIONEN.
ausfübrung der Operation, da sie gerade durch diesen localen Eingriff allein
oder durch ihn in Verbindung mit Ausräumung des thrombosirten Sinus oder
eventuell der Ligatur der Vena jugularis zur Heilung gelangen kann.
Instrumentarium. Ausser den bei jeder grösseren Operation zu
handhabenden Instrumenten (Messer, Sonden, gerade und CooPER'sche Scheeren,
Pincetten) sind behufs Blutstillung sehr zu empfehlen die grossen gezähnten,
scharfen BERGMANN'schen Schieber und die PiiAN'sche Klammer; ferner sind
nothwendig zwei bis drei mehrzinkige scharfe Hacken, ein schmales spitzes und
ein etwas breiteres Elevatorium, Ptaspatorium, ein Hammer vier, gerade Hohl-
meissel von 1-2; 0-9, 0-6, 0-3 cm Breite, zwei gebogene Hohlmeissel und gerade
Meissel, sowie nach rückwärts gebogene Hohlmeissel, einige kleinere scharfe
Löffel, gerade und gekrümmt, eine besonders construirte schmale LuER'sche
Hohlmeisselzange (eventuell noch STACKE'scher Schützer) Ohrspiegel (Reflector),
eventuell elektrische Beleuchtungsapparate und auch statt der Meissel in
neuester Zeit elektromotorisch getriebene rotierende Fraisen, die besonders
in grösseren Tiefen nach Anbahnung des Operationscanales mit den Meissein
ihre Verwendung finden. (Dieses vollständige Instrumentarium kommt aber
bloss bei der Radicaloperation in Betracht; bei der einfachen Eröffnung kommen
wir mit den Eingangs genannten Instrumenten aus).
Es wird seit neuerer Zeit, und mit vollem Rechte, die Operation nur
mehr mit Meissel und Hammer, Hohlmeisselzange und scharfem Löffel ausgeführt,
Avährend man früher sehr gefährliche, weit uncontrolirbare Bohrerei geübt
hatte; noch jetzt wird diese von einigen amerikanischen Aerzten unglaublicher-
weise protegirt.
Sterilisation und Einlegen der Instrumente in antiseptische Lösungen
(5% Carbol) selbstverständlich.
Ich schildere nun des Weiteren die Operation, so wie ich sie an einer
schon sehr grossen Anzahl von Fällen ausgeführt habe. Sie deckt sich im
Ganzen mit der ScHWARTZE'schen sogenannten typischen Mastoidoperation,
abgesehen von kleinen Abweichungen.
Zunächst gehörige Entfernung der Haare durch Rasiren bis mindestens
auf 3 — 4 Querfinger breit, besser noch handbreit, über dem Ohre; Schonung
in dieser Beziehung, besonders bei Frauen ist absolut zu widerrathen, da
sonst das Operationsterrain nie ordentlich freibleibt. Umwickeln des ausser
dem Operationsfelde liegenden behaarten Kopfes mit einer in Sublimat ein-
getauchten Mullbinde. Reinigung und Desinfection der Hinterohrgegend in
weitem Umfange durch Abreiben mit Alkohol oder Aether sulfuricus, Abspü-
lung mit Sublimat 1-0 : lOOO'O etc.
Die Ohrmuschel *) wird durch einen Assistenten abgebogen, und nun der
Hautschnitt in einer Länge von 4: — b'^j^cm längs und parallel der Insertions-
linie der Muschel, ^4 bis Vs ^''^ "^on derselben entfernt, geführt; er muss
über der bei Fehlen von Schwellung fast immer palpabeln Linea temporalis
anfangen und nach unten bis unter die Spitze des Warzenfortsatzes reichen.
Kleiner als 4 cm sollte der Hautschnitt nie genommen werden, weil sonst die
absolut nothwendige leichte Uebersehbarkeit des Feldes mangelt. Die Blu-
tung ist zuweilen eine recht erhebliche, insbesondere da bei dieser
Schnittführung die A. auricularis posterior sehr häufig in die Linie kommt,
was übrigens durchaus nichts auf sich hat, das sie immer gefasst werden
kann. Sind aber, wie dies bei periostalen Affectionen oft der Fall ist, die
Weichtheile sehr stark geschwollen, infiltrirt, bis manchmal auf mehrere cm
verdickt, so ist insbesondere die parenchymatöse Blutung eine recht unan-
genehme, sie steht aber gewöhnlich bald durch das im Verlaufe nothwendig
■") Die Schilderung lehnt sich theil weise an die von mir in der „Wiener Klinik"
1893, Nr. 11, 12, bereits gegebene dieses Operationsverfahrens.
WARZENFORTSATZOPEUATIONEN. 717
werdende Einsetzen der Haken, die die blutenden lliinder comprirairen. Der
Schnitt soll womöglich sofort bis auf das Teriost selbst geführt werden.
Manchmal ist es zweckmässig, bei starkem Infiltrate, das sich nach hinten
zu ausbreitet, zu dem einfachen Schnitte noch einen zweiten, senkrecht auf
die Mitte des ersteren, nach hinten verlaufenden Schnitt zu setzen in der
Länge von circa 3 cm; wir bekommen so durch Abpräpariren der llautlappen
bis zur Basis dann den Warzenfortsatz und seine ganze Umgekung frei.
Politzer und Zaüfal benutzen grundsätzlich nur eine Lappenbildung. Ist
die Schwellung der Weichtheile eine sehr beträchtliche, so dass man keine
Linea temporalis und keine Spitze am Warzenfortsatz e palpiren kann, so thut
man gut, den Schnitt etwas weiter nach hinten als Y2 «-'^^ "von der Insertions-
linie ab zu legen, etwa da, wo die Projectionslinie des Anthelix (bei an-
gedrücktem Ohre) auf die Warzenfortsatzregion auftreffen würde feit, nach
Kreschmann).
Bei stärkerer, insbesondere speckiger Infiltration haben wir oft eine
2 — 3 cm dicke Schwarte zu durchtrennen und zurück zu schieben. In die
nach beiden Seiten so durchpräparirten Weichtheile werden je ein drei- bis
vierzinkiger scharfer Wundhaken eingesetzt und stark angezogen, so dass
jetzt das Periost in der ganzen Ausdehnung freizuliegen kommt. Dasselbe
kann seine normale weissliche Farbe und fibröse derbe Beschaffenheit be-
halten haben oder mehr oder weniger infitrirt, verfärbt und unter Umständen
zugleich abgehoben erscheinen. Letzteres ist der Fall bei subperiostalen
Eiteransammlungen und es erweist sich hier oft in weitem Umfange vom
Knochen abgelöst.
' Jetzt wird das Periost in der gleichen Länge, wie der Hautschnitt,
durchtrennt und nach beiden Seiten mit dem Elevatorium und Piaspatorium
zurückgehebelt, was da, wo es gelockert oder abgehoben ist, natürlich sehr
leicht geschehen kann; ist aber der unterliegende Knochen oberflächlich noch
gesund, so adhärirt es sehr fest. Das Periost muss nun unter allen Bedingungen
nach beiden Seiten überall so weit zurückgeschoben werden, dass nicht bloss
der obere Theil des Warzenfortsatzes, sondern der ganze Processus, von
der Linea temporalis oder wenigsten der Basis ab bis zu seiner Spitze, dem
Ansätze des M. Sternocleidomastoides, dessen nun frei zu Tage liegenden sehnigen
Ansatzfasern praeparando mit dem Messer gegen den Knochen zu abgetragen
werden, völlig freiliegt, so dass man also die ganze Partie übersehen und
umgreifen kann; nach vorne insbesondere nach oben vorne muss das Periost
soweit zurückgehebelt werden, dass die hintere Circumferenz der knöchernen
Meatuslichtung mit der Spina supra meatum zum Vorschein kommt. Das so ab-
gelöste Periost wird ebenfalls in die Haken gegeben und somit aus dem Ge-
sichtsfelde geschafft. Bei nicht starker Infiltration der Decke wird am besten
der Hautschnitt sofort in continuo bis auf den Knochen geführt, so dass also
das Periost mit durchtrennt wird; es wird hierdurch nicht unwesentlich an
Zeit gespart.
Von jetzt ab richtet sich die Art und Weise, wie wir vorzugehen haben,
nach der jeweiligen Beschaffenheit der Knochenoberfläche. Finden wir die-
selbe verfärbt, graublau oder gelbbraun, mit einem oder (selten) mehreren
Fistelgängen durchsetzt, die Corticalis in der Oberfläche arrodirt oder durch-
brochen, so sind uns zunächst die Wege zum Eingriff schon von der Xatur
aus vorgeebnet und vorgezeichnet. Es wird die Sonde zur Leitung in den
Fistelcanal eingeführt, die bereits morsche Knochendecke mit einigen flachen
Hohlmeisselschlägen abgehoben, und es werden nun zunächst alle Granula-
tionen, die hier meist sehr üppig als röthlich graue oder gelbliclu'othe weiche
Massen den Knochen und die Hohlräume in der verschiedensten Ausdehnung
durchsetzt haben, sowie die nekrotischen Knochenstückchen fest und energisch,
und doch dabei vorsichtig mit dem scharfen Löffel ausgeschabt, bis der Löffel
718 WAEZENFORTSATZOPERATIONEN.
Überall den Ton des harten gesunden Knochens erkennen lässt und das Weiter-
kratzen an dem Widerstände des gesunden Knochens scheitert. Eiter entleert sich
häufig zu gleicher Zeit mit den Granulationen, oft folgt er ihnen erst aus der
Tiefe, dem Antrum, her nach. Zuweilen finden sich aber auch lediglich Granula-
tionen in deu Zellräumen, die übrigens, wie wir bald sehen werden, durchaus
nicht verwechselt werden dürfen mit der geschwollenen Schleimhautausklei-
dung der W^arzenzellen. Dass natürlich auch hier, besonders wenn man ein-
mal über 1 V2 cm weit vorgedrungen ist, immer grösste Vorsicht bei Führung
des Instrumentes geboten ist, versteht sich von selbst, sonst kann es Einem
bei morschen Knochen passiren, dass man bei starkem Drucke, ehe man sich's
versieht, in der mittleren Schädelgrube sitzt oder in den Sinus transversus
hineingeräth. Insbesondere ist bei Operationen an kindlichen Schädeln (bis
zum fünften Jahre) hier grosse Vorsicht nöthig und jedes gewaltsame, rohe
Vordringen, wie überhaupt, dringendst zu widerrathen. Ausser dem Löfiel
ist dann noch als zweites Instrument die Hohlmeisselzange, die zweckmässig
für diese Operation eine passende Modification erfährt, indem sie schlanker
und schmäler gebaut ist als die sonst üblichen, in Anwendung zu ziehen;
durch sie werden alle Kanten und Ecken fortgenommen, so dass eine gleich-
massig breite, grosse leicht zugängliche Höhle geschaffen ist. Sehr häufig
hat der so geschaffene Hohlraum die Grösse eines ganzen Daumengliedes bei
einer Tiefe von Tö — 1"8 bis 2*0 cw; zuweilen muss auch der Substanzverlust
noch bedeutend grösser gemacht werden, wenn z. B. der ganze Warzen-
fortsatz von der Spitze bis zur Basis und darüber hinaus sich nicht gesund
erweist.
Unter allen Umständen soll womöglich der die Circnmferenz des Opera-
tionscanales bildende Knochen absolut gesund sein, es muss also, wo es nur
immer angeht, etwa ein mm weit noch die g e s u n d e Knochensubstanz überall
mit abgetragen werden.
Sehr wichtig ist es nun, auch sich über den Zustand des Antrums und
des Aditus ad antrum, des Ganges vom Antrum in die Paukenhöhle zu über-
zeugen; sie müssen für die meisten Fälle offen sein, weil die offene Com-
munication der Warzenhöhle mit dem Paukenraum und durch diesen wieder
vermittelst des perforirten Trommelfells mit dem Meatus von absoluter Be-
deutung für einen günstigen Heilverlauf ist und weil das Antrum fast regel-
mässig gleichzeitig mit dem Cavum tympani und dem Recessus epitympani(?us
erkrankt erscheint und gerade durch dieses der Uebergang auf die anderen
Warzenzellen erfolgt. Es ist auf jeden Fall nothwendig, das Antrum und
seinen Aditus mit kleineren Meissein und scharfen Löffeln gehörig frei zu
legen.
Früher spülte man mit einer lauwarmen antiseptischen Lösung
unter leichtem Drucke von hinten nach vorne durch, so dass das Spritz-
wasser zum Gehörgange abfloss; das ist das absolut sichere Zeichen der com-
pleten Communication. Seit neuerer Zeit sind aber diese Spülungen grund-
sätzlich so ziemlich allgemein aufgegeben, weil erfahrungsgemäss durch sie
sehr häufig geschadet werden kann.
Jetzt geht man einfach mit der gebogenen Sonde von dem eröffneten
Antrum aus in den Gang und erweitert ihn, wo er zu schmal ist, mit Löffel,
Meissel und Zange.
Ist die Corticalis an einer oder mehreren Stellen von Fisteln durch-
brochen, so müssen auch diese natürlich gehörig erweitert und ausgelöffelt
werden. Häufig führen solche Fistelgänge nach hinten oder hinter und
ober dem Warzenfortsatze zu einem extraduralen Abscess; in diesen Fällen
macht sich bei der Dilatation der Fistel meist eine verhältnismässig sehr
grosse Menge Eiters bemerkbar, der oft unter stärkerem Drucke herausläuft.
Sobald sich etwa ein Kaffeelöffel voll Eiter oder mehr entleert aus der Tiefe,
WARZENFORTSATZOPERATIONEN. 719
ist der Verdacht auf einen epiduralen Abscess sehr gross und es muss in
diesen Fällen sorgfältig dem Fistelcanal nachgegangen und das Abscessgebiet
längs der eingeführten Sonde mit Meissel und Zange möglichst breit in Form
einer länglichen Knochenrinne eröffnet werden.
Somit ist diese Art des operativen Eingriffes nach genügender Ausscha-
bung der Höhle beendet und es erübrigt nur noch eine sehr sorgfältige
gründliche, bis in die letzte Fuge des Aditus ad antrum hinein ausgeführte,
Toilette und Glättung des ; Knochendefectes mittelst scharfen Löffels und
Zange. Nachbehandlung folgt bei der zweiten, jetzt zu erörternden Operations-
methode.
Finden wir nach Abhebung des Periostes den Knochen dagegen nur
wenig verändert oder von vorläufig normalem Aussehen, gelblichweiss und
von gewöhnlich derber Consistenz, oder ist die Corticalis besonders hart,
sklerosirt, so tritt jetzt die Aufgabe an uns heran, einen Weg in den Knochen
zu bahnen, die typische Aufmeisselung des Antruras vorzunehmen.
Der Ort hiefür ist an der Basis des Warzenfortsatzes. Bedingung ist natür-
lich das völlige Freipräparirtsein des ganzen Warzenfortsatzes — zu suchen,
etw^a wenn wir den Warzenfortsatz durch eine senkrechte und durch eine
wagrechte, gerade die Basis in der Mitte durchquerende Linie in 4 Segmente
getheilt denken, an der Kreuzungsstelle des vorderen obern und vordem
untern Quadranten; es entspricht das den bereits früher angegebenen Marka-
tionslinien.
Als Orientirungspunkte können uns weiter da, wo sie ausgesprochen
sind, die Linea temporalis und die Spina supra meatum dienen, da
sich das Antrum fast durchgehends etwas über der Höhe der hinteren oberen
Gehörgangswand oder in gleicher Flucht mit ihr, aber ungefähr 3—8 mm,
durchschnittlich 4—5 mm weit nach rückwärts von dem Rande der hinteren
oberen Meatuspartie findet.
Ausserdem haben wir in einer sehr grossen Anzahl der Fälle auch noch
einen Anhaltspunkt an den sogenannten Gefässlöchern; es sind das etwa
2 — 5 haarfeine, den Knochen durchsetzende Lücken, die sich eben gerade an
der Basis, an der fraglichen Stelle, sichtbar machen. Sie fehlen gemeiniglich
nur bei hochgradiger sklerotischer Verdickung der Corticalis oder bei totaler
Hyperostose des Processus.
An dieser Stelle nun, hart unterhalb der Linea temporalis und 4 mm von
Gehörgange nach rückwärts, muss der Canal in den Knochen geführt w^erden,
und zwar wird zunächst die Basis desselben angelegt, indem wir mit dem
grössten Hohlmeissel eine rundliche oder ovale Grube von mindestens V2 bis
1"6 cm in der Corticalis aushöhlen. Immer ist eine möglichst grosse Eingangs-
und Anfangsöffnung fertigzustellen. Der Meissel wdrd dabei immer ziemlich
schief, aber immer so, dass er gut noch eingreifen kann, eingesetzt und nun
werden durch kurze Hammerschläge die Knochenschalen ausgehoben. Dabei
muss aber vom ersten Anfang auf die künftige Richtung des Knochencanales.
resp. Kegels genauestens geachtet werden; er muss immer beinahe pa-
rallel der Gehörgangsachse mit einerkleinen Neigung zuihr
hin verlaufen, so dass der Meissel von aussen, hinten und oben
nach vorne, unten und innen wirken soll. Da ist die einzig sichere
und ungefährliche Richtungslinie, denn wenn der Meisselschlag nach hinten
gerichtet wäre, so könnte in der Tiefe sehr leicht der Sinus transversus er-
öffnet werden, oder wenn er gerade, wagrecht nach innen ginge, so würde
die mittlere Schädelgrube freigelegt unabsichtlich werden können.
Wenn die Mulde so ungefähr auf V2 — Vi <^^'^ Tiefe mit dem breiten
Meissel angelegt ist, w^erden die schmäleren Meissel zur Hand genommen und
successive langsam Knochenschale für Knochenschale abgetragen, so dass
ein trichterförmiges Loch im Knochen entsteht, dessen Spitze in dem Antrum
liegen muss.
720 WARZENFORTSATZOPERATIONEN.
Gewöhnlich treffen wir auf dieses in einer Tiefe von 1"0 bis 1"5 cm^ und
zwar kommen wir entweder unmittelbar plötzlich, nachdem der Knochen
vorher noch fest gewesen war, in die Höhle, oder es wird der Knochen mehr
und mehr morsch verfärbt, bis wir allmählich eintreten. Ist das Antrum er-
öffnet, so ergiesst sich jetzt z. B. bei reinen Empyemen eine Quantität Eiters
oder bei Caries stossen wir auf Granulationen neben Eiter oder sequestrirten
Knochenstückchen.
Diese werden mit dem scharfen Löffel gehörig entfernt und nun weiter
die Höhle mit Hohlmeisselzange und Meissel womöglich allseitig bis in die
Tiefe so erweitert, dass zwischen der Circumferenz der oberen Oettnung und
der im Antrum, resp. dessen Aditus entstandenen keine zu grosse Differenz mehr
sein soll, dass also mithin der erstere gelegte Knochentrichter in einen breiten
stumpfen Kegel oder besser noch beinahe in einen Cylinder umgearbeitet er-
scheint. Selbstverständlich muss auch hier die Operationsgrenze überall im
gesunden Knochen liegen, sowie der Aditus ad antrum in der früher be-
schriebenen Weise womöglich breit zugänglich gemacht wird.
Finden sich bei näherem Zusehen ausser dem Antrum auch noch die
anderen Zellen erkrankt — und gar nicht so selten sehen wir sämmtliche Hohl-
räume ausgefüllt mit wohl charakterisirtem Eiter, auch ohne dass zugleich
cariöse Einschmelzung der Septen zu bestehen braucht, ja sogar die pneuma-
tischen Räume nach oben und nach vorne bis in die regio zygomatica können
von Eiter erfüllt sein — so müssen sie selbstverständlich ebenfalls mit herein-
gezogen werden. Zuweilen ist dies auch der Fall da, wo sich eine Eiterung in
den an der Spitze des Warzenfortsatzes gelegenen Hohlräumen zunächst etablirt
hat. Hier kann man, wenn man den Eiterherd gleich zuerst an der Spitze
bemerkt hat, auch zunächst von der Spitze aus eindringen bis nach oben, im
Allgemeinen aber ist es immer räthlich, den Warzenfortsatz von oben nach unten,
dann aber in toto, abzutragen. Die Spitzenzellen allein aufzumachen, ohne
das Antrum freizulegen, ist nicht anzurathen, da dasselbe doch meist mit-
erkrankt ist und dann später eine Secundär-Operation nothwendig w^erden
würde.
Es ist nicht lange vorher des Umstandes Erw^ähnung gethan worden,
dass die Schleimhaut der Warzenzellräume oft hochgradig geschwellt er-
scheint und dem ungeübten Auge eine gewisse Aehnlichkeit mit Granulationen
imputirt. Wir finden so in Fällen, in welchen noch durchaus keine cariöse
Einschmelzung der Knochensepten stattgefunden hat, die luftleer gewordenen
Hohlräume ausgefüllt mit einer braunrothen oder rothen, gequollenen, sehr
hyperämischen Mucosa bei weichem, blutreichem Knochen. Bei härteren,
blassen Knochen, ebenfalls oft noch ohne Zeichen cariöser Arrosion sieht sich
die Schleimhaut der luftleeren Zellräume mehr grauweiss oder leicht grauroth an.
Bei sklerotischem Knochen wird die Operation oft erschwert, einmal
durch die elfenbeinharte Consistenz des Knochens selbst, dessen früher luft-
haltige Hohlräume entweder ganz oder nahezu gänzlich aufgehoben und durch
Knochen, elfenbeinharte eburneisirte Knochen ersetzt worden sind, weiter-
hin durch das Fehlen der als Anhaltspunkte dienenden Gefässlöcher und end-
lich durch die meist sehr tiefe Lage des Antrum, das noch dazu hier oft
ziemlich verengert und kleiner gew^orden ist; bei Hyperostose der Pars ma-
stoidea treffen wir die Haupthöhle oft erst bei TS bis 2-0 cm an und über
2*25 cm vorzugehen, — ausgenommen bei der Radicaloperation — ist eine
ziemlich missliche Sache wegen der jetzt möglicherweise leicht eintretenden
schweren Nebenverletzungen. Ist in der Tiefe die Höhle noch nicht zum Vor-
schein gekommen, vorausgesetzt die richtige Richtung des Operationscanales,
so ist sie eben wahrscheinlich obliterirt.
Eventuell vorhandene Fistelgänge müssen in der früher angegebenen
Weise ausgearbeitet werden.
WARZENFORTSATZOPERATIONEN. 721
Ist nun so alles Krankhafte aus dem Knochen entfernt, so erübrigt jetzt
noch in geeigneten Fällen weiter die relative Deckung des im Gesunden
liegenden Substanzverlustes. Zu diesem Zwecke ziehen wir das zurückge-
schobene Periost wieder hervor, spalten es eventuell noch auf beiden Seiten
in der Quere und tamponiren es dann in den Kuochenkegel hinein. Von der
äusseren Haut nebst Weichtheilen wird ebenfalls, wenigstens ist dies in manchen
Fällen rathsam, noch ein Stück in derselben Weise über das Periost, Avenigstens
auf eine gewisse Strecke der Höhlung hin, hineingeschlagen, so dass also
die im Gesunden liegende Höhle zum wenigsten in ihrer directen Umgebung
möglichst mit gesundem Periost und gesunder Oberhaut austapezirt ist. Selbst-
verständlich lässt sich diese Implantation nur dann anwenden, wenn alles
Kranke entfernt ist. Hiedurch wird der Heilverlauf sehr günstig beeinäusst,
insbesondere die oft lange, sich hinausziehende Nachbehandlung wesentlich
abgekürzt, ohne dass jedoch zu irgend einer Zeit dem nothwendigen even-
tuellen Secretabfluss ein Hindernis entgegenstehen würde. Es gilt dies na-
türlich nur für gesundes Periost und nicht infiltrirte Weich th eile mit Haut.
Es ist also, wenn irgend möglich, schon hier bei der einfachen breiten Auf-
meisselung, die Implantirung der Haut-Periostlappen dringendst und wärmstens
anzuempfehlen. Eine Vernähung der Hautwunde erfolgt hier natürlich nicht, nur
wenn Secundärschnitte ausgeführt worden sind, werden diese durch die Naht
vereinigt. Indes dürfen wir uns durchaus nicht engherzig in dieser Frage der
Deckung verhalten; sehr häufig erreichen wir das gleiche Resultat ohne Im-
plantirung, resp. Inversion, durch die einfache Granulationsbildung bei breit
aufbleibender Wundöffnung.
Der Verband der Wunde folgt, nachdem der Kegel im Knochen noch
gut mit Gaze austamponirt ist, in gewöhnlicher Weise, a- oder antiseptisch; es
bleibt der erste Verband womöglich 6 — 8 Tage liegen. Selbstverständlich muss
auch der Meatus mit einem Gazestreifen bis in die Pauke hinein ausgefüllt
werden. Bezüglich der Nachbehandlung ist zu bemerken, dass die Tamponade
des Canales immer sehr sorgfältig zu geschehen hat. Spülungen nehme ich
seit neuerer Zeit nie mehr vor, ebenso wie ich auch nach Beendigung der
Operation im Allgemeinen keine Durchspülung mehr vornehme. Es kommt
die Knochenhöhle entschieden früher und schöner zur Ausheilung als bei dem
Spritzverfahren und ist ein zu frühzeitiger Schluss bei vollständiger Inne-
haltung aller obgenannten Punkte keineswegs zu befürchten. Das Haupt-
gewicht ist zu legen auf die Ueberwachung der Granulationsbildungen, die
bald sehr üppig emporzuschiessen pffegen; sie müssen am besten durch wieder-
holte Aetzungen mit Chromsäure im Schach gehalten werden. Später, etwa
von der dritten Woche ab, ist es nicht unzweckmässig, Einblasungen von Acid.
boric. und Acid. salicyl. ää in den Wundcanal hinein auszuführen; immer aber
ist eine gute Tamponade unerlässlich, und der Wundcanal darf sich erst
schliessen, wenn aus dem Meatus auch bei genauester Untersuchung kein
Secret mehr entfernt werden kann.
Früher legte ich entweder gleich nach der Operation, oder wenn der
Canal zu granuliren anfing, Dauercanülen von der Form modificirter Ohr-
trichter, wie ich sie früher angab, ein oder benützte auch den ScHWARTZE"schen
conischen Bleinagel. Das musste schon der immer wieder vorzunehmenden
Durchspülungen vom Antrum in den Gehörgang und vice versa wegen ge-
schehen.
So kommt die Erkrankung gewöhnlich, nachdem vorher schon die
Secretion aus dem Mittelohre, respective der Paukenhöhle, eventuell noch
durch locale Nachhilfe (Pulvereinblasungen bei grosser Lücke, Tamponade bis
in die Trommelhöhle hinein etc.) zum Sistiren gebracht worden ist, schon
nach 2, 4, zuweilen allerdings erst in 6 — 10 Wochen zur Ausheilung; früher
brauchten wir manchmal ebenso viel Monate.
Ohren-, Nasen-, Kachen-, Kehlkopfkrankheiten. "Ao
722 WARZENFORTSATZOPERATIONEN.
Die acuten Fälle gelangen meist relativ früh zur Heilung, während die
chronischen durchschnittlich immer einen erheblich längeren Zeitraum in An-
spruch nehmen. Hier tritt dann auch die Radicaloperation in ihre Rechte.
In sehr seltenen Fällen kommt es vor, dass man sich während der Ope-
ration überzeugen muss, dass der Sinus transversus sehr tief gegen den Pro-
cessus vorgebaucht ist. Es kann hier das Terrain dadurch so schmal werden,
dass es fast unmöglich scheint, ohne Verletzung des Sinus von der Corticalis
her ins Antrum zu dringen. Für solche Fälle ist der Vorschlag gemacht worden,
die Eröffnung des Antrums von der hinteren Gehörs gangs wand
aus vorzunehmen. Es darf dieses Verfahren immer nur als Ausnahme gelten,
nie soll die Eröffnung grundsätzlich allein vom Gehörgange aus vorge-
nommen werden, erstens weil die Methode durchaus nicht s o sicher ist wie die
andere, dann wegen des leichteren Eintretens von Nebenverletzungen, und
schliesslich kommt es oft vor, dass die Oeffnung im Gehörgange nicht genügt,
und dann doch noch die Aufmeisselung von aussen gemacht werden muss.
Also bloss für die rubricirten Fälle von abnormer anatomatischer Lagerung
könnte sie Geltung haben. Im Allgemeinen werden wir dieses Verfahren aber
trotz der jeweiligen Sachlage der regulären Eröffnung nachsetzen, weil wir
bei einiger Vorsicht, doch meist zum Ziele kommen können und dann eben
nicht bloss die Garantie der richtigen Eröffnung, sondern auch die absolute
objective Uebersicht über das Krankheitsgebiet haben.
Zum Schlüsse dieser oben geschilderten typischen Eröffnung des Warzen-
fortsatzes nach ScHWARTZE haben wir nur noch der eventuellen üblen Zu-
fälle zu gedenken, die während der Operation eintreten können. Uebrigens
setzt uns nun das STACKE'sche Verfahren völlig über die Eventualität der
Vornahme dieser Methode weg.
Die Verletzungen der A. auricularis posterior hat, wie bereits gesagt,
nicht viel zu bedeuten; sie kann immer gefasst oder umstochen werden,
jedoch ist einmal die Bildung eines Aneurysmas auf die Durchschneidung
gefolgt.
Uangenehmer ist schon die unfreiwillige Eröffnung des Sinus trans-
versus, die besonders dann leicht passirt, wenn der Meissel nach hinten
wirkt, ausgleitet oder wenn man mit dem scharfen Löffel auf ein etwas
morsches Knochenstück, das noch die letzte Decke bildet, zu stark und un-
vorsichtig drückt. Uebrigens geht auch dieser Zufall meist ohne weitere
Folgen ab. Man darf sich nur nicht in dem Augenblicke, in dem der finger-
dicke lange Strahl dunkeln, schwarzen Blutes Einem entgegenspritzt, ver-
blüffen lassen; ruhigen Blutes sofort den Finger auf die Oeffnung gesetzt und
rasch einen Gazestreifen fest in die Lücke hinein tamponirt, dann ist die
Gefahr meist schon beseitigt. Mir ist es vor etlichen Jahren passirt, dass ich den
Sinus unfreiwillig mit dem Löffel einriss, aber die Blutung stand sofort
und auf die Dauer. Heilung in acht Tagen. Dass natürlich die Operation,
wenn sie noch nicht beendet ist, nicht mehr weiter geführt werden kann pro
momento, versteht sich von selbst. Nach zehn Tagen wird der Tampon abge-
nommen, die Sinuswunde ist dann meist geheilt und die Operation kann,
wenn nöthig, jetzt fortgesetzt werden. Jedenfalls hat die einfache Verletzung
nicht so sehr viel Bedeutung, wenn ihr rechtzeitig zu Leibe gegangen wird;
anders liegen die Verhältnisse, wenn durch die Eröffnung eventuell septische
Keime mit eingeschleppt wurden. Es mag aber hier bemerkt sein, dass in
allerdings seltenen Fällen durch Aspiration von Luft und daraus entstehende
Luftembolie der sofortige Exitus herbeigeführt werden kann, wie z. B. ein
Fall von Kuhn lehrt.
Auch stärker entAvickelte Emissarien können zu unangenehmen
venösen Blutungen Veranlassung geben; auch sie stehen auf Einstopfen eines
sehr feinen Streifens.
WARZENFORTSATZOPERATIONEN. 723
Auch die Eröffnung der Schädelgrube hat so lange keine tiefere
Bedeutung als die Dura und das Gehirn nicht verletzt worden ist. Nur muss
beim Verbandwechsel gut Acht gegeben werden wegen der Verklebungen, und
dürfen keine Knochensplitter im Wundcanale sich befinden.
Der Facialis kann unter Umständen nicht selten Gefahr laufen, ver-
letzt zu werden. In dieser Beziehung ist besonders gefährlich die Gegend des
Foramen stylomastoideum in Fällen, wo man so weit vordringen muss nach
unten, und in der oberen Partie die Region der lateralen Antrumwandung.
Es macht sich die leiseste Berührung des Nerven sofort bemerkbar durch das
sichtbare Facialiszucken, und es kann, falls man Acht hat, so eine Verletzung
noch im letzten Momente vermieden werden. Ist der Nerv bloss lädirt worden,
so kann sich nach kürzerer oder längerer Zeit der Dauer der Parese die
Leitung wieder herstellen; ist er aber ganz durchschnitten, so bleibt im An-
schlüsse an die starke rissartige Zuckung die Lähmung oft eine dauernde, com-
plete, muss es aber nicht immer bleiben; so erinnere ich mich eines
Falles, in welchem ein Stück von nahezu ^/4 cm Länge aus dem Facialis aus-
geschnitten wurde und trotzdem war nach etlichen Monaten die normale
complete Lähmung nahezu vollständig zurückgegangen. Uebrigens braucht
sich die Parese nicht sofort einzustellen, sie kann sich manchmal erst nach
Tagen oder, wie Schwartze sah, nach einigen Wochen bemerkbar machen.
Die letzte der Eventualitäten ist die beim tiefen Vordringen nach innen ent-
stehende Labyrinthverletzungen, speciell des äusseren Halbzirkel-
€ anal es. Die Folgen sind sehr bald in die Augen fallende: hochgradige
Coordinationsstörungen, Abfluss von Liquor, sehr starker Schwindel und Taub-
heit. Eiterige Labyrinthentzündung kann sich daran schliessen und durch
Consecutivraeningitis den Exitus herbeiführen.
Als letzte Art der operativen Eröffnung haben wir nun die sogenannte
Radicaloperation, bei welcher aus Paukenhöhle, inbegriffen insbesondere
den oberen Paukenraum, {Recessus epitympanicus), aber auch den unteren
Paukenraum {Recessus hypotympanicus), Antrum mastoideum und Gehörgang
eine gemeinsame Kunsthöhle geschaffen wird. Zu diesem Zwecke ist es noth-
wendig, nicht bloss den Warzenfortsatz sammt Antrum breit zu eröffnen,
sondern auch die hintere Gehörgangswand, sowie auch die den Recessus epi-
tympanicus und hypotympanicus deckenden Partien der oberen und unteren
Gehörgangswand, meist natürlich mit sammt dem Trommelfell zu entfernen.
Es kommt diese Operationsmethode lediglich bei den chronischen Mittel-
ohreiterungen zur Verwendung, gerne bei den mit Cholesteatombildung ein-
hergegangenen, aber auch bei allen andern, die sich durch systematische und
medicamentöse Behandlung und kleinere locale Eingriffe (Extraction der
Gehörknöchelchen etc.) nicht heilbar erwiesen haben, eventuell nach früherem
Vorausgange der einfachen Eröffnung.
Die Anfänge dieser Operationsmethode basiren auf den Arbeiten von
WoLFF und KtJSTER über die Behandlung von Eiterungen in starrwandigen
Höhlen, wurden von Küster selbst und dann von Zaufal in erster Linie auf
die Behandlung der chronischen Mittelohreiterung übertragen. Lucae und
sein Schüler Jansen arbeiteten w^eiter an ihr, aber Stacke, einem Schüler
Schv^artze's blieb es vorbehalten, die Methode in die Bahnen zu lenken, die
wir in der Neuzeit bei der operativen Behandlung der alten Ohreiterungen
zu betreten haben.
Die Ausführung der Operation geht in folgender Weise vor sich:
Der Hautschnitt verläuft, unterhalb der Spitze des Warzenfortsatzes ein-
setzend, sich längs der Insertionslinie der Ohrmuschel hinziehend, hart neben
derselben haltend, bis über die obere Ansatzpartie der Muschel in die Tem-
poralgegend, umzieht also die ganze Ohrmuschel von hinten her im
46*
24 WARZENFORTSATZOPERATIONEN.
BogeDSchnitte. Unten geht der Schnitt womöglich gleich durch Haut und
Periost, oben kann man die Fasern des M. temporalis und die A. tem-
poralis oft schonen, wenn man den Schnitt bloss auf die Fascie laufen lässt
oft aber ist es, da sich anders die absolut nothwendige Beweglichkeit sonst
nicht herstellen lässt, unumgänglich, die Fasern des Muskels auch noch zu
durchtrennen, eventuell kann die Temporalis, wenn sie in den Schnitt kommt,
vorher ligirt und dann durchschnitten werden.
Nun werden mit Rasparatorium und Elevatorium die Weichtheile sammt
dem Periost nach vorne zunächst so weit vorgeschoben und abgehebelt, bis
die ganze hintere und obere Circumferenz des knöchernen Gehörganges frei
zu Tage liegt. Jetzt geht man mit einem schmalen Gehörgangselevatorium,
die ganze Muschelpartie während der ganzen Zeit immer stark nach vorne
und abwärts drängend, in den Meatus und schält so, sich immer gegen den
Knochen haltend, den knorpeligen Gehörgang von unten her beginnend im
Kreis heraus, bis er bloss mehr an der vorderen und unteren Wand hängt.
Während dieses Abhebeins reisst die innerste Partie der Gehörgangsausklei-
dung gewöhnlich von selbst ein; geschieht es, was sehr selten der Fall ist,
nicht, so muss sie direct vor dem Trommelfell abgeschnitten werden mit
einem kleinen geknöpften Messer. Nun ist der ganze, häutig-knorpelige Ge-
hörgangstrichter ausgelöst und kann die Ohrmuschel auf die Wange hinüber-
geklappt werden. Es erübrigt nur noch, damit der Einblick in die Tiefe
nicht gestört ist, die Gehörgangswand zu spalten, und zwar in einer Weise,
dass die durch die Spaltung sich ergebenden Weichtheillappen zweckmässig
zur späteren plastischen Deckung sich gut verwenden lassen; zugleich muss
durch die Lappenbildung die Möglichkeit der Nachbehandlung nach der
Operation durch den Gehörgang allein nach Thunlichkeit angestrebt werden.
Es kann dies auf verschiedenem Wege erreicht werden: die einfachste Methode
besteht in einem die sämmtlichen Weichtheile (und den knorpeligen Meatus)
durchtrennenden, längs der Richtung der hinteren Gehörgangswaod laufenden,
bis an die Muschel selbst reichenden Schnitt. Oder man führt einen Winkel-
schnitt, indem man den Schnitt zwischen der hinteren und oberen W^and bis
nach vorne laufen lässt und dann, je nach Belieben, entweder nach oben oder
besser nach unten zu, in nahezu rechtem Winkel mit einem zweiten Schnitte
abzweigt (Stacke). Oder aber man bildet mittelst zweier parallel laufender
Schnitte aus der oberen und hinteren Gehörgangswand einen schmalen, band-
artigen, circa 6 — 7 mm breiten Hautknorpellappen (Panse, Köenee). Im
ersten Falle hat man zwei dreieckige Lappen, im zweiten einen je entweder
nach oben oder unten zu aufzurollenden grossen breitbasigen dreieckigen, im
dritten, wie gesagt, einen bandartigen Streifen. Ich für meine Person bevor-
zuge gewöhnlich die ZAveite Art der Lappenbildung, weil sie eine gute Deckung
gibt und leicht die Nachbehandlung ermöglicht. Es ist von manchen
Seiten davor gewarnt worden, die Schnitte bis in die Knorpel der Muschel
selbst verlaufen zu lassen wegen der Gefahr einer Perichondritis der Ohr-
muschelpartien. Es ist diese Warnung gewiss nicht unberechtigt, ob schon
ich bis jetzt trotz fast regelmässiger Führung der Schnittlinien in die
knorpeligen Partien erst einmal chordeale Reizung gesehen habe.
Die Schnitte selbst werden entweder mittelst gerader Scheere oder
Messer, nachdem eine leicht geöffnete anatomische Pincette durch den Gehör-
gang durchgeführt ist in der betreffenden Längsrichtung, oder mittelst einer
starken, in Winkel knieförmig gebogenen Scheere ausgeführt.
Die gebildeten Lappen werden nun entweder mit Seidenfäden oder
Schieberpincetten zurückgehalten, nach vorne ein grosser mehrzinkiger Wund-
haken eingesetzt, so dass die Tiefe des Meatus nach sorgfältiger Blut-
stillung frei übersichtlich ist. Falls das Periost von den hinteren W^arzenfort-
satzpartien noch nicht entfernt ist, wird das nun noch nachträglich jetzt
WARZENFORTSATZOPERATIONEN. 725
gethan, so dass das ganze Warzenfortsatzgebiet nach hinten und vorne voll-
ständig frei liegt.
Nachdem nun auch die hintere Weichtheilpartie in den Wundhaken
«iügefasst und zurückgezogen ist, steht jetzt dem Operateur die Wahl der
weiteren Methode zur Radicaloperation frei; entweder wird nach Stacke von
innen nach aussen, oder nach Zaufal-Küsteii von aussen nach innen die
Bildung der gemeinsamen Höhle, aus Pauke, Meatus und Warzenfortsatz be-
stehend, vorgenommen. Geht man nach Stacke vor, so wird zunächst der
Rest des Trommelfells entfernt, sodann die vordere Wand des Recessus epitym-
panicus, in welchen Stacke zum Schutze gegen die Verletzung des Steig-
bügels seinen Schützer einführt, mit dem Meissel weggebrochen, Hammer und
Amboss ausgelöst, eine starke gebogene Sonde in den Aditus ad antrum ein-
gelegt und nun, die Sonde als Stützpunkt, die hintere Gehörgangswand in
Form eines mit der Basis nach aussen zu sehenden ungefähr dreieckigen Keiles
successive von unten nach aussen abgetragen, bis schliesslich Antrum masto-
ideum, Gehörgang und Pauke eine Höhlenmulde bilden. Dass dabei und dar-
nach alles Krankhafte, insbesondere bei den cholesteatomatösen Processen
mit scharfen Löffeln noch entfernt wird, ist ebenso selbstverständlich, wie die
sorgfältige Glättung der Höhlenwandungen und das vorsichtige Abtragen aller
noch eventuell störenden spitzigen Kanten und Ecken.
Das gleiche Resultat, aber auf umgekehrtem Wege, also von aussen nach
innen, erreichen wir nach der KtiSTER-ZAUFAL'schen Methode. Es wird
zunächst wie bei der einfachen Eröffnung des Warzenfortsatzes nach Schwartze
vorgegangen, die Corticalis über dem Antrum breit abgetragen und das An-
trum selbst freigelegt. Nun wird eine starke gebogene Sonde durch das
Antrum in den Aditus und die Pauke vorgeschoben oder es wird in den
Fällen, in welchen sich das Antrum mit seinem Aditus von aussen her noch
nicht leicht feststellen lässt, der Aditus vom Gehörgange her mit der Sonde
aufgesucht, indem die Sonde von innen nach aussen eingreift. Sodann wird
langsam successive die Verbindungsbrücke der hinteren Gehörgangsw^and von
aussen nach innen mit dem Meissel abgetragen, ebenfalls wieder in Form
eines mit der Basis nach aussen zu liegenden dreieckigen Keiles; dabei dient
ebenfalls wieder die vorher durch das Antrum eingeführte Sonde als Stütze
und besonders als Schutz für die unmittelbar hinter ihr liegende Facial-
und Bogenganggegend. Bei der Wegnahme der unteren Theile der hinteren
Gehörgangswand soll die innerste Partie der Wand in Form einer leicht
devierten Leiste geschont werden wegen des Nerv, facialis. Ist so durch
W^egfall der hinteren Gehörgangswand die breite Communication der Warzen-
höhle mit der Pauke geschaffen, so erübrigt noch die Abmeisselung der vor-
deren, den Atticus deckenden, Knochenwand der Trommelhöhle, hinter welcher
Hammerkopf und Ambos liegen. Dieselbe wird von hinten nach vorne abge-
tragen bis Paukendach und obere Gehörgangsw^and einen gleichmässig ge-
glätteten Canal bilden; Hammer und Amboss, sowie die Reste des Trommelfells
sind entweder vorher excidirt oder werden es jetzt.
Weiter ist dann noch Acht zu geben auf die Beschaffenheit des Recessus
hypotympanicus, dessen Ausräumung nie unterlassen werden sollte, da gerade
hier oft genug localisirte kleine Herde sonst die Heilung in Frage stellen
können. Acht zu geben ist an dem Boden der Paukenhöhle auf den Bulbus
der Vena jugularis und wieder auf den Facialis. Wenn nun noch nach-
gesehen ist, dass sämmtliche störenden Leistchen und Kanten, soweit sie nicht
nothwendig stehen bleiben müssen, beseitigt mit Meissel und Löffel, die
Höhle allerseits geglättet und der Toilette sorgfältig unterzogen ist, was ins-
besondere bei den Cholesteatomen mit peinlichster Accuratesse zu geschehen
hat (hier müssen alle die Theile, wo das Cholesteatom gesessen war, energisch
ausgeschabt werden, damit die Matrix möglichst gründlich ausgeschaltet ist),
726 WARZENFORTS ATZOPEBATIONEN.
SO ist die Operation beendet und es erübrigt nur noch, die Muschel wieder
zurückzulagern und die Anfangs gebildeten Lappen zur plastischen Deckung
des oft sehr umfänglichen Substanzverlustes zu verwenden.
Es werden da die nach den einzelnen Methoden vorgebildeten Lappen
entweder einfach durch in den Meatus eingeführte Gazetampons in der ge-
wünschten Lage in die Knochenhöhle hineintapezirt, oder indem man den
äusseren Rand auf das Periost des Warzenfortsatzes aufnäht. Der erste Verband
muss hier, damit eine möglichst primäre Agglutination sich bilden kann^
wenigstens 8—10 Tage liegen bleiben.
Ausser diesen Plastiken aus dem Gehörgange heraus werden dann noch
zur Deckung des Substanzverlustes eine Reihe von Lappenbildungen aus der
Haut der Umgebung verwendet, aus der Halshaut, aus der Haut der Rücken-
fläche der Ohrenmuschel u. s. w.; es handelt sich meist um Hautweichtheil-
lappen ohne Periost, die leicht beweglich und gestielt sein sollen. Stacke
nimmt zuerst einen Periostlappen und setzt erst später einen Hautlappen
darauf. Eine detaillirte Schilderung dieser Methoden (Kretschmann, Stacke,
Passow, Siebenmann, Jansen, Af Foeselles, Reinhard u. m. A.) würde
zu weit führen.
Die Nachbehandlung erfordert die äusserste Sorgfalt und es kann,
wenn diese nicht vollständig kunstgerecht ausgeübt wird, der Effect der ganzen
zuerst gut ausgeführten Operation in Frage gestellt werden; es muss die erste
Zeit (bei der Verwendung des Gehörganges zur Plastik) immer noch sehr fest
tamponirt werden bis tief in die grosse Wundhöhle hinein, und besonders Acht
gegeben werden, dass der Meatus seine nach der Operation erlangte weite
Trichterform möglichst lange beibehält, weil nur hiebei ein guter Ueberblick
nach innen ermöglicht ist. Die Granulationen erfordern die peinlichste Auf-
merksamkeit, und müssen immer wieder mit Chromsäure und eventuell dem
Löffel in Schach gehalten werden; später können günstig Einblasungen von
Acid. boric. pulver. und Acid. salicyl. äa gemacht werden.
Die mittlere Heilungsdauer beträgt 3^2 bis 4 Monate, und ist die Heilung
erst dann als definitiv zu erachten, wenn nicht bloss die Secretion allseitig
vollständig erloschen ist, sondern wenn auch die sämmtlichen Hohlräume
theils epidermoisirt, theils mit einer Art Narbenmembran ausgekleidet sind.
Spülungen werden während der ganzen Zeitdauer weder während der Opera-
tion noch nachher vorgenommen; es wird am zweckmässigsten immer bloss
trocken behandelt.
Zu dieser im Vorhergehenden berührten primären Deckung des grossen
Substanz Verlustes im directen Anschluss an die Operation eignen sich aber
blos die chronischen Mittelohreiterungen jeglicher Ausdehnung ohne Cho-
lesteatom; ist Cholesteatom vorhanden, so erweist es sich viel zweck-
mässiger, den Substanzverlust vorläufig nicht zu schliessen, weil durch die
grosse retroauriculäre Oeffnung die Nachcontrole beim Cholesteatom eine viel
sicherere ist und eventuellen Recidiven bei Zeiten Einhalt geboten werden
kann; auch ist der günstige Einfluss der freien Luft auf die Trockenlegung
und Epidermisirung gerade der Cholesteatomhöhlen durchaus nicht zu unter-
schätzen (Schv\^artze).
Vergleichen wir nun noch zum Schlüsse die beiden Verfahren der Radical-
operation, so sehen wir, wie bereits bemerkt, dass das Endresultat bei beiden
das gleiche ist. Technisch leichter auszuführen ist im Allgemeinen die Oper-
ation von aussen nach innen, dagegen wohnt ihr der Nachtheil inne, dass
man hier fast immer die Operation alle Phasen durchmachen lassen muss,
weil der Herd zu innerst sitzt, während vielleicht manche nach aussen gele-
gene Partien sich noch vollständig gesund erwiesen. Bei der STACKE'schen
Methode von innen heraus kann die Operation sofort abgebrochen werden,.
wenn der Krankheitsherd freigelegt und ausgeräumt ist. haug.
ZUNGENKRÄMPFE. ZUNGENLÄHMUNG. 727
Zungenkrämpfe. Sie treten selten isolirt auf, sind vielmehr Theil-
erscheinungen des Gesichtskrampfes, der Chorea, der Epilepsie, Hysterie und
können sowohl klonisch als tonisch sein. Auf die ganze oder auf eine Hälfte
der Zunge beschränkte idiopathische Krämpfe sind von einigen Autoren beob-
achtet worden; es handelte sich dabei um anämische, geschwächte oder neur-
asthenische Individuen.
Ist der Krampf ein k 1 o n i s c h e r, so wird die Zunge nach vorne gestossen,
zurückgeschlagen, nach der einen oder der anderen Seite geworfen oder bäumt
sich auf; die Musculatur contrahirt sich heftig, und gewöhnlich ungleichmässig.
Beim tonischen Krampf wird sie steif gegen den harten Gaumen ange-
presst.
Durch diese krampfhaften Bewegungen wird natürlich die Articulation
sowohl als auch der Schlingact beeinträchtigt. a. ROSENBERfi.
Zungenlähmung. Aetiologie. Die Zungenlähmung ist meistens nur
eine Theilerscheinung centraler Störungen; insbesondere ist sie beobachtet
worden bei Gehirntumoren, progressiver Muskelatrophie, Lateralsklerose, Extra-
vasaten, Embolien, Entzündungsherden, Bulbärparalyse. Zu den im Ganzen
recht seltenen peripheren Ursachen zählen Syphilis, Lymphdrüsen, Bleiintoxi-
cationen u. a.
Symptome. Bei einseitiger Lähmung weicht die Spitze der heraus-
gestreckten Zunge nach der gelähmten (nicht nach der gesunden) Seite
ab. Die M. genioglossi inseriren einerseits an dem Grunde der Zunge,
andererseits an der Innenseite des Unterkiefers; contrahiren sie sich, so
nähern sie den Zungengrund den Lippen, wobei natürlich die Zungenspitze
vorangeht. Ist nun der eine jener Muskeln gelähmt, so bleibt die dieser
Seite entsprechende Hälfte der Zunge zurück, und zwar einschliesslich der
Spitze, die dann also dem Mundwinkel derselben Seite näher liegt.
Bei doppelseitiger Lähmung kann die Zunge nicht vorgestreckt werden,
sie liegt unbeweglich auf dem Mundboden; ist die Lähmung eine unvollstän-
dige, so geschieht das Hervorstrecken langsam und ungenügend, und ebenso
sind alle anderen Bewegungen eingeschränkt und verlangsamt.
Da die Zunge sowohl masticatorische als auch articulatorische Bewe-
gungen auszuführen hat, se wird durch ihre Lähmung einerseits der Kau-,
respective Schluckact und andererseits die Sprache gestört; ersterer insofern,
als die Zunge nicht mehr in ausreichender Weise im Stande ist, den Bissen
zwischen die Zahnreihen zu werfen, den Inhalt der Mundhöhle zu sammeln und
nach hinten zu schieben. Die Articulationsstörung macht sich bei ein-
seitiger Lähmung bemerkbar, durch undeutliche Aussprache besonders der
Zungenbuchstaben (D, T, N, L, R, S), bei doppelseitiger durch eine lallende,
schwer verständliche Sprache; man merkt ihr an, dass die Patienten die
Herrschaft über ihre Zunge verloren haben.
Die Diagnose ist nach dem Gesagten ohne weiteres zu stellen; nur
ist im Anfange der Erkrankung die Grundursache oft schwer zu ermitteln; in
zweifelhaften Fällen denke man immer an die Möglichkeit einer beginnenden
Bulbärparalyse.
Die Prognose hängt von der Ursache ab; bei peripherer Erkrankung
ist sie nicht ganz so ungünstig, wie bei centraler.
Die Behandlung richtet sich gegen das Grundleiden; immerhin wird
man den N. hypoglossus und die gelähmten Muskeln durch den elektrischen
Strom reizen und zu einer Funktionsäusserung anzuregen suchen.
A. EOSEXBERG.
Sachregister.
A.
Abscessus retropliaryngealis
548.
Absteigender Ambosssclien-
kel 463.
Acaphora elegans 456.
Acces larynges 168.
Acheilie 322.
Acne pharyngis 496.
Acusticus- Atrophie 1 .
Adenoide Vegetationen 1,
642.
Adenoitis 497.
Adenome der Larynx 16.
Aditus ad antrum 697.
— ad cellulas mastoideas
150.
— ad scalam vestibuli 155.
Adlernase 339.
Aerotympanale Prüfung 196.
Aeste der Augengefässe 344.
— der Flügel-Gaumenar-
terie 344.
— der Keilbein- Gaumen-
gefässe 344.
Ageusie 17.
— centrale 17.
— periphere 17.
Agiossie 322.
Aktinomykose des Mundes
335.
— des Eachens 17, 335.
Aktinomykosis laryngis 17.
— oris 17.
— pharyngis 17, 335.
Alae nasi 338.
Algosis faucium leptothricia
333.
Alkoholismus 241.
Amboss 145, 150. ■
Ambossschenkel, absteigen-
der 463.
Ampullen der Bogengänge
189.
Amygdala 539, 545.
Anämie, perniciöse 238,
Anaesthesia dolorosa laryn-
gis 595.
Anaesthesia gustatoria 17.
Anästhesie des Kehlkopfes
594.
Anästhesie des Rachens 598.
Angina 17.
— aphthosa 17, 24.
— catarrhalis 18.
— catarrhalis simplex 17.
— diphtherica 17.
— epiglottica 271.
— erysipelatosa 17, 20.
— fibrinosa 20.
— follicularis 17, 20.
— herpetica 17, 23, 183.
— lacunaris 20.
— leptothricea 17, 24.
— Ludovici 26.
— membranacea 264.
— — benigna 17, 20.
— parenchymatosa 19.
— phlegmonosa 17, 21.
• — streptococcica 17.
— syphilitica 25.
— tonsillaris simplex 19.
— toxica 17, 25.
— tuberculosa 17, 25.
— ulcerosa 17, 26.
Angiome, des Larynx 28.
— der Nase 28.
Angioneurotisches Oedem
172.
Anguli oris 522.
Ankyloglosson 546.
Ankylose des Cricoarj-tae-
noidalgelenkes 492.
— des Steigbügels 430.
Anlegen des Schiingen-
schnürers 356.
Annulus cartilagineus 463. 1
— tendineus 463. I
Annulus tympaiiicus 76.
Anoralrespirator 15.
Anosmie 29.
Anosmie, centrale 29.
— periphere 29.
Anschlagegeräusch 30.
Anthelix 145.
Antifebrinwirkung auf das
Gehörorgan 241.
Antipyrinwirkung auf das
Gehörorgan 241.
Antitragus 145.
Antrum 697.
— mastoideum, Empyem
des 804.
Apertura interna canalis
chordae tympani 151.
— spuria canalis facialis
144.
Aperturaenasiexternae 338.
Aphoüia spastica 169.
Aphthongia spastica laryn-
gealis 169.
Apoueurosis parotideo-
masseterica 538.
Apoplexie 238.
Aprosexie 8.
Aquaeductus Cochleae 145.
— vestibuli 145.
Arcus palato- glossus 539.
— — pharyngeus 539.
— pharj'ngo- epiglotticus
545.
Arsenwirkung auf das Ge-
hörorgan 242.
Arteria auditiva interna 164.
— basilaris, Aneurysma der.
238.
— Cochleae 164.
— crico-th}-reoidea 253.
— ethmoidalis ant., post.
345.
— lar^Tigea inferior, supe-
rior 253.
730
SACHREGISTER.
Arteriä linguales 535.
— maxillaris interna 344.
— maxillaris superior, an-
terior 344.
— meningea anterior 345.
— palatina ascendens, des-
cendens 544.
— pharyngeaascendehs546.
— ptyergo-palatina 344.
— pterygoidea 344.
— septi narium 344,
— vestibuli 164.
— vidiaua 344.
Arteriae nasales post. 344.
— ■ nasofrontalis 344.
— ophthalmicae 344.
Arterielle Geräusche 238.
Arthritis urica im Ohre 237.
— der Gehörknöchelchen
237.
Articulatio crico-thyreoidea
249.
Ascococcus buccalis 35.
Aspergillus fumigatus 335,
456.
— nidulans 335, 456
— uiger Havescens 456.
Asthma nasale 353.
Asthma- Krystalle von Char-
cot-Neumaun, 347, 353.
Athmungstheil der Nasen-
höhle 343.
Atrophie des Nervus acu-
sticus 268.
Atropinwirkung auf das Ge-
hörorgan 241.
Äusserer Gehörgang 186.
Äusserer Steigbügel schenke!
463.
Augengefässe.Aesteder 344.
Auricularanhänge 44.
Ausbauchungsgeräusch 30.
Auscultation zur Unter-
suchung der Nase 691.
— des Ohres 30, 693.
Auscultationsschlauch 223.
Autolaryngoskopie 288.
Autophonie 227, 592.
Autoskopie 290.
B.
Bacilli acustici 162.
— h 38.
— Nr. 7 38.
— acidi lactici 32.
Bacilli aerogenes 32.
— buccalis masimus 35.
— buccalis minutus 30.
— buccalis muciferens 38.
— buccalis septicus 38.
— dentalis viridens 38.
— diphtheriae 37.
— fluorescens liquefaciens
38.
— foetidus ozaenae 39, 40,
41.
— fuscus 33.
— gingivitidis 38.
— griseo-rtavus 33.
— mesentericusvulgatus35.
— mucosus capsulatus 39.
— ozaenae foetidus 465.
— Proteus vulgaris 38.
— pseudodiphthericus 37.
— pulpae pyogenes 38.
— pyogenes foetidus 39.
— riscosus ochraceus 33.
— salivae minutissimus 38.
— salivarius septicus 38.
— saprogenes 38.
— sputigenes crassus 38.
— sputigenes tenuis 38.
— der Sputum-Septikämie
38.
— subtilis 35.
— tuberculosis 37.
Backenzähne 527.
Bacteridium aurantiacum 33.
Bacteridium luteum 33.
Bacterien der Nasenhöhle 3 8 .
Bacterium ß 38.
— r^ 37.
— cerosinum 33.
— coli commune 37, 39.
— gingivae pyogenes 34.
— lactis aerogenes 32.
— mallei. 37.
— pneumoniae 37.
— - termo 38.
Bacterien der Mundhöhle 3 1 .
Barba 523.
Bechica 205.
Behaarte Rachenpolypen
366.
Bensch's Doppelmeissel 363.
Bezold'sche Mastoiditis 705.
Bildungsanomalien des Ge-
höi-organes 41.
Bildungsdefecte des Gehör-
organe s 41.
Bildungsdefecte im Laby-
rinth 43.
— im Mittelohre 43,
— der Ohrmuschel 42.
— des Trommelfelles 43.
Bing'scher Versuch 201.
Blaesitas 627.
Blasegeräusch 30.
Bleivergiftung 292.
Blennoi-rhoea nasalis 553.
Blennorrhoe von Störk 500,
Blutungen aus dem Kehl-
kopfe 45.
— aus dem Ohre 47.
— aus dem Rachen 46.
Bockshaare 146.
Bogengänge 143, 156, 190.
Bogengänge, Ampullen der
189.
— häutige 158.
Bowmann'sche Drüsen 344.
Brachycheilie 322,
Bräune, häutige 255.
Bruit de drapeau 352.
Bruststimme 635.
Brust - Schildknorpelmuskel
531.
Zungenbeinmuskel 531.
Bulbärparalyse 241.
Bursa mucosa hyo-thyreo-
idea 250.
— pharyngea 545.
Bursitis 500.
C.
Cadaverstellung der Stimm-
bänder 480.
Canales semicirculares 143,
156.
— semicirculares membra-
nacei 158.
— centralis modioli 157.
— musculo-tubarius 144.
— nervi facialis 144.
— reuniens 159, 190.
— spiralis modioli 156.
— tensoris tympani 150.
Canüle von König 651.
Carcinom des Kehlliopfes
180.
Carcinom der Nase 74, 378.
Carcinoma laryngis 56, 374.
Caries des Schläfebeines 75.
Caries der Zähne 32.
SACHREGISTER.
731
Cartilagines alares inferiores
339.
— arytaenoideae 248.
— corniculatae 249.
— cuneiformes 249.
— sesamoideae 249.
Cartilago cricoidea 248.
— epiglottica 249.
— septi nasi s. quadran-
gularis 339.
— thyreoidea 248.
Catarrhus laryngis acutus
268.
— laryngis chronicus 275.
Cavitas conchae 145.
— glenoidalis 151.
Cavum dentis 525.
— faucium 540.
— nasi 340,
— oris 522.
— tympani 143, 341, 149.
Cement 526.
Cerumen 80.
Ceruminalpropf 80.
Charcot - Neumann -Leyden-
sche Asthmakrystalle 347,
353.
Clieiloscliisis 321.
Chenopodium 241.
Chimani's Methode 605.
Chininwirkung auf das Ge-
hörorgan 241.
Chloroformwirkung auf das
Gehörorgan 241.
Chlorose, Erkrankungen des
Gehörorganes bei 237.
Choanae 542.
Choanenfibrome 358.
Cholesteatom 86, 710.
Chorda tympani 150, 463.
Chordae vocales 253.
Chorditis tuberosa 472.
— vocalis inferior hyper-
trophica 278.
Chorea 240.
— laryngis 170.
Clergymans sore throat 498.
Cocainisirung des Kehlkopfes
213.
— des Nasenrachenraumes
690.
Coccus salivarius septicus
36.
Cochlea 143, 156.
Coggin's Methode 607.
Collum dentis 525.
Commissurae oris 522.
Commotion des Labyrinth
265.
Compressorium von Miku-
licz-Störk 645.
Concha auris 145.
Conchotom von Hartmann i
333.
Consonantcn 617.
Consonanz 195.
Constricteur 363.
Continuirliche Tonreihe 198.
Contrarespiratoren 1 5 .
Corona dentis 525.
Corradi'scher A^ersuch 201.
Corti'sches Organ 189.
Corti'sche Zellen 163.
Coryza 93, 227, 552.
Craniotympanale Leitung
199.
Crico-arytaenoidalgelenk,
Ankylose des 492.
Crista ampullaris 158.
— gingivalis 529, 158.
— semilunaris 157.
— stapedis 151.
— vestibuli 155.
Cristae der Nase 331.
Croup 232.
— dyspnoe 258.
— husten 257, 508.
Crus anterius 151.
— curvilineum 151.
— posterius 151.
— rectilineum 151.
Cupula 158.
Curschmann'sche Spiralen.
Curetten 12.
Cymba ronchae 145.
Cynanche cellularis maligna
26.
Cysten im Kehlkopfe 95.
— der Nasenmuscheln 379.
Cysterna perilymphatical 5 9 .
D.
Dalton'sche Pfeife 222.
Darmhusten 205.
Deckzellen 63.
Deiter'sche Zellen 163, 191.
Dens sapientiae 527.
Dendrit 344.
Dentes 525.
— cuspidati 527.
Dentes decidui 527.
— incisivi 527.
— molares 527.
— permanentes 527.
Dentin 525.
Desinfectionskapsel von Zau-
fal 244.
Deviatio septi narium 324.
Diabetes 237.
Diagnostik der Nasenkrank-
heiten 96
— der Ohrenkrankheiten
97.
Diphtherie der Nase 104.
— des Ohres 104, 231.
Diplococcus capsulatus 36.
— citreus liiiuefaciens 33.
— coryzae 39.
— Hauseri 33.
— lanceolatus 36.
— pneumoniae 36, 39.
Disharmonische Töne 195.
Doppelballon von Lucae 244.
Doppelcurette von Landgraf,
Krause 215.
Doppelmeissel von Bensch
363.
Doppelnase 322.
Dreieckiger Lichtfleck 462.
Drucksonde, federnde 435.
Ductus Bartholianus 537.
— cochlearis 156, 160.
— parotideus 538.
— subungualis 537.
Dyslalia dentalis
— labialis
— lingualis
— palatina 692.
E.
Ecchondrosen im Kehlkopfe
107, 114.
— der Nase 331.
Ecraseur von Chassaignac
— 363.
Eckzähne 527.
Eingangstheil der Nasen-
höhle 343.
Eitelberg"scher Versuch 202.
Eitrige jMittelohrentzündung
436.
Eitriger Mittelohrkatarrh
436.
Ekzema auriculae 108.
— iutroitus uarium 109.
732
SACHREGISTER.
Ekzema pbaryngis 496*
Elektro-Laryngotherapie
111.
Elektrolyse 112, 218.
Elektro-Oto-Diagnostik 113.
Emineiitia digastrica 531.
— pyramidalis 15U.
Emphysem der Pars mastoi-
dea 711.
— traumatisches 245.
Empyem des Antrum ma-
stoideum 704.
— des Warzentheiles 701.
Enchondrome in der Nasen-
höhle 115.
— des Nasenrachenraumes
116.
Endocarditis 238.
Endolaryngeale Exstirpation
62.
— Operation 375.
Endolympha 128.
Entotische Geräusche 238.
Epiglottis, kindliche 321.
— acuta 271.
Epilepsie 240.
Erhard's, Methode zur Con-
statirung einseitiger Taub-
heit 605.
Ersatzzellen 343.
[ primäre
Erregbarkeit jsecundärel 14.
[ tertiäre
Erytheme des Rachens 120.
Erysipelas laryngis 116.
— pbaryngis 117.
Erythema syphiliticum veli
25.
Etat velvetique 673.
Eucain 678.
Eurotium raalignum 456.
— repens 456.
Exostosen der Nase 331.
Exstirpation, endolaryngeale
62.
Exstirpatio laryngis 378.
Exsudativer Ohrkatarrh 228.
Extraction der Polypen 399.
Extralaryngeale Operation
378.
F.
Falsettstimme 636.
Falten des Trommelfelles
462.
Farbe des Trommelfelles
462.
Fäulnisbacillus 38.
Faunsohr 42.
Febris recurrens 233.
Federnde Drucksonde 435.
Fenestra 149.
— Cochleae 149.
— ovalis 149.
— rotunda 149.
Fenster, ovales 149, 188.
— rundes 149, 188.
Fibrome 378, 399.
— des Kehlkopfes 122.
— der Nase 351, 365.
■ — der Ohrmuschel 379.
Fila olfactoria 395.
Fistula auris congenita 42.
Fissura meatus cartilaginei
major s. externa 146.
— minor s. interna 147.
— oris 522.
Flecktyphus, Erkrankungen
des Gehörorganes bei 233.
Flüstern 614.
Flüstersprache 198.
Foramen centrale Cochleae
157.
— coecum linguae 534.
— Rivini 147^
— spheno-palatinum 342.
— stylo-mastoideum 144.
Fortsatz, löffeiförmiger 150.
Fossa cocblearis 157.
— glosso-epiglotticae 540.
— pharyngea 545.
— pyriformis 242.
— scaphoidea 145.
— triangularis 145.
Fossae glosso-epiglotticae
252.
Foveae laminae 248.
Fracturen des Kehlkopfes
126.
Fränkel's Mundspatel 503.
Fremdkörper im Gehör-
gange 130.
— im Kehlkopfe 133.
— in der Nase 135.
— im Rachen 138.
— des Warzentheiles 713.
Frenulum labii 525, 539.
Froschgesicht 401.
Fruchtfäden 456.
Fruchtkopf 456.
Fruchtlager 456.
Functionelles Stammeln 627.
Furunculose des Gehörganges
230.
Furunkelmesser 223.
G.
Galtou'scbe Pfeifchen 198.
Galvanokaustik 112.
Galvanokaustische Instru-
mente 217.
— Schlinge 356.
Gangrän der Ohrmuschel
231.
Gargarismen 141.
Gaumen, harter 539.
— weicher 539.
Gaumendrüsen 546.
Gaumengefässe 544.
Gaumenhaken nachFränkel,
Hartmann, Krause,
Schmidt, Yoltolini 570.
Gaumennerven 544.
Gaumen -Rachenmuskel 541.
Gaumenton 549.
Gefässe des Kehlkopfes 253.
— der Nasenhöhle 344.
— des Oberkiefers 344.
Gegenspiegel von Noltenius
288.
Gehöraffectionen, nervöse
367.
Gehörgang, äusserer 146,
180.
— Bildungsdefecte im äusse-
ren 42.
— Fremdkörper im 130.
— Furunculose des 230.
— innerer 157.
— Knochenneubildung des
383.
— Luftverdünnung im äusse-
ren 434.
Gehörknöchelchen 187.
Gehörlabyrinth 154.
Gehörleiden, Simulation von
599.
Gehörorgan 142.
— Bildungsanomalieu des
41.
— Bildungsdefecte des 41.
— Neubildungen im 379,
382.
— Physiologie des 184.
SACHREGISTER.
733
Gehörsinn, Ermüdung des
431.
Gehörstäbchen 162.
Geräusche, arterielle |
— entotischej- 238.
— venöse )
— ff 1369.
— hohe )
Geruchsinn, Verlust des 29.
Geruchsprüfung 692.
Geschwüre, tuberkulöse des
Kehlkopfes 668.
— der Nase 683.
— des Eachens 686.
Giessbeckendrüsen 546.
Giessbeckenknorpel 248.
Giessbeckenknorpelmuskel,
querer 257.
Gingiva 539,
Glandula parotis 538.
Glandulae apicis linguae 536.
— arytaenoideae posteriores
546.
— auriculares 538.
— buccales 536.
— ceruminales 80, 549.
— labiales 536, 525.
— linguales 536.
— molares 536.
— palatinae 536, 546,
— pharyngeae 547.
— radicis linguae 537.
— sublinguales 537,
— submaxillares 537,
Globus hystericus 59],
Glottis 630,
krämpfe 166,
— -ödem 171,
Gonidien 457.
Gottstein'sche Tamponade
468, 469.
Granula 500.
Granulome 176, 394.
— der Trachea 647.
Gravidität 239,
Griifel-Rachenmuskel 541.
— Zungenbeinmuskel 531.
Grube der Ohrmuschel,»
dreieckige L^^_
— kahnförmige j
— muschelförmige )
Grubengas 241.
Gruber's Methode 607.
Grundmembran 162.
Guillotine nach Störk 217,
Gummata im Kohlkopfe 174.
Gumraiballon 222,
Gurgelwässer 141.
H.
Haarzellen 163, 191,
Ilabenula perforata 190.
— sulcata 190,
Haematotympanum 49, 238.
Haemophilie 238.
Haemorrhoidalvenen 239,
Häutige Bogengänge 158.
Häutiges Labyrinth 157.
Hahn-Michael'sche
Schwammcanüle 69.
Hakenzange nach Roser 643.
Halbvocale 617.
Hammer 145, 150.
— kurzer Fortsatz des 462.
Hammergriff, Umschneidung
des 666.
Hammerhandgriff 462,
Hamulus 156.
Harmonie 195.
Harmonische Töne 195.
Hartmann 'sches Conchotom
333.
Hasenscharte 321, 522.
Hauthusten 205.
Hautwurm 588.
Heber des Mundwinkels 524.
— der Oberlippe 524.
Heiserkeit 181.
Helicotrema 156, 190,
Helix 145.
Hemicranie 240.
Herpes des Kehlkopfes 182.
— laryngis 182.
— der Mundhöhle 182.
— oris 182,
— pharyngis 183, 496.
— des Rachens 183.
Hervorragungen, kammför-
mige 535.
Heryng'sche Spritze 213,
Heubacillus 35.
Heuschnupfen 228,
Hirci barbulae 146.
Hirntumoren 240.
Hodenhusten 205,
Höllenstein 242.
Hören 184.
Hörmesser von Politzer 222,
Hörner 249.
Hörprüfung 196.
Hörprüfung nach Burchard
610.
— Chimani 605.
— Coggin 607.
— Erhardt 605.
— Gruber 607.
— Knapp 605.
— Lucae 606.
— L. Müller 608.
— Preusse 607.
— Teuber 609.
— Voltolini 607,
Hörschlauch 30.
Hörstummheit 622.
Husten 204.
— nervöser 196.
Hustencentrum 204.
Hydrocephalus congenitus
240.
Hyperacusis 227, 367,
— schmerzhafte 367.
Hyperämie des Labyrinthes
306.
Hyperaesthesia gustatoria
206.
Hyperästhesie des Kehl-
kopfes 594, 596.
— des Rachens 598.
— schmerzhafte 367.
Hyperalgesie des Kehlkopfes.
595.
Hypergeusie 206,
Hyperkeratosis lacunaris
"^334, 502.
Hyperostose der Pars mastoi-
dea 708.
Hyperplasie der Rachenton-
sille 2.
Hypertrophie, polypoide der
Nase 556.
— der Seitenstränge 500.
Hyphen 456.
Hypoglottilis acuta 269.
Hj-popharjngealdivertikel
'^333.
Hysterie, Erkrankungen des
^ Ohres bei 239.
— des Ohres 208.
Ictus laryngis 67, 171, 695.
Ileotyphus, Erkrankungen
des Ohres bei 233.
Incisura cart. thyreoideae
278.
734
SACHREGISTER.
Incus 145, 150.
Infiltration, tuberkulöse des
Kehlkopfes 668.
Influenza, Erkrankungen des
Ohres bei 229.
Inhalationen 679.
Inhalationsmittel 211.
Inhalationstherapie 209.
Innerer Gehörgang 157.
Inneres Ohr 154, 189.
Insolatio 240.
Inspection der Nase 688.
Inspiratorischer Stimmritzen-
krampf 169.
Instrumentarium des Laryn-
gologen 213.
— des Ohrenarztes 219.
Insufflation 224.
Intensität des Klanges 194.
Interferenz - Otoskop von
Lucae 202.
Intermittirende Kopfkno-
chenleitung 199.
Interne Krankheiten und
Ohraffe ctionen 225.
Intoxicationen 241.
Intubation 262.
— nach 0' Dwyer 284.
Intumescentia ganglioformis
165.
Isthmus faucium 539.
Jod 213, 241.
Jodlösung Mandel 'sehe 213.
Jodococcus magnus 35.
— parvus 35.
— vaginatus 35.
Jodödem 172.
K.
Kakosmie, subjective 499.
Kalte Schlinge 356.
Kartoffelbacillus 35.
Katamenien 239.
Katarrhalischer Croup 506,
Katheterismus tubae Eusta-
chiae 242.
— nach Frank-Löwenberg
243.
— — Kramer 242.
Kuh-Politzer 243.
Lucae 243.
Katzenohr 42.
Kehldeckelknorpel 249.
Kehldeckelrand, Auszackung
des 320.
Kehldeckel, Vergrösserung
des 320.
Kehlkopf 247, 540.
— -asymmetrien 320.
— -Croup 255.
diphtherie 264,
— -erysipel 116.
— -gefässe 253.
— -geschwülste 370.
— -husten, nervöser 167.
— -krebs 56,
— -mangel 320.
— -muskel 250.
muskellähmungen 477.
— -nerven 254, 633,
— -pulverbläser 225,
— -Sarkome 589.
— -Schleimhaut 252.
— -Schwindel 17, 695,
— -Skoliose 320.
— -Spiegel 285.
— -tasche 252.
— -Zangen 215.
— Anaesthesie des 594.
— Blutungen aus dem 45.
■ — Cysten im 95.
— Ecchondrosen im 107.
— Enchondrome im 114,
— Fibrome des 122.
— Fracturen des 126.
— Fremdkörper im 133.
— Gummen im 174.
— Herpes des 182,
— Hyperalgesie 595.
— Hyperästhesie 594, 596,
— Katarrh des 280,
— künstlicher 72,
— Lupus des 675,
— Luxation des 299.
— Missbildungen des 328.
— Neuralgien des 597.
— Neurosen des 392,
— Parästhesie des 597.
— Polyp des 124.
— Rhinosklerom 280,
— Sensibilitätsneurosen des
594.
— -Skoliose 320.
— Syphilis 676.
— Tuberkulose 281.
Keilbein-Gaumengefässe,
Aeste der 344.
— -höhlenempyem 521.
Keratosis 292, 420.
Kieferhöhlenempyem 520,
— -Zungenbeinmuskel 531.
Kilian'sche Methode 288.
Kinder, Nasenuntersuchung
der 97.
Kindliche Epiglottis 321,
Kinnlippenfurche 522.
— -Zungenbeinmuskel 531.
— -Zungenmuskel 532.
Klangfarbe 194,
Klangstäbe 498.
Klebs-Löffler'scher Bacillus
256.
Knacken 30.
Knochenneubildung des Ge-
hörganges 383.
Knöcherner Vorhof 155,
Knotentuberkulose des Lo-
bulus auriculae 234,
König'sche Trachealstenosen
651,
Kohlenoxydwirkung auf das
Gehörorgan 241.
Kopfknochenleitung, inter-
mittirende 199.
Krankheiten, interne und
Ohraffectionen 225.
Krause'sche Pincette 213.
Krone des Zahnes 525.
Kropftod 648.
Künstlicher Kehlkopf von
Gussenbauer 72,
KünstlichesTrommelfell 656.
Küster-Z auf al' sehe Methode
725,
Kuhn'sche Zange 14.
Kynanche 17.
Labia 522,
Labyrinth, Bildungsano-
malien des 43.
— häutiges 157,
Labyrinth-Erkrankungen
265,
Labyrinthgefässe 164, 165,
— Neubildungen im 268,
Labyrinthverletzuug 265.
Lähmung der M. arytaenoi-
dei 479.
Lähmung der M. arytaenoi-
dei interni 479.
— der M. crico-arytaenoi-
dei postici 479.
SACHREGISTER.
735
Lähmung der M. crico-thy-
roiclei 491.
— der M. thyreo- arytaenoi-
dei lat. 480.
Lähmung des ganzen Nervus
recurrens 480.
Lamina reticularis 163.
— spiralis 156.
— spiralis membranaceal 90.
— spiralis ossea 190.
spiralis secundaria 157,
Laryngitis acuta 268.
— acuta subglottica 272.
— atrophica 279.
— chronica 275.
— diphtherica 264.
— fibrinosa 255.
— hypoglottica acuta 506.
— phlyctaenularis 272.
— postica 271.
— pseudomembranacea255.
— sicca 271, 464.
— stridulosa 506.
— submucosa chronica 284.
Laryngocele ventricularis
321.
Laryngofissur 69.
Laryngologe, Instrumenta-
riums des 213.
Laryngoskopie 284.
Laryngotomia subhyoidea
63.
— transversa 66.
Laryngotracheitis catarrhalis
acuta 506.
Larynx 247, 546.
• — -carcinom 56.
katarrh 281.
krisen 166, 168, 290.
— -resection 67.
— -lepra 291.
lipom 299.
— -lymphosarkom 300.
— -myom 335.
— - -myxome 338.
— -rhinosklerom 281.
— -Stenose, acute 255.
— -Syphilis 281.
— -tuberkulöse 281.
Larynxwand, hintere 288.
Leitung, aerotympanale 196.
— craniotympanale 199.
— osteotympanale 199.
Leopardenfellzeichnung 229.
Lepra laryngis 179.
Lepra laryngis 291.
— narium 292.
— oris 293.
— pharyngis 293.
Leptothrix buccalis 35.
— buccalis maxima 35.
— innominata 35.
Leukoma oris 294.
Leukoplakia oris 294,
Levator anguli oris 524.
— labii superioris 524.
— labii super, alaeque nasi
524.
Liehen oris 297.
Lichtfleck, dreieckiger 462.
Lichtkegel 462.
Lichtquelle, künstliche 461.
Ligamentum annulare baseos
stapedis 151.
— crico-corniculatum 252.
— crico-thyreoideum me-
dium 250.
— glosso-epiglotticum 590.
— hyo-epiglotticum 250.
— Spirale 190.
Limbus laminae spiralis 160.
Linea eminens laryngis 248.
Lineae hyo-myloideae 531.
Lipome des Larynx 299.
Lippe 522.
Lispeln 627.
Lobulus auriculae 146,
— auriculae, Knotentuber-
kulose 234.
Loch, blindes 534,
Lucae's Methode 606.
Luftdouche 101,
Luftkissengefühl 554,
Luftverdünnung im äusseren
Gehörgang 434.
Lupus der Ohrmuschel 287.
— erythematodes 234.
— exfoliativus 381.
— laryngis 179.
— maculosus 381.
— vulgaris 381,
Luxation des Kehlkopfes
299,
Lymphangioma laryngis 299.
Lymi3homatose,multiple2 3 8 .
Lymphosarkome des Larynx
300.
M.
Macacusohr 42.
Macula acustica sacculi 160.
Macula cribrosa inferior,
media, suporior 15().
Magenhusten 2(J4,
Makroglossie 322.
Makrostom io 322.
Malaria, Erkrankungen de»
Ohres l)ei 236.
Mallous 145, 156.
Mandeldrüse 539, 545.
Manubrium 150.
Margo tympanicus 147.
Masern, Erkranlungen des
Ohres bei 230.
— Rachenaffection bei 121.
Massage 410.
Mastoiditis 409, 714.
Mastoidoperation 713,
Materia alba 35.
Meatus, Furunkulose des —
237.
— auditorius externus 146.
— internus 143,
157.
Membrana basilaris 162,
190.
— flaccida 147, 462.
— limitans olfactoria 344.
— obturatoria stapedis 151.
— reticularis 191.
— vestibularis 160.
Meniere'sche Symptome 265,
301.
Meningitis epidemica, Er-
krankungen des Ohres bei
232,
Mephistophelmuskel 525.
Mikrocheilie 322.
Mikrococcus agilis 33..
— aurantiacus 33.
— carneus 33.
— citreus granulatus 33.
— cremoides 33.
— gingivae pyogenes 36.
— luteus 33.
— nexifer 35.
— Reesii 35.
— tetragenus 36,
Mikrognathie 322.
Mikrosporon furfur 456.
Mkrostomie 322.
Mikrotie 42.
jMikuücz'sche Zellen 563.
Milchzähne 527, 529.
— thyreo-arytaenoidei lat ,
Lähmuns der 480.
736
SACHREGISTER.
Miliaria crj-stallina 496.
Miliartuberkulose, acute 235.
JMilzhusten 20-i.
Mineralwässer 211.
Missbildungeu des Kehl-
kopfes 320.
— der Nase 322.
— der Mundhöhle 32 1,
— des Rachens 333.
Mittelohr, Bildungsanoma-
lien des 43.
— Neubildungen des 386.
Mittelohrentzündung 102,
103.
— eitrige 436.
— Folgezustände der 452.
Mittelohrkatarrh, eitriger
436.
Mobilisirung des Steigbügels
436.
Modiolus 156, 190.
Morbillen 230.
Morphin 212.
Motionsneuroseu 204.
Mucor corymbifer 456.
Mucor septatus 456.
Müller's Methode 608.
Mundhöhle 522.
— Bacterien der 31.
— Herpes der 182.
— Missbildungen der 321.
— Neurosen der 393.
Mundpilze 35.
Mundspatel von Fränkel,
von Türk 507.
Mundwässer 141.
Mundwinkel, Aufheber des
524.
Muschelgrube 145.
Musculi adductores anguli
oris 523.
— amygdalo-glossus 533.
— arytaenoidei, Lähmung
der 479.
interni, Lähmung der
479.
— crico-arytaenoidei postici,
Lähmung der 479.
— incisivi 523.
— thyreo-aryepiglottici,
Lähmung der 481.
— constrictores pharyngis
540.
— tensores lig. vocalis
veri 252.
Musculi thj^reoidei, Lähmung
der 481.
Musculus antitragicus 146.
— buccinator 523.
— chondro-glossus 532.
— constrictor faucis inferior
541.
— — — medius 531.
— ■ — — superior 541.
— depressor anguli oris
524.
— — labii inferioris 524.
— depressor septi mobilis
340.
— digastricus maxillae in-
ferioris 531.
— fissurae meatus cartila-
ginei 147.
— genio-glossi 532.
hyoideus 531.
— glosso-pharyngeus 533.
— helicis minor 148,
— hyo-glossi 532.
— pharyngeus 531.
— thyreoideus 531.
— levator labii super,
alaeque nasi 340.
— — menti 524.
— . — palati posterior 543.
— — pharyngis 540.
— lingualis inferior 532.
— — proprius 532.
— — superior 532.
— — superficialis 532.
— mylo-hyoideus 531.
— obliquus conchae 146.
— omo-hyoideus 531.
— palato-glossus 533, 543.
— — pharyngeus 541,
— — staphylinus 543.
— petro-salpingostaphylinus
543.
— spheno-palatinus 543.
— sterno- hyoideus 531.
— — thyreoideus 531.
— stylo-glossi 532,
— — hyoideus 531.
— — pharyngeus 544.
— tensor palati 543.
— — tympani 188.
— tragicus 146.
— transversusauriculael46,
— transversus linguae 533.
— transversus nasi 348.
— triangularis 524.
Musculus zygomaticus major
et minor 524.
Muskeln des Kehlkopfes 250.
Mycelien 456.
Mj'cosis benigna 502.
— leptothricia 502.
Mykosen des Kachens 333.
Myom des Larvnx 335.
Myringectomie 666,
Myringitis 97, 234, 335.
— acuta 101,
— chronica 201.
— externa 336.
— interna 336.
Myringomycosis 336.
— aspergillina 457.
Myringotomia multiplex 665.
Myringotomie 662.
Mystax 522.
Myxome des Larj'nx 338.
N.
Nase 338.
— Angiome der 28.
— Carcinom der 74.
— Cristae 331.
— Diphtherie der 104,
— eingedrückte, vorsprin-
gende 338.
— Exostosen 331.
— Fibrome in der 351, 365.
— Fremdkörper in der 135.
— Inspection der 688.
— Lues der 685.
— Lupus der 685.
— Missbildungen der 322.
— Kotz der 588.
— Sarkome der 684.
— Schleimpolypen der 365.
— Spinae 331.
— Tuberkulose der 682.
— Untersuchung der 687.
Nasenarterien, hintere 344.
Nasenflügel 338.
Nasenflügelknorpel 339.
Nasengang, mittlerer, oberer,
unterer 342.
Nasenhöhle 340.
Nasenhöhle ,Bacterien der 3 8 .
— Enchondrome in der 115.
— Gefässe der 344.
— Lymphgefässe der 345,
— Neoplasmen 378,
— Nerven der 345.
— Osteom 401.
SACHREGISTER.
737
Nasenhöhle, Papillome 474.
— Sarkome 590.
— Schleimhaut der 343.
— Syphilome 638.
— Venen der 345.
Nasenhusten 204.
Nasenkatarrhe, acute 6.
Nasenknorpel 339.
Nasenkrankheiten, Dia-
gnostik der 96.
Nasenlcpra 292.
Nasenloch 338.
Nasenmuscheln, mittlere,
obere, untere 341.
Nasenmuscheln, Missbildun-
gen der 332.
Nasenmuschelpolypen 358.
Nasennebenhöhlen 341.
Nasenöft'nungen, congeni-
taler Verschluss der 322.
— Occlusion der 322.
Nasenpolypen 346.
Nasenpolypen, Zangenextrac-
tion der 355.
Nasenpumpe 468.
Nasenrachenpolypen, nicht-
typische, typische 358.
Nasenrachenraum, Auscul-
tatton des 691.
— Cocainisirung des 690.
— En Chondrome des 116.
— Palpation der Neoplasmen
des 379, 689.
— Sondirung des 696.
Nasenrücken 338.
Nasenscheidewaud, Verbie-
gung der 324.
Nascnscheidewandpolyp, blu-
tender 28.
Nasensonde 696.
Nasenspeculum nach Duplay,
— — Fraenkel,
— — Hartmann,
Voltolini 566.
Neoplasmata laryngis 370.
— narium 378.
Nasenspitze 338.
Naseusprache, gestopfte,
offene 691
Nasenspüler 358.
Nasenuntersuchuug der Kin-
der 97.
Nasenwurzel 338.
Nebenhöhlen der Nase 341.
Nebentrommelfell 150.
Neoplasmen des 379.
Neoplasmen des Kehlkopfes
370.
— der Nasenhöhle. 378.
— im Nasenrachenräume
339.
Nephritis scarlatinosa 239.
Nerven des Kehlkopfes 254,
633.
— der Nasenhöhle 345.
Nervöse Gehöraffectionen
367.
Nervöser Husten 169.
— Kehlkopfhusten 167.
Nervöse Taubheit 367.
Nervus Cochleae 155, 190.
— larj^ngeus 254.
— olfactorius 345.
— recurrens 478.
— vestibuli 155.
Neubildungen des Gehör-
organes 379, 382.
Neubildungen, heterologe,
homologe 378.
— des inneren Ohres 392.
— im Labj^rinthe 268.
— des Mittelohres 385.
— des Ohres, der Ohr-
muschel 379.
— des Trommelfelles 384.
— der Tuba 385.
- — des Warzenfortsatzes 391.
— des Warzentheiles 712.
Neuralgie des Kehlkopfes
598.
Neuralgien des Pharynx 598.
Neurit 344.
Neurosen des Kehlkopfes
392.
— der Mundhöhle 393.
— des Rachens 393.
— des Warzentheiles 712.
Noltenius'scher Gegenspiegel
288.
0.
Oberkiefergefässe 344.
Oberlippe 522.
— Heber der 524.
Oberlippennasenfurche 522.
Occlusionen der hinteren
Nasenöffnungen 322.
Oedema glottidis 171.
}172.
Ohren-, Nasen-, Bachen-, Kehlkopfkrankheiten.
Oodem, angioneu-
rotischcs,
— chronisches,
— (einfaches,
— cntzüii(|[i(;lics |
dos Larynx j
Ohr, äusseres 145.
— Blutungen aus dem 47.
— Cholesteatom des 87.
— Diphtherie des 105.
— Gcfässe des 148.
— Hysterie des 206.
— inneres 154, 189.
— Neoplasmen des 329.
— Neubildungen des 379.
— Untersuchung des 693.
Ohraftectionen, interne
Krankheiten und 225.
Ohrblutungen, vicariirende
239.
Ohrenarzt, Instrumentarium
des 219.
Ohrgeräusche, subjective367.
Ohrhusten 204.
Ohrkatheter 212.
Ohrkiemenfistel 42.
Ohrklappe hintere, vordere
145.
Ohrkrankheiteu, Diagnostik
der 97.
Ohrläppchen 146.
Ohrleiste 145.
Ohrlöflel 222.
Ohrmuschel 98, 145.
— Bildungsanomalien 43.
— Ekzem der 108.
— Fibrome der 379.
— Lupus der 381.
— Neubildungen der
— Syphilis der 382.
— Tuberkulose der c
Ohrpolypen 393.
Ohrspeicheldrüse 538.
Ohrspiegel 219, 461.
Ohrtrichter 219, 461.
— pneumatischer, von Siegle
221, 462.
Oleum Eucalypti 212.
— pini pumilionis 212.
— terebinthinae 212.
Onanie 239.
Operation, endolaryugeale
375.
Opiumvrirkung auf das Ge-
hörorgan 212.
47
379.
181.
738
SACHREGISTER.
Organisches Stammeln 628.
Organon Corti 162.
Os hyoideum 531.
Osteom der Nasenhöhle 101.
Osteophyteu 383.
Ostitis mastoidea 701.
— tuberculosa 235.,
Ostium pharyngeum tubae
tynipauicae 542.
Othaematom 98,
Otholithen 159.
Otholithensäcke 189.
Otitis externa 402.
— ■ — acuta 402.
— — chronica 417.
— externa acuta diffusa 412.
— — diphtheritica 415.
— — chronica 415.
— — circumscripta 407.
circumscripta chronica
418.
— — circumscripta sub-
acuta 418.
— — crouposa 412.
— — diffusa desquamativa
420.
— — diffusa Simplex chro-
nica 419.
— — ex infectione 407.
follicularis 407.
— — furunculosa 407.
— — haemorrhagica 416.
— — phlegmonosa 412.
— — Simplex 407, 412.
— interna 97.
— intima 266.
— media 97.
— media catarrhalis 425.
— — perforativa 436.
— — plastica 429.
— — sclerotica 429.
— — siippurativa 436.
— — — acuta 437.
— — — chronica 444.
Otoblennorrhoe 228.
Otomyces Hageni 456.
Otomycosis 456.
— aspergillina 456.
Otoskopie 219, 460.
Ovales Fenster 149.
Ovarialhyperästhesie 239.
Oxyecoia 367.
Ozäna 463.
— Bacterien bei der 40.
— retronasale 464.
Ozaeuacoccus 40, 467.
Pachydermia diffusa laryn-
gis 60, 470.
— oris 294.
— verrucosa 470.
Pachymeningitis haemorrha-
gica 241.
Palatum durum 539.
— molle 539.
Palpation des Nasenrachen-
raumes 689.
PanOtitis 76.
— scarlatinöse 231.
Papilla spiralis Hensen 162.
Papulae circumvallatae 534.
— conicae 534.
— filiformes 534.
— foliatae 535.
— fungiformes 535.
— linguae 534.
— magnae 534.
Papillen, fadenförmige 535.
— pilzförmige 535.
— wallförmige 535.
Papillome des Kehlkopfes
371, 472.
Paracentese 442, 662.
Paracentesennadel223, 662.
Paradoxe, elektrische Re-
action 113.
Parästhesie des Kehlkopfes
597.
Parästhesie des Rachens 598.
Paragammacismus 627.
Paralysis musculorum laryn-
gis 477.
Parapharyngealdivertikel
333.
Parasynanche 17.
Parese der Gefässnerven
des Plexus cervicalis 239.
— des Sympathicus 239.
— veli palatini 482.
Parotisgefässe 238.
— -nerven 538.
Parotitis epidemica 232.
Pars respiratoria glottidis
253.
— vocalis 253.
— mastoidea, Caries, der
708.
— Emphysem, der 711.
Pars Emphysem, Mykotische
Erkrankungen der 711.
— — Hyperostose der 708.
— ostea tubae tympanicae
150.
Passavant'scher "Wulst 629.
Paukenhöhle 149.
— Polyp der 385.
Paukenhöhlenkatarrh, tro-
ckener 429.
Paukenröhrchen 224, 540.
Paukensaite 150.
Paukentreppe 156.
Pemphigus laryngis 483.
— oris 483.
— pharyngis 483.
Penicillium minimum 450.
Perceptionsdaucr 201.
Percussion des Warzenfort-
satzes 3 1 .
Perforation des Trommel-
fells 438, 440, 446.
Perforationsgeräusch 30.
Perichondritis auriculae 99,
234, 486.
— arytaenoidea 490.
— cricoidea 491.
— epiglottidis 491.
— laryngea 488.
Perilymphe 158, 189.
Periostitis mastoidea 408,
699.
Pertussis 228.
Petiolus epiglotticus, Ver-
grösserung des 326.
Pfeife von Dalton 222.
Pharyngitis acuta 494.
— — catarrhalis 494.
exsudative 496.
— — follicularis 494.
— — haemorrhagica 495
— — lateralis 494.
— — mycotica 495.
— — ödematöse 496.
— — submucosa 496.
— — ulcerosa 497.
— atrophica 500.
— cachectica 496, 502.
— chronica 498.
— — catarrhalis 498.
— — erythematosa 502.
— — exsudativa 502.
— — haemorrhagica 502.
— — mycotica 502.
— — submucosa 502.
SACHREGISTER.
739
Pharyngitis chronica ulcerosa
502.
— crouposa benigna 495.
— clesquamativa 496, 502.
— diphtheritica 495,
— erysipelatosa 496.
— fibrinosa 495.
— foetida 500.
— follicularis chronica 500.
— gangraenosa 497.
— gichtische 497.
— granulosa 385, 500.
— — lateralis 500.
— hypertrophica 500.
— inferior 493.
— lateralis 500.
— luposa 503.
— phlegmonosa 497.
• — pustulosa 496.
— retroarcualis 500.
— rheumatische 494.
— scrophulosa 503,
681.
— sicca 46, 465.
chronica 271, 501.
— scleromatosa 502.
— Simplex 500.
— superior 493.
— syphilitica 503.
— toxische 494.
— tuberculosa 503.
Pharyngomycosis benigna
333.
Pharyngoskopie 503.
Pharyngotomia lateralis 378.
Pharyngotomia subhyoidea
63, 378.
Pharyngotonsillitis acuta ca-
tarrhalis 497.
■ follicularis 498.
— — parenchj'^matosa 498.
— — phlegmonosa 498.
— chronica 498.
Pharynx 540.
— Neuralgien des 599.
Pharynxhusteu 204.
Pharynxlepra 293.
Pharynxneoplasmen 505.
Pharynxtonsille, Hypertro-
phie der 6.
Pharynxtuberkulose 686.
Phenolum sulforicinicum
677.
Philtrum 522.
Phlegmone coli profunda 26.
Phlegmone nasalis 553.
— des Kachens, acute in-
fectiöse 497.
Physiologie des Gesanges
585.
— der Sprache 583.
— Stimme 583.
Pilzsporen 457.
Pincetten 214.
Pityriasis alba 460.
— — versicolor 459.
Plätschnase 339.
Planum semilunatum 158.
Plexus caroticus externus
536.
Plexus maxillaris internus
345.
Plexus ophthalmicus 345.
Plica ary-epiglottica 249,
252.
— glosso-epiglotticae late-
rales, mediae 252.
Plicae thyreo-arytaenoideae
249.
Plicotomia 665.
Pneumatischer Ohrtrichter
von Siegle .221, 462.
Pneumatocele supramastoi-
dea 711.
Pneumonie, Ohrerkrank-
ungen nach 232.
Pueumoniebacillus 39.
Politzer' s Hörmesser 222.
Politzers Pulverbläser 223.
— Zange 223.
Politzer'sches Verfahren
246.
Polyarthritis rheumatica
237.
Polyotie 43.
Polyp 370, 378.
— des Kehlkopfes 124.
— der Paukenhöhle .385.
Polypen, Extraction der 399.
Polypenschnürer von Wilde
224, 399.
Polypenzange nach Mandl
216.
Polypöse Hypertrophien der
unteren Nasenmuschelu
365, 557.
Pressions centripetes 202.
Preusse's Methode 607.
Processus anterior mallei
150.
Processus brevis raallei 150.
— cocliloaris 150.
— lenticularis 151.
— muscularis 249.
— vocalis 248, 289.
Prolapsus ventriculi Moi'-
gagni 124.
Promontorium 144, 463.
Prüfung, functionelle der
Nase 692.
— mit der Sprache 197.
— mit der Taschenuhr 196.
— mit Tönen 198.
Pseudocrou]) 506.
Pseudoherpes 496.
Pseudoleukämie, Ohrer-
krankungen bei 238.
Pseudo-M^niere'sche Anfälle
301.
Pseudomumps 231.
Pseudo- Nasenrachenpolypen
358, 365.
Psoriasis 460.
Ptychotomia 665.
Puerperium, Ohrerkrankun-
gen im 239.
Pulpa dentis 525.
Pulverbläser von Politzer
223.
Purpura haemorrhagica 238.
Punaisie 463.
Pyämie 234.
Pyeme der Nasenneben-
höhlen 519.
Pyorrhoea nasalis 519.
Pyramidenmuskel 524.
Pyramis vestibuli 155.
Q.
Quecksilbervergiftung 2 42.
Quetscher 214.
Quintusneuralgien 240.
R.
Rachen, Anästhesie des 598.
— Blutungen aus dem 47.
— -Drüsen 546.
— Fremdkörper im 138.
— Herpes des 183.
— Hyperästhesie des 598.
— Missbildungen des 333.
— Mykosen des 333.
— Neurosen des 393.
— Parästhesien des 598.
— Phlegmone des 497.
47*
740
SACHREGISTER.
Rachen, Rotz des 589.
— Sarkom des 591.
— Sensibilitätsneuroseu des
— -enge 539.
— -ervsipel 117.
— -gefässe 546.
höhle 523, 540,
— -katarrh acuter 6.
— -nerven 546.
— -polypen, behaarte 366.
— -schnürer 540.
tonsille, Hyperplasie der
2.
Eadix dentis 525.
— nasi 338.
Raphe 158.
Rasselgeräusch 30.
Raucedo 181.
Raucitas 181.
Reaction, paradoxe 112.
Receptaculum 457.
Recessus cochlearis 155.
— ellipticus 155.
— infundibuloformis 545.
— sphaericus 155.
Reflector 219, 285.
Reflex 462.
— -neurosen, nasale 327.
— — ex aure 547.
Regio respiratoria 343.
Reibegeräusch, dünnes, |
— fadenförmiges, i 30.
— saccadirtes J
Reibungslaute 255, 617.
Reichert'scher Epiglottis-
heber 290.
Reissner'sche Membran 190.
Relaxed throat and uvula
500.
Respiratoren 210.
Respiratorischer Stimm-
ritzenkrampf 167.
Retronasale Ozäna 464.
Retropharyngealabscess 228,
548.
Retropharyngeal-Divertikel
333.
Rhachitis 237.
Rhinitis 551.
— atrophicans foetida 463.
— catarrhalis acuta 551.
— — chronica 554.
— diphtheritica 545.
— fibrinosa 227, 551.
— gangraenosa 553.
Rhinitis gonorrhoica 553.
— purulenta 521, 551.
— sicca chronica 271.
Rhinolalia aperta 482, 691.
— clausa 556, 629, 691.
Rhinosklerom des Larynx
565,
— der Nasenhöhle 563.
Rhinoscopia anterior 566.
— media 568.
— posterior 568.
Rhotacismus 627.
Richardson'scher Zerstäuber
210.
Riechmesser 693.
Riechtheil der Nasenhöhle
343.
Riechzellen 343.
Rigidität der Paukenhöhlen-
schleimhaut 429.
Rima vocalis 252.
Ring- Giessbeckenmuskel,
hinterer, 251.
— vorderer 251.
— -knorpel 248.
— -messer 12, 224.
Schildkuorpelgelenk249.
— — muskel 251.
Rinne'scher Versuch 200.
Roentgenuntersuchung 571.
Rosahefe 33.
Roser'sche Hakenzange 643.
Rotz der Nase 588.
Rundes Fenster 149, 188.
Ruptur des Trommelfells 5 1 .
S.
Sacculus 189.
— hemiellipticus 189.
— hemisphaericus 189.
— oblongus 158.
— rotundus 159.
— utiiculi 158.
Saccus endolymphaticus 159.
Sängerknötchen 123, 371,
456.
Saitenschichte 190.
Salicyl, Wirkung auf das
Gehör 241.
Santoi'ini'sche Knorpel, Ver-
grösser ung der 320.
Sarcina aurantiaca 33
— flava 33.
— lutea 33.
— viridis flavescens 33.
Sarcine 335.
Sarkome des Kehlkopfes
589.
— der Nase 590, 684.
Sarkom des Rachens 591.
Scala media 189, 190.
— tympani 158, 190.
— vestibuli 156, 190.
Scalae 156.
Scapha 145.
Scarlatinöse Panotitis 231.
Schaltknorpel 340.
Scharfer Löffel 12.
Schild-Giessbecken-Knorpel-
falte, obere, untere 252.
— — -muskel, äussere
251.
— — — innere 252.
Schildknorpel 248.
Schimmelmykose 335.
Schistoglossie 322.
Schläfebein, Caries des 75.
Schlangengift 242.
Schleimhaut des Kehlkopfes
252.
— der Nasenhöhle 343.
Schleirahautriss von Stoerck
279.
Schleimpolypen der Nase
346, 365, 687.
Schlinge, galvanokaustische
356, 562.
Schlingenschnürer, Anlegen
des 356.
— von Wilde 356.
Schlundgaumenbogen 539.
Schlundkopf 540.
Schlundkrämpfe 591.
Schlundschnürer 531.
Schmelz 526.
— -oberhäutchen 526.
— -organ 528.
Schmerzhafte Hyperästhe-
sie 367.
Schnecke 156, 189.
Schneckengang 159, 160.
Schneckennerv 155.
Schneider'sche Haut 342.
Schneideschlinge 356.
— -Zähne 527.
Schneuzen ä la paysan 94.
Schnupfen 90.
— acuter 227.
Schulter- Zungenbeinmuskel
531.
SACHREGISTER
741
Schwabach'scher Versuch
208.
Schwämme, giftige 242.
Schwammcanüle von Ifalm-
Michael 69.
— -methode 377.
Schwartze's Operation 713.
Schwartze, Tretballon von
244.
Schwebungen 195.
Schwefelsäureverbrennung
240.
Scie pince 363.
Scorbut, Ohraffectionen bei
238.
Secundäre Sinnesempfin-
dungen 592,
Seitenstränge, Hypertrophie
der 500.
Semeleder's Sichelmesser
217.
Sensibilitätsneurosen des
Kehlkopfes 594,
— Rachens 598.
Septum nasi linguae 532.
— membranaceum 338,
— "Perforationen, conge-
nitale 322,
Sexualaffectionen, Ohraffec-
bei 239.
Sichelmesser von Semeleder
217.
Siebbeinzellenempyem 520.
Siegle's pneumatischer Olir-
trichter 221, 462.
Sigmatismus lateralis oder
lambdoides 627.
— stridans 627.
Simulirte Taubheit 202.
Simulation von Gehörleiden
599.
Sinnesempfindungen, secun-
däre 542.
Sinus frontalis 341,
— laryngis 252,
— mastoideus 341.
— maxillaris 341,
— perilymphaticus vestibuli
158.
— sphenoidalis 341.
— sulciformis 155.
Sklerombacillen 563.
Skoliose des Kehlkopfes
320.
Sondirung des Nasenrachen-
raumes 690.
— der Tuba 613.
Soor 334.
Specula, für die Nase 219.
Sphincter oris 523.
S])ina helicis 145.
Spinae der Nase 331.
Spiralen von Curschmann
353.
Spirillumsputigenum35, 38.
Spirochaete denticola sive
dentium 35.
Spondylitis cervicalis 704.
Sporangium 456.
Sprachanomalien 691.
Sprache 614.
Sprache, todte 691.
Spritze von Fränkel und
Heryng 213.
Stacke'sche Operation 721.
Stäbchen äussere, innere
163.
Stahlhebel von Zaufal 223.
Stammeln, functionelles 627.
— organisches 628.
Stapes 145.
Staphylococcus pyogenes
albus 36.
aureus 33, 36, 39.
— — citreus 36.
— — flavus 36.
— — viridis flavescens 33.
Status Meniericus 301.
Steigbügel 145, 156.
— Mobilisierung des 436.
Steigbügelankylose 103,430.
Stenosen, intra- und extra-
tracheale 646.
Stenosenbehandlung 493.
Sterigmen 457.
Stimme 631.
Stimmarten 635,
Stimmbänder, Cadaverstel-
luug 480.
— untere 633.
— wahre 253, 630.
Stimmbildungscentrum 478.
Stimmritze 253, 630.
Stimmritzenkrarapf, inspi-
ratorischer, phonischer
169.
— respiratorischer 167.
Stinknase 468.
638.
Stirnbeinhöhlenempyem
521.
Störk'sche Guillotine 217.
Stockschnupfen 555, 687.
Störk'sche Blennorrhoe 50.
Störk'scher Schleirahautriss
279.
Stomatitis 637.
Stomatitis aphthosa,
— diphtheritica,
— gonorrhoica,
— herpetica,
— bei Klauenseuche,
— mercurialis,
— phlegmonosa,
— scorbutica
Stottern 623.
Streptococcen-Diphtherie 20.
Streptococcus brevis 37.
— erysipelatis 39.
— pathogenes longus 37.
— pyogenes 36, 39.
StreptothrixActinomyces 38.
Stria vascularis 165,
Stützzellen 343.
Stumpfnase 339.
Subjective Ohrgeräusche
367.
Sublingualdrüse 537.
Substantia adamantina 525.
— ossea s. ostoidea 526,
367.
— vitrea 526.
SufFocatio stridula 255.
Sulcus mentolabialis 522.
— nasolabialis 522.
— ■ spiralis 190.
Sumpfgas 241.
Superficies articularis thj'-
reoidea 248.
Sycosis coccogenes 110,
Sycosis vulgaris 110.
Synanche 17.
Syncheilie 322.
Sj'ndesmosis arj-corniculata
250.
— ary-cuniforrais 250.
— thyreo-epiglottica 250.
Synechien im Naseninneren
323.
Synechotom 224.
Syphilis acquisita 235.
— hereditaria 236.
— lamigis 676.
742
SACHREGISTER.
Syphilis der Nase 685.
Sypliilome der Nasenhöhle
' 638.
T.
Tabakmissbrauch 241.
Tabes dorsaliSjOhraffectioneu
bei 240.
Taraponade von Gottstein
468, 469.
Tamponcanüle von Tren-
delenburg 69.
Tasche von Tröltsch 463.
Taschenuhr, Prüfung mit
der 196.
Taubheit, nervöse 367.
— simulirte 202.
Taubstummheit 619.
Tegmen tympani 149.
Tenotom 224.
Teubers Methode 609.
Thallus 456.
Thierstimme 637.
Thyreodealgeschwülste 639.
Thyreotomie 64.
Töne, disharmonische 195.
— einfache 195.
— harmonische 195.
Tölihöhe 194.
Tonreihe, continuirliche 198.
Tonsilla 539.
— pharyngea 545.
Tonsillarhyperplasie 640.
Tonsillitis follicularis 17,20.
— lacunaris 20.
— Simplex 17.
Tonsillotom von Ba
ginsky,
— Mackenzie,
— Mathieu
Tonsillotomie 640.
Tornwaldt'sche Krankheit
500.
Toynbee'scher Versuch 246.
Trachea, Granulome der
647.
Trachealstenosen 646.
Tracheotomie 262.
Tractus spiralis foraminosus
157.
Tragi barbulae 146.
Tragus 145.
Traumatisches Emphysem
245.
.Traumendes Labyrinth 265.
643.
Trendelenburg'sche Tam-
poncanüle 69.
Tretballon von Schwartz 244.
Trichloressigsäure bei
Mittelohrentzündung 653.
Trockener Paukenhöhlen-
katarrh 429.
Trommelfell 147, 186.
— Ausschneidung eines
Theiles des 666.
— Bildungsdefecte des 43.
— Duplicität des 44.
— Excision des 480.
— Falten des 462.
— Farbe des 462.
— künstliches 656.
— mehrfache Durchschnei-
dung des 665.
— Neubildungen 384, 665.
— Paracentese des 442.
— Perforation des 440.
446.
— Ruptur des 51.
Trommelfellersatz 651.
Trommelfellfalte, Durch-
schneidung der hinteren
665.
Trommelfelllücken 652.
Trommelfellmesser 223.
Trommelfelloperationen
662.
Trommelfellverletzungen
666.
Trommelhöhle 188.
Tuba Eustachii 144, 540.
— — Neubildungen in der
385.
— — Sondiruug der 613.
— tympanica 144,341,543.
Tubenschnupfen 227.
Tubensonden 613.
Tuberkulose der Nase 682.
— der Ohrmuschel 381.
Tuberculosis laryngis 668.
— — narium 682.
— — pharyngis 686.
Tuberculum cart. thyreoi-
deae 248.
Türk's Mundspatel 503.
Tussis 204.
Tylosis oris 292.
U.
Ueberkreuzung der Giess-
beckenknorijel 320.
Ulcus Syriacum 264.
Umbo membranae tympani
147, 462.
Untere Nasenmuschel, poly-
pöse Hypertrophien der
365.
Unterkieferdrüse 537.
Unterkiefermuskel 531.
Unterlippe 522.
Untersuchung der Nase 687.
— des Ohres 693.
Uranoschisma 333.
Uterushusten 205.
Utriculus 189.
Uvula 539.
V.
Valsalva'scher Versuch 245.
Valsalva'scher Versuch, ne-
gativer 246.
Varices im Kehlkopf 695.
Variola 233.
Vasa infraorbitalia 344.
— maxillaria 344.
med., post., sup. 344.
— ophthalmica 344.
Vas Spirale 195.
Vegetationen, adenoide 1,
642.
Vena facialis 345.
— maxillaris externa 345.
Venen der Nasenhöhle 345.
— des Ohres 149, 153,
165.
Venae ophthalmicae 344.
Venöse Geräusche 238.
Ventilculus laryngis 252.
Verfahren von Politzer 246.
Verkalkungen des Trommel-
felles 384.
Verletzungen des Labyrin-
thes 265.
— des Warzentheiles 713.
Verschluss, congeuitaler der
Nasenöffnungen 322.
Verschlusslaute 255, 618.
Versuch von Bing 201.
— von Corradi 201.
— von Eitelberg 202.
— von Gelle 202.
— von Rinne 201.
— von Schwabach 208.
— von Weber 200, 208.
— von Toynbee 246.
Verticillium Graphi 456.
SACHREGISTER.
743
Vertigo laryngea 171, 695.
Vestibulum oris 522.
— osseum 155.
Vibrationsmassage 435, 095.
Vibrio rugula 35.
— viridans 35.
Vibrissae 340, 343.
Vicariirende Obrblutungen
239.
Vocale 619,
Vocalformanten 615.
Voltoliui's Methode 607.
Vomitus matutiiras 555.
Vorhof 522.
— knöcherner 155.
Vorhofsnerv 155.
Vorhofstreppe 156.
W.
Warzenfortsatz; 697.
— Neubildungen des 391.
— Percussion des 31.
Warzenfortsatzerlvrankung
697.
— -Operationen 713.
Warzentheil, Fremdkörper
im 713.
— Neubildungen der 710.
Warzonthoil, Neurosen des
712.
— Verletzungen des 713.
Wasserleitung 155.
Wasserstrahlgebläse von
Lucae 244.
Watte träger 213.
Weber' scher Versuch 200,
208.
Wcchselzähne 527, 529.
Weisheitszähne 527.
Wilde'sche Incision 713.
Wildo's Polypenschnürer
224, 399.
— Schlingenschnürer 556.
Wolfsrachen 522.
Wrisberg'sche Knorpel 289.
— Knorpel, Vergrösserung
des 320.
Wurzel 525.
Z.
Zähne 525.
Zähne, Caries der 32.
Zäpfchen 539.
Zahnbein 525.
Zahnbeinkeim 525.
— fleisch 539.
Zahnhöhle 525.
— leisten 529.
— Papille 525, 527.
Zange nach Politzer 223.
Zangonextraction der Nasen-
polypen 355.
Zaufal's Stahlhebel 223.
Zerstäuber von ilichardson
210.
Zischlaute 255.
Zitterlaut 618.
Zitzenvorsprung 531.
Zungen 631.
Zungenaktinomykoso 17.
Zungenbai gdrüsen 540.
Zungenbein 531.
— -Schildknorpelmuskeln
531.
— -Zungenmuskel 532.
Zungengaumenbögen 539.
Zungenhalter nach Fränkel
569.
— nach Tobold 569.
Zungenkehldeckelgrube 252.
Zungenkrämpfe 727.
Zungenmuskel 532.
Zungenlähmung 728.
Zungennerven 536.
&, und k. HofbucbdrucUerei Karl Frocbaska in TeEcheni
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