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Full text of "Bibliothek der gesammten medicinischen Wissenschaften für praktische Aerzte und Specialärzte"

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COLUMBIA  LIBRARIES  OFFSITE 

„HEALTH  SCIENCES  STANDARD 


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in  2010  with  funding  from 

Open  Knowledge  Commons 


http://www.archive.org/details/bibliothekderges08dras 


BIBLIOTHEK 


DER  GESAMMTEN 


MEDICINISCHEN  WISSEISCHAFTEN 

FÜK 

PRAKTISCHE  AERZTE  UND  SPECIALAERZTE. 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

HOFRATH  PROF.  DR.  A.  DRÄSCHE  IN  WIEN 

untbe  mitwirkung  dek  heeren 

Prof.  Arnold,  Dr.  Asmus,  Prof.  Babes,  Doc.  Bach,  Dr.  Barnick,  Dog.  Baumert,  Dr.  Beckh, 
Dr.  Bergeat,  Prof.  Bergmgister,  Dog.  Bernheimer,  Prof.  Beumer,  Prof.  Biedert,  Prof, 
BiRNBACHER,  WEIL.  Prof.  Birnbaum,  Dr.  Boas,  Prof.  Böke,  Prof.  Brandl,  Prof.  Brandt, 
Prof.  Braun,  Doc.  v.  Braun,  Dr.  M.  Braun,  Doc.  Braunsghweig,  Redact.  A.  Brekstowski, 
Dr.  Brik,  Prof.  Brunner,  Dr.  Buchholz,  Prof.  v.  Bughka,  Prof.  Bürkner,  Prof.  Büsing, 
Prof.  Chiari,  Prof.  Claus,  Dog.  Cohn,  Prof.  Chvostek,  Prof.  Czermak,  Prof.  Dittrich, 
Prof.  Döderlein,  Dr.  Dräer,  Prof.  Dreser,  Prof.  Droysen,  Prof.  Döring,  Prof.  Dührssen, 
O.-A  Dr.  Eichiioff,  Prof.  Elischer,  Dog.  Elschnig,  Prof.  Emmert,  Prof.  Escherigh,  Prof. 
Finger,  Prof.  v.  Fodor,  Dr.  E.  Freund,  Prim.  v.  Frisch,  G.  A.  Frölich,  Prof.  Frommel, 
Prof.  Gärtner,  Dog.  Geigel,  Prof.  Geppert,  Prof.  Goldschmiedt,  Doc.  Gomperz,  Prof. 
Gottlieb,  Prof.  Gradenigo,  Dr.  Graefe,  Prof.  Greeff,  Dr.  Gützmann,  Doc.  Hajek,  Prof. 
Hammarsten,  Prof.  Harnagk,  Doc.  Haug,  Dog.Havas,  Doc.  Heinz,  Doc.Herrnheiser,  Dog.  Herz- 
feld, Dr.  Heryng,  Prof.  Hess,  Dr.  Higier,  Dog.  Hilbert,  Dr.  Hirsch,  Prof.  Hochenegg,  Prof. 
Hofmann,  Doc.  v.  Hüttenbrenner,  Prof.  Jadassohn,  Dr.  Jaenner,  Prof.  Janowsky,  Prof.  Ja- 
ouET,  Prof.  Jendrassik,  Dr.  Jessner,  Dog.  Joachimsthal,  Prof.  Ipsen,  Prof.  Irsai,  R.  A.  Dr. 
Kamen,  Doc.  Kaufmann,  Prof.  Kirn,  Dog.  Klein.  Prof.  Klug,  Prof.  Kohlschütter,  Doc. 
Kopp,  Dr.  Kornauth,  Prof.  Kossel,  Doc.  Kovägs,  Prof.  Kratter,  Prof.  Kraus,  Dr.  Kreutz, 
Dr.  Krüghe,  Prof.  Kuhn,  Dr.  Kurz,  Dr.  Kwisda,  Prof.  Lang,  Prof.  Lassar  -  Cohn,  Prof. 
Lesshaft,  Prof.  Lieeermann,  Prof.  v.  Limbegk,  Prof.  Litten,  Prof.  Loos,  Prof.  Maydl, 
Doc.  R.  Meyer,  Prof.  Mosso,  Prof.  Mracek,  Doc.  Naumann,  Dr.  Neudörfer,  Prim.  Neu- 
gebauer,  Hofr.  Prof.  Neumann,  Hofr.  Prof.  Neusser,  Prof.  Nevinny,  Prof.  Obalinski, 
Dr.  V.  Oefele,  Dog.  Ortner,  Dog.  Pal,  S.  R.  Pätz,  Dog.  Pawinski,  S.  R.  Dr.  Pelizaeus, 
Prof.  Penzoldt,  Prof.  Piskagek,  Prof.  Pohl,  Dr.  Polyak,  Prof.  Pott,  O.-A.  Dr.  Prior, 
Prof.  Proskauer,  Doc.  Redlich,  Prof.  Riffel,  Dr.  Ritsert,  Prof.  Röhmann,  Dr.  Rosenberg, 
Doc.  Rosin,  M.  R.  Roth,  Dr.  Saalfeld,  Doc.  Salzmann,  S.  R.  Samelsohn,  Zahnarzt  Dr. 
Schaeffer-Stugkert,  Ger.-A.  Dr.  Sghäffer,  Prof.  Sghauta,  Prof.  Schegh,  Dr.  Scheier, 
Prof.  Schimper,  Prof.  Sghnabl,  Doc.  Schustler,  Geh.-R.  Prof.  Sghweninger,  Dog.  Seydel, 
Dr.  Siedler,  Prof.  Silex,  Prof.  Singer,  Prof.  v.  Sobieranski,  Prof.  Sommer,  Dr.  Spira, 
Dr.  Spkrling,  Prof.  Steinbrügge,  Prof.  S.  Stern,  Prof.  R  Stern,  Prof.  Stricker,  Prof. 
Tappeiner,  Dr.  Thimmweil,  Prof.  Trzebicky,  Prof.  üffelmann,  Dr.  Vahlen,  Dog.  v.  Vajda, 
Prof.  H.  Vierordt,  Prof.  v.  Wagner,  Doc.  Jul.  Weiss,  Hofr.  Prof.  Wiesner,  Doc.  Winkler, 
Prof.  Witzel,  Prof.  Wolters,  Dr.  Woltersdorf,  Prof.  Zander,  Dr.  Zarkiko,  Prosegt.  Dr. 
Zemann,   Dr.  Zerner,   O.-A.  Dr.  Zum  Busch,  Prof.  Zuntz. 

redigirt  von 
DR.  JUL.  WEISS  UND  A.  BRESTOWSKI. 


KARL  PROCHASKA 

WIEN  K.  und  K.  HOF-  &  VERLAGSBUCHHANDLUNG         LEIPZIG 

I.  KuMproAssE  7.  TESCHEN  IN  SCHLESIEN.  königsstrasse  9  u. 

1899. 


OHREN-,  NASEN-, 
RACHEN-  UND  KEHLKOPF- 
KRANKHEITEN, 


MIT  BEITRÄGEN  VON: 

Dr.  BarnicKj  Graz.  —  Dr.  H.  Bergert,  München.  —  Prof.  Dr.  Böke,  Buda- 
pest. —  Dr.  M.  Braun.  Triest.  —  Prof.  Dr.  Bürkner,  Göttingen.  —  Prof. 
Dr.  Chiari,  Wien.  —  Prof.  Dr.  Gradenigo,  Turin.  —  Dr.  H.  Gutzman, 
Berlin.  —  Docent  Dr.  Gomperz,  Wien.  —  Docent  Dr.  Haug,  München.  — 
Dr.  f.  Heryng.  \A'arschau.  —  Docent  Dr.  M.  Hajkk,  Wien.  —  Dr.  Jessner, 
Königsberg  j/Pr.  —  Prof.  Dr.  Irsai,  Budapest.  —  Docent  Dr.  Kaufman, 
Zürich.  —  Prof.  Dr.  F.  Klug,  Budapest.  —  Prof.  Dr.  Kuhn,  Strassburg, 
—  Prof.  Dr.  Lesshaft,  St.  Petersburg.  —  Docent  Dr.  Meyer,  Zürich.  — 
Dr.  Pol  YAK,  Budapest.  —  Dr.  A.  Rosenberg,  Berlin.  —  Dr.  R.  Spiea, 
Krakau.  —  Prof.  Dr.  Schech,  München.  —  Dr.  M.  Scheier,  Berlin.  — 
Prof.  Dr.  Steinbrügge,  Giessbn.  —  Dr.  Zarniko,  Hamburg. 

ßEDIGIET  VON 

DOC.  Dr.  JUL.  WEISS. 


KARL  PROCHASKA 

WIEN  K.  UND  K.  HOF-  &  VERLAGSBUCHHANDLUNG         LEIPZIG 

1.    KUMPFGASSE   7.  TESCHEN    IN    SCHLESIEN.  KÖSIGSSTKASSE    911. 

1899. 


^  AcustiCUS-Atrophie.  Die  pathologisch-anatomischen  Untersuchungen 
haben  in  Betreff  der- Hörnervenfasern  bis  jetzt  nur  in  denjenigen  Fällen  sichere 
Resultate  ergeben,  in  welchen  intensivere  Entzündungen  des  Labyrinthes,*) 
sei  es  infolge  von  traumatischen  Einwirkungen  oder  von  Infectionskrank- 
heiten  stattgefunden  hatten.  Die  Infectionsträger,  welche  in  den  labyrin- 
thären  Hohlräumen  eine  eiterige  Entzündung  erregen,  ergreifen  in  gleicher 
Weise  auch  das  Neurilemm  der  Nervenstämme  im  inneren  Gehörgange  und 
dringen  selbst  in  die  feinsten  Nervencanäle  ein,  welche  den  Knochen  durch- 
setzen. Man  findet  auf  Durchschnitten  derselben  oft  zahlreiche  Eiterkörperchen 
zwischen  den  Nervenfasern. 

Diese  entzündlichen  Processe  können  zur  partiellen  Zerstörung  und 
Lückenbildung  innerhalb  der  Nervenbahnen  oder  zu  atrophischen  Zuständen 
der  Nervensubstanz  führen,  so  dass  an  Stelle  der  markhaltigen  Fasern  später 
nur  noch  ein  blasses,  dem  Bindegewebe  ähnliches  Faserwerk  gefunden  wird, 
welches  sich  Farbstoffen  gegenüber  anders  verhält  als  die  normale  Nerven- 
substanz. 

Atrophie  der  Hörnervenfasern  kommt  infolge  des  Druckes  von  Ge- 
schwülsten im  inneren  Gehörgange  vor.  Auch  Aneurysmen  der  Art.  basilaris 
können  daher  die  Ursache  einer  Atrophie  des  Hörnerven  abgeben.  Seltener 
ist  dieselbe  nach  hochgradigem  Hydrocephalus,  nach  Pachymeningitis 
haemorrhagica,  sowie  nach  Tabes  dorsalis  beobachtet  worden.  In  meh- 
reren Fällen  von  Degeneration  des  Nervus  acusticus  wird  auch  über  das 
Vorkommen  zahlreicher  amyloider  Körperchen  berichtet.  —  Ueber  die  Ver- 
änderungen, welche  der  Nerv  bei  lange  bestehenden,  sklerosirenden  Processen 
im  mittleren  Ohre  etwa  erleidet,  sind  wir  ziemlich  im  unklaren,  da  nur  spär- 
liche pathologisch-anatomische  Untersuchungen  vorliegen.  Ebenso  wenig  ist 
die  Frage  bis  jetzt  erledigt,  ob  eine  reine  In a cti vi täts- Atrophie  des 
Hörnerven,  ohne  entzündliche  Vorgänge,  nach  langjährigen  Störungen  der 
Function  des   schallleitenden  Apparates   überhaupt  vorkomme.     Gegen   diese 

S^  Annahme  sprechen  einzelne  Befunde  bei  Taubstummen,  ferner  das  Verhalten 
des  Sehnerven  beim  Linsenstaar.     Endlich  wären  auch  die  neueren  Anschau- 

^^  ungen  über  die  Ernährung  der  Nervensubstanz  im  Bereiche  der  einzelnen 
Neurone  dabei  zu  berücksichtigen,  und  es  bliebe  fraglich,  ob  eine  derartige 
Atrophie  centralwärts  über  die  Gangliengruppe  des  Canalis  spiralis  der 
Schnecke  überhaupt  hinausgehen  könne.  STEiNBRtJGGE. 

Adenoide  Vegetationen  (Hypertrophie  der  Pharynxtonsille).  Unter 
dem  Namen  der  ^^adenoiden  Vegetationen  des  Nasenrachenraumes^''  hat 
W.  Meyer  in  Kopenhagen  die  erste  klinische  Arbeit  über  eine  Erkrankung 
veröffentlicht,    von   welcher   bis    dahin   nur  in  ganz  vereinzelten  Fällen  und 

"^  auch  nur  als  nebensächlicher  Befund  berichtet  worden  war  (Czeemak,  Tüek, 
Semeleder);   in    späteren  Jahren    haben    dann  Voltolini    und   Löwenbeeg 

\     etwas  ausführlichere  Angaben  hierüber  gemacht,  allein  erst  die  gründliche  und 

*)  Vergl.  auch  Artikel  „Labyrintherhranhungen'^  in  diesem  Bande. 

Ohren-,  Nasen-,  Eachen-,  Kehlkopfkrankheiten,  1 


2  ADENOIDE  VEGETATIONEN. 

Überzeugende  Darstellung  des  betreffenden  Krankheitsprocesses  durch  Meyer 
war  es,  welche  das  Interesse  der  Aerzte  und  in  erster  Linie  der  Ohrenärzte 
auf  diese  ebenso  häufige  wie  wichtige  Erkrankung  gelenkt  hat;  kurze  Zeit 
nachher  erschien  die  ausführliche  Arbeit  von  Wendt,  welcher  die  Beobach- 
tungen Meyee's  in  fast  allen  wesentlichen  Punkten  bestätigte.  Die  von  nun 
an  erschienenen  überaus  zahlreichen  Mittheilungen  haben  den  Angaben  Meyeu's 
und  Wendt's  kaum  etwas  Wesentliches  hinzugefügt ;  nur  aus  der  auf  ein- 
gehende anatomische  und  klinische  Untersuchungen  gestützten  Monographie 
Tkautmann's  müssen  einige  anatomische  Thatsachen  hervorgehoben  werden, 
die  im  Widerspruche  stehen  mit  der  auch  heute  noch  von  vielen  getheilten 
Ansicht  von  der  Natur  der  Erkrankung.  Trautmann  hat  zuerst  und  meiner 
Ansicht  nach  mit  Recht  hervorgehoben,  dass  das  klinische  Bild  Meyer's  ein 
fast  vollständiges  ist,  dass  dagegen  mit  dem  Namen  „adenoide  Vegetationen" 
die  anatomische  Natur  der  Erkrankung  nicht  scharf  genug  charakterisirt  sei. 
Meyer  spricht  von  kammartigen  Gebilden  am  Rachendache  und  der  hinteren 
Pharynxwand,  die  grosse  Dimensionen  erreichen  können;  er  beschreibt  ferner 
ähnliche,  zapfen-  und  keulenförmige  Vegetationen,  die  an  anderen,  besonders 
seitlichen  Stellen  des  Nasenrachens,  an  den  Tubenwülsten,  in  der  Rosen- 
MüLLER'schen  Grube  u.  s.  w.  vorkommen.  Trautmann  glaubt  nun  auf  Grund 
zahlreicher  Sectionen,  dass  es  sich  immer  um  eine  Hyperplasie  der 
Rachentonsille  handle  und  dass  die  von  Meyer  u.  a.  beschriebenen 
zapfen-  und  keulenartigen  Bildungen  in  den  seitlichen  Abschnitten  des  oberen 
Pharynxraumes  nur  Fortsätze  und  Ausläufer  der  hyperplastischen  Pharynxton- 
sille seien;  alle  diese  kammartigen  Erhebungen  verlegen  die  Tubenwülste, 
selbst  deren  Rachenmündungen  und  die  RosENMüLLER'sche  Grube,  gehen  aher 
niemals  von  dem  adenoiden  Gewebe  dieser  Theile  selbst  aus.  Es  handelt  sich 
somit  bei  unserer  Krankheit  nur  um  eine  Hyperplasie  der  Rachenton- 
sille, jener  von  Lacauchie  bei  seinen  anatomischen  Untersuchungen  mit 
Wassereinspritzungen  entdeckten  Drüse  am  Pharynxdache,  deren  paarige 
Natur  durch  eine  ziemlich  tiefe  Furche  in  der  Mittellinie  des  Fornix  an- 
gedeutet ist;  die  späteren  Forschungen  von  Kölliker,  Henle,  Luschka, 
Gerlach  und  Jablonov^ski  haben  die  Angaben  Lacauchies  bestätigt  und 
die  Entwicklung,    wie   auch    den  feineren  Bau  dieser  Drüse  näher  dargelegt. 

Die  Tonsilla  pharyngea  ist  ein  5—7  mm  dickes,  circa  11  mm  langes,  weiches,  drüsiges 
Organ,  das  leicht  über  die  Schleimhaut  des  Eachendaches  hervorragt  und  sich  nach  vorn 
zu  bis  an  das  hintere  obere  Ende  der  Nasenscheidewand,  nach  hinten  zu  bis  zum  Atlas- 
bogen erstreckt,  während  seine  Seitentheile  oftmals  bis  nahe  an  die  Tuben  und  die 
EosENMÜLLER'schen  Gruben  heranreichen;  der  vordere  Abschnitt  der  Drüse  ist  mächtiger 
entwickelt  als  der  hintere.  Die  Oberfläche  der  Tonsille  ist  uneben,  leicht  zerklüftet  und 
besitzt  stellenweise  massige  Einsenkungen  und  Gruben,  welche  die  Reste  von  längs-  und 
querverlaufenden  Leisten  und  Furchen  darstellen,  die  beim  Neugeborenen  noch  vorhanden, 
im  Laufe  der  ersten  Lebensjahre  aber  durch  spontane  Rückbildung  oder  infolge  ent- 
zündlicher Vorgänge  mehr  weniger  verstreichen;  durch  diese  Leisten  und  Gruben  erscheint 
die  Oberfläche  unregelmässig  und  leicht  gelappt;  bei  entzündlichen  und  hyperplastischen 
Processen  wachsen  diese  kleinen  Läppchen  theils  zu  breiten,  halbkugeligen  und  kissen- 
artigen, theils  zu  gestielten,  kolbigen,  zapfenförmigen  Vegetationen  aus,  je  nachdem  sich 
mehrere  nebeneinander  gelegene  oder  nur  ein  einzelnes  Läppchen  an  dem  hyperplastischen 
Vorgange  betheiligen;  dieselben  erreichen  zuweilen  eine  solche  Mächtigkeit,  dass  sie  sich 
über  die  Tubenostien  legen  oder  die  RosENMÜLLER'schen  Gruben  fast  vollständig  ausfüllen; 
niemals  habe  ich  diese  noch  so  voluminösen  Wucherungen  mit  dem  Gewebe  der  Tuben  in 
directem  Zusammenhange  gesehen. 

Mikroskopisch  ist  die  Rachentonsille  aus  einem  gefässreichen,  reticulären  Binde- 
gewebsstroma  zusammengesetzt,  in  welchem  eine  grosse  Menge  Leucocyten  gelegen  sind, 
und  zwar  zusammengehäuft  in  Form  der  sogenannten  Follikel,  daher  auch  das  Gewebe 
von  His  als  adenoide,  von  Henle  als  conglobirte  Drüsensubstanz  bezeichnet  wird;  das  adenoide 
Gewebe  überragt  die  Oberfläche  in  Form  kleiner  Zapfen,  oder  es  bildet  Einstülpungen  und 
es  kommt  zur  Bildung  von  Balgdrüsen.  —  Das  reticuläre  Bindegewebe  der  Drüsensubstanz 
geht  an  der  Basis  der  Tonsille  in  den  gefässarmen,  straffen  Faserknorpel  der  Schädelbasis 
über;  die  Drüsenoberfläche  wie  alle  ihre  Unebenheiten  und  Einsenkungen  sind  von  einem 
mehrschichtigen,  flimmernden  Cylinderepithel  überzogen,   das  aber  an   den  Stellen,  wo  die 


ADENOIDE  VEGETATIONEN. 


Bursa  pharyngea. 


Balgdrüsen  die  Oberfläche  erreichen,  cubisch  und  abgeplattet  erscheint  und  keine  Flimmer- 
haare mehr  besitzt.  Wir  haben  es  demnach  bei  der  Rachentonsille  mit  einem  gleichartigen 
Drüsengebilde  zu  thun,  wie  bei  der  Gaumentonsille,  i.  e.  mit  einer  circumscripten  An- 
häufung von  adenoidem  Gewebe.  Es  stellt  nach  den  Untersuchungen  Waldkyer's  die 
Pharynxtonsille  einen  Theil  des  lymphatischen  Halsringes  dar,  welcher  am  Fornix  des 
Rachens  beginnt,  an  den  Seiten  über  die  Tubenwülste  und  die  Gaumenmandeln  herab- 
zieht, um  schliesslich  quer  über  die  Zunge  zu  gehen  und  mit  der  paarigen  Tonsilla 
lingualis  zu  enden. 

Wenn  heutzutage  der  Name  „adenoide  Vegetationen"  für  unsere  Er- 
kranliung  noch  im  allgemeinen  Gebrauche  ist,  so  geschieht  dies  vorwiegend 
zu  Ehren  W.  Meyer's  und  weil  hiedurch  der  Bau  der  hyperplastischen  Drüse 
näher  bezeichnet  ist.  Es  handelt  sich  aber,  wie  schon  oben  angegeben,  nur 
um  eine  Hyperplasie  der  Rachentonsille,  und  wir  erkennen  dies  auch,  wenn 
wir  mehrere  Tage  nach  der  operativen  Entfernung  der  Drüse  das  rhino- 
skopische  Bild  des  Nasenrachens  genau  betrachten :  die  secernirende,  ziemlich 
ausgedehnte  Wundfläche  beschränkt  sich  nur  auf  das  Rachendach,  während 
alle  seitlich  gelegenen  Theile  gegen  die  Tube  wie  auch  gegen  die  Fossa 
RosENMüLLER  ZU  iutact,  höchstcns  etwas  geröthet  sind;  schliesslich  habe 
ich  auch  an  der  Leiche  wiederholt  Gelegenheit  gehabt,  die  Angaben  Traut- 
mann's  bestätigen  zu  können ;  die  Hyperplasie  bestand  nur  am  Fornix  pha- 
ryngis;  an  den  Seitenwandungen  und  in  der  Tubenumgebung  sah  man  zeit- 
weilig kleine  linsenförmige,  röthliche  Erhebungen,  sogenannte  folliculäre  Gra- 
nulationen, wie  bei  der  Pharyngitis  granulosa  an  der  hinteren  Rachenwand, 
niemals  aber  habe  ich  grössere,  zapfenförmige,  kammartige  Bildungen  an 
diesen  Theilen  gefunden. 

Die  hyperplastische  Pha- 
rynxtonsille kann  die  Grösse 
«iner  Wallnuss  und  darüber 
erreichen;  sie  füllt  oft  den 
ganzen  Nasenrachen  aus  und 
kann  bei  älteren  Individuen  mit 
entsprechend  weitem  Pharynx 
sogar  die  Grösse  eines  Gänse- 
eies erreichen;  ihre  Farbe  ist 
eine  grauröthliche,  ihre  Con- 
sistenz  meist  eine  weiche,  nur 
in  seltenen  Fällen  ist  ihr  Ge- 
webe straff  und  fest.  An  der 
unregelmässigen,  maulbeerarti- 
gen Oberfläche    einer   in   toto 

entfernten  Drüse  (Fig.  1)  erkennt  man  leicht  mehr  weniger  tiefe,  longitudi- 
nale  und  transversale  Furchen,  durch  welche  die  Tonsille  in  eine  grosse 
Zahl  hinter-  und  nebeneinander  gelegener  zapfen-  und  kammartiger  Läpp- 
€hen  getheilt  ist.  Zuweilen  sieht  man  in  der  Mittellinie  der  exstirpirten 
Drüsenmasse  eine  grössere,  ziemlich  tiefe  Längsfurche  mit  der  Einmündungs- 
stelle  der  sogenannten  Bursa  pharyngea  Luschka's,  die  man  aber  besser  Re- 
cessus  pharyngeus  med.  nennen  sollte,  da  wir  es  nach  Ganghofer  nur  mit 
einer  Vertiefung  im  Gewebe  der  hypertrophischen  Drüse  und  nicht  mit  einer 
Bursa,  einem  beuteiförmigen  Anhange,  zu  thun  haben. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  solch  frisch  esstirpirter  Pharynxtonsillen 
sieht  man  zahlreiche  Blut-  und  Lymphgefässe  in  denselben,  die  aus  der  Tiefe  des  Organes 
kommen  und  ein  dichtes  Capillarnetz  an  der  Oberfläche  bilden.  Von  ihrem  stärkeren  oder 
schwächeren  Füllungszustande  hängen  jene  Volumsveränderungen  der  Drüse  ab,  die  wir 
zeitweilig  beim  Lebenden  beobachten  können.  Die  centralen  wie  die  peripheren  Blut- 
gefässe liegen  in  einem  lockeren,  reticulären  Bindegewebe,  das  in  feinen  Fibrillen  die 
Drüsensubstanz  durchsetzt;  die  haufenförmig  zusammenliegenden  Lymphzellen,  die  soge- 
nannten geschlossenen  Follikel,  finden  sich  vorwiegend  in  der  Umgebung  der  centralen 
Blutgefässe. 

1* 


Lappen 


1.  Lappen 


Mitteltiirche 

[Fig.  1.     HyperpL  Eachentonsille    eines   16jähr.  Mädchens; 
in  toto  entfernt  durch  einmaliges  Einführen  der  Zange. 

(V2  nat.  Grösse.)  Länge  2-9.     Breite  2  2.    Dicke  1-7. 


4  ADENOIDE  VEGETATIONEN. 

Aetiologie.  Wir  beobachten  diese  Erkrankung  vorzugsweise  bei  Kindern 
im  Alter  von  3 — 10  Jahren;  doch  habe  ich  sie  zu  wiederholten  Malen  bei 
Kindern  unter  einem  Jahre,  wie  auch  bei  älteren  Individuen  selbst  bis  in  die 
dreissiger  Jahre  gesehen,  bei  männlichen  Kranken  gleich  häutig  wie  bei 
weiblichen.  In  manchen  Fällen  ist  das  Leiden  angeboren,  und  die  bei  Säug- 
lingen zuweilen  vorkommende  Erschwerung  des  Trinkens  an  der  Mutterbrust 
kann  unter  anderem  durch  die  von  einer  hypertrophischen  Rachentonsille  aus- 
gehende Nasenstenose  bedingt  sein.  Die  erbliche  Disposition  spielt  zweifels- 
ohne eine  grosse  Rolle  bei  dieser  Erkrankung,  denn  einerseits  beobachtet 
man  dieselbe  bei  mehreren  Geschwistern,  anderseits  sieht  man  nicht  ganz  selten 
bei  den  Eltern  solcher  Kinder  jene  Veränderung  des  Gesichtsschädels  und 
der  Zahnstellung,  die  sogar  für  ein  abgelaufenes  derartiges  Leiden  des 
Nasenrachenraumes  charakteristisch  ist.  —  Während  der  Pubertätsjahre 
bildet  sich  häufig  die  hyperplastische  Drüse  spontan  zurück,  in  analoger 
Weise,  wie  wir  dies  von  der  Gaumentonsille  wissen;  zuweilen  jedoch  ver- 
zögert sich  dieser  physiologische  Involutionsprocess  oder  bleibt  vollständig  aus. 

Viele  Aerzte  sehen  in  diesem  Leiden  der  Rachentonsille  den  Ausdruck 
einer  scrophulösen,  selbst  tuberkulösen  Allgemeinkrankheit;  Dermo yez,  Dau- 
SAC,  PiLLET  u.  a.  haben  Tuberkelbacillen  gefunden,  und  nach  Pluder 
besteht  sogar  in  10 — 16%  eine  latente  Tuberkulose  der  Rachentonsille.  (Berl. 
klin.  Wochenschrift  1896,  pag.  124.)  E.  Fränkel  constatirte  an  der  Leiche 
Tuberkulose  der  Drüse  in  20%  der  Fälle.  Trautmann  hat  nach  Einspritzung 
von  Tuberkulin  Fieber  und  entzündliche  Schwellung  der  Tonsille,  selbst 
Heilung  beobachtet,  er  hält  deshalb  Tuberkulose  für  die  Ursache  der  Hyper- 
plasie und  will  beobachtet  haben,  dass  Kinder  und  stets  alle  Kinder  tuber- 
kulöser Eltern  an  Hyperplasie  der  Rachentonsille  erkranken. 

Sehr  häufig  finden  wir  den  sogenannten  Habitus  scrophulosus  bei 
diesen  kleinen  Patienten;  derselbe  dürfte  aber  meist  die  Folge  und  nicht  die 
Ursache  dieses  Leidens  sein,  was  schon  daraus  hervorgeht,  dass  bei  derartigen 
scrophulösen  Kleinen  mit  der  Abtragung  der  kranken  Drüse  die  einzelnen 
Allgemeinstörungen  bald  vollständig  zurücktreten  und  gesunde  und  blühende 
Wesen  aus  denselben  sich  entwickeln.  Ausserdem  beobachtet  man  nie  bei 
dieser  Drüsenschwellung  den  Ausgang  in  Verkäsung  oder  Eiterung,  wie  dies 
bei  scrophulösen  Lymphdrüsen  so  häufig  der  Fall  ist,  und  es  fehlen  bei  ihr  die 
geschwollenen  Lymphdrüsen,  die  Hauteczeme,  die  hartnäckigen  Bindehaut- 
katarrhe des  Auges,  die  Knochencaries  u.  s.  w.,  jene  zahlreichen  Begleit- 
erscheinungen, wie  sie  die  gewöhnliche  Scrophulose  mit  sich  bringt.  Immer- 
hin begünstigen  schlechte  Ernährung,  Erkältung,  directe  Reizung  des  Nasen- 
rachens, wie  z.  B.  bei  der  Gaumenspalte,  und  schliesslich  auch  die  acuten 
Exantheme,  Diphtheritis,  Syphilis  u.  s.  w.  die  Entwickelung  des  Rachenlei- 
dens. Nach  Scharlach  und  Diphtheritis  habe  ich  zuweilen  hypertrophische 
Rachen-  und  Gaumentonsillen  vollständig  schwinden  sehen,  anderseits  aber 
verlaufen  öfters  diese  beiden  Infectionskrankheiten  unter  viel  schwereren 
und  intensiveren  Erscheinungen  bei  Kindern,  die  an  derartigen  Anschwel- 
lungen der  Rachen-  und  Gaumentonsillen  leiden;  es  setzt  sich  bei  ihnen  der 
diphtheritische  Belag  viel  leichter  auf  den  Nasenrachen  und  auf  die  Nasen- 
höhle fort  als  bei  anderen  Kindern. 

Die  Beobachtung  Meyer's,  dass  die  adenoiden  Vegetationen  in  feuchten 
Klimaten  und  besonders  in  den  Ländern  des  kalten  und  feuchten  Nordens  häu- 
figer vorkommen,  hat  sich  nicht  bestätigt,  denn  seitdem  die  Aerzte  ihre  Auf- 
merksamkeit auf  diese  Erkrankung  gelenkt  haben,  wissen  wir,  dass  sie  in  allen 
Ländern,  im  kalten  feuchten  Norden,  wie  im  warmen  sonnigen  Süden,  in  gebir- 
gigen Gegenden  wie  in  der  Ebene  gleich  häufig  vorkommt;  nach  den  Berichten 
von  ScHMiEGELOw  uud  Kafemann  beobachtet  man  dieselbe  bei  circa  7 — lO^o 
aller  Kinder,  und  bei  diesen  Kranken  selbst  kommen  nach  Hartmann,  Killian 


ADENOIDE  VEGETATIONEN.  5 

und  Meyer  in  75%,  nach  Habei.s  in  547o  der  Fälle  Ohraffectionen  der  ver- 
schiedensten Arten  vor.  Man  wird  sich  vom  häufigen  Vorkommen  dieser 
Rachenerkrankung  leicht  überzeugen  können,  wenn  man  die  Kinder  einer 
grösseren  Volksschule  beim  Spielen  oder  beim  Verlassen  des  Schulhauses 
darauf  hin  betrachtet  und  sieht,  wie  häufig  die  für  eine  hyperplastische 
Rachentonsille  so  charakteristischen  Erscheinungen  bei  diesen  Kindern  vor- 
handen sind:  der  offene  Mund,  der  schläfrige,  müde  Blick  und  ein  nicht 
sehr  intelligenter  Gesichtsausdruck.  In  einer  neueren  Arbeit  (1805)  spricht 
auch  Meyer  von  der  universellen  Ausbreitung  dieser  Krankheit  und  schliesst 
aus  den  typischen,  adenoiden  Gesichtszügen  vieler  alter  Büsten  und  Porträts 
in  den  Galerien  Europa's,  dass  dieser  krankhafte  Zustand  zu  allen  Zeiten 
vorhanden  war  (römische  Büsten,  Canova,  Karl  V.,  Francois  II.  u.  s.  w.). 

Symptome  Die  massige  Hyperplasie  der  Pharynxtonsille  verursacht 
keinerlei  Beschwerden;  erst  wenn  sie  grössere  Dimensionen  erreicht  hat,  treten 
Störungen  auf,  sowohl  localer  wie  allgemeiner  Natur.  Vor  allem  ist  es  der 
mehr  oder  weniger  vollständige  Verschluss  des  Nasenrachens  durch  die 
Geschwulstmasse;  die  Athmung  durch  die  Nase  ist  stark  beeinträchtigt,  zu- 
weilen sogar  völlig  aufgehoben;  die  Kranken  sind  genöthigt  durch  den  Mund 
zu  athmen  und  müssen  denselben  bei  Tag  und  Nacht  meist  offen  halten;  bei 
der  ebenso  fehlerhaften  wie  ungenügenden  Mundathmung  werden  Mund-  und 
Rachenschleimhaut  ausgetrocknet,  es  entstehen  chronische  Rachen-  und  selbst 
Bronchialkatarrhe;  die  per  os  eingeathmete  Luft  wird  nicht,  wie  beim  phy- 
siologischen Athmen  durch  die  Nase,  von  den  ihr  anhaftenden  Schmutz-  und 
Staubpartikeln  gereinigt,  sie  wird  ungenügend  erwärmt,  nicht  hinlänglich  an- 
gefeuchtet und  muss  dementsprechend  auf  den  Gasaustausch  in  der  Lunge 
wie  auf  den  Stoffwechsel  und  die  Ernährung  nachtheilig  einwirken.  Trotz 
des  beständig  offenen  Mundes  athmen  solche  Kinder  mühsam,  schnarchen 
während  des  Schlafes  sehr  laut  in  Folge  der  vibrirenden  Bewegungen  des 
Gaumensegelrandes  beim  Offenstehen  des  Mundes;  der  Schlaf  ist  sehr  un- 
ruhig, häufig  unterbrochen;  die  Kinder  ändern  öfters  ihre  Bettlage,  er-wachen 
plötzlich  unter  Stöhnen,  setzen  sich  im  Bette  auf,  gequält  und  geängstigt 
durch  Beklemmungs-,  selbst  leichte  Erstickungsanfälle  wie  beim  Alpdrücken; 
zuweilen  sogar  zeigen  solche  Kinder  die  Symptome  einer  Laryngitis  stridula. 
In  Folge  der  mangelhaften  Respiration,  des  unruhigen  und  unerquickenden 
Schlafes  leidet  auf  die  Dauer  die  Ernährung,  die  Kinder  magern  ab,  werden 
blass,  anämisch,  schwächlich  und  können  so  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit 
scrophulösen  Kindern  darbieten.  Durch  die  fortdauernde  Nasenstenose  wird 
auch  die  Form  des  Thorax  eine  abnorme;  die  Lunge  dehnt  sich  nicht  ge- 
nügend aus,  der  Luftdruck  auf  die  Aussenfläche  des  Brustkastens  erhält  das 
Uebergewicht  und  flacht  die  nachgiebigeren  Seitentheile  des  Thorax  ab, 
während  das  Sternum  leicht  hervortritt;  der  ganze  Thorax  entwickelt  sich 
schlecht,  ist  wenig  elastisch  und  ähnelt  der  rhachitischen  Hühnerbrust. 
Grancher  fand,  dass  bei  solchen  Kindern,  wenn  sie  mit  geschlossenem 
Munde  athmen  wollen,  die  vorher  flache  Athmung  in  ein  forcirtes  Rippen- 
athmen  übergeht,  wobei  nur  die  oberen  Thoraxtheile  ausgedehnt  werden, 
während  Seitentheile  und  Epigastrium  einsinken. 

Schliesslich  leidet  auch  das  Gesichtsskelet  unter  dieser  Nasenstenose; 
die  Nase  ist  schmal,  zusammengekniffen;  durch  das  beständige  Offenhalten 
des  Mundes  erscheint  die  Oberlippe  verkürzt,  der  Gesichtsausdruck  ist  schlaff 
und  schläfrig,  die  oberen  Augenlider  sind  leicht  gesenkt,  die  Lippen  ge- 
schwollen, der  Unterkiefer  hängt  herab  und  all  dies  gibt  dem  Kranken  das 
Aussehen  eines  zerstreuten,  blöden,  fast  stupiden  Menschen.  Bei  der  Unter- 
suchung des  Mundes  sehen  wir,  dass  der  harte  Gaumen  eine  viel  höhere, 
gleichsam  spitzbogenartige  Wölbung  hat,  die  obere  Zahnarkade  hiedurch  viel 


6  ADENOIDE  VEGETATIONEN. 

schmäler  gespannt  ist  und  nicht  genügenden  Raum  für  die  Zähne  besitzt; 
letztere  sind  deshalb  oft  unregelmässig  gestellt;  besonders  sind  es  die  kleinen 
Schneide-  und  Eckzähne,  welche  vor  oder  hinter  ihren  Nachbarn  stehen. 
Dieser  Hochstand  des  harten  Gaumens  dürfte  wohl  dadurch  zustande 
kommen,  dass  bei  der  verhinderten  Nasen-Athmung  jener  Luftdruck  fehlt, 
welcher  den  harten  Gaumen  während  seiner  Ossificirung  von  oben  her  belastet, 
und  so  die  im  Munde  vorhandene  Luftmenge  das  Uebergewicht  hat  und  das 
Gaumengewölbe  mehr  nach  oben  zu  drängen  bestrebt  ist.  Nach  Körner 
muss  man  zweierlei  Arten  solcher  Oberkieferverbildungen  unterscheiden,  je 
nachdem  sich  dieselbe  vor  oder  während  des  Zahnwechsels  ausbildet;  im 
ersteren  Falle  kommt  es  nur  zu  einem  abnormen  Hochstande  des  Gaumens, 
während  im  zweiten  auch  eine  unregelmässige  Zahnstellung  entsteht.  Zum 
Unterschied  von  den  bei  Rhachitis  vorkommenden  ähnlichen  Difformitäten 
des  Oberkiefers  ist  dieselbe  nach  Körner  bei  der  Pharynxtonsille  auf  diesen 
Knochen  allein  beschränkt,  während  bei  der  Rhachitis  auch  der  Unterkiefer 
verbildet  ist. 

Wir  linden  weiterhin  die  Sprache  solcher  Patienten  stark  verändert;  es 
fehlt  derselben  jene  physiologische  Resonanz,  die  nur  entsteht,  wenn  wäh- 
rend des  Sprechens  die  Luft  durch  die  Nase  strömt  und  so  die  Wan- 
dungen der  Nasenhöhlen  und  ihrer  Nebenräume  zum  Mitschwingen  gebracht 
werden.  Die  Sprache  solcher  Patienten  mit  Stenose  der  Nasenwege  hat  den 
sogenannten  näselnden  Charakter;  sie  ist  klanglos,  dumpf  und  undeutlich, 
oder  wie  Meyer  sagt,  die  Kranken  haben  eine  „todte"  Sprache.  Der  Aus- 
druck „näselnde"  Sprache  für  jene  Sprachveränderungen  bei  verlegter  Nase 
und  Nasenrachenraum  ist  eigentlich  nicht  richtig,  denn  dieser  nasale  Beiklang 
entsteht  nur  dann,  wenn  der  Nasenstenose  halber  die  Luft  beim  Sprechen 
nicht  durch  die  Nase  entweichen  kann.  Patienten  mit  hypertrophischer 
Pharynxtonsille  können  auch  die  Nasallaute  nicht  deutlich  aussprechen;  sie 
sagen  „Klopf"  statt  Knopf,  „Läse"  statt  Nase,  „Lala"  statt  Nana,  „Aggst" 
statt  Angst;  es  fehlt  der  zur  Bildung  der  Consonanten  m,  n,  ng  noth- 
wendige,  nasale  Luftstrom;  hält  man  ihnen  beim  Aussprechen  solcher  Laute 
eine  Glasplatte  vor  die  Nase,  so  wird  dieselbe  durch  einen  Luftbeschlag  nicht 
getrübt  (Zw^ardemaker,  Halbeis);  auch  das  Singen  besonders  hoher  Töne 
ist  solchen  Kranken  fast  unmöglich. 

Bei  solchen  Kindern  kann  es  zuweilen  vorkommen,  dass  sie  ungemein 
erregt  beim  Sprechen  sind,  ihre  Antworten  unsicher  und  zitternd  beginnen 
und  sogar  ins  Stottern  verfallen;  Winkler  und  Kafemann  haben  nach 
Exstirpation  der  Pharynxtonsille  das  Sprachleiden  solcher  Kranken  vollständig 
schwinden  gesehen.  Karntz  fand  bei  63*^/q.  aller  stotternden  Kinder  adenoide 
Vegetationen. 

Unter  den  localen  Erkrankungen,  die  durch  eine  hyperplastische  Pharynx- 
tonsille bedingt  werden,  haben  wir  vorerst  dieacutenNasen-  und  Rachen- 
katarrhe; sie  sind  hervorgerufen  durch  die  venösen  Stauungen  infolge  des 
Druckes,  den  die  hypertrophischen  Gebilde  im  Nasenrachenraum  auf  die  zahl- 
reichen Verzweigungen  des  Plexus  pharyngeus  und  palatinus  ausüben;  sie 
können  aber  auch  verursacht  und  unterhalten  werden  durch  die  reichliche 
schleimige  und  schleimig-eitrige  Absonderung  der  adenoiden  Massen  selbst, 
die  wohl  theilweise  entlang  der  hinteren  Pharynxwand  abfliesst,  grösstentheils 
aber  haften  bleibt  und  zu  Borken  eintrocknet,  welche  die  Kranken  trotz 
Schneuzens  und  Räusperns,  bei  der  mangelnden  vis  a  tergo,  nicht  genügend 
aus  der  Nase  zu  entleeren  im  Stande  sind.  Im  Schlafe  fliessen  diese  Schleim- 
mengen nach  abwärts  in  die  Trachea  und  in  die  Bronchien,  verursachen 
Hustenanfälle  und  sind  die  Quelle  hartnäckiger  Bronchialkatarrhe,  selbst  unter 
asthmatischen  Erscheinungen.  Bei  der  Untersuchung  des  Pharynx  sehen  wir 
die  Zeichen  des  chronischen  Katarrhes,  von  der  starken  Röthung  der  Schleim- 


ADENOIDE  VEGETATIONEN.  7 

haut  an,  den  erweiterten  Blutgefässen  bis  zu  den  graurothen,  erbsen-,  selbst 
bohnengrossen  Granulationen,  jenen  entzündlichen  Lymphzelleninfiltrationen 
um  die  Ausführungsgänge  der  Schlcimfollikel.  In  recht  vielen  Fällen  sind 
auch  die  Gaumentonsillen  hypertrophisch,  was  Tüautmann  auf  die  andauernde, 
von  der  hyperplastischen  Pharynxtonsille  ausgehende  passive  Hyperämie 
zurückführt.  Nach  Hopman  handelt  es  sich  gewöhnlich  um  eine  Erkrankung 
des  ganzen  WALDEYER'schen  Annulus  lymphaticus.  Dies  gleichzeitige  Bestehen 
hypertrophischer  Pharynx-  und  Gaumentonsillen  kommt  überhaupt  sehr  häufig 
zur  Beobachtung;  aber  fast  regelmässig  gehen  die  verschiedenen  Beschwerden 
von  der  Rachenmandel  aus  und  nicht,  wie  so  viele  Aerzte  noch  immer  glauben, 
von  den  Gaumentonsillen,  die  im  gegebenen  Falle  wohl  auf  den  Schluckact, 
aber  nur  ganz  selten  auf  die  Nasenathmung  oder  auf  die  Gehörorgane  schäd- 
lich einwirken  können.  Nicht  allzu  selten  sieht  man  massige  Hypertrophien 
der  Gaumenmandeln  einige  Zeit  nachdem  die  Pharynxtonsille  operativ  ent- 
fernt wurde,  spontan  zurückgehen,  während  umgekehrt  dies  nie  der  Fall  ist; 
weiterhin  werden  die  mannigfachen  krankhaften  Symptome  der  Nasenstenose 
durch  die  Exstirpation  der  Gaumentonsillen  niemals  gehoben,  wie  dies  nach 
Abtragung  der  Pharynxtonsille  fast  immer  der  Fall  ist.  Halbeis  will  beob- 
achtet haben,  dass  Anginen,  die  bei  hypertrophischen  Gaumentonsillen  sehr 
häutig  auftraten,  von  dem  Augenblicke  an  nicht  mehr  wiederkehrten,  wo  die 
erkrankte  Pharynxtonsille  entfernt  worden  war.  Der  gleiche  Autor  erwähnt 
auch  Fälle  von  starkem  Ptyalismus  bei  solchen  Kindern. 

Die  zahlreichen  Anastomosen  der  Blutbahnen  in  der  Nase  und  im  Nasen- 
rachen machen  es  erklärlich,  dass  wir  bei  der  hyperplastischen  Rachentonsille 
nicht  selten  Schwellungen  der  Nasenschleimhaut  und  besonders  der  caver- 
nösen,  vorderen  und  hinteren  Muschelenden  vorfinden;  hieraus  erklären  sich 
auch  die  zeitweiligen  Nasenblutungen,  deren  Quelle  entweder  die  varicösen 
Gefässe  des  knorpeligen  Septums  in  seinem  vorderen  Drittel  oder  die  volu- 
minöse Pharynxtonsille  selbst  ist;  die  Epistaxis  tritt  meist  ohne  äussere 
mechanische  Veranlassung  auf,  oftmals  auch  nach  stärkeren  körperlichen  An- 
strengungen; sie  kann  ziemlich  profus  sein  und  wiederholt  sich  zuweilen. 
Infolge  solch  chronischer  Hyperämien  der  Nasen-  und  Gesichtsvenen,  oft 
aber  auch  durch  die  abfliessenden  Schleimmassen  aus  der  Nase  schwillt  die 
Oberlippe  an  und  der  Naseneingang  erscheint  excoriirt.  Schliesslich  können 
sich  diese  secundären  Nasenkatarrhe  auch  durch  den  Thränencanal  auf  die 
Conjunctiva  fortsetzen  und  hier  die  verschiedensten  Augenaffectionen  zur 
Folge  haben  (Ziem). 

Im  Nasenrachen  besteht  meist  stärkere  Secretion,  es  bilden  sich  zähe, 
graugrüne,  zuweilen  übelriechende  Schleimmassen,  die  häufig  Brennen,  Kratzen, 
das  Gefühl  eines  Fremdkörpers  im  Halse,  wie  auch  einen  steten  Reiz  zum 
Schnauben,  Räuspern  und  Husten  verursachen.  Tornwaldt  u.  a.  haben  seit 
mehreren  Jahren  über  eine  Reihe  von  Erkrankungen  der  Bursa  pharyngea 
berichtet,  deren  Hauptsymptome  in  einer  eitrigen  Hypersecretion  im  Nasen- 
rachen, in  Bronchialkatarrhen,  Asthma  und  verschiedenen  Kopfneurosen  be- 
stehen; gegenüber  diesen  Angaben  ist  mit  Recht  hervorgehoben  w^orden,  dass 
die  schildartigen,  muschelförmigen  Borken  und  eitrigen  Secretmassen  am 
Rachendache  und  an  der  hinteren  Rachenwand  von  der  kranken  Pharynx- 
tonsille geliefert  werden;  es  kommt  nämlich  infolge  einer  stärkeren,  ent- 
zündlichen Schwellung  des  mittleren  Drüsenabschnittes  zu  einer  mehr 
weniger  ausgedehnten  Ueberwucherung  und  selbst  zu  einer  Verwachsung 
der  kammartigen  Drüsenvorsprünge;  die  dazwischen  gelegene  mediane  Furche 
(Raphe),  der  Recessus  pharyngeus  medius,  vertieft  sich  zu  einem  kleinen  Hohl- 
raum, in  welchem  es  zur  Secretretention  und  zur  allmählichen,  gleichsam 
cystösen  Erweiterung  kommen  kann;  eine  derartige  Bildung  muss  als  pathologisch, 
darf  niemals  als  ein  normales  Organ,  die  Bursa  pharyngea,  angesehen  werden, 


8  ADENOIDE  VEGETATIONEN. 

von  welcher  der  Erfinder  Luschka  selbst  zugibt,  dass  sie  sehr  selten  und 
unregelmässig  sei  und  als  Rudiment  eines  fötalen  Canales  am  hintersten 
Theile  der  Tonsilla  pharyngea  aufgefasst  werden  müsse. 

Zu  den  häufigsten  und  zugleich  wichtigsten  Folgeerkrankungen 
der  hyperplastischen  Pharynxtonsille  gehören  die  Affectionen  des  Gehör- 
organes;  unter  einer  grossen  Zahl  solcher  Kranken,  die  mir  seit  20  Jahren 
zur  Beobachtung  gekommen,  waren  es  mindestens  zwei  Drittel,  welche  an  Ohr- 
störungen litten;  sehr  häufig  ist  es  der  wegen  einer  Gehörerkrankung  zurathe 
gezogene  Ohrenarzt,  welcher  die  Affection  des  Nasenrachens  findet  und  sie  als 
den  Ausgangspunkt  des  Ohrleidens  erkennt.  Bald  ist  es  die  einfache  mechanische 
Verlegung  des  Orificium  tubae  durch  die  hypertrophischen  Seitentheile  der 
Drüse,  bald  die  stärkere  Schwellung  der  Tubenostien  infolge  venöser  Stase, 
anderemale  lagert  sich  Secret  in  das  Tubarlumen,  noch  anderemale  pflanzt 
sich  der  katarrhalische  Process  des  Rachens  auf  die  Schleimhaut  des  Tuben- 
rohres fort,  und  so  kann  es  auf  verschiedene  Weise  zur  Verstopfung  des 
Tubencanales  kommen,  bei  dessen  Andauern  alle  Folgen  einer  mangelhaften 
Tubenventilation  zu  Tage  treten:  in  erster  Linie  die  Hyperaemia  ex  vacuo 
mit  den  sich  anschliessenden  entzündlichen  Vorgängen  auf  der  Mittelohr- 
schleimhaut und  ihren  serösen,  schleimigen  und  eitrigen  Exsudationsproducten. 
Alle  diese  Mittelohr-Erkrankungen  können  unter  den  bekannten  Symptomen 
einen  acuten  und  zuweilen  günstigen  Verlauf  nehmen,  gehen  aber  sehr  häufig 
in  die  chronischen  Formen  über;  insbesondere  sind  es  die  chronischen  eiterigen 
Mittelohrentzündungen  mit  ihren  secundären  Knochenerkrankungen  und  ihren 
deletären  Complicationen,  deren  Tragweite  für  die  Ohrfunction  wie  für  das 
Leben  solcher  Patienten  von  grösster  Wichtigkeit  ist  und  deren  vollständige 
Rückbildung  bei  sehr  alten  Fällen,  selbst  nach  Heilung  der  Rachenkrankheit, 
nicht  immer  eintritt.  Nicht  allzu  selten  beobachtet  man  bei  diesen  Kranken 
mehr  weniger  beträchtliche  Gehörschwankungen,  besonders  unter  dem  Ein- 
flüsse der  äusseren  Temperatur;  sie  sind  auf  Schwankungen  in  der  Schwellung 
der  Drüsensubstanz  oder  auch  auf  zeitweilige  Entzündungen  derselben  zurück- 
zuführen. —  Wir  sehen  auch,  dass  hie  und  da  stärkere  schmerzhafte 
Symptome  im  Halse  und  Nasenrachen  auftreten,  und  Wiesener  betont  mit 
Recht,  dass  es  neben  der  einfachen  katarrhalischen  Entzündung  der  Rachen- 
tonsille  mit  etwas  stärkerer  Schleimsecretion  zu  grösserer  Intensität 
einzelner  Symptome  während  einiger  Tage,  zuweilen  sogar  zu  einer  acuten 
Entzündung  des  Drüsenparenchyms  mit  starkem  remittirenden  Fieber,  hoch- 
gradigen Kopfschmerzen,  selbst  zu  Delirien  kommen  kann;  in  letzterem  Falle 
schwellen  die  Lymphdrüsen  am  Unterkieferwinkel  und  am  Halse  und  können 
sogar  in  Eiterung  übergehen;  die  Pharynxtonsille  selbst  ist  alsdann  mächtig 
geschwollen,  es  kann  zur  Vereiterung  einzelner  Balgdrüsen,  selbst  zu  retro- 
pharyngealen  Abscessen  kommen.  —  Nach  Thost  (M.  f.  0.  1896,  p.  1)  kommen 
an  der  Pharynxtonsille  wie  an  den  Gaumenmandeln  foUiculäre  Entzündungen, 
Abscesse,  auch  Diphtheritis  und  ebenso  chron.  Infectionskrankheiten  (Lues  und 
Tuberkulose)  vor.  —  Thost  fand  auch  fast  regelmässig  bei  diesen  Kranken 
eine  Schwellung  der  zahlreichen  kleinen  Drüsen  im  unteren  Halsdreieck 
hinter  dem  Sterno-cleido-mastoideus,  und  zwar  auf  beiden  Seiten  symmetrisch. 

Wird  schon  durch  die  Ohrcomplicationen  mit  ihren  oft  so  beträchtlichen 
Gehörsstörungen  die  geistige  Entwicklung  der  jugendlichen  Pa- 
tienten beeinträchtigt,  so  kann  auch  die  hyperplastische  Pharynxtonsille,  selbst 
ohne  Ohrcomplication,  die  Ursache  eigenthümlicher  cerebraler  Depressions- 
erscheinungen werden,  die  für  die  Intelligenz  wie  für  das  geistige  Wesen 
solcher  Kinder  höchst  nachtheilig  sind.  So  hat  Gute  auf  Erschöpfungs- 
zustände des  Gehirns  bei  solchen  kleinen  Patienten  aufmerksam  gemacht,  die 
er  als  Aprosexie  (Tipocisysiv  töv  vouv)  bezeichnet  und  die  darin  bestehen,  dass 
solche  Kinder  die  grösste  Mühe  haben,  beim  Unterrichte  ihre  Aufmerksamkeit 


ADENOIDE  VEGETATIONEN.  9 

ZU  concentriren,  dass  sie  eben  Erlerntes  nach  kurzer  Zeit  wieder  vergessen 
und  dass  überhaupt  ihre  intellectuelle  Arbeit  eine  höchst  mangelhafte  ist;  sie 
klagen  ausserdem  über  häufige  Hinterkopfschmerzen,  selbst  über  Schwindel. 
GuYE  sieht  in  diesem  Symptomencomplex  eine  Erschöpfung  der  Gehirnthätig- 
keit  infolge  des  behinderten  Lymphabflusses  aus  dem  Gehirne.  Wir  beob- 
achten ähnliche  Gehirnerscheinungen  zeitweilig  bei  hochgradigen  Schwel- 
lungskatarrhen der  Nase  und  des  Nasenrachens;  auch  hier  ist  es,  wie  bei  den 
adenoiden  Vegetationen,  jener  Druck,  den  diese  voluminösen  Gebilde  auf  die 
zahlreichen  Lymphgefässe  der  Nasen-  und  Nasenrachenschleimhaut  ausüben 
und  durch  welchen  die  Lymphcirculation  derart  erschwert  wird,  dass  die 
normaliter  vom  Dural-  und  Subarachnoidealraum  durch  die  Lymphbahnen  und 
Saftscheiden  des  Geruchsnerven  strömende  Cerebrospinal -Flüssigkeit  an  der 
freien  Oberfläche  der  Nasenschleimhaut  sich  nicht  entleeren  und  mit  dem 
respiratorischen  Luftstrom  sich  nicht  vermengen  kann;  die  hiedurch  verur- 
sachte Lymphstauung  muss  die  Ernährung  des  Gehirnes  in  Folge  des  unvoll- 
ständigen Abfliessens  der  Stoffwechselproducte  ungünstig  beeinflussen.  Zweifels- 
ohne gibt  es  eine  nicht  unbeträchtliche  Zahl  derartiger  Fälle,  und  als  Beweis, 
dass  die  hyperplastische  Eachentonsille  zu  den  hauptsächlichen  Ursachen 
dieser  krankhaften  Zustände  gehört,  genügt  die  wiederholt  gemachte  Beob- 
achtung, dass  jene  geistigen  Depressionszustände  insgesammt  und  sehr  bald 
nach  der  operativen  Entfernung  des  erkrankten  Organes  verschwinden;  nichts- 
destoweniger dürfen  wir  nicht  unberücksichtigt  lassen,  wie  schon  Jehn 
hervorgehoben  hat,  dass  dieser  als  Aprosexie  bezeichnete  Symptomencomplex 
auch  ohne  Erkrankung  des  Nasenrachenraumes  als  einfache  juvenile  Entwick- 
lungsstörung besonders  in  der  Pubertät  unter  dem  Bilde  der  hebephreneti- 
schen  Erkrankungen  vorkommen  kann. 

Ausser  diesen  schädlichen  Einflüssen  der  hyperplastischen  Kachenton- 
sillen  auf  die  geistige  Individualität  solcher  Kinder  hört  man  dieselben  zu- 
weilen auch  über  Schmerzen  in  der  Stirn,  Schläfe  und  dem  Hinterhaupt 
klagen;  Migräneanfälle  bei  erwachsenen  Kranken  können  gleichfalls  durch  solche 
adenoide  Vegetationen  verursacht  sein;  auch  Reflexneurosen,  Chorea,  Enuresis 
nocturna  (Körner,  Grönbeck),  Asthma,  Heiserkeit  und  Aphonie,  Hypochondrie 
(Ziem,  Schaeffer),  Epilepsie  (Kafemann)  sind  als  Folgeerscheinungen  beob- 
achtet worden;  sie  sind  theils  auf  die  Behinderung  des  Lymphstromes, 
theils  auf  die  langdauernde  Compression  und  Reizung  zurückzuführen,  welche 
diese  adenoiden  Massen  auf  die  Trigeminusverästelungen  im  Rachen  ausüben. 

Diagnose.  Es  ist  höchst  auffällig,  dass  diese  Erkrankung  der  Rachen- 
mandel trotz  ihrer  zahlreichen  und  leicht  erkennbaren  äusseren  Symptome 
und  trotz  ihrer  Häufigkeit  so  lange  unerkannt  geblieben  ist;  das  Verdienst 
Meyer's,  dieselbe  zuerst  und  in  ihrer  ganzen  Tragweite  erkannt  zu  haben,  ist 
deshalb  ein  umso  grösseres.  —  Der  offene  Mund  bei  einem  3— 10jährigen 
Kinde,  die  gekniffene  Form  der  Nase,  die  dicke  Oberlippe,  die  gesenkten 
oberen  Augenlider,  der  blöde  Blick  und  Gesichtsausdruck,  die  klanglose, 
näselnde  Stimme,  die  Schwierigkeit,  bei  geschlossenem  Munde  zu  athmen,  oft 
auch  die  Schwerhörigkeit  und  hiezu  noch  das  nächtliche  Schnarchen,  der 
unruhige  Schlaf,  die  geringere  geistige  und  körperliche  Entwicklung,  der 
Hochstand  des  harten  Gaumens,  eine  unregelmässige  Zahnstellung,  alle  diese 
Erscheinungen,  ja  nur  ein  Theil  derselben  machen  die  Diagnose  beim  blossen 
Ansehen  solcher  Patienten  mehr  denn  wahrscheinlich;  immerhin  kann  ein  fast 
analoges  Krankheitsbild  bei  Erwachsenen  und  älteren  Kindern,  seltener  bei 
ganz  jugendlichen,  bedingt  sein  durch  Deviationen  des  Nasenseptums,  starke 
Schwellkatarrhe  in  der  Nase,  durch  Polypen  oder  anderartige  Geschwülste  der 
oberen  Luftwege;  die  hypertrophische  Rachentonsille  muss  deshalb  auch  de 
visu  oder  durch  die  Palpation  nachgewiesen  werden.  —  Grancher  weist  darauf 


10  ADENOIDE  VEGETATIONEN. 

hin,  dass  wir  bei  solchen  Kindern  neben  ihrem  forcirten  Costalathmen  ein 
normales  weiches  Respirationsgeräusch  hören,  wenn  sie  mit  offenem  Munde, 
dagegen  ein  undeutliches,  verschleiertes,  sobald  sie  mit  geschlossenem  Munde 
respiriren. 

Bei  der  Untersuchung  des  Mundes  und  Rachens  finden  wir 
öfters  eine  abnorme  Zahnstellung  im  Oberkiefer  und  hohe,  spitze  Gaumenwöl- 
bung; der  freie  Rand  des  weichen  Gaumens  ist  weniger  beweglich  und  mehr 
nach  unten  und  vorn  gedrängt;  häufig  sind  die  Gaumentonsillen  hypertro- 
phisch und  ebenso  die  lateralen  Stränge  der  hinteren  Rachenwand,  öfters 
sieht  man  auch  zahlreiche  Granulationen  auf  letzterer.  Bei  manchen  Patien- 
ten gelingt  es,  beim  Hinauflieben  des  Gaumensegels  mit  einem  Gaumenspatel 
oder  Katheterschnabel  die  adenoiden  Massen  direct  zu  sehen,  wie  dies  auch 
bei  der  Gaumenspalte  der  Fall  ist.  Die  hintere  Rhinoskopie  ist  in  vielen 
Fällen  recht  schwierig,  theils  wegen  der  grossen  Reizbarkeit  der  Rachen- 
gebilde, theils  weil  der  Nasenrachen  ganz  ausgefüllt  ist  und  deshalb  nicht 
genügend  beleuchtet  werden  kann;  bei  kleineren  Kindern  ist  diese  Unter- 
suchungsweise meist  unmöglich,  aber  selbst  wenn  sie  gelingt,  gibt  sie  uns 
nur  ungenügenden  Aufschluss  über  Beschafl'enheit  und  Ausdehnung  der  erkrank- 
ten Theile.  Bei  der  vorderen  Rhinoskopie  sehen  wir  bei  etwas  grösseren 
Kindern  und  bei  massig  weiter  Nase  die  polsterförmigen  Geschwulstmassen 
vom  Rachendache  herabhängen;  aber  auch  hiebei  lassen  sich  ihre  Dimen- 
sionen nur  annähernd  bestimmen,  selbst  wenn  wir  während  der  Untersuchung 
die  Kranken  phoniren  lassen  und  die  hypertrophischen  Massen  sich  heben 
und  theilweise  in  die  Choanen  gedrängt  werden.  —  Viel  sicherer  und  rascher 
erkennt  der  Praktiker  die  hyperplastische  Rachentonsille  vermittelst  der 
Digitaluntersuchung;  dieselbe  wird  in  der  Weise  ausgeführt,  dass  man  mit 
der  linken  Hand  einen  Mundsperrer  —  fiacher,  hölzerner  Spatel  —  zwischen 
die  linken  Zahnreihen  des  sitzenden  Patienten  aufstellt  und  dann  den  rechten 
Zeigefinger  behutsam  hinter  die  Uvula  und  in  den  Nasenrachen  einführt;  der 
Arzt  steht  am  besten  auf  der  rechten  Seite  des  Kranken  und  drängt  dessen 
Kopf  von  hinten  her  an  seine  Brust  mit  der  gleichen  Hand,  die  auch  den 
Spatel  hält,  während  die  Hände  des  Patienten  von  einem  Assistenten  festge- 
halten werden;  ausnahmsweise  bei  sehr  empfindlichen  Kranken  wendet  man 
Cocain  an  für  diese  meist  nur  secundenlange  Untersuchung.  Wenn  der  in  den 
Mund  eingeführte  Finger  am  contrahirten  Gaumensegel  auf  etwas  grösseren 
Widerstand  stösst,  so  genügt  ein  massiger  Druck  auf  dasselbe,  um  es  zu  ent- 
spannen, und  nun  kann  die  gekrümmte  vordere  Phalanx  des  rechten  Zeige- 
fingers rasch  nach  oben  dringen  und  sich  von  der  Anwesenheit  der  weichen 
adenoiden  Massen,  ihrer  unregelmässigen,  leicht  gelappten  Oberfläche  und 
ihrer  Ausdehnung  überzeugen.  Meiner  Erfahrung  nach  ist  diese  Art  der 
Untersuchung  bei  weitem  nicht  so  grausam,  als  viele  Autoren  dieselbe  ver- 
schreien, und  jedenfalls  eignet  sie  sich  ihrer  Leichtigkeit  wie  ihrer  raschen 
Ausführbarkeit  halber  für  den  praktischen  Arzt  besser  als  die  rhinoskopischen 
Verfahren,  die  uns  überdies  über  Sitz  und  Ausdehnung  der  Hypertrophie 
keinen  so  sicheren  Aufschluss  zu  geben  vermögen.  Wird  die  Digitalunter- 
suchung mit  etwas  Schonung  vorgenommen,  so  kann  es  höchstens  hie  und 
da  zu  einer  leichten  Blutung  kommen,  die  aber  nach  wenigen  Minuten 
spontan  aufhört. 

Ausser  dem  Nachweise  der  Tonsillenhyperplasie  ist  weiterhin  der  Grad 
und  die  Natur  der  complicirenden  Erkrankungen,  insbesondere  die  des  Gehör- 
organes  festzustellen,  denn  gerade  unter  letzteren  kommen  zuweilen  Formen 
vor,  deren  völlige  Rückbildung  nicht  mehr  möglich  ist,  und  die  deshalb  für  die 
Prognose  von  Bedeutung  sind. 

Prognose.  Wir  haben  es  mit  einer  gutartigen  Geschwulstbildung  zu 
thun,  die  sich  sogar  in  den  Pubertätsjahren  spontan  zurückbilden  kann;  man 


ADENOIDE  VEGETATIONEN.  11 

kennt  nur  ganz  vereinzelte  Fälle  einer  Umwandlunj^  dieser  adenoiden  Gewebs- 
massen  in  bösartige  Neubildungen:  Adenome,  Sarkome  (Schakfi-joü,  Bkyck) 
und  maligne  Lymphome  (Kelleü),  Im  allgemeinen  ist  demnach  die  Prognose 
eine  günstige,  und  bei  geeigneter  Behandlung  erfolgt  die  vollständige  Heilung 
aller  krankhaften  Erscheinungen.  Zuweilen  jedoch  kommt  es  zu  liecidiven 
und  dies  naturgemäss  umso  eher,  wenn  bei  der  Operation  Drüsentheile  stehen 
geblieben  waren.  —  In  Hinsicht  auf  die  zahlreichen  Störungen  der  körper- 
lichen und  geistigen  Entwicklung  solcher  Patienten  muss  immerhin  das  ganze 
Krankheitsbild  als  ein  recht  wichtiges  angesehen  werden.  Die  nasale  Stenose 
und  ihre  nachtheiligen  Folgen  für  liespiration  und  Ernährung  lassen  sich 
fast  regelmässig  beseitigen  und  ebenso  auch  die  grösste  Zahl  der  Ohrerkran- 
kungen; dagegen  ist  die  Prognose  eine  zweifelhafte  bei  einer  immerhin  klei- 
neren Zahl  von  eitrigen  Mittelohrcomplicationen,  deren  ausgedehnte  anatomische 
Veränderungen  nicht  mehr  rückbildungsfähig  sind. 

Behandlung.  Die  Exstirpation  der  hyperplastischen  Pharynxtonsille  ist 
die  alleinige  rationelle  Behandlung  unserer  Erkrankung;  sie  ist  nothwendig, 
sobald  die  Hypertrophie  eine  beträchtliche  und  die  secundären  Folgen  bei  der 
körperlichen  oder  geistigen  Entwicklung  des  Patienten  deutlich  erkennbar 
sind;  es  gibt  aber  eine  ganze  Anzahl  Fälle,  bei  welchen  trotz  deutlich  aus- 
gesprochener Hyperplasie  der  Drüse  die  einzelnen  krankhaften  Erscheinungen 
so  mindergradig,  bei  denen  insbesondere  die  Gehörorgane  vollständig  normal 
sind  und  höchstens  nur  eine  stärkere  Secretion  der  Nase  nebst  zeitweiligem  Ver- 
legtsein besteht;  in  derartigen  Fällen  ist  ein  operativer  Eingriff  unnöthig  und 
es  genügt  sehr  oft,  den  Nasen-  und  Rachenkatarrh  mit  seiner  etwas  profusen 
Absonderung  durch  Einblasen  von  pulverförmigen  Adstringentien  (Borsäure, 
Argent.  nur.,  Sozojodolsalze  u.  a.)  in  Nase  und  Nasenrachen  zu  bekämpfen; 
neben  dieser  localen  Behandlung  erweisen  sich  auch  kalte  Waschungen, 
Lungengymnastik,  Salzbäder  {Kreuznach^  Dürrheim,  Rheinfelden,  Salzungen 
u.  a.)  als  sehr  geeignet,  die  Erkrankung  wirksam  zu  bekämpfen  und  weiteren 
Complicationen  vorzubeugen.  Bei  diesen  Patienten  sind  es  die  günstigeren 
Raumverhältnisse  des  Nasenpharynx,  welche  die  verengende,  schädigende  Wir- 
kung der  voluminösen  Drüse  auf  Nase  und  Ohr  vermindern,  selbst  neutrali- 
siren.  —  Sind  frische  Entzündungen  der  Nase,  des  Rachens  oder  des  Ohres 
vorhanden,  so  muss  die  Operation  auf  spätere  Tage,  nach  völligem  Ablauf  der 
entzündlichen  Symptome,  verschoben  werden. 

In  allen  Fällen,  in  welchen  die  nasalen  wie  auch  die  allgemeinen 
Störungen  zu  einem  beträchtlichen  Grade  gediehen  sind  und  besonders  wenn 
krankhafte  Erscheinungen  von  Seiten  des  Ohres  vorliegen,  muss  die  Opera- 
tion ausgeführt  werden,  gleichgiltig  in  welchem  Alter,  selbst  bei  Säuglingen. 
Alle  in  früheren  Jahren  und  auch  jetzt  noch  bei  messerscheuen  Kranken 
Monate  und  Jahre  hindurch  versuchten  hygienischen  und  medicamentösen 
Behandlungen  (Leberthran,  Jodkali  u.  s.  w.)  bleiben  erfolglos;  ebenso  wie  die 
von  mancher  Seite  empfohlenen  Zerstörungen  der  Drüse  durch  Aetzmittel 
{Argent.  nitr.,  Kali  caust.,  Galvanokaustik);  alle  diese  Versuche  haben  sogar 
den  Nachtheil,  dass  während  ihres  nutzlosen  Gebrauches  die  localen  wie  die 
allgemeinen  Krankheitszustände  zunehmen  und  schliesslich  nicht  mehr  rück- 
bildungsfähig sind;  unter  solchen  Umständen  ist  es  auch  höchst  bedenklich, 
bei  derartigen  Kranken  die  spontane  Involution  der  Drüse  in  den  Pubertäts- 
jahren abwarten  zu  wollen,  weil  in  der  Zwischenzeit  alle  Erscheinungen,  be- 
sonders die  des  Ohres,  fortschreiten  und  schliesslich  unheilbai'e  Läsionen 
setzen  können. 

W.  Meyer  entfernte  die  adenoiden  Vegetationen  mit  Hife  eines  durch 
den  unteren  Naseneingang  eingeführten  ovalen  Ringmessers;  diese  ungenügende 
und  zeitraubende  Operationsmethode   und   das   hiezu   verwandte   Instrument 


12 


ADENOIDE  VEGETATIONEN. 


wurden  in  den  folgenden  Jahren  in  der  verschiedensten  Weise  modificirt  und 
verbessert;  scharfe  Löffel,  Curetten,  Zangen  und  Schlingen  der  verschiedensten 
Formen  sind  eine  grosse  Menge  angegeben  worden;  wir  können  diese  zahl- 
reichen Operationsmethoden  in  3  Kategorien  eintheilen:  1.  Die  Abtragung  der 
Tonsille  mit  der  kalten  oder  warmen  Schlinge,  2.  das  Auskratzen  derselben 
mit  dem  scharfen  Löffel  oder  der  Curette  und  3.  ihre  Exstirpation  mit  der 
Rachenzange. 

Zaufal,  Stoerck,  Hartmann,  Bezold,  Chiari  u.  a.  tragen  die  hyper- 
trophische Drüse  mit  der  kalten  oder  warmen  Schlinge  ab,  in  ganz  analoger 
Weise,  wie  die  Polypen  der  Choanen  oder  des  Nasenrachens;  Blutung  und 
Schmerzhaftigkeit  sollen  hiebei  sehr  gering  sein;  jedenfalls  erheischt  diese 
Methode,  die  selbst  für  die  geübteste  Hand  längere  Minuten  währt,  grosse 
Ruhe  und  Geduld  von  Seiten  der  Patienten,  die  bei  den  meist  jugendlichen 
Kranken  nicht  allzu  häufig  zu  finden  sein  dürfte;  aber  auch  unter  solch  gün- 
stigen Verhältnissen  sind  nach  Angabe  mehrerer  dieser  Autoren  wiederholte 
Sitzungen  zur  vollständigen  Entfernung  des  erkrankten  Organs  nothwendig, 
und  so  dürfte  der  Wert  dieser  Schiingenoperation  für  die  grössere  Praxis 
zum  wenigsten  ein  recht  beschränkter  sein,  da  es  den  Kindern  sowohl  wie 
auch  deren  Angehörigen  oft  an  der  genügenden  Ausdauer 
fehlen  wird. 

Von  den  scharfen  Löffeln,  die  zum  Auskratzen  der  Ton- 
sille empfohlen  sind  (Justi,  Bezold,  Capart,  Mothais,  Kuhn, 
Krakauer  und  Corradi)  will  ich  nur  den  von  Trautmann 
erwähnen;  es  ist  dies  ein  1 — Vb  cm  langer, 
7  mm  tiefer,  runder,  gekrümmter,  scharfer 
Löffel  (s.  Fig.  2)  an  einem  massig  langen 
Handgriff";  mit  demselben  wird  in  3  — 6  Zü- 
gen der  grösste  Theil  der  Drüse  vom  Rachen- 
dache abgekratzt;  nach  Trautmann's  Angabe 
gelingt  es  meist,  in  einer  Sitzung  alles 
Krankhafte  zu  entfernen  und  alle  abgetrenn- 
ten Stücke  nach  aussen  zu  befördern;  Cocain 
ist  hiebei  nicht  nothwendig. 

Die  zuerst  von  Lange  empfohlenen 
Ringmesser  oder  Curetten  werden  dem 
Löffel  Trautmann's  vielfach  vorgezogen;  von 
ihren  zahlreichen  Modificationen   (Boecker, 

Fritsche,  Hartmann,  Güye,  Higuet, 
Schmidt  u.  A.)  erfreut  sich  das  von  Gott- 
stein auf  der  Strassburger  Naturforscherver- 
sammlung (1885)  zum  erstenmale  demon- 
strirte  Ringmesser  (Fig.  3)  der  meisten  An- 
erkennung; dasselbe  eignet  sich  auch  zu  die- 
ser Operation  viel  besser,  denn  mit  seinem 
frontal  zum  Stiele  gestellten  und  leicht  ge- 
krümmten birnförmigen  Fenster  kann  die 
hinter  und  über  den  Choanen  gelegene  Basis 
der  Tonsille  schneller  und  vollständiger  ab- 
getragen werden,  als  mit  der  sagittal  gestell- 
ten Curette  Lange's  und  anderer.  Das  am  inneren  Fensterrande  scharfe 
Instrument  geht  unter  rechtem  AVinkel  in  den  horizontalen  7  cm  langen 
festen  Stahlschaft  über,  der  in  einen  10  cm  langen  Handgriff  eingelassen  ist. 
Bei  der  ohne  Narkose  auszuführenden  Operation  drückt  man  zuerst  mit  dem 
vorderen  Theile  des  Instrumentes  die  Zunge  herab,  gleitet  unter  Senkung  des 
Griffes  hinter  das  Velum,  drückt  das  Ringmesser  fest  an  die  obere  Pharynx- 


Fig.  2. 

TRAUTMANN'S 

liöffel. 


Fig.  3. 

GOTTSTEIN's 

Ringmesser. 


ADENOIDE  VEGETATIONEN.  13 

wand,  so  dass  sich  die  Vegetationen  durch  das  Fenster  hindurchpressen, 
und  schneidet  dieselben  mit  einem  kräftigen  Zuge  nach  hinten  und  unten  ab; 
je  nach  der  Ausdehnung  der  Wucherungen  kann  man  diese  Manipulation  einige- 
male  wiederholen,  ohne  das  Instrument  aus  dem  Munde  zurückzuziehen. 
Gottstein  operirte  ohne  Chloroform  und  ohne  Assistenz  selbst  bei  Kindern 
und  hat  weder  Blutungen  noch  heftige  Reactionserscheinungen  beobachtet. 
Manche  Collegen  haben  kleinere  Modificationen  an  diesem  Instrumente  an- 
bringen zu  müssen  geglaubt,  stimmen  aber  alle  in  seinen  Vorzügen  gegen- 
über anderen  Curetten  überein. 

Ebenso  wie  dem  scharfen  Löffel  und  theilweise  auch  der  Schlinge  haftet 
dem  Ringmesser  der  Nachtheil  an,  dass  Theile  der  abgekratzten  oder  ab- 
geschnittenen Geschwulstmassen  aus  diesen  Instrumenten  herausfallen  können 
und  in  den  Oesophagus  oder  gar  in  den  Kehlkopf,  gelangen  und  Erstickungs- 
anfälle hervorzurufen  im  Stande  sind;  gegen  diesen  Uebelstand  sind  Deckvor- 
richtungen am  Instrumente  selbst  oder  an  einem  Zungenspatel  vorgeschlagen 
worden,  die  aber  in  vielen  Fällen  ungenügend  sind  und  an  und  für  sich  das 
Instrument  zu  compendiös  machen.  Ausserdem  hat  der  Arzt  durch  das 
Hinabfallen  einzelner  Drüsentheile  keinen  richtigen  Maasstab  seiner  opera- 
tiven Leistung  und  er  ist  sehr  oft  nicht  in  der  Lage,  bestimmen  zu  können, 
wie  viel  er  von  dem  hyperplastischen  Organe  entfernt  und  ob  er  noch  grössere 
Partien  zurückgelassen  hat;  Nachoperationen  werden  deshalb  öfters  noth- 
wendig  sein;  auch  der  Umstand,  das  Corpus  delicti  nicht  oder  nicht  voll- 
ständig vor  sich  zu  haben,  gewährt  dem  Arzte  wie  dem  Patienten  nicht  die 
vollständige  Genugthuung;  besonders  aber  ist  es  die  Möglichkeit  desHinab- 
fallens  solcher  Tumortheile  in  den  Larynx,  die  viele  Aerzte  veran- 
lasst hat,  mit  zangen artigen  Instrumenten  die  Rachentonsille  ab- 
zutragen; auch  hievon  sind  zahlreiche  Formen  und  Grössen  in  Vorschlag  ge- 
bracht worden  (Stoeek,  Löwenberg,  Michael,  Delstanche,  Catti,  Scheck, 
Uebantschitz,  ScHtJTZ,  Halbeis  u.  a.);  diese  immer  und  immer  wieder  auf- 
tauchenden neuen  und  angeblich  verbesserten  Zangen  und  Curetten  beweisen 
vor  allem,  dass  dieser  leichte  operative  Eingriff,  je  nach  Uebung  oder  Vor- 
liebe für  das  eine  oder  andere  Instrument,  in  gar  mannigfacher  Weise  aus- 
geführt werden  kann. 

Meiner  Ansicht  nach  muss  diese  einfache  Operation  1.  in  einer 
Sitzung,  2.  ohne  dass  die  abgetragenen  Massen  in  den  Kehl- 
kopf fallen  und  3.  wo  möglich  ohne  Narkose  gemacht  werden. 
—  In  einer  Sitzung  sollte  eine  an  und  für  sich  so  leichte  Operation  immer 
ausgeführt  werden,  weil  Kinder,  um  die  es  sich  meist  handelt,  nicht  so  leicht 
zu  mehreren  Sitzungen  sich  bequemen  und  weil  ausserdem  der  etwas  be- 
schäftigte Arzt  nicht  allzu  viel  Zeit  auf  eine  derartige  verhältnismässig  häufige 
Operation  zu  verwenden  in  der  Lage  ist,  besonders  wenn  er  dieselbe  unter  gleich 
günstigen  Bedingungen  für  den  Kranken  auf  einmal  zu  absolviren  vermag. 
Teautmann  selbst  fordert,  „dass  alle  mit  dem  Instrumente  abgetragenen 
Stücke  auch  nach  aussen  befördert  werden";  ob  dies  mit  einem  anderen  als 
einem  zangenfürmigen  stets  möglich  ist,  scheint  mir  recht  zweifelhaft,  und 
auch  dem  Vorsichtigsten  wird  es  beim  scharfen  Löffel  und  der  Curette  zu- 
weilen passiren,  dass  kleinere  Stücke  in  den  Larynx  oder  den  Oesophagus 
fallen;  wenn  auch  dieselben  meist  verschluckt  oder  ausgehustet  oder  auch  mit 
Finger  und  Pinzette  wieder  zu  Tage  befördert  werden  können,  so  besteht 
doch  immer  die  unliebsame  Möglichkeit  einer  Erstickungsgefahr  oder  gar  einer 
Fremdkörperpneumonie.  —  Die  Narkose  ist  für  eine  so  kurzdauernde  und 
nicht  allzu  schmerzhafte  Operation  so  viel  als  möglich  zu  beschränken,  um- 
so mehr,  als  bei  der  Durchschneidung  dieses  adenoiden  Gewebes  fast  regel- 
mässig eine  nicht  unbedeutende  Blutung  erfolgt,  die  beim  Hinabfliessen  in 
die  Luftwege   während    einer   tiefen  Narkose   nicht  ohne  Gefahr  ist;  nur  bei 


14 


ADENOIDE  VEGETATIONEN. 


jüngeren,  ungeberdigen  Patienten  soll  die  Narkose  in  Anwendung  kommen, 
aber  auch  bei  ihnen  nur  bis  zu  dem  Grade,  dass  der  erste  Widerstand  solcher 
aufgeregter  Kranken  gebrochen,  und  man  dieselben  für  die  kurze  Dauer  der 
Operation  genügend  zu  fixiren  im  Stande  ist;  bei  so  leichter  Narkose  ist  das 
Hinabfliessen  von  kleinen  Blutmengen  in  die  Trachea  ohne  Bedeutung,  da 
die  Kranken  sie  rasch  wieder  aushusten  können;  tiefe  Aether-  oder  Chloro- 
form- oder  Bromäthylnarkosen  halte  ich  in  Anbetracht  einer  so  kurzen  Opera- 
tion zum  wenigsten  für  überflüssig;  ausserdem  erinnere  ich  mich  nicht, 
unter  einer  nach  vielen  Hunderten  zählenden  Zahl  von  derartigen  Zangenopera- 
tionen eine  Blutung  beobachtet  zu  haben,  die  nicht  nach  wenigen  Minuten 
spontan  gestanden  hatte;  den  von  anderer  Seite  gegebenen  Rath,  in  Fällen 
von  stärkeren  Nachblutungen  dieselben  vermittelst  in  den  Nasenrachen  ein- 
geführter Wattetampons  zu  stillen,  habe  ich  niemals  Veranlassung  gehabt,  zu 
befolgen;  unter  allen  Umständen  halte  ich  die  Einspritzungen  von  kaltem 
Wasser  oder  Eiswasser  in  die  Nase,  die  ebenfalls  zur  Blutstillung  empfohlen 
wurden,  für  unnöthig,  ja  sogar  für  schädlich,  da  hiebei  Wasser  in  die  Tuben 
eindringen  und  Mittelohrentzündungen  entstehen  können. 

Meiner  Erfahrung  nach  eignen  sich  die  Rachenzangen  zur  Erfüllung  der 
obigen  Postulate  am  besten;  ich  bediene  mich  seit  langen  Jahren  einer  Zange, 
deren  Anwendung,  selbst  ohne  grosse  Vorübung,  eine  leichte  ist  und  vermittelst 
welcher  es  gelingt,  die  hypertrophische  Tonsille  meist  in  einem  Zuge 
oder  höchstens  bei  zweimaligem  Einführen  in  toto  und  in  wenigen  Secunden 
abzutragen.  Das  22  cm  lange  Instrument  (Fig.  4)  ist  an  seinem  vorderen 
Theile  leicht  S-förmig  gekrümmt  und  endet  in  2  unter 
stumpfem  Winkel  abgehende  Arme,  deren  ovale,  gefen- 
sterte  Gestalt  ungefähr  der  Form  des  Nasenrachens 
entspricht;  die  oberen  und  hinteren  Innenflächen  der 
Zangenlöffel  sind  scharf  geschliffen;  bei  Erwachsenen 
wende  ich  eine  massig  grosse,  bei  Kindern  eine  etwas 
kleinere  Zange  an.  Bei  der  Operation  wird  der  Kopf 
des  Patienten  von  einem  Assistenten  gut  fixirt,  während 
die  Arme  vermitteist  lederner  Riemen  an  die  Sessell'ehne 
befestigt  sind;  Chloroform  oder  Bromäthyl  ist  nur  bei 
ängstlichen  Patienten  nothwendig,  aber  nur  bis  zu  dem 
Grade,  dass  der  Kranke  ruhiger  geworden  und  sich  gut 
festhalten  lässt;  ist  die  Narkose  nicht  nothwendig,  so 
kann  man  10 — 20^0  Cocainlösung  in  den  oberen  Rachen- 
raum einpinseln,  um  den  immerhin  schmerzhaften  Ein- 
griff etwas  zu  mildern,  —  Der  Arzt  hält  den  Mund 
des  Kranken  mit  dem  durch  einen  Langenbeck' sehen 
Metallfinger  geschützten  linken  Zeigefinger  weit  offen, 
wobei  er  mit  der  freien  Fingerspitze  die  Zunge  gut 
hinunter  drückt,  dann  führt  er  mit  der  rechten  Hand 
die  geschlossene  Zange  in  den  Nasenrachenraum  nach 
hinten  und  oben,  öffnet  sie  sehr  weit  und  unter  einem 
ziemlich  starken  Drucke  gegen  das  Rachendach  schliesst  er  dieselbe  fest  und 
zieht  sie  dann  aus  dem  Munde  zurück;  hiebei  thut  man  gut,  den  Zangenschaft 
leicht  gegen  die  oberen  Zähne  zu  drängen,  um  die  durchgeschnittenen  Massen 
vollständig  abzuhebein.  Der  grösste  Theil  der  Drüse  ist  nun  in  der  Zange, 
deren  gefensterte  Löffel  die  Compression  grosser  adenoider  Gewebsmassen 
gestatten;  entspricht  jedoch  die  Grösse  der  exstirpirten  Theile  nicht  dem 
Befunde  der  früheren  Untersuchung,  so  wird  die  Zange  ein  zweitesmal  ein- 
geführt, um  den  Rest  der  Drüse  zu  entfernen.  Unmittelbar  nach  der  Operation 
überzeugt  man  sich  per  digitum,  ob  alles  entfernt  und  ob  die  Choanen  völlig 
frei  sind,    bei  welcher  Gelegenheit  kleinere  allenfalls  zurückgebliebene  Vege- 


73 

■Fig.  i. 
KUHN'sche  Zange. 


ADENOIDE  VEGETATIONEN.  15 

tationen  mit  der  Fingerspitze  noch  losgelöst  werden  können.  Die  Blutung  ist 
ziemlich  stark,  steht  aber  bald  und  ganz  spontan;  der  Kranke  schneuzt  ein 
Nasenloch  nach  dem  anderen  aus,  um  die  Blutgerinnsel  zu  entfernen.  Er  wird 
alsdann  ins  Bett  gebracht,  wo  er  2—3  Tage  bleiben  muss  und  während  die- 
ser Zeit  einen  Eisbeutel  um  den  Hals  trägt;  nur  etwas  kühle,  flüssige  oder 
breiige  Nahrung  ist  während  dieser  Zeit  gestattet,  und  mit  einem  weiteren 
3— 4tägigen  Aufenthalte  im  Zimmer  ist  in  den  meisten  Fällen  die  Nach- 
behandlung ohne  andere  Zuthaten  vollständig  beendet. 

Besteht  neben  der  hyperplastischen  Ilachentonsille  auch  eine  stärkere 
Hypertrophie  einer  oder  beider  Gaumentonsillen,  so  müssen  diese  in  erster 
Linie  und  unmittelbar  nachher  die  Pharynxdrüse  entfernt  werden.  Bei  nur 
geringgradigen  Anschwellungen  der  Gaumenmandeln  ist  ihre  Abtragung  nicht 
nothwendig;  sie  haben  an  und  für  sich  keinerlei  Nachtheil  und  atrophiren 
meist  in  späteren  Jahren  mehr  oder  weniger  vollständig. 

Während  der  ersten  Tage  nach  der  Operation  tritt  eine  ziemlich  reich- 
liche blutig-schleimige  Absonderung  aus  Nase  und  Nasenrachen  ein,  zu  deren 
Ausschneuzen  die  Kinder  häufig  aufgefordert  werden  müssen;  ausserdem  ist  es 
bei  Kindern  und  Erwachsenen  nothwendig,  dieselben  bald  an  methodische 
tiefe  Athembewegungen  durch  die  Nase  bei  geschlossenem  Munde  zu  gewöhnen, 
die  mehreremale  im  Tage  gemacht  und  4—6  Wochen  lang  fortgesetzt  werden 
müssen;  nur  auf  diese  Weise  entwöhnen  sich  diese  Patienten  der  abnormen 
Mundathmung,  in  die  sie,  selbst  nach  vollständiger  Abtragung  der  Tonsille, 
aus  alter  Gewohnheit  immer  und  immer  wieder  verfallen;  die  Kinder  sollen 
ausserdem  daran  gewöhnt  werden,  in  der  Seitenlage  zu  schlafen,  um  das 
Herabsinken  des  Unterkiefers  zu  verhüten,  was  bei  der  Rückenlage  leicht 
erfolgt;  unter  solchen  Maassnahmen  stellt  sich  bei  gehorsamen  Kindern  und 
aufmerksamen  Eltern  die  physiologische  Nasenathmung  fast  regelmässig  nach 
wenigen  Wochen  ein.  Wenn  nothwendig,  erzielen  wir  dieses  Resultat  auch 
durch  die  sogenannten  Contrarespiratoren  (Gute),  Anoralrespirator 
(Vohsen)  oder  den  HEBROCK'schen  Lungenschoner,  Instrumente,  die 
anfangs  bei  Tage,  später  auch  bei  Nacht  getragen  werden  sollen;  andere 
Kinder  dagegen  erlernen  es  nie,  durch  die  Nase  zu  athmen,  trotz  aller  Contra- 
respiratoren, theils  aus  Unachtsamkeit,  theils  aus  zu  langer  schlechter  An- 
gewöhnung, theils  auch  wegen  zu  langer  Unthätigkeit  der  Wangenmuskulatur 
und  dadurch  entstandener  Atonie  und  Atrophie  des  Musculus  orbicularis. 

Zuweilen  kommt  es  auch  nach  Monaten  oder  Jahren  zu  Recidiven 
der  Hyperplasie;  der  Mund  steht  wieder  offen,  die  nasale  Stenose  ist 
zurückgekehrt;  solche  Recidive  kommen  vor,  zwar  selten,  aber  sie  treten  ein 
nach  den  verschiedensten  und  bestausgeführten  Operationsmethoden,  wie  wir 
dies  übrigens  auch  von  der  hypertrophischen  Gaumenton sille  wissen;  ich  habe 
solche  Recidive  bei  Kranken  beobachtet,  die  ich  nach  meiner  Methode  „total" 
operirt  zu  haben  glaubte,  aber  ich  habe  auch  deren  gar  manche  gesehen,  die 
von  viel  „unfehlbareren"  Händen  nach  anderen  Methoden  operirt  worden 
waren. 

Während  der  Nachbehandlung  kommt  es  zuweilen  zu  etwas  stärkeren 
Entzündungen  in  der  Umgebung  der  Wundfläche,  zu  Schwellungen  des  weichen 
Gaumens,  der  hinteren  Rachenwand  und  zu  Ohrenschmerzen;  alle  diese  Er- 
scheinungen gehen  rasch  vorüber  und  bedürfen  keiner  Behandlung;  in  anderen 
wenigen  Fällen  kann  sich  aber  unter  heftigeren  Schmerzen  eine  acute  eiterige 
Mittelohrentzündung  mit  Durchbruch  des  Trommelfelles  entwickeln;  sie  endet 
gleichfalls  unter  der  bekannten  Ohrtherapie  (Priessxitz,  Carbolglycerin, 
Borsäure)  nach  mehreren  Tagen  mit  vollständiger  Heilung,  geht  aber,  wenn 
übersehen  oder  vernachlässigt,  in  eine  chronische  Mittelohreiterung  über. 
Diese  Ohrcomplication  wird  besonders  dann  eintreten  können,  wenn  bald  nach 
der  Operation  Nasendouchen,  desinficirende  Einspritzungen  zur  Reinigung  des 


16  ADENOME  DES  LARYNX. 

Nasenrachens  angewendet  worden  sind;  ich  habe  deshalb  auch  seit  Jahren 
hievon  Abstand  genommen,  umsomehr,  als  das  mehreremale  im  Tage  vor- 
genommene Ausschnauben  der  Nase  —  durch  abwechselndes  Verschliessen 
bald  des  einen  bald  des  anderen  Nasenloches  —  zur  Entleerung  der  Nasen- 
secrete  vollständig  genügt;  nur  wenn  nach  10—14  Tagen  die  Secretion  noch 
sehr  profus  sein  sollte,  können  pulverförmige  Adstringentien,  wie  Borsäure, 
Sozojodolnatrium  u.  s.  w.,  in  die  Nase,  resp.  Nasenrachen  eingeblasen  werden. 
—  Die  bei  der  hyperplastischen  ßachentonsille  zuweilen  bestehenden  An- 
schwellungen der  vorderen  und  hinteren  Nasenmuschelenden  gehen  häufig 
nach  der  Operation  spontan  zurück;  anderen  Falles  müssen  dieselben  galvano- 
kaustisch abgetragen  werden. 

Nicht  allzu  lange  Zeit  nach  der  Abtragung  der  kranken  Drüse  zeigt 
sich  im  ganzen  Verhalten  unserer  Patienten  eine  wesentliche  Aenderung:  die 
Kinder  schliessen  regelmässig  den  Mund,  selbst  während  der  Nacht,  sie 
schnarchen  nicht  mehr,  schlafen  ruhig,  haben  besseres  Aussehen  und  sind 
munterer  Dinge;  ihr  Gehör  hat  sich  wesentlich  gebessert,  ihre  Sprache  ist 
nicht  mehr  näselnd,  und  in  späteren  Tagen  treten  auch  die  Mängel  ihrer 
geistigen  Entwicklung  mehr  und  mehr  zurück. 

Die  Ohrerkrankungen,  welche  so  häufig  diese  Rachenkrankheit  be- 
gleiten, zeigen  je  nach  ihrer  Natur  verschiedenes  Verhalten;  in  den  Fällen 
von  mechanischer  Verlegung  der  Tuba  bessert  sich  das  Gehör  sehr  bald  und 
erreicht  die  normale  Schärfe  ohne  jedwede  Behandlung;  in  anderen  Fällen 
ist  die  PoLiTZEE'sche  Luftdouche  zur  völligen  Wegbarkeit  der  Eustachischen 
Röhre  nothwendig;  dieselbe  darf  jedoch  nie  vor  Ablauf  von  circa  14  Tagen 
in  Anwendung  kommen,  weil  sonst  die  noch  vorhandenen  Secretmassen  im 
Nasenrachenraum  mit  ihren  Mikroorganismen  gewaltsam  in  die  Tube  und  das 
Mittelohr  getrieben  und  hier  leicht  Entzündungen  verursachen  wäirden.  — 
Selbst  chronische  eitrige  Mittelohrprocesse  von  mehrjähriger  Dauer  bessern 
sich  nicht  selten  nach  dieser  Tonsillotomie,  können  sogar  vollständig  heilen 
mit  Vernarbung  nicht  allzugrosser  Trommelfellperforationen;  eine  andere  Reihe 
derartiger  Ohreiterungen  mit  Polypenbildung  und  Caries  dauern  jedoch  fort 
und  bedürfen  einer  längeren  rationellen  Behandlung;  diese  vorgeschrittenen, 
hartnäckigen  Formen  von  Mittelohrprocessen  beobachten  wir  besonders  bei 
Kindern,  die  schon  lange  Jahre  hindurch  an  diesen  schädlichen  Folgeerschei- 
nungen laborirt  haben;  bei  denselben  treten  auch  die  übrigen  günstigen  Ver- 
änderungen nach  der  Mandeloperation  nicht  so  rasch  und  auch  nicht  immer 
zu  Tage;  um  auch  bei  ihnen  gute  Resultate  zu  erzielen,  müssen  als  Nach- 
curen  Salzbäder,  Eisenpräparate,  Arsenik  (Roncegno-  oder  Levicowasser),  Auf- 
enthalt in  gebirgigen  Waldgegenden  in  Anwendung  kommen. 

Alles  in  allem  dürfte  der  praktische  Arzt  nicht  allzu  häufig  nach 
einem  ebenso  leichten  wie  unbedenklichen  operativen  Eingriffe  so  schöne 
Heilerfolge  zu  verzeichnen  hab  en,  wie  die  nach  derAbtragung 
der  hyperplastischen  Rachentonsille;  anämische,  schlecht  genährte 
Kinder  mit  sogenanntem  Habitus  scrophulosiis  bieten  schon  wenige  Wochen 
nach  der  Operation  das  Bild  besserer  Gesundheit,  sind  munter,  haben  mehr 
Appetit,  schlafen  ruhig  und  zeigen  auch  in  ihrem  geistigen  Wesen  so  erfreu- 
liche Fortschritte,  dass  sie  bald  in  nichts  mehr  hinter  ihren  Altersgenossen 
zurückstehen.  •  kühn. 

Adenome  des  Larynx  sind  sehr  seltene  Geschwülste,  sie  wurden 
beschrieben  von  Bruns,  M.  Mackenzie  und  von  Böckel.  Es  handelte  sich 
um  grosse,  ziemlich  harte  Geschwülste,  welche  breit  aufsassen  und  nach  der 
histologischen  Untersuchung  aus  vielfach  verzweigten  Drüsenschläuchen  be- 
standen.    Sie  wurden  abgetragen  und  recidivirten  nicht.  ch. 


AGEüSIE.  -  AKTINOMYKOSIS.  -  ANGINA.  17 

AgeUSiB.  (Anaesthesla  gustatoria.)  Der  Verlust  des  Geschmackssinnes 
tritt  seiner  Aetiologie  nach  auf  als: 

1.  centrale  Ageusie.  Die  cerebralen  Bahnen  der  Geschmacksnerven 
sind  afficirt.  Ihr  Verlauf  ist  nicht  vollständig  sichergestellt;  nach  experimen- 
tellen Ergebnissen  laufen  sie  durch  das  hintere  Drittel  d(3s  hinteren  Schenkels 
der  Capsula  interna; 

2.  als  L ei tungs- Ageusie.  Die  den  Geschmackssinn  vermittelnden 
Nervenbahnen,  der  Nervus  glossopharyngeus,  der  Geschmacksnerv  der 
hinteren  Zungenpartien,  oder  der  Nervus  lingualis,  der  Geschmacksnerv 
der  Zungenspitze  und  ihrer  Ränder,  sind  erkrankt; 

3.  als  periphere  Ageusie.  Die  peripheren  Endorgane  der  Geschmacks- 
nerven (Geschmacksknospen)  sind  in  ihrer  Perceptionsfähigkeit  gehindert. 
Zungenerkrankungen  (Glossitis,  Zungenbelag)  oder  Zungenläsionen  aus  natür- 
licher oder  artificieller  Ursache  (Aetzung,  Exstirpatio  linguae)  sind  die  directe 
Veranlassung  dieser  Art  von  Geschmacks verlust.  —  Ausführlicheres  über 
Ageusie  im  Artikel  .^Geschmackssinnsstörungen'-'-  dieses  Sammelwerkes,  {Int. 
Med.  Bd.  I.  pag.  775.)  R. 

Aktinomykosis  oris,  pharyngis  et  laryngis.    Die  Mundhöhle  ist 

sehr  häufig  der  Sitz  primärer  Aktinomykosisherde.  Tonsillen,  Weichtheile 
der  Wangen  und  Zunge,  am  häufigsten  aber  der  Unterkiefer  sind  die 
beliebten  Ansiedlungspunkte  des  Strahlenpilzes.  Die  Zungenaktinomykose 
zeigt  kleinere  und  grössere  ziemlich  harte  Knoten,  die  allmählich  abscediren 
(Rosenberg).  Die  Aktinomykose  des  Pharynx  entsteht  durch  Invasion  der 
Pilze  vom  Munde  aus.  Schlange  beobachtete  einen  Fall  von  retropharyn- 
gealem  Aktinomykosis-Abscess.  Ein  Uebergreifen  der  infectiösen  Erkrankung  auf 
den  Larynx  wurde  von  einzelnen  Autoren  beschrieben  (Grossmann,  Koschier). 
Der  Process  zeigte  sich  im  Kehlkopf  in  Form  starrer  Infiltrate,  welche 
Aryknorpel  und  ary-epiglottische  Falten  betrafen.  Ueber  die  Pathogenese, 
Verlauf  und  Therapie  der  Aktinomykosisinfection  vergleiche  Artikel 
„AJäinonigkose"  in  der  Disciplin  ,^  Chirurgie'-^.  r. 

Angina.  Das  Wort  Angina  kommt  vom  griechischen  ay/o)  (zuschnüren, 
besonders  die  Kehle);  dafür  wird  bei  den  griechischen  Schriftstellern  oft 
Kynanche  gebraucht.  Auch  Sgnanche,  Parakynanche  und  Parasynanche  kommen 
oft  vor  als  Ausdrücke  für  Pharynx-  und  Larynxkrankheiten  mit  oder  ohne 
äussere  Erscheinungen,  ohne  jedoch  immer  dasselbe  zu  bedeuten. 

Unter  Angina  versteht  man  jetzt  eine  acute,  entzündliche  Er- 
krankung des  Isthmus  faucium,  und  zwar  kann  die  Entzündung  den 
ganzen  Isthmus  oder  nur  einzelne  Theile  desselben  betreffen. 

Nicht  selten  sind  auch  die  benachbarten  Gebilde,  so  die  hintere  Rachen- 
wand und  der  Zungengrund  ergriffen;  da  diese  letzteren  Erkrankungen 
aber  meistens  nicht  unter  dem  Namen  Angina  geführt  werden,  so  wird  hier 
nur  von  den  entzündlichen  Erkrankungen  des  Isthmus  die  Rede  sein.  Ganz 
ausgeschlossen  ist  ferner  von  der  Besprechung  die  Angina  Ludovici  (s.  d), 

Eintheilung:  Die  Eintheilungsgründe  sind  verschieden:  theils  die 
Aetiologie,  theils  die  Localisation,  theils  auch  der  Verlauf;  eine  correcte  Ein- 
theilung kann  daher  nicht  stattfinden. 

Man  unterscheidet  nach  dem  gegenwärtigen  Gebrauche  folgende  Formen: 
Angina  catarrhalis  simplex^  Angina  tonsillaris  simplex  (Tonsillitis  simplex)^ 
Tonsillitis  (s.  Angina)  follicularis,  Tonsillitis  (s.  Angina)  lacunaris,  Angina 
memhranacea  benigna ,  Angina  streptococcica ,  Angina  phlegmonosa,  Angina 
erysipelatosa,  Angina  diphtheritica  (s.  Diphtherie),  Angina  herpetica,  lepto- 
tricea,  aphthosa,  syphilitica,  tuhercidosa,  ulcerosa,  toxica  und  Angina  veranlasst 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten,  ^ 


18  ANGINA. 

durch  SoorpUz,  Cachexie,    Rheumatismus,    Lyssa,    Milzbrand,    Masern,    Schar- 
lach elc. 

1.  Angina  catarrlialis.  Bekanntlich  eine  der  häufigsten  Erkrankungen, 
besonders  bei  Kindern.  Aetiologie:  Dieselbe  ist  unklar;  als  häufigste  Ur- 
sache wird  Erkältung  angenommen,  wahrscheinlich  ist  jedoch,  dass  dieselbe 
nur  ein  disponirendes  Moment  ist;  die  eigentliche  Ursache  dürfte  in  einem 
Mikroorganismus  gelegen  sein,  wofür  ihr  Auftreten  in  einer  Art  epidemischer 
Form,  namentlich  in  überfüllten  Räumen,  oft  Schüttelfrost  bis  40*^  C  Fieber, 
Milzschwellung,  hochgradige  Mattigkeit  sprechen. 

Localerscheinungen:  Dieselben  bestehen  in  Röthung  und  mehr  oder 
weniger  hervortretender  Schwellung  der  Gebilde  des  Isthmus  faucium  nebst 
bedeutender  Vermehrung  der  Secretion;  dieselbe  ist  anfangs  rein  schleimig, 
später  eiterig.  Drüsenschwellungen  unter  den  Kieferwinkeln  werden  ge- 
wöhnlich  beobachtet. 

Subjective  Beschwerden:  Brennen  im  Halse,  Schmerzhaftigkeit, 
besonders  beim  Schlingen,  Gefühl  von  Trockenheit;  die  Behinderung  des 
Schlingens  geht  oft  so  weit,  dass  auch  der  Speichel  und  Schleim  nicht  ver- 
schluckt wird,  sondern  beim  Munde  herausrinnt.  Die  Schlingbeschwerden 
sind  veranlasst  durch  starke  Steigerung  der  Sensibilität  der  Schleimhaut  und 
durch  Infiltration  der  Muskeln  mit  Serum  oder  einem  zelligen  Exsudate. 
Nicht  selten  beobachtet  man  daher  nach  Anginen  ein  Zurückbleiben  von 
Schwäche  des  weichen  Gaumens.  Diese  Schwäche  bedingt  auch  Störungen 
in  der  Sprache. 

Allgemeine  Erscheinungen:  Die  Erkrankung  beginnt  häufig  mit 
Schüttelfrost  und  verläuft  dann  mit  starkem  continuirlichem  Fieber,  namentlich 
bei  Kindern,  bei  welchen  es  auch  nicht  selten  zu  Reizerscheinungen  des 
Gehirns  als  Kopfschmerz,  Erbrechen,  ja  Convulsionen  kommt.  Bei  Erwach- 
senen fehlt  aber  gewöhnlich  das  Fieber. 

Der  Verlauf  erstreckt  sich  gewöhnlich  auf  wenige  Tage;  das  Fieber 
hört  früher  auf  als  die  localen  Beschwerden;  oft  aber  bleibt  längere  Zeit 
noch  Schwäche  und  Mattigkeit  zurück. 

Die  Diagnose  wird  im  Anfange  durch  das  heftige  Fieber  schwierig 
gemacht,  da  die  localen  Erscheinungen  oft  erst  nach  einem  halben  oder  ganzen 
Tage  deutlich  sind;  man  könnte  deswegen  im  Anfange  an  eine  schwere  Infec- 
tionskrankheit  denken.  Die  Differentialdiagnose  wird  zunächst  gegen 
Diphtherie  zu  stellen  sein,  namentlich  bei  Kindern.  Als  ausschlaggebendes 
Moment  wäre  hier  zu  verwenden  der  Umstand,  dass  die  Diphtherie  meist  nicht 
so  plötzlich  und  mit  so  hohem  Fieber  beginnt  wie  die  einfache  Angina;  doch 
sind  auch  Fälle  bekannt,  wo  aus  einer  anscheinend  einfachen  Angina  eine 
heftige  Diphtherie  sich  entwickelte.  Jedenfalls  gibt  die  Beobachtung  durch 
einige  Tage  Aufschluss.  Die  Differentialdiagnose  gegen  die  anderen  Formen 
der  Angina  ergibt  sich  aus  den  folgenden  Beschreibungen. 

Die  Prognose  ist  absolut  günstig. 

Therapie:  a)  Die  Prophylaxe:  dieselbe  besteht  in  Kräftigung  und 
Abhärtung,  namentlich  durch  zweckmässige  Ernährung,  Aufenthalt  in  frischer 
Luft,  tägliche  kalte  Waschungen.  Als  Schädlichkeiten  sind  besonders  zu  ver- 
meiden der  Aufenthalt  in  schlecht  ventilirten  Räumen,  die  staubig  und  rauchig 
sind;  chronische  Veränderungen  im  Halse  als:  Granulationen,  Hypertrophie 
der  Tonsillen,  adenoide  Vegetationen  oder  Nasenerkrankungen,  welche  die 
Athmung  durch  die  Nase  behindern,  müssen  hintangehalten  oder  beseitigt 
werden;  besonders  muss  Sorge  getragen  werden,  systematisch  auch  im  ge- 
sunden Zustande  den  Mund  und  den  Rachen  mit  einem  leichten  Desinficiens 
zu    reinigen,    h)  Die  symptomatische  Behandlung:    gegen  das  Fieber 


ANGINA.  19 

ist  für  gewöhnlich  keine  Therapie  einzuleiten,  nur  bei  schweren  Erschei- 
nungen bei  Kindern  wird  sich  Anwendung  von  Kälte,  Eishauben  auf  den 
Kopf  etc.  empfehlen;  sonst  kann  man  sich  mit  der  Verabreichung  von  Phos- 
phorsäure behelfen,  Chinin  hat  hier  gar  keinen  Einfiuss  auf  das  Fieber. 
Gegen  die  localen  Erscheinungen  sind  desinficirende  und  schmerzstillende 
Gurgelwässer,  Einspritzungen  oder  Zerstäubungen*)  anzuwenden. 

Bei  Kindern,  die  nicht  gurgeln  können,  muss  man  gut  schmeckende  und 
leicht  desinficirende  Getränke  geben,  oder  den  Isthmus  pharyngis  ausspritzen, 
wobei  man  den  Kopf  des  Kindes  sehr  stark  nach  vorne  hält.  Bei  heftigen 
Schmerzen  sind  kalte  Getränke,  Fruchteis,  Eispillen  und  kalte  Umschläge 
angezeigt;  diese  können  entweder  in  der  Form  von  kalten  Tüchern  oder  Eis- 
beuteln (unter  welche  eine  dicke  Compresse  zu  legen  ist)  oder  LEiTER'schen 
Kühlröhren  angewendet  werden,  manchmal  geben  feuchtwarme  Compressen 
mehr  Erleichterung;  nie  vergesse  man  auf  leichten  Stuhlgang  zu  sehen. 

2.  Angina  tonsillaris  simplex  seu  parenchymatosa.  Ebenfalls  eine 
der  häufigsten  Erkrankungen,  namentlich  des  kindlichen  Alters.  Die  Aetio- 
logie  ist  dieselbe  wie  bei  der  früher  besprochenen  Erkrankung. 

Localerscheinungen:  Die  Röthung  und  Schwellung  der  Mandeln 
kann  einen  sehr  bedeutenden  Grad  erreichen,  so  dass  dieselben  sich  in  der 
Mitte  berühren,  zuw^eilen  bilden  sich  kleine  Abscesse  in  der  Mandelsubstanz  aus. 

Die  subjectiven  Beschwerden  sind  dieselben  wie  bei  der  Angina 
catarrhalis,  nur  sind  die  Schlingbeschwerden  noch  bedeutender;  dazu  kommt 
noch,  dass  nicht  selten  neben  den  Mandeln  auch  die  anderen  Gebilde  des 
Isthmus  faucium  von  der  Entzündung  ergriffen  werden. 

Der  Verlauf  ist  derselbe  wie  bei  der  Angina  catarrhalis,  die  Diag- 
nose leicht,  da  nur  mit  wenigen  Erkrankungen  Verwechslungen  stattfinden 
könnten,  so  mit  dem  primären  Chancre  der  Mandeln.  Die  bedeutende  Härte, 
düstere  Röthe  der  Tonsille,  die  starke  indolente  Schwellung  der  Drüsen  am 
ünterkieferwinkel,  ausserdem  die  Einseitigkeit  der  Erkrankung,  das  Fehlen 
des  Fiebers,  die  anamnestischen  Momente,  der  oft  Wochen  dauernde  Verlauf 
und  der  Einfluss  der  antisyphilitischen  Therapie  charakterisiren  den  letzteren 
hinreichend.  Ferner  könnte  noch  ein  Sarkom,  namentlich  ein  Lympho-Sarkom 
der  Mandel,  bei  oberflächlicher  Betrachtung  für  acute  Tonsillitis  gehalten 
werden;  hier  aber  ist  es  besonders  die  Einseitigkeit  der  Erkrankung  und 
häufig  auch  das  Auftreten  von  tumorartigen  Gebilden  an  der  hinteren  Bachen- 
wand und  in  der  Substanz  des  weichen  Gaumens  selbst,  sowie  der  langsame 
fieberlose  Verlauf,  der  eine  Verwechslung  unmöglich  macht.  Dasselbe  gilt 
auch  von  den  chronischen  Veränderungen  der  Mandeln,  die  sich  durch  Blässe, 
sowie  Schmerzlosigkeit,  Fehlen  des  Fiebers  leicht  abgrenzen  lassen. 

Die  Prognose  ist  günstig. 

Therapie:  a)  Die  Prophylaxe  hat  dieselben  Regeln  zu  befolgen  wie 
bei  Angina  catarrhalis,  ausserdem  aber  hat  man  die  chronisch  vergrösserten 
Mandeln  zu  entfernen,  weil  solche  erfahrungsgemäss  zu  acuter  Erkrankung 
sehr  disponiren.  Bei  kleineren  Mandeln,  die  nicht  leicht  entfernt  werden 
können,  hat  man  die  Nischen  auszuätzen,  sei  es  mit  Lapis  oder  mit  dem 
Galvanokauter,  oder  man  hat  theilweise  verdeckte  Nischen  durch  Schlitzung 
freizulegen,  auszukratzen  und  zu  ätzen;  besonders  bei  Kindern,  welche  oft 
jeden  Monat  von  Angina  tonsillaris  betroffen  werden,  hat  diese  Therapie  oft 
die  glänzendsten  Erfolge.  Z>)Die  symptomatische  Behandlung  ist  die- 
selbe wie  bei  Angina  catarrhalis,  nur  müssen  natürlich  kleine  Abscesse  früh- 
zeitig eröffnet  werden;  sollten  die  Tonsillen  durch  ihre  hochgradige  Schwel- 


>:•)  Vide  die  Artikel  „Gargarismen"  find  ^Inhalationen"  in  diesem  Bande. 


20  ANGINA. 

lung  Athembeschwerden    verursachen   (was  aber  ausserordentlich    selten   ist), 
so   dürfen  sie  auch  im  entzündeten  Zustande  abgetragen  werden. 

3.  Angina  follicularis  {Tonsillitis  follicularis).  Gleichfalls  eine  fieber- 
hafte Erkrankung  mit  ähnlichen  Erscheinungen  wie  die  beiden  früheren. 
Aetiologie  ebenfalls  dieselbe. 

Loca  1er  seh  einungen:  Durch  Vereiterung  von  Drüsenfollikeln  ent- 
stehen punktförmige,  weisse  oder  gelbliche  Flecke  auf  der  Oberfläche  der 
entzündeten  Mandel;  diese  Flecke  werden  zu  Geschwüren,  welche  dann  bald 
verheilen.     Meist  betrifft  die  Erkrankung  beide  Mandeln. 

Verlauf  gutartig,  nimmt  meist  nur  wenige  Tage  in  Anspruch.  Manch- 
mal  kann   sich  eine  heftige  phlegmonöse  Angina  anschliessen. 

Therapie  ist  dieselbe  wie  bei  den  früheren  Formen,  höchstens  sind 
hier  angezeigt  Gurgelungen  oder  Bepinselungen  der  Mandeln  (mit  1:2000 
Sublimatlösung). 

4.  Angina  lacunaris  {seu  Tonsillitis  lacunaris).  Hier  findet  man  im 
Secrete  der  Lacunen  nebst  Eiter  und  Epithelzellen  immer  eine  Menge  von 
Mikroorganismen,  besonders  Streptococcen  und  Staphylococcen,  daher  wird  sie 
als  Infectionskrankheit  betrachtet;  auch  hat  man  öfters  ein  epidemisches  Auf- 
treten dieser  Erkrankung,  namentlich  bei  Mitgliedern  derselben  Familie  beob- 
achtet. Es  gibt  aber  auch  jetzt  noch  viele  Autoren,  welche  die  Angina 
follicularis  und  Angina  lacunaris  nicht  von  einander  trennen,  da  man  auch 
manchmal  bei  der  ersteren  Form  pathogene  Mikroorganismen  findet.  Die  Unter- 
scheidung von  Diphtherie  (s.  d.)  ist  im  Anfang  oft  sehr  schwer.  Man  findet 
bei  ihr  gleich  bei  Beginn  des  Fiebers  auf  der  Oberfläche  der  Mandeln  meist 
graue  oder  gelbliche  Flecke  und  Streifen,  die  aus  den  Nischen  der  Mandeln 
lierausragen.  Dieselben  können  an  der  Oberfläche  zu  grösseren  Flecken  con- 
fluiren  und  gelegentlich  Verdacht  auf  Diphtherie  erregen.  Zur  Behandlung 
«mpfiehlt  sich  besonders  die  Bepinselung  mit  1:2000  Sublimatlösung. 

5.  Angina  membranacea  benigna,  Angina  fibrinosa.  Unter  massigen 
Fiebererscheinungen  entstehen  Membranen  ausgesprochener  Art,  nämlich  aus 
Fibrin  bestehend,  aber  nicht  bloss  auf  den  Mandeln,  sondern  auch  auf  den  Gaumen- 
bögen und  dem  Velum,  ja  sie  können  sich  sogar  auf  den  Rachen  verbreiten; 
endlich  kommt  es  auch  zuweilen  zur  Ausbreitung  der  Membranen  in  den 
Kehlkopf,  woselbst  sie  jedoch  klein  bleiben  und  keine  Stenose  erzeugen.  Diese 
Formen  sind  klinisch  sehr  schwer  von  der  Diphtherie  zu  trennen,  da  nur  die 
bacteriologische  Untersuchung  zeigt,  dass  kein  KLEBS-LöFFLEß'scher  Bacillus 
z;u  finden  ist,  sondern  nur  Streptococcen  oder  Staphylococcen  vorhanden  sind; 
man  hat  daher  auch  diese  Form  als  Streptococ  cen-Diphtherie  be- 
zeichnet. Der  Verlauf  ist  ein  gutartiger,  wenn  auch  heftiges  Fieber  und 
Schlingbeschwerden  damit  verbunden  sein  können.  Zur  Behandlung  eignet 
sich  auch  wieder  Sublimat.  Manchmal  zieht  sich  die  Erkrankung  sehr  in  die 
Länge  und  dauert  in  Nachschüben  viele  Wochen. 

6.  Angina  erysipelatosa.  Dieselbe  wird  veranlasst  durch  den  Fehleisen' 
sehen  Streptococcus  und  verläuft  so  wie  das  Erysipel  der  äusseren  Haut; 
gewöhnlich  entwickelt  es  sich  durch  Fortschreiten  des  Gesichtserysipels  in 
den  Mund  oder  die  Nase  und  von  da  auf  den  Isthmus;  doch  gibt  es  auch 
primäres  Erysipel  des  Rachens  und  des  Isthmus.  Ob  eine  Verletzung  der 
Schleimhaut  zum  Eindringen  der  Coccen  nöthig  ist,  ist  nicht  sicher,  aber  sehr 
wahrscheinlich;  wissen  wir  ja  doch,  dass  sich  gerade  von  den  Rhagaden  des 
Naseneinganges  aus  häufig  Gesichtserysipel  entwickelt. 

Die  Localerscheinungen  bestehen  in  starker  Röthung,  oft  livider 
Verfärbung  und  Schwellung  der  Schleimhaut,  oft  mit  Blasenbildung  combinirt; 
die  Blasen  platzen  sehr  schnell,  und  es  entstehen  dann  oberflächliche,  leicht 


ANGINA.  21 

belegte  Excoriationen.  Die  Schwellung  hat  gewöhnlich  an  einem  Punkt  am 
zweiten  oder  dritten  Tage  ihren  Höhepunkt  erreicht,  und  es  werden  dann 
benachbarte  Theile  ergriffen,  die  in  derselben  Weise  bis  zum  dritten  Tage 
wieder  gesunden;  ein  Uebergreifen  des  Erysipels  auf  den  Kehlkopf  ist  nicht 
selten  und  bedingt  dann  natürlich  oft  Lebensgefahr,  da  das  begleitende 
Oedem  Stenose  veranlassen  kann;  die  benachbarten  Lymphdrüsen  sind  oft 
geschwollen. 

Allgemeine  Symptome:  Das  Fieber  ist  ein  hohes,  fängt  häufig  mit 
einem  Schüttelfrost  an  und  verläuft  dann  unregelmässig  mit  unerwarteten 
Remissionen  und  Exacerbationen;  die  Nebenerscheinungen  sind  dieselben, 
wie  bei  jedem  heftigen  Fieber. 

Der  Verlauf  ist  manchmal  ein  protrahirter,  indem  nämlich  die 
Erkrankung  langsam  von  einem  Orte  zum  anderen  schreitet,  wie  schon  oben 
angedeutet  durch  den  Mund  oder  die  Nase  auf  die  äussere  Haut,  ja,  es  wurden 
Fälle  beschrieben,  wo  sich  die  Erkrankung  durch  den  Kehlkopf  und  die 
Bronchien  auf  die  Lunge  fortpflanzte  und  dort  die  sogenannte  Pneumonia 
migrans  hervorrief.  Die  Complicationen  sind  dieselben  wie  bei  jedem  anderen 
Erysipel;  so  finden  sich  Entzündungen  vor  in  der  Niere,  den  Lungen,  im 
Herzen,  der  Leber,  in  den  Lymphfollikeln  des  Darmes  etc.,  wahrscheinlich 
durch  die  Stoffwechselproducte  der  Erysipelcoccen  bedingt. 

Die  Diagnose  stützt  sich  auf  das  eigenthümliche  Wandern  des  Pro- 
cesses,  auf  den  typischen  Verlauf  des  Fiebers  und  eventuelle  Ausbreitung  des 
Processes  auf  die  äussere  Haut. 

Die  Therapie  ist  dieselbe  wie  bei  jedem  anderen  Erysipel,  nämlich 
allgemein  gegen  das  Fieber  und  local  gegen  die  Schwellung.  Als  Mittel  da- 
gegen wäre  Kälte  in  Form  von  Eispillen  oder  Eisumschlägen  oder  Pinselungen 
mit  Vaselinöl  anzurathen. 

7.  Angina  phlegmonosa.  Aetiologie:  Verschiedene  Mikroorga- 
nismen scheinen  diese  Erkrankung  zu  bedingen,  so  Streptococcus  pyogenes, 
Staphylococcus  aureus  und  Fehleisen's  Erysipelcoccus  und  der  Pilz  des 
Scharlachs;  während  es  sich  bei  Erysipel  um  Infection  der  oberflächlichen, 
in  der  Cutis  oder  Schleimhaut  gelegenen  Lymphräume  handelt,  sind  hier  die 
Lymphgefässe  des  submucösen  Gewebes  ergriffen;  die  Phlegmone  hat  in  den 
meisten  Fällen  die  Tendenz  zur  Eiterung.  Die  Eingangspforte  der  Infection 
sind  wahrscheinlich  die  Nischen  der  Mandeln;  deswegen  sieht  man  auch  nicht 
selten  die  Phlegmone  sich  an  Angina  follicularis  und  lacunaris  anschliessen. 
Die  Erkrankung  hat  die  Eigenthümlichkeit,  dieselben  Personen  öfter  zu  be- 
fallen; in  solchen  Fällen  empfiehlt  es  sich,  die  Mandeln  zu  entfernen,  oder 
wenn  sie  zur  Tonsillotomie  zu  klein  sind,  sie  mit  dem  Galvanokauter  zu  zer- 
stören; ausserdem  ist  es  angezeigt,  den  Mund  durch  oftmaliges  Ausspülen  mit 
desinficirenden  Flüssigkeiten  von  den  in  ihm  vorhandenen  Mikroorganismen 
zu  säubern.  Die  Entwicklung  einer  Angina  phlegmonosa  von  der  Oberkiefer- 
höhle her  oder  von  den  Zähnen  ist  sehr  selten. 

Local erscheinungen:  Phlegmonöse  Entzündungen  der  Gebilde  des 
Isthmus  pharyngis  können  sowohl  in  der  Substanz  der  Mandel  als  auch  ausser- 
halb derselben  vorkommen;  in  den  Mandeln  selbst  liefern  sie  kleine  iVbscesse» 
welche  sich  leicht  öffnen  lassen.  Am  häufigsten  aber  finden  die  Eiterungen 
in  dem  schon  von  Linhaet  beschriebenen  und  als  Spatium  pharyngo-maxil- 
lare  benannten  Eaume  statt  —  derselbe  liegt  nach  aussen  und  oben  an  der 
Mandel  gerade  hinter  dem  vorderen  Gaumenbogen.  0.  Zuckeekaxdl  hat 
nachgewiesen,  dass  dieser  Raum  durch  die  Musculi  stylo-pharyngeus  und 
stylo-glossus  in  einen  vorderen  und  hinteren  Antheil  zerfällt.  Der  vordere 
dreieckige  Raum,  der  nach  aussen  vom  Musculus  pterygoideus  internus,  nach 
innen  von  der  Mandel  und  nach  hinten  von   obigen  beiden  Muskeln  begrenzt 


22  ANGINA. 

ist,  ist  mit  Fett  und  lockerem  Bindegewebe  erfüllt;  in  ihm  localisiren  sich 
am  häufigsten  diese  Phlegmonen,  die  man  daher  auch  als  Peritonsillitis  be- 
zeichnet; der  hintere  Raum,  der  von  den  Muskeln  nach  rückwärts  bis  an  die 
Wirbelsäule  reicht  und  in  seinem  äussersten  und  hintersten  Antheile  die  Carotis 
interna  und  mehr  nach  vorne  und  aussen  die  Carotis  externa  enthält,  scheint 
nur  sehr  selten  der  Sitz  von  Eiterungen  zu  sein;  denn  der  Eiter  bricht  fast 
immer  durch  die  Mitte  des  vorderen  Gaumenbogens  durch.  Die  Mandel 
wird  nach  unten  und  an  die  Gegenseite  gedrückt,  und  man  kann  fast  immer 
den  Abscess  eröffnen,  indem  man  durch  die  Mitte  des  weit  vorgewölbten  vor- 
deren Gaumenbogens  gerade  nach  hinten  einsticht.  Der  vordere  Gaumen- 
bogen wird  manchmal  durch  den  Eiter  weit  über  das  Niveau  des  gegen- 
seitigen Gaumenbogens  hervorgedrängt,  die  Mandel  selbst  ist  gewöhnlich  nicht 
vergrössert.  Durch  den  Druck  des  Eiters  in  der  Abscesshöhle  wird  eine 
Stauung  in  dem  Gaumenbogen  und  der  Uvula  hervorgebracht,  so  dass  die- 
selben hochgradig  ödematös  werden. 

Symptome  und  Verlauf:  Die  Erkrankung  beginnt  entweder  plötzlich 
oder  schliesst  sich  an  eine  Angina  follicularis  an  und  ist  von  heftigem 
Fieber  begleitet.  Das  Schlingen  wird  nach  wenigen  Tagen  fast  unmöglich, 
Speichel  und  Schleim  rinnen  aus  dem  halb  offenen  Munde  heraus,  die  heftig- 
sten Schmerzen  strahlen  gegen  das  Ohr  heraus,  der  Mund  kann  oft  nur 
wenig  geöffnet  werden;  die  regionären  Lymphdrüsen  sind  meistens  stark 
geschwollen  und  schmerzhaft. 

Die  Diagnose  ist  nach  dieser  Beschreibung  leicht;  es  handelt  sich 
gewöhnlich  nur  darum,  festzustellen,  ob  schon  Eiterung  eingetreten  ist  oder 
nicht;  man  sieht  dies  oft  an  einer  gelblichen  Verfärbung  einer  vorgewölbten 
Stelle  des  vorderen  Gaumenbogens.  Doch  selbst  beim  Fehlen  dieses  Symp- 
toms zeigen  meist  Oedem  der  Uvula  und  klopfende,  gegen  das  Ohr  ausstrah- 
lende Schmerzen  die  schon  vorhandene  eitrige  Schmelzung  an.  Fluctuation  lässt 
sich  oft  durch  einfache  Betastung  oder  mit  der  bimanuellen  Untersuchung 
nachweisen;  ein  Finger  wird  nämlich  hinter  den  Unterkieferwinkel  aufgelegt 
und  ein  anderer  innen  auf  den  geschwollenen  Gaumenbogen  und  die  Mandel 
und  durch  Gegendruck  der  Finger  auch  tiefere  Fluctuation  nachgewiesen; 
hie  und  da  fühlt  man  auch  am  Gaumenbogen  in  der  brettharten  Infiltration 
eine  weiche,  nachgiebige  Gewebslücke  (nach  König);  manchmal  lässt  sich  aber 
nichts  von  Fluctuation  finden,  so  dass  man  dann  nur  nach  dem  Verlaufe  die 
Diagnose  der  eingetretenen  eitrigen  Schmelzung  machen  kann;  wenn  nämlich 
die  Entzündung  schon  mehrere  Tage  gedauert  hat  und  die  Beschwerden  sehr 
heftig  sind,  so  kann  man  mit  Recht  eingetretene  Eiterung  vermuthen  und  wird 
sich  leicht  darüber  Gewissheit  verschaffen,  wenn  man  entweder  mit  einem  feinen 
Probetroiqart  oder  einem  feinen  Tenotom  einen  Einstich  in  die  Prädilections- 
stelle  macht.  Diese  Stelle  entspricht  der  Mitte  einer  Linie,  welche  man  von  der 
Basis  der  Uvula  zum  Weisheitszahn  des  Oberkiefers  zieht;  an  diesem  Punkte 
sticht  man  1 — 2  cm  tief  ein,  und  zwar  durch  den  vorderen  Gaumenbogen  hin- 
durch und  fühlt  sofort  an  dem  Nachgeben  des  Gewebes,  dass  man  sich  in  dem 
vorderen  Antheile  des  Spatium  pharyngo  -  maxillare  befindet;  fliesst  etwas 
Eiter  aus,  so  erweitert  man  den  Einstich  nach  unten  und  etwas  nach  aussen, 
entleert  man  keinen  Eiter,  so  hat  diese  kleine  Operation  keinen  Nachtheil. 
Ja,  die  locale  Blutentleerung  wird  die  Beschwerden  jedenfalls  lindern.  Dieser 
Eingriff  ist  deswegen  ungefährlich,  weil  man  an  diesem  Punkte  durch  einen 
gerade  nach  rückwärts  geführten  Stich  keinen  Schaden  anrichten  kann. 
Die  grossen  Gefässe  liegen  nämlich  sehr  weit  nach  aussen  und  hinten.  Ge- 
lingt es,  Eiter  zu  finden,  so  ist  man  meist  über  die  Menge  desselben  erstaunt. 
Die  Höhle  wird  dann  durch  Ausdrücken  entleert,  eventuell  noch  ausgespritzt, 
und  alle  Beschwerden  hören  nach  wenigen  Stunden  auf.    Die  Incisionsötfnung 


ANGINA.  23 

muss  jedoch  am  nächsten  Tage  stumpf  getrennt  werden,  da  ihre  Iländer 
leicht  verkleben.  Sehr  selten  scheint  sich  die  Eiterung  in  dem  hinteren 
Abschnitte  des  Spatium  pharyngo-maxillare  zu  localisiren,  und  dann  erfolgt 
der  Durchbruch  hinter  dem  hinteren  Gaumenbogen  oder  durch  diesen  selbst; 
man  muss  in  solchen  Fällen  die  Rhinoscopia  posterior  vornehmen  oder  mit 
dem  Finger  hinter  den  hinteren  Gaumenbogen  eingehen  und  daselbst  nach 
Fluctuation  suchen.  Dann  erfolgt  die  Eröffnung  mit  einem  gekrümmten  Messer 
von  hinten.  In  einzelnen  seltenen  Fällen  kommt  es  nur  zu  einer  derben  In- 
filtration der  Gewebe,  ohne  dass  eiterige  Schmelzung  eintritt;  das  Infiltrat 
bildet  sich  dann  langsam  zurück.  Die  Untersuchung  des  Rachens  wird  sehr 
häufig  erschwert  durch  Mundsperre;  solche  ist  bedingt  durch  Entzündung 
und  Infiltration  des  Ligamentum  pterygo-mandibularc,  der  P'ascia  bucco-pha- 
ryngea  oder  des  Kiefergelenkes. 

Complicationen:  Leichteres  Oedem  des  Kehlkopfes  kommt  zwar 
öfters  vor,  aber  Suffbcationsgefahr  ist  merkwürdigerweise  sehr  selten,  ebenso 
Senkungsabscesse.  Letztere  können  auch  zu  Arrosion  von  grossen  Gefässen 
führen;  daher  ist  in  allen  Fällen  frühzeitige  Incision  anzurathen, 

8.  Angina  herpetica.  Als  Aetiologie  nehmen  einige  Forscher 
Reizung  der  sensiblen  Nerven  oder  Erkrankung  derselben  an;  dieselben  sind:  für 
die  Mandeln  der  Nervus  glosso-pharyngeus,  und  für  das  Velum  der  zweite 
Ast  des  Trigeminus.  Merkwürdig  ist  es,  dass  bei  weiblichen  Individuen  sich 
öfters  diese  Erkrankung  zur  Zeit  der  Menses  wiederholt.  Von  anderen  Autoren 
werden  Erkältungen,  schlechte  Luft  und  geistige  Ueberanstrengung  als  Ursache 
beschuldigt. 

Localer  seh  einungen:  Es  bilden  sich  auf  der  gerötheten  Schleim- 
haut, und  zwar  oft  beiderseitig,  kleine  Knötchen,  welche  bald  zu  Bläschen 
werden,  deren  Decken  schnell  zerplatzen;  so  entstehen  weissbelegte,  runde 
Geschwüre,  manchmal  mit  membranartigen  Auflagerungen.  Oefters  fliessen 
mehrere  Bläschen  zusammen  und  lassen  nach  ihrem  Platzen  ein  grösseres 
Geschwür  zurück.  Die  Entzündung  der  Umgebung  ist  oft  eine  sehr  bedeu- 
tende, so  dass  Oedem  entsteht. 

Als  subjective  Beschwerden  machen  sich  brennende  Schmerzen, 
besonders  beim  Schlingen  bemerkbar;  auch  ist  öfters  heftiges  Fieber  vorhanden. 
Die  ganze  Erkrankung  läuft  in  einigen  Tagen  ab,  kann  aber  auch  1 — 2 
Wochen  dauern,  indem  sich  oft  Nachschübe  bilden. 

Als  Complicationen  sind  zu  erwähnen  die  Ausbreitung  der  Erkran- 
kung auf  den  Kehlkopf,  woselbst  sie  durch  starkes  Oedem  sogar  Stenose 
hervorrufen    kann  —  auch   Gaumen    und  Lippen   können  betroffen  werden. 

Die  Diagnose  ist  nach  diesen  charakteristischen  Erscheinungen  leicht; 
verwechselt  könnten  die  Bläschen  oder  Geschwürchen,  die  daraus  hervor- 
gehen, nur  werden  mit  Secrettröpfchen  der  Drüsen,  die  sich  aber  leicht 
wegwischen  lassen,  mit  punktförmigen  Verätzungen,  ferner  mit  Blattern- 
pusteln. Solche  Variolapusteln  entstehen  bekanntlich  nicht  selten  im  Munde  und 
im  Rachen  und  zwar  auch  vor  der  Betheiligung  der  äusseren  Haut;  doch  wird 
hier  eine  kurze  Beobachtung,  das  vorhergehende  heftige  Stägige  Fieber,  der 
Kreuzschmerz  etc.  die  Diagnose  leicht  machen.  Von  Diphtherie  unterscheidet 
sich  der  Herpes  durch  das  Vorkommen  der  Bläschen,  durch  den  leichten  Belag 
auf  den  Geschwürchen  und  seinen  leichten  Verlauf;  endlich  liefert  auch  Pem- 
phigus manchmal  Blasen  auf  der  Schleimhaut,  ohne  dass  die  äussere  Haut 
betheiligt  wäre;  diese  Blasen  sind  aber  bedeutend  grösser  als  die  Herpes- 
blasen;  sie  hinterlassen  meist  langdauernde  Geschwüre  und  sind  häufig  von 
Pemphigus-Eruption  an  der  Haut  gefolgt;  schliesslich  wären  hier  zu  er- 
wähnen die  Aphthen  (siehe  unten). 


24  ANGINA. 

Die  Therapie  Ivann  nur  eine  symptomatische  sein,  schmerzlindernd 
und  antiphlogistisch. 

9.  Aiigiiia  aphthosa.  Die  Aphthen  entstehen  gewöhnlich  in  Folge  von 
Magenaffectionen  oder  unmittelbar  nach  dem  Genüsse  von  gewissen  Speisen, 
hauptsächlich  Essig,  Pfeffer,  Käse  etc.;  doch  macht  E.  Feänkel  den  Staphylo- 
coccus  citreus  als  Erreger  namhaft. 

Local  er  scheinungen:  Es  sind  bis  linsengrosse,  weissbelegte,  etwas 
prominente  Flecke,  die  später  erweichen  und  sich  abstossen.  Sie  heilen  ohne 
Narbenbildung,  da  der  Process  sich  im  Epithel  abspielt.  Sie  bilden  sich  oft 
unter  Fieber  und  mit  Nachschüben  aus.  Sie  entwickeln  sich  fast  nie  aus- 
schliesslich auf  dem  Velum,  sondern  hauptsächlich  auf  den  Lippen,  den 
Wangen  und  auf  der  Zunge  und  sind  sehr  schmerzhaft.  Eine  besondere 
Art  derselben  ist  die  bei  kleinen  Kindern  gerade  über  der  Spitze  des  Hamulus 
pterygoideus  auftretende  Form,  welche  unter  den  Namen  BEDNAß'sche  Aph- 
then bekannt  sind  und  wahrscheinlich  durch  energisches  Reinigen  des  Gau- 
mens entstehen,  indem  nämlich  der  Finger  die  Schleimhaut  des  vorderen 
Gaurn enbogens   gerade   gegen   die  Spitze    dieses  Knochenvorsprunges  drückt. 

Der  Verlauf  ist  oft  ein  sehr  langwieriger;  bei  gewissen  Menschen 
kommen  sie  immer  wieder  und  können  dadurch  die  Nahrungsaufnahme  sehr 
erschweren,  somit  die  Ernährung  beeinträchtigen. 

Die  Diagnose    ist  leicht. 

Die  Therapie  ist  eine  prophylactische,  indem  man  den  Mund  bei 
Kindern  rein  zu  halten,  bei  Erwachsenen  gewisse  Speisen  zu  verbieten  und 
den  Magenkatarrh  zu  behandeln  hat.  Local  sind  viele  Mittel  empfohlen 
w^orden:  Bepinselungen  mit  Borax,  Zuckersäften,  Desinficiren  des  Mundes, 
Ausspülungen  mit  Kali  hypermang.  und  chloric.  und  als  Specificum  Heidel- 
beerdecoct;  ausserdem  bewähren  sich  hie  und  da  Bepinselungen  der  Aphthen 
mit  starken  Lösungen  von  Kali  hypermang.,  Cocain  und  Morphiimilüsungen 
oder  Aetzungen  mit  Lapis.  In  einzelnen  Fällen  aber  erweist  sich  jede  The- 
rapie machtlos  gegen  dieses  manchmal  quälende  Leiden. 

10.  Angina,  veranlasst  durch  Soor.  Der  als  Oidium  albicans  bekannte  Pilz  wuchert 
fast  immer  an  verschiedenen  Stellen  des  Verdauungstractes,  so  dass  fast  nie  ein  isolirter 
Soor  des  Rachens  zur  Beobachtung  gelangt,  doch  sei  diese  Erkrankung  der  Vollständig- 
keit halber  hier  erwähnt. 

11.  Aiigiua  leptothricea  wird  veranlasst  durch  Auflagerung  dieses 
Pilzes.  Es  kommen  zwar  auch  häufig  in  den  Pfropfen  der  Lacunen  der 
Mandeln  neben  Epithel,  Eiterzellen  und  verschiedenen  Coccen  auch  Leptothrix- 
Pilze  vor;  eine  bedeutende  Ansammlung  solcher  Pilze  aber  ist  recht  selten.  Sie 
sammeln  sich  langsam  an,  und  zwar  in  der  Form  von  Haken,  Zapfen  oder  Hörnchen, 
machen  keine  oder  fast  keine  Beschw^erden,  sondern  sind  nur  durch  ihr  eigen- 
thümliches  Aussehen  eine  Quelle  von  Beunruhigungen  für  den  Patienten. 

Localer  seh  einungen:  Man  sieht  auf  den  fast  gar  nicht  entzündlich 
afficirten  Gebilden  des  Isthmus  pharyngis,  besonders  gerne  an  den  Mandeln 
und  an  den  Rändern  der  Gaumenbögen,  aber  auch  sehr  häufig  an  der  hinteren 
Rachenwand  und  am  Zungengrund  weisse  conische  oder  dicke,  klumpige  oder 
hornartige  Auswüchse,  die  sich  nur  schwer  von  der  Unterlage  entfernen  lassen; 
vollzieht  man  dies  aber  mit  Anwendung  von  einiger  Gewalt  und  untersucht 
diese  Gebilde,  so  bestehen  sie  aus  Leptothrixfäden  und  Coccen  mit  einer  aus 
Kalk  bestehenden  Kittsubstanz. 

Die  Therapie  besteht  in  Entfernung  dieser  Auswüchse  durch  Ab- 
reissen.  Auskratzen,  Brennen  mit  dem  Galvanokauter.  Leider  aber  haben  diese 
Gebilde  die  grosse  Neigung,  wiederzukehren,  ganz  abgesehen  davon,  dass  es 
oft   sehr    schwer    fällt,    die    zahlreichen  Auswüchse  vollständig  zu  entfernen. 


ANGINA.  25 

Man  hat  gegen  die  Recidiven  Bepinselungen  mit  Jodtinctur  empfohlen;  öfters 
hat  sich  auch  Tabakrauchen  als  Mittel  dagegen  bewährt. 

12.  Angina  syphiliticji.  Dieselbe  kommt  in  mehreren  Formen  vor: 
1.  Als  Sklerose  (Chancre);  veranlasst  scheint  dieselbe  zu  sein  am  häufigsten 
durch  den  Gebrauch  unreiner  Lötfei,  namentlich  beim  Papeln  syphilitischer 
Kinder.  Man  hat  es  so  zu  erklären  versucht,  dass  die  mit  dem  Papeln  be- 
schäftigten Personen  den  mit  Brei  gefüllten  Lötfei  in  den  weit  geöffneten 
Mund  einführen,  um  zu  prüfen  ob  der  Brei  nicht  zu  heiss  sei,  wobei  beson- 
ders leicht  der  Gaumen  oder  die  Mandel  berührt  wird.  Natürlich  kann  auch 
widernatürlicher  Coitus  die  Infection  herbeiführen.  Local  bemerkt  man  einen 
harten,  bläulichrothen,  manchmal  ulcerirten  Tumor,  der  wenig  schmerzhaft  ist, 
aber  doch  das  Schlingen  hindert.  Die  Drüsen  derselben  Seite  am  Unter- 
kieferwinkel sind  meist  sehr  gross  und  hart,  aber  indolent;  der  Verlauf 
ist  meist  ein  langsamer  und  auch  die  Folgeerscheinungen  angeblich  etwas 
schwerer  als  bei  der  Genitalinfection;  2.  Erythema  syphiliticum  veli 
ist  eine  sehr  häufige  Begleiterscheinung  der  sogenannten  Secundärperiode. 
Düstere,  braunrothe  Flecke  oder  solche  difiuse  Färbung  des  weichen  Gau- 
mens, Drüsenschwellung  am  Kieferwinkel  nebst  syphilitischen  Erscheinungen 
an  anderen  Körperstellen  machen  die  Diagnose  leicht.  3.  Damit  verbunden  oder 
sehr  häufig  nachfolgend  ist  die  Bildung  von  syphilitischen  Papeln  an 
den  Gaumenbögen  und  an  den  Rändern  der  Uvula.  4.  Können  sich  gum- 
möse Infiltrate  an  den  Mandeln  und  am  weichen  Gaumen  bilden,  welche, 
schmerzlos  verlaufend,  oft  von  den  Patienten  nicht  beachtet  werden,  bis  sie 
zum  Durchbruch  des  Gaumens  führen.  Näheres  über  diese  Erkrankung  und 
deren  Therapie  findet  sich  beim  Artikel  Syphilis. 

13.  Angina  tuberculosa.  Sie  tritt  in  sehr  seltenen  Fällen:  1.  als 
Miliartuberkulose  bei  früher  anscheinend  gesunden  Individuen  auf.  Catti 
hat  in  neuester  Zeit  bei  Kindern  solche  Fälle  beschrieben,  bei  denen  sich  unter 
starker  Röthung  und  Schwellung  (oft  ödematöser  Art)  des  weichen  Gaumens 
graue,  durchscheinende  Knötchen  der  Schleimhaut  bildeten,  die  dann  zu  kleinen 
Geschwürchen  wurden.  Der  ganze  Process  breitet  sich  gewöhnlich  auf  den 
Kehlkopf  aus,  woselbst  er  Stenose  erzeugt.  Fieber  fehlt.  Diese  eigenthüm- 
lichen  Erscheinungen  erschweren  die  Abgrenzung  gegen  Diphtherie,  doch  zeigt 
der  weitere  Verlauf  die  Richtigkeit  der  Diagnose  auf  Tuberkulose.  2.  Viel 
häufiger  kommt  es  bei  schon  hochgradig  tuberkulösen  Menschen  zu  einer 
über  den  Gaumen  und  die  Gaumenbögen  sich  ausbreitenden  Invasion  von 
Miliar knötchen,  die  bald  zerfallen  und  zu  Geschwüren  zusammenfliessen.  Sie 
erzeugen  heftige  Schmerzen  beim  Schlingen  und  breiten  sich  nach  und  nach 
über  den  ganzen  weichen,  theilweise  auch  harten  Gaumen  aus.  Von  den 
syphilitischen  Papeln  unterscheiden  sie  sich  durch  das  Auftreten  von  klei- 
nen Miliarknötchen  in  ihrer  Umgebung  und  ferner  durch  die  manifeste 
Tuberkulose  in  den  Lungen  und  meist  auch  im  Kehlkopf.  Sie  veranlassen 
durch  die  grossen  Schmerzen  eine  bedeutende  Behinderung  der  Nahrungs- 
aufnahme  und  damit  rapiden  Kräfteverfall. 

14.  Angina  toxica.  1.  Jodkaliödem,  welches  bei  einzelnen  Individuen 
durch  den  Gebrauch  dieses  Mittels  entsteht.  Das  Oedem  betrifft  meist  den 
weichen  Gaumen  und  nicht  selten  auch  den  Kehlkopf.  2.  Erythem  in  Folge 
vonAtropin.  Scharlachartige  Röthung  und  Sch^vellung  der  Rachenschleimhaut 
mit  grosser  Trockenheit,  Behinderung  des  Schlingens  sind  die  hervorstechen- 
den Symptome.  Natürlich  werden  bei  der  Diagnose  auch  die  anderweitigen 
Wirkungen  des  Atropins  berücksichtigt  werden  müssen.  3.  Heisse  Wasser- 
dämpfe erzeugen  Röthung,  mehr  oder  weniger  hochgradige  Blasenbildung 
oder  endlich  Verbrennung.  4.  Verätzungen  durch  Lauge  und  Schwefel- 
säure   erzeugen   ähnliche   Veränderungen;  nur    sind   hier    die  Substanzver- 


26  ANGINA  LUDOVICI. 

luste  und  die  sie  bedeckenden  Schorfe  viel  dicker  und  massiger.  Die  Dia- 
gnose wird  durch  die  Ausbreitung  der  Aetzungen  auf  Mund,  Rachen  und  Speise- 
röhre sehr  erleichtert,  doch  sind  schon  Fälle  bekannt,  in  denen  die  dick- 
belegten Geschwüre  für  Producte  von  Diphtherie  gehalten  wurden,  umsomehr, 
da  die  unglücklichen  Patienten  sich  meist  schämen,  den  wahren  Sachverhalt 
anzugeben.  Die  Differentialdiagnose  ist  jedoch  leicht,  wenn  man  erwägt,  dass 
durch  die  ätzenden  Getränke  gewöhnlich  auch  die  Lippen,  die  Zunge  und  fast 
immer  die  Speiseröhre  stark  betheiligt  sind,  während  dies  bei  Diphtherie  eine 
Seltenheit  ist.  Alle  diese  Verätzungen  des  Isthmus  pharyngis  sind  an  und 
für  sich  nicht  lebensgefährlich;  sie  werden  es  nur  dadurch,  dass  Nachbar- 
organe,  als  Kehlkopf,  Speiseröhre   oder  Magen  betroffen  Averden. 

15.  Angina  ulcerosa.  Manchmal  entwickeln  sich  aus  unbekannten 
Gründen  an  den  vorderen  Gaumenbögen  ziemlich  grosse,  flache  Geschwüre,  die 
jedoch  in  10 — 12  Tagen  heilen  (Heryng).  Oberflächliche  und  auch  tiefe 
Geschwüre  an  den  Gebilden  des  Isthmus  faucium  (gelegentlich  mit  consecu- 
tiver  brandiger  Zerstörung)  wurden  bei  Pneumonie,  Typhus,  Phthise,  Scorbut 
und  Cachexie  {Angina  cadiectica)  beobachtet.  Die  Behandlung  muss  natürlich 
eine  roborirende  und  antiseptische  sein. 

Anhang :  Endlich  finden  sich  auch  bei  Skrophulose,  Lupus,  Milzbrand, 
Lepra,  Rotz,  Masern,  Scharlach,  Variola  oft  theils  chronische,  theils  acute 
Erkrankungen  der  Gebilde  des  Isthmus  faucium,  welche  von  manchen  Autoren 
als  Anginen  bezeichnet  werden.  Sie  verlaufen  unter  dem  Bilde  der  einfachen, 
lacunären,  phlegmonösen,  ulcerösen,  exsudativen,  herpetischen  oder  gangränösen 
Angina  oder  in  specifischer  Form.  Ihre  Besprechung  gehört  in  die  diesen 
Krankheiten  gewidmeten  Capitel.  '  chiari. 

Angina.  LudOVici.  Die  Angina  Ludovici,  a.nch  Phlegmone  colli  profunda, 
Cynanche  cellularis  maligna  genannt,  ist  zum  erstenmale  von  Dr.  Ludwig 
in  Stuttgart  (1836)  beschrieben  worden  und  besteht  in  einer  entzündlichen 
Infiltration  des  Mundbodens,  der  oberen  Hals-  und  Kinngegend,  welche  von 
einer  acuten  Entzündung  der  submaxillaren  Speicheldrüse  und  ihres  um- 
gebenden Bindegewebes  ausgeht.  Die  Erkrankung  kommt  sowohl  sporadisch 
wie  epidemisch  vor  und  wird  in  jedem  Lebensalter  beobachtet. 

Die  Aetiologie  der  Krankheit  ist  noch  unbekannt.  Man  bringt  sie 
in  Zusammenhang  mit  den  verschiedensten  Infectionskrankheiten,  wie  Masern, 
Scharlach,  Diphtherie,  Typhus,  Ruhr,  Aktinomykose,  Syphilis  und  Tuberkulose. 
Unserer  Ansicht  nach  beruht  die  eigentliche  Ursache  höchstwahrscheinlich 
in  der  Einwanderung  von  Mikroorganismen,  namentlich  Strepto-  und  Staphylo- 
€occen,  in  eine  ihres  Epithels  entblösste  Stelle  der  Schleimhaut  der  Mund- 
höhle. Daher  können  auch  Verletzungen  derselben,  Fall  und  Stoss  auf  den 
Mundboden,  Eingangspforten  für  die  Eitererreger  schaffen,  und  phlegmonöse, 
diphtheritische,  gangränöse  Angina,  wie  überhaupt  ulcerative  Processe  der 
Mundschleimhaut,  die  mit  einer  Schwellung  der  Glandula  submaxillaris  einher- 
gehen, können  eine  Angina  Ludovici  herbeiführen. 

Die  Krankheit  beginnt  in  den  meisten  Fällen  mit  nur  massigen  Fieber- 
erscheinungen oder  auch  ohne  Fieber  mit  einer  harten  Anschwellung  vorn 
und  innen  vom  Angulus  mandibulae.  Anfangs  ist  die  Schwellung  wenig  schmerz- 
haft, nimmt  jedoch  bald  an  Schmerzen  zu  und  an  Ausdehnung.  Die  Ent- 
zündung breitet  sich  weiter  nach  unten  aus  und  mehr  nach  der  Mittellinie, 
und  es  dauert  nicht  lange,  so  ist,  wenn  auch  die  Speicheldrüse  der  anderen 
Seite  ergriffen  wird,  die  ganze  vordere  Seite  des  Halses  in  eine  brettharte 
Schwellung  umgewandelt.  Häufiger  ist  nur  die  eine  Seite  des  Halses  befallen. 

Die  Haut  über  der  Geschwulst  ist  anfangs  ganz  normal,  röthet  sich 
•allmählich,  wird  oft  braunroth  und    stark   gespannt.     Der   Mundboden    wird 


ANGINA  LUDOVIGI.  27 

vorgewölbt,  die  Zunge  nach  oben  und  hinten  gedrängt.  Unter  der  Zunge 
findet  sich  im  Munde  eine  bläuliche  Schwellung.  Infolge  dessen  wird  die 
Sprache  undeutlich.  Die  Patienten  können  den  Mund  schwer  oder  gar 
nicht  öffnen  und  klagen  über  heftige  Schluckbeschwerden.  In  schlimmen 
Fällen  kommt  es  zu  heftiger  Athemnoth  entweder  dadurch,  dass  sich  Oedem 
der  Kehlkopfschleimhaut  einstellt,  oder  dadurch,  dass  die  Schwellung  sich 
immer  mehr  nach  unten  zieht  und  zu  einer  directen  Compression  der 
Luftröhre  führt.  In  einem  Falle  unserer  Beobachtungen  sah  man  bei  der 
laryngoskopischen  Untersuchung,  dass  das  rechte  Ligamentum  ary-epiglott. 
durch  die  Intumescenz,  welche  die  ganze  vordere  Halsgegend,  namentlich 
aber  die  rechte  Seite  einnahm,  nach  der  linken  Seite  hinüber  gedrängt 
und  der  ganze  Kehlkopfeingang  ödematös  geschwollen  war,  so  dass  von  den 
Stimmbändern  nichts  zu  sehen  war.  Die  in  diesem  Falle  wegen  starker  Athem- 
noth ausgeführte  Tracheotomie  war  eine  sehr  schwierige  wegen  der  starken 
Schwellung  des  Gewebes.  Die  Blutung  dabei  war  eine  sehr  intensive,  und 
die  Luftröhre  war  nicht  gleich  zu  finden,  da  sie  ganz  nach  links  hinüber- 
gedrängt war. 

Drückt  das  Infiltrat  auf  die  lugularvenen,  so  erfolgt  Cyanose  des  Gesichts, 
Schwindel  und  Ohnmacht,  und  bei  auftretender  Thrombose  derselben  kann 
eine  Meningitis  sich  einstellen. 

Die  Entzündung  in  dem  befallenen  Gewebe  ist  in  den  meisten  Fällen 
eine  sehr  starke  und  hat  eine  ausgesprochene  Neigung,  zur  Nekrose  des 
Gewebes  innerhalb  des  Entzündungsherdes  zu  führen.  Tritt  Fluctuation  ein, 
so  entleert  sich  bei  der  Incision  eine  jauchig-eitrige  Flüssigkeit  von  sehr 
üblem  Geruch,  untermischt  mit  nekrotischen  Gewebsfetzen.  In  schweren 
Fällen  können  sich  pyämische  Erscheinungen  mit  Schüttelfrösten,  Delirien 
etc.  einstellen.  So  erfolgt  nicht  selten  der  letale  Ausgang  in  Folge  von  Pyämie 
oder  auch  durch  Erstickung  in  Folge  von  Larynxödem. 

D i e  D i agn 0 s e  ist  in  ausgebildeten  Fällen  leicht.  Nur  im  Anfang  kann 
man  im  Zweifel  sein,  ob  es  sich  nicht  um  eine  einfache  phlegmonöse  Ent- 
zündung der  Glandula  submaxillaris  handelt.  Bei  dieser  Krankheit  wird  jedoch 
die  suppurative  Entzündung  im  weiteren  Verlaufe  nur  auf  die  Speicheldrüse 
beschränkt  bleiben. 

Zu  trennen  ist  von  der  Angina  Ludovici  die  acute  infectiöse  Phlegmone 
des  Rachens.  Möglich  ist  aber  und  sogar  sehr  wahrscheinlich,  dass  beide 
Processe  nur  verschiedene  Abstufungen  eines  und  desselben  septischen  Pro- 
cesses  darstellen. 

Die  Prognose  ist  immer  ernst,  wenn  auch  nicht  so  schlecht  wie  all- 
gemein früher  angenommen  wurde.  Die  Krankheit  kann  tödlich  verlaufen, 
namentlich  dann,  wenn  sie  nicht  frühzeitig  genug  diagnosticirt  und  nicht 
chirurgisch  behandelt  wird. 

Je  frühzeitiger  die  Incision  gemacht  wird,  umso  günstiger  die  Prognosis: 
durch  eine  ausgiebige  Incision  soll  nicht  allein  der  Eiter  entleert,  sondern 
auch  das  Gewebe  entspannt  werden.  Ist  keine  Fluctuation  vorhanden,  so  warte 
man  nicht  erst  auf  dieselbe,  sondern  man  muss  vorsichtig  präparirend  auf  die 
Glandula  submaxillaris  einschneiden.  Kosen  empfiehlt,  nur  den  Hautschnitt 
mit  dem  Messer  zu  machen,  den  Eiter  jedoch  mit  einer  vorsichtig  vorgescho- 
benen Kornzange  hinter  der  Halsfascie  aufzusuchen  und  dann  energisch  zu 
drainiren.  Gegen  die  auftretende  Schwäche  w^ende  man  Excitantien  an,  bei 
drohender  Erstickungsgefahr  wird  der  Luftröhrenschnitt  erforderlich  sein. 

SCHEIBE. 


28  ANGIOME  DES  LARYNX.  -  ANGIOM  DER  NASE. 

Angiome  des  Larynx.  Zu  denselben  werden  von  einigen  Autoren 
aucli  diejenigen  Formen  von  umschriebenen  Hypertrophien  (sogenannte  Fi- 
brome) und  von  Papillomen  gezählt,  welche  sehr  reichlich  mit  Blutgefässen 
versehen  sind.  Die  eigentlichen  Angiome  dagegen  sind  sehr  selten. 
Sie  treten  entweder  auf  als  Tumor  cavernosus  oder  als  Knäuel  von  viel- 
fach gewundenen  feinen  Gefässen.  Sie  sind  ausgezeichnet  durch  ihre  blau- 
rothe  Farbe  und  uuregelmässig  höckerige  Gestalt  und  sitzen  fast  immer  breit 
auf,  gewöhnlich  an  den  Stimmbändern  nahe  ihrer  vorderen  Commissur,  doch 
auch  ausserhalb  des  Kehlkopfluraens,  besonders  gerne  im  Sinus  pyriformis. 
Endlich  wurde  auch  ein  Angioma  capillare  von  Schwartz  beschrieben.  Die 
Behandlung  besteht  in  Exstirpation,  die  Blutung  darnach  machte  in  einigen 
Fällen  bedeutende  Schwierigkeiten  und  konnte  erst  durch  Betupfen  mit 
schwachen  Lösungen  von  Eisenchlorid  oder  mit  dem  Galvanokauter  gestillt 
werden.     Recidiven  wurden  nicht  gesehen.  ch. 

Angiom  der  Nase.  Das  Angiom  kommt  in  der  Nase  nicht  allzu 
selten  vor;  es  stellt  eine  dunkelrothe  oder  auch  blaurothe,  pilzförmige, 
weiche  Geschwulst  mit  glatter  oder  leicht  unebener  Oberfläche  dar,  die  mit 
breiter  Basis  der  Schleimhaut  aufsitzt  und  die  Grösse  einer  Erbse  oder  Bohne, 
selbst  die  einer  Kastanie  erreicht.  Wir  finden  diese  Neubildung  vorzugsweise 
am  vorderen  Drittel  der  Nasenscheidewand,  hie  und  da  auch  am  vorderen 
Ende  der  unteren  Muschel,  also  an  Stellen,  wo  die  Nasenschleimhaut  durch 
ihre  zahlreichen  cavernösen  Blutgefässe  zur  Bildung  solcher  Gefässtumoren 
ungemein  geeignet  ist. 

Makenzie,  Voltolini  u.  a.  sprechen  schon  von  teleangiektatischen 
Hyperplasien  und  von  erectilen  Tumoren  des  Septums,  aber  erst  in  den 
letzten  15  Jahren  sind  die  „Angiome  der  Nase"  genau  beschrieben  worden 
(von    Lange,    Schaeffek,    Hopmann,    Jarvis,    Jurasz,    Scheck,   Schwager, 

SCHADEWALDT,    ALEXANDER,    SCHEIER,    HeYMANN   U.    a.). 

Die  pilzartige  Form  dieser  Geschwulst,  ihre  dunkelrothe  Farbe  und  ihr 
Sitz  am  Septum  oder  dem  vorderen  unteren  Muschelende  bieten  wesentliche 
klinische  Unterschiede  von  dem  gewöhnlichen  Schleimpolypen  und  den  Papil- 
lomen dar;  mikroskopisch  ist  ihr  Bau  so  verschieden  von  den  gewöhn- 
lichen Nasenpolypen,  dass  der  Name  „blutender  Nasenscheidewandpolyp" 
(Schadewaldt)  mit  der  jetzt  üblichen  anatomischen  Bezeichnung  der  Ge- 
schwülste nicht  übereinstimmt  und  zum  mindesten  überflüssig  ist.  Es  handelt 
sich  um  cavernöse  Angiome  am  Septum  sowohl  wie  an  der  unteren 
Muschel,  die  den  Bau  der  Corpora  cavernosa  zeigen,  aus  zahlreichen  unter- 
einander communicirenden,  besonders  venösen  Blutgefässen  und  Bluträumen 
bestehen;  letztere  sind  durch  zellreiche,  bindegewebige  Scheidewände  von- 
einander getrennt,  deren  Innenfläche  mit  Endothel  bekleidet  ist;  anderemale 
sehen  wir  auch  das  Angioma  simplex,  in  Form  von  kleinen,  erbsengrossen, 
dunkelrothen  Tumoren,  die  aus  einer  bindegewebigen  Grundsubstanz  und 
zahlreichen  stark  dilatirten,  theils  alten,  theils  neugebildeten  Blutgefässen 
bestehen. 

Die  Blutgefässe  sind  oftmals  über  die  ganze  Geschwulst  ausgebreitet 
(Fig.  1),  anderemale  liegen  sie  erst  in  den  tieferen  Schichten  des  fibrösen 
Tumors  (Fig.  2);  das  Bindegewebe  hat  alsdann  an  der  Oberfläche  dieser  Ge- 
schwülste das  Uebergewicht,  stets  aber  ist  es  die  überaus  grosse  Zahl  der 
Blutgefässe  und  der  dilatirten  Bluträume  in  den  tieferen  Gewebstheilen,  die 
an  dem  Tumor  die  charakteristischen  Eigenschaften  des  Angioms  erkennen 
lassen.  Je  nach  dem  Alter  solcher  Geschwülste  werden  wir  zahlreiche  Ueber- 
gangsformen  der  hyperplastischen  cavernösen  Muschel-  und  Septumschleimhaut 
zum  ausgesprochenen  Angiom  beobachten  und  so  erklären  wir  uns,  dass  der 
eine   bei   diesen  Geschwülsten  von   einer  cavernösen  Hyperplasie,  der  andere 


ANOSMIE. 


29 


Fig.  1.     Aiigiom  am  vorderen  Drittel  der  Unken  Nasen- 
scheidewand eines  19jährigen  Mädchens.     12  : 1. 


von  einem  teleangiektatischen  Fibrom  spricht;  stets  sind  es  Tumoren,  in 
denen  ungemein  viele  tlieils  neugebildete,  theils  erweiterte  alte  Blutgefässe 
vorhanden  sind. 

Das  bindegewebige  Gerüste 
dieser  Angiome  besteht  aus  ziem- 
lich derben  Fasern  und  enthält 
viel  runde  oder  spindelförmige 
Zellen.  Drüsengewebe  ist  in  ihnen 
gar  nicht,  höchstens  nur  in  Spuren 
vorhanden.  Die  meist  glatte  Ober- 
fläche dieser  Angiome  ist  von  ein- 
oder  mehrschichtigem,  flimmern- 
dem Cylinderepithel  überzogen, 
das  in  seltenen  Fällen  kleine  pa- 
pilläre Einsenkungen  in  die  Ge- 
schwulst bildet. 

Klinisch  zeichnen  sich  die 
Angiome  durch  ihre  stark  rothe 
Farbe  aus,  ihre  pilzähnliche  Ge- 
stalt und  den  kurzen  breiten  Stiel, 
mit  dem  sie  an  dem  vorderen 
Septumabschnitte,  an  der  soge- 
nannten Prädilectionsstelle  für 
Nasenblutungen  oder  auch  am  vor- 
deren unteren  Muschelrande  auf- 
sitzen; sie  verursachen  leicht  spon- 
tane Blutungen,  die  recht  profus 
sein  können  und  die  meist  beim 
Schneuzen  oder  Reinigen  der  Nase 
auftreten.  Sie  sitzen  viel  häufiger 
am  Septum  als  an  der  unteren  Muschel  und  entwickeln  sich  vorzugsw^eise 
in  der  linken  Nasenseite,  kommen  aber  auch  rechts  vor,  wie  z.  B.  die 
beiden  Figuren  1  und  2  Präparaten  von  Angiomen  der  rechten  Nase  ent- 
stammen; es  waren  dies  unter  8  Fällen,  die  ich  in  den  letzten  Jahren  gesehen 
habe,  die  einzigen  aus  der  rechten  Nasenhälfte.  Die  Angiome  kommen  beson- 
ders häufig  bei  jungen  weiblichen  Individuen  zur  Beobachtung. 

Man  wird  sich  hüten  müssen,  diese  Gefässtumoren  mit  der  Kornzange 
oder  der  kalten  Schlinge  abzutragen;  nur  die  Glühschlinge  schützt  uns  vor 
stärkeren  Blutungen;  nachträglich  muss  die  Basis  des  Angioms  mit  dem 
Galvanokauter  ausreichend  geätzt  und  zerstört  werden,  um  Recidiven  vorzu- 
beugen. KÜHN. 

AnOSmie  (Verlust  des  Geruchsinnes)  tritt  auf,  wenn  eine  krankhafte 
Affection  des  Geruchsnerven  an  seinem  centralen  Ursprung  im  Gehirn,  in 
seinem  peripheren  Verlauf  oder  an  seinen  Endausbreitungen  besteht. 

Das  Riechcentrum  des  Menschen  betrifft  nach  Zuckerkandl  den  Gyrus 
fornicatus,  während  nach  der  Untersuchung  anderer  Autoren  auch  Fossa 
Sylvii,  Uncus,  Hippocampus,  Ammonshorn  und  der  Thalamus  opticus  daran 
Antheil  nehmen. 

Centrale  Anosmie  tritt  als  Symptom  von  Hemiplegien,  Hirntumoren, 
entzündlichen  basalen  Exsudaten,  Schädeltraumen,  welche  die  Riechära  lädiren, 
auf.  Sie  kommt  auch  congenital  vor  (Kundeat).  Die  Ursache  der  peri- 
pheren Anosmie  sind  Nasenschleimhauterkrankungen,  Polypen,  Septum- 
deviationen  etc.;  sie  ist  oft  nur  eine  rein  mechanische,  nämlich  dadurch 
bedingt,  dass  die  mit  Riechstoffen  beladene  Luft  keinen  freien  Zutritt  zu  den 


Fig.  2.     Angiom  der  linken  Nasenscheidewand  eines 
34jährigen  Mannes  (Lupenvergrösserungj. 


30  AUSCÜLTATION  DES  OHRES. 

EndausbreituDgen  des  Nervus  olfactorius  hat.  Specielle  Fälle  von  Anosmie 
sind  jene,  welche  im  Verlaufe  chronischer  Vergiftungen  (Hg-,  Tabakintoxication) 
und  jene,  welche  im  Klimakterium  und  nach  Castration  bei  Frauen  beob- 
achtet wird.  —  Ausführlicheres  über  Anosmie  findet  sich  im  Artikel  „  Geruchs- 
empßndimgsstönmgen^''  dieses  Sammelwerkes.  {Interne  Medicin  Bd.  L  pag.  767.) 

ß. 

AuSCUltation  des  Ohres.  Dieselbe  wird  vermittelt  durch  die  Ein- 
schaltung eines  Hörschlauches  (Otoskopes),  eines  etwa  %  Meter  langen 
Gummischlauches  mit  zwei  schlank-olivenförmigen  Ansätzen,  von  denen  der 
eine,  weisse,  für  das  controlirende  Ohr  des  Arztes,  der  andere,  schwarze,  für 
das  zu  untersuchende  Ohr  bestimmt  ist. 

Das  in  normalen  Fällen  durch  diesen  Schlauch  während  der  Luft- 
einblasung wahrgenommene  „Blasegeräusch"  ist  ein  weiches,  hauchendes 
Geräusch,  welches  scheinbar  dicht  am  eigenen  Ohre  des  Untersuchenden  zu- 
stande kommt.  Prallt  die  Luft  beim  Eindringen  in  die  Paukenhöhle  stark 
gegen  das  Trommelfell  an,  so  wird  dadurch  neben  diesem  Blasegeräusche  ein 
Knattern  erzeugt,  eine  Combination,  welche  als  „Anschlagegeräusch" 
bezeichnet  wird.  Ist  das  Trommelfell  besonders  dehnbar,  dünn  und  un- 
elastisch, so  entsteht  bei  dem  Anprallen  der  Luft  eine  plötzliche  Auswärts- 
wölbung, welche  an  dem  charakteristischen  „Ausbauchungsgeräusche" 
erkannt  wird,  welches  sich  von  dem  ähnlichen  Anschlagegeräusche  durch 
sein  stossweises  Auftreten  und  seine  kurze  Dauer  unterscheidet  und  zuweilen 
mit  dem  Gefühle  einer  Luftverdichtung  im  Ohre  des  Arztes  verbunden  ist. 
Ist  die  Tube  und  die  Paukenhöhle  sehr  secretarm,  so  fehlt  dem  Blasegeräusche 
der  weiche  Klang  und  es  wird  als  ein  „hartes"  oder  „trockenes"  vernom- 
men. Bei  verengter  Tube  macht  sich  die  verminderte  Durchgängigkeit  durch 
die  Schwäche  und  Unregelmässigkeit  des  Auscultationsgeräusches,  durch  ein 
„dünnes,"  „fadenförmiges",  „saccadirtes"  ßeibegeräusch  bemerk- 
lich. Bei  vollständig  verschwollener  Tube  und  bei  vollkommener  Anfüllung 
der  Paukenhöhle  mit  Secret  ist  überhaupt  kein  Auscultationsgeräusch  wahr- 
zunehmen. Hier,  wie  auch  bei  nur  verminderter  Wegsamkeit,  kann  man 
schon  in  dem  Widerstände,  welcher  sich  der  Compression  des  Ballons  ent- 
gegenstellt, einen  diagnostischen  Anhaltspunkt  gewinnen. 

Bei  Secretansammlung  in  der  Paukenhöhle  entstehen  Rassel- 
geräusche; „grossblasige"  oder  „knatternde"  bei  dicklicher,  „klein- 
blasige" oder  „knisternde"  bei  dünner  Beschaffenheit  des  Exsudates. 
Dieses  Rasseln  ist  nicht  mit  jenem  zu  verwechseln,  welches  hörbar  wird, 
wenn  die  nicht  frei  in  die  Tuba  eindringende  Luft  das  Secret  des  Nasen- 
rachenraumes aufwirbelt  und  welches  mehr  mit  einem  Gurgeln  verglichen 
werden  kann.  Das  Rachenrasseln  wird  übrigens  durch  die  Luftleitung  meist 
deutlicher  gehört  als  durch  den  Auscultationsschlauch,  aus  welchem  es  als 
ein  sehr  entfernt  klingendes  Geräusch  an  das  untersuchende  Ohr  dringt;  die 
im  Mittelohre  entstehenden  Rasselgeräusche  klingen  hingegen  nahe  am  Ohre 
des  Arztes.  Grossblasiges  Rasseln  dauert  zuweilen  noch  nach  der  Beendigung 
der  Lufteinblasung  kurze  Zeit  an,  und  es  kann  daraus  auf  eine  besonders  zähe 
Beschaffenheit  des  Secretes  geschlossen  werden.  Geht  dem  Rasseln  ein 
„Knacken"  voraus,  so  wurde  die  anfangs  verklebte  Tube  erst  durch  den 
Luftstrom  geöffnet,  verwandelt  sich  ein  Rasselgeräusch  während  der  Einblasung 
in  ein  Blasegeräusch,  so  deutet  dies  darauf  hin,  dass  Secret  aus  dem  Wege 
geräumt  worden  ist. 

Am  meisten  charakteristisch  ist  das  Geräusch,  welches  bei  bestehendem 
Defecte  des  Trommelfelles  dadurch  hervorgerufen  wird,  dass  die  in  das  Mittel- 
ohr getriebene  Luft  aus  der  Perforation  herausdringt:  das  Perforations- 
geräusch.   Es   ist  dies  ein   pfeifendes   und  zischendes,   meist  sehr   lautes 


BACTERIEN  DER  MUNDHÖHLE.  31 

Geräusch,  welches  umso  höher  und  intensiver  zu  sein  pflegt,  je  kleiner  der 
Defect  ist;  es  wird  nicht  selten  ohne  Ilörschlauch  auf  viele  Meter  Entfernung 
wahrgenommen  und  dringt  durch  den  Schlauch  oft  mit  einem  heftigen  An- 
prall von  Luft  gegen  das  Trommelfell  des  Arztes.  Bei  sehr  grossen  und 
trockenen  Perforationen  kann  dieses  typische  Perforationsgeräusch  fehlen  und 
durch  ein  unbestimmtes,  dem  normalen  Blasegeräusche  ähnliches  ersetzt  sein. 
Ueberhaupt  ist  die  Erkennung  der  verschiedeneu  hier  angeführten  Gattungen 
von  Auscultationsgeräuschen  nicht  immer  leicht  und  zuweilen  nur  bei  grosser 
Erfahrung  möglich;  und  es  ist  schon  aus  diesem  Grunde  nothwendig,  nach 
vollzogener  Luftdouche  das  Trommelfell  noch  einmal  zu  besichtigen.  Meist 
wird  man  durch  gewisse  Veränderungen  des  Bildes  Aufschluss  über  zweifel- 
hafte Vorgänge  gewinnen. 

Die  Auscultation  ist  in  neuerer  Zeit  auch  auf  den  Warzen fortsatz 
ausgedehnt  worden.  Nach  Michael  geschieht  dies  am  besten  mit  einem 
Hörschlauche,  dessen  eines  Ende  statt  eines  Ohransatzes  einen  Ohrtrichter 
trägt,  welcher  während  der  Lufteinblasung  fest  gegen  den  Processus  mastoideus 
gedrückt  wird.  Bei  normalem  Luftgehalte  der  Warzenzellen  vernimmt  das 
controlirende  Ohr  ein  deutliches  sausendes  Geräusch,  dessen  Ausbleiben  bei 
normaler  Tube  und  intactem  Trommelfelle  auf  eine  Erkrankung  des  Warzen- 
fortsatzes deuten  kann.  Wichtiger  für  die  Diagnose  ist  in  vielen  Fällen  die 
Percussion  des  Warzenfortsatzes,  welche  besonders  von  Koeener 
und  V.  Wild  empfohlen  worden  ist.  Dieselbe  wird  mit  Hilfe  eines  Stahl- 
hammers ausgeführt,  dessen  Klopffläche  8  Millimeter  breit  und  leicht  convex 
ist  und  dessen  dünner,  federnder  Fischbeinstiel  16  Centimeter  lang  ist. 

BÜRKNER. 

BaCterien  der  Mundhöhle.  Da  beständig  eine  Unmasse  von  Keimen 
mit  der  Luft,  besonders  aber  mit  den  festen  und  flüssigen  Nahrungsmitteln  in 
die  Mundhöhle  eingeführt  wird,  ist  der  Bacteriengehalt  derselben  schon  unter 
normalen  Verhältnissen  ein  sehr  grosser.  Nach  den  Untersuchungen  von 
E.  Rosenthal  muss  die  Anzahl  der  Pilzkeime  in  der  menschlichen  Mundhöhle 
nach  Millionen  geschätzt  werden,  wobei  noch  hinzukommt,  dass  eine  derartige 
Zählung  nur  unvollkommen  sein  kann,  weil  ein  grosser  Theil  wegen  des 
mangelnden  Wachsthums  auf  Gelatineplatten  nicht  in  Frage  kommt,  und  ein 
weiterer  Theil  auf  den  Nährböden  von  üppiger  wachsenden  Nachbarn  über- 
wuchert wird. 

Die  Mundhöhle  bietet  überaus  günstige  Bedingungen  für  die  Ernährung 
und  das  Wachsthum  von  Bacterien  dar.  Die  Zwischenräume  der  Zähne,  die 
haarähnlichen  Fortsätze  der  filiformen  Papillen,  besonders  aber  die  buchtigen 
Taschen  der  Tonsillen  gewähren  ihnen  willkommene  Schlupfwinkel.  Die  hier 
herrschende  relativ  hohe  Temperatur,  welche  dem  für  die  meisten,  vor  allem 
die  pathogenen  Spaltpilze  geltenden  Temperaturoptimum  entspricht,  der  bald 
schwach  sauer,  bald  schwach  alkalisch  reagirende,  mit  Speiseresten  untermischte 
Mundschleim  fördert  die  Entwicklung  vieler  Bacterien.  Die  reichliche  Luftzufuhr 
einerseits,  andererseits  aber  auch  der  Sauerstofiabschluss  in  den  tiefen  Falten 
der  Schleimhaut,  noch  mehr  in  cariösen  Zähnen,  begünstigen  die  Ansiedlung 
aerobiotischer  sowie  bedingt  und  unbedingt  anaerobiotischer  Mikroorganismen. 

Pathologische  Verhältnisse  ändern  die  soeben  kurz  erwähnten  Wachs- 
thumsbedingungen  nach  verschiedener  Richtung. 

Eine  stärker  saure  Reaction  des  gemischten  Speichels,  welche  bei  einem 
längeren  Verweilen  desselben  in  der  Mundhöhle,  ferner  bei  Rheumatismus, 
Gicht,  Gastroenteritis,  in  vorgerückten  Stadien  des  Diabetes  mellitus,  bei  Dys- 
pepsie und  manchen  febrilen  Erkrankungen  beobachtet  wird,  muss  dessen 
Eignung  als  Nährsubstrat  für  Bacterien  herabsetzen  oder  ganz  aufheben,  an- 
dererseits aber  auch  die  Erweichung  des  Zahnbeins  und  somit  die  Schaffung 


32  BACTERIEN  DER  MUNDHÖHLE. 

eines  günstigen  Ncährbodens  unterstützen.  Bei  allen  krankhaften  Zuständen, 
in  denen  durch  andere  Drüsen  in  überreicher  Menge  Flüssigkeiten  abgeschie- 
den werden,  so  z.  B.  bei  Schrumpfniere,  Polyurie,  Hyperhydrose,  bei  Magen- 
katarrhen, ferner  bei  fieberhaften  Infectionskrankheiten,  ist  die  Secretion  der 
Mundspeichel-  und  Mundschleimdrüsen  wesentlich  vermindert.  Diese  Herab- 
setzung des  Feuchtigkeitsgehaltes  der  Mundhöhle  verringert  die  Möglichkeit 
der  Pilzentwicklung.  Trotzdem  werden  aber  nicht  nur  die  Dauerformen  der 
Bacterien,  sondern  auch  ein  grosser  Theil  dieser  selbst  der  Austrocknung 
widerstehen  und  beim  Eintritt  günstigerer  Bedingungen  wieder  aufleben 
können.  Vor  allem  aber  befördert  die  Mundathmung  direct  die  Ansiedlung 
von  Mikroorganismen,  welche  in  den  meisten  Fällen  durch  hypertrophische 
Entzündungen  der  Nasenschleimhaut  oder  durch  adenoide  Wucherungen  im 
Nasenrachenräume  veranlasst  wird. 

Die  Bedeutung  der  Mundpilze  für  die  Pathologie  liegt  theils  in  den 
durch  sie  bedingten  localen  Erscheinungen,  theils  in  ihren  Wirkungen  auf 
entfernte  Organe. 

Unter  den  localen,  in  der  Mundhöhe  selbst  sich  abspielenden  Erschei- 
nungen gehören  die  Gährungsprocesse  zu  den  wichtigsten.  In  erster  Linie 
verdient  die  Milchsäuregährung  wegen  ihrer  Bedeutung  für  die  Zahncaries  eine 
besondere  Beachtung. 

Der  häufigste  Erreger  der  spontanen  Milchsäuregährung  ist  der  Bacillus 
aerogenes  {Bacteriiim  lactis  nerogenes  Escheeich)  und  Varietäten  desselben,  wie 
der  Bacillus  acicli  lactici  (Hueppe),  welcher  von  Miller  wiederholt  in  der 
Mundhöhle  gefunden  wurde.  Doch  wird  die  Vergährung  des  Milchzuckers 
auch  durch  andere  Bacterienarten,  wie  z.  B.  durch  sämmtliche  Eitercoccen, 
den  Bacillus  coli  communis,  Bacillus  prodigiosus,  Sarcinearten  und  einige  Heu- 
bacterien  verursacht.  Miller  untersuchte  in  zwei  Versuchsreihen  22,  be- 
ziehungsweise 25  Mundbacterien  nach  dieser  Richtung  und  fand  unter  diesen 
jedesmal  16,  welche  eine  Fleischextract-Pepton-Zuckerlösung  sauer  machten. 
In  18  Fällen  wurde  die  Bestimmung  der  Säure  versucht,  und  in  10  dieser 
Fälle  Milchsäure  qualitativ  nachgewiesen.  Hueppe  isolirte  aus  der  Mundhöhle 
zwei  verschiedene  in  zuckerhaltigen  Lösungen  Milchsäure  bildende  Bacterien. 
ViGNAL  fand  unter  17  verschiedenen  Mundpilzen  9  mit  der  Fähigkeit,  Lactose 
in  Milchsäure  umzuwandeln. 

Die  spontane  Buttersäure-  und  Essigsäuregährung  ist  in  der  Mund- 
höhle nicht  beobachtet  worden,  der  Erreger  der  ersteren,  der  Bacillus  butyricus, 
wurde  nur  einmal  von  Rasmussen  in  der  Mundhöhle  nachgewiesen. 

Neben  gährungserzeugenden  Pilzarten  kommen  in  der  Mundhöhle  auch 
solche  mit  saccharificirenden  und  mit  invertirenden  Fähigkeiten  vor.  Miller 
fand  unter  neun  verschiedenen  Arten  eine  mit  ausgesprochen  diastatischer 
Wirkung,  Vignal  unter  17  Mundbacterien  drei,  welche  Stärke  umwandeln,  und 
sieben,  die  Rohrzucker  invertiren. 

Für  viele  Mundpilze  konnten  Vignal  und  Miller  ebenfalls  eiweiss- 
lösende  Eigenschaften  direct  nachweisen. 

Da  der  Mundhöhleninhalt  einen  aus  Kohlehydraten,  Eiweisskörpern, 
Fetten  etc.  gemischten  Nährboden  darstellt,  so  werden  die  verschiedenen 
Gährungen  neben  einander  verlaufen  können.  Endlich  sind  hier  noch  kurz 
die  reinen  Fäulnisvorgänge  in  dem  Cavum  oris  zu  erwähnen,  die  sich  in 
der  gangränösen  Zahnpulpa,  an  Speiseresten  u,  s.  w.  abspielen. 

Unsere  Kenntnisse  von  den  Mikroorganismen,  welche  bei  der  Caries 
der  Zähne  eine  Rolle  spielen,  beruhen  fast  ausschliesslich  auf  den  Arbeiten 
von  Miller,  Jung,  Vignal  u.  a.  Diese  gerneinsamen  Studien  führten  zu 
dem  Ergebnis,  dass  es  kein  bestimmtes  specifisches  Bacterium  der  Zahncaries 
gibt,  sondern  dass  dieser  Process  immer  auf  einer  Mischinfection  beruht. 
Miller  glaubt  festgestellt  zu  haben,  „dass  alle  Mikroorganismen   der  Mund- 


BACTERIEN  DER  MUNDHÖHLE.  33 

höhle,  welche  die  Fähigkeit  besitzen,  eine  saure  Gährung  von  Speiseresten 
zu  verursachen,  an  dem  ersten  Stadium  der  Zahncaries  (Entkalkung  des  Zahn- 
gewebes) theilnehmen  können;  ferner  dass  alle  Mikroorganismen,  die  eine  pep- 
tonisirende  oder  eine  verdauende  Wirkung  auf  eiweissartige  Substanzen  be- 
sitzen, an  dem  zweiten  Stadium  (Auflösung  der  erweichten  Grundsubstanz) 
theilnehmen  können,  und  dass  schliesslich  alle  diejenigen,  welche  beide  Eigen- 
schaften besitzen,  zu  gleicher  Zeit  in  beiden  Stadien  activ  thätig  sind." 

Auch  bei  den  Erkrankungen  der  Zahnpulpa  handelt  es  sich  fast  aus- 
nahmslos nach  diesem  Autor  um  eine  Mischinfection.  Mikrococcen  waren 
constant  vorhanden,  seltener  Bacillen;  in  ungefähr  50%  aller  Fälle  wurden 
Schraubenformen  angetroffen.  Selten  fand  Miller  hierbei  die  specifischen 
Eitercoccen,  dagegen  eine  Gruppe  von  diesen  nahe  verwandten  Coccenarten, 
die,  Mäusen  subcutan  beigebracht,  Eiterung  verursachten.  Die  Bacillen  der 
kranken  Zahnpulpa  zeigten  eine  nur  geringe  eitererregende  Wirkung.  Der  Keich- 
thum  der  erkrankten  Pulpen  an  Bacterien  hängt  ganz  davon  ab,  ob  die  Pulpa- 
höhle  gegen  die  Mundhöhle  zu  geöffnet  oder  geschlossen  ist. 

Zu  den  Spaltpilzen,  die  gleichfalls  nur  eine  locale  Wirkung  in  der  Mund- 
höhle hervorbringen,  gehören  weiterhin  die  chromogenen  Mundbacterien,  die 
nach  der  producirten  Farbe  eingetheilt  werden  in 

a)  solche,  welche  einen  gelben  Farbstoff  bilden;  Miller  unter- 
scheidet acht  in  diese  Gruppe  gehörige  Arten,  welche  alle  den  Farbstoff  in 
ihrem  Protoplasma  enthalten,  ohne  das  Culturmedium  zu  färben.  Rosenthal 
beschreibt  genau  zwei  neue  Arten,  von  denen  der  Mikrococcus  ochraceus 
auf  bestimmten  Nährböden  ein  ockergelbes  Pigment  bildet,  während  der 
Diplococcus  Hauseri  benannte  Pilz  der  Gelatine  einen  goldgelben  Farbenton 
verleiht.  Ausserdem  wurden  von  demselben  Autor  der  Mikrococcus  Intens  und 
aurantiacus  (Cohn),  Bacteridhmi  luteum  und  aurantiacum  (Schröter),  die 
Sarcina  lutea  (FLtJGGE)  und  flcivci  und  der  Bacillus  aurantiacus  (Franklakd) 
aus  der  Mundhöhle  isolirt.  Endlich  wäre  hier  noch  der  Bacillus  g.  Vigxal's 
anzuführen,  der  mit  dem  Bacillus  huccalis  minutus  von  Sterxberg  identisch 
ist  und  auf  allen  Nährböden  goldgelbe  Lager  bildet, 

h)  solche,  die  einen  grünen  Farbstoff  bilden;  Miller  konnte  fünf 
Mikroorganismen  züchten,  welche  die  Nährgelatine  grün  färben  und  Rosen- 
thal beschreibt  zwei  Bacterien,  von  denen  die  Sarcina  viridis  ßavescens  ver- 
schiedenen Nährmedien  eine  grünlichgelbe  bis  olivgrüne  Farbe  verleiht,  und 
ein  zweites,  welches  dem  Staphijlococcus  viridis  ßavescens  (Güttmann)  nahe 
zu  stehen  scheint. 

c)  solche,  die  rothe  bis  braune  Farbstoff e  bilden.  Miller  berichtet 
über  einen  nicht  selten  in  der  Mundhöhle  vorkommenden  Pilz,  welcher  ziegel- 
rothe  Beläge  auf  den  Zähnen  bildet  und  ungemein  hartnäckig  haftet.  Künst- 
lich liess  er  sich  nicht  züchten.  Doch  gelang  es  Miller,  von  anderen  rothes 
und  braunes  Pigment  bildenden  Spaltpilzen  Culturen  anzulegen.  Ebenso  er- 
zeugten mehrere  von  Vignal  isolirte  Bacillen  röthliche  Colonien.  Auch 
Rosenthal's  Bacterium  cerosinwn  ist  hierher  zu  rechnen. 

M.  Freund  gelang  es  18  verschiedene  chromogene  Spaltpilze  aus  der 
Mundhöhle  zu  züchten.  Bei  14  Bacterien  konnte  die  Identität  mit  genau 
bekannten  Arten  festgestellt  werden,  bei  den  übrigen  4  war  dies  jedoch  nicht 
möglich.  Es  fanden  sich  Sarcina  flava,  Sarcina  lutea,  Sarcina  aurantiaca, 
Staphylococcus  pyogenes  aureus,  Diplococcus  citreus  liquefaciens,  Mikrococcus 
flavus  liquefaciens,  Mikrococcus  luteus,  Mikrococcus  aurantiacus,  Mikrococcus  agilis, 
Mikrococcus  carneus,  Mikrococcus  cremoides,  Bacillus  fluorescens  liquefaciens, 
Bacillus  fuscus,  und  die  Rosahefe.  Als  neue  Species  stellte  Freund  hin  den 
Mikrococcus  lactericeus,  den  Mikrococcus  citreus  granulatus,  sowie  den  Bacillus 
griseo-flavus  und  den  Bacillus  riscosus  ochraceus.  Da  die  hauptsächlichsten 
farbenbildenden  Spaltpilze  in  der  Luft  und  im  Wasser,  besonders  im  Wasser- 

Ohren-,  Nasen-,  Eachen-,  Kelilkopfkrankheiten.  o 


34  BACTERIEN  DER  MÜNDHÖHLE. 

leitungswasser  die  ausgedehnteste  Verbreitung  besitzen,  so  ist  deren  häufiges 
Yorlvommen  in  der  Mundhöhle  durchaus  nicht  aufiällig. 

Von  den  Fernwirkungen  der  Mundbacterien  auf  entlegenere  Organe,  be- 
ziehungsweise den  gesammten  menschlichen  Organismus,  sei  hier  nur  ganz 
kurz  der  Parotitis  epidemica  gedacht,  die  in  den  meisten  Fällen  dadurch  ent- 
steht, dass  Mikroorganismen  vom  Munde  aus  in  die  Speichelgänge  eindringen. 
Auch  auf  die  innige  Wechselbeziehung  zwischen  der  Mundrachenhöhle  und 
dem  Mittelohr  sei  mit  wenigen  Worten  hingewiesen,  zumal  da  die  wichtigsten 
eine  Otitis  media  hervorrufenden  Mikroparasiten,  wie  der  Diplococcus  pneu- 
moniae, der  Bacillus  Feiedländee,  die  pyogenen  Staphylococcen  und  der 
Streptococcus  pyogenes,  nicht  selten  im  Cavum  oris  angetroffen  werden. 

Die  häufigste  Eingangspforte  für  die  den  menschlichen  Gesammtorganis- 
mus  schädigenden  Krankheitserreger  befindet  sich  an  den  Gaumenmandeln, 
aber  auch  durch  die  lymphatischen  Follikel  des  Zungengrundes  und  der 
Rachenwand  können  sie  in  die  Lymphdrüsen  des  Unterkiefers  und  des  Halses 
eindringen.  Für  Tuberkelbacillen  ist  dieser  Vorgang  durch  Baumgarten, 
Strassmann,  Dmochov^ski,  Krückmann,  Lubarsch  u.  a.  sicher  nachgewiesen. 
Hierzu  ist  eine  vorherige  Erkrankung  oder  Zerstörung  des  Epithels  durchaus 
nicht  erforderlich.  Ausserdem  bringt  jede  Schlingbewegung  den  Inhalt  des 
Mundsecretes  innig  mit  der  Mandeloberfläche  in  Berührung,  und  der  nach 
jedem  Schluckact  in  dieser  Gegend  stattfindende  negative  Druck  saugt  die 
differenten  Stoffe  förmlich  in  die  Krypten  hinein,  in  denen  das  active  Wachs- 
thum  der  Bacterien  jedenfalls  ebenso  gut  wie  im  Brutschrank  vonstatten 
geht.  Nach  den  Mittheilungen  Löffler's  schieben  sich  die  Streptococcen- 
colonien  in  keil-  oder  zungenförmigen  Herden  von  der  Schleimhautoberfläche 
in  die  Tiefe  vor,  erfüllen  die  Lymphspalten  und  gelangen  durch  Arrosion  der 
Blutgefässe  in  Folge  von  Gewebsnekrose  in  die  Circulation.  Die  weiterhin 
entstehende  Thrombophlebitis  gibt  Anlass  zu  Metastasen  in  lebenswichtigen 
Organen,  in  den  serösen  Höhlen,  in  den  Muskeln  oder  im  Knochenmark. 

Dass  verschiedene  Erkrankungen  des  Verdauungstractus,  in  erster  Linie 
die  Appetitlosigkeit,  schlechter  Geschmack  und  Geruch,  „die  aus  dem  Magen 
kommen",  die  chronische  Dyspepsie  und  intensive  Gährungserscheinungen  im 
Magen  in  vielen  Fällen  allein  auf  einen  vernachlässigten  Zustand  der  Mundhöhle 
zurückzuführen  sind,  braucht  an  dieser  Stelle  nicht  näher  erörtert  zu  werden. 

Auch  die  Richtigkeit  der  Annahme,  dass  Lungenerkrankungen  durch 
Aspiration  von  Keimen  aus  der  Mundhöhle  zustande  kommen  können;  ist 
vollständig  erwiesen.  Israel  fand  in  einem  aktinomykotischen  Primärherd 
des  Lungengewebes  ein  kleines  Stück  Zahnstein,  welchem  zahlreiche  Fäden 
des  Strahlenpilzes  anhafteten  und  das  bestimmt  der  Infectionsträger  war. 
Auch  Baumgarten  berichtet  über  einen  Fall,  bei  welchem  es  sich  um  eine 
primäre  Lungenaktinomykose  handelte,  die  durch  Aspiration  der  in  den  Krypten 
der  linken  Gaumenmandel  angesammelten  specifischen  Bacterienelemente  her- 
vorgerufen war.  Es  ist  anzunehmen,  dass  die  Mundrachenhöhle  zunächst  als 
Sammelstelle  der  eingeathmeten  Keime  dient,  diesen  zunächst  Gelegenheit  zur 
Vermehrung  und  damit  dann  die  Möglichkeit  des  Hinabgelangens  einer  grösse- 
ren Anzahl  von  Keimen  in  die  Lunge  bietet.  Sowohl  für  die  Pneumonie  als 
auch  für  den  Lungenbrand  ist  die  Mundhöhle  und  nicht  die  Luft  als  die  directe 
Quelle  der  Infection  anzusehen. 

Was  nun  die  Gruppirung  der  Mundpilze  anbetrifft,  so  kann  man  die- 
selben eintheilen 

I.  in  die  eigentlichen  Mundbewohner,  die  Mundpilze  im  en- 
geren Sinne; 

diese  sind,  wie  neuere  bacteriologische  Untersuchungen  gezeigt  haben, 
fast  in  jeder  Mundhöhle  aufzufinden; 

IL  in  Mundpilze  im  weiteren  Sinne. 


BACTERIEN  DER  MUNDHÖHLE.  35 

In  dieses  Gebiet  können  unter  Umständen  sämmtliche  in  unserer  Um- 
gebung vegetirende  Pilzarten  fallen,  die  nur  zufällig  mit  der  Inspirationsluft 
oder  mit  Nahrungsmitteln  in  die  Mundhöhle  gelangten  und  bloss  vorüber- 
gehend sich  hier  aufhalten.  Nur  die  erste  Gruppe  ist  für  den  praktischen 
Arzt  von  besonderer  Bedeutung.  Speciell  aus  pathologischen  Gesichtspunkten 
unterscheiden  wir  dann  wieder  zwischen 

1.  nicht  pathogenen  und 

2.  pathogenen  Bacterien  der  Mundhöhle,  d.  h.  solchen,  welche  ent- 
weder nach  Ueberimpfung  auf  Thiere  oder  im  menschlichen  Organismus  selbst 
krankhafte  Veränderungen  hervorrufen. 

I.  Niclitpatliogeiie  Muiidpilze  im  engeren  Sinne. 

u)  Kugelförmige  Spaltpilze  (Coccen). 

1.  Jodococcus  vaginatus  (Millee). 

2.  Jodococcus  magnus  (Miller). 

3.  Jodococcus  parvus  (Miller). 

4.  MiJcrococcus  (mit  Jod  rosaroth  färbbar)  (Miller). 

5.  Ascococcus  buccaUs  (Miller). 

6.  Mikrococcus  nexifer  (Miller). 

7 — 10.  Mikrococcen,  welche  ebenso  wie  4.  und  5.  in  zuckerhaltigen  Lösun- 
gen gezüchtet  eine  starke  Gährung  nnd  eine  stark  saure  Reaction  verursachen. 
11.  Mikrococcus  Reesii  (E.  Rosenthal). 

b)  Stäbchenförmige  Spaltpilze. 

1.  Bacillus  mesentericus  vulgatus  FlüC4GE,  Kartoffelbacillus  (Vignal). 

2.  Bacillus  subtilis  Ehrenberg,  gemeiner  Heubacillus  (Vignal). 

c)  Schraubenbacterien. 

1.  Vibrio  rugula  (Vignal). 

2.  Vibrio  viridans  (Miller). 

3.  Spirillwn  sputigenum  (Miller). 

Ausser  diesem  fand  Miller  noch  drei  andere  züchtbare  krumme  Stäb- 
chen, die  alle  durch  verschiedene  Merkmale  vom  Cholerabacterium  differencirt 
waren. 

4.  Spirochaele  dentium  s.  denticola  (Miller). 

d)  Pleomorphe  Spaltpilze  (Fadenbacterien). 

1.  Leptothrix  buccalis  (Vignal). 

2.  Leptothrix  innominata  (Miller)  =  Materia  alba    von    Leuwenhoek. 

3.  Bacillus  buccalis  maximus  (Miller). 

4.  Leptothrix  buccalis  maxima  (Miller). 

II.  Patliogene  Muudpilze  im  engeren  Sinne. 

A.  Nicht  züchtbare  pathogene  Arten. 
Einen  wichtigen  Beitrag  zur  Kenntnis  dieser  Gruppe  hat  Kreibohm 
geliefert.  Er  fand  zwei  pathogene  Bacterien,  welche  auf  keinem  der  üblichen 
künstlichen  Nährsubstrate  zum  Wachsthum  zu  bringen  waren,  aber,  Mäusen 
einverleibt,  Septikämie  hervorriefen.  Im  Blute  der  Versuchsthiere  fanden 
sich  dieselben  Bacterien  in  grossen  Mengen  vor.  Die  Stäbchen  der  ersten 
Art  waren  denen  der  Kaninchenseptikämie  sehr  ähnlich  und  wurden  zwei- 
mal aus  dem  Zungenbelag  Typhöser,  die  zweite,  den  Bacillen  der  Hühner- 
cholera am  ähnlichsten,  wurde  aus  dem  Zungenbelag  eines  fiebernden  Kindes 
mit  einem  erythematösen  Exanthem  durch  den  Thierkörper  isolirt.  jMiller 
beobachtete  in  der  gangränösen  Zahnpulpa  ein  Bacterium,  welches,  Mäusen 
injicirt,  locale  Gangrän  erzeugte. 

3* 


36  BACTERIEN  DER  MÜNDHÖHLE. 

B.  Zucht  bare  pathogene  Mundbact  erien. 
a)  Coccen. 

1.  Diplococcus  lanceolaius  capsidatus  Feänkel,  Diplococcus  pneumoniae 
Weichselbaum. 

Die  Entdeckung  seiner  ursächlichen  Beziehung  zu  der  fibrinösen  Lungen- 
entzündung greift  zurück  auf  die  durch  Pasteur  und  Sternberg  bereits  1881 
festgestellte  Thatsache,  dass  Kaninchen  nach  Impfung  mit  menschlichem 
Speichel  erkranken  und  sterben,  wobei  dann  im  Blute  in  reichlicher  Menge 
ein  kapseltragender  Coccus  auftritt,  der  sich  züchten  lässt.  Dieser  Mikro- 
coccus  der  „Sputum-Septikämie"  wurde  von  A.  Fränkel  als  der  Erreger  der 
Pneumonie  erkannt,  eine  Behauptung,  die  durch  die  Untersuchungen  anderer 
Forscher,  vorallem  Weichselbaum's  und  Netter's  in  der  Folge  bewiesen 
worden  ist.  Dieser  gefährliche  Entzündungs-,  bez.  Eiterungserreger  wird  sehr 
häufig  in  der  Mundhöhle  Gesunder  angetroffen.  Netter  fand  ihn  bei  der 
Untersuchung  des  Speichels  von  127  gesunden  Personen,  bei  denen,  die  eine 
Pneumonie  überstanden  hatten,  in  80 7o,  bei  denen,  die  niemals  eine  solche 
gehabt  hatten,  in  20 7o  der  Fälle.  Die  verschiedenen,  dem  Diplococcus  lan- 
ceolatus  ähnlichen  Mikroorganismen,  welche  in  der  Mundhöhle  angetroffen 
wurden,  berechtigen  nach  Kruse  und  Pansini  nicht  zur  Aufstellung  distincter 
Varietäten. 

2.  Mikrococcus  gingivae  pyogenes  (Miller). 

3.  Coccus  salivarius  septicus  (Miller). 

4.  Mikrococcus  tetragenus  Gaffky  (Miller,  Biondi,  Park,  Steinhaus). 

5.  Staphylococcus  salivarius  pyogenes  (Biondi). 

6.  Staphylococcus  pyogenes  aureus  et  albus. 

7.  Staphylococcus  pyogenes  citreus  et  flaviis. 

8.  Streptococcus  pyogenes. 

Diese  drei  zuletzt  angeführten  gewöhnlichen  Eiterpilze  sind  häufige  Be- 
wohner der  Mundhöhle.  Netter  hat  bei  7  unter  127  Gesunden,  d.  h.  bei 
5-547o  ini  Speichel  den  Streptococcus  pyogenes  nachgewiesen.  Kurth  gibt 
an,  nach  der  ihm  zugänglichen  Literatur  kämen  in  472— 8  7o  bei  Gesunden 
im  Munde  Streptococcen  vor,  bei  einer  Reihe  sei  jedoch  die  Virulenz  nicht  durch 
das  Thierexperiment  nachgewiesen  worden.  Podbielsky  untersuchte  bei  50  Ge- 
sunden, theils  Erwachsenen,  theils  Kindern,  und  fand  darunter  nur  einmal  bei 
einem  7monatlichen  Kinde  Streptococcen.  Schweighofer  hat  aus  7  gesunden 
Mundhöhlen  einen  Streptococcus  isoliren  können,  der  schwerer  fortzuzüchten 
war  als  der  bei  Diphtherie-Secundärinfection  erhaltene,  und  sehr  wenig 
virulent  war.  Doernberger  fand  in  Escherich's  Klinik  Streptococcen  nicht 
nur  bei  Angina  catarrhalis,  lacunaris  und  phlegmonosa,  bei  Stomatitis  aph- 
thosa und  herpetica,  sondern  auch  unter  normalen  Verhältnissen  in  der  Mund- 
höhle in  45 7o  unter  40  Kindern.  Von  Fränkel  und  Gaere  wurden  die 
pyogenen  Staphylococcen  im  Speichel  nachgewiesen.  Abweichend  von  diesen 
Autoren  konnte  Vignal  die  Staphylococcen  nicht  häufig,  die  Streptococcen  nie 
g  ewinnen. 

Biondi  constatirte  dreimal  unter  50  Fällen  bei  Angina  phlegmonosa 
beziehungsweise  primärem  Larynxerysipel  im  Mundspeichel  Streptococcen.  Das 
erste  Stadium  der  BEDNAR'schen  Aphthen  glaubt  E.  Fränkel  durch  Bacterien- 
haufen,  und  zwar  Staphylococcen  und  Streptococcen  verursacht.  Sendtner 
erhielt  aus  vier  Fällen  von  Angina  follicularis  und  einer  Angina  phlegmonosa, 
ausschliesslich  Streptococcen,  die  mehr  oder  minder  virulent  waren.  Kurth 
erhielt  bei  vier  leichten  Mandelentzündungen  und  einer  solchen,  die  mit  Otitis 
complicirt  war,  den  Streptococcus  pyogenes. 

Ausserdem  treffen  wir  die  Streptococcen  bei  anderen  Krankheiten,  deren 
Erreger  specifische  Bacterien  sind,  mit  diesen  letzteren  vergesellschaftet  als 


BACTERIEN  DER  MUNDHÖHLE.  37 

secundär  inficirende  Mikroorganismen  oder  Mischinfectionserreger.  Ausser  bei 
der  ulcerösen  Foraa  der  Phthise  spielen  sie  nach  den  Beobachtungen  von 
LöFFLER,  Barbier  u.  A.  bei  der  schweren  septischen  Diphtherie  eine  beson- 
dere Rolle,  sowie  bei  Scharlach,  wo  sie  sich  in  und  auf  den  Tonsillen  finden 
(Heubner,  Bahrdt).  Bei  der  Scharlachdiphtherie  ist  das  Vorkommon  der 
Streptococcen  so  constant,  dass  manche  Forscher  die  Kettencoccen  als  PJrreger 
des  Scharlachs  angesehen  haben.  Der  Staphylococcus  citreus  Passet  und  fiavus 
Rosenbach  wurde  von  E.  Fkänkel  in  vier  Fällen  von  Stomatitis  aphthosa 
gefunden. 

Bei  Angina,  Aphthenbläschen,  Stomatitis,  sowie  im  Munde  gesunder 
Menschen  werden  zuweilen  Streptococcen  gefunden,  die  sich  morphologisch  und 
culturell  ganz  wie  der  „Streptococcus  pathogenes  longus"  verhalten,  aber  frisch 
isolirt  fast  gar  keine  Thierpathogenität  besitzten.  Da  er  beim  Wachsthum  in 
Bouillon  nie  längere  Ketten  als  höchstens  von  4—6  Gliedern  bildet,  wird 
er  nach  Behring  „Streptococcus  brevis"  genannt.  Jedenfalls  ist  dieser  Mund- 
pilz nur  in  sehr  seltenen  Fällen  Erreger  pathologischer  Processe. 
h)  Stäbchenförmige  Spaltpilze. 

a)  Bacterien. 

1.  Bacterium  imeumoniae  Friedländer. 

Netter  gibt  nach  eigenen  und  fremden  Untersuchungen  die  Häufigkeit 
des  Vorkommens  dieses  pathogenen  Bacillus  im  Speichel  gesunder  Menschen 
mit  i-ö^o  an.  Miller  fand  ihn  unter  120  Fällen  nur  einmal.  Da  dieser 
Pilz  morphologisch  und  in  Culturen  dem  Bacillus  aerogenes  sehr  ähnlich  ist, 
mahnt  dieses  Verhalten  in  der  Beurtheilung  einschlägiger  Fälle  zur  Vorsicht. 

2.  Bacterium  mallei  (Preusse). 

3.  Bacterium  coli  commune  Escherich  (Grimbert). 

4.  Bacterium  gingivae  pyogenes  (Miller). 

5.  Bacterium  -q  und  ß  von  Galippe. 
ß)  Bacillen. 

1.  Bacillus  dipMlieriae  Klebs-Löpfler. 

In  der  Regel  ist  bei  gesunden  Menschen,  die  in  keiner  Berührung  mit 
Diphtheriekranken  standen,  der  Rachen  frei  von  virulenten  Bacillen.  Indessen 
sind  einige  Ausnahmen  doch  beschrieben.  So  isolirte  schon  Löffler  in 
einem  solchen  Falle  den  echten  Diphtheriebacillus,  v.  Hofmann  in  zwei 
Fällen,  C.  Fränkel  ebenfalls  in  zwei,  Feer  in  einem  Falle.  Die  umfassenden 
Ermittlungen  von  Park  und  Beebe  ergaben  bei  330  Personen  achtmal  ein 
positives  Resultat. 

Neuere  Beobachtungen  haben  gelehrt,  dass  sich  virulente  Bacillen  im 
Halse  von  Diphtherie-Reconvalescenten  nicht  selten  eine  Reihe  von  Wochen 
halten  können.  So  fand  sie  Tobiesen  bis  zu  31,  Biggs,  Park  und  Beebe 
sogar  63  Tagen  nach  dem  Verschwinden  der  Beläge.  Park,  der  48  gesunde 
Kinder  aus  von  Diphtherie  betroffenen  Familien  untersuchte,  fand  bei  50% 
virulente  Bacillen,  40^0  erkrankten  später  an  Diphtherie.  Aaser  constatirte 
unter  89  Einwohnern  einer  Kaserne,  in  der  ein  Fall  schwerer  Diphtherie  vor- 
gekommen war,  den  echten  Bacillus  in  IO^q. 

2.  Bacillus  ])seudodipht}iericus  v.  Hofmann- Wellenhof-Löffler. 
Dieser,  dem  LöFFLER'schen   Bacillus   sehr  ähnlich,    ist   nicht   pathogen 

und  wird  in  30  — 607o  der  Fälle  regelmässig  in  der  Mundrachenhöhle  an- 
getroffen, 

3.  Bacillus  tuberculosis  Koch. 

Hoppe  behauptet,  dass  fast  in  jeder  Mundhöhle  Tuberkelbacillen  vor- 
kämen, DiEüLAFOY  sowie  CoRNiL  fanden  Bacillen  in  den  Tonsillen  Gesunder. 
Georg  Gottstein  berichtet  über  6  Fälle  von  primärer  Tuberkulose  der  Rachen-, 


38  BACTERIEN  DER  NASENHÖHLE. 

beziehungsweise  Gaumentonsille.  Die  Fälle  stammen  aus  einem  Beobaclitungs- 
material  von  33  Pharynx-  und  20  Gaumenmandeln.  Gottstein  fand  vier 
Pharynxtonsillen,  also  127o,  und  zwei  Gaumentonsillen,  also  10%,  tuberkulös. 
Mit  Recht  hat  Gottstein  darauf  hingewiesen,  in  allen  Fällen  von  hyper- 
plastischen Ptachen-  und  Gaumentonsillen  an  die  Operation  heranzugehen, 
nicht  nur  wegen  der  allgemeinen  Störungen,  sondern  auch  wegen  der  von 
einer  möglicher  Weise  tuberkulös  erkrankten  Tonsille  drohenden  Infections- 
gefahr. 

4.  Bacillus  gingiintidis  (Babes). 

5.  Bacillus  sputigenes  tenuis  (Pansini). 

G.  Bacillus  simügenes  crassus  (Kreebohm), 
vielleicht  identisch  mit 

7.  Bacillus  der  Sputum- Septikämie  (Millek). 

8.  Bacillus  saUvarius  septicus  (Biondi). 

9.  Bacillus  dentalis  viridans  (Miller). 

10.  Bacillus  pulpae  pyogenes  (Miller). 

11.  Bacillus  huccalis  muciferens  (Miller). 

12.  Bacillus  huccalis  septicus  (Miller). 

13.  Bacillus  salivae  minutissimus  (Wilde). 

c)  Schraubenbacterien. 

1.  Spirillum  sputigenum  (Verneüil  und  Clado). 

d)  Pleomorphe  Spaltpilze. 

a)  Spirulina. 

1.  Bacillus  Proteus  vidgaris  Hauser;  gem.  Fäulnisbacillus. 

2.  Bacillus  saprogenes  (Rosenbach). 

3.  Bacterium  termo  Vignal,  identisch  mit  Bacillus  proteus  fluorescens 
H.  Jäger  (Erreger  der  WEiL'schen  Krankheit). 

4.  Bacillus  b  Vignal. 

5.  Bacillus  Nr.  7  und  9  Pansini. 
ß)  Cladothricheen. 

1.  Streptothrix  Äctinomyces. 

Nach  PoNFicK  und  Rosenbach  kommt  dieser  Pilz  nicht  selten  bei 
gesunden  Menschen  in  den  Tonsillarpfröpfen  vor.  Ausser  durch  die  Gaumen- 
mandeln geschieht  die  Invasion  durch  die  Zunge  und  noch  häufiger  durch 
die  Zähne,  und  zwar  der  Regel  nach  durch  die  Molares,  seltener  durch  die 
Prämolares  oder  Canini,  nie  durch  die  Schneidezähne. 

Eine  streng  systematische  Classification  der  Bacterien  der  Mundhöhle 
lässt  sich  schwer  aufstellen,  weil  ein  Theil  dieser  Mikroorganismen  auf  allen 
bisher  bekannten  Nährmedien  nicht  wächst.  Andererseits  ist  es  kaum  durch- 
führbar, die  von  verschiedenen  Autoren  aufgezählten  Arten  mit  einander  zu 
vergleichen  und  ihre  eventuelle  Identität  festzustellen.  barnick. 

Bacterien  der  Nasenhöhle.  I.  Unter  normalen  Verhältnissen.  Man. 
sollte  a  priori  glauben,  dass  die  Nasenhöhle  schon  in  normalem  Zustande 
eine  grosse  Menge  Bacterien  beherbergen  müsse,  weil  mit  den  eingeathmeten 
Staubpartikelchen  solche  in  grosser  Menge  in  die  Nasenhöhle  gelangen.  Die 
Thatsachen  entsprechen  jedoch  diesem  Postulate  nicht,  da  es  sich  nach  den 
Untersuchungen  Hajek's  gezeigt  hat,  dass  das  normale  Nasensecret  verhältnis- 
mässig nur  sehr  wenige  Bacterien  beherbergt.  Erst,  wenn  eine  pathologische 
Secretion  der  Nasenschleimhaut  eintritt,  erscheinen  eine  grosse  Anzahl  Coccen 
und  Bacterien  in  dem  Nasenschleime. 

Reimann  beschreibt  im  normalen  Nasensecrete  zwei  Arten  von 
Bacterien:  1.  Gelatine  verflüssigende  Bacillen  und  2.  miliare  Coccen,  ohne 
jedoch  den  Charakter  der  Mikroorganismen  näher  zu  bestimmen. 


BACTERIEN  DER  NASENHÖHLE.  39 

Die  wichtigste  Frage  in  Bezug  auf  den  Bacterieninhalt  des  normalen 
Nasensecretes  ist  die  nach  dem  Vorkommen  von  pathogenen  Bacterienarten. 
In  dieser  Beziehung  sind  vor  allem  die  Angaben  von  v.  Besser,  Paulsen  und 
E.  FßÄNKEL  hervorzuheben,  welche  den  Diplococcus  pneumoniae  (Fkänkel- 
Weichselbaum)  im  normalen  Nasensecrete  vorfanden.  Die  beiden  ersten 
Autoren  haben  auch  in  einzelnen  Fällen  den  Staphylococcus  pyogenes  aureus 
und  den  Streptococcus  pyogenes  vorgefunden.  Nur  ausnahmsweise  scheint  der 
FRiEDLÄNDEE'sche  Bacillus  im  normalen  Nasenschleime  vorzukommen.  Paul- 
sen und  Netter  sowohl  als  auch  Abel  konnten  ihn  in  einer  grossen  Anzahl 
von  Fällen  nicht  nachweisen.  Ebenso  verfügt  Wright  bei  seinen  Fällen  nur 
über  negative  Befunde. 

//.  Baderien  der  Nasenhöhle  unter  pathologischen  Verhältnissen.  —  Es 
ist  bislang  für  die  wenigsten  Bacterienarten  erwiesen,  welche  Kolle  ihnen 
für  den  jeweiligen  pathologischen  Process  zuzuerkennen  ist.  Die  Schwierigkeit 
dieser  Bestimmung  liegt  wiederum  in  der  grossen  Anzahl  von  Bacterienarten, 
welche  gleichzeitig  die  Nasenhöhle  invadiren. 

Es  wird  sich  empfehlen,  zuerst  die  vorgefundenen  und  th eilweise  studirten 
Bacterienarten  anzuführen  und  nachher  die  einzelnen  Krankheiten,  deren  Ab- 
hängigkeit von  Bacterien  erwiesen  oder  wahrscheinlich  ist,  der  Pteihe  nach 
aufzuzählen. 

Es  sind  bei  der  folgenden  Darstellung  auch  die  unter  pathologischen 
Verhältnissen  der  Nebenhöhlen  vorgefundenen  Bacterienarten  angeführt: 

Staphylococcus  pyogenes  aureus  (Herzfeld,  Herrmann,  Dmuchowsky). 

Streptococcus  pyogenes,  beziehungsweise  erysipelatis.  (Lue,  Kühnl,  Hajek^ 
Dmuchow^sky). 

Friedländer' scher  Pneumoniehacillus  (Thost,  Klamann,  Hajek,  Abel). 

Fränkel-  Weichselbaum' scher  Diplococcus  pneumoniae  (Weichselbaum, 
Netter). 

Diplococcus  coryzae  (Hajek). 

Bacterium  coli  (Heezfeld,  Heermann). 

Bacillus  foetidus  ozaenae  (Hajek). 

Bacillus  pyogenes  foetidus  (Dmuchov\^sky). 

Bacillus  mucosus  capsulatus  (Löwenberg,  Abel,  Paulsen). 

Ferner  Tuberkelbacillus,  Diphtheriehacillus,  Inßuensabacillus,  Bhinosclerom- 
hacillus,  Botzbacillus,  Leprabacillus. 

Mit  Ausnahme  der  in  den  letzten  Reihen  angeführten  Bacterienarten, 
deren  Bedeutung  für  die  entsprechenden  Krankheiten  ausser  Zweifel  gestellt 
ist,  lässt  sich  ein  bestimmter  ätiologischer  Zusammenhang  zwischen  den 
übrigen  Bacterienarten  und  den  krankhaften  Veränderungen,  bei  welchen  die- 
selben vorgefunden  werden,  nicht  beweisen. 

Insbesondere  ist  der  Bacterienbefund  bei  zwei  Krankheiten  eingehender 
studirt  worden:  1.  Bei  der  acuten  Rhinitis,  2.  bei  der  Ozaena. 

1.  Bacterien  beim  acuten  Schnupfen. 

Wenn  wir  von  den  ersten  Angaben  von  Salisbury,  Ephraim,  Cuttler 
undREiNiscH  absehen,  welche  einen  Pilz  unter  dem  Namen  „Asthmafus  ciliaris'^ 
beschrieben  und  abgebildet  haben,  und  welchen  die  genannten  Autoren  als 
Erreger  des  acuten  Schnupfens  angegeben  haben,  muss  vor  allem  die  Angabe 
von  Klebs  verzeichnet  werden,  welcher  einen  in  eine  gallertige  Hülle  ein- 
geschlossenen Coccus  vorfand,  von  dem  aber  schwer  zu  sagen  ist,  ob  er  nicht 
mit  dem  FRÄNKEL'schen  Diplococcus  pneumoniae  identisch  ist. 

Hajek  fand  grosse  Diplococcen  bei  der  acuten  Coryza  und  nannte  sie 
„Diplococcus  coryzae".  Die  Diplococcen  wuchsen  auf  Gelatine,  verhielten 
sich  ein  wenig  verschieden  von  dem  FRiEDLÄNDER"schen  Pneumoniebacillus, 
mit  welchem  sie  übrigens  in  Culturen  die  grösste  Aehnlichkeit  haben.  Hajek 


40  BACTERIEN  DER  NASENHÖHLE. 

fand  nur  in  den  ersten  Tagen  des  Schnupfens  die  erwähnten  Diplococcen, 
am  oten  Tage  mengten  sich  schon  viele  andere  Bacterienarten,  insbesondere 
der  Staphylococcus  bei. 

Thost  fand  beim  acuten  Schnupfen  neben  den  FRiEDLÄNDER'schen  und 
FRÄNKEL'schen  Pneumoniebacillen  den  Staphylococcus  pyogenes  aureus  und 
albus  vor. 

H.  V.  ScHRöTTER  Und  WiNKLER  fanden  den  Staphylococcus  aureus  vor. 

Von  einem  Nachweise  des  Erregers  des  acuten  Schnupfens  kann  bei  den 
genannten  Untersuchungen  keine  Rede  sein. 

Bei  längerer  Dauer  des  acuten  Schnupfens  wächst  die  Zahl  der  Bacterien 
im  Nasensecrete  rapid.  Es  treten  Coccen  von  verschiedener  Grösse  und  ver- 
schiedener Art  auf,  ebenso  Bacillen  von  verschiedener  Form  und  verschie- 
denem culturellen  Verhalten.  Des  näheren  sind  diese  Bacterienarten  von 
niemandem  studirt  worden,  nur  Hajek  und  Thost  führen  an,  in  späteren 
Stadien  des  acuten  Schnupfens  den  FRiEDLÄNDER'schen  Bacillus  gefunden  zu 
haben. 

2.  Bacterien  bei  der  Ozaena. 

Unter  den  Bacterien  der  Nasenschleimhaut  in  pathologischen  Verhält- 
nissen erhielt  ein  im  Secret  der  Ozaena  fast  constant  vorkommender  Kapsel- 
bacillus  die  grösste  Bedeutung,  indem  derselbe  von  mehreren  Autoren  (Löv^^en- 
BERG,  Abel,  Paulser)  als  der  Erreger  der  Ozaena  hingestellt  wurde. 

LöwENGERG  w^ar  der  erste,  welcher  in  den  zwischen  Muschel  und 
Septum  ausgespannten  Schleimfäden  bei  Ozaena  in  den  Deckglaspräparaten 
„Coccen''  vorfand,  welche  mit  einer  Kapsel  umgeben  waren.  Er  wies  gleich 
damals  auf  die'  Aehnlichkeit  mit  dem  FRiEDLÄNDER'schen  Bacillus  hin.  Seine 
damaligen  Culturversuche  scheinen  aber  misslungen  zu  sein,  denn  er  schreibt, 
dass  die  Coccen  die  Eigenschaft  hätten,  die  Gelatine  zu  verflüssigen,  während 
alle  anderen  später  die  Kapselcoccen  züchtenden  Autoren  angeben,  dass  eine 
Verflüssigung  der  Gelatine  nicht  erfolgt.  Löwenberg  schrieb  seinen  Coccen 
ohne  weitere  Motivirung  sowohl  die  Eigenschaft,  den  eigenthümlichen  atro- 
phischen Process  hervorzurufen,  als  auch  den  Gestank  zu  bedingen,  zu. 

Nach  Löwenberg  fand  zuerst  Klamau  unabhängig  vom  ersteren  Kapsel- 
coccen im  Secret  der  Ozaena  vor.  Klamau  identificirte  dieselben  ohneweiters 
mit  dem  FRiEDLÄNDER'schen  Pneumobacillus,  wenn  er  auch  die  betreffenden 
Mikroorganismen  nicht  cultivirt  hat.  Thost  fand  unter  1 7  Fällen  von  Ozaena 
in  12  Fällen  deutliche  Kapsel.  Nur  in  einem  Falle  hat  er  einen  dem  FRiED- 
LÄNDER'schen Pneumobacillus  ähnlichen  Organismus  gezüchtet.  Thost  gibt 
an,  auch  bei  Lues,  Polypen  etc.  den  Kapselcoccus  im  Secrete  vorgefunden  zu 
haben.  Hajek  fand  in  10  Fällen  von  Ozaena  8  mal  mikroskopisch  Kapsel- 
bacillen,  7  mal  wurde  ein  dem  FRiEDLÄNDER'schen  Pneumobacillus  ähnlicher 
Mikroorganismus  gezüchtet.  Thost  und  Hajek  haben  infolge  des  Umstandes, 
■dass  sie  mikroskopisch  dieselben  Coccen  auch  bei  anderen  Nasenkrankheiten 
vorgefunden  haben,  von  vornherein  an  einen  ätiologischen  Zusammenhang 
zwischen  Coccen  und  Ozaena  gar  nicht  gedacht.  Hajek  hat  überdies  den 
bacteriellen  Ursprung  der  Ozaena  deshalb  in  Abrede  gestellt,  weil  im  Gewebe 
der  atrophischen  Schleimhaut  Bacterien  nicht  vorzufinden  sind.  Deshalb 
wollte  er  auch  den  von  ihm  vorgefundenen  Bacillus  foetidus  Ozaenae 
nur  für  die  Entstehung  des  Gestankes  verantwortlich  machen. 

Ausserdem  haben  die  erwähnten  Kapselbacillen  Marano,  Campos  Sales, 
Valentin,  Luc  und  Hope  im  Ozaenasecrete  mikroskopisch  nachweisen  können. 

Während  die  erwähnten  Autoren  mit  Ausnahme  Löwenberg's  den 
Kapselcoccen  eine  ätiologische  Bedeutung  für  den  Ozaenaprocess  nicht  zuzu- 
erkennen vermochten,  hat  Abel  in  beiläufig  100  Fällen  sorgfältige  Unter- 
suchungen  durch  die  Cultur  angestellt,  w^obei    er  zu  dem  Resultate  gelangt. 


BILDÜNGSANOMALIEN  DES  GEHÖßORGANES.  41 

dass  der  Kapselbacillus,  von  ihm  Bacillus  mucosus  Ozaenae  benannt,  mit  dem 
Ozaenaprocesse  in  ätiologischer  Beziehung  stehen  müsse,  da  derselbe  nur  beim 
Ozaenaprocess  vorkäme.  Nach  Abel  hat  der  Bacillus  mucosus  im  Gegen- 
satz zu  LöwENBEEG  mit  der  Erregung  des  Fötors  nichts  zu  thun;  der  Fötor 
rührt  nach  ihm  von  einem  anderen  Factor  her,  da  der  Bacillus  mucosus  sich 
auch  bei  Ozaena  ohne  Fötor  vorfindet,  überall  dort,  wo  die  charakteristischen, 
rasch  eintrocknenden  Borken  auftreten. 

Zu  ähnlichen  Kesultaten,  wie  Abel  gelangte  auch  Paulsen.  Er  hat 
aus  51  Fällen  von  Ozaena  den  schleimbildenden  Kapselbacillus  zu  züchten 
vermocht;  dagegen  fand  sich  der  Bacillus  bei  149  theils  gesunden,  theils  mit 
anderweitigen  Krankheiten  behafteten  Nasen  nicht  vor.  Auch  Paulsen  hält 
den  vorgefundenen  Kapselbacillus  für  den  Erreger  der  Ozaena. 

Von  einer  definitiven  Beweisführung,  dass  der  Bacillus  mucosus  als 
Ursache  der  Ozaena,  id  est  der  Borkenbildung  und  der  Atrophie  aufzufassen 
ist,  kann  bislang  keine  Kede  sein. 

Insbesondere  kommt  hiebei  der  Umstand  in  Betracht,  dass  die  vielfach 
erörterten  Kapselbacillen  bisher  nur  im  Secrete  und  nie  im  Gewebe  nach- 
gewiesen wurden.  Ausser  dem  Kapselbacillus  enthalten  die  Ozaenaborken 
eine  Unsumme  von  verschiedenen  anderen  Bacterien:  kurze  und  lange  Stäbchen, 
kleine  und  grosse  Coccen;  dass  einige  von  ihnen  bei  Erzeugung  des  Fötor 
eine  Rolle  spielen  ist  im  hohen  Grade  wahrscheinlich.  Besonders  dürfte  die 
Fähigkeit,  das  Secret  in  Fäulnis  zu  versetzen,  einer  von  Hajek  vorgefun- 
denen und  beschriebenen  Bacillenart,  dem  Bacillus  foetidus  Ozaenae 
zukommen.  Es  sind  dies  schlanke  Stäbchen,  welche  viele  organische  Sub- 
stanzen unter  Entwicklung  eines  dem  Ozaenagestanke  ähnlichen  Geruches  zer- 
setzen. 

3.  Eiter  ungeninder  Nase. 

Welche  Bolle  den  Eitercoccen  bei  den  verschiedensten  Eiterungen  und 
Ulcerationsprocessen  in  der  Nase  zukommt,  ist  nicht  klargestellt.  Wie  oft 
sie  als  primäre  Ursache  und  wie  oft  sie  als  secundäre  Beimengungen  zu 
betrachten  sind,  harrt  nach  den  bisherigen  Untersuchungen  noch  der  definitiven 
Lösung.  Auch  ist  es  nicht  klar,  welche  Rolle  den  im  Eiter  der  Nebenhöhlen 
vorgefundenen  Bacterien  zuzuschreiben  ist. 

E.  Fränkel  hat  zwar  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  dem  schon  in 
normalen  Verhältnissen  in  der  Kieferhöhle  nachweisbaren  Diplococcus  pneu- 
moniae bei  den  Eiterungen  eine  wesentliche  Rolle  zuzuschreiben  sei;  er  fand 
in  40  Fällen  acuter  Eiterungen  8  mal  allein  den  Diplococcus  pneumoniae, 
14  mal  combinirt  mit  dem  Streptococcus  und  Staphylococcus  pyogenes  aureus 
oder  Bacillus  mucosus  vor.  Allein  Dmuchowsky's  Resultate  lauten  anders. 
Besagter  Autor  fand  in  18  Eiterungen  der  Highmorshöhle  3  mal  den  Staphy- 
lococcus pyogenes  aureus,  10  mal  den  Bacillus  pyogenes  foetidus,  3  mal  den 
Streptococcus  pyogenes,  2  mal  den  Pneumococcus  Friedländer,  1  mal  den 
Bacillus  pyocyaneus.  Für  alle  Fälle  lässt  sich  bei  derartig  widersprechenden 
Befunden  nicht  gut  behaupten,  dass  eine  oder  die  andere,  wenn  auch  im 
allgemeinen  pathogene  Bacterienart  als  Erreger  der  Entzündung  aufzufassen 
ist.  Es  ist  ja  möglich,  dass  mehrere  Bacterienarten  entzündungserregend  auf 
die  Schleimhaut  der  Nebenhöhlen  wirken  können;  ebenso  möglich  ist  es  indes, 
dass  allen  insgesammt  nur  die  Rolle  einer  secundären  Infection  zuzuschreiben 
ist,  während  die  primäre  Ursache  bisher  unbekannt  ist.  hajek. 

Bildungsanomalien  des  GehÖrorganeS.  I.Bildungsdefecte.  Ent- 
wicklungsstörungen werden  am  häufigsten  im  Bereiche  des  äusseren  und 
mittleren  Ohres,  seltener  im  Labyrinthe  beobachtet.  In  den  meisten  Fällen 
sind   die   Defecte    nicht   auf   einen  Abschnitt    des  Gehörorganes    beschränkt. 


42  BILDUNGSANOMALIEN  DES  GEHÜRORGANES. 

sondern  auf  mehrere  ausgedehnt.  Nicht  selten  findet  sich  neben  Entwicklungs- 
hemmungen auch  eine  mangelhalte  Ausbildung  der  ganzen  entsprechenden 
Kopfseite,  eine  Thatsache,  welche  für  die  Erklärung  des  auffallend  häufigen 
Vorkommens  von  Bildungsanomalien  des  Ohres  bei  Verbrechern  und  Geistes- 
kranken (Gradenigo)  von  Belang  ist. 

a)  Ohrmuschel .  Vollständiges  Fehlen  der  Ohrmuschel  ist  sehr  selten. 
Fast  stets  ist  wenigstens  ein  kleines  Rudiment  vorhanden,  welches  ungefähr 
die  Insertionsstelle  der  normalen  Auricula  einnimmt  und  aus  einem  von  Haut 
überzogenen  Knorpelwulste  besteht  (Mikrotie).  Die  Form  solcher  rudimen- 
tärer Ohrmuscheln  kann  sehr  verschieden  sein;  zu  den  typischeren  Befunden 
gehört  das  Katzenohr,  welches  an  eine  von  oben  nach  unten  zusammen- 
geklappte Auricula  erinnert,  und  die  spiralig  von  hinten  nach  vorn  zusammen- 
gerollte Ohrmuschel.  Einzelne  Gruben  und  Hervorragungen,  welche  mit- 
unter solchen  der  normalen  Auricula  nach  Form  und  Lage  ähneln,  finden  sich 
oft,  fast  immer  fehlt  indessen  die  Concha  und  der  äussere  Gehörgang. 

Viel  häufiger  als  diese  gröberen  Bildungsdefecte  werden  geringfügige 
Abweichungen  von  der  normalen  Form  des  äusseren  Ohres  gefunden.  Dahin 
gehört  ein  abnormes  Abstehen  oder  Anliegen  der  Muschel,  die 
Insertion  des  vorderen  Randes  des  Ohrläppchens  an  der 
Wangenhaut;  das  Vorhandensein  von  Hervorragungen,  namentlich  am 
oberen  Rande  der  Helix  (Fauns ohr),  das  Fehlen  einer  Einkrempung  der 
Helix  (Macacusohr):  Veränderungen,  welche  in  der  Regel  unauffällig  sind 
und  nur  —  mit  Rücksicht  auf  ihr  besonders  häufiges  Vorkommen  bei  Geistes- 
kranken und  Verbrechern  —  von  anthropologischem  Interesse  sind. 

Mitunter  findet  sich  eine  Spaltbildung  im  Lobulus,  durch  welche 
derselbe  in  seiner  Längsrichtung  in  einen  vorderen  und  hinteren  Lappen 
getheilt  wird,  ein  Bild,  welches  in  vollkommen  analoger  Weise  auf  trauma- 
tischem Wege,  nämlich  durch  gewaltsames  Herausreissen  eines  Ohrringes, 
entstanden  sein  kann. 

Eine  besondere  und  nicht  seltene  Form  von  Bildungsdefect  am  äusseren 
Ohre  stellt  die  Fistula  auris  congenita,  die  sogenannte  Ohrkiemenfistel, 
dar.  Diese  Missbildung,  welche  zuweilen  unzweifelhaft  hereditär  ist,  hat  ihren 
Sitz  gewöhnlich  über  dem  Tragus  an  der  Helixwurzel  und  besteht  in  einem 
mehrere  Millimeter  bis  zu  zwei  Centimeter  tiefen,  blind  endigenden  Canal, 
welcher  in  der  Richtung  nach  der  Paukenhöhle  verläuft.  Aus  der  feinen 
Oeffnung  quillt  von  Zeit  zu  Zeit  etwas  rahmige  Flüssigkeit,  welche,  wenn  eine 
Verstopfung  der  Fistel  durch  Schmutz  eintritt,  zur  Entstehung  von  Reten- 
tionscysten  Veranlassung  geben  kann.  Nur  in  diesem  Falle  verursacht  diese 
Missbildung  Beschwerden.  Eine  Communication  der  Fistel  mit  den  Hohl- 
räumen des  Ohres  hat  weder  durch  die  stets  leicht  gelingende  Sondirung  noch 
durch  Injectionsversuche  je  nachgewiesen  werden  können. 

Was  die  embryologische  Bedeutung  der  Fistula  auris  congenita  anbelangt, 
so  ist  die  früher  allgemein  verbreitete  Annahme,  dass  der  Defect  als  ein 
Residuum  der  ersten  Kiemenspalte  aufzufassen  sei,  von  His  bestritten  worden. 
Nach  den  Darlegungen  dieses  Forschers  entsteht  die  Ohrfistel  vielmehr  durch 
eine  unvollkommene  Verwachsung  des  Zwischenraumes  zwischen  dem  embry- 
onalen Grus  helicis  und  Grus  supratragicum.  Der  Umstand,  dass  die  conge- 
nitale Oeffnung  nicht  selten  neben  anderen  Bildungsdefecten  des  äusseren 
Ohres  vorgefunden  wird,  kann  als  Stütze  für  die  Erklärung  von  His  aufge- 
fasst  werden. 

h)  Aeusserer  Gehörgang.  Bildungsstörungen  im  Ohrcanale  können  sich 
in  Form  von  angeborenen  ringförmigen  Verengerungen  und  in  Gestalt 
einer  mangelhaften  Ossification  geltend  machen.  Die  Verengerungen 
sind  meist  bindegewebiger  Natur,  und  ihre  congenitale  Entstehung  ist  nicht 


BILDUNGSANOMALIEN  DES  GEHÖRORGANES.  43 

immer  unzweifelhaft  festzustellen,  zumal  wenn  die  Ohrmuschel  normal  ent- 
wickelt ist.  Eine  Ossificationslücke  ist  in  der  vorderen-unteren  Wand  des 
Gehörganges  bei  Kindern  regelmässig  zu  finden,  da  sie  ein  Product  der  all- 
mählich vor  sich  gehenden  Ausbildung  des  Os  tympanicum  ist;  doch  persistirt 
diese  Lücke  nicht  selten.  Häufiger  als  diese  Defecte  ist  indessen  das  voll- 
ständige Fehlen  des  Gehörganges  (angeborene  Atresie),  welches 
fast  immer  nur  neben  mangelhafter  Bildung  der  Auricula  beobachtet  wird. 
Die  Obliteration  ist  in  diesen  Fällen  in  der  Regel  eine  knöcherne. 

c)  Das  Trommelfell  fehlt  in  den  meisten  Fällen  von  congenitaler  Gehör- 
gangsatresie.  Die  in  der  älteren  Literatur  als  congenital  beschriebenen  theil- 
weisen  Defecte  der  Membran,  welche  neuerdings  nicht  bestätigt  worden  sind, 
dürften  thatsächlich  krankhaften  Processen  nach  der  Geburt  ihre  Entstehung 
verdankt  haben.  Doch  erwähnt  von  Tkoeltscii  einen  Fall  von  unvollständiger 
Vereinigung  der  Membrana  flaccida  mit  der  Membrana  tensa,  welche  von 
Geburt  an  bestanden  haben  soll.  Abweichungen  der  Grösse,  Gestalt 
und  Neigung  des  Trommelfelles  sind  häufig  und  von  der  Configuration  des 
Gehörganges  abhängig;  in  das  Gebiet  der  eigentlichen  Missbildungen  gehören 
sie  nicht. 

dj  Im  Mittelohre  finden  sich  Bildungsdefecte  vorzugsweise  bei  gleich- 
zeitigem Fehlen  des  Gehörganges;  unter  20  anatomisch  untersuchten  Fällen 
von  Atresia  meatus  auditorii  fand  Steinbrügge  lOmal  Verkleinerung  der 
Paukenhöhle  angegeben,  5mal  fehlte  sie  ganz  in  Folge  knöcherner  Oblitera- 
tion, 5mal  war  sie  normal  ausgebildet.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  zeigen 
sich  Veränderungen  auch  in  der  Umgebung  der  Labyrinth fenster;  zu- 
weilen sind  die  letzteren  überhaupt  nicht  vorhanden.  Mannigfachen  Abwei- 
chungen nach  Form  und  Grösse  unterliegen  die  Gehörknöchelchen,  deren 
Gelenkverbindungen  in  Folge  mangelhafter  Gliederung  verwachsen  sein  können. 
Tuba  und  Warzenfortsatz  bieten  im  ganzen  selten  congenitale  Defecte 
dar;  doch  sind  Fälle  beschrieben,  in  welchen  auch  diese  Hohlräume  ver- 
kümmert oder  nicht  aufzufinden  waren. 

e)  Im  Labyrinthe  kommen  zuweilen  Veränderungen  vor,  deren  con- 
genitale Entstehung  nicht  immer  sichergestellt  werden  kann,  da  ähnliche  Be- 
funde, wie  knöcherne  Obliteration,  im  Anschlüsse  an  Entzündungsvorgänge 
nachgewiesen  werden  können.  Das  gleichzeitige  Bestehen  anderweitiger  Bil- 
dungsdefecte muss  hier  als  Voraussetzung  für  die  Sicherung  der  Diagnose  auf 
Congenität  angesehen  werden.  Es  scheint,  dass  an  den  häutigen  Gebilden  des 
inneren  Ohres  seltener  Hemmungsbildungen  beobachtet  werden  als  an  der 
knöchernen  Labyrinthkapsel.  Jedenfalls  waren  die  ersteren  in  mehreren  Fällen 
normal  entwickelt,  in  welchen  im  äusseren  und  mittleren  Ohre  Defecte  be- 
standen (Steinbrügge).  Doch  kann  auch  bei  normal  entwickeltem  Leitungs- 
apparate das  Labyrinth  fehlen  (Schw^artze). 

Auch  im  Labyrinthe  ist  totaler  Mangel  weniger  häufig  als  partielle 
Defecte,  wie  Fehlen  des  Aquaeductus  vestibuli,  eines  oder  sämmtlicher  Bogen- 
gänge, eines  Theiles  der  Schnecke.  Der  Hör  nerv  fehlt  offenbar  nur  äusserst 
selten. 

n.  Bildungsexcesse  sind  an  allen  Theilen  des  Gehörorganes  seltener 
als  Bildungsdefecte. 

a)  Was  die  Ohrmuschel  anbelangt,  so  kann  ein  einzelnes  Gebilde  der- 
selben, wie  namentlich  der  Lobulus,  vergrössert  sein  oder  auch  in  Folge 
übermässiger  Entwicklung  sämmtlicher  Theile  das  ganze  Organ  unverhältnis- 
mässig gross  erscheinen  (Makrotie).  Verdoppelung  der  Ohrmuschel 
ist  in  vereinzelten  Fällen  in  der  älteren  Literatur  beschrieben,  in  der  neueren 
Zeit  niemals  beobachtet  worden.  Die  gewöhnlichste  Form  des  Bildungsexcesses 
besteht  in  Auricula  ranhängen  (Polyotie),  versprengten  Knorpelstücken, 


44  BILDÜNGSANOMALIEN  DES  GEHÖRORG  ANES. 

welche  mit  normaler  Haut  bekleidet  in  Form  von  warzen-  und  walzenförmigen 
Höckern  in  der  Umgebung  des  Ohres,  vorzugsweise  vor  und  unter  dem  Tragus 
aufsitzen, 

h)  Am  äusseren  Gehörgange  ist  Excessbildung  in  Form  von  abnormer 
Erweiterung  und  von  Verdoppelung  beschrieben  worden;  doch  kommen 
ähnliche  Veränderungen  (üsur  durch  Cerumen  und  Desquamationsproducte, 
Fistelgänge,  Längstheilungen  durch  Bindegewebsneubildungen)  in  Folge  von 
entzündlichen  Erkrankungen  nach  der  Geburt  so  häufig  vor,  dass  die  Möglich- 
keit einer  Verwechselung  mit  solchen  Vorgängen  auch  in  den  wenigen  in  der 
Literatur  verzeichneten  Beobachtungen  nicht  ausgeschlossen   erscheint. 

c)  Auch  die  Fälle  von  Duplicität  des  Trommelfelles,  welche  ange- 
führt worden  sind,  dürften  sich  durch  die  bei  Entzündungsprocessen  nicht 
seltene  Bildung  von  narbigen  Membranen  erklären  lassen. 

d)  Im  Bereiche  des  Mittelohres  ist  über  Bildungsexcesse  wenig  bekannt; 
die  spärlichen  Beobachtungen  beziehen  sich  auf  abnorme  Grösse  einzelner 
Gehörknöchelchen  (Steigbügel)  und  auf  überzählige  Ossicula. 

e)  Im  Labyrinthe  scheinen  Excessbildungen  überhaupt  nicht  beobachtet 
worden  zu  sein. 

Behandlung  der  Bildungsanomalien  des  Gehörorganes. 
Die  meist  wenig  auffallende  Verunstaltung  des  Antlitzes,  welche  durch  rudi- 
mentäre Ohrmuscheln  bedingt  ist,  lässt  sich  durch  eine  geeignete  Haar- 
tracht verdecken.  Operative  Eingriffe,  wie  Excision  keilförmiger  Stärke  mit 
darauffolgender  Naht,  sind  beim  Katzenohr  und  ähnlichen  Formen  der  Mikrotie 
versucht  worden,  haben  aber  nicht  immer  zu  einem  befriedigenden  Resultate 
geführt.  In  manchen  Fällen  kann  man  eine  künstliche,  aus  Papiermache 
gefertigte  Auricula  mit  Hilfe  einer  federnden  Klemme  auf  den  vorhandenen 
kleinen  Knorpelwulst  aufsetzen  lassen.  Gespaltene  Ohrläppchen  lassen 
sich  heilen,  indem  man  die  Spaltränder  abträgt  und  durch  Naht  vereinigt. 
Um  die  leicht  zurückbleibende  Einkerbung  an  der  unteren  Kante  zu  verhüten, 
kann  man  einen  kleinen  Hautlappen  an  beiden  freien  Enden  der  Wundfläche 
anheilen. 

Zur  Verkleinerung  abnorm  grosser  Ohren  wird  empfohlen,  ein 
keilförmiges  Stück,  dessen  Basis  durch  einen  Theil  der  hinteren  Muschelkante 
gebildet  wird  und  dessen  Spitze  in  der  Gegend  der  Concha  zu  liegen  kommt, 
auszuschneiden  und  weitere  Excisionen  dreieckiger  Stücke  aus  den  Seiten- 
flächen damit  zu  verbinden  (Schwartze). 

Sehr  stark  abstehende  Ohren  lassen  sich  dauernd  retrahiren,  indem 
man  aus  der  Insertion sf alte  einen  langen,  schmalen  Streifen  herausschneidet 
und  die  Schnittränder  vernäht;  von  Vortheil  ist  es,  wenn  man  dabei  auch  ein 
schmales  Knorpelstück  aus  der  Hinterfläche  der  Auricula  im  Bereiche  der 
Hautwunde  mit  entfernt.  Das  Tragen  von  Hutbändern  oder  von  federnden 
Pelotten  hilft  wenig,  die  Anlegung  eines  Heftpflasterverbandes,  welcher  viele 
Monate  lang  liegen  bleiben  muss,  w^enn  er  nützen  soll,  ist  eine  Quälerei. 
Uebrigens  legen  sich  sehr  oft  auch  recht  stark  abstehende  Ohrmuscheln  im 
Laufe  der  ersten  Lebensjahre  noch  von  selbst  dem  Warzenfortsatze  an. 

Die  CO n genitale  Ohrfistel  erfordert  nur  dann  eine  Behandlung, 
wenn  sie  durch  Retention  des  Secretes  sich  in  eine  Cyste  verwandelt  hat. 
Es  genügt  in  solchen  Fällen  zuweilen  die  Freimachung  des  Ausführungs- 
ganges mit  einer  Sonde  oder  einem  Messerchen;  besser  wird  aber  der  Tumor 
regelrecht  gespalten.  Die  dauernde  Ausheilung  der  Fistel  soll  durch  Aus- 
brennen mit  dem  Galvanokauter  erreicht  worden  sein.  Nach  meinen  Erfah- 
rungen bezweifle  ich  die  Vollständigkeit  des  Erfolges. 

Auricularanhänge  lassen  sich  ohne  Schwierigkeit  mit  dem  Messer 
oder  der  Scheere  abtragen;  vernäht  man  die  Wundränder  gut,  so  bleibt  nur 
eine  ganz  unauffällige  Narbe,  zurück. 


BLUTUNGEN  AUS  DEM  KEHLKOPFE.  45 

Die  Erfahrungen,  welche  man  bisher  mit  den  Heilversuchen  bei  der 
angeborenen  Gehörgangsatresie  gemacht  hat,  sind  unbefriedigend. 
Nur  bei  membranösem  Verschlusse  hat  man  zuweilen  durch  ringförmige  Um- 
schneidung und  Herausnahme  der  obliterirenden  Weichtheile  und  Einlegung 
von  Bougies  Erfolge  erzielt.  Jedenfalls  wird  man  nur  dann  operativ  vor- 
gehen, wenn  es  festgestellt  ist,  dass  das  gehörganglose  Ohr  überhaupt  func- 
tionirt,  dass  also  der  schallempfindende  Apparat  vorhanden  ist.  Wie  bereits 
oben  gesagt  worden  ist,  finden  sich  indessen  neben  Atresie  sehr  häufig  noch 
andere  Defecte,  nicht  allein  an  der  Ohrmuschel  und  im  Mittelohre,  sondern 
auch  im  Labyrinthe,  und  in  diesen  Fällen  würde  selbstverständlich  die  Frei- 
legung oder  Neuanlage  eines  Ohrcanales  keinen  Nutzen  schaffen.  Für  den 
Nachweis  der  bestehenden  Ohrfunction  ist,  zum  mindesten  bei  einseitigem 
Bildungsdefecte,  die  Vornahme  einer  Hörprüfung  erforderlich;  und  da  eine 
solche  bei  kleinen  Kindern  nicht  ausgeführt  werden  kann,  ist  unter  allen 
Umständen  ein  gewisses  Alter  abzuwarten,  bis  man  sich  einige  Sicherheit 
verschaffen  kann,  ob  der  schallempfindende  Apparat  vorhanden  ist  und  somit 
eine  Operation  überhaupt  Zweck  haben  würde.  Uebrigens  ist  auch  in  Fällen 
von  Atresie,  in  welchen  das  Labyrinth  functionirt,  der  Nutzen  der  Operation 
mindestens  zweifelhaft. 

Neuerdings  sind  einige  Fälle  beschrieben,  in  welchem  trotz  bestehender 
angeborener  Atresie  beider  Gehörgänge  die  Conversationssprache  auf  mehrere 
Meter  Entfernung  gut  vernommen  wurde.  Auch  in  solchen  besonders  günstigen 
Fällen  ist  die  mit  dem  Meissel  versuchte  Bildung  eines  Gehörganges  nicht 
gelungen,  und  es  steht  demnach  nicht  fest,  dass  durch  die  Schallzuleitung  zum 
Labyrinthe  bei  bestehender  Atresie  und  vorhandenem  nervösem  Apparate  die 
Function  überhaupt  gebessert  werden  würde.  bltekner. 

Blutungen  aus  dem  Kehlkopfe.  Dieselben  sind  ein  seltenes  Ereignis. 
Häufig  wird  von  den  Kranken  angegeben,  dass  sie  aus  dem  Kehlkopfe  bluten, 
meist  jedoch  zeigt  die  Untersuchung  den  Kehlkopf  intact,  während  die  Blutung 
aus  der  Lunge  stammt. 

Die  Ursachen  der  Blutungen  aus  dem  Kehlkopfe  sind  entweder  Ver- 
letzungen,  entzündliche  oder  geschwürige  Processe  oder  neoplastische  Vor- 


1.  Verletzungen.  Hieher  sind  zu  rechnen  starke  Anstrengungen  der 
Stimmbänder,  wie  bei  häufigem  Husten,  bei  Keuchhusten  oder  bei  Sängern. 

2.  Therapeutische  Maassnahmen  des  Arztes:  Pinselungendes 
Kehlkopfs  erzeugen  öfters  kleine,  meist  in  der  Substanz  der  Stimmbänder 
sitzende  Blutaustritte,  welche  sich  schnell  wieder  aufsaugen. 

3.  Starke  Quetschungen  des  Kehlkopfs,  sei  es  mit  oder  ohne 
Verletzung  der  Knorpel,  bei  Stoss,  Schlag  auf  denselben,  bei  Würgen,  Selbst- 
mordversuchen durch  Erhängen,  bei  Schüssen  und  Verletzungen  mit  scharfen 
Instrumenten. 

Die  dabei  zustande  kommenden  Blutungen  ergiessen  sich  entweder  in 
das  submucöse  Gewebe  und  heben  die  Schleimhaut  ab,  so  dass  man  dunkel- 
rothe  oder  bläuliche  Scnwellungen  besonders  an  jenen  Stellen  sieht,  wo  reich- 
lich lockeres  submucöses  Gewebe  sich  befindet.  Natürlich  können  sie  bei 
grosser  Ausdehnung  lebensgefährliche  Stenosen  erzeugen,  anderseits  auch 
gelegentlich  ohne  Schaden  aufgesaugt  werden,  wenn  sie  nicht  zu  massig  sind. 
Oder  es  erfolgt  die  Blutung  durch  einen  Riss  der  Schleimhaut  in  das  Innere 
des  Larynx,  was  namentlich  der  Fall  ist  bei  Brüchen  der  Knorpel. 

Hier  liegt  die  grosse  Gefahr  vor,  dass  durch  die  überall  in  den  Luftwegen 
weilenden  Mikroorganismen  eine  Eiterung  im  submocösen  Gewebe  auftritt  mit 
allen  ihren  Folgen;  es  kann  zu  entzündlichem  Oedem  kommen  mit  Stenose 
des  Larynx,  zu  Aspiration  der  blutigen  Jauche  in  die  Lungen  und  zur  Pyämie. 


46  BLUTUNGEN  AUS  DEM  RACHEN. 

Solche  Patienten  sind  daher,  selbst  ^Yenn  sie  momentan  keine  Athem- 
beschwerden  haben,  sorgfältig  zu  überwachen;  wenn  ausgedehntere  Zerreis- 
sungen  der  Kehlkopfschleimhaut  bestehen,  wird  man  fast  immer  genöthigt 
sein,  die  Tracheotomie  vorzunehmen  und  den  Kehlkopf  mit  Jodoformgaze  zu 
tamponiren.  Die  Prognose  ist  aber  immer  sowohl  quoad  vitam  als  auch 
quoad  restitutionem  ad  integrum  sehr  zweifelhaft  zu  stellen,  indem  es  nament- 
lich bei  Brüchen  der  Knorpel  leicht  zu  bleibender  Stenose  kommen  kann. 

4.  Sogenannte  Blutdissolutionskrankheiten,  als  Scorbut, 
Morbus  macul.  Werlh.,  Leukämie,  Nierenleiden,  hämorrhagische  Variola, 
Hämophilie  etc.  können  auch  im  Kehlkopfe  Blutaustritte,  theils  submucös, 
theils  in  das  Lumen  (letzteres  aber  selten)  veranlassen. 

5.  Laryngitis  haemorrhagica  (siehe  diese). 

6.  Ulcerationen  verursachen  im  Larynx  nur  selten  Blutungen;  ja  selbst 
die  tuberkulösen  Geschwüre  sind  nicht  dazu  geneigt,  vielleicht  deswegen, 
weil  ihre  Umgebung  gewöhnlich  hochgradig  chronisch  infiltrirt  ist,  und  Blut- 
gefässe bekanntlich  in  tuberkulösen  Infiltraten  spärlich  sind. 

Von  syphilitischen  und  anderen  Geschwüren  gilt  dasselbe;  doch  wird  ein 
Fall  von  Türck  erwähnt,  wo  ein  syphilitisches  Geschwür  im  Sinus  pyriformis 
in  seinem  weiteren  Fortschreiten  die  Arteria  lingualis  arrodirte  und  tödliche 
Blutung  veranlasste. 

7.  Nur  die  durch  den  Zerfall  des  Carcinoms  veranlassten  Ge- 
schwüre machen  eine  Ausnahme,  indem  sie  häufig  zu  Blutung  führen,  so  dass 
diese  geradezu  als  Kennzeichen  des  Carcinomgeschwüres  angesehen  wird. 

8.  Von  anderen  Neubildungen  sind  es  nur  die  Angiome  und  die 
selten  vorkommenden  thyreoidealen  Geschwülste,  welche  öfters  häufig  bluten; 
dagegen  kommen  in  den  sogenannten  weichen  F'ibromen,  die  sehr  gefäss- 
haltig  sind,  häufig  Blutungen  in  das  Gewebe  vor,  offenbar  in  Folge  der  vielen 
Insulte,  die  diese  meist  an  den  Stimmbändern  sitzenden  Geschwülste  beim 
Glottisschlusse  erleiden. 

9.  Endolaryngeale  Operationen  sind  auch  selten  von  starken 
Blutungen  gefolgt;  so  beobachtete  Hering  unter  100  Fällen  von  tuberkulösen 
AVucherungen,  die  er  mit  Auskratzen  und  Ausschneiden  behandelte,  nur  2mal 
starke  Blutungen  bei  harten  Infiltrationen  des  Taschenbandes. 

10.  Auch  bei  Laryngofissuren  und  den  daran  sich  anschliessenden 
Operationen,  als  Exstirpation  von  Geschwülsten,  ist  die  Blutung  meist  leicht 
zu  stillen.    Grosse  Gefässe  sind  dabei  nie  zu  unterbinden. 

Die  Therapie  besteht  bei  leichten  Blutungen  in  Ruhe,  Schlingen  von 
Eispillen,  Einathmungen  von  adstringirenden  Lösungen,  Einblasungen  von 
Alaun,  Tannin,  in  schweren  Fällen  in  Bepinselungen  mit  schwachen  Lösun- 
gen von  Lig.  ferr.  sesqu.  oder  in  Anwendung  des  Galvanokauters,  natür- 
lich nach  Cocainisirung.  Bei  sehr  starken  Blutungen  ist  Tracheotomie,  even- 
tuell auch  Laryngofissur  vorzunehmen  und  das  Lumen  des  Larynx  zu  tam- 
poniren. 

CHIARI. 

Blutungen  aus  dem  Rachen.  Die  Ursachen  derselben  sind  die  gleichen  wie 
die  der  Kehlkopf blutungen  (s.  o.).  Erwähnenswert  wäre  nur,  dass  die  Venen  des 
Pharynx  zuweilen  Neigung  zur  Hämorrhoidenbildung  zeigen,  als  deren  Folge 
Rachenblutungen  vorkommen.  Mehr  oder  minder  starke  Blutbeimengung  im  expectorirten 
Eachenschleim  findet  sich  bei  Pharyngitis  sicca.  Von  den  schweren  Blutungen,  welche 
nach  der  Excision  der  Mandeln  vorzukommen  pflegen,  ist  im  Artikel  „Tonsillotomie'^  die 
Eede.  Die  Diagnose  der  Rachenblutung  ist  leicht,  wenn  es  gelingt,  die  blutende  Stelle 
zu  sehen,  andernfalls  muss  man  sorgfältig  nachforschen,  ob  das  Blut  nicht  aus  dem  Kehl- 
kopfe oder  der  Lunge  stammt.  Die  Behandlung  der  Rachenblutungen  ist  eine  den 
Kehlkopfblutungen  (s.  o.)  analoge.  R. 


BLUTUNGEN  AUS  DEM  OHliE.  47 

Blutungen  aus  dem  Ohre.  Unter  Blutungen  des  Ohres  im  weiteren 
Sinne  versteht  man  Austritt  von  Blut  aus  den  Gelassen,  der  im  Gebiete  des 
Gehörorganes  vor  sich  geht.  Sensu  strictiori  hat  man  darunter  zu  verstehen 
das  Austreten  von  Blut  auf  die  freie  Oberfläche  des  äusseren  Gehörganges, 
resp.  Entleerung  von  Blut  aus  dem  letzteren  nach  aussen.  Von  dieser  letz- 
teren Art  von  Hämorrhagien,  also  von  Blutungen  aus  dem  Ohre,  welche  ein 
mehr  allgemeines  Interesse  zu  beanspruchen  geeignet  sind,  im  Gegensatze  zu 
inneren  Ohrenblutungen,  Sugillationen,  P]cchymosen,  Extravasaten  u.  dgl.  soll 
hier  die  Rede  sein. 

Die  Entleerung  von  Blut  oder  blutiger  Flüssigkeit  aus  dem  Ohre  kann 
sowohl  bezüglich  der  Form,  wie  auch  bezüglich  der  Intensität  und  der  Zeit 
ihres  Auftretens  sehr  verschieden  sein.  Was  die  Form  betrifft,  kann  die  aus 
dem  Ohre  sich  ergiessende  Flüssigkeit  blutig  serös,  blutig  eitrig  oder  rein 
blutig  sein.  Der  Intensität  nach  kann  die  Hämorrhagie  so  gering  sein,  dass 
das  Blut  sich  nicht  einmal  aus  dem  äusseren  Gehörgange  nach  aussen  ent- 
leert, sondern  im  Ohr  zurückbleibt,  eintrocknet  und  verschiedenen  w^eiteren 
Schicksalen  unterworfen  wird.  Es  kann  der  äussere  Gehörgang  mit  Blut  über- 
schwemmt erscheinen,  oder  das  Blut  ergiesst  sich  aus  dem  Ohre  tropfenweise, 
in  schwächerem  oder  in  stärkerem  Strahle  und  in  verschiedener  Geschwindig- 
keit, bald  nur  auf  einer  Seite,  bald  auf  beiden  Seiten  oder  auch  abwechselnd. 
Der  Zeit  nach  kann  der  Bluterguss  nur  ein  einzigesraal  auftreten,  ohne  sich 
zu  wiederholen,  oder  er  wiederholt  sich  in  unregelmässigen,  atypischen 
Zwischenräumen  auf  gewisse  äussere  Veranlassungen  oder  auch  ohne  solche. 
In  anderen  Fällen  tritt  blutiger  Ausfluss  aus  dem  Ohre  in  gewissen  regel- 
mässigen typischen  Zeitintervallen  auf,  oder  auch  der  Ausfluss  geht  continuir- 
lich  vor  sich.  Ferner  kann  eine  solche  Hämorrhagie  von  mancherlei  prämoni- 
torischen  oder  concomittirenden  subjectiven  und  objectiven  Erscheinungen 
begleitet  sein,  oder  auch  ganz  symptomlos  verlaufen.  Alle  diese  Verschieden- 
heiten in  der  Form,  in  der  Intensität  und  im  Verlaufe  hängen  fast  aus- 
schliesslich von  den  ursächlichen  Momenten  ab,  die  wieder  eine  grosse  Reich- 
lichkeit und  Mannigfaltigkeit  aufweisen. 

Bezüglich  der  Aetiologie  kann  eine  solche  Hämorrhagie  idiopathisch, 
primär,  ohne  eine  andere  Krankheit  oder  secundär,  im  Verlaufe  einer 
anderen  Krankheit  und  durch  dieselbe  bedingt  auftreten.  Bei  den  pri- 
mären Blutungen  lässt  sich  oft  keine  Ursache  nachweisen  oder  sie  sind  auf 
eine  allgemeine  neuropathologische  Constitution  zurückzuführen.  Die  secun- 
dären  Hämorrhagien  haben  ihre  Ursache  entweder  a)  in  allgemeinen  oder 
localen,  an  einer  entfernten  Stelle  des  Körpers  localisirten  Krankheiten  bei 
Infectionen,  Intoxicationen,  arteriellen  Veränderungen,  Circulationsstörungen 
u.  dgl.  oder  h)  in  Erkrankungen  des  Gehörorgans,  und  zwar  sowohl  des  äusseren 
wie  des  mittleren  und  des  inneren  Ohres,  oder  endlich  c)  in  directen  oder 
indirecten  Traumen,  operativen  Eingriffen  etc. 

I.  Primäre,  idiopathische  Blutungen  aus  dem  Ohre  treten  als 
seltene  und  höchst  auffallende  Erscheinungen  bei  hysterischen  Frauen  meist 
zur  Zeit  der  Menstruation  auf.  (Feereri,  Stepanow,  Eitelberg,  Gradenigo, 
Hang,  v.  Stein.)  Dabei  tritt  im  äusseren  Gehörgange  oder  aus  demselben 
sich  nach  aussen  ergiessend,  reines  Blut,  meist  in  geringer,  viel  seltener  in 
grösserer  Quantität  auf,  so  dass  der  Blutverlust  an  Menge  den  einer  normalen 
Menstruation  übertreffen  kann.  Doch  nimmt  eine  solche  Blutung  nie  gefahr- 
drohende Dimensionen  an.  Der  Zeit  nach  ist  fast  immer  eine  gewisse  Perio- 
dicität  zu  beobachten,  welche  in  auffallendem  Zusammenhange  mit  der  Men- 
struation steht.  Dabei  geht  die  Blutung  aus  dem  Ohre  der  Menstruation 
kurze  Zeit  voraus,  oder  sie  tritt  vicariirend  für  dieselbe  ein,  in  welchem  Falle 
sie  gewöhnlich  profuser  ausfällt.   Oft  tritt  die  Blutung  ohne  äusseren  Anlass, 


48  BLUTUNGEN  AUS  DEM  OHRE. 

manchmal  nach  gewissen  Anstrengungen  oder  Aufregungen  auf,  und  zwar 
immer  nur  aus  einem  Ohre  und  nur  ausnahmsweise  bilateral.  Im  Gehörgang 
sind  dabei  sonst  gar  keine  Veränderungen  zu  linden  oder  nur  solche,  welche 
mit  der  Blutung  in  keinem  directen  ursächlichen  Zusammenhange  stehen. 
Begleitende  Symptome  können  vollständig  fehlen,  so  dass  der  Patient  mitten 
im  besten  Wohlbefinden  plötzlich  von  der  Blutung  überrascht  oder  erst  von 
anderen  Personen  auf  dieselbe  aufmerksam  gemacht  wird.  In  anderen  Fällen 
gehen  Prodrome  in  Form  von  allgemeinen  oder  localen  subjectiven,  weniger 
objectiven  Erscheinungen  voraus,  wie:  allgemeine  Schwäche  und  abnorme  Sen- 
sationen, Athemnoth,  Palpitationen,  Anschwellung  der  Ohrmuschel,  heftige 
Kopfschmerzen,  Schwindelerscheinungen,  leichte  Stiche  bis  stark  stechende 
Schmerzen,  intensives  Wärmegeftihl  und  Jucken  im  Ohr,  Abnahme  des  Ge- 
höres bis  zu  dessen  vollständigem  Verlust.  Alle  diese  Erscheinungen  sind 
nur  vorübergehend  und  gehen  mit  dem  Auftreten  und  Verschwinden  der 
Ohrenblutung  mehr  oder  weniger  schnell  zurück.  Diese  Blutung  erscheint 
während  einer  Menstruationsperiode  nur  einmal  oder  sie  wiederholt  sich  in 
einigen  Attaquen.  Dabei  ergiesst  sich  das  Blut  auf  einmal  oder  tropfenweise, 
dauert  die  Blutung  einige  Minuten  bis  einige  Stunden  und  kann  sich  durch  einige 
Tage  wiederholen.  Selten  wurden  bei  solchen  Patienten  Ohrenblutungen  auch 
ausserhalb  der  Menstruationsperiode  beobachtet.  Untersucht  man  in  solchen 
Fällen  nach  vorausgegangener  Eeinigung  das  Ohr,  so  findet  man  meist  im 
äusseren  Gehörgange  gar  keine  Veränderungen,  ja  es  ist  oft  recht  schwer,  die 
Ausgangsstelle  der  Blutung  aufzufinden.  In  manchen  Fällen  fand  man  vor 
der  Blutung  rothe  Flecke  im  äusseren  Gehörgange,  in  anderen  fanden  sich 
nach  derselben  an  einer  Stelle,  meistens  der  hinteren  Wand  der  häutigen 
Auskleidung  einige  sehr  kleine  Blutpunkte,  die  mit  Coagulis  erfüllten  Aus- 
gänge der  Ohrschmalzdrüsen,  als  Ausgangspunkt  der  Hämorrhagie.  Nur 
v.  Stein  konnte  in  einem  Falle  bei  einem  Knaben,  bei  welchem  die  bilaterale 
Ohrenblutung  offenbar  eine  vicariirende  Beziehung  zu  dem  bis  in  die  letzte 
Zeit  vorhanden  gewesenen  habituellen  Nasenbluten  hatte,  gelegentlich  das 
Austreten  von  ein  paar  Bluttropfen  aus  den  Ausführungsgängen  der  recht 
stark  entwickelten  Ceruminaldrüsen  direct  beobachten.  Bei  den  mit  solchen 
Blutungen  afficirten  Patienten  sind  fast  immer  noch  anderweitige  hysterische 
Zustände,  Anämie,  oft  auch  nervöse  hereditäre  Belastung  vorhanden. 

Die  Ursache  dieser  vicariirenden  Blutungen  lässt  sich  bis  jetzt  nicht 
plausibel  motiviren,  doch  ist  es  am  wahrscheinlichsten,  dass  der  allgemeine 
Congestivzustand  der  Gefässe  um  diese  Zeit  ein  Austreiben  des  Blutes  per 
diapedesin  aus  den  Gefässen  der  Ceruminaldrüsen  bewirkt,  welche  wegen  ihrer 
eigenthümlichen  Structur  vielleicht  einen  Locus  minoris  resistentiae  darstellen. 
Doch  muss  hervorgehoben  werden,  dass  in  einigen  solchen  Fällen  gleichzeitig 
ein  chronischer  Mittelohrkatarrh  vorhanden  war,  ein  Umstand,  der  vielleicht 
als  disponirendes  Moment  für  die  Localisation  der  Hämorrhagie  betrachtet 
werden  könnte. 

Primäre  Blutungen  aus  dem  Ohre  wurden  ferner  beobachtet  bei  einem 
Epileptiker  im  Anschlüsse  an  den  Paroxysraus  und  bei  einer  Patientin  von 
nervöser  Constitution  nach  einer  heftigen  Gemüthserschütterung  (Luc).  Die 
Hämorrhagie  wurde  in  diesen  Fällen  mit  der  nervösen  Constitution  der 
Kranken  in  Zusammenhang  gebracht  und  aus  bestehenden  vasomotorischen 
Störungen  erklärt,  zu  welchen  sich  auf  Grund  des  vorangegangenen  epileptischen 
Paroxysmus,  beziehungsweise  der  starken  Gemüthsbewegung,  eine  acute  locale 
Congestion  hinzugesellt  hatte.  In  zwei  anderen  Fällen  (Courtaole)  giengen  den 
Blutungen  Schwindel,  Betäubung  und  Taubheit,  resp.  heftige  Kopfschmerzen, 
Reissen  an  der  Wange,  Amaurose,  subjective  Geräusche  und  Schwerhörigkeit 
auf  der  entsprechenden  Seite  voraus.  Die  Blutungen  wiederholten  sich  durch 
einige  Tage.    Beide  Fälle  betrafen  nervenkranke  Frauen.    Courtaole  nimmt 


BLUTUNGEN  AUS  DEM  OHRE.  ^^ 

an,  dass  diesen  Blutungen  aus  dem  Ohre  trophische  Störungen  der  Haut,  resp. 
der  Schleimhaut  zu  Grunde  liegen,  welche  unter  nervöser  Einwirkung  stehen. 
Die  Untersuchung  des  Ohres  ergab  in  diesen  Fällen  eine  geröthete,  wie 
excoriirt  erscheinende  Stelle  der  Haut  des  äusseren  Gehörganges  als  Aus- 
gangspunkt der  Blutung. 

Ueble  Folgen  für  das  Gehörorgan  oder  für  den  Allgemeinzustand  sind 
bei  den  primären  Blutungen  gemeiniglich  nicht  zu  befürchten. 

H.  Secundäre  Blutungen. 

a)  Mit  sonstigen  Krankheiten  im  causalen  Zusammenhange  stehend. 

Stauungszustände  im  Gefässysteme  des  Gehörorganes  können  bei  ver- 
schiedenen Krankheiten,  besonders  bei  plötzlicher  heftiger  ßlutdrucksteigerung, 
wie  bei  Niessen,  Pressen  u.  s.  w.,  Gefässzerreissungen  in  der  Paukenhöhle  und 
im  Trommelfelle  verursachen,  von  wo  das  Blut  sich  nach  aussen  ergiessen 
kann.  Solche  Zufälle  wurden  beobachtet  bei  plethorischen,  kräftigen  Personen, 
bei  Personen  mit  atheromatöser  Erkrankung  der  Gefässe,  mit  Trigeminus- 
neuralgie,  bei  mit  Herzfehlern,  Morbus  Brighti,  mit  Keuchhusten  Behafteten, 
bei  Erhängten  etc.  Solche  Blutungen  sind  so  gering,  dass  sie  nur  als  Blut- 
blasen im  äusseren  Gehörgange,  resp.  am  Trommelfelle  auftreten,  können  aber 
auch  so  stürmisch  sein,  dass  sie  das  Trommelfell  perforiren  und  sich  nach 
aussen  ergiessen.  Bei  Individuen  mit  permanent  perforirtem  Trommelfell 
kann  es  überdies  zu  Blutungen  aus  dem  Ohre  kommen  bei  allen  jenen  An- 
lässen, welche  sonst  nur  Hämorrhagien  in  die  Paukenhöhle  setzen  würden. 
{Hämatotym.panen.)  Im  allgemeinen  sind  jedoch  solche  Blutungen  nicht 
heftig  und  geben  zu  keiner  Besorgnis  Anlass. 

h)  Viel  häufiger  und  unter  Umständen  viel  ernster  sind  jene  Blutungen 
aus  dem  Ohre,  welche  durch  verschiedene  pathologische  Veränderungen  im 
Gehörorgane  bedingt  sind.  Als  Prototyp  solcher  Blutungen  können  Polypen 
im  äusseren  Gehörgange  und  im  Mittelohre  gelten.  Sie  bilden  auch  die 
häufigste  Ursache  der  Blutungen  aus  dem  Ohre,  derart,  dass,  wenn  ein  Patient 
sich  dem  Arzte  mit  Klagen  über  öftere  Blutungen  aus  dem  Ohre  vorstellt, 
dieser  par  distance  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  auf  Polypen  im  Ohre 
schliessen  kann.  Da  in  solchen  Fällen  zumeist  gleichzeitig  Otorrhoe  besteht, 
so  sind  solche  Blutflüsse  oft  mit  Eiter  vermengt.  Sind  solche  Blutungen 
auch  zumeist  nicht  sehr  reichlich,  so  können  sie  sich  doch  oft  wiederholen, 
zeitweise  auch  intensiver  auftreten,  so  dass  anämische  Personen  und  Kinder 
davon  sehr  geschwächt  werden  und  herabkommen. 

Nächst  den  Polypen  sind  es  besonders  cariöse  und  nekrotische  Processe 
des  Schläfenbeines,  welche  die  häufigste  Ursache  von  Ohrenblutungen  bilden. 
Der  fortschreitende,  cariöse  Process  führt  oft  zu  Arrosionen  von  Gefässen  ver- 
schiedenen Calibers,  während  die  Spitzen  und  Kanten  eines  Sequesters  durch 
fortwährende  Reibung,  durch  plötzlichen  Stoss  oder  durch  Erschütterung 
directe  Verletzung  vieler  Gefässe  veranlassen.  Stagnirender,  sich  zersetzender 
Eiter  in  der  Paukenhöhle  wirkt  macerirend  auf  die  Schleimhaut,  dann  auf  den 
darunter  liegenden  Knochen,  der  manchmal  nur  als  eine  dünne  Scheidewand 
die  Paukenhöhle  von  grossen  Blutbehältern  trennt.  Dass  solche  Blutungen  sehr 
leicht  gefährlich  werden  können,  ist  einleuchtend,  wenn  man  einen  flüchtigen 
Blick  auf  die  Nachbarschaft  des  Mittelohres  wirft.  Da  findet  man  am  Boden 
der  Paukenhöhle  den  Bulbus  venae  jugularis,  nach  hinten,  oft  auch  nur  durch 
eine  dünne  Wand  geschieden,  den  Sinus  transversus,  nach  vorne  und  innen 
den  Canalis  caroticus.  Aus  allen  diesen  Gefässen  können  durch  successive 
Schmelzung  der  oft  sehr  dünnen,  mitunter  auch  abnorme  Dehiscenzen  besitzen- 
den, knöchernen  Zwischenwände  spontan,  ganz  plötzlich  und  unverhofl't,  ohne 
äussere  Ursache  oder  auch  auf  Veranlassungen,  welche  eine  plötzliche  Blut- 
drucksteigerung  verursachen,   wie   Husten,   Bücken,  Erbrechen  u.  dgl.,   sehr 

Ohren-,  Nasen-,  Eachen-,  Kehlkopfkranklieiten.  * 


50  BLUTUNGEN  AUS  DEM  OHRE. 

profuse  Blutungen  aus  dem  Ohre  erfolgen.  Am  gefährlichsten  sind  die  Blu- 
tungen aus  der  Carotis,  bei  denen  manchmal  das  Blut  in  Form  eines  dicken 
Strahles  und  mit  dem  Pulse  isochron  aus  dem  äusseren  Gehörgange  heraus- 
stürzt. Solche  Hämorrhagien  können  leicht  in  sehr  kurzer  Zeit  den  Tod 
durch  Verblutung  herbeiführen.  Sehr  selten  dürfte  es  auch  vorkommen,  dass 
eine  Blutung  im  Labyrinthe  durch  die  Fenster  der  Paukenhöhle-Labyrinthwand 
und  durch  eine  Trommelfellücke  nach  aussen  sich  durchbricht.  Viel  weniger 
folgenschwer  und  bedeutungsvoll  pflegen  die  Blutungen  zu  sein,  welche  bei 
acuten  Otitiden  und  Myringitiden  vorkommen.  Am  häufigsten  wurden  sie  in 
Begleitung  der  Influenza  beobachtet.  Doch  auch  hier  kommt  es  meist  nur 
zu  Ecchymosen  und  Sugillationen,  Bildung  von  Blutblasen  im  äusseren  Gehör- 
gang und  am  Trommelfelle,  seltener  zu  einem  Blutergusse  an  der  freien  Ober- 
fläche. Oefter  sind  solche  Blutaustritte  zu  finden  nach  Durchbruch  des  Trommel- 
felles bei  acuter  Otitis  media,  besonders  bei  der  sogenannten  Tympanitis 
haemorrhagica  und  im  Gefolge  von  Infectionskrankheiten.  In  den  meisten 
solchen  Fällen  entleert  sich  anfangs  aus  dem  Ohre  nur  eine  dünne,  blutig-seröse 
Flüssigkeit  in  nicht  zu  grosser  Menge,  welche  allmählich  blutarmer  und  blässer 
wird,  um  schliesslich  in  ein  rein  eitriges  Secret  überzugehen.  Bei  reichlicheren 
Blutungen  aus  der  Paukenhöhle  kann  auch  ein  Theil  des  Blutes  durch  die 
Tuba  in  den  Pharynx  sich  entleeren  und  zu  blutigen  Sputis  Anlass  geben. 
Chronische  Myringitiden  können  zu  Geschwürsbildungen  und  Granulations- 
wucherungen auf  dem  Trommelfelle  führen  und  so  blutigen  Ausfluss  aus  dem 
Ohre  bedingen.  Dieselben  können  ferner  in  circum scripter  und  diffuser  Otitis 
externa,  besonders  der  Otitis  externa  haemorrhagica,  in  syphilitischen  und 
sonstigen  Geschw^üren,  in  Granulationen,  Caries  und  in  Neubildungen,  beson- 
ders Gefässneubildungen  im  äusseren  Gehörgange,  ihre  Quelle  finden.  Ausser- 
dem geschieht  es  nicht  gar  so  selten,  dass  Entzündungen  in  der  Nachbar- 
schaft, wie  Parotitis,  Adenitis  der  Lymphdrüsen  im  Unterkieferwinkel,  nach 
ihrem  Uebergang  in  Eiterung  den  knorpeligen  Theil  des  äusseren  Gehör- 
ganges durchbrechen  und  zu  einer  Entleerung  von  reinem  oder  mit  Eiter 
gemengten  Blute  aus  dem  Ohre  führen.  In  ähnlicher  Weise  können  auch 
Neubildungen,  zumal  Gefässneubildungen  in  der  Nachbarschaft,  nach  Durch- 
bruch ins  äussere  Ohr  zu  blutigem  Ausflusse  aus  demselben  Anlass  geben. 

c)  Traumatische  Ursachen. 

Recht  zahlreich  sind  auch  die  traumatischen  Ursachen  einer  Blutung 
aus  dem  Ohre.  Hier  müssen  unterschieden  werden  unwillkürliche,  willkür- 
liche und  operative  Traumen.  Unwillkürlich  können  Verletzungen  des  Ge- 
hörorganes  auf  directem  und  indirectem  Wege  entstehen.  Directe  unwill- 
kürliche Verletzungen  können  im  äusseren  Gehörgange  und  am  Trommelfelle 
gesetzt  werden  durch  scharfe,  kantige  und  spitze  Fremdkörper,  die  ins  äussere 
Ohr  hineingelangen  oder  dort  verbleiben,  durch  Auffallen  mit  dem  Ohre  auf 
vorstehende  spitze,  harte  Gegenstände,  auf  Steine,  Nägel,  Holzstücke  u.  dgl., 
durch  Stich,  Riss,  heftiges  Eindringen  von  Wasser  ins  Ohr.  Scharfrandige 
Fremdkörper  in  der  Paukenhöhle,  stechende,  scharfe,  mit  Gewalt  ins  Ohr  ein- 
dringende Werkzeuge  können  die  knöcherne  Pauken-,  beziehungsweise  Laby- 
rinthwand penetriren  und  eine  tödliche  Blutung  aus  der  Carotis,  Jugularis 
interna  oder  eines  der  Gehirnsinuse  verursachen.  Dasselbe  gilt  von  Schüssen, 
die  zufällig  ins  Ohr  gelangen. 

Directe  willkürliche  Verletzungen  können  im  äusseren  Ohre  zustande 
kommen  durch  Kratzen  und  Kitzeln  mit  scharfen  Instrumenten,  mit  Haar- 
nadeln, Ohrlöffeln,  Stricknadeln,  gespitzten  Bleistiften,  ausgeführt  wegen  Jucken 
im  Ohre,  ferner  durch  willkürliches  Hineinlegen  von  Fremdkörpern  ins 
Ohr  seitens  spielender  Kinder  oder  seitens  Erwachsener  wegen  Zahnschmerzen. 
Dadurch,    sowie    auch  durch   zu  Selbstmordzw^ecken   ausgeführte  Schüsse  ins 


BLUTUNGEN  AUS  DEM  OHRE.  51 

Ohr  können  Blutgefässe  am  äusseren  Ohre,  am  Trommelfelle  und  auch  tiefer 
lädirt  und  stärkere  oder  geringere  Blutungen  veranlasst  werden. 

Von  indirecten  Traumen,  die  zu  Blutungen  aus  dem  Ohre  Anlass  geben 
können,  sind  in  erster  Reihe  zu  nennen  Ptupturen  des  Trommelfelles. 
Bekanntlich  können  diese  schon  durch  sehr  geringe  Traumen  entstehen,  beson- 
ders, wenn  durch  sie  plötzliche  Verdichtung  oder  Verdünnung  der  Luft  im 
äusseren  Gehörgange  oder  in  der  Paukenhöhle  zustande  kommt,  wie  Unter- 
tauchen des  Kopfes  unter  Wasser,  Aufenthalt  in  verdichteter  Luft,  bei  Er- 
hängten, ein  leichter  Schlag  mit  der  Hand  aufs  Ohr,  wenn  dadurch  ein  plötz- 
licher und  completer  Verschluss  des  Ohreinganges  zustande  kommt.  Ein  Kuss 
auf  den  Ohreingang,  Erschütterungen  und  Luftdruckschwankungen,  Sprung, 
Sturz  auf  den  Kopf,  starke  Schallerregung,  wie  Detonation,  Explosion,  Hinein- 
schreien, Hineinblasen  ins  Ohr,  Compression  der  Luft  in  der  Paukenhöhle 
durch  VALSALvi'sches  Verfahren,  beim  Schneuzen,  Niessen,  heftigem  Erbrechen 
etc.  können  gleichfalls  eine  Ruptur  des  Trommelfelles  und  Blutung  aus  dem 
Ohr  verursachen.  Aspiration  der  Luft  aus  dem  äusseren  Gehörgange,  wie 
Aufenthalt  in  luftverdünntem  Räume  u.  dgl.,  kann  auch  ohne  Ruptur  der 
Membrana  tympani  zu  Blutungen  im  äusseren  Ohre  führen. 

Durch  Schlag  oder  Sturz  auf  den  Unterkiefer  können  traumatische 
Affectionen  an  den  Gehörgangswandungen  entstehen,  durch  indirecte  Gewalt 
gesetzte,  complicirte  Verletzungen  an  der  Schädelbasis  können  sich  auf  das 
Felsenbein,  das  Trommelfell  und  den  äusseren  Gehörgang  fortsetzen.  Bei 
schweren  Kopfverletzungen  mit  Fractur  der  Schädelbasis  wird  gewöhnlich  das 
Dach  der  Paukenhöhle,  das  Tegmen  tympani,  durchbrochen  oder  es  entsteht 
Fracturirung  der  ganzen  Pyramide  in  querer  und  schiefer  Richtung,  wodurch 
auch  das  Labyrinth,  der  Warzenfortsatz,  der  äussere  Gehörgang  und  in 
weiterer  Consequenz  die  anliegenden  Blutleiter,  Carotis,  Sinus  petrosus  sup., 
Sinus  transversus  etc.  lädirt  werden  können.  Wird  bei  einer  Kopfverletzung 
oder  Erschütterung  der  knorpelige  Gehörgang  von  dem  knöchernen  Abschnitte 
losgelöst  oder  in  seiner  vorderen  Partie  eingerissen,  so  kann  auch  eine  starke 
Blutung  aus  dem  Venenplexus  in  der  Fossa  retromaxillaris  erfolgen,  wobei 
sogar  das  Trommelfell  und  die  Paukenhöhle  intact  bleiben  können. 

Die  Blutungen  aus  dem  Ohre  durch  die  genannten  Traumen  sind  meist 
nicht  sehr  intensiv  und  leicht  zum  Stillstande  zu  bringen,  wofern  nicht 
gerade  ein  grösseres  Gefäss  oder  wichtiger  Blutleiter  von  der  Verletzung  mit 
betroffen  wurde.  Ist  dies  nicht  der  Fall,  dann  hört  die  Blutung  bald  in 
einigen  Stunden  oder  in  einigen  Tagen  gewöhnlich  von  selbst  auf,  ohne  nach- 
theilige Folgen  für  den  Allgemeinzustand  oder  für  das  Gehör  zurückzulassen, 
wenn  dieses  nicht  durch  sonstige  Verletzung  organisch  oder  functionell  ge- 
schädigt wurde. 

Dass  allerlei  operative  Eingriffe  im  Ohre  geringere  oder  grössere  Blu- 
tungen im  Gefolge  haben  können,  ist  wohl  selbstverständlich.  Hierher  gehören 
vor  allem  die  nicht  immer  leichten  Läsionen,  v/elche  durch  ungeschickte, 
unzweckmässige,  von  berufener  und  unberufener  Seite  ausgeführte  instru- 
menteile Extractionsversuche  von  Fremdkörpern  im  Ohre  gesetzt  werden  und 
die  trotz  wiederholter,  eindringlicher  Warnungen  noch  immer  viel  zu  oft  vor- 
kommen. Doch  sind  dadurch  entstandene  Blutungen  wie  auch  solche,  die 
durch  andere  leichte  operative  Eingriffe  im  Ohre,  wie  Eröffnung  eines  Furun- 
kels im  äusseren  Ohre,  Paracentese  des  Trommelfelles,  Entfernung  der  Ge- 
hörknöchelchen, Tenotomie  des  Tensor  tympani  etc.  veranlasst  werden,  in  den 
meisten  Fällen  unbedeutend  und  ohne  Folgen.  Nichtsdestoweniger  ist  man 
mitunter  auch  bei  den  geringfügigsten  chirurgischen  Eingriffen  vor  unange- 
nehmen Ueberraschungen  nicht  sicher.  So  wurde  nach  Abtragung  von  Polypen 
im  Ohre  eine  arterielle  Blutung  beobachtet,  auch  können  nach  so  unbedeu- 
tenden Eingriffen  im  Ohre,  wie  Durchschneidung  einer  Trommelfellfalte,  bedeu- 


52  BLUTUNGEN  AUS  DEM  OHRE. 

tende  Nachblutungen  eintreten.  Es  sind  weiters  Fälle  vorgekommen,  in 
welchen  bei  der  Paracentese  des  Trommelfelles  der  Bulbus  venae  jugularis 
angeschnitten  und  profuse  Blutung  verursacht  wurde  (Ludewig,  Gruber, 
Hildebrandt,  Brieger,  Seligmann).  Es  kommt  nämlich  vor,  dass  sich  am 
Boden  der  Paukenhöhle,  welcher  die  letztere  von  der  Fossa  jugularis  trennt, 
angeborene  Lücken  finden,  durch  welche  die  Gefässwand  der  Jugularis 
in  directer  Berührung  mit  der  Schleimhaut  der  Paukenhöhle  steht  und  sich 
in  die  letztere  hineinwölbt.  So  ist  es  leicht  möglich,  dass  bei  der  Paracentese 
des  Trommelfelles  im  hinteren  unteren  Quadranten  der  Bulbus  venae  jugularis 
angeschnitten  wird.  Es  sind  auch  bis  jetzt  einige  derartige  Fälle  bekannt  ge- 
worden. In  allen  war  es  die  rechte  Seite,  welche  davon  betroffen  war.  Dies  erklärt 
sich  daraus,  dass  die  rechte  Fossa  jugularis  gemeinhin  weiter  und  tiefer  als 
die  linke  ist.  Eine  so  entstandene  Blutung  ist  selbstverständlich  sehr  stark 
und  mitunter  sehr  schwer  zu  stillen.  Doch  gelang  es  in  den  bis  jetzt  be- 
kannten (5)  Fällen  einer  solchen  Verletzung  immer  noch,  schliesslich  der 
Blutung  Herr  zu  werden,  nur  einer  endigte  später  letal  an  Pyämie.  Am 
Lebenden  ist  dieser  abnorme  Verlauf  der  Jugularis  manchmal  an  einem 
blauen,  kreisabschnittförmigen  Fleck  am  hinteren  unteren  Quadranten  des 
Trommelfelles  zu  erkennen,  welcher  mit  den  Fensternischen  der  Labyrinth- 
wand nichts  zu  thun  hat  (Gomperz). 

In  dem  Falle  von  Hildebrandt  änderte  der  auf  den  vorderen  unteren 
Quadranten  der  Trommelhaut  befindliche  Lichtreflex  seine  Gestalt,  wenn  man 
am  Halse  einen  ziemlich  starken  Druck  auf  der  Vena  jugularis  derselben 
Seite  ausübte,  und  kehrte  bei  Nachlass  des  Druckes  sofort  zu  seiner  früheren 
Form  zurück.  Ferner  waren  die  Venen  dieser  Gesichtshälfte  stärker  gefüllt 
und  besass  die  Patientin  Spuren  überstandener  Ehachitis. 

Ausserdem  kommen  Fälle  vor  (Körner),  wo  die  Carotis  der  Pauken- 
höhle sehr  nahe  anliegt,  so  dass  auch  ihre  Verletzung  bei  der  Eröffnung  der 
Paukenhöhle  denkbar  ist. 

Auch  ist  eine  Verwechslung  eines  Aneurysma  im  äusseren  Gehörgange 
mit  einem  Furunkel  und  Anschneiden  desselben  vorgekommen,  was  eine 
reichliche  Blutung  zur  Folge  hatte  und  eine  mehrtägige  Tamponade  noth- 
wendig  machte. 

Geringere  Blutungen  bei  therapeutischen  Manipulationen  können  weiters 
vorkommen  bei  Verletzung  des  Trommelfelles  durch  starkes  Ausspritzen  des 
Ohres  oder  durch  starke  Luftdouche,  ferner  bei  der  Luftaspiration  vom  äusse- 
ren Gehörgange  mit  dem  Masseur  von  Delstouche  u.  s.  w.  Es  kommt  nämlich 
dabei  durch  die  Rarefication  der  Luft  im  äusseren  Gehörgange  zu  starker 
Anschoppung  der  Blutgefässe  des  Trommelfelles  und  des  äusseren  Gehör- 
ganges, die  bei  einer  dazu  vorhandenen  Disposition  leicht  einreissen  können. 
Dass  schliesslich  hier  ebenso  wie  sonst  überall  bei  vorhandener  Hämophilie 
die  leichtesten  Eingriffe  schwere  Blutungen  nach  sich  ziehen  können,  bedarf 
wohl  kaum  einer  besonderen  Erwähnung. 

Die  Diagnose  der  der  Blutung  zu  Grunde  liegenden  Ursache  ist  ge- 
wöhnlich keinen  grossen  Schwierigkeiten  unterworfen.  Bei  genauer  Unter- 
suchung des  Gehörorganes  und  Berücksichtigung  aller  in  Betracht  kommenden 
ätiologischen  Momente  wird  es  wohl  in  den  meisten  Fällen  leicht  gelingen, 
die  Quelle  der  Blutung  aufzufinden.  Der  Nachweis  von  Polypen,  Neubildungen, 
langdauernder  Otorrhoe  mit  Caries  und  Nekrose  im  Ohre,  von  acuter  Otitis 
media  oder  externa,  von  chronischen  Myringitiden,  Geschwürsbildungen  und 
Neoplasmen  im  äusseren  Gehörgange,  ins  äussere  Ohr  durchbrechender  Paro- 
titis und  Paradenitis  u.  s.  w.  wird  in  Verbindung  mit  der  Farbe,  der  Menge 
und  der  Stromgeschwindigkeit  des  sich  aus  dem  Ohre  entleerenden  Blutes 
leicht  auf  die  Herkunft  desselben  schliessen  lassen.  Dass  die  Untersuchung 
des  Ohres  und  die  Anamnese  auch  leicht  die  Ursache  einer  Blutung  bei  einer 


BLUTUNGEN  AUS  DEM  OHRE.  53 

directen  oder  indirecten  Verletzung  des  äusseren  Gohörganges  und  des  Trom- 
melfelles erschliessen  werden,  bedarf  wohl  keiner  weiteren  Auseinandersetzung. 
Wie  die  unter  den  Ursachen  der  Blutungen  erwähnten  Krankheiten  und  Ver- 
letzungen, z.  B.  Trommelruptur  etc.  diagnosticirt  werden,  möge  unter  den 
betreffenden  Abschnitten  dieses  Werkes  nachgesehen  werden.  Hier  sei  nur 
hervorgehoben,  dass  wenn  bei  einer  indirecten  Kopfverletzung  eine  Trommel- 
fellruptur zustande  gekommen  ist,  man  wohl  mit  Berücksichtigung  der  übrigen 
Symptome  auf  eine  Basisfractur  wird  schliessen  können.  Für  Basisfractur  bei 
schweren  Traumen  spricht  auch  der  Ausfluss  einer  wässerigen,  serösen  Flüssig- 
keit, des  Liquor  cerebrospinalis,  aus  dem  Gehörgange,  welche  mitunter  noch 
einige  Tage  nach  Aufhören  der  Blutung  sich  noch  in  grosser  Menge  aus 
dem  äusseren  Ohre  entleert. 

Lassen  sich  auf  Grund  sachgemässer,  gründlicher  Untersuchung  und 
genauer  Anamnese  Krankheit  und  Traumen  des  Gehörorganes  als  Ursache 
der  Blutung  ausschliessen,  dann  muss  der  übrige  Körper  auf  constitutionelle 
Anomalien,  auf  Allgemeinkrankheiten,  Nierenkrankheit,  Circulationsstörungen, 
Atheromatose,  Hysterie,  erworbene  oder  hereditäre  neuropathische  Veranlagung, 
Anämie,  Menstruationsanomalien  etc.  untersucht  werden,  welche,  wie  oben 
erwähnt,  zu  Blutungen  aus  dem  Ohre  erfahrungsgemäss  Veranlassung  geben 
können.  Die  Berücksichtigung  der  Anamnese,  der  Periodicität  der  Blutungen, 
etwaiger  prämonitorischer  Symptome  liefern  weitere  wichtige  Anhaltspunkte 
zur  Diagnose  primärer  Ohrenblutungen. 

Bei  der  Inquirirung  nach  der  Ursache  solcher  Blutungen  darf  jedoch 
nicht  an  die  Möglichkeit  einer  Simulation  vergessen  werden.  Es  ist  nämlich 
leicht  denkbar  und  sind  auch  solche  Fälle  vorgekommen,  dass  Personen,  sei 
es  um  Unfallsentschädigungen  herauszulocken  oder  auch  um  sich  vom  Militär- 
dienste zu  befreien  und  aus  ähnlichen  Gründen  einen  blutigen  Ausfluss  aus 
dem  Ohre  simuliren  wollen  und  sich  zu  diesem  Behufe  entweder  absichtlich 
Verletzungen  am  Ohre  beibringen  oder  sich  flüssiges  Blut  verschaffen  und  ins 
Ohr  giessen.  Die  Entlarvung  und  die  Klarstellung  solcher  Proceduren  wird 
bei  einiger  Aufmerksamkeit  nicht  schwer  fallen,  doch  muss  man  daran  denken. 

Die  Prognose  der  Blutungen  aus  dem  Ohre  ist  mit  wenigen  Aus- 
nahmen durchgehends  günstig.  Diese  Blutungen  nehmen  nur  selten  ernstere 
Dimensionen  an  und  sind  gemeiniglich  auch  leicht  zu  stillen.  Blutungen  aus 
grösseren  Gefässen,  z.  B.  bei  Basisfractur,  plötzliche  Ruptur  grosser  Bluthälter 
nach  Arrosion  durch  einen  cariösen  Process,  Anschneiden  der  Jugularis  u.  s  w. 
können  allerdings  bedenklich  werden.  Langdauernde  und  oft  sich  wieder- 
holende Blutungen  in  Begleitung  von  Polypen,  Granulationswucherungen  u.  dgl. 
können  eine  bedeutende  Schwäche  und  Anämie  zur  Folge  haben.  Sehr  infaust 
sind  Blutungen  aus  der  Carotis,  da  selbst  die  Unterbindung  dieses  Gefässes 
am  Halse  nicht  immer  nützt,  oder  es  bildet  sich  ein  Collateralkreislauf  durch 
die  Arteria  vertebralis  und  den  Circulus  arteriosus  Willisi  heraus  und  die 
Blutung  kehrt  wieder.  Die  Tamponade  des  äusseren  Gehörganges  kann  er- 
folglos bleiben,  weil  das  Blut  mit  so  starkem  Drucke  strömt,  dass  es  den 
Tampon  heraustreibt,  oder  es  bahnt  sich  einen  anderen  Weg  durch  die  Tuba 
Eustachii.  In  solchen  Fällen  kann  dann  der  Exitus  letalis  sehr  rasch  er- 
folgen. 

An  traumatischen  Blutungen,  die  an  und  für  sich  meist  ungefährlich 
sind,  können  sich  reactive  Entzündungen  mit  Eiterung  am  Trommelfelle,  in 
der  Paukenhöhle  und  im  Labyrinthe  anschliessen,  wofern  diese  beschädigt 
wurden.  Die  weitere  Prognose  hängt  also  von  der  LTrsache  der  Blutung, 
resp.  von  der  Art  des  sie  verursachenden  Traumas  ab. 

Es  ist  klar,  dass  Blutungen  aus  dem  Ohre,  zumal  traumatischen  Ur- 
sprunges unter  Umständen  eine  forensische  Bedeutung  gewinnen 
können.    Hat    ein   Trauma    bei    einem    zuvor   gesunden   Gehörorgane    eine 


54  BLUTUNGEN  AUS  DEM  OHRE. 

reicliliclie  Hämorrliagie  zur  Folge,  dann  muss  wohl  eine  bedeutendere  Ver- 
letzung gesetzt  worden  sein,  und  das  Gutachten  hat  sich  nach  der  Dignität 
dieser  zu  richten.  Es  ist  aber  denkbar,  dass  ein  zuvor  krankes  und  zu 
Blutungen  disponirtes  Ohr,  z.  B.  bei  Caries  des  Schläfenbeines  mit  blos- 
liegenden,  angenagten  Gefässen  u.  dgl.,  von  einem  Trauma  getroffen  wird, 
welches,  ohne  sonstige  Verletzungen  zu  machen,  die  Ruptur  eines  grösseren 
Gefässes  und  in  der  Folge  eine  hochgradige  oder  gar  letale  Blutung  zur 
Folge  hat.  Es  können  ferner  bei  Personen  mit  gewissen,  oben  genannten 
Krankheiten  durch  Erschütterung,  Sturz  u.  dgl.  Hämorrhagien  aus  dem  Ohre 
ohne  besondere  Verletzungen  herbeigeführt  werden.  In  solchen  Fällen  wird 
man  im  Gutachten  die  Natur  und  den  Grad  der  zuvor  bestandenen  All- 
gemein- oder  Ohrenkrankheit  und  die  Art  des  Trauma  neben  den  durch  die 
Blutung  direct  verursachten  Folgen  zu  berücksichtigen  haben.  Blutungen 
bei  gesunden  Personen  ohne  bedeutende  Verletzungen  durch  ein  Trauma  ver- 
ursacht, können  nur  unbedeutend  sein  und  höchstens  eine  leichte  körperliche 
Beschädigung  involviren.  Doch  muss  dabei  berücksichtigt  werden,  ob  das 
Trauma  etwa  in  einer  solchen  Art  und  mit  einem  solchen  Instrumente  zuge- 
fügt worden  sei,  womit  gemeiniglich  Lebensgefahr  durch  Verblutung  verbunden 
ist,  wie  etwa  das  Hineinstossen  eines  spitzen  Instrumentes  mit  Kraft  ins  Ohr. 
Hat  eine  Verletzung  ausser  der  Blutung  nachträglich  noch  Krankheiten  zur 
Folge,  wie  eitrige  Paukenentzündung,  Acusticusaffection,  Meningitis,  Encepha- 
litis etc.,  dann  muss  das  Gutachten  nachträglich  gemäss  der  Bedeutung  der 
Folgekrankheit  moditicirt  werden. 

Bezüglich  der  Prophylaxis  ist  zu  bemerken,  dass  Personen,  welche 
an  neuropathischem  Ohrenbluten  leiden  oder  mit  Krankheiten  behaftet  sind, 
welche  wie  oben  erwähnt,  zu  solchen  Blutungen  disponiren,  sich  vor  Erschüt- 
terungen und  dergleichen  Anlässen,  welche  erfahrungsgemäss  als  Causa 
efficiens  gelten,  zu  hüten,  immer  einen  leichten  Wattatampon  im  Ohre  zu 
tragen  und  ihre  Krankheit  lege  artis  behandeln  zu  lassen  haben.  Dabei  sind 
solche  Patienten  anzuweisen,  wie  sie  im  ersten  Momente  einer  Blutung  durch 
zweckentsprechende  Tamponade  entgegenzuwirken  haben.  Der  eine  Ohren- 
krankheit behandelnde  Arzt  hat  sich  immer  vor  Augen  zu  halten  den  Grund- 
satz: Chirurgus  mente  prius  et  oculo  agat,  quam  manu  armata.  Dies  gilt  ganz 
vorzüglich  für  die  Behandlung  von  Fremdkörpern  im  Ohre,  behufs  deren 
Extraction  man  nur  im  äussersten  Nothfalle  zu  Instrumenten  greifen  möge. 
Zu  voreilige  Eingriffe  haben  hier  schon  viel  Unheil  durch  Verletzungen  und 
Blutungen  angerichtet.  Soll  die  Paracentese  des  Trommelfelles  vorgenommen 
werden,  ist  immer  auf  etwaige  Defecte,  rhachitische  und  sonstige  Verände- 
rungen im  Knochenbaue,  ferner  auf  eine  eventuelle  Verfärbung  im  hinteren 
oberen  Quadranten  zu  achten  und  bei  vorhandenem  Verdachte  auf  Vorlagerung 
der  Jugularis  die  betreffende  Stelle  schonend  zu  umgehen.  Bei  der  Eröffnung 
eines  weichen  Furunkels  im  äusseren  Gehörgange  hat  man  sich  die  Möglich- 
keit einer  Verwechslung  mit  einem  Aneurysma  vor  Augen  zu  halten. 

Die  Behandlung  soll  in  erster  Reihe  den  Grad  der  Blutung  berück- 
sichtigen. Ist  diese  plötzlich,  profus,  gefahrdrohend,  dann  ist  die  dringendste 
Indication,  ohne  Rücksicht  auf  die  zu  Grunde  liegende  Ursache  die  Blutung 
sofort  zu  stillen.  Das  geeignetste  Mittel  ist  die  feste  Tamponade  des  äusseren 
Gehörganges.  Diese  v^ird  am  besten  ausgeführt  mit  einer  Portion  Jodoform- 
gaze, welche  in  eine  sclnvache  Eisenchlorid-  oder  in  eine  stärkere  Ferro- 
piji'inlösung  getaucht  wurde.  Es  kann  mitunter  noth wendig  sein,  den  ganzen 
Gehörgang  mit  Tamponen  auszufüllen  und  dann  auf  diese  noch  eine  feste 
Digitalcompression  durch  kürzere  oder  längere  Zeit  auszuüben.  Wird  der 
Tampon  durchtränkt  und  sickert  das  Blut  durch,  dann  muss  er  gewechselt, 
eventuell  durch  einen  Tampon  von  Eisenivatta  oder  Penghaicar  Djamhi  ersetzt 
werden.     Gelingt  es  auch  dann  nicht,  der  Blutung  Herr  zu   werden,   werden 


BLUTUNGEN  AUS  DEM  OHRE.  55 

die  Tampone  herausgestossen  oder  ergiesst  sich  das  Blut  durch  die  Tuba  in 
den  Pharynx,  dann  muss  man  die  Unterbindung  der  Carotis  versuchen  und 
zwar  besser  und  sicherer  der  Carotis  communis.  Doch  ist  eine  solche  Ligatur 
nur  indicirt,  wenn  die  Blutung  eine  arterielle  ist  und  man  durch  vollständige 
Compression  der  Carotis  zuvor  einen  günstigen  Einttuss  auf  die  Blutung  be- 
merken konnte.  Gelang  es  endlich,  die  Blutung  zum  Stillstand  zu  bringen, 
dann  muss  der  Tampon  einige  Tage  liegen  bleiben.  Später  wird  derselbe 
erst  befeuchtet  und  langsam  vorsichtig  entfernt,  wo  nöthig  nicht  auf  einmal, 
sondern  in  einigen  wiederholten  Angriffen,  worauf  das  Ohr  mit  einer  lau- 
warmen, adstringirenden  und  antiseptischen  Lösung  ausgespritzt  wird. 

Bei  leichteren  Blutungen  ist  das  Ohr  vor  allem  zu  reinigen  und  dann 
einer  genauen  Untersuchung  nach  der  Ursache  und  der  Quelle  der  Blutung 
zu  unterziehen.  Diese  muss  vor  allem  beseitigt  werden,  nach  dem  Grundsatze: 
cessante  causa  cessat  effectus.  Sind  kleinere  Verletzungen  die  Ursache  der 
Blutung,  dann  reicht  es  meist  aus,  das  Ohr  mit  einer  2 — ö^l^^igen  Borsäure-, 
Alaun-  oder  Koclisaldösnng  auszuspritzen  oder  einige  Tropfen  einer  lO^^j^^igen 
Eisenchloridlösung  einzuträufeln,  und  noch  sicherer  ist  es,  wenn  die  tieferen 
blutenden  Theile  des  Ohres  mit  einem  in  Eisenchlorid  getauchten  Watta- 
bauschen  ausgefüllt  werden.  Gewöhnlich  jedoch  genügt  hier  schon  die 
blosse  Ausspritzung  und  ein  leichter  Wattatampon.  Ist  ein  grösseres  Gefäss 
verletzt,  dann  reicht  eine  festere,  mehrtägige  Tamponade  des  äusseren  Gehör- 
ganges aus.  Sind  Fremdkörper  die  Ursache  der  Blutung,  dann  müssen  sie 
natürlich  extrahirt  werden.  Geht  dieses  durch  blosses  Ausspritzen  nicht  und  hört 
die  Blutung  sonst  nicht  auf,  dann  muss  die  Extraction  mit  Hilfe  von  Instru- 
menten, eventuell  nach  Ablösung  der  Ohrmuschel  und  des  häutigen  Gehör- 
ganges vorgenommen  werden.  Blutungen  infolge  chirurgischer  Eingriffe 
sind,  von  besonderen  Zufällen  abgesehen,  gemeinhin  nicht  sehr  bedeutend  und 
stehen  bald  auf  Ausspritzung  und  Tamponade. 

Sind  die  Blutungen  durch  krankhafte  Processe  hervorgerufen,  dann  hat 
sich  die  Behandlung  nach  diesen  zu  richten.  Polypen,  Granulationen,  Neo- 
plasmen müssen  entfernt  oder  mit  Argentum  nitricum,  Chromsäure,  Galvano- 
kauter  etc.  geätzt  werden,  worauf  die  Blutung  schnell  stille  hält,  lose  Sequester 
müssen  extrahirt  werden.  Blutungen  infolge  acuter  entzündlicher  Processe 
in  der  Paukenhöhle,  am  Trommelfelle  und  im  äusseren  Gehörgange  sind  in 
den  meisten  Fällen  auch  nur  unbedeutend  und  durch  leichte  Tamponade  zu 
beherrschen.  Dasselbe  gilt  von  Blutungen,  welche  infolge  Durchbruches 
von  Abscessen  in  der  Nachbarschaft  des  äusseren  Gehörganges  in  diesem  ent- 
standen sind.  Sind  gefässreiche  Tumoren  durchbrochen,  dann  wird  ausser 
der  Tamponade  des  Ohres  auch  noch  eine  Compression  von  aussen  auf  die- 
selben, eventuell  Galvanokauterisation  der  blutenden  Stelle  oder  Gefässligatur 
nöthig  sein, 

Lässt  sich  trotz  genauer  Untersuchung  im  Gehörorgane  die  Ursache  der 
Blutung  nicht  auffinden  und  rührt  dieselbe  von  einer  sonstigen  Krankheit 
her,  wie  Circulationsstörungen,  constitutionelle  Anomalie,  neuropathische 
Anlage  u.  dgl.,  dann  ist  die  Blutung  gewöhnlich  gering  und  bedarf  oft  keiner 
besonderen  Behandlung.  Bei  sich  aus  den  letztgenannten  Ursachen  oft  wieder- 
holenden Hämorrhagien  soll  der  Patient  immer  einen  leichten  Tampon  im 
Ohre  tragen.  Dabei  soll  man  durch  Berücksichtigung  der  zu  Grunde  liegen- 
den Krankheit,  wie  Herzkrankheiten,  Keuchhusten  etc.,  eventuell  durch  Dar- 
reichung von  Eisenpräparaten,  Bromverbindungen,  durch  Verbesserung  der 
hygienischen  und  der  Ernährungsverhältnisse  und,  wie  in  der  Prophylaxe  an- 
gegeben, durch  sorgfältige  Vermeidung  solcher  Anlässe,  die  erfahrungsgemäss 
die  Blutungen  herbeiführen,  denselben  vorzubeugen  trachten.  Innerlich  empfiehlt 
sich  in  den  meisten  solchen  Fällen  Extr.  ß.  hydrast.  canadens.  allein  oder 
mit  Ergotin  aa.  10  Tropfen  Smal  täglich  durch  einige  Wochen  darzureichen. 


56  CARCINOMA  LARYNGIS. 

Bei  hysterischen  vicariireuden  Blutungen  sind  grosse  Dosen  Broml-ali  und 
Filocm-pininjectionen  zu  versuchen.  Local  Avirken  Einträufelungen  von  lau- 
warmem, horsäurehaUigen  ahsoluten  Alkohol  günstig.  Bezüglich  näherer  Details 
zur  Behandlung  der  als  Ursache  der  Ohrenblutung  ermittelten  und  constatirten 
Ohrenaffectionen  oder  sonstiger  Krankheiten  müssen  wir  auf  die  betreffenden 
Abschnitte  verweisen.  rafael  spira. 

Carcinoma  faryngiS  {Kehlkopf kreis).  Vorkommen  und  Häufigkeit. 
Nach  meiner  Statistik  bis  zum  Jahre  1894  fanden  sich  unter  20.000  an 
Kehlkopf,  Rachen  oder  Nase  leidenden  Patienten  (darunter  circa  8000  Kehl- 
kopf-Kranke) 37  Fälle  von  Kehlkopfkrebs.  Also  beiläufig  VaVo  ^^^^^  Kehl- 
kopfleiden. Unter  diesen  37  Patienten  war  nur  eine  Frau,  alle  übrigen 
waren  Männer  über  die  40er  Jahre  hinaus.  In  sieben  Fällen  hatte  das  Car- 
cinom  ausserhalb  des  Kehlkopfes  begonnen,  sonst  war  es  ein  sogenanntes 
primäres  Carcinom.  Im  allgemeinen  ist  daher  das  Carcinom  nach  dem  Fibrom 
und  Papillom  (s.  d.)  die  häufigste  Neubildung  des  Kehlkopfes.  Ziemssen 
konnte  1879  bereits  147  Fälle  aus  der  Literatur  sammeln.  Schwartz  berich- 
tet, dass  auf  der  Klinik  Fauvel's  unter  12.360  Kranken,  die  an  Hals  oder  Nase 
litten,  nur  37  Fälle  beobachtet  wurden. 

Aetiologie.  Jedenfalls  hat  das  Alter  dör  Patienten  einen  Einfluss. 
Denn  in  der  grösseren  Mehrzahl  der  Fälle  handelt  es  sich  um  Kranke  über 
40  Jahre  hinaus.  Doch  gibt  es  auch  einzelne  Fälle  von  frühzeitigem  Car- 
cinom. So  beobachtete  Schrötter  solche  Erkrankungen  bei  einem  372Jäh- 
rigen  Knaben  und  10jährigen  Mädchen  und  dann  auch  in  einer  grossen  Anzahl 
von  Fällen  in  einem  Alter  zwischen  30  und  35  Jahren.  Das  Geschlecht  ist 
auch  von  Bedeutung,  da  die  Männer  viel  häufiger  ergriffen  werden;  unter 
Wassermann's  176  Fällen  betrafen  nur  29  weibliche  Personen.  Vielleicht 
hat  dies  seinen  Grund  darin,  dass  oft  wiederholte  Reizung  durch  Alkohol  und 
Tabak  hauptsächlich  bei  Männern  stattfindet.  Als  sonstige  ätiologische  Mo- 
mente führt  man  auch  eine  vererbte  Disposition  und  chronische  Kehlkopf- 
leiden namentlich  luetischer  Natur  an,  ohne  jedoch  Beweise  dafür  vorbringen 
zu  können.  Endlich  wurde  von  Lennox  Browne  in  London  1875  die  Behauptung 
aufgestellt,  „dass  gutartige  Kehlkopfgeschwülste  nicht  selten  in  Folge  des 
durch  Entfernungsversuche  gesetzten  Reizes  einen  bösartigen  und  selbst  kreb- 
sigen Charakter  annehmen."  Diese  durch  nichts  gerechtfertigte  Behauptung 
gab  nun  Anlass  zu  der  von  Felix  Semon  1888  veranstalteten  Sammelforschung 
über  „die  Frage  des  Ueberganges  gutartiger  Kehlkopfgeschwülste  in  bösartige, 
speciell  nach  intralaryngealen  Operationen." 

107  Laryngologen  der  ganzen  Welt  berichteten  hierbei  über  10.747  gut- 
artige und  1550  primär  bösartige  Kehlkopfgeschwülste. 

Nur  12  mal  wurde  der  spontane  Uebergang  gutartiger  Geschwülste  in 
bösartige  beobachtet;  jedoch  sind  die  meisten  dieser  Fälle  zweifelhaft,  d.  h. 
namentlich  insoferne,  als  wahrscheinlich  schon  zur  Zeit  des  Entstehens  die 
meisten  dieser  Neubildungen  bösartig  waren.  Nur  16  mal  nahm  eine  gut- 
artige Geschwulst  nach  der  intralaryngealen  Operation  einen  bösartigen  Cha- 
rakter an;  15  mal  war  dieser  Verlauf  nicht  sicher  zu  constatiren.  Jedenfalls 
ergibt  sich  die  Thatsache,  dass  nur  äusserst  selten  eine  gutartige  Kehlkopf- 
neubildung, sei  es  spontan  oder  auch  infolge  einer  intralaryngealen  Opera- 
tion, bösartig  wird.  Semon  hat  diese  Frage  wirklich  im  Interesse  der  Patienten 
gelöst,  da  nach  Lennox  Browne  die  endolaryngeale  Operation  aller  gutartigen 
Neubildungen  im  Kehlkopfe  verboten  wäre,  wenn  nicht  Lebensgefahr  besteht. 
Es  müssten  nach  ihm  alle  infolge  von  Kehlkopfpolypen  heiseren  Menschen 
ewig  heiser  bleiben. 

Im  allgemeinen  scheint  der  Kehlkopf  wenig  Neigung  zu  haben,  an  Krebs 
zu  erkranken,  da  Gurlt  unter  16.637  Tumoren,  die  er  aus  den  Wiener  Kranken- 


CARCINOMA.  LARYNGIS.  57 

häusern    zusammenstellte,    nur    03   Larynx-Carcinome   fand,   d.  i.    Y;/Vo  ^-ller 
Tumoren  und  circa  -/.i^o  ^^^^^  Carcinome  (Wassermann). 

Eintheiliiiig.  Der  Krebs  kann  entweder  zuerst  im  Kehlkopfe  auftreten, 
dann  spricht  man  von  primärem,  oder  er  verbreitet  sich  von  der  Nachbar- 
schaft aus  auf  den  Kehlkopf,  secundärer  Krebs.  Endlich  können  auch  Meta- 
stasen in  den  Larynx  erfolgen;  solche  Fälle  sind  aber  ausserordentlich  selten. 

Anatomie.  Epitheliale  und  medulläre  Carcinome  sind  die  häufigsten, 
faserige  viel  seltener;  Gallert-Krebs  und  Carcinoma  fasciculatum  wurden  ver- 
einzelt gesehen.  Alle  diese  Formen  lassen  sich  nach  der  neuen  Auffassung 
eigentlich  auf  zwei  Formen  zurückführen,  nämlich  auf  das  Platten-Epithel- 
carcinom  und  auf  das  Drüsencarcinom.  Das  Drüsencarcinom  wird  nach  der 
Masse  und  der  Beschaffenheit  des  Gerüstes  und  dem  Verhältnis  desselben  zu 
den  Zellen  in  das  medulläre,  dann  das  faserige  und  das  gallertartige  einge- 
theilt.  Am  häufigsten  kommt  im  Larynx  das  Platten-Epithelcarcinom  vor. 
Ueber  die  Häufigkeit  der  anderen  Formen  ist  noch  nicht  viel  bekannt,  da  viel 
zu  wenig  Untersuchungen  über  sie  vorliegen.  Das  Carcinom  beginnt  ent- 
weder im  Innern  des  Kehlkopfes  (besonders  an  den  Stimm-  und  Taschen- 
bändern) (inneres  Carcinom,  intrinsic  Cancer)  oder  an  seiner  Aussenfläche 
(Epiglottis,  Aryknorpel  und  aryepiglottische  Falten)  (äusseres  Carcinom,  ex- 
trinsic  Cancer),  welche  Unterscheidung  besonders  von  klinischer  Seite  aus  sehr 
wichtig  ist.  Die  erstere  Form  ist  viel  häutiger.  Das  Platten-Epithelcarcinom, 
oder  Epithelialcarcinom  kurzweg,  geht  von  den  mit  Plattenepithel  bekleideten 
Stellen  des  Kehlkopfes  aus,  und  zwar  mit  Vorliebe  von  den  Stimmbändern, 
seltener  von  anderen  Theilen,  am  seltensten  von  der  vorderen  Fläche  der 
hinteren  Wand. 

An  den  Stimmbändern  beginnt  es  in  Form  eines  kleinen  Knotens  oder 
einer  flachen  Verdickung  oder  eines  papillären  Auswuchses,  wächst  dann  an 
der  Oberfläche  und  zugleich  in  die  Tiefe,  bildet  später  grosse,  blumenkohl- 
ähnliche Wucherungen,  substituirt  einzelne  Theile  des  Larynx,  bleibt  aber 
lange  Zeit  auf  eine  Seite  beschränkt.  Endlich  verbreitet  es  sich  auf  den 
ganzen  Kehlkopf  und  über  denselben  hinaus  und  tödtet  entweder  durch 
Stenosirung  des  Larynx  oder  durch  Blutung,  Jauchung  und  langsame  Cachexie. 
Die  benachbarten  Lymphdrüsen  werden  erst  spät  inficirt.  Das  medulläre  Car- 
cinom geht  von  den  drüsenreichen  Theilen  aus,  wie  es  scheint  mit  Vorliebe 
von  dem  Taschenbande  und  dem  Ventrikel,  doch  auch  von  allen  Theilen  des 
Kehlkopfeinganges,  und  beginnt  meist  als  diffuse  Verdickung,  wächst  schneller 
als  das  Epithelialcarcinom,  bleibt  wohl  auch  zuerst  einseitig,  inficirt  aber  die 
Drüsen  rascher  und  kommt  schneller  zum  Zerfalle. 

Das  fibröse  Carcinom,  welches  ich  in  vier  Fällen  zu  beobachten  Gelegenheit 
hatte,  macht  diffuse  Infiltration  oft  beider  Seiten,  liefert  manchmal  lange  Zeit 
keine  umschriebenen,  als  Neubildung  imponirenden  Tumoren,  inficirt  die 
Lymphdrüsen  nur  wenig  und  kann  lange  Zeit  bestehen,  ohne  Cachexie  herbei- 
zuführen. Solche  Fälle  sehen  chronischen,  tuberkulösen  oder  syphilitischen 
Infiltraten  sehr  ähnlich.  Man  sieht  also,  von  welchem  Einfluss  auf  den  Ver- 
lauf die  histologische  Beschaffenheit  des  Tumors,  und  von  welcher  Bedeutung 
frühzeitige  histologische  Untersuchung  einzelner  Theile  der  Geschwulst  für 
Prognose  und  Therapie  ist. 

Verlauf  und  Diagnose.  Der  Verlauf  wird  so  ziemlich  übereinstimmend 
von  allen  Autoren  in  drei  Perioden  getheilt,  nämlich  Tumorbildung,  Ulceration 
und  Nekrose. 

I.  Stadium  der  Tumorhildung. 

Nach  Wassermann's  Tabelle  begann  die  Neubildung  in  94  Fällen  35  mal 
auf  der  linken,  51  mal  auf  der  rechten  Seite  und  Smal  an  der  hinteren 
Larynxwand.    Am  häutigsten  scheint  das  Stimmband  den  Ausgangspunkt  zu 


58  CARCINOMA  LARYNGIS- 

bilden;  an  ilim  beginnt  der  Krebs  entweder  als  Tumor  oder  als  oberflächliche 
Epithelverdickung  oder  als  dittuses  Infiltrat  durch  seine  ganze  Dicke. 

Der  Tumor  ist  rundlich  oder  länglich,  jedoch  immer  ungestielt,  der  oberen 
oder  öfter  der  unteren  Fläche  aufsitzend,  mehr  weniger  roth  und  oft  leicht 
höckerig.  Von  dem  kleinem  Fibrom  ist  er  oft  schwer  zu  unterscheiden;  doch  spricht 
für  Carcinom  die  Härte,  dann  stärkere  Röthung  der  Umgebung  und  eine  wenn 
auch  geringe  Einschränkung  der  Beweglichkeit  des  Stimmbandes.  Jedenfalls 
wird  man  den  kleinen  Tumor  entfernen  und  dabei  durch  eine  relativ  stärkere 
Blutung  mehr  zur  Annahme  eines  Carcinoms  geneigt  sein;  die  histologische 
Untersuchung  wird  dann  gewöhnlich  jeden  Zweifel  beseitigen.  Gibt  das 
Mikroskop  keine  sicheren  Anhaltspunkte,  so  wird  vielleicht  die  schnelle 
Recidive  die  Bösartigkeit  wahrscheinlich  machen.  Oefters  zeigt  dann  die 
neuerdings  exstirpirte  Neubildung  deutlich  den  krebsigen  Bau. 

Oberflächliche,  aber  meist  ausgebreitete  Epithelverdickung  kommt  sowohl 
auf  dem  nicht  verdickten  Stimmbande,  als  auch  auf  den  Tumoren  vor;  tritt 
sie  in  Form  von  kreideweissen  Massen  auf,  so  ist  sie  nach  B.  Fränkel  sehr 
verdächtig  auf  Krebs.  Als  papilläre  Geschwulst  beginnend  hat  der  Krebs  viel 
Aehnlichkeit  mit  dem  gutartigen  Papillom,  unterscheidet  sich  aber  meist  von 
ihm  durch  Blutreichthum,  Röthung  der  Umgebung,  Beschränkung  der  Beweg- 
lichkeit des  Stimmbandes  und  Neigung  zur  schnellen  Recidive.  Auch  tritt 
das  gutartige  Papillom  oft  an  mehreren  Stellen  zugleich  auf,  während  die 
bösartige  Geschwulst  meist  nur  an  einem  Orte  sich  entwickelt  und  anfangs 
auch  nur  dort  recidivirt. 

Difl'use  rothe  Infiltration  des  Stimmbandes  oder  längliche  Infiltrate  unter- 
halb desselben  bilden  auch  manchmal  die  erste  Erscheinung  des  Krebses. 
Diese  Formen  sind  oft  sehr  schwer  gegen  ähnliche  Infiltrate  infolge  von 
Tuberculosis  und  Syphilis  abzugrenzen.  Für  Tuberculosis  werden  gewöhnlich 
die  Blässe  des  übrigen  Kehlkopfes,  anderweitige  Infiltrate  und  Geschwüre,  die 
Lungenaffection  und  die  Sputumuntersuchung  Anhaltspunkte  liefern.  Bei 
Syphilis  kann  aber  öfters  das  Infiltrat  das  einzige  Symptom  sein;  in  solchen 
Fällen  bleibt  dann  nichts  übrig,  als  eine  antisyphilitische  Cur  einzuleiten  und 
derart  die  Diagnose  ex  juvantibus  zu  stellen. 

Natürlich  wird  man  in  allen  Fällen  die  sichere  Diagnose  so  bald  als 
möglich  zu  stellen  suchen,  da  Anfangsformen  verhältnismässig  gute  Chancen 
für  operative  Radicalheilung  haben.  Das  sicherste  Mittel  zur  Diagnose  ist 
aber  die  histologische  Untersuchung  exstirpirter  Geschwulststücke.  Daher 
wäre  bei  allen  verdächtigen  Anfangsformen  ein  Stück  zu  exstirpiren;  diese 
Operation  ist  nach  den  meisten  Autoren  unschädlich,  da  sie  nach  ihr  kein 
auss ergewöhnlich  schnelles  Fortschreiten  des  Krebses  beobachteten.  Jeden- 
falls muss  ein  Stück  entfernt  werden,  welches  bis  in  das  Gesunde  geht,  worauf 
sowie  auf  andere  Cautelen  bei  der  histologischen  Untersuchung  besonders 
B.  Fränkel  aufmerksam  machte.  Das  Stück  muss  senkrecht  auf  die  Ober- 
fläche geschnitten  werden,  es  muss  sich  atypische  Wucherung  des  Epithels 
und  Polymorphie  desselben  nachweisen  lassen,  um  Krebs  zu  diagnosticiren. 
Denn  einfache  Epithelverdickung  mit  Aussendung  einzelner  Zapfen  in  das  ent- 
zündlich infiltrirte  Bindegewebe  kommt  auch  bei  Pachydermia  diffusa  (Virchow) 
infolge  von  chronischem  Katarrh  und  bei  chronischen,  tuberkulösen  und 
syphilitischen  Infiltraten  vor.  Man  ersieht  aus  diesen  Angaben,  dass  auch  die 
histologische  Untersuchung  nicht  immer  bestimmte  Auskunft  geben  kann. 
Dann  bleibt  zunächst  nur  weitere  Beobachtung  über  und  Berücksichtigung 
aller  anamnestischen  Momente. 

Anfangsformen  des  Krebses  an  anderen  Stellen  als  an  den  Stimmbändern 
bekommt  man  wohl  auch  deshalb  selten  zu  sehen,  da  sie  kaum  Störungen 
veranlassen,  während  die  an  den  Stimmbändern  sitzenden  Formen  frühzeitig 
Heiserkeit  bedingen  und  so  den  Patienten  zum  Arzte  treiben.    Sie  treten  auch 


CARCINOMA  LARYNGIS.  59 

entweder  als  umschriebene,  rundliche  oder  papilläre  Tumoren  oder  als  diffuse 
Infiltrate  auf  und  müssen  in  derselben  Weise  diagnosticirt  werden  wie  an  den 
Stimmbändern,  F'ränkel  betont,  dass  man  an  diesen  Tumoren  die  kreide- 
artigen Auflagerungen  nicht  sehe,  und  dass  sie  grosse  Neigung  haben,  zu  blumen- 
kohlähnlichen Gebilden  heranzuwachsen  (Fig.  1).  Zwei  Ursprungsorte  muss  ich 
aber  besonders  erwähnen,  nämlich  den  MoKGAGNi'schen  Ventrikel  und  den  Sinus 
pyriformis.  Das  im  Ventrikel  beginnende  Carcinom  kann  das  Taschenband 
nach  innen  vorwölben  und  eine  Schwellung  desselben  vortäuschen,  wie  sie  bei 
Tuberkulose  und  Syphilis  nicht  so  selten  vorkommt.  Eine  genaue  Betrachtung 
zeigt  aber  meist,  dass  das  Taschenband  nur  passiv  gedehnt  und  nicht  selbst 
infiltrirt  ist.  Man  wird  dann  versuchen  müssen,  ein  Stück  des  Tumors  aus 
dem  Ventrikel  zu  entfernen,  um  die  Diagnose  festzustellen. 

Im  Sinus  pyriformis  endliich  entwickelt  sich  nicht  so  selten  das  Carcinom 
als  kleine  Geschwulst,  die  sehr  wenig  im  Schlingen  stört  und  oft  sehr  schwer 
zu  sehen  ist.  Dagegen  aber  inficirt  diese  Form  sehr  schnell  die  Halslymph- 
drüsen, welche  oft  zu  umfangreichen  Geschwülsten  heranwachsen,  während  das 
primäre  Carcinom  lange  Zeit  klein  bleibt.  Solche  Drüsen  wurden  schon  öfters 
als  Lymphome  exstirpirt,  zeigten  sich  aber  bei  der  histologischen  Unter- 
suchung als  carcinomatös.  Man  richte  deshalb  sein  Augenmerk  in  ähnlichen 
Fällen  auf  den  Sinus  pyriformis;  nicht  selten  sieht  man  in  der  Tiefe  des  einen 
oder  anderen  Sinus  von  Schleim  bedeckt  einen  höckerigen  Tumor  oder  an  der 
Aussenwand  der  ary-epiglottischen  Falte  den  gelblichen,  höckerigen  Kand  eines 
carcinomatösen  Geschwüres,  während  das  Schlingen  noch  kaum  behindert  ist. 

Alle  diese  Anfangsformen  wachsen  nun  weiter,  sehr  häufig  zunächst  in 
die  Tiefe,  wodurch  bei  Sitz  an  den  Stimmbändern  oder  in  der  Nähe  der  Ary- 
knorpeln  theils  durch  Vordringen  in  die  Muskulatur,  theils  durch  Schädigung 
des  Gelenkes  zwischen  Ary-  und  Ringknorpel  die  Beweglichkeit  der  Stimm- 
bänder beeinträchtigt  wird.  Dieses  Symptom  ist  sehr  wichtig  zur  Abgrenzung 
gegen  gutartige  Geschwülste.  Natürlich  veranlasst  der  am  Stimmband  sitzende 
Krebs  frühzeitig  Heiserkeit,  welche  mit  Beschränkung  der  Beweglichkeit  der 
Stimmbänder  noch  zunimmt.  Schmerzen  fehlen  in  diesem  Stadium  sehr  oft, 
doch  treten  sie  hie  und  da  schon  frühzeitig  auf,  sind  aber  durchaus  nicht 
immer  gegen  die  Ohren  ausstrahlend  und  stechend.  Uebrigens  bedingen  auch 
tuberkulöse  und  syphilitische  Infiltrate  manchmal  ähnliche  Schmerzen. 

t  Die  Tumoren  und  Infiltrate  wachsen  aber  auch  bald  gegen  das  Larynx- 
Lumen  zu  und  bilden  dann  mehr  weniger  höckerige,  oft  umfangreiche  Ge- 
schwülste, welche  das  Lumen  einengen,  bleiben  aber  gewöhnlich  lange  Zeit 
einseitig  (Fig.  1).  Sie  substituiren  einzelne  Theile 
des  Kehlkopfes  völlig.  Schlingbeschwerden  fehlen 
bei  dem  inneren  Krebs  sehr  lange  Zeit,  dagegen 
treten  sie  vor  der  Heiserkeit  auf,  wenn  der  Krebs 
von  der  Epiglottis  oder  der  hinteren  äusseren  Kehl- 
kopfumrahmung ausgeht.  Bei  der  Ausbildung  von 
grösseren  Tumoren  und  Infiltraten  ist  die  Dia- 
gnose viel  leichter.  Verwechslungen  könnten  vor- 
kommen mit  Sarkom,  Syphilis,  Tuberkulose  und 
mit  gutartigen  grösseren  Neubildungen.  pig.  i.  Biumenkohiäimucher  Krebs. 

Sarkome    sind  sehr    selten,    treten  jedoch 
öfters  beiderseitig  auf,  aber  auch  entweder  als  mehr  diffuse  oder  mehr  umschrie- 
bene,   breitbasige  Geschwülste.     Die  Differentialdiagnose  kann  oft  nur  durch 
histologische  Untersuchung  eines  exstirpirten  Partikels  gestellt  werden. 

Tuberkulöse  oder  syphilitische  Infiltrate  substituiren  nie  in 
dem  Grade  wie  das  Carcinom  einzelne  Larynxtheile,  so  dass  man  immer 
noch  die  Form  derselben  erkennt.  Sie  sind  häufig  bilateral  und  präsentiren 
sich  selten  als  umschriebene  Tumoren.    Nur  bei  Tuberkulose  beobachtet  man 


60  CARCINOMA  LARYNGIS. 

relativ  häufig  Tumoren  an  der  vorderen  Fläclie  der  Interarytaenoidfalte;  aber 
gerade  dort  beginnt  der  Krebs  selir  selten.  Endlich  wird  man  bei  Tuber- 
kulose fast  nie  die  Lungenaffection  vermissen  und  ge^YÖhnlich  im  Sputum 
Tuberkelbacillen  finden. 

Für  Syphilis  endlich  spricht  der  Nachweis  einer  syphilitischen  Infec- 
tion,  der  Befund  von  Geschwüren  oder  Nekrosen  in  der  Nase  und  im  Rachen 
und  der  Erfolg  einer  antisyphilitischen  Allgemeinbehandlung.  Zu  erwähnen  ist 
endlich  noch  die  Pachydermia  diffusa  (Vikchow),  welche  sich  meist  in 
Form  charakteristischer  schalenförmiger  Wülste  gewöhnlich  an  beiden  Pro- 
cessus vocales,  seltener  als  grössere,  höckerig  warzige  Wucherungen  an  der 
Interarytaenoidfalte  dem  Auge  darbietet,  an  welchen  Orten  das  Carcinom  fast 
nie  beginnt.  Ihre  Localisation  und  ihre  charakteristische  Form  kennzeichnen 
sie  hinreichend;  dazu  kommt  noch  der  Umstand,  dass  sie  nicht  um  sich 
greifen,  die  Beweglichkeit  der  Stimmbänder  kaum  beeinträchtigen  und  nie  zu 
grösseren  Tumoren  heranw^achsen.  Dass  sie  in  Carcinom  übergiengen,  hat 
man  noch  nie  beobachtet,  trotzdem  ihr  enorm  dickes  Epithel  grosse  Zapfen 
in  das  dichte  infiltrirte  Bindegewebe  aussendet. 

.    IL  Stadium  der  JJlceration. 

Ist  gekennzeichnet  durch  oberflächlichen  Zerfall  der  Tumoren.  Daneben 
aber  dringt  die  krebsige  Infiltration  immer  weiter  sowohl  nach  der  Fläche 
als  auch  in  die  Tiefe  vor;  es  bilden  sich  neue  Tumoren,  das  Kehlkopflumen 
wird  mehr  eingeengt,  doch  bleibt  auch  jetzt  noch  sehr  häufig  das  Leiden 
einseitig.  Perichondritis  gesellt  sich  hinzu,  und  öfters  werden  schon  die 
benachbarten  Lymphdrüsen  inficirt;  am  frühesten  wird  die  am  Ligamentum 
conicum  liegende  Drüse  palpabel.  Die  Geschwüre  an  den  Tumoren  sind 
unregelmässig  gezackt,  nicht  selten  am  Rande  und  Grunde  mit  höckerig 
warzigen,  gelblichen  oder  röthlichen  Vorsprüngen  besetzt.  Entsprechend  diesen 
Veränderungen  nimmt  die  Heiserkeit  bedeutend  zu,  die  Stenose  steigert  sich 
und  nöthigt  gewöhnlich  zur  Ausführung  der  Tracheotomie;  Hustenreiz  macht 
sich  oft  bemerkbar,  und  Schmerzen  können  sowohl  spontan  als  auch  namentlich 
beim  Husten  und  Schlingen  den  Patienten  quälen.  Doch  beobachtet  man  auch 
öfters  Fehlen  aller  Schmerzen.  Endlich  ist  als  wichtiges  Symptom  das 
Auftreten  von  blutigem  oder  blutig-eitrigem  Auswurfe  zu  erwähnen,  besonders 
wichtig  zur  Difierentialdiagnose  gegen  tuberkulöse  oder  syphilitische  Ge- 
schwüre, bei  denen  es  fast  nie  zu  Blutungen  kommt.  Uebrigens  ist  die 
Diagnose  in  diesem  Stadium  viel  leichter  als  im  ersten;  eine  Verwechslung 
w^äre  nur  möglich  mit  grossen  Papillomen,  mit  tuberkulösen  Geschwüren,  mit 
papillärer  Wucherung  des  Randes  und  mit  chronischer,  diffuser  Infiltration 
und  Perichondritis  infolge  von  Syphilis.  Folgende  Punkte  sind  da  zu  be- 
achten: Gutartige  Papillome  ulceriren  nie  und  sitzen  nie  auf  gerötheter,  ent- 
zündeter Basis  auf. 

In  der  Umgebung  von  tuberkulösen  Geschwüren  findet  man  oft  miliare 
Knötchen,  ausserdem  sind  die  früher  angegebenen  differentiellen  Momente  zu 
verwerten.  Endlich  werden  Probeexcisionen  immer  Material  für  histologische 
Diagnose  geben.  Nur  bei  diffusen  Infiltraten,  deren  Probeexcisionen  manchmal 
nicht  leicht  ausführbar,  bei  drohender  Stenose  sogar  gefährlich  sind,  wird 
erst  Erhebung  der  Anamnese,  die  genaue  klinische  Untersuchung  und  die 
Einleitung  einer  antisyphilitischen  Therapie  gewöhnlich  die  Sachlage  klären. 
Doch  darf  man  nicht  vergessen,  dass  einerseits  auch  die  Röthung  und  Schwel- 
lung in  der  Umgebung  von  Carcinomen  auf  Jodkali  anfangs  nicht  so  selten 
zurückgeht,  dass  anderseits  manchmal  umfangreiche,  derbe  syphilitische  In- 
filtrate gar  nicht  auf  specifische  Therapie  reagiren.  Endlich  kann  das  fibröse 
Carcinom   nach   und  nach  den  ganzen  Larynx  ergreifen,    ohne  umschriebene 


CARCINOMA  LARYNGIS.  61 

Tumoren    oder  Zerfallserscheinungen   zu  veranlassen.    Einzelne  Fälle   werden 
daher  nur  nach  langer  Beobachtung  richtig  erkannt  werden. 

///.  Stadium  der  Nekrose. 

Dasselbe  tritt  um  so  früher  ein,  je  weicher  und  zellenreicher  die  Neu- 
bildung ist;  sie  zerfällt  und  wird  in  kleineren  oder  grösseren  übelriechenden 
Fetzen,  meist  von  Blutungen  begleitet,  abgestossen.  Der  Athem  des  Kranken 
nimmt  einen  üblen  Geruch  an.  Gleichzeitig  bilden  sich  immer  neue  Tumoren 
theils  im  Larynxlumen  selbst,  theils  nach  aussen  ragend,  theils  ergreift  die 
krebsige  Wucherung  die  Knorpel,  veranlasst  oft  Eiterung  zwischen  Perichon- 
drium  und  Knorpel  und  führt  zu  vorübergehenden,  entzündlichen  Schwellungen, 
welche  die  eigentlichen  Tumoren  manchmal  verdecken.  Nicht  selten  kommt 
es  zu  Nekrosen  der  Knorpeln,  die  dann  in  grösseren  oder  kleineren  Stücken 
abgestossen  werden. 

Nachdem  in  dieser  Weise  der  ganze  Kehlkopf  ergriffen  ist,  wächst  der 
Krebs  in  die  Luftröhre  hinein  und  bildet  in  der  Trachealöffnung  pilzartige, 
höckerige,  leicht  blutende  Tumoren,  er  wächst  durch  die  Kehlkopfknorpel 
hindurch  in  den  Rachen  und  nach  aussen  und  greift  vom  Kehldeckel  auf  die 
Zunge  über.  Der  Kehlkopf  wird  im  ganzen  breiter  und  dicker  und  schliesslich 
verwächst  er  mit  der  Haut  des  Halses. 

Die  Lymphdrüsen  des  Halses  werden  nach  und  nach  alle  ergriffen, 
wachsen  oft  zu  grossen  Knoten  heran,  die  unter  sich  und  mit  dem  Kehlkopf- 
krebs zu  umfänglichen,  harten  Tumoren  verschmelzen.  Diesen  Veränderungen 
entsprechend  wird  die  Heiserkeit  stärker,  steigert  sich  oft  zur  Aphonie,  das 
Schlingen  wird  unmöglich,  die  Trachealcanüle  wird  oft  verstopft,  lauter 
Symptome,  die  den  Patienten  sehr  quälen. 

Nicht  selten  aber  wird  vorübergehend  durch  Abstossung  grosser  Stücke 
das  Schlingen  und  Athmen  sehr  erleichtert.  Doch  hält  diese  Besserung  nicht 
lange  an,  und  die  früheren  Beschwerden  stellen  sich  wieder  ein.  Die  oft 
wiederholten  Blutungen,  die  Jauchung  der  umfänglichen  Tumoren,  die  unge- 
nügende Ernährung,  die  später  oft  nur  mit  Hilfe  der  Schlundröhre  möglich 
ist,  führen  endlich  den  Tod  durch  Erschöpfung  herbei,  wenn  nicht  schon 
früher  Suffocation  oder  eine  Schluckpneumonie  dem  Leben  ein  Ende  macht. 
Diese  letzten  Stadien  der  Erkrankung  sind  für  den  Patienten,  den  Arzt  und 
die  Umgebung  eine  wahre  Leidensschule  und  stellen  wegen  der  oft  nöthigen 
Reinigung  oder  Entfernung  der  Canüle,  wegen  der  Sondenfütterung,  wegen 
Stillung  der  Blutungen  und  Desinfection  der  jauchenden  Geschwüre  die 
grössten  Anforderungen  an  die  Humanität  des  Arztes. 

Durchschnittlich  nimmt  man  die  Lebensdauer  bei  Kehlkopfkrebs  auf 
2V2 — 4  Jahre  an,  je  nachdem  es  sich  um  Epitheliom  oder  medulläres  Carcinom 
handelt.  Natürlich  kann  auch  das  Leiden  schneller  zum  Tode  führen,  schon 
in  1  bis  1 V2  Jahren  bei  stark  wucherndem  Neoplasma.  Endlich  werden  auch 
Fälle  von  fünf  bis  sechsjähriger  Dauer  berichtet;  besonders  verdanken  wir 
Krieg  (Stuttgart)  eine  sehr  interessante  Mittheilung  über  ein  Drüsencarcinom, 
welches  er  oft  endolaryngeal  unvollständig  operirte.  Es  recidivirte  zwar  mehr- 
mals, aber  nahm  nie  grossen  Umfang  an,  so  dass  die  Patientin  sechs  Jahre  und 
zwei  Monate  nach  Beginn  der  Neubildung  sich  sehr  wohl  befand.  Natürlich 
bleibt  hier  die  Frage  offen,  ob  diese  Neubildung  nicht  mehr  zu  den  Adenomen 
zu  rechnen  ist. 

Jedenfalls  hängt  die  Dauer  des  Leidens  hauptsächlich  von  der  Art  des 
Krebses  und  der  Rapidität  seines  Wachsthums  ab,  worauf  schon  früher  hin- 
gewiesen wurde. 

Das  secundäre  Larynxcarcinom  entsteht  durch  Uebergreifen  der 
krebsigen  Wucherung  von  der  Nachbarschaft,  namentlich  vom  Zuugengrund, 


62 


CARCINOMA  LARYNGIS. 


Fig.  2.  Vom  Pharynx  auf  die  hintere  Larynx- 
wand  übergreifendes  Epithelialcarcinom. 


vom    Kachen    (Fig.  2)    und    von  den  Tonsillen  her.     Die  Diagnose  wird  hier 

meist   leicht    sein,    da    das  Carcinom    an    diesen  Stellen  charakteristisch  ist. 

Die    Symptome    werden    so    lange    die  des  primären  Tumors  sein,    als  nicht 

die  Stimme  und  Athmung  gelitten  haben; 
jedenfalls  wird  der  Kehlkopfspiegel  Auf- 
schluss  geben,  inwieweit  der  Kehlkopf 
betroffen  ist,  ob  in  ihm  blos  collaterales 
Oedem  oder  wirklich  Carcinom  sich  ausge- 
bildet hat. 

Prognose.  Dieselbe  ist  natürlich 
schlecht;  doch  hat  die  Therapie  auf  den 
Verlauf  einen  so  bedeutenden  Einfluss, 
dass  sie  zunächst  ins  Auge  gefasst"  wer- 
den muss. 

Exspectative,  symptomatische  Therapie 
wird  von  vielen  Autoren  empfohlen,  und 
zwar   aus   folgenden  Gründen,    die  später 

noch  eingehend  kritisirt  werden: 

1.  Bei  langsamer  wachsenden  Formen  bleibt  das  Leben  oft  über  drei 
Jahre  erhalten,  ohne  Exstirpation. 

2.  Bei  schnell  wachsenden  hat  auch  die  Exstirpation  keine  günstigen 
Erfolge  aufzuweisen. 

3.  Die  totale  oder  2yartieUe  Exstirpation  gefährdet  immer  das  Leben  in 
hohem  Grade,  und  zwar  innerhalb  der  ersten  Wochen  nach  der  Operation. 

4.  Die  endolaryngeale  Exstirpation,  die  nur  ausnahmsweise  radical  sein 
kann,  befördert  meist  das  Wachsthum  des  Krebses. 

Daher  empfehle  sich  nur  Beobachtung  des  Kranken  und  die  Bekämpfung 
der  Athemnoth,  wenn  dieselbe  eintritt.  Zu  dem  Zwecke  nehme  man  die  tiefe 
Tracheotomie  vor,  um  möglichst  weit  von  dem  Krankheitsherde  entfernt 
zu  sein. 

Natürlich  wird  diese  Behandlungsmethode  auch  angewendet  werden 
müssen,  wenn  der  Patient  die  Vornahme  einer  radicalen  Operation  ver- 
weigert. 

a)  Endolaryngeale  Exstirpation.  Dieselbe  wird  nur  in  seltenen  Fällen  radical 
vorgenommen  werden  können,  namentlich  dann,  wenn  kleine,  umschriebene 
Tumoren  nur  an  den  Stimmbändern  sitzen.  Man  muss  sie  mit  schneidenden 
Pincetten,  Messern,  Schlingenschnürern  oder  dem  Galvanokauter  exstirpiren 
und  die  Basis  gründlich  zerstören.  In  dieser  Art  exstirpirte  B.  Fränkel  1881 
ein  Cancroid  des  Stimmbandes,  welches  er  Viechow  zur  Untersuchung  übergab. 
ViRCHOw  stellte  auch  die  Diagnose  auf  Cancroid.  Ebenso  wurde  ein  4  maliges, 
locales  Recidiv  endolaryngeal  entfernt,  und  von  Prof.  Madelung  eine  Halslymph- 
drüse, die  sich  als  carcinomatös  entartet  nachweisen  Hess.  Der  Patient  blieb 
nach  der  letzten  endolaryngealen  Operation  gesund,  wie  B.  Fränkel  noch 
18S9  berichtet.  Von  fünf  anderen  ähnlich  behandelten  Fällen  blieb  einer 
zwei  Jahre,  einer  sechs  Monate  geheilt,  während  einer  keine  Nachricht  von 
sich  gab  und  zwei  wegen  Ausbreitung  der  Geschwulst  sich  der  Laryngofissur 
unterziehen  mussten. 

ScHNiTZLEß  und  M.  Schmidt  erzielten  auch  durch  endolaryngeale . 
Operation  histologisch  sichergestellter  Carcinome  der  Stimmbänder  viele  Jahre 
lang  dauernde  Heilung.  Gonguenheim  exstirpirte  einen  gestielten  Krebs  des 
linken  Taschenbandes  mit  der  Zange  und  constatirte  noch  nach  sechs  Monaten 
Heilung.  Ich  will  nur  diese  Fälle  erwähnen,  um  die  Möglichkeit  radicaler 
endolaryngealer  Exstirpation  zu  zeigen,  aber  gleich  hinzufügen,  dass  Fränkel 
selbst  sie  nur  für  besonders  günstig  gelegene,  kleine  Tumoren  empfiehlt. 
Sendziak  in  Warschau  hat  jüngst  in  einer  sehr  gediegenen  Arbeit  32  solche 


CARCINOMA  LARYNGIS.  63 

Fälle  gesammelt  mit  12-57o  definitiver,  d.  h.  über  drei  Jahre  dauernder 
Heilung. 

Es  ist  aber  nie  sicher  zu  beurtheilen,  ob  ein  Tumor  radical  vom  Munde 
aus  entfernt  werden  kann;  dagegen  macht  man  partielle  Entfernungen  eines 
bösartigen  Tumors  öfters,  namentlich  in  zwei  Fällen:  1.  wenn  die  Diagnose 
nur  durch  histologische  Untersuchung  möglich  ist  und  2.  wenn  bei  ver- 
weigerter oder  unausführbarer  Radical-Exstirpation  umschriebene,  leicht  zu 
exstirpirende  Theile  des  Tumors  besondere  Beschwerden  machen.  Aus  diesen 
zwei  Ursachen  habe  ich  schon  oft  Stücke  der  Neubildungen  entfernt,  ohne 
jemals  bis  auf  einen  Fall  starke  Blutungen  oder  schnelleres  Wachsthum  dar- 
nach zu  beobachten.  Sonst  soll  man  nach  meiner  Ansicht  mit  endolaryn- 
gealen  Eingriffen  bei  Carcinom  thunlichst  zurückhalten,  wenn  man  nicht 
Aussicht  auf  radicale  Exstirpation  hat.  Krieg  dagegen  ist  anderer  Ansicht, 
da  er  auch  in  vorgerückteren  Stadien  bei  Verweigerung  radicaler  Exstirpation 
Schlinge,  scharfen  Löffel,  ja  sogar  Galvanokaustik  fleissig  anwendet.  Natürlich 
kann  in  solchen  Fragen  nur  eine  Vergleichung  vieler  Fälle  entscheiden;  doch 
schon  jetzt  lässt  sich  nicht  bestreiten,  dass  Fälle  von  endolaryngealer  Hei- 
lung des  Krebses  zweifellos  constatirt  sind,  und  dass  endolaryngeale  Eingriffe 
gewöhnlich  kein  schnelleres  Wachsthum  des  Kehlkopfkrebses  bedingen. 

h)  ExstiriMÜon  von  aussen  her.  B.  Fkänkel  hält  die  Exstirpation  von 
aussen  her  nur  dann  für  indicirt,  wenn  die  endolaryngeale  Methode  versagt 
oder  von  vorne  her  nicht  anwendbar  ist  (wegen  zu  grosser  Ausbreitung  der 
Geschwulst  oder  ungünstiger,  etwa  subglottischer  Localisation);  die  meisten 
anderen  Laryngologen  aber  empfehlen  bei  jedem  sicher  diagnosticirten  Krebs 
sofort  einen  äusseren  Eingriff,  weil  derselbe  mehr  Aussicht  auf  radicale  Exstir- 
pation bietet. 

Als  Contraindicationen  werden  angenommen  zu  hohes  Alter,  Hin- 
fälligkeit, starke  Bronchitis,  Herzleiden  und  überhaupt  schwächliche  Consti- 
tution des  Patienten,  dann  zu  bedeutende  Ausbreitung  des  Krebses  über  den 
Larynx  hinaus  (auf  Luftröhre,  Rachen,  Gaumen  oder  Zunge)  oder  hochgradige 
Betheiligung  der  Halslymphdrüsen,  namentlich  wenn  sie  der  Scheide  der 
grossen  Halsgefässe  aufsitzen.  Doch  sind  in  dieser  Beziehung  die  Ansichten 
der  einzelnen  Operateure  sehr  verschieden;  sicher  ist  nur,  dass  die  Aussicht 
auf  radicale  Entfernung  alles  Krankhaften  und  noch  mehr  auf  Ausbleiben  von 
Ptecidive  bei  grosser  Ausbreitung  des  Processes  minimal  wird. 

Die  bei  der  Entfernung  des  Kehlkopfkrebses  in  Betracht  kommenden 
Operationen  sind  die  Laryngotomia  subhjoidea,  die  Laryngofissur,  die  iMrtielle 
und  totale  Exstirpation  des  Larynx. 

Die  Laryngotomia  seu  Pharyngotomia  subhyoidea,  bei  welcher  die  Mem- 
brana hyothyreoidea  durch  einen  Querschnitt  unter  dem  Zungenbeine  durch- 
trennt wird,  käme  nur  in  Betracht  bei  einem  isolirten  Krebs  der  Epiglottis 
und  der  Aryknorpel,  scheint  aber  bis  jetzt  zu  diesem  Zw^ecke  sehr  selten  aus- 
geführt zu  werden.  Man  schickt  dieser  Operation  natürlich  die  Tracheotomie 
vorher,  und  zwar  entweder  unmittelbar  oder  einige  Tage  oder  Wochen  früher, 
um  mit  der  Tamponcanüle  nach  Trendelenbueg  die  Trachea  während  der 
Pharyngotomia  tamponiren  zu  können.  Ein  Hauptnachtheil  dieser  Operations- 
methode ist  der  Mangel  an  Raum,  der  dann  die  Exstirpation  der  Geschwulst 
und  die  exacte  Blutstillung  sehr  erschwert.  Der  Vorzug,  dass  man  die  Stimm- 
bänder ganz  unberührt  lässt,  wird  durch  den  obigen  Nachtheil  weitaus  auf- 
gewogen, so  dass  wohl  die  meisten  Operateure  die  Spaltung  des  Schildknor- 
pels oder  die  partielle  oder  totale  Exstirpation  des  Kehlkopfes  vorziehen 
dürften.  Nach  einer  Statistik  von  Sendziak  (1897)  wurde  die  Laryngotomia 
subhyoidea  8mal  wegen  Larynxkrebs  ausgeführt;  mehr  als  die  Hälfte  starb 
infolge  der  Operation. 


64  CARCINOMA  LARYNGIS. 

Die  Lanjngoßssur,  d.  h.  die  Spaltung  des  Kehlkopfes  in  der  Median- 
ebene, wurde  zuerst  1833  von  Brauers  in  Löwen  vorgenommen,  um  eine 
warzenartige  Geschwulst  des  Kehlkopfes  (wahrscheinlich  wohl  ein  Epithelial- 
carcinom)  zu  entfernen.  Die  Neubildung  recidivirte  jedoch  immer  wieder,  so 
dass  man  die  Wunde  öfters  wieder  öffnete,  um  die  Wucherungen  zu  entfernen, 
was  aber  nie  radical  gelang.  Ehrmann  in  Strassburg  machte  dieselbe  Opera- 
tion mit  gutem  Erfolge  1844  wegen  Papillom,  und  Gordon  Bück  führte 
sie  1851  an  demselben  Individuum  2  mal  wegen  Carcinom  aus,  ohne  radical 
exstirpireu  zu  können. 

Seit  der  Einführung  des  Kehlkopfspiegels  mehrten  sich  diese  Operationen 
besonders  zum  Zwecke  der  Entfernung  gutartiger  Neubildungen,  so  dass  Paul 
Bruns  1878  unter  97  Thyreotomien  nur  19  anführen  konnte,  die  wegen 
Carcinom,  und  5,  die  wegen  Sarkom  vorgenommen  waren. 

Es  eignet  sich  nämlich  die  einfache  Spaltung  des  Kehlkopfes  nur  für 
beginnende  Carcinome,  und  zwar  besonders  der  Stimmbänder,  während  für 
grössere  Krebse  nur  die  Exstirpatio  laryngis  in  Frage  kommt. 

Die  Laryngofissur  oder  Laryngofission  begreift  zwei  Arten  von  Opera- 
tionen in  sich,  nämlich  die  Spaltung  des  Schildknorpels  fgewöhnlich  Thyreo- 
tomie  oder  totale  Laryngotomie  genannt)  und  die  Spaltung  des  Kehlkopfes 
mit  Schonung  des  Schildknorpels  (partielle  Laryngotomie) ;  für  den  Krebs  kommt 
nur  die  erstere  Methode  in  Frage. 

I.  Thyreotomie. 

Hier  wird  der  Schildknorpel  in  der  Medianebene  gespalten,  und  zwar 
allein  oder  zugleich  auch  der  Eingknorpel  und  das  Ligamentum  conicum.  Vorher 
ist  meist  die  Tracheotomie  vorzunehmen;  in  Paul  Bruns'  97  Fällen  wurde 
nur  21  mal  ohne  Tracheotomie  operirt. 

Es  wird  sich  wegen  der  oft  bedeutenden  Blutung  fast  immer  empfehlen, 
die  TRENDELENBURG'sche  Tampoucauüle  oder  die  Schwammcanüle  nach  Hahn 
und  Michael  einzuführen  oder  bei  herabhängendem  Kopfe  zu  operiren,  welch 
letztere  Lage  jedoch  für  den  Operateur  nicht  sehr  bequem  ist.  Auch  hat 
man  einfach  die  Trachea  oberhalb  der  Canüle  mit  einem  Schwamm  oder  mit 
Jodoformgaze  tamponirt. 

In  den  19  Fällen,  die  Paul  Bruns  aufzählt,  wurde  nur  einmal  die 
Tracheotomie  unterlassen.  Gewöhnlich  spaltete  man  nebst  Schildknorpel  auch 
den  Ringknorpel.  Trotzdem  war  die  Entfernung  der  Neubildung  meist  sehr 
schwierig  (wegen  der  Beschränkung  des  Raumes,  da  die  beiden  Schild- 
knorpelplatten meistens  nicht  sehr  weit  auseinandergezogen  werden  können) 
und  in  sehr  vielen  Fällen  unvollständig.  2  mal  trat  der  Tod  infolge  der 
Operation  ein,  und  in  den  17  Fällen  mit  Verheilung  der  Wunde  entstand 
12  mal  sehr  bald  locale  Recidive,  3  mal  recidivirte  die  Neubildung  etwas 
später,  3  mal  fehlt  jede  Nachricht,  und  nur  in  einem  Falle  fand  sich  22  Monate 
nach  der  Operation  der  Kehlkopf  frei. 

Von  den  10  Fällen  Billroth's  (1870—1889)  starben  3  wenige  Tage 
nach  der  Operation,  4  bekamen  Recidive,  1  wurde  nur  kurze  Zeit  beob- 
achtet, und  nur  in  2  Fällen  wurde  noch  nach  6 — 8  Jahren  völlige  Heilung 
constatirt,  trotzdem  7  mal  nur  das  Stimmband  betroffen  war. 

Viel  günstiger  sind  die  Erfolge  in  der  neueren  Zeit  geworden.  Zwei 
Statistiker  geben  darüber  Aufschluss.  Die  eine  rührt  von  Sendziak  in 
Warschau  und  die  zweite  von  Schmiegelovs^  in  Kopenhagen  her.  Sendziak 
berücksichtigt  nur  die  Fälle  von  1851  bis  1894  inclusive,  während  Schmiegelow 
die  Fälle  von  1890  bis  1896  zusammenstellt.  In  allen  diesen  Fällen  wurden 
nach  Spaltung  des  Schildknorpels  nur  Weichtheile,  und  zwar  gewöhnlich  nur 
ein  Stimmband  entfernt. 


CARCINOMA  LARYNGIS. 


65 


Sendziak 


Zahl  der  Fcälle 


Definitive  Heilung,    d.  h.  mehr   als 
3  Jahre  keine  Kecidive. 


Relative  Heilung,    d.  h.  bis  1  Jahr 
ohne  Recidive. 


92 


(8)     8-7% 


(12)     13»/„ 


Schmiegelow 


40 


(7)     l4-3»/o 


(21)  42-67o 


Recidive. 


Tod  in  Folge  der  Operation,  d.  h. 
innerhalb  einiger  Wochen  nach 
der  Operation. 


Zu  kurze  Beobachtung. 


(49)   53-3% 


(14)   28-5% 


(9)      9-8«/o 


(7)    14-3% 


(8)      8-7«/o 


Die  Zahlen  der  SENDziAK'schen  Statistik  citire  ich  nach  des  Autors 
Angaben,  obwohl  weder  die  einfachen  noch  die  percentuellen  Angaben  stimmen. 
Es  mag  das  wohl  davon  herrühren,  dass  Sendziak  nur  über  85  verschiedene 
Patienten,  aber  über  92  Thyreotomien  berichtet,  weil  bei  7  Patienten  die 
Operation  zweimal  vorgenommen  wurde. 

Trotz  dieser  Ungenauigkeit  erhellt  aber  deutlich  aus  dieser  Statistik  die 
Besserung  der  Resultate  gegenüber  der  Statistik  von  Paul  Bruns. 

Noch  mehr  tritt  dies  hervor  in  der  ScHMiEGELOw'schen.  Die  Zahl  der 
Heilungen  hat  sich  von  21-77o  auf  56'9%  gehoben,  die  der  Ptccidiven  von 
53-37o  auf  28'57o  vermindert.  Da  nun  die  ScHMiEGELOw'sche  Statistik  nur 
die  neuere  Zeit  umfasst,  die  SENDziAK'sche  dagegen  auch  die  ältere  Zeit  von 
1851  bis  1894,  so  muss  man  die  bessere  Technik,  sowie  die  sorgfältigere 
Auswahl  der  Fälle  als  Grund  der  besseren  Resultate  annehmen. 

Die  geringe  Zahl  der  Todesfälle  infolge  der  Operation  spricht  eben- 
falls für  dieselbe.  Natürlich  ist  sie  nur  verwendbar  bei  günstigem  Sitze  und 
geringer  Ausbreitung  des  Krebses.  Namentlich  die  Fälle  von  Stimmband- 
krebs sind  für  sie  geeignet. 

Die  Operation  selbst  ist  nicht  schwer  auszuführen;  man  nimmt  Tracheo- 
tomie  vor  und  spaltet  dann  entweder  das  Ligamentum  conicum  oder  die 
Weichtheile  unmittelbar  ober  der  Incisur  der  Schildknorpelplatten,  um  von 
dort  aus  starke  Messer,  Scheeren  oder  Knochenscheeren  in  den  Schildknorpel- 
winkel einführen  zu  können.  Gewöhnlich  gelingt  nämlich  die  Spaltung  des 
Schildknorpels  von  aussen  mit  einem  Messer  nicht,  da  er  meist  verknöchert 
ist;  jedenfalls  wäre  aber  dieser  Vorgang  zunächst  zu  versuchen  und  dann  erst 
mit  Knochenscheeren  einzugehen.  Immer  aber  achte  man  darauf,  den  vor- 
deren Ansatz  der  Stimmbänder  zu  schonen  (was  für  die  phouatorische  Function 
sehr  wichtig  ist),  und  spalte  die  Schildknorpelplatten  so,  dass  höchstens  das 
kranke  Stimmband  verletzt  werden  kann;  man  halte  sich  also  gegen  die 
kranke  Seite.  Gewöhnlich  muss  man  dann  noch  den  Ringknorpel  spalten,  um 
mit  scharfen  Haken  die  Schildknorpel  auseinander  ziehen  zu  können.  Dabei 
wird  man  häufig  erstaunt  sein,  wie  enge  auch  jetzt  der  Zugang  zum  Kehl- 
kopflumen ist. 

Hat  man  schon  früher  die  Tamponcanüle  eingeführt,  so  kann  man  sofort 
das  Kehlkopflumen  mit  5 böiger  Cocainlösung  auspinseln,  um  den  Sturm  von 
Husten  und  Würgen  zu  besänftigen,  der  sich  sofort  nach  Spaltung  des  Schild- 
knorpels einstellt.    Anderen  Falles   hat  man  zuvor  noch  den  Raum  ober  der 

Ohren-,  Nasen-,  Eachen-,  Kehlkopf krankheiten.  ^ 


66  CARCINOMA  LARYNGIS. 

Canüle  mit  Jodoformgaze  auszufüllen,  um  das  Einfliessen  von  Blut  oder  Schleim 
in  die  Trachea  zu  verhüten.  Namentlich  Schleim  strömt  von  Mund  und 
Eachen  und  Speiseröhre  in  grosser  Menge  in  den  Kehlkopf  und  stört  sehr 
bei  den  nachfolgenden  Acten,  wenn  man  auch  die  Empfindlichkeit  der  Kehl- 
kopfschleimhaut durch  Cocain  herabgesetzt  hat. 

Unter  guter  Beleuchtung,  wozu  sehr  zweckmässig  die  Stirnreflectoren 
dienen  können,  hat  man  sich  nun  von  dem  Sitze  und  der  Ausdehnung  des 
Krebses  zu  überzeugen  und  nochmals  zu  beurtheilen,  ob  er  noch  mit  Schonung 
der  Knorpel  wand  des  Kehlkopfes  radical  exstirpirt  werden  kann.  Mir  scheint 
das  nur  dann  halbwegs  sicher,  wenn  nur  das  Stimmband  ergriffen  und  noch 
beweglich  ist,  was  man  eben  vorher  mit  dem  Kehlkopfspiegel  zu  consta- 
tiren  hat. 

Nun  umschneidet  man  die  Neubildung  im  Gesunden  bis  auf  den  Knorpel, 
hebelt  die  Weichtheile  mit  dem  Elevatorium  ab  und  zwar  von  hinten  nach 
vorne  und  trennt  die  letzten  Verbindungen  mit  der  Scheere. 

Dann  folgt  Stillung  der  Blutung  (die  meist  unbedeutend  ist)  und  Tam- 
ponade des  Kehlkopfes  mit  Jodoformgaze.  Eine  Naht  des  Knorpels  ist  nicht 
nöthig.  Die  Canüle  lässt  man  einige  Tage  bis  172  Wochen  liegen,  bis  die 
Kehlkopfwunde  granulirt,  und  kann  sie  dann  gewöhnlich  für  immer  entfernen, 
wenn  nicht  starke  entzündliche  Erscheinungen  im  Kehlkopfe  auftreten.  Das 
Schlingen  erfolgt  oft  schon  am  Tage  der  Operation  selbst  anstandslos,  ist 
aber  manchmal  durch  1  Woche  hindurch  sehr  schmerzhaft.  Der  Kehlkopf 
wird  durch  Heftpflasterstreifen  zusammengezogen  und  wächst  gewöhnlich 
gut  zu.  In  neuester  Zeit  haben  Butlin  und  Semon  in  London  gleich  nach 
vollendeter  Excision  des  Tumors  und  sorgfältigster  Blutstillung  die  Canüle 
völlig  entfernt  und  die  Hautwunde  vernäht.  Dadurch  wurden  alle  Nachtheile 
der  Canülen-Athmung  verhindert  und  dem  Patienten  das  Schlingen  sehr  er- 
leichtert. 

In  günstigen  Fällen  (wo  nur  das  eine  Stimmband  exstirpirt  werden 
musste)  bleibt  das  andere  ganz  intact;  nach  einigen  Wochen  schon  sprechen 
die  Patienten  ganz  vernehmlich,  ja  nach  einigen  Monaten  bildet  sich  öfters 
an  Stelle  des  exstirpirten  Stimmbandes  eine  vorspringende,  platte,  weisse 
Narbenmembran,  die  die  Phonation  noch  bedeutend  verbessert.  Einer  meiner 
Patienten,  dem  ich  das  rechte  Stimmband  auf  diese  Art  exstirpirt  hatte,  hielt 
einige  Monate  nach  der  Operation  in  einem  grossen  Saale  einen  Vortrag. 
Er  ist  jetzt  3  Jahre  nach  der  Operation  ganz  recidivfrei. 

Man  ersieht  also,  dass  die  Operation  den  schönsten,  functionellen  Erfolg 
hat,  sowohl  in  Bezug  auf  Athmung  als  auch  auf  Phonation,  und  dass  sie  des- 
halb allen  anderen  vorzuziehen  ist.  Sie  ist  aber  nur  dann  ausreichend,  wenn 
bloss  das  Stimmband  betroffen  und  noch  beweglich  ist.  Daher  ist  frühzeitige 
Diagnose  von  grösster  Wichtigkeit;  wenn  nämlich  das  Stimmband  unbeweglich 
geworden  ist,  ist  meist  schon  das  Gelenk  zwischen  Ary-  und  Ringknorpel  ergriffen, 
wenn  man  auch  noch  keine  Schwellung  daselbst  sieht.  In  solchen  Fällen 
muss  auch  die  Knorpelwand  mit  exstirpirt  werden,  man  muss  der  Laryngo- 
fissur  die  partielle  oder  halbseitige  Exstirpation  des  Larynx  folgen  lassen,  will 
man  radical  vorgehen.  Natürlich  kann  dies  gleich  im  Anschluss  an  die 
Laryngofissur  erfolgen.  Bevor  ich  aber  die  Exstirpatio  laryngis  bespreche, 
möchte  ich  noch  eine  in  neuester  Zeit  von  Gersuny  erdachte  Operation  zur 
Blosslegung  des  Lumens  des  Kehlkopfes  erwähnen. 

VIT.  Die  horizontale  Spaltung  beider  Schildknorpelplatten 
oberhalb  der  wahren  Stimmbänder.  Gersuny  beschrieb  dieses  Ver- 
fahren als  Laryngotomia  transversa  im  Jahre  1892;  sein  Vorzug  vor  der 
Pharyngotomia  subhyoidea  und  der  Laryngofissur  beruht  darauf,  dass  man 
sowohl  die  Stimmbänder,  als  auch  die  Aditus  ad  laryngem  verschont.  Auch 
soll  es   guten  Zugang  zu   der  Glottis    geben.    Es  wurde  seit  1892  mehrere 


CARCINOMA  LARYNGIS.  67 

Male  angewendet ;  bei  Careinom  dürfte  es  übrigens  selten  ausreichend  sein. 
Jedenfalls  muss  seine  Brauchbarkeit  bei  dieser  Erkrankung  erst  weiter  erprobt 
werden. 

VIII.  Partielle  Ilesection  des  Larynx  nach  Heine  1874,  darin 
bestehend,  dass  man  nach  Laryngofissur  einen  Theil  der  einen  oder  beider 
Schildknorpelplatten  entfernt,  also  nur  die  vordere  Wand  des  Larynx,  wäre 
indicirt,  wenn  sicher  nur  der  vordere  Antheil  des  Schildknorpels  ergriffen  ist, 
was  während  der  Operation  sich  zeigen  müsste.  Manchmal  könnte  man  sich 
begnügen,  bloss  den  einen  Aryknorpel  zu  entfernen.  Gewöhnlich  jedoch  dürfte 
es  sich  hier  empfehlen,  entweder  den  halben  oder  ganzen  Larynx  zu  exstir- 
piren,  da  bei  Betheiligung  der  Knorpel  gewöhnlich  schon  der  Krebs  weit  aus- 
gebreitet ist. 

Halbseitige  Exstirpation  des  Kehlkopfes  wurde  wie  bekannt 
zuerst  von  Billeoth  1878  ausgeführt,  nachdem  er  schon  1873  die  erste 
totale  Exstirpation  wegen  Krebs  vorgenommen  hatte.  Sie  ist  indicirt  bei 
strenger  Beschränkung  des  Krebses  auf  eine  Hälfte  des  Kehlkopfes  und  gibt 
recht  gute  functionelle  Kesultate  (bezüglich  des  Sprechens,  Athmens  und 
Schlingens),  so  dass  schon  öfters  die  Patienten  der  Canüle  ganz  entbehren 
konnten,  und  ist  der  totalen  bei  weitem  vorzuziehen.  Wichtig  ist  es  daher, 
immer  die  Diagnose  zu  stellen,  so  lange  der  Krebs  noch  einseitig  ist.  Die 
Operation  schliesst  sich  gewöhnlich  an  die  Laryngofissur  an,  weil  man  sich  durch 
directen  Einblick  in  den  Kehlkopf  noch  genau  über  Ausdehnung  des  Krebses 
Orientiren  kann. 

Dann  präparirt  man  mit  dem  Elevatorium  stumpf  die  Weichtheile  nach 
aussen  von  dem  Schildknorpel  und  Ringknorpel  ab,  bis  zum  hinteren  Ptande 
desselben,  wo  die  Constrictores  pharyngis  sich  ansetzen.  Dieselben  und  die 
Pharynx-Schleimhaut  werden  vorsichtig  knapp  am  Knorpelrande,  am  besten  mit 
der  Scheere  abgelöst.  Dann  durchschneidet  man  das  Ligamentum  hyothy- 
reoideum  nach  vorheriger  Unterbindung  der  Arteria  laryngea  superior,  kneipt 
eventuell  das  obere  Hörn  des  Schildknorpels  ab  und  dreht  nun  die  so  beweg- 
lich gemachte  Hälfte  nach  innen,  um  den  Uebergang  der  Oesophagusschleim- 
haut  auf  den  Kingknorpel  zu  durchschneiden.  Dann  wird  die  hintere  La- 
rynxwand  der  Länge  nach  vertical  in  der  Mittellinie  gespalten,  wozu  man 
zweckmässig  theilweise  den  Thermokauter  verwenden  kann.  Natürlich  hat 
man  sich  zu  hüten  vor  Verletzung  der  hinteren  Pharynxwand.  Endlich  trennt 
man  den  Ringknorpel  von  dem  ersten  Trachealring  ab,  womit  die  Exstirpation 
vollendet  ist.  Ist  der  Ringknorpel  nicht  ergriflen,  so  trennt  man  den  Schild- 
knorpel von  dem  Ligamentum  conicum  ab  und  schneidet  mit  der  Scheere  das 
untere  Schildknorpelhorn  ab.  Durch  diese  Schonung  des  Ringknorpels,  die  oft 
möglich  ist,  wird  die  Operation  sehr  vereinfacht.  Nach  sorgfältiger  Blutstillung 
kann  man  auch  die  Schleimhaut  des  Oesophagus  und  Pharynx  an  die  Ränder 
der  Hautwunde  oder  an  den  Schildknorpel  annähen,  um  so  den  noch  vor- 
handenen Theil   des  Kehlkopfes  von  Rachen  und  Mund  abzuschliessen. 

Diese  von  Billroth  empfohlene  Methode  bringt  die  mit  Muskulatur 
{Constrictores  pharytigis)  versehene  Schleimhaut  an  die  gesunde  Kehlkopf- 
hälfte heran  und  erleichtert  die  Ausbildung  von  Falten,  die  als  Stimmbänder 
functioniren  können. 

Nach  der  Operation  wird  gewöhnlich  die  Tamponcanüle  durch  eine 
gewöhnliche  ersetzt  und  der  Raum  ober  ihr  durch  Jodoformgaze  abgeschlossen, 
um  das  Einfliessen  von  Schleim,  Speichel  und  Speisen  in  die  Luftwege  zu 
verhindern.  Zum  Zwecke  der  Ernährung  legt  man  häufig  ein  dünnes,  weiches 
Schlundrohr  in  den  Oesophagus  ein  und  leitet  es  bei  der  Halswunde  heraus; 
man  fixirt  es  durch  eine  Naht  an  dem  Hautrande  der  Wunde.  Billroth  hat 
jedoch  in  den  letzteren  Jahren  das  Schlundrohr  nicht  permanent  liegen  lassen, 
sondern  es  immer  vor  jeder  Fütterung  ad  hoc  eingeführt,  weil  er  Decubitus 

5* 


68 


CARCINOMA  LARYNGIS. 


durch  das  lange  Verweilen  des  Schlundrohres  beobachtete.  Endlich  wird  die 
ganze  Schliindhöhle  mit  Jodoformgaze  tamponirt  und  der  Kranke  hochgelagert. 
Die  Nachbehandlung  erfordert  grosse  Vorsicht,  namentlich  wegen  der  Sonden- 
fütterung. Meistens  ist  offene  Wundbehandlung  ohne  Naht  angezeigt.  Die 
Canüle  kann  manchmal  schon  nach  acht  Tagen  entfernt  werden,  öfters  muss 
sie  jedoch  dauernd  getragen  werden,  je  nach  den  Verhältnissen  des  Larynx- 
lumens.  Die  künstliche  Ernährung  muss  auch  verschieden  lange  fortgesetzt 
werden;  jedenfalls  soll  man  die  ersten  Schlingversuche  machen  lassen,  so  lange 
die  Kehlkopfhöhle  noch  tamponirt  ist.    . 

Als  üble  Zufälle  in  der  Zeit  der  Wundheilung  können  Nachblutungen, 
Wundinfectionen  oder  Aspirationspneumonien  oder  Bronchitiden  auftreten,  deren 
Therapie  nach  allgemeinen  Grundsätzen  erfolgt. 

Einfacher  gestaltet  sich  die  ganze  Sache,  wenn  die  vordere  Wand  des 
Oesophagus  geschont  werden  kann,  da  dann  die  Patienten  schon  bald  nach 
der  Operation  auf  gewöhnliche  Weise  schlucken  können.  Natürlich  wird 
alles  erschwert,  wenn  auch  noch  ein  Theil  der  äusseren  Pharynxwand  mit 
ergriffen  ist  und  entfernt  werden  muss.  Das  Verfahren  während  und  nach 
der  Operation  muss  daher  jedem  Falle  entsprechend  modificirt  werden. 

Welche  Resultate  gibt  nun  die  partielle  Exstirpation  des  La- 
rynx  wegen  Carcinom?  Wasseemann  (1889),  Sendziak  und  Schmiegelow 
(1897)  haben  Statistiken  aufgestellt,  welche  ich  hier  folgen  lasse: 


Tod 

innerhalb 
14  Tagen 


Tod 
innerhalb 
2  Monaten 


Recidive 


Infolge  der  Operation    | 


Tod  an 
intercurren- 
ten  Krank- 
heiten 


Heilung,  aber 

zu  kurz 

beobachtet 


Heilung,  über 

3  Jahre 

beobachtet 


Vor  1881 
10  Fälle 

Nach  1881 
40  Fälle 


3 
11 


Summe 
50  Fälle 


14 


In  Procenten 


28% 


16% 


12 


24% 


2% 


2 
10 


12 


24% 


6«/o 


Sendziak's  Statistik  1876—1894, 


1876-1894 
110  Fälle 


(29)  26-37o 


(31)  28-2% 


(13)  ir8% 


(10)  9% 


Ungenaue  Beobachtung  (21)  19% 


Schmiegelow's  Statistik  1890—1897. 


1890-1897 
50   Fälle 


(8)  16% 


(18)  36o/o 


(16)  32\ 


Bei  Sendziak's  Statistik  stimmen  die  Zahlen  nicht  ganz,  was  sich  theil- 
weise  daraus  erklärt,  dass  2  Fälle  erst  nach  6  resp.  8' 5  Jahren  Kecidive 
bekamen,  und  daher  nicht  als  geheilt  betrachtet  werden  können. 

Diese  Tabellen  beweisen,  dass  sich  in  den  späteren  Perioden  die  in- 
folge der  Operation  auftretenden  Todesfälle  sehr  verminderten,  dagegen  die 
Heilungen  sehr  vermehrten.  Offenbar  hängt  dies  zusammen  mit  der  ver- 
besserten Technik  der  Operation  und  Nachbehandlung. 


CARCINOMA  LARYNGIS.  69 

Eecht  günstig  ist  das  functionelle  Resultat,  da  von  vielen  Patien- 
ten, welche  die  Operation  überstanden,  gemeldet  wird,  dass  sie  ohne  Ganüle 
athmeten,  schluckten  und  meist  auch  verständlich  sprachen,  ohne  irgend  eine 
Sprechcanüle  zu  tragen;  Salzkr  hat  darüber  aas  Billkoth's  Klinik  sehr 
wichtige  Mittheilungen  gemacht  und  auch  durch  Abbildungen  der  laryngo- 
skopischen Bilder  nach  der  Operation  gezeigt,  wie  die  Stimmbildung  durch 
Anlegen  des  erhaltenen  Stirambandes  an  die  Gegenseite  des  Kachens  erfolgt. 

IX.  Totale  Exstirpation  des  Larynx  wurde  zuerst  wegen  syphi- 
litischer Stenose  im  Jahre  1866  von  Watson  in  Edinburgh  ausgeführt, 
aber  nicht  weiter  bekannt  gemacht.  Ganz  unabhängig  davon  machte 
CzEKNY  1870  die  Exstirpation  an  Hunden  und  leitete  davon  die  Möglichkeit 
der  Operation  am  Menschen  ab;  ja  er  construirte  einen  künstlichen  Kehlkopf, 
der  zur  Phonation  dienen  sollte.  Nach  diesen  Vorarbeiten  führte  Billroth 
1873  seine  erste  totale  Exstirpation  wegen  Carcinom  aus,  die  gut  gelang; 
doch  starb  der  Patient  sieben  Monate  später  an  Recidive.  Seither  wurde  die 
Operation  oft  vorgenommen,  so  dass  Wassermann  1889  über  118  Exstir- 
pationen  bei  Carcinom  berichten  konnte  und  nur  über  16  wegen  anderer 
Leiden. 

Natürlich  wird  man  auch  hier  die  Tracheotomie  vorausschicken;  bei  den 
obigen  134  Fällen  wurde  die  Trachea  gar  nicht  vorher  eröffnet  llmal,  7mal 
geschah  dies  unmittelbar  vor  der  Exstirpation  und  41mal  fehlen  nähere  Nach- 
richten. 75mal  aber  wurde  die  Tracheotomie  längere  Zeit  (bis  einige  Wochen) 
vorausgeschickt,  um  die  Stenose  zu  beseitigen  und  die  Lungen  unter  normale 
Verhältnisse  zu  bringen  und  so  dem  Patienten  die  Möglichkeit  zu  geben,  sich 
zu  erholen,  um  die  Trachea  in  ihrer  normalen  Lage  zu  fixiren,  so  dass  ihr 
Herabsinken  nach  Abtrennung  vom  Kehlkopf  nicht  möglich  ist,  und  endlich 
um  durch  die  Narbenbildung  um  die  Trachea  herum  eine  Eitersenkung  in 
den  prätrachealen  Raum  zu  verhindern.  Jedenfalls  erfolgt  auch  die  Ein- 
führung der  Tamponcanüle  und  die  Narkose  durch  dieselbe  leichter,  wenn  der 
Patient  sich  schon  durch  einige  Zeit  an  das  Athmen  durch  eine  Canüle  ge- 
wöhnt hat.  Immer  ist  die  tiefe  Tracheotomie  vorzuziehen,  da  bei  der  Exstir- 
pation eine  hoch  oben,  also  nahe  dem  Kehlkopfe  liegende  Canüle  sehr  stört. 

Andere  Operateure,  wie  besonders  Hahn,  empfehlen  aber,  die  Tracheo- 
tomie unmittelbar  der  Exstirpation  vorherzuschicken,  wenn  der  Patient  kräftig 
ist,  früher  nicht  an  hochgradiger  Stenose  litt  und  keine  Bronchitis  hat,  da 
man  dadurch  dem  Patienten  eine  Operation  erspart. 

Um  das  Hinabfliessen  von  Blut  und  Schleim  in  die  Trachea  während 
der  Operation  zu  verhindern,  wendet  man  gewöhnlich  die  Trendelenburg' sehe 
Tamponcanüle  oder  die  Hahn-Michael  Schwammcanüle  an,  oder  tam- 
ponirt  den  Raum  ober  einer  gewöhnlichen  Canüle  mit  Jodoformgaze  fest  aus. 
Endlich  hat  man  auch  empfohlen,  das  Tracheallumen  schon  bei  der  voraus- 
geschickten Tracheotomie  ganz  in  die  Hautwunde  einzunähen. 

Die  totale  Exstirpation  selbst  wird  nun  gewöhnlich  von  oben  nach  unten, 
seltener  umgekehrt  ausführt. 

Der  Hautschnitt  ist  derselbe  wie  bei  der  Laryngofissur,  nur  reicht  er  bis 
zum  zweiten  Tracheairinge.  Durch  seitliche  horizontale  Schnitte  kann  man 
aber  nöthigenfalls  den  Zugang  erleichtern.  Man  dringt  bis  auf  Schild-  und 
Ringknorpel  ein,  unterbindet  beide  Arteriae  crico-thyreoideae,  löst  nun  mit 
dem  Elevatorium  die  Weichtheile  von  dem  Schildknorpel  und  Ringknorpel 
€inerseits  ab  und  durchschneidet  endlich  vorsichtig  die  Pharynxwand  an  ihrer 
Anheftung  an  den  Kehlkopf. 

Ebenso  verfährt  man  auf  der  anderen  Seite.  Dann  durchschneidet  man 
nach  Unterbindung  der  Arteria  laryngea  superior  das  Ligamentum  hyothyreoi- 
<leum  laterale  beiderseits,  dann  das  Ligamentum  hyothyreoideum  mediale,  legt 
den  so  frei  gemachten  Larynx  nach  vorne  um,  durchschneidet  die  Pharynx- 


70 


CARCINOMA  LARYNGIS. 


Schleimhaut  hinter  den  Aryknorpeln,  wobei  man  auf  die  Arteriae  laryngeae 
inferiores  zu  achten  hat,  und  löst  endlich  den  Larynx  von  der  Trachea  ab. 
Die  Epiglottis  ist  meist  mit  zu  entfernen. 

Von  unten  nach  oben  geschieht  die  Exstirpation  derart,  dass  man  zuerst 
die  Luftröhre  ober  dem  ersten  Tracheairinge  quer  vom  Kehlkopf  abtrennt 
und  dann  den  Kehlkopf  mit  Haken  nach  oben  zieht  und  ihn  zunächst  vom 
Pharynx  abschneidet,  zuletzt  aber  vom  Zungenbeine. 

Bei  Ausbreitung  der  Neubildung  über  den  Kehlkopf  hinaus  wird  die 
Operation  natürlich  viel  schwieriger  und  die  Aussicht  auf  radicale  Exstirpation 
unsicher.  Infiltrirte  Drüsen  muss  man  natürlich  auch  entfernen,  und  zwar 
gewöhnlich  vor  der  Hauptoperation,  um  sich  zu  überzeugen,  ob  alle  Drüsen, 
welche  oft  auf  den  Gefässcheiden  aufsitzen,  exstirpirt  werden  können,  da 
anderenfalls  die  Kehlkopfexstirpation  zu  unterlassen  ist. 

Von  dieser  typischen  Art  der  totalen  Exstirpation  wird  man  öfters  ab- 
gehen und  namentlich  bei  nicht  zu  bedeutender  x4usbreitung  des  Krebses  zu- 
nächst die  Laryngofissur  machen,  um  völligen  Einblick  in  das  Lumen  laryngis 
zu  gewinnen.     (Hahn.) 

Man  wird  dann  manchmal  den  Ringknorpel  ganz  oder  theilweise  be- 
lassen können.  Pean  hat  vorgeschlagen,  die  Knorpel  subperichondrai  in 
kleinen  Stücken  zu  entfernen  (Emorcellement),  wodurch  die  Operation  un- 
gefährlicher wird;  Solis  Cohen  räth,  beiderseits  von  der  Mittellinie  ein  0-6  cm 
breites  Stück  des  Schildknorpels  stehen  zu  lassen,  um  bessere  functionelle 
Resultate  zu  erhalten. 

Nach  der  Operation  wird  die  Trachea  am  die  Hautwunde  fixirt,  was  natür- 
lich nur  in  jenen  Fällen  nöthig  ist,  wo  die  Tracheotomie  unmittelbar  der  Exstir- 
pation vorhergieng,  dann  die  Pharynxschleimhaut  durch  einige  Nähte  an  die 
Hautränder  herangezogen,  die  Wundhöhle  mit  Jodoformgaze  tamponirt  und 
die  Tamponcanüle  gleich  oder  nach  24  Stunden  durch  eine  gewöhnliche  er- 
setzt.   Die  Ernährung  geschieht  ebenso  wie  bei  der  halbseitigen  Exstirpation. 

Die  Erfolge  der  totalen  Exstirpation  sind  nach  Wassermann's, 
Sendziak's  und  Schmiegelow's  statistischen  Angaben  recht  gute: 


Tod     I       Tod 
innerhalb!  innerhalb 
14  Tagen  |2  Monaten 

infolge  der  Operation 


Recidive 


Tod  an 
intercurren- 
ten  Krank- 
heiten 


Heilung,  aber 

zu  kurze  Zeit 

beobachtet 


Heilung,  über 

3  Jahre 

beobachtet 


Vor  1881 
41  Fälle 

Nach  1881 
77  Fälle 


22 
19 


Summe 
118  Fälle 


41 


in  Procenten 


34-7% 


11 
29 


12 


40 


11 


lü'2% 


33  9% 


9-3% 


5% 


6  8% 


Sendziak's  Statistik  1873-1894  incl. 


1873-1894 
188  Fälle 


84  Fälle  44-7°/o 


61  Fälle 

32-45% 


13  Fälle 
6-9% 


11   Fälle 

5-85% 


Ungenaue  Beobachtung  24  Fälle 


Schmiegelow's  Statistik. 


1890-1897 
50  Fälle 


11  Fälle  22% 


10  Fälle 

20% 


24  Fälle 

48% 


5  Fälle 

10% 


CARCINOMA.  LARYNGIS.  71 

Auch  hier  ist  wieder  Sendziak's  Statistik  nicht  genau  nach  den  Zahlen 
stimmend;  doch  erhellt  wieder,  dass  die  Kesultate  um  so  bessere  sind,  je 
mehr  die  Operationen  in  der  modernen  Aera  ausgeführt  wurden,  je  besser 
also  die  Technik  war. 

Wassermann's  Tabellen  ergeben  Folgendes:  Vor  dem  Jahre  1881,  so 
lange  die  Technik  der  Operation  nicht  völlig  entwickelt  und  bevor  die  Jodo- 
formgazetamponade allgemein  eingeführt  war,  erlagen  über  5.3%  der  Operir- 
ten  innerhalb  der  ersten  14  Tage  und  60%  innerhalb  der  ersten  2  Monate, 
nach  1881  aber  nur  25%,  respective  3(j%.  Ueber  3  Jahre  geheilt  blieben 
nahezu  7%,  also  etwas  mehr  als  nach  partieller  Exstirpation;  dagegen  traten 
öfter  Recidiven  auf. 

Vergleichen  wir  nun  die  Statistiken  anderer  Autoren  über  die  Resultate 
der  totalen  und  partiellen  Exstirpation,  so  ergeben  sich  nicht  bedeutende 
Abweichungen. 

ScHWARTZ  in  Paris  berichtete  1886  über  87  totale  und  20  partielle 
Exstirpationen;  bei  den  totalen  wurde  in  5-7%Heilung  durch  längere  Zeit 
constatirt,  bei  den  partiellen  aber  in  25%  oder  in  fünf  Fällen.  Von  diesen 
fünf  Fällen  aber  wurde  nur  einer  über  18  Monate  hinaus  beobachtet,  nämlich 
durch  sechs  Jahre;  daher  würden  nach  Wassermann's  Vorgehen  statt  25% 
nur  5%  zu  notiren  sein. 

PiNCONNAT  (Paris)  erwähnt,  dass  nach  144  totalen  Exstirpationen  wegen 
Krebs  61  Kranke  innerhalb  eines  Monates  erlagen,  also  über  42 7o,  29  be- 
kamen Recidive  (also  20%),  26  (also  18%)  blieben  geheilt  über  zehn  Monate, 
aber  nur  sieben  von  ihnen  über  drei  Jahre  (also  4'87o)- 

Bei  37  partiellen  Exstirpationen  wegen  Krebs  starben  11  an  den  Folgen 
der  Operation,  10  (also  27%)  bekamen  Recidive  und  14  blieben  geheilt 
(also  37%).  Von  diesen  14  wurden  aber  nur  vier  über  drei  Jahre  beobachtet, 
also  10-8%. 

Wassermann  verwendete  zu  seiner  Arbeit  besonders  die  Statistiken  von 
SoLis  Cohen,  Zesas,  Hahn,  Wolfenden,  Baratoux  und  Scheier  und  ent- 
lehnte dem  letzteren  Autor  seine  Eintheilung;  nur  nahm  er  statt  16  Monaten 
drei  Jahre  als  untere  Grenze  der  definitiven  Heilung  an,  und  zwar  mit  Recht, 
da  dies  auch  bei  anderen  Carcinomen  allgemein  Brauch  ist. 

Eugen  Kraus  (1890)  nimmt  dagegen  solche  Fälle  als  definitiv  geheilt 
an,  die  über  ein  Jahr  nach  der  Operation  recidivfrei  blieben.  Von  142  totalen 
Exstirpationen,  die  er  sammelte,  wurden  24  über  ein  Jahr,  aber  nur  neun 
über  drei  Jahre  hinaus  als  geheilt  constatirt.  Er  zieht  aber  von  den  142 
Fällen  zehn  ab,  welche  unter  einem  Jahre  nach  der  Operation  beobachtet 
wurden  und  bekommt  so  als  definitiv  geheilt  187o.  Nimmt  man  aber  142 
Fälle  an  und  neun  Heilungen,  die  über  drei  Jahre  constatirt  sind,  so  ergeben 
■  sich  nur  etwas  über  6%.  Von  66  partiellen  Exstirpationen  erwähnt  er  16  Hei- 
lungen über  ein  Jahr,  zieht  aber  wieder  11  Fälle  von  der  Gesammtsumme  ab, 
weil  sie  nicht  ein  Jahr  nach  der  Operation  beobachtet  wurden,  und  bekommt 
so  20%.  —  Von  den  66  blieben  aber  nur  sieben  über  drei  Jahre  geheilt,  so 
dass  10'6  definitive  Heilungsprocente  sich  ergeben. 

Man  sieht  also,  dass  die  definitiven  Heilungen  nach  totaler  und  par- 
tieller Exstirpation  bei  Anwendung  gleicher  Grundsätze  in  den  verschiedensten 
Statistiken  ziemlich  nahe  stehende  Procentzahlen  ergeben,  nämlich  für  totale 
Exstirpation  4-87o5  6-87o,  67o  und  für  partielle  Exstirpation  6%,  IO-G^/q, 
10*8%,  dass  also  die  partielle  bessere  Resultate  gibt.  Ausserdem  muss  noch- 
mals erwähnt  werden,  dass  die  geheilten,  aber  nur  unter  dem  Zeiträume  von 
drei  Jahren  beobachteten  Fälle  auch  eine  starke  Procentnummer  ergeben, 
und  dass  gewiss  mehrere  von  ihnen  auch  später  geheilt  blieben.  Ganz  ähn- 
liche Zahlen  finden  sich  auch  bei  Sendziak;  bei  Schmiegelow  dagegen, 
dessen  Statistik  aus  Fällen  der  jüngsten  Epoche  besteht,   ist  der  Procentsatz 


72  CARCINOMA  LARYNGIS. 

der  definitiven  und  relativen  Heilungen  viel  grösser,  der  der  Todesfälle  und 
Recidiven  viel  kleiner.  Es  zeigt  sich  darin,  dass  sowohl  die  Technik  der 
Operation  und  Nachbehandlung  als  auch  die  Auswahl  der  Fälle  in  neuester 
Zeit  bedeutend  vervollkommnet  wurde. 

Nur  so  kann  man  es  verstehen,  dass  bei  der  partiellen  Exstirpation 
lG°/o,  bei  der  totalen  lO^o  definitive  und  327o  respective  487o  relative 
Heilungen  erzielt  wurden.  Todesfälle  infolge  der  Operation  kamen  nur  167o 
bei  der  partiellen  und  22%  bei  der  totalen  Exstirpation  vor. 

Es  sind  also  die  Heilungsresultate  nicht  schlechter  als  bei  anderen  Car- 
cinomen;  auch  die  Mortalität  infolge  der  Operation,  die  übereinstimmend  bei 
allen  Autoren  früher  über  40%  betrug,  ist  in  neuester  Zeit  bedeutend  ge- 
sunken. 

Die  functionellen  Ergebnisse  der  totalen  Exstirpation  sind  natürlich 
schlechter  als  die  der  partiellen;  die  Operirten  müssen  zeitlebens  die  Canüle 
tragen,  haben  oft  bleibende  Erschwerung  des  Schlingens  (namentlich  flüssiger 
Substanzen)  und  sind  nur  auf  Flüsterstimme  angewiesen.  Diesem  letzteren 
Uebelstand  suchte  man  durch   den  künstlichen  Kehlkopf  abzuhelfen. 

Den  ersten  construirte  Czerny;  doch  kam  erst  der  von  Gussenbauer 
erdachte  zur  praktischen  Anwendung  bei  dem  ersten  Falle  Billroth's.  Der 
Apparat  besteht  aus  einer  Trachealcanüle,  durch  deren  Fenster  nach  oben  in 
den  Rachen  die  Rachencanüle  (oder  Larynxcanüle)  eingeführt  wird,  an  deren 
oberem  Ende  eine  künstliche  Epiglottis  angebracht  war.  (Später  wurde  sie 
weggelassen.)  Die  Pharynxcanüle  communicirt  mit  der  Trachealcanüle,  so 
dass  die  Luft  aus  der  Trachea  in  den  Rachen  strömt,  wenn  die  Halsöfl'nung 
der  Trachealcanüle  verschlossen  ist;  mit  Hilfe  einer  dritten  Canüle  wird  dann 
in  die  Rachencanüle  ein  Rahmen  mit  einer  schwingenden  Metallzunge  einge- 
führt und  so  die  Stimmbildung  ermöglicht.  Der  erste  Patient  Billroth's  las 
mit  dieser  Canüle,  zwar  eintönig,  aber  durch  einen  grossen  Saal  hin  vernehm- 
bar, wie  ich  mich  selbst  überzeugen  konnte.  Jedoch  strengte  ihn  dieses 
Sprechen  sehr  an,  weil  eben  der  Luftstrom  recht  kräftig  sein  musste,  um  die 
Metallzunge  in  Schwingung  zu  versetzen;  endlich  verlegte  sich  der  Apparat 
öfters  mit  Schleim. 

FouLis'  Sprechapparat  weicht  von  dem  Gussenbauer's  darin  ab,  dass 
zuerst  eine  nahezu  gerade  Röhre  in  den  Kehlkopf,  dann  durch  ein  Loch  der- 
selben die  Trachealcanüle  und  endlich  in  dieselbe  die  Metallzunge  in  ihrem 
Rahmen  eingeführt  wird. 

Gussenbauer  hat  später  seinen  künstlichen  Kehlkopf  so  modificirt,  dass 
die  Larynxröhre  aus  beweglichen  Ringen  besteht  und  der  Phonationsapparat 
leicht  entfernt  werden  kann.  Während  des  Essens  wird  die  Larynxröhre  ent- 
fernt und  in  die  Trachealcanüle  eine  gewöhnliche  ungefensterte  Canüle  ein- 
geführt. 

VON  Bruns  hat  die  Metallzunge  durch  Kautschukmembranen  ersetzt, 
deren  Schwingungen  einen  weicheren  Ton  geben,  Solis  Cohen  hat  dazu  dünne 
Elfenbeinplättchen  vorgeschlagen.  Seitdem  sind  viele  ähnliche  Apparate  con- 
struirt  worden,  so  von  Mathieu,  Arzio,  Caselli  (mit  einem  sehr  langen,  bieg- 
samen Larynxrohr,  welches  an  seinem  oberen  Ende  den  Phonationsapparat 
trägt),  Eiselsberg,  Wolff  (welcher  das  Larynxrohr  oben  durch  ein  feines 
Sieb  verschluss  und  die  Gummizunge  für  verschiedene  Töne  verstellbar  machte). 
Eugen  Kraus  wendete  ein  neues  Princip  an:  Der  Larynxtheil  besteht  aus 
einer  mit  Gummischlauch  überzogenen  silbernen  Spiralfeder  und  ist  auf  das 
Fenster  der  Trachealcanüle  aufgelöthet,  bildet  also  eine  Röhre  von  grosser 
Biegsamkeit  und  lässt  sich  deswegen  zugleich  mit  der  Trachealcanüle  ein- 
führen. Der  Gummischlauch  kann  mit  seinem  oberen  Rande  etwas  in  das 
Lumen  hineinragen  und  bei  der  Exspiration  in  Schwingung  versetzt  werden. 
Kraus  verwendete  diesen  Apparat  bei  einem  Falle,  wo  die  Epiglottis,  Ary- 


CARCINOMA  LARYNGIS.  73 

knorpel  und  Stimmbänder  erhalten  waren;  ob  er  daher  zur  Phonation  nach 
totaler  Exstirpation  geeignet  ist,  müssen  weitere  Versuche  zeigen,  ebenso 
auch,  ob  er  nicht  das  Eindringen  von  Speisen  gestattet. 

Alle  die  künstlichen  Kehlköpfe  erfüllen  zwar  ihren  Hauptzweck,  nämlich 
eine  tönende  laute  Stimme  zu  erzeugen,  vollkommen;  aber  sie  behindern  oft 
die  freie  Athmung,  verlegen  sich  mit  Schleim,  stören  das  Schlingen,  erfordern 
grosse  Anstrengung  und  Luftverbrauch  beim  Sprechen,  geben  eintönige  Sprache, 
sind  mühsam  ein-  und  auszuführen  und  sind  endlich  nicht  in  allen  Fällen 
anwendbar.  Das  hat  seinen  Grund  in  der  engen  und  oft  gewundenen  Be- 
schaffenheit des  nach  der  Exstirpation  des  Kehlkopfes  übrigbleibenden  Canales, 
der  noch  dazu  im  Laufe  der  Zeit  immer  enger  wird.  Deswegen  legen  die 
meisten  Operirten  sehr  bald  den  Phonationsapparat  ab  und  begnügen  sich  mit 
einer  Flüsterstimme,  da  die  Luft  durch  das  Larynxrohr  leicht  in  den  Mund 
gelangt.  Ja  viele  bedienen  sich  nur  einer  einfachen  Trachealcanüle  und 
lassen  die  laryngeale  ganz  weg;  bei  noch  erhaltenem  Ringknorpel  fällt  dann 
auch  die  Gefahr  einer  völligen  Abschliessung  der  Trachea  gegen  den  Rachen 
fort.  Die  Flüsterstimme  wissen  dann  die  Patienten  recht  gut  zu  verwenden, 
um  sich  verständlich  zu  machen.  Verwächst  aber  wirklich  der  Wundcanal 
völlig,  oder  hat  man,  wie  das  einige  Operateure  zur  Verhinderung  der  Schluck- 
pneumonie  absichtlich  ausführten,  den  Trachealstumpf  annulär  mit  der  Tracheo- 
tomie-Hautwunde  vernäht,  so  ist  meistens  die  Sprachfähigkeit  aufgehoben. 
Einzelne  Ausnahmen  sind  übrigens  bekannt:  Schmidt's  (Stettin)  Patient 
konnte  sich  auf  grössere  Distanzen  vernehmbar  machen,  wahrscheinlich  durch 
Austreibung  von  Luft  aus  dem  Oesophagus;  durch  diesen  Luftstrom  wurde  an 
irgend  einer  glottisähnlichen,  verengten  Stelle  der  Speiseröhre  (?)  ein  zur 
Phonation  genügend  lautes  Geräusch  erzeugt.  Aehnliches  berichteten  auch 
Macdonald,  Symonds  und  Solis  Cohen. 

Jedenfalls  beruhen  solche  phonetische  Resultate  nur  auf  ungewöhnlicher 
Intelligenz,  Thatkraft  und  Ausdauer  der  Patienten;  sonst  ist  man  gezwungen, 
Sprechapparate  rückwärts  in  den  Mund  einzulegen  und  ihnen  den  Luftstrom 
durch  einen  Blasebalg,  Ballon  oder  durch  die  eigenen  Lungen  zuzuführen, 
indem  man  nämlich  von  der  Trachealcanüle  einen  Schlauch  zur  Pfeife  leitet 
(Störk).  Hochenegg  führte  die  Zungenpfeife  durch  die  Nase  des  Patienten 
in  den  Nasenrachenraum  ein,  um  die  Tonbildung  stark  nach  rückwärts  zu 
verlegen,  Perier  endlich  legte  unterhalb  des  Zungenbeines  eine  Rachenfistel 
an.  und  führte  in  diesen  Canal  seine  Zungenpfeife  ein. 

Man  ersieht  also  aus  obigen  Auseinandersetzungen,  dass  die  totale  Exstir- 
pation bedeutend  schlechtere  functionelle  Resultate  gibt  und  dass  nach  ihr 
Recidiven  viel  häufiger  sind  als  nach  partieller.  Deswegen  ist  es  Pilicht,  das 
Carcinom  des  Larynx  frühzeitig  zu  diagnosticiren,  damit  man  nicht  zu  totaler 
Exstirpation  gezwungen  ist. 

Die  Behandlung  des  Larynxkrebses  ist  daher  nach  folgenden  Grund- 
sätzen zu  leiten. 

Es  ist  die  Diagnose  möglichst  frühzeitig  und  sicher  zu  stellen, 
was  eigentlich,  seltene  Fälle  ausgenommen,  nur  auf  dem  Wege  der  histolo- 
gischen Untersuchung  einzelner,  endolaryngeal  exstirpirter  Stückchen  möglich 
ist.  Diese  Probeexcision  veranlasst  nur  ausnahmsweise  ein  schnelleres  Wachs- 
thum  der  Neubildung,  Daher  soll  man  der  Probeexcision  möglichst  rasch  die 
radicale  Operation  folgen  lassen.  Diese  ist  nur  ausnahmsweise  auf  endolaryn- 
gealem  Wege  möglich,  wenn  nämlich  die  Neubildung  klein,  gut  abgegrenzt 
und  günstig  situirt  ist.  Sonst  kommt  nur  die  Operation  von  aussen  her  in 
Frage,  Dieselbe  besteht  in  Laryngofissur  mit  Exstirpation  der  Weichtheile, 
oder  in  partieller  oder  in  totaler  Exstirpation  des  Larynx. 

Die  Laryngofissur,  oder  wie  sie  auch  heisst,  Thyreotomie  ist  unge- 
fährlich   und   gibt    glänzende    functionelle   Resultate.    Sie   ist   daher   allen 


74  CARCINOM  DER  NASE. 

anderen  Operationen  vorzuziehen,  aber  nur  bei  günstigem  Sitze  (Stimmbänder, 
Tasclienbänder)  und  Freisein  der  Knorpelwand  anwendbar. 

Ihr  zunächst  steht  die  partielle  Exstirpatio  laryngis,  Avelche  auch  noch 
öfters  gute  functionelle  Resultate  liefert. 

Bei  stärkerer  Ausbreitung  der  Neubildung  kann  man  aber  nur  totale 
Exstirpatio  laryngis  anwenden,  die  schlechte  functionelle  Resultate  gibt. 

Sind  nun  auch  diese  drei  Operationen  nach  Gefährlichkeit  und  nach  den 
Endresultaten  in  Bezug  auf  Schlingen  und  Stimmbildung  sehr  verschieden,  so 
können  sie  doch  alle  bleibende  Heilung  verschaffen.  Es  ist  deswegen  der 
Satz  richtig,  dass  eine  gründliche  Exstirpation  des  Larynxkrebses  gewiss 
möglich  ist.  Zieht  man  dagegen  in  Betracht,  welch'  schreckliche  Leiden  diese 
Krankheit  in  ihrem  letzten  Stadium  verursacht,  so  muss  man  die  Berechti- 
gung der  eingreifenden  Operationen  anerkennen,  da  die  Thyreotomie.  mit 
Exstirpation  der  Weichtheile  14'37o,  die  partielle  Larynxexstirpation  16%  und 
die  totale  Larynxexstirpation  107o  definitive,  d.  h.  über  drei  Jahre  dauernde 
Heilungen  ergab,  eine  Ziffer,  die  fast  bei  keiner  anderen  Krebsform  erreicht 
wurde. 

Natürlich  handelt  es  sich  fast  nur  um  innere  Krebse,  die  nicht  mit 
Drüseninfection  verbunden  waren  und  nicht  auf  die  Nachbarorgane  über- 
gegriffen hatten.  In  solchen  Fällen  hat  man  nur  selten  bleibende  Erfolge 
erzielt.  Ich  muss  auch  nach  meinen  eigenen  Erfahrungen,  die  sich  auf  drei 
Thyreotomien  und  neun  partielle  Exstirpationen  erstreckt,  dafür  eintreten,  dass 
man  den  Larynxkrebs  operativ,  und  zwar  von  aussen  her  behandelt,  da  endo- 
laryngeale  Operation  nur  sehr  ausnahmsweise  von  Erfolg  begleitet  ist.     chiari. 

Carcinom  der  Nase.  Das  Carcinom  der  Nase  kommt  sehr  selten  vor, 
noch  viel  seltener  als  das  Sarcom.  Nach  Gurlt's  Statistik  von  über  11000  Car- 
cinomen  der  verschiedenen  Körperorgane  kamen  nur  vier  Carcinome  auf  die 
Nase  und  ihre  Nebenhöhlen  und  nach  Finder  bei  28000  Hals-  und  Nasen- 
krankheiten 10  Sarkome  und  2  Carcinome  der  Nase.  Dreyfüss  konnte  bis 
zum  Jahre  1892  nur  13  Fälle  von  Nasencarcinom  aus  der  Literatur  zusammen- 
stellen; doch  findet  sich  eine  weitere  Anzahl  bei  Heurtaux,  Douglas,  Düret, 
Fereol,  Guillemet,  Capart,  Holtermann,  V.  Dembrowski,  Hange,  Sikkel, 
Targett.  Zweifelsohne  betreffen  diese  Statistiken  nur  die  Fälle  von  Carcinom 
der  Nasenhöhlen,  denn  an  der  Aussenfläche  der  Nase  kommt  diese  Erkran- 
kung häufiger  zur  Beobachtung,  an  der  Nasenspitze  z.  B.  und  den  Nasen- 
flügeln. 

Wir  finden  an  und  in  der  Nase  die  verschiedensten  Typen  dieser  Neu- 
bildung: Cylinderepithel-,  Plattenepithel-,  Adenocarcinome,  En- 
dotheliome  u.  s.  w.  —  Nach  Douglas  handelt  es  sich  immer  um  eine  Form 
des  glandulären  Carcinoms,  bei  dem  nur  eine  Infiltration  und  Ulceration  der 
Schleimhaut  besteht  ohne  eigentliche  Tumorbildung !  —  Das  Carcinom  der 
Nase  geht  wie  das  Sarcom  fast  regelmässig  von  den  oberen  Regionen  der 
Nasenhöhle  aus,  insbesondere  von  den  Siebbeinzellen,  entwickelt  sich  aber 
auch  am  Septum  und  in  der  Highmor's  Höhle,  weiterhin  finden  wir  diese 
Neubildung  an  der  Aussenfläche  der  Nase,  wo  sie  zuerst  als  kleiner  Knoten 
in  der  Haut  auftritt,  der  langsam  wächst,  zuerst  nur  die  Haut  zerstört,  dann 
aber  in  die  Tiefe  wuchert,  geschwürig  zerfällt  und  schliesslich  auf  das  knor- 
pelige und  knöcherne  Nasengerüste  übergreift  und  in  das  Innere  der  Nasen- 
höhlen hineinwächst. 

Bei  der  rhinoskopischen  Untersuchung  finden  wir  einen  warzigen,  fun- 
gösen,  schon  frühe  ulcerirten  Tumor,  der  sich  weich  anfühlt,  sehr  leicht  blutet 
und  mit  schmierigem,  fötidem  Eiter  bedeckt  ist;  derselbe  sitzt  immer  mit  breiter 
Basis  auf,  sehr  oft  an  einem  hohen  Septumtheile.  Schon  frühe  ist  die  Nasense- 
cretion  eitrig  und  übelriechend;  beim  Schneuzen  blutet  die  Nase  leicht,  dagegen 


CARIES  DES  SCHLÄFEBEINES.  75 

treten  spontane  Nasenblutungen  beim  Carcinom  nicht  so  häufig  auf  wie  beim 
Sarcom;  bald  stellen  sich  die  Symptome  der  Nasenstenosc  ein;  es  entwickeln 
sich  dann  bei  dieser  malignen  Bildung  äussere  Difformitäten  der  Nase,  wenn 
auch  nicht  so  leicht  wie  beim  Sarcom,  da  letzteres  bei  seinem  rapiden  Wachs- 
thume  die  normalen  Theile  vordrängt  und  verunstaltet,  während  das  Carcinom 
Knorpel  und  Knochen  zerstört,  ohne  sie  zu  verlagern;  immerhin  kommen  auch 
beim  Carcinom  Durchbrüche  des  Nasengerüstes  vor,  besonders  an  der  Nasen- 
wurzel; der  Tumor  greift  auf  die  Nachbartheile  über,  den  inneren  Augenrand, 
selbst  auf  die  Orbita  und  die  Bulbi,  auf  die  Stirnbeine  u.  s.  w.;  in  schon 
frühen  Stadien  schwellen  bei  dieser  Erkrankung  die  Unterkieferdrüsen  an. 
In  den  meisten  Fällen  treten  heftige  Schmerzen  in  der  Nase  und  im  ganzen 
Gesicht  ein;  der  Tumor  breitet  sich  immer  mehr  aus,  wächst  in  die  Neben- 
höhlen, zerstört  das  Naseninnere  und  dringt  bis  zur  Schädelbasis.  Der  Tod 
erfolgt  im  Durchschnitt  im  Zeiträume  von  zwei  Jahren  entweder  infolge  von 
Cachexie  oder  durch  Meningitis.  —  Die  Krankheit  befällt  in  der  Regel  Leute 
von  über  40—50  Jahren. 

Bei  der  D  i  a  g  n  0  s  e  sichert  uns  am  besten  die  mikroskopische  Untersuchung 
vor  einer  Verwechslung  mit  Sarcom,  das  übrigens  vorzugsweise  bei  jungen  Leu- 
ten vorkommt  und  bei  dem  die  Lymphdrüsen  intact  bleiben;  Nasenrachenfi- 
brome, Enchondrome  könnten  im  Anfange  zu  Irrthümern  veranlassen,  doch  ent- 
wickeln sich  auch  diese  Tumoren  nur  bei  jugendlichen  Personen;  gegen  syphi- 
litische und  andere  ausgedehnte  Ulcerationen  schützt  das  Mikroskop. 

Die  Behandlung  besteht  in  einer  rechtzeitigen  ßadicalexstirpation 
der  Geschwulst  wie  der  ergriffenen  Lymphdrüsen;  günstige  Erfolge  sieht  man 
besonders  in  den  Fällen  von  Hautcarcinom  des  Nasenäusseren.  Handelt  es 
sich  aber  um  Krebs  der  Nasenhöhlen  selbst,  so  sind  hier  die  Verhältnisse 
noch  ungünstiger  wie  beim  Sarcom.  Die  Recidive  treten  um  so  schneller 
auf,  als  bei  den  ausgedehnten  und  oft  sehr  versteckt  liegenden  Geschwulst- 
theilen  trotz  breiter  Eröffnung  der  Nase  und  ausgiebigster  Abtragung  der 
erkrankten  Theile  des  Naseninneren  kleinere  Theile  zurückbleiben  können. 
Der  Arzt  kann  solche  Kranke  nur  noch  durch  möglichste  Frei-  und  Rein- 
haltung der  Nase,  durch  Linderung  der  Schmerzen  und  durch  Aufrechterhal- 
tung der  Kräfte  beruhigen  und  etwas  erleichtern.  kühn. 

Caries  des  SchläfebeisieS.  Unter  Caries  des  Schläfebeines 
sollen  diejenigen  ulcerösen  Aöectionen  behandelt  werden,  welche  in  demjenigen 
Theile  desselben  auftreten,  wo  das  Gehörorgan  sich  befindet,  und  zwar  der 
äussere  Gehörgang,  die  Trommelhöhle  und  die  mit  derselben  durch  einen 
Canal  (Äditus  ad  antrum)  communicirenden  lufthaltigen  Räume  des  Warzen- 
fortsatzes (das  sogenannte  Äntrum  mastoideum),  die  Gehörknöchelchen,  Ham- 
mer, Amboss  und  Steigbügel,  der  knöcherne  Theil  der  Tuba  Eustachii,  die  Pars 
petrosa  und  die  in  derselben  befindlichen  Gebilde,  Schnecke,  Vorhof  und  Bogen- 
gänge, und  insofern  der  Canalis  Fallopiae  an  der  hinteren,  inneren  Trommel- 
höhlenwand sich  befindet,  die  mit  Lähmung  des  Nervus  facialis  einhergehende 
cariöse  Zerstörung  desselben.  Der  äussere  Gehörgang  entwickelt  sich  erst 
nach  der  Geburt  und  erlangt  seine  vollkommene  Ausbildung  erst  im  10. 
Lebensjahre.  Die  vordere,  untere  knöcherne  Wand  desselben  entwickelt  sich 
am  spätesten  und  behält  selbst  durchs  Leben  hindurch  sehr  oft  eine  linsen- 
grosse,  nichtverknöcherte  Lücke.  Die  Auskleidung  desselben  ist  eine  Fort- 
setzung der  Hautdecke,  verliert  jedoch  allmählich  alle  Eigenschaften  der  Cutis 
und  besteht  in  der  Nähe  und  an  der  äusseren  Fläche  des  Trommelfelles  nur 
aus  einer  dünnen  Schichte  Epidermis  und  Bindegewebe;  die  Auskleidung  ist 
demnach  eine  sehr  dünne  Schichte  eines  sogenannten  Uebergangsgewebes, 
so  wie  wir  selbes  bei  allen  Oeffnungen,  bei  den  Lippen  etc.  finden,  und  ist  in 
Folge  dieser  Beschaffenheit  mit  dem  Perioste  sehr  innig  verwachsen,  in  dem- 


76  CARIES  DES  SCHLÄFEBEINES. 

selben  Verhältnisse  steht  die  Schleimhaut  der  Trommelhöhle  sowie  der  luft- 
haltigen Eäume  des  Processus  mastoideus  zu  dem  Perioste  dieser  Gebilde. 

Entzündungen  im  äusseren  Gehörgange  können  auf  das  Periost 
leicht  übergreifen,  es  kommt  jedoch  sehr  selten  vor,  dass  infolge  einer 
Otitis  externa  Caries  sich  einstellt.  Bei  jahrelang  bestehender  Eiterung,  wo 
sich  der  entzündliche  Process  nicht  nur  im  äusseren  Gehörgange,  sondern 
auch  auf  das  Mittelohr  und  seine  Nebenräume  ausdehnt  und  wir  es  mit  einer 
sogenannten  Pan Otitis  zu  thun  haben,  pflegt  es  vorzukommen,  dass  die  vor- 
dere, häufiger  jedoch  die  hintere  Wand  des  äusseren  Gehörganges  durch 
Caries  angegriffen  nekrotisirt,  manchmal  in  Form  einer  fistulösen  Knochen- 
lücke, welche  mit  dem  Processus  mastoideus  communicirt,  in  seltenen  Fällen 
aber  auch  in  grösserer  Ausdehnung,  und  ich  habe  Fälle  gehabt,  wo  ich  aus 
der  hinteren  Gehörgangswand  ein  1  cm  im  Umfange  messendes,  nekrotisch 
abgestossenes  Knochenstück  entfernte. 

Im  Gefolge  von  Scharlach  tritt  beinahe  immer  Entzündung  in  allen 
Theilen  des  Gehörorgans  auf;  hier  soll  nur  angeführt  werden,  dass  die  scarla- 
tinöse  Ohrenentzündung  sich  auch  auf  den  äusseren  Gehörgang  erstreckt  und 
dass  die  knöcherne  Wand  desselben  sehr  häufig  mitergriff'en  wird;  das  Periost 
desselben  wird  in  die  Entzündung  einbezogen,  der  Knochen  wird  entblösst, 
fühlt  sich  rauh  an,  und  häufig  erstreckt  sich  die  cariöse  Entzündung  im  Ver- 
laufe der  hinteren  Wand  des  äusseren  Gehörganges  bis  hinter  der  Ohrmuschel 
auf  die  äussere  Fläche  des  Processus  mastoideus,  wo  dann  ein  Abscess  sich 
einstellt,  nach  dessen  Eröffnung  man  mit  der  Sonde  an  der  unterminirten 
hinteren  Wand  des  äusseren  Gehörganges  vordringen  und  sich  von  der  weichen, 
entblössten  Knochenwand  überzeugen  kann. 

Das  innere  Ende  des  äusseren  Gehörganges,  der  sogenannte  Annulus 
tympan.icus,  kann  bei  destructiver,  eitriger  Entzündung  auch  cariös  ergriffen 
und  nekrotisch  abgestossen  werden.  Ich  habe  einzelne  Theile,  aber  auch  den 
ganzen  Trommelfellriug  zu  öfteren  Malen  entfernt;  gewöhnlich  finden  wir  den- 
selben im  äusseren  Gehörgange  entweder  frei  oder  in  granulösen  Massen  ein- 
gebettet, und  die  Entfernung  desselben  geschieht  manchmal  durch  Ausspritzen 
oder  mit  der  Pincette. 

Dass  wir  es  in  solchen  Fällen  mit  einer  ausgedehnten,  die  ganze  Trommel- 
höhle ergriffenen  Entzündung  zu  thun  haben,  ist  selbstverständlich,  es  fehlt  das 
ganze  Trommelfell  mitsammt  dem  Hammer  und  meistens  auch  der  Amboss; 
manchmal  können  wir  jedoch  noch  den  Hammerkopf  in  Verbindung  mit  dem 
Amboss  vorfinden,  und  nur  der  Hammergriff  wurde  nekrotisch  abgestossen. 

Bei  langanhaltender  Eiterung  in  der  Trommelhöhle  geschieht  es,  dass 
das  Trommelfell  zerstört  wird;  es  kann  dies  in  mehrfacher  Weise  vorkommen, 
manchmal  fehlt  die  untere  Hälfte  desselben,  und  wdr  finden  den  cariösen 
Hammergriff'  im  Spülwasser,  die  obere  Hälfte  des  Trommelfelles  ist  gegen  die 
Trommelhöhle  durch  ßetraction  des  Musculus  tensor  tymp.  hineingezogen, 
und  unterhalb  des  Tegmen  tympani  befindet  sich  der  Haramerkopf  in  Ver- 
bindung mit  dem  Amboss. 

Es  kommt  jedoch  vor,  dass  die  Zerstörung  im  Trommelfelle  nur  in  dem 
oberen  Theile  desselben,  in  der  Membrana  Shrapnelli,  sich  vorfindet;  in  dieser 
sehen  wir  eine  grosse  oder  kleine  Lücke,  manchmal  durch  granulöse  Wuche- 
rung verlegt,  mit  einem  Worte:  die  Eiterung  befindet  sich  unter  der  Trom- 
melhöhlendecke im  sogenannten  Kuppelraume  der  Trommelhöhle.  In  diesen 
Fällen  kann  es  geschehen,  dass  die  Caries  sich  auf  den  Hammerkopf  und 
Amboss  mit  seinem  kurzen  Fortsatze  ausdehnt,  ja  dass  die  cariöse  Zer- 
störung von  hier  aus  durch  den  Aditus  ad  antrutn  auf  den  Processus  mastoideus 
sich  erstreckt,  oder  das  Tegmen  tympani  mit  einbegriffen  wird  und  in  einer 
linsen-  bis  bohnengrossen  Ausdehnung  cariös  zerstört  ist;  man  findet  auch 
manchmal  infolge  einer  chronischen  Eiterung  im  Kuppelraume  der  Trommel- 


CARIES  DES  SCHLÄFEBEINES.  77 

höhle  das  Tegmen  tympani  in  seiner  Continuität  intact,  jedoch  vom  Perioste 
an  seinen  beiden  Flächen,  entblösst,  rauh  und  porös,  in  beiden  Fällen  sind 
hochgradige  pathologische  Veränderungen  an  den  Meningen  und  Abscesse  im 
Gehirne  vorhanden. 

Entzündung  und  Eiterbildung  in  der  Trommelhöhle  führt 
nach  längerer  Dauer  gewöhnlich  zu  Caries  der  Knochenwände;  aber  es  kommt 
auch  vor,  dass  bei  eitriger  Trommelhöhlenentzündung  schon  im  Verlaufe  von 
einigen  Wochen  Erkrankung  des  Knochens  sich  einstellt,  am  häutigsten  tritt  in 
solchen  Fällen  Caries  in  der  Höhle  des  Warzenfortsatzes  auf.  Abgesehen  von 
ätiologischen  Momenten  wird  dieselbe  dadurch  begünstigt,  wenn  der  Eiter  aus 
der  Trommelhöhle  keinen  genügenden  freien  Ausfluss  hat;  der  Eiter  unter- 
wühlt die  Schleimhaut  des  Knochens,  derselbe  wird  entblösst  und  abscedirt;  es 
kann  die  Caries  des  Warzenfortsatzes  sich  nur  auf  das  Antrum  und  die  zel- 
ligen Eäume  erstrecken,  oder  dieselbe  ergreift  auch  die  äusseren  Wände  des- 
selben, nicht  nur  die  äussere  Fläche  des  Processus  mastoideus,  sondern  auch 
die  Wand  der  Fossa  sigmoidea  wird  cariös,  es  tritt  im  Sinus  transversus  Phle- 
bitis auf  und  es  werden  hypostatische  Abscesse  im  Verlaufe  der  Venen  beob- 
achtet.   Auf  diesem  Wege  entstehen  am  häufigsten  subdurale  Abscesse. 

Wir  sehen  bei  Eiterungen  in  der  Trommelhöhle  öfters,  dass  Facialis- 
lähmung  sich  einstellt;  die  Ursache  ist  fast  immer  cariöse  Zerstörung  der 
Wände  des  Canalis  Fallopiae.  Doch  wird  auch  Facialislähmung  ohne  Caries 
beobachtet;  in  solchen  Fällen  ist  gewöhnlich  eine  Dehiscenz  im  Canalis 
Fallopiae,  wodurch  der  Nerv  in  unmittelbarer  Nachbarschaft  mit  der  entzün- 
deten Trommelhöhlenschleimhaut  sich  befindet;  solche  Fälle  gehören  jedoch  zu 
den  Seltenheiten. 

Merkwürdigerweise  ist  der  Boden  der  Trommelhöhle  beinahe  nie  durch 
Caries  angegriffen,  obwohl  derselbe  durch  seine  zellenartige  Gestalt  dem 
geeignetsten  Platz  für  dieselbe  abgeben  sollte;  ebenso  selten  hat  man  Caries 
am  Canalis  caroticus  beobachtet,  obwohl  einige  Fälle  verzeichnet  sind,  in 
welchen  durch  cariöse  Zerstörung  desselben  letale  Blutung  erfolgte.  Caries 
ergreift  selten  den  Steigbügel;  denn  wenn  auch  in  seltenen  Fällen  die  Schen- 
kel des  Steigbügels  cariös  zerstört  sind,  ist  die  Platte  desselben  fast  immer 
intact. 

In  seltenen  Fällen  wird  die  Schnecke  durch  Caries  zerstört;  ich  habe  bei 
einem  zwölfjährigen  Mädchen  das  ganze  Gehäuse,  obwohl  theilweise  zerstört, 
doch  ganz  gut  erkenntlich,  mittelst  Pincette  aus  dem  äusseren  Gehörgange 
entfernt. 

Das  Schläfebein  kann  durch  Caries  in  seltenen  Fällen  in  einer  unge- 
heueren Ausdehnung  zerstört  werden;  ich  habe  ein  Schläfebein-Präparat,  bei 
welchem  die  Trommelhöhle,  der  äussere  Gehörgang,  der  Warzenfortsatz  zusam- 
men eine  unförmliche,  grosse  Höhle  bilden,  die  Tuba  Eustachi!  ist  derart  er- 
weitert, dass  der  kleine  Finger  Raum  in  derselben  hat,  die  Wand  der  Fossa 
sigmoidea  ist  zerstört,  eine  bohnengrosse  cariöse  Lücke  findet  sich  am  Teg- 
men tympani,  in  der  Incisura  mastoidea  ist  ein  haselnussgrosser  Substanzver- 
lust. In  diesem  Falle  wurde  der  Kranke  unter  den  Erscheinungen  der  acuten 
Lungentuberculose  zwei  Wochen  vor  dem  letalen  Ausgange  bettlägerig. 

Aetiologie  und  Vorkommen.  Die  Ursachen,  welche  Caries  des 
Schläfebeines  hervorrufen,  sind  nicht  genau  anzugeben.  Wir  nehmen  wohl  an, 
dass  die  örtlichen  Verhältnisse  in  der  Trommelhöhle  beim  Entstehen  der 
Caries  eine  hervorragende  Rolle  spielen,  und  ebenso  sind  wir  geneigt,  der 
constitutionellen  Diathese  bei  Erkrankungen  des  Knochens  besonderen  Einfluss 
zuzuschreiben;  wenn  wir  jedoch  genau  beobachten,  so  steht  es  in  vielen  Fällen 
hinsichtlich  der  eben  angeführten  ätiologischen  Momente  derart,  dass  wir  die- 
selben ebensogut  als  Folge  der  Caries  betrachten  können. 


78  CAEIES  DES  SCHLÄFEBEINES. 

Wir  sehen  bei  Eiterretention  in  der  Trommelhöhle  öfters  Caries  ent- 
stehen, wo  die  Eiterretention  infolge  einer  kleinen,  ungenügenden  Perfora- 
tion des  Trommelfells  verursacht  wird;  es  treten  jedoch  häufig  bei  Caries 
Wucherungen  in  der  Trommelhöhlenschleimhaut,  Pol3^pen  und  Verengerungen 
im  äusseren  Gehörgange  auf,  welche  Zustände  eben  den  freien  Ausfluss  des 
Eiters  behindern,  und  man  kann  in  solchen  Fällen  die  Verschwärung  der 
Trommelhöhlenschleimhaut,  die  Polypenbildung  wieder  als  Folge  eines  ca- 
riösen  Processes  betrachten. 

Lange  Zeit  hindurch  bestehende  eitrige  Processe  in  der  Trommelhöhle, 
mag  nun  die  Entstehungsursache  Y/elche  immer  gewesen  sein,  und  selbst  wenn 
der  Eiter  freien  Ausfluss  hat,  können  wir  xax's^o/r^v  als  Ursache  der  Caries 
des  Schläfebeines  annehmen.  Es  können  wohl  Jahre  vergehen,  ohne  dass  die 
Symptome  derselben  sich  einstellen,  aber  in  den  meisten  Fällen  ist  mehr 
minder  ausgedehnte  Caries  des  Schläfebeines  die  Folge  derselben;  dass  in 
solchen  Fällen  Tuberkulose  und  Skrophulose  von  bestimmendem  Einflüsse  sind, 
lässt  sich  nicht  in  Abrede  stellen,  aber  wir  sehen  Caries  des  Schläfebeines 
auch  ohne  diese  Cachexien  auftreten,  und  wieder  begegnen  wir  hochgradiger 
Tuberkulose,  ohne  dass  Caries  im  Schläfebeine  vorhanden  wäre;  ebenso  lässt  es 
sich  nicht  leugnen,  dass  jahrelang  anhaltende  eitrige  Processe  im  Schläfebein 
tuberkulöse  und  skrophulose  Cachexien  zur  Folge  haben. 

Acute  eitrige  Entzündung  der  Trommxelhöhle  kann  Caries  im  Schläfe- 
beine verursachen,  wenn  dieselbe  sich  gleichzeitig  in  die  Höhlen  des  Warzen- 
fortsatzes erstreckt  und  in  denselben  durch  massenhafte  Eiterabsonderung 
Empyem  des  Antrums  entsteht;  eine  solche  ausgedehnte  Entzündung  kann  bei 
sonst  gesunden  Individuen  im  Verlaufe  von  einigen  Wochen  auftreten,  wir 
sehen  jedoch  dieselbe  am  häufigsten  im  Verlaufe  des  Scharlachs,  der  Diph- 
therie, des  Typhus  und  der  Syphilis  sich  einstellen. 

Caries  des  Schläfebeines  sehen  wir  in  jedem  Lebensalter  auftreten, 
häufiger  bei  Kindern  als  bei  Erwachsenen,  bei  diesen  wieder  viel  häufiger  bis 
zum  40.  Lebensjahre.  Gewöhnlich  ist  nur  die  eine  Seite  von  Caries  ange- 
grifien,  nur  in  seltenen  Fällen  tritt  Caries  in  beiden  Schläfebeinen  auf. 

Die  Symptome  der  Schläfebeincaries  sind  sehr  verschiedenartig  und 
lassen  sich  nicht  in  ein  Schema  zusammenfassen.  Abgesehen  davon,  dass  die 
Kranken  schwer  hören,  fehlen  in  vielen  Fällen  alle  sonstigen  subjectiven 
Erscheinungen,  die  Kranken  befinden  sich  relativ  ganz  wohl.  Erstreckt  sich 
die  Caries  auf  die  Pars  petrosa,  so  treten  Schwindel  und  Erbrechen  auf. 
Häufig  treten  bei  Caries  des  Schläfebeines  bohrende  Schmerzen  in  der  Tiefe 
des  Ohres  auf,  die  sich  über  das  ganze  Cranium  ausdehnen,  diese  heftigen 
Schmerzen  können  Piemissionen  haben,  sie  treten  zu  einer  bestimmten  Zeit 
auf  und  dauern  dann  stundenlang,  sistiren,  wenn  auch  nicht  gänzlich,  doch 
erträglich  für  einige  Stunden;  gewöhnlich  geschieht  es  am  Nachmittag,  dass  die 
Schmerzen  sich  einstellen,  sie  werden  immer  heftiger  und  behindern  den 
Schlaf,  der  Kranke  ermattet  des  Morgens  und  fühlt  sich  etwas  leidlicher,  bis 
die  Exacerbation  sich  neuerdings  einstellt,  oft  so  hochgradig,  dass  die  Kranken 
fürchten,  v/ahnsinnig  zu  werden;  diese  Schmerzen  können  Wochen  hindurch 
anhalten,  ohne  dass  die  äussere  Umgebung  des  Ohres  .Empfindsamkeit  oder 
irgendwelche  pathologische  Veränderung  zeigen  würde;  sehr  oft  stellen  sich 
bei  Caries  des  Schläfebeines  Temperaturschwankungen  ein,  der  Kranke  zeigt 
abends  39 — 40*^,  des  Morgens  ist  die  Temperatur  normal.  Diese  Symptome 
treten  ohne  besondere  plausible  Ursache  auf,  dauern  oft  tagelang  und  hören 
auf,  um  sich  nach  einer  Zeit  wieder  einzustellen.  Sehr  oft  sehen  wir  bei 
Caries  des  Schläfebeines  mehr  minder  hochgradige  Lähmungen  im  Be- 
reiche des  Nervus  facialis.  Bei  hochgradiger  Caries  des  Schläfebeines  kann 
es  vorkommen,  dass  die  Kranken  ausser  dem  charakteristischen  Ohrenfluss  und 
etwaigen  Excrescenzen  im  äusseren  Gehörgange  sich  wohl  befinden,  ja  selbst 


CARIES  DES  SCHLÄFEBEINES.  79 

geistigen  Beschäftigungen  vollkommen  entsprechen  und  plötzlich  apoplectiform 
zusammenstürzen,  ihr  Bewusstsein  verlieren  und  in  einigen  Tagen,  ohne  ihr 
Bewusstsein  wieder  erlangt  zu  haben,  sterben;  wir  finden  in  diesen  Fällen 
nebst  cariöser  Zerstörung  des  Schläfebeines  in  der  Kegel  Geh  ir  na  bscesse. 

Unter  den  objectiven  Symptomen  ist  es  besonders  der  Eiter,  welcher 
Anhaltspunkte  dafür  bietet,  dass  wir  es  mit  Caries  des  Schläfebeines  zu  thun 
haben;  in  solchen  Fällen  ist  derselbe  graulich-gelb,  übelriechend,  sehr  oft 
schwimmen  in  dem  Spülwasser  cholesteatomartige  Flocken  und  sandähnliche 
Knochen  Stückchen,  manchmal  stellen  sich  Blutungen  aus  dem  Ohre  ein. 

Bei  der  Untersuchung  finden  wir  ausser  ausgedehnter  Zerstörung  des 
Trommelfelles  in  vielen  Fällen  nichts  Auffallendes,  wir  sehen  hinter  dem 
zerstörten  Trommelfell  die  Trommelhöhlenschleimhaut  sammtartig  gewulstet,  und 
insbesonders  ist  es  die  Gegend  des  Promontoriums,  welche  mit  einer  solchen 
wuchernden  Schleimhaut  wie  bepolstert  aussieht;  bei  Sondirung  können  wir 
diese  wulstigen  Massen  leicht  abheben  und  finden  den  Knochen  rauh;  manch- 
mal sind  es  polypöse  Wucherungen,  welche  aus  der  Trommelhöhle  stammend 
den  Gehörgang  ausfüllen  und  bis  an  die  Ohröffnung  hervorragen. 

Wo  Caries  sich  in  die  Höhlen  des  Processus  mastoideus  erstreckt,  sehen 
wir  die  hintere,  obere  Wand  des  Meatus  audit.  ext.  beuteiförmig  in  das  Lumen 
desselben  sich  vorwölben  und  dasselbe  beinahe  undurchgängig  machen;  sehr 
häufig  kommt  es  in  diesen  Fällen  vor,  dass  diese  Hervorwölbung  durchbricht 
und  eine  fistulöse  Oeffnung  entsteht,  durch  welche  man  mit  der  Sonde  cariöse 
Knochen  auffindet,  ebenso  entstehen  bei  Caries  des  Processus  mastoideus  5  cm 
und  noch  längere  Knochenfisteln,  welche  von  der  äusseren  Fläche  desselben  in 
die  Tiefe  dringen.  Bei  Caries  im  Hammer-  und  Ambossgelenk  können  wir  mit 
der  Sonde  die  rauhe  Knochenfläche  desselben  auffinden.  Nicht  selten  finden 
wir  bei  Caries  des  Schläfebeines  im  äusseren  Gehörgange  mehr  minder  grosse 
nekrotische  Knochenstücke. 

Die  Prognose  der  Schläfebeincaries  richtet  sich  nach  der  Dauer  der 
eitrigen  Mittelohrentzündung,  nach  deren  Ausdehnung  und  Heftigkeit,  sowie 
nach  dem  Alter  des  betreffenden  Individuums.  Ungünstig  ist  die  Prognose, 
wenn  die  Eiterung  schon  jahrelang  besteht,  in  solchen  Fällen  tritt  letaler 
Ausgang  fast  immer  ein.  Bei  umschriebener  Caries  können  wir  schon  eher 
auf  Heilang  rechnen,  bei  Kindern  ist  die  Prognose  günstiger  als  bei  Erwach- 
senen. Der  Verlauf  und  die  Ausgänge  der  Schläfebeincaries  sind  nach  dem 
Vorausgeschickten  sehr  verschiedenartig,  manchmal  zieht  sich  die  Erkrankung 
monate-,  oft  jahrelang  hin;  es  entsteht  eine  abgrenzende  Entzündung  im 
Knochen,  in  deren  Folge  derselbe  eburnisirt,  die  cariösen  Theile  werden  abge- 
stossen  und  der  Process  erreicht  hiemit  sein  Ende;  ein  anderes  Mal  greift 
die  Zerstörung  des  Knochens  immer  weiter,  so  dass  die  Entzündung  auf  die 
Meningen  und  Hirnsubstanz  übergreift  und  den  letalen  Ausgang  herbeiführt; 
es  gibt  Fälle  von  Schläfebeincaries,  wo  infolge  von  Eiteraufsaugung  oder 
durch  Phlebitis  metastatische  Processe  in  der  Lunge,  in  der  Leber  oder  Niere 
den  Tod  verursachen.  Es  kann  auch  geschehen,  dass  die  Schläfebeincaries  in 
kurzer  Zeit  nach  Erkrankung  des  Mittelohres  sich  einstellt,  dies  sehen  wir 
gewöhnlich  bei  Scharlach,  wo  schon  nach  einigen  Wochen  mehr  minder  aus- 
gedehnte Zerstörung  der  Knochen  sich  vorfinden  kann. 

Die  Behandlung  der  Schläfebeincaries  beginnt  eigentlich  mit  dem 
Bestreben,  die  Eiterung  in  der  Trommelhöhle  zu  sistiren;  es  ist  wohl  richtig, 
dass  wir  in  vielen  Fällen  uns  vergebens  bemühen  und  bei  dem  rationellsten 
Vorgehen  dies  nicht  erreichen  können,  so  lange  cariöser  Knochen  vorhanden 
ist.  Bei  oberflächlicher  Caries,  wo  nämlich  die  Erkrankung  des  Knochens 
noch  nicht  in  die  Tiefe  gedrungen  ist,  gelingt  es  durch  Abschabung  der 
cariösen  Partie  mit  dem  scharfen  Löffel  Heilung  herbeizuführen.  Wir  trachten, 
durch  Aetzen   mit   Lapis  die   wuchernde   Schleimhaut   zur  Rückbildung   zu 


80  CERÜMEN. 

bringen;  es  ist  auch  zu  empfehlen,  Instillationen  mit  einer  1  %i^m  Lösimg  von 
Äcidum  chromicum  anzuwenden. 

In  den  Fällen,  wo  wir  die  cariösen  Knochen  entfernen  können,  ist  es 
angezeigt,  dies  baldigst  auszuführen;  dies  ist  der  Fall  bei  Caries  der  Gehör- 
knöchelchen, welche  oft  den  Ausgangsgunkt  zur  Caries  des  Tegmen  tympani 
bilden.  Bei  Caries  des  Processus  mastoideus  soll  man  nicht  lange  zaudern  mit 
der  Aufmeisselung  desselben  und  mit  der  Entfernung  aller  im  Antrum  vor- 
handenen krankhaften  Partien.  julius  böke. 

Cerumen.  Die  den  äusseren  Gehörgang  auskleidende  Haut  bildet  eine 
Fortsetzung  des  allgemeinen  Integumentes  des  ganzen  Körpers.  Diese  Haut 
unterscheidet  sich  von  der  allgemeinen  Hautdecke  durch  die  nur  ihr  eigenen, 
den  Schweissdrüsen  analog  gebauten,  tubulösen  Drüsen,  welche  ein  eigenthüm- 
liches,  das  als  Ohrschmalz  seu  Cerumen  bekannte  gelbliche,  an  der  Luft  zu 
Borken  eintrocknende  Secret  absondern.  Diese  Drüsen  nennt  man  deshalb 
Glandulae  ceruminales.  Ausserdem  ist  die  Cutisschichte  über  dem  knor- 
peligen Gehörgange  reich  an  Haaren,  Hirci  genannt,  in  deren  Bälge  seitlich 
traubenförmige  Talgdrüsen  einmünden.  Normaliter  wird  das  Secret  der  genann- 
ten Drüsen  durch  Kieferbewegungen  beim  Kauen,  durch  verschiedene  manuelle 
Manipulation  entfernt.  Unter  pathologischen  Verhältnissen  sammelt  sich  jedoch 
dasselbe  im  äusseren  Gehörgange  an,  klumpt  sich  zu  einem  Pfropfe  zusammen, 
welcher  manchmal  auch  verschiedene  andere  Stoffe,  wie  Haare,  Epidermis- 
schuppen  und  mancherlei  von  aussen  hineingelangte  Körper  einschliesst.  Eine 
solche  abnorme  klumpige  Anhäufung  der  Secretionsproducte  im  äusseren 
Gehörgange  kann  zu  verschiedenen  krankhaften  Störungen  Anlass  geben  und 
stellt  die  mit  „Ceruminalpfropf'-''  oder  auch  kurzweg  ^^Ceritmen^'  bezeichnete 
Krankheit  dar.  Da  eine  ähnliche  Affection  an  keiner  anderen  Stelle  des 
Körpers  vorkommt,  könnte  man  sie  als  eine  für  den  äusseren  Gehörgang 
specifische  Krankheit  ansehen.  Dass  sie  nur  hier  auftritt,  lässt  sich  leicht 
aus  dem  eigenthümlichen  Bau  des  äusseren  Gehörganges  und  der  ihn  aus- 
kleidenden Haut  erklären,  wodurch  derselbe  als  schon  von  Natur  aus  zu  dieser 
Krankheit  prädisponirt  erscheint.  Gibt  es  ja  sonst  im  ganzen  Organismus 
kein  zweites  ähnlich  gebautes  röhrenförmiges  Organ,  welches  mit  Haare  und 
Drüsen  führender  und  mit  Epidermis  bedeckter  Haut  ausgekleidet  wäre.  (Aus 
diesem  Grunde  könnte  man  vielleicht  auch  Cerumen  als  „die  Krankheit  des 
äusseren  Gehörganges  xax'  e$o;(rjv"  bezeichnen.) 

Aetiologie.  Alle  jene  Störungen,  welche  im  äusseren  Ohre  eine 
Vermehrung  der  Secretion  oder  ein  Hindernis  in  der  Herausbeförderung  des 
Secretes  setzen,  können  zur  Cerumenbildung  Anlass  geben.  Zu  den  ersteren 
gehören  Erkrankungen  dieser  Drüsen,  Hypersecretion  derselben,  eine  gestei- 
gerte Production  von  Ohrenschmalz,  wie  sie  nicht  selten  als  eine  trophische 
Erkrankung  dieser  Drüsen  bei  Affectionen  des  Mittelohres,  bei  Nutritions- 
störungen  des  mittleren  und  des  inneren  Ohres  (Guye)  auftreten,  ferner  ver- 
schiedene Erkrankungen  der  Haut,  wie  Eczeme,  Otitis  externa  circumscripta 
und  diffusa,  desquamatoria  und  andere  ähnliche.  Zu  den  letzteren  gehören 
Staubkohlenpartikelchen  und  verschiedene  Fremdkörper,  die  absichtlich  ins 
Ohr  hineingelegt  w^urden  oder  zufällig  dahin  gelangten,  um  welche  sich 
dann  das  Ceruminalsecret  anlagert  oder  die  es  ganz  einhüllt,  zu  starker  Haar- 
wuchs und  angeborene  oder  erworbene  Verengerungen  des  äusseren  Gehör- 
ganges, wie  Hyperostosen,  Exostosen  etc.  Die  normale  Entleerung  dieses 
Secretes  kann  auch  dadurch  gehemmt  sein,  dass  es  mit  an  der  Gehörgangs- 
wand adhärenten  Epidermislamellen  vermengt  ist.  Fremdkörper  wirken  hier 
nicht  bloss  als  ein  mechanisches  Hindernis,  sondern  auch  als  ein  Keiz,  wo- 
durch die  Ohrschmalzdrüsen  zu  stärkerer  Secretion  angeregt  und  die  Pfropf- 
bildung begünstigt  wird. 


CERUMEN.  81 

Die  Krankheit  ist  ziemlich  häufig,  nach  Schwaktze  in  10%  aller  Ohren- 
krankheiten. Sie  kommt  in  jedem  Alter  und  bei  beiden  Geschlechtern  vor, 
doch  ist  sie  seltener  bei  Frauen,  noch  seltener  bei  Kindern,  häufiger  bei  Männern 
und  bei  älteren  Personen,  vielleicht  wegen  der  stärkeren  Behaarung  bei  den 
letzteren.  Prädisponirende  Momente  sind  Erkrankungen  des  äusseren,  des 
mittleren  oder  des  inneren  Ohres,  reichlicher  Haarwuchs  im  Gehörgange. 

Symptome.  Die  von  einem  Ceruminalpfropfe  verursachten  Symptome 
hängen  zum  Theile  von  seiner  Form,  Consistenz  und  Masse  ab,  zum  grossen 
Theile  aber  auch  von  der  Empfindlichkeit  und  der  Constitution  des  Patienten. 
Davon  rührt  die  grosse  Mannigfaltigkeit  der  Beschwerden  bei  dieser  Affcc- 
tion  her, 

Locale  Symptome.  In  vielen  Fällen  können  Ceruminalpfropfe  sehr 
lange  Zeit  im  Ohre  verbleiben,  ohne  die  geringsten  Erscheinungen  zu  machen. 
Dies  ist  nur  dann  möglich,  wenn  dieses  Secret,  obgleich  in  grosser  Masse  an- 
gehäuft, doch  nur  an  den  Wandungen  des  Gehörganges  anliegt,  ohne  das 
Lumen  desselben  wesentlich  zu  beeinträchtigen  oder  das  Trommelfell  zu  be- 
rühren. Wo  jedoch  das  Lumen  des  Gehörganges  bedeutend  verengt  oder  gar 
obturirt  ist,  da  klagen  die  Patienten  constant  über  ein  Gefühl  von  Verlegtsein 
und  Völle  im  Ohre.  Manchmal  entsteht  dieses  Gefühl  plötzlich,  und  Patient 
gibt  an,  dass  er  die  Empfindung  einer  plötzlichen  Ertaubung  hatte.  Dies 
geschieht  infolge  eines  plötzlichen  Verschlusses  des  Lumens  des  äusseren 
Gehörganges,  wenn  z.  B.  beim  Waschen  oder  Baden  ins  Ohr  eingedrungenes 
Wasser  das  Secret  zum  Aufquellen  brachte,  oder  wenn  infolge  einer  Be- 
wegung des  Kopfes  oder  des  Unterkiefers  eine  Locomotion  des  Secretes  und 
eine  Verschiebung  gegen  das  Trommelfell  zu  erfolgt.  Zu  diesen  auf  rein 
mechanischem  Wege  entstehenden  Symptomen  gehören  weiters  Hörstörungen 
verschiedenen  Grades  und  Verstärkung  der  eigenen  Stimme,  Autophonie. 
Charakteristisch  sind  die  häufigen  Schwankungen,  welche  diese  Symptome 
aufweisen.  Bewegungen  des  Unterkiefers  beim  Kauen,  leichte  Erschütterung 
des  Kopfes  und  des  Ohres,  wie  z.  B.  durch  Schneuzen,  Niesen  u.  dgl.  können 
eine  Lageveränderung  des  Pfropfes  und  damit  bald  eine  Besserung,  bald  eine 
Verschlimmerung  des  Gehöres,  des  Ohrensausens  und  anderer  subjectiver  Er- 
scheinungen bewirken.  Durch  Druck  auf  die  Gehörgangs  wände  und  das 
Trommelfell  kann  es  auch  zur  Entzündung  an  diesen  Stellen  kommen,  wo- 
durch mehr  oder  minder  heftige  Schmerzen  im  Ohre  verursacht  werden. 
Solche  Entzündungen  entstehen  um  so  leichter,  als  im  Cerumen  vielfache 
pathogene  Mikroorganismen  nachgewiesen  wurden,  welche  auf  der  durch  den 
Druck  des  Secretes  oder  auch  infolge  des  durch  Jucken  oft  veranlassten 
Kratzens  insultirten  häutigen  Auskleidung  des  äusseren  Gehörganges  eiu«n 
günstigen  Boden  zu  ihrer  weiteren  Entwickelung  finden.  Durch  die  Fort- 
pflanzung des  auf  das  Trommelfell  ausgeübten  Druckes  durch  die  Gehör- 
knöchelchen und  die  Labyrinthfenster  auf  die  Labyrinthfiüssigkeit  können 
Schwindel,  Ohrensausen,  Kopfschmerzen,  Ueblichkeiten,  Erbrechen,  ja  sogar 
Ohnmächten  provocirt  werden,  so  dass  unter  Umständen  die  MENiERE'sche 
Krankheit  vorgetäuscht  werden  kann.  Es  ist  klar,  dass  schon  diese  Be- 
schwerden allein  eine  bedeutende  Störung  der  geistigen  und  körperlichen 
Berufsthätigkeit  verursachen  können. 

Reflectorische  Symptome.  Nun  können  aber  neben  den  localen, 
auf  mechanischem  Wege  entstehenden  Erscheinungen  auch  noch  mannigfaltige 
auf  reflectorischem  Wege  ausgelöste  Symptome  hervorgerufen  werden.  Durch 
Reizung  der  Aeste  der  den  äusseren  Gehörgang  versorgenden  Nerven,  Vagus, 
Trigeminus,  Facialis,  und  Fortleitung  dieses  Reizes  auf  die  betreffenden 
Centren  und  die  andere  Organe  des  Körpers  versorgenden  Zweige  dieser 
Nerven  oder  auch  auf  andere  mit  diesen  in  Verbindung  stehende  Nerven, 
wie  z.  B.  auf  die  Aeste  des  Vagus  im  Larynx,  im  Herzen,  im  Magen,  in  der 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  D 


82  CEßUMEN. 

Leber,  auf  den  mit  dem  Vagus  anastomosirenden  Nervus  glossopharyngeus 
etc.,  können  eine  Reihe  verschiedener  Reflexphänomäne  zustande  kommen. 
Diese  erscheinen  manchmal  umso  räthselhafter  und  umso  schwieriger  zu  er- 
klären, als  dabei  gleichzeitig  locale  subjective  Symptome  im  Gehörgange  voll- 
ständig fehlen  oder  so  gering  sein  können,  dass  sie  ganz  übersehen  werden. 
Die  so  entstandenen  Reflexneurosen  können  sowohl  die  sensible,  als  auch  die 
motorische,  psychische,  vasomotorische  und  trophische  Sphäre,  mit  einem 
Worte  fast  alle  Nervenfunctionen  des  menschlichen  Organismus  betreffen.  Zu 
den  häufigsten  Erscheinungen  dieser  Art  gehören  die  durch  Reizung  des  am 
äusseren  Gehörgange  verlaufenden  Ram.  auricularis  n.  vagi  hervorgerufenen. 
Es  ist  bekannt,  wie  schon  die  leichteste  Manipulation  im  äusseren  Ohre, 
wie  Kratzen,  Ausspritzen,  Einführung  des  Gehörtrichters  u.  dgl.,  leicht  Husten 
verursachen  kann.  Man  darf  also  schon  a  priori  erwarten,  dass  dieses  auch 
bei  Fremdkörpern  oder  Cerumen  im  Ohre  geschehen  wird.  In  der  That 
sind  Fälle  bekannt,  wo  sehr  hartnäckiger  und  langdauernder  Husten  mit  und 
ohne  Erbrechen  nur  durch  Accumalation  von  Ohrenschmalz  bedingt  war.  Ein 
solcher  Husten  kann  auch  mit  Athembeschwerden,  Schlingbeschwerden  und 
hochgradiger  Abmagerung  combinirt  vorkommen  und  Phthisis  vortäuschen. 
Nach  einer  Ausspritzung  und  Entfernung  des  Pfropfes  verschwinden  dann  alle 
diese  bedrohlichen  Erscheinungen  wie  durch  einen  Zauberstab  mit  einem 
Schlage.  Ausserdem  wurde  Facialisparalyse,  Blepharospasmus,  Spasmus  nicti- 
tans,  vom  Verfasser  ein  Fall  von  Laryngospasmus  infolge  von  Cerumen  be- 
obachtet. Hyperalgesien,  Analgesien,  Anästhesien,  Neuralgien,  wie  auf  den 
ganzen  Kopf  und  andere  Körpertheile  ausstrahlende  heftige  Schmerzen, 
Cardialreflexe,  wie  Angstgefühl,  Herzpalpitationen,  selbst  vermehrter  Stuhl- 
und  Harndrang,  meningeale  Reizerscheinungen,  sogar  das  vollständige  Bild 
einer  Cerebralaffection,  einer  Meningitis  oder  Meningitis  cerebro-spinalis, 
bewusstloses  Hinstürzen,  psychische  Störungen,  Gehörshallucinationen,  eklam- 
ptische  und  epileptiforme  Anfälle  haben  sich  in  manchen  Fällen  als  von  diesem 
Leiden  abhängig  erwiesen. 

Nicht  unerwähnt  soll  bleiben  die  Beobachtung,  dass  Störungen,  wie 
subjective  Gehörsempfindungen,  Sausen,  Klingen  etc.,  in  einem  Ohre  durch 
Cerumen  im  anderen  bedingt  sein  und  nach  Entfernung  desselben  verschwinden 
können,  wie  überhaupt  die  reflectorische  Beeinflussung  des  einen  Ohres  und 
auch  anderer  Sinne  durch  das  andere  Ohr  eine  bekannte  Erscheinung  bildet. 
Die  vom  Ohre  ausgelösten  Reflexerscheinungen  wechseln  so  kaleidoskopisch 
und  sind  so  mannigfach,  dass  eine  erschöpfende  Darstellung  derselben  fast 
unmöglich  ist.  Es  liegt  nahe,  anzunehmen,  dass  besonders  hereditär  belastete 
und  neuropathisch  veranlagte  Individuen  eine  specifische  Disposition  zu  solchen 
auch  vom  Ohre  ausgelösten  Reflexneurosen  besitzen. 

Diagnose.  Plötzliches,  schmerzfreies  Entstehen  einer  Schwerhörigkeit, 
des  Gefühles  einer  Wand  im  Ohre  ohne  jede  Ursache  oder  auf  gewisse  Ver- 
anlassungen, wie  nach  einem  Bade,  nach  Kratzen  und  Reinigen  des  Ohres 
u.  dgl.,  bei  Personen,  die  zuvor  immer  gut  gehört  haben,  wenn  keine  Erkran- 
kung des  Halses  oder  der  Nase  gleichzeitig  vorhanden  oder  kurz  voraus- 
gegangen ist,  erregen  immer  gleich  den  Verdacht  auf  einen  Fremdkörper  oder 
auf  Ceruminalpfropf  im  Ohre.  Diese  Vermuthung  nimmt  greifbarere  Formen 
an  und  ward  umso  wahrscheinlicher,  wenn  gleichzeitig  keine  auf  eine  Laby- 
rinthaffection  hindeutenden  Symptome  vorhanden  sind,  wenn  die  Taubheit  auf 
einer  Seite  und  nicht  vollständig,  wenn  die  Knochenleitung  auf  dieser  Seite 
gesteigert  ist  und  besonders,  wenn  im  weiteren  Verlaufe  der  für  Cerumen 
charakteristische  Wechsel  zwischen  Besserungen  und  Verschlimmerungen  des 
Gehöres  sich  zeigt.  Es  gibt  kaum  eine  zweite  Krankheit,  welche  diese  Er- 
scheinungen so  vollständig  darbieten  sollte:  schmerzlose,  plötzliche  Schwer- 
hörigkeit, gesteigerte  Schallperception  durch  Knochenleitung,  ohne  die  geringsten 


CERUMEN.  83 

Cerebralerscheinungen.  Doch  wird  die  Diagnose  erst  sicher  gestellt,  wenn  zu 
den  oben  angeführten  subjectiven  Symptomen  die  objective  Untersuchung 
dazu  kommt.  Diese  kann  erschwert  sein,  wenn  der  Gehörgang  verengt,  ent- 
zündlich geschwollen,  seine  tieferen  Theile  dem  Auge  unzugänglich  macht. 
Dann  müssen  erst  diese  Hindernisse  beseitigt,  die  Otitis  externa  durch  einige 
Tage  antiphlogistisch  mit  Eis  etc.  behandelt  werden,  bis  die  objective  Unter- 
suchung möglich  ist.  Bei  der  Inspection  des  äusseren  Gehörganges  nimmt 
man  bei  dieser  Krankheit  manchmal  schon  mit  blossem  Auge,  immer  aber 
mit  dem  Reflector  und  dem  Ohrtrichter  einen  Stoff  von  verschiedener  Farbe, 
Masse  und  Consistenz  wahr.  Die  Farbe  ist  weissgelb  oder  dunkelgelb,  braun 
bis  schwarz.  Der  Pfropf  kann  so  massenhaft  sein,  dass  er  das  Lumen  des 
Gehörganges  ganz  ausfüllt  und  sämmtlichen  Wänden  dicht  anliegt  —  obtu- 
rirender  Pfropf  —  oder  er  liegt  nur  einer  Seite  an  und  lässt  an  der  gegen- 
überliegenden Wand  eine  mehr  oder  weniger  breite  freie  Spalte  zurück  — 
wandständiger  Pfropf.  Die  Consistenz  schwankt  zwischen  der  einer  fetten 
und  der  einer  harten,  vertrockneten,  bröckeligen  Masse.  Diese  Verschieden- 
heiten hängen  von  dem  Alter  des  Pfropfes  und  den  Beimengungen  anderer 
Stoffe  und  Körper  ab.  Je  frischer  und  reiner  das  Secret,  desto  weicher  und 
heller,  je  älter  und  vermengter,  etwa  mit  Haaren,  Epidermismassen  u.  s.  w., 
desto  dunkler,  resp.  desto  härter  erscheint  die  Masse.  Der  Anblick  ist  aber 
zumeist  so  charakteristisch,  dass  die  Krankheit  schwer  verkannt  werden  kann. 

Indessen  gibt  es  Formen,  die  leicht  zu  Verwechslungen  Anlass  geben 
können.  Eine  flache,  graugelbliche  auf  dem  Trommelfelle  aufliegende  Schichte 
von  Cerumen  kann  von  einem  Ungeübten  für  das  Trommelfell  genommen 
werden.  Hier  schützen  die  abnormen  Contouren  und  Begrenzungslinien  vor 
Täuschung.  In  zweifelhaften  Fällen  gibt  die  Untersuchung  mit  der  Sonde 
den  Ausschlag.  In  einer  Ceruminalschichte  lässt  sich  mit  der  geknöpften 
Sonde  durch  leichtes  Streichen  eine  Furche  ziehen  oder  etwas  von  der  Masse 
loslösen.  Auch  vergleichende  Messung  der  Tiefe  des  Meatus  beider  Seiten 
kann  hier  Aufschluss  geben  und  vor  diagnostischen  Irrthümern  bewahren.  Ferner 
lässt  sich  die  aufliegende  Masse  leicht  durch  Ausspritzen  entfernen,  worauf 
dann  das  eigentliche  Trommelfell  zum  Vorschein  kommen  wird.  Eine  kleine, 
dunkle  Auflagerung  von  Cerumen  auf  dem  Trommelfelle  könnte  mit  einer 
Trommelfellperforation  oder  mit  eingetrocknetem  Blut  oder  Eitermassen  ver- 
w^echselt  werden.  Da  kann  mit  Hilfe  der  Luftdouche,  Sonde  und  Spritze  der 
wahre  Sachverhalt  aufgeklärt  werden. 

Primäres  und  secundäres  Cholesteatom  im  äusseren  Gehörgange  charak- 
terisirt  sich  durch  die  periweisse,  glänzende  Farbe  und  dadurch,  dass  es  meist 
einen  aus  concentrischen  Epidermislamellen  zusammengesetzten,  geschich- 
teten, lamellösen  Bau  und  oft  auch  einen  penetrant  üblen  Geruch  besitzt. 
Eeine  Epidermispfröpfe  bewirken  überdies  oft  eine  gleichmässige,  bedeu- 
tende Erweiterung  des  Gehörgangslumen,  eine  hochgradige  Dislocation  des 
Trommelfelles,  Verwachsung  desselben  mit  der  Labyrinthwand,  manchmal 
auch  Durchbruch  des  hinteren  oberen  Trommelfellquadranten  und  des  an- 
grenzenden Abschnittes  der  knöchernen  Gehörgangswand,  was  bei  Cerumen 
viel  seltener  und  nie  in  so  hohem  Grade  vorkommt.  Doch  können  Ceruminal- 
und  Epidermismassen  mit  einander  vermengt  einen  gemeinschaftlichen  Pfropf 
im  Ohre  bilden,  welcher  dann  die  Eigenschaften  beider  combinirt  besitzt.  In 
zweifelhaften  Fällen  gibt  die  mikroskopische  Untersuchung  eines  mit  der 
Sonde  abgebröckelten  Partikelchens  der  fremden  Masse  über  die  Natur  der- 
selben Auskunft.  Fremde  Körper,  Hyper-  und  Exostosen  können  von  einer 
mehr  oder  weniger  dicken  Ceruminalschichte  überzogen  sein  und  einen  Ceru- 
minalpfropf  vortäuschen.  Die  Sondenuntersuchung  verhilft  dann  leicht  zur 
richtigen  Diagnose.  Ein  lange  Zeit  im  Ohre  befindlicher  Wattatampon  nimmt 
mit  der  Zeit  an  der  nach  aussen  gewendeten  Fläche  eine   bräunliche   Farbe 

6* 


84  CERÜMEN. 

und  damit  eine  grosse  xVehnlichkeit  mit  einem  Cerumenzapfen  an.  Die  rich- 
tige Diagnose  wird  hier  manchmal  erst  durch  die  Untersuchung  der  aus- 
gespritzten Masse  möglich. 

Ausgespritzte  Ohrenschmalzmasse  fühlt  sich  zwischen  den  Fingern  als 
eine  fettige,  teigige  oder  als  eine  trockene,  bröckelige,  manchmal  auch  als 
eine  mit  Haaren  und  Epidermisfasern  verfilzte  Masse  an.  In  einem  solchen 
Pfropfe  finden  sich  oft  ausser  Ohrenschmalz  Epidermisplatten,  abgestossene 
Haare,  Ohrenfett,  Cholestearin  und  als  Kern  nicht  selten  ein  Stückchen 
Papier,  Wolle  oder  ein  anderer  Fremdkörper.  Nur  äusserst  selten  finden  sich 
in  diesen  Massen  kalkige  Concremente  (Bezold  u.  a.),  welche  das  balkige 
Gefüge  und  das  Aussehen  von  Sequestern  spongiöser  Knochensubstanz  haben. 
Die  bacteriologische  Untersuchung  ergab,  dass  im  Cerumen  eine  grosse  An- 
zahl von  Bacterien  existiren,  die  bei  geeignetem  Nährboden  sich  weiter  ent- 
wickeln können;  darunter  waren  mehrere  der  Pathogenität  suspecte  Formen 
nachweisbar  (Bohrer). 

Ein  aus  dem  Ohre  entfernter  obturirender  Pfropf  stellt  manchmal  einen 
negativen  Abdruck  des  Gehörganges  und  der  Membrana  tympani,  des  kurzen 
Fortsatzes,  des  Umbo  u.  s.  w.  dar. 

Es  ist  klar,  dass  in  Fällen,  in  denen  diese  Krankheit  nur  entfernte  Hirn- 
nnd  Nervenstörungen,  Beflexneurosen  hervorruft,  ohne  die  geringsten  localen 
Beschwerden  zu  verursachen,  die  Diagnose  sehr  erschwert  sein  kann.  Die 
otiatrische  Literatur  ist  auch  reich  an  Fällen,  in  denen  wegen  Unterlassung 
der  Ohrenuntersuchung  die  abenteuerlichsten  Fehldiagnosen  gemacht  w^urden, 
die  langdauernde,  erfolglose  und  überflüssige  Behandlungen  nach  sich  zogen. 
Dies  möge  man  immer  im  Auge  behalten  und  die  Untersuchung  des  Ohres 
auch  dort  nie  vernachlässigen,  wo  das  Krankheitsbild  gerade  nicht  von  vorne- 
herein auf  einen  otitischen  Ursprung  hindeutet. 

Verlauf.  Ein  Ceruminalpropf  kann  längere  Zeit  im  äusseren  Ohre 
verbleiben,  ohne  welche  Veränderungen  daselbst  zu  machen.  Manchmal  jedoch 
bewirkt  ein  solcher  durch  seine  fortwährende  Druckwirkung  auf  die  Umgebung 
eine  Erweiterung  des  Gehörganges  oder  Entzündung  desselben.  Auch  werden 
durch  Kratzen  im  Ohre  infolge  des  Juckens  leicht  Wunden  auf  der  Haut 
des  Gehörganges  gesetzt,  wo  die  verschiedenen  Arten  der  Bacterien  des 
Cerumens  einen  günstigen  Boden  zu  ihrer  weiteren  Entwickelung  finden  und 
eitrige  Macerationen,  Ulcerationen  und  Polypenbildung  hervorrufen.  So  kann 
infectiöse  Dermatitis  infolge  von  Cerumen  zustande  kommen.  In  ähnlicher 
Weise  können  solche  Ulcerationen  im  äusseren  Ohre  durch  unzweckmässige 
und  misslungene  Extractionsversuche  veranlasst  werden.  Als  weitere  Folgen 
des  vom  Cerumen  auf  die  Nachbarschaft  ausgeübten  Druckes  sind  Einziehung 
des  Trommelfelles,  Trübung  und  Atrophie  desselben  verschiedenen  Grades 
und  verschiedener  Ausdehnung,  Veränderung  der  Insertion  des  Hammergrifies, 
Anchylose  und  Rigidität  aller  oder  einzelner  Gehörknöchelchen,  seltener 
Lückenbildung  durch  Usur  im  Trommeltelle  und  im  äusseren  Gehörgange 
beobachtet  worden.  Es  sind  nämlich  Fälle  notirt,  wo  Ceruminalmassen  die 
knöcherne  Gehörgangswand  und  das  Trommelfell  perforirten  und  sich  in  die 
Paukenhöhle,  beziehungsweise  in  den  Warzenfortsatz  vordrängten. 

Prognose.  Da  der  Ohrenschmalzpfropf  eine  Affection  des  äusseren 
Ohres  darstellt  und  der  Behandlung  leicht  und  direct  zugänglich  ist,  ist  die 
Prognose  im  allgemeinen  als  eine  gute  zu  betrachten.  Im  besondern  jedoch 
soll  sie  von  der  Anamnese  und  dem  Resultate  der  Hörprüfung  abhängig  ge- 
macht werden.  Gibt  der  Patient  an,  dass  er  früher  immer  ohrengesund  w^ar 
und  gut  hörte  und  erst  vor  kurzer  Zeit  und  plötzlich  ohne  Grund  oder  nach 
Waschen,  Reinigung  des  Ohres  oder  nach  Kitzeln  im  Ohre  etc.  auf  einem 
Ohre  taub  wurde,  dass  die  Schwerhörigkeit  mit  auffallenden  Gehörverbesse- 
rungen   ab^vechselt,    ergibt    die  Hörprüfung,    dass  die  Schw^erhörigkeit   keine 


CERUMEN.  85 

hochgradige  ist,  dass  eine  Störung  des  schallcitcnden  Apparates  vorliegt, 
dass  die  auf  die  Mitte  des  Schädels  aufgestellte  schwingende  Stimmgabel  von 
der  kranken  Seite  länger  und  besser  percipirt  wird  (Verstärkung  der  Knochen- 
leitung auf  der  afficirten  Seite),  und  lassen  sich  überhaupt  Erkrankungen 
tieferer  Theile  des  Gehörorganes  ausschliessen,  dann  kann  die  Prognose 
absolut  günstig  gestellt  werden.  In  anderen  Fällen  muss  man  immer  daran 
denken,  dass  der  Ceruminalpfropf  zu  einer  anderen,  bereits  zuvor  bestandenen 
Ohrenkrankheit  hinzugetreten  sein  oder  nachträglich  selbst  tiefere  und  blei- 
bende Veränderungen  am  Trommelfell  und  Mittelohr  gesetzt  haben  könnte, 
dass  somit  die  Gehörstörung,  Sausen,  Schwindel  etc.  vielleicht  von  einer  Er- 
krankung des  Labyrinths  oder  des  Mittelohres  mit  bedingt  ist,  was  die  Pro- 
gnose zweifelhaft  gestaltet.  Unbedingt  schlecht  in  Bezug  auf  Gehör  und 
sonstige  locale  Beschwerden  ist  dieselbe  natürlich,  wenn  die  Kopfknochen- 
ieitung  an  der  erkrankten  Seite  gelitten  hat  und  eine  Affection  des  schall- 
percipirenden  Organes  angenommen  werden  muss.  Bedenklich  (juoad  vitam 
könnte  diese  Krankheit  nur  werden,  wenn  sie  zu  schweren,  bedrohlichen  ner- 
vösen Zuständen  oder  zur  Eiterretention  Veranlassung  gäbe  und  nicht  recht- 
zeitig erkannt  und  entfernt  würde. 

Die  Therapie  ist  eine  einfache  und  gleicht  jener  der  Fremdkörper  im 
Ohre  überhaupt.  In  den  meisten  Fällen  wird  eine  einmalige  oder  wiederholte 
lauwarme  Ausspritzung  genügen,  den  Pfropf  zu  entfernen.  Gewöhnlich  fördert 
die  erste  Ausspritzung  nur  braunes  Wasser  und  einzelne  Cerumenstückchen 
heraus,  während  die  zweite  und  dritte  den  ganzen  Pfropf  oder  den  Rest 
heraustreibt.  Zu  einmaliger  Ausspritzung  eignet  sich  besonders  eine  schwache 
laue  Seifenlösung  oder  auch  Lysollösung  wegen  ihrer  verseifenden  Wirkung 
auf  die  Producte  der  secernirenden  Organe  des  Gehörganges.  Bei  häufigerer 
Anwendung  verursachen  diese  Lösungen  jedoch  Reizung  der  Haut,  Ekzeme 
u.  s.  w.  und  sind  zu  meiden.  Ist  der  Pfropf  verhärtet  oder  hängt  er  mittelst 
Epidermislamellen  an  der  Gehörgangswand  fester  an,  dann  wird  es  oft  noth- 
wendig  sein,  zuvor  erweichende  Eingiessungen  durch  einige  Zeit  anzuwenden. 
Als  solche  empfehlen  sich  alkalische  Glycerinlösungen,  z.  B.  Natr.  carhon.  O'öO, 
Gli/cenni,  Äquae  destill.  aa  5-0,  Glt/cerm,  Soda-,  Seifenlösung e7i,  Oel  u.  dgl.  Die- 
selben sind  lauwarm  auf  5—10  Minuten  einigemal  täglich  durch  2 — 4  Tage 
solange  ins  Ohr  einzugiessen,  bis  der  Pfropf,  vollkommen  erweicht,  dem  Spritzen- 
strahle nachgibt.  Dabei  geschieht  es  leicht,  dass  infolge  der  durch  die 
eingeträufelte  Flüssigkeit  bewirkten  Aufquellung  der  Cerurainalmasse  eine 
stärkere  Verlegung  des  Ohres  und  damit  eine  Verschlimmerung  des  Gehöres, 
der  Schmerzen  etc.  eintritt,  was  die  Patienten  für  eine  Verschlimmerung  der 
Krankheit  selbst  halten  können,  daher  sie  auf  diese  Eventualität  im  vorhinein 
aufmerksam  gemacht  werden  sollen. 

Man  setze  auch  die  Einspritzungen  nie  zu  lange  in  einem  fort,  und  darf 
es  sich  nicht  verdriessen  lassen,  hartnäckig  festsitzenden  Pfropfen  mehrere 
Sitzungen  zu  widmen,  zwischen  welchen  die  Kranken  die  erweichenden  Ein- 
giessungen zu  machen  haben.  Besonders  wenn  die  Injectionen  Schwindel 
oder  Schmerzen  verursachen,  darf  man  sie  nicht  forciren,  sondern  muss  sich 
damit  begnügen,  in  mehreren  Sitzungen  zum  Ziele  zu  gelangen.  Man  muss 
ferner  daran  denken,  dass  häufig  forcirte  Ausspritzungen  leicht  Reizung  der 
Haut,  Otitis  externa  oder  auch  plötzliches  Losreissen  eines  dem  Trommelfelle 
fest  anhaftenden  Pfropfes  und  dadurch  eine  Perforation  der  tympanischen 
Membran  bewirken  können,  besonders  wenn  es  schon  durch  den  langdauernden 
Druck  zur  Atrophie  derselben  gekommen  ist.  Manchmal  ist  es  angezeigt,  vor 
dem  Ausspritzen  den  Pfropf  mit  der  Sonde  von  der  umgebenden  anhaftenden 
Oehörgangswand  etwas  zu  lockern.  In  manchen  Fällen  wird  es  nur  gelingen, 
den  Pfropf  stückchenweise  zu  entfernen. 


86  CHOLESTEATOM. 

Nur  äusserst  selten  wird  man  gezwungen  sein,  zu  Instrumenten:  Olir- 
löJEfel,  Zangen  etc,  seine  ZuÜuclit  zu  nehmen,  z.  B.  wenn  Ausspritzungen  und 
Eingiessungen  absolut  nicht  vertragen  werden,  heftigen  Schwindel,  Ohren- 
sausen, Ohnmächten  u.  dgl.  verursachen  und  nicht  zum  Ziele  führen. 

Ist  der  Pfropf  entfernt,  dann  bleibt  manchmal  eine  Empfindlichkeit  des 
Trommelfelles  gegen  die  bereits  ungewohnten  Schalleindrücke  auf  einige  Zeit 
zurück.  Aus  diesem  Grunde,  wie  auch  um  den  feuchten  äusseren  Gehörgang 
vor  schädlichen  äusseren  atmosphärischen  Einflüssen  zu  schützen,  sollen  die 
Patienten  noch  einige  Zeit  nachher  das  Ohr  mit  einem  Wattatampon  ver- 
stopft tragen. 

Ist  das  Gehör  nach  der  Entfernung  des  Cerumen  nicht  sofort  normal, 
oder  dauert  das  Ohrenrauschen  noch  fort,  dann  ist  der  Ausspritzung  eine 
einmalige  oder  öftere  Lufteintreibung  in  die  Paukenhöhle  nachzuschidien. 
Ueberhaupt  überzeuge  man  sich  nach  der  Reinigung  des  Ohres  von  der 
Function  des  mittleren  und  des  inneren  Ohres  und  von  dem  Zustande  des 
äusseren  Gehörganges.  Finden  sich  hier  welche  krankhafte  Veränderungen, 
dann  sind  diese  nachträglich  einer  entsprechenden  Behandlung  zu  unterziehen. 

Recidiven  sind  hier  sehr  häufig  und  erfolgen  anfangs  schneller  und 
öfter,  später  seltener  in  Intervallen  von  Monaten  und  Jahren.  Eine  Wieder- 
holung bedeutender  Cerumenaccumulation  im  Ohre  lässt  sich  nur  durch  von 
Zeit  zu  Zeit  wiederholte  Ausspritzungen  hintanhalten. 

Zum  Schlüsse  dürfte  es  vielleicht  nicht  überflüssig  sein,  nochmals  und 
wiederholt  daran  zu  erinnern,  dass  in  allen  Fällen,  wo  hartnäckige  Neurosen 
bestehen,  für  die  keine  andere  Basis,  kein  sonstiger  Erklärungsgrund  auf- 
gefunden werden  kann,  besonders  aber  bei  objectiv  nicht  begründetem  hart- 
näckigem Husten,  Schwindel,  Kopfschmerz  u.  dgl.,  die  Untersuchung  des  Ohres 
auf  Fremdkörper  oder  Cerumen  nie  unterlassen  werden  möge,  selbst  wenn 
gar  keine  Andeutung  auf  die  Anwesenheit  dieses  Leidens  hinweisen  sollte. 
Dieses  ist  umso  wichtiger  und  folgenschwerer,  als  langdauernde,  auf  diese 
Weise  veranlasste  nervöse  Beschwerden  mit  der  Zeit  möglicherweise  dauernde 
Störungen,  Melancholie,  Neurasthenie,  Hallucination,  psychische  Depression 
u.  dgl.  erzeugen  und  bedeutende  Berufsstörungen  nach  sich  ziehen  können, 
während  sie,  rechtzeitig  in  ätiologischer  Beziehung  erkannt  und  gewürdigt,  doch 
so  leicht  beseitigt  werden  können.  spiea. 

Cholesteatom.  Das  Cholesteatom  des  Ohres  stellt  einen  epithe- 
lialen Tumor  von  perlartiger  weisser  Farbe  dar,  der  aus  zwiebelartig  geschich- 
teten, concentrischen  Lamellen  polygonaler,  meist  kernloser,  epidermoi- 
daler  Zellen  besteht,  zwischen  denen  häufig  Cholestearinblättchen  in  grösserer 
oder  geringerer  Menge  gelegen  sind. 

Wir  finden  diese  Geschwulst  vorzugsweise  im  hin- 
^,,^  teren  und    oberen  Abschnitte  des  Mittelohres,    also  im 

"'^,  Recessus  epitympanicus,    im  Antrum    mastoideum   und 

■J'  im  Processus  mastoideus  selbst;  ihre  Grösse  variirt  von 

der  einer  Bohne  (Fig.  1)  bis  zu  einem  grossen  Hühnerei; 
sie  ist  von  einer  sehr  feinen  Bindegewebsmembran  um- 
hüllt,  die  mit  dem  Periost   der  Knochenhöhle,  in  wel- 
Fig  1.  (ji,oie.steatom  aus  dem  q[^q^,  (jjg   cholcsteatomatöseu  Massen  gelegen  sind,    fest 

rechten  Proc.  mastoideus  eines  .  .         .  .    ~  ' 

2ojäiirigen  Mannes.  uud  muig  Zusammenhängt  (Fig.  2);  mi  inneren,  centra- 
len Abschnitt  dieser  Bindegewebsmembran,  die  alle  Eigen- 
schaften einer  cytogenen  Membran  besitzt,  liegen  die  den  Tumor  ernährenden 
Blutgefässe,  die  ihrerseits  mit  den  Gefässen  der  äusseren  Periostschicht  zu- 
sammenhängen, während  die  äussere  oder  periphere  Schicht  der  Umhüllungs- 
membran  wie  die    Oberhaut   der    Cutis    aus    einem    Rete  Malpighi   und  den 


CHOLESTEATOM. 


87 


i 


I    /'     ■'Y^ 


Periost 


.Rcle,Mfdp 
■  Iloraxchü/iie 


// 


.Kiwch^iv 


Riff-  und  Eleidinzellen  besteht,   welch  letztere  dann  unmittelbar  in  die  kern- 
losen, polygonalen  Hornzellen  des  Cholesteatoms  übergehen  (Fig.  3). 

Die  Geschwulst  zeichnet  sich  durch  eine  glänzend  weisse,  „perlartige" 
Farbe  aus,  daher  auch  der  von  Cruveilhier  stammende  Name  „Ttimeur 
perUe'-',  Perlgeschwulst  oder  auch  Margaritom 
nach  CßAiGiE- ViECHOw;  ihre  häufig  glatte 
Oberfläche  ist  zuweilen  sehr  unregelmässig, 
höckerig  und  stellt  oftmals  einen  Abguss  jener 
Knochenhöhle  dar,  in  welcher  die  Neubildung 
sich  entwickelt  hat  (Fig.  1).  Anfangs  bleibt 
die  Geschwulst  im  Recessus  epitympanicus 
oder  im  Antrum  u.  s.  w.  eingeschlossen;  mit 
ihrem  Wachsthum  dehnt  sie  allmählich  diese 
Knochenhöhlen  aus,  erweitert  sie  zuweilen 
bis  zu  einer  beträchtlichen  Grösse,  um  sie 
schliesslich  zu  durchbrechen,  sei  es  nach  der 
Paukenhöhle  oder  dem  äusseren  Gehörcanale 
oder  nach  der  Aussenfläche  des  Warzenfort- 
satzes zu,  sei  es  auch  nach  der  Schädelhöhle. 
Das  Wachsthum  des  Tumors  und  mit  ihm  die 
Ausdehnung  der  Knochenhöhle  gehen  oft  ganz 
latent  als  Knochenusur  vor  sich;  andere  Male 
entzünden  sich  hiebei  die  häutigen  und  knö- 
chernen Theile  der  Umgebung;  es  kommt 
zur  Eiterung,  es  bilden  sich  Granulationen, 
Knochencaries,  es  tritt  nekrotischer  Zerfall 
der  Gewebe  ein,  wobei  zuweilen  die  Neubil- 
dung selbst  völlig  zugrunde  gehen  kann. 
Je  nach  der  Richtung  der  wachsenden  Ge- 
schwulst und  je  nach  der  hiebei  auftretenden 
Entzündung  kommt   es  zur  Perforation  und 

Zerstörung  des 
Trommelfells    oder 
zum  Durchbruch 
der  hinteren  oberen  „, 

Meatuswandundso-  <-, 

mit  zu  einer  äusse- 
ren Ohreiterung; 
wächst  dagegen  das 
Cholesteatom  nach 
der  Schädelhöhle  zu 
und  tritt  hiebei  Ca- 
ries  der  Knochen- 
wandungen ein,  so 
kann  eine  Phlebitis 
des  Sinus  sigmoi- 
deus  entstehen,oder 
wenn  der  Process 
gegen  das  Tegmen 

tympani  weiter- 
schreitet und  hier 

die  Dura  mater  ergriffen  wird,  so  kann  es  zu  Meningitis  und  Gehii'nabscess 
kommen.  Wir  sehen  somit,  dass  das  Ohrcholesteatom,  wenn  es  auch  bei  sei- 
nem langsamen  Wachsthume  und  seiner  epithelialen  Structur  nicht  zu  den 
malignen  Tumoren  gehört,   dass   es   doch   ulcerative  Processe  in   den   umge- 


Fig.  2  Querschnitt  durch  die  Knochen- 
wandiing  des  Antrum  mastoid.,  Periost, 
Bete  Malpighi  u.  erste  Hornschichte  des 
Cholesteatoms.  IKUHN.  Zeitschrift  für 
Ohr.    XXI.|*Hartn. 


..JnnereFeriostsJdchte..  ^ 


BhUg.^ 


sercP. 


Periost 


..cyioffenxMc/jibrajv. 
..czImjdr.Z.       ' 


.  rund.  Z. 


.  Sornzell. 


\R.MaIp. 


Fig.  3.  Querschnitt  der  Periost-  und  Epidermisausfeleidung  des  Antrum  mit  der 

ersten  Hornzellenlage  der  Geschwulst.  [KUHN.  Zeitschrift  für  Ohr.  XXI.] 

Hartn. 


88  CHOLESTEATOM. 

w 

benden  Geweben  zur  Folge  haben  kann,  welche  die  Nachbarorgane  und  durch 
diese  das  Leben  des  Individuums  in  hohem  Grade  gefährden. 

Die  pathologischen  Anatomen  Cbuveilhier,  Joh.  Müller  und  vor 
allem  Yirchow  betrachten  das  Ohrcholesteatom,  ebenso  wie  die  Perlgeschwulst 
der  Pia  mater,  des  Hodens,  Eierstockes  u.  s.  w.  als  eine  heterologe  Neubil- 
dung, denn  sie  entsteht  an  einem  Orte,  wo  normaliter  weder  Epidermis  noch 
epidermisähnliches  Material  vorhanden  ist;  nach  den  Angaben  Virchow's 
kann  sie  nie  aus  einer  epidermoidalen  Metaplasie  der  Paukenhöhlenschleim- 
haut hervorgehen,  sondern  wir  müssen  sie  stets  als  eine  heteroplastische 
Bildung  betrachten,  die  an  Theilen  des  Felsenbeines  auftritt,  wo  sich  an 
Stelle  compacten  Gewebes  lufthaltige  Räume  entwickeln.  Mikulicz  und  Küster 
halten  es  für  wahrscheinlich,  dass  das  Ohrcholesteatom  sich  primär  entwickeln 
könne,  und  zwar  aus  einer  —  abnormer  Weise  —  abgeschnürten  Partie,  von 
Epidermiszellen,  die  beim  Verschlusse  des  obersten  Kiemenganges  in  der  Pau- 
kenhöhle zurückgeblieben  wäre,  oder  auch,  dass  diese  aberrirten  Epidermis- 
keime,  die  vielleicht  oft  schadlos  und  unentwickelt  bleiben,  unter  Einfluss 
irgend  eines  entzündlichen  Processes  im  Mittelohre  sich  In  krankhafter  Weise 
vergrössern  und  zu  Geschwülsten  heranwachsen. 

Ausser  den  von  Virchow  an  d e r  L  e i c h e  als  primäre  Tumoren  erkann- 
ten Ohrcholesteatomen  finden  wir  auch  in  der  Literatur  eine  Anzahl  von 
Beobachtungen  (Lucae,  Wendt,  Schwartze,  Kuhn,  Urbantschitsch,  Panse, 
Laser,  Blau),  in  denen  primäre  PeiigeschAvülste  beim  Lebenden  gese- 
hen w^urden;  alle  diese  Fälle  hatten  einen  latenten  Verlauf,  in  einigen  war 
das  Trommelfell  intact  und  keine  Spur  von  Entzündung  zugegen;  in  anderen 
war  ohne  vorausgegangene  Eiterung  unter  Schmerzen,  Schwindel  und  Hirner- 
scheinungen der  Durchbruch  der  Geschwulst,  deren  Grösse  meist  auf  ein  mehr- 
jähriges Wachsthum  schliessen  liess,  plötzlich  in  den  äusseren  Gehörcanal  oder 
durch  die  Corticalis  des  Warzenknochens  erfolgt. 

In  vielen  Fällen  von  ausgebreiteten  Cholesteatomen,  wenn  der  Knochen 
theilweise  zerstört,  wenn  schon  ausgedehnte  eitrige  und  cariöse  Veränderungen 
in  der  Paukenhöhle  vorhanden,  wenn  das  Trommelfell  perforirt,  selbst  gros- 
sentheils  zerstört  ist,  wird  es  an  der  Leiche  sehr  schwer  sein,  zu  entscheiden, 
ob  alle  diese  Läsionen  infolge  eines  primären  Tumors  entstanden  sind,  der 
bei  der  Zerstörung  der  Nachbartheile  gleichfalls  nekrotisch  zugrunde  gegan- 
gen sein  kann,  oder  ob  nicht  schon  vorher  ein  entzündlicher  Process  im  äus- 
seren oder  mittleren  Ohre  bestanden  hat,  in  dessen  Verlauf  es  erst  späterhin 
zur  Bildung  von  cholesteatomartigen  Massen  gekommen  ist. 

Gegen  die  nahezu  exclusive  Ansicht  der  Anatomen,  dass  das  Ohrcholeste- 
atom eine  wahre  Neubildung  sei,  haben  viele  Ohrenärzte  gewichtige  Einw^ände 
erhoben;  vor  allem  v.  Troeltsch,  der  diese  Bildungen  für  Retentions- 
geschwülste  aus  Eiter  und  Epithelmassen  hält,  die  von  der  chronisch  ent- 
zündeten Mittelohrschleimhaut  geliefert  w^erden;  er  fand  stets  im  Centrum 
dieser  cholesteatomatösen  Geschwulstmassen  einen  alten,  eingetrockneten  Eiter- 
kern, und  dieser  Kern  war  es  seiner  Ansicht  nach,  der  auf  die  Wandungen 
der  Knochenhöhle  des  Antrum  mastoideum  oder  der  anderen  pneumatischen 
Räume  des  Mittelohres  allmählich  einen  solchen  Druck  ausübe,  „dass  zellige 
Producte  nicht  bloss  in  besonderer  Menge,  sondern  auch  von  veränderter  Ge- 
stalt und  Art  geliefert  werden  und  die  dann  geschichteter  Epidermis  gleichen 
und  perlmutterglänzenden  Platten  darstellen."  Für  manche  Otologen  war  jedoch 
diese  Ansicht  nicht  überzeugend;  so  erklärt  z.  B.  Wendt  den  Process  für  eine 
desquamative  Entzündung  der  Mittelohrschleimhaut,  bei  welcher  das  sich  an- 
häufende Epithel  durch  den  Umstand,  dass  es  bei  den  fast  immer  vorhandenen 
Trommelfellperforationen  äusseren  Schädlichkeiten  ausgesetzt  sei,  unter  Bildung 
eines  Rete  Malpighi  eine  epidermisähnliche  Beschaffenheit  annehme.  Für 
Schwartze  handelt  es  sich  gleichfalls  um  eine  Retention  von  Entzündungs- 


CHOLESTEATOM.  89 

producten  und  infolge  davon  um  eine  Metaplasie  des  normalen  Pauken- 
höhlenepithels  in  Epidermiszellen.  Lucae  glaubt,  dass  an  den  bei  Mittelohr- 
eiterungen so  häufig  vorkommenden  Granulomen  der  Schleimhaut  eine  starke 
Epidermisproliferation  stattfände,  die  schliesslich  zu  CholesteatomgeschwüLsten 
führen  könne.  Nach  Steinbrüc^ge  handelt  es  sich  nur  dann  um  eine  wirk- 
liche Perlgeschwulst,  „wenn  ein  die  Geschwulst  umhüllender  Balg  vorhanden 
ist,  der  durch  ernährende  Gefässe  mit  irgend  einem  Theile  des  Schläfen- 
beines, dem  Mutterboden  der  Geschwulst  in  Verbindung  steht";  andere  Male 
jedoch  sind  es  auch  für  Steinbrügge  nur  epitheliale  Producte  infolge 
chronischer  Eiterungsprocesse,  wobei  eine  chronische  Dermatitis  der  Mittel- 
ohrauskleidung mit  Verhornung  der  Zellen  des  Pete  Malpighi  hinzugetreten  sei. 

Es  bleibt  nun  sehr  fraglich,  ob  infolge  äusserer  Schädlichkeiten  oder 
auch  entzündlicher  Vorgänge  eine  directe  Umwandlung  des  Paukenhöhlen- 
epithels in  eine  cutisähnliche  Epidermis  möglich  ist,  und  es  fehlt  uns  fernerhin 
die  Erklärung  für  die  Bildung  jener  epidermoidalen,  cytogenen  Auskleidungs- 
membran, die  alle  kleinen  und  grossen  Knochenhöhlen  des  Mittelohres  über- 
zieht, in  welchen  solche  Geschwulstmassen  liegen,  und  deren  Nachweis 
schliesslich  für  den  sorgsamen  Untersucher  nicht  schwer  ist.  (Fig.  2.) 

Politzer  erklärt  die  Entstehung  mancher  Fälle  von  Ohrcholesteatom 
dadurch,  dass  mit  Epithel  ausgekleidete  drüsenartige  Einsenkungen  der 
wuchernden  Mittelohrschleimhaut  an  ihrer  oberen  Einmündung  durch  Druck  ver- 
wachsen und  dass  nun  das  Epithel  in  dem  abgeschlossenen  Räume  fortwuchere. 

Auf  viel  gewichtigere  anatomische  und  klinische  Thatsachen  stützt  sich 
die  von  Habermann  zuerst  und  später  auch  von  Bezold  ausgesprochene 
Theorie  von  der  secundären  Bildung  der  grössten  Zahl  der  Ohrcholeste- 
atome.  Habermann  gibt  an,  dass  im  Verlaufe  von  Mittelohreiterungen,  be- 
sonders bei  solchen  mit  Perforation  der  SnRAPNELL'schen  Membran  oder  mit 
fistulösem  Durchbruche  in  den  äusseren  Gehörgang,  die  Epidermis  des 
perforirten  Trommelfelles  oder  des  Meatus  externus  sich  über  die  Ränder 
dieser  Oeffnungen  hinweg  auf  die  vom  Epithel  entblösste,  exulcerirte  Pauken- 
höhlenschleimhaut fortsetze  und  grössere  Strecken  des  Mittelohres  überziehe; 
bei  fortdauernder  Entzündung  erfolge  alsdann  eine  stärkere  Entwicklung  des 
Rete  Malpighi  und  eine  vermehrte  Abstossung  der  Hornschichte.  Kann  sich 
die  allzu  reichliche  Epidermisproduction  nicht  nach  aussen  entleeren,  so  bilden 
sich  allmählich  die  concentrischen  Lamellen  der  cholesteatomatösen  Geschwulst. 
Gleicher  Ansicht  ist  im  grossen  und  ganzen  auch  Bezold;  er  konnte  ebenfalls 
anatomisch  eine  directe  Fortsetzung  des  Epidermisüberzuges  aus  dem  äusseren 
Ohre  in  das  Mittelohr  nachweisen  und  er  will  auch  beim  Lebenden  diesen 
Uebergang  der  Epidermis  auf  den  Aditus  ad  antrum  und  das  Cavum  tympani 
beobachtet  haben.  Für  ihn  besteht  ausserdem  noch  ein  inniger  ätiologischer 
Zusammenhang  zwischen  Tubenschwellung,  respective  Verlegung  dieses  Canales, 
und  Cholesteatombildung. 

LTeber  die  Möglichkeit  des  Hineinwachsens  von  Epidermis  in  die  Pauken- 
höhle und  bis  ins  Antrum  hat  Schwartze  schon  vor  Jahren  berichtet  und 
hat  in  diesem  Vorgange  die  Anbahnung  der  Heilung  und  den  Schutz  des  dar- 
unter liegenden  Gewebes  gegen  Schädlichkeiten  gesehen. 

Dass  die  Epidermis  ihre  normalen  Grenzen  überschreiten  und  Schleim- 
hautflächen überwachsen  kann,  lehrt  uns  die  Transplantation  von  Schleim- 
häuten, die  von  Epidermis  umgeben  sind,  das  zeigt  uns  ferner  das  Hinein- 
wachsen von  Epidermis  durch  die  weibliche  Urethra  in  die  Blase  (Gläser); 
ob  aber  diese  durch  hyperplasirende  Wucherung  entstandenen  Epithelmassen 
auch  zu  wirklicher  Geschwulstbildung  im  engeren  Sinne  führen  können,  wel- 
cher Unterschied  zwischen  ihnen  und  dem  eigentlichen  primären  Cholesteatom 
ist,  ist  sehr  schwer  zu  sagen;  hier  wie  dort  dieselben  Elemente,  ihre  gleiche 
Anordnung,  aber  ihrer  Aetiologie  nach  ganz  verschieden.    (Gläser.) 


90  CHOLESTEATOM. 

Nach  allem  lässt  sich  für  jetzt  ijur  sagen,  dass  die  beiden  Möglichkeiten 
der  Entstehung  einer  cholesteatomatösen  Geschwulst  vorliegen:  1.  als  hetero- 
plastische Geschwulst  im  Sinne  Virchow's  und  2.  als  Folge  des  Hinein- 
wachsens der  Epidermis  in  die  Mittelräume  im  Sinne  Habermann's.  —  Immer- 
hin bleibt  in  der  Pathogenese  des  Ohrcholesteatoms  noch  vieles  unklar,  und 
der  wenn  auch  einseitige  Standpunkt  der  pathologischen  Anatomen,  dass  die 
Perlgeschwulst  des  Ohres  eine  heteroplastische  Neubildung  sei,  darf  von  den 
Ohrenärzten  so  lange  nicht  von  der  Hand  gewiesen  werden,  als  genaue  kli- 
nische Beobachtungen,  wenn  auch  nur  einiger  weniger  Fälle,  vorliegen,  in 
denen  cholesteatomatöse  Bildungen  bei  Unversehrtheit  des  Trommelfelles  gesehen 
wurden  oder  in  welchen  solche  Tumoren  lange  Zeit  bestanden  haben,  ohne 
äussere  Erscheinungen,  Eiterungen  u.  s.  w.  hervorgerufen  zu  haben. 

Ausser  diesen  „Cholesteatomen"  des  Mittelohres  kommen  auch  im  äusseren  Ohre 
jDrimäre  Perlgeschwülste  vor,  die  an  einer  Wandung  des  knöchernen  Meatus  (Hinton's 
sebaceous  tumours),  an  der  äusseren  (Küpper)  oder  an  der  inneren  (Wendt)  Trommelfell- 
fläche gelegen  sind;  sie  bestehen  ebenfalls  aus  zwiebelartig  geschichteten  Plattenepithelien, 
haben  perlartige,  glänzend  weisse  Farbe,  erreichen  meist  nur  die  Grösse  einer  Erbse  und 
sind  von  einer  dünnen  Bindegewebsschichte  umhüllt.  Urbantschitsch  hat  ähnliche,  hirse- 
korngrosse,  knorpelharte  Cholesteatomperlen  an  der  Oberfläche  des  Trommelfelles  gesehen, 
die  aus  Pflasterepithel  und  Cholestearinkrystallen  bestanden  und  von  einer  Cystenmembran 
umgeben  waren. 

Symptome.  In  den  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  seltenen  Fällen  von 
„wahrem  Ohrcholesteatom"  bestand  der  Krankheitsprocess  ohne  jedes  äussere 
Symptom;  manche  dieser  Kranken  wollen  an  starken  Kopfschmerzen  und 
Schwindel  gelitten  haben,  lange  Monate  hindurch  bevor,  ohne  Ohreiterung,  ohne 
Trommelfellperforation  oder  Fistelöffnung  im  äusseren  Gehörgang,  der  Tumor 
nach  aussen  oder  nach  dem  Inneren  des  Schädels  durchbrach.  —  In  der 
weitaus  grössten  Zahl  der  Cholesteatome  besteht  eine  chronische  Ohreiterung.  Ist 
die  Oeffnung  des  Trommelfelles,  durch  welche  der  aus  der  Cholesteatomhöhle 
stammende  Eiter  abfliesst,  genügend  gross,  so  fehlen  auch  hier  die  schmerz- 
haften Symptome;  der  abfliessende  Eiter  ist  oft  mit  schmutzigweissen  Epithel- 
klumpen vermengt  und  hat  einen  autfallend  fötiden  Geruch;  ist  dagegen  die 
Abflussöffnung  im  Trommelfell  oder  im  äusseren  Gehörcanale  zu  klein  oder, 
wie  es  bei  den  Perforationen  der  Membrana  Shrapnelli  häufig  der  Fall  ist, 
durch  ein  kleines  Granulom  verengt,  selbst  völlig  verlegt,  so  stellen  sich  bald 
heftige  Ohr-  und  Kopfschmerzen  ein  und  es  treten  Schwindel  und  Erbrechen  auf; 
diese  Symptome  steigern  sich  mehr  und  mehr  und  währen  so  lange,  bis  endlich 
spontan  oder  durch  Kunsthilfe  bohnen-  bis  wallnussgrosse,  schmutzig  weisse, 
zuweilen  auch  periweisse,  schaalenartige,  höcl^erige  Epithelmassen  durch  die 
Trommelfellöffnung  oder  die  Gehörgangsfistel  aus  dem  Ohre  herauskommen;  hie- 
bei  entleert  sich  auch  schmieriger,  übelriechender  Eiter,  der  zahlreiche  Eiter- 
coccen  und  Fäulnisbacterien  enthält.  Mit  dem  Abgang  dieser  cholesteatoma- 
tösen Massen  hören  die  Schmerzen  wie  auch  der  Schwindel  u.  s.  w.  voll- 
ständig auf;  es  tritt  wieder  eine  mehr  oder  weniger  lange  Periode  auf,  in 
welcher  die  Kranken  nur  die  Symptome  der  gewöhnlichen  Ohreiterung  dar- 
bieten. Oftmals  aber  kehren  schon  nach  w^enigen  Wochen  die  oben  geschil- 
derten Betentionserscheinungen  wieder,  da  sich  neue  Epithelmassen  gebildet 
haben,  und  werden  keine  energischen  therapeutischen  Maassregeln  ergriffen,  so 
kann  dieser  Turnus  lange  Zeit,  mehrere  Jahre  hindurch,  sich  wiederholen,  oder 
aber  es  kann  beim  Fortschreiten  und  üebergreifen  des  Processes  auf  die 
Nachbarorgane  eine  jener  Complicationen  hinzutreten,  die  in  Form  einer 
Sinusphlebitis,  Meningitis,  eines  Hirnabscesses  oder  auch  unter  dem  Bilde 
der  Pyämie  den  meist  letalen  Ausgang  der  Erkrankung  zur  Folge  haben. 

Die  Betentionserscheinungen  treten  zuweilen  auch  nach  einfachem 
Einspritzen  von  warmem  Wasser  oder  nach  Einströmen  von  heissen  Dämpfen 
ins  Ohr  auf,  weil  hiebei  die  Epithelmassen  stark  aufquellen  und  durch  ihr 
grösseres  Volumen  die  Umgebung  stärker  drücken  und  reizen. 


CHOLESTEATOM,  91 

Bei  der  stetigen  Zunahme  der  Epithelmassen  erweitern  sich  auch  all- 
mählich die  verschiedenen  Knochenhöhlen  des  Recessus  epitympanicus,  des 
Antrum  und  der  Warze,  meist  infolge  einfacher  Knochenusur,  andere  Male 
auch  durch  Caries;  das  ganze  Schläfenbein  kann  in  dieser  Weise  allmählich 
zerstört  werden  und  sein  Inneres  nur  eine  einzige  grosse  Höhle  darstellen,  in 
welcher  Gehörgang,  Pauke,  Warzenfortsatz,  ja  die  Pyramide  vollständig  auf- 
gegangen sind  und  in  welcher  die  Geschwulst  selbst  völlig  zerstört  wurde;  es 
sind  dies  meist  jene  Fälle,  wo  erst  bei  der  Section  von  an  Sinusthrombose 
oder  Hirnabscess  u.  s.  w.  zugrunde  gegangenen  Patienten  das  Ohrcholeste- 
atom  erkannt  wird. 

Am  günstigsten  ist  es  noch,  wenn  das  Cholesteatom  die  hintere  Wand 
des  Gehörcanales  durchbricht,  weil  wir  von  dort  aus  die  Massen  leicht, 
höchstens  nach  Erweiterung  der  Durchbruchstelle,  entfernen  und  die  Höhle  genü- 
gend ausräumen  können.  —  Das  Cholesteatom  soll  auch  durch  eine  eitrige 
Entzündung  im  Mittelohre  spontan  zur  Ausstossung  kommen  und  so  völlig 
geheilt  werden  (Habermann).  —  Das  Ohrcholesteatom  findet  sich  nach  Bezold 
in  1 — 27o  aller  Ohrkrankheiten  und  häufiger  bei  Kindern  als  bei  Erwachsenen. 
Die  hohe  Sterblichkeitsziffer  dieser  Kranken  ist  wohl  die  Ursache,  dass  wir 
das  Cholesteatom  selten  nach  dem  40.  Lebensjahre  beobachten.  —  Die  Dauer 
der  Krankheit  variirt  von  wenigen  Monaten  bis  zu  mehreren  Jahren. 

Diagnose:  Wenn  bei  einer  chronischen  Ohreiterung  öfters  weisse, 
glänzende  Epidermisklümpchen  dem  Eiter  beigemengt  sind,  so  müssen  wir  an 
Cholesteatom  denken;  überhaupt  bei  allen  hartnäckigen  und  foetiden  Ohr- 
eiterungen, in  deren  Verlaufe  zeitweilig  Retentionssymptome,  Kopfschmerzen. 
Schwindel  u.  s.  w.  eintreten,  muss  an  die  Möglichkeit  eines  Ohrcholesteatom s 
gedacht  werden. 

Oft  sehen  wir  die  charakteristischen  weissen  Epidermisschollen  im 
Recessus  oder  im  hinteren  oberen  Abschnitte  des  Cavum  tympani,  oder  es  ist 
uns  zuweilen  möglich,  derartige  Epithelklumpen  mit  einer  gekrümmten  Sonde 
aus  den  einzelnen  Knochenhöhlen  herauszuholen  und  näher  zu  untersuchen. 
Gar  oft  aber  werden  die  Cholesteatome  erst  nach  dem  Tode  diagnosticirt, 
denn  selbst  bei  den  ausgedehntesten  Zerstörungen  im  Inneren  des  Schläfen- 
beines werden  äussere  Anhaltspunkte  nicht  selten  völlig  vermisst. 

Prognose:  Die  Cholesteatombildungen  im  Ohre,  mögen  sie  primär  oder 
secundär  sein,  gehören  zu  den  ernsten  Erkrankungen  des  Gehörorganes;  die 
Beürtheilung  des  einzelnen  Falles  hängt  vom  Sitze  des  Tumors  und  seiner 
Grösse  ab;  am  günstigsten  ist  die  Prognose,  wenn  die  Massen  im  Recessus 
epitympanicus,  in  den  vorderen  Abschnitten  des  Antrum  und  der  Warze,  also 
in  zugänglichen  Theilen  des  Mittelohres  gelegen  sind;  aber  selbst  nach  Ent- 
fernung der  Epithelmassen,  mag  diese  spontan  oder  durch  Kunsthilfe  erfolgt 
sein,  und  nach  völliger  Beseitigung  der  bedrohlichen  Retentionserscheinungen 
muss  die  Prognose  immer  eine  vorsichtige  sein,  weil  Rückfälle  sehr 
wahrscheinlich  und  hiedurch  der  Kranke  von  dem  latenten  Fortschreiten  des 
Processes  und  seinen  bedenklichen  Folgen  bedroht  ist.  In  allen  Fällen  von 
chronischen,  fötiden  Ohreiterungen  mit  zeitweiliger  Beimengung  von  Epithel- 
schollen, wo  wir  Sitz  und  Ausdehnung  des  vermeintlichen  Cholesteatoms  gar 
nicht  kennen,  werden  wir  mit  unserer  Prognose  stets  vorsichtig  sein  müssen. 

Therapie:  Zur  Bekämpfung  der  sogenannten  Retentionssymptome, 
welche  uns  oftmals  erst  auf  die  Cholesteatom erkrankung  aufmerksam  machen, 
müssen  die  Epithelialmassen  so  bald  als  möglich  aus  dem  Ohre  entfernt 
werden;  bei  genügend  grosser  Trommelfellperforation  oder  bei  weiter  Fistel- 
öffnung im  äusseren  Gehörcanale  gelingt  dies  manchmal  durch  einfache  des- 
inficirende  Einspritzungen;  zu  kleine  Perforationen  müssen  erweitert,  Granu- 
lome abgetragen  werden.  Liegen  die  Epithelmassen  etwas  tief  in  der  betreffen- 
den Höhle,    so  müssen    wir  dieselben   vorsichtig  mit  der  gekrümmten  Sonde 


92  CHOLESTEATOM. 

oder  einem  kleinen,  scharfen  Ohrlöifel  herausholen.  Zur  vollständigen  Ent- 
leerung und  zum  reinigenden  Ausspritzen  des  Recessus  epitympanicus,  des 
Antrum  u.  s.  w.  wendet  man  am  besten  das  Paukenhöhlenröhrchen  von 
Hartmann  an,  ein  dünnes,  gekrümmtes,  Metallröhrchen,  das  in  die  kleine 
Knochenhöhle  eingeführt  wird  und  vermittelst  dessen  antiseptische  Flüssig- 
keiten eingespritzt  werden  und  direct  auf  die  noch  zurückgebliebenen  Massen 
und  auf  die  Höhlenwandung  einwirken.  Sind  die  Epithelmassen  gründlich 
entfernt,  so  hören  die  Retentionserscheinungen  auf. 

Zur  Verhütung  von  Recidiven  und  speciell  gegen  die  Wiederbildung  ähn- 
licher Epidermismassen  müssen  die  zugänglichen  Cholesteatomhöhlen  —  nach 
vorangegangener  Einträufelung  einer  lO^/oig^n  Cocainlösung  —  mit  einem 
kleinen,  scharfen  Löffel  vorsichtig  ausgekratzt  und  dann  die  Wandungen  mit 
CrOg  geätzt  werden;  es  muss  dies  Verfahren  in  10 — 14tägigen  Intervallen 
mehrere  Male  wiederholt  werden,  bis  man  alles  Krankhafte  entfernt  zu  haben 
glaubt;  in  der  Fistelöffnung  der  Membrana  Shrapnelli,  also  beim  Choleste- 
atom des  Recessus  epitympanicus,  bleibt  alsdann  eine  narbige,  feste  Verwachsung 
des  ganzen  oberen  Trommelfellsegmentes  mit  dem  Grunde  der  Knochenhöhle 
zurück. 

Bezold  u.  a.  blasen  nach  genügender  Ausräumung  des  Recessus  epitym- 
panicus u.  s.  w.  Bor-  oder  Jodoformpulver  in  die  betreffenden  Höhlen  ein  und 
wollen  bei  langer  Anwendung  dieser  Mittel  Vernarbung  und  Heilung  gesehen 
haben. 

Ist  die  Geschwulstbildung  eine  ausgedehntere,  hat  die  Tumormasse  den 
Warzenfortsatz,  sei  es  nach  aussen  oder  nach  dem  Meatus  externus  durch- 
brochen, oder  haben  wir  bei  fötiden  Ohreiterungen  in  der  häufigen  Beimen- 
gung von  EpidermisschoUen  gegründete  Ursache  zur  Annahme  eines  Ohr- 
cholesteatoms  oder  endlich,  liegen  bedrohliche  Erscheinungen  vor,  die  auf 
eine  beginnende  Sinuserkrankung  oder  eine  intracranielle  Affection  hinweisen, 
so  darf  mit  der  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  nicht  gezögert  werden,  um 
das  Cholesteatom  aufzusuchen  und  zu  entfernen;  zu  gleicher  Zeit  muss  in  die- 
sen Fällen  die  Paukenhöhle  breit  und  ausgiebig  in  allen  jenen  Theilen  frei- 
gelegt werden,  v;o  sich  solche  epitheliale  Massen  bilden  können.  Nach  voll- 
ständiger Entfernung  der  letzteren  muss  dann  die  dermoide  Auskleidung  der 
ganzen  Knochenhöhle  so  vollständig  als  möglich  mit  dem  scharfen  Löffel 
ausgekratzt  werden;  Zaufal  will  sie  sogar  mit  dem  PACQUELiN'schen  Bren- 
ner zerstört  wissen. 

Bei  der  fortdauernden  Neigung  zu  neuer  Epidermisbildung  an  den 
Knochenhöhlenwänden  ist  meist  eine  sehr  lange  Nachbehandlung  noth wendig; 
man  muss  deshalb  bei  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  dessen  äussere  Knochen- 
decke in  grosser  Ausdehnung  abtragen,  um  so  den  Wundverlauf  in  der  aus- 
gedehnten Höhle  gut  überwachen  zu  können;  die  grosse  Oeffnung  gestattet 
es,  die  sich  fortwährend  neu  bildenden  Epidermislamellen  zu  entfernen  und 
deren  Ansammlungen  vorzubeugen. 

In  den  letzten  Jahren  sind  zur  Heilung  des  Cholesteatoms  von  KtiSTEP., 
Zaufal,  Stacke,  Koernee  und  Siebenmann  verschieden  modificirte  Operations- 
verfahren bei  der  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  und  der  Freilegung  der 
Mittelohrräume  angegeben  worden,  die  geeignet  sind,  einestheils  die  Choleste- 
atommassen, wie  auch  die  hiebei  erkrankten  Knochentheile  so  gründlich  als 
möglich  zu  entfernen,  anderentheils  soll  durch  Transplantirung  von  Hautlappen 
aus  der  Umgebung  der  Warze  oder  der  Auskleidung  des  Gehörcanales  das 
raschere  Ueberwachsen  der  Wundhöhle  mit  normaler  Cutis  erzielt  und  hie- 
durch  die  Reproduction  von  Cholesteatomlamellen  verhindert  werden.  Es  muss 
hiebei  die  hintere  und  theilweise  auch  die  obere,  knöcherne  Gehörcanalwand 
abgeraeisselt,  der  Recessus  epitympanicus  und  die  Pauke  vollständig  freigelegt 
und  die  Cutis  der  ganzen,  hinteren  Meatuswand  in  die  Höhle  eingeheilt  wer- 


CORYZA.  93 

den.  Wir  köoneii  dabei  die  äussere  Warzenwunde  offen  erhalten  oder  auch 
schliessen;  im  letzteren  Falle  haben  wir  eine  grosse  Höhle,  Warze  und 
Paukenhöhle,  die  breit  in  den  Gehörgang  mündet;  neue  Ansammlungen  cho- 
lesteatomatöser  Massen  in  dieser  grossen  Mittelohrhöhle  lassen  sich  durch  den 
breiten  äusseren  Meatus  gut  erkennen  und  gut  entfernen.  Durch  den  Ver- 
schluss der  äusseren  Warzenwunde  ersparen  wir  dem  Kranken  die  recht 
missliche  Verunstaltung  einer  grossen  Knochenöttnung  hinter  dem  Ohre.  — 
Bleibt  eine  grosse  äussere  Oeff^nung  an  der  hinteren  Warzenfläche,  so  müssen 
wir  dieselbe  durch  eine  entsprechend  grosse,  leicht  federnde  Hartkautschuk- 
pelotte  gegen  äussere  Schädlichkeiten  schützen.  kühn. 

Coryza.  (Schnupfen.)  Die  Disposition  zum  Schnupfen'")  ist  so  all- 
gemein, dass  ihn  wohl  jedermann  aus  eigener  Erfahrung  kennt.  Aber  es 
ist  bekannt,  dass  in  dieser  Beziehung  grosse  Unterschiede  existiren.  Ab- 
gehärtete, wetterfeste  Gesellen  werden  schwerer  befallen,  als  verzärtelte  und 
verweichlichte  Individuen. 

Fast  immer  kann  man  eine  Gelegenheitsursache  feststellen,  woran 
sich  die  Krankheit  knüpft  (Erkältung,  Durchnässung,  Stehen  auf  kaltem  Boden, 
plötzlichen  Zugwind  u.  a.).  Bald  darauf  kündigt  sich  die  Nasenaöection  durch 
mehrmaliges  heftiges  Niesen  an,  das  sich  auch  im  weiteren  Verlaufe  häutig 
wiederholt.  Die  Nase  verlegt  sich,  ein  reichliches,  wässeriges,  beizendes  Secret 
beginnt  unaufhörlich  herauszuträufeln,  ein  dumpfes  Gefühl  im  Kopfe,  Druck 
und  Schmerzen  über  der  Stirn  zeigen  die  Betheiligung  der  Nebenhöhlen  an. 
Dazu  gesellen  sich  Mattigkeit,  Denkfaulheit,  Appetitlosigkeit,  Frösteln,  Krank- 
heitsgefühl und  Verlust  des  Geruches.  Die  Ausbreitung  des  Processes  auf 
die  Thränenwege  gibt  sich  durch  Thränenträufeln  und  Röthung  der  Binde- 
häute kund. 

In  diesem  Stadium  findet  man  die  Haut  des  Naseneinganges  geröthet  und 
geschwollen,  die  Nase  im  unteren  Theil  aufgedunsen.  Zuweilen  ist  die  Epi- 
dermis an  den  Nasenlöchern  macerirt  und  rissig.  Die  Schleimhaut  ist  allent- 
halben stark  geschwollen  bis  zur  gegenseitigen  Berührung  der  gegenüberliegen- 
den Flächen.  Die  Schwellung  fühlt  sich  teigig  an  und  geht  nach  Cocaini- 
siruug  (s.  d.  Artikel:  Diagnose  der  Nasenkrankheiten)  bedeutend  zurück.  Oft  ver- 
schwindet sie  infolge  der  psychischen  Erregung  während  oder  kurz  vor  der 
Untersuchung.  Das  Secret  ist  rein  wässerig,  so  dass  nach  dem  Eintrocknen 
im  Taschentuche  fast  gar  keine  Spuren  zurückbleiben.  Das  Mikroskop  lässt 
darin  wenig  morphologische  Bestandtheile  (Leukocyten,  rothe  Blutzellen, 
Epithelien)  erkennen. 

In  den  nächsten  Tagen  wird  das  Secret  zuerst  mehr  schleimig,  faden- 
ziehend, dann  durch  reichlichere  Beimengung  zelliger  Elemente  schleimig- 
eiterig. Allmählich  lässt  auch  die  Schleimhautschwellung  nach  und  mit  ihr 
verschwinden  die  übrigen  Belästigungen.  Das  Secret  vermindert  sich,  ver- 
siegt nach  und  nach,  und  in  etwa  1  Woche  pflegt  die  Erkrankung  abgelaufen 
zu  sein. 

Von  dem  skizzirten  Durchschnittsbilde  der  Coryza  gibt  es  zahlreiche 
Abweichungen.  Eines  oder  das  andere  Symptom  kann  stärker  hervortreten, 
aber  auch  geringer  sein  oder  ganz  fehlen.  Die  Allgemeinstörungen  sind  zu- 
weilen wenig  ausgebildet,  in  anderen  Fällen  aber  so  heftig,  dass  die  Patienten 
zu  jeder  Thätigkeit  unfähig  sind  und  sehnsüchtig  das  Ende  ihrer  Qualen  er- 
warten. 

Complicationen.  Dass  die  Schleimhäute  der  Nebenhöhlen,  der 
Thränenwege  und  der  Conjunctiva  in  der  Regel  mit  erkranken,  haben  wir  be- 
reits gesagt.  Ganz  gewöhnlich  erstreckt  sich  der  Katarrh  auf  den  Nasopharynx, 


*)  Vergl.  auch  Artikel  ^Rhinitis"'  in  diesem  Bande. 


94  CORYZA. 

WO  er  eine  starke  Anschwellung  der  Rachenmandel  hervorruft;  häufig  auch 
auf  die  tieferliegenden  Partien  des  Schlundes,  den  Larynx,  die  Trachea, 
den  Bronchialbaum.  Eine  sehr  unangenehme  Complication  bildet  die  con- 
secutive  Erkrankung  der  Tube  und  des  Mittelohres. 

Verlauf  und  Ausgang.  Zuweilen  zieht  sich  das  Stadium  der  schlei- 
mig-eitrigen Secretion  über  mehrere  Wochen  in  die  Länge.  Gewöhnlich  ist 
der  Ausgang  aber  auch  dann  günstig:  es  erfolgt  vollkommene  Restitutio  ad 
integrum  sämmtliclier  ergriffenen  Theile.  Sehr  selten  tritt  das  fatale  Ereignis 
ein,  dass  der  Geruch  nach  einem  heftigen  Schnupfen  nicht  mehr  wiederkehrt 
und  unrettbar  verloren  bleibt,  weil  die  Riechzellen  zugrunde  gegangen  sind. 
Zuweilen  überdauert  die  Erkrankung  der  einen  oder  der  anderen  Nebenhöhle 
den  Katarrh  der  Nasenhöhle  und  führt,  wenn  nicht  doch  noch  nachträglich 
Spontanheilung  eintritt,  zur  chronischen  Eiterung. 

Aetiologie.  Die  zahlreichen  Versuche,  des  hypothetischen  Bacteriums 
der  Coryza  habhaft  zu  werden,  haben  bis  jetzt  zu  keinem  Resultate  geführt. 
Trotzdem  dürfen  wir  nicht  daran  zweifeln,  dass  die  Coryza  eine  infectiöse 
Erkrankung  ist.  Man  nimmt  ferner  ganz  allgemein  an,  dass  der  Schnupfen 
direct  übertragbar  sei  (durch  Taschentücher,  beim  Küssen  etc.).  Dagegen 
haben  Uebertragungsversuche  bis  jetzt  negative  Resultate  ergeben. 

Therapie.  Eine  causale  Therapie  der  Coryza  kennen  wir  bis  jetzt 
nicht.  Sämmtliche  Versuche,  die  Krankheit  zu  coupiren,  sind  gescheitert,  und 
die  zahlreichen  Mittel  und  Mittelchen,  die  dagegen  angepriesen  sind,  haben 
sich  immer  nur  ephemerer  Beliebtheit  zu  erfreuen  gehabt.  Die  ganz  richtige 
Vorstellung,  dass  der  Schnupfen  seine  Zeit  andauern  müsse,  ist  auch  so  ver- 
breitet, dass  wenige  Schnupfenkranke  den  Arzt  aufsuchen,  um  von  ihrem 
Schnupfen  befreit  za  werden. 

Wenn  wir  aber  auch  die  Krankheit  nicht  direct  beeinflussen  können,  so 
können  wir  doch  dem  Kranken  nützen,  indem  wir  symptomatisch  seine  Be- 
schwerden lindern  und  ihn  vor  schädlichen  Complication en  nach  Möglichkeit 
bewahren.  Dazu  dienen  folgende  Verordnungen:  Um  dem  äusserst  lästigen 
Ekzem  des  Introitus  nasi  vorzubeugen,  lassen  wir  den  Kranken,  sobald  die 
Secretion  im  Gange  ist,  den  Naseneingang  mit  einem  indiflerenten,  reinen 
Fett  (Dr.  Geafs  Boroglycerin,  Borsalbe,  Cold-cream  u.  ä.)  bedecken.  Die  Decke 
soll  wo  möglich  ununterbrochen  darauf  bleiben  oder  sogleich  erneuert  werden, 
wenn  sie  verloren  geht,  wie  es  z.  B.  beim  Putzen  der  Nase  geschieht.  Zum 
Einsalben  benutzt  der  Patient  die  wohlgereinigte  Kuppe  des  kleinen  Fingers. 

Von  den  Belästigungen  der  Nasenverstopfung  können  wir  den  Patienten 
wenigstens  zeitweilig  befreien,  wenn  wir  ihn  vielleicht  4  mal  täglich  eine 
schtvache  Cocainlösung  (1 :  100)  auf  die  Schleimhaut  zerstäuben  oder  pinseln 
oder  ein  Pulver  von  Cocaini  mur.,  MenthoU  m  O'l,  Sacch.  lad.  lO'O  aufblasen 
lassen.  Sehr  häufig  wird  dadurch  nicht  allein  die  Nase  frei,  sondern  es  lässt 
auch  der  Kopfdruck  nach,  vermuthlich  weil  die  Nebenhöhlenostien  frei  werden. 
Einen  ähnlichen  Erfolg  haben  bei  manchen  Patienten  Streichungen,  die  vom 
Nasenrücken  im  Bogen  über  die  Wangen  ausgeführt  werden,  entlang  dem  Ver- 
laufe der  Lymphwege.  ~  Man  warne  den  Kranken  vor  heftigem  und  unzweck- 
mässigem Schneuzen,  weil  hiedurch  Mittelohrinfectionen  begünstigt  werden. 
Die  richtige  Art,  sich  zu  schneuzen,  ist,  worauf  schon  A.  v.  Tröltsch  hinge- 
wiesen hat,  das  Schneuzen  k  la  paysan.  Es  wird  dabei  ein  Nasenloch 
zugehalten  und  durch  das  andere  ausgeblasen.  Die  Kranken  haben  sich  zu 
schonen,  vor  Erkältung  und  schlechter  Luft  inacht  zu  nehmen.  Bei  stärkeren 
Allgemeinstörungen  haben  sie  das  Zimmer  zu  hüten,  bei  sehr  heftigen  fühlen 
sie  sich  unter  einer  warmen  Wolldecke  oder  im  Bett  am  wohlsten.  Sehr 
nützlich  erweist  sich  auch  die  Hervorrufung  eines  ordentlichen  Schweisses 
dadurch,    dass  man  den  Patienten  einige  Tassen  heissen  Thees  trinken  lässt 


CYSTEN  IM  KEHLKOPFE.  95 

und  ihn  darnach  in  wollene  Decken  packt.  Sämmtliche  Beschwerden  pflegen 
dann  beträchtlich   zurückzugehen. 

BßESGEN  hat  eine  Verminderung  der  Beschwerden  nach  der  Darreichung 
von  Apomorphin  gesehen  (0  005~(r01,  .'j—4mal  täglich  in  Pillen  oder  in 
Lösung).  Derselbe  verordnet  gegen  die  Kopfschmerzen  Phenacetin,  '.imal 
täglich  1  g. 

Zieht  sich  das  Stadium  der  schleimig-eitrigen  Secretion  in  die  Länge, 
so  empfiehlt  C.  Michel  Einblasungen  von  Argent.  nitric.  l-Q  :  20'0  Talcum, 
die  zweckmässig  vom  Nasenrachenraum  aus  mit  einem  entsprechend  gekrümm- 
ten Köhrchen  ausgeführt  werden.  Nach  der  Einblasung  bekommen  manche 
Patienten  für  kurze  Augenblicke  Kopfschmerz,  Thränenfluss,  Niesen.  Eine 
ein-  bis  zweimalige  Wiederholung  der  Einblasung  am  ersten  oder  dritten  Tage 
soll  genügen,  um  die  Secretion  zur  Norm  zurückzuführen. 

ZARNIKO. 

Cysten  im  Kehlkopfe.  Die  Cysten  sind  sehr  selten.  Doch  konnten 
schon  MouKE  und  Cervesato  bis  1883  170  Fälle  zusammenstellen,  Schwarz 
1886  133  Fälle,  von  denen  67  ausserhalb  und  66  innerhalb  der  Larynxhöhle 
lagen.  61  davon  sassen  an  der  Epiglottis  und  48  an  den  wahren  Stimm- 
bändern. Unter  meinen  8000  an  Kehlkopf-Krankheiten  leidenden  Patienten 
fand  ich  nur  7mal  Cysten,  also  circa  37o  der  gutartigen  Neubildungen. 

Aetiologie.  Am  häufigsten  entstehen  sie  durch  Ausdehnung  von 
Schleimdrüsen  nach  Verschluss  des  Ausführungsganges.  Dieser  Verschluss 
ist  gefolgt  von  Retention  des  Secretes,  welche  dann  zur  Entartung  der  Acini 
und  ganzer  Drüsenträubchen  führt.  Solche  Cysten  finden  sich  natürlich  dort 
am  häufigsten,  wo  die  meisten  Drüsen  vorkommen,  also  an  der  Epiglottis 
(Fig.)  in  der  Gegend  des  Ventrikels  und  an  den  ary-epiglottischen  Falten. 

Endlich  kommen  Cysten  noch  häufig  am 
freien  Rande  der  Stimmbänder  vor,  und  zwar  in 
Form  einer  grauen,  spindelförmigen  Anschwel- 
lung. Beim  Einstechen  oder  Zerreissen  dieser 
Anschwellung  entleert  sich  ein  Tropfen  klarer 
Flüssigkeit,  und  die  entfernte  Wand  zeigt  sich 
als  feines  Häutchen.  Diese  Cysten  am  Stimm- 
bandrande entstehen  entweder  durch  seröse  An- 
sammlung in  den  oberflächlichen  Schichten  des 
Bindegewebes  oder  zwischen  demselben  und  dem 
Epithele  und  nur  in  ganz  seltenen  Fällen  durch  Cyste  der  Epiglottis. 

Ausdehnung  von  Drüsen-Schläuchen,  welche  aus- 
nahmsweise bis  an  den  freien  Rand  vordringen.  Diese  Stimmbandcysten  sind 
gew^öhnlich  sehr  klein;  dagegen  entsteht  öfters  cystische  Degeneration  in  den 
sogenannten  weichen  Fibromen  der  Stimmbänder,  welche  dann  auch  schliesslich 
zu  einem  makroskopisch  als  Cyste  anzusprechenden  Tumor  sich  umbilden 
können. 

Die  Cysten  erscheinen  bei  Besichtigung  mit  dem  Kehlkopf-Spiegel  als 
rundliche,  öfters  durchscheinende,  graue  Gebilde,  deren  Oberfläche  von  ein- 
zelnen feinen  Gelassen  durchzogen  ist.  Manchmal  haben  sie  eine  gelbe  Farbe, 
wenn  sie  Atherombrei  mit  Cholestearin  enthalten  (sehr  seltene  Fälle.)  An  der 
Epiglottis  kommen  sie  sogar  gestielt  vor.  Die  Cysten  an  den  Stimmbändern 
wurden  schon  beschrieben.  Unter  dem  Mikroskop  kann  man  constatiren,  dass  die 
Cystenwand  aus  feinfaserigem  Gewebe  besteht,  welches  innen  mit  Epithel  oder 
Endothel  bekleidet  ist.  Der  Inhalt  ist  meist  wässerig  klar,  öfters  aber  auch 
schleimig.  Bei  den  cystisch  degenerirten  sogenannten  Fibromen  findet  man 
als  Inhalt  der  Hohlräume  eine  seröse  Flüssigkeit.  Die  Symptome  sind 
meist  sehr  unbedeutend,  können  aber  bei  Localisation  an  den  Stimmbändern 


96  DIAGNOSTIK  DER  NASENKRANKHEITEN. 

oder  bei  bedeutender  Grösse  sich  als  Heiserkeit  oder  Behinderung  des  Athmens 
bemerkbar  machen.  Die  Diagnose  ist  nach  dem  früher  Gesagten  leicht. 
Verwechselt  könnten  sie  höchstens  werden  mit  den  sogenannten  Schleimpolypen, 
namentlich  dann,  wenn  sie  an  den  Stimmbändern  sitzen.  Die  sogenannten 
Schleimpolypen  der  Stimmbänder,  welche  nichts  anderes  als  stark  serös  durch- 
tränkte Hypertrophien  der  oberflächlichen  Stimmband-Antheile  sind,  sind  näm- 
lich ebenfalls  sehr  häufig  grau,  länglich  oder  spindelförmig  und  durch- 
scheinend. Sie  nehmen  aber  fast  immer  einen  grossen  Theil  des  Stimmband- 
randes ein,  während  die  eigentlichen  Cysten  ganz  kleine,  spindelförmige  Ge- 
schwülste sind.  Uebrigens  besteht  ein  wesentlicher  Unterschied  zwischen 
beiden  Formen  nicht,  da  auch  aus  einem  sogenannten  weichen  Fibrome  durch 
Erweichung  endlich  eine  wirkliche  Cyste  entstehen  kann.  Uebergangsformen 
zwischen  Fibrom  und  Cysten  sind  daher  sehr  häufig.  Die  Therapie. wird 
sich  nur  damit  beschäftigen,  solche  Cysten  zu  entfernen,  welche  Stimm-  oder 
Athmungsstörungen  verursachen  oder  Neigung  zum  Wachsthum  zeigen.  Die 
gestielten  werden  natürlich  durch  Abschneiden  des  Stieles  in  toto  exstirpirt. 
Die  ganz  kleinen,  spindelförmigen,  am  Rande  des  Stimmbandes  sitzenden 
werden  entweder  mit  dem  Kehlkopf-Messer  durchstochen  oder  mit  der  Pin- 
cette  abgetrennt.  Breit  aufsitzende,  grosse  oder  in  das  Gew^ebe  tief  ein- 
gebettete können  manchmal  endolaryngeal  nicht  vollständig  exstirpirt  werden. 
Häufig  genügt  bei  ihnen  die  einfache  Function.  Manchmal  ist  es  nothw^endig, 
in  die  wieder  gefüllte  Cyste  eine  Einspritzung  von  Jodlösung  zu  machen. 

Manchmal  musste  man  den  ganzen  Sack  spalten  und  seine  Innen^vand 
auskratzen  oder  ätzen.  Die  Exstirpation  eines  tief  in  das  Gewebe  eingebette- 
ten Cystensackes  dürfte  dagegen  sehr  schwer  endolaryngeal  durchzuführen 
sein.  Cysten  an  der  oberen  Fläche  des  Kehldeckels  können  gelegentlich  direct 
vom  Munde  her  gesehen  und  operirt  werden,  sei  es,  indem  man  um  sie  eine 
galvanische  Schlinge  legt,  oder  indem  man  sie  mit  einer  Pincette  nach  oben 
zieht  und  dann  abschneidet.     Recidiven  beobachtet  man  selten.        chiari. 

Diagnostik  der  Nasenkrankheiten.    Bevor  wir  zur  Erhebung  der 

Anamnese  schreiten,  betrachten  wir  den  Gesammthabitus  des  Patienten,  seine 
Miene,  seinen  Gesichtsausdruck.  Während  er  uns  über  seine  Beschwerden 
berichtet,  merken  wir  auf  etwaige  Sprachanomalien.  Deshalb  unterlassen  wir  es 
nicht,  an  Kinder,  für  die  ja  die  Begleiter  gewöhnlich  das  Wort  führen,  einige 
Fragen  zu  richten.  Solche  Fragen  bringen,  wenn  sie  dem  kindlichen  Begriffs- 
vermögen und  Gedankeninhalt  tactvoll  angepasst  sind,  ausserdem  den  Vor- 
theil,  dass  die  Kleinen  zutraulicher  werden  und  sich  die  weitere  Untersuchung 
mit  w^eniger  Widerstreben  gefallen  lassen. 

Wir  schreiten  jetzt  zur  Rhino scopia  anterior,  mit  der  wir  sogleich 
die  Sondenuntersuchung  verbinden.  Oft  folgt  darauf  die  Rhino  scopia 
posterior.  Inspection  des  Naseninnern  und  Sondenpalpation 
sind  die  allerwichtigsten  Untersuchungsmethoden,  und  ohne  dass  man  sie  beide 
ausgeübt  hat,  wird  man  eine  Nasenuntersuchung  nur  ganz  ausnahmsweise  für 
beendigt  erklären  können.  Sehr  häufig  sehen  wir  uns  veranlasst,  der  Sonden- 
untersuchung die  Cocain isirung  voranzuschicken.  Zuweilen  schliesst 
sich  daran  die  functionelle  Prüfung,  die  Prüfung  mit  dem  Geruch 
und  in  besonderen  Fällen  endlich  die  Probepunction,  die  mikrosko- 
pische und  die  bacteriologische  Exploration.") 

Gar  oft  wird  sich  im  Verlaufe  der  Untersuchung  die  Nothwendigkeit 
ergeben,  noch  anderen  Organen  unsere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  besonders 
den  Ohren,  der  Mundhöhle,  dem  Rachen,  dem  Kehlkopf  und  den 
Brustorganen. 


*)  Vergl.  Artikel  „Untersuchung  der  iVase"  in  ds,  Bd. 


DIAGNOSTIK  DER  OHRENKRANKHEITEN.  97 

Zuweilen  können  wir  trotz  aller  Sorgfalt  und  Mühe  nicht  sogleich  zu 
einer  sicheren  Entscheidung  gelangen.  Diese  ergibt  sich  vielmehr  erst  aus 
dem  weiteren  Krankheitsverlauf,  insbesondere  aus  dorn  Erfolg  unserer  Therapie 
(Diagnose  ex  juvantibus). 

Ein  paar  besondere  Bemerkungen  erfordert  die  Nasenuntersuchung 
der  Kinder.  Man  kann  wohl  behaupten,  dass  sie  zu  den  schwierigsten 
Untersuchungen  überhaupt  gehört.  Wir  haben  es  ja  bei  kindlichen  Nasen  mit 
ausserordentlich  engen  Räumen  zu  thun,  die  ein  sehr  genaues  Sehen  erfordern. 
Wir  müssen  dazu  die  Bangigkeit  der  kleinen  Patienten  und  häutig  genug  die 
von  thörichten  Eltern  und  Tanten  eingeredete  Furcht  vor  dem  Doctor  und 
vor  den  Instrumenten  überwinden,  oft  auch  angeborene  oder  anerzogene  Störrig- 
keit  und  Ungezogenheit.  Zu  allem  dem  gehört  Geduld,  unendliche  Geduld, 
gepaart  mit  ruhigem  und  gütigem,  festem  und  bestimmtem  Auftreten.  Der 
Arzt  muss  den  Gedanken  ganz  ablegen,  dass  er  von  einem  Kinde,  und  sei  es 
noch  so  ungezogen,  geärgert  oder  beleidigt  werden  könne.  Man  muss  mit  dem 
Kinde  spielen,  wie  der  Löwe  mit  der  Maus.  Niemals  darf  sich  der  Arzt  zu 
Züchtigungen  hinreissen  lassen.  Er  ist  von  dem  Augenblick  an  verloren  und 
kann  die  weitere  Behandlung  ruhig  aufgeben. 

Kinder  dürfen  nie  zu  lange  untersucht  werden,  denn  sie  sind  viel  leichter 
missmuthig  und  theilnahmslos  als  Erwachsene.  Sie  haben  ja  meist  keinen 
Begriff  davon,  weswegen  sie  sich  den  Unannehmlichkeiten  der  Untersuchung 
überhaupt  zu  unterziehen  haben.  Man  wird  sich  deshalb  das  erste  Mal  oft  damit 
begnügen,  einen  allgemeinen  Ueberblick  gewonnen  und  den  kleinen  Patienten 
die  Harmlosigkeit  der  Untersuchungsinstrumente  zu  Gemüthe  geführt  zu  haben. 
Damit  ist  viel  erreicht,  und  das  zweite  oder  dritte  Mal  kommt  man  in  der 
Regel  vollkommen  zum  Ziele.  In  solchen  Fällen  muss  das  Cito  hinter  dem 
Tuto  und  Jucunde  zurückstehen.  zarniko. 

Diagnostik  der  Ohrenkrankheiten.  Die  Ohrenkrankheiten  lassen 
sich  in  anatomischer  Beziehung  eintheilen  in  solche  des  äusseren  Ohres 
(Ohrmuschel  und  äusserer  Gehörgang),  des  Trommelfelles,  des  Mittel- 
ohres (Paukenhöhle,  Tube,  Warzenfortsatz  und  übrige  Nebenräume)  und  des 
inneren  Ohres  (des  Labyrinthes,  Acusticusstammes  und  der  Hörcentren). 
Vom  physiologischen  Standpunkte  unterscheidet  man  Krankheiten  des 
schalleitenden  Apparates  von  solchen  des  schallempfindenden 
Apparates;  zu  letzterem  gehören  bekanntlich  sämmtliche  medianwärts  von 
den  Labyrinthfenstern  gelegenen  Gebilde,  welche  dem  Gehörsinne  dienen. 

Während  die  Diagnose  der  Erkrankungen  des  schalleitenden  Apparates 
im  allgemeinen  keine  Schwierigkeiten  bereitet,  so  lange  sie  deutlich  wahr- 
nehmbare, objective  Veränderungen  darbieten,  ist  die  Aufgabe  der  Unter- 
suchung oft  eine  sehr  verwickelte,  wenn  subjective  Krankheitserscheinungen 
bestehen,  für  welche  der  unbestimmte  oder  negative  Befund  keine  Erklärung 
liefert.  Dies  gilt  nicht  allein  von  den  isolirten  Affectionen  des  percipirenden 
Apparates,  sondern  auch  ganz  besonders  von  denjenigen  zahlreichen  Fällen, 
in  welchen  die  Krankheit  sich  auf  beide  Abschnitte,  den  Leitungs-  und 
Empfindungsapparat,  ausgedehnt  hat.  Die  differentielle  Diagnostik  hat  sich 
zwar  langsam  fortschreitend  entwickelt,  allein  es  bleiben  doch,  zumal  bei  den 
complicirten  Processen,  noch  mancherlei  Erscheinungen  zweideutig  oder  un- 
erklärt. 

Was  die  Bezeichnung  der  Ohraffectionen  anbelangt,  so  erfolgt 
dieselbe,  soweit  Entzündungsvorgänge  in  Frage  kommen,  unter  Zugrunde- 
legung der  anatomischen  Abschnitte  des  Gehörorganes,  und  wir  unterscheiden 
demnach  eine  Otitis  externa,  Myringitis,  Otitis  media,  Otitis 
interna.  Zur  genaueren  Kennzeichnung  des  bestehenden  pathologischen 
Processes    wird    dieser    allgemeinen  Angabe    über    den  Sitz    des  Leidens  ein 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  ' 


98  DIA.GNOSTIK  DER  OHRENKRANKHEITEN. 

specieller  Ausdruck  hinzugefügt,  z.  B.eine  Otitis  externa  haemorrhagica  von 
einer  Otitis  externa  desquamativa,  eine  Otitis  media  simplex  von  einer  Otitis 
media  purulenta  unterschieden.  Freilich  ist  diese  Nomenclatur  nicht  nach 
allen  Richtungen  befriedigend,  und  auch  wenn  man  den  Sitz  des  Leidens  in 
manchen  Fällen  noch  etwas  bestimmter  ausdrückt,  wie  es  durch  die  in  das 
Gebiet  der  Otitis  media  fallenden  Bezeichnungen  Salpingitis,  Tympanitis, 
Mastoiditis  geschieht,  so  leidet  doch  auch  noch  die  Benennung  der  patho- 
logischen Vorgänge  an  einer  beträchtlichen  Unbestimmtheit,  indem  dieselbe, 
wenn  sie  oft  auch  klinisch  vollkommen  abgegrenzten  Begriffen  entspricht, 
anatomisch  nur  wenig  von  einander  verschiedene  Processe  von  einander  trennt. 
So  fehlt  es  z.  B.  oft  an  ausdrücklichen  anatomischen  Unterscheidungsmerk- 
malen zwischen  der  Otitis  media  suppurativa  und  der  Otitis  media  simplex, 
da  beide  klinisch  meist  sehr  bestimmt  auseinander  zu  haltenden  Affectionen 
vollkommen  gleiche  Sectionsbefunde  darbieten  können. 

Man  hofft,  dass  mit  der  Zeit  die  Bacteriologie  diese  Uebelstände 
wird  vermindern  helfen;  allein  mit  unseren  heutigen  Erfahrungen  über  die 
Mikroorganismen  und  ihre  pathogenen  Eigenschaften  ist  dies  noch  bei  weitem 
nicht  möglich,  und  es  muss  bei  der  bestehenden  Neigung  zu  einer  sanguini- 
schen Verwertung  bacteriologischer  Befunde  nachdrücklich  vor  voreiligen 
Schlüssen  gewarnt  werden. 

Diagnostische  üebersicht  über  die  Erkrankungen  des  Gehörorganes. 

Aeusseres  Ohr. 

Für  die  Diagnose  der  Erkrankungen  des  äusseren  Ohres  genügt  in  vie- 
len Fällen  die  Inspection;  doch  muss  sehr  häufig  auch  die  Palpation 
und  die  Sondirung  zu  Hilfe  genommen  werden.  Die  Functionsprüfung  ist 
als  diagnostisches  Mittel  hier  von  untergeordneter  Bedeutung.  In  vielen 
Fällen  wird  die  Anamnese,  in  anderen  der  Verlauf  der  Krankheit  für 
die  differentielle  Bestimmung  zu  verwerten  sein. 

a)  Ohrmuschel. 

Die  an  der  Ohrmuschel  sich  abspielenden  Krankheitsprocesse  sind,  von 
den  Entwicklungsanomalien  abgesehen,  in  Circulationsstörungen,  Entzündungs- 
vorgänge, Neubildungen  zu  theilen.  Im  allgemeinen  finden  sich  hier  die- 
selben Erkrankungsformen  wie  an  anderen  mit  Haut  bekleideten  Körperstellen, 
und  der  Verlauf  dieser  Hautaffectionen  hat  auch  kaum  etwas  Specifisches.  Durch 
den  Umstand,  dass  die  Grundlage  der  Ohrmuschel  aus  Knorpel  besteht,  wird 
das  Auftreten  anderer  pathologischer  Vorgänge  begünstigt,  welche,  wie  das 
Othämatom,  die  Perichondritis,  dem  Knorpelgewebe  eigenthümlich  sind. 

a)  Bildungsanomalien.  Die  Bildungsdefecte  und  Bildungsexcesse 
der  Ohrmuschel  sind  als  solche  fast  ausnahmslos  leicht  zu  erkennen.  Geringe 
Abweichungen  von  der  normalen  Grösse  und  Form,  namentlich  eine  weniger 
deutliche  Ausprägung  der  Erhöhungen  und  Vertiefungen,  sowie  das  Fehlen 
einzelner  kleiner  Theile  können  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  congenitalen 
Defecten  durch  Entzündungsprocesse  und  Verletzungen  bedingt  sein.  Ebenso 
kann  eine  Vergrösserung  der  Muschel  oder  einzelner  Theile  (Lobulus)  durch 
extrauterine  Vorgänge,  wie  Ekzem,  Lupus,  erworben  sein.  Spaltbildungen  im 
Lobulus  kommen  infolge  mangelhafter  Entwicklung,  häufiger  aber  in  der- 
selben Gestalt  durch  das  gewaltsame  Ausreissen  von  Ohrringen  zustande. 
Die  Anamnese   wird  hierüber  in   zweifelhaften  Fällen  Aufschluss  verschaffen. 

ß)  Circulationsstörungen.  Nicht  immer  ganz  klar  ist  die  Dia- 
gnose des  Othämatom  s,  zumal  wenn  dasselbe  nicht  traumatischen  Ur- 
sprunges ist.  Aehnliche  Anschwellungen  mit  Fluctuation  können  bei  phleg- 
monöser Entzündung   mit  Abscessbildung    und   bei    Perichondritis    des    Ohr- 


DIAGNOSTIK  DER  (jHRENKRANKHEITEN.  99 

knorpels  vorkommen.     Symptome  und  Verlauf  sind  dann  für  die  Differential- 
diagnose  maassgebend. 

y)  Entzündungsvorgänge  spielen  sich  an  der  Ohrmuschel  häufig 
ab.  Seborrhoe,  Psoriasis,  Pityriasis,  Pemphigus,  Herpes,  Ery- 
sipelas,  Syphiliden,  Lupus  sind  beschrieben  worden;  öfter  kommen 
phlegmonöse  Processe,  Verbrennungen  und  Erfrierungen,  am 
häufigsten  die  verschiedenen  Ekzem  formen  vor.  Alle  diese  Affectionen 
spielen  sich,  wie  bereits  angeführt  wurde,  im  wesentlichen  in  derselben  "Weise 
wie  an  anderen  Körpertheilen  ab  und  bieten  für  die  Diagnose  keine  örtlich 
bedingten  Schwierigkeiten.  Eine  eigenartige  Erkrankung  der  Ohrmuschel  ist 
die  Perichondritis  auriculae,  deren  Erkennung  durch  die  Anamnese 
erleichtert,  in  schwierigeren  Fällen  durch  den  Verlauf  gesichert  wird. 

o)  Die  Neubildungen,  welche  an  der  Ohrmuschel  beobachtet  werden, 
bieten  nichts  Eigenthümliches  dar;  ihre  Diagnose  ist  gerade  so  leicht  oder  so 
schwierig  wie  an  anderen  Gegenden  des  Körpers.  Die  häufiger  vorkommen- 
den sind  das  Angiom,  Fibrom,  Epitheliom;  seltener  sind  Adenom, 
Sarkom,  Papillom,  Lipom,  Enchondrom,  Gummata.  Einen  charak- 
teristischen Befund  bietet  das  aus  dem  Lobulus  herauswuchernde  Narben- 
keloid.  Verkalkungen  und  Verknöcherungen,  sowie  Einlagerungen  von  harn- 
sauren Salzen  in  den  Knorpel  sind  leicht  zu  erkennende,  nicht  eben  häufige 
Befunde. 

b)  Aeusserer  Gehörgang. 

Im  äusseren  Gehörgange  spielen  sich  neben  den  Secretionsanomalien 
vorwiegend  entzündliche  Vorgänge  ab.  Die  letzteren  werden  entweder 
nach  dem  Gewebe,  welches  sie  befallen,  bezeichnet:  Dermatitis,  Follikular- 
entzündung,  Perichondritis,  Periostitis,  Ostitis;  oder  nach  dem  Charakter  des 
pathologischen  Processes:  Ekzem,  Mykosis,  Diphtherie,  Croup  etc. 

Die  Untersuchung  des  äusseren  Gehörganges  durch  Inspection  und, 
so  oft  es  irgend  angezeigt  erscheint,  durch  die  Sondirung  ist  sehr  wichtig, 
nicht  allein  für  die  Diagnose  der  im  Ohrcanale  selbst  bestehenden  Verände- 
rungen, sondern  auch  mit  Rücksicht  auf  gewisse  Erkrankungen  des  Trommel- 
felles und  der  Paukenhöhle  und  namentlich  des  Warzenfortsatzes,  welche  nicht 
selten  zu  secundären  Störungen  im  Meatus  externus  führen.  So  deutet  z.  B. 
in  vielen  Fällen  eine  Vorwölbung  der  hinteren,  oberen  Gehörgangswand  auf 
eine  Entzündung  im  Processus  mastoideus,  eine  Krustenbildung  in  der  Tiefe 
des  Canales  auf  einen  chronischen  Eiterungsprocess  in  dem  oberen  Theile  der 
Paukenhöhle  hin. 

a)  Bildungsanomalien.  Der  einzige  häufiger  vorkommende  Bildungs- 
defect,  die  congenitale  Atresie,  ist  stets  von  dem  durch  Entzündungs- 
vorgänge erworbenen  Verschlusse  des  Gehörganges  zu  unterscheiden,  wenn, 
wie  das  als  Regel  angesehen  werden  kann,  gleichzeitig  die  Ohrmuschel  rudi- 
mentär entwickelt  ist.  Bei  gesunder  Auricula  kann  die  Bedeutung  einer 
Atresie,  wenn  nicht  die  Anamnese  zur  Stellung  der  Differentialdiagnose  ver- 
hilft, zweifelhaft  bleiben. 

ß)  Secretionsanomalien  bieten  für  die  Diagnose  im  allgemeinen 
keinerlei  Schwierigkeiten,  obwohl  es  z.  B.  bei  Vorhandensein  von  Cerumen- 
ansammlungen  auf  den  ersten  Blick  zweifelhaft  erscheinen  kann,  ob  es  sich 
um  Ohrenschmalz  oder  Blutgerinnsel  oder  Eiter  etc.  handelt.  Auch  ist  es 
nicht  immer  durch  die  blosse  Inspection  festzustellen,  ob  eine  obtuiürende 
Masse  ausschliesslich  aus  Cerumen  besteht  oder  ausserdem  durch  einen  Fremd- 
körper oder  durch  Desquamationsproducte  gebildet  wird. 

7)  Entzündungsvorgänge  sind  im  Gehörgange  in  mannigfacher 
Art  zu  beobachten.    Wir  unterscheiden  zunächst  eine  Otitis  externa  cir- 


100  DIAGNOSTIK  DER  OHRENKRANKHEITEN. 

cumscripta  von  einer  Otitis  externa  diffusa.  Der  erstere  Ausdruck 
ist  für  die  Furunkelbildung  vorbehalten,  deren  Diagnose  bei  dem  typi- 
schen Verlaufe  der  Aftection  leicht  zu  stellen  ist  und  welche  nur  bei  ganz 
oberflächlicher  Untersuchung  mit  Polypen  oder  Abscedirung  verwechselt  wer- 
den kann;  die  Sondirung  gibt  sicheren  Aufschluss.  Unter  der  Bezeichnung 
der  diffusen  Gehörgangsentzündung  werden  alle  übrigen  entzündlichen  Vor- 
gänge zusammengefasst,  deren  wichtigere  die  hämorrhagische  Form 
mit  Bildung  von  Blutblasen,  die  croupöse  und  diphtheritische  mit  der 
charakteristischen  Exsudat-  und  Geschwürsbildung,  die  parasitische,  durch 
Wucherung  von  Schimmelpilzen  (Otomykosis)  verursachte,  und  die  des- 
quamative Form  sind,  welche  letztere  zu  harten,  concentrischen  Schich- 
tungen von  Hautschollen  in  der  Tiefe  (Cholesteatom  des  Gehörganges) 
führt.  Differentialdiagnostisch  unterscheiden  sich  diese  verschiedenen  Arten 
der  Otitis  externa  diffusa  deutlich  von  einander.  Bei  der  mykotischen  Form 
wird  die  letzte  Entscheidung  durch  das  Mikroskop  zu  bewerkstelligen  sein. 

6)  Unter  den  Neubildungen  nehmen  die  E x o s t o s e n  die  erste  Stelle 
ein,  deren  Erkennung,  wenn  die  Inspection  nicht  ausreicht,  durch  die  Son- 
dirung gesichert  wird.  Polypen  entspringen,  obwohl  sie,  sobald  sie  eine  ge- 
wisse Grösse  erreichen,  ganz  vorwiegend  im  Ohrcanale  liegen,  mit  wenigen 
Ausnahmen  im  Mittelohre.    Auch  hier  entscheidet  die  Sonde. 

s)  Fremdkörper  spielen  in  keinem  Hohlräume  des  menschlichen 
Körpers  eine  so  wichtige  Rolle  wie  im  Ohrcanale.  Ihre  Diagnose  ist  stets 
leicht,  wenn  nicht  schon  vorher  unberufene  Hände  eine  entzündliche  An- 
schwellung verursacht  oder  das  Corpus  alienum  in  die  Paukenhöhle  gestossen 
haben.  In  solchen  Fällen  wird  bei  ausreichender  Uebung  die  Sonde  oft  Auf- 
schluss verschaffen,  doch  kann  man,  solange  nicht  bedrohliche  Erscheinungen 
bestehen,  mit  der  definitiven  Stellung  der  Diagnose  getrost  abwarten,  bis 
unter  einer  geeigneten  Behandlung  die  Schwellung  beseitigt  ist.  Zu  berück- 
sichtigen ist  bei  der  Diagnose  die  Möglichkeit,  dass  kleinere  Fremdkörper 
sich  in  der  Ausbuchtung  der  unteren  Gehörgangswand  dicht  am  Trommelfelle 
(Sinus  des  Gehörganges)  oder  in  einer  bei  kleineren  Kindern  im  Os  tympanicum 
befindlichen  Ossificationslücke  verbergen  können. 

c)  Trommelfell. 

Das  Trommelfell  erkrankt  nur  selten  primär,  ist  aber  bei  vielen  Aftec- 
tionen  des  äusseren  Gehörganges  und  bei  den  meisten  Krankheiten  des  Mittel- 
ohres wesentlich  betheiligt;  und  da  wir  genöthigt  sind,  pathologische  Zustände 
der  Paukenhöhle  am  Trommelfelle  abzulesen,  so  ist  eine  gründliche  Unter- 
suchung dieser  Membran  nicht  allein  für  die  Erkennung  der  auf  sie  selbst 
beschränkten  Veränderungen,  sondern  auch  für  die  Diagnose  der  Mittelohr- 
leiden von  der  allergrössten  Wichtigkeit.  Nur  wer  Uebung  im  Gebrauche 
des  Ohrenspiegels  besitzt,  ist  im  Stande,  die  oft  ganz  minutiösen  Abweichungen 
in  Farbe,  Wölbung  etc.,  auf  welche  es  hier  ankommt,  richtig  zu  beurtheilen. 

Die  Inspection  mit  dem  Reflector  und  Trichter  allein  genügt  nicht 
immer;  es  muss  zuweilen,  namentlich  wenn  die  Beweglichkeit  des  Trommel- 
felles geprüft  werden  soll,  der  SiEGLE'sche  Trichter  herangezogen,  in 
anderen  Fällen  die  Sondirung,  die  Luftdouche  ausgeführt  werden. 
Immerhin  bleibt  für  die  Erkennung  der  Trommelfell-Veränderungen  die  Oto- 
skopie  bei  weitem  das  wichtigste  Hilfsmittel. 

Abgesehen  von  den  äusserst  seltenen  oder  doch  am  Lebenden  äusserst 
selten  zur  Beobachtung  kommenden  Bildungsanomalien  kommen  als 
primäre  Erkrankungen  des  Trommelfelles  zunächst  in  Betracht: 

a)  Die  Verletzungen.  Da  es  sich  in  den  meisten  Fällen  um  pene- 
trirende  Verletzungen  handelt,  ist  es  die  Hauptaufgabe  der  Diagnose,  das 
Bestehen  eines  Bisses  im  Trommelfelle  festzustellen,  was,  wenn  ausgedehntere 


DIAGNOSTIK  DER  OHRENKRANKUEJTEN.  101 

Blutungen  eingetreten  sind,  seine  Schwierigkeit  haben  kann.  Als  fast  absolut 
sicheres  Mittel  zum  Nachweis  der  Continuitätsstörung  muss  in  zweifelhaften 
Fällen  die  Luftdouche  angewendet  werden. 

Auf  die  namentlich  in  forensischen  Fällen  bedeutungsvollen  Fragen,  ob 
eine  Trommelfellverletzung  mit  tieferen  Störungen  complicirt  ist,  ob  etwa  eine 
Mittelohreiterung  durch  die  Verletzung  herbeigeführt  worden  war,  ob  schon 
vor  dem  Trauma  eine  Krankheit  bestanden  hatte,  kann  hier  nicht  eingegan- 
gen werden. 

|3)  Die  Entzündungs Vorgänge,  Myringitis  acuta  und  chro- 
nica, bieten  für  die  Diagnose  mitunter  Schwierigkeiten,  insofern  es  dem 
minder  Geübten  nicht  immer  sofort  gelingt,  die  Betheiligung  der  Paukenhöhle 
auszuschliessen.  Anfänger  namentlich  sind  fast  stets  geneigt,  auch  die  bei 
entzündlichen  Mittelohraffectionen  regelmässig  auftretenden  Veränderungen 
am  Trommelfelle  als  primäre  Myringitis-Befunde  aufzufassen.  Von  Wichtig- 
keit für  die  Differentialdiagnose  ist  der  Ausfall  der  Hörprüfung,  indem 
bei  Myringitis  keine  erhebliche,  bei  Otitis  media  hingegen  eine  beträchtliche 
Functionsstörung  besteht,  sowie  die  Einwirkung  der  Luftdouche  auf  die 
Hörfähigkeit  und  auf  das  Trommelfellbild.  Das  Gehör  wird  bei  vorhandener 
Mittelohraffection  durch  die  Lufteinblasung  gebessert,  während  bei  Myringitis 
keine  nennenswerte  Aenderung  eintritt,  und  ebenso  lässt  sich  auch  erkennen, 
dass  bei  Erkrankungen  der  Paukenhöhle  das  Aussehen  des  Trommelfelles 
durch  die  Luftdouche  beeinflusst  wird,  bei  der  Myringitis  hingegen  nicht. 

Die  bei  Myringitis  haemorrhagica,  bullosa  etc.  vorliegenden 
Trommelfellveränderungen  sind  meist  so  ausgesprochen,  dass  die  Erkennung 
dieser  specifischen  Entzündungsformen  leicht  ist. 

7)  Bezüglich  der  Neubildungen  des  Trommelfelles  muss  auf  das 
specielle  Capitel  über  Trommelfellkrankheiten  verwiesen  werden. 

d)  Mittelohr. 

Die  LTntersuchung  des  Mittelohres  erfordert  die  verschiedenartigsten 
Methoden;  insbesondere  kommen  die  Otoskopie,  der  Katheterismus 
der  Tube  mit  Einschluss  der  Auscultation,  die  Sondirung  vom  Nasen- 
rachenräume und  vom  Gehörgange  aus  und  die  verschiedenen  Arten  der 
Hörprüfung  in  Betracht. 

Die  meisten  Erkrankungen  verändern  so  deutlich  das  Troramelfellbild, 
dass  sie  ohne  weiteres  durch  die  otoskopische  Untersuchung  erkannt  werden 
können;  doch  kann  auch  bei  Mittelohraffectionen,  z.  B.  bei  sklerotischen 
Processen,  das  Trommelfell  vollkommen  normal  aussehen. 

Für  die  Differentialdiagnose  zwischen  den  Krankheiten  des  Trommelfelles 
und  des  Mittelohres  sind  die  oben  bereits  angegebenen  Verhältnisse  maass- 
gebend.  Es  wird  mit  Hilfe  der  Inspection  und  der  Luftdouche  fast  stets  ge- 
lingen, den  eigentlichen  Sitz  des  Leidens  klarzustellen. 

Verwickelter  gestaltet  sich  die  Unterscheidung  zwischen  Mittelohraffec- 
tionen und  Erkrankungen  des  percipirenden  Apparates.  Hier  sind  wir  im 
wesentlichen  auf  die  Ergebnisse  der  Hörprüfung  angewiesen,  deren  wahrer 
W^ert  freilich  bei  vorurtheilsfreier  Betrachtung  leider  ein  recht  oft  zweifelhafter 
ist.  Im  allgemeinen  kann  man  sagen,  dass  bei  Mittelohrerkrankungen  hohe 
Töne  besser  gehört  werden  als  tiefe,  dass  beim  WEBER'schen  Versuche  der 
Stimmgabelton  auf  dem  (allein  oder  stärker)  erkrankten  Ohre  ausschliesslich 
oder  lauter  wahrgenommen  wird,  dass  der  BiNNE'sche  Versuch  negativ  aus- 
fällt und  die  Perceptionsdauer  für  den  Stimmgabelton  verlängert  ist.  Wenn 
alle  diese  Ergebnisse  vorliegen,  ist  eine  erheblichere  Affection  des  percipiren- 
den Apparates  so  ziemlich  ausgeschlossen.  Immerhin  muss  man  sich  bei  der 
Verwertung  der  Functionsprüfung  vor  schematischen  Schlüssen  hüten,  da 
vielerlei  Complicationen  zu  berücksichtigen  sind. 


102  DIAGNOSTIK  DER  OHRENKRANKHEITEN. 

Wenn  wir  von  den  Bildungsanomalien  und  den  Verletzungen 
mit  Einschluss  der  Fremdkörper,  sowie  von  den  Neubildungen  absehen,  so 
lassen  sich  die  alltäglichen  Erkrankungen  des  Mittelohres  in  katarrhalische 
und  entzündliche,  je  nach  der  mehr  serös- schleimigen  oder  mehr  eiterigen 
Beschalfenheit  des  Secretes,  und  in  Adhäsivprocesse  eintheilen. 

a)  Entzündungsvorgänge.  Die  katarrhalischen  Mittelohr- 
affectionen  führen,  wenn  die  Tube,  was  meist  der  Fall  ist,  in  Mitleiden- 
schaft gezogen  ist,  zu  den  charakteristischen  Zeichen  einer  vermehrten  Ein- 
ziehung des  Trommelfelles:  Vorspringen  des  kurzen  Hammerfortsatzes  mit  der 
hinteren  Falte,  Verkürzung  und  Horizontalstellung  des  Hammergriifes,  Ver- 
ringerung des  "Winkels  zwischen  letzterem  und  der  hinteren  Falte,  vermehrtes 
Durchscheinen  der  jenseits  des  Trommelfelles  gelegenen  Gebilde  etc.  Besteht 
nicht  gleichzeitig  eine  Tubenverengerung,  so  kann  das  Trommelfell  seine 
normale  Trichterform  beibehalten,  während  es  andererseits  bei  grösserer  An- 
sammlung von  Exsudaten  der  Paukenhöhle  theilweise  oder  im  ganzen  vor- 
gewölbt erscheint.  Wo  weder  die  Farbe  des  Trommelfelles  infolge  starker 
Schwellung  der  Membran,  noch  die  dem  Gehörgange  zugekehrte  Convexität 
desselben  die  Secretansammlung  direct  anzeigen,  kann  die  Auscultation 
bei  der  Luftdouche,  welche  Rasselgeräusche  nachweist,  die  Diagnose  sicher- 
stellen. Schwellung  und  Röthung  des  Trommelfelles  sind  bei  serös-schleimiger 
Beschaffenheit  des  Exsudates  in  der  Kegel  nicht  so  bedeutend  wie  bei  den 
eiterigen  Entzündungsformen;  auch  unterscheidet  sich  der  Katarrh  von  der 
intensiveren  Otitis  media  purulenta  durch  das  Fehlen  oder  den  geringeren 
Grad  der  Temperatursteigerung  und  eine  minder  heftige  Schmerzhaftigkeit. 
Bei  chronischen  Fällen  von  Otitis  media  simplex  können  Hyperämie  und 
Schwellung  des  Trommelfelles  ganz  ausbleiben,  während  die  Einziehung  eine 
stärkere  ist. 

Für  die  Mittelohrentzündung,  welche  sich  im  Anfangsstadium 
dem  Katarrh  gegenüber  durch  viel  erheblichere,  subjective  Beschwerden,  durch 
höheres  Fieber  und  beträchtlichere  Gewebsveränderungen  des  Trommelfelles 
auszeichnet,  ist  als  entscheidendstes  diagnostisches  Merkmal  fast  regelmässig 
schon  nach  ganz  kurzer,  zuweilen  nach  Stunden  bemessener  Zeit  die  Per- 
foration des  Trommelfelles  zu  constatiren.  In  acuten  Fällen,  in  welchen 
der  Defect  anfangs  sehr  klein  zu  sein  pflegt,  ist  der  Nachweis  des  eingetre- 
tenen Secretdurchbruchs  nicht  immer  sicher  durch  die  blosse  Inspection  zu 
führen.  Hier  kann  das  Vorhandensein  eines  pulsirenden  Reflexes  oder 
der  Eintritt  des  typischen  Perforationsgeräusches  bei  der  Luftdouche 
ausschlaggebend  sein.  Die  Erkennung  grösserer  Substanzverluste  bietet  in 
der  Regel  selbst  Anfängern  keine  Schwierigkeiten.  Auch  Granulationen 
und  Polypen,  wie  sie  bei  chronischen  Entzündungsprocessen  häufig  vor- 
kommen, sind  leicht  zu  diagnosticiren;  grössere  Tumoren,  welche  bis  zur 
Concha  gewachsen  sind,  können  mit  Furunkeln  verwechselt  werden,  doch  gibt 
die  Sondirung  sofort  Aufschluss.  Dieselbe  dient  auch  zur  Entscheidung, 
ob  Granulationen  vom  Trommelfelle  oder  aus  der  Paukenhöhle  entspringen. 
Bezüglich  der  cariösen  Processe  und  sonstiger  Complicationen  muss  auf  die 
speciellen  Artikel  verwiesen  werden. 

ß)  Adhäsivprocesse  führen,  wenn  das  Trommelfell  selbst  durch 
band-  oder  strangförmige  Synechien  oder  direct  mit  Theilen  der  Pauken- 
höhle verlöthet  ist,  zu  partiellen  Einziehungen,  deren  verminderte  oder  auf- 
gehobene Beweglichkeit  mit  Hilfe  der  Luftdouche  oder  des  SiEGLE'schen 
Trichters  nachgewiesen  werden  kann.  Hingegen  ist  die  Diagnose  tieferer 
plastischer  Processe,  namentlich  der  Sklerose  und  ihrer  Ausgänge  (Steig- 
bügelankylose),  oft  nicht  leicht  zu  stellen,  weil  das  Trommelfell  voll- 
kommen normal  sein  kann  und  Veränderungen  der  Membran,  wie  Trübungen^ 
Verdickungen,  Verbreiterung  des  Hammergriffes,  wenn  solche  vorliegen,  nicht 


DIAGNOSTIK  DER  OHRENKRANKHEITEN.  103 

typisch  für  diesen  Krankheitsprocess  sind.  Die  Luftdouche  gibt  in  Fällen 
von  ausgesprochener  Sklerose  in  der  Kegel  ein  charakteristisches,  hartes  und 
scharfes,  zuweilen  fast  pfeifendes  Blasegeräusch  und  bessert  die  Hörfähigkeit 
wenig  oder  gar  nicht.  Auch  die  Sondirung  ist  für  die  Feststellung  ab- 
normer Fixationen  zu  verwerten. 

7)  Erkrankungen  des  Warzen fortsatzes  äussern  sich  meist  objectiv 
durch  Schwellung  und  llöthung  der  Haut  über  dem  Processus  mastoideus, 
durch  Infiltration  der  umgebenden  Lymphdrüsen,  durch  Vorwölbung  der 
hinteren-oberen  Gehörgangswand.  Doch  können  alle  diese  und  überhaupt 
jegliche  Symptome  fehlen,  und  es  ist  dann  von  Wichtigkeit,  wenn  die  Per- 
cussion  einen  Anhalt  liefert,  ob  die  Warzenzellen  lufthaltig  oder  mit  Geweben 
ausgefüllt  sind.  In  vorgeschrittenen  Fällen  weisen  oft  Fistelgänge  auf  eine 
Betheiligung  des  Warzenfortsatzes  hin. 

8)  Residuen  von  Mittelohrentzündungen.  Besonders  typische 
Bilder  zeigt  das  Trommelfell,  wenn  intensive  Processe  im  Mittelohre  abgelaufen 
sind.  Es  können  dann  persistente  Perforationen,  Narben  und  Verkalkungen 
bestehen,  deren  Nachweis  durch  die  Otoskopie  leicht  gelingt.  Doch  genügt 
diese  Untersuchungsmethode  nicht  immer,  wenn  es  sich  um  die  Entscheidung 
handelt,  ob  eine  Perforation  vernarbt  ist.  Hier  leisten  der  SiEGLE'sche 
Trichter  und  die  Luftdouche,  welche  auch  über  das  Frei-  oder  Verwachsen- 
sein von  Narben  Aufschluss  geben,  gute  Dienste. 

e)  Schallempfindender  Apparat. 

Da  sich  der  schallpercipirende  Apparat  unseren  Blicken  vollständig  ent- 
zieht, so  sind  wir  bei  der  Diagnose  der  ihn  betreffenden  Krankheiten  auf  die 
Anamnese  (ursächliche  Momente),  die  Feststellung  des  allgemeinen 
Status  und  die  Ergebnisse  der  Hörprüfung  angewiesen.  Das  Trommel- 
fellbild sagt  über  den  Zustand  des  inneren  Ohres  nichts;  doch  ist  die  Ocular- 
inspection,  ebenso  wie  die  physikalische  Untersuchung  des 
Mittelohres  für  die  Ausschliessung  oder  den  Nachweis  gleichzeitig  be- 
stehender Mittelohraffectionen  niemals  zu  entbehren. 

Was  die  Hörprüfung  betrifft,  so  ist  dabei  die  Controle  der  cranio- 
tympanalen  Leitung,  welche  in  der  Regel  bei  Labyrinth-  und  Nerven- 
affectionen  mehr  oder  weniger  aufgehoben  ist,  von  besonderer  Bedeutung, 
wenn  auch  niemals  allein  maassgebend.  Der  WEBEK'sche  Stimmgabelversuch 
ergibt,  dass  der  Stimmgabelton  auf  der  erkrankten  oder  schlechter  hörenden 
Seite  nicht  oder  schwächer  als  auf  der  anderen  wahrgenommen  wird,  der 
RiNNE'sche  Versuch  fällt  vorwiegend  positiv  aus,  die  Perceptionsdauer  für 
Stimmgabeltöne  ist  verkürzt.  Ferner  fällt  bei  den  Krankheiten  des  percipi- 
renden  Apparates  auf,  dass  die  obere  Tongrenze  verringert  ist.  Es  sind  dies 
also  durchwegs  entgegengesetzte  Ergebnisse  gegenüber  den  Resultaten  der 
Hörprüfung  bei  Affectionen  des  Leitungsapparates.  Leider  geben  die  ver- 
schiedenen Methoden  der  Functionsprüfung,  auf  welche  hier  nicht  näher  ein- 
gegangen werden  kann,  oft  ganz  widersprechende  Resultate,  so  dass  nament- 
lich in  complicirten  Fällen  die  Diagnose  oft  genug  zweifelhaft  bleibt.  Auch 
die  galvanische  Untersuchung  des  Acusticus  lieferte  bisher  keine  befrie- 
digenden Ergebnisse. 

Ganz  im  Argen  liegt  noch  die  specielle  Diagnose  der  krankhaften  Ver- 
änderungen im  Empfindungsapparate,  sowohl  nach  Sitz  als  nach  Charakter. 
Nur  immer  mit  einem  gewissen  Grade  von  Wahrscheinlichkeit  können  die- 
selben als  Circulationsstörungen  und  Entzündungsprocesse  und 
dergleichen  bestimmt  werden,  und  wir  sind  häufig  darauf  angewiesen,  aus 
der  den  Erscheinungen  zu  Grunde  liegenden  Allgemeinkrankheit  auf  den 
muthmaasslichen  Process  zu  schliessen.  In  den  Artikeln,  welche  die  Krank- 
heiten des  inneren  Ohres  behandeln,  werden  diese  Verhältnisse  im  einzelnen 
genauer  dargelegt  werden.  bürkner. 


104  DIPHTHERIE  DER  NASE. 

Diphtherie  der  Nase.")  Die  Diphtherie  der  Nasenschleimhaut,  her- 
vorgebracht durch  Invasion  des  LöFFLER'schen  Diphtherie  -  Bacillus,  tritt 
entweder  primär  oder  secundär  auf.  Nur  selten  sind  die  Nasenhöhlen  der 
primäre  und  alleinige  Sitz  der  diphtheritischen  Erkrankung.  In  den  meisten 
Fällen  ist  die  Nasendiphtherie  eine  secundäre,  fortgeleitet  von  der  Rachen- 
schleimhaut. Nach  MoNTi  kommt  bei  Neugeborenen  und  Säuglingen  in  den 
ersten  sechs  bis  acht  Wochen  die  primäre  Nasendiphtherie  nicht  so  selten 
vor  und  soll  unabhängig  von  der  genuinen  Diphtherie  und  wahrscheinlich 
durch  eine  puerperale  Infection  hervorgebracht  sein.  Es  ist  jedoch  anzuneh- 
men, dass  MoNTi's  Beobachtungen  mit  der  Rhinitis  fibrinosa  wohl  iden- 
tisch sind. 

Die  primäre  Diphtherie  der  Nase  manifestirt  sich  zuerst  durch 
das  Auftreten  katarrhalischer  Erscheinungen,  den  sogenannten  diphtherischen 
Schnupfen.  Meist  haben  die  Kinder  schon  mehrere  Tage  an  einem  star- 
ken Schnupfen  gelitten,  welcher  aber  kaum  beachtet  wurde,  bis  das 
weitere  Fortschreiten  des  Processes  auf  den  Rachen  oder  gar  croupöse  Er- 
scheinungen die  Hilfe  des  Arztes  erforderten.  Neben  Störungen  des  Allgemein- 
befindens findet  man  Fieber  und  mehr  oder  weniger  hochgradige  Verstopfung 
der  Nase.  Die  Kranken  schnüffeln,  schnarchen  laut  und  sind  genöthigt,  mit 
offenem  Munde  zu  athmen.  Aus  der  Nase  quillt  eine  dünne,  eitrige  Flüssig- 
keit hervor,  die  oft  bräunlich  gefärbt  ist,  in  schwereren  Fällen  jauchig 
wird  und  einen  widerlich  stinkenden  und  faden  Geruch  bekommt.  Zuweilen 
entleeren  sich  beim  Schneuzen  und  Niesen  Membranen,  theils  kleinere  Fetzen, 
theils  grössere  Stücke,  oft  vollkommen  röhrenförmige  Abgüsse  des  Nasen- 
inneren. Das  ätzende  Secret  erzeugt  meist  auf  der  Haut  des  Naseneinganges 
und  der  Oberlippe  Röthung  und  Excoriation.  Mitunter  können  sich  die  wun- 
den Stellen  mit  einem  diphtheritischen  Belage  bedecken.  Bei  stärkerer  Er- 
krankung ist  die  ganze  äussere  Nase  geschwollen  und  stark  geröthet.  Es 
kommt  zu  einem  Oedem  der  Wangen  und  Augenlider.  Häufig  ist  der  Nasen- 
ausfluss  mit  Blut  untermischt,  ja  es  kommt  zuweilen  durch  die  Ablösung  der 
diphtheritischen  Membranen  zu  heftigen  Blutungen,  die  lebensgefährlich  werden 
können.  Pflanzt  der  Process  von  der  Nase  sich  auf  die  Tuba  Eustachii  fort, 
so  tritt  Ohrensausen  und  Schwerhörigkeit  auf,  es  kommt  zu  einer  eitrigen 
Paukenhöhlenentzündung  mit  Durchbruch  durch  das  Trommelfell. 

Erkrankt  die  Nasenschleimhaut  erst  secundär,  indem  der  diphtheritische 
Process  von  der  hinteren  Pharynxwand  oder  der  hinteren  Seite  des  Gaumen- 
segels in  die  Choanen  fortschreitet,  so  werden  anfangs  der  Nasenrachenraum 
und  die  hinteren  Partieen  der  Nasenhöhle  der  Sitz  der  Affection  sein,  und 
erst  später  werden  die  vorderen  Abschnitte  betroffen. 

Die  rhinoskopische  Untersuchung  ergibt  neben  sehr  starker  Röthung 
und  Schwellung  der  Schleimhaut  grauweisse  Beläge,  sowohl  auf  den  Nasen- 
muscheln, wie  auf  der  Scheidewand,  bald  circumscript,  bald  diffus  sitzend 
und  zuweilen  die  ganze  Nasenhöhle  auskleidend. 

Wenn  die  Krankheit  nicht  einen  letalen  Ausgang  nimmt,  so  tritt  meist 
eine  vollkommene  Restitution  der  Schleimhaut  ein.  Nur  selten  konnten  wir 
Synechien  zwischen  Muschel  und  Septum  beobachten. 

Die  Diagnose  wird  nur  in  den  Fällen  auf  Schwierigkeiten  stossen,  in 
denen  die  Nasenschleimhaut  allein  afficirt  und  der  Pharynx  noch  gesund  ist. 
Es  kommt  hierbei  in  Frage  die  Differentialdiagnose  zwischen  Rhinitis  fibri- 
nosa und  Nasendiphtherie.  Wenn  auch  in  neuerer  Zeit  von  verschie- 
denen Seiten  (Baginski,  Scheinmann)  in  den  Membranen  bei  Rhinitis 
fibrinosa  virulente  Diphtheriebacillen  nachgewiesen  wurden  und  man  hiernach 


*)    Vergl.    auch    Artikel    ^Diphtherie'*    im    Bd.    I.    der     „Internen   Mediein"'    dieses 
Sammelwerkes. 


DIPHTHEPJE  DES  OHRES.  105 

vermuthen  könnte,  dass  wir  es  bei  der  Ehinitis  ttbrinosa  nur  mit  einer  ab- 
gescliwächten  Nasendiphtlicrie  zu  thun  hätten,  so  sprechen  doch  andere  Beob- 
achtungen (B.  Fränkel)  und  der  klinische  Verlauf  gegen  eine  solche  Auf- 
fassung. Der  locale  Befund,  keine  Tendenz  zur  Weiterverbreitung,  das  Fehlen 
bedrohlicher  Allgemeinerscheinungen,  das  E'ehlen  der  Nachkrankheiten,  die 
Heilung  ohne  Narben,  kurz  die  Gutartigkeit  dieser  Krankheit  charakterisirt 
zur  Genüge  die  fibrinöse  Rhinitis  als  eine  Aftectio  sui  generis.  Die  Rhinitis 
fibrinosa  ist  eben  ätiologisch  keine  einheitliche  Krankheit,  sondern  kann  als 
Symptom  einer  dii^htherischen  Infection  auftreten,  ausserdem  aber  auch  durch 
andere  Krankheitserreger  wie  namentlich  Staphylococcen  und  Streptococcen 
hervorgerufen  werden. 

Die  Prognose  der  diphtheritischen  Entzündung  der  Nase  ist  namentlich 
bei  jüngeren  Kindern  eine  sehr  schlechte,  zumal  die  Nase  gerade  bei  den  sep- 
tischen Formen  der  Diphtherie  häufig  secundär  befallen  wird.  Unter  202 
Fällen  von  Diphtherie,  die  wir  in  einem  Jahre  zu  beobachten  Gelegenheit 
hatten,  waren  50  von  Nasendiphtherie  befallen  und  von  diesen  verliefen 
38  letal. 

Die  locale  Behandlung  hat  neben  der  bei  Diphtheritis  angewandten 
Allgemeinbehandlung  (Serumtherapie)  die  Aufgabe,  so  schonend  wie  mög- 
lich die  Membranen  zu  entfernen,  die  Nase  zu  reinigen  und  die  Entwicklung 
neuer  Häute  zu  verhindern.  Sind  die  Nasenlöcher  vollkommen  verstopft,  so  ver- 
suche man  mit  einer  Nasenpincette  die  Membranen  vorsichtig  herauszuziehen, 
damit  es  zu  keiner  Blutung  kommt.  Beim  Ausspritzen  der  Nase,  das  mit 
einer  Nasenspritze,  bei  kleinen  Kindern  auch  besser  mit  einem  Gummiballon, 
dessen  Spitze  ebenfalls  aus  Gummi  besteht,  je  nach  Bedürfnis  zwei  bis  vier- 
stündlich vorgenommen  wird,  ist  sehr  zu  beachten,  dass  bei  zu  starkem  Druck 
leicht  die  Gefahr  einer  Infection  der  Paukenhöhle  droht.  Zur  Spülflüssigkeit, 
die  lauwarm  sein  soll,  bediene  man  sich  einer  Salicylborlösung  (Äcid.  salicyl 
3,  Äcid.  horic.  30,  Äqu.  destillat.  ad  1000),  oder  einer  l%o  Thi/moUösung  oder 
7io7o  I^ösung  von  hypermangansaurem  Kali.  Kommt  es  bei  der  Entfernung 
der  Membranen  oder  beim  Ausspritzen  zu  starken  Blutungen,  so  kann  die 
Tamponade  erforderlich  werden,  was  unter  den  oben  erwähnten  50  Fällen  von 
Nasendiphtherie  viermal  nöthig  wurde.  Nach  Reinigung  der  Nase  insufflire 
man  desinficirende  Pulver,  wie  Jodoform,  Jodol,  Nosophen.  Die  Excoriationen 
in  der  Umgebung  der  Nase  bestreiche  man  mit  Borvaselin.  scheier. 

Diphtherie  des  Ohres.  Unsere  Kenntnisse  über  Ohrendiphtheritis 
müssen  sehr  mangelhaft  genannt  werden,  wenn  sie  geprüft  werden  auf 
Orund  der  gegenwärtigen  Untersuchungen'  über  die  Pathologie  des  diph- 
theritischen Processes  im  Cavum  pharyngo-nasale.  Man  weiss  in  der  That, 
dass  die  Bildung  von  fibrinösen  Pseudomembranen  entzündlicher  Natur  nicht 
ausschliesslich  in  Zusammenhang  mit  der  Anwesenheit  des  Klebs-Löff- 
LER'schen  Bacillus  zu  setzen  ist,  sondern  es  ist  die  Leistung  einer  grossen 
Anzahl  von  Mikroorganismen,  wenn  bestimmte  Bedingungen  von  Virulenz  und 
der  Nährboden  vorhanden  sind,  da  einerseits  in  der  Entwicklung  der  echten 
Diphtheritis  die  gemischten  Ansteckungen  mit  pyogenen  Bacterien  sehr  oft 
vorkommen,  und  man  anderseits  diphtheritischen  und  pseudodiphtheritischen 
Bacillen  von  sehr  verschiedener  Virulenz  begegnen  kann,  in  einzelnen  Fällen 
sogar  die  Diphtherie-Bacillen  wie  echte  Saprophyten  sich  verhalten  können. 
Das  klinische  Bild  entspricht  also  nicht  immer  dem  bacteriologischen 
Typus,  und  um  ein  Urtheil  abzugeben,  muss  man  beiden  diesen  Thatsachen 
Rechnung  tragen. 

Die  wenigen  in  der  Literatur  angeführten  Fälle  über  Ohrendiphtheritis 
müssen  mit  Rücksicht  auf  den  Zeitraum,  in  welchem  sie  beobachtet  wurden, 
als   ungenügend    erforscht  betrachtet    werden   in    Bezug   auf  unsere   gegen- 


106  DIPHTHERIE  DES  OHRES. 

wärtigen  bacteriologischen  Kenntnisse;  deshalb  können  sie  auch  nicht,  strenge 
genommen,  für  diphtheritischen  Ursprunges  gehalten  werden. 

Die  Diphtheritis  kann  alle  Theile  des  Gehörorganes  treffen:  die  Ohr- 
muschel und  den  äusseren  Gehörgang,  sei  es  im  ersten  Falle  durch  locale 
Einimpfung  der  Infection,  oder  durch  Uebertragung  der  letzteren  von  der 
erkrankten  Trommelhöhle  aus  durch  Perforation  der  Membran;  —  das  Mittel- 
ohr und  das  Cavum  mastoideum  durch  Ausbreitung  des  krankhaften  Proces- 
ses  vom  Cavum  pharyngo-nasale  aus  die  Ohrtrompete;  durch  das  Labyrinth 
—  Erkrankungen  ausgehend  vom  Mittelohr;  den  Nervus  acusticus,  sei  es 
durch  Ausbreitung  des  Processes  vom  Labyrinth  aus,  sei  es  —  was  öfter 
der  Fall  sein  müsste  —  durch  ursprüngliche  Läsionen  gleich  denen,  welche 
das  diphtheritische  Virus  in  anderen  Nerven  erzeugt.  Die  Möglichkeit  einer 
ursprünglichen  diphtheritischen  Infection  des  Mittelohres  ist  mit  Sicherheit 
noch  nicht  constatirt  worden. 

Die  pathologisch-anatomischen  Erscheinungen  sind  auch  für's 
Ohr  dieselben,  welche  für  den  diphtheritischen  Process  im  allgemeinen  charak- 
teristisch sind.  Sie  können  zusammengefasst  werden  in  einer  primären  Ne- 
krose der  oberflächlichen  Gewebsschichten  mit  Bildung  von  fibrinösen  Pseudo- 
membranen und  nachträglicher  Ausscheidung  der  abgestorbenen  Theile  mit- 
telst Vereiterung.  Im  Mittelohre  gestatten  es  die  Dünnheit  der  Mucosa  und 
die  Zartheit  der  Gewebsstructur,  dass  die  Nekrose  sich  auf  Periost  und 
Knochen  ausbreiten  kann,  mit  nachfolgender  Ausscheidung  der  Knöchelchen, 
rapider  Zerstörung  des  Trommelfelles,  der  Vestibularwand  mit  Uebertragung 
der  Infection  aufs  Labyrinth  und  so  weiter.  Für's  innere  Ohr  wurden  speciell 
von  Moos  beschrieben:  die  Nekrose  der  Bogengänge,  die  Hämorrhagien,  die 
Gerinnung  der  Lymphe,  die  kleinzellige  Infiltration  ohne  Bildung  von  echtem 
Eiter  etc. 

Das  klinische  Bild  der  Diphtheritis  der  Paukenhöhle,  des 
Ohres  und  des  äusseren  Gehörganges  besteht  aus  tiefen  Ulcerationen 
der  Haut,  bedeckt  mit  Pseudomembranen,  der  Unterlage  adhärirend,  An- 
schwellungen des  Gewebes,  Fehlen  von  echtem  Eiter  wenigstens  zu  Beginn 
der  Affection,  intensive  Theilnahme  der  nahen  lymphatischen  Ganglien  und 
manchmal  des  allgemeinen  Status.  In  den  meisten  Fällen  entwickeln  sich 
solche  Läsionen  bei  Individuen,  die  Träger  sind  von  diphtheritischen,  pha- 
ryngo-nasalen  Läsionen,  in  welchen,  wie  gesagt,  die  Infection  des  äusseren 
Gehörganges  erfolgte  entweder  vom  Mittelohr  (in  diesem  Falle  sind  Läsionen 
vorwiegend  auf  die  tiefen  Gehörgangstheile  beschränkt),  oder  durch  Ueber- 
tragung des  krankhaften  Agens  auf  irgend  eine  zufällig  lädirte  Stelle  der 
Cutis.  Man  muss  sich  genau  hüten,  alle  diejenigen  Krankheitsprocesse  als 
diphtheritische  zu  betrachten,  welche  im  äusseren  Gehörgang  sich  ent- 
wickeln und  begleitet  werden  von  Pseudomembranen;  diese  letzteren  können 
thatsächlich  aus  verschiedenen  Ursachen  entstanden  sein,  und  nur  die  bacterio- 
logische  Prüfung  wird  für  die  Diagnose  entscheidend  sein. 

Auf  das  klinische  Bild  der  acuten  diphtheritischen  Otitis  media 
muss  viel  mehr  Gewicht  gelegt  werden.  Vor  allem  ist  es  angezeigt  zu  con- 
statiren,  dass  nicht  alle  acuten  Mittelohrentzündungen,  welche  die  echte  Diph- 
therie oder  die  Scharlachdiphtherie  begleiten,  diphtheritischer  Natur  sind;  im 
Gegentheil,  wenn  man  daraus  urtheilen  sollte,  was  bei  anderen  Infectionen 
vorkommt  (z.  B.  bei  Typhus,  Tuberkulose),  müssten  auch  die  Otitiden  bei 
Rachendiphtherie  in  den  seltensten  Fällen  von  typischen  Mikroorganismen 
veranlasst  werden,  meistentheils  von  gewöhnlichen  Coccen.  Besser  als  aus 
dem  Grade  der  Theilnahme  des  allgemeinen  Zustandes  und  aus  der  Schwere 
der  localen  Läsionen  —  Erscheinungen,  welche  infolge  vieler  Umstände  (wie 
die  Virulenz  des  Mikroorganismus,  die  allgemeinen  Verhälnisse  des  Kranken, 
die    Stärke    und    Ausdehnung    des    ursprünglichen    Krankheitsprocesses    im 


ECCHONDROSEN  IM  KEHLKOPFE.  107 

Rachen  etc.)  bedeutend  variiren  —  muss  sich  unsere  Diaj^nose  der  diph- 
theritischen  Otitis  media  auf  zwei  Thatsachen  stützen:  auf  den  Austritt  von 
Ueberresten  fibrinöser  Membranen  aus  dem  Mittelohr  durch  das  perforirte 
Trommelfell  (Haug)  und  auf  den  Nachweis  des  KLEB.s-LöFFLKR'schen  Bacillus 
im  Exsudat,  welches  niemals  in  den  ersten  Stadien  echt  citrig  ist. 

Die  acute  diphtheritische  Otitis  media  ist  immer  schwer  infolge  der 
rapiden  und  ausgedehnten  Zerstörung,  welcher  die  Theile  des  Mittelohres  aus- 
gesetzt sind  und  durch  die  leichte  Infection  des  Labyrinthes;  die  nach- 
folgende Taubheit  ist  öfters  von  hohem  Grade,  manchmal  eine  complete. 
Vom  klinischen  Standpunkte  schwerer  zu  beurtheilen  sind  die  Fälle,  in 
welchem  während  des  Verlaufes  oder  während  der  Reconvalescenz  nach  einer 
Rachendiphtherie,  ohneTheilnahme  des  Mittelohres,  Erscheinungen  von  schweren 
Verletzungen  des  Perceptionsapparates  auftreten:  es  handelt  sich  um  eine 
Erkrankung  des  Labyrinthes  oder  um  eine  Neuritis  des  Nervus  acusticus. 
Gerade  über  diesen  Punkt  gestatten  uns  unsere  pathologisch-anatomischen 
Kenntnisse  kein  bestimmtes  Urtheil.  Die  Erscheinungen  bestehen  aus 
Schwindel,  Nausea  und  Erbrechen,  schwankendem  Gange,  hochgradiger  oder 
gänzlicher  Taubheit.     Die  Prognose  ist  im  allgemeinen  ungünstig. 

Bezüglich  der  Behandlung  ist  es  von  Vortheil,  die  allgemeine  und 
die  locale  zu  unterscheiden.  Die  erstere,  in  allen  den  Fällen  angezeigt,  wo 
die  bacteriologische  Prüfung  des  Exsudates  die  Gegenwart  des  giftigen 
Bacillus,  sei  es  in  reiner  Cultur,  sei  es  in  Begleitung  anderer  Mikroorganismen 
nachweist,  besteht  in  der  specifischen  Serumtherapie,  welche  so  gute  Erfolge 
liefert,  nicht  allein  bei  Rachendiphtherie,  sondern  auch  bei  derjenigen  des 
Auges.  Bezüglich  der  Localbehandlung  ist  sie  natürlicherweise  je  nach  den 
betroffenen  Th eilen  verschieden;  bei  Läsionen  des  äusseren  Gehörganges 
werden  wir  uns  darauf  beschränken,  die  Lösung  und  Abstossung  der  Pseudo- 
membranen zu  erleichtern,  indem  wir  Kalkwasser  und  noch  besser  sauerstoff- 
haltiges Wasser  in  den  Gehörgang  eingiessen,  dann  vorsichtig  den  Gehörgang 
mit  schwacher  Sublimatlösung  (1:10000)  waschen;  man  kann  auch  nicht  irri- 
tirende,  antiseptische  Pulver  einblasen.  Bei  Otitis  media  kann  man  ebenfalls 
mit  Vortheil  sauerstoft"hältiges  Wasser  eingiessen,  welches  ausser  dem  Um- 
stände, dass  es  eine  gewisse  antiseptische  Wirkung  besitzt,  auf  mecha- 
nischem Wege,  dank  der  nachfolgenden  Gasentwicklung,  die  Lösung  der  Mem- 
branen begünstigt;  andererseits  wird  man  eine  vorsichtige  Spülung  mit  steri- 
lisirtem  Wasser  gebrauchen,  aber  man  wird  hauptsächlich  darauf  bedacht  sein, 
die  Entstehung  einer  secundären  Infection  zu  verhindern,  indem  man  eine  wo- 
möglichst  antiseptische  Verschliessung  des  Gehörganges  vornimmt.  Bei  den  inne- 
ren Otitiden  und  den  verdächtigen  Neuritiden  des  Nervus  acusticus  wird  man 
die  Schweisscur  versuchen,  besser  als  mit  Pilocarpin  mittelst  Dampfbäder; 
man  wird  die  alkalischen  Jodpräparate,  Strychnin,  stärkende  Mittel 
gebrauchen. 

Wir  dürfen  dieses  Capitel  über  Ohrdiphtheritis  nicht  abschliessen,  ohne 
daran  zu  errinnern,  dass  in  der  letzten  Zeit  ein  dem  diphtheritischen  ähnlicher 
Bacillus  mit  besonderen  giftigen  Eigenschaften  in  der  Nase  bei  Fällen  von 
Ozaena  gefunden  wurde  (Belfanti);  genannter  Bacillus  wurde  gleichfalls 
regelmässig  im  Secrete  bei  den  trockenen  Pharyngitiden,  welche  Ozaena 
begleiten,  gefunden  und  manchmal  im  Secrete  von  eitrigen,  chronischen  Mittel- 
ohrentzündungen bei  Personen,  die  nicht  Träger  von  Ozaena  waren  (Grade- 
NiGo).  Nachträgliche  Studien  werden  den  Wert  des  genannten  Bacillus  für 
die  Entstehung  der  erwähnten  Krankheitsform  bestimmen. 

G.    GRADENIGO. 

EcchondrOSen  im  Kehlkopfe.  Es  sind  das  kleine,  umschriebene,  ober- 
flächliche Verdickungen    der  Knorpeln,   welche    infolge    chronischer  Reizung, 


108  EKZEMA  AURICDLAE. 

SO  z.  B.  infolge  von  Katarrh  sich  manchmal  entwickeln.  Sie  wurden  von 
VißCHOw  zuerst  beschrieben.  Anfangs  rundlich,  können  sie  später  als  Kegel 
mehr  hervortreten.  Sie  scheinen  keine  bedeutende  Grösse  erreichen  zu  können, 
und  machen  deswegen  auch  wenige  Beschwerden.  Manchmal  kommen  sie 
diffus  ausgebreitet  vor,  über  einen  grossen  Theil  des  Kehlkopfes  und  der 
Luftröhre,  veranlasst  durch  langsam  verlaufende,  chronische  Entzündung.  So 
findet  man  sie  öfters  bei  Khinosclerom  oder  chronischer  Bronchitis  in  Form 
von  Knötchen,  Knoten  und  Spangen,  sow^ohl  in  das  submucöse  Gewebe  als 
auch  in  die  Schleimhaut  eingelagert.  ch. 

Ekzema  auriCUlae.  Die  ekzematöse  Erkrankung  der  Ohrmuschel  ist 
durchaus  nichts  Seltenes.  Sie  befällt  bald  die  ganze  Ohrmuschel,  bald  nur 
einzelne  Theile  derselben;  besonders  ist  das  Ohrläppchen  oft  isolirt  erkrankt. 
Das  klinische  Bild  ist  ein  verschiedenes,  je  nach  der  Form  und  Art  des 
Ekzems  —  denn  alle  Formen  und  Arten  kommen  vor  —  je  nach  der  Acuität 
und  je  nach  der  Heftigkeit  des  Processes.  Beim  acuten  erythematösen  Ekzem 
sehen  wir  die  Haut  geröthet,  geschw^ollen  und  gespannt.  Bei  scharfem  Hin- 
sehen, zumal  bei  seitlicher  Beleuchtung  oder  bei  zartem  Herüberfahren  über 
die  Haut  fühlt  man,  dass  dieselbe  mit  minimalen  Erhabenheiten,  Papeln,  resp. 
Bläschen,  bedeckt  ist.  Tritt  eine  diffuse  Exsudation  ein,  dann  erhält  man 
das  Bild  des  Ekzema  madidans;  ist  die  Exsudation  eine  mehr  umschriebene, 
dann  bilden  sich  Bläschen  oder  auch  Pusteln,  Ekzema  vesiculosum,  resp.  pus- 
tulosum.  Durch  Eintrocknen  der  Exsudate  kann  aus  diesen  Ekzemformen  das 
Ekzema  crustosum  hervorgehen.  Bilden  sich  diese  Processe  zurück,  so  lassen 
Röthung,  Schwellung  und  Exsudation  nach,  die  Haut  nimmt  ein  schuppendes 
Aussehen  an,  Ekzema  squamosum.  Letztere  Form  ist  von  vorneherein  die 
vorherrschende,  wo  es  sich  um  subacute  oder  chronische  Erkrankungen  han- 
delt. Einen  mehr  schuppenden  Charakter  haben  auch  meistens  von  Anbeginn 
an  die  seborrhoischen  Ekzeme,  welche  sich  gerne  am  Ohre  etabliren.  Die 
schmutziggelbe  Färbung,  die  fettige  Beschaffenheit  der  Schuppen,  die  bogen- 
förmige Umgrenzung  kennzeichnet  vornehmlich  diese  Ekzemart.  —  In  hohem 
Maasse  beeinflusst  wird  das  klinische  Bild  bei  allen  Ekzemen  der  Ohrmuschel 
durch  den  mehr  oder  weniger  hohen  Grad  der  Schwellung  der  Haut.  Trotz- 
dem dieselbe  doch  am  Ohrkuorpel,  soweit  dieser  vorhanden,  durch  ziemlich 
straffes  Bindegewebe  fixirt  ist,  kann  es  doch  zu  einer  relativ  bedeutenden 
Schwellung,  besonders  an  der  vorderen  Ohrfläche  kommen,  die  stets  eine 
erhebliche  Gestaltveränderung  des  äusseren  Ohres  bedingt.  Die  Leisten  des 
Helix  und  Anthelix  werden  verdickt,  die  Grube  zwischen  ihnen  abgeflacht, 
das  ganze  äussere  Ohr  erhält  dadurch  ein  ganz  unförmliches  Aussehen.  — 
Dass  das  Ohrläppchen,  welches  ja  nur  aus  Haut,  lockerem  Bindegewebe  und 
Fett  besteht,  analog  den  oberen  Augenlidern  ganz  bedeutend  anschwellen 
kann,  leuchtet  leicht  ein.  In  manchen  Fällen  gewinnt  dasselbe  das  Aussehen 
eines  nicht  kleinen  Tumors.  —  Eine  häufige,  recht  unangenehme  Folge  der 
Ohrekzeme  ist  das  Entstehen  von  Rhagaden  in  der  hinteren  Ohrfurche,  ent- 
lang der  ganzen  Ansatzstelle  der  Ohrmuschel.  Es  können  sich  recht  tiefe  und 
auch  recht  schmerzhafte  Risse  bilden. 

Das  Ekzema  auriculae  ist  nicht  gerade  häufig  ein  primäres  Leiden. 
Meistens  ist  es  durch  Fortpflanzung  eines  in  der  umgebenden  Haut,  am  Kopfe, 
Halse  oder  Gesicht,  localisirten  Ekzems  entstanden.  —  In  anderen  Fällen  ist 
der  Ausgangspunkt  des  Ekzems  eine  mit  Secretion  einhergehende  Erkrankung 
des  äusseren  oder  mittleren  Ohres.  Das  herausfliessende,  meistens  eitrige,  oft 
zersetzte  Secret  bildet  hier  die  ekzemerzeugende  Noxe.  Natürlich  etabliren 
sich  diese  Ekzeme  zuerst  an  der  Haut  der  Incisura  intertragica  und  des  Ohr- 
läppchens; secundär  können  sie  sich  selbstverständlich  auf  weitere  Abschnitte 
des  äusseren  Ohres  ausdehnen.    Es   muss   aber  hervorgehoben  werden,  dass 


EKZEMA  INTRÜITüS  NARIÜM.  109 

auch  der  umgekehrte  Modus  statthaben  kann,  indem  ein  an  den  äusseren  Olir- 
muscheln  vorhandenes  Ekzem  sich  auf  den  äusseren  Gehörgang  fortsetzt  und 
hier  ein  Ekzem  oder  auch  eine  ausgesprochene  Otitis  externa  ])uruhmta 
erzeugt.  —  Dass  jede  andere  ekzematophore  Schädlichkeit,  welche  die  Haut 
des  äusseren  Ohres  trifft,  hier  wie  überall  ein  Ekzem  erzeugen  kann,  ist  selbst- 
verständlich; auf  jede  einzelne  einzugehen,  würde  hier  zu  weit  führen.  Her- 
vorheben will  ich  nur  noch  die  Ekzeme,  welche  sich  an  das  leider  noch 
übliche,  an  die  Gebräuche  der  Wilden  erinnernde  Durchstechen  der  Ohr- 
läppchen für  die  Ohrgehänge  knüpfen.  Es  ist  das  kein  seltenes  Ereignis; 
und  zwar  kann  sich  sofort  an  die  Procedur  der  Ausbruch  eines  Ekzems  an- 
schliessen,  oder  dasselbe  entsteht  im  späteren  Leben  im  Anschluss  an  die 
Reizung  der  Umrandung  des  Ohrloches  durch  Ohrgehänge.  —  Am  häufigsten 
betroffen  von  Ohr-Ekzemen,  wie  von  Gesichts-  und  Kopfekzemen  überhaupt, 
sind  Kinder.  Das  erklärt  sich  einerseits  durch  die  zartere  Beschaffenheit  ihrer 
Haut  und  die  bei  ihnen  so  häufige  Seborrhoe,  andererseits  durch  die  con- 
stitutionelle  Prädisposition,  welche  die  Scrophulose  den  Kindern  für  ekzema- 
töse Erkrankungen  verleiht. 

Die  Behandlung  erfordert  die  auch  sonst  bei  Ekzemen  indicirten 
Maassnahmen.  Hier  nur  eine  ganz  kurze  Skizze:  Bei  acutem  Ekzema  erythe- 
matosum,  madidum,  vesiculosum  wendet  man  Puder,  Mischungen  von  Zink- 
oxyd, Tale,  venet.,  Amylum,  Magnesium  carbonicum  an  oder  streicht  Zinköl 
(Ol.  olivar.  und  Zink.  oxyd.  m),  Zinkpaste  (Zink,  oxyd.,  Amyl.,  Vaselin., 
Lanolin  m)-  auf.  Der  Zusatz  von  Ichthyol  (1 — 27o)  oder  Tumenol  (5 — 10%) 
ist  oft  nützlich,  letzteres  besonders  bei  lebhaftem  Jucken.  Haben  sich  Borken 
gebildet,  dann  müssen  dieselben  täglich  einmal  mit  reinem  Oliven-  oder 
Mandelöl  entfernt  werden.  Seife  und  auch  Wasser  vermeidet  man  bei  acutem 
Ekzem  im  floriden  Stadium  meistens  ganz.  Bei  lebhafter  Entzündung  können 
1  —  2%  Resorcin Wasser  oder  Liquor  Burowii  in  Gestalt  kühler  Compressen 
(dreimal  täglich  Yg  Stunde)  oder  von  zweistündlich  zu  wechselnden  Dunst- 
umschlägen neben  Puder  und  Paste  von  Nutzen  sein.  Salbenmulle  mit  oben- 
genannten Medicamenten  sind  oft  von  Vortheil,  da  sie  sich  gut  anschmiegen. 
Sehr  vorsichtig  sei  man  mit  dem  sehr  beliebten  Ung.  diachyl.  Hebrae. 

In  subacuten  und.  chronischen  Fällen,  speciell  beim  Ekzema  squamosum 
feiert  Theer  seine  Triumphe.  Man  applicirt  eine  5— 20%ige  Theersalbe  oder 
Theerpaste  oder  pinselt  in  torpideren  Fällen  Theertincturen  ein,  nach  deren 
Eintrocknen  man  aber  stets  zur  Sicherheit  noch  milde  Pasten  aufstreicht. 

Sehr  energisch  wirkt  oft  das  Ung.  Wükinsonii,  aufgelegt  bis  zu  be- 
ginnender Schälung.  —  Beim  Ekzema  seborrhoicura  s.  parasitarium  bilden 
Schwefel  (5— 10%),  Resorcin  (1—5%),  Salicylsäure  (1—5%)  als  Paste,  Salbe 
oder  Salbenmull  oft  die  wirksamsten  Heilmittel.  —  Rhagaden,  falls  sie  den 
Pasten  und  den  hier  sehr  praktischen  Salbenmullen  nicht  weichen,  betupft 
man  mit  Vortheil  vorher  je  nach  Bedarf  einmal  oder  mehrmals  mit  einer 
2 — lO^oigen  Lösung  von  Argentum  nitricum.  —  Setzt  sich  das  Ekzem  in  den 
äusseren  Gehörgang  fort,  dann  streicht  man  die  entsprechenden  Medicamente 
in  Gestalt  weicher  Pasten  auf  längliche  Watteröllchen  und  schiebt  diese  in 
den  Gehörgang;  auch  Salbenmulle  sind  dazu  sehr  geeignet,  indem  man 
kleine  Röllchen  aus  ihnen  herstellt.  —  Dass  man  etwaige,  ursächliche 
Momente  (Ohreiterungen,  Ohrgehänge  etc.)  und  eine  constitutionelle  Dispo- 
sition (Scrophulose)  bekämpfen,  etwaige  primäre  Ekzeme  der  Umgebung  gleich- 
zeitig in  Angriff  nehmen  muss,  bedarf  nicht  besonderer  Betonung,    jessnee. 

Ekzema  introitUS  narium.  Die  Wandungen  des  Naseneinganges,  die 
ja  ausgekleidet  sind  mit  einem  den  Charakter  der  äusseren  Haut  tragenden 
Ueberzug,  bilden  oft  den  Sitz  von  Ekzemen.  Dieselben  können  in  den  ver- 
schiedensten Formen  hier,  wie   überall   auftreten.     Die   acuten  Ekzeme   sind 


110  EKZEMA  INTROITUS  NARIUM. 

gewöliülich  erytliematöser  oder  nässender,  resp.  borkiger  Natur.  Die  Haut 
des  Naseneinganges  und  der  äusseren  Umrandung  desselben  kann  geröthet, 
von  der  Hornschiclite  entblösst  sein,  stark  secerniren  oder  mit  Krusten  bedeckt 
sein.  Dabei  besteht  stets  lebhaftes  Brennen,  seltener  Jucken.  Die  chronischen 
Formen  gehen  gewöhnlich  mit  Borkenbildung  einher,  die  ziemlich  fest  der 
Unterlage  anhaften.  Eine  häufige  Folge  dieser  Ekzeme  sind  schmerzhafte 
Rhagaden  am  Eande  des  Introitus  narium.  Nicht  selten  sind  auch  Folliculi- 
tiden;  entsprechend,  den  Haarbälgen  bilden  sich  kleine  Eiterbläschen,  welche 
durchbohrt  sind  von  einem  Haar.  Durch  perifolliculäre  Entzündung  können 
sogar  kleine,  furunkelähnliche  Eiterherde  sich  bilden. 

Die  Ursache  dieser  Ekzeme  ist  gewöhnlich  zu  suchen  in  Nasenaffectionen. 
So  sehen  wir  bei  acuter  Coryza  den  Naseneingang  sich  röthen,  wund  und 
empfindlich  werden,  da  die  Haut  durch  das  reichliche  Secret  gereizt  und 
macerirt  wird. 

In  noch  höherem  Maasse  ist  das  bei  der  Diphtherie  der  Fall,  da  das 
Secret  hier  noch  differenter  für  die  Haut  ist.  Es  kann  sogar  auf  der  mace- 
rirten  Haut  zu  einer  Ansiedelung  der  Diphtheriebacillen  kommen  und  sich 
im  Naseneingang  eine  echte  Hautdiphtherie  entwickeln.  Bei  der  Schwierig- 
keit und  Wichtigkeit,  die  Betheiligung  der  Nasenschleimhaut  bei  Rachen- 
diphtherie der  Kinder  festzustellen,  ist  die  Beachtung  der  Vorgänge  am  Nasen- 
eingang sogar  von  Wert,  da  eine  Macerirung  der  denselben  auskleidenden 
Haut  den  Yerdacht  einer  gleichzeitigen  Nasenaffection  erwecken  muss.  — 
Chronische  Ekzeme  des  Naseneinganges  sind  in  gleicher  Weise  oft  die  Folge 
chronischer  Nasenleiden,  mag  es  sich  um  eine  Rhinitis  chronica  hypertrophica, 
Ehinitis  chronica  atrophica,  Ozaena,  Polypen  oder  gar  um  eine  Eiterung  der 
Nebenhöhlen  handeln. 

Es  kann  aber  auch  das  Ekzema  introitus  narium  eine  Theilerscheinung 
von  Gesichtsekzemen  sein,  zumal  bei  Aftection  der  Oberlippe.  Am  häufigsten 
sehen  wir  das  bei  scrophulösen  Kindern,  deren  ekzematöse  Nasengegend  ja 
etwas  typisches  hat.  Dabei  ist  allerdings  zu  bedenken,  dass  hier  auch  fast 
niemals  Nasenkatarrhe  mit  starker  Secretion  fehlen,  die  als  Ursache,  aber 
auch  als  Folge  der  Ekzeme  am  Naseneingang  angesehen  werden  können,  da 
ja  Hautekzeme,  auf  Schleimhäute  fortwandernd,  hier  Katarrhe  hervorrufen.  Es 
ist  ja  das  Ekzem  der  Katarrh  der  Haut  und  umgekehrt  der  Katarrh  das  Ekzem 
der  Schleimhaut. 

Besonders  hervorgehoben  muss  noch  die  Beziehung  des  Ekzems  des 
Naseneinganges  zu  Sycosis  vulgaris  s.  coccogenes  der  Oberlippe  werden. 
Beide  können  sich  gegenseitig  bedingen,  jedes  von  beiden  Leiden  kann  das  pri- 
märe und  das  secundäre  bilden.  Die  oben  erwähnten  Folliculitiden  beim  Ekzema 
introitus  narium  sind  ja  ein  Analogon  der  Sycosis  vulgaris  der  Oberlippe. 

Die  Behandlung  muss  in  erster  Reihe  eine  causale  sein.  Man  muss 
eine  Scrophulose  beseitigen,  eine  Coryza,  Diphtherie,  Rhinitis  chronica  be- 
kämpfen, Polypen  entfernen,  Eiterungen  der  Nebenhöhlen  in  Angriff  nehmen, 
Gesichtsekzeme  behandeln  etc.  Auf  die  einzelnen  Maassnahmen  kann  ich 
natürlich  hier  nicht  eingehen. 

Die  directe  locale  Therapie  erheischt  die  Anwendung  der  auch  sonst 
beim  Ekzem  indicirten  Heilmittel,  Zink,  Ichthyol,  Schwefel,  Tumenol,  Resor- 
cin,  Theer  etc.     Die  Application  derselben  hat  stets  Schwierigkeiten  bereitet. 

Man  hat  vorgeschlagen,  mit  Salben  bestrichene  Wattebäusche  in  die 
Nasenöffnungen  einzulegen,  und  zwar  bei  beiderseitiger  Erkrankung  abwech- 
selnd stundenweise  je  eine  Oeffnung  zuzustopfen,  um  nicht  die  Athmung  zu 
beeinträchtigen.  Andere  machen  Röhrchen  aus  steifem  Papier,  umwickeln  sie 
mit  Salbenmullen  und  schieben  diese  Röhrchen  so  in  die  Nasenöffnungen. 
Ich  halte  das  alles  für  entbehrlich,  wenn  man  festere  Pasten  benutzt  nach 
der  Grundform  der  Zinkpaste  {Zink,  oxyd.,  Amyl.^  Vaselin.  flav.,  Lanolin  ää). 


ELEKTRO-LARYNGOTIIEKAPIE.  1 1 1 

Ich  lasse  mit  diesen  unter  eventuellem  Zusatz  der  indicirten  Medicamente 
mit  abgerundetem  Glasstäbchen  die  Wandungen  des  Introitus  gründlich  und 
.möglichst  tief  ringsum  mehrmals  täglich  bestreichen.  Sie  haften  gut  und 
bilden  einen  schützenden  und  heilenden  Ueberzug.  Natürlich  müssten  vorher 
die  Borken  gründlich  entfernt  werden.  —  Ilhagaden  ätzt  man  mit  2—10% 
Arg.  nitr.  Lösung  und  streicht  dann  Pasten  darüber.  (Jft  sind  auch  starke 
Ichthyolsalben  von  schneller  Wirkung.  Bei  citrigen  Folliculitiden  müssen  die 
betreffenden  Haare  ausgezupft  werden;  ist  es  zu  perifoUiculärer  Eiterung  ge- 
kommen, dann  bringt  ein  kleiner  Einstich  unter  Äethylchlorid  schnelle  Heilung, 

JESSNEK, 

Elektro-Laryngotherapie.  Indirect  kann  die  Heilwirkung  der 
Elektricität  dem  Kehlkopfe  zu  gute  kommen,  wenn  durch  ihre  Hilfe  compri- 
mirende  Geschwülste,  z.  B.  der  Thyreoidea,  oder  Hindernisse  für  die  normale 
Athmung  und  Secretentleerung  in  den  obersten  Luftwegen   zerstört   werden. 

Direct  kommt  die  Elektricität  am  Kehlkopfe  zur  Anwendung: 

1.  Als  Elektrisation. 

Bei  leichteren  Affectionen  der  Muskulatur  und  Innervation  genügt  meist 
die  percutane  Faradisation  oder  Galvanisation,  eventuell  die  abwechselnde 
Anwendung  dieser  beiden  Stromarten.  Die  wohlbefeuchteten  Elektroden  werden 
zu  beiden  Seiten  des  Schildknorpels  angelegt  und  können  durch  ein  Stativ 
festgehalten  werden.  Will  man  Nebenschliessungen  auf  der  Haut  vermeiden, 
so  hat  man  den  freien  Eaum  zwischen  den  Elektroden  abzutrocknen  und  mit 
Oel  oder  Lycopodiumpulver  zu  bedecken.  Einen  stark  reflectorisch  wirkenden 
Hautreiz  bei  Hysterischen  kann  man  mittels  des  feststehenden  elektrischen 
Pinsels  in  der  Faradisation  erzielen.  Eine  zahlenmässige  Dosirung  der  Strom- 
stärke erklärt  v.  Ziemssen  für  unmöglich,  fügt  aber  bei,  dass  sie  eine  zur 
Reizung  der  Gesichtsmuskeln  genügende  sein  soll. 

Wenn  nicht  bereits  nach  einigen  Sitzungen  ein  entschiedener  Erfolg  zu 
erzielen  war,  so  ist  die  intra pharyngeale  Elektrisirung  unentbehrlich. 
Dieselbe  wird  im  allgemeinen  sehr  unangenehm  empfunden,  so  dass  sie  viel- 
fach nur  unter  Cocainanwendung  ausgeübt  und  dass  die  Dauer  der  Sitzungen 
und  die  Wiederholung  der  Einführung  der  Elektroden  ganz  von  der  Toleranz 
des  Patienten  abhängig  gemacht  wird.  Als  weniger  belästigend  geniesst  die 
unipolare  Elektrode  zumeist  den  Vorzug  vor  der  doppelten;  der  positive  Pol 
kann  alsdann  in  Gestalt  eines  elektrischen  Halsbandes  über  der  Aussenseite 
des  Kehlkopfes  befestigt  werden,  v.  Ziemssen  hat  genaue  Angaben  über  die 
Localisation  der  inneren  Elektrode  gemacht,  wenn  es  sich  um  die  Reizung 
der  einzelnen  Muskeln  und  Nerven  handelt;  diese  Angaben  lauten  im  allge- 
meinen auf  den  Sinus  pyriformis,  das  Stimmband  und  den  Seitenrand  des 
Kehlkopfes.  Hiezu  bemerkt  Schmidt,  dass  es  nur  ganz  selten  gelingt,  den 
erkrankten  Musculus  cricoarytaenoideus  posticus  zu  treffen  oder  besser  gesagt 
zu   reizen,    wahrscheinlich  wegen  der  schnellen  Degeneration  dieses  Muskels. 

Es  kann  angezeigt  sein,  mit  der  äusseren  und  inneren,  der  faradischen 
und  galvanischen  Elektrisirung  abzuwechseln,  sowie  der  Wendung  und  Unter- 
brechung des  Stromes  und  vorhergehenden  subcutanen  Injection  von  1  mg 
Strychnin  sich  zu  bedienen.  Die  Controle  der  Wirkung  des  Stromes  wird 
mit  dem  Spiegel  und  mittels  Beobachtung  einer  Besserung  der  Intonation 
während  der  Elektrisirung  ausgeübt. 

Die  intrapharyngealen  Elektroden  dürfen  nach  v.  Ziemssen  nur  mit 
nicht  zu  dünnen,  wohl  befestigten  und  anfeuchtbaren  Schwammhüllen  versehen 
sein.  Von  einfachen  Elektroden  wird  die  EuLENBUEG'sche,  von  doppelten  jene 
von  V.  Ziemssen,  Mathieu,  Grünwald  (letztere  ausser  mit  Unterbrechungs- 
auch  mit  Stromwechselvorrichtung  versehen)  empfohlen.    Clemens  lässt  unge- 


112  ELEKTRO-LARYNGOTHEEAPIE. 

berdigen  Kindern  kleine,   mit  dünnen  Kabeln  verbundene  Platin  blättchen  in 
kleinen  Compressen  versteckt,  unter  einer  Guttaperchahülle  anlegen. 

Das  Object  der  tonischen  Elektrisation  sind  die  Muskel-  und  Nerven- 
lähmungen. Nicht  auszuführen  ist  die  Reizung  des  Nervus  recurrens  vagi  für 
sich  allein.  Bezüglich  der  hysterischen  Lähmungen  sprechen  verschiedene 
Autoren  der  Elektrisirung  des  Kehlkopfes  jede  specifische  Bedeutung  ab  und 
ziehen  ihr  die  Sondirung,  Insufflation  von  Pulvern  und  die  Kehlkopfmassage 
als  unschädlich  für  das  Nervensystem  vor.  Bei  Paresen  infolge  chronischer 
Lar}Tigitis  erklärt  v.  Scheötter  die  elektrische  Behandlung  für  nutzlos  und 
nicht  ungefährlich,  ehe  nicht  die  letzten  Erscheinungen  des  Katarrhs  ver- 
schwunden sind,  und  selbst  dann  für  keineswegs  sicher  wirksam.  Die  An- 
ästhesie erfordert  die  Behandlung  des  Nervus  laryngeus  superior  mittels  einer 
der  beiden  Stromarten  am  Ligamentum  pharyngo-epiglotticum.  —  Die  beru- 
higende Wirkung  des  constanten  Stromes  hat  sich  bei  mehreren  Neurosen, 
jedoch  gar  nicht  bei  Glottiskrampf  bewährt;  beim  inspiratorischen,  functionel- 
len  Stimmritzenkrampf  wird  Galvanisation  des  verlängerten  Markes  empfohlen. 

2.  Als  Zerstörungsmittel. 

a)  Die  Galvanokaustik  wurde  von  Voltolini  und  Brüns  in  die 
Laryngologie  eingeführt.  Obwohl  kaum  einem  Laryngologen  ganz  entbehrlich, 
findet  sie  doch  bei  den  Einzelnen  eine  recht  verschiedene  Vorliebe.  Vielfach 
wird  sie  zur  Zerstörung  flacher  und  sonst  schwer  anzugreifender  Tumoren, 
zur  Ausätzung  des  Fusses  abgetragener  Geschwülste  (auch  nach  der  Eröffnung 
des  Kehlkopfes  von  aussen)  und  von  Geschwüren  und  Infiltraten  benützt; 
V.  Scheötter  empfiehlt  sie  gegen  die  Lupusknoten,  Schech  erklärt  sie  als 
das  beste  Mittel  gegenüber  den  Sängerknötchen.  Widerrathen  wird  ihre 
Anwendung  von  Voltolini  am  Stiele  grosser  Tumoren  wegen  der  in  dem- 
selben befindlichen  dicken  Gefässe  und  von  v.  Schrötter  betreffs  der  d'irecten 
Behandlung  aller  anderen  narbigen  Stenosen  des  Kehlkopfes  ausser  den 
Narbenbrücken  zwischen  den  Stimmbändern;  dagegen  räth  der  letztere  durch 
Verschorfung  der  hinteren  Fläche  der  Aryknorpel  einen  narbigen  Gegenzug 
gegen  die  Stenosen  im  hintersten  Theile  der  Kehlkopfhöhle  hervorzubringen. 
Die  Eingriffe  geschehen  unter  Cocainanästhesie  und  nach  Einübung  des  Pa- 
tienten. Die  bevorzugtesten  Instrumente  sind  der  Handgriff  und  die  verschieden 
geformten  Brenner  von  Scheck  geblieben;  diese  Brenner  lassen  sich  in  toto 
mit  Sublimatlösung  desinficiren  und  sollten  auch  stets  in  toto  desinficirt 
werden!  Sterilisirbare  Brenner  ohne  Isolirung  durch  Seide  und  ähnliches 
Material  werden  seit  kurzem  in  Berlin  angefertigt. 

b)  Die  Elektrolyse  verdankt  ebenfalls  Voltolini  ihre  Einführung  in 
die  Laryngotherapie  und  soll  ermöglichen,  Operationen  an  blutreichen  Regionen 
und  Tumoren  unblutig  auszuführen.  Bisher  ist  sie  am  meisten  zur  Behand- 
lung tuberkulöser  Infiltrate  benützt  worden,  und  es  sprechen  sich  die  wenigen 
Veröffentlichungen  (Kafemann,  GRtJNWALD,  Heryng)  nicht  ungünstig  über 
ihren  Wert  aus.  An  der  Operationsstelle  entsteht  ein  für  mehrere  Tage 
haftender  Schorf,  unter  welchem  Granulationen  erscheinen,  die  meistens  in 
zwei  bis  drei  Wochen  zu  einer  dauernden  Narbe  sich  umbilden. 

Jede  Batterie  zur  Erzeugung  des  constanten  Stromes  kann  als  Kraft- 
quelle benützt  werden.  Wegen  der  unbestimmbaren  Toleranz  des  Patienten 
ist  nach  Placirung  der  Elektrode  der  Strom  ziemlich  rasch  von  0  auf  die 
beabsichtigte  Stärke  zu  bringen  und  darauf  zu  achten,  vor  dem  Herausnehmen 
der  Elektrode  denselben  möglicherweise  rasch  wieder  auf  0  zurückzuführen, 
da  andernfalls  ein  starker  elektrischer  Schlag  erfolgt.  Hiezu  benützt  man  am 
besten  einen  Rheostaten.  Die  Stromstärke  hat  sich  zwischen  5  und  15 
bis  20  M.  A.  zu  halten  und  muss  durch  einen  Amperemeter  oder  einen 
hiernach  geprüften  Galvanometer   controlirt  werden.     Da  die  Operation  dem 


ELEKTRO-OTO-DIAGNOSTIK.  113 

Patienten  grosse  Unannehmlichkeiten  verursacht,  so  ist  die  Coca'inisirung, 
eventuell  sogar  die  submucöse,  unerlässlich.  Es  gewöhnt  sich  indes  der 
Patient  immer  mehr  an  die  Beschwerden,  so  dass  die  Elektrode  öfters  in 
einer  Sitzung  eingeführt  und  bis  zu  mehreren  Minuten  belassen  werden  kann. 
Als  Elektroden  werden  die  doppelten  bevorzugt.  Als  Metall  für  die 
bis  zu  1  cm  langen  Spitzen  eignet  sich  besonders  eine  Legirung  von  Platin 
und  Iridium  wegen  ihrer  Härte.  Heryng  beschreibt  eine  Doppelelektrode,  in 
welcher  gerade  und  bajonnettförmig  gebogene  Spitzen  in  beliebiger  Länge  ein- 
geschraubt werden  können.  Kafemann  hat  steigbügelförmige  Doppelelektroden 
angegeben,  welche  nur  oberflächlich  aufgesetzt  werden  und  auch  nur  in  ganz 
geringe  Tiefe  wirken;  Heryng  bringt  statt  des  einen  Steigbügels  gelegentlich 
ein  Platinblättchen  an. 

3.  In  ihren  kataly tischen  und  kataphorischen  Eigenschaf- 
ten. Clemens  bespricht  unter  diesem  Gesichtspunkte  seine  langsam  erzielten 
Heilungen  von  chronischen  Kehlkopfkatarrhen  und  von  syphilitischen  Kehlkopf- 
katarrhen und  -Stenosen,  bei  welch  letzteren  er  Jod  in  den  Kehlkopf  percutan 
übergeleitet  hat. 

4.  Als  elektromotorische  Kraft.  Spiess  hat  den  EwER'schen  Kehl- 
kopfconcussor  mit  einem  kleinen  Elektromotor  in  Verbindung  gebracht,  welcher 
60  Vibrationen  in  der  Secunde  hervorbringt.  Spiess  will  es  nicht  entscheiden, 
ob  die  staunenswerten  Erfolge  besonders  bei  nervöser  Aphonie  wirklich  der 
Massage  zugeschrieben  werden  dürfen.  bergeat. 

ElektrO-OtO-DicignOStik.  (Die  elektrische  Untersuchung  des  Gehörnerven.) 
Die  galvanische  Untersuchung  des  Ohres,  welche  namentlich  von  Brenner  für 
die  Diagnostik  empfohlen  worden  ist,  setzt  den  Besitz  eines  sehr  vollständigen 
Apparates  voraus.  Brenner  ordnete  seinen  Versuch  in  der  Weise  an,  dass 
er  die  eine  Elektrode  vor  den  Tragus,  die  andere  auf  eine  indifferente  Stelle 
des  Körpers  aufsetzte  und  fand  dabei  folgende  Norm  derPteaction  des 
Acusticus  : 

Ist  die  Kathode  (Ka)  am  Ohre  angebracht,  so  beantwortet  der  Hörnerv 
die  Schliessung  des  Stromes  (S)  mit  einer  starken  Klangempfindung  (K'"), 
welche  während  einer  kurzen  Dauer  (D)  des  Stromschlusses  anhält,  um  all- 
mählich abzunehmen  (K'"  K"  K'  K),  während  die  Oeffnung  des  Stromes  (Oj 
ohne  Einfluss  bleibt.  Bei  Anlegung  der  Anode  (A)  an  das  Ohr  reagirt  hin- 
gegen der  Nerv  nicht  auf  die  Schliessung  und  die  Dauer  des  Stromes,  son- 
dern nur  auf  die  Oeffnung  desselben.  Die  sogenannte  Normalformel,  welche 
bei  Einschaltung  einer  bestimmten  Elementenzahl  und  bei  genauer  Beobach- 
tung bestimmter  Vorsichtsmaassregeln  gewonnen  wird,  lässt  sich  mithin  durch 
folgendes  Schema  ausdrücken: 

Ka  S  K'"  A  S  — 

Ka  D  K'"  K"  K'  K  A  D  — 

Ka  0  —  A  0  K 

Nach  Brenner  lässt  nun  das  Eintreten  dieser  Normalformel  mit  Sicher- 
heit darauf  schliessen,  dass  eine  vorhandene  Affectiou  nicht  im  Hörnerven 
ihren  Sitz  hat.  Tritt  hingegen  die  Ka  SK'"  oder  AOK  sehr  leicht,  d.  h.  bei 
sehr  schwachem  Strome  und  sehr  lebhaft  ein,  hält  Ka  SK'"  und  AOK  unge- 
wöhnlich lange  an,  etwa  während  der  ganzen  Dauer  des  Stromschlusses  (Ka  DKoo), 
oder  tritt  am  anderen,  nicht  armirten  Ohre  eine  entgegengesetzte,  dem  Sinne 
der  indifferenten  Elektrode  entsprechende  „paradoxe  Reaction"  ein,  so 
liegt  eine  elektrische  Hyperästhesie  des  Acusticus  vor.  Als  Beweis  für 
das  Vorhandensein  einer  solchen  bezeichnet  Brenner  auch  die  vollständige 
Umkehrung  der  Formel,  so  dass  z.  B.  bei  AS  und  AD  Klangempfindung 
erfolgt. 

Ohren-,  Nasen-,  Eathen-,  Kehlkopfkrankheiten.  ö 


114  ENCHONDROME  IM  KEHLKOPF. 

Ausserdem  unterscheidet  Brenner  verschiedene  Stufen  der  Erregbarkeit, 
je  nach  der  Zahl  der  Elemente,  welche  zur  Auslösung  der  Normalformel  er- 
forderlich sind.  Wenn  nämlich  bei  einer  gewissen,  durch  allmähliche  Ein- 
schaltung von  immer  mehr  Elementen  erzeugten  Stromstärke  endlich  der 
Stromschluss  eine  Klangempfindung  hervorruft,  so  wird  dies  als  primäre 
Erregbarkeit  des  Acusticus  (EJ  bezeichnet.  Tritt  darauf  bei  einer  all- 
mählichen Abschwächung  des  Stromes,  also  bei  einer  Elementenzahl,  welche 
vorher  nicht  zur  Auslösung  einer  Empfindung  genügte,  bereits  eine  schwache 
Klangempfindung  ein,  so  heisst  das  nach  Brenner  secundäre  Erregbar- 
keit (Eg).  Nachdem  nun  bei  weiterer  Abschwächung  des  Stromes  der  Nerv  nicht 
mehr  reagirt  hat,  tritt  nach  längerer  Einwirkung  der  Anode  bei  einer  Strom- 
wendung mittelst  des  Commutators  wieder  eine  Klangempfindung  auf,  die 
sogenannte  tertiäre  Erregbarkeit  (Eg). 

Näher  auf  diese  elektrodiagnostischen  Vorgänge  einzugehen,  ist  hier  umso 
weniger  am  Platze,  als  der  Wert  für  die  Praxis  ein  sehr  problematischer  ist 
und  sie  in  den  Artikeln  über  die  Erkrankungen  des  Acusticus  specieller 
besprochen  werden.  bürkner. 

Enchondrome  im  Kehlkopf.  Enchondrome  beruhen  auf  wirklicher 
Neubildung  von  Knorpelgewebe,  wodurch  grössere  Tumoren  entstehen;  sehr 
häufig  verknöchern  dieselben  theilweise  oder  sind  gemischt  mit  fibrösem  oder 
myxomatösem  Gewebe.  Sie  gehen  auch  von  den  Knorpeln  aus,  haben  aber 
unbegrenztes  Wachsthum  und  zerfallen  nicht  selten,  veranlassen  oft  Stenose 
und  sind  daher  als  sehr  gefährlich  anzusehen.  In  der  Literatur  sind  nicht 
viele  Fälle  bekannt. 

Der  Umstand,  dass  sie  meist  im  späteren  Lebensalter  beobachtet  wurden, 
macht  es  wahrscheinlich,  dass  die  um  diese  Zeit  gewöhnlich  eintretende  Ossi- 
fication  der  Knorpel  mit  der  damit  verbundenen  Vascularisation  die  Schuld 
an  der  starken  Wucherung  des  Knorpelgewebes  trägt. 

Am  häufigsten  werden  der  Ringknorpel,  seltener  der  Schildknorpel,  am 
seltensten  der  Aryknorpel  und  die  Epiglottis  betroffen.  Die  histologische 
Untersuchung  zeigt,  dass  es  sich  um  knorpeliges  Gewebe,  vermischt  mit  fibrösem 
und  myxomatösem  handelte.  Oefters  kommt  es  zu  theilweiser  Verknöcherung 
und  manchmal  zur  sarcomatösen  Entartung.  Die  Symptome  bestehen  in 
allmählich  zunehmender  Behinderung  des  Schlingens  und  Athmens;  bei  sehr 
beschränkter  Ausbreitung,  z.  B.  auf  dem  Ary-Knorpel,  war  nur  das  Gelenk 
zwischen  Ary-  und  Pdngknorpel  unbeweglich  gemacht,  ebenso  machen  die  auf 
der  Epiglottis  sitzenden  Enchondrome  wenig  Beschwerden.  Die  auf  dem 
Bing-  oder  Schildknorpel  sitzenden  Formen  dagegen  wachsen  meist  bedeutend 
und  veranlassen  Schling-  und  Athembeschwerden. 

Als  laryngologischen  Befund  sieht  man  einen  breit  aufsitzenden, 
unbeweglichen  Tumor,  der  von  normaler  Schleimhaut  überzogen  ist.  Bei  Berüh- 
rung erweist  er  sich  hart.  Kleine  solche  Tumoren  wurden  schon  endolaryngeal 
von  Störk,  Asche,  Morris  mit  einer  Guillotine  entfernt;  sie  sassen  alle  ober  der 
Stimmritze  und  ragten  nur  wenig  in  das  Lumen  hinein.  Sind  aber  die  Tumoren 
sehr  gross  und  verengern  sie  das  Lumen  des  Kehlkopfes  stark,  oder  wuchern 
sie  sogar  nach  aussen,  entweder  gegen  den  Rachen  oder  gegen  die  Haut  des 
Halses  zu,  so  finden  sich  im  Innern  des  Larynx  grosse,  das  Lumen  desselben 
hochgradig  verengernde  Tumoren.  In  solchen  Fällen  muss  man  wohl  immer 
zuerst  Tracheotomie  machen  und  dann  nach  Laryngofissur  den  Tumor  ent- 
fernen, wie  es  Bii.lroth  einmal  mit  sehr  gutem  Erfolge  that. 

In  einem  Falle  TfiRCK's  fand  sich  unter  dem  linken  Stimmbande  ein 
höckeriger,  gerötheter  Tumor,  der  den  Aryknorpel  in  Abduction  fixirte. 
(Fig.  1.)  Der  52jährige  Pati.ent  starb  am  Tage  nach  der  Aufnahme  in  einem 
dyspnoischen    Anfalle.     Die    Section    zeigte     die    Platte    des    Ringknorpels 


ENCHONDROME  DER  NASENHÖHLE, 


115 


(Fig.  2.)  besonders  stark  an  der  linken  Seite  {h)  ver- 
dickt höckerig.  Diese  Verdickung  bestand  aus  bläu- 
lich weisser  Knorpelmasse,  die  vielfach  verknöchert 
und  mit  Höhlen  versehen  war.  Diese  Höhlen  hatten 
sich  durch  Nekrose  theils  nach  dem  Rachen  zu, 
theils  nach  dem  Kehlkopf  und  der  Luftröhre  eröff- 
net. (Fig.  3.)  Obwohl  Türck  nach  Schott's  Befund 
den  Tumor  nur  als  Hypertrophie  des  Knorpels  mit 
Verknöcherung  und  Nekrose  auffasste,  kann  man  ihn 
doch  zu  den  Enchondromen  rechnen,  da  es  zu  umfang- 
reicher Neubildung  des  Knorpelgewebes  gekommen  war. 

Mehrere  der  anderen  Patienten  litten  wieder  nur  an  Schlingbeschwerden, 
während  dieselben  in  Türck's  Fall  fehlten.    Jedenfalls  ist  die  Prognose  bei 


Fig.  1.    Encbondrom  des  Iling- 

knorpels. 

IjaryngOBCopisches  Bild. 


Enohondrom  des  Eingknorpels, 
von  hinten  gesellen. 


Enchondrom  des  Eingknorpels, 
von  vorne  gesehen. 


grösseren  Enchondromen  sehr  ungünstig  und  wird  sich  noch  schlimmer  gestalten, 
wenn  sie  zum  Uebergange  in  Myxom  oder  Sarcom  neigen.  chiari. 

Enchondrome  der  Nasenhöhle.  Knorpelgeschwülste  sind  in 
der  Nase  sehr  selten;  in  den  Fällen  von  Bryant,  Richet,  Heürtäüx, 
Verneuil,  Makenzie,  Peyre-Porcher  waren  es  haselnuss-  bis  mannsfaust- 
grosse,  harte  Geschwülste,  die  vermittelst  eines  ganz  kurzen,  etwas  breiten 
Stieles  vom  knorpeligen  Septum,  selten  nur  vom  Nasendache  ausgegangen 
waren;  fast  immer  fand  man  sie  bei  jungen  Individuen.  Anfangs  verursachen 
dieselben  die  Erscheinungen  einer  einfachen  Coryza,  bald  aber  rufen  sie 
bei  ihrem  raschen  Wachsthurae  die  Symptome  der  Nasenstenose  hervor  und 
mit  ihr  eine  eiterige,  fötide  Nasensecretion.  Porcher  beobachtete  bei  seinem 
Kranken  hochgradige  geistige  Schwäche,  die  nach  der  Operation  wieder  voll- 
ständig verschwand.     Grosse  Chondrome  verdrängen  das  Septum  und  schliess- 


116  ENCHONDROME  DES  NASENRACHENRAUMES.  —  ERYSIPEL  AS  LARYNGIS. 

lieh  auch  das  ganze  Nasengerüste,  wodurch  die  äussere  Nase  stark  aufgetrieben 
Avird.  —  In  ihren  Anfangsstadien  kann  man  sie  mit  dem  harten  Fibrom  oder 
auch  mit  einem  Osteom  verwechseln,  späterhin  jedoch  unterscheiden  sie  sich 
von  denselben  dadurch,  dass  man  mit  einer  Nadel  in  sie  einstechen  kann, 
was  beim  Osteom  unmöglich  ist ;  anderseits  besitzen  harte  Fibrome  nie  eine  so 
feste  Consistenz  wie  die  Knorpelgeschwülste.  Kleinere  Chondrome  kann  man 
auf  intranasalem  Wege  mit  der  Schlinge  entfernen,  wonach  es  selten  zu 
Recidiven  kommt;  bei  grösseren  Tumoren  ist  die  Spaltung  der  Nase  oder  die 
Ablösung  der  Nasenflügel  zu  ihrer  Extraction  nothwendig.  kühn. 

Enchondrome  des  Nasenrachenraumes.     Die    En Chondrome 

kommen  im  Nasenrachenräume  ganz  selten  zur  Beobachtung.  Bensh  fand  in 
seiner  Statistik  von  113  Nasenrachentumoren  nur  fünf  Chondrome  und  Fibro- 
chondrome;  ausser  diesen  hat  Mikulicz  bei  einem  zehnjährigen  Jungen  ein 
haselnussgrosses  Netzknorpel-Chondrom  vom  linken  Tubenknorpel  mit  dem 
Meissel  entfernt.  Ivius  berichtet  über  ein  Enchondrom  des  Pharynxdaches 
bei  einem  jungen  Manne.  Ein  von  Max  Müller  mitgetheilter  Fall  betraf 
einen  24jährigen  Mann,  der  mehrere  Jahre  lang  zuerst  die  linke  Nase,  dann  auch 
die  rechte  verstopft  hatte  und  der  ausserdem  an  zeitweiligen  Kopfschmerzen, 
Somnolenz  und  klonischen  Krämpfen  in'  den  oberen  Extremitäten  litt;  der 
faustgrosse  Tumor  entsprang  von  der  Pars  basilaris  des  Keil-  und  Hinter- 
hauptbeines und  stellte  ein  Enchondrom  aus  hyalinem  Knorpel  mit  homogener 
Grundsubstanz  dar.  „Die  Geschwulst  füllte  die  Choanen  und  durch  Ver- 
drängung des  Vomer  und  Septum  auch  beide  Nasenhöhlen  aus;  sie  war  ausser- 
dem durch  Usurirung  der  Lamina  papyracea  des  Siebbeines  in  die  linke  Orbita 
vorgedrungen  und  hatte  hochgradige  Amblyopie  und  Doppelbilder  verursacht."  — 
Der  Tumor  wurde  von  MtJLLER  nach  vorausgeschickter  temporärer  Ober- 
kieferresection  durch  die  Glühschlinge  entfernt  und  die  Wurzel  mit  dem  Glüh- 
eisen zerstört.  Der  Kranke  von  Mikulicz  bot  ebenfalls  Symptome  von  Nasen- 
verstopfung und  epileptiformen  Krämpfen  dar;  der  Tumor  war  mit  der 
Rückenfläche  des  Velum  verwachsen  und  wurde  mit  einem  durch  die  Nase 
eingeführten  Meissel  unter  Leitung  des  Fingers  vom  Munde  her  entfernt. 

KUHN. 

ErySipelaS  laryngis  (Kehlkopf enjsipel).  Aetiologie:  Es  ist  bisher  der 
bacteriologischen  Forschung  nicht  gelungen,  den  die  Eiterung  verursachenden 
Streptococcus  pyogenes  mit  Sicherheit  von  dem  FEHLEiSEN'schen  Erysipel- 
coccus  zu  differenziren ;  die  allgemeine  Anschauung  ist  aber  die,  dass  dem 
letzteren  doch  eine  höhere  Virulenz  zuzusprechen  sei.  Schon  aus  diesem 
Grunde  dürfte  man  das  Erysipel  des  Larynx  als  eine  Krankheit  sui  generis 
auö"assen  und  dies  um  so  mehr,  als  dasselbe  auch  klinisch  sich  charakteri- 
siren  lässt. 

Es  entsteht  entweder  im  Anschluss  an  ein  Erysipel  des  Gesichtes  oder 
gleichzeitig  mit  einem  solchen  an  irgend  einer  Körperstelle,  oder  aber  es 
entsteht  primär  im  Kehlkopf,  von  wo  es  dann  auf  die  Nachbarschaft  und  das 
Gesicht  sich  fortsetzen  kann.  Bei  dem  primären  Rothlauf  geschieht  die  Infection 
zumeist  am  Zungengrunde. 

Die  Symptome  sind  nach  Massei,  der  die  meisten  einschlägigen  Beob- 
achtungen gemacht  hat,  ganz  bezeichnend:  1.  Eine  vom  Zungengrunde 
beginnende  und  auf  den  Kehlkopfeingang  sich  fortsetzende,  lebhafte  Ilöthung 
und  Schwellung,  2.  das  schnelle  Wandern  der  letzteren  von  einem  Punkte  zum 
anderen  und  3.  die  eigenthümliche  Fiebercurve;  die  Temperatur  steigt  gleich 
im  Anfang  auf  40 — 41  **  C,  fällt  gleich  darauf  und  steigt  wieder  in  die  Höhe. 
Die  regionären  Lymphdrüsen  sind  dabei  geschwollen. 


ERYSIPELAS  PHARYNGIS.  117 

Subjectiv  empfinden  die  Patienten  zuvörderst  Schlu(^kweh,  das  von  der 
Schwellung  des  Zungengrundes  lierrührt;  dazu  gesellt  sich  infolge  der  durch 
die  Anschwellung  der  Epiglottis  und  der  aryepiglottischen  Falten  verursachten 
Verengerung  des  Kehlkopfeinganges  Athemnoth,  während  die  Stimme  gewöhn- 
lich nahezu  intact  bleibt.  Weiterhin  können  sich  grosse  Phlyctänen  mit 
eitrigem  Inhalt  bilden,  die  dann  die  Athemnoth  noch  steigern. 

Die  Diagnose  kann  schwanken  zwischen  Erysipel,  Oedem  und  Laryn- 
gitis phlegmonosa.  Beim  Oedem  ist  aber  gewöhnlich  kein  oder  nur  geringes 
Fieber  vorhanden  und  zeigt  die  Schleimhaut  nicht  die  lebhafte  Ptöthe  des 
Erysipels,  sieht  vielmehr  grau  durchscheinend  aus;  die  Laryngitis  phlegmonosa 
andererseits  zeigt  nicht  die  typische  Fiebercurve  und  das  Wandern  und 
schnelle  Wachsen  der  Schwellung,    wie  sie  beim  Ptothlauf  beobachtet  werden. 

Die  Prognose  ist  nicht  ohne  weiteres  ungünstig,  kann  aber  getrübt 
werden  durch  die  Laryngostenose,  durch  das  Hinabsteigen  des  Erysipels,  durch 
das  Auftreten  einer  Pneumonie  und  die  besonders  bei  alten  Leuten  sich  ein- 
stellende Adynamie. 

Die  Behandlung  besteht  in  innerlicher  und  äusserlicher  Anwendung 
von  Eis,  Zerstäubungen  von  Va^/oo  Sublimatlösung  u.  ä.  Bei  Laryngostenose 
scariticire  man  die  geschwollene  Schleimhaut,  schiebe  aber,  w^enn  die  Athem- 
noth nicht  nachlässt,  die  Tracheotomie  nicht  zu  lange  auf;  bei  drohender 
Schwäche  gibt  man  Excitantien.  a.  eosenberg. 

Erysipelas  pharyngiS  {Eachenerysipel).  Dass  die  Rose  auch  an  der 
Rachenschleimhaut  sich  localisiren  kann,  war  schon  den  alten  Aerzten  bekannt. 
Genauere  Beobachtungen  stammen  aber  erst  aus  diesem  Jahrhundert  von 
CoENiL  (Archiv  gener.  1862).  Das  klinische  Bild  des  Rachenerysipels  ist  kein 
sehr  charakteristisches,  es  sind  eben  nur  die  Zeichen  einer  heftigen  Entzündung 
sichtbar.  Die  Schleimhaut  ist  intensiv  geröthet,  Scharlach-  oder  purpurroth, 
hat  dabei  meist  ein  auffallend  glänzendes  Aussehen,  erscheint  wie  lackirt.  Es 
besteht  erhebliche,  oft  sogar  sehr  erhebliche,  ödematöse  Schwellung  aller 
Rachengebilde.  Gerhaed  sah  in  einem  Falle  grauw^eisse,  punktförmige  Beläge 
auf  der  Tonsille,  die  w^ohl  den  Belägen,  wie  man  sie  bei  Angina  follicularis 
trifft,  entsprechen.  In  einzelnen  Fällen  ist  die  Entzündung  eine  besonders 
heftige,  es  kommt  zu  umschriebenen  Exsudationen;  zur  Bildung  ziemlich  grosser 
Blasen  (Erijsipelas  hullosum).  Wie  alle  Schleimhautblasen  haben  auch  diese 
nur  eine  sehr  dünne  Decke  und  deshalb  einen  nur  sehr  kurzen  Bestand; 
unter  dem  Einflüsse  von  Schluckbewegungen,  resp.  lädirt  durch  die  herunter- 
geschluckten Substanzen,  wird  die  Blase  schnell  zerstört  und  es  bleibt  eine 
entsprechend  grosse  Erosion  der  Schleimhaut  zurück.  Diese  erscheint  auf- 
fallend roth  und  feucht,  kann  sich  aber  auch  grau  belegen.  Ganz  selten 
kom.mt  eine  gangränöse  Zerstörung  der  Rachengebilde  bei  Erysipel  vor  {Ery- 
sipelas  gangraenosum).  Niemals  vermisst  wird  bei  allen  Rachenerysipelen 
die  secundäre  Schwellung  der  Lymphdrüsen  am  Unterkiefer,  wenn  sie  auch 
in  der  Intensität  grossen  Schwankungen  unterworfen  ist.  —  Sieht  man  von 
der  Blasenbildung  und  der  raren  Gangrän  ab,  so  wird  man  einschneidende 
Differenzen  gegenüber  manchen  anderen  Formen  von  acuter  Angina  auf  Grund 
des  localen  Befundes  nicht  feststellen  können.  In  der  That  ist  der  Unter- 
schied nur  ein  gradueller,  manche  heftige  acute  Rachenentzündung  bietet 
keineswegs  leichtere  örtliche  Erscheinungen.  Im  ganzen  und  grossen  trifft 
dieses  auch  für  die  Allgemeinerscheinungen  zu,  denn  auch  hier  handelt  es 
sich  w^esentlich  um  graduelle  Unterschiede.  In  der  Regel  ist  natürlich^  die 
Störung  des  Gesammtbefindens  beim  Erysipel  eine  sehr  viel  bedeutendere. 
Die  Krankheit  setzt  mit  heftigem  Fieber,  oft  unter  Schüttelfrost,  ein;  die 
Thätigkeit  der  Verdauungsorgane  liegt  sehr  danieder,  die  Kranken  haben 
Widerwillen  gegen  jede  Nahrung,  fühlen  sich  sehr  elend,  klagen  über  Schluck- 


118  ERYSIPEL  AS  PHARYNGIS. 

bescliwerden,  lebhaftes  Brennen  und  starke  Trockenheit  im  Halse.  Der  Ver- 
lauf ist,  sofern  keine  Complication  hinzutritt  und  es  sich  nicht  um  eine  sehr 
maligne  Infection  handelt,  meist  ein  schneller  und  günstiger.  In  höchstens 
einer  Woche  gehen  Röthung  und  Schwellung  im  Halse  zurück,  die  subjectiven 
Beschwerden  schwinden,  die  Drüsen  verkleinern  sich,  das  Fieber  klingt  all- 
mählich ab,  und  es  tritt  Genesung  ein.  Bei  einer  malignen  Infection  mit 
sehr  virulenten  Coccen  kann  allerdings  auch  durch  das  Rachenerysipel  an 
sich  ein  ungünstiger  Ausgang  des  Processes  bewirkt  werden.  Unter  hohem 
Fieber,  Delirien,  Herzschwäche  tritt  dann  Exitus  letalis  ein.  Das  ist  aber 
ein  selteneres  Ereignis.  Häufiger  erfährt  die  Krankheit  eine  Steigerung  ihrer 
Malignität  oder  wenigstens  eine  oft  sehr  erhebliche  Verschleppung  durch 
Complicationen  verschiedener  Art.  Diese  können  zunächst  sich  entwickeln 
durch  Fortpflanzen  des  Processes  per  continuitatem,  durch  Weiterwandern  nach 
oben  oder  auch  nach  unten.  In  letzterem  Falle  ist  das  Hinzutreten  einer 
erysipelatösen  Entzündung  des  Larynx  ein  sehr  bedenkliches  Ereignis.  Man 
kann  sich  ja  leicht  vorstellen,  zu  welch'  schweren  Folgen  die  diesen  Process 
meist  begleitende  ödematöse  Schwellung  führen  kann.  Gar  leicht  kann  die 
Glottis  durch  Oedem  verlegt  und  dadurch  die  Athmung  erschwert,  wenn  nicht 
unmöglich  gemacht  werden.  Ausserdem  kann  das  Erysipel  auch  über  den 
Larynx  hinaus  tiefer  fortwandern,  in  Trachea  und  Bronchien,  eine  Tracheitis, 
eine  Bronchitis,  selbst  eine  Pneumonie  erzeugend. 

W^andert  das  Erysipel  des  Piachens,  was  häufig  geschieht,  nach  oben, 
dann  gibt  es  sich  vornehmlich  kund  durch  secundäres  Gesichtserysipel. 
Es  kann  die  Haut  auf  verschiedenen  Wegen  erreichen.  Entweder  der  Process 
kriecht  in  die  Tuba  Eustachii,  gelangt  in  das  Mittelohr,  hier  eine  Otitis  media 
auslösend,  und  schliesslich  nach  Perforation  des  Trommelfelles  durch  den 
äusseren  Gehörgang  an  die  Hautdecke.  Das  secundäre  Erysipel  der  Haut 
zeigt  sich  dann  zuerst  am  Ohr.  Dieser  Weg  ist  der  seltener  betretene. 
Häufiger  führt  die  Wanderung  das  Erysipel  auf  dem  Wege  durch  die  Nase 
nach  aussen.  Es  wird  dasselbe  dann  sichtbar  entweder  am  Canthus  internus 
des  Auges,  indem  die  erysipelatöse  Entzündung  die  enge  Passage  durch  den 
Thränennasencanal  eingeschlagen  hat,  oder  am  Naseneingang.  Bekanntlich 
gehen  viele  Gesichtserysipele  von  letzterem  aus;  ein  Theil  derselben  ist 
sicher  secundär  einem  Rachenerysipel  gefolgt.  Manche  ihrer  Natur  nach  un- 
erkannte heftige  Angina  wird  erst  durch  das  per  continuitatem  entstehende 
Gesichtserysipel  resp.  Kopferysipel  als  erysipelatöse  gekennzeichnet.  —  Ist  ein 
Gesichtserysipel  oder  Kopferysipel  erst  hinzugetreten,  dann  hängt  der  w^eitere 
Verlauf  natürlich  von  der  Gestaltung,  der  Ausdehnung,  der  Dauer  desselben  ab. 

An  die  Complicirung  des  Processes  durch  Fortwanderung  per  continui- 
tatem reiht  sich  das  Hinzutreten  eines  secundären  Hauterysipels  ohne  directen 
Zusammenhang  mit  dem  Processe  im  Rachen;  denn  auch  das  ist  möglich. 
Ebenso  wie  bei  Hauterysipel  es  vorkommt,  dass  der  Process  auf  eine  ganz 
entfernte  Hautstelle,  etwa  vom  Gesicht  auf  ein  Bein,  überspringt  {Erysipelas 
vagum),  ebenso  kann  bei  Rachenerysipel  eine  Rose  am  Rumpf  oder  an  den 
Extremitäten  sich  hinzugesellen.  Es  ist  das  ein  seltenes  Ereignis,  aber  es 
kommt  vor. 

Von  sonstigen  Complicationen  ist  noch  eine  Reihe  von  schweren  Sym- 
ptomen zu  erwähnen,  die  entstehen  durch  Hinzutreten  einer  Pericarditis,  Peri- 
tonitis, embolischer  Processe,  Pneumonien  —  von  den  oben  erwähnten,  per 
continuitatem  entstehenden  abgesehen  —  und  anderer  Leiden,  die  im  Geleite 
jedes  Erysipels  wie  anderer  Infectionskrankkeiten  beobachtet  sind.  Die  Krank- 
heitserscheinungen im  einzelnen  zu  schildern,  würde  den  Rahmen  des  vor- 
liegenden Artikels  überschreiten. 

So  lange  ist  stets  von  Rachenerysipel  als  einer  primären  Affection  die 
Rede  gewesen.     Es  muss  aber  hinzugefügt  werden,   dass   es  auch  ein  secun- 


ERYSIPEL  AS  PflARYNGIS.  119 

Cläres  Rachenerysipcl  gibt,  welches  im  Gefolge  einer  Hautrose  auftritt.  In 
den  allermeisten  Fällen  ist  es  ein  Gesichtserysipel,  welches  auf  die  Schleim- 
haut per  continuitatem  überwandert;  und  zwar  schlägt  dieses  dann  gewöhnlich 
den  Weg  durch  den  Mund  ein.  Das  Erysipel  überschreitet  den  Lippensaum, 
die  Mundschleimhaut  röthet  sich  und  schwillt  an.  Köthung  und  Schwellung 
wandern  dann  über  harten  und  weichen  Gaumen  zur  Kuchenhöhle.  Nur  ganz 
ausnahmsweise  kommt  es  vor,  dass  ein  secundäres  liachenerysipel  auftritt, 
während  das  primäre  Hauterysipel  an  Rumpf  oder  Extremitäten  sitzt,  dass 
also  das  Virus  von  entfernten  Hauttheilen  auf  die  Itachenschleimhaut 
überspringt.  Im  ganzen  ist  aber  das  secundäre  Erysipclas  pharyngis  selten; 
während  der  Uebergang  des  Erysipels  von  der  primär  afticirten  liachen- 
wandung  auf  die  Haut  relativ  häufig  vorkommt,  ist  der  umgekehrte  Vorgang 
eine  Rarität. 

Was  die  Aetiologie  betrifft,  so  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen, 
dass  die  Erysipel-Coccen  auch  das  Rachenerysipel  erzeugen.  Die  Eingangs- 
pforte im  einzelnen  Falle  festzustellen  ist  natürlich  schwer.  Sicherlich  aber 
kommen  auch  hier  Läsionen  der  Schleimhaut  in  erster  Reihe  in  Frage.  Dass 
sie  der  Beobachtung  entgehen,  darf  nicht  Wunder  nehmen,  da  sie  ja  wohl 
nur  von  minimaler  Grösse  sein  werden;  für  die  Einwanderung  von  Coccen 
genügen  sie.  Beim  Schlucken  dürften  w^ohl  durch  die  Speisen  nicht  selten 
unbedeutende  Excoriationen  der  Schleimhaut  entstehen.  Andererseits  rauss 
man  es  aber  als  denkbar  anerkennen,  dass  auch  ohne  Läsionen  zur  Invasion 
der  Coccen  die  Gelegenheit  vorhanden  sein  kann.  Sieht  man  selbst  von  dem 
Eindringen  auf  dem  Wege  der  Blut-  und  Lymphbahn  ganz  ab,  so  bleibt  noch 
die  sichere  Thatsache  bestehen,  dass  die  normale  Schleimhaut  speciell  an  den 
Tonsillen  physiologisch  Epithellücken  vielfach  enthält.  Es  steht  fest,  dass 
dieselben  gross  genug  sind,  um  weisse  Blutkörperchen  hindurchpassiren  zu 
lassen.     Sie  werden  dann  auch  wohl  sicher  für  die  Coccen  genügen. 

Die  Diagnose  des  pharyngealen  Erysipels  ist  durchaus  nicht  leicht, 
so  lange  dasselbe  sich  auf  die  Pharynxschleirahaut  beschränkt.  Lebhafte 
Röthung  und  Schwellung,  acutes  Einsetzen  mit  Schüttelfrost,  hohes  Fieber, 
starke  Störung  des  Gesammtbeiindens  werden  die  Aufmerksamkeit  darauf 
lenken.  Man  muss  jedenfalls  bei  derartiger  heftiger  Angina  daran  denken, 
dass  ein  Erysipel  vorliegen  kann.  Sicherheit  erlangt  man  aber  meist  nur 
da,  wo  das  Erysipel  auf  die  äussere  Haut  überwandert;  hier  ist  ja  das 
Bild  ein  typisches.  Es  ist  schon  sehr  oft  vorgekommen,  dass  das  Auftreten 
eines  Gesichtserysipels  über  die  Natur  einer  vorausgegangenen  Angina  Auf- 
klärung gebracht  hat. 

Die  Prognose  ist  beim  Rachenerysipel  relativ  günstig,  da  gewöhnlich 
schnelle  Heilung  eintritt.  Eine  Erschwerung  erfährt  dieselbe  durch  das  Hinzu- 
treten complicirender  Momente,  sei  es,  dass  per  continuitatem  eine  Laryngitis, 
ein  Glottisödem  Gefahr  bedingt,  sei  es,  dass  ein  begleitendes  oder  nach- 
folgendes Hauterysipel  eine  ernstere  Gestaltung  annimmt,  sei  es  endlich,  dass 
metastatische  Entzündungen  sich  etabliren,  Avie  sie  oben  bei  Besprechung  des 
klinischen  Bildes  erwähnt  sind.  Dass  ausserdem  auch  Fälle  vorkommen,  bei 
denen  das  uncomplicirte  Rachenerysipel  den  Exitus  letalis  durch  malignen 
Charakter  des  Virus,  heftige  Allgemeinerscheinungen  unter  Symptomen  einer 
Herzparalyse  bewirkt,  ist  bereits  erwähnt.  —  Jedenfalls  wird  man  das  Leiden 
als  ernstes  auffassen  und  bei  der  Stellung  der  Prognose  sich  die  nöthige  Re- 
serve auflegen. 

Die  Therapie  wird  local  zunächst  die  entzündlichen  Erscheinungen 
zu  dämpfen  haben,  um  die  Schluckbeschwerden  zu  lindern,  etwaiger  Behin- 
derung der  Athmung  vorzubeugen.  Zu  diesem  Zwecke  ist  die  Application  von 
Eis,  als  Eiscravatte  oder  Eisumschlag,  und  das  ziemlich  permanente  Zergeheu- 
lassen  kleiner  Eisstückchen  im  Munde  in  erster  Reihe  nothwendig.  Nur  wo 


120  ERYTHEME  DES  RACHENS. 

die  Schwellung  massiger  ist,  das  Schlucken  weniger  behindert  ist,  wird  man 
das  Eis  entbehren  können,  statt  dessen  äusserlich  stündlich  zu  wechselnde 
PRiESSNiTz'sche  Umschläge  appliciren. 

x\lle  Gurgeluogen  sind  im  allgemeinen  nicht  rathsam,  da  dadurch  die 
Schleimhaut  leicht  gereizt  wird.  Will  man  Medicamente  local  anwenden, 
dann  thut  man  das  am  besten  mit  dem  Pinsel.  In  Frage  kommt  zunächst 
Cocainlösmig  (5— 207o)  oder,  weil  weniger  giftig,  Eucainlösung  (5 — 10*^/o); 
beide  wirken  schmerzstillend,  das  erstere  auch  anämisirend,  w^enn  auch  nur 
vorübergehend.  Am'  besten  wiederholt  man  die  Pinselungen  vor  der  Nahrungs- 
zufuhr. Von  eigentlichen  Heilmitteln  wäre  besonders  Ichthijol  als  ('/g — 27o 
Lösung)  des  Versuches  wert.  Im  übrigen  lasse  man  die  Schleimhaut  möglichst 
in  Kühe,  reize  sie  weder  durch  Medicamente  noch  durch  Nahrungsmittel. 
Es  bedarf  kaum  des  Hinweises,  dass  letztere  flüssig  und  absolut  reizlos  sein 
müssen.  Kühle  Milch,  Schleimsuppen,  Wasser,  Citronenlimonade  werden  wohl 
genügen.  Wo  das  Herunterschlucken  sehr  gefürchtet  wird,  weil  es  heftigen 
Schmerz  verursacht,  da  mache  man  die  Patienten  darauf  aufmerksam,  dass 
nur  der  erste  Schluck  heftig  zu  schmerzen  pflegt;  ist  der  erste  Schmerz 
überwunden,  dann  kann  man  gewöhnlich  schnell  ohne  nennenswerte  Be- 
schwerden weiter  trinken.  —  Auf  die  Behandlung  der  Allgemeinerscheinungen, 
speciell  des  Fiebers,  sowie  auf  diejenige  der  Complicationen  einzugehen,  würde 
hier  zu  weit  führen.  Hinw^eisen  möchte  ich  nur  noch  darauf,  dass  man  da, 
wo  auch  nur  der  Verdacht  eines  Rachenerysipels  vorliegt,  jederzeit  auf  eine 
Tracheotomie  gefasst  sein  muss,  da  schweres  Glottisödem  in  kürzester  Frist 
sich  ausbilden  und  bedrohliche  Athembeschwerden  verursachen  kann. 

Dass  die  Kranken  mit  Rachenerysipel  möglichst  zu  isoliren  sind,  alle, 
welche  irgend  eine  Verletzung  an  Händen,  Gesicht  etc.  haben,  sich  besonders 
sorgsam  fernzuhalten  haben,  sei  zum  Schlüsse  betont.  jessner. 

Erytheme  des  Rachens.  Eöthungen  des  Rachens  und  der  benach- 
barten Theile  ohne  ausgesprochene  Entzündung  sind  relativ  häufig  zu  finden, 
wenn  auch  die  entzündliche  Piöthung  infolge  katarrhalischer  Zustände  un- 
endlich viel  häufiger  ist.  Es  können  die  Erytheme  diffus  oder  umschrieben 
in  Gestalt  von  Flecken  auftreten.  Ihre  Farbe  variirt  von  hellroth  bis  zu 
dunkelroth,  je  nachdem  die  zu  Grunde  liegende  Gefässerweiterung  eine  mehr 
oberflächliche  oder  tiefgelegene  ist.  Die  Beschwerden  sind  meistens  recht 
gering:  etwas  Brennen,  ein  wenig  Unbehagen  beim  Schlucken,  Vermehrte 
Secretion  kann  vorhanden  sein,  jedoch  nur  in  sehr  geringem  Maasse,  ent- 
sprechend dem  vermehrten  Blutzutiuss. 

Wir  besprechen  die  Pharynxerytheme  nach  ihrer  Aetiologie:  zunächst  sind 
die  durch  Trauma  bewirkten  zu  erwähnen.  Meistens  ist  es  ein  solches  mecha- 
nischer Natur,  und  zwar  in  erster  Reihe  durch  instrumentelle  Untersuchungen 
bewirkt.  Nach  Einführung  des  Spiegels  zur  Laryngoskopia  und  Rhinoskopia 
posterior,  nach  Application  der  Magensonde  oder  von  Instrumenten  für  die  Speise- 
röhre, beispielsweise  von  Instrumenten  zur  Entfernung  von  Fremdkörpern,  röthet 
sich  die  Rachenschleimhaut  diffuse;  die  Röthung  schwindet  bald,  es  sei  denn, 
dass  eine  solche  mechanische  Reizung  lange  Zeit  hintereinander  statthat;  in 
diesem  Falle  kann  es  zum  Katarrh  kommen.  —  Chemische  und  thermische 
Reize  können  dasselbe  bewirken.  Wenn  jemand  etwas  zu  heisses  trinkt,  wenn 
jemand,  ohne  daran  gewöhnt  zu  sein,  Alkohol  in  concentrirter  Form  herunter- 
schluckt oder  raucht,  stellt  ein  Erythem  sich  ein.  Dasselbe  können  sehr  dif- 
ferente  Medikamente  erzielen. 

Von  grossem  Interesse  sind  die  Pharynxerytheme  neurotischen 
Ursprungs,  auf  die  Rossbach  zuerst  hingewiesen.  Derselbe  beobachtete 
bei  zwei  neurasthenischen  Patienten,  die  über  quälende  Hyperästhesie  der  Hals- 
organe klagten,  dass  sich  bei  ihnen  zeitweilig  eine  tiefe  Röthung  der  Rachen- 


ERYTHEME  DES  RACHENS.  121 

Wandungen  einstellte,  die  nach  einigen  Minuten  bis  Va  Stunde  wieder  nor- 
maler Färbung  Platz  machte.  Er  sieht  in  dieser  periodischen  itötlmng  ein 
Analogen  der  Schamröthe,  wie  wir  sie  auf  der  äusseren  Haut  ja  oft  genug 
beobachten.  Das  Fehlen  jeder  anderen  Störung,  etwa  seitens  des  Herzens,  im 
Verein  mit  dem  schnellen  Kommen  und  Gehen  des  Leidens  kennzeichnet  den 
Vorgang  als  vasomotorische  Neurose. 

Einer  Fülle  von  Erythemen  des  Pharynx  begegnen  wir  bei  der  Betrach- 
tung der  Symptomatologie  der  Infectionskrankheiten.  Von  acuten 
kommen  Masern,  llötheln,  Scharlach,  Variola  vornehmlich  in  Betracht. 

Bei  Masern  sehen  wir  am  ersten  Fiebertag  die  Schleimhaut  des  Rachens 
diffuse  geröthet,  wenig  geschwollen.  Am  Abend  des  zweiten  Fiebertages  ge- 
sellt sich  dazu  auf  dem  vorderen  Theil  des  weichen  Gaumens  und  dem  hin- 
teren Theil  des  harten  (iaumens  ein  umschriebenes  Erythem,  ein  ^^Enanthem^, 
in  Gestalt  runder,  nicht  scharf  begrenzter,  kaum  über  die  Umgebung  erhabener, 
bis  linsengrosser  Flecken,  die  theils  vereinzelt  stehen,  theils  in  Gruppen. 
Minimale,  bläschenartige  Bildungen  erheben  sich  im  Centrum  der  Flecken. 
Diese  breiten  sich,  stellenweise  confluirend,  nach  dem  Munde  zu  weiter  aus. 
Bis  zum  fünften  Fiebertage  bleiben  umschriebene  Erytheme  und  diffuse  Röthung 
der  hinteren  Rachenwand  bestehen,  um  dann  mit  dem  Hautexanthem  zu 
schwinden.  Kleine.  Häm^orrhagien  in  der  Schleimhaut  treten  oft  hinzu.  — 
Bei  Röthein  sind  ähnliche  Befunde  erhoben,  jedoch  sind  die  Veränderungen 
Aveder  so  intensiv,  noch  so  constant. 

Die  Scarlatina  bringt  bekanntlich  eine  starke  Betheiligung  des  Rachens 
mit  sich.  Da  die  entzündlichen  Veränderungen  aber  nicht  hierher  gehören, 
bleibt  hier  wenig  zu  erörtern.  Denn  es  ist  sehr  fraglich,  ob  selbst  die  beim 
Beginne  des  Scharlach  sich  einstellende  Halsröthung  nicht  schon  entzündlicher 
Natur  ist.  Sie  allein  kommt  jedenfalls  hier  nur  in  Frage,  alle  anderen  Ver- 
änderungen sind  als  echte  „Angina"  anzusehen,  ein  Begriff",  in  dem  das  Wesen 
der  Entzündung  ausgedrückt  ist.  Das  initiale  Pharynxerythem  bei  Scharlach 
hat  eine  diffuse,  intensiv  rothe  Färbung  und  charakterisirt  sich  durch  eine 
eigenthümliche  Begrenzung.  Man  sieht  sie  einige  Millimeter  von  dem  vor- 
deren Gaumenbogen  in  einer  diesem  parallelen,  scharfen  Linie  abschneiden. 
Ist  der  Fall  nicht  ein  ausnahmsweise  leichter,  dann  steigert  sich  die  Rachen- 
affection  stets  zur  Entzündung. 

Bei  Variola  weist  das  Incubationsstadium  sehr  oft  schon  Röthung  und 
Schwellung  der  Uvula  und  der  Tonsillen  auf,  die  sich  im  Initialstadium  noch 
steigern.     Später  folgt  auch  im  Rachen,  wie  auf  der  Haut,  die  Pockeneruption. 

Mit  die  häufigste  Veranlassung  zu  Pharynxerythemen  gibt  die  Syphilis 
im  Secundärstadium.  Fast  gleichzeitig  mit  der  Roseola  tritt  die  Röthung  der 
Rachenorgane  auf.  Die  Ausbreitung  derselben  ist  eine  verschiedene.  An  den 
hinteren  Abschnitten  ist  sie  meistens  eine  ganz  diffuse;  am  weichen  Gaumen 
und  dem  harten  Gaumen  und  den  Gaumenbögen  ist  gewöhnlich  nicht  die 
Schleimhaut  in  toto  geröthet,  sondern  grössere  Abschnitte  derselben,  die  sym- 
metrisch gelegen  sind.  Auch  kleinere,  fleckförmige  Erytheme,  wahre  Analoga  der 
Roseola  an  der  äusseren  Haut  sieht  man  hier.  Alle  umschriebenen  Röthuugen 
sind  scharf  begrenzt,  kaum  etwas  elevirt.  Die  Färbung  ist  gewöhnlich  eine 
tiefrothe,  ins  Violette  spielende;  jedoch  spricht  bei  derselben  die  frühere  Be- 
schaffenheit der  Rachenhöhle  insofern  sehr  nrit,  als  die  so  häufig  an  Raucher- 
katarrh leidenden  Männer  tiefer  geröthete  Erytheme  aufweisen.  —  Die  um- 
schriebenen Rachenerytheme  sind  bei  der  secundären  Syphilis  oft  nur  ein 
Vorstadium  tieferer,  entzündlicher  Veränderungen.  Die  erythematösen  Stellen 
schwellen  stärker  an,  bekommen  ein  matteres  Aussehen,  dann  stösst  sich  das 
Epithel  ab;  wir  haben  eine  syphilitische  Erosion,  auf  der  es  zur  Bildung  einer 
fiachen  Papel  kommen  kann. 


122  FIBROME  DES  KEHLKOPFES. 

Alle  Erytheme  des  Rachens  sind  an  sich  unschuldige  Leiden,  die  sublata 
causa  schnell  vergehen  und  höchstens  symptomatisch  eine  mildernde  Behand- 
lung verlangen.  Diejenigen  luetischer  Natur  sind  hartnäckiger,  weichen  aber 
meistens  schnell  einer  antiluetischem  Therapie,  zumal  wenn  das  Rauchen 
unterlassen  wird. 

JESSNER. 

Fibrome  des  Kehlkopfes.  Die  Fibrome  sind  rundliche  oder  grob- 
höckerige,  rothe  oder  blaurothe  (nur  selten  sind  sie  grau,  wenn  nämlich  das 
sie  bedeckende  Epithel  sehr  dick  ist),  meist  ziemlich  weiche,  gestielte  oder 
ungestielte  Geschwülste,  welche  gewöhnlich  an  den  Stimmbändern,  und  zwar 
meist  vorne  sitzen.  Sie  erreichen  meistens  keine  bedeutende  Grösse  (bis  erbsen- 
gross,  selten  darüber),  kommen  häufiger  bei  Männern,  seltener  bei  Frauen,  im 
mittleren  oder  vorgeschrittenen  Alter  vor,  recidiviren  nicht  leicht  und  ver- 
ursachen ausser  den  mechanischen  Störungen  keine  anderen  Erscheinungen. 
Unter  den  von  mir  beobachteten  191  gutartigen  Neubildungen  waren  97  soge- 
nannte Fibrome,  wenn  ich  5  Schleimpolypen  und  2  fibröse  Polypen  im  Sinne 
Eppinger's  dazurechne.  Sie  sind  die  häufigsten  unter  den  gutartigen  Neu- 
bildungen. 

Anatomie.  Die  meisten  unter  den  Fibromen  verdienen  eigentlich 
diesen  Namen  nicht,  da  das  faserige  Bindegewebe  nicht  den  grössten  Theil 
ihrer  Masse  ausmacht.  Die  kleineren  unter  ihnen  sind  fast  ausnahmslos  als 
hypertrophische,  umschriebene  Wucherungen  der  oberflächlichen  Stimmband- 
antheile  aufzufassen.  Ich  habe  36  derselben  nach  ihrer  Exstirpation  und 
zwei  im  Zusammenhange  mit  dem  Stimmbande  histologisch  untersucht.  Bei 
diesen  zwei  gestielten  Geschwülsten  konnte  man  an  Serienschnitten  deutlich 
sehen,  dass  dieselben  aufsassen  auf  einem  Saume,  der  am  Rande  des  Stimm- 
bandes noch  etwas  nach  vorn  und  hinten  von  der  eigentlichen  Geschwulst 
sich  fortsetzte.  Dieser  Saum  bestand  nur  aus  einer  verdickten  Stelle  des 
Stimmbandes,  welche  dieselbe  Structur  wie  das  Stimmband  selbst  zeigte.  In 
der  Nähe  der  eigentlichen  Geschwulst  wurde  dieser  Saum  dicker,  und  zwar 
hauptsächlich  durch  das  Auftreten  von  ausgedehnten  Blutgefässen.  Diese 
Verdickung  gieng  allmählich  in  die  eigentliche  Geschwulst  über,  welche  eben- 
falls viele  ausgedehnte  Gefässräume  enthielt.  Ausserdem  fanden  sich  in  ihi 
auch  noch  viele  unregelmässig  gestaltete  Hohlräume,  welche  theils  mit  Blut, 
theils  mit  Lymphe,  theils  mit  einer  hyalinen  Substanz  erfüllt  waren.  Das 
Grundgewebe  war  feinfaserig,  reichlich  von  Serum  durchtränkt  und  enthielt 
neben  frischem  Blutgerinnsel  auch  Pigment,  theils  frei  im  Gewebe  liegend, 
theils  in  einzelnen  Zellen  eingeschlossen.  Die  Hauptmasse  der  Geschwulst 
machten  also  ausgedehnte  Gefässe  und  Gefässräume  aus.  Das  Bindegewebe 
trat  dagegen  sehr  in  den  Hintergrund.  Das  Wachsthum  der  Geschwulst  war 
die  Folge  von  langdauernder  Stauung,  die  sich  darauf  zurückführen  lässt, 
dass  die  Verdickung  sehr  vielen  mechanischen  Insulten  ausgesetzt  war,  was 
aus  ihrer  Lage  am  Rande  des  Stimmbandes  von  selbst  einleuchtet.  Die  Ent- 
stehung der  Stielung  ist  so  zu  erklären,  dass  an  einer  Stelle  des  Saumes 
durch  starke  Gefässausdehnung  und  Füllung  mit  Blut  und  Serum  ein  kleiner 
rundlicher  Knoten  sich  bildet,  der  nun  als  mit  Flüssigkeit  gefüllter  und  darum 
schwerer  Körper  an  dem  Saume  zerrt. 

Die  erste  Veranlassung  zur  Entstehung  eines  solchen  Saumes  am  Stimm- 
bandrande ist  gewiss  eine  chronische  Reizung  des  Stimmbandes.  Denn  in 
den  zwei  erwähnten  Fällen  wurden  auch  die  Gefässe  in  der  Umgebung  des 
Saumes  im  Zustande  der  Ausdehnung  gefunden  und  das  ganze  Gewebe  im 
Zustande  chronischer  Entzündung.  Damit  stimmt  auch  überein,  dass  man 
den  chronischen  Katarrh  häufig  als  Begleiterscheinungen  der  sogenannten 
Stimmbandfibrome   findet.    Die   Untersuchung   der   anderen   Geschwülstchen 


FIBROME  DES  KEHLKOPFES.  123 

zeigte  dieselbe  Zusammensetzung:  sehr  spärliches,  feinfaseriges  Bindegewebe 
mit  wenig  elastischen  Fasern  und  dazwischen  zahlreiche  Gefässe  und  Hohl- 
räume, welche  theils  mit  Endothel  ausgekleidet  waren,  theils  kein  solches 
enthielten. 

In  diesen  Hohlräumen  lagen  nun  entweder  Blut  oder  Blutgerinnsel  oder 
Serum  oder  endlich  eine  eigenthümliche  hyaline  Masse,  welche  beinahe  homo- 
gen aussieht  und  nur  hie  und  da  kleine  Lücken,  ähnlich  den  Knochenkörper- 
chen,  enthielt.  Diese  Substanz,  die  schon  Eppingeii  aufgefallen  war,  lag  ge- 
wöhnlich dem  Blutgerinnsel  nahe  und  zeigte  sich  manchmal  nach  der  Wkioekt'- 
schen  Fibrinfärbung  als  naher  Abkömmling  des  Fibrins. 

Die  äusseren  Schichten  dieser  Geschwülstchen  zeigten  meist  ein  etwas 
dichteres  Bindegewebe,  doch  auch  manchmal  dieselbe  weitmaschige  Beschaffen- 
heit wie  das  Centrum.  Das  Epithel  war  ein  geschichtetes  Tlattenepithel  von 
nicht  bedeutender  Dicke.  In  keinem  der  untersuchten  Fälle  fand  sich  ein 
dem  Fibrom  entsprechendes  Gewebe,  wie  es  Eppinger  annimmt.  Eppixgeü 
glaubt  nämlich,  dass  nur  das  submucöse  Bindegewebe  an  einer  Stelle  zu  einem 
Knoten  heranwachse  und  die  Schleimhaut  vor  sich  herstülpt.  Dem  wider- 
spricht vor  allem  die  Beschaffenheit  dieser  Geschwülstchen,  dann  der  Umstand, 
dass  an  den  Stimmbändern  keine  Grenze  zwischen  submucösem  Gewebe  und 
Schleimhaut  zu  finden  ist.  Es  sind  also  die  meisten  dieser  sogenannten 
Fibrome  als  chronisch  entzündliche  Verdickungen  der  ganzen  Stimmband- 
substanz aufzufassen  und  nicht  als  Fibrom. 

Auch  die  rundlichen  oder  elliptischen,  bis 
etwa  stecknadelkopfgrossen  Knötchen,  die  die- 
selbe Farbe  wie  die  Stimmbänder  haben,  die 
sogenannten  Sängerknötchen  (Fig.  1),  bestehen 
nur  aus  Verdickung  des  Epithels  und  des  ober- 
flächlichen Bindegewebes.  Nur  in  den  selten- 
sten Fällen  liegen  in  Knötchen  oder  sogenann- 
ten Fibromen  ausgedehnte  Drüsen  oder  Cysten, 
welche  aus  Drüsen  hervorgiengen ,  weil  der 
Stimmbandrand  drüsenfrei  ist. 

Die  wirklichen  Fibrome  sind  meist  grosse  ^'^-  ^-  sängerknötchen. 

und    ziemlich    harte    Geschwülste,    welche    aus 

straffem  Bindegewebe  mit  dicht  aneinander  liegenden  Fasern  bestehen.  Sie 
sind  viel  seltener  als  die  soeben  beschriebenen  Neubildungen  und  sitzen 
auch  öfter  an  anderen  Stellen  des  Kehlkopfes.  So  berichten  Ziemssen, 
Störk,  Schrötter  u.  a.  über  solche  Fibrome,  die  von  dem  hinteren  Rande  der 
Ringknorpelplatte,  vom  Aryknorpel  und  der  ary-epiglottischen  Falte  aus- 
giengen.  Von  vielen  als  Fibrome  bezeichneten  Geschwülsten  liegen  aber  keine 
histologischen  Daten  vor,  so  dass  ich  nicht  fehlzuschliessen  glaube,  wenn  ich 
annehme,  dass  das  eigentliche  Fibrom  ein  seltenes  Vorkommnis  im  Larynx  ist. 

Vorkommen:  Wie  schon  erwähnt,  machen  die  sogenannten  Fibrome 
die  Hauptmasse  aller  gutartigen  Neubildungen  aus.  Sie  betrafen  in  meinen 
97  Fällen  nur  lOmal  weibliche  Individuen;  unter  20  Jahren  war  keiner  meiner 
Patienten.  Die  50  Sängerknötchen  wurden  dagegen  öfters  bei  weiblichen 
Patienten  beobachtet,  vielleicht  deswegen,  weil  Mädchen  und  Frauen  mehr 
auf  eine  vollständige  Reinheit  der  Stimme  Wert  legen  als  die  Männer  und 
daher  früher  den  Arzt  aufsuchen,  ausser,  wenn  es  sich  um  Sänger  handelt. 
Die  Sängerknötchen  finden  sich  öfters  auch  unter  20  Jahren.  Sie  entstehen 
leicht  im  Gefolge  sowohl  des  acuten  als  auch  des  chronischen  Kalarrhes,  und 
daher  beobachtet  man  sie  auch  bei  Kindern  nicht  selten. 

Gewöhnlich  kommen  die  Fibrome  nur  in  der  Einzahl  vor,  und  nur  in 
Ausnahmsfällen  wurden  in  demselben  Kehlkopf  mehrere  Exemplare  gefunden. 

(SOLIS-COHEN.) 


124  FIBROME  DES  KEHLKOPFES. 

In  der  ungeheuren  Mehrzahl  der  Fälle  sitzen  sie  an  dem  Rande  des 
Stimmbandes,  und  zwar  da  wieder  mit  Vorliebe  an  dem  Uebergange  vom  vor- 
dersten zum  mittleren  Drittel  desselben,  nur  selten  an  den  Taschenbändern,  in 
dem  Ventriculus  Morgagni  und  ausnahmsweise  an  der  hinteren  Kehlkopfwand. 
Eintheilung.  Man  unterscheidet  harte  und  weiche,  eine  Eintheilung, 
welche  nach  Eppinger  sehr  wenig  Wert  hat,  da  sich  die  verschiedensten  Ueber- 
gange der  Consistenz  tinden,  dann  aber  auch,  weil  ein  stramm  mit  Flüssigkeit 
gefülltes,  weitmaschiges  Bindegewebe  den  Eindruck  der  Härte  hervorrufen  kann; 
dann  nach  ihrer  Transparenz  in  gewöhnliche  Fibrome  und  sogenannte  Schleim- 
polypen, welche  durchscheinend  sind.  Sie  kommen  nur  selten  vor  und  be- 
ruhen auf  einer  sehr  starken  Durchtränkung  mit  Serum  bei  verhältnismässig 
dünnem  Epithel  und  bei  geringer  Entwicklung  der  Gefässe.  Diese  Schleim- 
polypen werden  auch  Myxome  genannt.  Nach  Fauvel  sind  sie  sehr  häufig. 
Er  stützt  sich  dabei  auf  anatomische  Untersuchungen,  welche  myxomatöses 
Gewebe  nachwiesen:  das  heisst,  man  fand  in  dem  lockeren,  feinfaserigen 
Bindegewebe  zahlreiche  spindelige  und  sternförmige  Zellen  mit  Ausläufern, 
ähnlich  wie  bei  dem  wirklichen  Schleimgewebe,  ohne  aber  die  durchtränkende 
Flüssigkeit  als  Schleim  nachgewiesen  zu  haben.  Gewiss  handelte  es  sich  hier 
fast  immer  um  sehr  stark  mit  Serum  durchtränktes  Bindegewebe,  wie  ich  das 
in  einigen  Fällen  nachgewiesen  habe. 

Auch  von  Angiofibromen  sprach  man  öfters,  wenn  die  Blutgefässe  sehr 
gross  und  die  Maschenräume  mit  Blut  erfüllt  waren;  endlich  hat  man  Cysto- 
fibrome  beschrieben,  wenn  mit  Serum  erfüllte  Hohlräume  in  grosser  Aus- 
dehnung zusammenflössen  und  so  einen  dickwandigen  Beutel  bildeten.  Es 
sind  also  Schleimpolypen  oder  Myxome,  Angiofibrome  und  Cystofibrome  meistens 
nur  verschieden  entartete,  umschriebene  Bindegewebshypertrophien. 

Besondere  Abarten  der  Fibrome.  1.  Der  eigentliche  Polyp  im 
Sinne  Eppinger's.  Nach  ihm  versteht  man  darunter  grosse  Tumoren,  welche 
durch  Hypertrophie  aller  Weichtheile  des  Kehlkopfes  entstehen.  Er  fällt 
nach  meiner  Erörterung  zusammen  mit  der  gewöhnlichen  Hypertrophie  und 
ist  nur  gekennzeichnet  durch  seine  bedeutendere  Grösse,  seinen  breiteren 
Ansatz  und  durch  den  Umstand,  dass  er  gewöhnlich  nicht  an  den  Stimm- 
bändern, sondern  an  den  Aryepiglottisfalten  oder  der  hinteren  Larynxwand 
aufsitzt;  ich  habe  nur  zwei  solche  Tumoren  gesehen. 

2.  Der  Prolapsus  ventriculi  Morgagni  ist  nach  den  Unter- 
suchungen von  ScHRöTTEE,  namentlich  aber  nach  der  ausführlichen  Arbeit 
B.  FRÄNKt.L's  in  Berlin  eigentlich  nur  eine  hypertrophische  Schleimhautfalte 
oder  eine  andere  ähnliche  polypöse  Hypertrophie  der  Wände  des  Ventriculus, 
welche  nach  und  nach  aus  dem  Ventriculus  heraustrat  und  so  endlich  Geschwülste 
veranlasste,  welche  gewöhnlich  der  ganzen  Länge  nach  den  Stimmbändern 
aufliegen.  Diese  Geschwülste  sind  meist  roth  und  glatt,  manchmal  aber  auch 
grauroth  oder  geradezu  durchscheinend  grau,  liegen  meist  auf  der  ganzen 
Länge  der  Stimmbänder,  seltener  nur  auf  den  vorderen  Antheilen  derselben 
und  lassen  sich  leicht  in  den  Ventrikel  zurückschieben,  um  aber  wieder  bald 
aus  demselben  herauszutreten.  Fränkel  hat  sowohl  die  Reponibilität  als  auch 
die  manchmal  beobachtete  plötzliche  Entstehung  des  sogenannten  Prolapsus 
mit  viel  mehr  Wahrscheinlichkeit  auf  eine  solche  Falte  oder  einen  Tumor  der 
Ventrikelwand  zurückgeführt,  als  auf  eine  wirkliche  Umstülpung  der  Schleim- 
haut dieses  Sackes.  Dieselbe  ist  kaum  in  toto  möglich,  wie  das  aus  der  Ana- 
tomie dieser  Theile  hervorgeht,  und  auch  bis  jetzt  noch  nie  demonstrirt  worden. 
Die  plötzliche  Entstehung  lässt  sich  dadurch  erklären,  dass  der  im  Ventrikel 
verborgene  Tumor  durch  einen  heftigen  Hustenstoss  aus  der  Höhle  heraus- 
geschleudert wird  und  nun  unter  dem  Druck  des  Stimm-  und  Taschenbandes 
eine  Stauung  erleidet,  so  dass  er  nicht  mehr  zurückschlüpfen  kann.  Ich  kann 
mich  nach  eigenen  Beobachtungen  diesen  Ausführungen  Fränkel's  vollständig 


FIBROME  DES  KEHLKOPFES. 


125 


Fig.  2.    Polypenartiges  Fibrom. 


Fig    3.    Faltenartiges  Fibrom. 


anschliessen,  nur  glaube  ich,  dass  Theile  der  Schleimhaut  des  Ventrikels  ganz 
gut  von  einem  Tumor  hervorgezogen  werden  können. 

Das  laryngoskopische  Bild.  Die  meisten  sogenannten  Fibrome 
stellen  sich  als  hirsekorn-  bis  haselnussgrosse,  rothe  oder  blaurothe,  seltener 
graue,  rundliche  oder  grobhöckerige  Geschwülste  an  den  Stimmbandrändern 
dar.  (Fig.  2.)  Die  kleinsten  derselben  sitzen 
breit,  oft  nach  vorne  und  hinten  in  einen 
schmalen  Saum  auslaufend,  dem  Stimmband- 
rande auf.  Die  grösseren  gehen  ebenfalls 
meist  von  einem  ähnlichen  Saume  aus  und 
hängen  mehr  oder  weniger  gestielt  in  die 
Stimmritze  herab.  Die  sogenannten  Schleim- 
polypen erscheinen  oft  als  lange  Falten  oder 
Beutel,  welche  am  Stimmbandrande  aufsitzen, 
durchscheinend  sind  und  sich  ganz  schlaff 
hin  und  her  bewegen  (flottiren),  ohne  dass 
sie  aber  gestielt  wären.  (Fig.  3.)  Die  unge- 
stielten Fibrome  erzeugen  nicht  selten  Ein- 
drücke auf  dem  Rande  des  gegenüberlie- 
genden Stimmbandes,  die  erst  lange  nach 
Entfernung  der  Geschwulst  schwinden.  Die 
eigentlichen  Fibrome  sind  grosse,  harte  und 
rundliche  Geschwülste,  welche  oft  das  ganze 
Larynxinnere  ausfüllen.  Sie  giengen  in  den 
wenigen  beobachteten  Fällen  manchmal  von 
den  Stimmbändern,  verhältnismässig  oft  aber 
von  den  anderen  Theilen  des  Kehlkopfes  aus. 

Symptome.  Subjectiv  rufen  die  Fi- 
brome manchmal  wohl  Fremdkörpergefühl,  Kitzel  oder  Hustenreiz  hervor,  ver- 
ursachen aber  nie  Schmerz.  Dagegen  vermisst  man  fast  nie  bei  Sitz  an  den 
Stimmbändern  Heiserkeit,  in  der  im  allgemeinen  Theile  beschriebenen  Art 
und  Stärke;  den  grössten  Einfluss  darauf  hat  die  Grösse  und  Beweglichkeit  der 
Neubildung.  Athembeschwerden  kommen  nur  bei  grösseren  Tumoren  vor,  und 
Behinderung  des  Schlingens  stellt  sich  nur  ein,  wenn  der  Tumor  in  den  Ra- 
chen hinausragt. 

Diagnose.  Die  Diagnose  ist  nach  dem  über  die  subjectiven  und  objec- 
tiven  Symptome  und  über  die  Spiegeluntersuchung  Gesagten  leicht  zu  machen. 
Besonders  achte  man  aber  darauf,  dass  die  kleinen  Fibrome  gerne  an  den 
vorderen  Antheilen  der  Stimmbänder  sitzen.  Hier  empfiehlt  sich  die  Unter- 
suchung mit  stark  nach  rückwärts  gebeugtem  Kopfe. 

Differential-Diagnose.  Die  kleinen  Fibrome  an  den  Stimmbändern 
können  verwechselt  werden  mit  beginnendem  Carcinome  oder  mit  umschrie- 
benen tuberkulösen,  syphilitischen  und  lupösen  Wucherungen.  Carcinome  an 
den  Stimmbändern  können  wirklich  manchmal  täuschend  den  Fibromen  ähn- 
lich sehen,  besonders,  wenn  der  übrige  Kehlkopf  vollständig  gesund  ist.  In 
solchen  Fällen  kann  erst  die  histologische  Untersuchung  des  exstirpirten 
Tumors  die  Diagnose  sichern,  wenn  auch  die  auffallend  starke  Blutung  schon 
bei  der  Operation  auf  Bösartigkeit  hinweist.  Sehr  häufig  aber  leidet  bei  Car- 
cinomen  frühzeitig  die  Beweglichkeit  des  Stimmbandes,  und  sehr  häufig  ist 
die  Umgebung  der  Geschwulst  stark  geschwollen  und  geröthet.  Bei  tuber- 
kulösen, syphilitischen  und  lupösen  Geschwülsten  fehlen  nur  selten  an  anderen 
Stellen  des  Kehlkopfes  Schwellungen  oder  Geschwüre,  und  selten  ist  bei  diesen 
Processen  der  ganze  übrige  Körper  gesund.  Grosse,  wirkliche  Fibrome  sind 
durch  Härte  und  Beweglichkeit  (weil  sie  eben  fast  immer  gestielt  sind),  durch 


126  FRACTÜREN  DES  KEHLKOPFES. 

den  Mangel   an  geschwürigem  Zerfall   und   durch   das   Fehlen   von   Driisen- 
erkrankung  gegen  Carcinome  und  Sarkome  genügend  abgegrenzt. 

Prognose  der  umschriebenen  Hypertrophie  und  des  eigentlichen 
Fibroms  ist  günstig,  da  sie  nach  der  Operation  nicht  wiederkehren;  nur  wenn 
dieselben  Schädlichkeiten,  welche  die  kleine  umschriebene  Hypertrophie  des 
Stimmbandes  veranlasst  haben,  wieder  längere  Zeit  einwirken,  kann  es  zur 
Recidive  kommen. 

Behandlung.  1.  Sogenannte  Sängerknötchen  können  unter 
Schonung  der  Stimme  und  Einathmung  von  schleimlösenden  oder  zusammen- 
ziehenden Mitteln,  besonders  aber  unter  Pinselung  mit  2  bis  6%  Lapis-  oder 
Milchsäurelösung  häufig  schwinden.  Jedenfalls  empfiehlt  es  sich,  bei  dieser 
Behandlungsmethode  durch  einige  Zeit  zu  verharren,  und  erst  dann,  wenn 
sie  erfolglos  bleibt,  Aetzungen  etwa  mit  Lapis  in  Substanz  vorzunehmen.  Nament- 
lich die  nicht  ganz  runden,  sondern  mehr  flachen  Knötchen  schwinden  häufig 
auf  diese  Behandlung.  Die  Operation  besteht  in  der  Abtragung  mit  einer 
feinen  Larynx-Pincette.  Manchmal  hat  man  nun  selbst  nach  der  sorgfältigsten 
Ausführung  dieser  Operation  einen  Verlust  der  Singstimmen  beobachtet, 
vielleicht  deswegen,  weil  man  doch  einen  Theil  der  faserigen  Substanz  des 
Stimmbandes  entfernte  und  so  eine  kleine  Narbe  setzte.  Deshalb  sei  man 
eben  bei  Sängern  mit  dieser  Operation  vorsichtig.  Jurasz  empfiehlt  übrigens 
die  galvanokaustische  Aetzung  dieser  Knötchen.  2.  Die  kleinen,  weichen, 
umschriebenen  Hypertrophien  an  den  Stimmbändern  (die  sogenannten  weichen 
Fibrome)  werden  am  besten  mit  der  Kehlkopfpincette  oder  dem  Quetscher 
entfernt.  Zangen  eignen  sich  dazu  schlechter,  weil  ihre  grossen  Löffel  das 
ganze  Gebilde  verdecken.  3.  Grosse,  härtere  und  namentlich  sehr  blutreiche 
Fibrome  erfordern  die  Anwendung  der  schneidenden  Pincetten,  Zangen,  Guillo- 
tinen oder  der  galvanokaustischen  Schlingen.  Die  Eröffnung  des  Kehlkopfes 
von  aussen  her  käme  nur  bei  sehr  grossen,  breit  aufsitzenden  und  das  Lumen 
stenosirenden  Fibromen  in  Frage,  namentlich  wenn  sie  subglottisch  gelagert 
sind.  ciiiARi. 

Fracturen  des  Kehlkopfes.  Die  Brüche  des  Kehlkopfes  kommen  ziem- 
lich selten  zur  Beobachtung.  Am  häufigsten  brechen  Schild-  und  Ringknorpel, 
nur  selten  ist  der  Aryknorpel  betroffeo.  Die  directen  Fracturen  entstehen  ent- 
weder durch  einen  Druck,  welcher  von  beiden  Seiten  auf  die  Kehlkopfknorpel 
ausgeführt  wird,  wie  es  beim  Würgen  des  Halses  mit  der  Hand  der  Fall  ist,  oder 
dadurch,  dass  der  Kehlkopf  von  vorn  nach  hinten  gegen  die  Wirbelsäule 
gepresst  wird,  was  beim  Erhängen,  beim  Schlag  mit  der  Faust,  beim  Stoss, 
Wurf  gegen  den  Hals,  beim  Falle  auf  einen  harten  Körper  (Tischkante) 
eintritt.  Die  indirecten  Fracturen  (Hofmann)  entstehen  namentlich  durch 
Sturz  auf  den  Kopf,  indem  im  Moment  der  Gewalteinwirkung  eine  plötzliche 
Beugung  des  Kopfes  nach  vorn  stattfindet,  das  Kinn  heftig  gegen  den  oberen 
Theil  des  Brustbeines  angedrängt  und  dadurch  der  Kehlkopf  zusammen- 
gedrückt wird. 

Früher  behauptete  man,  dass  an  der  Leiche  Brüche  der  Kehlkopf knorpel 
selbst  bei  grösster  Gewalteinwirkung  nicht  zu  erzeugen  seien  (Casper).  Dem 
gegenüber  ergaben  Versuche  anderer  Autoren  und  die  des  Referenten,  dass 
Brüche  an  der  Leiche  sich  sehr  leicht  herstellen  lassen,  und  dass  man  aus 
einem  blossen  Kehlkopfbruch,  der  an  einer  Leiche  constatirt  wird,  durchaus 
noch  nicht  den  Schluss  ziehen  kann,  dass  derselbe  bei  Lebzeiten  des  betref- 
fenden Individuums  ausgeführt  worden  sein  muss.  Denn  es  ist  sehr  wohl 
möglich,  dass  bei  einer  unvorsichtigen  Behandlung  der  Leiche  beim  Trans- 
port derselben  u.  s.  w.  Brüche  der  Kehlkopfknorpel  zufällig  entstehen  können. 

Auf  die  Bruchfähigkeit  des  Kehlkopfes  ist  natürlich  von  grösstem  Ein- 
fluss  die  Beschaffenheit  der  Kehlkopf  knorpel,  ob  dieselben  schon  verknöchert 


FRACTDREN  DES  KEHLKOPFES.  127 

sind  oder  nicht.  Man  erklärte  früher  die  Ossification  der  Kehlkopfknorpel 
meist  für  eine  Rigiditas  senectutis  perpetua  comes,  man  hielt  sie  für  eine 
Krankheit,  die  dem  vorgerückten  Lebensalter  angehöre.  So  gibt  Sappey  als 
Beginn  der  Verknöcherung  beim  Mann  das  40— .50.  Lebensjahr  an,  beim  Weibe 
noch  bedeutend  später,  das  70 — 80.  Jahr.  Nach  Moüitz  Schmidt  fangen  die 
Kehlkopfknorpel  erst  nach  dem  40.  Jahre  zu  ossificiren  an.  Ich  fand  nun 
(Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgenstrahlen  1807,  Ijd.  II),  dass  die  Ver- 
knöcherung bedeutend  früher  beginnt,  schon  in  vielen  Fällen  um  das  achtzehnte 
Lebensjahr  herum,  und  dass  dieselbe  ein  ganz  normaler  Process  sei,  ein 
physiologischer  Vorgang,  welcher  ungefähr  um  die  Zeit,  wo  die  übrigen  Skelet- 
theile ihr  Wachsthum  abschliessen,  seinen  Anfang  nimmt.  Demnach  wird 
man  nicht  nur  bei  alten  Leuten,  sondern  auch  bei  jüngeren  Personen  Kehl- 
kopfbrüche beobachten  können. 

Die  Richtung  der  Brüche  hängt  von  der  Art  der  Gewalteinwirkung  ab. 
Beim  Erwürgen,  wo  der  Druck  von  beiden  Seiten  her  auf  den  Kehlkopf  aus- 
geübt und  die  normale  Krümmung  des  Schildknorpels  noch  vermehrt  wird. 
so  dass  die  Seitenwände  des  Kehlkopfes  sich  einander  nähern,  entstehen  an 
dem  Schildknorpel  meist  Längsbrüche,  die  gewöhnlich  in  der  Mittellinie  des- 
selben verlaufen,  häufig  mit  Abbruch  der  oberen  Hörner.  Am  Ringknorpel 
verläuft  die  Bruchlinie  meist  vertical,  vorn  in  der  Mitte.  Bei  unseren  Leichen- 
versuchen (Deutsche  med.  Wochenschrift  1893)  konnten  wir  bei  dieser  Art 
der  Gewalteinwirkung  am  Ringknorpel  ausser  einer  Fissur  vorn  in  der  Mitte 
in  einigen  Fällen  auch  eine  Fractur  an  der  hinteren  Platte  fast  in  der 
Medianlinie  constatiren. 

Entsteht  die  Fractur  durch  einen  Stoss  oder  Schlag  auf  den  Kehlkopf, 
so  wird  der  Schildknorpelwinkel  abgeflacht,  und  der  vordere  Ringtheil  des 
Ringknorpels  nach  innen  eingeknickt.  Hierdurch  wird  der  Verlauf  des  Bruches 
am  Schildknorpel  ein  mehr  unregelmässiger,  die  Fragmente  springen  nach 
innen  vor  und  sind  über  einander  mehr  oder  weniger  verschoben.  Wird  der 
Ringknorpel  mitbetroffen,  so  zeigt  sich  an  diesem  ein  Verticalbruch  im  vor- 
deren Ringtheile  zu  beiden  Seiten  von  der  Mittellinie,  so  dass  das  Mittelstück 
herausgebrochen  und  nach  innen  eingesunken  ist. 

Hiernach  gestalten  sich  die  Brüche  der  Kehlkopfknorpel  bei  den  ver- 
schiedenen Arten  der  Gewalteinwirkung  ganz  verschieden,  so  dass  man  in 
einzelnen  Fällen  schon  aus  dem  anatomischen  Befunde  einen  Schluss  auf  die 
betreffende  Ge-walteinwirkung  zu  ziehen  im  Stande  sein  wird.  Stimmband- 
verletzungen, welche  Schaff  bei  22  Versuchen  in  3  Fällen  fand,  habe  ich 
bei  meinen  zahlreichen  Versuchen  nie  beobachten  können,  ebensowenig  eine 
Fractur  oder  Luxation  des  Aryknorpels. 

Am  häufigsten  kommen  Kehlkopfbrüche  bei  Erhängten  zur  Beobachtung, 
ja  fast  in  der  Hälfte  der  Fälle.  Bei  diesen  findet  man  meist  nur  einen  x4b- 
bruch  der  oberen  Hörner  des  Schildknorpels.  Schussverletzungen  führen  nur 
äusserst  selten  zu  Fracturen  des  Kehlkopfes.  So  hat  Witte  unter  10.000  Ver- 
wundeten nur  4  Fälle  finden  können. 

Wenn  auch  zuweilen  die  Kehlkopfbrüche  nur  geringe  Erscheinungen 
machen,  so  sind  die  Symptome  meist  sehr  bedrohliche.  Athemstörung  ist 
in  vielen  Fällen  vorhanden  und  oft  so  stark,  dass  vollkommene  Asphyxie  ein- 
treten kann.  Die  Athmung  ist  meist  beschleunigt,  stertorös.  Es  besteht 
heftiger  Hustenreiz  mit  blutigem  Auswurf,  die  Stimme  ist  rauh,  heiser  oder 
auch  ganz  aphonisch.  Der  Kranke  klagt  über  starke  Schluckbeschwerden 
und  Schmerzen  an  der  Bruchstelle,  die  bei  Berührung  zunehmen.  Objectiv 
lassen  sich  Ecchymosen  und  Schwellungen  in  der  Halsgegend  feststellen.  Mit- 
unter ist  auch  die  Haut  raitverletzt.  In  vielen  Fällen  gelingt  es,  eine  deut- 
liche Dislocation  an  der  Bruchstelle  zu  fühlen  mit  Crepitiren  der  Fragmente, 
wie  wir  es  in  einem  Falle  bei  einem  28jährigen  Schmied,  bei  dem  der  Bruch 


128  FRACTÜREN  DES  KEHLKOPFES. 

durch  einen  Hufschlag  vom  Pferde  entstand,  beobachten  konnten.  In  diesem 
Falle  wurde  die  Athemnoth  so  bedeutend,  dass,  wenn  man  nicht  sofort  die 
Tracheotomie  ausgeführt  hätte,  der  letale  Ausgang  unausbleiblich  gewesen 
wäre.  Ist  es  durch  den  einwirkenden  Gewaltact  zu  einer  Verletzung  der  Schleim- 
haut gekommen,  so  kann  sich  ein  Emphysem  des  Halses  bilden,  das  manch- 
mal auf  Gesicht  und  Brust,  ja  schliesslich  über  den  ganzen  Körper  sich  aus- 
dehnen kann. 

Die  laryngöskopische  Untersuchung,  die  wohl  in  den  meisten 
Fällen  gleich  nach  dem  Unfall  nicht  ausgeführt  werden  kann,  wird  je  nach 
dem  Verlauf  des  Bruches  die  verschiedensten  Bilder  ergeben.  Meist  wird 
man  nur  Blutergüsse  unter  der  Schleimhaut  sehen  und  Hämatome,  die  recht 
ausgedehnt  sein  können.  In  unserer  Beobachtung,  wo  es  sich  um  einen  Bruch 
des  Schild-  und  Ringknorpels  handelte,  sah  man  einige  Wochen  nach  dem 
Unfall  an  Stelle  der  Taschenbänder  zwei  mit  stark  gerötheter  Schleimhaut 
überzogene  Wülste  sich  gegenüberstehen,  welche  derartig  den  Respirations- 
Tveg  verlegten,  dass  zwischen  denselben  und  der  hinteren  Larynxwand  nur 
eine  ganz  feine  Oeffnung  für  die  Luftpassage  übrig  blieb. 

Wiewohl  in  den  meisten  bis  dahin  beobachteten  Fällen  die  Erscheinungen 
so  bedrohliche  waren,  dass,  falls  nicht  sofort  der  Luftröhrenschnitt  ausgeführt 
wurde,  der  tödliche  Ausgang  eintrat,  so  darf  man  doch  nicht  unerwähnt 
lassen,  dass  in  einzelnen  publicirten  Fällen  die  Athembeschwerden  so  geringe 
waren,  dass  auch  ohne  Tracheotomie  vollkommene  Heilung  erfolgte.  So  be- 
richtet P.  Heymann  von  einem  Patienten,  welcher  durch  einen  Stoss  gegen 
einen  Bettpfosten  sich  eine  Fractur  des  Bingknorpels  zugezogen  und  davon 
so  geringe  Beschwerde  hatte,  dass  der  Kranke  in  12  Tagen  wiederhergestellt 
war.  Ich  selbst  berichtete  auf  dem  Aerztecongress  zu  Lübeck  von  einer  jungen 
Dame,  die  auf  die  scharfe  Kante  des  Tisches  mit  dem  Halse  aufgefallen  war 
und  sich  dabei  eine  Fractur  des  Schildknorpels  zuzog.  Die  Störungen  waren 
abgesehen  von  der  Heiserkeit  nur  ganz  unbedeutende.  Es  trat  vollkommene 
Heilung  mit  einer  geringen  Difformität  der  Schildknorpel  ein.  Derartig  leicht 
verlaufene  Fälle,  in  denen  nicht  das  gewöhnliche  klinische  Bild  mit  starker 
Dyspnoe  bestand,  wo  vielmehr  die  Patienten  erst  geraume  Zeit  nach  dem  Un- 
fall sich  dem  Arzte  vorstellten,  ja  wo  die  Verletzten  schon  am  nächsten  Tage 
ihrem  Berufe  nachgehen  konnten  (Morgenthau),  sind  in  den  letzten  Jahren 
mehrfach  beobachtet  worden.  Es  ist  daher  wohl  möglich,  dass  die  scheinbare 
Seltenheit  der  Kehlkopfbrüche  nur  daran  liegt,  dass  die  Fracturen  nicht  immer 
die  bekannten  gefährlichen  Symptome  erzeugen,  die  als  für  sie  charakteristisch 
gelten  und  theils  gar  nicht  in  die  Behandlung  des  Arztes  kommen,  theils 
auch  gar  nicht  diagnosticirt  werden.  Hiemit  würden  auch  die  Angaben  von 
Arbuthnot  Lane  übereinstimmen,  der  bei  einer  Untersuchung  von  100  Leichen 
im  Präparirsaal  von  Guv's-Hospital  fand,  dass  der  Procentsatz  von  Brüchen 
des  Kehlkopfes  bei  der  Gesellschaftsciasse,  aus  der  sich  das  anatomische  Ma- 
terial dieses  Krankenhauses  zusammensetzt,  mindestens  7^0  beträgt.  Die  von 
Lane  angeführten  Verletzungen  finden  sich  bei  einer  Classe  von  Menschen, 
die  wohl  zum  grössten  Theil  dem  Arbeiterstand  angehört  haben  werden,  bei 
Leuten  also,  bei  welchen  nicht  gar  zu  selten  im  Scherz  wie  im  Ernst  ein 
heftiges  Zugreifen  an  den  Hals  stattfinden  wird.  Ob  die  Angaben  von  Lane 
über  den  so  grossen  Procentsatz  der  Kehlkopfbrüche  auch  für  andere  Gegen- 
den wie  für  Plafenstädte  zutreffen,  müssen   weitere  Beobachtungen  lehren. 

Bei  Stellung  der  Diagnose,  die  in  den  meisten  Fällen  keine  grossen 
Schwierigkeiten  bereiten  wird,  sehe  man  sich  vor,  das  Crepitationsgeluhl  an 
der  Bruchstelle  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  crepitirenden  Geräusch,  das 
auch  bei  einem  ganz  normalen  Kehlkopf  nachweisbar  ist,  wenn  man  ihn  seit- 
lich hin  und  herbewegt,    oder   wenn  man   ihn  gegen  die  Wirbelsäule  drückt. 


FßACTÜREN  DES  KEHLKOPFES.  129 

Vor   kurzem    habe    ich   zum  Nachweis    der   durch  einen  Bruch  entstandenen 
Ditlbrmität  die  Röntgenstrahlen  mit  gutem  Erfolge  angewandt. 

Wenn  es  auch  eine  Reihe  von  gut  beobachteten  Fällen  gibt,  in  welchen 
der  Verlauf  ein  leichter  war,  die  Verletzung  ganz  symptomlos  oder  mit  nur 
geringen  Erscheinungen  einhergieng,  so  muss  doch  im  allgemeinen  die  Pro- 
gnose immer  recht  vorsichtig  gestellt  und  die  Verletzung  für  eine  schwere 
und  lebensgefährliche  angesehen  werden.  Nach  Albert  endeten  etwa  80%  töd- 
lich. Namentlich  boten  die  Fälle,  in  denen  Schild-  und  Ringknorpel  zusammen 
gebrochen  waren,  die  schlimmsten  Erscheinungen  und  verliefen  mit  nur 
wenigen  Ausnahmen  (wie  Sokolowskt,  Sciilössing,  Tiii<:ulich,  Juuasz,  Jokl, 
ScHEiEß)  immer  tödlich.  Abgesehen  von  den  Fällen,  in  denen  die  Erstickung 
unmittelbar  nach  dem  Unfälle  erfolgt,  kann  selbst  dann,  wenn  die  Athmung 
anfangs  vollkommen  ungestört  ist,  doch  im  w^eiteren  Verlaufe  der  Tod  ganz 
plötzlich  eintreten,  sei  es  durch  ödematöse  Schwellung  der  Kehlkopfschleim- 
haut, durch  subperichondrale  und  submucöse  Blutergiessungen,  oder  sei  es  durch 
eine  Obstruction  der  Luftw^ege  durch  nachträgliche  Verschiebung  der  Fragmente, 
durch  Glottiskrampf  u.  s.  w.  Man  darf  sich  nicht  darauf  verlassen,  sagt  Hütek, 
dass  die  Respirationsstörungen  langsam  genug  ansteigen,  um  noch  während 
ihres  Zunehmens  Hilfe  zu  ermöglichen;  vielmehr  zeigt  die  Erfahrung,  dass  vom 
ersten  Eintritt  der  erschwerten  Athmung  bis  zum  Erstickungstode  zuweilen 
nur  wenige  Minuten  vergehen  und  die  herbeigerufene  ärztliche  Hilfe  zu  spät 
kommt.  Deshalb  ist  es  wohl  gerechtfertigt,  in  jedem  Falle  von  Kehlkopfbruch, 
in  welchem  auch  nur  massige  Erscheinungen  von  Asphyxie  vorhanden  sind, 
sofort  den  prophylaktischen  Luftröhrenschnitt  auszuführen.  Nur  für 
den  Fall,  dass  man  sicher  constatiren  kann,  dass  nur  eine  einfache  Fissur  ohne 
Dislocation  vorhanden  ist,  wäre  es  wohl  möglich,  vorausgesetzt,  dass  der  Kranke 
unter  beständiger,  ärztlicher  Beobachtung  bleiben  kann,  die  Operation  bis  zum 
ersten  Erstickungsanfall  aufzuschieben.  Man  verbiete  dem  Patienten  das 
Sprechen,  wende  Eisumschläge  an,  gebe  innerlich  Eis  und  zur  Milderung  des 
Hustenreizes  Morphium,  Muss  die  Tracheotomie  gemacht  werden,  und  ist 
man  sicher,  dass  nur  der  Schildknorpel  gebrochen  ist,  so  mache  man  die 
Eröffnung  im  Lig.  conoid.;  in  den  Fällen  aber,  wo  der  Ringknorpel  auch 
betroffen  ist,  führt  man  den  Schnitt  in  den  oberen  Tracheairingen  aus.  Bei 
fehlender  Dislocation  kann  die  Canüle  schon  nach  kurzer  Zeit  entfernt  werden 
und  vollständige  Heilung  eintreten.  Sind  aber  die  Fragmente  verschoben, 
so  versuche  man  von  der  Tracheotomiewunde  aus  dieselben  mittelst  einer 
Knopfsonde  oder  einer  gebogenen  Kornzange  zu  reponiren  und  alsdann  die 
Bruchtheile  durch  von  unten  eingeführte  Jodoformgaze  in  der  richtigen  Lage 
zu  erhalten,  wie  es  in  einem  unserer  Fälle  gemacht  wurde.  Panas  schlägt  vor, 
die  Knorpel  in  der  richtigen  Lage  dadurch  zu  erhalten,  dass  man  einen 
Gummitampon  von  unten  aus  in  den  Kehlkopf  einführt  und  denselben  bis 
zur  geeigneten  Weite  aufbläst.  Nach  König  gibt  es  überhaupt  kein  Mittel, 
welches  mit  nur  einiger  Sicherheit  das  Geradhalten  der  reponirten  Theile 
besorgen  könnte.  Es  sind  deshalb  auch  die  Brüche  des  Kehlkopfes  in  den 
meisten  Fällen  mit  einem  mehr  oder  weniger  vollkommenen  Verschluss  des 
Kehlkopfes  geheilt,  so  dass  die  Patienten  gezwungen  waren,  zeitlebens  die 
Canüle  tragen  zu  müssen.  Auch  nachträglich  unternommene  Versuche,  die 
Stenose  durch  allmähliche  Ausdehnung  zu  beseitigen  und  die  Trachealcanüle 
entbehrlich  zu  machen,  sind  von  schlechtem  Erfolge  gewesen.  Wir  glauben 
jedoch,  dass,  w'enn  man  frühzeitig  mit  dem  Dilatationsverfahren  beginnt,  man 
doch  noch  zu  recht  günstigen  Resultaten  kommen  wird.  Die  0"DwYEE'sche 
Intubation  hatte  in  unserem  Falle,  wo  eine  fast  vollkommene  Stenose  des  Kehl- 
kopfes eingetreten  war,  zu  einem  sehr  günstigen  Erfolge  geführt.  Die  In- 
tubation sofort  nach  der  Verletzung  anzuwenden,  könnte  man  in  den  Fällen 
für  indicirt  halten,    in  welchen  die  Dislocation  der  Fragmente  nicht  so  gross 

Ohren-,  Nasen-,  Bachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  " 


130  FREMDKÖRPER  IM  GEHÖRGANGE. 

ist,  dass  sie  der  Einführung  der  Tube  hinderlich  ist;  andernfalls  würde  man 
die  Verschiebung  noch  vermehren  und  die  gelösten  Bruchstücke  in  die  Luft- 
röhre stossen.  Da  in  den  meisten  Fällen  von  starker  Dislocation  der  Frag- 
mente hochgradige  Stricturen  des  Kehlkopflumens  eingetreten  sind,  so  dürfte 
es  nach  Schüller  in  Erwägung  zu  ziehen  sein,  ob  es  nicht  richtiger  sei, 
in  derartigen  Fällen  statt  der  Tracheotomie  die  Thyreotomie  auszuführen. 
Gewöhnlich  wird  man  wohl  zur  Reposition  der  Fragmente  mit  der  partiellen 
auskommen  und  sich  nur  in  den  Fällen  zur  totalen  Laryngofissur  entschliessen, 
wenn  nach  der  partiellen  die  Reposition  nicht  gelingt. 

Wenn  nun  die  Fractur  schon  mit  einer  starken  Verengerung  des  Kehl- 
kopfes verheilt  ist  und  das  Dilatationsverfahren  zu  keinem  Resultate  führt, 
so  bleibt  nichts  anderes  übrig  als  die  Laryngofissur  zu  machen,  die  Knochen- 
vorsprünge und  Narbenstränge  mit  dem  Messer  oder  mittelst  des  Thermo- 
resp.  Galvanokauters  zu  excidiren  und  ein  ScHRöTTER'sches  Zinnbougie  öder 
eine  Dupuis'sche  Trachealcanüle  zur  Anwendung  zu  bringen,  später  aber,  wenn 
die  Thyreoidknorpel  wieder  zusammengeheilt  sind,  die  Behandlung  mit  der 
Intubation  fortzusetzen,  da  ja  zu  leicht  von  neuem  wieder  Verwachsungen 
eintreten  können.  max  scheier, 

Fremdkörper  im  Gehörgange,  Der  äussere  Gehörgang  beginnt  mit 
der  immer  freistehenden  Oeffnung  in  der  Tiefe  der  Ohrmuschel  und  endet 
am  Trommelfell,  welches  denselben  gegen  die  Trommelhöhle  zu  abschliesst. 
Diese  Röhre,  welche  beim  Erwachsenen  zwischen  24  und  35  mm  lang  ist, 
erreicht  ihre  vollkommene  Ausbildung  erst  im  zehnten  Lebensjahre,  sowohl 
was  das  Lumen,  als  auch  die  Richtung  derselben  anbelangt. 

Bei  Neugeborenen  und  Kindern  bis  zum  dritten  Lebensjahre  haben  wir 
es  mit  einer  häutig-knorpeligen  Röhre  zu  thun,  welche,  mit  der  Medianlinie 
des  Körpers  durch  eine  imaginäre  Linie  verbunden,  einen  spitzen  Winkel 
bildet;  beim  Erwachsenen  erzeugt  diese  Linie  beinahe  einen  rechten  AVinkel, 
der  Gehörgang  hat  knöcherne  Wände  und  ist  nur  in  der  äusseren  unteren 
Hälfte  knorpelig. 

Die  Richtung  des  Lumens  im  äusseren  Gehörgange  ist  eine  knieförmige, 
und  zwar  zieht  die  Linie  von  der  Oeffnung  bis  zur  Mitte  nach  oben  und 
rückwärts  und  von  hier  gegen  das  Trommelfell  zu  nach  vorne  und  unten. 

Das  Trommelfell,  respective  der  Annulus  tympanicus,  bildet  mit  der 
unteren  und  vorderen  Gehörgangswand  einen  spitzen,  mit  der  oberen  und 
hinteren  Gehörgangswand  einen  stumpfen  Winkel,  welche  Construction  bei 
kleinen,  kugeligen  Fremdkörpern  insofern  von  Bedeutung  ist,  als  dieselben  in 
diesen  spitzen  Winkel  leicht  herabrollen. 

Der  Durchmesser  des  Gehörganglumens  ist  in  seinen  einzelnen  Abschnitten 
sehr  verschieden,  am  weitesten  ist  der  Porus  acusticus  externus,  am  engsten 
ist  das  Lumen  in  der  Mitte  des  Gehörganges,  und  am  Ende  beim  Trommel- 
felle nähert  sich  der  Durchmesser  wieder  der  Grösse  des  äusseren  Gehör- 
ganges. Die  Form  des  Gehörganglumens  variirt  ebenso  oft;  im  grossen  und 
ganzen  ist  die  Form  oval,  nur  dass  der  lange  Durchmesser  dieses  Ovales  an 
der  Ohröffnung  von  oben  nach  unten,  der  kurze  Durchmesser  von  vorne  nach 
rückwärts  sich  zieht;  in  der  Mitte  des  Gehörganges,  am  sogenannten  Knie 
desselben,  zieht  der  kurze  Durchmesser  von  oben  nach  unten  und  der  lange 
Durchmesser  von  vorne  nach  rückwärts,  am  Trommelfelle  oder  am  Ende  des 
Gehörganges  haben  wir  wieder  dieselbe  Richtung  der  Durchmesser,  wie  an  der 
äusseren  Oeffnung. 

Diese  anatomischen  Verhältnisse  verdienen  eben  dann  besondere  Beach- 
tung, wenn  von  fremden  Körpern  die  Rede  ist,  welche  in  den  äusseren  Gehör- 
gang gelangen,  indem  gemäss  diesen  anatomischen  Verhältnissen  die  äussere 
Hälfte  des  Gehörganges  bis  zum  Knie  hin  diejenige   Oertlichkeit   bildet,   wo 


FREMDKÖRPER  IM  GEHÖRGANGE.  131 

dieselben  hingelangen,  während  über  das  Knie  hinaus  gegen  das  Trommelfell 
hin  nur  kleine  Fremdkörper  in  der  Regel  vorfallen  und  wohin  grössere  Fremd- 
körper nur  durch  unzweckmässige  Extractionsversuche  gewöhnlich  gestossen 
werden. 

Die  Auskleidung  des  äusseren  Gehörganges  ist  eine  Uebergangsmembran, 
welche  nur  theilweise  die  Eigenschaften  der  Cutis  beibehält  und  theilweise 
auch  eine  andere  Qualität  aufweist;  so  finden  wir  an  der  Ohröffnung  Haar- 
follikel, Talg-  und  8chweissdrüsen,  diese  letzteren  verändern  bald  ihr  Secret 
und  secerniren  3  —  4  mm  von  der  Ohröffnung  weit  Ohrenschmalz,  sie 
schwinden  jedoch  gegen  das  Trommelfell  zu  immer  mehr,  so  dass  sie  in  dessen 
Nähe  kaum  zu  finden  sind;  die  Haarfollikel  und  Talgdrüsen  erstrecken  sich 
nur  bis  zur  Mitte  des  Gehörganges. 

In  diese  immer  offenstehende  Röhre,  welche  wir  äusseren  Gehörgang 
nennen,  können  auf  verschiedene  Weise  Fremdkörper  gelangen,  und  zwar: 

1.  Es  bilden  sich  im  Gehörgange  Ansammlungen  von  normalen  oder 
krankhaften  Absonderungen,  "')  oder  der  Gehörgang  bietet  bei  krankhaften 
Secreten  eine  geeignete  Brutstätte  zur  Entstehung  von  Fliegenlarven. 

Die  Ohrenschmalzdrüsen  sondern  bei  manchen  Individuen  analog  der  ge- 
steigerten Secretion  der  Schweissdrüsen  an  gewissen  Theilen  des  Körpers  eine 
grössere  Menge  Ohrenschmalz  ab,  welches  an  der  Luft  vertrocknet,  nach  und 
nach  sich  im  Gehörgange  zu  einem  förmlichen  Pfropfe  zusammenballt,  in  wel- 
chem wir  Epidermiszellen  und  Härchen  finden.  Auf  diese  Weise  entstandene 
Ohrenschmalzpfröpfe  bilden  sich  nach  ihrer  Entfernung  im  Verlaufe  einer  ge- 
wissen Zeit  wieder,  und  wir  finden  solche  Ansammlungen  von  Ohrenschmalz 
bei  zarten  Kindern  und  Individuen  jeden  Alters.  In  anderen  Fällen  werden 
Ohrenschmalzpfröpfe  künstlich  erzeugt,  und  zwar  dadurch,  dass  man  beim 
Reinigen  der  Ohren  mit  dem  Zipfel  eines  Handtuches  das  Ohrenschmalz  in 
die  Tiefe  des  Gehörganges  schiebt  und  diese  Procedur  täglich  wiederholt. 
Manchmal  kann  Staub  den  Kern  zur  Ablagerung  von  Ohrenschmalz  abgeben 
und  so  die  Veranlassung  zur  Bildung  eines  obturirenden  Pfropfes  sein. 

In  seltenen  Fällen  finden  wir  im  äusseren  Gehörgange  eine  krankhafte 
Epidermisbildung  (Keratosis),  in  deren  Folge  das  Lumen  desselben  mit  Epider- 
mismassen  förmlich  ausgefüllt  wird. 

Bei  Eiterungen,  mögen  selbe  aus  der  Trommelhöhle  oder  dem  äusseren 
Gehörgange  stammen,  ist  infolge  von  Nachlässigkeit  der  äussere  Gehörgang 
mit  Eiter  angefüllt,  die  Hausfliegen  legen  gerne  in  dieses  übelriechende  Nest 
ihre  Eier,  und  sehr  häufig  finden  sich  bei  vernachlässigten  Kindern  ganze 
Colonien  von  Fliegenlarven  im  äusseren  Gehörgang,  wie  ein  Fascikel  zusammen- 
geballt; in  seltenen  Fällen  habe  ich  eine  grosse,  beinahe  das  Lumen  des 
Gehörganges  ausfüllende  Fliegenlarve  gefunden.  Diese  stammt  von  der  soge- 
nannten Pferdefliege  ab. 

2.  Es  gelangen  herumfliegende  Insecten  während  des  Fahrens  oder 
Gehens  in  den  äusseren  Gehörgang,  oder  es  kriechen  die  verschiedensten  Insecten 
während  des  Schlafens  ins  Ohr.  Am  gewöhnlichsten  sind  es  abends  herum- 
fliegende Motten,  die  in  den  äusseren  Gehörgaug  eindringen,  sehr  oft  geschieht 
dies  auf  der  Eisenbahn,  wenn  der  Reisende  während  des  Fahrens  den  Kopf 
zum  Fenster  hinaussteckt.  Häufig  kommt  es  vor,  dass  Flöhe  in  den  Gehör- 
gang eindringen,  auch  habe  ich  sehr  häufig  aus  dem  Gehörgange  schwarze 
Käfer,  sogenannte  Russen,  entfernt. 

3.  Man  führt  fremde  Körper  in  den  äusseren  Gehörgang,  um  mit  den- 
selben gewisse  Heilzwecke  zu  erreichen,  so  stecken  Damen,  die  an  Migräne 
leiden,   sehr  häufig   erbsengrosse  Stücke  Schwefel  ins  Ohr,   oder  man   steckt 


*)  Vgl.  auch  Artikel  „Centmen"-. 

9* 


132  FREMDKÖRPER  IM  GEHÖRGANGE. 

Knoblauch  wegen  Zahnschmerz  in  den  äusseren  Gehörgang,  es  \Yerden  wohl  auch 
häufig  Kampferstückchen  gegen  Ohrschmerzen  eingeführt. 

4.  Sehr  häufig  werden  Fremdkörper  im  Spiele  von  Kindern  entweder  in 
den  eigenen  oder  in  den  Gehörgang  anderer  Kinder  gesteckt;  es  sind  dies 
vor  allem  Kirschenkerne,  Johannisbrodkerne,  Bohnen,  Linsen,  Hanfkörner, 
Glasperlen,  runde  kleine  Kieselsteine,  Papierklumpen,  Bleistiftköpfchen  u.  s.  w. 

5.  Es  gelangen  Fremdkörper  gewaltsam  oder  zufälliger  Weise  in  den 
äusseren  Gehörgang.-  Ich  habe  einigemal  Stecknadeln  aus  dem  Ohre  entfernt, 
die  dorthin  übermüthigerweise  gesteckt  wurden,  auch  wurde  geschmolzenes 
Blei  in  das  Ohr  einer  Frau  gegossen.  Häufig  gelangen  Stroh-  oder  Heu- 
grannen ins  äussere  Ohr  und  zu\Yeilen  die  Beinköpfchen  von  Bleistiften. 

Die  Erscheinungen,  welche  Fremdkörper  im  äusseren  Gehörgange  ver- 
ursachen, sind  je  nach  der  Beschaffenheit  derselben  verschieden;  obturirende 
Ohrenschmalzpfröpfe  verursachen  Schwerhörigkeit  und  durch  Druck  auf  das 
Trommelfell  und  hiedurch  auch  aufs  Labyrinth  Schwindelerscheinungen;  ich 
habe  einmal  infolge  eines  Ohrenschmalzpfropfes  Parese  des  Nervus  facialis 
beobachtet,  die  sogleich  schwand,  als  derselbe  entfernt  wurde.  Lebende  Wesen, 
welche  in  den  äusseren  Gehörgang  gelangen,  verursachen  durch  ihre  Bewe- 
gung heftige  Schmerzen  und  beunruhigende  Gehörseindrücke;  werden  Fremd- 
körper gewaltsam  in  den  äusseren  Gehörgang  gebracht,  so  verursachen  selbe 
durch  Verletzung  der  Gehörgangswände  oder  des  Trommelfelles  heftige  Ent- 
zündungserscheinungen. 

Glatte,  runde  Fremdkörper,  wie  die  verschiedenen  Kerne  und  Körner, 
sowie  Steinchen  und  Perlen,  gelangen  in  der  Regel  in  die  äussere  Hälfte  des 
Gehörganges  und  verursachen  nicht  die  mindesten  Erscheinungen,  und  nur 
kleine  feste  Körperchen,  wie  Schrottkörner,  welche  infolge  ihrer  Sch^vere  in 
die  Tiefe  des  Gehörorganes  und  somit  auf  das  Trommelfell  fallen,  können 
Schmerzen,  Ohrensausen  hervorrufen. 

Ich  habe  Fremdkörper  aus  dem  äusseren  Gehörgange  entfernt,  die  dort 
ohne  jegliche  Erscheinung  jahrelang  gelegen  sind  und  deren  Entfernung  auch 
nur  incidentaliter  erfolgte,  indem  andere  Erscheinungen  die  Untersuchung 
des  Gehörorganes  erheischten. 

Wir  sehen  wohl  gewöhnlich,  dass  in  Fällen,  wo  Fremdkörper  in  den 
äusseren  Gehörgang  gelangen,  sowohl  die  Umgebung  als  auch  Aerzte  in  die 
grösste  Unruhe  und  Besorgnis  versetzt  werden  und  auf  jegliche  Weise  bemüht 
sind,  die  Entfernung  der  Fremdkörper  zu  bewerkstelligen.  Diese  Unruhe  und 
Besorgnis  stammt  daher,  weil  zahlreiche  Fälle  bekannt  sind,  wo  ein  glattes 
Johannisbrodkernchen,  eine  kleine  runde,  glatte  Perle,  welche  während  des 
Spielens  in  den  äusseren  Gehörgang  eines  Kindes  gelangte,  der  Anfang  einer 
schweren  Erkrankung  und  des  letalen  Endes  wurde;  das  war  jedoch  keines- 
falls die  Folge  oder  die  Wirkung  des  fremden  Körpers,  sondern  immer  nur 
die  Consequenz  der  zwecklosen  Extractionsversuche,  welche  Aerzte  oder  Laien 
anstellten. 

Bevor  die  Entfernung  fremder  Körper  aus  dem  äusseren  Gehörgange 
bewerkstelligt  werden  soll,  muss  man  genau  und  sachgemäss  mit  Keflector 
und  Trichter  den  Gehörgang  untersuchen;  sehr  oft  geschieht  es,  dass  ein 
Fremdkörper,  durch  die  verschiedensten  Bewegungen,  welche  die  Angehö- 
rigen mit  dem  Ohre  vornehmen,  aus  dem  äusseren  Gehörgang  herausfallen, 
und  im  guten  Glauben,  derselbe  sei  noch  im  Ohre,  dem  Arzte  die  An- 
wesenheit desselben  mit  Bestimmtheit  angeben  wird. 

Man  muss  sich  überhaupt  vor  allem  über  die  Lage  des  fremden  Kör- 
pers Orientiren;  gewöhnlich  wenn  noch  keine  Extractionsversuche  angestellt 
wurden,  sehen  wir  denselben  in  der  äusseren  Hälfte,  ja  beinahe  in  der  Oeff- 
nung  des  äusseren  Gehörganges  —  und  es  ist  so  einladend  denselben  mit 
einer  Pincette  fassen  zu  wollen. 


FREMDKÖRPER  IM  KEHLKOPFE.  133 

Die  Entfernung  fremder  Körper  aus  dem  äusseren  Gehürgange  darf 
jedoch  nie  mit  einer  gewöhnlichen  Pincette  versucht  werden,  aber  leider 
geschieht  dies  sehr  oft,  der  Arzt  versucht  den  glatten,  harten,  runden  Kör- 
per mit  der  Pincette  zu  fassen,  was  nicht  möglich  ist,  weil  kein  Kaum  sich 
darbietet,  um  den  Fremdkörper  in  der  Mitte  zu  fassen,  die  Pincette  gleitet 
von  der  Peripherie  ab,  und  der  Fremdkörper  wird  nach  innen  befördert,  der 
Arzt  will  sich  nicht  blamiren,  er  packt  wieder  den  Fremdkörper,  indem  jedoch 
derselbe  nicht  mehr  in  der  Oeö'nung,  sondern  schon  in  der  Ptöhre  ist,  wird 
er  wieder  tiefer  geschoben  und  dabei  zugleich  die  Bekleidung  des  Gehör- 
ganges verletzt,  es  erfolgt  Blutung,  das  Kind  wird  unruhig,  unbändig,  der 
Arzt  lässt  jedoch  nicht  nach,  endlich  hat  er  es  bewerkstelligt,  dass  er  den 
Fremdkörper  in  die  Tiefe  des  Gehörganges  geschoben  oder  durch  das  zerrissene 
Trommelfell  in  die  Trommelhöhle  gebracht  hat,  nun  entsteht  Entzündung  in 
der  Trommelhöhle,  Eiterung,  und  das  Kind  geht  infolge  von  Meningitis  zu- 
grunde. 

Die  Entfernung  von  Fremdkörpern  aus  dem  äusseren  Gehörgange  soll  immer 
durch  Einspritzen  vom  lauem  Wasser  in  den  äusseren  Gehör- 
gang geschehe^n,  und  gelingt  es  nicht  sogleich,  selbst  mehrere  Tage  wie- 
derholt werden.  Man  nimmt  eine  Spritze,  in  welche  50  gr  Wasser  genommen 
werden  kann,  und  richtet  den  Wasserstrahl  derart,  dass  er  hinter  den  frem- 
den Körper  gelangt,  das  zurückfliessende  Wasser  schwemmt  denselben  heraus. 

In  den  Fällen,  wo  schon  der  äussere  Gehörgang  verletzt  wurde  und  der 
Fremdkörper  durch  die  geschwollene  Auskleidung  eingeklemmt  ist,  soll  man 
früher  diese  Entzündung  mittelst  Anwendung  kalter  Umschläge  und  Instilla- 
tionen von  l7o  Plumb.  acet.-Lösung  zum  Schwinden  bringen  und  hierauf 
mittelst  Ausspritzen  den  fremden  Körper  entfernen.  In  den  Fällen,  wo  der 
fremde  Körper  eingekeilt  ist,  und  wo  infolge  von  Eiterretention  schwere 
Gehirnerscheinungen  sich  einstellen,  muss  die  operative  Entfernung  desselben 
erfolgen,  es  wird  hinter  der  Ohrmuschel  ein  5  cm  verticaler  Einschnitt 
gemacht,  die  Haut  vom  Knochen  abgehoben  und  die  Ohrmuschel  nach  vorne 
umgeschlagen,  auf  diesem  Wege  wird  in  den  Gehörgang  eingedrungen,  um 
hinter  den  Fremdkörper  zu  gelangen  und  mittelst  eines  starken  ohrlöffel- 
artigen  Instrumentes  hebeiförmig  denselben  nach  aussen  zu  befördern. 

Fliegenlarven,  welche  im  äusseren  Gehörgange  sind,  können  durch  Aus- 
spritzen nicht  entfernt  werden,  sie  bohren  sich  in  die  Epidermis  ein  und  ver- 
lassen ihren  Befestigungspunkt  nur,   wenn  man  Ol.  terebinthinae  einträufelt. 

Körper,  welche  im  Wasser  aufquellen,  Heugrannen,  Motten,  gehen  auch 
nicht  durch  Ausspritzen  aus  dem  Gehörgange,  diese  werden  bei  gehöriger 
Beleuchtung  und  Inspicirung  mit  der  WiLDE'schen  Pincette  gefasst  und  aus 
dem  Gehörgange  entfernt.  böke. 

Fremdkörper  im  Kehlkopfe.  Die  Fremdkörper  sind  entweder  gas- 
förmig oder  flüssig  oder  fest. 

Die  gasförmigen  (irrespirablen)  erzeugen  entweder  Glottiskrampf  oder 
wirken  sonst  giftig;  im  ersteren  Falle  ist  der  Athmungsweg  durch  Einführung 
einer  Piöhre  (Tubage  oder  Intubation)  freizumachen,  oder  wenn  das  nicht  gelingt, 
Tracheotomie  vorzunehmen.  Sonst  genügt  künstliche  Athmung,  w^elche  durch 
ausgiebige  Ventilation  die  Gase  entfernt. 

Dünnflüssige  Körper,  als  Wasser,  Blut,  Fruchtwasser  etc.,  lassen  sich  auch 
entweder  durch  künstliche  Athmung  ohne  oder  nach  vorgenommener  Tracheo- 
tomie oder  durch  Aussaugen  entfernen. 

Aetzende  Flüssigkeiten  gelangen  entweder,  wie  z.  B.  heisses  Wasser,  durch 
directes  Aussaugen,  oder  wie  Kali  caustic,  Schwefelsäure  etc.,  beim  Schling- 
acte  durch  eine  zufällige  Inspiration  in  den  Larynx.  Sie  erzeugen  daselbst 
Verätzung,  sei  es  in  Form  von  Schwellung,  Blasenbildung  oder  von  Nekroti- 


134  FREMDKÖRPER  IM  KEHLKOPFE. 

sirung  theiis  obei'flächliclier,  theils  tiefer  Art.  Im  allgemeinen  kommen  beim 
Schlingen  die  ätzenden  Flüssigkeiten  gewöhnlich  nicht  in  den  Kehlkopf,  son- 
dern schädigen  nur  den  Kehldeckel  und  die  hintere  Umrandung  der  Ary- 
knorpel;  nur  in  seltenen  Fällen  kann  von  der  dort  bestehenden  Entzündung 
ein  entzündliches  Oedem  sich  auf  den  Kehlkopf  fortpflanzen  und  daselbst 
Stenose  erzeugen.  Im  weiteren  Verlaufe  können  dann  die  Geschwüre  Nar- 
ben im  Larynx  zurücklassen  und  so  bleibende  Stenosen  bedingen.  Die 
Therapie  besteht  in  der  Anwendung  von  Gegenmitteln,  die  jedoch  meist 
wenig  Erfolg  haben,  in  antiphlogistischer  Behandlung  und  Maassnahmen  gegen 
eventuelle  Suffocationsgefahr. 

Dickflüssiger  Schleim  und  Schleimpfröpfe  oder  Krusten  können  bei  pro- 
fuser Secretion  in  den  Bronchien,  bei  Laryngitis  sicca  und  Tuberkulose  der 
Lungen,  namentlich  wenn  der  Kehlkopf  verengert  ist,  sich  daselbst  festsetzen. 

Ihre  Entfernung  ist  meist  durch  energische  Einathmung  von  Dämpfen 
oder  zerstäubten  Flüssigkeiten,  manchmal  durch  Anwendung  eines  Brech- 
mittels, oft  aber  erst  durch  endolaryngeale  Eingrifle  möglich;  natürlich  ist 
die  Behandlung  der  Grundkrankheit  sehr  wichtig. 

Blutgerinnsel,  seltener  von  Kehlkopfblutungen,  gewöhnlich  aber  von 
Lungenblutungen  herstammend,  sind  in  ähnlicher  Weise  zu  behandeln. 

Weiche  Körper  können  theils  aus  dem  Organismus  selbst  stammen,  als 
Croupmembranen,  oder  zufällig  von  aussen,  z.  B.  beim  Essen  (Fleischstück- 
chen), in  den  Larynx  eindringen.  Ebenso  ist  dieses  bei  den  festen  Körpern  der 
Fall.  Aus  dem  Organismus  stammen  nekrotische  Knorpel  des  Larynx  oder 
der  Bronchialäste,  Neubildungen  desselben  oder  von  anderen  Gegenden  des 
Körpers.  Ich  erinnere  mich  an  einen  Fall,  wo  von  der  Spitze  der  Uvula  ein 
langgestieltes,  nussgrosses  Papillom  bis  in  den  Larynx  gelangte  und  denselben 
stenosirte.  Der  betreffende  Arzt  tracheotomirte,  doch  starb  der  Patient  an 
Pneumonie.  Erst  bei  der  Section  fand  man  die  Ursache  der  Stenose.  Eine 
Untersuchung  des  Halses  hätte  die  leichte  Entfernung  des  Hindernisses 
ermöglicht. 

Die  von  aussen  in  den  Larynx  gelangenden,  festen  Körper  sind  von  der 
verschiedensten  Art  und  kommen  theils  beim  Essen  und  Trinken,  theils  beim 
Spielen  (namentlich  bei  Kindern),  dann  durch  Verletzungen  (Fiintenkugel), 
theils  zufällig  beim  Schlafe  (künstliche  Gebisse),  theils  bei  Operationen  (Pinsel, 
Theile  von  Instrumenten  etc.)  in  den  Larynx.  Die  nächsten  Folgen  sind  ver- 
schieden. 1.  Die  Fremdkörper  können  bei  bedeutender  Grösse  durch  Ver- 
schluss des  Larynx  sofort  den  Tod  herbeiführen.  2.  Auch  können  sie  durch 
den  Reiz  auf  die  sensiblen  Nerven  einen  lange  dauernden,  tödlichen  Glottis- 
krampf  erzeugen.  3.  Sie  erzeugen  zwar  Glottiskrampf,  welcher  aber  schnell 
vorübergeht,  indem  sie  durch  Hustenstösse  sofort  wieder  herausgeworfen  wer- 
den. 4.  Sie  verweilen  nur  kurze  Zeit  im  Larynx,  um  dann  in  die  Trachea  oder 
Bronchien  aspirirt  zu  werden.  5.  Sie  bleiben  nach  vorübergegangenem  Glottis- 
krampf im  Larynx  liegen  und  können  daselbst  ohne  besonderen  Reiz  lange 
Zeit  geduldet  werden,  oder  sie  erzeugen  heftige  Entzündung,  was  namentlich 
der  Fall  ist  bei  spitzen  und  eckigen  Körpern,  welche  die  Schleimhaut  ver- 
letzen. Diese  Verletzungen  werden  dann  entweder  durch  die  dem  Fremd- 
körper anhaftenden  Mikroorganismen  oder  durch  später  eindringende  inficirt, 
wobei  es  nicht  selten  zu  phlegmonösen  Processen  mit  allen  ihren  Folgen 
kommt;  endlich  kann  der  Fremdkörper  einfachen  Decubitus  erzeugen.  6.  In 
den  seltensten  Fällen  wird  der  Fremdkörper  eingekeilt,  ohne  einen  Glottis- 
krampf oder  Husten  hervorzurufen,  und  bleibt  ohne  Beschwerden  im  Larynx, 
so  dass  der  Kranke  davon  gar  nichts  weiss.  Dieses  verschiedene  Verhalten 
des  Larynx  ist  natürlich  in  Zusammenhang  mit  der  Form  des  Fremdkörpers; 
runde,  glatte  Körper  fallen  eher  in  die  Trachea,  sehr  umfängliche  bleiben  im 
Larynx  stecken,  spitze  und  eckige  veranlassen  Wunden  der  Schleimhaut.    Als 


FREMDKÖRPER  IN  DER  NASE.  135 

spätere  Folgen  des  Eindringens  von  Fremdkörpern  in  den  Larynx  sind  ausser 
den  localen  entzündlichen  mit  ihrem  Ausgange  in  Oedcm,  Stenosen,  Phleg- 
monen, Gangrän,  auch  noch  entzündliche  Processe  in  den  Bronchien  und 
Lungen  zu  erwähnen,  welche  durch  Aspiration  des  Eiters  der  Decubitus- 
geschwüre  oder  der  Phlegmonen  bedingt  sind.  Auch  können  lang  andauernde 
Hustenanfälle  die  Lungen  schwer  schädigen. 

Therapie.  Natürlich  soll  der  Fremdkörper  entfernt  werden,  was 
manchmal  schon  der  Organismus  selbst  besorgt,  namentlich  bei  runden, 
glatten  Körpern.  Suspendiren  des  Körpers  mit  nach  abwärts  gewendetem 
Kopfe  soll  auch  schon  geholfen  haben;  doch  ist  diese  rohe  Methode  aus  leicht 
begreiflichen  Gründen  sehr  unsicher  und  nicht  ohne  Gefahr. 

Wenn  der  Fremdkörper  grosse  Suffocationsgefahr  bedingt,  die  keinen 
Aufschub  duldet,  wird  man  sich  sofort  zur  Tracheotomie  entschliessen  müssen : 
wenn  aber  irgendwie  Zeit  bleibt,  ist  es  unbedingt  rathsam,  sofort  eine  laryn- 
goskopische Untersuchung  vorzunehmen.  Man  wird  dann  nach  Cocainisirung 
meist  im  Stande  sein,  den  Fremdkörper  endolaryngeal  zu  entfernen;  in  den 
meisten  nicht  sofort  tödlich  verlaufenden  Fällen  hat  man  hinreichend  Zeit 
dazu.  Man  wird  den  Larynx  energisch  cocainisiren,  natürlich  ohne  dabei  den 
Fremdkörper  in  die  Trachea  hinabzustossen,  und  dann  denselben  mit  Pincette 
oder  Zange  unter  Leitung  des  Spiegels  entfernen.  Bei  spitzen,  eckigen 
Körpern,  die  eingekeilt  sind,  gelingt  das  nur  bei  grosser  Geschicklichkeit. 
Nadeln  muss  man  z.  B.  öfters  mit  der  Spitze  tiefer  in  das  Gewebe  stossen, 
um  das  andere  Ende  frei  zu  bekommen  und  dann  durch  hebelnde  Bewegungen 
entfernen,  wobei  jede  Kraftanwendung  zu  vermeiden  ist,  um  nicht  die  Kehl- 
kopfweichtheile  zu  zerreissen.  Die  Versuche  zur  endolaryngealen  Extraction 
kann  man  solange  wiederholen  (natürlich  mit  Einschiebung  entsprechender 
Pausen),  als  keine  Suffocationsgefahr  eintritt.  Endlich  wird  aber  in  einzelnen 
Fällen  doch  nichts  anderes  übrig  bleiben,  als  Laryngofissur  vorzunehmen, 
namentlich  wenn  der  Fremdkörper  fest  eingekeilt  ist.  Schliesslich  möchte 
ich  erwähnen,  dass  im  Larynx  schon  öfters  Fremdkörper,  in  Granulations-  oder 
Narbenmassen  eingebettet,  zufällig  bei  Sectionen  gefunden  wurden. 

CHIARI. 

Fremdkörper  in  der  Nase.  Als  solche  sind  Wer  nur  jene  zu 
betrachten,  welche  von  aussen  her  durch  die  Nasenlöcher,  die  Choanen, 
congenitale  oder  ulceröse  Gaumendefecte  und  traumatische  Canäle  in  die  Nase 
gelangen,  nicht  aber  jene;  welche  in  der  Nase  selbst  entstehen  (Sequester, 
verirrte  Zähne  und  in  ihrer  schliesslichen  Form  die  Rhinolithen). 

Vom  praktischen  Gesichtspunkte  aus  ist  der  Begriff  „Fremdkörper" 
mindestens  auf  alle  festen  Körper  auszudehnen.  Gräserpollen,  Schnupftabak, 
adenoide  Wucherungen,  welche  nach  ihrer  Loslösung  in  die  Nase  gelangen, 
bieten  gewiss  nicht  die  Charakteristica  dar,  die  man  gewöhnlich  den  Fremd- 
körpern beilegt,  und  doch  kann  die  Verhinderung  ihres  Eindringens,  bezw.  ihre 
Entfernung  aus  der  Nase  von  Wichtigkeit  sein  oder  zu  sein  scheinen;  weiters 
beruht  eine  Reihe  von  localen  und  allgemeinen  Gewerbskrankheiten 
auf  der  Aspiration  von  mechanisch,  chemisch  oder  toxisch  wirkenden  Substanzen 
(Seifert)  und  verlangt  hauptsächlich  prophylactische  Maassregeln;  endlich 
kann  die  Nase  Verschütteter,  Geknebelter  und  Ertrunkener  mit  Getreide- 
körnern, Sägespänen,  Erde,  Schlamm  u.  a.,  ferner  bei  Lawinenstürzen 
momentan  mit  Eiskrystallen  angefüllt  sein,  wie  man  auch  bei  Sectionen 
sofort  nach  der  Geburt  gestorbener  Kinder  nur  zu  häufig  die  absolute  Ver- 
legung des  Nasenlumens  durch  mütterliche  Blut-  und  Secretmassen  constatirt. 
Es  soll  gerade  mit  Rücksicht  auf  die  letztgenannte  Thatsache  darauf  hinge- 
wiesen werden,  wie  wichtig  für  den  Erfolg  der  Wiederbelebungsversuche  es 
sein  kann,   die  Nase  von  den  fremden  Massen  freizumachen,  sowohl  deshalb. 


136  FREMDKÖRPER  IN  DER  NASE. 

weil  der  Luftweg  durch  die  Nase  den  Vorzug  hat,  ohne  unser  Zuthun  oii'en 
zu  bleiben  —  im  Gegensatz  zum  Munde  —  als  auch  weil  jene  durch  die 
ersten  Athemzüge  in  den  Kehlkopf  des  noch  betäubten  Individuums  aspirirt 
werden  können.  Die  Entfernung  dieser  Massen  wird  gewöhnlich  mittelst 
Auswischens  versucht. 

Das  besondere  Interesse  gebührt  indes  jenen  festen  Fremdkörpern, 
welche  ohne  rhinologische  Kenntnisse  der  Regel  nach  nicht  dia- 
gnosticirt  und  unschädlich  gemacht  werden  können.  Sie  sind  zu 
unterscheiden  als:     ' 

1.  Fremdkörper  im  eigentlichen  Sinne, 

2.  Parasiten  der  Nase  von  thierischer  und  pflanzlicher  Art. 

Ad  1.  Alle  die  Fälle,  in  welchen  Fremdkörper  durch  Traumen,  den 
Brechact  bei  Chloroformirung  und  sonstwie  ungenügendem  Gaumenschlusse 
oder  durch  ärztliche  wie  nicht  ärztliche  Hilfeleistung  in  die  Nase  gelangen 
(Kugeln,  Messerspitzen,  Holzsplitter;  Pillen,  Oxyuren;  Watte-  und  Gazestreifen, 
zu  fest  angezogene  hintere  Nasentampons,  Lapisstücke,  Quellstifte,  Blutegel), 
sind  selten  gegenüber  jenen,  wo  aus  Unvernunft  von  Kindern,  zuweilen 
auch  von  meistentheils  geistesgestörten  Erwachsenen  solche  in  die  Nase  der 
eigenen  oder  einer  fremden  Person  eingeführt  werden.  Am  häufigsten  handelt 
es  sich  dann  um  glatte  runde  Körper:  Kirschkerne,  Erbsen,  Bohnen,  Glas- 
perlen, Knöpfe,  besonders  von  Schuhen,  kleine  Münzen,  Kieselsteine,  aber 
auch  um  Schwamm-,  Holz-,  Papierstücke  u.  a. 

Gewöhnlich  finden  sich  die  Gegenstände  an  der  unteren  Muschel;  sie 
können  aber  auch  noch  im  Vestibulum  der  Nase  oder  infolge  der  von  Ex- 
tractionsversuchen  oder  unter  der  unteren  Muschel  und  des  Bohrens  in  der 
Nase  bereits  an  der  mittleren  Muschel  liegen.  Rechtshändige  Individuen  werden 
an  ihrer  eigenen  Person  die  rechte,  an  einer  fremden  aber  die  linke  Nasen- 
höhle bevorzugen. 

Die  Symptome  können  sehr  verschiedene  Heftigkeit  aufweisen.  Harte 
glatte  aseptische  Körper  können  längere  Zeit  ohne  bemerkbare  Störungen 
bleiben;  spitze  und  rauhe  dagegen  verursachen  Verletzungen  und  Blutungen 
am  Naseneingange,  und  insbesondere  die  schmutzigen  führen  baldigst  eine 
Entzündung  der  Nasenschleimhaut  mit  Granulations-  und  Polypenbildung, 
Anschwellung  der  benachbarten  Gesichtshaut,  stinkendem  Eiterausfluss  und 
selbst  Usur  des  Knochens  herbei.  Auch  Affectionen  der  Thränenwege,  Ero- 
sionen der  Oberlippe  und,  besonders  beim  Aufquellen  und  Auskeimen  der 
Hülsenfrüchte,  Kopfschmerzen  und  Neuralgien  in  den  verschiedenen  Trige- 
minusästen  können  sich  einstellen.  Die  Durchgängigkeit  der  entsprechenden 
Nasenseite  hat  selbstverständlich  durch  den  Fremdkörper  wie  durch  die 
Schwellungen  in  der  Nasenhöhle  meist  im  höchsten  Grade  zu  leiden. 

Die  Diagnose  ist  manchmal  sehr  leicht  zu  stellen,  wenn  man  nämlich 
schon  durch  das  Emporheben  der  Nasenspitze  den  Gegenstand  zu  Gesicht 
bekommt;  in  anderen  Fällen  dagegen  ist  sie  infolge  der  Verschwellungen, 
Exsudatborken,  entzündlichen  Neubildungen  und  bezüglich  der  Unterscheidung 
von  Sequestern  auch  infolge  der  Incrustation  sehr  erschwert.  Die  Ungeber- 
digkeit  der  Patienten  kann  schon  hiefür  eine  Narkose  nöthig  machen.  Durch 
vorsichtige  Reinigung  und  Sondirung  der  Nase  soll  man  sich  zunächst 
über  die  wirkliche  Anwesenheit  eines  Fremdkörpers  (die  Anamnese  ist  nämlich 
stets  mit  Vorsicht  aufzunehmen,  —  sodann  soweit  möglich  über  die  Beschaffen  - 
heit,  Beweglichkeit  und  Lage  Klarheit  verschaffen.  Am  schwersten  zu  erkennen 
sind  die  weichen  und  verfärbten  Schwamm-,  Watte-  und  Gazestücke  sowie  die 
gequollenen  Hülsenfrüchte,  da  sie  weichen  Tumoren  in  Festigkeit  und  Ansehen 
täuschend  ähneln  und  eventuell  mikroskopisch  untersucht  werden  müssen. 
Unerfahrene  darf  man  wohl  vor  Verwechselungen  mit  Sequestern,  Rhinolithen, 
kirschrothen  Schleimhautschwellungen,  Exostosen  und  zartbehäuteten  Septum- 


FllEMDKÖßPER  IN  DER  NASE.  137 

eccliondrosen  mit  Fremdkörpern,  wegen  der  operativen  Missgritfe,  Avarnen. 
Eine  allgemeine  Regel  ist  die,  dass  man  bei  Kindern  unter 
sieben  Jahren  die  Anwesenheit  eines  lebhaften  Eitert!  usses 
aus  nur  einem  Nasenloche  fast  sicher  auf  einen  Fremdkörper 
beziehen  darf.  —  Dass  die  Untersuchung  in  nicht  ganz  klarliegenden 
Fällen  unter  Beleuchtung  und  überhaupt  mit  allen  rhinologischen  Hilfs- 
mitteln auszuführen  ist,  versteht  sich  von  selbst. 

Die  Entfernung  der  Fremdkörper  erfordert  Umsicht  und  Gewandtheit. 
Man  muss,  wenn  irgend  möglich,  ihre  Verschiebung  gegen  die  Choanen  hin 
vermeiden  (natürlich  ausser  bei  bereits  bestehender  Einklemmung  in  den 
Choanen),  und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  sie  von  dort  aus  ohne  umständ- 
lichere Schutzmaassregeln  sehr  leicht  in  den  Kehlkopf  gelangen.  Empfehlens- 
wert ist  zunächst  der  Versuch,  den  manchmal  auffällig  lose  steckenden  Gegen- 
stand durch  den  Luftdruck,  also  Sclmaubenlassen  bei  zugehaltenem  anderen 
Nasenloche  oder  Lufteinblasung  ins  gesunde  Nasenloch,  allenfalls  unter 
Erweiterung  des  Nasenloches  der  afficirten  Seite  herauszubefördern;  sehr  zu 
empfehlen  ist  die  Anwendung  des  PoLiTZER'schen  Verfahrens  vom  gesunden 
Nasenloche  aus,  wobei  man  den  Gaumenabschluss  eventuell  durch  eine  Würge- 
bewegung herstellen  lassen  kann.  Ausspritzungen  sind  wegen  der  Gefahr 
der  Wassereintreibung  ins  Mittelohr  zu  widerrathen.  Für  instrumentelle 
Eingriffe  eignet  sich  die  Zange  insoferne  wenig,  als  besonders  runde  und 
glatte  Körper  choanenwärts  ausgleiten;  am  besten  geht  man  mit  einer  abge- 
bogenen kräftigen  Sonde,  besonders  mit  einer  löff'elförmig  verbreiterten, 
an  die  Hinterseite  des  Fremdkörpers  und  zieht  ihn  heraus.  Unempfindlichkeit 
des  Patienten  ist  durch  Cocain  oder  durch  die  Narkose  herbeizuführen.  Blei- 
kugeln wird  man  öfters,  wenn  sie  nicht  durch  ihre  Eintrittsöffnung  entfernt 
werden  können,  zerstückeln  müssen;  Messerspitzen  können  äussere  Operationen 
nothwendig  machen.  Blutegel  bringt  man  mittelst  Salzbestreuung  zum  Abfallen 
und  extrahirt  sie  dann  mit  einer  starken  Zange. 

Nach  der  vollkommenen  Entfernung  von  Fremdkörpern  oder  deren 
Stücken  verliert  sich  die  Eiterung  meistens  überraschend  schnell.  Nicht  entfernte 
Fremdkörper  incrustiren  sich  zu  Ehinolithen,  wobei  Eisen  sich  in  Schwefel- 
eisen verwandelt. 

Ad  2.  Von  au  s g  e  w  a  ch  s e n  G n  T  h i e r  e  n  gelangen  manchmal  Skolopendren 
und  Ohrwürmer  in  die  Nase  von  Schlafenden  und  bringen  alsbald  sehr  heftige 
nervöse  Reizerscheinungen  hervor.  Die  Ohrwürmer  sind  wohl  den  einfachen 
Fremdkörpern  beizuzählen;  dagegen  sollen  die  Skolopendren  nach  glaubwür- 
digen Angaben  jahrelang  in  der  Nase  leben  und  sich  von  deren  Secreten 
nähren  können. 

Selten  in  unseren  Breiten,  dagegen  häufig  in  den  Tropen  legen  gewisse 
Museiden  (bei  uns  die  Sarcophila  Wohlfarti  und  Piophila  casei,  aber  nicht, 
wie  gewöhnlich  angegeben,  die  Fleisch-  und  Schmeissfliege),  dann  Oestrus- 
arten  (Schaf-,  Rinds-,  Pferdebremse)  und  der  Speckkäfer  (Dermestes)  ihre 
Eier  in  die  Nase  von  Leuten,  die  im  Freien  schlafen  und  stinkende  Nasen- 
eiterungen haben.  Die  Larven,  besonders  der  Museiden,  bringen  heftige 
Eiterungen  mit  Blutungen  sowie  schmerzhafte  Gefühle  und  Neuralgien  hervor, 
die  sogar  ganz  furchtbar  werden  können.  Viele  der  Befallenen  gehen  durch 
Selbstmord  oder  Pyämie  zugrunde.  Die  Krankheit,  Myiasis,  in  Indien 
Peenash  genannt,  endet,  was  die  Schmerzen  durch  die  Abnagung  der  Schleim- 
häute anbelangt,  bei  unseren  heimischen  Fliegen  etwa  nach  14  Tagen  mit  der 
Verpuppung  der  Larven.  —  Die  Diagnose  lässt  sich  leicht  stellen,  wenn  man 
nach  dem  Abtupfen  des  Eiters  die  fortwährenden  Bewegungen  der  Larven 
bemerkt.  —  Man  kann  u.  a.  die  Thiere  herausspülen  oder  besser  mit  der 
Zange  entfernen,  nachdem  man  sie  durch  Chloroformdämpfe  betäubt  hat. 
VoLTOLiNi  hat  vorgeschlagen,  sie  mit  massigen,  länger  dauernden,  elektrischen 


138  FREMDKÖRPER  IM  RACHEN. 

Strömen  zu  tödten  oder  durch  einen  von  vorne  nach  hinten  gerichteten  galva- 
nischen Strom  zum  Nasenloche  herauszutreiben. 

Pflanzliche  Parasiten  ohne  grössere  Bedeutung  sind  der  Soorpilz 
und  Aspergillus  fumigatus,  welche  Rasen  bilden.  Man  entfernt  letztere  mit  der 
Zange  und  bläst  längere  Zeit  antiseptische  Pulver  in  die  Nase  ein. 

In  den  Nebenhöhlen  der  Nase  fanden  sich  hauptsächlich  Kugeln, 
Messerklingen,  ferner  Schlosstheile  von  Gewehren  nach  Explosionen,  Zähne 
nach  missglückten  Extractionen,  abgebrochene  Canülen  nach  Ausspülungen 
der  Kieferhöhle,  Tampons  und  Schwammstücke  ebenfalls  ärztlicher  Provenienz, 
erbrochene  Massen,  Schnupftabak,  Fliegenlarven.  Verfasser  hat  bei  einer 
Section  in  einem  subperiostalen  Abscesse  der  Keilbeinhöhle  ein  Stückchen 
Borste  gefunden.  Die  Fremdkörper  können  mitunter  herausgespült  werden 
sowie  auch  spontan  aus  der  Kieferhöhle  in  die  Nase  sich  schieben,  aller- 
dings erst  nach  langer  Zeit;  operativ  entfernt  werden  sie  unter  breiter  Eröff- 
nung der  Höhlen.  Die  Larven  sollen  durch  den  vom  harten  Gaumen  zum 
vorderen  Theile  der  Wange  gesandten  elektrischen  Strom  aus  der  Kieferhöhle 
ausgetrieben  werden  können.  bergeat. 

Fremdkörper  im  Rachen.  Fremdkörper  mannigfaltigster  Natur  können 
sich  im  Pharynx  finden.  Es  sind  nicht  nur  solche  Gegenstände,  welche  zu- 
sammen mit  Speisen  und  Getränken  eingeführt  werden,  wie  Fleischstückchen, 
Fischgräten,  Obstkerne,  sondern'  auch  die  verschiedensten  Körper,  die  theils 
namentlich  von  Kindern  zum  Spielen  in  den  Mund  genommen  werden  (Glas- 
perlen, Steinchen),  theils  behufs  Schaustellung  (Messer-,  Degenschlucker)  oder 
auch  in  selbstmörderischer  Absicht,  besonders  bei  Geisteskranken,  verschluckt 
werden.     So  finden  wir  im  Rachen  nach  Adelmann: 

a)  Körper  mit  rauhen,  spitzen,  schneidenden  Oberflächen,  wie  Knochen- 
stücke, Fischgräten,  Nadeln,  Dornen,  Borsten  von  Zahnbürsten,  Nägel,  künst- 
liche Gebisse,  Obturatoren,  Münzen,  Messer,  Gabeln; 

h)  Körper  mit  mehr  glatter  Oberfläche,  wie  Fleischbissen,  Kuchen,  Steine, 
Ringe,  Holzstücke  ; 

c)  unbekannte  Körper. 

Kleinere  spitze  Körper  bleiben  meist  in  den  Gaumentonsillen,  im  Zungen- 
grunde oder  an  der  Epiglottis  stecken,  seltener  im  Gaumensiegel  selbst  oder 
an  der  hinteren  Rachenwand.  Am  häufigsten  kommen  in  ärztliche  Behand- 
lung Patienten  mit  der  Angabe,  eine  Fischgräte  verschluckt  zu  haben. 
Fischgräten  spiessen  sich  oft  so  tief  in  die  Tonsille  hinein,  dass  gar  nichts 
von  denselben,  oder  auch  nur  die  oberste  Kuppe  etwas  sichtbar  ist.  Grös- 
sere Gegenstände  bleiben  meist  zwischen  Epiglottis  und  Zungengrund,  im 
Sinus  pyriformis,  mitunter  quer  über  dem  Kehlkopfeingang  oder  auch 
hinter  dem  Ringknorpel  stecken.  Nur  selten  findet  man  Fremdkörper  im 
Nasenrachenraum.  So  beobachtete  B.  Fränkel  einen  Fall,  in  welchem  nach 
der  Operation  von  adenoiden  Vegetationen  der  Ring  eines  LANGE'schen  Ring- 
messers im  Nasenrachenraum  stecken  geblieben  war  und  erst  nach  einigen 
Wochen  von  dem  Kinde  ausgewürgt  wurde.  Uebanschitsch  berichtet  von 
einem  Fall,  wo  ein  Haferrispenast  vom  Nasenrachenraum  durch  die  Tuba  Eu- 
stachii  ins  Mittelohr  und  von  da  in  den  äusseren  Gehörgang  gelangte. 

Die  Symptome,  welche  die  im  Pharynx  sitzenden  Fremdkörper  machen, 
sind  ganz  verschieden  und  hängen  von  dem  Sitz,  der  Beschaffenheit  und 
Grösse  derselben  ab.  Kleinere  spitze  Körper  bedingen  meist  nur  Schluck- 
beschwerden und  ein  Gefühl  von  Wundsein.  Gerade  bei  diesen  Gegenständen 
kann  man  häufig  die  Beobachtung  machen,  dass,  wenn  man  z.  B.  die  Gräte 
schon  entfernt  hat,  die  Patienten  gewöhnlich  am  nächsten  Tage  sich  wieder 
einstellen  mit  der  Behauptung,   dass  dieselbe  noch  im  Halse  stecke.    Dieses 


FREMDKÖRPER  IM  RACHEN.  391 

Gefühl  wird  durch  die  infolge  des  Fremdkörpers  entstandene  kleine  Ver- 
letzung der  Schleimhaut  hervorgebracht  und  verschwindet  gewöhnlich  nach 
einigen  Tagen.  In  einem  Falle  hielt  das  Fremdkörpergefühl  noch  2  Wochen 
lang  an,  ohne  dass  wir  eine  andere  Ursache  dafür  constatiren  konnten. 

Grössere  Gegenstände  können  nicht  nur  ein  Schluckhindernis  hervor- 
rufen, sondern  auch  Athembeschwerden  und  selbst  die  heftigsten  Erstickungs- 
erscheinungen herbeiführen  durch  Aufdrücken  der  Epiglottis  auf  den  Kehl- 
kopfeingang oder  durch  Compression  des  Kehlkopfes  von  hinten,  wenn  der 
Fremdkörper  hinter  dem  Ilingknorpel  fest  eingekeilt  ist. 

In  vielen  Fällen  werden  die  Fremdkörper  spontan  durch  Hustenstösse 
oder  Erbrechen  beseitigt.  Die  Eigenhilfe  des  Patienten,  bevor  er  sich  zum  Arzte 
begibt,  besteht  ja  darin,  dass  er  sofort  nach  Eindringen  eines  Fremdkörpers 
in  den  Rachen,  sei  es  ein  nicht  hinreichend  gekautes  Stück  Fleisch,  ein  kleines 
Knöchelchen  oder  eine  Gräte,  von  selbst  versucht,  den  Fremdkörper  herunter- 
zuschlucken, oder  durch  den  in  den  Schlund  eingeführten  Finger  Würg- 
bewegungen hervorzurufen,  um  auf  diese  Weise  denselben  herauszubefördern. 
Wohl  in  den  meisten  Fällen  sind  diese  Versuche  mit  Erfolg  gekrönt.  Blei- 
ben die  Fremdkörper  aber  liegen,  so  können  sie  die  Pharynxschleimhaut 
perforiren,  Entzündungen,  Abscesse  und  septische  Phlegmonen  hervorbringen. 
Nicht  selten  sind  sogar  grössere  Gefässe  verletzt  und  tödliche  Blutungen 
beobachtet  worden  (Verletzung  der  Carotis  communis,  Rivington).  Häufig 
können  jedoch  Fremdkörper  im  Rachen  verweilen,  ohne  irgend  welche  Stö- 
rungen zu  machen. 

Die  Diagnose  eines  vorhandenen  Fremdkörpers  wird  in  den  meisten 
Fällen  eine  leichte  sein.  Die  Erkennung  des  Sitzes  desselben  kann  aber  oft 
Schwierigkeiten  bereiten.  Schon  die  Angaben  des  Kranken,  den  Fremdkörper 
an  einer  bestimmten  Stelle  zu  fühlen,  können  zu  falschen  Schlüssen  führen, 
da  die  meisten  Menschen  gar  nicht  im  Stande  sind,  im  Rachen  richtig  zu 
localisiren.  Bekannt  ist,  dass  häufig  der  Patient  angibt,  den  Fremdkörper  im 
Kehlkopf  zu  spüren,  wo  die  Untersuchung  ergibt,  dass  derselbe  im  oberen 
Theile  des  Rachens  sitzt.  Treten  starke  Würgbewegungen  bei  der  Unter- 
suchung auf,  so  cocainisire  man  die  Rachenschleimhaut.  Führt  die  directe 
Inspection  des  Rachens,  sowie  die  postrhinoskopische  und  laryngoskopische 
Untersuchung,  verbunden  mit  der  Anwendung  der  Sonde  nicht  zum  Ziel,  so 
bediene  man  sich  der  Palpation.  Mittelst  der  Digitaluntersuchung  wird  man 
gerade  Fischgräten,  die  tief  in  der  Substanz  der  Mandel  versteckt  liegen  und 
dem  Auge  gar  nicht  mehr  sichtbar  sind,  leicht  entdecken.  Dünne  Fischgräten 
sind  zuweilen  deshalb  schwer  zu  erkennen,  weil  sie  in  dem  schleimigen  Be- 
eret ganz  durchsichtig  erscheinen.  Es  kommt  daher  auch  vor,  dass  man 
Schleimfäden,  die  den  Fischgräten  sehr  ähnlich  sind,  anfangs  für  den  ver- 
meintlichen Fremdkörper  hält.  Da  oft  auch  Gräten  tief  in  der  Zungentonsille 
stecken  bleiben,  so  übe  man  in  ^llen  Fällen,  in  denen  Verdacht  vorhanden, 
dass  eine  Gräte  im  Halse  stecke,  einen  Druck  auf  die  Submaxillargegend 
aus,  während  der  Kranke  phonirt,  um  eventuell  so  den  Fremdkörper  heraus- 
zudrücken. Die  infolge  des  Fremdkörpers  vermehrte  Schleimsecretion  hüllt 
namentlich  die  im  Sinus  pyriformis  sitzenden  Gegenstände  so  sehr  ein,  dass 
dieselben  erst  mittelst  der  Sonde,  resp.  des  Fingers  diagnosticirt  werden 
können.  Wenn  trotz  der  genauesten  Untersuchung  das  Vorhandensein  eines 
Fremdkörpers  nicht  mehr  nachzuweisen  ist,  so  muss  man  die  Angaben  des 
Kranken,  falls  nicht  in  einer  chronischen,  besonders  granulären  Pharyngitis 
der  Grund  für  das  Fremdkörpergefühl  sich  finden  lässt,  meist  auf  Hysterie 
zurückführen.  Oft  findet  man  aber  oberflächliche  Verletzungen  der  Schleim- 
haut, die,  wiewohl  der  Fremdkörper  schon  längst  spontan  ausgestossen  ist, 
das  Gefühl    eines    solchen    hervorbringen    und  zuweilen  sehr  lebhafte  Klagen 


140  FREMDKÖRPER  IM  RACHEN. 

auslösen  können.     Zu  beachten  ist  die  Möglichkeit  der  Anwesenheit  mehrerer 
Fremdkörper. 

Auf  ein  neues  diagnostisches  Untersuchungsmittel  für  die  Fremdkörper 
im  Rachen  habe  ich  auf  dem  Aerztecongress  zu  Frankfurt  a.  M.  aufmerksam 
gemacht  {Archlü  für  Laryngologie,  0  Bd.  Heß  I).  Es  ist  dies  die  Anwendung 
der  Röntgenstrahlen.  Natürlich  wird  man  nur  solche  Fremdkörper  auf  dem 
Baryumplatincyanürschirm,  resp.  auf  der  photographischen  Platte  erkennen, 
die '  einen  gewissen  Schatten  geben  und  sich  dadurch  von  der  Umgebung 
difterenciren.  Der  Fremdkörper  kann  nur  dann  gesehen  werden,  wenn  er 
eine  grössere  Dichte  als  die  umgebenden  Gewebe  hat,  und  zwar  muss  nicht 
nur  die  Dichte  eine  verschiedene  sein,  sondern  auch  die  Dicke  der  beiden  im 
Bilde  zu  differencirenden  Körper,  nämlich  die  des  Körpertheils  und  des  in  ihm 
befindlichen  Fremdkörpers  muss  in  einem  gewissen  begrenzten  günstigen  Ver- 
hältnisse zu  einander  stehen.  Es  werden  daher  Fremdkörper  von  Eisen, "Blei, 
Messing,  Knochenstücke,  Nadeln,  Steine  u.  s.  w.  sehr  gut  sich  erkennen  lassen. 
Dagegen  wird  man  Holzsplitter,  Obstkerne  etc.,  also  kurz  Fremdkörper,  welche 
genau  so  durchsichtig  für  die  Strahlen  wie  die  umgebenden  Theile  sind  und 
demnach  denselben  Schatten  wie  letztere  geben,  auf  diese  Weise  nicht  sicht- 
bar machen  können.  Gerade  bei  kleinen  Kindern,  bei  denen  die  Untersuchung 
mit  dem  Spiegel  und  der  Sonde  oft  infolge  der  Widerspenstigkeit  derselben 
auf  die  grössten  Schwierigkeiten  stösst,  wird  man  die  Röntgenstrahlen  mit 
bestem  Vortheil  für  die  Feststellung  der  An-  resp.  Abwesenheit  von  Fremd- 
körpern anwenden.  Durchleuchtet  man  nämlich  den  Kopf  ganz  seitlich  mit 
den  X-Strahlen,  so  sieht  man  auf  dem  Schirmbilde  den  Nasenrachenraum  und 
Rachen  als  hellen  Schatten  hervortreten,  der  hinten  von  der  dunkelschwarz 
erscheinenden  Halswirbelsäule  abgegrenzt  wird.  Man  sieht  deutlich  das 
Gaumensegel,  den  Kehldeckel  und  Kehlkopfeingang,  so  dass  die  Fremdkörper 
in  den  meisten  Fällen  sich  sehr  gut  auf  dem  Schirm  abheben.  Eine  photo- 
graphische Aufnahme  wird  wohl  in  den  wenigsten  Fällen  nöthig  sein.  Be- 
findet sich  ein  Fremdkörper  in  der  Gaumentonsille,  so  muss  man,  wenn  man 
ihn  z.  B.  in  der  linken  Mandel  vermuthet,  den  Kopf  des  Kranken  ganz  auf 
die  rechte  Schulter  neigen,  damit  durch  das  Herauftreten  des  Angulus  man- 
dibulae  die  Tonsille  freier  zu  liegen  kommt. 

Der  praktische  Wert  der  X-Strahlendurchleuchtung"  tritt  besonders  dann 
hervor,  wenn  es  sich  um  den  Nachweis  vielleicht  zurückgelassener  Stücke 
handelt  oder  wenn  nach  Entfernung  eines  Fremdkörpers  noch  die  Beschwerden 
fortbestehen.  So  ist  mir  gerade  ein  Fall  in  Erinnerung,  wo  der  Patient 
kurze  Zeit,  nachdem  ich  ihm  einen  Knochensplitter  aus  dem  Zungengrunde 
entfernt  hatte,  wiederkam,  mit  der  Behauptung,  es  müsse  ihm  der  Hammel- 
knochen noch  im  Halse  stecken  oder  er  müsse  noch  einen  verschluckt  haben. 
Die  genaueste  laryngoskopische  Untersuchung  konnte  nichts  ergeben.  Trotz- 
dem blieb  er  bei  seiner  Ansicht  und  war  erst  dann  beruhigt  und  von  der  Grund- 
losigkeit seiner  angeblichen  Beschwerden  überzeugt,  als  auch  die  Durchleuch- 
tung mit  den  X-Strahlen  einen  Fremdkörper  nicht  constatiren  konnte. 

Therapie.  Hat  man  den  Sitz  des  Fremdkörpers  diagnosticirt, 
so  ist  dessen  Entfernung,  wenn  auch  die  Erfahrung  beweist,  dass  oft  nach 
längerer  oder  kürzerer  Zeit  ohne  Schaden  für  den  Träger  der  Fremdkörper 
von  selbst  auf  dem  einen  oder  anderen  Wege  beseitigt  wird,  so  bald  wie 
möglich  auf  die  schonendste  Weise  zu  erstreben.  Die  Entfernung  desselben 
ist  meist  eine  einfache.  Wir  bedienen  uns  gewöhnlich  für  den  oralen  Theil 
des  Rachens  langer  Kornzangen  oder  feiner  Pincetten,  für  den  anderen  Theil 
einfacher  Kehlkopfzangen.  Nach  der  Extraction  verordne  man  reizlose  kühle 
Speisen  für  die  nächsten  Tage.  Niemals  soll  man  versuchen,  den  Fremd- 
körper, wenn  er  spitzig  oder  uneben  ist,  etwa  nach  unten  zu  drücken. 
Grössere   Schwierigkeit  macht  die  Entfernung  von  rundlichen   Gegenständen 


GARGARISMEN.  141 

aus  dem  Sinus  pyriformis.  Diese  werden,  sobald  man  sie  mit  der  Sonde 
oder  dem  Finger  lockert  und  aus  ihrer  Lage  bringt,  meist  gleich  heraus- 
gewürgt. Grosse  Vorsicht  rauss  man  bei  der  Anwendung  von  Bougies, 
Schlundsonden  oder  Münzenfilngern  üben,  da  dieselben  bei  allzu  energischem 
Vorgehen  die  spitzen  Fremdkörper  noch  tiefer  in  die  Schleimhaut  hinein- 
treiben und  Verletzungen  der  Gefässe  herbeiführen  können.  In  einem  Falle, 
in  dem  ein  zur  Blutstillung  eingeführter  Tampon  aus  dem  Nasenrachen- 
raum auf  den  Kehlkopfeingang  gefallen  war,  konnte  nur  der  schleunigst 
eingeführte  Finger  den  Kranken  vor  dem  drohenden  Erstickungstode  retten. 
Führen  die  Extractionsversuche  mit  den  verschiedensten  Instrumenten  und  dem 
Finger  nicht  zum  Ziele  und  treten  Erstickungsgefahren  ein,  so  halte  man  sich 
nicht  länger  mit  weiteren  Versuchen  auf,  sondern  führe  ungesäumt  die 
Tracheotomie  aus  und  versuche  später  die  Extraction  noch  einmal.  Liegen 
aber  keine  bedrohlichen  Erscheinungen  vor,  und  ist  der  Patient  von  den 
vielen  Manipulationen  schon  zu  sehr  ermattet,  so  versuche  man  von  neuem 
sein  Heil  am  nächsten  Tage.  Fallen  auch  dann  und  später  unsere  Bemühungen 
negativ  aus,  und  ist  der  Fremdkörper  nicht  ein  solcher,  dass  man  die  Spontan- 
ausstossung  ruhig  abwarten  kann,  so  muss  die  Entfernung  desselben  mittelst 
der  Pharyngotomie  ausgeführt  werden. 

Ebenso  wie  wir  die  Röntgenstrahlen  zur  Diagnosenstellung  verwenden, 
so  haben  wir  auch  oft  Gelegenheit  genommen,  die  Fremdkörper  aus  dem 
Rachen  bei  directer  Durchleuchtung  mit  den  X-Strahlen  zu  entfernen.  Zu 
diesem  Zweck  muss  der  Operationsraum  vollkommen  dunkel  gemacht  werden, 
der  Durchleuchtungsschirm  wird  von  der  einen  Hand  oder  der  des  Assistenten 
dicht  an  die  Hals-  und  Kopfseite  herangehalten,  der  Sitz  des  Fremdkörpers 
bestimmt,  während  man  mit  der  freien  Hand  mittelst  einer  Zange  den  Fremd- 
körper zu  fassen  sucht.  max  scheier. 

Gargcirism6n  {Ourgelivässer),  von  6  Yttp-j-ocpiGao^  das  Gurgeln  und  yapYapiCoj 
gurgeln  (Nachbildung  des  Geräusches  beim  Gurgeln),  sind  flüssige  Ärznei- 
formen,  welche  den  Zweck  haben,  die  rückwärtigen  Partien  der  Mundhöhle 
und  den  Rachen  zu  bespülen,  zum  Unterschied  von  den  Collutorien,  den 
Mundwässern,  welche  zum  Ausspülen  der  innerhalb  des  Zahnbereiches 
gelegenen  Mundpartien  dienen. 

Der  Gebrauch  des  Mundwassers  erheischt  ein  einfaches  Hin-  und  Her- 
bewegen der  Flüssigkeit,  welches  theils  activ  durch  die  Zunge,  theils  passiv 
durch  das  Rechts-  und  Linksneigen  des  Kopfes  geschieht.  Der  Gebrauch  des 
Gurgelwassers  dagegen  besteht  in  einem  Auf-  und  Abwärtstreiben  der  Flüssig- 
keit durch  das  Rückwärtsbeugen,  resp.  nach  vorne  Neigen  des  Kopfes,  wobei 
das  Gaumensegel  den  treibenden  Motor  darstellt.  Bei  Lähmungen  des  Velum 
palati  ist  eine  Gurgelung  unmöglich.  Das  Gurgeln  wird  in  zweierlei  Form 
ausgeführt,  entweder  unter  gleichzeitiger  Angabe  eines  tiefen  Tones,  wodurch 
eine  Senkung  des  Kehlkopfes  eintritt  und  die  tiefer  gelegenen  Partien  des 
Rachens  der  Bespülung  zugänglich  sind,  oder  durch  Ansagen  eines  hohen, 
nasalirten  Tones,  wodurch  die  höher  gelegene  Pharynxregion  bespült  wird. 
Eine  dritte  Art  der  Gurgelung  ist  die  bei  hervorhängender  Zunge,  wobei  die 
Arzneiflüssigkeit  bei  weit  geöffnetem  Mund  über  die  Zunge  hinabfliesst.  Hie- 
durch  wird  hauptsächlich  der  Zungengrund,  und  die  angrenzenden  äusseren 
Kehlkopfpartien  betroffen. 

Mund-  und  Gurgelwässer  werden  prophylactisch  zur  Verhütung  von 
Zahn-,  Mund-  und  Rachenkrankheiten  angewendet.  Solchem  Zwecke  dienende 
Arzneiflüssigkeiten  enthalten  Antiseptica  und  dienen  somit  wesentlich  zur 
Verhütung  von  Zersetzungsvorgängen  in  den  mannigfachen  Höhlen  und  Bahnen 
der  Mund-  und  Rachenorgane. 


142 


GEHÖRORGAN. 


Therapeutisch  verwendet  man  diese  Spülwässer  1.  zur  antibacteri eilen 
Wirkung  {Acid.  horic,  Acid.  salicyl.,  Kali  hy per  mang  anic.  Thymol,  Sublimat  etc.)  ^ 
2.  zur  reizmildernden  Wirkung  {Decoct.  Älthaeae,  Dccoct.  Hordei,  Mucilago  c/ummi 
arabic.  etc.),  3.  zur  adstringirenden  Wirkung  {Älumen,  lannin  etc.),  4.  zur 
schmerzstillenden  Wirkung  {Infus,  fol.  Jit/osciam.,  Beet.  Älthaeae  mit  Opium, 
Coca/inlösimg  etc.),  5.  zur  tonisirenden  Wirkung  {Decoct,  CJdnae,  Aqu.  CocJdea- 
riae  etc.),    6.  zur  schleimlösenden  Wirkung  {Amon.  cldorat.  Borac.  piiJv.  etc.). 

Kinder  soll  man  von  frühester  Jugend  an  gewöhnen,  Gurgelwasser  zu 
gebrauchen,  was  sov/ohl  prophylactisch,  als  auch  bei  eventueller  Erkrankung 
des  Rachens  (Diphtherie,  Angina)  von  schätzenswertem  Vortheile  ist. 

Ein  besonderes  Wort  sei  dem  Kali  chloricum  gewidmet.  Dieses 
Mittel,  einst  die  Beherrscherin  aller  Gurgelwässer,  ist  heute  von  der  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Kinderärzte  verworfen,  da  sein  antiseptischer  Wert 
ein  sehr  geringer  ist.  Es  ist  ausserdem  ein  giftiger  Arzneistoff,  der  bei 
Einnahme  grösserer  Mengen  (Verschlucken  der  Gurgelwässer)  toxisch  wirkt. 
Behauptet  hat  das  Chlorkali  seine  Stellung  nur  als  Mundwasser  bei  Hg-curen. 
An  Stelle  des  Chlorkali  wird  gegenwärtig  zu  gleichem  Zwecke  Borsäure,  Borax 
und  hypermangansaures  Kali  allgemein  angewendet. 

Folgende  Recepte  seien  zur  Verordnung  von  Collutorien  und  Gargarismen 
als  Beispiele  gebräuchlicher  Verordnungen  genannt: 

Ep.  Borac.  pulv.  200 

DS.    In   ein    Liter    Wasser  gelöst   zum 

Gurgeln.  (Liebreich). 

Ep.  Acid.  boric.  6-0 

Spir.  vini  Gallic.  15-0 

Aqu.  destill.  250-0 

DS.  Zum  Gurgeln. 
Ep.  Resorcin  pur.  2'0 

Aqu.  destill,  ad  400'0 

D.  in  vitro  nigro 

S.  Gurgehoasser.  (Ströll.) 

Ep.  Salol  3-0 

Spir.  vin.  dilut.  50-0 

US.  Ein  Kaffeelöffel  auf  ein  Glas  Wasser. 
Rp.  Acid.  tannic.  l'O 

Pulv.  laudan  0-02 

M.  f.  pulv. 

S.  Ein  Pulver  gelöst  in  ein  Glas  Wasser 
zum  Gurgeln  mehrmals  täglich. 
Ep.  Acid.  salicyl.  10 

Aqu.  dest.  ad  300-0 

MDS.  Gurgehoasser  bei  Stomacace. 
Ep.  Chinolin  1-0 

Aqu.  destill.  oOO'O 

Sp>ir.  vini  50-0 

Ol.  Menth,  pip.  gutt.  II. 

S.  Zum  Gurgeln  bei  Diphtherie. 


Rp.  Creolin  2-5 
Aqu.  1000-0 
S.  Gurgelwasser. 

Ep.  Jodi  tribromati  10 
Aqu.  300-0 
S.  Zum  Gurgeln  und  Zerstäuben. 

Ep.  Hi/drargyr.  cyanat.  0  05 
Aqu.  Menthae  5000 

DS.  Gurgelwasser  (nur  für  Erwachsene). 
Blaschko. 

Rp.  A^non.  chlorat.  50 
Aqu.  destill.  250' 0 
Oxymelis  45-0 

MDS.     Gurgelwasser    (bei    mit    starker 
Secretion  einherg eilender  Pharyngitis). 

Ep.  Amman,  sulfo-ichthyolici  2  0  —  50 
Aqu.  destill.  150  0 

MDS    Zum    Gurgeln    (insbesondere    bei 
Angina  erysipelatosa). 

(L,  Herz,  Jessner). 

Ptp.  Alumen  lOO 

Aqu.  destill,  ad  200-0 

MDS.  Aeusserlich.  H.  Guttmann. 

Ep.  Kali  chlorici  5  0 
Aqu.  destill.  200-0 
MDS.  Gurgehoasser. 

Bezüglich  der  speciellen  Indicationen  für  den  Gebrauch  der  Gurgelwässer 
vergleiche  die  Artikel  ,^Angina^\  „Pharyngitis"  und   „Stomatitis",  jul.  weiss. 

Gehörorgan  {Anatomie).  Das  Gehörorgan  ist  sowohl  zur  Aufnahme  der 
von  aussen  auf  dasselbe  einwirkenden  Tonwellen,  als  auch  sämmtlicher 
Erschütterungen  und  Stösse,  die  mit  der  Function  der  Bewegungswerkzeuge 
im  Zusammenhang  stehen,  bestimmt.  Da  jedoch  diese  Erschütterungen  und 
Stösse  nicht  so  sehr  von  der  Kraftleistung,  als  von  der  Geschwindigkeit  der 
Bewegung  abhängen,  so  ist  es  hauptsächlich  der  Grad  der  Geschwindigkeit, 
den  wir  mit  Hilfe  des  Gehörorganes  bestimmen.  Hierbei  wirken  nicht  nur  die 
Erschütterungen    und  Stösse,    sondern    auch    die  Bewegung   der    den  Körper 


GEHÖRORGAN. 


143 


Fig.  1.  Horizontalsohnitt  des  Schläfenbeins. 


umgebenden  Luft.  Von  einem  Centrum,  das  im  Gehörorgan  gelagert  sein 
sollte,  kann  begreiflicher  Weise  keine  Rede  sein,  wohl  aber  ist  dieses  Organ 
ein  Apparat,  durch  den  gewisse  Erregungen  dem  Gehirn,  als  Bewusstseinsorgan 
zugeführt  werden  und  von  diesem  als  Gehörempfindungen  percipirt  werden. 
Wenn  der  Forscher  irgend  ein  Organ  mit  einer  bestimmten  Function  in 
Zusammenhang  bringt,  so  muss  er  sich  doch  eine  mehr  oder  weniger  klare 
Vorstellung  von  dem,  wie  die  Form  des  Organes  mit  dem  Mechanismus  der 
Function  zusammenhängt,  zu  verschaffen  suchen;  welche  Vorstellung  oder 
welchen  Begriff  verbinden  wir  nun  aber  damit,  dass  sich  in  einem  gewissen 
Theile  des  Gehörorganes  ein  „Gleichgewichtscentrum"  oder  überhaupt  irgend 
ein  Centrum  befindet?  Solche  Termina  beweisen  nur,  zu  was  für  leeren 
Wortspielen  jede  einseitige  Untersuchung  führen  muss,  dass  das  E.xperiment, 
allein  genommen,  noch  keine  Begriffe  gibt,  sondern  falschen  Erklärungen  ein 
weites  Feld  öffnet,  und  dass  das  physiologische  Experiment  die  anatomische 
Form  und  die  mit  ihr  verbundenen,  experimental  erprobten  mechanischen 
Verhältnisse  nicht  ohne  Berücksichtigung  lassen  darf,  Physiologie  ohne  Anatomie 
ist  ebensowenig,  wie  Anatomie 
ohne  Theorie  eine  Wissenschaft 
und  kann  ebensowenig  zur  Er- 
gründung  der  Lebenserschei- 
nungen dienen.  —  Ehe  ich  mich 
zu  den  einzelnen  Theilen  des 
Gehörorganes  wende,  will  ich 
einiges  über  die  osteologische 
Grundlage  desselben  sagen. 
(Fig.  1.) 

Wenn  man  die  Pyramide 
des  Schläfenbeins  in  der  Mitte 
der  oberen  Kante  quer  durch- 
schneidet, so  triff't  man  auf  die 
Höhle  des  Vorhofs  (Vestibulum). 
Nach  aussen  und  hinten  von 
dieser  Höhle  befinden  sich  die 
drei  Bogengänge  {Cmiales  semi- 
drculares),  die  in  drei  zu  ein- 
ander senkrechten  Ebenen  lie- 
gen; weiter  nach  aussen  trifft 
man  die  Zellen  des  Antri  s. 
Sinus  mastoidei.  Von  aussen 
und  vorn  liegt  die  Paukenhöhle 
{Ccwum  ttjmpani)  und  noch  wei- 
ter nach  aussen  der  äussere 
Gehörgang.  Nach  innen  und 
vorn  ist  die  Schnecke  {Cochlea), 
deren  stumpfe  Spitze  sich  nach 
vorn,  aussen  und  unten  richtet, 
gelagert;  sie  wird  von  einem 
Canal,  der,  nach  Art  eines 
Schneckengehäuses,  2-5  Windungen 
Canal  theilt  eine  Platte   in   einen 


J- 


4 


cy/ 


I  Aussen,  II  Innen,  ///  Yorn,  IV  Hinten.  --1  Vorhof,  i>\  Hin- 
terer Bogengang,  B^  Voi-dever  Bogengang,  73 ,  Aeusserer  Bogen- 
gang, C  Schnecke,  D  Innerer  Gehörgang,  E  Aeusserer  Gehör- 
gang, F  Paukenhöhle,  G  Tuba  auditiva,  H  Sinus  mastoideus, 
J  Canalis  carotious,  K  Fenestra  Cochleae,  L  Fenestra  vestibuli, 
M  Membrana  tympani. 


um  eine  Achse  macht,  gebildet;  diesen 
hinteren  (oberen),  zur  Basis  und  einen 
vorderen  (unteren),  zur  Spitze  gewandten  Abschnitt.  Nach  innen  und  hinten 
vom  Vorhof  verläuft  der  innere  Gehörgang  {Meatus  auditorius  internus), 
welcher  blind  endet  und  aussen  an  den  Vorhof,  vorn  aber  an  die  Basis  der 
Schneckenachse  stösst.  Die  innere  Hälfte  der  Pyramide  wird  vom  Canale  der 
inneren  Kopfpülsader  {Can.  carotious)  eingenommen.  Am  hinteren,  oberen  und 


144 


GEHÖRORGAN. 


Fig.  2.     Diagramm  der  Leitung 

der  Gehörwelle  durcli  den 

Geliörapparat. 


dann  äusseren  Theile  der  Paukenhöhle  verläuft  der  Canal  des  Gesichtsnerven 
{Can.  n.  facialis)^  er  nimmt  im  Grunde  des  inneren  Gehörgauges  seinen 
Anfang,  richtet  sich  nach  vorn  und  nach  aussen,  zur  vorderen  Innenfläche 
der  Pyramide,  ^Y0  der  Canal  eine  Seitenöffnung  (Apertura  spuria  can.  fac.) 
hat,  weiter  wendet  sich  der  Canal  unter  einem  rechten  Winkel  nach  aussen 
und  hinten,  um  daun  vertical  nach  unten  zu  gehen  und  in  der  Griffelwarzen- 
öfthung  {Foramen  st i/lo-mastoideum)  seinen  Ausgang  zu  linden.  Die  Pauken- 
höhle verengert  sich  nach  vorn,  unten  und  innen  und  setzt  sich  in  einen 
quer  getheilten  Canal  {Can.  musciilo-  tubarius)  fort,  im  oberen  Theil  dieses 
Canals  ist  der  Spanner  des  Paukenfells  {Can.  tensoris  ti/mpani)  gelagert, 
der  untere  Theil  gehört  der  Ohrtrompete  {Tnba  fijmjmnica  s.  Eiistachii)  an. 
An  der  inneren  Wand  der  Paukenhöhle,  dem  Paukenfell  gegenüber,  befindet 
sich  ein  Vorsprung  {Promontorium),  der  der  Schneckenbasis  entspricht.  Hinter 
und  etwas  über  ihm  befindet  sich  in  derselben  Fläche  eine  ovale  Oeffnung 
{Finestra),  die  zum  Vorhof  führt  und  deren  grösster  Durchmesser  von  vorn 
nach  hinten  geht.  Im  hinteren  Theile  des  Vorsprungs  erblickt  man  in  einer 
zur  vorderen  Oeffnung  verticalen  Fläche  eine  runde  Oeffnung  (For.  rotundum), 
die  ins  Innere  der  Schnecke  führt.  (Fig.  2.) 

Auf  Grund  dieser  topographischen  Verhält- 
nisse des  Gehörorgangerüstes  kann  eine  in  das- 
selbe eindringende  Schallwelle  folgenden  Verlauf 
nehmen.  Durch  die  Luftsäule  des  äusseren  Ohres 
dringt  die  Welle  bis  zum  Trommelfelle,  wird  von 
den  Ohrknöchelchen  durch  das  ovale  Fenster  bis 
in  den  Vorhof  geleitet,  an  dessen  Wand  sie  sich 
bricht,  um  dann  hauptsächlich  durch  den  horizon- 
talen Canal  in  den  Vorhof  zurückzukehren.  Durch 
den  vorderen  (unteren),  zur  Spitze  gerichteten  Ab- 
schnitt des  Schneckencanals  dringt  die  Welle  dann 
bis  zur  Spitze  und  von  hier  durch  den  hinteren 
(oberen)  Abschnitt  bis  zum  runden  Fenster,  wo  sie 
das  hier  ausgespannte  secundäre  Trommelfell  er- 
schüttert und  durch  die  Luft  der  Paukenhöhle  bis 
an  die  Wand  des  Sinus  mastoideus  vordringt.  Von 
dieser  Wand  reflectirt,  richtet  sie  sich  zur  Tuba 
tympanica,  um  durch  die  Nasenhöhle  nach  aussen 
zu  gelangen. 

Die  von  den  Bewegungen  des  Locomotionsapparates  herrührenden  Stösse 
und  Erschütterungen  erreichen,  durch  die  feste  Stütze  geleitet,  einen  der  in 
drei  Ebenen  gelagerten  Bogengänge,  um  auf  die  hier  beginnenden  Nerven- 
apparate einzuwirken.  Dass  diese  Erschütterungen  und  Stösse  unbedingt 
einen  der  Bogengänge  treffen  müssen,  ist  leicht  zu  begreifen,  wenn  man 
bedenkt,  dass  die  Bewegungen  meist  um  eine  der  in  drei  sich  kreuzenden 
Flächen  gelegenen  Achsen  ausgeführt  werden.  Die  hierdurch  hervorgerufene 
Nervenerregung  gibt  sich,  bis  in  die  Corticalschicht  des  Gehirns  geleitet,  als 
Empfindung  kund,  welche  im  Bewusstsein  des  Menschen  als  Kriterium  für  die 
Bestimmung  der  Schnelligkeit  der  Bewegung,  sowie  der  Richtung  derselben 
dient.  Die  Versuche  von  Flourens  bestätigen  diese  Function  der  Bogen- 
gänge. 

Im  Gehörapparat  muss  ein  äusserer,  mittlerer  und  ein  innerer  Theil 
unterschieden  werden.  Der  äussere  oder  Eintrittstheil  dient  zum  Eintritt  der 
von  aussen  herkommenden  Erschütterungen,  er  besteht  aus  der  Ohrmuschel 
und  dem  Zuleitungsrohre,  welches  von  innen  durch  das  Paukenfell  abge- 
schlossen wird.  Der  mittlere  oder  Leitungstheil  ist  eine  Ausstülpung  des 
Nasenabschnittes  der  seitlichen  Rachenhöhlen  wand,  die  sich  nach  oben,  aussen 


Wie  iu  Fig.  1. 


GEHÖRORGAN.  145 

und  hinten  richtet;  ihr  Anfangstheil  ist  die  Tuba  tympanica,  in  der  Mitte 
bildet  sie  die  prismatische  Paukenhöhle  und  endet  in  den  Cellulae  und  dem 
Sinus  mastoideus  blind;  sie  ist  den  Nebenhöhlen  der  Nasenhöhle  analog. 
Durch  die  Paukenhöhle,  vom  Trommelfell  bis  zum  ovalen  Fenster,  werden  die 
Erregungswellen  durch  einen  aus  drei  Knochen,  dem  Hammer  {Mallem),  dem 
Amboss  {Incus)  und  dem  Steigbügel  (Stades)  bestehenden  gebrochenen  Hebel 
geleitet.  Der  innere  oder  acustische  Theil  enthält  den  acustischen  Apparat: 
den  Vorhof,  die  drei  Bogengänge,  die  Schnecke  und  den  Anfang  der  Nerven, 
ausserdem  noch  die  zwei  Abzugscanäle  {Aquaeductus  vestihuU  et  Cochleae); 
seine  Gefässe  erhält  dieser  Theil  ganz  unabhängig  von  den  anderen. 

I.  Das   äussere    Ohr  oder  der  Eintrittstheil  des   Gehörorgans. 

Der  Eingangstheil  des  Gehörorgans  hat  die  Form  eines  unregelmässigen 
Trichters  und  besteht  aus  einem  breiten  Abschnitt,  der  Ohrmuschel  (Concüa 
auris)  und  dem  äusseren  Gehörgang  (Meatus  auditorius  externus). 

Die  Ohrmuschel  ist  länglich  oval,  in  der  Mitte  des  vorderen  Piandes 
eingebogen.  Der  obere  und  der  hintere  Rand  sind,  wie  die  Krempe  eines 
Hutes,  umgeschlagen,  dieses  ist  die  Ohr  leiste  {Helix),  das  untere  Ende 
hängt  als  rundliches,  selten  dreieckiges,  weiches  Läppchen  vom  knorpeligen 
Theile  des  Muschel  herab.  Die  äussere,  mehr  oder  weniger  nach  vorn  gerich- 
tete Fläche  der  Muschel  ist  mit  Erhöhungen  und  Vertiefungen  versehen, 
denen  an  der  inneren  Fläche  ähnliche  Unebenheiten,  ein  Negativ  der  ersteren, 
entsprechen.  Die  Leiste  beginnt  in  der  Tiefe  der  Muschel  mit  einer  Wurzel, 
die  nach  vorn  und  oben,  durch  zwei  Ränder  begrenzt,  die  Tiefe  der  Muschel 
in  eine  obere  und  untere  Grube  theilt.  Die  Furche  {Scapha)  unter  der  Leiste 
reicht  nach  unten  bis  zum  Läppchen.  Wo  die  Wurzel  in  die  Leiste  über- 
geht, ragt  ein  zugespitzter  Fortsatz  {Spina  helicis),  der  als  Muskelansatz 
dient,  hervor.  Unter  der  Leiste  ist,  concentrisch  mit  ihr,  die  Gegenleiste 
{Änthelix)  gelagert,  welche  aus  zwei  über  der  Wurzel  der  Leiste  unter  einem 
Winkel  von  circa  40"  nach  unten  und  hinten  zusammenlaufenden  Schenkeln 
entsteht  und  unten  bis  an  die  hinter  der  äusseren  Oeffnung  gelagerte  Platte, 
die  hintere  Ohrklappe  {Äntitragus),  reicht.  Das  vordere  Blatt  oder  die 
vordere  Ohr  klappe  {Tragus)  ist  unregelmässig  viereckig  und  oben  durch 
eine  Querfurche  von  der  Leistenwurzel  getrennt.  Die  Vorderfläche  dieses 
Blattes  ist  nach  aussen,  vorn  und  unten  gerichtet.  Sein  oberer,  hinterer 
und  unterer  Rand  sind  frei,  dem  Vorderrand  entsprechend  verschmilzt  es  mit 
dem  knorpeligen  Gehörgang;  gegen  den  Gehörgang  gedrückt,  deckt  es  dessen 
Oeffnung  zu. 

Ueber  der  Wurzel  der  Leiste  befindet  sich  die  musch  eiförmige 
Grube  {Concha  auris),  sie  wird  durch  die  Wurzel  der  Leiste  in  eine  obere 
kleinere  Grube  {Cymha  conchae)  und  eine  untere  grössere  —  die  Muschel- 
grube {Caritas  conchae)  getheilt;  eine  dreieckige  Grube  [Fossa  triangu- 
laris)  wird  von  den  Schenkeln  der  Gegenleiste  eingeschlossen;  dieselbe  setzt 
sich  nach  vorn  in  die  kahnförmige  Grube  {Fossa  scaphoidea  s.  Scapha), 
welche  zwischen  der  Leiste  und  der  Gegenleiste  verläuft  und  hinten  bis  zum 
Ohrläppchen  reicht,  fort.  Auf  der  Rückseite  der  Ohrmuschel  findet  man, 
diesen  Vertiefungen  entsprechend,  Erhöhungen,  die  als  Eminentiae  scaphae, 
fossae  triangularis,  cymbae  et  conchae  bezeichnet  werden. 

Die  Ohrmuschel  zeichnet  sich  durch  ihre  grosse  Elasticität  und  verhält- 
nismässig geringe  Festigkeit  aus;  sie  besteht  aus  Netzknorpel,  dessen  Peri- 
chondrium  mehr  oder  weniger  eng  mit  der  Haut  verbunden  ist;  am  engsten 
ist  diese  Verbindung,  wobei  auch  die  Haut  am  feinsten  ist,  an  der  Wand  der 
Concha  auris  und  der  Gegenleiste,  d.  h.  dort,  w^o  die  Schallwellen  aufgefangen 
und  in  den  Ohrgang  gerichtet  werden;  eine  bewegliche  und  dicke  Haut  würde 
einen  Theil  der  Welle  absorbiren.    Unter  den  Ohrklappen  bildet  die  Haut 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten,  Iv 


146  GEHÖRORGAN. 

eine  Falte,  das  Ohrläppchen  {Lobulus  auriculae).  Die  Haut  enthält  Talg- 
drüsen, welche  in  den  Gruben  der  Aussenfläche,  besonders  in  der  Cavitas 
conchae  stark  entwickelt  sind.  An  und  zwischen  den  Klappen  ist  die  Haar- 
bildung stärker,  die  Haare  werden  hier  als  Ohr-  oder  Bockshaare  {Tragi  s.  liirci 
harhila)  bezeichnet  und  können  eine  Länge  von  2-5  cm  und  mehr  erreichen. 

Die  Ohrmuschel  bildet  mit  der  Seitenwand  des  Kopfes  einen  nach  hinten 
offenen  Winkel  von  30  bis  40°,  dieser  Winkel  ist  selten  kleiner  als  150,  und 
grösser  als  45^;  je  mehr  er  sich  dieser  letzteren  Grösse  nähert,  desto  schärfer 
wird  das  Gehör.  Die  Länge  der  Muschel  beträgt  5  bis  6  cm,  die  Breite  2'5 
bis  3  c»?,  die  Tiefe  1"5  bis  2*0  cm.  Die  Vertiefungen  und  Erhöhungen  der 
Aussenfläche  können  durch  Muskelwirkung  noch  verstärkt  und  dadurch  die 
Schallwellen  in  grösserer  Anzahl  nach  dem  Gehörgang  gerichtet  und  also  das 
Gehör  geschärft  werden.  Hierzu  dienen  folgende  Muskeln:  der  Musculus  trans- 
versus  auriculae  zwischen  Eminentia  scaphae  und  Eminentia  conchae, 
2.  der  M.  obliquus  conchae  zwischen  Eminentia  conchae  und  Emi- 
nentia fossae  triangularis,  3.  der  M.  tragicus  auf  der  Aussenfläche  der 
vorderen  Ohrklappe,  dem  vorderen,  freien  Rande  derselben  parallel,  4.  der 
M.  antitragicus  auf  der  hinteren  Ohrklappe,  er  besteht  gleichfalls  aus  dem 
freien  Rande  derselben  parallel  gelagerten  Fasern.  Diese  zwei  Muskeln  ver- 
grössern  durch  ihre  Contraction  die  Consistenz  der  Klappen  und  den  Bogen 
ihrer  Biegung,  deren  Convexität  sie  nach  innen  richten  und  dadurch  den  Zutritt 
zum  Eingang  verlängern.  5.  Der  M.  hell  eis  major  geht  von  der  Galea 
aponeurotica  zur  Spitze  des  nach  vorn,  aussen  und  unten  gerichteten  Fort- 
satzes der  Leistenwurzel  {Spina  helicis),  zieht  die  Spitze  dieses  Fortsatzes 
nach  oben  und  aussen  und  öffnet  dadurch  den  vorderen,  unteren  Theil  der 
Scapha;  6.  der  M.  helicis  minor  geht  von  der  Leistenwurzel  zur  Spina 
helicis,  an  deren  Basis  er  endigt,  er  vergrössert  die  Festigkeit  des  Knorpels 
und  macht  seine  Biegung  steiler.  Ausserdem  kann  die  Ohrmuschel  durch  die 
von  dl  ei  Seiten  an  sie  herantretenden  Muskelbündel  nach  oben,  vorn  und 
hinten  bewegt  werden,  die  vorderen  und  hinteren  Bündel  verlaufen  etwas 
schräg  nach  oben  und  sind  daher,  zusammengenommen,  Antagonisten  des  von 
oben  kommenden  Hebers.  Alle  diese  Muskeln  sind  beim  Menschen  verhältnis- 
mässig schwach  entwickelt. 

Der  äussere  Gehörgang  wird  in  einen  äusseren,  kleineren,  knorpe- 
ligen und  einen  inneren,  grösseren,  knöchernen  Abschnitt  getheilt.  Im  knö- 
chernen Abschnitt  richtet  sich  der  Gang  nach  vorn,  innen  und  etwas  nach 
unten;  in  horizontaler  Richtung  geht  der  Gang  im  knorpeligen  Theile  nach 
vorn,  beim  Uebergang  vom  knorpeligen  Abschnitt  zum  knöchernen  rückwärts, 
im  knöchernen  wieder  vorwärts.  In  frontaler  Richtung  steigt  der  knorpelige 
Abschnitt  an,  und  erst  im  knöchernen  Abschnitt  wendet  sich  der  Gang  nach 
unten;  die  Krümmung  ist  etwas  spiralförmig  gewunden,  so  dass  seine  Vorder- 
fläche sich  nach  oben,  seine  Hinterfläche  aber  nach  unten  wendet.  Die  Krüm- 
mungen gleichen  sich  beim  Heben  und  Rückwärtsziehen  der  Ohrmuschel 
etwas  aus.  Die  Länge  des  Ganges  beträgt  in  seiner  Achse  von  der  Aussen- 
öffnung  bis  zum  Trommelfell  2"2  bis  3*0  cm  (von  2'0  bis  3*5  und  sogar  4  cm); 
an  der  vorderen  Wand  misst  er  2"7— 2'8cw,  an  der  unteren  2'6  cm,  an  der 
oberen  2*2  cm  und  an  der  hinteren  2"1  cm,  der  grösste  Durchmesser  beträgt 
am  Eingange  8—9  mm,  in  der  Mitte  des  kaöchernen  Theiles  5 — 7  mm. 

Der  knorpelige  Theil  verhält  sich  im  Mittel  zum  knöchernen,  wie  1:2. 
Der  erstere  besteht  aus  einem  dreieckigen  Knorpel  von  gleicher  Structur,  wie 
der  Muschelknorpel,  dessen  Basis  den  beiden  Ohrklappen  entspricht  und  dessen 
Spitze  nach  unten,  hinten  und  innen,  zum  Einschnitt  zwischen  Warzenfortsatz 
und  Griffelfortsatz  des  Schläfenbeins  gerichtet  ist.  Dieser  Knorpel  wird  durch 
zwei  Spalten  in  drei  Theile  getheilt;  die  äussere  Spalte  {Fissura  meatus  car- 
tilaginei  major  s.  externa)   befindet  sich   zwischen  dem  Knorpel  der  vorderen 


GEHÖRORGAN  147 

Ohrklappe  und  dem  des  Gehörganges,  die  innere  Spalte  (Fissura  meatus  car- 
tilag'mei  minor  s.  interna)  verläuft  in  der  unteren  Platte  des  Gehörganges  und 
reicht  bis  zur  hinteren.  Das  Perichondrium  der  äusseren  und  inneren  Knorpel- 
fläche fliesst  an  seinem  inneren  Rande  in  eins  zusammen,  um  dann  in  das 
Periost  des  knöchernen  Gehörganges  und  der  die  äussere  Oeffoung  umge- 
benden Theile  des  Schläfenbeins  überzugehen.  Oben  und  hinten  ist  die  Lücke 
zwischen  dem  Knochen-  und  Knorpelrande  am  grössten  und  daher  am  reich- 
lichsten mit  fibrös-elastischem  Gewebe  ausgefüllt;  dieselbe  ist  gewöhnlich  an 
der  Aussenfläche  von  Muskelfasern  (31.  fissurae  meatus  cartilac/inei),  die  die 
Widerstandsfähigkeit  des  Knorpels  erhöhen,  überbrückt. 

Die  Haut  der  Ohrmuschel  geht  auf  den  äusseren  Gehörgang  über,  ist 
hier  beweglich  mit  dem  Perichondrium  verbunden  und  enthält  Knäueldrüsen 
(Glandulae  cermninosae),  die  am  Ende  des  knorpeligen  und  am  Anfang  des 
knöchernen  Ganges,  wo  ihrer  10 — 15  auf  1  mtn^  kommen,  besonders  zahl- 
reich sind  und  die  das  Ohrenschmalz  absondern.  Dem  knöchernen  Abschnitt 
sich  nähernd,  wird  die  Haut  dünner,  verbindet  sich  fester  mit 
dem  Periost,  gefässreicher,  empfindlicher,  die  Haare  werden  kleiner  und  ver- 
lieren sich  schliesslich  ganz.  Schliesslich  nimmt  die  Haut  eine  grauröthliche 
Färbung  und  Silberglanz  an  und  geht  endlich  in  die  epidermoidale  Schicht 
der  Aussenfläche  des  Trommelfells  über. 

Das  Trommelfell  (Membrana  ttjmpani)  schliesst  den  äusseren  Gang 
von  innen  ab.  Es  ist,  wie  ein  Bild  in  dem  Rahmen,  in  die  Furche  am 
inneren  Rande  des  Paukenknochens  oder  des  Paukentheils  des  Schläfen- 
knochens eingefügt.  Nur  im  oberen  Theil  fehlt  die  Furche,  sie  geht  hier, 
elliptisch  verlängert,  bis  zum  Schuppentheil  des  Schläfenbeins  (Margo  tym- 
panicus);  dieser  obere  Theil  der  Membran  ist  weniger  straff  angezogen  (Membrana 
flaccida),  als  die  übrige  Membran. 

Das  Trommelfell  richtet  sich  schräg  von  oben,  vorne  und  aussen  nach 
unten,  hinten  und  innen,  so  dass  seine  Aussenfläche  nach  unten  und  vorn, 
seine  Innenfläche  aber  nach  hinten  und  oben  sieht.  Seine  Aussenfläche  bildet 
mit  der  vorderen  und  unteren  Wand  des  Ganges  spitze,  mit  der  oberen  und 
hinteren  Wand  aber  stumpfe  Winkel.  Mit  der  Achse  des  Gehörganges  bildet 
die  Haut  einen  Winkel  von  55";  die  Flächen  des  Trommelfells,  verlängert 
nach  vorn  und  unten,  treffen  hier  zusammen  unter  einem  Winkel  von  130 
bis  138".  Die  Aussenfläche  hat  in  der  Mitte  eine  nabelartige  Vertiefung 
(Umbo  membr.  tymp.)\  an  der  oberen  Peripherie  der  eigentlichen  Haut  ragt 
eine  stumpfe  Erhöhung,  die  von  dem  äusseren,  kurzen  Hammerfortsatz  her- 
rührt; nach  aussen  von  dieser  Erhöhung  geht  ein  den  hier  befindlichen 
Hammergriff  bezeichnender  Streifen  zur  Mitte  der  Vertiefung.  Von  den 
Rändern  des  Trommelfells  ist  der  untere  etwas  spitzer,  als  der  obere.  Unter 
normalen  Verhältnissen  kommen  hier  keine  Oeffnungen  (Foramen  Bicini)  vor. 
Ein  vor  oder  hinter  der  Erhöhung  des  kurzen  Haramerfortsatzes,  mehr  oder 
weniger  schräg  gelagerter  Canal  kommt  ebenso  häufig,  wie  ein  ähnlicher  am 
Septum  atriorum,  vor  und  ist  in  beiden  Fällen  als  Resultat  einer  Bildungs- 
hemmung anzusehen. 

Der  verticale  Durchmesser  des  Trommelfells  misst  10 — 11  wm,  sein 
Querdurchmesser  9 — 10  mm.  Bei  der  Untersuchung  am  Lebenden  wird  mit 
Hilfe  des  Spiegels  hauptsächlich  sein  vorderer,  unterer  Theil  sichtbar,  wo  man 
den  sogenannten  Lichtkegel,  dessen  Spitze  dem  Nabel  und  dessen  Peripherie 
dem  vorderen  unteren  Theil  der  Membran  entspricht,  gew^ahr  wird.  Die  Farbe 
der  Membran  ist  am  Lebenden  perlgrau  oder  blassröthlich. 

Der  Textur  nach  unterscheidet  man  am  Trommelfell  eine  äussere  Schicht, 
welche  eine  Fortsetzung  der  den  Gehörgang  auskleidenden  Haut  ist,  eine 
mittlere,  die  eigentliche  fibröse  Schicht  und  eine  diese  letztere  von  innen 
bedeckende  zarte  Schleimhaut. 

10* 


148  GEHÖRORGAN. 

In  der  mittleren  Schicht  kann  man  eine  äussere  Lage  radiärer  Fasern 
und  eine  innere  Lage  circulärer  P'asern  unterscheiden.  Die  radiären  Fasern 
beginnen  an  dem  die  Paukenriogfurche  bedeckenden  Bindegewebe  und  richten 
sich  zum  Ende  des  Hammerstiels,  wobei  die  des  hinteren,  oberen  Theils 
mehr  der  Länge  dieses  Stiels  parallel  verlaufen;  am  Kande  des  Trommel- 
fells sind  diese  Fasern  am  dünnsten,  sie  werden  allmählich  gegen  die  Mitte 
des  Stiels  dicker;  sie  sind  straff  gespannt  und  scharf  von  einander  isolirt; 
ihrer  Structur  nach  gehören  sie  zu  den  festen,  aber  wenig  elastischen  Fasern 
des  fibrillären  Bindegewebes;  eine  geringe  Anzahl  elastischer  Fasern  dient  zur 
Erhöhung  der  Elasticität.  Die  circulären  Fasern  sind  an  der  Peripherie 
stärker  entwickelt,  besonders  im  oberen  Theile  der  Membran,  wo  sie  bogen- 
förmig bis  zur  Mitte  der  Erhöhung  des  kleinen  Hammerfortsatzes  reichen. 
Unter  dieser  Erhöhung  in  der  Membrana  flaccida  sind  diese  Fasern  nicht  zu 
finden.  Zur  Mitte  hin  werden  sie  dünner  und  verlieren  sich  allmählich.  Wo 
der  Hammerstiel  und  der  kleine  Hammerfortsatz  der  mittleren  Schicht  des 
Trommelfells  anliegen,  da  ist  in  die  radiären  Fasern  hyaliner  Knorpel  ein- 
gewebt, der  in  das  Periost  des  Hammerstiels  übergeht.  Ueber  den  Circulär- 
fasern  ist  eine  schlaffe  Bindegewebsschicht,  welche  die  äussere  und  die  innere 
Schicht  verbindet  und  leicht  beweglich  ist,  gelagert.  Die  äussere  Schicht  des 
Trommelfells  besteht  aus  Epidermis,  die  sich  bei  Maceration  in  Form  eines 
Blindsackes  abziehen  lässt,  und  aus  einer  sehr  dünnen  fibrösen  Unterlage,  die  mit 
der  mittleren  Schicht  eng  verbunden  ist.  In  dieser  fibrösen  Unterlage  lagern 
sich  dichte  Netze  feiner  Capillargefässe,  die  den  Radiärfasern  parallele  Maschen 
bilden.  Die  innere  Schicht  ist  eine  Fortsetzung  der  Paukenhöhlenschleimhaut; 
sie  besteht  aus  einem  einfachen  Pflasterepithel  und  einem  Netz  feiner  Fasern, 
die  sich  mit  den  Bündeln  der  mittleren  Schicht  eng  verflechten;  sie  enthält 
an  der  Peripherie  auch  Gefässpapillen. 

Das  Trommelfell  ist  also,  was  seine  mechanischen  Eigenschaften  anbe- 
trifft, eine  wenig  elastische,  feste,  straff  angespannte  Membran,  die,  wie  sich 
noch  erweisen  wird,  durch  Muskelwirkung  etwas  angezogen  werden  kann. 

Die  Gefässe  des  äusseren  Ohres  gehören  den  Aesten  der  Carotis 
externa  und  der  ihr  entsprechenden  Venen  an. 

Die  vordere  und  äussere  Fläche  der  Ohrmuschel  erhält  ihre  Aeste 
von  der  Art.  temporalis  superficialis  als  Ptami  auriculares  anteriores,  die 
meist  quer  zum  Rande  der  Leiste,  den  Klappen  und  dem  Ohrläppchen  gehen 
und  mit  den  Arterien  der  hinteren  und  der  inneren  Fläche  anastomosiren; 
diese  letzteren  sind  Aeste  der  Art.  auricularis  posterior  (Rami  auriculares 
posteriores). 

Der  Gehörgang  wird  ausser  den  eben  angeführten  Gefässen  noch  von 
der  tiefliegenden  Art.  auricularis  profunda,  die  sich  im  inneren  knorpeligen 
und  im  knöchernen  Theile  verzweigt,  und  in  seinem  äusseren  Theile  von 
Zweigen  der  Art.  parotidea  mit  Blut  versehen. 

Das  Trommelfell  enthält  in  der  Hautschicht  seine  Blutgefässe  aus  der 
Art.  auricularis  profunda,  in  der  Schleimhautschicht  aus  der  Art.  tympanica, 
welche  entweder  unmittelbar  aus  der  Art.  m axillaris  interna  oder  aus  der 
Art.  auricularis  profunda  oder  endlich  aus  der  Art.  meningea  entspringt. 
Die  Zweige  der  Art.  auricularis  profunda  gehen  am  hinteren  Rande  des 
Hammergriffs  von  der  oberen  Peripherie  zur  Mitte  des  Trommelfells  und 
zerfallen  hier  in  radiär  verlaufende  Aestchen,  die  die  oben  erwähnten  Netze 
bilden  und  sich  mit  Zweigen  der  Gefässe  des  Gehörganges  vereinigen.  Die 
aus  diesen  Netzen  kommenden  Capillargefässe  vereinigen  sich  zu  zwei  Venen, 
welche  sich  am  Hammergriff  zum  Rande  des  Trommelfells  richten.  Die 
innere  Schicht  des  Trommelfells  wird  ausser  der  oben  erwähnten  Art.  tym- 
panica noch  von  Aesten  der  Art.  stylomastoidea,  einem  Zweige  der  Art.  auri- 
cularis profunda,  mit  Blut  versehen;  die  Zweige  dieser  Arterien  bilden  auch 


GEHÖRORGAN.  149 

radiäre  Netze,  sie  sollen  auch  Capillarnetze  zwischen  den  circulären  und  den 
radiären  Fasern  der  Mittelschicht  bilden  (Kessel)  und  perforirende  Aeste  zur 
Aussenschicht  abgeben. 

Die  Venen  der  Ohrmuschel  und  des  Gehörganges  entsprechen  den 
Arterien;  von  der  Vorderfläche  der  Ohrmuschel  gehen  sie  als  Venae  auri- 
culares  anteriores  zur  Vena  temporalis  superficialis;  die  Venae  auriculares 
posteriores  sammeln  sich  zur  Vena  jugularis  externa  posterior;  was  die  Vena 
auricularis  profunda  betrifft,  so  ergiesst  sie  sich  in  den  Plexus  pterygoideus 
und  in  die  Vena  maxillaris  interna.  Die  Venen  des  Trommelfells  entsprechen 
gleichfalls  den  hier  beschriebenen  Arterien. 

Die  Lymphge fasse  der  Ohrmuschel  und  des  äusseren  Abschnittes  des 
Gehörganges  bilden  sehr  feine  Netze  (Sappey);  die  vorderen  ergiessen  sich 
in  die  im  oberen  Theile  der  Fossa  retromaxillaris,  vor  dem  Tragus  gelagerte 
Drüse,  die  hinteren,  stärker  entwickelten  in  die  Drüsen  des  Warzenfortsatzes. 
Im  inneren  Abschnitt  des  Gehörganges  sind  die  Gefässe  schwer  zu  verfolgen. 
Im  Trommelfell  verlaufen  sie  den  Blutgefässen  analog  und  werden  noch  mit 
den  Lymphgefässen  der  Paukenhöhle  beschrieben  werden. 

Die  Nerven  des  äusseren  Ohres  gehören  dem  Trigeminus,  Glosso- 
pharyngeus,  Vagus,  Facialis  und  den  Halsnerven  an. 

Zur  Vorderfläche  der  Ohrmuschel  gehen  Aeste  des  Nervus  auriculo- 
temporalis  s.  temporalis  superficialis,  der  vom  Ramus  inframaxillaris  trigemini 
entsendet  wird;  der  hintere,  untere  Theil  wird  von  Zweigen  des  Nervus  auri- 
cularis magnus,  der  vom  dritten  Paare  des  Plexus  cervicalis  ausgeht,  der 
hintere,  obere  Theil  von  Zweigen  des  Nervus  occipitalis  minor,  auch  aus  dem 
dritten  Halsnervenpaar  innervirt. 

Vom  Gehörgang  aus  gehen  centripetale  Zweige  zum  Nervus  auriculo- 
temporalis,  zum  Nervus  auricularis  magnus  und  aus  dem  inneren,  knöchernen 
Theile  zum  Nervus  vagus  (Rami  auriculares).  Einige  von  diesen  Fäden 
kommen  auch  von  der  Aussenfläche  des  Trommelfells;  die  Innenfläche  des- 
selben wird  vom  Plexus  tympanicus  des  Nervus  glossopharyngeus  innervirt. 

Die  Muskeln  der  Ohrmuschel  selbst  und  die  sie  in  Bewegung  setzenden 
Muskeln  erhalten  ihre  centrifugalen  Zweige  vom  Nervus  facialis. 

Alle  Gefässe  des  äusseren  Ohres  werden  vom  Plexus  caroticus  externus, 
der  sich  bis  zum  Ganglion  cervicale  primum  verfolgen  lässt,  innervirt. 

IL  Das  mittlere   Ohr  oder  der   Leitungstheil   des    Gehörorgans. 

Dieser  Theil  besteht  aus  der  Paukenhöhle,  die  hinten  und  aussen  mit 
dem  Sinus  und  den  Cellulae  mastoideae  schliesst,  sich  nach  vorn,  unten  und 
innen  in  die  Tuba  tympanica  bis  zur  Rachenhöhle  fortsetzt  und  durch  die  die 
drei  Ohrknöchelchen  hindurchziehen. 

Die  Paukenhöhle  (Cavum  tympani)  ist  prismatisch  biconcav,  mit 
einer  oberen,  äusseren  und  inneren  Wand;  die  beiden  letzteren  treffen  unten 
zusammen  und  sind  gegen  einander  convex;  in  der  Mitte  beträgt  die  Ent- 
fernung zwischen  ihnen  1 — 2  mm,  vorn  bis  3  und  hinten  bis  5  mm.  Die 
Wölbung  der  Aussenwand  entspricht  der  Innenfläche  des  Trommelfells,  die 
der  Innenwand  dem  Promontorium;  oben  wird  die  Höhle  durch  eine  dünne 
Knochenschicht  {Tegmen  tympani)  von  der  Schädelhöhle  getrennt.  Hinter 
und  über  dem  Promontorium  befindet  sich  das  ovale  Fenster  {Femstra 
ovalis)\  sein  Längsdurchmesser  ist  horizontal  und  richtet  sich  von  vorn  nach 
hinten  und  aussen;  er  misst  2 — 3  mm,  der  verticale  Durchmesser  1,5w?;m. 
Der  obere  Rand  des  Fensters  ist  gewölbt,  der  untere  gerade.  Am  hinteren, 
unteren  Theil  des  Promontoriums,  in  einer  Ebene,  w^elche  die  der  ovalen 
Oeffnung  unter  rechtem  Winkel  kreuzt,  befindet  sich  das  runde  Fenster 
Fenestra  rof,unda  s.  Cochleae):,  sein  Durchmesser  beträgt  l'bmm.  Am  getrock- 
neten Knochen  verbindet  es  die  Scala  tympani  der  Schnecke  mit  der  Paukenhöhle, 


150  GEHÖRORGAN. 

im  lebenden  Organismus  aber  ist  es  von  einer  Haut,  dem  Nebentrommel- 
lell  {Membrana  UjmiKini  secundaria),  überzogen;  diese  Haut  besteht  gleich- 
falls aus  drei  Schichten:  einer  äusseren,  der  Schleimhaut  der  Paukenhöhle, 
einer  mittleren  fibrösen,  dem  unverlmöcherten  Theil  der  Kapsel  des  häutigen 
Labyrinthes  und  einer  inneren,  der  Fortsetzung  des  Periosts  der  Scala  tym- 
pani.  Ueber  dem  ovalen  Fenster  springt  die  Wand  des  Canalis  facialis 
hervor,  hinter  ihm  erhebt  sich  die  hohle  pyramidenförmige  Erhöhung 
{Emineniia  }njramidaUs),  deren  Achse  der  Längsachse  des  Fensters  parallel 
ist;  ihre  Basis  ist  zum  Canalis  facialis,  mit  dem  sie  durch  ein  schräges  Canäl- 
chen  verbunden  ist,  die  Spitze  aber  nach  vorn  und  etwas  nach  aussen  und 
oben  gerichtet;  an  der  Spitze  befindet  sich  eine  kleine  Oeffnung,  die  in  das 
Innere  der  Erhöhung  führt.  Der  innere  Hohlraum  wird  von  dem  M.  sta- 
pedius,  dessen  Sehne  nach  vorn  zum  Steigbügel  geht  und  der  vom  Nervus 
facialis  einen  Nervenast  und  durch  eine  zweite  Oeffnung  im  Canalis  facialis 
ein  Blutgefäss  erhält,  ausgefüllt.  In  einer  Entfernung  von  2  mm  lateralwärts 
von  dieser  Erhöhung  sieht  man  eine  Oeffnung  (Apertura  interna  canalis 
cJwrdae  tymiMni),  durch  welche  die  Paukenseite  {Chorda  tympani)  in  die 
Paukenhöhle  eintritt  und  die  ein  mit  dem  Canalis  facialis  communicirendes 
Canälchen  führt. 

Nach  hinten  zu  verengert  sich  die  Paukenhöhle  und  communicirt  durch 
eine  grosse  Oeffnung  {Adiiiis  ad  cellulas  mastoideas),  die  über  und  lateral- 
wärts vom  ovalen  Fenster  liegt,  mit  den  Warzenzellen  des  Schläfenbeins. 
Nach  vorn,  innen  und  unten  verengert  sich  die  Höhle  gleichfalls  und  setzt 
sich  in  einen  Knochencanal,  der  durch  eine  Knochenleiste  in  einen  oberen 
und  in  einen  unteren  Abschnitt  getheilt  wird,  fort.  Der  obere  Abschnitt 
bildet  den  Canal  des  Paukenspanners  {Cancdis  tensoris  tympani),  der  untere 
den  knöchernen  Theil  des  Paukencanals  {Pars  ostea  iuhae  tympanicae).  Ge- 
wöhnlich geht  durch  Maceration  ein  Theil  der  Knochenleiste  zugrunde 
(Sappey,  Huguier)  und  dann  wird  sein  Ende  als  löffeiförmiger  Fortsatz  {Pro- 
cessus cochlearis)  beschrieben. 

Iq  der  Paukenhöhle  befinden  sich  die  drei  Ohrknöchelchen ;  an  der 
Innenfläche  des  Trommelfells  liegt  nach  vorn  der  Hammer  (Malleus),  hinter 
ihm  in  derselben  Ebene  der  Amboss  {Incus)  und  nach  innen  vom  absteigenden 
Ast  des  letzteren  der  Steigbügel  {Stapes),  der  mit  seiner  Basis  im  ovalen 
Fenster  Platz  nimmt. 

Der  Hammer  besteht  aus  einem  keulenförmigen  oberen  Theil,  dem  Hals 
und  dem  Kopf,  und  einem  dreieckigen,  flachen,  unteren  Theil,  dem  Handgriff 
{Maniibrium).  Der  Kopf  ragt  über  den  Rand  des  Trommelfells  empor,  an 
seiner  hinteren  Fläche  befindet  sich  eine  Gelenkfläche  mit  oberer  Aushöhlung 
und  unterem  Zahn,  die  eine  entsprechende  Gelenkfläche  am  Körper  des  Ambosses 
berührt.  Die  nach  hinten  gerichtete  Basis  des  Handgriffes  verbindet  sich  mit 
dem  Halse,  seine  Spitze  ist  nach  unten  gerichtet;  er  lagert  sich  dem  Trommel- 
fell parallel  und  ist  mit  ihm  bis  zu  dessen  Mitte  durch  hyalinen  Knorpel 
verbunden.  Von  aussen  entspringt  an  der  Basis  des  Handgriffes  ein  kurzer, 
conischer  Fortsatz  {Processus  hrevis  mallei),  der  bis  zur  Mitte  der  oberen 
Peripherie  des  Trommelfells  geht,  diese  hervortreibt  und  mit  ihr  durch 
hyalinen  Knorpel  verbunden  ist.  Zwischen  diesem  Fortsatz  und  dem  Halse 
entspringt  an  der  Basis  noch  ein  anderer  Fortsatz  {Processus  anterior  s. 
longus);  er  ist  lang,  dünn  und  etwas  gebogen,  richtet  sich  nach  vorn  und 
unten  zur  Fissura  Glaseri,  mit  deren  Wänden  er  durch  Syndesmose  verbun- 
den ist. 

Der  Amboss  liegt  hinter  dem  Hammer  und  in  ein  und  derselben  Ebene 
mit  diesem.  Er  besteht  aus  einem  Körper,  der  nach  hinten  einen  horizon- 
talen und  nach  unten  einen  verticalen  Fortsatz,  den  Ambosstiel,  entsendet; 
der  letztere  ist  dem  Handgriff  des  Hammers  parallel,  von  seinem  unteren  Ende 


GEHÖRORGAN.  151 

wendet  sich  unter  einem  Winkel  von  etwas  weniger,  als  W  ein  mit  einem 
rundlichen  Köpfchen  endender  Vorsprung  {Proc.  lenticularis)  nach  innen;  dieser 
Vorsprung  berührt  das  Köpfchen  des  Steigbügels.  Am  Vorderthcil  des  Körpers 
befindet  sich  eine  Gelenktläche  mit  einer  Vertiefung  in  der  Mitte,  in  die  sich 
der  Zahn  des  Hammers  eindrängt,  und  mit  zwei  Höckern  zu  beiden  Seiten 
derselben,  einem  oberen,  äusseren  und  einem  unteren,  inneren,  welche  Ver- 
tiefungen am  Hammer  entsprechen. 

Der  Steigbügel  liegt  horizontal;  er  besteht  aus  einem  auf  dünnem  Halse 
sitzenden  und  nach  aussen  gerichteten  Kopf,  an  dessen  Ende  sich  die  oben 
erwähnte  Gelenkfläche  {Cavitas  glenoidalis)  befindet,  einem  geraden  vorderen 
Schenkel  {Grus  anterius  s.  rectilineum),  einem  stärkeren  und  gekrümmten 
hinteren  Schenkel  {Grus  ])osterius  s.  curvilineum)  und  dem  Tritt  (Basis)  mit 
einem  oberen  convexen  und  einem  unteren  geraden  Rande,  der  nach  innen 
gerichtet  ist  und  dem  ovalen  Fenster  entspricht.  Die  gegeneinander  gewandten 
Ränder  der  Schenkel  sind  gefurcht.  An  der  Aussentiäche  des  Trittes  zieht 
sich  von  vorn  nach  hinten  eine  Leiste  {Grista  stapedis),  zwischen  der  und  den 
Schenkeln  sich  eine  mit  einer  doppelten  Zwischenknochenhaut  (Membrana 
oUuratoria  stapedis)  verdeckte  Oeffnung  befindet. 

Diese  drei  Knochen  stehen  sowohl  untereinander,  als  auch  mit  den  sie 
umgebenden  Theilen  in  verschiedener  Weise  in  Verbindung.  Einige  von  diesen 
Verbindungen  sind  bereits  erwähnt  worden. 

Der  Hammer  ist  über  dem  Trommelfell  durch  die  Ligamenta  mallei 
anterius,  externum  et  posticum  mit  der  Aussenwand  der  Paukenhöhle  ver- 
bunden. Das  vordere  und  das  hintere  Band  werden  zusammen  als  Achsen- 
band des  Hammers  bezeichnet  (Helmholtz)  und  gehen  von  der  Knochen- 
wand über  dem  oberen  Rande  des  Paukenfells  zur  Crista  an  der  Aussen- 
fläche  des  Hammerhalses;  das  äussere  Band  entspringt  fächerförmig  am  Marge 
tympanicus;  die  hinteren  Stränge  desselben  werden  als  Ligamentum  mallei 
posticum  bezeichnet. 

Der  kurze  Fortsatz  des  Ambosses  stemmt  sich  dort,  wo  die  Trommel- 
höhle in  den  Sinus  mastoideus  übergeht,  gegen  einen  thalförmigen  Einschnitt 
der  Knochenwand;  von  der  Spitze  des  Fortsatzes  gehen  Fasern  fächerförmig 
nach  aussen,  hinten  und  innen  zu  den  benachbarten  Knochentheilen. 

Die  Basis  des  Steigbügels  ist  durch  faseriges  Bindegewebe,  das  am 
unteren  Rande  und  besonders  hinten  am  festesten  ist,  mit  dem  Rande  des 
ovalen  Fensters  verbunden  (Ligamentum  annulare  baseos  stapedis).  Da  die 
Basis  aus  einer  tympanalen,  knöchernen  und  aus  einer  vestibulären,  doppelt 
so  dicken,  knorpeligen  Schicht  (hyaliner  Knorpel)  besteht  und  da  diese  letztere 
über  den  Rand  der  Knorpelschicht  hinausgeht,  so  befindet  sich  das  Ringband 
nur  zwischen  dem  Knorpel  und  dem  Rande  des  ovalen  Fensters ;  das  Periost 
des  Vorhofs  geht  auf  das  Ringband  und  auf  das  Perichondrium  des  Knor- 
pels über. 

Hammerkopf  und  Ambosskörper  bilden  das  Hammerambossgelenk,  eine 
Amphiarthrose  mit  fibröser  und  synovialer  Kapsel,  ähnlich  den  an  Uhr- 
schlüsseln gebräuchlichen  Gelenken.  Ebenso  wie  dort,  ist  im  Hammeramboss- 
gelenk eine  geringe  Drehung  um  eine  quer  durch  den  Kopf  des  Hammers  gegen 
den  kurzen  Ambossfortsatz  gehende  Achse  möglich.  Wenn  diese  Drehung  nach 
einwärts  geschieht,  so  setzen  sich  ihr  ein  Paar  Sperrzähne  entgegen,  während 
bei  der  Auswärtsdrehung  des  Hammerstiels  der  Amboss  dieser  Bewegung  nicht 
folgen  kann  (Helmholtz). 

Das  Ambossteigbügelgelenk  ist  auch  eine  Amphiarthrose  mit  kugel- 
förmigen Articulationsflächen.  Die  Kapsel  ist  an  elastischen  Fasern  reich. 
Die  Bewegungen  sind  gering. 

Der  Hammer  wird  durch  den  M.  tensor  tympani  in  seiner  Lage 
fixirt;  dieser  Muskel  entspringt  an  der  Knorpelwand  der  Tuba,   an  dem  an- 


152  GEHÖRORGAN. 

grenzenden  Rande  des  Wespenbeins  und  an  der  Beinhaut  des  Knocliencanals, 
in  dem  er  liegt.  Seine  Sehne  ändert,  nachdem  sie  den  Canal  verlassen  hat, 
ihre  Richtung  und  tritt  von  innen  an  den  Hals  des  Hammers.  Der  durch 
die  Paukenhöhle  ziehende  Theil  der  Sehne  ist  von  der  Schleimhaut  derselben 
überzogen.  Bei  der  Contraction  dieses  Muskels  wird  der  Hammergriff  mit 
dem  Trommelfell  nach  innen  gezogen  und  dadurch  der  Hammer  in  seiner 
Lage  üxirt. 

Dieselbe  Bedeutung  hat  der  M.  stapedius  für  den  Steigbügel;  er  ent- 
springt an  den  Wänden  der  in  der  Eminentia  pyramidalis  befindlichen  Höhle, 
seine  feine  Sehne  geht  durch  die  Oeffnung  der  Höhle  und  heftet  sich  an  das 
Köpfchen  des  Steigbügels. 

Durch  diese  Kette  von  Knochen  wird  jede  Erschütterung  des  Trommel- 
fells in  das  Labyrinthinnere  übertragen.  Hierbei  bilden  Hammer  und  Amboss 
einen  einarmigen  Hebel,  dessen  Hypomochlion  die  Spitze  des  kurzen  Amboss- 
fortsatzes ist;  die  Spitze  des  Hammergritfes  ist  der  Angriffspunkt  der  Kraft. 
Die  Spitze  des  Ambosstiels  aber  der  Punkt,  wo  der  Hebel  auf  die  Last  wirkt. 
Diese  drei  Punkte  liegen  fast  in  einer  Linie,  deren  Länge  9*5  mm  beträgt, 
während  der  kürzere  Arm  zwischen  den  Spitzen  der  beiden  Ambossfortsätze 
Q'^l^mm  misst.  Hieraus  folgt,  dass,  wenn  Hammer  und  Amboss  einander  fest 
anliegen,  die  Excursion  der  Ambosstielspitze  nur  %  der  des  Hammerstiels 
betragen  wird,  während  der  Druck,  den  der  Ambosstiel  auf  den  Steigbügel 
ausübt,  1-5  mal  so  gross  sein  muss,  als  der  Druck  auf  den  Hammerstiel. 

Die  schräg  nach  unten,  vorn  und  innen  gerichtete  Tuba  tympanica  endet 
mit  einer  trichterförmig  erweiterten  Oeffnung  in  der  Rachenhöhle,  in  der 
Höhe  des  unteren  Naseuganges.  Sie  bildet  mit  der  Achse  des  äusseren 
Gehörganges  einen  Winkel  von  135*'  und  mit  der  Horizontalebene  einen 
Winkel  von  40".  Sie  besteht  aus  einem  äusseren  knöchernen  und  einem 
inneren  knorpeligen  Theil  und  gleichsam  aus  zwei  mit  den  kleineren  Grund- 
flächen gegen  einander  gekehrten,  abgestumpften  Kegeln.  Ausserdem  ist  die 
Tuba,  von  oben  gesehen,  S-förmig  gebogen,  wobei  der  knorpelige  Abschnitt 
nach  innen  und  hinten,  der  knöcherne  aber  nach  aussen,  vorn  und  unten 
concav  ist.  Die  Länge  der  Röhre  beträgt  3-5  bis  4,  im  Mittel  3-8  cm.  Der 
verticale  Durchmesser  misst  an  der  Paukenöffnung  5  mm,  in  der  Mitte  3  mm 
und  an  der  Rachenöffnung  6—8  mw,  der  Querdurchmesser  am  Uebergange  des 
knorpeligen  Theiles  in  den  knöchernen  1 — 2  mm\  an  der  engsten  Stelle,  im 
Anfange  des  knorpeligen  Abschnittes  kann  der  Durchmesser  sogar  bis  0-25  mm 
sinken. 

Die  Röhre  ist  längs  dem  vorderen  Rande  der  Pyramide  gelagert;  ihre 
innere  Wand  grenzt  an  den  Canalis  caroticus,  an  der  äusseren  Wand  liegt 
die  Fissura  petro-tympanica. 

Der  Knorpel  des  inneren  Abschnittes  ist  oben  eingebogen,  so  dass  sich 
unter  dem  oberen  Rande  eine  Rinne  bildet.  Aussen  und  unten  wird  er  von 
einer  fibrösen  Membran  mit  elastischen  Fasern  zur  Röhre  ergänzt.  Die  knor- 
pelige Röhre  lagert  sich  am  Rande  des  grossen  Wespenbeinfiügels  und  reicht 
innen  und  vorn  bis  an  den  hinteren  Rand  der  inneren  Gaumenfiügelplatte, 
wo  eine  kleine  Erhöhung,  mit  der  sie  durch  fibröses  Gewebe  verbunden  ist, 
die  Berührungsstelle  angibt.  Am  Knochencanale  ist  der  Knorpel  zuerst  an 
der  äusseren  (lateralen)  Wand,  bis  zur  Spina  angularis,  dann  wird  er  an  der 
inneren  (medialen)  Wand  breiter,  die  äussere  aber  wird  zu  einem  Haken  an 
der  inneren,  die  sich  zum  Rachenende  allmählich  vergrössert  (von  3  bis  12  mm). 
Neben  der  Aussen  wand  entspringen  Fasern  des  M.  levator  palati;  nach 
aussen  von  diesen  befindet  sich  der  M.  tensor  palati,  der  am  Haken- 
ende und  an  der  fibrösen  Wand  entspringt.  —  Noch  weiter  nach  aussen 
liegt  der  M.  pterygoideus  internus,  dann  der  M.  pterygoideus  exter- 
nus.     Alle  die  an  der  Wand  der  knorpeligen  Röhre  entspringenden  Muskeln 


GEHÖRORGAN.  153 

können  ihr  Lumen  erweitern.  Der  Knorpel  ist  seiner  Structur  nach  hyalin, 
geht  aber  stellenweise,  namentlich  näher  zur  Rachenöttnung,  in  Faserknorpel 
über.  Nach  innen  zu,  wo  der  Knorpel  breiter  wird,  durchbohren  ihn  die 
Ausführungsgänge  der  hier  gelagerten  Schleimdrüsen,  so  dass  sich  Knorpel - 
inseln  bilden.  Was  die  Rachenöffnung  der  Röhre  betrifft,  so  tritt  ihr  hinterer, 
innerer  Rand  schärfer  hervor,  wobei  ihr  Längsdurchmesser  von  oben  nach 
hinten,  unten  und  aussen  gerichtet  ist.  Die  Oeffnung  befindet  sich  .S  mm 
hinter  der  Nasenhöhlenöffnung,  und  in  der  Höhe  des  unteren  Nasenganges, 
l'O  cm  über  dem  weichen  Gaumen.  Die  Entfernung  zwischen  den  beider- 
seitigen Oeffnungen  beträgt  2*5  bis  3  cm. 

Die  Schleimhaut  der  Paukenhöhle  ist  eine  Ausstülpung  der  Nasen- 
rachenschleimhaut;  sie  bedeckt  die  innere  Fläche  der  Tuba  tympanica,  geht 
auf  die  Wände  der  Paukenhöhle  über,  bedeckt  alle  darin  befindlichen  Theile 
und  schliesslich  die  Wände  des  Sinus  und  der  Cellulae  mastoideae.  In  der 
Paukenröhre  ist  sie  mit  mehrschichtigem  Flimmerepithel,  dessen  Wimpern 
sich  in  der  Richtung  zur  Rachenhöhle  bewegen,  dann  mit  cylindrischem  und 
an  den  Wänden  der  Paukenhöhle  mit  Pflasterepithel  überzogen.  In  frischem 
Zustande  ist  sie  in  der  Paukenhöhle  feucht,  aber  nicht  mit  Schleim  bedeckt. 
An  den  Wänden  der  Höhle  ist  sie  sehr  dünn,  hellroth  gefärbt;  am  dünnsten 
ist  sie  in  dem  Sinus  und  den  Cellulae.  An  den  knöchernen  Theilen  ver- 
schmilzt sie  mit  dem  Periost  ganz  und  gar.  Die  oben  erwähnten  Schleim- 
drüsen kommen  nur  dort  vor,  wo  dieses  nicht  der  Fall  ist,  also  im  knorpe- 
ligen Theile  der  Tuba  und  an  den  Schleimhautfalten,  von  denen  sogleich  die 
Rede  sein  wird.  Im  ersteren  Falle  (d.  h.  in  der  Tuba)  findet  man  auch 
adenoides  Gewebe. 

Die  Schleimhaut  der  Paukenhöhle  bildet  Falten,  die  Hammer-,  Amboss- 
und  Steigbügelfalte  sind  Einstülpungen  der  Schleimhaut.  Die  Hammerfalte 
befindet  sich  im  oberen  und  äusseren  Theile  der  Paukenhöhle,  über  dem 
Trommelfelle.  Der  untere  Rand  der  Falte  ist  hinter  und  vor  dem  Halse  des 
Hammers  nach  unten  zu  concav,  der  hintere  Theil  ist  höher  und  reicht  bis 
zum  unteren  Theile  des  Hammerambossgelenkes,  wo  er  sich  an  dem  langen 
Fortsatze  mit  der  Falte  des  Ambosses  verbindet,  der  vordere  Theil  ist  länger 
und  enthält  den  langen  Fortsatz  und  (am  Rande)  die  Chorda  tympani;  diese 
letztere  ist  auch  im  hinteren  Abschnitt  enthalten.  Die  Falte  des  Ambosses 
geht  von  der  hinteren  Wand  der  Paukenhöhle  aus  zum  langen  Fortsatz  und 
endet  über  dem  Processus  lenticularis.  Die  Steigbügelfalte  schliesst  diesen 
Knochen  ein  und  ist  zwischen  der  Sehne  des  M.  stapedius  und  dem  ovalen 
Fenster  ausgespannt. 

Seine  Blutgefässe  erhält  das  mittlere  Ohr  von  der  Arteria  carotis 
externa  und  von  der  Carotis  interna.  Aus  Zw^eigen  der  Carotis  externa 
kommen: 

Die  Arteria  stylomastoidea  aus  der  Arteria  auricularis  posterior;  sie 
nimmt  ihren  Lauf  durch  den  Canalis  facialis,  dringt  aus  dem  Zweige  durch 
die  hintere  Wand  der  Paukenhöhle  um  sich  in  der  Schleimhaut,  dem  Steig- 
bügel und  den  Warzenzellen  zu  verzweigen. 

Aus  der  Arteria  maxillaris  interna  kommen  die  Aeste  entweder  unmittelbar, 
oder  durch  die  Arteria  auricularis  profunda  und  die  Arteria  meningea  media. 

Die  Aeste  der  ersteren  gehen  durch  die  Fissui-a  petro-tympanica  und 
verzw'eigen  sich  in  dem  vorderen  Theil  der  Trommelhöhle  und  dem  Trommel- 
felle. Aus  der  Arteria  meningea  media  gehen  vor  ihrem  Eintritte  in  die 
Schädelhöhle  Zweige  zur  Tuba  tympanica  und  zum  Canalis  facialis,  wo  sie 
mit  den  Zweigen  der  Arteria  stylomastoidea  anastomosiren;  sie  versorgen  die 
Paukenhöhle  in  der  Gegend  des  Promontoriums. 

Die  Arteria  temporalis  entsendet  durch  die  Fissura  petro-tympanica  Zweige 
zur  Schleimhaut  der  Paukenhöhle;  die  Arteria  pharyngea  ascendens  zur  Tuba 


154  GEHÖRORGAN. 

tympanica  und  zum  M.  tensor.  tympani,  sowie  zum  vorderen,'  unteren  Theile 
der  Paukenhöhle. 

Die  Carotis  interna  gibt  noch  vor  ihrem  Eintritte  in  den  Knochencanal 
Zweige  zur  Tuba  tympanica  ab;  an  ihrer  ersten  Biegung  entsendet  sie  die 
Arteriae  carotico-tympanicae,  die  durch  die  entsprechenden  Canäle  in  die 
Paukenhöhle  treten  und  sich  hier  in  der  Vorderwand,  dem  Promontorium  und 
der  Tuba  tympanica  verzweigen. 

Die  Tuba  tympanica  erhält  ausserdem  noch  Aeste  von  der  Arteria  pala- 
tina  asceudens  und  der  Arteria  Vidiana:  dieselben  anastomosiren  unter  ein- 
ander und  entsenden  Aestchen  zur  Rachenöffnung,  dem  äusseren  und  dem 
mittleren  Theile  der  Tuba  tympanica. 

Die  Venen  entsprechen  den  Arterien  und  ergiessen  sich  in  die  Geflechte 
der  Unterkiefer-,  Schlundkopf-  und  Temporalvenen.  Die  Verbindung  des 
Unterkiefervenengeflechtes  mit  den  intracraniellen  Venen  wirft  einiges  Licht 
über  die  Functionen  der  hier  gelegenen  Organe.  Die  Abzugscanäle  sind  hier 
in  so  grosser  Anzahl  entwickelt,  dass  kein  Grund  vorliegt,  die  Venen,  welche 
die  Membrana  flaccida  durchbrechen  und  die  Venen  der  Paukenhöhle  mit  denen 
des  äusseren  Gehörganges  verbinden,  als  Hauptabzugscanal  für  das  Blut  der 
Paukenhöhle  anzusehen. 

lieber  die  Lymphgefässe  kann  nur  bemerkt  werden,  dass  das  Geflecht 
in  der  Schleimhaut  der  Tuba  tympanica  unmittelbar  mit  dem  Geflechte  des 
weichen  Gaumens  und  der  Rachenhöhle  in  Verbindung  steht  (Sappey). 

Die  Nerven  des  mittleren  Ohres  gehören  dem  Trigeminus,  Glosso- 
pharyngeus,  Facialis  und  Sympathicus  an.  Der  Hauptnerv  mit  centripetalen 
Fasern,  welcher  Zweige  von  allen  Theilen  der  Paukenhöhle,  dem  Sinus  und 
den  Cellulae  mastoideae,  dem  Paukenfelle,  den  Ohrknöcheln  und  dem  Anfangs- 
theil  der  Tuba  erhält,  ist  der  Ramus  oder  Plexus  tympanicus  des  Nervus 
glossopharyngeus;  dieser  Nerv  geht  längs  des  Promontoriums  nach  unten  und 
dringt  durch  einen  Knochencanal  in  die  Fossa  petrosa,  wo  er  in  dem  Ganglion 
petrosum  endet.  Dieses  Geflecht  verbindet  sich  mit  dem  Ganglion  oticum  des 
Trigeminus,  dem  Nervus  facialis  und  dem  Plexus  caroticus  internus,  mit  dem 
letzteren  durch  die  Nervi  carotico-tymnanici.  Die  Tuba  entsendet  ausser  den 
oben  erwähnten  Aesten  zum  Plexus  tympanicus  Nervenäste  zum  Nervus  trige- 
minus und  namentlich  zu  den  Rachennerven,  die  im  Ganglion  nasale  enden. 
Der  Facialis  gibt  centrifugale  Fasern  zu  dem  M.  stapedius  und  dem  M. 
tensor.  tympani,  sowie  auch  die  Chorda  tympani,  welche  durch  die  Hammer- 
falte verläuft  und  durch  die  Fissura  petro-tympanica  die  Höhle  verlässt,  ab. 
Fasern  des  Sympathicus  verzweigen  sich  in  den  Wänden  der  Blutgefässe  und 
man  kann  sie  bis  zu  den  Geflechten  an  den  Gefässen,  aus  welchen  die  Aeste 
nach  der  Paukenhöhle  gehen,  verfolgen;  diese  Geflechte  bestehen  alle  aus 
centripetalen  und  centrifugalen  Nerven,  die  zum  Plexus  caroticus  internus 
gehören. 

HI.  Das  innere  Ohr  oder  der  acustische  Theil  des  Gehörappa- 
rates; Gehörlabyrinth. 

Das  innere  Ohr  oder  das  Labyrinth  besteht  aus  einem  häutigen  und 
einem  knöchernen  Theil;  der  erstere  enthält  die  Anfangstheile  der  centri- 
petal  leitenden  Nervenfasern,  welche  entweder  unmittelbar  von  aussen  oder 
von  den  durch  die  festen  Theile  des  Organismus  geleiteten  Erschütterungen 
in  Erregung  gebracht  werden;  um  nun  aber  diese  Erregungen  möglichst  zu 
differenziren,  befinden  sich  diese  Theile  in  Flüssigkeit,  welche  von  Knochen- 
kapseln umschlossen  wird,  und  werden  durch  Flüssigkeit  in  Spannung 
erhalten.  Das  häutige  Labyrinth  besteht  seinerseits  aus  einem  elliptischen 
Säckchen  mit  drei  Bogengängen  aussen  und  hinten  und  einem  runden  Säckchen 
mit  dem  Schneckengange  innen  und  vorn;  dem  ersteren  gehört  der  Vorhofs- 


GEHÖRORGAN,  155 

nerv  (Nervus  vestibuli),  dem  zweiten  der  Schneckennerv  (Nervus  Cochleae)  an, 
welche  beide  durch  den  inneren  Gehörgang  zum  Gehirn  gehen.  Alle  diese 
Theile  stehen,  was  ihre  Ernährung  anbetriöt,  vollständig  isolirt  da:  die  in 
ihnen  sich  verzweigende  Arteria  auditiva  interna  anastomosirt  nirgends  mit 
den  Gefässen  der  umliegenden  Theile.  Jeder  Abschnitt  hat  seinen  Abzugs- 
canal,  die  sogenannte  Wasserleitung  (Aquaeductus),  durch  welche  die  Venen 
das  Labyrinth  verlassen.  Das  knöcherne  Labyrinth  besteht  aus  dem  Vorhof, 
den  drei  Bogengängen,  die  im  Vorhof  beginnen  und  auch  wieder  ein- 
münden, und  der  Schnecke,  die  zwei  Gänge,  welche  im  Vorhof  beginnen  und 
am  runden  Fenster  der  Paukenhöhle  enden,  enthält.  An  den  Vorhof  und  die 
Basis  der  Schnecke  grenzt  hinten  und  innen  der  innere  Gehörgang.  Lateral- 
wärts  und  vor  dem  Vorhof  befindet  sich  die  Paukenhöhle. 

Der  knöcherne  Vorhof  {Vestihulum  osseum)  begrenzt  eine  elliptische 
Höhle,  deren  Längsachse  den  oberen  Rand  der  Pyramide  unter  rechtem  Winkel 
kreuzt.  Aussen,  oben  und  hinten  communicirt  diese  Höhle  mit  den  Bogen- 
gängen, vorn,  unten  und  innen  mit  der  Schnecke,  vorn  und  aussen  durch  das 
ovale  Fenster  mit  der  Paukenhöhle,  innen  und  hinten  führen  mehrere  Gruppen 
feiner  Löcher  (Maculae  cribrosae)  aus  ihr  in  den  inneren  Gehörgang;  nach 
oben,  hinten  und  aussen  führt  der  Aquaeductus  vestibuli  zu  der  inneren, 
hinteren  Fläche  der  Pyramide,  wo  er  spaltförmig  endet,  lateralwärts,  und  über 
der  Höhle  liegt  der  Canalis  facialis.  An  der  Höhle  lässt  sich  ein  vorderes, 
äusseres  und  ein  hinteres,  inneres,  stumpfes  Ende,  eine  gewölbte  obere  und 
eine  untere  Wand,  sowie  zwei  Seitenwände,  eine  äussere,  hintere  und  eine 
innere,  vordere  unterscheiden.  Die  Entfernung  zwischen  den  beiden  Seiten- 
wänden beträgt  3 — 4  mm,  vom  hinteren  zum  vorderen  Ende  5 — 6  mm^  von 
oben  nach  unten  4 — 5  mm. 

Durch  einen  First  (Crista  vestibuli),  welche  der  Frontalfläche  am 
ehesten  parallel  ist,  wird  die  Höhle  in  zwei  Gruben  getheilt,  diese  Firste 
beginnt  über  dem  ovalen  Fenster  mit  einem  Vorsprung  {Pyramis  vestibuli), 
geht  nach  hinten  und  längs  der  inneren  Wand  nach  unten  und  theilt  sich 
hier  in  zwei  kleinere,  fast  unter  rechtem  Winkel  auseinandergehende  Ränder. 
Die  vor  ihr  gelagerte  Grube  ist  rundlich  (Recessus  sphaericus),  die  hinter  ihr 
gelegene  elliptisch  {Recessus  eUipticus),  zwischen  den  divergirenden  End- 
rändern liegt  das  Schneckengrübchen  {Recessus  cochlearis).  Hinter  diesem 
Grübchen  bemerkt  man  längs  dem  Rande  der  elliptischen  Grube  eine  seichte 
Furche  (Sinus  sulcifonnis),  welche  in  die  Wasserleitung  des  Vorhofes  führt. 
An  der  äusseren,  hinteren  Wand  des  Vorhofes  befinden  sich  die  fünf 
Oeffnungen  der  Bogengänge.  Die  obere  ampulläre  Oeffnung  befindet  sich  im 
oberen,  vorderen  Theile  der  Aussenwand,  über  dem  Recessus  ellipticus; 
zwischen  dieser  Oeffnung  und  dem  ovalen  Fenster  liegt  die  vordere  ampulläre 
Oelfnung  des  horizontalen  Ganges,  an  der  Durchkreuzungsstelle  der  hinteren, 
inneren  und  unteren  Wand  befindet  sich  die  ampulläre  Oeffnung  des  hinteren 
verticalen  Ganges.  Lateralwärts  und  über  dieser  Oeffnung  befindet  sich  die 
gemeinsame  Oeffnung  der  beiden  verticalen  Gänge  und  gleich  über  ihr  die 
hintere,  schmale  Oeffnung  des  horizontalen  Bogens;  diese  letztere  liegt  mit 
dem  ovalen  Fenster  in  einer  Ebene. 

Am  vorderen,  äusseren  Ende  der  Vorhofshöhle  befindet  sich  das  ovale 
Fenster  und  unter  ihr,  im  vorderen,  inneren  Theile  der  Höhle  der  Eingang 
zur  Vorhofstreppe  der  Schnecke  (Aditus  ad  scalam  vestibuli). 

Endlich  findet  sich  am  äusseren,  unteren  Rande  des  Recessus  ellipticus, 
unter  der  gemeinsamen  Oeffnung  der  verticalen  Gänge  die  Oeffnung  des  Aquae- 
ductus vestibuli. 

Durch  die  oben  erwähnten  Maculae  cribrosae  nehmen  Gefässe  und  Nerven 
aus  der  Höhle  in  den  inneren  Gehörgang  ihren  Weg.  Die  obere,  zahlreichste 
Gruppe  {Macula  cribrosa  supcrior)  enthält  28 — 35  Löcher,  liegt  medianwärts 


156  GEHÖRORGAN. 

von  der  Pyramis,  hier  gehen  Gefässe  und  Nerven  vom  Saccus  ellipticus  und 
von  der  vorderen  und  oberen  Ampulle  durch;  die  mittlere  Gruppe  {Macula 
cribrosa  media)  liegt  etwas  lateralwärts  und  vor  dem  Centrum  des  Recessus 
sphaericus;  hier  sind  15  bis  20  Löcher,  durch  welche  Nerven  und  Gefässe  zum 
vorderen  Sack  gehen,  die  untere  Gruppe  {Macula  cribrosa  inferior)  enthält 
acht  Löcher,  liegt  an  der  hinteren  Ampulle,  von  der  auch  die  Gefässe  und 
Nerven  kommen. 

Die  drei  Bogengänge  {Canales  semicircidares)  haben  halb  elliptische 
Form,  nehmen  im  Vorhof  ihren  Anfang  und  münden  auch  wieder  in  ihn 
hinein,  ihre  Wände  sind  sehr  stark  und  hart.  Sie  liegen  in  drei  gegen  ein- 
ander senkrechten  Ebenen.  Einer  von  den  Gängen  liegt  horizontal,  wobei 
seine  Wölbung  nach  hinten  und  aussen  gerichtet  ist,  die  beiden  anderen 
stehen  vertical  und  zu  einander  rechtwinkelig;  der  hintere  Gang  ist  der 
Pyramidenachse  parallel,  mit  nach  aussen  gewandter  Wölbung,  der  vordere 
aber  kreuzt  die  Pyramidenachse  unter  rechtem  Winkel  und  ist  nach  oben 
gewölbt.  Die  Mündungen  dieser  Gänge  liegen  in  fast  gleicher  Höhe,  und 
zwar  sind  die  vorderen  nach  aussen  und  vorn,  die  hinteren  aber  nach  innen 
und  hinten  gew^andt.  Hinten  verbinden  sich  die  beiden  verticalen  Gänge  zu 
einem  gemeinsamen  Schenkel.  An  jedem  Gange  unterscheidet  man  einen 
einfachen  Schenkel  und  einen  eiförmig  erweiterten  Schenkel  oder  Ampullen- 
schenkel. Der  längste  der  Gänge  ist  der  hintere;  er  misst  22  mm,  die  Länge 
des  vorderen  verticalen  Ganges  beträgt  20  mm,  die  des  horizontalen  Ib  mm; 
der  gemeinsame  Schenkel  der  verticalen  Gänge  ist  2 — 3  mm  lang.  Die  Gänge 
sind  seitlich  comprimirt,  so  dass  im  Querschnitt  sich  der  kleinere  Durch- 
messer zum  grösseren  wie  2  :  3  oder  wie  3  :  4  verhält.  Ausserdem  sind  die  Gänge 
noch  spiralig  gewunden,  so  dass  ihre  Enden  etwas  divergiren.  Im  Mittel 
beträgt  die  Höhe  einer  Ampulle  2'6  mm,  in  den  verticalen  Gängen  ist  sie 
durch  eine  Leiste  gegen  den  Gang  und  gegen  das  Vestibulum  abgegrenzt. 

Die  Schnecke  {Cochlea)  besteht  aus  einem  an  einem  Ende  blinden 
Knochencanale,  der,  wie  bereits  erwähnt,  2V2  bis  2^/4^  Spiral  Windungen  macht. 
Vor  der  Schnecke  liegt  der  Anfangstheil  der  Tuba  tympanica,  aussen  und 
vorn  grenzt  sie  an  die  Paukenhöhle,  in  die  sie  sich  mit  der  ersten  Windung 
als  Promontorium  vorwölbt.  Oben  grenzt  sie  an  das  Knie  des  Canalis  facialis, 
hinten  und  aussen  reicht  sie  bis  zum  Vorhof,  hinten  stösst  sie  auf  den 
inneren  Gehörgang  und  medianw^ärts  an  den  Canalis  caroticus. 

Man  unterscheidet  an  der  Schnecke  ihre  Basis,  die  Spitze  und  die 
Windungen.  Der  Spiralcanal  der  Schnecke,  den  die  Windungen  bilden,  wird 
von  einer  von  Seite  der  Achse  gehenden  Knochenlamelle  {Lamina  spiralis)  in 
zwei  Treppen  {Scalae)  geschieden.  Diese  Theilung  wird  durch  den  Schnecken- 
gang {Ductus  coclilearis),  der  sich  zwischen  dem  freien  Rande  der  Scheide- 
wand und  der  äusseren  Wand  der  Windungen  befindet,  vollständig.  Hinter 
dieser  Scheidewand,  zur  Basis  zu,  liegt  die  Paukentreppe  {Scala  tympani),  vor 
der  Scheidewand,  zur  Spitze  zu,  die  Vorhofstreppe  {Scala  vestibuli).  Die 
letztere  nimmt  im  Vorhof  ihren  Anfang,  die  erstere  endet  im  runden  Fenster, 
das  in  die  Paukenhöhle  führt;  an  der  Spitze  geht  die  Vorhofstreppe  in  die 
Paukentreppe  über.  An  der  letzten  Windung  endet  die  Lamina  spiralis  in 
Form  eines  Hackens  {Eamulus),  dessen  innerer  Rand  concav  und  dessen 
äusserer  Rand  convex  ist;  der  letztere  verbindet  sich  durch  den  Endtheil  des 
Schneckenganges  mit  der  äusseren  Wand  der  Schnecke;  die  Innenwand 
aber  begrenzt  eine  Oeffnung  {Helicotrema),  durch  die  die  beiden  Treppen 
communiciren.  Die  Achse  der  Schnecke  {Modiolus)  ist  kegelförmig,  an  der 
Basis  ist  ihr  Durchmesser  2  mm,  an  der  Spitze  0*4 — 0*5  mm  lang.  Die 
Aussenwand  der  Achse  wird  von  der  Knochenwand  des  Schneckencanales 
gebildet;  unter  dieser  compacten  Knochenlamelle  liegt  ein  der  Lamina  spiralis 
entsprechender,  spiralförmig  gewundener  Canal  {Canalis  spiralis  modioli),  der 


GEHÖRORGAN. 


157 


bis  zur  letzten  Schneckenwindung  reicht;  er  ist  im  Querschnitt  dreieckig; 
seine  zur  Mitte  der  Achse  gerichtete  Wand  ist  ebenso,  wie  die  an  die  Lamina 
spiralis  grenzende  von  einer  Anzahl  feiner,  rundlicher  Löcher  durchbrochen. 
In  der  Mitte  der  Achse  verläuft  ein  cylindrischer  Canal  {(Janalis  centralis 
modioli)  von  der  Basis  bis  zur  Spitze,  wo  er  mit  einer  grösseren  Anzahl 
feiner  Oeffnungen  endet.  Zwischen  dem  spiralförmigen  und  dem  centralen 
Canal  befinden  sich  feine  Canäle,  die  alle  zur  Innenwand  des  spiralförmigen 
führen.  Alle  beschriebenen  Canäle  beginnen  in  der,  in  der  Tiefe  des  inneren 
Gehörganges  gelegenen  Grube  (Fossa  cochlearis),  die  der  Basis  der  Achse 
entspricht,  und  zwar  findet  man  hier  in  der  Mitte  eine  grössere  Oeffnung 
(Foramen  centrale  Cochleae)  für  den  Canalis  centralis  und  um  diese  concen- 
trische  Kreise  feiner  Oeffnungen,  welche  hinten  mit  einem  spiraligen  Streifen 
von  Löchern  (Tractus  sj)iralis  foraminosus)  endet. 

Die  abgestumpfte  Spitze  bildet  das  Dach  (Cupula)  der  letzten  Windung, 
ihr  innerer  Hohlraum  den  Trichter  (Infundibulum). 

In  der  ersten  Windung  befindet  sich  an  der  Aussenwand  ein  niederes 
Knochenblättchen  (Lamina  spiralis  secundaria),  welche  vom  oberen  Rande  des 
runden  Fensters  ausgeht  und  gegenüber  der  Lamina  spiralis  gelagert  ist. 
Sie  beginnt  mit  einem  Vorsprung  (Crista  semilunaris),  der  als  Rand  die 
Scala  tympani  begrenzt.  Vor  diesem  Vorsprung  befindet  sich  in  der  Scala 
tympani  eine  feine,  trichterförmige  Oeffnung,  die  in  den  Aquaeductus  Cochleae 
führt;  derselbe  ist  ein  enger  Canal,  der  leicht  gekrümmt  herabsteigt  und  mit 
einer  trichterförmig  erweiterten  Oeffnung  an  der  äusseren,  hinteren  Fläche 
der  Pyramide  endet. 

Der  Canal  der  Schnecke  hat  eine  Länge  von  28 — 30  nim^  sein  Durch- 
messer an  der  Basis  meist  7 — 8  mm,  die  Höhe  4 — 5  mm. 

Der  innere  Gehör  gang  (Meatus  auclitorius  internus)  grenzt  mit 
seinem  blinden  Ende  vorn  an  die  Basis  der  Schnecke,  lateralwärts  an  den 
Vorhof;  dem  entsprechend  ist  das  Innere  des- 
selben durch  einen  queren  Vorsprung  in 
einen  oberen  und  einen  unteren  Theil  ge- 
schieden, von  denen  der  untere  breiter  ist. 
Diese  Theile  werden  ihrerseits  durch  eine  ver- 
ticale  Knochenwand  in  vordere  und  hintere 
Gruben  geschieden.  Vorn  und  oben  befindet 
sich  der  Eingang  zum  Canalis  facialis;  vorn 
und  unten  befindet  sich  die  Fossa  Cochleae, 
die  bereits  erwähnt  wurde.  In  der  oberen 
und  unteren  hinteren  Grube  findet  man  die 
Maculae  cribrosae,  welche  in  den  Vorhof  füh- 
ren, wieder. 


Fig.  3.  Das  häutige  Labyrinth   (Schaefer) 
rechts,  von  hinten  gesehen. 


a  Sacculus  ovalis,  6  oberer  Bogengang, 
c  hinterer  Bogengang,    d  äusserer  Bogen- 
gang, e  Sacculus  rotundus,  /  Schneckengang, 
g  Aquaeductus  vestibuli,  7i.  Canalis  renniens. 


Das  häutige  Labyrinth  und  die  hier 
beginnenden  Nerven. 

Der  häutige  Theil  des  Vorhofes 
besteht  aus  dem  ihn  auskleidenden  Periost, 

der   in   ihm   enthaltenen  Flüssigkeit,   dem   häutigen  Inhalte   und  der  diesen 
letzteren  ausspannenden  Flüssigkeit.     (Fig.  3.) 

Das  Periost,  das  die  Knochenwände  des  Labyrinthes  bedeckt,  ist  sehr 
dünn,  fest  mit  dem  Knochen  verbunden  und  reichlich  mit  Gefässen,  welche 
in  die  Gefässe  des  Knochens  übergehen,  versehen;  nur  an  der  Sehn  ecken  wand, 
wo  sich  die  basilare  Wand  des  Schneckenganges  befestigt,  ist  es  dicker.  Es 
besteht  aus  Netzen  von  Bindegewebe  mit  feinen  elastischen  Fasern  und 
platten,  rundlichen  Kernen;  es  enthält  gewöhnlich  zerstreute  Knochenabla- 
gerungen und  Plättchen  oberflächlichen  Knochengewebes. 


158  GEHÖRORGAN. 

Im  Vorliof  und  den  Bogengängen  ist  der  länglich  ovale  Sack 
{Sacculus  oUoyigtis  s.  Utricidus)  mit  den  häutigen  Bogengängen  enthalten. 
Durch  den  Aquaeductus  vestibuli  geht  noch  ein  Gang  {Canalis  utriculo-sac- 
cularis). 

Der  ovale  Sack  liegt  im  Recessus  ellipticus,  nach  oben  reicht  er  bis 
zur  Pyramis  vestibuli,  nach  unten  geht  er  in  die  Ampulle  des  hinteren  Bogen- 
ganges über,  innen  ist  er  durch  Bindegewebsnetze  (Ligg.  labyrintho-saccularia) 
befestigt.  Der  längliche  Sack  ist  schlauchförmig,  quer  abgeplattet;  aussen, 
vorn  und  unten  ist  er  von  der  Wand  des  Vorhofes  durch  einen  Zwischenraum, 
den  Sinus  perilymphaticus  vestibuli  (Odenius),  getrennt  und  geht  hier  nach 
oben  und  aussen  in  die  häutigen  Bogengänge  über. 

Die  drei  häutigen  Bogengänge  (Canales  semicirculares  membra- 
nacei)  sind  Fortsätze  des  Sackes,  sie  liegen  auch  mit  einer  Seite  und  nament- 
lich an  der  vom  Centrum  der  Krümmung  entfernten  Wand  des  Canales  der 
Knochenwand  an.  Die  häutigen  Gänge  haben  einen  elliptischen  Querschnitt, 
dessen  kleiner  Durchmesser  zur  Knochen  wand  perpendiculär  steht;  nur  der 
Durchschnitt  des  äusseren  Ganges  nähert  sich  mehr  der  Kreisform.  Ent- 
sprechend den  fünf  Oeffnungen  der  knöchernen  Bogengänge  setzen  sich  aus 
dem  elliptischen  Sacke  auch  fünf  häutige  Gänge,  welche  an  der  Stelle  der 
Ampullen  auch  drei  häutige  Ampullen  (Ampulla  membranacea  superior,  ante- 
rior et  posterior)  bilden,  fort.  Diese  Ampullen  füllen  die  knöchernen  fast 
aus,  während  die  häutigen  Gänge  sich  in  ihrem  Durchmesser  bedeutend  von 
den  knöchernen  unterscheiden:  ihr  Durchmesser  verhält  sich  zu  dem  der 
knöchernen,  wie  1:2  —  3.  Die  häutigen  Gänge  sind  mit  dem  Periost  durch 
Bindegewebsbälkchen  verbunden.  Ihr  grösserer  Durchmesser  misstO'5 — 0'58  mm, 
ihr  kleinerer  0*4 — O'Smm.  Die  Länge  der  Ampulle  beträgt  längs  der  Achse 
des  Bogenganges  2'2b  mm,  ihr  Querdurchmesser  0-blmm. 

Das  Gewebe  dieser  häutigen  Theile  ist  seiner  Structur  nach  dem  Ge- 
webe des  Periost  analog;  auch  hier  findet  man  Netze  aus  Bindegewebe  und 
elastischen  Fasern,  zwischen  welchen  rundliche  und  ovale  Kerne  gelegen  sind. 
In  diesen  Netzen  liegen  feine  Arterien  und  Capillargefässnetze.  Auf  diese 
Propria  folgt  nach  innen  eine  Basalmembran,  die  mit  einer  Schicht  Pflaster- 
epithel bedeckt  ist.  Die  Mitte  der  zur  Achse  gerichteten  Wand  des  Bogens 
ist  innen  mit  cubischen,  oft  gelbes  Pigment  enthaltenden  Elementen  über- 
zogen; dieses  Epithelium  bildet  einen  Streifen  {Eaphe,  Hasse),  w^elcher  als 
Naht  der  Falten  des  Labyrinthbläschens,  aus  der  sich  die  Röhre  bilden  soll, 
betrachtet  wird;  der  Streifen  geht  auch  auf  die  als  Dach  bezeichnete  Am- 
pullenwand über  (Hasse). 

Der  Boden  der  häutigen  Ampullen  ist  an  der  Verlängerung  des  con- 
vexen  Knochen canalrandes  befestigt;  an  seiner  inneren,  dem  Dache  gegen- 
überliegenden Wand  erhebt  sich  die  letztere  als  querer,  sichelförmiger  Wulst 
{Crista  ampullaris)  mit  zwei  verbreiteten,  abgerundeten  Enden;  er  umfasst 
ungefähr  ^s  des  Umfangs  der  Ampulle.  Die  abgerundeten  Enden  sind  von 
einem  halbmondförmigen  Saum  (Planum  semilunatum)  umgeben,  der  beim 
Menschen  gewöhnlich  schwach  ausgesprochen  ist.  Der  Wulst  liegt  dem  Sacke 
näher,  als  der  Bogengangsöffnung.  Die  Propria  des  Wulstes  besteht  aus 
bindegewebiger,  gefässreicher  Grundlage,  ihre  Oberfläche  ist  mit  Cylinderzellen 
bedeckt,  in  denen  die  Nervenfasern  beginnen.  Auf  ähnliche  Weise  ist  die 
Wand  des  elliptischen  Sackes,  welche  zu  den  Maculae  cribrosae  gewandt  ist, 
ungewöhnlich  dick;  dieses  ist  die  Macula  acustica;  sie  ist  elliptisch,  ihr  län- 
gerer Durchmesser  verläuft  von  der  Pyramis  vestibuli  gegen  das  hintere  Ende 
des  ovalen  Fensters;  mit  der.  Wand  des  Recessus  ellipticus  ist  sie  durch 
Bindegewebe  verbunden,  hier  gehen  Gefässe  und  Nerven  durch.  Ueberhaupt 
ist  das  Gewebe  der  Macula  acustica,  ebenso  wie  das  der  Crista  acustica  sehr 
reich  an  Gefässen. 


GEHÖRORGAN.  159 

Die  Epithelzellen  der  Macula  und  Crista  acustica  dienen  den  von  hier 
ausgehenden  Nervenfasern  zum  Anfang.  Man  unterscheidet  hier  Haarzellen 
und  Fadenzellen,  die  ersten  sind,  wie  man  meint,  die  nervösen  Elemente,  die 
zweiten  werden  als  Stützzellen  angesehen  (Retzius). 

Die  Haarzellen  sind  körnig,  enthalten  einen  runden  Kern  und  enden  an 
der  Oberfläche  mit  einem  Härchen,  das  aus  noch  feineren  Fasern  zusammen- 
gesetzt sein  soll  (Retzius).  Die  Epithelhaare  an  der  Macula  acustica  sind 
stärker  entwickelt,  als  an  der  Crista. 

Die  Fadenzellen  sind  verschieden  geformt:  spindelförmig,  flaschenförmig 
oder  langgezogen  und  mit  erweiterten  Enden,  sie  füllen  die  ZAvischenräume 
zwischen  den  Haarzellen  aus  und  werden  daher  als  Stützzellen  angesehen. 

Die  Oberfläche  der  Epithelialschicht  von  Crista  und  Macula  ist  mit  einem 
dünnen  Häutchen  {Oupula)  bedeckt.  Diese  Cupula  ist  aber  wahrscheinlich 
kein  Häutchen,  sondern  ein  durch  die  angewandten  Härtungsraittel  (wie  z.  B, 
Osmiumsäure,  Chromsäure,  Alkohol)  hervorgerufenes  Kunstproduct;  am  Leben- 
den sind  die  Härchen  von  einer  flüssigen  oder  gallertigen  Substanz,  welche 
von  den  Härtungsmitteln  gerinnt,  die  Epithelhaare  verklebt  (Hensen)  und 
dadurch  ein  künstliches  Häutchen  bilden  kann,  umgeben. 

Das  elliptische  Säckchen  und  die  häutigen  Bogengänge  werden  durch  die 
in  ihnen  enthaltene  Flüssigkeit  {Endolympha)  in  einer  gewissen  Spannung 
erhalten.  Zwischen  den  häutigen  Theilen  und  dem  Periost  des  Vorhofes  und 
der  Bogengänge  befindet  sich  auch  Flüssigkeit  {Perüi/mphä).  Im  Vorhof  bildet 
sich  zwischen  dem  elliptischen  Sack  und  der  Aussenwand  ein  grosser  peri- 
lymphatischer Raum  {Cysterna  penhjm^ohatica),  welcher  3  mm  tief  ist.  Die 
Flüssigkeit  ähnelt  ihren  chemischen  Bestandtheilen  nach  dem  Serum.  An  der 
Crista  und  der  Macula  acustica  ist  sie  schleimig,  und  in  der  schleimigen 
Flüssigkeit  der  Macula  schwimmen  kreideweisse,  kleine  Krystalle  (OthoUthen), 
welche  aus  kohlensaurem  Kalk  bestehen.  Unter  dem  Mikroskop  gesehen, 
sind  es  sechsseitige  Prismen  mit  stumpfwinkelig  zugespitzten  Enden. 

Der  häutige  Theil  des  Aquaeductus  vestibuli  beginnt  mit  einem 
Gange  aus  dem  elliptischen  und  einem  aus  dem  runden  Sacke;  der  erste  ist 
der  Canalis  utriculo-saccularis,  der  zweite  der  Ductus  endolymphaticus;  vereint 
geht  der  Gang  durch  den  entsprechenden  knöchernen  Canal  zur  Hintei^äche 
des  Felsenbeins,  zwischen  dem  inneren  Gehörgang  und  dem  Sulcus  trans- 
versus,  wo  er  als  Blindsack  (Saccus  endolymphaticus)  endet.  Dieser  Blind- 
sack soll  hier  zwischen  zwei  Blättern  der  Dura  mater  eingeschlossen  sein. 
Seine  Structur  entspricht  derjenigen  des  häutigen  Labyrinthes.  Der  Aquaeductus 
vestibuli  spielt  die  Rolle  eines  Abzugscanales,  der  die  Spannung  im  häutigen 
Labyrinth  regulirt;  dieses  folgt:  1.  aus  seiner  Structur;  die  fibröse  Wand 
bildet  im  Canal  Zotten,  die  Capillargefässe  enthalten  (Böttcher);  am  Eingang 
in  den  Canal  sind  die  Wände  dicht  mit  Zotten  besetzt,  w^eiter  nach  vorn 
nehmen  sie  ab  und  verschwänden  endlich  ganz;  diese  Zotten  entsprechen 
den  Synovialfortsätzen  der  Gelenke;  2.  folgt  es  noch  daraus,  dass  der  Knochen- 
canal  die  Vena  aquaeducti  vestibuli,  die  in  den  Sinus  petrosus  superior 
mündet,  enthält  (Henle). 

Der  häutige  Theil  der  Schnecke  besteht  aus  dem  runden  Sacke 
Sacculus  rotundus)  und  dem  Schneckengang  (Ductus  cochlearis). 

Der  runde  Sack  liegt  im  Recessus  sphaericus  und  hat  die  Form  einer 
runden,  stark  plattgedrückten  Blase  mit  schmalem  Halse.  Gleich  neben  dem 
Eingang  zur  Vorhofstreppe  liegend,  hängt  dieser  Sack  durch  Bindegewebe, 
Gefässe  und  Nerven  innig  mit  der  unteren  siebförmigen  Grube  der  Innenwand 
des  Vorhofs  zusammen.  Er  berührt  die  vordere  innere  Fläche  des  ellip- 
tischen Sackes,  so  dass  beide  Säcke  nur  durch  eine  Wand  getrennt  sind.  Der 
Hals  {Canalis  reuniens)  geht  nach  unten  und  vorn  und  dann  unter  fast  rech- 
tem Winkel  auf  die  oi3ere  Wand  des  Vorhofsendes  des  Schneckenganges,  um 


160 


GEHÖRORGAN. 


hier  zu  enden.  Lateralwärts  von  diesem  Uebergang  liegt  ein  Blindsack,  der 
Anfangstheil  des  Schneckenganges  oder  der  Vorhofsblindsack.  An  der  fixirten 
Wand  des  Sackes  befindet  sich  die  länglich  ovale  Macula  acustica  sacculi; 
die  Structur  dieser  Macula,  sowie  auch  der  Wände  wiederholt  in  allen  Stücken 
diejenige  der  entsprechenden  Theile  des  ovalen  Sackes.  Wie  schon  erwähnt, 
nimmt  ein  Schenkel  des  Ductus  endolymphaticus  am  runden  Sack  seinen 
Anfang.    (Fig.  4.) 

Fig.  i.  Sclinitt  durch  die  Mitte  der  Sclineoke  (Schaeffer). 


a   Scala  tympani,  6  Scala  vestibuli,  c  Membrana  vestibularis,  d  Membrana  basilaris,  e  Membrana  teotoria, 

f  Ganglion  spirale. 


Der  Schneckengang  (Ductus  cochlearis)  ist  eine  prismatische  Röhre, 
die  an  beiden  Enden  blind  ausläuft.  Sie  beginnt  mit  dem  schon  erwähnten 
Vorhofsblindsack  und  endet  an  der  letzten  Schneckenwindung  mit  dem  Kuppel- 
blindsack (Reichert).  Sie  ist  im  Querschnitt  von  drei  Wänden  begrenzt;  die 
äussere  liegt  der  Knochenwand  der  Schnecke  an,  die  vordere  ist  gegen  die 
Scala  vestibuli,  die  hintere  gegen  die  Scala  tympani  gerichtet.  Die  beiden 
letzteren  treffen  unter  spitzem  Winkel  an  der  Lamina  spiralis  zusammen.  Die 
Aussenwand  ist  mit  der  Beinhaut  verschmolzen,  die  hintere  oder  tympanale 
Wand  wird  als  Grundraembran  (Membrana  basilaris),  die  vordere  oder  vesti- 
buläre als  Membrana  vestibularis  beschrieben.  Diese  Wände  sind  gespannt; 
der  vordere  und  der  innere  Winkel  sind  scharf,  der  hintere  aber  stumpf  ab- 
gerundet, da  die  Grundmembran  des  Schneckenganges  in  einen  im  Querschnitt 
dreieckigen  Vorsprung,  das  Ligamentum  spirale,  übergeht.  Zum  Lumen  des 
Schneckenganges  hin  befindet  sich  an  der  Grundmembran  der  acustische 
Apparat,   in  welchem   die  Nerven  des  Gehörapparates  ihren  Anfang  nehmen. 

Die  knöcherne  Lamina  spiralis  besteht  aus  zwei  dünnen  Lamellen  festen 
Knochengewebes,  zwischen  welchen  radienartig  feine  Canäle  am  Rande  des 
Blattes  zur  Schneckenachse  gehen.  Am  freien  Rande  des  Blattes,  besonders 
an  der  vestibulären  Lamelle  verläuft  ein  sich  verdickender  Rand  (Limbus 
laminae  spiralis)  der,  in  der  Richtung  zum  Schneckengang  in  zwei  Lippen, 
Labium  vestibuläre  und  Labium  tympanicum,  ausläuft;  zwischen  beiden  Lippen 
befindet  sich  eine  Furche,  Sulcus  spiralis.  Der  hyaline  Rand  nimmt  in  der 
Richtung  von  der  Basis  zur  Spitze  allmählich   an  Breite  und  Höhe  ab.     Die 


GEHÖRORGAN. 


161 


tympanale  Lippe  geht  in  die  Grundmembran  über,  die  freie  Oberfläche  des 
Labium  vestibuläre  aber  ist  mit  warzenförmigen  Erhöhungen  von  verschie- 
dener Grösse,  welche  sich  von  der  Basis  nach  oben  erweitern  und  von  ellip- 
tischer oder  kreisrunder  Form  sind,  bedeckt.  Je  naher  zum  freien  Rande  der 
Lippe,  desto  mehr  nehmen  sie  eine  geneigte  Lage  an,  so  dass  sie  am  Rande 
selbst  eine  Reihe  horizontaler  Fortsätze  bilden;  hier  haben  sie  mehr  die  Form 
von  Zähnen  und  werden  daher  Gehörzähne  genannt.  Sie  sind  platt,  am  freiem 
Rande  zugeschärft,  quer  convex  und  an  der  Basis  schmäler,  als  am  freien 
Rande.  Ihre  Anzahl  steigt  längs  des  Schneckenganges  von  2000  bis  2500. 
Zwischen  den  Warzen  befinden  sich  Furchen  und  zwischen  den  Zähnen 
Spalten,  welche  alle  von  einer  körnigen  Masse  ausgefüllt  werden.  An  den 
Warzen  nimmt  die  Membrana  tectoria  ihren  Anfang.  Der  Structur  nach  be- 
steht der  häutige  Rand  aus  Bindegewebe,  das  von  der  Beinhaut  des  Knochens 
ausgeht,  die  Bündel  verflechten  sich  und  dringen,  der  Achse  der  Warzen 
parallel,  in  dieselben  ein;  am  freien  Ende  der  Warzen  gehen  sie  in  hyalines 
Gewebe  mit  sternförmigen  Körpern,  welches  sich  beim  Kochen  nicht  ver- 
ändert, über;  weiterhin  verlieren  sich  diese  Körperchen,  und  das  Gewebe  wird 
ganz  structurlos,  glasartig. 

Nach  aussen  vom  häutigen  Rande  und  den  Warzen  nimmt  am  Periost 
der  Lamina  spiralis  das  vestibuläre  Blatt  des  Schneckenganges,  die  Mem- 
brana Vestibül aris  (Reissner),  seinen  Anfang.  Sie  geht  zur  Aussenwand 
der  Schnecke,  mit  der  sie  verschmilzt,  und  scheidet  das  Lumen  des  Schnecken- 
ganges von  der  Vorhofstreppe.  Sie  ist  sehr  dünn  und  straff  gespannt;  der 
Structur  nach  entspricht  sie  den  übrigen  Theilen  des  häutigen  Labyrinthes; 
die  zum  Lumen  des  Schneckenganges  gekehrte  Fläche  ist  mit  einfachem, 
kleinzelligem  Epithel  bedeckt.  (Fig.  5.) 

Fig.  5.  Schnitt  durch  die  Basalwindung  des  Schneckenganges   (G.  Eetzius). 


a  Ductus  Cochleae,  h  Merabrans  vestibularis,     c  Membrana  basilaris,    d  Limbus  spiralis,  6'  Mem- 
brana tectoria,    /   Siücus   spiralis,     g  äussere   obere  Zellen,     h  Stützzellen,     /  innere  Stäbchen, 
k  äussere  Stäbchen,  l  innere  obere  Zellen,  m  Nervenfasern,  n  Stria  vascularis, 
0  Ligamentum  spirale. 


Ohren-,  Nasen-,  Eachen-,  Kehlkopfkrankheiten. 


11 


162 


GEHÖRORGAN. 


Die  Grundmembran  {Membrana  hasilaris)  ist,  wie  bereits  gesagt, 
eine  P'ortsetzung  des  Labium  tympanicum,  sie  geht  nach  aussen  zur  Aussen- 
wand  der  Schnecke,  wo  sie  in  das  Lig.  spirale  übergeht.  Diese  Membran 
begrenzt  den  Schneckengaug  von  der  Paukentreppe  her;  sie  nimmt  von  der 
Basis  zur  Spitze  an  Breite  zu,  so  dass  diese  beiden  Theile  sich  wie  1:2'5 
verhalten,  während  die  Lamina  spiralis  in  dieser  Richtung  abnimmt.  Auf 
der  zum  Lumen  des  Schneckenganges  gerichteten  Seite  der  Membran  befindet 
sich  der  acustische  Apparat;  man  unterscheidet  hier  einen  inneren  Theil,  auf 
dem  die  Stütze  des  äcustischen  Apparates  —  die  Gehörstäbchen,  gelagert  sind 
—  die  Zona  arcuata,  und  den  äusseren  faserigen  Theil,  die  Zona  pectinata, 
welche  sich  von  der  Basis  zur  Spitze  erweitert  (wie  1:3).  Von  den  Schichten 
der  Grundmembran  setzt  sich  die  Hauptschicht  unmittelbar  in  das  Labium 
tympanicum  fort;  diese  Schicht  ist  structurlos,  ihre  äussere  Hälfte  ist  stärker 
als  die  innere.  Auf  der  tympanalen  Seite  der  äusseren  Hälfte  befinden  sich 
warzenförmige,  kleine  Erhöhungen  von  rundlicher  Formx.  Die  vestibuläre 
Fläche  der  structurlosen  Membran  ist  mit  einer  Schicht  querer,  feiner,  dicht 
gedrängter,  wie  Saiten  eines  Instrumentes  gespannter  Fasern  bedeckt,  die 
radiär  verlaufen;  sie  sind  stark,  brechen  leichter,  als  dass  sie  sich  biegen  und 
sind  auf  der  Zona  pectinata  besonders  scharf  ausgesprochen;  bei  einer  Länge 
des  Ductus  cochlearis  von  33- b mm  soll  ihre  Anzahl  13400  betragen.  Die 
tympanale  Fläche  der  Membran  ist  mit  longitudinalen  Fasern,  die  der  Achse 
der  Paukentreppe  parallel  sind,  bedeckt;  es  sind  dies  Bindegewebsfasern  mit 
ovalen  und  spindelförmigen  Kernen;  sie  bilden  einen  Streifen  der  Zona  arcuata 
entsprechend  und  einen  Streifen  längs  des  Lig.  spirale,  während  sie  die  Zona 
pectinata  frei  lassen. 

Der  acustischeEndap  parat  ( Organon  Corti,  Papilla  spiralis  Hensen) 
besteht  aus  den  Gehörstäbchen,  welche  mit  der  Lamina  reticularis,  den  unteren 
Deckzellen  und  den  Stützzellen  das  Stützgerüst  bilden,  von  welchem  die  soge- 
nannten Nervenzellen  und  die  Fasern  des  Nervus  Cochleae  getragen  werden. 
Die  Zwischenräume  werden  von  Zellen  und  Körnermassen  ausgefüllt  und  der 
ganze  Apparat  wird  von  der  Membrana  tectoria  bedeckt.  Die  Treppen  sind 
mit  Perilymphe,  der  Schneckengang  zwischen  Membrana  tectoria  und  Mem- 
brana vestibularis  aber  mit  Endolymphe  angefüllt.  (Fig.  6.) 

yig.  6.  Schnitt  durch  den  äcustischen  Apparat  (Gr.  Retzins). 

e. 


Wie  in  Eig.  5. 


Die  Gehör  Stäbchen  {Bacilli  acustici)  sind  die  Hauptstütze  des  Appa- 
rates; sie  stehen  in  zwei  Reihen  (innere  und  äussere  Stäbchen),  die  zusammen 
ein  (jewölbe  bilden;  doch  übertreffen  die  inneren  die  äusseren  an  Zahl,  dieser 


GEHÖRORGAN.  163 

sind  7—8,  jener  12  enthalten.  Jedes  Stäbchen  besteht  aus  dem  Fuss-  und 
dem  Kopfende  und  dem  Körper;  es  ist  S-förmig  gekrümmt,  heftet  sich  mit 
dem  Fuss  an  die  Membrana  basilaris,  während  die  Kopfenden  sich  zu  einem 
Bogen  verbinden  und  so,  wie  gesagt,  das  Gewölbe  bilden. 

Die  inneren  Stäbchen  sind  dichter  aneinander  gedrängt  als  die 
äusseren.  Ihr  Fuss  ist  dreieckig  und  platt,  ihr  Körper  aber  ist  im  Quer- 
schnitt elliptisch  und  rund  und  ist  so  gebogen,  dass  unten  die  concave  Seite 
nach  oben  und  innen,  am  Kopfende  aber  zur  Membrana  basilaris  gerichtet 
ist.  An  dem  verdickten  Kopfende  befindet  sich  eine  lateralwärts  gerichtete 
concave  Gelenkfläche,  in  die  der  entsprechende  Kopf  der  äusseren  Stäbchen 
eindringt.  Nach  innen  läuft  das  Kopfende  in  einen  kurzen,  spitzen  Fortsatz 
aus,  je  zwei  dieser  Fortsätze  begrenzen  einen  nach  innen  (zum  Limbus  spi- 
ralis)  gerichteten  halbovalen  Ausschnitt,  in  dem  das  obere  Ende  der  inneren 
Stäbchen  Platz  nimmt.  Lateralwärts  geht  vom  Kopfende  eine  vierseitige 
Platte,  die  von  oben  den  Gelenkkopf  deckt,  ab;  derselbe  endet  vorn  mit  einem 
geraden  äusseren  Eande,  der  die  Lamina  reticularis  begrenzt.  Diese  Platten 
sind  hell  mit  Längsstreifen  versehen. 

Die  äusseren  Stäbchen  sind  länger  als  die  inneren.  Sie  haben 
glockenförmige  Fussenden,  ihr  Körper  ist  ebenso  gebogen,  wie  bei  den  inneren 
Stäbchen,  er  ist  cylindrisch;  ihr  Kopf  ist  nach  innen  gewölbt  und  bildet  mit 
der  Pfanne  der  inneren  Stäbchen  ein  Gelenk.  Lateralwärts  gehen  von  den 
Kopfenden  dünne  cylindrische  Fortsätze,  die  mit  eingebogenen  Piändern  be- 
ginnen und  nach  ihrem  äusseren  Ende  hin  ruderförmig  sich  erweitern,  diese 
Fortsätze  sind  an  der  Schneckenbasis  am  kleinsten  und  nehmen  in  der  Piich- 
tung  zur  Spitze  an  Länge  zu;  sie  werden  Phalangenfortsätze  genannt  und 
dienen  zur  Befestigung  der  Lamina  reticularis. 

Die  Stäbchen  sind  hyalin  und  elastisch.  Unter  Einwirkung  von  Chrom- 
säure erscheinen  in  ihnen  Bündel  feiner  Fasern,  die  von  einer  sehr  zarten 
Hülle  umgeben  sind.  Die  Fussenden  lassen  deutliche  Fasern  unterscheiden; 
einzelne  dieser  Fibrillen  sollen  direct  in  die  Saiten  der  Zona  pectinata  über- 
gehen (Böttchek). 

Die  Lamina  reticularis  ist  eine  Schicht  structurloser,  biscuitför- 
miger  Platten,  die  an  den  Kopfenden  der  Gehörstäbchen  beginnen,  und  reicht 
bis  zur  Aussenwand  der  Schnecke.  Diese  Platten  sind  in  der  Mitte  schmal, 
mit  concaven  Rändern,  an  den  Enden  aber  sind  sie  schaufelartig  erweitert, 
wobei  sich  die  geraden  Seitenränder  den  Enden  zu  nähern,  sie  werden 
Phalangen  genannt  und  nach  den  Reihen,  in  denen  sie  liegen,  als  Phalangen 
der  ersten,  zweiten,  dritten  u.  s.  w.  Reihe  bezeichnet.  Der  Aussenrand  der 
Platte  des  inneren  Stäbchens,  so  wie  die  benachbarten,  concaven  Ränder  des 
Phalangenfortsatzes  der  äusseren  Stäbchen  begrenzen  eine  Oeffnung,  welche 
von  dem  inneren  Endrande  der  Phalangen  der  ersten  Reihe  geschlossen  wird. 
In  dieser  Oeffnung  befinden  sich  die  oberen  Enden  der  äusseren  Zellen.  Von 
dem  Endrand  des  Phalangenfortsatzes  der  äusseren  Stäbchen,  den  concaven 
Rändern  der  ersten  Phalangenreihe  und  dem  inneren  Endrande  der  zweiten 
Phalangenreihe  werden  die  folgenden  Oeflnungen  gebildet,  die  wieder  von  Zellen 
ausgefüllt  sind,  und  auf  dieselbe  Weise  folgen  die  Phalangen  der  zweiten  und 
dritten  Reihe  u.  s.  w.  Lateralwärts  geht  die  Lamina  reticularis  in  ein  kurzes 
Netz  mit  unregelmässig  viereckigen  Maschen,  das  schliesslich  als  Fasern 
im  Lig.  Spirale  oder  der  Membrana  basilaris  endet,  über.  Die  Phalangen  haben 
mehr  oder  weniger  regelmässige  Form,  und  daher  ist  das  ganze  Gewebe  von 
dem  entsprechenden  Aussehen. 

Die  Lücken  in  der  Lamina  reticularis  und  in  der  Membrana  basilaris 
werden  von  Zellen  ausgefüllt,  die  auch  medianwärts  von  den  inneren  Stäb- 
chen lieg;en.  Es  sind  äussere  und  innere,  obere  Deckzellen  (CoRxi'sche  Zellen), 
äussere,  untere  Deckzellen  (DEiTER'sche  Zellen,  Haarzellen).  Von  diesen  Zellen 

11* 


164  GEHÖRORGAN. 

werden  die  oberen  Deckzellen  für  Nervenzellen  gehalten;  die  unteren  Deck- 
zellen und  die  lateralwärts  gelegenen  Stützzellen  (Hensen)  sind  alle  als  zum 
Gerüste  gehörig  anzusehen. 

Die  oberen,  äusseren  Zellen  befinden  sich  mit  ihren  oberen  Enden 
in  den  Maschen  der  Lamina  reticularis;  sie  sind  in  drei  bis  vier  Reihen  auf- 
gestellt, an  der  Spitze  der  Schnecke  sollen  sogar  fünf  Reihen  vorkommen 
(Retzius).  Sie  sind  länglich,  verschmälern  sich  nach  unten,  sie  sind  fein- 
körnig und  mit  Kern  und  Cilien  an  der  oberen  Endfläche,  welche  über  die 
Oefi'nung  der  Lamina  reticularis  emporragt,  versehen.  Ihr  unterer  Fortsatz, 
der  bis  zur  Membrana  basilaris  gehen  soll,  wird  angezweifelt  (Retzius). 

Die  unteren,  äusseren  Zellen  beginnen  an  der  unteren  Fläche  der 
Phalangen  als  dünne  Fäden  und  reichen  nach  unten  bis  zur  Membrana  basi- 
laris, wobei  sie  sich  erweitern,  und  enthalten  einen  Kern.  Zwischen  ihren 
erweiterten  Theilen  befinden  sich  die  unteren  Enden  der  oberen  Zellen.  Weiter 
nach  aussen,  der  Schneckenwand  näher,  gehen  diese  Zellen  in  Stützzellen  über 
(Hensen);  sie  haben  die  Form  eines  Fächers,  sind  oben  breiter  als  unten  und 
enthalten  feinkörniges  Protoplasma  und  einen  Kern.  Nach  unten  und  aussen, 
beim  Uebergang  in  das  Lig.  spirale,  befindet  sich  eine  Reihe  cylindrischer 
und  cubischer  Zellen,  welche  stark  granulirt  sind  und  unten  einen  Kern  haben; 
sie  gehen  in  das  Epithelium  der  äusseren  Schneckenwand  über. 

Die  oberen,  inneren  Zellen  zwängen  sich  mit  ihrem  oberen  Ende 
in  den  halbovalen  Ausschnitt  der  inneren  Stäbchen  hinein;  sie  sind  cylindrisch, 
granulirt,  in  ihrem  unteren  Theil  ist  ein  grosser,  runder  Kern  gelagert.  Das 
obere  Ende  ist  mit  einer  cuticulären  Deckplatte,  auf  der  sich  kleine  Stiftchen, 
bis  20  an  der  Zahl,  erheben,  bedeckt  (Retzius). 

Zwischen  dem  unteren  Ende  dieser  Zellen  und  dem  Epithelium  des 
Labium  tympanicum  befindet  sich  eine  Schicht  Protoplasma  mit  runden  Kernen 
und  feinen  Fibrillen;  unter  dieser  Schicht  findet  man  an  der  Uebergangsstelle 
des  Labium  tympanicum  zur  Membrana  basilaris  quere  Schlitze,  durch  welche 
die  Nervenbündel  dringen,  um  sich  radiär  zwischen  den  Knochenplatten  der 
Lamina  spiralis  zu  lagern.  Ihren  Anfang  sollen  diese  Nervenfasern  in  den 
oberen,  äusseren  und  inneren  Zellen  nehmen.  Unter  dem  Gewölbe  der  Stäb- 
chen werden  alle  Zwischenräume  von  rundlichen  Kernen  und  granulirter 
Substanz  ausgefüllt. 

Der  acustische  Apparat  wird  von  der  Membrana  tectoria  (Claudius)  s. 
Membrana  Coeti  bedeckt;  diese  beginnt  am  Limbus  spiralis  und  erstreckt 
sich  bis  zu  den  Stützzellen.  Gewöhnlich  wird  sie  in  drei  Zonen  getheilt.  Die 
innere  ist  zart  und  hyalin  und  beginnt  lateralwärts  von  der  Befestigung  der 
Membrana  vestibularis;  sie  liegt  auf  den  Warzenfortsätzen  des  Labium  vesti- 
buläre, mit  denen  sie  durch  ihre  Maschen,  wie  ein  Knopf  mit  dem  Knopfloch, 
verknüpft  ist.  Die  Zone  reicht  bis  zum  Rande  des  Labium  vestibuläre  und  geht 
hier  in  die  zweite  Zone,  welche  sich  durch  ihre  streifige  Structur  auszeichnet, 
über.  Die  Streifen  der  zweiten  Zone  sind  leicht  gewellte,  feine  Fasern,  welche 
in  schräger  Richtung  gehen.  Dieser  Theil  ist,  besonders  der  Wölbung  der 
Stäbchen  enttprechend,  dicker.  Die  dritte  Zone  bildet  ein  Netz  hyaliner 
Bälkchen;  wie  die  Membran  lateralwärts  endet,  ist  zweifelhaft. 

Die  Blutgefässe  des  Labyrinthes  gehören  insgesammt  der  Art. 
auditiva  interna,  die  aus  der  Art.  basilaris  kommt,  an.  Wie  schon  erwähnt, 
stehen  sie  ganz  isolirt  da  (Hyrtl,  Eichler).  Die  Art.  auditiva  interna  tritt 
durch  den  inneren  Gehörgang  in  das  Labyrinth  und  theilt  sich  hier  in  die 
Art.  vestibuli  und  Art.  Cochleae,  von  welchen  jede  zu  dem  entsprechenden 
Theile  geht.  Die  Aeste  der  Art.  vestibuli  dringen  mit  den  Aesten  der  Vor- 
hofsnerven in  den  Vorhof  und  dann  zum  ovalen  und  runden  Sack  und  zu  den 
Bogengängen.  Jeder  Bogengang  erhält  je  einen  Ast  von  dem  ampullären 
und  von    dem    entgegengesetzten  Ende,  welche  sich  im  höchsten  Punkte  der 


GEHÖRORGAN.  165 

Wölbung  vereinigen;  sie  verzweigen  sich  in  den  häutigen  Bögen  und  dem 
Periost.  Die  Aeste  der  Art.  Cochleae  gehen  durch  das  Foramen  centrale  in 
den  Canalis  centralis  modioli;  ebenso  begeben  sich  mehrere  Aeste  (14  und 
mehr)  in  den  Canalis  spiralis  und  durch  die  Löcher  des  Tractus  spiralis 
foraminulentus,  durch  den  Modiolus,  zur  Lamina  spiralis  und  unten  zum 
Schneckengang,  an  dessen  Wänden  sie  anastomotische  Bögen  erster,  zweiter 
und  dritter  Ordnung,  wie  die  Gekrösarterien,  bilden  (Buesciikt);  an  der 
Aussenwand  des  Ganges,  über  dem  Lig.  spirale,  verbinden  sich  die  Bogen 
und  bilden  ein  reiches  Capillarnetz  (Stria  vascularis)\  ausserdem  verläuft  noch 
ein  spirales  Gefäss  {Vas  spirale)  an  der  tympanalen  Fläche  der  Membrana 
basilaris,  der  Zona  arcuata  entsprechend. 

Die  Venen  sammeln  sich  aus  dem  Canalis  spiralis  modioli  und  über- 
haupt einigen  Aesten  der  Art.  Cochleae  und  Art.  vestibuli  in  die  Vena  audi- 
tiva interna,  die  sich  in  den  Sinus  petrosus  inferior  oder  den  Sinus  trans- 
versus  ergiesst.  Ausserdem  gehen  Venenästchen  durch  den  Aquaeductus  vesti- 
buli und  Aquaeductus  Cochleae,  das  erste  ergiesst  sich  in  den  Sinus  petrosus 
inferior,  das  zweite  in  die  Vena  jugularis  externa. 

Die  Lymphgefässe  des  Labyrinthes  sind  nur  als  perilymjjhatische 
Käume,  die  sich  vom  Subarachnoidalraum  aus  füllen  lassen,  bekannt.  Im 
Aquaeductus  Cochleae  befindet  sich  ein  Lymphcanal,  der  als  Ductus  perilym- 
phaticus  bezeichnet  wird  (Hasse)  und  der  mit  dem  Subarachnoidalraum  in  Ver- 
bindung steht,  also  auch  perilymphatische  Räume  und  Subarachnoidalraum 
verbindet. 

Die  Nerven  beginnen  im  acustischen  Apparat,  im  ovalen  und  im  runden 
Sack  und  den  Ampullen  der  Bogengänge;  die  aus  dem  Vorhof  kommenden 
sammeln  sich  zum  Nervus  vestibuli,  die  aus  der  Schnecke  kommenden  zum 
Nervus  Cochleae;  beide  zusammen  bilden  den  Nervus  acusticus. 

Von  den  Ampullen  des  oberen  und  des  äusseren  Bogenganges  und  von 
der  Macula  acustica  des  ovalen  Sackes  gehen  Nervenfäden  durch  die  Macula 
cribrosa  superior;  von  der  Macula  acustica  des  ovalen  Sackes  gehen  die  Fasern 
zur  Macula  cribrosa  media,  und  von  der  Ampulle  des  hinteren  verticalen 
Bogenganges  dringen  die  Fasern  durch  die  Macula  cribrosa  inferior.  Im 
inneren  Gehörgang  vereinigen  sich  alle  diese  Fasern  in  der  gangliösen  An- 
schwellung (Intumescentia  ganglioformis),  aus  welcher  der  Stamm  des  Nervus 
vestibularis  hervorgeht.  In  den  äusseren  und  inneren,  oberen  Nervenzellen 
des  acustischen  Apparates  beginnen,  wie  man  glaubt,  feinste  Nervenfibrillen 
ohne  Markscheide,  die  äusseren  dringen  zwischen  je  zwei  benachbarten  Gehör- 
stäbchen, gehen  quer  durch  das  von  diesen  Stäbchen  gebildete  Gewölbe  und 
vereinigen  sich  zu  Bündeln,  die  medianwärts  von  den  Stäbchen  das  Labium 
tympanicum  durchbohren  und,  mit  Markscheiden  versehen,  sich  unter  dem 
Labium  zwischen  die  Knochenleisten  der  Lamina  spiralis  legen  (beim  Durch- 
bohren des  Labium  tympanicum  kommen  auf  vier  Zähne  des  Labium  vesti- 
buläre vier  bis  sechs  Nervenbündel);  weiter  gehen  sie  bis  zum  Canalis  cen- 
tralis modioli,  wo  sie  durch  Einlagerung  von  bipolaren  Nervenzellen  an- 
schwellen (Ganglion  spirale);  von  dieser  Anschwellung  dringen  die  Nerven- 
fasern durch  die  Knochencanäle  des  Modiolus  zum  inneren  Gehörgang,  wo 
sie  sich  zum  Nervus  Cochleae  vereinigen  und  mit  dem  Nervus  vestibuli  den 
Nervus  acusticus  bilden.  Der  Nervus  acusticus  liegt  im  inneren  Gehörgang 
neben  dem  Nervus  facialis  und  erreicht  in  seinem  weiteren  Verlauf  den  hin- 
teren Theil  des  Pedunculus  cerebelli  ad  pontem,  wo  er  dem  Pons  Varolii  an- 
liegt. Weiterhin  können  die  Fasern  des  Nervus  acusticus  bis  zur  Area  acu- 
stica am  Boden  der  Rautengrube  verfolgt  werden;  die  hier  befindlichen  Kerne 
sind  mit  dem  vorderen  Theile  des  Cerebellum  und  durch  die  tiefere  Schicht 
des  Mesencephalon  mit  dem  hinteren  Theile  des  Gyrus  temporalis  verbunden. 


166  GLOTTISKRÄMPFE. 

Nachdem  wir  nun  den  anatomischen  Bau  des  Gehörorgans  kennen  gelernt 
haben,  wollen  wir  uns  das  oben  von  der  Function  desselben  Gesagte  noch- 
mals ins  Gedächtnis  zurückrufen  (vergl.  auch  Artikel  „Hören'-'-).  Wir  haben  also 
am  Gehörorgan  zwei  Apparate,  den  eigentlichen  acustischen  Apparat  und  die 
Bogengänge,  zu  unterscheiden.  Der  erstere  ist  seinen  anatomischen  Verhältnissen 
nach  am  besten  dazu  geeignet,  die  von  aussen  kommenden  Eeize  durch  die  Ner- 
venfasern den  reflectorischen  Kernen  und  den  psychosensitiven  Kernen,  wo  sie 
sich  als  Gehörempfindungen  äussern,  zu  übermitteln.  Die  Bogengänge  sind  so 
gelagert,  dass  die  Resultirenden  derselben,  wenn  sie  dreimal  in  Gruppen  von 
je  zwei  nebeneinander  liegenden  Bogengängen  genommen  werden,  mit  den  Haupt- 
ebenen des  Körpers  (der  horizontalen,  frontalen  und  sagittalen)  zusammen- 
fallen. Aus  diesem  Grunde  muss  jede,  von  einer  mehr  oder  minder  schnellen 
Bewegung  hervorgerufene  Erschütterung,  durch  die  festen  Theile  des  Körpers 
geleitet,  einen  der  Gänge  treffen.  Der  hiermit  verbundene  psychosensitive 
Effect  dient  als  Kriterium  für  die  Schnelligkeit  der  Bewegung.  Wenn  die 
Bogengänge  am  lebenden  Thiere  zerstört  sind  (Versuche  von  Flourens),  so 
wird  es  damit  dieses  Kriteriums  beraubt,  und  ist  nicht  imstande,  auf  die  von 
ihm  ausgeführten  Bewegungen,  besonders  auf  die  des  Kopfes,  einzuwirken. 
Auch  dem  acustischen  Apparat  können  Reize  durch  die  festen  Theile  des 
Körpers  übertragen  werden:  man  kann  Taubstumme  sprechen  lehren,  in- 
dem man  mit  dem  schmalen  Ende  eines  dicken  Papiertrichters  die  Ohr- 
muschel umfasst,  den  Trichter  an  den  Kopf  drückt  und  dann  einfache  Silben, 
wie  Ma— ma,  Pa — pa  u.  s.  w.  gedehnt  und  deutlich  ausspricht,  nach  mehrmaliger 
Wiederholung  fängt  der  Taubstumme  an,  die  Laute  zu  imitiren,  und  kann 
bei  genügender  Ausdauer  und  sehr  langsamer  Uebung  das  Sprechen  lernen. 
Doch  ist  dieser  Erfolg  nicht  immer  zu  erzielen,  wahrscheinlich  nur  in  den 
Fällen,  wo  das  Labyrinth  mit  allen  seinen  Theilen  nicht  deformirt  ist. 

P.   LESSHAFT. 

Glottiskrämpfe.  Es  wird  zwar  gewöhnlich  unter  „Glottiskrampf" 
kurzweg  eine  ganz  bestimmte  Kehlkopfneurose  verstanden,  nämlich 
jene,  wobei  die  Glottis  während  der  ganzen  Dauer  des  Athemzuges  durch  den 
Glottisschluss  verengt  ist;  doch  existiren  auch  noch  andere  Affectionen 
im  Bereiche  der  Stimmritze,  welche  theils  den  Namen  Glottis-  oder  genauer 
Stimmritzenkrampf  mit  bezeichnenden  Beisätzen  wirklich  führen,  theils  unter 
anderem  Namen  einen  Krampfzustand  an  der  Glottis  zum  Wesen  haben. 

Schon  der  Verschluss  des  Kehlkopfes  beim  Schlucken  und  Erbrechen 
sowie  die  anhaltende  Erweiterung  beim  Seufzen  und  Gähnen  gehen  mit 
krampf-,  wenn  auch  nicht  krankhaften  Muskelcontractionen  einher,  noch 
bestimmter  der  gewöhnliche  und  der  Keuchhusten,  welche  man  aber  nicht  zu 
den  Kehlkopfneurosen,  mit  denen  wir  uns  hier  allein  beschäftigen  wollen, 
zählt.  Unter  diesen  letzteren  nun  finden  wir  mehrere  Arten  von  spasmodischen 
Motilitätsstörungen,  welche  wir  am  einfachsten  nach  den  typisch  betrof- 
fenen Athmungsphasen  folgendermaassen  gruppiren  wollen: 

1.  Während  der  Inspiration  und  Exspiration  andauernd;  es  sind  dies 
der  bereits  erwähnte  ^^Sjyasmus  glottidis'-'  und  jene  Kehlkopfkrämpfe,  welche 
während  schwerer  Hustenanfälle,  am  typischesten  in  den  ^.^Larynxhisen'-^  der 
Tabetiker,  Athemnoth  und  Erstickungsanfälle  verursachen. 

2.  Während  der  Inspiration  allein  auftretend,  und  zwar: 
a)  nur  die  Glottisschliesser, 

h)  nur  die  Glottiserweiterer  betreffend.  Unter  a)  fällt  der  „inspirato- 
rische functionelle  Stimmritzenkrampf"  und  der  „klonische  Stimmritzenkrampf 
der  Neugeborenen  und  Säuglinge";  von  h)  liegt  nur  eine  einzige  anerkannte 
Beobachtung,  von  Pitt  während  eines  Lyssaanfalles  gemacht,  vor. 


GLOTTISKRÄMPFE.  167 

3.  Während  der  Exspiration  allein  auftretend,  und  zwar: 

a)  bei  der  Intention  zu  sprechen  im  „phonischen  lunctionellen  Stimm- 
ritzenkrarapfe"  (ein  laryngoskopisch  gleich-,  in  Bezug  auf  seine  Andauer 
aber  andersgearteter  Krarapfzustand  ist  mehrfach  auch  beim  Stottern  fest- 
gestellt worden); 

h)  combinirt  mit  krampfhaften  Contractionen  der  exspiratorischen 
Muskulatur  im  „nervösen  Kehlkopfhusten"  und  im  „Ictus  laryngis". 

4.  In  den  einzelnen  Fällen  während  bestimmter  unterschiedlicher  Athmungs- 
phasen  auftretend,  ohne  aber  im  allgemeinen  fühlbare  Beschwerden  hervor- 
zurufen; hierher  gehören  einige  Beobachtungen  der  „Zitterbewegungen  der 
Stimmbänder". 

Warum  in  dieser  Eintheilung  die  Larynxkrisen  und  der  Ictus  laryngis 
in  verschiedene  Gruppen  gesetzt  worden  sind,  trotz  des  beiden  gemeinsamen 
Symptomes  des  Hustens,  ist  damit  zu  rechtfertigen,  dass  beim  Ictus  laryngis 
der  andauernde  Glottiskrampf  sehr  in  den  Hintergrund  tritt. 

Semon  rechnet  in  seinem  jüngst  veröffentlichten,  von  ihm  selbst  als 
provisorisch  bezeichneten  Systeme  der  Kehlkopfneurosen  den  „Spasmus  glot- 
tidis",  die  Larynxkrisen,  den  Krampf  der  Glottiserweiterer,  den  nervösen 
Kehlkopfhusten  und  den  Ictus  laryngis  zu  den  hyperkinetischen  (Kräm- 
pfen), den  inspiratorischen  und  phonischen  functionellen  Stimmritzenkrampf 
und  die  Zitterbewegungen  zu  den  parakinetischen  Motilitätsneurosen 
(Coordinationsstörungen)  des  Kehlkopfes. 

I.  Der  „Glottiskrampf"  im  enteren  Sinne,  Spasmios  glofiidis,  respirato- 
rischer Stimmritzenkrampf. 

Man  versteht  darunter  einen  plötzlich  auftretenden  krampfhaften  Anfall 
von  Athemnoth,  verursacht  durch  einen  längerdauernden  Verschluss  der 
Stimmritze. 

a)  Glottiskrampf  der  Kinder.  Derselbe  besitzt  manche  besondere 
ätiologische  Factoren  und  verläuft  gewöhnlich  viel  schwerer  als  jener  der 
Erwachsenen.  Seine  Besprechung  findet  sich  in  der  Disciplin  .Jnterne  Me- 
diän und  Kinderkrankheiten''^  dieses  Werkes. 

b)  Glottiskrampf  der  Erwachsenen. 

Aetiologie:  Einathmung  irrespirabler  Gase,  Fremdkörper  namentlich 
beim  Fehlschlucken;  künstlich  hervorzurufen  durch  Pinselungen  des  Kehl- 
kopfes und  Einblasung  von  Pulvern  zumal  unter  kräftigem  Luftstrome.  Gleich 
Fremdkörpern  wirken  auch  Granulome  nach  Tracheotomien,  sowie  Kehlkopf- 
polypen, welche  sich  in  der  Glottis  einklemmen.  Diffuse  Neuritis  des  einen 
Nervus  vagus  oder  beider  Nervi  recurrentes  vagi,  wie  auch  ein  mehr 
plötzlicher,  also  nicht  constanter  Druck  auf  dieselben  Nerven,  der  von  Aorten- 
aneurysmen, bösartigen  Mediastinalgeschwülsten,  Drüsenschwellungen  und 
Geschwülsten  des  Halses  oder  der  Brust  ausgeht.  Von  der  Nase  bei  Polypen- 
bildung und  Schleimhauthypertrophie,  von  dem  oberen  und  unteren  Rachen, 
der  Luftröhre  und  den  Bronchien,  von  einer  Schrumpfniere  oder  einem 
schwangeren  Uterus  ausgehende  Reize,  Centrale  Nervenerkrankungen:  Hysterie, 
Epilepsie,  Chorea,  Tetanus,  Hydrophobie. 

Pathogenese:  Nur  bei  der  Neuritis  oder  Compression  der  beiden 
Nervi  recurrentes  vagi  werden  die  gesammten  von  denselben  versorgten 
Muskeln  durch  den  dir ecten  Reiz  der  Nervenstämme,  in  allen  anderen 
Fällen  aber  vom  Centrum  für  die  Innervation  der  Kehlkopf- 
muskeln aus  zur  Contraction  gebracht.  Bei  dieser  Contraction  der  gesammten 
Muskeln  (ausser  der  Cricothyreoidei)  haben  aber  die  Glottissch Hesse r, 
wie  nachgewiesen  ist,  das  Ueb ergewicht  über  die  Glottisöffner,  weshalb 
ein  Kehlkopfverschluss  zustande  kommt.    Allgemein  angenommen  wird,  dass 


168  GLOTTISKEÄMPFE. 

sich  das  genannte  Nerveneentrum  im  Zustande  erhöhter  Reizbarkeit  befinden 
uiuss,  wenn  es  schon  durch  geringere  oder  entferntere  Reize  zu  einer  so  ener- 
gischen Thätigkeit  angeregt  werden  kann;  man  findet  denn  auch  in  der  That 
den  Glottiskrampf  vorzugsweise  bei  neurasthenischen  und  nervösen 
Individuen. 

Symptome:  Mitunter  nach  Husten,  meist  aber  ganz  unvermittelt  setzt 
der  Anfall  mit  den  bekannten  lauttönenden  Inspirationen  und  dem  Ringen 
nach  Luft  ein.  Durch  die  gewaltsame  Einathmung  kann  Luft  in  den  Magen 
gezogen  werden,  von  wo  sie  als  Ructus  wieder  entweicht.  Schwere  Fälle 
führen  zur  Cyanose  und  zum  momentanen  Schwinden  des  Bewusstseins  infolge 
Kohlensäurevergiftung,  Convulsionen  finden  sich  fast  nur  bei  Hysterie.  Ein 
tödlicher  Ausgang  ist  bei  Erwachsenen  höchst  selten  und  kaum  anders 
denkbar  als  bei  Einklemmung  von  Fremdkörpern  und  Polypen;  doch  soll  er 
wiederholt  nach  einfachen  Pinselungen  des  Kehlkopfes  mit  unschädlichen 
Medicamenten  und  trotz  Tracheotomie  eingetreten  sein.  Die  Dauer  der  Anfälle 
beträgt  bis  zu  einigen  Minuten,  bei  Hysterischen   aber   selbst  bis  zu  Tagen. 

Die  Diagnose  stützt  sich  auf  die  Plötzlichkeit  und  Kürze  der  Anfälle 
und  die  völlig  freien  Intervalle,  in  welchen  Punkten  der  Verschluss  der 
Glottis    infolge  Lähmung   der  Glottiserweiterer    sich   entgegengesetzt  verhält. 

Die  Prognose  ist  ohne  schw^eres  Grundleiden  günstig. 

Therapie:  Vor  allem  muss  der  Arzt  selber  während  eines  Anfalles 
keine  Beunruhigung  erkennen  lassen!  Unter  den  vielen  kleinen  Mitteln  gegen 
den  künstlich  erzeugten  Glottiskrampf  sind  die  einfachsten  das  Klopfen  auf 
den  Rücken,  das  langsame  Schlürfenlassen  von  Wasser  und  die  Reizung  der 
Nasenschleimhaut  durch  Kitzeln,  Salmiak,  Schnupftabak;  prophylactisch  kann 
man  eine  Apnoe  durch  wiederholte  tiefe  Athemzüge  veranlassen.  Energischere 
Mittel  sind  ein  kalter  Wasserstrahl  auf  die  Magengegend,  leichte  narkotische 
Inhalationen,  Sinapismen  und  heisse  Schwämme  auf  den  Hals,  Cocainisirung 
des  Kehlkopfes,  Compression  der  beiden  Vagi  u.  a.  Bei  lebensgefährlichem  Glottis- 
verschlusse  treten  die  Intubation  und  die  Tracheotomie  in  ihre  Rechte. 

IL  Laryiixkrisen  {Acces  larynges). 

Dieser  Ausdruck  darf  keineswegs  im  Sinne  eines  kritischen  Abfalles, 
sondern  nur  in  jenem  eines  plötzlichen  Ereignisses  aufgefasst  werden.  Er 
bezeichnet  eine  besonders  der  Tabes  dorsalis  eigenthümliche  Neurose  des 
Kehlkopfes  mit  den  Elementen  des  Hustens  und  des  respiratorischen  Glottis- 
krampfes und  wird  unter  dem  Sticliworte  ^^Larynxkrisen''^  im  Speciellen 
behandelt. 

III.  Der  inspiratorische,  functionelle  Stimmritzenkrampf. 

Gleich  dem  klonischen  Stimmritzenkrarapf  der  Neugeborenen  und  Säug- 
linge besteht  diese  seltene  Affection  darin,  dass  die  Stimmbänder  in  einer 
ganz  perversen  Weise  während  der  Inspiration  sich  einander  nähern,  statt  sich 
von  einander  zu  entfernen. 

Aetiologie:  Aengstliche  Patienten  können  einen  gleichen  Befund 
während  der  Spiegeluntersuchung  aufweisen.  Das  Leiden  betrifft  hauptsächlich 
jüngere  weibliche  Personen  mit  anderen  Anzeichen  der  Hysterie.  Es  ist 
manchmal  im  Anschluss  an  Gemüthsbewegungen  und  einmal  als  Frühsymptom 
der  multiplen  Sklerose  beobachtet  worden.  Pathogenetisch  ist  anzunehmen, 
dass  eine  Miterregung  des  Centrums  für  die  Glottisverengerer  durch  solche 
periphere  Reize  stattfindet,  welche  normalerweise  durch  die  Vagusbahn  nur 
zum  Centrum  für  die  weniger  kräftigen  Glottiserweiterer  gelangen  sollten. 

Symptome:  Der  raschen  Entwicklung  gehen  gewöhnlich  keine  Vorboten 
voraus.  Es  besteht  ein  geräuschvoller  Stridor,  in  schweren  Fällen  sogar 
eine  hochgradige  Dyspnoe  bei  freier  Exspiration  und  Sprache.  Der 
Grad  der  Dyspnoe  ändert  sich  häufig  bei  demselben  Individuum;  vor  allem  ist 


GLOTTISKRÄMPFE.  169 

die  Schlafenszeit,  vielleicht  mit  Ausnahme  schwerer  Träume,  gänzlich  ver- 
schont. Gefährlich  wird  der  Zustand  bei  Umwandlung  in  dauernden  Glottis- 
schluss  und  bei  Combination  mit  der  nächstfolgenden  Neurose. 

Die  Diagnose  ist  leicht  zu  machen,  da  das  Freibleiben  der  Athmung 
im  Schlafe  und  die  laryngoskopisch  festzustellende  Erweiterung  der  Glottis  in 
der  Inspiration  die  Posticuslähmung  ausschliessen  lässt. 

Prognose:  Es  tritt  fast  stets  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  plötzliche 
Heilung  ein,  die  allerdings  häutig  nur  von  kurzer  Dauer  ist. 

Die  Therapie  bedient  sich  besonders  der  antihysterischen  Heilmittel 
und  der  Galvanisation  des  Kehlkopfes. 

IV.  Der  phonische,  functionelle  Stimmritzenkrampf  (Äphonia  spastka, 
Äphthongia  spasiica  laryngealis). 

Auch  dieser  Krampf  ist  selten.  Bei  ihm  ziehen  sich  die  Glottisschliesser, 
sowie  der  Patient  sprechen  will,  übermässig  zusammen,  so  dass  den  Stimm- 
bändern die  Möglichkeit  zu  schwingen  benommen  wird. 

Aetiologie:  Es  erkranken  fast  nur  Männer  und  zwar  hauptsächlich 
Berufsredner.  Als  Ursachen  werden  Hysterie,  Neurasthenie,  vorher- 
gegangene Katarrhe,  Ueberanstrengung  der  Stimme  angegeben;  betreffs 
letzterer  ist  Semon's  Beobachtung  höchst  wichtig,  dass  alle  seine  derartigen 
Patienten  beim  probeweisen  Vorlesen  viel  zu  selten  Athem  schöpften  und  da- 
her offenbar  zu  andauernd  ihre  Glottisschliesser  wie  auch  ihre  exspiratorischen 
Kräfte  in  Anspruch  nahmen;  er  stellt  die  Affection  daher  in  eine  Linie  mit 
der  spastischen  Form  des  Schreibkrampfes  und  anderen  coordinatorischen 
Beschäftigungsneurosen. 

Die  Symptome  sind  folgende:  Anfangs  stellt  sich  nach  längerem 
Gebrauche  der  lauten  Stimme  nur  eine  vorzeitige  Ermüdung  oder  ein  gepresster 
Klang  derselben  ein;  ganz  allmählich  kommt  es  zu  einer  doppelten  Phonirung 
der  Vocale  und  zur  Zerlegung  der  Diphthonge,  noch  später  zu  einem 
Abbrechen  der  Stimme  nach  kurzen  Sätzen  oder  einzelnen  Lauten;  endlich 
kann  überhaupt  keine  laute  und  in  einzelnen  Fällen  sogar  keine  Flüster- 
sprache mehr  gesprochen  werden,  ja  selbst  durch  Husten,  Lachen  und  forcirte 
einfache  Exspiration  der  Krampf  zur  Auslösung  kommen.  An  letzterem  können 
sich  noch  andere  Muskeln,  z.  B.  die  des  Gesichtes  und  Halses,  betheiligen. 
Die  Inspiration  pflegt  frei  zu  sein.  Besonders  muss  bemerkt  werden,  dass 
Anstrengungen  zu  sprechen  den  Krampf  nur  verstärken. 

Die  Diagnose   ist   in   ausgebildeteren  Fällen   leicht   zu    stellen. 

Die  Prognose  liest  man  bald  recht  pessimistisch,  bald  indes  soweit  gün- 
stiger gestellt,  als  es  nach  längerer  Zeit,  die  oft  mehrere  Jahre  beträgt, 
meistens  zur  Heilung  kommen  soll. 

Die  Behandlung  hat  vor  allem  den  Stimmgebrauch  absolut  zu  ver- 
bieten. Die  meisten  Heilungen  scheinen  durch  complicirte  Athem-  und 
Sprechübungen  erzielt  worden  zu  sein,  welche  Jonquiere  noch  besonders  mit 
Compression  des  Hypogastriums  (Ovarialgegend)  verbindet. 

V.  Der  nervöse  Husten  oder  nervöse  Kehlkopfhusten. 

Vom  gewöhnlichen  und  Keuchhusten  unterscheidet  er  sich  dadurch,  dass 
er  nicht  mit  nachweisbaren  physikalischen  Veränderungen  der  Athmungs- 
organe  zusammenhängt,  sondern  durch  andere  periphere  oder  auch  centrale 
Reizungen  des  Hustencentrums  verursacht  wird. 

Die  hustenerzeugenden  Pieize  können  vom  Auge,  dem  Ohre,  besonders 
dem  äusseren  Gehörgange  mit  seinem  Ramus  auricularis  vagi,  der  Nase  und 
dem  Rachen,  dem  Kehjkopfe,  den  Eingeweiden  des  Rumpfes,  den  Genitalien 
ausgehen;  nur  betreffs  des  Magens  sind  die  Ansichten  entschieden  getheilt. 
Von  pathologischen  Zuständen  werden  Bronchialdrüsentumoren,  Neuritis  des 
Vagus,   Krebs   der  Trachea,   Aortenaneurysmen,   Eingeweidewürmer,    Entzün- 


170  GLOTTISKEÄMPFE. 

düngen  der  Leber,  Milz  und  Blase,  Cholelithiasis,  verschiedene  weibliche 
Genitalleiden  angeschuldigt.  Recht  häufig  verursachen  die  vier  verschiedenen 
Mandeln  den  nervösen  Husten,  am  allerhäutigsten  wird  wohl  der  Zusammen- 
hang mit  Nasenaffectionen  und  mit  Concrementen  im  äusseren  Gehörgange, 
und  zwar  durch  den  Erfolg  der  localen  Behandlung,  erwiesen.  Den  bekann- 
ten Bellhusten  in  der  Pubertätszeit  beider  Geschlechter  (Cynobex  hebetis) 
führt  man  gewöhnlich  auf  das  rasche  Wachsthum  des  Kehlkopfes  und  die 
erhöhte  Nervenerregbarkeit  jener  Lebensepoche  zurück;  Scheck  gibt  aber  an, 
ihn  sehr  häufig  bestimmt  durch  Onanie  und  andere  geschlechtliche  Erregun- 
gen entstehen  gesehen  zu  haben.  Sonst  spielen  in  der  Aetiologie  noch 
die  Anämie  und  Chlorose,  Neurasthenie,  Hysterie,  Epilepsie,  Chorea,  Tabes, 
psychische  Eindrücke  und  —  die  Nachahmung  eine  Rolle,  nicht  aber  die 
Jahreszeit  und  Witterung.  Die  Erkrankten  sind  zumeist  jugendliche  Individuen, 
bis  zu  fünf  Jahren  herab. 

Betreffs  der  Pathogenese  meint  Stkl-bing,  dass  der  Hustenrefiex  infolge 
Reizung  beliebiger  peripherer  Zonen  stets  dann  eintritt,  wenn  einmal  eine 
gesteigerte  Erregbarkeit  des  Nervensystemes  und  zweitens  eine  gleichzeitige 
Erregung  des  Hustencentrums  oder  der  Hustenreflexbahnen  durch  bestehende 
oder  kurz  vorher  abgelaufene  Schleimhauterkrankungen  der  Luftwege  vor- 
handen ist. 

Es  werden  zwei  Formen  des  nervösen  Kehlkopfhustens  unterschieden: 

1.  Die  paroxysmale.  Sie  ist  weit  seltener  aber  viel  heftiger  (bis  zu 
130  Hustenstössen  in  der  Minute),  kann  vom  Patienten  nicht  unterdrückt  werden 
und  kehrt  mehreremal  im  Tage,  oft  zu  bestimmten  Stunden,  wieder.  Sie 
cessirt  im  Schlafe  vollkommen.  Akustische  Eigenthümlichkeiten  pflegen  zu 
fehlen. 

2.  Die  continuirliche,  rhythmische.  Es  wird  jede  oder  auch  jede 
zweite  Exspiration  von  einem  Hustenstosse  begleitet;  während  des  Essens, 
Sprechens,  Schlafens,  Laryngoskopirens  und  auch  spontan  für  einige  Minuten 
pflegt  eine  Unterbrechung  einzutreten.  Manchmal  gelingt  es  dem  Willens- 
einflusse, eine  Milderung  herbeizuführen.  Das  Reizgefühl  wird  häufig  dicht 
unter  den  Kehlkopf  verlegt.  Es  können  Contractionen  der  mimischen  Gesichts- 
muskeln die  Hustenanfälle  begleiten.  Fast  alle  Autoren  stellen  die  Schädigung 
des  Allgemeinbefindens  und  die  subjectiven  Beschwerden  als  erstaunlich  gering 
hin.  Der  continuirliche  Husten  besitzt  in  vielen  Fällen  einen  auffällig  lauten 
und  brüllenden,  bellenden  oder  sonstwie  die  Umgebung  höchst  belästigenden 
Klang,  welcher  nach  Jurasz  einer  mangelhaften  Spannung  der  Stimmbänder 
und  vielleicht  einer  Betheiligung  der  Taschenbänder  seine  Entstehung 
verdankt. 

Die  Diagnose  ist  bei  der  paroxysmalen  Form  keineswegs  leicht,  da 
Entzündungen  der  Luftwege  nur  schwer  auszuschliessen  sind  und  auch  beim 
nervösen  Husten  Schleim  ausgeworfen  werden  kann.  Im  Anfange  der 
Phthise,  vor  dem  Auftreten  sicherer  physikalischer  Erscheinungen,  kann 
ebenfalls  ein  sehr  heftiger  Husten  mit  den  Merkmalen  eines  nervösen  sich 
einstellen;  es  sind  indes  bei  ersterem  die  Intervalle  nicht  ganz  frei. 

Die  Prognose  ist  bezüglich  des  schliesslichen  Aufhörens  des  Hustens 
im  allgemeinen  günstig;  es  können  allerdings  bis  dahin  Wochen  und  selbst 
Jahre  vergehen.    Recidive  sind  sehr  häufig. 

Die  Therapie  kann  gegen  Mandelconcremente,  Fremdkörper  im 
Gehörgange,  Nasenleiden,  geschlechtliche  Unarten  etc.  causal  vorgehen. 
Von  dem  neurologischen  Heilapparate  sind  das  Änüpyrin  und  die  neuestens 
von  Semon  eindringlichst  empfohlenen  Reisen  auf  deiji  Meere  hervorzuheben. 

Einebesonder  eArt  des  nervösen  Kehlkopf  hustens  ist  von  v.  Schrötter 
„C/wrm  laryngis'^  benannt  worden.  Dieselbe  befällt  zartere  Individuen  jugend- 
lichen Alters,  besonders  Knaben  von  8—14  Jahren,  zeichnet  sich  durch  einen 


GLOTTISÖDEM.  171 

ganz  besonderen,  oft  beinahe  musikalischen  Klang  des  Hustens  aus  und  ist 
mit  eigenthümlichen  Contractionen  anderer  Muskeln,  z.  B.  Runzeln  der  Stirne, 
Schütteln  des  Kopfes  verbunden;  manchmal  kommt  sie  vor  oder  nach  der 
gewöhnlichen  Form  der  Chorea  zur  Erscheinung.  —  Es  wird  übrigens  die 
Bezeichnung  Chorea  laryngis  für  ganz  verschiedene  Affectionen  gebraucht. 

VI.  Kehlkopfschwindel,  Ictus  larynfßs,  Vertigo  laryngea,  ist  unter  die- 
sem letzten  Stichworte  besonders  behandelt,  bergeat. 

Glottisödem.  Die  Bezeichnung  „Oedema  glottidis"  gilt  wissen- 
schaftlich für  veraltet,  seitdem  man  erkannt  hat,  dass  die  Stimmritze  nur 
in  seltenen  Fällen  der  Sitz  des  Oedemes  ist,  und  dass  auch  dann  fast  nie  das 
Stimmband  selbst,  sondern  nur  seine  obere  oder  untere  Fläche  in  Fortsetzung 
eines  Oedemes  der  Subglottis  oder  des;  Sinus  Morgagni  infiltrirt  ist.  Man 
spricht  heutzutage  nur  mehr  von  ^^Oedema  laryngis'-''  und  im  einzelnen  von 
„Oedema  epiglottidis,  sinus  Morgagni  etc." 

Man  versteht  unter  Oedema  laryngis  die  Schwellung  umschrie- 
bener oder  ausgedehnterer  Partien  des  Kehlkopfes  infolge 
einer  serösen  Infiltration  der  Schleimhaut  und  des  submu- 
cösen  Zellgewebes.  Die  früheren  Autoren  seit  Anfang  des  Jahrhunderts 
haben  jeweils  eine  einseitige  Auffassung  von  seiner  nicht  entzündlichen  oder 
entzündlichen  Natur  gehabt  und  in  letzterer  Beziehung  zur  Definition  die 
Bezeichnungen  Angina  laryngea,  oedematosa,  Laryngitis  oedematosa,  L. 
submucosa  purulenta  und  seropurulenta,  L.  phlegmonosa  gewählt.  Allmählich 
ist  die  Erkenntnis  von  dem  verschiedenen  Charakter  und  der  mannigfaltigen 
Aetiologie  der  Oedeme  durchgedrungen;  dennoch  ist  bislang  keine  präcisere 
System atisirung  als  nach  dem  mehr  minder  acuten  Verlaufe  versucht  wor- 
den, vielmehr  hat  man  sich  darauf  beschränkt,  die  erysipelatös-phlegmonösen 
Laryngitiden  etwas  zu  sondern  und  hinter  dem  verrätherischen  Oedeme  nach 
der  jeweiligen  eigentlichen  Erkrankung  zu  forschen.  Einen  nützlichen  Vor- 
schlag zur  Eintheilung  hat  nun  Kuttner  gemacht,  nämlich,  wenn  überhaupt, 
so  höchstens  den  einfachen  und  Stauungsödemen  die  Bezeichnung  „Larynx- 
ödem"  zu  belassen,  den  entzündlichen  (infectiösen  und  nichtinfectiösen)  aber 
vorerst  die  allgemeine  Bezeichnung  ^^Laryngitis  suhmucosa  acuta^^  beizulegen. 

Man  hat  eine  Menge  von  Ursachen  für  die  Entstehung  von  Lar}Tix- 
ödemen  kennen  gelernt,    welche  verschiedene  Gruppen  bilden.    Es  sind  dies: 

die  Stauungen,  entweder  local  irgendwo  im  Gebiete  der  Vena  jugu- 
laris  communis  bis  zu  den  Venae  laryngeae  oder  infolge  von  allgemeinen 
Kreislaufstörungen  (Parotissschwellung,  Struma,  Lymphdrüsenknoten,  Oeso- 
phaguscarcinom,  Operationsnarben,  Aortenaneurysma  —  Herzkrankheiten, 
Lungenemphysem,  Lebercirrhose) ; 

die  kachektische  Beschaffenheit  des  Blutes  und  der  Gefässe  (Hydrämie 
und  Anämie,  acute  und  chronische  Nierenleiden,  Malariakachexie,  Recon- 
valescenz  vom  Typhus); 

traumatische  Ursachen,  und  zwar  sowohl  mechanische  (Verwundungen 
der  Weichtheile  und  Fracturen,  Quetschungen,  Schnittwunden  der  Knorpel  des 
Kehlkopfes,  Reizung  durch  Fremdkörper  von  mitunter  nur  ganz  geringer 
Grösse,  wie  etwa  durch  eine  Tabakrispe,  ja  angeblich  selbst  einfache  Pinse- 
lungen des  Kehlkopfes,  gleichgiltig  mit  welchem  Medicamente),  als  auch 
kaustische  (heisse  Ingesta,  heisse  Luft,  besonders  bei  Kleiderbränden,  Säuren 
und  Laugen,  Ammonium  causticum); 

Entzündungen  am  Kehlkopfe  selbst  oder  in  dessen  Umgebung  und 
Lymphgefässbezirke  (Perichondritis  und  Synovitis  auch  infolge  des  Tiefer- 
dringens bösartiger  Geschwülste,  Infectionen  und  Erosionen  im  Kehlkopfe, 
manchmal  schon  der  einfache  Kehlkopfkatarrh;  Entzündungen  der  Parotis  und 


172  GLOTTISÖDEM. 

Schilddrüse,  der  Lymphdrü-sen  und  Wirbel  des  Halses,  der  Zunge,  des  Unter- 
kiefers, des  Rachens); 

die  „specifischen"  Geschwüre  bei  Syphilis  und  Tuberkulose  (auch  Tuber- 
kulin hat  ganz  ähnliche  Erscheinungen  hervorgebracht); 

acute  Infectionskrankheiten  (Pyämie,  Septikäniie,  ulceröse  Endocarditis, 
Typhus,  Variola,  Scarlatina,  Morbilli,  Erysipelas,  Cholera  (Scheötter),  Influenza. 

Als  ätiologisch  isolirte  Arten  von  Oedemen  stellen  sich  derzeit  noch 
das  „angioneurotische"  (Strübing)  und  das  „Jodödem"  dar. 

Das  angioneurotische  Oedem  tritt  ohne  jede  nachweisbare  Ursache 
auf.  Seine  grösste  Eigenthümlichkeit  ist,  dass  es  stets  einem  acuten  umschrie- 
benen Hautödeme  vorangeht  oder  auch  nachfolgt.  Manchmal  ist  es  von  Darm- 
erscheinungen, von  Somnolenz  oder  psychischen  Affecten  begleitet.  Virchow 
hält  es  für  einen  Rothlauf,  andere  erklären  es  für  eine  von  bestimmten  Ner- 
venbezirken abhängige  vasomotorische  Reizung. 

Das  Jodödem  wird  nicht  häufig  und  meistens  nur  zufällig  beobachtet, 
hat  aber  in  einzelnen  Fällen  schon  innerhalb  weniger  Stunden  zur  Tracheo- 
tomie  geführt.  Es  tritt  manchmal  schon  nach  ganz  kleinen  Mengen  Jod- 
kalium, etwa  1  Gramm,  und  selbst  erst  einige  Zeit  nach  dem  Aussetzen  des- 
selben auf.  Die  näheren  Umstände  bei  seinem  Entstehen  sind  bisher  gänz- 
lich in  Dunkel  gehüllt. 

Noch  sind  einige  Ausdrücke  zu  erklären,  welche  zur  Aetiologie  in 
Beziehung  stehen.  „Symptomatische  (Hajek)  oder  secundäre  (Gottstein) 
Oedem e"  sind  jene  in  der  Umgebung  specifischer  Geschwüre  und  perichon- 
dritischer  Herde;  „fortgeleitet"  sind  die  Oedeme  in  der  äussersten  Peripherie 
von  Entzündungsherden  (Hajek),  „idiopathisch"  jene,  für  welche  wir  ein  ander- 
weitiges Grundleiden  nicht  verantwortlich  machen  können.  Es  gibt  Autoren, 
welche  nicht  geneigt  sind,  ein  idiopathisches  Kehlkopfödem  anzuerkennen. 

Nach  Alter  und  Geschlecht  sind  die  Erkrankten  nur  selten  Kinder, 
meistens  dagegen  Männer  im  18. — 50.  Jahre. 

Pathologisch-anatomisch  ist  das  einfache  Oedem,  aus  seröser  Flüssig- 
keit mit  nur  wenigen  gerinnbaren  und  zelligen  Stoffen  bestehend,  und  das 
entzündliche,  mit  einem  grossen  Reichthum  an  granulirter  Substanz  und 
zahlreichen  mit  Hämatoxylin  nicht  zu  färbenden  Lymphkörperchen,  zu  unter- 
scheiden. In  späteren  Stadien  der  Entzündung  kann  es  an  den  Stellen  des 
initialen  Oedems  zu  Eiterbildung  oder  zur  Proliferation  von  Bindegewebe 
(„chronisches  Oedem")  kommen.  Der  Unterschied  in  der  Zusammen- 
setzung der  Infiltrationsmasse  erklärt  es,  warum  man  bei  den  Sectionen  die 
Oedeme  in  ungleichem  Maasse  collabirt  findet  und  warum  ausgeschnittene 
Stücke  oder  scarificirte  Stellen  eine  prompte  locale  Serumabgabe  bald  zeigen, 
bald  selbst  unter  Fingerdruck,  infolge  der  gelatinösen  Gerinnung,  vermissen 
lassen.  Die  Bündel  des  submucösen  Gewebes  sind  hochgradig  auseinander- 
gedrängt, und  ihre  Länge  ist  sehr  maassgebend  für  das  Auftreten  und  die 
Ausdehnung  des  Oedems. 

Ueber  die  Form  und  Localisation  der  Kehlkopfödeme  haben  Hajek's 
Untersuchungen  mittels  experimenteller  Infiltration  der  Submucosa  die  wert- 
vollsten Aufschlüsse  gebracht.  Es  ist  hieraus  hervorzuheben,  dass  die  Be- 
deckung der  Aryknorpel,  das  aryepiglottische  Band,  die  Subglottis,  der  Sinus 
Morgagni  und  an  der  Epiglottis  die  linguale  Fläche  sowie  der  Petiolus  zur 
hochgradigen  serösen  Infiltration  neigen,  das  Taschenband,  die  laryngeale 
Epiglottisfläche  ausser  dem  Petiolus,  das  Stimmband  und  die  hintere  Kehl- 
kopfwand dagegen  die  Betheiligung  am  allgemeinen  Oedeme  vermissen  lassen, 
was  aber  ihre  Infiltration  bei  localen  Processen  nicht  ausschliesst;  ferner,  dass 
gewisse  Regionen,  z.  B.  die  benachbarten  Partien  der  Zunge  und  des  Isthmus, 
an  vorderen  Kehlkopfödemen  sich  typisch  betheiligen  und  dass  endlich  bestimmte 


.       GLOTTISÖDEM.  173 

Linien  der  Weiterverbreitung  localisirter  Oedeme  hochgradig  hinderlich  sind, 
so  z.  B.  der  Stimmbandrand. 

Laryngoskopisch  stellen  sich  die  Oedeme  verschieden  dar,  bald  als  blass- 
gelbliche, pralle,  gallertig  zitternde,  bald  sogar  als  scharlachrothe,  mit  sehr 
dicker  Schleimhaut  bedeckte  Schwellungen.  In  der  Umgebung  eines  Entzün- 
dungsherdes sind  sie  asymmetrisch  und  localisirt,  bei  allgemeinen  Hydrops 
dagegen  symmetrisch  und  diffus.  Nach  dem  Rückgänge  bleibt  die  Schleim- 
haut für  einige  Zeit  schlaft"  und  gefaltet.  In  der  Talpation  fühlen  sich  die 
ödematösen  Stellen  bald  weich,  bald  auch  ziemlich  derb  an. 

Die  Symptome  variiren  sehr,  je  nach  der  Localisation,  der  Intensität 
und  den  Ursachen. 

Viele  Oedeme  gehen  wieder  zurück,  ohne  irgendwie  lästig  geworden 
zu  sein,  und  werden  nur  zufällig  entdeckt.  Andere,  besonders  durch  Stauung 
entstandene,  bleiben  bei  dem  Fehlen  oder  der  Geringfügigkeit  der  Beschwerden 
—  leichtes  Stechen,  Kratzen,  Fremdkörpergefühl  im  Halse  —  ebenfalls  lange 
unbeachtet.  Entzündliche  pflegen  frühzeitig  mindestens  Schlingbeschwerden 
zu  verursachen,  welche  sich  von  jenen  bei  Angina  faucium  nicht  unterschei- 
den lassen.  Stimmstörungen  sind  ziemlich  constant  bei  Epiglottisödem,  doch 
tragen  diese  ein  einfach  anginöses  Gepräge;  wirkliche  Heiserkeit  wird  durch 
Schwellung  der  MoRGAGNi'schen  Taschen  und  der  Stimm-  und  Taschenbänder 
hervorgebracht.  Eine  für  Oedem  charakteristische  Stimme  gibt  es  wohl  nicht; 
sie  wird  nur  als  rauher,  tiefer  und  schnarrend  geschildert.  Husten  und  wirk- 
licher Schmerz  werden  durch  das  Oedem  an  sich  nicht  hervorgebracht,  Fieber, 
und  Schüttelfröste  sind  vorhanden  bei  allgemeinen  Infectionen,  welche  gelegent- 
lich auch  den  Kehlkopf  als  Eingangspforte  benützen  können,  wie  das  Erysipel. 

Jenes  Symptom,  welches  die  aufmerksamste  Beachtung  erheischt,  ist  die 
Dyspnoe.  Sie  tritt  dann  auf,  wenn  die  inneren  Theile  des  Kehlkopfes 
ergriffen  werden,  und  ist  bei  genügender  Schwellung  der  aryepiglottischen 
Falten  inspiratorisch,  der  Stimmbänder  und  Subglottis  in-  und  exspiratorisch. 
Obwohl  sie  meist  langsam  und  gleichmässig  zunimmt,  gibt  es  doch  genug 
Beobachtungen,  dass  nach  längerem  harmlosen  Bestehen,  wie  bei  Stauungen, 
und  sogar  aus  vollkommener  Gesundheit  heraus,  etwa  durch  die  Einspiessung 
eines  Fremdkörpers,  in  wenigen  Stunden  ein  Larynxödem  zur  Tracheotomie 
oder  zum  Tode  führen  kann. 

Die  Diagnose  ist  eigentlich  nur  laryngoskopisch  zustellen;  höchstens 
die  Epiglottis  mag  einzelne  Male  über  dem  niedergedrückten  Zungengrunde 
sichtbar  werden.  Die  Palpation  für  sich  allein  ist  ganz  unzuverlässig,  die 
Sondirung  neben  der  Spiegeluntersuchung  kann  aber  zur  Unterscheidung  von 
flachen  Tumoren  Dienste  thun.  Es  sollte  jeder  Patient  mit  Angina  faucium 
grundsätzlich  laryngoskopirt  werden,  um  eine  Gefahr  rechtzeitig  zu  erkennen. 
Nöthig  ist  es,  der  Ursache  eines  vorhandenen  Kehlkopfödemes  nachzuforschen, 
weil  dasselbe  das  erste  Merkmal  eines  inneren,  mit  Stauung  verbundenen 
Leidens  und  von  Kehlkopfgeschwüren,  Perichondritis  u.  a.  sein  kann.  Die 
Constatirung  von  Fieber  und  Schüttelfrösten  weist  auf  acute  Infection  hin. 

Die  Prognose  ist  sehr  verschieden.  Gerade  die  Oedeme  des  Kehl- 
kopfes infolge  allgemeiner  Stauung  sind  oftmals  die  ersten,  welche  sich  bei 
der  Behandlung  verlieren.  Oedeme  bei  Abscessbildung  verschwinden  gewöhnlich 
rasch  nach  der  Eiterentleerung;  im  übrigen  aber  sind  jene  bei  Infectionen 
sehr  vorsichtig  zu  beurtheilen. 

Die  Therapie  kann  causal  durch  Sistirung  des  Jodgebrauches,  Regu- 
lirung  der  Circulationsstörungen,  baldigste  Eröffnung  von  Abscessen  und  bei 
möglicherweise  vasomotorischen  Störungen  durch  Nervina  zu  helfen  versuchen. 

Symptomatisch  kommen  vor  allem  Eis  in  äusserlicher  und  innerlicher 
Anwendung,  dann  Narkotica  in  Form  von  Cocaineinträufelungen  oder  von 
Arznei  zur  Bekämpfung  des  congestionirenden  Hustens  und  Würgens,  sowie 


174  GÜMMÄTA  LARYNGIS. 

der  ganze  Apparat  der  auf  die  Haut  und  den  Darm  ableitenden  Mittel 
in  Betracht.  Als  letztere  werden  genannt:  PEiESSNiTz'sche  Umschläge, 
möglichst  heisse  Schwämme  auf  die  Vorderseite  des  Halses,  grosse  Vesicatore 
und  Sinapismen  nacheinander  bis  zur  Wade  herab  gesetzt,  heisse  Vollbäder. 
Bei  geeigneten  Individuen  kann  Pilocarpin  oder  locale  Blutentziehung  durch 
eine  grössere  Anzahl  von  Blutegeln  uud  Schröpfköpfen  nützlich  sein.  Von 
Adstringentien  ist  jedenfalls  in  der  ersteren  Zeit  Abstand  zunehmen, 
da  durch  den  verursachten  Reiz  zum  Husten  und  Würgen  eine  Verschlimme- 
rung herbeigeführt  wird.  Das  Wegdrücken  der  ödematösen  Flüssigkeit  ist 
ganz  ohne  Wert.  Bei  verunreinigten  Geschwüren  des  Kehlkopfes  und  seiner 
Umgebung  können  desinficirende  Sprays  und  Pulver  von  Nutzen  sein. 

Instrumentelle  Eingriffe  sind  die  Scarification,  die  Einführung  von 
Röhren  in  den  Kehlkopf  und  die  Tracheotomie.  Die  Scarification  an  der 
Epiglottis  kann  nach  Lisfranc  direct  mit  dem  umwickelten  Bistouri,  sonst 
aber  unter  Laryngoskopie  mit  Kehlkopfmessern  ausgeführt  werden;  man  macht 
einfach  an  den  stärkst  geschwollenen  Stellen  einige  seichte  Einschnitte,  am 
besten  von  innen  nach  aussen,  darf  sich  aber  keinen  grossen  Hoffnungen  auf 
den  Erfolg  der  Operation  hingeben.  Die  Einlegung  von  Kathetern,  Hohl- 
bougies  und  Tuben  ist  bei  höheren  Graden  der  Verschwellung  im  Kehlkopf- 
innern  mitunter  technisch  unmöglich;  sie  hat  fast  nur  insoferne  Wert,  als 
Zeit  für  die  Tracheotomie  zu  gewinnen  ist,  nachdem  die  Instrumente  gewöhn- 
lich selbst  vom  cocainisirten  Kehlkopfe  nicht  lange  ertragen  werden  und  das 
Oedem  in  der  Umgebung  der  gedrückten  Stellen  vergrössern.  Die  Tra- 
cheotomie soll  bei  Dyspnoe,  besonders  wenn  die  Patienten  nicht  unter 
fortwährender  ärztlicher  Aufsicht  sich  befinden,  frühzeitig  gemacht  werden, 
weil  eine  ganz  plötzliche  Steigerung  des  Oedems  in  jedem  Falle  möglich  ist. 

BERGEAT. 

Gummata  laryngis.  (Gummen  im  KehUwp/e.)  Aetiologie.  Die  gum- 
mösen Erkrankungen  der  Larynx  werden  im  allgemeinen  zu  den  sogenannten 
Spätformen  der  Syphilis  gezählt,  weil  sie  sich,  mit  wenigen  Ausnahmen,  erst 
in  den  späteren  Stadien  der  Krankheit  melden.  Sie  werden  relativ  selten 
beobachtet,  da  Localisationen  der  Syphilis  im  Kehlkopfe  schon  an  und  für 
sich  selten  sind.  Nach  den  Angaben  von  Lewin,  Schrötter  und  Mackenzie 
dürfte  der  Procentsatz  der  schweren  Syphilisformen  des  Larynx,  welche  gröss- 
tentheils  doch  aus  gummösen  Erkrankungen  bestehen,  auf  100  Fälle  von  Syphilis 
gerechnet  l"2°/o  und  auf  100  Kehlkopferkrankungen  gerechnet  l"67o  ausmachen. 

Pathologie,  Anatomie  und  Histologie.  Eine  Prädilectionsstelle  der 
Gummata  kennen  wir  nicht;  sie  sind  in  allen  Theilen  des  Kehlkopfes  und 
ungefähr  in  der  gleichen  Häufigkeit  beobachtet  worden.  Die  Bedingung  ihres 
Vorkommens  ist  blos  das  Vorhandensein  von  gefäss-  und  drüsenreichem  Binde- 
gewebe, sie  können  sich  also  in  der  Submucosa  des  Kehlkopfes  überall  ent- 
wickeln. 

Die  Form  betreffend  können  wir  die  gummösen  Processe  der  Larynx  im 
Einklänge  mit  Lewin  in  drei  Gruppen  eintheilen: 

1.  Das  klein-nodulöse  Kehlkopfsyphilid.  Diese  Form  ist, 
wie  es  auch  der  Name  zeigt,  durch  das  Auftreten  von  kleinen  Knoten  charak- 
terisirt,  welche  schrott-  bis  erbsengross  und  scharf  abgegrenzt  sind,  etwas 
das  Niveau  der  Umgebung  überragen  und  so  nahe  aneinander  gelagert  sind, 
dass  sie  bisweilen  beinahe  zu  confluiren  scheinen.  Sie  sind  anfangs  mit 
normal  gefärbter  Schleimhaut  überzogen,  welche  vor  dem  gewöhnlich  bald 
eintretendem  Zerfalle  gelblich  durchschimmernd  wird.  Die  Neigung  zur  ober- 
flächlichen Ulceration  ist  gewöhnlich  gross,  die  Geschwüre  können  sich  bedeu- 
tend ausbreiten  und  auch  zu  tieferen  Zerstörungen  führen. 


GUMMATA  LARYNGIS.  175 

2.  Die  diffusen  Infiltrate  von  gummösem  Charakter  bilden 
die  häufigst  gefundene  Form  der  Larynxgummen.  Sie  grenzen  sich  von  der 
Umgebung  schärfer  ab,  als  das  klein-nodulöse  Syphilid,  sind  geringer  an 
Umfang,  zeigen  vor  dem  Zerfalle  an  ihrer  Oberfläche  eine  ausgebreitete  Ver- 
fettung, sehen  grauweiss  aus,  zerfallen  erst  oberflächlich,  die  Geschwüre 
ändern  aber  sehr  bald  ihren  Charakter,  gehen  schnell  in  die  Tiefe,  bis  sie 
die  Knorpelhaut  und  Knorpel  erreichen.  Diese  Infiltrate  treten  mit  Vorliebe 
an  der  Epiglottis  auf  und  führen  zu  umfangreichen  Zerstörungen,  nicht  selten 
zum  totalen  Verluste  dieses  Knorpels.  In  zweiter  Heihe  bilden  Taschenbänder 
und  Stimmlippen  den  Lieblingssitz  der  Krankheit  und  werden  durch  die  Ulcera- 
tionsprocesse  derartig  zerstört,  dass  kaum  Reste  zurückbleiben.  Stenosen  nach 
der  Vernarbung  sind  das  gewöhnliche  Product  von  diesen  Infiltraten.  Auch  kön- 
nen sich  solche  Infiltrate  über  den  ganzen  Kehlkopf  ausbreiten  und  ihn  derart 
verunstalten,  dass  von  der  ursprünglichen  Form  nichts  mehr  tibrig  bleibt; 
durch  Infiltrate  und  Geschwüre  wird  der  Kehlkopf  in  dieselbe  formlose 
Geschwulstmasse  umgestaltet,  wie  wir  es  bei  Lepra  oder  vorgeschrittener 
Carcinose  zu  sehen  bekommen. 

3.  Grosse  circumscripte  Gummaknoten  gehören  zu  den  alier- 
seltensten  Befunden  am  Kehlkopfe.  Lewin  wollte  zwar  die  Möglichkeit  des 
Vorkommens  nicht  in  Abrede  stellen,  hielt  aber  sein  Urtheil  über  diese  Affec- 
tion  einstweilen  noch  in  der  Schwebe,  da  er  noch  keinen  charakteristischen 
Fall  zu  sehen  bekommen  hat.  Es  dürften  auch  die  meisten  beschriebenen 
Fälle  mehr  zu  den  schon  genannten  zwei  Formen  der  gummösen  Erkran- 
kungen gezählt  werden. 

Diese  grossen  Gummata  müssen,  um  zu  dieser  Gruppe  gezählt  zu  werden, 
von  den  zwei  anderen  Formen  deutlich  getrennt  werden  können.  Sie  zeigen 
deutlich  den  Geschwulstcharakter,  sind  kirschen-  bis  nussgross,  gut  um- 
schrieben, ragen  über  die  Umgebung  bedeutend  hervor,  sind  dunkelroth,  glatt, 
sehr  hart  und  grösstentheils  von  normaler,  höchstens  an  der  Spitze  gerötheter 
Schleimhaut  bedeckt.  Der  geschwürige  Zerfall  tritt  meistens  aus  der  Tiefe 
hervor,  die  Geschwüre  sind  sehr  tief,  scharfkantig,  mit  gelblich-grauweissem, 
etwas  speckigem  dickem  Belage  bedeckt.  Bei  rascherem  Zerfalle  können  auch 
grössere  nekrotische  Gewebsfetzen  auf  einmal  losgelöst  werden.  Bei  der 
Seltenheit  dieser  Affection  dürfte  die  Beschreibung  des  folgenden  charakte- 
ristischen Falles  (vorgestellt  in  der  Gesellschaft  der  ungarischen  Ohren-  und 
Kehlkopfärzte,  am  8.  Februar  1894)  nicht  ohne  Interesse  sein: 

Die  36  Jahre  alte  Patientin  consultirte  mich,  durch  ihren  Mann  begleitet,  am 
1.  Februar  1894  in  meiner  Sprechstunde.  Der  Athem  war  schwer,  mit  starkem  Stridor, 
dabei  konnte  ein  eigenthümliches  Geräusch  wahrgenommen  werden,  als  wie  wenn  sich 
etwas  im  Kehlkopfe  klappenartig  bewegen  möchte.  Die  Frau  war  schon  monatelang 
heiser,  seit  drei  Wochen  aphonisch  und  wurde  wegen  der  steigenden  Dyspnoe  für  herz- 
krank betrachtet  und  mit  Strophantiis  behandelt.  Seit  dieser  Zeit  fühlte  sie  auch  etwas 
Herzklopfen.  Sie  hatte  massige  Schmerzen  hnks  bei  dem  Schlucken.  Mund-  und  Rachen- 
höhle, sowie  Epiglottis  und  Kehlkopfeingang  waren  vollkommen  intact.  Im  Kehlkopfe  sass 
dicht  unter  der  in  toto  ulcerirten  linken  Stimmlippe  eine  nussgrosse,  mit  gerötheter 
Schleimhaut  bedeckte,  harte,  glatte  Geschwulst,  welche  in  der  Mitte  ein  scharfkantiges, 
tiefes,  kraterförmiges,  mit  dickem  grauweissen  Belage  bedecktes  Geschwür  zeigte  und  den 
Einblick  und  Luftzugang  in  die  Trachea  fast  vollständig  versperrte.  Aryknorpel  und  Kehl- 
kopfmotilität  waren  intact.  Das  schon  erwähnte  Geräusch  war  durch  einen  an  den  unteren 
Rand  des  Geschwürs  hängenden,  nekrotischen  Gewebsfetzen  verursacht,  welcher  sich  bei 
der  Respiration  klappenartig  bewegte  und  auf  diese  Weise  durch  Verlegung  des  ohnehin 
engen  Luftweges  zur  Steigerung  der  Athemnoth  nicht  wenig  beitrug. 

Das  Spiegelbild  Hess  das  Vorhandensein  eines  Kehlkopfgumma  mit  ziemlicher  Sicher- 
heit annehmen.  Lues  konnte  zwar  anamnestisch  nicht  nachgewiesen  werden,  ebensowenig 
andere  Locahsationen  der  Krankheit  auf  der  Haut,  an  den  Knochen,  Drüsen  und  in  den 
inneren  Organen;  doch  fehlten  auch  Symptome  einer  anderen  Erkrankung  und  das  eine 
konnte  ich  doch  erfahren,  dass  die  Frau  fünfmal  abortirt  und  einmal  ein  todtes  Kind 
geboren  hat.  Der  Erfolg  einer  energischen  Schmiercur  bestätigte  die  Diagnose;  nach  der 
ersten  Tour  hatte  die  Dyspnoe  bedeutend  nachgelassen,  das  Geschwür  reinigte  sich  und 
zeigte  frische,  rothe  Granulationen.    Nach  vier  Wochen  vernarbte  das  Geschwür  und  ebenso 


176  GUMMATA  LARYNGIS. 

die  xilcerirte  Stimmlippe.     Die  Stimme  blieb  aber  dauernd  heiser  infolge   des  Stimmlippen- 
defectes  und  unter  diesem  Defecte  blieb  eine  strahlenförmige  hypertrophische  Narbe  sichtbar. 

Mikroskopisch  bestehen  die  Gummata  aus  einer  zarten,  gallertigen, 
hier  und  da  faserigen  Intercellularsubstanz  mit  ge wucherten  Zellen,  welche  letz- 
tere aus  Bindegewebe  oder  den  Wandelelementen  der  kleinsten  Blut-  und  Lymph- 
gelasse oder  aus  ausgewanderten  weissen  Blutzellen  hervorgehen  und  das 
Aussehen  von  Granulationszellen  oder  farblosen  Blutkörperchen  darbieten, 
weshalb  auch  die  Gummata  den  Granulationsgeschwülsten,  Granu- 
lomen (YiRCHOw) ,  oder  den  Leukocytomen  (Klebs)  zugereiht  werden. 
Ausserdem  werden  noch  grössere  (epitheloide)  Gebilde  und  Riesenzellen 
gefunden.  Es  besteht  also  eine  Analogie  zwischen  dem  Gummaknoten  und 
solchen  durch  Rotz,  Perlsucht,  Tuberkulose  und  Lepra  bedingten,  und  w^erden 
sie  von  Klebs  alle  mit    dem  Namen   Infectionsgeschwülste  bezeichnet. 

Die  Rückbildung  resp.  Schwund  der  Gummata  kann  auf 
dreifache  Weise  geschehen.  Es  kann  eine  fettige  Degeneration  der  Zellen 
eintreten  mit  nachfolgender  Resorption,  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  die 
zwischenliegenden  physiologischen  Gewebstheile  auch  resorbirt  werden  und  da- 
her je  nach  der  Dauer  des  Bestehens  verschieden  grosse  Verunstaltungen  des 
Kehlkopfes  verursacht  werden.  Die  fettig  degenerirte  Masse  kann  sich  auch 
eiterähnlich  umgestalten,  nach  erfolgtem  Aufbruche  sich  nach  aussen  ent- 
leeren, und  so  zu  einem  Geschwüre  Veranlassung  geben.  Die  dritte  Art 
ist  durch  die  nachträgliche  Schrumpfung  und  schwielige  Umwandlung  der 
umgebenden  Bindegewebsneubildung  bedingt;  die  derartig  eingeschlossene 
Gumma-Geschwulst  wird  sich  dann  käsig  umwandeln  und  kann  dann  wie- 
der unorganisirt  liegen  bleiben,  oder  als  fremder  Körper  eine  nachträgliche 
Eiterung  verursachen  und  unter  Bildung  eines  Geschwüres  mit  callösen 
Rändern  schliesslich  aus  dem  Organismus  ausgestossen  werden  (Lang). 

Die  subjectiveii  und  fiiiictioiielleii  Symptome  sind  von  dem  Sitze  der 
Erkrankung  abhängig.  Es  darf  hier  aber  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  auch 
sehr  schwere,  mit  grossen  Zerstörungen  verbundene  Gummata  lange  Zeit 
hindurch  ohne  subjective  Beschwerden  bestehen  können  und  von  den  Kranken 
nur  sehr  spät  wahrgenommen  werden.  Dieser  Umstand  muss  als  Fingerzeig 
dienen,  die  Spiegeluntersuchung  bei  Syphilis  niemals  zu  unterlassen,  da  das 
frühzeitige  Constatiren  des  Leidens  für  die  einzuleitende  Therapie  und  für 
den  künftigen  consecutiven  Zustand  des  Larynx  von  grosser  Wichtigkeit  ist. 

Rauheit  der  Stimme  und  Heiserkeit  sind  bei  Gummen  und 
Ulcera  der  Stimmlippen  constant  zu  finden,  sowie  auch  bei  Gummen  der 
Interarytaenoidealfalte,  consecutiven  Perichondritiden,  wenn  die  Motilität 
gestört  oder  die  Annäherung  der  Stimmlippen  verhindert  ist.  Grosse  Stimm- 
lippendefecte  oder  Motilitätsstörungen  können  vollständige  Aphonie  ver- 
ursachen. 

Husten  fehlt  oft  vollständig  oder  ist  sehr  gering,  selbst  bei  grossen 
Ulcerationen,  was  dadurch  zu  erklären  ist,  dass  die  sensiblen  Endfasern  der 
Gewebe  auch  nekrotisirt  werden. 

Der  Auswurf  ist  schleimig,  wenn  keine  Ulcera  vorhanden  sind.  Später 
kann  es  durch  die  Geschwürsecrete  einen  schleimig-eitrigen,  blutigen  oder 
fötid-gangränösen  Charakter  annehmen. 

Athembeschwerden  hängen  ebenfalls  von  dem  Sitze  und  der  Grösse 
der  Gummata  ab.  Sie  können  besonders  bei  grossen  Infiltraten  oder  Gummen 
der  Glottis  einen  sehr  drohenden  Charakter  annehmen.  Secundäre  perichon- 
dritische  Processe  verursachen  immer  Athembeschwerden,  welche  sich  leicht 
bis  zur  Suffocation  steigern  können. 

Schmerzen  können  spontan  fehlen  und  auch  bei  dem  Schluckacte  sehr 
massig  bleiben,  besonders  bei  circumscripten  Processen,  aber  auch  bei  tiefen 
Zerstörungen,    wenn    die    sensiblen    Endfasern   mitzerstört    werden,     Druck- 


GUMMATA  LARYNGIS.  177 

empfindlichkeit  ist  aber  ein  constantes  Symptom  der  Larynxgummata.  Bei 
den  Erkrankungen  der  hinteren  Larynxwand  steigern  sich  zuweilen  die 
Schmerzen  bei  dem  Schlucken  derartig,  besonders  bei  Flüssigkeiten,  dass  die 
Kranken  das  Essen  verweigern.  In  solchen  P'ällen  treten  auch  die  bekannten 
stechenden  Schmerzen,  die  bis  zum  Ohr  ausstrahlen,  auf. 

Das  laryng'oskopische  Bild  der  gummösen  Kehlkopfsyphilis  ist  ent- 
sprechend des  drei  erwähnten  Krankheitsformen  und  dem  Sitze  der  Erkran- 
kung ein  sehr  verschiedenes,  Mischformen  gehören  nicht  zu  den  Selten- 
heiten, speciell  bei  einer  grösseren  Ausbreitung  des  Processes. 

1.  Das  klein-nodulöse  Kehlkopfsyphilid:  Die  in  verschiedener 
Anzahl  gewöhnlich  dichtgelagerten  kleinen  Knötchen  sind  von  gerötheter, 
häufig  auch  von  gelblich  durchschimmernder  Schleimhaut  überzogen.  An  den 
Stimmlippen  haben  die  Knötchen  mehr  eine  graue  Farbe,  Taschenbänder 
und  mittlerer  Kehlkopfraum  sind  gleichzeitig  geschwellt  und  injicirt.  (Massei, 
Chiaei.)  Epiglottis,  Stimmlippen  und  Taschenbänder,  sowie  der  hintere  Theil 
des  Kehlkopfes  sind  am  häufigsten  erkrankt.  Die  Ulceration  tritt  sehr  bald  ein, 
nur  selten  sieht  man  die  Knötchen  ohne  jedwede  Erosion;  die  Ulcera  sind  im 
Anfange  oberflächlich,  mit  scharfen  Eändern,  der  Boden  ist  gelbgrau,  etwas 
speckig  durchschimmernd  und  von  einem  ödematösen  Hof  umgeben. 

Die  Verkäsung  und  der  eitrige  Zerfall  scheinen  mehr  von  der  Peripherie 
nach  dem  Centrum,  als  umgekehrt  eingeleitet  zu  werden.  Die  Ulceration 
dringt  erst  allmählich  tiefer.  (Lewin.) 

2.  Die  diffusen  Infiltrate  von  gummösem  Charakter  werden 
zumeist  an  der  Epiglottis  und  an  den  Stimmlippen  gefunden.  Im  nicht 
ulcerirten  Stadium  bilden  sie  ziemlich  scharf  abgegrenzte,  massige  Erhöhungen, 
deren  Schleimhaut  anfangs  lebhaft  injicirt,  später  aber  graugelb  und  schmutzig 
durchschimmernd  ist.  Lewin  fand  sie  vor  dem  Zerfalle  an  der  Oberfläche 
ausgebreitet  verfettet,  mit  einer  fast  grauweissen  Farbennuance.  Je  nach 
dem  Grade  der  Infiltration  behalten  die  Gebilde  gewissermassen  ihr  normales 
Aussehen,  können  aber  auch  in  plumpe  Wülste  (Schrötter)  verunstaltet 
werden.  Am  meisten  leidet  durch  diese  Infiltrate  die  Epiglottis,  welche  oft 
in  einen  unförmlichen  röthlichgelben  Wulst  verwandelt  wird.  Schrötter  hat 
die  Epiglottisinfiltrate  zumeist  am  Petiolartheile  gefunden. 

Die  auftretenden  Defecte  sind  nur  anfangs  oberflächlich,  sie  gehen  sehr 
bald  in  die  Tiefe  und  erreichen  bald  das  Perichondrium  und  den  Knorpel. 
Sie  sind  mit  einem  stark  entzündlichen,  ödematösen  Hofe  umgeben,  sind 
scharfrandig,  wie  herausgeschnitten.  Ihr  Boden  ist  mit  einem  gelblichgrauen 
schmutzigen  Detritus  bedeckt,  nach  dessen  Wegwischen  der  speckige,  leicht 
blutende  Grund  deutlich  sichtbar  wird.  Papillöse  Wucherungen  an  der  Basis 
und  an  den  Geschwürsrändern  sind  keine  Seltenheit  und  können  selbst  nach 
der  Heilung  weiterbestehen.  Die  Epiglottis  wird  durch  diese  Ulcerationen 
zu  einem  dicken,  ödematös  geschwürigen,  starren  Wulste  umgewandelt,  ihre 
Ränder  werden  gezackt,  der  Knorpel  vielfach  perforirt,  und  kann  bei  nicht 
behandelten,  oder  malignen  Fällen  vollständig  zerstört  werden,  dass  auch 
kein  Stumpf  mehr  zurückbleibt.  An  den  Stimmlippen  sieht  man  anfangs 
dicke  rothe,  später  schmutziggraue  geschwürige  Wülste  und  nicht  selten  sehr 
ausgebreitete  Zerstörungen,  vollständige  Defecte.  Schwellungen  der  Knorpeln 
und  Gelenke,  secundäre  Perichondritis  und  Larynxstenose  sind  auch  ein 
häufiger  Befund. 

Bei  Mischformen  oder  ausgebreiteter  Erkrankung  kann  der  Larynxein- 
gang  derart  infiltrirt  sein,  dass  die  Spiegeluntersuchung  unausführbar  ist. 
Am  häutigsten  wird  die  Spiegeluntersuchung  der  Larynxinneren  durch  die 
Miterkrankung  und  Retroflexion  der  ulcerirten  und  ödematösen  Epiglottis  ver- 
hindert. Subglottische  Infiltrate  sind  gewöhnlich  mit  Infiltraten  der  Stimm- 
lippen verbunden  und  führen  zu  den  gefürchtetsten  acuten  Stenosen.    Sie  sind 

Ohren-,  Nasen-,  Eachen-,  Kehlkop£krankheit€n.  12 


178  GUMMATA  LARYNGIS. 

zuweilen  einseitig.  Bei  intacten  Stimmlippen  können  sie  anfangs  das  Bild 
der  hypoglottisclien  Laryngitis  vorspiegeln.  Die  bald  erfolgte  Ulceration  ver- 
hütet die  weitere  Täuschung. 

3.  Grössere,  circumscripta  Gummaknoten,  wenn  sie  noch  nicht 
zerfallen  sind,  erscheinen  im  Spiegel  als  runde,  mit  glatter  blasser  oder 
gerötheter  Schleimhaut  bedeckte,  sich  stark  hervorwölbende  Tumoren,  die 
deutlich  umschrieben  oder  auch  durch  einen  entzündlich  geschwollenen  Hof 
umgeben  sind  und  bei  der  Sondenuntersuchung  sich  hart  anfühlen.  Sie 
scheinen  auch  bald  zu  erweichen,  die  Geschwüre  sind  scharfrandig,  wie  aus- 
geschält, auch  kraterförmig,  der  Boden  ist  speckig,  mit  graugelbem  Eiter  und 
Detritus  bedeckt.  Ob  sie  Perichondritis  verursachen  und  die  Larynxmotilität 
beeinflussen,  das  hängt  von  ihrem  jeweiligen  Sitze  ab.  Bei  raschem  Zerfalle 
können  an  den  Geschwürsrändern  noch  gangränöse  Stücke  haften  bleiben. 

Die  hereditäre  gummöse  Syphilis  des  Kehlkopfes  unter- 
scheidet sich  in  keiner  Weise  von  der  erworbenen,  sie  zeigt  also  die  näm- 
lichen Formen  und  Symptome  und  braucht  deshalb  nicht  besonders  besprochen 
werden. 

Verlauf,  Ausgang  und  Prognose.  Ist  das  Leiden  rechtzeitig  erkannt 
und  behandelt,  so  bietet  die  Krankheit  —  abgesehen  von  den  seltenen  Fällen 
malignen  Charakters  —  dieselbe  gute  Prognose,  wie  alle  anderen  gummösen 
Localisationen  der  Syphilis.  Die  Kehlkopfgummen  sind  in  ihrem  ersten 
Stadium  —  also  solange  keine  Erweichung  und  Zerfall  eingetreten  ist  —  für 
das  Leben  niemals  gefährlich.  Anders  ist  dies  in  den  späteren  Stadien:  nach 
Eintritt  der  Ulceration  können  Entzündung  und  Oedem  der  Nachbartheile, 
oder  Perichondritis  zu  hochgradigen  Larynxstenosen  mit  schnellem  tödlichen 
Ausgange  Anlass  geben.  Bei  Ulcerationen  ist  das  Auftreten  einer  tödlichen 
Blutung  nicht  ausgeschlossen. 

In  Betreff  der  radicalen  Heilung  sind  die  Larynxgummata  den  allge- 
meinen Gesetzen  der  Syphilis  unterworfen.  Recidivfrei  geheilte  Fälle  wurden 
auch  hier  vielfach  beobachtet,  besonders  unter  den  frühzeitig  behandelten, 
indessen  gehören  hier  Recidive  nicht  zu  den  Seltenheiten,  und  es  sind  das 
speciell  die  vernachlässigten  alten  Fälle,  die  zuweilen  jeder  Behandlung  Trotz 
bieten  und  mit  ihren  traurigen  Complicationen  Zeit  und  Geduld  des  Arztes 
jahrelang  beanspruchen. 

Wollen  wir  die  Prognose  nicht  nur  quoad  sanationem,  sondern  auch 
Stimme  und  Respiration  betreffend  genau  aufstellen,  so  müssen  Verlauf  und 
Stadium  des  localen  Processes  berücksichtigt  w'erden.  Eine  Restitutio  ad 
integrum  gehört  hier  zu  den  grössten  Seltenheiten.  Dem  histologischen 
Charakter  der  Gummata  entsprechend  kann  es  als  Gesetz  ausgesprochen 
werden,  dass  an  der  Stelle  eines  geheilten  Gumma  immer  eine  Narbe  zurück- 
bleibt. Nur  kann  diese  Narbe  in  frischen,  bald  behandelten  Fällen  so  unbe- 
deutend sein,  dass  sie  keine  functionellen  Störungen  verursacht,  und  solche 
Fälle  können  gewissermaassen  als  radical  —  und  ohne  Folgen  geheilte  betrachtet 
werden.  Ganz  anders  bildet  sich  die  Prognose  der  geschwürig  zerfallenen 
Gummata.  Hier  hängt  alles  vom  Sitze  und  der  Ausbreitung  der  Geschwüre 
und  von  der  Beschaffenheit  der  später  gebildeten  Narbe  ab.  Nur  die  Geschwüre 
der  Epiglottis  bilden  hier  eine  Ausnahme,  sie  können,  falls  sie  auch  den  ganzen 
Knorpel  zerstören,  functionell  indifferent  bleiben.  Schrötter  erwähnt  einen 
solchen  Fall.  Andererseits  ist  es  nicht  zu  leugnen,  dass  Epiglottisdefecte 
oder  Verwachsungen  mit  dem  Zungengrunde  zu  häufigem  Fehlschlucken  und 
Schluckpneumonie  führen  können.  Verwachsungen  der  Epiglottis  mit  den 
Aryknorpeln  oder  dem  Pharynx  verursachen  hochgradige  Stenosen.  Geschwüre 
des  Kehlkopfeinganges  führen  gewöhnlich  zu  Verunstaltungen  des  Organs  und 
sind  nur  selten  indiff'erent  für  Athmen  und  Stimme.  Sind  sie  tiefer,  können 
sie  zu  Perichondritis  der  Aryknorpeln  führen,  Knorpeldefecte,  acute  Dyspnoe, 


GÜMMATA  LARYNGIS.  179 

Immotilität  des  Kehlkopfes  und  später  nach  der  Ausheilung  Anchylo.se  der 
Cricoarytaenoidealgelenke  verursachen.  Membranbildungen  kommen  hier,  wie 
auch  bei  Taschenband-  und  Stimmlippengeschwüren  nicht  selten  vor.  Stimm- 
lippengeschwüre und  -Narben  verursachen  trotz  nachträglicher  Compensations- 
bewegungen  immer  Heiserkeit,  welche  bei  starken  Defecten  zur  stationären 
Aphonie  gesteigert  wird.  Granulationen  und  Polypenljildungen  nach  ausgeheilten 
Geschwüren  sind  auch  schon  vielfach  beschrieben  worden.  Schliesslich  kann 
bei  sehr  ausgebreiteten  geschwürigen  Processen  und  Perichondritiden  des 
Ring-  und  Schildknorpeis  ein  Zusammenstürzen  und  complicirt  membranöses 
Verwachsen  des  ganzen  Kehlkopfgerüstes  eintreten,  so  dass  die  Patienten 
nunmehr  zum  dauernden  Tragen  der  Canüle  gezwungen  werden. 

Die  Diagnose  der  Kehlkopfgummata  ist  auf  Grund  der  vorgeführten 
Symptome  sehr  leicht  aufzustellen,  falls  auch  andere  deutliche  Symptome  der 
Syphilis  sich  finden  lassen.  Es  muss  also  nach  Aeusserungen  der  Syphilis  an 
der  Haut  (Ausschläge,  Geschwüre,  Narben),  Schleimhäuten  (Mund,  Nase,  Rachen), 
Drüsen  und  nach  den  seltener  vorkommenden  Dolores  osteocopi,  Tophi  an 
den  Knochen  gesucht  werden.  Bei  Frauen  lassen  sich  auch  Neigung  zu 
Aborten  und  Todtgeburten  mit  Wahrscheinlichkeit  verwerten. 

Unterliegt  die  gummöse  Natur  des  Kehlkopfleidens  keinem  Zweifel  mehr, 
dann  lässt  sich  die  genauere  Diagnose  unter  den  vorgezählten  drei  Formen 
gewöhnlich  leicht  stellen.  Die  Differentialdiagnose  der  Formen  ist  in  ihre 
Beschreibung  schon  mitinbegrifien,  es  muss  nur  wiederholt  betont  werden, 
dass  klein-nodulöses  Syphilid  und  diffuse  Infiltrate  zuweilen  als  Mischformen 
vorkommen  können. 

Diffuse  Infiltrate  von  gummösem  Charakter  können  manchmal  mit  circum- 
scripten  entzündlichen  Infiltraten  verwechselt  werden.  Die  Differentialdiagnose 
beruht  nach  Lewin  darin,  dass  bei  letzteren  dem  Zerfalle  eine  Pustelbildung 
voraufgeht,  die  Geschwüre  behalten  mehr  ihren  oberflächlichen  Charakter, 
ihre  Ränder  zeigen,  im  Gegensatz  zu  den  gummösen  keine  bedeutende 
Wulstung,  sondern  sind  mehr  oder  weniger  flach  oder  nur  schwach  ge- 
schwollen, selten  unterminirt  und  meist  von  einem  rothen  Hofe  umgeben. 
Ihr  Secret  ist  bisweilen  rahmartig,  öfter  jedoch  mehr  von  serös-eiteriger  Be- 
schaffenheit. 

Viel  schwieriger,  und  bei  undeutlich  erschienenen  Formen  manchmal 
unausführbar  wird  die  Diagnose,  wenn  —  was  bei  diesen  Formen  besonders 
bei  Frauen  keine  Seltenheit  ist  —  sich  keine  Zeichen  einer  vorausgegangenen 
oder  nachweisbaren  Syphilis  finden  lassen.  In  solchen  Fällen  kann  die  Diagnose 
unter  folgende  Krankheiten  schwanken: 

Das  klein-nodulöse  Syphilid  kann  mit  Lupus  vulgaris 
verwechselt  werden.  Der  Unterschied  besteht  nach  Lewin  darin,  dass 
die  Umgebung  des  syphilitischen  Knötchens  nicht  die  reactiven  entzündlichen 
Erscheinungen  und  deren  Folgen  (oft  intensive  Schwellung  der  Umgebung) 
zeigt,  welche  der  vulgäre  Lupus  hervorzurufen  pflegt.  Zerfall  und  Zerstörungen 
sind  bei  Syphilis  in  kurzer  Zeit  grösser  als  bei  Lupus.  Die  Narben  des 
Lupus  zeigen  eine  stärkere  Retraction,  erzeugen  oft  erhebliche  Difformitäten, 
sogar  Larynxstenosen. 

Die  diffusen  Infiltrate  von  gummösem  Charakter  lassen 
sich  von  Lepra  und  Rotz  des  Kehlkopfes  leicht  unterscheiden,  weil  bei 
letzteren  die  Allgemeinerkrankung  immer  nachweisbar  ist.  Am  häufigsten 
kommt  man  hier  in  die  Lage,  die  Krankheit  von  Tuberculose  zu  unter- 
scheiden. Sind  Geschwüre  vorhanden,  dann  wird  diese  Aufgabe  erleichtert. 
Die  tuberculösen  Geschwüre  haben  keine  scharfen  Ränder,  sie  sind  mehr  ober- 
flächlich, Symptome  der  reactiven  Entzündung  der  Umgebung  lassen  sich 
häufiger  nachweisen,  der  Geschwürsgrund  ist  mit  Granulationen  bedeckt,  das 

12* 


180  GÜMMATA  LARYNGIS. 

Secret  eitriger,  profuser  und  enthält  KocH'sche  Bacillen.  In  der  Umgebung 
von  tuberculösen  GeschAvüren  lassen  sich  ausserdem  nicht  selten  weisslichgelbe, 
oder  im  Anfang  graue  miliare  Knötchen  blicken.  Der  Sitz  der  Geschwüre 
lässt  sich  gewissermaassen  auch  verwerten,  da  Tuberculose  meist  die  hintere 
Wand,  Taschenbänder  und  Stimmlippen  bevorzugt.  Ist  noch  kein  Geschwür 
vorhanden,  dann  kann  zur  Unterscheidung  dienen,  dass  bei  Tuberculose  ge- 
wöhnlich Erkrankung  der  Lungen  und  oft  Bacillen  im  Auswurfe  nachweisbar 
sind.  Eine  auf  Tuberculose  verdächtige  Anamnese,  Heredität,  Haemoptoe, 
Pleuritiden  etc.  bieten  auch  eine  wertvolle  Unterstützung. 

Maligne  Tumoren,  speciell  Carcinom  des  Kehlkopfes,  können  je 
nach  der  Form  derselben  mit  all'  den  drei  Formen  verwechselt  werden.  Sind 
einmal  Geschwüre  da,  dann  wird  die  Diagnose  nicht  viel  Schwierigkeiten 
bieten,  da  abgesehen  von  der  charakteristischen  Form  der  gummösen  Ge- 
schwüre, die  carcinomatösen  durch  ihre  wulstigen,  starren  Bänder,  durch  die 
höckerige  Basis,  durch  die  sie  oft  begleitende  Gangrän,  Fötor,  mit  Leichtig- 
keit erkennbar  sind.  Am  schwierigsten  sind  jene  Fälle,  wenn  bei  einer,  aus 
der  Tiefe  wachsenden,  nicht  ulcerirten  Geschwulst,  bei  negativem  Syphilis- 
befunde, die  Diagnose  gemacht  werden  soll.  Grosse,  circumscripte  Gummata 
und  Carcinom  lassen  sich  in  diesem  Falle  nur  schwer  unterscheiden.  An- 
wesenheit von  vergrösserten  Halsdrüsen  ist  beiden  Krankheiten  eigen,  negativer 
Drüsenbefund  und  schnelleres  Wachsen  bisher  nur  massig  vergrösserter  Drüsen 
würden  für  Carcinom  sprechen.  Das  Spiegelbild  kann  hier  nicht  entscheidend 
sein,  ebensowenig  die  von  Semon  bei  Krebs  erwähnte  Trägheit  oder  Bewe- 
gungslosigkeit des  betreffenden  Stimmbandes.  Für  Carcinom  möchte  noch 
eine  bedeutendere  palpable  Volumszunahme  der  erkrankten  Halsseite  sprechen. 

Für  solche  Fälle  stehen  uns  die  Excision  und  histologische  Untersuchung 
der  entfernten  Partikeln  zu  Hilfe.  Nur  kann  bei  negativen  Befunden  der 
Krebs  noch  nicht  ausgeschlossen  werden,  und  das  spätere  Bild  des  an  der 
Excisionsstelle  sich  bildenden  Geschwüres,  sowie  das  Ergebnis  der  Untersuchung 
von  tiefer  liegenden  Gewebspartikeln  sind  berufen,  Entscheidung  zu  bringen. 

Ein  weiteres  diagnostisches  Hilfsmittel  besitzen  wir  in  der  Anwendung 
einer  antiluetischen  Behandlung.  Diese  ist  auch  dort  wertvoll,  wo  es  sich 
um  Mischformen  von  Gummata  und  Lupus,  Tuberculose  und  Carcinom  handelt. 

Es  darf  noch  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  gummöse  Geschwüre  sich  — 
allerdings  nur  sehr  selten  —  in  tuberculose  und  carcinomatöse  umwandeln 
können.  In  diesen  Fällen  wird  die  Diagnose  durch  die  sichtbar  eintretende 
Aenderung  des  Krankheitsbildes  gesichert. 

Therapie.  Die  erste,  selbstverständliche  Aufgabe  ist,  eine  energische 
antiluetische  Behandlung  einzuleiten.  In  dieser  Beziehung  verdient  wohl  die 
altbewährte  Einreibungscur,  mit  starken  Dosen  (3—5^  Ung.  einer,  pro  dos.) 
den  Vorzug,  Die  subcutanen  Sublimatinjectionen  von  Lewin  (0-01  pro  dos.) 
und  die  intramusculären  Sublimatinjectionen  von  Lukasiewitz  (0'05  pro  dos. 
wöchentlich  einmal)  haben  sich  auch  vorzüglich  bewährt.  Jodkali  in  grösseren 
Dosen  kann  nach  der  Quecksilbercur  oder  in  sehr  schweren  Fällen  gleich- 
zeitig mit  derselben  angewendet  werden.  Bei  drohenden  Stenosen  soll  die 
Tracheotomie  möglichst  frühzeitig  ausgeführt  werden;  abgesehen  von  der 
Beseitigung  der  Lebensgefahr,  trägt  sie  durch  Entlastung  des  Kehlkopfes  zu 
schnellerem  Eintritt  der  Heilung  nicht  wenig  bei. 

Eine  locale  Behandlung  der  Kehlkopfgummata  wird  nur  bei  schlecht 
heilenden  Geschwüren  nothwendig.  Sie  besteht  in  Reinigung  der  Geschwüre 
durch  indifferente,  lösende  Inhalationen  mit  dem  SiEGLE'schen  Apparat,  ferner 
in  vorsichtigen  Aetzungen  des  Geschwürgrundes  mit  an  der  Sonde  geschmol- 
zenem Argentum  nitricum,  oder  Chromsäure. 

(Die  Behandlung  der  Perichondritis  und  der  Narbenstenosen  siehe  unter 
den  betreffenden  Capiteln).  polyak. 


HEISERKEIT.  181 

Heiserkeit  (RaucUas  oder  Rauccdo).  Hierunter  versteht  man  die  Un- 
reinheit der  Stimme,  welche  durch  im  Kehlkopfe  selbst  entstehende  ab- 
norme Geräusche  hervorgerufen  wird.  Sie  kann  sich  auch  in  den  unarticu- 
lirten  Lauten,  z.  B.  dem  Husten,  geltend  machen. 

Nicht  zu  den  vorgenannten  Geräuschen  gehören  die  sogenannten  klappen- 
den oder  Ventilgeräusche.  Zu  betonen  ist  die  Sonderstellung  der  Aphonie, 
des  einfachen  Tieferwerdens  der  Stimme  im  Anfange  von  Kehlkopfentzündung 
und  der  Taschenbandsprache,  welche  von  Laien  oftmals  direct  als  Heiser- 
keit bezeichnet  werden,  aber  trotz  naher  Beziehungen  doch  nicht  mit  der- 
selben zu  identificiren  sind. 

Man  kann  zunächst  zwei  Typen  der  Heiserkeit  unterscheiden: 

1.  jene  mit  Beimengung  eines  hauchenden  Geräusches  und 

2.  jene  mit  Beimengung  von  rauheren,  zumeist  tiefen  Geräuschen  zum 
Stimmklange. 

Das  hauchende  Geräusch  entsteht  dann,  wenn  die  Stimmritze  nicht  ge- 
nügend oder  allseitig  verengt  ist,  um  alle  entweichende  Luft  in  laut  tönende 
Schwingungen  zu  versetzen;  ein  Theil  der  Luftsäule  nimmt  hiebei  nur  jenen 
hauchenden  Ton  an,  welcher  der  phonatorischen  Luftverschwendung  eigen  ist, 
und  verleiht  der  Stimme  einen  gedämpften  kraftlosen  Charakter.  Bekanntlich 
hat  diese  Stimme  an  Ausdauer  und  Rufweite  verloren.  Der  hauchende  Ton 
kann  allein  der  Heiserkeit  eigen  sein,  tritt  aber  auch  mit  den  folgenden  Ge- 
räuschen vielfach  in  Verbindung. 

Die  anderen  positiveren  Heiserkeitsphänomene  entstehen  augenscheinlich 
dadurch,  dass  entweder  die  Stimmbänder  nicht  in  gleichmässigen  oder  wenig- 
stens consonirenden  Schwingungen  (DiphtJiongie)  vibriren,  oder  dass  irgendwo 
im  Bezirke  der  verengerten  Kehlkopfpassage  solche  Geräusche  sich  beimengen, 
welche  nicht  mehr  als  Klangfarbe  anzusehen  sind.  Der  Charakter  solcher 
verunreinigter  Stimmen  kann  sehr  verschieden  sein,  doch  führt  der  Versuch, 
ihn  diagnostisch  verwerten  zu  wollen,  zu  vielen  Täuschungen;  speciell  ist  es 
ein  Irrthum,  einen  specifischen  Ton  der  Heiserkeit  bei  Syphilis  anzunehmen. 

Mehrfache  und  zwar  sehr  verschiedene  Umstände  können  eine  solche 
Unregelmässigkeit  der  Schallwellen  verursachen: 

Fehler  der  Befeuchtung  und  Durchfeuchtung  der  Stimmbänder  (Trocken- 
heit und  mangelhafter  Turgor  z.  B  bei  der  Vox  cholerica,  Schleimbelag, 
Hyperämie,  ödematöse  Schwellung,  grössere  Blutergüsse;  eingetrocknete  Secrete; 
fibrinöse  Membranen); 

angeblich  die  geringe  Kraft  des  Exspirationsstromes  bei  Schwäche- 
zuständen, in  der  Agonie,  bei  Erkrankungen  der  Lungen  und  Läsion  des 
Thorax; 

mangelhafte  Spannung  des  einen  oder  beider  Stimmbänder  bei  den  eben 
genannten  Zuständen  und  bei  sonstiger  Paralyse  beziehungsweise  Parese  der 
Stimmbandspanner  infolge  von  katarrhalischen  Entzündungen,  Perichondritis, 
Trichinosis,  neurotischen  Einflüssen; 

Störungen  der  Form  und  Elasticität  des  Stimmbandes  infolge  von 
Aenderungen  an  den  histologischen  Elementen  durch  Geschwüre,  Xarben, 
chronisch  entzündliche,  specifische  und  maligne  Einlagerungen,  Epithelver- 
dickungen und  Polypen,  welch'  letztere  mit  ihrer  Annäherung  an  die  Mitte 
des  Stimmbandes  immer  störender  werden; 

Druck  von  Tumoren  und  Schwellungen  benachbarter  Kehlkopfpartien 
auf  die  freien  Theile  oder  die  Ansätze  der  Stimmbänder,  am  häufigsten  von 
der  hinteren  Kehlkopfwand  aus. 

Von  diesen  Factoren  können  sich  nun  verschiedene  miteinander  ver- 
binden, so  z.  B.  die  Parese  des  Musculus  vocalis,  Schwellungen  und  Schleim- 


182  HERPES  LARYNGIS.  -  HERPES  ORIS. 

secretion  im  chronischen  Kehlkopfkatarrh  der  Trinker;  in  anderer  Weise  beim 

Croup  etc. 

Von  physiologischen  Zuständen  disponiren  zur  Heiserkeit  die  Mutations- 
und die  Menstruationszeit  und  wohl  auch  die  Verdauung. 

Die  unreine  Stimme  wird  in  leichten  Graden  als  Attribut  mancher  Be- 
rufsarten mit  grossen  Stimmanstrengungen  und  athraosphärischen  Insulten 
sowie  mancher  Vergnügungen,  nämlich  des  reichlichen  Alkohol-  und  Tabak- 
genusses, gerne  sehr, nachsichtig  beurtheilt.  Sonst  aber  wird  sie  mit  Recht 
auch  von  den  Laien  ernster  aufgefasst  und  ist  häufig  das  einzige 
subjective  Symptom  sehr  überraschender  laryngoskopischer  Befunde. 
Nur  das  sei  besonders  erwähnt,  dass  die  Lungenphthise  vielfach  in  ihrer  aller- 
ersten Zeit  eine  anscheinend  auf  Muskelparese  beruhende  Heiserkeit  ver- 
ursacht, dass  die  bösartigen  Kehlkopfgeschwülste  manchmal  jahrelang  eine 
Heiserkeit  zum  Vorsymptom  haben  und  dass  bei  acuten  Infectionskrankheiten, 
zumal  bei  Typhus,  die  nekrotischen  Processe  an  der  Schleimhaut  und  dem 
Knorpel  des  Kehlkopfes  ebenfalls  durch  sie  zuerst  verrathen  werden. 

Angeborene  Heiserkeit  ist  vorzüglich  durch  Kehlkopfgeschwülste  ver- 
anlasst. BERGEAT. 

Herpes  laryngis.  {Herpes  des  Kehlkopfes).  Der  Herpes  des  Kehl- 
kopfes wird  selten  beobachtet  und  tritt  wohl  nur  gleichzeitig  mit  Herpes  des 
Mundes  und  Rachens  auf. 

Symptome:  Unter  Fiebererscheinungen  stellen  sich  Husten  und  Heiser- 
keit, auch  wohl  Schluckschmerzen  ein,  insbesondere  wenn  der  Rachen  mit- 
ergriffen ist. 

Bei  der  laryngoskopischen  Untersuchung  sieht  man,  und  zwar  gewöhnlich 
in  dem  oberen  Theil  des  Larynx,  an  der  Epiglottis,  den  aryepiglottischen 
Falten,  der  Schleimhaut  über  den  Aryknorpeln,  selten  bis  zu  den  Stimmbän- 
dern herunter,  mehrere  etwa  stecknadelkopfgrosse  Bläschen  mit  gerötheter 
Umgebung;  ihr  Inhalt  ist  anfangs  weisslich,  später  gelblich,  eitrig.  Allmäh- 
lich, und  zwar  schneller  als  auf  der  äusseren  Haut,  platzen  sie,  fallen  zusam- 
men, und  man  sieht  dann  an  ihrer  Stelle  —  entsprechend  dem  Schorf  an  der 
äusseren  Haut  —  einen  gelblichen  Fleck  in  der  Schleimhaut,  der  sich  allmäh- 
lich lockert  und  dann  wie  eine  lose  aufliegende  Membran  aussieht;  diese  stösst 
sich  in  einigen  Tagen  ab,  und  die  Stelle  heilt  ohne  Narbe. 

Die  Diagnose  stützt  sich  auf  das  Vorhandensein  und  den  weiteren 
Entwicklungsgang  der  Bläschen,  sowie  auch  auf  die  eventuelle  Betheiligung 
der   Rachen-  und  Mundschleimhaut    an  dem  Process. 

Die  Prognose  ist  günstig. 

Eine  Behandlung  ist  bei  dem  schnellen  Verlauf  kaum  nöthig.  (Vgl. 
Herpes  der  Mundhöhle.)  a.  eosenberg. 

Herpes  OriS  {Herpes  der  Mundhöhle).  Der  Herpes  der  Mundhöhle 
localisirt  sich  am  häufigsten  an  den  Lippen,  ergreift  aber  auch  nicht  selten 
die  Mundschleimhaut.  Manche  Personen  sind  besonders  dazu  disponirt;  unter 
der  Einwirkung  reizender  Speisen  —  Häringe,  Caviar  u.  a.  —  oder  infolge 
von  Verdauungsstörungen,  bei  manchen  weiblichen  Personen  auch  zur  Zeit 
der  Menstruation,  treten  Herpesbläschen  an  den  Lippen  auf.  Dabei  ist  dann 
das  Allgemeinbefinden  gewöhnlich  wenig  gestört.  Andererseits  setzt  er  manch- 
mal mit  Schüttelfrost  und  hohem  Fieber  bis  40",  selbst  4P  C.  ein;  auch  ist 
er  eine  häufige  Erscheinung  bei  fieberhaften  Krankheiten,  wie  Pneumonie, 
Rheumatismus,  Influenza,  Angina  u,  a.  Die  fieberlose  Form,  von  der  die  Pa- 
tienten häufiger  befallen  werden,  kann  man  auch  als  chronische  bezeichnen 
gegenüber  der  zuletzt  erwähnten  acut  einsetzenden. 


HERPES  PHARYNGIS.  183 

Symptome:  Es  treten  gewöhnlich  am  Lippensaume  Gruppen  von  etwa 
stecknadelkopfgrossen  Bläschen  mit  hellem  Inhalt  auf,  der  sich  bald  trübt, 
gelblich  wird,  eintrocknet  und  so  nach  ca.  2 — 3  Tagen  in  einen  Schorf  sich 
umwandelt.  Ist  derselbe  gebildet,  so  hört  die  anfänglich  vorhandene  ziehende, 
spannende,  leicht  schmerzhafte  Empfindung  auf.  Nicht  selten  entsteht  nach 
Abstossung  des  Schorfes  wegen  der  noch  weiter  stattfindenden  serösen  Ab- 
sonderung aus  der  noch  nicht  benarbten  Cutis  noch  ein-  oder  zweimal  ein 
Schorf,  bis  schliesslich  die  Benarbung  eintritt. 

Viel  lebhafter,  mitunter  recht  heftig  ist  der  Schmerz  besonders  beim 
Genuss  scharfer  Speisen,  wenn  der  Herpes  die  Schleimhaut  des  Mundes  er- 
greift. Selten  sieht  man  auf  derselben  die  oben  beschriebenen  Bläschen,  die 
zumeist  die  Zunge,  und  zwar  gewöhnlich  ihre  Spitze  und  die  Ränder  unter 
zuweilen  recht  erheblicher  Schwellung  der  Schleimhaut  befallen;  in  der  Regel 
platzen  sie  so  schnell,  dass  man  nur  die  aus  ihnen  entstandenen,  gewöhnlich 
gruppenweise  angeordneten,  flachen,  mit  weisslichem  Grunde  und  gerötheter 
Umgebung  versehenen  Ulcerationen  sieht.  —  Güterbock  beschreibt  eine 
scharf  einseitige,  acute  Herpesaffection  der  Zunge  —  Hemiglossitis  herpetica, 
die  besonders  bei  Männern  auftritt  und  sich  entsprechend  den  Verzweigungen 
des  N.  trigeminus,  zuweilen  wohl  auch  nach  den  der  Chorda  tympani  ver- 
breitet. G.  Lewin  hat  ebenfalls  einen  auf  eine  Erkrankung  des  Trigeminus 
zu  beziehenden  Herpes  zoster  der  Mund-  und  Rachenschleimhaut  gesehen. 

Die  Diagnose  ist  nicht  schwer,  wenn  man  die  Bläschen  hat  entstehen 
sehen;  sind  sie  bereits  geplatzt,  so  können  Verwechslungen  mit  Stomatitis 
aphthosa  und  ulcerosa  eintreten.  Allein  im  Gegensatz  zu  diesen  letzteren  Er- 
krankungen, besonders  der  St.  ulcerosa,  fehlen  die  entzündlichen  Erscheinungen 
der  Mundschleimhaut,  während  die  Aphthen  eine  mehr  pseudomembranöse 
Ausschwitzung  darstellen;  ausserdem  ist  der  Verlauf  beim  Herpes  ein  schnellerer. 

Die  Prognose  ist  für  die  acute  Form  günstig;  die  der  chronischen  in 
Bezug  auf  vollkommene  Heilung  unsicher. 

Die  Behandlung  des  Scheimhautherpes  besteht  in  Mundspülungen 
mit  1 — 27oigen  Lösungen  von  Borsäure,  Borax,  Salol  u.  a.;  bei  starken 
Schmerzen  bestreiche  man  die  kranken  Stellen  mit  Lapis  mitigatus,  pinsele 
mit  Morphiumglycerin  oder  lasse  mit  Sol.  Kai.  bromati  15 — 2^0  spülen;  inner- 
lich Antipyrin. 

Beim  chronischen,  resp.  recidivirenden  Herpes  nützt  oft  der  Arsenik. 

A.   EOSENEERG. 

Herpes  pharyngiS  {Herpes  des  Backens,  Angina  ^herpetica).  Der 
Herpes  des  Rachens  tritt  gleichzeitig,  aber  auch  ohne  den  Herpes  labialis 
auf.  Er  wird  von  verschiedenen  Autoren  auf  Erkältung  zurückgeführt;  und 
dass  der  Witterung  ein  gewisser  Einfluss  zuzuschreiben  ist,  möchten  wir  umso 
mehr  glauben,  als  wir  ihn  gewöhnlich  in  den  Monaten  Februar,  xlugust  und 
September  beobachtet  haben,  in  der  Zeit,  wo  auch  andere  Formen  der  An- 
gina häufiger  auftreten.  Ferner  besteht  bei  Frauen,  die  aber  im  ganzen  sel- 
tener daran  erkranken,  ein  Zusammenhang  mit  Uterinleiden,  resp.  es  macht 
sich  eine  Coincidenz  mit  der  Menstruation  bemerkbar.  Für  eine  andere  An- 
zahl von  Fällen  muss  man  mit  Pouzm  die  neuropathische  Natur  des 
Leidens  gelten  lassen,  in  denen  die  Bläschen  sich  entsprechend  dem  Verlaufe 
der  Nerven  entwickeln. 

Symptome:  Die  ersten  Zeichen  sind  gewöhnlich  Fieber,  Abgeschlagen- 
heit,  Appetitlosigkeit;  dazu  gesellen  sich  heftige  Schmerzen,  die  so  hochgradig 
werden  können,  dass  die  Patienten  die  Nahrungsaufnahme  verweigern. 

Bei  der  pharyngoskopischen  Untersuchung  bemerkt  man  hauptsächlich 
am  Velum  —  selten  auch  an  seiner  nasalen  Fläche  —  ferner  auf  der  Uvula, 
den  Gaumenbögen,  den   Tonsillen,   gelegentlich  auch  am  Zungengrunde,    der 


184  HÖREN. 

hinteren  Rachenwand  und  dem  Kehlkopleingange  Stecknadelkopf-  bis  linsen- 
grosse  Bläschen  mit  ^Yeisslichem  Inhalt  und  rothem  Hof.  Ihr  Inhalt  trübt 
sich,  sie  platzen,  und  es  entstehen  flache,  runde  Ulcerationen,  die  gewöhnlich 
schnell  heilen  (s.  Herpes  der  Mundhöhle).  Manchmal  tritt,  nachdem  bereits 
der  Schmerz  erheblich  abgenommen,  eine  neue  Bläscheneruption  auf,  so  dass 
sich  der  Verlauf  in  die  Länge  ziehen  kann;  so  dauerte  z.  B.  in  einem  Falle 
von  Beutels  die  Krankheit  6V2  Wochen.  —  Bei  der  neuropathischen  Form, 
die  die  Folge  einer  Erkrankung  des  K.  maxill.  sup.  n.  trigemini  ist,  klagen 
die  Patienten  zuerst'  über  neuralgische  Schmerzen,  die  mit  dem  Auftreten 
der  Bläschen  schwinden.  Sie  entwickeln  sich  entsprechend  dem  Verlaufe  des 
Nerven,  und  zwar  fast  ausschliesslich  einseitig. 

Die  Diagnose  ist  leicht,  wenn  man  die  Bläschen  entstehen  und  platzen 
sieht.  Aber  auch  später  dürfte  kaum  eine  Verwechslung  mit  anderen  Er- 
krankungen, insbesondere  mit  der  Diphtherie  entstehen,  da  die  herpetischen 
Ulcerationen  zuweilen  (bei  schubweisem  Auftreten)  noch  neben  den  Bläschen 
bestehen,  ausserdem  aber  flach  sind  und  mit  einer  verhältnismässig  leicht 
abwischbaren  weisslichen  Masse  bedeckt  sind. 

Die  Prognose  ist  bei  der  acuten  Form  günstig;  bei  den  chronischen 
Formen  aber,  die  auch  beobachtet  werden,  in  Bezug  auf  die  Heilung  un- 
gewiss. 

Die  Behandlung  besteht  in  Gurgelungen  mit  Lösungen  von  Borax, 
übermangansaurem  Kali  (1  :  10000),  Kai.  bromat.  cca.  1"5%,  Pinselungen  der 
erkrankten  Partien  mit  Cocain  (10%),  Mentholöl  (10%),  Argent.  nitric. 
(10*^/0);  die  zuletzt  genannten  Mittel  erleichtern  die  Schmerzen  erheblich 
und  gestatten  die  Nahrungsaufnahme.  Natürlich  muss  man  die  Diät  regeln; 
man  gebe  flüssige  oder  noch  besser  breiige  oder  schleimige,  kühle  Nahrung; 
innerlich  Kali  chloricum  ca.  5'0  :  200-0. 

Ist  Erkältung  die  Ursache,  so  gebe  man  Natr.  salicyl.  oder  Salipyrin; 
bei  der  neuropathischen  Form  Antipyrin  oder  Arsenik. 

A.    ßOSENBERG. 

Hören.  {Physiologie  des  Gehörorgans.)  Das  Gehörorgan  vermittelt  Schall- 
empfindungen und  dient  zugleich  als  statisches  Organ.  Schallempfindungen 
erweckt  die  Erregung  der  Nervenfasern  der  Schnecke,  des  Nervus  cochlearis, 
Störung  im  Gleichgewicht,  Schwindel  jene  des  Vorhofsnerven,  des  Nervus 
vestibularis.  Jeder  Reiz,  welcher  den  Nervus  cochlearis  erregt,  erzeugt 
Schallempfindungen.  Daher  ist  auch  das  Durchleiten  von  Inductionsströmen 
durch  das  Gehörorgan  von  Gehörsempfindungen  begleitet.  Die  specifischen 
Reize  des  Gehörorgans  als  solchen  sind  die  Schwingungen,  welche  tönende 
Körper  in  dem  dieselben  umgebenden  Medium,  meistentheils  in  der  Luft,  er- 
zeugen. 

Die  durch  Luftschwingungen  verursachten  Gehörswahrnehmungen  zer- 
fallen in  die  beiden  Gruppen  der  Klänge  und  Geräusche.  Das  Sausen 
des  Windes,  Rasseln  der  Blätter  und  andere  sind  Beispiele  von  Geräuschen, 
während  die  Töne  unserer  musikalischen  Instrumente  als  Klänge  bezeichnet 
werden.  Im  Geräusch  wechseln  verschiedene  Empfindungen  rasch  nach  ein- 
ander, der  Klang  hingegen  besteht  gleichmässig,  unverändert  fort,  solange  er 
überhaupt  anhält.  Während  im  Geräusch  sehr  verschiedene  Töne  unregel- 
mässig auftreten,  bilden  den  Klang  einander  regelmässig  folgende,  periodische 
Schwingungen.  Aus  der  unregelmässigen  Empfindung  der  Geräusche  folgt, 
dass  auch  die  Luft,  welche  dieselben  vermittelt,  ungleich  veränderliche  Schwin- 
gungen vollführt;  die  angenehme,  gleichmässige  Empfindung  der  Klänge  hin- 
gegen deutet  auf  eine  regelmässige,  in  periodischen  Intervallen  sich  wieder- 
holende Bewegung  des  tönenden  Körpers  und  dieser  entsprechend  auf  periodisch 
gleiche   Sch\Yingungen   der    umgebenden   Luft.     Man    erhält   daher    mit    der 


HÖREN.  185 

Sirene  Geräusche,  wenn  die  Löcher  der  Scheibe  in  ungleichen,  und  Klänge, 
wenn  dieselben  iii  regelmässig  gleichen  Entfernungen  einander  folgen. 

Geräusche  wie  Klänge  werden  in  den  meisten  Fällen  durch  die  Luft 
zum  Gehörorgan  geleitet,  indem  der  tönende  Körper  seine  Bewegungen  un- 
mittelbar auf  die  denselben  umgebenden,  diese  auf  die  zunächst  folgenden 
Luftschichten  und  so  fort  übertragen.  Auf  diese  Weise  entstehen  um  den 
schallenden  Körper  kugelförmig  sich  ausbreitende  Luftwellen,  welche,  dem 
Quadrate  der  Entfernung  entsprechend,  je  weiter  um  so  schwächer  werden. 
Da  die  bewegten  Lufttheilchen  einander  nicht  ausweichen  können,  so  folgt, 
dass  dieselben  sich  bald  einander  nähern,  bald  von  einander  entfernen;  auf 
diese  Weise  entstehen  Verdünnungs-  und  Verdichtungswellen,  welche  die 
normalen,  specifischen  Reize  unseres  Gehörorgans  sind.  Nur  ausnahmsweise 
gelangt  der  Schall  ohne  Vermittlung  der  Luft  zu  den  Endigungen  der  Hör- 
nerven. Dies  geschieht,  wenn  der  tönende  Körper  seine  Schwingungen  direct 
den  Kopfknochen  mittheilt;  zum  Beispiel,  wenn  man  den  Fuss  einer  tönen- 
den Stimmgabel  mit  den  Zähnen  oder  dem  Kopf  in  Berührung  bringt.  Auch 
V^'^asser  kann  den  Schall  zu  den  Kopfknochen  leiten.  Dies  kann  von  Wichtig- 
keit für  Thiere  sein,  die  im  Wasser  leben.  Das  Gehörorgan  der  Fische  be- 
steht allein  aus  dem  von  Knochen  und  Knorpel  eingeschlossenen  Labyrinth, 
Ohrmuschel,  äusserer  Gehörgang  und  Gehörknöchelchen  fehlen  ganz.  Hier 
können  also  nur  Schallwellen  des  Wassers  die  Kopfknochen  in  Mitschwingen 
versetzen.  Luftschwingungen  sind  viel  zu  schwach,  um  die  Kopfknochen  zum 
Mitschwingen  zu  bewegen.  Die  Schalleitung  durch  Luft  und  Gehörorgan  ist 
demnach  bedeutend  feiner.  Man  kann  sich  hievon  auch  überzeugen,  wenn 
man  den  Fuss  einer  klingenden  Stimmgabel  an  den  Kopf  so  lange  hält, 
bis  sie  verklungen  zu  sein  scheint,  und  dann  dieselbe  mit  einer  Zinke  dicht 
vor  das  eine  Ohr  bringt,  denn  dann  hört  man  die  Stimmgabel  wieder.  Der 
normale  Weg  der  Schalleitung  ist  demnach  das  Gehörorgan. 

Die  Luftwellen  treffen  in  weit  grösserem  Maasse  die  0  h  r  m  u  s  c  h  e  1  als 
den  äusseren  Gehörgang,  man  war  daher  geneigt,  der  Ohrmuschel  eine  be- 
deutende Rolle  beim  Hören  zuzumessen.  Man  nahm  an,  dass  die  Luftschwin- 
gungen die  Ohrmuschel,  als  einen  sehr  elastischen  Körpertheil,  in  Mitschwin- 
gungen versetzen,  welche  dieselbe  bis  zum  Trommelfell  fortpflanzt.  Diese 
Annahme  erwies  sich  aber  bald  als  falsch,  denn  es  stellte  sich  heraus,  dass 
die  Luftwellen  nicht  fähig  sind,  die  Ohrmuscheln  und  die  Wand  des  äusseren 
Gehörganges  zum  Mitschwingen  zu  bewegen.  Wir  hören  keinen  Schall  bei 
gut  verstopften  Ohren,  wie  wir  in  einem  solchen  Falle  auch  das  Ticken  der 
an  die  Ohrmuschel  leicht  angelegten  Taschenuhr  nicht  vernehmen. Wieder  An- 
dere meinen,  dass  die  Ohrmuschel  die  Schallwellen  wie  ein  Trichter  auffängt 
und  in  den  äusseren  Gehörgang  leitet;  dementsprechend  hören  wir  auch  besser, 
wenn  wir  die  Ohrmuschel  durch  die  flache  Hand  vergrössern  oder  ein  trichter- 
förmiges Hörrohr  in  den  Gehörgang  setzen.  Die  Ohrmuschel  mancher  Thiere, 
so  die  des  Pferdes,  gleicht  in  der  That  einem  solchen  Trichter  und  soll  auch 
das  Gehör  der  Pferde  bedeutend  verschärfen;  die  Ohrmuschel  des  Menschen 
aber  entspricht  nur  in  jenem  kleinen  Theile  einem  derartigen  Trichter,  mit 
welchem  sie  den  Eingang  des  äusseren  Gehörganges  umschliesst.  Wie  wenig 
die  Ohrmuschel  zum  Auffangen  des  Schalls  dient,  dies  zeigen  am  besten  solche 
Menschen,  bei  denen  dieselbe  verkümmert  ist  oder  ganz  fehlt,  und  die  dabei 
doch  ganz  gut  hören.  Wenn  wir  in  den  Gehörgang  ein  Glasrohr  einführen, 
sonst  aber  denselben  um  das  Glasrohr  gut  verschliessen,  dann  können  Schall- 
wellen nur  durch  das  letztere  in  das  Ohr  gelangen,  und  dennoch  leidet  unsere 
Hörschärfe  hiebei  nicht  erheblich.  Man  bemerkt  aber  sowohl  bei  diesem  Ver- 
suche, wie  auch,  wenn  man  die  Ohrmuschel  mit  dem  Finger  an  den  Kopf  an- 
drückt, dass  dabei  die  Localisationsfähigkeit  verloren  geht.  Pferde  bewegen  ihre 
Ohrmuscheln  und  gebrauchen  sie  auf  solche  Weise  dazu,  um  mit  deren  Hilfe 


186  HÖREN. 

die  Richturig,  aus  welcher  der  Schall  kommt,  zu  erkennen.  Bei  dem  Menschen 
hat  die  Ohrmuschel  ihre  Beweglichkeit  zum  grössten  Theil  eingebüsst,  und  auch 
Personen,  welche  ihre  Ohrmuscheln  bewegen,  können  dieselben  nicht  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  hin  wenden.  "Wir  drehen  den  Kopf,  ja  unseren  ganzen 
Körper  viel  leichter  als  die  Vierfüssler,  daher  konnten  wir  auch  die  Beweg- 
lichkeit unserer  Ohrmuscheln  entbehren  und  dieselbe  gieng  dem  Menschen 
verloren.  Wir  beurtheilen  die  Richtung  des  Schalles  einlach  daraus,  ob  wir 
ihn  gut  oder  schlecht  hören.  Am  stärksten  erscheint  uns  der  Schall,  wenn 
er  direct  in  den  Gehörgang  fällt,  schwächer,  wenn  die  Schallwellen  von  vorne, 
und  noch  schwächer,  wenn  sie  von  rückwärts  zum  Ohre  gelangen.  Wir  achten 
vor  allem  darauf,  mit  welchem  Ohr  der  Schall  besser  zu  hören  ist,  und  suchen 
dann  durch  Bewegung  die  Stellung  des  Kopfes  auf,  bei  welcher  derselbe  am 
schärfsten  gehört  wird. 

Der  äussere  Gehörgang  leitet  die  Luftschwingungen  zum  Trominel- 
fell.  Zufolge  der  Krümmung  des  Ganges  erreichen  die  Luftwellen  das 
Trommelfell  erst,  nachdem  sie  an  der  Wand  des  Gehörganges  reÜectirt  worden 
sind.  Die  Krümmung  schützt  nämlich  das  Trommelfell  gegen  Staub  und 
andere  Schädlichkeiten  und  ist  so  gross,  dass  das  Trommelfell,  selbst  mit 
dem  Reflector,  erst  dann  gesehen  werden  kann,  wenn  man  die  Ohrmuschel 
etwas  nach  oben  zieht  und  hiedurch  dem  Gehörgang  eine  geradere  Richtung 
gibt.  Dabei  ist  die  Sensibilität  der  durch  Aeste  des  Trigeminus  und  Vagus 
versorgten  Auskleidung  des  Ganges  eine  grosse.  Daher  das  Husten,  welches 
auf  Reizung  der  tiefer  gelegenen  Partien  des  äusseren  Gehörganges  folgt. 
Schützend  wirken  auch  die  Haare  am  äusseren  Gehörgang,  sowie  das  Secret 
der  Knäueldrüsen.  Dieses  Secret,  das  Ohrenschmalz,  ist  klebrig,  bitter- 
schmeckend und  demnach  nicht  geeignet,  Insecten,  Staub  u.  s.  w.,  in  den 
äusseren  Gehörgang  tiefer  eindringen  zu  lassen.  Schliesslich  kann  der  äussere 
Gehörgang  auch  durch  seine  Resonanz  das  Hören  beeinflussen.  Die  Luftsäule 
des  Gehörganges  besitzt  nämlich  ihren  Eigenton.  Derselbe  ist  schwach  und 
sehr  hoch,  kommt  daher  beim  gewöhnlichen  Hören  wenig  zur  Geltung.  Bei 
sehr  hohen  Tönen  aber  emptinden  wir  die  Resonanz  des  äusseren  Ge- 
hörganges lebhaft  unangenehm,  daher  ist  zum  Beispiel  sehr  empfindlich  der 
Ton,  welchen  ein  beim  Schneiden  auf  dem  Teller  entgleitendes  Messer  ver- 
ursacht. 

Die  longitudinalen  Schwingungen  der  Lufttheilchen  im  äusseren  Ohr 
treffen  das  Trommelfell  mehr  weniger  senkrecht  zu  seiner  Fläche  und 
bringen  es  in  Transversalschwingungen,  das  heisst,  in  Schwingungen,  bei  wel- 
chen das  Trommelfell  sich  in  toto  hin  und  her  bewegt. 

Das  Trommelfell  steht  schief  gegen  die  Axe  des  Gehörganges,  oben  nach 
aussen  und  unten  nach  innen  geneigt.  Wegen  dieser  schiefen  Lage  ist  das 
Trommelfell  grösser  und  wird  demzufolge  von  mehr  Luftwellen  getroffen,  als 
dies  sonst  der  Fall  wäre.  Das  Trommelfell  ist,  seiner  Aufgabe  gemäss,  sehr 
elastisch.  Diese  Elasticität,  sowie  seine  eigenthümliche  Gestalt  verdankt  das- 
selbe den  elastischen  Fasern  (Siehe  S.  148).  Die  Gestalt  des  Trommelfells 
entspricht  nämlich  einem  flachen  Kegel,  dessen  Meridiane  nicht  gerade,  sondern 
nach  aussen  convex  sind.  Ursache  dieser  Gestalt  sind  elastische  Radiär-  und 
Ringfasern  im  Trommelfell.  Die  Radiärfasern  sind  einerseits  in  die  Knochen- 
rinne eingewachsen,  andererseits  untereinander  verbunden,  die  um  die  Radiär- 
fasern liegenden  Ringfasern  haben  einen  kleineren  Radius  als  der  Kegelschnitt 
an  der  entsprechenden  Stelle,  daher  ist  das  Trommelfell  gegen  die  Kegelaxe 
convex.  Jede  Verdichtungsphase  der  Luft  bewegt  das  Trommelfell  nach  innen, 
jede  Verdünnungsphase  nach  aussen.  Dass  Membranen  in  der  That  solche 
Schwingungen  machen,  davon  kann  man  sich  überzeugen,  indem  man  auf  die 
Membran  feinen  Sand  streut,  denn  derselbe  ist  beständig  in  Bewegung,  solange 
die  Membran  überhaupt  mitschwingt.  Bezüglich  des  Trommelfells  lehren  das- 


HÖREN.  187 

selbe  Versuche  an  Leidien.  Wenn  man  nämlich  durch  den  eröffneten  Schädel 
ein  feines  Glasrohr  in  die  Trommelhöhle  befestigt  und  durch  die  Tuba  Eu- 
stachii  Leuchtgas  einleitet,  so  lässt  das  aus  dem  Glasrohr  strömende,  ange- 
zündete Gas  auf  einem  rotirenden  vierseitigen  Spiegel  bei  ruhigem  Trommel- 
fell einen  geraden,  sobald  jedoch  ein  Schall  das  Trommelfell  trifft,  einen  ge- 
zackten Lichtstreifen  sehen.  Während  aber  eine  ausgespannte  Membran  gut 
mit  ihrem  Eigenton  und  schwach  mit  solchen  Tönen  mitschwingt,  deren 
Schwingungszahl  von  der  des  Eigentons  der  Membran,  wenn  auch  nicht 
wesentlich,  abweicht,  gelangt  das  Trommelfell  mit  sehr  verschieden  hohen 
Tönen  in  Mitschwingungen.  Diese  Eigenschaft  des  Trommelfells  ist  für  das 
Hören  von  sehr  bedeutendem  Nutzen,  denn  sonst  würden  wir  den  Eigenton 
des  Trommelfells  sehr  stark,  die  übrigen  Töne  aber  nur  schwach  oder  gar 
nicht  hören.  Nun  können  wir  aber  in  der  Musik  Töne  von  sehr  verschie- 
dener Höhe,  etwa  7  Octaven,  recht  gut  unterscheiden.  Die  Fähigkeit  des 
Trommelfells,  mit  hohen  und  tiefen  Tönen  mitzuschwingen,  verdanken  wir 
eben  seinen  elastischen  Elementen,  wie  auch  dem  Umstände,  dass  an  der 
Vereinigungsstelle  der  radiären  Fasern  die  Spitze  des  Hammergriffes  ein- 
gewebt ist;  hiedurch  werden  nämlich  die  Eigenschwingungen  des  Trommelfells 
gedämpft  und  dasselbe  befähigt,  mit  sehr  verschieden  hohen  Tönen  mitzu- 
schwingen. 

Von  den  Gehörknöchelchen  ist,  wie  bekannt,  der  Hammer  durch 
seinen  Stiel  in  das  Trommelfell  eingewachsen,  ansonst  aber  wird  der  Hammer 
durch  Bänder  getragen,  welche  in  der  Trommelhöhle  zum  Theil  die  Drehaxe 
desselben  bilden.  Amboss  und  Hammer  verbindet  ein  sattelförmiges  Gelenk, 
indem  der  Körper  des  Amboss  die  convex-concave  Gelenksfläche  am  Hals  und 
Kopf  des  Hammers  in  Form  eines  Sperrgelenkes  umfasst.  Dies  Sperrgelenk 
theilt  nach  einwärts  gerichtete  Bewegungen  des  Hammerstiels  dem  Amboss 
ungeschwächt  mit,  löst  sich  aber  etwas  bei  Auswärtsbewegungen,  so  dass  der 
Amboss  und  mit  demselben  der  Steigbügel  dem  Hammer  nicht  folgen  und 
bei  zu  starker  Auswärtsbewegung  des  Trommelfelles  der  Steigbügel  nicht 
aus  dem  ovalen  Fenster  ausgerissen  werden  kann.  Wie  den  nach  vorne  ge- 
richteten Processus  folianus  in  der  Fissura  Glaseri  ein  Band  befestigt,  so  ist 
auch  der  kurze  Fortsatz  des  Amboss  mit  der  hinteren  Trommelhöhlenwand 
verbunden.  Hammer  und  Amboss  stellen  also  einen  Winkelhebel  dar,  dessen 
Drehaxe  durch  den  Processus  folianus  des  Hammers  und  den  kurzen  Fortsatz 
des  Ambosses  geht.  Der  Hammerstiel  ist  der  eine  Schenkel  des  Winkelhebels, 
der  lange  Ambossfortsatz  der  andere.  Dieser  lange  Ambossfortsatz  articulirt 
mit  dem  Steigbügel,  dessen  Trittplatte  an  der  das  ovale  Fenster  verschliessen- 
den  Membran  angewachsen  ist. 

Der  Hammerstiel  folgt  einer  jeden  Bewegung  des  Trommelfells,  und 
diesem  folgt  der  lange  Fortsatz  des  Amboss,  welcher  seine  Bewegungen  wieder 
dem  Steigbügel  überträgt.  Es  bewegt  sich  demnach  im  ovalen  Fenster  die 
Trittplatte  des  Steigbügels  genau  so  nach  innen  und  aussen  wie  das  Trommel- 
fell selbst.  Die  Gehörknöchelchen  leiten  also  den  Schall  nicht  durch  Ver- 
dichtungs-  und  Verdünnungswellen  ihrer  kleinsten  Theilchen,  sondern  es 
drückt  eine  jede  nach  innen  gerichtete  Bewegung  des  Trommelfells  die  Tritt- 
platte des  Steigbügels  in  das  ovale  Fenster,  und  jede  Bewegung  nach  aussen 
zieht  dieselbe  aus  dem  Fenster  hinaus.  Auf  diese  Weise  gelangt  die  kleinste 
Bewegung  des  Trommelfells  zur  Perilymphe  des  Labyrinths.  Man  kann  sich 
von  dieser  Bewegung  der  Gehörknöchelchen  überzeugen,  wenn  man  feine  Glas- 
fäden mit  den  Knöchelchen  verbindet  und  durch  diese  die  Bewegung,  welche 
sie  verrichten,  während  zum  Präparat  Töne  gelangen,  auf  eine  berusste  Fläche 
aufzeichnen  lässt.  —  Der  durch  den  Hammer  gebildete  Arm  des  Muskelhebels 
ist  9"5  mm,  der  durch  den  langen  Fortsatz  des  Ambosses  gebildete  6'9  mm  lang; 
die  Länge  des  letzteren  beträgt  demnach   zwei  Drittheile   des   ersteren:   dem 


188  HÖREN. 

eutsprecliend  macht  die  Trittplatte  des  Steigbügels  nur  zwei  Drittheile  der  Be- 
wegung mit,  welche  der  Hammerstiel  beschreibt.  Hiezu  kommt  noch,  dass  der 
Druck  im  ovalen  Fenster  auf  eine  zwanzigmal  kleinere  Membran  übertragen 
wird.  Die  Grösse  der  Excursion  des  Steigbügels  während  der  Schalleitung 
wurde  0"0726  mm  gefunden. 

Die  Gehörknöchelchen  befinden  sich  in  der  mit  Luft  angefüllten 
Trommelhöhle,  jener  Höhle,  die  gegen  den  äusseren  Gehörgang  das 
Trommelfell  abschliesst  und  mit  dem  Rachenraum  die  Tuba  Eustachi!  ver- 
bindet. Nur  durch  diese  Ohrtrompete  communicirt  die  Trommelhöhle  mit 
der  äusseren  Luft.  Für  gewöhnlich  ist  die  Ohrtrompete  in  ihrem  knorpelig- 
membranösen  Theile  geschlossen  und  öffnet  sich  bei  der  Contraction  des 
T\L  spheno-salpingo-staphylinus  beim  Schluckact,  sowie  höchstwahrscheinlich 
auch  beim  Gähnen  und  bei  sehr  tiefer  Inspiration.  Wäre  die  Luft  der 
Trommelhöhle  definitiv  abgeschlossen,  dann  müsste  sich  nicht  nur  deren  Zu- 
sammensetzung ändern,  sondern  sie  würde  schliesslich  ganz  verschwinden; 
das  in  der  Schleimhaut  der  Trommelhöhle  circulirende  Blut  würde  nicht  nur 
die  Luft  der  Trommelhöhle  resorbiren,  sondern  dieselbe  durch  Transfusion 
mit  Lymphe  ausfüllen.  Die  Ohrtrompete  sorgt  demnach  dafür,  dass  die 
Trommelhöhle  mit  Luft  angefüllt  bleibe.  Die  Spannung  der  Luft  in  der 
Trommelhöhle  ist  dem  Drucke  der  äusseren  Luft  gleich,  da  dieselbe  bei  jeder 
Schluckbewegung  ausgeglichen  wird.  Alles  dies  ist  für  eine  ungestörte  Be- 
wegung des  Trommelfells  unbedingt  nothw^endig.  Denn  befände  sich  auf  der 
einen  Seite  des  Trommelfells  die  äussere  Luft,  auf  der  anderen  aber  Flüssig- 
keit oder  Luft  von  verschiedener  Spannung,  dann  würden  diese  die  freie  Be- 
weglichkeit des  Trommelfells  behindern.  Doch  beständig  offen  kann  die  Ohr- 
trompete auch  nicht  bleiben,  weil  die  Luftwellen  sonst  von  beiden  Seiten  auf 
das  Trommelfell  einwirken  würden,  und  wir  die  Töne,  insbesondere  aber  unsere 
eigene  Stimme,  viel  zu  kräftig  hören  müssten,  wie  die  Erfahrung  dies  auch  in 
der  That  bestätigt.  Ferner  möchte  das  Trommelfell  hiebei  durch  jede  Athem- 
bew^egung  in  Mitbewegung  gebracht  werden.  Bei  geschlossener  Mund-  und 
Nasenöffnung  kann  durch  forcirte  In-  und  Exspiration  aus  der  Trommelhöhle 
Luft  ausgezogen,  bezüglich  in  dieselbe  eingetrieben  werden.  Der  Druck,  unter 
welchem  der  Verschluss  der  Ohrtrompete  sich  öffnet,  beträgt  beim  Eintreiben 
über  200  und  beim  Aussaugen  20 — 40  mm  Quecksilber.  Durch  die  Ohrtrom- 
pete wird  auch  der  Schleim  entfernt,  den  die  Schleimhaut  der  Trommelhöhle 
absondert.  Zu  diesem  Zwecke  ist  eben  die  Schleimhaut  der  Ohrtrompete  mit 
Flimmerepithel  bedeckt.  Dem  Trommelfell  gegenüber  befindet  sich  in  der 
Wand  der  Trommelhöhle  das  ovale  und  das  runde  Fenster.  Beide  sind 
durch  je  eine  dünne  Membran  geschlossen,  wodurch  die  Luft  der  Trommel- 
höhle von  der  Labyrinthflüssigkeit  geschieden  ist.  Die  Verbindung  des 
Trommelfells  mit  der  Membran  des  ovalen  Fensters  stellen  eben  die  Gehör- 
knöchelchen her.  Bei  jedem  Druck  des  Steigbügels  auf  das  ovale  Fenster  wölbt 
sich  die  Membran  des  runden  Fensters  etw^as  gegen  die  Trommelhöhle  vor;  dies 
allein  ermöglicht  die  freie  Bewegung  des  Steigbügels  und  der  Labyrinth- 
flüssigkeit, denn  sonst  wäre  die  letztere  in  eine  unnachgiebige  Höhle  ein- 
geschlossen. 

Was  die  Function  der  in  der  Trommelhöhle  befindlichen  Muskeln,  des 
M.  tensor  tympani  und  des  M.  stapedius,  betrifft,  so  setzt  sich  die 
Sehne  des  M.  tensor  tympani  dicht  unter  der  Drehaxe  des  Hammers  an  und 
zieht  dem  zufolge  bei  der  Contraction  des  Muskels  den  Hammergriff  sammt 
dem  Trommelfell  nach  innen,  spannt  also  das  letztere.  Diese  Aenderung 
der  Spannung  des  Trommelfells  durch  den  M.  tensor  tympani  wird  als  eine 
Art  Accommodation  an  höhere  Tonlagen  betrachtet.  Doch  ist  der  Tensor 
tympani  kein   solcher  Accommodations-Apparat  des   Trommelfells,    der  allein 


HÖREN. 


189 


das  Hören  hoher  Töne  ermöglicht.  Heine  Contractionen  wechseln  unmög- 
lich so  rasch,  wie  rasch  wir  einander  folgende  Töne  verschiedener  Höhe 
unterscheiden  können.  Der  Tensor  tympani  vermindert  auch  durch  die 
Spannung  des  Trommelfells  die  Intensität  der  Schwingungen  des  letz- 
teren, wirkt  also  dämpfend;  die  Wirkung   ist  gleich  der,  welche  der  Finger 


können  den  Tensor  tympani  willkürlich  innerviren  und  das  Trommelfell  an- 
spannen. Dies  Anspannen  ist  ebenso  hörbar,  wie  man  auch  während  der 
ganzen  Dauer  der  willkürlichen  Innervation  einen  dumpfen,  tiefen  Ton  hört; 
den  bekannten  Muskelton  willkürlich  contrahirter  Körpermuskeln.  Was 
schliesslich  den  im  Innern  der  Eminentia  pyramidalis  gelegenen  M.  stape- 
dius  betrifft,  der  sich  an  das  Köpfchen  des  Steigbügels  inserirt,  so  soll 
derselbe  nach  einigen  Forschern  zur  Accommodation  für  tiefe  Töne  dienen. 
Auf  alle  Fälle  fixirt  er  den  Steigbügel,  verhütet  das  zu  starke  Einpressen  der 
Trittplatte  in  das  ovale  Fenster,  wirkt  demnach  ebenfalls  dämpfend  auf  die 
Bewegungen  der  Gehörknöchelchen,  also  auch  auf  die  des  Trommelfells.  Es 
gelingt  auch  den  M.  stapedius  willkürlich  zur  Contraction  zu  bewegen,  so  bei 
kräftigem  Lidschluss. 

Im  inneren  Ohr,  im  Labyrinth,  befindet  sich  die  Endigung  des  Hör- 
nerven. Das  ovale  Fenster  führt  in  den  Vorhof,  der  sich  einerseits  in  die 
Schnecke,  andererseits  in  die  Bogengänge  fortsetzt.  Das  ganze  knöcherne 
Labyrinth  ist  mit  dünnflüssigem  Labyrinthwasser  (Perilymphe)  angefüllt.  Diese 
Perilymphe  umspült  das  häutige  Labyrinth,  welches  mit  zäher  Endolymphe 
erfüllt  in  seiner  Wand  die  Endigungen  des  Hörnerven  enthält.  Von  den  im 
Vorhof  befindlichen  Otolithensäcken  hängt  der  Utriculus  (Sacculus 
hemiellipticus)  mit  den  drei  häutigen  Bogengängen  zusammen,  während  der 
Sacculus  (Sacculus  hemisphaericus)  sich  in  die  Scala  media  der  Schnecke 
fortsetzt.  Sowohl  in  den  Otolithensäckchen  als  auch  in  den  Ampullen  der 
Bogengänge  besitzt  der  Hörnerv  Endorgane.  In  den  ersteren  endet  der 
Nerv  in  je  einer  Macula  acustica,  deren  Nervenepithel  mit  kurzen  Haaren 
versehen  ist,  welche  eine  Gallerte  deckt,  in  der  sich  reichlich  Otolithen 
befinden.  Die  Otolithen  sind  mikroskopisch  kleine  Kalkcarbonat-Krystalle. 
Bei  Knochenfischen  und  wirbellosen  Thieren  bilden  die  Otolithen  grosse  Con- 
glomerate.  In  den  Am- 
pullen der  Bogengänge  fin- 
det man  an  der  Concavität 
derselben  je  zwei  Cristae 

acusticae,  als  halbkreis-  y^^A^-'-'-^/i^^r^^^i^fe-Ä:?^^^.,^^ 
förmige  Falten,  welche 
zwischen  indifferenten 
Zellen  mit  feinen  langen 
Hörhaaren  versehene  Hör- 
zellen enthalten  (Siehe 
S.  158  u.  159). 

Die  Endigung  des 
N.  acusticus  in  der 
Schnecke,  das  soge- 
nannte CoETi'sche  0  r- 
gan,  befindet  sich  in  der 
Scala  media  {S.  m.  Fig. 
1,  2)  derselben. 


190  HÖREN. 

Um    die  Function    dieses    Organs   zu    verstehen,    möge    das  Wichtigste 
von  dessen  Bau  hier  kurz  Erwähnung  finden*). 

Im  Modiolus  der  Schnecke  (Fig.  1)  steigen  die  Fasern  des  N.  coch- 
learis  nach  der  Lamina  spiralis  auf,  welche  den  Schneckengang  in  zwei 
Etagen  theilt.  Die  obere  Etage,  die  Scala  vestibuli  (>S'.  v.),  führt 
zum  Vorhof  des  Labyrinths,  die  untere,  die  Scala  tympani  (S.  t.),  wird  von 
der  Trommelhöhle  durch  die  Membran  des  runden  Fensters  abgesperrt.  In 
der  Kuppel  befindet  sich  das  Helicotrema,  eine  kleine  Oeffnung,  durch 
Avelche  die  beiden  Etagen  miteinander  communiciren.  Eine  dritte  Etage 
bildet  die  Lamina  spiralis  membranacea  noch  dadurch,  dass  sich  ein 
dünnes  Häutchen,  die  REissNER'sche  Membran  (i?.  h.)  von  derselben  abhebt 
und  so,  getrennt  von  allen  übrigen  Gebilden  der  Lamina  spiralis  membra- 
nacea, der  Schneckenwand  zustrebt,  um  sich  dort  anzuheften.  Diese  auf 
solche  Weise  gebildete  dritte  Etage,  die  Scala  media  (S.  m.),  birgt  das 
CoRTi'sche  Organ  in  sich.  Ausser  von  der  Membrana  Reissneri  {R.  h.) 
wird  die  Scala  media  nach  innen  von  der  Habenula  sulcata  (H.  s. 
Fig.  2)  und  vom  Su  cus  spiralis  (S.  s.),  nach  innen  und  unten  von 
der  Habenula  perforata  (H.  ^j.),  nach  unten  von  der  Membrana  ba- 
silaris  (M.  h.)  und  nach  aussen  von  der  äusseren  Schneckenwand  be- 
grenzt. Die  Nervenfasern  (7)  kommen  zwischen  den  Knochenlamellen  der 
Lamina  spiralis  ossea  zur  Habenula  perforata,  um  durch  feine  Oeff- 
nungen  derselben  in  den  Sulcus  spiralis  zu  gelangen.  Eine  directe  Fortsetzung 
der  Habenula  perforata  ist  die  aus  hyaliner  Substanz  gebildete  Membrana 
basilaris  {M.  5.),  welche  bei  L  an  der  äusseren  Wand  der  Schnecke 
endet.  Die  Membrana  Reissneri  geht  von  der  Habenula  sulcata  aus,  ruht 
auf  der  CoRTi'schen  Membran,  um  dann  nach  aufwärts  zu  steigen  und  so 
die  Schnecken  wand  zu  erreichen.  Die  Scala  vestibuli  und  tympani  füllt  Peri- 
lymjjhe  aus,  während  die  durch  den  Canalis  reuniens  mit  dem  Sacculus 
communicirende  Scala  media  Endolymphe  enthält. 

Auf  einem  durch  das  ConTi'sche  Organ  geführten  Querschnitt  fallen  am 
meisten  die  für  die  Physiologie  des  Gehörorgans  wichtigen  Bögen  in  die 
Augen  (C  ^.).  Einen  jeden  Bogen  bildet  eine  innere  und  eine  äussere 
Faser.  Das  untere  Ende  der  inneren  Fasern  ruht  auf  der  Habenula  sulcata 
unmittelbar  dort,  wo  die  Fasern  des  Hörnerven  in  die  Scala  media  eintreten, 
während  die  äussere  Faser  nach  aussen  und  unten  zur  Membrana  basilaris 
zieht.  Die  CoßTi'sche  und  mit  dieser  auch  die  REissNER'sche  Membran  liegen 
den  Bögen  auf.  Die  Zahl  der  inneren  Fasern  ist  grösser  als  die  der  äusseren; 
im  ganzen  dürften  etwa  4500  äussere  Fasern  sein.  Die  Scala  media  und  mit 
dieser  auch  die  Bögen  nehmen  in  den  aufsteigenden  Schneckenwindungen 
von  unten  nach  oben  an  Grösse  zu.  Die  Länge  der  inneren  Fasern  beträgt 
nämlich  in  der  untersten  Windung  30,  in  der  obersten  34,  die  der  äusseren 
entsprechend  47  und  69  Mikromillimeter. 

An  den  Fussenden  der  äusseren  Fasern  der  Bögen  gewahrt  man  eine 
lineare  Structur.  Diese  Linien  entsprechen  feinen,  saitenartigen  Gebilden, 
welche,  aus  der  Faser  entstehend,  über  der  Membrana  basilaris  hinziehen  und 
am  Ligamentum  spirale  (L.  s.)  enden.  Ich  nannte  daher  diese  mit 
der  Membrana  basilaris  nicht  verwachsene  Schichte,  als  ich  sie  zuerst 
erkannte  (1873)  und  beschrieb,  ^^ Saitenschichte'' .^^'')  Beim  Kaninchen  ent- 
stammen einer  jeden  äusseren  Faser  des  Bogens  10 — 15  solche  Saiten.     Die 


*)  Vergleiche  auch  Artikel  ,, Gehörorgan"  in  ds.  Bd. 

**)  Das  die  Saitenschichte,  sowie  die  Lage  des  REissNER^schen  Membran  betreffend 
hier  von  Bekanntem  abweichende,  wurde  von  mir  ausführlich  mitgetheilt  in  den  Werken: 
Vizsgälatok  az  emlösök  fiilcsigäjäröl.  Akademiai  ertekezesek.  III.  Band,  14.  Heft.  Budapest 
1873  und  Az  emberelettan  tankönyve.  1.  Band,  400—425  S.  Budapest  1892. 


HÖREN. 


191 


Länge  derselben  nimmt,  der  der  Bögen  entsprechend,  von  unten  nach  oben 
zu;  so  beträgt  die  Länge  der  zu  unterst  gelegenen  Saiten  0'112,  die  der 
Kuppel  nahen  0'152mw.  Diese  Bögen  mit  den  entsprechenden  Saiten  erin- 
nern unwillkürlich  an  die  Tasten  und  Saiten  des  Claviers,  nur  sind  in  dem 
CoRTi'schen  Organ  etwa  4500  Tasten  und  mindestens  45*000  Saiten  vor- 
handen. 


c.f    H.s, 


U- 


Fig.  2. 


Die  ejgentliclien  Endapparate  des  Schneckennerven  sind  die  cylindrischen 
Haarzellen;  man  hat  derer  16-400  bis  20*000  zusammengezählt.  Eine  Reihe 
derselben  befindet  sich  innen  vom  Bogen  (Fig.  2,  C.  s.),  drei  bis  vier  Reihen 
nach  aussen  von  diesem  (Fig.  2,  C.  s.).  Die  äusseren  Haarzellen  stehen  mit 
ihren  verjüngten  Enden  auf  den  Saiten  der  Saitenschichte.  Die  zwischen  den 
äusseren  Haarzellen  befindlichen  spindelförmigen,  sogenannten  DEiTER'schen 
Zellen  sind  wohl  nur  als  Fortsätze  der  Haarzellen  zu  betrachten.  Die  Nerven 
endigen  mittels  feiner,  varicöser  Fibrillen  an  den  Haarzellen,  indem  sie 
dieselben  umspinnen.  Alle  diese  Theile  des  CoRTi'schen  Organs,  die  Bögen 
und  Zellen,  hält  an  ihrem  oberen  Ende  eine  Kittmasse  zusammen,  die  so- 
genannte Membrana  reticularis;  durch  Lücken  derselben  ragen  die 
Haare  der  Haarzellen  hervor.  In  allen  übrigen  Zellen,  welche  sowohl  im  Sul- 
cus  spiralis  liegen,  wie  auch  die  Saitenschichte  decken,  und  die  man  unter 
dem  Sammelnamen  CLAUDius'sche  Zellen  (C/.  s.)  zusammenfasst,  ist  keine 
Nervenendigung  zu  constatiren,  dieselben  sind  als  Dämpfungsapparat  zu 
betrachten.  —  Die  Empfindung  eines  musikalischen  Klanges  hält  nicht  merk- 
lich länger  an  als  der  Schall,  welcher  denselben  wachruft.  Am  leichtesten 
kann  man  Nachempfindung  noch  bei  tiefen  Tönen  beobachten.  Es  ist  theil- 
weise  schon  durch  das  Trommelfell,  noch  mehr  aber  eben  durch  den  Bau  des 
CoETi'schen  Organs,  der  CoRTi'schen  Membran,  der  vielen  auf  den  Saiten 
ruhenden  Zellen,  sowie  durch  die  dickflüssige  Endolymphe  für  Dämpfung 
genügend  gesorgt. 

Was  das  Vorkommen  der  nun  beschriebenen  Theile  des  Labyrinths 
betrifft,  so  findet  man  die  Otolithen  enthaltenden  Säckchen  überall  dort,  wo 
bei  Thieren  ein  Gehörorgan  überhaupt  vorkommt.  Die  Bogengänge  sind  allen 
Wirbelthieren  eigen,  während  die  Schnecke  nur  bei  Säugethieren  und  Vögeln, 
wenig  entwickelt  noch  bei  Reptilien  vorkommt,  Fische  haben  keine  Schnecke, 
das  Gehörorgan  derselben  wurde  auch  in  der  That  allein  als  statisches  Organ 
erkannt. 

Die  Schwingungen  des  Trommelfelles  und  der  Gehörknöchelchen  über- 
trägt, wie  wir  sahen,  die  Trittplatte  des  Steigbügels  auf  die  Perilymphe  des 
Labyrinths,     Diese,  eine  von    fester  Wand  umschlossene  Flüssigkeit,  kommt 


192  HÖREN. 

dadurch  in  Mitscliwiiigungen,  dass  die  IMembran  des  runden  Fensters  um  den 
gleichen  Betrag  ausgebaucht  wird,  um  welchen  die  Trittplatte  des  Steigbügels 
in  das  ovale  Fenster  hineingedrückt  wird  und  umgekehrt.  Die  hiebei  nöthige 
Verschiebung  der  Flüssigkeit  kann  vorzüglich  durch  das  Helikotrema  ge- 
schehen, wobei  Perilymphe  der  Scala  vestibuli  in  die  Scala  tympani  gelangt 
und  umgekehrt.  Wohl  wird  jede  Verdickungswelle  der  äusseren  Luft,  sobald 
sie  das  Ohr  trifft,  nicht  nur  durch  die  Gehörknöchelchen  auf  die  Perilymphe 
des  Yorhofs  einwirken,  sondern  durch  das  Trommelfell  und  die  Luft  der 
Trommelhöhle  auch  auf  die  das  runde  Fenster  verschliessende  Membran  über- 
tragen; allein,  der  Druck  der  Gehörknöchelchen  auf  das  ovale  Fenster  ist 
bedeutend  grösser,  und  demzufolge  muss,  wenn  die  Membran  des  ovalen 
Fensters  sich  nach  innen  oder  aussen  zu  bewegt,  jene  des  runden  Fensters 
sich  umgekehrt  nach  aussen,  bezüglich  nach  innen  beugen.  Während  dieser 
Bewegung  der  Perilymphe  in  der  Scala  vestibuli  erfolgt  auch  Drucküber- 
tragung auf  die  Membrana  Reissneri,  welche,  wie  ich  gezeigt,  der  CoRTi'schen 
Membran  anliegt  und  unmittelbar  den  elastischen  Boden  der  Scala  vestibuli 
bildet;  so  gerathen  beide  Membranen  in  Mitschwingungen.  Die  CoRTi'sche 
Membran  überträgt  ihre  Bewegungen  auf  die  Bögen,  über  welchen  die  Druck- 
schwankungen eben  der  Lage  der  REissNER'schen  Membran  entsprechend,  am 
grössten  sind;  die  Bögen  wieder  übermitteln  durch  die  äussere  Faser  ihre 
Schwingungen  auf  die  Saiten.  —  Wir  haben  die  Bögen  und  deren  Saiten 
mit  den  Tasten  und  Saiten  eines  Claviers  verglichen.  Wenn  wir  uns  nun  die 
Saiten  des  Claviers,  sowie  jene  des  CoRTi'schen  Organs  mit  Nervenendigungen 
versehen  denken,  dann  haben  wir  in  dem  Schema  des  Claviers  ein  deutliches 
Bild  der  Function  unseres  Schneckenapparates. 

Die  Function  des  Trommelfells  zeigt,  dass  Membranen  durch  Töne  in 
Mitschwingungen  versetzt  werden  können,  und  die  Erfahrung  lehrt,  dass  dem 
ähnlich  Stimmgabeln  und  Saiten  auch  in  Mitschwingungen  gerathen.  Wenn 
in  der  Nähe  eines  Claviers,  dessen  Saiten  freiliegen,  ein  Ton  erschallt,  so 
tönt  derselbe  aus  dem  Ciavier  wieder,  und  wenn  man  die  Saiten  des  Claviers 
untersucht,  so  wird  man  finden,  dass  jene  Saiten  mitschwingen  und  den  Ton 
wiedergeben,  welche,  durch  ihre  Tasten  zum  Tönen  gebracht,  denselben  Schall 
ertönen  lassen.  Ein  anderer  musikalischer  Klang  bringt  entsprechend  andere 
Saiten  in  Mitschwingungen.  Es  gelangen  demnach  durch  die  Luftwellen  im 
Ciavier  stets  jene  Saiten  in  tönende  Mitschwingungen,  welche,  auf  andere 
Weise  zum  Tönen  gebracht,  selbst  die  gleichen  Luftwellen  erzeugen,  andere 
aber  nicht.  Mit  Stimmgabeln  lässt  sich  die  gleiche  Erfahrung  machen.  Nun, 
solche  zum  Mitschwingen  geeignete  Gebilde  sind  die  Bögen  und  Saiten  des 
CoRTi'schen  Organs  auch.  Ein  bestimmter  Ton  bringt  also,  durch  Vermittlung 
der  Membrana  Reissneri  und  Corti,  nur  gewisse  Bögen  und  Saiten  in  Mit- 
schwingungen; da  nun  das  Nervenepithel,  die  Haarzellen,  auf  den  Saiten 
ruhen,  so  können  auch  nur  je  nach  dem  Ton  verschiedene  Nervenfasern  er- 
regt werden.  Dementsprechend  sind  für  das  Hören  die  Saiten  von  grösserer 
Bedeutung  als  die  Bögen.  Dies  bestärkt  auch  der  Umstand,  dass  in  dem 
CoRTi'schen   Organ  der  Vögel  wohl  Saiten,  aber  keine  Bögen  enthalten  sind. 

Wie  wir  sahen,  nehmen  die  Bögen,  sowie  deren  Saiten  in  den 
Schneckenwindungen  von  unten  nach  oben  an  Grösse  zu,  demnach  werden 
tiefe  Töne  die  unteren,  hohe  die  der  Spitze  nahe  gelegenen  Saiten  in  Mit- 
bewegungen und  die  entsprechenden  Nervenfasern  in  Erregung  versetzen. 
Wir  gelangen  also,  indem  wir  von  der  Structur  des  CoRTi'schen  Organs  aus- 
gehen, zu  der  Annahme,  dass  jeder  Bogen,  eventuell  jede  Saite,  von  der  Basis 
bis  zur  Spitze  der  Schnecke  genau  für  einen  bestimmten  Ton  abgestimmt 
ist  und  dessen  WahrnehmuDg  vermittelt.  Diese  Annahme  findet  noch  ihre 
Bestätigung  in  der  Erfahrung,  nach  welcher  Zerstörung  der  Schneckenspitze 
für  tiefe,  Zerstörung  der  Basis  für  hohe  Töne  taub  macht.    Dass  so  ungemein 


HÖREN.  193 

kleine  Gebilde,  wie  die  Saiten  des  CoRTi'schen  Organs,  selbst  mit  sehr  tiefen 
Tönen  in  Mitschwingungen  gerathen,  dies  scheint  nur  möglich,  weil  die 
Saiten  steife  Fäden  sind,  die,  belastet  mit  den  auf  ihnen  ruhenden  Zellen  und 
der  Endolymphe,  als  ganze  schwingen;  eine  jede  Belastung  der  Saiten  macht 
ihren  Eigenton  tiefer.  Da  in  einer  Schnecke  etwa  4500  Bögen  und  wenigstens 
zehnmal  soviel  Saiten  enthalten  sind,  so  ist  hieraus  die  Feinheit  des  Ohres 
bergeiflich,  das  heisst,  die  Fähigkeit,  zwei  Töne  von  annähernd  gleicher 
Schwingungszahl  bereits  als  verschieden  hoch  zu  erkennen. 

Während  es  nun  keinem  Zweifel  unterliegt,  dass  die  Wahrnehmung 
musikalischer  Klänge  und  Töne  die  Schnecke  vermittelt,  gibt  es  Forscher, 
die  da  meinen,  dass  bei  der  Wahrnehmung  von  Geräuschen  die  Säckchen 
und  Ampullen  mitwirken;  doch  widersprechen  dieser  Annahme  sowohl  der 
histologische  Bau,  wie  auch  mechanische  Verhältnisse.  Als  die  einzigen  nach- 
giebigen Theile  des  Labyrinths  haben  wir  die  beiden  Fenstermembranen 
erkannt,  da  die  engen  Canäle,  wie  der  Aquaeductus  vestibuli,  und  Schleimhaut- 
gefässe  hier  wohl  nicht  in  Betracht  kommen.  Demnach  können  die  Bewe- 
gungen des  Steigbügels  den  absoluten  Druck  der  Endolymphe  des  Vorhofs 
und  der  Ampullen  wohl  ändern,  nicht  aber  dieselbe  in  Strömungen  versetzen. 
Wenn  die  Aufgabe  dieser  Druckschwankungen  eine  Erregung  der  Nervenendi- 
gungen der  Ampullen  und  Säckchen  wäre,  dann  dürften  dieselben  nicht  so 
unvortheilhaft  innerhalb  der  membranösen  Gebilde  verborgen,  eingebettet  in 
der  dickflüssigen  Endolymphe  stecken,  um  so  den  vom  ovalen  nacli  dem 
runden  Fenster  ziehenden  Stromlinien  entrückt  zu  sein,  sondern  würden  an 
ganz  bestimmten  Stellen  frei  in  die  Perilymphe  hineinragen.  Ferner  lehrt 
die  Erfahrung,  dass  Thiere  ohne  Schnecke,  so  Fische,  nicht  hören.  Auch 
gelingt  es  leicht,  Meerschweinchen  beide  Schnecken  zu  entfernen,  ohne  das 
Gehörorgan  weiter  zu  verletzen;  solche  Meerschweinchen  sind  stocktaub. 
Andererseits  hören  Tauben,  Kaninchen,  deren  Bogengänge  zerstört  worden 
waren,  ganz  gut.  —  Ein  jedes  Geräusch  ist  eigentlich  nichts  anderes  als  ein 
Gewirr  einzelner  Töne,  in  welche  sich  Geräusche  oft  auch  zerlegen  lassen. 
Wenn  dem  aber  so  ist,  dann  muss  ein  Organ,  welches  genügt,  musikalische 
Klänge  und  Töne  zur  Wahrnehmung  zu  bringen,  auch  genügen,  Geräusche  zu 
vernehmen,  ja,  das  Gegentheil  wäre  einfach  unverständlich.  Das  Geräusch 
erweckt  in  den  Saiten  des  CoRTi'schen  Organs  aber  so  unharmonische,  regel- 
lose Schwingungen,  wie  in  einem  Ciavier,  aus  dem  jedwedes  Geräusch  wider- 
hallt, sobald  seine  Dämpfung  aufgehoben  wurde. 

Bezüglich  der  Säcke  und  Bogengänge  hat  die  Forschung  nachgewiesen, 
dass  Verletzungen  derselben  locomotorische  Störungen  verursachen.  Der  Ver- 
letzung ein  und  desselben  Bogenganges  auf  beiden  Seiten  folgt  bei  jeder 
Bewegung  eine  pendelartige  Bewegung  des  Kopfes  und  die  Neigung  des  ganzen 
Körpers,  sich  um  eine  der  Ebene  des  Bogenganges  senkrechte  Axe  zu 
drehen.  Reizt  man  die  Bogengänge  auf  mechanische,  chemische  oder  elek- 
trische Weise,  so  ruft  dies  ebenfalls  Bewegungen  hervor.  Werden  beide 
Labyrinthe  vollständig  exstirpirt,  dann  nehmen  die  Thiere  ganz  verkehrte 
Kopf-  und  Körpersteliungen  ein,  verlieren  jeden  Wlllenseinfluss  auf  ihre 
Bewegungen  und  machen  den  Eindruck,  als  hätten  sie  alle  Fähigkeit  der 
Orientirung  verloren.  Högyes  fand  in  den  Bogengängen  auch  die  Organe, 
welche  die  gleichzeitigen  Bewegungen  beider  Augen  auf  reflectorischem  Wege 
veranlassen.  Exstirpation  der  Vorhofsäcke  verursacht  ebenfalls  abnorme 
Körperhaltung.  Alle  die  Bogengänge  und  Vorhofsäcke  betreffenden  Erfah- 
rungen der  Forscher  deuten  dahin,  dass  dieselben  zur  Orientirung  des 
Körpers  im  Räume  dienen,  daher  man  sie  als  ein  statisches  Organ  bezeichnet. 

Wie  wir  sahen,  theilt  man  die  Gehörswahrnehmungen  in  Geräusche  und 
Klänge  ein,  die  Empfindung  des  Geräusches  verursachen  unregelmässige,  die 

Ohren-,  Nasen-,  Eachen-,  Kelilkopfkranklieiten.  lo 


194  HÖREN. 

der  Klänge  regelmässige  Schwingungen  des  tönenden  Körpers.  An  den  Klängen 
selbst  unterscheidet  man  deren  Intensität,  Tonhöhe  und  Klangfarbe. 

Die  Intensität  eines  Klanges  hängt  allein  von  der  Amplitude  der 
Luftschwingungen,  demnach  auch  von  der  Amplitude  der  Schwingungen  der  Saiten 
im  CoRTi'schen  Organ  ab.  Beim  Fortpflanzen  des  Schalls  nimmt  seine  Inten- 
sität mit  dem  Quadrate  der  Entfernung  ab,  daher  wird  die  Reizschwelle  auch 
durch  das  Quadrat  der  Entfernung  gemessen,  aus  welcher  zum  Beispiel  das 
Ticken  einer  Uhr  oder  Sprachlaute  gehört  werden.  Man  benützt  auch  Tele- 
phone zur  Messung  der  Reizschwelle,  indem  man  in  den  Kreis  des  zwei  Tele- 
phone verbindenden  Drahtes  als  Nebenweg  ein  Rheochord  oder  die  SiEMENs'sche 
Brücke  einschaltet.  Durch  letztere  kann  die  Tonstärke  in  dem  vor  das  Ohr 
gehaltenen  Telephon  von  Null  bis  zur  möglich  höchsten  Intensität  beliebig 
gesteigert  oder  geschwächt  w^erden.  Als  Schallquelle  dient  eine  tönende 
Stimmgabel  oder  Glocke.  Nach  den  Untersuchungen  ist  selbst  bei  gesunden 
Personen  die  Reizschwelle  nicht  nur  bei  den  einzelnen  Individuen,  sondern 
selbst  an  den  beiden  Ohren  ein  und  desselben  Individuums  eine  verschieden 
hohe.  —  Um  Intensitätsunterschiede  gleich  gut  zu  erkennen,  müssen  die- 
selben, dem  WEBER'schen  Gesetze  entsprechend,  der  absoluten  Stärke  propor- 
tional sein. 

Die  Höhe  wird  durch  die  Frequenz  der  Luftschwingungen  bestimmt;  der 
Klang  ist  um  so  höher,  je  grösser  die  Zahl  derselben  in  der  Zeiteinheit  ist.  Der 
höchste  noch  hörbare  Ton  liegt  zwischen  38-000 — 40.960,  der  tiefste  zwischen 
16 — 40  Schwingungen  in  einer  Secunde.  Die  Hörfähigkeit  erstreckt  sich 
demnach  auf  etwa  11^2  Octaven.  Die  Schwingungszahl  der  in  der  Musik 
gebräuchlichen  Töne  befindet  sich  zwischen  40 — 4000  in  der  Secunde,  schliesst 
also  rund  7  Octaven  ein.  Damit  das  Ohr  den  Eindruck  eines  Tones  wahr- 
nehme, dazu  sind  etwa  16—20  Schwingungen  nothwendig,  Die  Feinheit  des 
Gehörs,  das  heisst,  die  Empfindlichkeit  desselben  für  Höhenunterschiede,  kann 
durch  Uebung  erstaunlich  vervollkommnet  werden.  Man  fand,  dass  geübte 
Musiker  Töne  von  1000  und  1001  Schwingungszahl  zu  unterscheiden  ver- 
mögen. Diese  Fähigkeit,  eine  so  grosse  Reihe  von  Tönen  zu  unterscheiden, 
verdanken  wir  dem  wahrlich  wunderbaren  Bau  des  CoRTi'schen  Organs.  Die 
Wahrnehmung  verschieden  hoher  Töne  ist  nur  dann  möglich,  wenn  einen 
jeden  Ton  eine  besondere  Acusticusfaser  zum  Bewusstsein  bringt.  Es  gelangt 
also  je  nach  der  Höhe  des  Tones  eine  andere  Saite  oder  Saitengruppe  in 
Mitschwingungen,  und  diese  reizen  entsprechend  verschiedene  Nervenfasern. 
Dies  bestätigen  Erfahrungen  insoweit,  als  durch  dieselben  constatirt  wurde, 
dass  die  tiefen  Töne  in  der  Spitze  der  Schnecke,  die  hohen  in  der  ersten 
Windung  erregend  wirken. 

Unter  Klangfarbe  versteht  man  jene  Eigenschaft  der  musikalischen 
Klänge  und  Geräusche,  zufolge  welcher  die  Schallquelle  erkannt  wird.  Zwei 
Klänge  können  gleich  stark  und  gleich  hoch  sein,  und  doch  erscheinen  sie 
uns  je  nach  dem  Instrument  verschieden,  von  dem  sie  stammen.  So  macht 
es  gar  keine  Schwierigkeit,  den  Klang  des  Claviers  von  dem  der  Geige, 
Flöte  etc.  zu  unterscheiden.  Dieser  Unterschied  der  Klänge  ist  bedingt  durch 
die  Schwingungsform.  Untersuchungen  von  Helmholtz,  des  Begründers  der 
physiologischen  Akustik,  haben  ergeben,  dass  die  musikalischen  Klänge,  selbst 
die  menschliche  Stimme,  aus  vielen  einzelnen  einfachen  Tönen  zusammen- 
gesetzt sind.  Von  diesen  Tönen  schallt  der  tiefste  am  stärksten,  derselbe 
bestimmt  die  Höhe  des  Klanges  und  heisst  Grundton;  die  übrigen  Töne  sind 
schwächer,  für  die  verschiedenen  Instrumente  nach  Zahl  und  Stärke  ver- 
schieden und  heissen  Neben-  oder  Obertöne.  Gewöhnlich  achtet  man  in  der 
Musik  nur  auf  den  Grundton,  ein  geübtes  Ohr  kann  aber  aus  dem  musikalischen 
Klang  den  Grundton,  sowie  die  stärkeren  Obertöne  heraushören,  übrigens  sind 
mit  Hilfe  der  Resonatoren  die  Einzeltöne  der  Klänge  auch  für  ungeübte  Ohren 


HÖREN.  195 

erkennbar.  Die  Resonatoren  sind  Hohlkugel a  mit  einer  grösseren  und  einer 
ausgezogenen  engeren  Oett'nung,  von  welchen  man  beim  Gebrauch  die  letztere 
an  das  Ohr  anhält.  Die  Luft  eines  Resonators  verstärkt  nämlich  stets  nur 
den  Eigenton.  Auf  solche  Weise  gemachte  Analysen  der  musikalischen 
Klänge  erwiesen,  dass  die  Schwingungszahl  der  Partialtöne  stets  dem  ganzen 
Vielfachen  der  Schwingungszahl  des  Grundtones  entspricht,  also  die  zwei-, 
drei-,  vier-,  fünffache  der  des  Grundtones  ist.  Man  nennt  die  Partialtöne  des 
musikalischen  Klanges  einfache  Töne.  Ein  solch  einfacher  Ton  ist  der 
des  an  einem  Ende  befestigten,  hin-  und  herschwingenden  Metallstabes,  also 
auch  der  Stimmgabel.  Dem  entsprechend  kann  die  Schwingungsform  eines 
jeden  musikalischen  Klanges  in  einfache  pendelartige  Schwingungen  zerlegt 
werden. 

Wir  haben  bereits  gesehen,  dass,  wenn  der  Eigenton  einer  Ciaviersaite 
ertönt,  dieser  die  entsprechende  Saite  in  Mitschwingungen  versetzt;  erschallt 
ein  musikalischer  Klang,  dann  bringt  derselbe  alle  jene  Saiten  in  Mitschwin- 
gungen, die  den  Grundton  und  den  Obertönen  entsprechen.  Die  mehr  weniger 
complicirte  Schwingungsform,  in  welche  die  Luftth eilchen  durch  den  musika- 
lischen Klang  gerathen,  bringt  alle  jene  Saiten  in  Mitschwingungen,  deren 
Eigentöne  in  dem  musikalischen  Klang  als  Partialtöne  enthalten  sind.  Dem  ähn- 
lich sind  auch  die  Verhältnisse  im  CoRTi'schen  Organ.  Von  den  bis  in  die 
Schnecke  gelangten,  eventuell  sehr  complicirten  Schwingungen  wählt  sich  ein 
jeder  Bogen  und  Saite  den  entsprechenden  Partialton  aus.  Der  Grundton  und 
jeder  Oberton  bringen  je  ein  anderes  Endorgan  in  Erregung.  Das  Gehörorgan 
zerlegt  demnach  den  zusammengesetzten  Klang  in  die  denselben  bildenden 
Partialtöne,  gesonderte  Nervenfasern  leiten  die  Erregungen  zum  Gehirn,  wo 
sie,  wenn  wir  darin  nur  geübt  sind,  auch  gesondert  zum  Bewusstsein  gelangen. 
Wir  sind  aber  gewöhnt,  den  musikalischen  Klang  nur  als  ganzes  aufzufassen, 
und  wähnen  daher,  in  demselben  nur  den  Grundton  zu  vernehmen.  Wir  be- 
gnügen uns  damit,  die  Höhe  und  Intensität  des  Klanges,  eventuell  das  In- 
strument, von  welchem  derselbe  kommt,  zu  erkennen,  denken  aber  weiter  nicht 
an  die  Details,  und  weil  wir  an  diese  zu  achten  nicht  gewöhnt  sind,  werden 
wir  die  Details  auch  nicht  gewahr.  In  dieser  Beziehung  ist  das  Gehör  dem 
Gesicht  weit  überlegen.  Wir  sind  nicht  im  Stande,  in  einer  gemischten 
Farbenerapfindung  jene  einfachen  Farben  zu  erkennen,  aus  welchen  dieselbe 
eventuell  zusammengesetzt  ist. 

Für  die  Klangfarbe  sind  oft  auch  noch  gewisse  Geräusche  charakte- 
ristisch, so  für  den  Klang  der  Geige  das  Reibegeräusch  der  Haare  des  Bogens 
auf  der  gestrichenen  Saite,  für  die  menschliche  Stimme  die  Geräusche,  welche 
die  strömende  Luft  in  den  Luftwegen  erzeugt,  —  Erschallen  zwei  oder  mehr 
verschiedene  Klänge  und  Geräusche,  dann  sind  wir  im  Stande,  einzelne  oder 
einen  derselben  herauszuhören,  sobald  wir  unsere  Aufmerksamkeit  demselben 
allein  zulenken. 

Die  Empfindung,  welche  mehrere  zu  gleicher  Zeit  erschallende  Töne 
oder  Klänge  in  uns  erwecken,  kann  eine  harmonische  oder  dishar- 
monische sein.  Töne,  deren  Schwingungszahlen  sich  zu  einander  so  ver- 
halten, wie  das  Vielfache  zum  Einfachen,  wie  1:2:3:4...  sind  in  voll- 
kommener Harmonie  oder  Consonanz.  In  der  Richtung  zur  Dissonanz 
folgen  dann  die  Quint  (2  :  3),  Quart  (3  :  4),  grosse  Sext  (3  :  5),  grosse  Terz 
(4  :  5),  kleine  Sext  (5  :  8)  und  kleine  Terz  (5  :  6).  Ursache  der  Disharmonie 
sind  die  sogenannten  Schweb ungen.  Die  Wellen  zweier  gleich  hoher  Töne 
können,  je  nach  der  Phase,  in  der  sie  einander  treffen,  an  Intensität  gewinnen 
oder  auch  verlieren,  ja  sie  können  bei  gleicher  Intensität  und  entgegen- 
gesetzter Phasenrichtung  einander  aufheben.  Die  Ursache  dieser  Erscheinungen 
ist  die  Interferenz  der  Tonwellen.  Wenn  zwei  Töne  von  etwas  abweichender 
Höhe  ertönen,  dann  kann  man  beobachten,  dass  der  Schall  periodisch  an  In- 

13- 


196  HÖRPRÜFUNG. 

tensität  zu-  und  abnimmt,  ja  selbst  verstummt.  Dies  sind  die  Schwebungen. 
Solche  Schwebungen  können  nicht  nur  die  Grundtöne,  sondern  auch  die  Ober- 
töne verursachen.  Die  Zahl  derselben  ist  gleich  dem  Unterschied  der 
Schwingungszahlen  beider  Klänge.  Je  näher  daher  die  zu  gleicher  Zeit 
tönenden  Klänge  einander  stehen,  umso  seltener  erfolgen  die  Schwebungen, 
je  weiter  sie  von  einander  sind,  umso  häufiger,  und  in  einer  gewissen  Distanz 
der  Töne  von  einander  nehmen  wir  keine  Schwebungen  mehr  wahr.  20—30 
Schwebungen  in  der  Minute  machen  einen  sehr  unangenehmen  Eindruck. 
Man  hört  auch  Schwebungen,  wenn  von  den  zwei  Tönen  der  eine  dem  einen, 
der  andere  dem  anderen  Trommelfell  direct  zugeleitet  wird;  demnach  kann 
Interferenz  der  Tonwellen  nicht  nur  in  der  Luft,  sondern  selbst  im  Hirn 
entstehen. 

Die  Schallempfindung  tritt  nicht  augenblicklich  ein,  sobald  der  Klang 
erschallt,  sondern  erfordert  eine  gewisse  Zeit;  bei  den  schwächsten  Tönen 
1 — 2  Secunden.  Ebenso  klingt  die  Schallempfindung  auch  nicht  augenblicklich 
mit  dem  Klang  ab,  sondern  überdauert  denselben  eine  kurze  Zeit  lang 
(0"0393 — 0'0055  Secunden.)  Sehr  lange  anhaltendes  Nachklingen  eines  Tones 
oder  Musikstückes  gehört  zu  den  psychischen  Erscheinungen.  Auch  Er- 
müdung des  Gehörorgans  wurde  bemerkt.  Subjective  Gehörsempfindungen, 
wie  Ohrensausen  und  Ohrenklingen,  verursachen  sowohl  krankhafte  erhöhte 
Erregbarkeit,  wie  sie  auch  Eigentöne  der  Ohrtheile  sein  können.  In  den 
meisten  Fällen  veranlassen  Störungen  im  Blutkreislauf  diese  Gehörsempfin- 
dungen. Hierher  stammt  auch  das  Ohrensausen,  welches  man  bei  zugehal- 
tenen Ohren  hört.  ferd.  klug. 

Hörprüfung.  Die  Hörprüfung  hat  nicht  allein  den  Zweck,  den  Nach- 
weis über  den  bei  einem  Patienten  vorhandenen  Grad  des  Hörvermögens  zu 
liefern,  sondern  auch  in  Fällen,  in  welchen  die  übrigen  Untersuchungs- 
methoden negative  oder  unbestimmte  Resultate  ergeben,  über  den  Sitz  des 
Leidens  Auskunft  zu  verschaffen,  d.  h.  so  weit  wie  möglich  zu  entscheiden, 
ob  eine  Krankheit  im  schalleitenden  oder  im  schallempfindenden  Apparate  zu 
suchen  ist.  Wenn  nun  die  Functionsprüfung  in  der  That  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  sichere  difterentiell-diagnostische  Anhaltspunkte  gibt,  so  muss 
doch  von  vornherein  betont  werden,  dass  ihre  Ergebnisse  oft,  und  zwar  gerade 
auch  in  denjenigen  Fällen,  in  welchen  man  auf  ihre  Entscheidung  am  meisten 
angewiesen  ist,  durchaus  unzuverlässig  und  widerspruchsvoll  sind.  Eine 
sanguinische  und  kritiklose  Verwendung  dieser  Untersuchungsmethode  kann 
daher  nur  eine  Verwirrung  der  Diagnose  herbeiführen,  und  besonders  muss 
es  als  unstatthaft  bezeichnet  werden,  wenn  Schlüsse  aus  dem  Resultate  einer 
einzigen,  für  sich  allein  nur  ausnahmsweise  beweiskräftigen  Versuchsanordnung 
gezogen  werden.  Man  braucht  andererseits  auch  nicht  in  einen  übertriebenen 
Skepticismus  zu  verfallen,  welcher  von  den  verschiedenen  Hörprüfungen  keine 
einzige  anerkennen  will  und  welcher  jedesfalls  nur  insofern  Recht  hat,  als 
allerdings  in  Fällen,  in  welchen  alle  Resultate  einander  sowohl  als  den  objec- 
tiven  Befunden  widersprechen,  der  Hörprüfung  nur  ein  bescheidener,  unter- 
geordneter Wert  beizumessen  ist. 

Da  das  Trommelfell  durch  die  Vermittlung  der  in  den  Gehörgang 
eindringenden  Schallwellen  direct  und  durch  die  von  diesen  auf  die  Kopf- 
knochen übertragenen  Schwingungen  in  Bewegung  gesetzt  wird,  so  hat  die 
Hörprüfung  zwei  physiologische  Vorgänge,  den  der  aerotympanalen  Leitung 
und  der  craniotympanalen  Leitung,  zu  berücksichtigen. 

1.  Prüfung  der  aerotympanalen  Leitung. 
a)  Prüfung  mit  der  Taschenuhr.    Die    Taschenuhr  ist    der  am    meisten 
verbreitete  Hörmesser,  als  welcher  sie  sich   auch  ganz  gut  eignet,  w^eil  ihre. 


HÖRPRÜFUNG.  197 

Töne  von  ziemlich  constanter  Höhe  und  Stärke  sind.  Da  die  Entfernung,  in 
welcher  das  Ticken  der  Uhr  normaler  Weise  gehört  werden  kann,  je  nach 
der  Beschaffenheit  des  Werkes  eine  sehr  verschiedene  ist,  so  muss  diejenige 
Taschenuhr,  welche  man  bei  Functionsprüfungen  verwenden  will,  auf  ihre 
individuelle  Hörweite  an  einer  grösseren  Zahl  von  Normalhörenden  geprüft 
werden.  Diese  normale  durchschnittliche  Hörweite  wird  bei  den  Notizen  über 
die  Hörprüfungsresultate  in  den  Nenner  eines  Bruches  gesetzt,  dessen  Zähler 
die  jeweilige  Entfernung  in  Centimetern  angibt,  in  welcher  der  Kranke  das 
Ticken  thatsächlich  gehört  hat.  Hört  also  ein  Kranker  die  normaliter  auf 
2  m  hörbare  Uhr  nur  auf  10  cm,  so  wird  man  notiren:  Hörweite  (H)  für  Taschen- 
uhr =  ^"^oo-  Natürlich  gibt  aber  dieser  Bruch  nur  das  Verhältnis  des  Gehörs 
zu  der  einen  Schallquelle,  der  Taschenuhr,  an,  und  es  kann  nicht  genug  betont 
werden,  dass  dasselbe  anderen  Schallquellen  gegenüber  ein  ganz  anderes  sein 
kann,  dass  also  aus  der  Hörweite  für  die  Taschenuhr  auf  die  Hörfähigkeit 
überhaupt  nicht  geschlossen  werden  darf.  So  lehrt  z.  B.  die  tägliche  Er- 
fahrung, dass  viele,  namentlich  ältere  Menschen  und  solche,  welche  fort- 
dauernd äusseren  Geräuschen  ausgesetzt  sind,  das  Uhrticken  gar  nicht  oder 
nur  auf  ganz  kurze  Entfernung  wahrnehmen,  während  sie  die  Sprache  ganz 
gut  zu  verstehen  im  Stande  sind. 

Die  Prüfung  mit  der  Uhr  muss  für  jedes  einzelne  Ohr,  also  bei  möglichst 
festem  Verschlusse  des  anderen,  vorgenommen  werden,  und  zwar  soll  der 
Patient  dabei  die  Augen  schliessen,  weil  sonst  leicht  absichtliche  oder  unab- 
sichtliche Täuschungen  unterlaufen.  Die  Uhr  ist  aus  einer  Distanz,  in 
welcher  sie  noch  nicht  gehört  wird,  allmählich  dem  Ohre  in  der  Pachtung 
der  Gehörgangaxe  zu  nähern,  bis  das  Ticken  wahrgenommen  wird,  was  der 
Patient  sofort  anzuzeigen  hat.  Bei  umgekehrtem  Wege  würden  die  Nach- 
klänge, die  Trägheit  des  Acusticus  Fehlerquellen  einführen.  Um  zu  contro- 
liren,  ob  der  Patient  richtige  Angaben  macht,  empfiehlt  es  sich,  die  Taschen- 
uhr mehrmals  von  der  Stelle,  von  welcher  sie  angeblich  noch  gehört  wird,  un- 
bemerkt zu  entfernen;  auch  kann  man  Uhrwerke  mit  einer  Hemmvorrichtung 
anwenden,  bei  welchen  durch  einen  unauffälligen  Druck  auf  einen  Knopf  ein 
Stift  in  das  Räderwerk  getrieben  wird,  so  dass  der  Gang  eine  momentane 
Unterbrechung  erleidet. 

An  Stelle  der  Taschenuhr  wird  von  einigen  Ohrenärzten  der  sogenannte 
„einheitliche  Hörmesser"  von  Politzer  (siehe:  Instrumentarium  des 
Ohrenarztes)  verwendet,  welcher  indessen  in  keiner  Beziehung  den  Vorzug  ver- 
dient, zumal  da  er  normaler  Weise  auf  eine  sehr  grosse  Entfernung  (bis 
15  m)  gehört  wird  und  der  mit  ihm  erzeugte  sehr  hohe  Ton  bei  ver- 
schiedenen Instrumenten  verschieden,  also  kein  einheitlicher  ist. 

b)  Prüfung  mit  der  Sprache, 

Die  Sprachprüfung  ist  ebenso  wie  die  mit  der  Uhr  für  jedes  Ohr  ge- 
sondert vorzunehmen.  Damit  der  Kranke  die  Worte  nicht  von  den  Lippen 
des  Arztes  ablesen  kann,  worin  viele  Schwerhörige  eine  grosse  Fertigkeit  be- 
sitzen, muss  er  auch  hier,  solange  er  dem  Arzte  zugewendet  ist,  die  Augen 
schliessen.  Man  soll  bei  der  Prüfung  stets  möglichst  leise  sprechen  und 
niemals  Fragen  stellen,  auf  welche  nur  mit  Ja  und  Nein  geantwortet  werden 
muss,  weil  der  Patient,  auch  wenn  er  nur  einzelne  Silben  verstanden  hat, 
auf  dem  Wege  der  Combination  den  Sinn  zufällig  richtig  erfasst  haben  kann. 
Man  muss  vielmehr  den  zu  Untersuchenden  anweisen,  alles,  was  ihm  vor- 
gesprochen wird,  laut  und  ohne  Zögern  nachzusprechen,  wobei  man  natürlich 
Worte  und  Begriffe  zu  wählen  hat,  w^elche  dem  Ideenkreis  des  Kranken  an- 
gepasst  sind.  Mit  besonderer  Vorliebe  werden  Zahlwörter  zur  Prüfung  ge- 
wählt, gegen  deren  regelmässige  Verwendung  nur  geltend  gemacht  werden 
kann,  dass  der  Patient  sie  zuweilen  auch  richtig  rathen  kann. 


198  HÖRPRÜFUNG. 

Bei  augensclieiülicli  nicht  sehr  herabgesetztem  Hörvermögen  prüft  man 
mit  Hilfe  der  Flüstersprache.  Dieselbe  wird  normaler  Weise  auf  20— 25 
Meter  Entfernung  gehört.  Da  ein  so  grosser  geschlossener  Raum  meist  nicht 
zur  Verfügung  stehen  Avird,  so  erschwert  man  das  Hören  dadurch,  dass  man 
sich  in  möglichst  grosser  Entfernung  von  dem  mit  dem  Gesicht  nach  der 
gegenüberliegenden  Wand  gekehrten  Patienten,  diesem  den  Rücken  zuwendend, 
aufstellt  und  nun  Worte  mit  deutlicher  Aussprache  flüstert.  Versteht  der 
Kranke  diese  „doppelt  abgewandte  Flüstersprache"  nicht,  so  schreitet  man 
rückwärts  näher  zu  ihm  und  versucht,  wenn  auch  dies  vergeblich  ist,  die 
„einfach  abgewandte  Flüstersprache",  indem  man  jetzt  das  Gesicht  dem  Rücken 
des  Patienten  zuwendet.  Bei  höhergradig  Schwerhörigen  prüft  man  mit  „zu- 
gewandter Flüstersprache",  nämlich  direct  gegen  das  zugewandte  freie  Ohr 
des  zu  Untersuchenden. 

Falls  Flüstern  überhaupt  nicht  wahrgenommen  wird,  so  pflegt  man  mit 
abgewandter  oder  zugewandter  Conversationssprache  und,  wenn  nöthig, 
mit  lautem  Sprechen  oder  mit  Schreien  zu  prüfen. 

Da  die  verschiedenen  Laute  der  menschlichen  Sprache,  ihren  Schwin- 
gungszahlen entsprechend,  eine  sehr  verschiedene  Hörweite  besitzen,  so  ist  es 
natürlich  nicht  gleichgiltig,  welche  Worte  man  zur  Prüfung  verwendet.  Die 
ungefähre  Entfernung,  in  welcher  die  Sprachlaute  durchschnittlich  gehört 
werden,  ist  nach  Oskar  Wolf  nämlich  folgende: 

A  =  360  Schritte  Au  =  285  Schritte 

0  =  350         „  U  =  280         „ 

Ei  =  340        „  Seh  =  200 

E  =  330         „  M  =  180         „ 

J  =  300         „  N  =  180 

Eu  -=  290         ;,  S  =  175         „ 

Man  wird  also,  wenn  man  nicht  sehr  Schwerhörige  prüft,  schwieriger 
verständliche  Hörprüfungsworte  anwenden,  d.  h.  solche,  welche  die  in  der 
Scala  zuletzt  stehenden  Laute  (H,  B,  R,  U)  enthalten:  Hundert,  Bruch,  Ruder; 
während  man  bei  beträchtlicherer  Functionsstörung  leichter  verständliche 
Worte  vorspricht:  Schall,  Sechs,  Soldat,  Vaterland. 

c)  Prüfung/  mit  Tönen. 

Da  die  musikalischen  Töne  sich  vermöge  ihrer  regelmässigen  und  genau 
messbaren  Schwingungen  besonders  gut  zur  Hörprüfung  eignen,  so  hat  man 
von  jeher  versucht,  sie  für  die  Diagnose  nutzbar  zu  machen.  Es  ist  dazu 
eine  Reihe  von  Stimmgabeln  erforderlich.  Dieselben  werden  nicht  nur 
dazu  verwendet,  festzustellen,  ob  ihr  Ton  überhaupt,  sondern  auch  wie  lange 
er  gehört  wird,  und  es  ergibt  sich  aus  der  nach  Secunden  bemessenen 
Differenz  der  Perceptionsdauer  zwischen  dem  normal  hörenden  und  dem  er- 
krankten Ohre  ein  Maasstab  für  den  Grad  der  vorhandenen  Hörstörung. 

Die  in  der  Ohrenheilkunde  gebräuchlichen  Stimmgabeln  besitzen  prisma- 
tische Zinken,  welche  behufs  Abschwächung  der  Obertöne  mit  beweglichen 
Gewichten  belastet  sind.  Das  normale  Ohr  ist  im  Stande,  bereits  Töne  von 
12  —  16  Doppelschwingungen  wahrzunehmen.  Die  höchsten  Töne,  welche 
das  Ohr  zu  percipiren  vermag,  können  durch  Stimmgabeln  nicht  hergestellt 
werden,  weshalb  man  Klangstäbe  oder  Pfeifen  benutzt.  Besonders  zweck- 
mässig ist  das  GALTON'sche  Pfeifchen,  welches  je  nach  der  Einstellung 
des  durch  eine  Schraube  verstellbaren  Kolbens  beim  Anblasen  mit  einem 
Gummiball  Töne  von  sehr  beträchtlicher  Höhe,  und  zwar  von  6481  bis  84000 
Doppelschwingungen  liefert.  Die  Schwingungszahlen  lassen  sich  für  jede 
Einstellung  an    einer  Scala  des    Cylindermantels  ablesen. 

Die  „continuirliche  Tonreihe",  welche  Bezold  verwendet,  besteht 
aus  einer  Reihe  von  acht  mit  verschiebbaren  Klemmen  versehenen,  also   auf 


J 

= 

67 

Schritte 

K 

— 

63 

j) 

T 

= 

63 

V 

R 

= 

41 

J7 

B 

= 

18 

)) 

H 

= 

12 

11 

HÖRPRÜFUNG.  199 

verschiedene  Töne  einstellbaren  Stimmgabeln,  deren  tiefste  auf  14  Doppel- 
schwingungen herabreicht,  und  von  denen  jede  höhere  noch  den  obersten  Ton 
der  vorangehenden  tieferen  enthält.  Die  licihe  schliesst  nach  oben  mit  a^  ab, 
daran  schliessen  sich  noch  zwei  gedeckte  Pfeifen  und  das  GAi/rox-Pfeifchen, 
so  dass  der  gesammte  Hörbereich  des  menschlichen  Ohres  umfasst  wird.  Diese 
continuirliche  Tonreihe  wird  nicht  allein  zur  Feststellung  des  höchsten  und 
tiefsten  Tones  benutzt,  welche  der  zu  Untersuchende  zu  hören  im  Stande  ist, 
sondern  dient  auch  dazu,  nachzuweisen,  ob,  was  bei  Erkrankungen  des  schall- 
empfindenden Apparates  nicht  selten  ist,  Lücken  in  der  Continuität  der  wahr- 
genommenen Töne  bestehen.  Auf  die  interessanten  Ergebnisse,  welche  Bezold 
mit  seiner  Tonreihe  erzielt  hat,  kann  hier  nicht  näher  eingegangen  w'erden. 
Es  genügt  hier  zu  betonen,  dass  der  Umfang  der  Tonreihe  bei  Ohraffectionen 
mannigfachen  Schwankungen  unterworfen  ist.  So  werden  im  allgemeinen  die 
Töne  an  der  oberen  Grenze  bei  Erkrankungen  des  schallempfindenden  Ap- 
parates und  die  Töne  an  der  untern  Grenze  bei  Erkrankungen  des  schallei- 
tenden Apparates  nicht  wahrgenommen,  und  es  ist  festgestellt  worden,  dass 
der  Umfang  des  menschlichen  Gehörs  bis  zum  Alter  auch  gewissermaassen 
physiologisch  nach  der  oberen  Tongrenze  eine  halbe  Octave  verliert,  um  wäh- 
rend des  eigentlichen  Greisenalters  noch  mehr  herabgesetzt  zu  werden.  Nach 
ZwAARDEMAKEß  liegt  der  obere  Grenzton  in  der  Jugend  bei  e'^,  im  hohen 
Alter  bei  a^. 

2.  Prüfung  der  craniotympanalen  Leitung. 

Der  physiologische  Vorgang,  welcher  früher  gemeinhin  als  „Knochen- 
leitung" bezeichnet  wurde,  ist  bekanntlich  nicht  so  aufzufassen,  als  ob  er 
ausschliesslich  durch  eine  directe  Uebertragung  der  durch  den  Schall  ver- 
ursachten Schwingungen  der  Kopfknochen  auf  das  Labyrinth  zustande  käme; 
es  kommt  hier  vielmehr  neben  dieser  directen  Schwingungs-Uebertragung  auch 
die  Fortleitung  der  Schallw^ellen  von  den  Knochen  auf  das  Trommelfell  und  durch 
den  gesammten  Leitungsapparat  in  Betracht.  Es  erscheint  deshalb  zweck- 
mässig, nach  dem  Vorschlage  von  Hensen  den  Ausdruck  Knochenleitung 
durch  die  Bezeichnung  craniotympanale  (osteotympanale)  Leitung 
zu  ersetzen. 

Für  den  Nachweis,  ob  die  craniotympanale  Leitung  vorhanden  ist,  wie 
es  der  Fall  sein  muss,  wenn  keine  Erkrankung  des  schallpercipirenden  Appa- 
rates besteht,  genügt  in  vielen  Fällen  das  Andrücken  der  Taschenuhr  auf  die 
Schläfe  oder  den  Warzenfortsatz.  Bei  gesunden,  jüngeren  Individuen  ergibt 
sich  regelmässig,  dass  das  Ticken  von  diesen  Stellen  des  Schädels  aus  wahr- 
genommen wird;  bei  älteren  Leuten  hingegen,  etwa  vom  55.  Jahre  ab,  er- 
lischt die  osteotympanale  Perception  für  das  Uhrticken  häufig  mehr  und  mehr, 
während  lautere  Töne,  wie  z.  B.  solche  der  Stimmgabel,  noch  ganz  gut  gehört 
werden.  Aus  dem  Fehlen  der  Wahrnehmung  des  Uhrtickens  bei  älteren  Leu- 
ten folgt  daher  für  die  Diagnose  zunächst  nichts.  Auch  kommt  es  bei  jün- 
geren Kranken  nicht  selten  vor,  dass,  obwohl  bestimmt  nur  eine  Erkrankung 
des  Leitungsapparates  vorliegt,  doch  die  Taschenuhr  zu  Zeiten  nicht  vom  Kno- 
chen aus  gehört  wird;  zuweilen  genügt  in  solchen  Fällen  eine  therapeutische 
Maassregel,  z.  B.  eine  Lufteinblasung,  um  die  craniotympanale  Perception  so- 
fort wiederherzustellen  („intermittirende  Kopfknochenleitung). 

Keinesfalls  darf  man  also  aus  dem  blossen  Fehlen  der 
Wahrnehmung  des  Uhrtickens  vom  Warzenfortsatze  oder  der 
Schläfe  aus  ohne  weiteres  auf  das  Vorhandensein  einer  Er- 
krankung des  nervösen  Apparates  schliessen,  während  aller- 
dings eine  wesentliche  Affection  desselben  ausgeschlossen 
werden  kann,  wenn  von  einem  Schwerhörigen  die  Uhr  vom  Kno- 
chen aus  gehört  wird. 


200  HÖRPRÜFUNG. 

Für  die  Differentialdiagnose  zwischen  Erkrankungen  des  Sclialleitungs- 
apparates  und  solchen  der  schallpercipirenden  Organe  dienen  hauptsächlich 
folgende  Versuche. 

a)  Der  V\^EBER'scJie   Versuch. 

Der  Normalhörende  vernimmt  den  Ton  einer  auf  den  Scheitel  auf- 
gesetzten schwiogenden  Stimmgabel  an  der  Ansatzstelle;  verstopft  er  die 
Ohren  mit  den  Fingern,  so  klingt  der  Ton  in  beiden  Ohren  gleich  stark, 
verschliesst  er  aber  nur  ein  Ohr,  so  wird  der  Ton  deutlich  stärker  auf  diesem 
vernommen  („lateralisirt").  Ebenso  verhält  es  sich  in  Fällen  von  einseitiger, 
durch  ein  Hindernis  im  Leitungsapparate  bedingter  Schwerhörigkeit,  und  man 
ist  im  allgemeinen  berechtigt,  wenn  ein  einseitig  oder  auf  einem  Ohre  vor- 
wiegend Schwerhöriger  den  Ton  der  Stimmgabel  auf  dem  kranken  oder 
schwerer  afficirten  Ohre  ausschliesslich  oder  deutlicher  hört,  auf  eine  peri- 
phere Ursache  der  Functionsstörung  zu  schliessen.  Wird  hingegen  beim 
WEBER'schen  Versuche  der  Ton  ausschliesslich  oder  stärker  auf  dem  gesunden 
Ohre  wahrgenommen,  und  vernimmt  das  kranke  Ohr  auch  von  andern  Stellen 
des  Kopfes  aus  den  Ton  nicht,  so  liegt  wahrscheinlich  eine  Afiection  des 
schallpercipirenden  Apparates  auf  der  kranken  Seite  vor. 

Sichere  Angaben  über  die  Seite,  auf  welcher  ein  Ton  lauter  gehört  wird, 
erhält  man  indessen  nicht,  wenn  die  Differenz  zwischen  der  Hörfähigkeit 
beider  Ohren  nicht  ziemlich  beträchtlich  ist.  Der  Versuch  ist  daher  nur  für 
vorwiegend  einseitige  Schwerhörigkeit  zu  verwenden.  Auch  ist  zu  bemerken, 
dass  trotz  überwiegender  Perception  des  Stimmgabeltones  auf  dem  schlechteren 
Ohre  auf  diesem  dennoch  neben  einer  peripheren  Erkrankung  eine  centrale, 
d.  h.  eine  solche  des  Schallempfindungsapparates,  vorhanden  sein  kann. 

In  neuerer  Zeit  hat  Jankau  versucht,  durch  die  Verbindung  der  beiden 
zu  untersuchenden  Ohren  mit  denen  des  Arztes  vermittelst  zweier  Hörschläuche 
von  je  1  m  Länge  eine  objective  Controle  über  den  Ausfall  des  WEBER'schen 
Versuches  zu  gewinnen.  Er  fand,  dass  auf  der  Seite,  auf  welcher  der  Patient 
den  Ton  stärker  hört,  auch  der  Arzt  eine  intensivere  Wahrnehmung  hat  und 
umgekehrt.  Wenn  nun  dieses  Verhalten  auch  oft  unzweifelhaft  zutrift't,  so 
ist  der  von  Jankau  gezogene  Schluss  doch  ein  übereilter,  dass  in  Fällen,  in 
welchen  die  Untersuchung  mit  dem  Spiegel  u.  s.  w.  die  Erkrankung  des 
schalleitenden  Apparates,  die  binotoskopische  Untersuchung  aber  einen 
schwächeren  Ton  von  der  erkrankten  Seite  her  ergibt,  das  Labyrinth  in  Mit- 
leidenschaft gezogen  sei;  denn  es  lässt  sich  an  geeigneten  Fällen  leicht  nach- 
weisen, dass  auch  bei  reinen  Affectionen  des  Schallleitungsapparates  nicht 
selten  der  Tod,  welcher  von  dem  schwerhörigen  Ohre  zugeleitet  wird,  er- 
heblich schwächer  ist  als  der  von  der  gesunden  Seite  zuströmende. 

b)  Der  RiNNE'scAe  Versuch. 

Setzt  man  eine  tiefgestimmte  Stimmgabel  auf  den  Warzenfortsatz  eines 
normalen  Ohres,  so  wird  der  Ton  nach  einer  gewissen  Anzahl  von  Secunden 
nicht  mehr  gehört  werden,  „verklungen  sein",  sofort  aber  wieder  zur  Wahr- 
nehmung gelangen,  wenn  die  Stimmgabel,  ohne  wieder  angeschlagen  worden 
zu  sein,  jetzt  vor  die  Ohrmuschel  gehalten  wird  („positiver  Ausfall  des 
Rinne's chen  Versuches",  R  -\-).  Besteht  hingegen  auf  einem  Ohre 
Schwerhörigkeit  infolge  einer  Schalleitungsaffection,  so  wird  der  Ton,  nachdem 
er  am  Warzenfortsatze  verklungen  ist,  vor  der  Ohrmuschel  nicht  wieder 
gehört  („negativer  Ausfall  des  RiNNE'schen  Versuches",  R  — ),  wobei 
es  öfters  gleichzeitig  auffällt,  dass  der  Ton  vom  Warzenfortsatze  aus  länger 
als  von  Normalhörenden  wahrgenommen  wird. 

Während  der  negative  Ausfall  des  RiNNE'schen  Versuches  bei  Schall- 
leitungshindernissen im  allgemeinen  vorwiegend  zutrifft,  ist  es  nicht  ohne 
weiteres   berechtigt,   aus  dem  positiven  Ausfall  bei  einem  Schwerhörigen  auf 


HÖRPRÜFUNG.  201 

eine  Erkrankung  des  Perceptionsapparates  zu  schliessen,  und  namentlich  ist 
dieser  Schluss  unstatthaft,  wenn  auf  dem  entgegengesetzten  Ohre  der  Versuch 
ein  negatives  Ergebnis  hat  und  beim  WEHEii'schen  Versuche  der  Ton  stärker 
gehört  wird;  denn  es  ist  in  solchen  Fällen  nicht  zu  vermeiden,  dass  auch 
vom  Warzenfortsatze  der  ersteren  Seite  der  Stimmgabelton  auf  die  andere 
überspringt.  Ebenso  fällt  der  ßiNNE'sche  Versuch  gar  nicht  selten  ausge- 
sprochen negativ  aus,  wenn  neben  einer  peripheren  eine  centrale  Erkrankung 
vorliegt.  Ueberhaupt  sind  die  Ergebnisse  des  RiNNE'schen  Versuches  auch 
unzuverlässig,  wie  schon  aus  dem  Umstände  hervorgeht,  dass  bei  umgekehrter 
Anordnung,  also  bei  Aufsetzen  der  Stimmgabel  auf  den  Warzenfortsatz,  nach- 
dem ihr  Ton  vor  dem  Ohre  verklungen  war,  nicht  selten  dieselben  liesultate 
statt  der  entgegengesetzten  wie  bei  dem  ursprünglichen  RiNNE'schen  Versuche 
angegeben  werden. 

c)  Prüfung  der  Perceptionsdauer  des  Stimmgabeltones.    (Schwab ach.) 
Wie  schon   erwähnt  worden  ist,   fällt  es   bei  Stimmgabelversuchen   auf, 

dass  solche  Patienten,  welche  an  einer  Erkrankung  des  Schalleitungsapparates 
leiden,  eine  verlängerte  Perception  für  die  craniotympanale  Leitung  besitzen, 
d.  h.  den  Ton  der  schwingenden  Stimmgabel  vom  Knochen  aus  länger  hören 
als  Normalhörende.  Schv^abach  namentlich  hat  diese  Thatsache  diagnostisch 
zu  verwerten  gesucht,  indem  er  die  Dauer  der  Perception  der  auf  den 
Scheitel  aufgesetzten  Gabel  mit  Hilfe  der  Secundenuhr  feststellte,  und  es  hat 
sich  in  der  That  ergeben,  dass  eine  erhebliche  Verlängerung  der  Perceptions- 
dauer bei  peripheren  Erkrankungen  fast  regelmässig  vorhanden  ist,  während 
in  den  weitaus  meisten  Fällen  von  Affection  des  schallempfindenden  Apparates 
die  Perceptionsdauer  verkürzt  ist. 

In  Fällen,  in  welchen  der  KiNNE'sche  und  WEBER'sche  Versuch  einander 
widersprechen,  kann  daher  diese  Prüfungsmethode  als  eine  zuverlässigere 
zuweilen  den  Ausschlag  geben. 

Im  allgemeinen  haben  die  vergleichenden  Hörprüfungen  ergeben,  dass 
die  am  wenigsten  zuverlässigen  Resultate  der  RiNNE'sche  Versuch  gibt,  dass 
der  WEBER'sche  Versuch  hingegen  wenigstens  bei  einseitigen  Affectionen  ver- 
hältnismässig gute  Resultate  aufzuweisen  hat,  dass  ferner  die  Perceptions- 
dauer bei  intelligenten  Patienten  die  sichersten  Angaben  verschafft,  und  dass 
endlich  die  binotoskopische  Methode  von  Jankau  bei  einseitigen  peripheren 
Erkrankungen  brauchbar  ist,  bei  verwickeiteren  Verhältnissen  hingegen  unsichere 
Ergebnisse  liefert. 

Von  den  zahlreichen  zu  differentiell-diagnostischen  Zwecken  sonst  noch 
empfohlenen  Versuchen  heben  wir  folgende  hervor: 

d)  Versuch  von  Bing. 

Verschliesst  der  zu  Untersuchende,  sobald  der  Ton  der  auf  den  Scheitel 
oder  den  Warzenfortsatz  aufgesetzten  Stimmgabel  verklungen  ist,  das  zu 
prüfende  Ohr  mit  dem  Finger,  so  klingt  der  Ton  wieder  an  und  noch  dui'ch 
einige  Zeit  fort.  Diese  „secundäre  Perception"  bleibt  aber  aus,  wenn  das 
äussere  oder  mittlere  Ohr  erkrankt  ist.  Eine  wesentlich  verkürzte  Dauer  der 
secundären  Perception  bei  verlängerter  oder  unverkürzter  Primärperception 
soll  auf  einen  medialwärts  gelegenen  Leitungswiderstand  zurückzuführen  sein. 

e)  Versuch  von  Corbadi. 

Auch  CoRRADi  unterscheidet  eine  secundäre  Perception,  welche  indessen 
dadurch  hervorgerufen  wird,  dass  die  auf  den  Warzenfortsatz  aufgesetzte 
Stimmgabel,  nachdem  ihr  Ton  verklungen  ist,  entfernt  und  nach  etwa  zwei 
Secunden  genau  auf  die  frühere  Stelle  wieder  zurückversetzt  wird,  ein  Versuch, 
welcher  in  vielen  Fällen  1,  2,  3,  höchstens  4raal  mit  demselben  Erfolge 
wiederholt  werden  kann,  dass  die  secundäre  Empfindung  wieder  eintritt  und 
längere  oder  kürzere  Zeit  andauert.    Die  Vermehrung  der  secundären  Emptiin- 


202  HÖRPRÜFUNG. 

duDgen,  welche  in  normalen  Fällen  bei  Verstopfung  des  Ohres  mit  dem  Finger 
eintritt,  wird  bei  pathologischen  Veränderungen  im  Schalleitungsapparate 
beobachtet,  wohingegen  die  secundären  Empfindungen  bei  unzweifelhaften 
Labyrintherkrankungen  fehlen. 

/)  Versuch  von  Gelle  (Pressions  centripetes). 

Ein  mit  einer  Olive  versehener,  10  bis  20  cm  langer  Gummischlauch 
verbindet  einen  birnförmigen  Ballon  mit  dem  zu  untersuchenden  Ohre.  Wird 
der  Ballon  leicht  comprimirt,  so  vernimmt  der  Normalhörende  den  Ton  einer 
auf  seinen  Scheitelaufgesetzten  Stimmgabel  („Diapason  vertex")  im  Momente 
der  Compression  abgeschwächt,  bei  zunehmender  Compression  noch  leiser 
(Pressions  centripetes  Diapason  vertex  positiv  =  PCDV  +).  Dasselbe  posi- 
tive Ergebnis  erhält  man,  wenn  die  Stimmgabel  bei  diesem  Versuche  nicht 
auf  den  Kopf  der  Versuchsperson,  sondern  auf  das  feste  Verbindungsstück 
zwischen  Ballon  und  Gummischlauch  aufgesetzt  wird,  also  bei  aerotympanaler 
Leitung  (PC  aer.  -|-).  Nach  Bloch,  welcher  diesen  Versuch  weiter  ausgedehnt 
hat,  kann  man  nun,  wenn  bei  einseitiger  Schwerhörigkeit  auf  dem  normalen 
Ohre  die  Pressions  centripetes  sowohl  für  Luft-  als  für  Knochenleitung  eine 
Abschwächung  des  Stimmgabeltones  herbeiführen  (also  PC  aer.  -j-,  PCDV  -f), 
am  anderen  Ohre  hingegen  der  Ausfall  für  Luftleitung  positiv,  für  Knochen- 
leitung negativ  ist  (PC  aer.  -\-,  PCDV  — ),  auf  eine  Immobilisirung  des  Steig- 
bügels schliessen.  Ist  das  Trommelfell  unbeweglich,  so  fällt  die  normale 
Wirkung  der  Compression  für  den  aerotympanalen  wie  für  den  osteotympanalen 
Weg  aus  (PC  aer.  — ,  PCDV  — );  besteht  ein  Defect  im  Trommelfelle,  so 
hängt  der  Ausfall  allein  von  dem  Zustande  des  ovalen  Fensters  ab. 

(/)  Versuch  von  Eitelberg. 

Eitelberg  lässt  eine  grosse  Stimmgabel  15 — 25  Minuten  lang  immer 
von  neuem  in  der  gleichen  Stärke  vor  dem  Ohre  ertönen  und  schliesst,  wenn 
die  Perceptionsdauer  der  einzelnen  Anschläge  beträchtlich  zunimmt,  eine 
Erkrankung  des  schallempfindenden  Apparates  aus,  während  er  eine  solche 
annimmt,  wenn  die  Perceptionsdauer  sinkt  (Ermüdung  des  Hörnerven). 

h)  Prüfung  mit  dem  Interferenz- Otoskop  von  Lucae. 
Das  Interferenz-Otoskop  besteht  aus  einem  gabelig  getheilten  Hörrohre, 
welches  unterhalb  seiner  Theilung  mit  zwei  Gummischläuchen  in  Verbindung 
steht,  von  denen  der  eine  den  Ton  einer  Stimmgabel  zuführt,  der  andere  die 
Schallwellen  aus  dem  Hörrohre  zum  Ohre  des  Arztes  zu  leiten  bestimmt  ist. 
Werden  die  beiden  Enden  der  Gabel  luftdicht  in  die  Ohren  der  Versuchs- 
person eingesetzt,  so  kann  der  Beobachter  durch  abwechselndes  Zudrücken 
des  einen  oder  des  anderen  Schenkels  den  Schall  aus  dem  rechten  oder  linken 
Ohre  des  zu  Untersuchenden  reflectiren  lassen.  Klingt  der  Ton,  welcher  von 
dem  schlechten  Ohre  zurückgeworfen  wird,  schwächer  als  der  vom  gesunden 
reflectirte,  so  ist  auf  eine  Affection  des  centralen  Ohrabschnittes  zu  schliessen, 
während  eine  abnorme  Fixation  des  Trommelfelles  und  der  Gehörknöchelchen 
sich  durch  vermehrte  Pteflexion  der  Schallwellen  aus  dem  schlechteren  Ohre 
äussert,  also  eine  Verstärkung  des  dem  Arzte  zuströmenden  Geräusches 
bedingt.  Der  Versuch  ist  nur  bei  vorwiegend  einseitiger  Erkrankung  aus- 
führbar. 

Die  Diagnose  der  simulirten  Taubheit. 

Die  Frage,  ob  Taubheit  wirklich  vorhanden  ist  oder  nur  simuliit  wird,  ist  oft  schwer 
zu  beantworten.  Selbst  wenn  objectiv  wahrnehmbare  Veränderungen  bestehen,  so  folgt 
daraus  doch  niemals,  dass  sie  erhebliche  Functionsstörungen  bedingen  müssen;  kann  doch 
z.  B.  bei  fehlendem  oder  bei  total  verkalktem  Trommelfelle  die  Hörfähigkeit  sehr  gut  sein. 
Anderntheils  verlaufen  aber  gerade  diejenigen  Ohraffectionen,  welche  die  Function  am 
schwersten  schädigen,  ohne  charakteristische  Befunde  am  Trommelfelle.  Man  ist  daher 
bei  der  Entlarvung  von  Simulanten  im  wesentlichen  auf  die  Anstellung  von  Hörprüfungen 
angewiesen.     Die  wichtigsten  derselben  sind  folgende: 


HÖRPRÜFUNG.  203 

A.  Diagnose  der  simulirten  einseitigen  Taubheit. 

a)  Nach  Moos  kann  man  den  WEBER'schen  Versuch  anwenden.  Der  Simulant  wird 
angeben,  den  Ton  der  Stimmgabel  auf  dem  gesunden  Ohre  und,  wenn  nun  dieses  verstopft 
wird,  überhaupt  nicht  zu  hören,  während  thatsächlich  der  Schall  jetzt  auf  dem  gesunden 
Ohre  verstärkt  müsste  wahrgenommen  werden.  - 

h)  ScHWARTZE  benutzt  die  Thatsache,  dass  ein  gesundes  Ohr  niemals  vollständig 
ausser  Thätigkeit  gesetzt  werden  kann,  indem  er  das  angeblich  intacte  Ohr  verstopft  und 
in  der  Nähe  desselben  laut  spricht.  Will  der  zu  Untersuchende  davon  nichts  hören,  so 
ist  er  ein  Simulant. 

c)  Das  Verfahren  von  Coggin.  Der  verticale  Schenkel  eines  T-Rohres  wird  mit  einem 
Schallbecher,  jeder  horizontale  durch  Gummischläuche  mit  je  einem  Ohr  des  zu  Unter- 
suchenden verbunden.  Während  man  möglichst  leise  in  den  Becher  spricht,  drückt  man 
unbemerkt  abwechselnd  bald  den  einen,  bald  den  andern  Schlauch  zusammen  und  verwirrt 
auf  diese  Weise  meist  sehr  bald  den  Simulanten,  so  dass  er  bei  Verschluss  des  zum 
angeblich  tauben  Ohre  führenden  Schlauches  ebenso  reagirt  wie  auf  der  gesunden  Seite. 

d)  L.  Müller  armirt  beide  Oliren  des  zu  Untersuchenden  mit  je  einem  Schallfänger 
und  spricht  zunächst  möglichst  rasch  und  leise  in  das  angeblich  gesunde  Ohr.  Der 
Patient  wird  vorher  angewiesen,  alles  nachzusprechen.  Hierauf  spricht  ein  Assistent  in 
das  angeblich  taube  Ohr,  wobei  der  Simulant  nichts  zu  hören  vorgeben  wird.  Sprechen 
alsdann  beide  Beobachter  gleichzeitig  in  je  ein  Ohr,  so  werden  sich  die  Eindrücke  beim 
Simulanten  verwischen,  während  der  thatsächlich  einseitig  Taube  unbeirrt  nur  das  in  das 
gesunde  Ohr  Gesprochene  wiederholen  wird. 

e)  Ein  Verfahren  von  Teuber  beruht  auf  demselben  Princip.  Hier  wird  durch  zwei 
in  ein  Nebenzimmer  geleitete  Röhren,  welche  nicht  nur  mit  beiden  Ohren  des  der  Simu- 
lation Verdächtigen,  sondern  auch  mit  denen  eines  normalhörenden  Zeugen  in  Verbindung 
stehen,  abwechselnd  gesprochen.  Der  Simulant  wie  der  Zeuge  wird  sehr  bald  die  zu  beiden 
Ohren  gelangenden  Eindrücke  nicht  mehr  auseinanderhaHen  können,  während  der  auf 
einem  Ohre  Taube  immer  nur  das  in  das  gesunde  Ohr  Gesprochene  hören  wird. 

f)  Kern  gibt  folgende  Modification  des  MÜLLER-TEUBER'schen  Verfahrens  an:  Zwei 
Assistenten  sprechen  in  die  beiden  Gummischläuche,  von  denen  jeder  mit  einem  Ohre  des 
zu  Prüfenden  in  Verbindung  steht,  genau  gleichzeitig  denselben  Satz,  jedoch  in  der  Art, 
dass  der  in  das  gesunde  Ohr  Sprechende  ein  vorher  bestimmtes,  den  Sinn  des  Satzes  ent- 
stellendes Wort  auslässt.  Wird  der  volle  Satz  einschliesslich  des  sinnklärenden  Stich- 
wortes nachgesprochen,  so  ist  die  Hörfähigkeit  auf  dem  angeblich  tauben  Ohre  erwiesen. 
(Beisisiel:  gesundes  Ohr:  „vier  mal  fünf  ist  zwanzig";  angeblich  taubes  Ohr:  „vier  mal  fünf 
ist  einundzwanzig)." 

B:  Diagnose  der  simidirten  beiderseitigen  Taubheit. 

Die  Erkennung  der  Simulanten  completer  Taubheit  kann  oft  nur  mit  Zuhilfenahme 
einer  List  ermöglicht  werden.  Durch  Anrufen  während  des  Schlafes,  in  der  Betrunkenheit, 
durch  verletzende  Aeusserungen  und  Beleidigungen,  durch  die  Ankündigung  einer  Opera- 
tion zur  Beseitigung  der  Taubheit  lassen  sich  Simulanten  zuweilen  überführen. 

Für  die  Beurtheilung  der  Angaben  eines  zu  Prüfenden  ist  auch  sein  Mienenspiel 
zu  verwerten.  Beiderseits  Schwerhörige  zeigen  durch  den  gespannten,  ängstlich  lau- 
schenden Gesichtsausdruck,  durch  ihre  an  den  Lippen  des  Sprechenden  unverwandt  haf- 
tenden Augen,  das  Bestreben,  das  Gesprochene  aufzufassen;  der  Simulant  hingegen  bemüht 
sich  in  der  Regel,  um  sich  durch  kein  Zucken  seiner  Mienen  zu  verrathen.  einen  mög- 
lichst gleichgiltigen,  nichtssagenden  Gesichtsausdruck  zu  zeigen  und  vermeidet  es  stets, 
den  Beobachter  zu  fixiren. 

Wie  bereits  Schwartze  hervorgehoben  hat,  verrathen  sich  Simulanten  zuweilen  auch 
dadurch,  dass  sie  die  Schwingungen  einer  auf  ihren  Scheitel  oder  gar  auf  ihre  Finger- 
spitzen aufgesetzten  Stimmgabel  nicht  zu  fühlen  vorgeben.  Menschen,  welche  ganz  taub 
zu  sein  behaupten,  überführt  man  auch  manchmal,  wenn  man  hinter  ihrem  Rücken  ein 
sehr  lautes  Geräusch  hervorbringen,  z.  B.  eine  Thüre  zuwerfen  lässt.  Selbst  complet 
Taube  fühlen  die  damit  verbundene  Erschütterung  und  drehen  sich  nach  der  muthmaass- 
lichen  Richtung  des  Schalles  um,  während  der  Simulant,  wofern  er  genügende  Selbst- 
beherrschung besitzt,  regungslos  stehen  bleibt. 

Die  Entlarvung  von  vorgeblich  Taubstummen  gelingt  meist  leicht.  Der  Betrüger 
pflegt  ein  sehr  übertriebenes  und  unzweckmässiges  Geberdenspiel  zu  zeigen,  welches  das 
durchaus  maassvolle  und  wohl  berechnete  der  Taubstummen  höchst  unvollkommen  nach- 
ahmt. Auch  die  Lautsprache  der  Taubstummen  eignet  sich  der  Simulant  niemals  so  zu- 
treffend an,  dass  er  einen  Sachkundigen  täuschen  könnte.  Das  sicherste  Mittel  der  Üeber- 
führung  ist  das  Zusammenbringen  des  Betrügers  mit  wirklich  Taubstummen,  unter  welchen 
er  sich  durch  sein  von  dem  ihrigen  abweichendes  Wesen  sehr  bald  verrathen  wird. 

BÜEKNEK. 


204  HUSTEN. 

Husten  (Tussis)  stellt  einExspirationsphänomen  dar,  bei  welchem 
die  unter  erhöhtem  Druck  unterhalb  der  Stimmritze  befindliche  Luftsäule  die 
Glottis  plötzlich  mit  Gewalt  öffnet  und  unter  charakteristi- 
schem Tone  nach  aussen  entweicht.  Der  Klang  dieses  Tones  ist  sehr 
verschieden,  je  nachdem  der  Hustenstoss  gleichzeitig  Secretmassen  nach  aussen 
befördert  oder  nicht,  je  nachdem  die  einzelnen  Theile  des  Kehlkopfs,  insbeson- 
dere die  Stimmbänder,  im  normalen  Zustande  oder  pathologisch  verändert  sind. 
Auch  die  Intensität  des  Hustens  ist  verschieden,  oft  nur  ein  einfaches  wieder- 
holtes, räuspern-ähnliches  Hüsteln,  oft  wieder  paroxysmenartige  Hustenanfälle 
von  bellendem  (Keuchhusten),  pfeifendem  (Stenose  der  Respirationswege),  kräch- 
zendem Charakter. 

Der  Husten  kann  willkürlich  erzeugt  werden,  wird  aber  in  der  Regel 
ref  lectorisch  von  den  verschiedensten  Stellen  des  Respirationsapparates  und 
anderer  Körpertheile  ausgelöst.  *) 

Das  Hustencentrum  liegt  nach  Kohts  in  der  Medulla  oblongata  an  der 
Stelle  der  Ala  cinerea.  Durch  eine  directe  Reizung  dieses  Hustencentrums 
muss  der  Husten  bei  Tabes,  bei  Chorea  und  Epilepsie,  welches  zuweilen 
bei  diesen  Nervenkrankheiten  als  selbständiges  Symptom  in  den  Vordergrund 
tritt,  erklärt  werden.  Das  gleiche  gilt  für  den  Husten,  welcher  sich  nach 
Verletzungen  des  Halsmarkes  und  der  Halswirbelsäule  zeigt. 

Am  häufigsten  entsteht  der  Husten  durch  Reizung  jener  sensiblen  Aeste 
des  Nervus  vagus,  welche  sich  in  der  Schleimhaut  des  Larynx,  insbesondere 
der  Regio  interarytaenoidea  (Nervus  laryngeus  superior),  in  der  Trachealwand, 
insbesondere  der  Bifurcationsstelle,  und  in  der  Pleura  verzweigen. 

Nach  Kohts  kann  wohl  durch  Reizung  der  Pleura  pulmonalis,  nicht  aber  der 
Pleura  costalis  Husten  erzeugt  werden.  Vom  Lungengewebe  selbst  gelingt  es  nicht, 
Husten  zu  erregen. 

Der  von  Störk  u.  a.  bestrittene  Pharynxhusten  kann  experimentell 
durch  Berührung  der  hinteren  Pharynxwand  mit  der  Sonde  hervorgerufen 
werden.  —  Nach  Scheck  ist  die  Hyperplasie  der  Zungentonsille,  der 
an  der  Zungenbasis  befindlichen,  oft  himbeergrossen  Follikel,  welche  sich  an 
der  Epiglottis  reiben  oder  den  Rand  derselben  einklemmen,  eine  relativ  häu- 
fige Ursache  von  Husten. 

Der  Nasenhusten  wird  durch  Reizung  der  sensiblen  Trigeminusfasern 
in  der  Schleimhaut  ausgelöst,  ist  ein  Symptom  von  Nasenschleimhauterkran- 
kungen und  wird  namentlich  beobachtet  bei  Nasenpolypen,  Rhinolithen  und 
Fremdkörpern  in  der  Nase.  Auch  im  Nasenrachenraum  kann  die  Ursache 
des  Hustens  sitzen.    (Hypertrophie  der  Rachen-  und  Gaumenmandeln.) 

Der  Ohr  husten  entsteht  durch  Reizung  der  Nervi  auriculares  vagi.  Er 
wird  bei  Fremdkörpern  im  äusseren  Gehörgang  —  selbst  das  Einführen  des 
Ohrtrichters,  namentlich  solcher  aus  „kaltem"  Metall  erzeugt  oft  schon  Husten 
—  beobachtet. 

Die  Möglichkeit  eines  Magenhustens  wird  von  der  Mehrzahl  der 
Autoren  geleugnet  (Naunyn).  Das  den  Husten  häufig  begleitende  Erbrechen 
ist  eine  Folge  der  starken  Anstrengung  der  Bauch  presse,  durch  deren 
Wirkung  die  Speisen  mechanisch  aus  dem  Magen  entfernt  werden.  Anders 
erklärt  Edlessen  das  Erbrechen  nach  anhaltenden  Hustenanfällen,  es  entsteht 
durch  aus  dem  Kehlkopf  geschleudertes  Secret,  welches  die  hintere  Rachen- 
wand und  die  Zungenwurzel  reizt  und  so  reüectorisch  Vomitus  hervorruft. 
Wahrscheinlich  sind  beide  Möglichkeiten  für  dieses  Phänomen  vorhanden. 

Druck  auf  die  normale  oder  pathologisch  vergrösserte  Leber  und  Milz 
erzeugt  Leber-  resp.  Milz  husten  (Naunyn).  M.  Schmidt  sah  bei  einer 
Dame  heftige  Husteuanfälle  verschwinden,  als  ein  Gallenstein  abgieng. 

*)  Bezüglich  des  sogenannten  „nervösen  Hustens"  vergl.  auch  Artikel  „Glottis- 
krämpfe^,  pag.  170  dieses  Bandes. 


HUSTEN.  205 

Darm  husten  wird  als  Symptom  von  Helminthiasis  und  bei  offenen 
Baucliverletzungen  beobachtet. 

Uterushusten  wird  bei  Erlirankungen  der  weiblichen  Sexualorgane 
beobachtet.  Es  ist  fraglich,  ob  in  der  That  in  solchen  Fällen  die  locale 
Genitalerkrankung  direct  den  Hustenreiz  auslöst  oder  nicht  vielmehr  die 
hysterische  Diathese  die  Ursache  hiefür  abgibt.  Nach  Profander  findet 
sich  derselbe  bei  manchen  Frauen  als  steter  Begleiter  der  Menses  und  der 
eintretenden  Schwangerschaft,  ferner  bei  chronischer  Oophoritis,  Metritis,  Lage- 
veränderungen, parametranen  Entzündungs-  und  Schrumpf ungsprocessen,  kurz, 
bei  fast  allen  Affectionen  der  weiblichen  Sexualorgane. 

Analog  wurde  ein  Hodenhusten,  bei  Entzündungen  und  Geschwülsten 
des  Scrotalinhaltes,  aber  auch  bei  Entzündungen  der  Harnröhre  und  Blase 
beobachtet. 

Auch  ein  Hauthusten  wird  von  einzelnen  Autoren  beschrieben.  Es 
sind  dies  Fälle,  in  denen  die  geringste  Berührung  der  Haut  intensivste 
Hustenanfälle  auslöste.    (Ebstein,  Strübing,  Leyden.) 

In  diagnostischer  Beziehung  ward  das  Symptom  „Husten"  in  erster 
Reihe  auf  eine  Affection  des  Kespirationstractes  schliessen  lassen,  und  die 
genaue  Untersuchung  der  Hals-  und  Brustorgane  wird  die  specielle  Ursache 
des  Hustens  ergeben.  Ist  dieselbe  nicht  auffindbar,  so  wird  man  nach  den 
oben  angeführten  Möglichkeiten  an  einen  „reflectorischen  Husten"  denken 
können. 

Die  Therapie  des  Hustens  ist  zunächst  eine  ätiologische,  d.  h.  Beseiti- 
gung resp.  Heilung  des  Grundleidens.  Häufig  ist  aber  das  Symptom  „Husten" 
als  solches  ein  den  Kranken  derart  quälendes,  dass  wir  symptomatisch  den 
Husten  zu  bekämpfen  suchen  werden.  Hiezu  dienen  eine  ganze  Gruppe  von 
Arzneistoffen,  die  als  Bechica  (ßr^c,  ßv/^o?  der  Husten)  in  der  Pharmakologie 
bezeichnet  werden.  Indirect  wird  der  Husten  dadurch  beseitigt,  dass  die 
Expectoration  befördert  oder  beschränkt  wird.  Daher  gehören  zu  den  Bechica 
alle  die  Expectoration  befördernden,  den  Schleim  lösenden,  die  Respirations- 
wege dessinficirende  Arzneistoffe. 

Als  solche  sind  zu  nennen  die  Aufgüsse  und  Decocte  von  Rad.  Salep., 
Semen  Cydon.,  Rad.  Althaeae,  Rad.  Graminis,  Rad.  Caricis,  Rad.  Liquirit,  die 
verschiedenen  einfachen  und  zusammengesetzten  Theesorten  (Spec.  Althaeae, 
pectorales  etc.),  ferner  die  alkalisch-salinischen  Stoffe,  wie  Natr. 
bicarb.,  Ammon.  chlorat.,  Mineralwasser  von  Selters,  Kissingen,  Gleichenberg 
u.  a.,  die  nauseosen  Expectorantia,  wie  Apomorphin,  Ipecacuanha, 
Senega  etc.  und  endlich  die  Balsamica  (Ol.  terebinthinae,  juniperi,  Terpin- 
hydrat,  Balsamum  Peruvianum,  Myrtol  etc.) 

Direct  wird  der  Husten  beseitigt  durch  die  Narcotica,  als  deren 
Repräsentant  das  Opium  resp.  das  Morphin  gilt,  während  Belladonna 
und  Hyosciamus  als  ältere,  Co  de  in  und  Peronin  als  moderne  Ersatz- 
mittel des  Morphin  Verwendung  finden. 

Bei  den  Erkrankungen  des  Eachens  und  Kehlkopfes  werden  die  Expec- 
torantia fast  gar  nicht  verwendet.  Denn  entweder  ist  der  Husten  nur  durch  einfache 
Schwellung,  resp.  Entzündung  und  ülcerationen  bedingt,  oder  das  vorhandene  Secret  ist 
so  spärlich  und  liegt  seinem  Sitze  entsprechend  so  oberflächlich,  dass  eine  Indication  für 
die  Expectorantia  nicht  vorhanden  ist.  Umso  häufiger  werden  nebst  narkotische  Bestand- 
theile  enthaltenden  Gurgelwässern,  Inhalationen  und  Insufflationen  die  Narkotica  interne 
verwendet. 

Bezüglich  des  Morphins  kann  nur  die  Warnung,  es  möglichst  sparsam 
und  nur  bei  dringender  Indication  zu  verordnen,  nachdrücklichst  betont 
werden.  Bei  Kindern  unter  drei  Jahren  darf  Morphin  überhaupt  nicht 
verordnet  werden.  Auch  für  grössere  Kinder  und  Erwachsene  gilt  die  Regel, 
dass  bei  Bronchial-  und  Lungenafiectionen,  bei  denen  die  Auscultation  das 
Vorhandensein   reichlichen  Secretes   in   den   Bronchialverästigungen  anzeigt, 


206  HYPERGEüSIE.  —  HYSTERIE  DES  OHRES. 

die  Beschränkung  des  Hustenreizes  durch  Morphin  contraindicirt  ist. 
Ganz  zwecklos  ist  die  von  manchen  Aerzten  beliebte  Combination  von  Expec- 
torantien  (Ipecacuanha)  und  Narkotica  (Morphin)  in    einer  Arzneimischung. 

Nach  BoucHARDAT  empfiehlt  sich  die  Verwendung  von  Morphin-Atro- 
pinpillen,  namentlich  beim  Husten  jener  Individuen,  deren  Herz  erkrankt 
ist,  in  folgender  Form:  Kp.  Morph,  sulf.  0'2,  Tind.  Eucalypti  gtis.  II,  Atropin. 
sidfuric.  O'Ol,  Mel.  depurat.  qii.  s.  M.  f.  l.  a.  pill.  Nr.  XX.  S.  1  —  2  Pillen 
täglich. 

Jener  Husten,  Welcher  durch  Stauungsbronchitis  bei  Herzaffectionen  verursaclit  ist, 
wird  jedoch  viel  wirksamer  als  durch  Morphin  durch  die  bekannten  Cardiaca  bekämpft. 
Die  Verordnung  der  nauseosen  Expectorantien  ist  in  solchen  Fällen  direct  contraindicirt, 
wegen  der  Gefahren,  welche  das  eventuelle  Erbrechen  im  Gefolge  hat. 

Durch  vielseitige  Erfahrungen  hat  sich  das  Codein  als  wertvolles  Ersatz- 
mittel des  Morphins  erwiesen.  Es  wird  in  Pulverform  als  Codeinum  purum 
(0-02  bis  0'05  pro  dosi,  0-2  pro  die)  oder  als  Codein.  phosphoric.  in  Lösung 
verordnet. 

Ein  zweites  modernes  Ersatzmittel  des  Morphins  ist  das  Peronin. 
Nach  den  an  der  Klinik  Schröttee  von  Stampfl  gemachten  Erfahrungen 
setzt  es  den  Hustenreiz  herab,  so  dass  der  Husten  seltener  und  abgeschwächter 
auftritt,  das  am  Ende  der  Hustenattaquen  auftretende  Erbrechen  hört  auf, 
ebenso  die  Schmerzen  an  den  Zwerchfellansätzen.  Die  Expectoration  wird 
geringer,  hört  aber  niemals  vollständig  auf,  was  jedenfalls  als  Vortheil  dieses 
Arzneistoffes  anzusehen  ist. 

Die  Einzeldosis  des  Peronins  beträgt  0-02(7,  ad  maximum  0-06  (/,  die 
maximale  Dosis  pro  die  ist  0'2.  Es  wird  in  Pulver,  Pillen  und  in  Lösung 
verschrieben:  Rp.  Peronin  0'5^  Aqu.  destill.  100.  S.  Abends  1  Theelöffel  in 
Zuckenvasser).  Contraindicirt  ist  das  Mittel  bei  Neigung  zu  starken 
Schweissen,  weil  es  selbst  etwas  schweissanregend  wirkt.  —  Für  Insufllationen 
in  den  Larynx  ist  es  nach  Stampfl  nicht  geeignet. 

Sehr  rasch  wird  zuweilen  der  Husten  durch  Beseitigung  seiner 
entsprechenden  Ursache  behoben.  Entfernung  von  Nasenpolypen,  Fremd- 
körpern im  Ohr  und  Nase,  adenoiden  Vegetationen  etc.  Vorhandene  Schleim- 
hauterkrankungen, namentlich  solche  des  Larynx  und  Pharynx,  müssen  durch 
entsprechende  Localbehandlungen  geheilt  werden.  (Vergl.  Artikel  ^^Inhalationen'-'' 
und  „Insuflalionen".)  Bei  dem  aus  entfernter  Ursache  entstehenden  Reflex- 
husten genügt  oft  auch  nur  ein  kleiner  Eingriff,  um  die  Hustenanfälle  zu 
beseitigen,  z.  B.  das  Einlegen  eines  Pessars  beim  Uterushusten  infolge  von 
Lageveränderung  der  Gebärmutter. 

In  anderen  Fällen  ist  Allgemeinbehandlung  nothwendig.  DieKlimato- 
und  Hydrotherapie  spielt  nicht  nur  bei  dem  als  Symptom  einer  Hals- 
Brustaffection  auftretenden  Husten,  sondern  auch  bei  dem  als  selbständige 
Erkrankung  auftretenden  nervösen  Husten  eine  bedeutsame  Rolle,  jul.  weiss. 

HypergeUSle  {Hyperaesthcsia  gustatoria)  ist  eine  Ueberempfindlichkeit 
des  Geschmackssinnes,  die  sich  bei  hysterischen  Personen  findet.  Beim 
Kosten  einer  Speise  haben  diese  Individuen  eine  stark  ausgeprägte  Geschmacks- 
empfindung in  einer  bestimmten  Form,  welche  anderen  beim  Kosten  derselben 
Speise  abgeht.  So  bezeichnen  sie  etwas  „als  versalzen",  „gallbitter",  „ekelhaft 
süss"  etc.,  was  nicht  im  mindesten  diese  Epitheta  verdient.  (Die  Anomalien 
des  Geschmackes  sind  ausführlich  im  Band  I  der  „Internen  Medicin'-^  pag. 
775  dieses  Werkes  behandelt.)  R. 

Hysterie  des  Ohres.  Das  Gehörorgan  bietet  öfters,  als  es  auf  Grund 
der  in  der  Literatur  vorhandenen  Angaben  anzunehmen  wäre,  Erscheinungen, 
welche  der  hysterischen  Neurosis  zuzuschreiben  sind.  Dieselben  können  in 
folgende  Kategorien  eingetheilt  werden: 


HYSTERIE  DES  OHRES.  207 

I.  Modificationen  der  specifischen  akustischen  Sensibilität. 
IL  Modificationen   der  Hautsensibilität   entsprechend   der   Ohrmuschel, 
dem  äusseren  Gehörgang  und  dem  Trommelfelle. 

III.  Otalgien  von  hysterischem  Charakter. 

IV.  Hysterogene  Zonen  des  Gehörorgans. 

V.  Vasomotorische  Störungen  und  Hämorrhagien  des  Gehörorgans. 

Die  wichtigsten  unter  allen  Moditicationen  beim  Hysterismus  sind  die- 
jenigen, welche  die  Hörschärfe  betreffen;  sie  können  von  einer  einfachen 
Verminderung  des  Gehörs  bis  zur  vollständigen  Taubheit  variiren.  Solche 
Modificationen  bedeuten  entweder  eine  bloss  partielle  Erscheinung  einer  allge- 
meinen Hemianästhesie  oder  aber  eine  isolirte  Manifestation  der  Neurosis,  und 
in  letzterem  Falle  hängen  sie  meistentheils  mit  anatomischen  Veränderungen 
des  Gehörorgans  zusammen.  Die  Charaktere,  welche  die  akustische  Anästhesie 
zeigt,  sind  in  beiden  Fällen  gleich. 

Die  Ursachen,  welche  am  öftesten  die  akustische  Anästhesie  bei  hyste- 
rischen Individuen  hervorrufen,  sind: 

1.  Organische  Läsionen  des  Ohres.  Diese  können  so  gering- 
fügig sein,  dass  sie  nur  durch  die  genaueste  Prüfung  erkannt  werden;  sie 
erscheinen  im  Hinblick  auf  die  Schwere  und  Heftigkeit  der  Symptome  nur 
von  secundärer  Bedeutung  im  klinischen  Gesammtbilde,  während  sie  doch  in 
Wirklichkeit  die  Ursachen  darstellen,  welche  die  Localisation  der  Neurosis  im 
Gehörorgane  bewirken. 

2.  Traumen.  Es  tritt  oft  akustische  Anästhesie  allein  oder  gleich- 
zeitig mit  anderen  Anästhesien  infolge  eines  indirecten  Traumas  auf,  das 
auf  die  entsprechende  Kopfseite  einwirkt;  die  directen  Traumen,  welche  durch 
den  äusseren  Gehörgang  hindurch  auf  das  Trommelfell  und  das  Mittelohr 
übergreifen,  oder  indirecte,  aber  schwere  Traumen,  welche  den  Schädel  treffen, 
rufen  wegen  organischer  Läsionen  des  Gehörs  Taubheit  in  mehr  oder  weniger 
hohem  Grade  hervor.  Es  darf  auch  nicht  vergessen  werden,  dass  in  letzterem 
Falle  den  functionellen,  auf  organischen  Läsionen  beruhenden  Erscheinungen 
auch  nervöse  Symptome  sich  zugesellen  können. 

S.Allgemeine  erschöpfende  Krankheiten  und  acute  In- 
toxicationen;  unter  den  ersteren  ist  vor  allem  das  typhöse  Fieber  her- 
vorzuheben. 

Die  hysterische  Taubheit,  welche  sich  der  Stummheit  zugesellt,  hat  eine 
besondere  nosologische  Bedeutung,  da  sie  ein  w'ohl  bestimmtes  klinisches  Bild 
darbietet.  Die  Taubstummheit  kommt  viel  seltener  als  die  Stummheit  vor 
und  kann  auch  das  einzige  Symptom  der  Neurose  bilden.  Organische  Läsionen 
des  Gehörorgans  beim  Hysterismus  können  ausserdem  functionelle  Störungen 
anderer  Organe  veranlassen,  oder  es  kann  das  Umgekehrte  stattfinden. 

Die  Bestimmung  der  functionellen  Symptome  der  hysterischen  Anästhesie 
kann  praktisch  sehr  wichtig  werden.  Gewöhnlich  handelt  es  sich  um  eine 
Verminderung  der  Perceptiou  des  Schalles  gleichförmig  längs  der  ganzen 
Tonleiter,  während  bei  Läsionen  des  Schalleitungsapparates  die  Abnahme  der 
Hörschärfe,  wie  bekannt,  hauptsächlich  die  tiefen  und  bei  Erkrankungen  des 
Labyrinthes  die  hohen  Töne  betrifft.  Derartige  functionelle  Symptome  können 
durch  die  Prüfung  mit  der  Stimmgabel  von  verschiedenen  Tonhöhen  erkannt 
werden.  Das  Experiment  von  Rinne,  bei  welchem  man,  wie  bekannt,  festzustellen 
sucht,  ob  eine  bestimmte  schwingende  Stimmgabel  von  tiefer  Tonhöhe  (unter  c^} 
längere  Zeit  hindurch  percipirt  wird,  wenn  man  sie  vor  dem  Gehörgang  oder 
auf  dem  Warzenfortsatz e  hält,  zeigt  bei  der  hysterischen  Taubheit  zwei  dif- 
ferente  Modalitäten.  Wenn  die  Taubheit  nur  massigen  Grades  ist  und  nicht 
von  Alterationen  des  Schalleitungsapparates  begleitet   wird,    dann  ergibt  das 


208  HYSTERIE  DES  OHRES. 

Experiment  positive  Resultate;  in  Fällen  von  hochgradiger  Taubheit  aber  kann 
der  RiNNE'sche  Versuch,  namentlich  wenn  er  mit  sehr  tiefen  Tönen  angestellt 
wird,  negativ  werden,  und  zwar  in  verschiedener  Weise.  Dies  zu  erörtern  ist 
hier  nicht  am  Platze. 

Vom  Scheitel  aus  (WEBER'scher  Versuch)  wird  die  Stimmgabel,  wenn 
die  Anästhesie  hochgradig  und  peripherisch  ist,  vornehmlich  von  der  gesun- 
den oder  weniger  ai'ficirten  Seite  her  percipirt;  wenn  aber  ,die  Anästhesie 
geringer  und  psychischen  Charakters  ist,  dann  kommt  es  vor,  dass  die  auf 
den  Scheitel  gesetzte  Stimmgabel  trotz  der  Einseitigkeit  des  Gehörleidens 
entweder  gar  nicht  oder  aber  auf  dem  schlechteren  Ohre  lateralisirt  wird, 
wenn,  wie  es  oft  geschieht,  in  diesem  nebst  der  hysterischen  Anästhesie  auch 
Alterationen  des  Schalleitungsapparates  vorhanden  sind. 

Die  Dauer  der  Perception  der  verschiedenen  auf  den  Scheitel  gesetzten 
Stimmgabeln  (Versuch  von  Schwabach)  ist,  im  Vergleiche  mit  normalen 
Fällen,  gewöhnlich  kürzer.  Die  oben  angegebenen  functionellen  Charaktere 
sind,  ausser  der  hysterischen  Anästhesie,  auch  den  Krankheiten  des  Labyrinths 
im  allgemeinen  und  denen  des  Nervus  acusticus  eigen;  man  kann  aber  jene 
von  diesen  dadurch  unterscheiden,  dass  bei  den  Erkrankungen  des  Labyrinths 
die  Uhr  relativ  viel  schlechter  als  die  Flüstersprache  percipirt  wird,  während 
bei  der  hysterischen  Anästhesie  das  Umgekehrte  der  Fall  ist. 

Die  Hörschärfe  variirt  bei  organischen  Läsionen  des  inneren  Ohres  nur 
in  geringem  Grade,  während  die  Variationen  bei  der  Anästhesie  nicht  nur 
von  Tag  zu  Tag,  sondern,  man  kann  wohl  sagen,  von  Minute  zu  Minute  er- 
folgen können. 

Bei  frischen  Erkrankungen  des  Labyrinths  ist  die  elektrische  Reizbarkeit 
des  Nervus  acusticus  stark  erhöht,  während  man  bei  der  Anästhesie  von  Seite 
des  Acusticus  gewöhnlich  keine  Reaction  erhält. 

Bei  Aflfectionen  des  Labyrinths  sind  subjective  Geräusche  und  zuweilen 
Schwindelanfälle  vorhanden,  während  diese  beiden  Symptome  gewöhnlich  nicht 
zum  symptomatischen  Bilde  der  Anästhesie  gehören. 

So  wae  die  anderen  Formen  der  Anästhesie  hat  auch  die  acustische 
Anästhesie  einen  vorwiegend  psychischen  Charakter.  Bei  gewissen 
Kranken  kann  man  sogar  eine  Perception  des  Hörreizes  nachweisen,  die 
jedoch  nicht  zum  Bewusstsein  gelangt. 

Solche  Individuen  sehen  wie  zerstreut  aus,  sie  scheinen  nicht  zu  hören, 
weil  sie  mit  anderen  Gedanken  beschäftigt  sind,  und  können  deshalb  auch  den 
Eindruck  von  Simulanten  machen.  Man  muss  andererseits  immer  beachten, 
dass  die  Simulation  einen  der  psychischen  Charaktere  des  Hysterismus  bildet, 
und  die  Diagnose  der  akustischen  Anästhesie  muss  sich  daher  auf  das  Vor- 
handensein anderer  Kennzeichen  der  Neurosis  und  der  angeführten  charakte- 
ristischen functionellen  Symptome  stützen.  Die  hysterische  Taubheit  gesellt 
sich  gewöhnlich  anderen  Erscheinungen  der  Neurosis  zu;  in  manchen  Fällen 
ist  sie  jedoch  das  einzige  Symptom  derselben,  sie  beginnt  langsam  oder  rasch, 
in  letzterem  Falle  gewöhnlich  nach  einem  typischen  Anfalle.  Ihre  Dauer  ist 
sehr  variabel,  die  Prognose  gewöhnlich  günstig. 

Nebst  der  Verminderung  oder  gänzlichem  Aufhören  der  Hörschärfe  findet 
man  bei  Hysterie  oft  verschiedenartige  Modificationen  der  Sensibilität  der 
Haut  der  Ohrmuschel  für  Tast-,  Schmerz-  und  Wärmeeindrücke.  Obgleich 
es  nicht  ganz  richtig  ist,  dass,  wie  einige  Autoren  behaupten,  die  Anästhesie 
der  Ohrmuschel  für  Tastempfindungen  in  allen  Fällen  in  Beziehung  zur  aku- 
stischen Anästhesie  stehe,  so  muss  doch  anerkannt  werden,  dass  für  gewöhn- 
lich ein  derartiger  Zusammenhang  bestehe.  Je  bedeutender  die  Anästhesie  beim 
Hysterismus  ist,  desto  hochgradiger  sind  die  peripherischen  Erscheinungen, 
und  es  leiden  die  verschiedenen  Arten  der  Sensibilität  einer  bestimmten  Region 
des  Körpers;   wenn  hingegen   die  Anästhesie  geringfügig  ist,   dann  zeigt  sie 


INHALATIONS-THERAPIE.  209 

gewöhnlicli  nur  psychischen  Charakter,  und  die  Erscheinungen  von  Seite  der 
specifischen  Sensibilität  und  des  Tastsinnes  gehen  nicht  Hand  in  Hand  mit 
einander. 

Die  Sensibilität  der  Bindehaut  des  Auges  und  die  des  Rachens  ist  bei 
Hysterie  oft  vermindert  oder  gänzlich  geschwunden;  diese  Erscheinung 
kann  jedoch  nicht  nur  beim  Hysterismus,  sondern  auch  bei  anämischen  und 
chlorotischen  Individuen  und  als  individueller  Charakter  auch  bei  gesunden 
Personen  angetroffen  werden.  In  ganz  allgemeinem  Sinne  kann  man  auch 
sagen,  dass  die  der  Hautoberfläche  benachbarten  Schleimhäute  bezüglich  der 
Sensibilität  für  Tasteindrücke  sich  wie  die  Haut  selbst  verhalten,  und  dass 
die  organischen  Veränderungen  derselben  auch  die  Symptome  der  in  ihnen 
localisirten  Neurosen  modificiren.  gradenigo. 

Inhalations-Therapie.  Die  Inhalations-Behandlung  bezweckt,  die 
Athmungsluft  derart  zu  beeinflussen,  dass  durch  das  Eindringen  derselben  in  die 
Hals-  und  Brustorgane  ein  heilender  Einfluss  auf  pathologische  Veränderungen 
derselben  ausgeübt  wird.  Dies  geschieht  durch  Beimengung  medicamentöser 
Stoffe  zur  Athmungsluft  oder  durch  Veränderung  ihrer  Temperatur. 

Der  Athmungsluft  können  direct  beigemischt  werden:  Gase,  Dämpfe 
und  in  den  gasförmigen  Zustand  übergehende  flüchtige  Arzneistoffe,  oder 
indirect  derselben  zugeführt  werden,  indem  mittels  geeigneter  Apparate  ge- 
löste Arzneistoffe  in  feinste  Zerstäubung  gebracht  werden  und  gleichsam 
in  Form  eines  feinen  Nebels  inhalirt  werden. 

Die  Inhalationstherapie  wird  zur  therapeutischen  Beeinflussung  der  Er- 
krankungen des  Lungengewebes  angewandt  und  ist  in  ihren  verschiedenen 
Formen  in  dem  Artikel  ,^Pneu7no- Spirotherapie'-''  dieses  Werkes  (Interne  Medicin, 
Bd.  III,  pag.  22)  ausführlich  geschildert. 

Es  erübrigt  deshalb  nur,  in  Kürze  die  Technik  der  Inhalationstherapie 
bei  Erkrankungen  des  Rachens,  der  Nase  und  des  Kehlkopfes  zu  be- 
sprechen. 

Technik  und  Instrumentarium.  Die  einfachste  Form  der  Inhala- 
tion ist  die,  warme  Dämpfe  kochenden  Wassers  zu  inhaliren,  was  dadui'ch 
geschieht,  dass  man  das  Gesicht  mit  geschlossenen  Augen  über  den  über  einer 
Spiritusflamme  noch  in  Kochen  befindlichen  oder  bereits  davon  entfernten 
Topf  hält  und  zum  Abschluss  der  äusseren  Luft  den  vornübergebeugten  Kopf 
mit  einem  Handtuch  bedeckt.  Oder  man  kann  den  Dampftopf  durch  einen 
Trichter  abschliessen  und  durch  Anschluss  des  Mundes  an  die  Trichterspitze 
inhaliren.  Wenn  dies  beschwerlich  fällt,  so  kann  man  an  die  Trichterspitze 
einen  Gummischlauch  befestigen  und  in  aufgerichteter,  resp.  gradsitzender 
Stellung  diesen  Gummischlauch  zum  Munde  führen. 

Zur  Inhalation  flüchtiger  Stoffe  eignet  sich  ferner  das  nach  dem  Princip 
der  WuLFF'schen  Flasche   construirte   Inhalationsfläschchen  von   Dr.  Siemon. 

Nach  der  Beschreibung  von  A.  Schmid  ist  dasselbe  folgendermaassen 
construirt.  Es  ist  ein  Fläschchen,  das  in  seinem  unteren  Antheil  einen  durch 
eine  Einschnürung  abgesonderten  Raum  besitzt.  Es  wird  durch  einen  doppelt 
durchbohrten  Pfropf  abgeschlossen.  Die  eine  Bohrung  desselben  ist  durch 
eine  Glasröhre  ausgefüllt,  welche  mit  dem  einen  Ende  nur  kurz  in  den  Raum 
des  Fläschchens  hineinreicht  und  an  seinem  anderen,  im  rechten  Winkel  ab- 
gebogenen Ende  einen  kurzen  Gummischlauch  trägt,  der  mit  einem  Mundstück 
aus  Glas  versehen  ist.  Durch  die  andere  Bohrung  führt  ein  nach  aussen 
offenes  Glasrohr,  welches  in  seinem  unteren  Drittel  eine  ballonförmige  Er- 
weiterung trägt,  die  wieder  in  ein  senkrechtes  Glasrohr  endet.  Das  letztere 
berührt  mit  seinem  unteren  Ende  den  Boden  des  Fläschchens.  Zur  Anwen- 
dung eignen  sich  ätherische  Oele,  wie  Terpentin,  Eucalyptus,  Salbeiöl,  und  in 
denselben  lösliche  Arzneistoffe  (Kreosot,  Jodoform,  Menthol). 

Ohren-,  Nasen-,  Kaclien-,  Kelilkopfkranklieiten.  1* 


210  INHALATIONS-THERAPIE. 

Weniger  gebräuchlich  in  der  Inhalationstherapie  der  Halsorgane  als  in 
der  der  Brustorgane  sind  die  Kespiratoren,  wie  z.B.  die  von  Cueschman 
angegebene  Maske.  Sie  besteht  im  wesentlichen  aus  einer  Hohlkapsel,  in 
welcher  ein  Schwamm  liegt,  der  mit  dem  betreffenden  Medicamente  getränkt 
ist.  Befestigt  der  Kranke  diese  Maske  vor  der  Mund-  und  Nasenöffnung,  so 
muss  die  inspirirte  Luft  sich  mit  dem  vom  Schwamm  verdunsteten  Medicament 
mischen. 

Die  zweite  Art  der  Inhalation  ist  die  durch  Apparate,  welche  Flüssig- 
keiten zerstäuben.  Ein  solcher  ist  der  in  den  Modificationen  von  Schnitzler 
und  Tröltsch  gebräuchliche  Zerstäuber  von  Richardson.  Dieser  besteht 
aus  einem  Doppelballon  (Gebläse),  einem  Glasgefäss,  welches  das  Inhalations- 
mittel in  Lösung  enthält  und  einer  den  verschliessenden  Kork  desselben 
durchbohrenden  verticalen  Röhre,  welche  einerseits  mit  dem  Gebläse,  anderer- 
seits mit  dem  zur  Inhalation  vor  den  Mund  geführten  Ansatzrohr  in  Ver- 
bindung ist.  Nach  dem  Principe  des  Heronsballes  wird  die  Luft  in 
dem  Glasgefäss  stark  comprimirt  und  hiedurch  gleichzeitig  mit  der  Arznei- 
flüssigkeit durch  das  enge  Ausfuhrrohr  nach  aussen  getrieben. 

Auf  dem  Princip  der  Hebung  medicamentöser  Flüssigkeit 
durch  Aspiration  beruhen  die  von  Siegle  und  Oertel  construirten  In- 
halationsapparate. Beide  Apparate  sind  in  der  Praxis  so  gebräuchlich,  dass 
wir  auf  eine  Beschreibung  derselben  verzichten  können.  Jeder  moderne 
Instrumentenkatalog  enthält  Abbildungen  derselben. 

Die  Preise  der  Inhalationsapparate,  welche  früher  ziemlich  hochgestellt 
waren  —  ein  OERTEL'scher  Apparat  kostete  10  Mark  —  sind  gegenwärtig  in- 
folge des  „Massenconsums''  gesunken,  und  man  erhält  ganz  verwendbare 
„Dampfinhalationsapparate"  um  2 — 3  Mark. 

Die  grossen  „Inhalationsmaschinen",  wie  sie  in  den  Curorten,  wie 
Reichenhall,  Kissingen  etc.  aufgestellt  sind,  sind  nach  einem  anderen  Prin- 
cipe gebaut,  und  zwar  nach  dem  Principe  des  1858  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften demonstrirten  Apparates  von  Sales-Girons.  Es  besteht  im  Wesen 
darin,  dass  durch  den  Druck  grosser  Compressionspumpen  die  medicamentöse 
Flüssigkeit  durch  eine  feine  Ausflussöffnung  mit  bedeutender  Kraft  gepresst 
und  gegen  eine  feste  Platte  getrieben  wird,  wodurch  eine  Zerstäubung  der 
Flüssigkeit  in  der  Form  eines  feinen  IS^ebels  zustande  kommt.*) 

Wassmuth  in  Barmen  hat  in  den  Inhalatorien  von  Reichenhall, 
Ems,  Oeynhausen,  Baden-Baden,  Aachen,  Meran  u.  a.  nach  diesem 
Principe  construirte  Apparate  aufgestellt. 

Bezüglich  des  G e b r a u c h e s  der  Inhalationsapparat'e  sind  gewisse 
Regeln  zu  beachten.  Der  Inhalirende  sitze  vor  dem  Apparat  in  einer  Ent- 
fernung von  ca.  15  cm,  weil  der  Spray  hiedurch  in  voller  Concentration  in 
den  Mund  gelangt.  Die  Haltung  des  Kopfes  sei  eine  etwas  zurückgebeugte, 
damit  der  Uebergang  der  Mund-  in  die  Rachen-  und  Kehlkopfhöhle  nicht 
unter  einem  rechten,  sondern  möglichst  stumpfen  Winkel  vor  sich  gehen  und 
das  Anprallen  des  Inhalationsstromes  an  der  Rachenwand  möglichst  vermieden 
werde  (A.  Schmid). 

Die  Inhalationen  sollen  ohne  jede  Anstrengung  in  Form  von  tiefen, 
ruhigen  Athemzügen  vor  sich  gehen.  Schmid  empfiehlt,  bei  Diphtherie  das 
Zuleitungsrohr  zwischen  die  Zähne  nehmen  zu  lassen,  damit  der  Spray  auf 
den  Rachen  möglichst  intensiv  einwirken  könne. 


*)  Vergl.    Artikel    „Pneumo-Spirothercqjie^''    in    der    „Internen    Medicin'^,    Bd.    III., 
vag.  314  f. 


INHALATIONS-THERAPIE.  211 

Als  Inhalationsmittel  werden  empfohlen  : 

Acid.  boric,  Verordnung:   2'ü— S'O:  lOO'O. 

Acid.  carbol.,  Verordnung:  0"5 — S'0: 100*0  mittels  Spray  oder  Kespiratoren, 
empfohlen  gegen  Larynxphthise,  Diphtherie  (Oeiitel),    Keuchhusten. 

Acid.  salicyl.,  Verordnung:  0-1  — 0*2  -  0-3: 100-0. 

Acid.  tannic,  Verordnung:  ü"2 — 2"0:100'0. 

Alumen,  Verordnung:  0-2-2-0:  lOO'O. 

Aliimin.  aceto-tartaric.  wird  nach  Schaeffek  in  der  Dosis  von  0"G  — GO  ad 
200*0  Aqu.  destill,  zur  Dampfzerstäubung  empfohlen  und  namentlich  auch  bei  Kehl- 
kopfcroup  angewandt. 

Amnion,  chlorat.  s.  Salmiak. 

Amylnitrit,  Verordnung:  3  —  5  Tropfen  auf  ein  Taschentuch  zur  Inhalation 
(grösste  Vorsicht  angezeigt!). 

Anilinöl  wurde  ää  partes  aequales  zur  Inhalation  bei  Tuberkulose  empfohlen. 

Argent.  nitric,  Verordnung:  0*02 — 1*0: 100*0. 

Aqii.  Calcis  mit  Aqu.  destill,  ää  partes  aequales  soll  die  Croupmembranen 
zu  lösen  im  Stande  sein,  was  jedoch  bestritten  wird,  findet  in  der  Praxis  in  Form 
von  Inhalationen  mit  dem  Dampfsprayapparat  noch  vielfach  Anwendung. 

Balsamuin  peruvianum,  zur  Inhalation  gegen  Larynxphthise  von  M.  Schmidt 
und  Schnitzler  empfohlen. 

Benzin  zur  Inhalation  bei  Keuchhusten  empfohlen.  Verordnung:  im  Respirator 
oder  auf  das  Bett  der  Kranken  aufzuträufeln. 

Cannabis  indica  im  Form  von  Cigaretten  bei  Asthma  gebräuchlich. 

Creolin.  Verordnung:  0'5 — 2*0: 100*0  bei  Tbc.  pulm.  et  laryngis. 

Creosot.  Verordnung:  10  Tropfen  auf  Watte  in  die  CuESCHJviAN'sche  Respi- 
rationsmaske oder  als  Aqu.  Creosoti  1*0,    Aqu.    destill,  ad  100*0.    Zur  Inhalation. 

Extr.  belladonn.  wird  als  Hustenreiz  stillendes  Narcoticum  in  Gaben  von 
0*01— 0-05: 100-0  verordnet, 

Extr.  hj^osciaini  0*05— Ol:  100-0. 

Extr.  opii  aqu.  0-2— 0-4: 1000. 

Ferrum  sesquiclilorat.  als  Stypticum,  Verordnung:  2-0  — o'0: 100*0.  v.  Ziems- 
SEN  verschreibt  Rp.  Liqu.  ferr.  sesquichlorat.  2*0,  Aqu.  destill.  198*0.  S.  zur  Inha- 
lation mittels  Dampfzerstäubers,  alle   Ya  Stunde   1 — 2  Minuten. 

Fichtennadelinhalationen  werden  in  Curanstalten  angewendet.  In  der  Mitte 
des  Inhalationssaales  ist  ein  Gefäss,  in  welchem  sich  die  zerschnittenen  Zweige  der 
Latschenkiefer  befinden.  Von  unten  gelangt  heisser  Wasserdampf  in  dieses  Gefäss 
und  nimmt  das  aromatische  Gel  der  Kiefer  beim  Aufsteigen  in  die  Atmosphäre  mit, 

Gummi  arabic.  wird  als  Emolliens  in  der  Dosis  von  2*0 — 4*0: 100*0  verordnet. 

Jodoform  wird  benützt  zu  Inhalationen  bei  Tuberculosis  pulmon.  et  laryngis,  es 
wirkt  auch  analgetisch.  Man  verschreibt:  Rp.  Jodoform.  1*0,  Ol.  Eucalypti  gtts.  VIII, 
Spirit.  Aetheris  ää  15*0  M.  D.  S.  10  Tropfen  in  heisses  Wasser. 

Menthol  in  5%  öliger  Lösung  zur  Inhalation  bei  Larynxtuberkulose  zu  ver 
ordnen  (Rosenbekg). 

Mineralwässer  werden  als  schleimlösende  Mittel  zur  Inhalation  empfohlen. 
Dies  geschieht  in  den  grossen  Inhalatorien  der  Curorte  (Ems,  Gleichenherg,  Kreuz- 
nach u.  a.).  Eichhorst  verschreibt  für  den  häuslichen  Gebrauch:  Rp.  Aqu.  Emeusis 
lagen.  I.  D.  S.  Zur  Inhalation  in  zerstäubter  Form.  —  Auch  die  Schwefelwässer  von 
Aachen,  Baden  bei  Wien,  Weilbach  etc.  werden  zu  Inhalationen  bei  Katarrhen  der 
Luftwege  verAvendet.  Irsai  lobt  namentlich  die  reizmildernde  Wirkung  der  Inhala- 
tionen von  Pistyaner  Thermalwasser  bei  Kehlkopf-  und  Rachenaffectionen. 

14* 


212  INHALATIONS-THERAPIE. 

Morphin  ist  in  vorsichtiger  Dosirung  als  Narcoticum  zu  Inhalationen  anwend- 
bar. IMan  verordnet  es  in  Dosen  von  0'02 — O'l  zu  100"0  Wasser.  Empfehlens- 
wert ist  folgendes  Eecept:  Morph,  liydrochloric,  0'05,  Natr.  bromat.  lO'O,  Glycerin. 
300,  Aqu.  destill.  200-0. 

Natr.  bicarbonic,  als  schleimlösendes  Mittel  1"0 — 6"0  ad  Aqu.  200'0,  nament- 
lich bei  Pharyngitis  sicca.  Natr.  bromat.  wird  bei  hysterischen  Lähmungen  der  Stimm- 
bänder verordnet  als  Rp.  Natr.  bromat  5"0,  Morph,  hydrochloric.  0"1,  Aqu.  destill. 
qu.  s.  ad  200.t),  M.  D.  S.  Inhalationsflcäschchen. 

Natr.  chlorat.  wird  mittels  des  SiEGLE'schen  Apparates  bei  acuten,  namentlich 
aber  bei  chronischen  Kehlkopfkatarrhen  angewandt.  Man  verschreibt:  Ep.  Natr. 
chlorat.    2'0 — 6*0,  Aqu.  destill,  ad.  2000  S.  zur  Inhalation. 

Natr.  chloroborosum  wird  als  Liquor  Natrii  chloroborosi  in  den  Inhalationen 
einzelner  Curanstalten  als  Antisepticum  verwendet. 

Ol.  Eucalypti  10 — 20  Tropfen  auf  heisses  Wasser  zur  Inhalation.  Mosler 
empfahl  gegen  Diphtherie:  Ol.  Eucalypti  e  fol.  2'0 — 5'0,  Spir.  vin.  rectificat.  20'0 — 25"0 
Aqu.  dest.   150"0  S.  zur  Inhalation. 

Ol.  jimiperi  e.  Cacc.  in  gleicher  Verordnung. 

Ol.  pini  pumiliouis  empfiehlt  A.  Schmidt  wegen  seines  vortrefflichen  Ge- 
ruches entweder  25  Tropfen  in  den  Dampftopf  oder  20  Tropfen  zweistündlich  in 
den  permanenten  Zerstäuber. 

Ol.  terebintliinae,  eines  der  häufigst  gebrauchten  Inhalationsmittel.  Man  lässt 
1 — 2  Kaffeelöffel  davon  in  dami)fendes  Wasser  schütten  und  2  —  4mal  täglich 
10  —  15  Minuten  lang  inhaliren,  oder  befeuchtet  die  Watte  eines  Respirators  mit 
10  Tropfen  oder  man  bespritzt  Fliesspapier  mit  diesem  Oel  und  hängt  es  über  dem 
Bette  der  Kranken  auf. 

Resorciu  empfiehlt  Ziemssen  bei  Larynxtuberkulose  zur  Inhalation  luittels 
D  ampf zerstäub  er  s . 

Opium  soll  vorsichtig  angewandt  werden,  weil  die  Dosirung  bei  der  Inhalation 
schwierig  ist,  wird  verschrieben  als  Opii  simpl.  0*2  — 1'0:100'0  oder  als  Extract. 
opii  (s.  d.) 

Salmiak  wird  verschrieben  als  Ammonii  chlorat.  0'3 — 3*0: 100*0  als  schleim- 
verflüssigendes Inhalationsmittel.  Um  den  Salmiak  in  statu  nascendi  zu  erhalten, 
wurden  eigene  Vorrichtungen  construirt,  in  welchen  Ligu.  ammonii  caustici  auf  Salz- 
säure einwirken  und  hiedurch  Salmiak  erzeugen.  (Apparat  von  Dezewiecki.) 

Salpeterpapier,  ein  mit  einer  Auflösung  von  Salpeter  in  Wasser  1 — 5  ge- 
tränktes Papier,  welches  angezündet  wird,  und  dessen  Dämpfe  inhalirt  werden. 

Sooleinhalationen.  Zur  Vornahme  derselben  empfiehlt  man  den  Aufenthalt 
in  Gradierhäusern,  wie  sie  Reichenhall,  Kissingen,  Kosen  u.  a.  besitzen.  In  Gleichen- 
berg und  Arco  sind  kleine  Räume  eingerichtet,  in  welchen  Salzlösungen  durch  Luft- 
compression zerstäubt  werden. 

Straramonium  wird  als  „Tabak"  pur  oder  mit  türkischem  Tabak  gemischt  aus 
Thonpfeifen  oder  in  der  Form  von  Cigarettes  antispasmodiques  geraucht. 

Tliymol  ist  als  Desinficiens  gebräuchlich  und  wird  zur  Inhalation  verordnet: 
Rp.  0-05— 0-1   ad  lOO'O  Aqu.  destill. 

Zinc.  sulfuric.  wird  selten  in  der  Dosis  von  0*5 — 5'0  zu  Inhalationen  bei 
Katarrhen  verwendet. 

Die  Inhalationstherapie  ist,  so  oft  dies  auch  namentlich  bezüglich  der 
Inhalation  einzelner  Arzneistoffe  behauptet  wurde,  keine  Panacee,  bildet  aber 
andererseits  einen  wichtigen  Curbehelf  bei  der  Behandlung  der  Erkrankungen 
der  Respirationswege.  Dass  sie  insbesondere  in  Curanstalten  und  Badeorten 
besonders  günstige  Erfolge  aufweist,  hängt  wohl  hauptsächlich  damit  zusammen, 
dass  die  Kranken  an  diesen  Orten   ferne  von  ihrer  Berufsbeschäftigung  aus- 


INSTRUMENTARIUM  DES  LARYNGOLOGEN. 


213 


schliesslich  mit  der  Cur  beschäftigt  sind  und  namentlich  jene  Factoren  weg- 
fallen, welche  als  schädliche  Momente  im  Wohnsitze  und  Beschäftigungsorte 
der  Kranken  der  Heilung  bestehender  Luftwegealit'ectionen  hinderlich  im  Wege 
stehen.  jul.  weiss. 

Instrumentarium  des  Laryngologen,  Der  Laryngologe  bedarf  In- 
strumente zur  Untersuchung  und  solcher  zur  Behandlung.  Die  zur 
Untersuchung  des  Kehlkopfes  und  des  Rachens  dienenden  Instrumente  sind 
in  den  Artikeln  ^^Laryngoskopie  und  Pharyngoskojde'-'-  beschrieben,  deren 
Anwendung  und  Technik  geschildert  und  daselbst  bildlich  dargestellt.  Die 
zur  Untersuchung  der  Nase  dienenden  Instrumente  sind  im  Artikel  ^Rhino- 
sJcopie  und  Untersuchung  der  Nase'-''  aufgezählt  und  abgebildet. 

Die  Behandlung  des  Kehlkopfes  besteht  in  der  Anordnung  von  Inha- 
lationen —  die  hiezu  gebräuchlichen  Apparate  sind  im  Artikel  ,Jnhalations- 
tlierapie^'-  beschrieben  —  in  der  Insufflation  —  bezüglich  der  hiezu  nöthigen 
Instrumente  vergleiche  Artikel  ^Jnsiifflation"  —  in  der  local  angewandten 
Pin  seiung  des  Kehlkopfinnern  und  endlich  in  der  Einspritzung  in  den 
Kehlkopf. 

Zur  Pinselung  dienen  theils  Pinsel,  theils  Schwämme,  welche  an 
entsprechenden  Handgriffen  angeschraubt  werden  können.  Ein  mit  einer 
Oese  versehenes  Instrument  dient  als  Watte  träger;  zu  demselben  Zweck 
wird  die  KRAusE'sche  Pincette  verwendet,  deren  mit  Zähnen  versehene 
Branchen  den  Wattebausch  festhalten.  Scheck  empfiehlt  statt  der  gebräuch- 
lichen Pinsel  Klemmpincetten,  in  welchen  ein  Stückchen  Watte  durch 
einen  vorschiebbaren  Ring  fixirt  wird.  Die  Anwendung  des  Pinsels  hat  den 
Vortheil,  dass  man  ganz  kleine,  umschriebene  Partien  treffen  kann,  was  bei 
Wattebauschen  und  Schwämmen  nicht  der  Fall  ist.  Um  grössere  Mengen 
von  Flüssigkeit  in  den  Kehlkopf  einzuführen,  dienen  Spritzen.  Als  solche 
sind  in  Verwendung  die  Spritze  nach  B.  Fränkel  und  die  HERYNG'sche 
Spritze  (modificirt  von  Krause).  Erstere  hat  die  gewöhnliche  Spritzenform 
mit  etwas  abgebogenem  Ansatzrohr.  Scheck  empfiehlt  eine  Spritze,  welche 
mit  Ausnahme  des  Rohres  und  des  Stempels  ganz  von  Neusilber  ist  und  vorn 
eine  einzige,  runde  Oeffnung  trägt.  Die  obenerwähnte  HERYNG'sche  Spritze 
endigt  in  eine  gebogene  Hohlnadel  und  dient  zur  Cocainanästhesie.  Die 
Nadel  wird  in  die  hintere  Rachen-  oder  Larynxwand  eingestochen  und  die 
Cocainlösung  tropfenweise  entleert.  —  Jeder  Instrumentenkatalog  zeigt  die 
Abbildungen  dieser  einfachen  Instrumente. 

Die  mit  den  eben  genannten  Instrumenten  applicirten  Flüssigkeiten  sollen  theils  als 
Antiseptica,  theils  als  _  Adstringentia  und  Resorbentia  und  endlich  auch  als  Aetzmittel 
dienen.     Die  gebräuchlichsten  Receptformeln  hiefür  sind  folgende: 


Rp. 


Rp. 


Rp. 


Rp. 


Argent.  nur.  20—50 
Aq.  destUl.  10-0 
MDS.  Zur  Pinselung 

Thymol.  Q-l 
Alkoll.  villi  l'O 
Glycerin.  20-0 
MDS.  Zum  Pinseln. 

Äcid.  cinnamyl.  l'O 

Spirit.  20-0 

MDS.  Zum  Pinseln. 

Cocain.  liydrocM.  0'5 
Spirit. 

JBals.  peruv.  m.  10- 0 
Ol.  menth.  pip.  gtt.    V. 
MDS.  Zum  Bepinseln. 


(M.    SCHÄFFER.) 


(Scheck.) 


(Lakderer. 


(Schnitzler.) 


Rp.  Acid.  carhol.  liqiief.  2'0. 
Spirit. 

Glycerin.  ää  10' 0 

MDS.   Zum    Bepinseln    mit    gut   ausge- 
drücktem Pinsel.  (Jahn.) 


Rp 


Rp. 


Rp. 


Kai.  jodat.  l'O 
Jod.  pur.  0'2 
Glycerin  200 

Ol.  menth.  pip.  gtt.  II  (MAKDEL'6c/<e  Jod- 
lösung.) 


Jodoform.  1  0 

Aether.  100 

MDS.  Zum  Bepinseln. 


(Schaeffer.) 


Acid.  laclic.  20-0— 80'0 
Aq.  dest.  ad  100' 0 

MDS.    Zum    Einspritzen   in   den   Kehl- 
kopf. (Krause.) 


214 


INSTRÜMENTAEIUM  DES  LARYNGOLOGEN. 


Rp. 


Rp. 


MenthoU  2-0 
Ol.  oliv.  10-0 

MDS.    Zum  Einspritzen    in   den   Kehl- 
kopf. (SCHAEFFER.) 

Cocain,  liydrochl.  0  2 — 0  5 
Morph,  muriat.  0-2 
Aq.  dest. 
Glycerin.  Uä  l'rO 

MDS.    Zum    Bepinseln    des    Kehlkopf- 
innern.  (v.  Ziemssen.) 


Rp.   Creosoti  l'O 

Spirit.  rectif.  40  0 

Glycerin  60  0 

MDS.    Zum    Einspritzen  in    den    Kehl- 
kopf. (Cadier.) 
Rp. 


Cocain,  hydrochl.  0'3 
Acid.  carhol.  0-05 
Aq.  dest.  2  0 

MDS.   2-3    Theilstriche  einer   J  g  fas- 
senden Spritze  zu  injiciren. 

(Fränkel.) 
Zu  Aetzungen  empfiehlt  Juräsz  Chlorzinklösungen  1 — 5°/uig.  Stärker  wirkt 
die  Application  Yon  Argent.  nitr.  in  Substanz.  Dasselbe  wird  an  einer  Sonde  ange- 
schmolzen; das  Anschmelzen  geschieht  entweder  dadurch,  dass  man  ein  Stückchen  Lapis 
über  der  Flamme  erhitzt  und  das  schmelzende  Silber  auf  die  Sonde  aufträufeln  lässt,  oder 
dadurch,  dass  man  die  glühende  Sonde  in  den  Lapis  einbohrt  (Schech).  Noch  .stärker 
wirkend  als  das  Argent.  nitr.  ist  die  Milchsäure  in  50 — 100"/oiger  Lösung,  die  in  fester 
Form  applicirte,  an  die  Sonde  angeschmolzene  Chromsäure  und  die  in  concentrirten 
Lösu.ngen  verwendete  Trichloressigsäure. 

Bezüglich  der  elektrischen  und  galvanokaustischen  Behandlung,  resp,  der 
hierzu  verwendeten  Instrumente  vergl.  Artikel  ^.lElektrolar^ngrotJiercqne''.   r. 


Es   erübrigt  jetzt  noch,    das    zu   endolaryngealen    Operationen 
verwendete  Instrumentarium  zu  beschreiben. 

I.  Pincetten  und  Quetscher.  Zur  Ope- 
ration kleiner,  weicher  Geschwülste  ist  am  besten 
verwendbar  die  von  Scheötter  modificirte  Türck'- 
sche  Pincette  (Fig.  1).  Dieselbe  ist  befestigt  an  einem  pistolen- 
ähnlichen Griff  und  besteht  aus  einer  Packfongröhre,  welche 
zwei  Krümmungen  zeigt,  eine  in  der  horizontalen  und  die  an- 
dere in  der  verticalen  Ebene.  Die  erste  Krümmung  bezweckt, 
die  Hand  des  Operateurs,  die  den  Griff  hält,  vom  Munde 
des  Patienten  seitwärts  zu  bringen,  so  dass  das  Licht  unge- 
hindert in  den  Rachen  fallen  kann.  Die  verticale  Krümmung, 
die  man  je  nach  der  Länge  des  Halses  des  Patienten  und  nach 
dem  Sitze  der  Neubildung  verändern  kann,  ermöglicht  die 
Anwendung  desselben  Instrumentes  für  alle  Fälle. 

In  dieser  Röhre  läuft  ein  weicher  Eisendraht,  an  dessen 
unterem  Ende  mit  einem  Schraubengewinde  die  federnde 
Pincette  leicht  drehbar  befestigt  ist,  so  dass  man  dieselbe 
Pincette  von  rechts  nach  links  oder  von  vorne  nach  hinten 
und  natürlich  auch  in  jeder  Zwischenstellung  gebrauchen 
kann.  Die  Röhre  ist  durch  eine  Schraube  am  Griff'  und  der 
im  Innern  der  Röhre  verlaufende  Eisendraht  ebenfalls  mit 
Hilfe  einer  Flügelschraube  an  einem  im  Innern  des  Griffes 
beweglichen  Schlitten  fixirt.  Der  Schlitten  wird  mit  Hilfe 
einer  Krücke  durch  den  Zeigefinger  der  den  Griff  haltenden 
Hand  vor-  oder  rückwärts  geschoben  und  derart  die  Pincette 
geöffnet  oder  geschlossen.  Der  Vorzug  dieses  Instrumentes 
liegt  in  allgemeiner  Anwendbarkeit,  dem  Anpassungsvermögen 
für  alle  Fälle  und  der  Ermöglichung  einer  starken  Beleuch- 
tung des  Kehlkopfes. 
TüRCK  und  ScHRöTTER  haben  dann  noch  mit  Vorliebe  den  Quetscher 
(Fig.  2)  verwendet.  Er  ist  ganz  gleich  der  Pincette  construirt,  nur  befindet  sich 
am  unteren  Ende  der  Röhre  eine  seitwärts  abstehende  Branche,  gegen  welche 
dann  von  unten  her  eine  entsprechende  zweite  an  dem  Eisendrahte  befestigte 
Branche  angedrückt  wird.    Dieses  Instrument  eignet  sich  besonders  für  Ge- 


Fig.  1. 

Schrötter'sche 

Pincette. 


INSTRUMENTARlUxM  DES  LARYNGOLOGEN. 


2L5 


Fig.  2. 
Polypenquetscher. 


Fig.  4. 

Eingpincette 

nach  Krause 

frontalschneidend. 


schwülste  an  der  Stimmbandkante;  man  fasst  damit 
die  Ansatzstelle,  quetscht  dieselbe  fest  (daher  der 
Name  Quetscher)  und  reisst  sie  ab.  Die  Grösse, 
Form  und  Schärfe  der  Branchen  ist  natürlich  bei 
Pincette  und  Quetscher  sehr  verschieden,  je  nach 
Grösse,  Sitz  und  Härte  der  Neubildung.  Von  3  mm 
Länge  bei  2mm  Breite,  bis  zu  1  cm  Länge  und 
0-5 cm  Breite,  mit  oder  ohne  Zähnung  des  Randes, 
mit  oder  ohne  Höhlung,  mit  stumpfen  oder  schnei- 
denden Rändern  versehen,  lässt  sich  das  Instrument 
allen  Anforderungen  anpassen;  hieher  gehören  auch 
die  TüRCK'schen  Schneidemesser, 

V.  Bruns  hatte  seine  Pincette  so  eingerichtet, 
dass  die  aus  Gliedern  bestehende  Röhre  durch  einen 
am  Griff  angebrachten  Hebel  über  die  federnde  Pin- 
cette vorgeschoben  oder  von  derselben  zurückge- 
zogen wurde. 

Gottstein  hat  die  eine  Branche  feststehend 
an  der  Röhre  angebracht,  während  die  andere  ge- 
lenkig an  dem  Eisendraht  befestigt  ist.  Die  Bewe- 
gung geschieht  durch  Vor-  und  Rückschieben  mit 
Hilfe  eines  scheerenartigen  Handgriffes.  Natürlich 
bedarf  man  hier  verschiedener  Instrumente,  um  von 
rechts  nach  links  oder  von  vorne  nach  hinten 
fassen  zu  können. 

M.  Mackenzie  construirte  eine  Pincette,  bei 
der   dui'ch   eine  Spiralfeder  mit  Hilfe  eines  Hebels 
Pincette  geöffnet  oder  geschlossen   werden  kann,  wäh- 
rend zugleich  durch  einen  sinnreichen  Mechanismus  die 
Pincette  gedreht  werden  kann. 

Einzelne  Operateure  sind  gegen  die  Anwendung 
der  Pincette  zur  Polypenoperation,  wie  z.  B.  Störk,  in- 
dem sie  nämlich  sagen,  man  könne  damit  von  oben  fas- 
send die  Neubildung  nicht  exact  entfernen.  Dagegen 
empfehlen  sie  die  Pincette  angelegentlich  zur  Entfer- 
nung der  Fremdkörper. 

Störk  construirte  übrigens  einen  Quetscher  (Fig.  3), 
dessen  beide  Branchen  locheisenförmig  waren;  die  Land- 
GRAF'sche  Doppelcurette  ist  diesem  Instrumente  nach- 
gebildet. 

Endlich  gehört  hieher  die  Doppelcurette  von  Krause 
(Fig.  4  und  5),  welche  den  Griff  ähnlich  wie  die  Störk'- 
schen  (Fig.  6)  Instrumente  hat,  die  Röhre,  den  Eisen- 
draht und  die  federnden  Pincetten  wie  die  Türck- 
ScHRöTTER'schen  Instrumente.  Nur  die  Branchen  sind 
abweichend;  sie  stellen  nämlich  zwei  ineinander  greifende, 
scharfschneidende  elliptische  Ringe  dar.  Diese  Doppel- 
curette wird  entweder  von  vorne  nach  hinten  oder  von 
rechts  nach  links  beweglich  angefertigt,  ist  stark  ge- 
baut und  ermöglicht  es,  derbe  Wucherungen  glatt  zu 
durchschneiden. 

IL  Kehlkopfzangen.  Mandl,  Mackenzie  u. 
Art  der  Schlundzangen  (Fig.  7)    construirt,    doch  derart 


Fig.  3. 
Bingpincette 
nach  Störk. 


Fig.  5. 

Eingpincette 

nach  Krause 

sagittalschneidend 


a. 


6.  Polypenschnürer 
nach  Störk. 

haben  solche  nach 
geändert,    dass  die 
Branchen  nur  einen  kleinen  Bogen  beim  Oeffnen  beschreiben.  Die  Griffe  sind 
massiv,   die  Branchen  schmächtig  und  gegen  einander  in  drei  Angelpunkten 


216 


INSTRUMENTARIUM  DES  LARYNGOLOGEN. 


rig.  7. 

Polypenzange  nach  Mandl. 


beweglich,  natürlich  auch  in  Grösse,  Form  und 
l  Schärfe  der  Ränder  verschieden  gebaut.  Fauvel"s 

Zangen  sind  den  vorigen  nachgebildet,  nur  haben 
sie  eine  Schlussvorrichtung  am  Griffe.  Alle  diese 
Instrumente  sind  sehr  massig  und  ohne  Horizontal- 
krümmuug,  rauben  deshalb  viel  Licht  und  decken  mit 
ihren  Enden  kleinere  Neubildungen  ganz  zu.  Ausser- 
dem braucht  man  viele  Exemplare  von  verschiedener 
Länge  und  Krümmung,  so  dass  sie  nur  wenig  Em- 
pfehlung verdienen;  nur  bei  grossen  oder  zahlreichen, 
das  ganze  Lumen  ausfüllenden  Neubildungen  em- 
pfiehlt sie  auch  Stöek.  Jubasz'  Zange  ist  sehr  schlank 
und  hat  sehr  schmale  Branchen,  aber  ebenfalls  keine 
Horizontalkrümmung. 

IIL  Die  Curetten,  welche  Heeyng  in  das  Ar- 
mamentarium  einführte  (Fig.  8),  sind  an  einem  Theile 
ihres  Innenrandes  schneidende,  verschieden  aufgebo- 
gene, runde  oder  längliche  Ringe,  mit  denen  man 
von  unten  her  Geschwülste  oder  Infiltrate  besonders 
an  der  hinteren  Larynxwand  entfernt,  heraushebelt 
oder  auskratzt.  Sie  finden  fast  nur  Verwendung  bei 
tuberkulösen  und  ähnlichen  harten  Infiltraten. 

Uebrigens  hatte  schon  V.  v.  Beuns  einen  Scha- 
ber construirt. 

IV.  Messer  sollten  nur  gedeckt  in  den  Kehl- 
kopf eingeführt  werden,  da  selbst  bei  der  grössten 
Sicherheit  des  Operateurs  der  Patient  durch  eine 
plötzliche  Bewegung  sich  verletzen  kann,  bevor  der 
Arzt  Zeit  hat,  das  Instrument  ganz  zu  entfernen. 
Dagegen  kann  es  sehr  schnell  in  seine  Hülle  zurück- 
geschoben werden,  wenn  es  eben  verdeckbar  ist.  Nach 
V.  Bruns  Vorgang  wurden  viele  Kehlkopfmesser  con- 
struirt, von  denen  nur  zu  erwähnen  ist,  dass  die  Art 
der  Deckung  ebenso  wie  bei  den  Pincetten  verschie- 
den ist.  Nach  v.  Bruns  schiebt  man  die  Röhre  über 
das  Messer,  nach  TtJRCK,  Schrötter  stösst  man  das 
Messer  aus  der  Röhre  heraus,  nach  Wintrich  wird 
das  Messer  durch  Federkraft  in  die  Scheide  zurück- 
geschnellt etc.  Reiner  (Fig.  9)  construirte  ein  Mes- 
ser nach  Schrötter,  welches  nach  allen  Richtungen 
gedreht  und  in  jeder  Stellung  fixirt  werden  kann. 
Die  Form  der  Messer  ist  natürlich  verschieden;  lan- 
cett-  und  spitzbistouriförmig  dienen  sie  zum  Ein- 
stechen in  den  Stiel  des  Polypen,  nach  Art  des 
Knopfbistouri  zum  Verlängern  des  Schnittes  etc. 

V.  Guillotine.  Die  schon  von  v.  Bruns  und 
Semeleder  nach  dem  FAHNENSTocK'schen  Principe 
construirten  derartigen  Instrumente  wurden  weit  über- 
holt von  dem  STöRK'schen  (Fig.  10  und  11).  Dasselbe 
besteht  aus  einem  ovalen  schneidenden  Ringe,  wel- 
cher durch  einen  stumpfen  Ring  ganz  oder  später  durch  eine  Krücke  theil- 
weise  gedeckt  war.  Noch  später  Hess  Störk  an  der  einen  Seite  einen  ge- 
w^ölbten  Schutzdeckel  anbringen,  der  unabsichtliche  Verletzungen  der  Gegen- 
seite  des   Kehlkopfes   (bei   etwaigem  krampfhaftem  Schluss  der  Glottis)  un- 


Fig.  8. 

Curettengarnitur  nach 

Heryng. 


INSTRUMENTARIUM  DES  LARYNGOLOGEN. 


217 


möglich  machte.  Diese  Guillotinen  hatten  verschiedene  Grösse.  Endlich  gab 
Störk  auch  ein  Messer  an,  welches,  in  einem  viereckigen  Stahlrahmen  nach 
oben  und  unten  beweglich,  in  beiden  Richtungen  schnitt.  Dasselbe  ist  den 
von  TüECK  angegebenen  Fenstermessern  nachgebildet,  deren  Messer  aber 
zungenförmig  oder  hackmesserartig  gestaltet  waren. 

Semeleder's  Sichelmesser,  sowie  die  mit  Stacheln  zum  Fixiren  der  Neu- 
bildung versehene  Guillotine  von  Matthieu  wurden  selten  angewendet.  Da- 
gegen erwies  sich  Störk's  Guillotine  oft  sehr  brauch- 
bar, namentlich  bei  ungenügender  Toleranz  des  Kehl- 
kopfes. Nach  der  Einführung  der  Cocainanästhesie 
kam  aber  die  Guillotine  überhaupt  mehr  ausser  Ge- 
brauch. 

VI. Scheerenartigelnstrumente.  Bekannt- 
lich hat  V.  Beuns  die  erste  endolaryngeale  Exstir- 
pation  einer  Kehlkopfneubildung  mit  seiner  soge- 
nannten Messerscheere  oder  Messerpincette  ausge- 
führt. Die  Enden  dieser  entsprechend  gekrümmten, 
federnden  Pincette  trugen  horizontal  angesetzte  Mes- 
serchen, welche  durch  Fingerdruck  von  einander  ent- 
fernt, sich  beim  Aufhören  desselben  selbstthätig 
schlössen.  Mit  diesem  Instrumente  machte  V.  v. 
Beuns  in  mehreren  Sitzungen  zahlreiche  Einschnitte 
in  die  Neubildung,  bis  dieselbe  nekrotisirend  zerfiel, 
worauf  sie  abgestossen  wurde.  Der  ganze  Process 
nahm  nur  5  Tage  in  Anspruch.  Später  verfertigte 
V.  V.  Bruns  noch  eigentliche  Scheeren,  die  sich 
entweder  von  rechts  nach  links  oder  von  vorne  nach 
hinten  öffneten.  Später  construirten  auch  Tobold, 
Lewin  u.  a.  ähnliche  Instrumente;  doch  konnten 
sich  die  Scheeren  wegen  der  schwierigen  und  uu-  Gedecktes ."dreh- 
sicheren  Anwendung  nie  recht  einbürgern.  nacrschröue'. 

VII.  Schlingenschnürer,  zuerst  angegeben 
von  GiBB,  wurden  von  v.  Beuns  und  Tobold  modi- 
ficirt;  sie  bestehen  aus  einer  Leitungsröhre,  in  wel- 
cher der  doppelte  Draht  verläuft;  die  beiden  Draht- 
enden sind  fixirt,  und  zwar  an  einem  Schlitten,  der 
mittelst  Ptinge  in  einer  Rinne  des  Griffes  bewegt 
werden  kann. 

Da  die  Schlinge  im  Larynx  leicht  zusammen- 
gepresst  wurde,  so  construirte  Stöek  (s.  Fig.  6.) 
einen  soliden  Ring,  in  welchem  gedeckt  die  Draht- 
schlinge verlief.  Dieser  Ring  war  von  verschiedener 
Grösse  und  Stellung,  um  die  Schlinge  sagittal,  fron- 
tal oder  horizontal  geöffnet  in  den  Kehlkopf  ein- 
zuführen. Der  verwendete  Draht  ist  aus  Eisen,  Stahl 
oder  Silber.  Natürlich  muss  die  Dicke  und  Elasti- 
cität  desselben  den  verschiedenen  Anforderungen  an- 

gepasst  und  die  Länge  und  Krümmung  der  Röhre  genau  abgemessen  sein. 
Die  Anw^endung  der  Schlingenschnürer  wird  nur  bei  gestielten,  weichen  und 
nicht  blutreichen  Neubildungen  zu  empfehlen  sein. 

VIII.  Galvanokaustische  Instrumente  sind  nur  anzuwenden  bei 
sehr  harten  oder  sehr  blutreichen  oder  oft  recidivirenden  Neubildungen.  Sie 
sind  entweder  spitz  oder  raesserförmig  und  dienen  dazu,  um  Löcher  in  die 
Neubildung  zu   brennen   oder  um  Schnitte  zu  führen.     Endlich  bedient  man 


Pig.  10. 

Guillotine  nach 

Störk. 


11- 

Guillotine  mit 
Schutzdecke 
nach  Störk. 


218  INSTRUMENTARIUM  DES  LARYNGOLOGEN. 

sich  der  galvanokaustischen  Schlinge,  um  gestielte  Geschwülste  zu  entfernen. 
Haupterfordernis  für  alle  diese  Instrumente  ist  eine  genaue  Isolirung  der 
Leitungsdrähte  und  möglichst  dünne  Beschaffenheit  des  Rachentheiles,  um 
immer  genau  sehen  zu  können,  wo  sich  die  glühende  Spitze  befindet.  Es  ist 
selbstverständlich,  dass  das  Instrument  nur  an  der  Spitze  glühen  darf,  während 
der  Eachentheil  kühl  bleiben  muss;  dazu  ist  eben  sorgfältige  Isolirung  der 
Leitungsdrähte  und  ein  relativ  starker  Strom  erforderlich,  der  ein  momen- 
tanes Glühen  der  Spitze  bewirkt.  Die  Spitzen  und  Messer  des  Galvanokauter 
sind  natürlich  aus  Platin;  der  Draht  für  die  Schlinge  besteht  aus  Platin  oder 
aus  einer  Legirung  von  Platin  und  Iridium  oder  aus  Stahl.  Mir  genügte  bis 
jetzt  für  den  Larynx  immer  der  Stahldraht,  der  den  Vorzug  der  grösseren 
Festigkeit  und  Billigkeit  hat.  Er  ist  aber  nur  bis  zu  einer  Dicke  von  O'bmm 
verwendbar,  da  dickere  Nummern  sich  schwer  zu  kleinen  Schlingen  gestalten 
und  zusammenschnüren  lassen.  Natürlich  schmilzt  Stahldraht  leichter,  als 
Platindraht;  aber  Platindraht  ist  so  weich,  dass  dünne  Nummern  keine  halt- 
baren Schlingen  formen  lassen.  Platin-Iridium  ist  zwar  härter,  aber  doch  nicht 
mit  dem  Stahle  zu  vergleichen.  Deswegen  ist  für  dünne  Drähte  Stahl,  für 
dicke  Platin  anzuwenden.  Die  galvanokaustischen  Kehlkopfinstrumente  be- 
stehen aus  zwei  nebeneinander  liegenden,  aber  doch  völlig  isolirten  Kupfer- 
drähten, welche  an  ihren  Kehlkopfenden  durch  einen  dünnen  Platinstreifen 
verbunden  sind.  Dieser  Platinansatz  wird  glühend,  während  die  Kupferdrähte 
kalt  bleiben.  Bei  den  Schlingen  laufen  die  Drähte  in  zwei  engen  Kupfer- 
röhren, die  auch  wieder  isolirt  sein  müssen,  so  dass  nur  die  ausserhalb  der 
Röhren  befindliche  Schlinge  zum  Glühen  kommt.  Natürlich  darf  man  das 
Glühen  nie  lange  fortsetzen,  da  sonst  auch  die  Leitungsröhren  oder  Drähte 
heiss  werden.  Drähte  oder  Bohren  sind  dann  an  einem  Griffe  befestigt,  der 
mit  der  Batterie  in  Verbindung  steht  und  ein  Oeffnen  und  Schliessen  des 
Stromes,  sowie  ein  Zusammenziehen  der  Schlinge  gestattet.  Die  Anzahl  der 
Griffe  ist  Legion;  zu  empfehlen  sind  aber  nur  jene,  welche  leicht  sind  und 
bequem  das  Oeffnen  und  Schliessen  des  Stromes  und  die  Handhabung  der 
Schlinge  ermöglichen. 

Die  galvanokaustischen  Operationen  im  Kehlkopfe  erfordern  ganz  be- 
sondere Buhe  des  Patienten  und  Geschicklichkeit  des  Operateurs,  da  gesunde 
Theile  absolut  nicht  berührt  werden  dürfen. 

Es  ist  daher  hier  besonders  darauf  zu  achten,  dass  die  Instrumente  die 
für  den  einzelnen  Fall  richtige  Länge  und  Krümmung  haben;  daher  muss 
man  hier  noch  mehr  wie  vor  jeder  anderen  endolaryngealen  Operation  durch 
eine  biegsame  Sonde  diese  Verhältnisse  genau  feststellen. 

Endlich  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die  Aetzungen  und  Operationen  mit 
dem  Galvanokauter  nicht  selten  von  starken  entzündlichen  Schwellungen,  ja 
sogar  Oedemen  gefolgt  sind;  daher  hat  man  nach  der  Operation  den  Patienten 
zu  überwachen. 

IX.  Die  Elektrolyse  dürfte  selten  bei  Neubildungen  zu  verwenden  sein. 
Der  Grund  liegt  in  der  langsamen  Wirkung  dieses  Verfahrens;  daher  wird 
es  jetzt  nur  manchmal  bei  chronischen,  z.  B.  tuberkulösen  harten  Infiltraten 
gebraucht,  obwohl  man  dieselben  auch  zweckmässiger  mit  Curetten  oder 
schneidenden  Pincetten  entfernt. 

Ein  Vorzug  der  Elektrolyse  ist  die  reizlose  und  doch  ziemlich  tief- 
gehende Wirkung,  indem  sie  eine  langsame  Verschrumpfung  bewirkt. 

Die  Nachtheile  liegen  in  der  Nothwendigkeit,  das  Verfahren  oft  zu 
wiederholen  und  jedesmal  den  oder  die  Pole  durch  Va  Minute  oder  länger 
ruhig  in  der  Einstichstelle  zu  lassen.  Dazu  gehört  völlige  Anästhesie  des 
Larynx,  die  man  jetzt  wohl  meist  mit  Cocain  erreichen  kann.  Vor  der 
Kenntnis  der  Cocainwirkung  war  dies  aber  nur  sehr  selten  zu  erzielen. 


INSTRUMENTARIUM  DES  OHRENARZTES.  219 

Die  elektrolytischen  Instrumente,  um  deren  Ausbildung  sich  besonders 
VoLTOLiNi  verdient  gemacht  hat,  sind  ganz  ähnlich  den  galvanokaustischen, 
nur  sind  beide  Pole  der  Leitungsdrähte  nicht  miteinander  verbunden.  Die- 
selben laufen  entweder  in  zwei  Spitzen  aus  und  werden  dicht  nebeneinander 
in  die  Neubildung  eingestossen:  bipolare  Methode;  oder  man  sticht  nur  die 
mit  dem  negativen  Pole  verbundene  Spitze  in  die  Neubildung  ein,  während 
mit  dem  positiven  Pole  eine  grosse  Plattenelektrode  verbunden  ist,  welche 
man  an  Wange,  Hals  oder  Sternum  aufsetzt:  monopolare  Methode. 

Die  erstere  hat  den  Vorzug,  dass  der  galvanische  Strom  nur  die  Neu- 
bildung durchläuft.  Bei  der  Anwendung  der  Elektrolyse  im  Larynx  hat  man 
nur  Ströme  von  5  bis  15  Milliampere  anzuwenden  (daher  ein  Galvanometer 
nothwendig)  und  hat  mit  Hilfe  eines  Rheostaten  langsam  einzuschleichen  und 
ebenso  wieder  die  Stromstärke  herabzusetzen.  Daher  ist  völlige  Iluhe  des 
Kehlkopfes  nöthig. 

Ausser  diesen  in  Nadeln  endenden  elektrolytischen  Instrumenten  hat 
VoLTOLiNi  noch  Schlingen  und  Pincetten  angegeben,  die  aber  im  Larynx  kaum 
zu  verwenden  wären. 

Anzurathen  wäre  die  Elektrolyse  nach  meinen  Erfahrungen  höchstens 
bei  tuberkulösen  Geschwülsten  oder  bei  oft  recidivirenden  Papillomen  zur 
Aetzung  der  Ansatzstellen  oder  endlich  bei  sehr  blutreichen  Geschwülsten 
(Angiomen).  Vielleicht  wäre  die  Elektrolyse  im  letzteren  Falle  allen  anderen 
Operationsmethoden  vorzuziehen,  da  sie  nie  von  Blutungen  gefolgt  ist,  wenn 
man  langsam  ein-  und  ausschleicht.  chiari. 

Instrumentarium  des  Ohrenarztes,    im  Folgenden  sollen  die  für 

die  Ohruntersuchung  und  -Behandlung  nothwendigen  Instrumente,  soweit  sie 
eine  allgemeinere  Verbreitung  gefunden  haben,  aufgezählt  werden.  Solche 
Instrumente,  welche  entweder  von  ganz  nebensächlicher  Bedeutung  sind  oder 
nur  für  ganz  specielle  Zwecke  hier  und  da  verwendet,  sehr  wohl  aber  durch 
gebräuchlichere  ersetzt  werden  können,  sollen  nicht  aufgenommen  werden. 

I.  Instrumente  für  die  Untersuchung  des  Gehörorganes. 

a)  Otoskopie. 

1.  Der  Ohr  Spiegel  (Reflector)  ist  ein  central  durchbohrter  Hohl- 
spiegel von  etwa  1cm  Durchmesser  und  15  cw  Brennweite.  Derselbe  wird 
an  einem  Handgriffe  gefasst  oder  mit  Hilfe  einer  Stirnbinde  am  Kopfe  des 
Untersuchenden  befestigt.  Statt  der  Stirnbinde  sind  auch  Mundhalter,  Daumen- 
ringe und  andere  Vorrichtungen  in  Gebrauch.  Da  die  focale  Beleuchtung 
des  Trommelfelles,  welche  für  eine  genaue  Besichtigung  eine  unerlässliche 
Vorbedingung  ist,  nur  dann  zu  erreichen  ist,  wenn  der  Reflector  sich  in  der 
seiner  Brennweite  entsprechenden  Entfernung  vom  Trommelfelle  befindet,  sind 
Hypermetropen  auf  die  Einschaltung  einer  Linse  augewiesen.  Am  bequemsten 
ist  es,  dieselbe  an  der  Rückseite  des  Spiegels  vor  dem  centralen  Loche,  etwa 
mittels  einer  drehbaren  Gabelvorrichtung,  anzubringen. 

2.  Ohrtrichter  (Specula)  sind  in  sehr  verschiedenen  Formen  in 
Gebrauch;  die  früher  ausschliesslich  benutzten  Dilatatorien  mit  zwei  bis  drei 
Branchen  finden  kaum  noch  Anwendung,  da  sie  gegenüber  den  geschlossenen 
Trichtern  mancherlei  Nachtheile  besitzen.  Ausser  den  kegelförmigen  Trichtern, 
welche  Wilde  angewandt  hat,  erfreut  sich  das  cylindrische,  an  einer  Seite 
trichterförmig  erweiterte  Speculum  von  Teöltsch  (Fig.  1)  und  der  gleichfalls 
cylindrische,  an  einer  Seite  becherförmig  erweiterte  Trichter  von  Eehaed- 
Geubee  (Fig.  2)  besonderer  Verbreitung.  Die  Specula  werden  mit  Rücksicht 
auf  die  Sterilisirung  am  besten  aus  Silber  oder  Neusilber  hergestellt;  die  durch 
ihr  geringes  Gewicht  ausgezeichneten  Instrumente  aus  Hartgummi,  welche 
PonTZEE  bevorzugt,  sind  im  allgemeinen  weniger  zu  empfehlen.  Man  braucht 


220 


INSTRUMENTARIUM  DES  OHRENARZTES. 


Fig.  5. 


.         Fi-.  9.         ^'S-   '"        Fig.   11. 


Fig.  12. 


INSTRUMENTARIUM  DES  OHRENARZTES. 


221 


Fig.  17. 


Fig.    24. 


Instrumente  von  verschiedener   Weite;   die    üblichen  „Sätze"  haben  3,  4,  5, 
6  mm  Lumen. 

3.  Der  pneumatische  Ohrtrichter  von  Siegle  stellt  einen  an 
seinem  weiten  Ende  durch  ein  Glasfenster  geschlossenen  Trichter  dar,  in 
welchen  ein  mit  einem  Gummischlauche  verbundenes  Röhrchen  seitlich  ein- 
mündet. Hat  man  das  Instrument  luftdicht  in  den  Gehörgang  eiogefügt,  so 
genügt  eine  geringe  Compression  des  an  dem  Gummischlauche  befestigten 
Ballons,  um  das  Trommelfell  nach  innen  zu  drücken. 

Bei  Einengung  des  Gesichtsfeldes  durch  Gemmen-  oder  Hautpartikel 
benutzt  man  zur  Säuberung  des  Gehörganges  folgende  Hilfsmittel: 


222  INSTRUMENTARIUM  DES  OHRENARZTES. 

4.  Pincetten.  Dieselben  sind  knieförmig  (nach  Lucae  bajonnetförmig) 
gekrümmt  und  an  ihren  geraden  (Fig.  3}  oder  gekreuzten  (Fig.  4)  Branchen 
entweder  gerieft  oder  mit  Häkchen  versehen. 

5.  Ohrlöffel  oder  Curetten  lassen  sich  gleichfalls  zur  Entfernung 
von  störenden  Massen  benutzen. 

G.  Die  Spritze  dient  zur  Beseitigung  grösserer  Cerumenansammlungen. 
Sie  Avird  aus  Metall,  Hartgummi  oder  Glas  hergestellt  und  besitzt  am 
Stempel  einen  Ring  zur  Aufnahme  des  Daumens  und  am  Rohr  zwei  Ringe 
oder  eine  Vertiefung  für  Zeigefinger  und  Ringfinger.  Besonders  zu  empfehlen 
sind  die  aseptischen  Glasspritzen  von  Teautmann  mit  Asbestkolben  und  nicht 
angekitteten,  sondern  angeschraubten  Metalltheilen;  dieselben  können  aus- 
einander genommen,  sehr  gut  ausgekocht  werden. 

7.  Der  Watteträger  (Fig.  5),  auf  welchen  Watte  aufgedreht  wird, 
dient  zum  Austrocknen  des  Gehörganges  nach  dem  Ausspritzen.  Zu  dem- 
selben Zwecke  kann  man  auch  eine  Sonde  benutzen. 

b)  Hörprüfung. 

1.  Politzer's  Hörmesser  (Fig.  6)  wird  von  einigen  Ohrenärzten  zum 
Ersätze  für  die  allgemeiner  übliche  Taschenuhr  verwendet.  Derselbe  besteht 
aus  einem  zwischen  zwei  für  Daumen  und  Zeigefinger  bestimmten  Krücken 
senkrecht  angebrachten  Stahlcylinder,  auf  welchen  ein  gleichfalls  stählerner 
Hammer  bei  vorsichtiger  Dirigirung  mit  dem  Ringfinger  immer  aus  der  gleichen 
Höhe  herabfällt.  Es  entsteht  dadurch  ein  sehr  hohes  Geräusch,  das  indessen 
an  verschiedenen  Exemplaren  des  Apparates  verschieden  ausfällt. 

2.  Stimmgabeln  werden  zur  Hörprüfung  regelmässig  verwendet.  Man 
muss  solche  von  verschiedenen  Schwingungszahlen,  am  besten  eine  fortlaufende 
Reihe  von  den  tiefsten  bis  zu  den  höchsten  besitzen.  Mit  wenigen  Instrumenten 
kommt  man  allenfalls  aus,  wenn  man  die  von  Lucae  empfohlenen  graduirten 
Stimmgabeln  benutzt,  welche  je  nach  der  Einstellung  der  an  den  Zinken  an- 
gebrachten Gewichte  auf  bestimmte  Theilstriche  verschiedene  Töne  geben. 

3.  Die  DALTON'sche  Pfeife,  deren  Rohr  durch  Höher-  oder  Tieferschrauben 
eines  Kolbens  auf  verschiedene  Töne  (von  6461 — 84000  Schwingungen)  ein- 
gestellt und  durch  einen  Gummiballon  angeblasen  werden  kann,  dient  zur 
Prüfung  auf  die  Perception  höchster  musikalischer  Töne. 

c)  Katheterismus. 

1.  Der  Ohrkatheter  ist  eine  Röhre,  an  welcher  der  Schaft,  ein  trichter- 
förmig erweitertes  und  ein  schnabelförmig  gekrümmtes  Ende  unterschieden 
werden  kann.  Das  Trichterende  trägt  eine  Marke  in  Gestalt  eines  Ringes, 
welcher  mit  dem  Schnabel  in  einer  geraden  Ebene  liegt.  Die  Länge  des  In- 
strumentes schwankt  zwischen  10 — 17  cm.  Der  Schnabel  bildet  mit  dem  Schaft 
einen  W^inkel  von  140—150^  und  ist  2,  2-5  und  3  cm  lang.  Man  bedarf 
mehrerer  Katheter  von  verschiedener  Stärke;  die  üblichen  Maasse  betragen 
2,  2-5  und  3  mm  im  lichten.  Als  Material  ist  Silber  oder  Neusilber 
entschieden  vorzuziehen.  Hartgummikatheter  sind  zwar  leichter  und  schmieg- 
samer, zerbrechen  aber  leichter  und  vertragen  das  Auskochen  nicht. 

2.  Der  birnförmige  Gummiballon,  welcher  auch  durch  ein  Doppel- 
gebläse ersetzt  werden  kann,  muss  reichlich  Faustgrösse  besitzen  und  mit 
einem  kegelförmigen  Ansätze  für  den  Katheter  ausgestattet  sein.  Bequemer 
in  der  Handhabung,  Vt^eil  er  zwischen  den  einzelnen  Compressionen  in  Ver- 
bindung mit  dem  Katheter  bleiben  kann,  ist  der  mit  einem  Ventil  versehene 
Ballon,  wie  ihn  z.  B.  Geuber  benützt;  doch  sind  diese  Apparate  weniger 
haltbar  als  einfache  Gummiflaschen.  Will  man  den  Ballon  für  das  Politzer' - 
sehe  Verfahren  gebrauchen,   so  setzt  man  auf  den  Ansatz,   am  besten  unter 


INSTRUMENTARIUM  DES  OHRENARZTES.  223 

Einfügung  eines   elastischen  Zwischenstückes,    eine  Olive   oder   einen   Kegel 
aus  einem  gut  sterilisirbaren  Material  auf. 

3.  Der  Aus  cultationssc  hl  auch,  mit  welchem  der  Arzt  das  zu  unter- 
suchende Ohr  mit  seinem  eigenen  verbindet,  ist  etwa  '■'■/^  m  lang  und  trägt 
an  jedem  Ende  einen  schlank-olivenförmigen  Ohransatz,  in  der  Regel  einen 
weissen  für  den  Arzt,  einen  schwarzen  oder  rothen  für  den  Kranken. 

4.  Die  Klemme  zur  Fixation  des  Katheters  (Fig.  7)  ist  zu- 
weilen unentbehrlich,  wenn  man  mit  dem  Katheterismus  anderweitige  Opera- 
tionen, wie  Sondirung  der  Tube  oder  Injectionen  in  dieselbe,  verbinden  will, 

II.  Instrumente  für  die  Behandlung  des  Ohres. 

a)  Instrumente  für  Operationen  im  Gehörgange. 

1.  Furunkelmesser  gibt  es  in  sehr  verschiedenen  Formen;  die  ge- 
bräuchlichsten sind  die  in  Fig.  8  und  9  abgebildeten,  von  denen  das  eine  vorn 
spitz,  das  andere  abgerundet  ist.  Das  Messer  von  v.  Tröltscii  hat  Scalpell- 
form  und  trägt  an  dem  entgegengesetzten  Ende  des  Grifles  einen  Löffel  zum 
Ausräumen  des  Furunkels.  Ich  ziehe  lür  viele  Fälle  ein  Messerchen  mit 
convex  gebogener  Schneide  vor. 

Aus  der  grossen  Zahl  von  Instrumenten  zur  Extraction  von  Fremd- 
körpern heben  wir  die  folgenden  hervor: 

2.  Stahlhebel  von  Zaufal,  ein  schlank  gearbeitetes,  nach  Art  der 
Ohrlöffel  geformtes  Instrument  mit  schwach  schaufeiförmig  verbreitertem, 
stumpfwinkelig  abgebogenem  Ende. 

3.  Spitzer  Haken  (Fig.  10)  zum  Fassen  ausgehöhlter  Fremdkörper 
(Perlen,  Knopfösen). 

4.  Stumpfer,  auf  die  Fläche  gekrümmter,  zugleich  als  Hebel  zu  be- 
nutzender Haken  (Fig.  11). 

5.  Zange  nach  Politzer  (Fig.  12),  an  deren  Stelle  zuweilen  mit 
besserem  Erfolge  die  zierlicher  gearbeiteten  Instrumente  von  Teaütmanx, 
Haetmann,  Sexton  (Fig.  13)  u.  a.  benutzt  werden. 

Es  sei  hier  ausdrücklich  bemerkt,  dass  alle  diese  Instrumente  zur  Be- 
seitigung von  Fremdkörpern  ausschliesslich  für  geübte  Hände  brauchbar  sind 
(s.  Artikel  ^^Fremdkörper  im  Ohr"). 

Für  Einblasungen  von  pulverförmigen  Medicamenten  in 
das  Ohr  sind  sehr  verschiedenartige  Apparate  im  Gebrauch;  besonders  hand- 
lich ist. 

6.  Der  Pulverbläser  von  Politzer  (Fig.  14),  ein  Behälter  von  Hart- 
gummi mit  ovalem  Schlitz  im  Boden,  welcher  bei  einer  bestimmten,  durch 
Marken  angezeigten  Einstellung  des  unter  ihm  durchgeführten,  gleichfalls  mit 
einem  Schlitz  versehenen  Blaserohres  an  das  letztere  eine  geringe  Menge 
Pulvers  abgibt.  Statt  des  Gummischlauches  mit  Mundstück,  welches  die  Ab- 
bildung zeigt,  ist  ein  zum  Anblasen  zu  benützender  Gummiballon  bei  w^eitem 
vorzuziehen. 

b)  Instrumente  für  Operationen  am  Trommelfelle. 

1.  Die  Paracentesennadel  (Fig.  15)  ist  eine  5 — Gern  lange  Lanzen- 
nadel mit  schlankem,  aber  festem,  nicht  federndem  Schafte,  welcher  mit  dem 
Griffe  einen  Winkel  von  etwa  130°  bildet.  Die  schneidende  Spitze  soll  min- 
destens 5  mm  lang  sein.  Statt  des  winkelig  abgeknickten  Schaftes  wird  von  Lucae 
ein  bajonnetförmiger  vorgezogen;  an  den  bei  mir  gebräuchlichen  Paracentesen- 
nadeln  befindet  sich  ein  flacher,  blattförmiger  Stiel  von  der  Grösse  eines 
Daumen-Nagelgliedes. 

2.  Das  Trommelfellmesser  ist  ein  sehr  zierlich  gearbeitetes,  etwas 
concaves  Scalpell   mit  geknöpfter  Spitze,   welches   sich   an   einem    ähnlichen 


224  INSDFFLATION. 

Schafte  und  Griffe  wie  die  Paracentesennadel  befindet.  Es  dient  zur  Ver- 
längerung zu  kurz  gerathener  Incisionen,  überliaupt  zur  Erweiterung  kleiner 
Perforationen  und  zur  Umschneidung  des  Trommelfelles. 

3.  Das  Tenotom  zur  Durchschneidung  der  Sehne  des  M.  tensor  tym- 
pani  ist  ein  auf  die  Fläche  gekrümmtes  Sichelmesserchen;  zur  Durchschneidung 
der  Stapediussehne  bedient  man  sich  eines  ähnlichen  Instrumentes,  welches 
indessen  weit  kleiner  und  auf  die  Kante  gekrümmt  ist, 

4.  Synechotome  sind  rechtwinkelig  (Fig.  16)  oder  in  sanftem  Bogen 
(Fig.  17)  gekrümmte  Häkchen  mit  scharfer  Schneide. 

c)  Instrumente  für  Operationen  in  der  Paukenhöhle. 

1.  Paukenröhrchen  sind  Canülen  von  verschiedener  Länge  und  Form 
(Fig.  18,  19),  welche,  durch  einen  Gummischlauch  mit  der  Ohrspritze  oder 
einem  Irrigator  verbunden,  in  Fistelöffnungen,  in  das  Antrum  etc.  eingeführt 
werden  und  zur  gründlicheren  Durchspülung  dieser  Hohlräume  dienen. 

2.  Scharfe  Löffel  (Fig.  20,  21,  22)  werden  in  verschiedenen  Grössen 
zur  Ausräumung  von  Granulationen  aus  der  Paukenhöhle  verwendet. 

3.  Der  Polypenschnürer  von  Wilde  besteht  aus  einem  mittels  eines 
Ringes  am  Daumen  zu  befestigenden,  stumpfwinkelig  gebogenen,  vierkantigen 
Schafte,  welcher  an  dem  freien  Ende  und  am  Knie  je  zwei  seitlich  in  flachen 
Anschwellungen  angebrachte  Bohrlöcher  für  die  durchzuziehende  Drahtschlinge 
trägt.  Die  letztere  wird  mit  beiden  Enden  an  einem,  am  Schafte  beweglichen, 
mit  Zeige-  und  Mittelfinger  zu  bedienenden  Querriegel  durch  mehrfaches  Um- 
wickeln befestigt.  Anstatt  des  Daumenringes,  welcher  für  die  Hand  des  Arztes 
genau  passen  muss,  wird  vielfach  ein  stielförmiger  Handgriff  und  statt  des 
Querriegels  ein  Ring  zur  Aufnahme  des  Zeigefingers  (Fig.  23)  benutzt. 

4.  Das  Ringmesser  (Fig.  24)  dient  zur  i\.bschneidung  kleinerer  Tu- 
moren. 

Die  für  die  Operationen  am  Warzenfortsatze  dienenden  Instru- 
mente weichen  von  den  in  der  Chirurgie  zu  Knochenresectionen  benutzten 
nicht  wesentlich  ab;  sie  bedürfen  hier  deshalb  keiner  Aufzählung,  zumal  da 
sie  auch  in  dem  Artikel  über  die  Behandlung  des  Warzenfortsatzes  specielle 
Erwähnung  finden  werden.  bürkner. 

Insuffiation  ist  ein  technisches  Verfahren,  welches  den  Zweck  hat, 
feingepulverte  Substanzen  oder  geringe  Mengen  von  Flüssigkeiten  in  Schleim- 
hauthöhlen einzublasen.  Dies  geschieht  zunächst  in  der  allgemeinen  Chirurgie, 
um  Wundflächen,  Fisteln  etc.  mit  einer  desinficirenden  Pulversubstanz  (Jodo- 
form) zu  bedecken.  Hiezu  dienen  ähnliche  Pulverbläser,  wie  sie  weiter  unten 
als  in  der  Laryngotherapie  gebräuchlich  beschrieben  werden. 

Die  Insufflation  im  engeren  Sinne  ist  ein  endolaryngeales  Verfahren, 
welches  zu  den  wichtigsten  therapeutischen  Behelfen  des  Laryngologen  gehört. 

Indicationen.  Die  Indication  für  die  Insufflation  sind  chronische 
Kehlkopfkatarrhe  und  Ulcera  laryngis.  Sie  haben  zum  Theil  den  Zweck,  des- 
inficirend  und  heilungsbefördernd,  zum  Theil  adstringirend,  zum  Theil  schmerz- 
stillend zu  wirken.  Zu  erstgenanntem  Zwecke  verwendet  man  Jodoform, 
Jodol,  Acid.  boric,  Bismuth.  suhnitr.^  zum  zweiten  Acid.  tannic.  Alumen,  zum 
dritten  Cocain,  Morphium  und    Orthophorm. 

Technik.  Nach  entsprechender  Beleuchtung  und  Einführung  des  Kehl- 
kopfspiegels mit  der  linken  Hand  zur  Einstellung  des  Kehlkopfbildes  (vergl. 
Artikel  ^^Laryngoskopie'-'-)  führt  man  das  an  seinem  vorderen  Ende  katheter- 
förmig  gekrümmte  Instrument  über  die  vom  Untersuchten  aus  der  Mundhöhle 
gezogene  und  mittels  eines  Tuches  von  dessen  Fingern  fixirte  Zunge  ein,  bis 
man  unter  Controle  des  Spiegels  oberhalb  des  Epiglottisrandes  gekommen  ist. 


INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN. 


225 


Hierauf  wird  der  Ellbogen  des  Untersucliers  gehoben  und  hiedurch  das  vor- 
dere Ende  des  Instrumentes  über  den  Kelildeckelrand  hinweg  gehoben,  so 
dass  es  gerade  über  dem  Kehlkopfeingang  steht.  iJie  rechte  Hand  des  Arztes 
entleert  hierauf  den  Inhalt  des  Pulverbläsers  auf  jene  Stelle,  die  man  zu 
treffen  wünscht. 

Instrumente.  Zur  Insufflation  verwendet  man  an  ihrem  vorderen 
Ende  entsprechend  gekrümmte  Röhren,  aus  Hartgummi  gefertigt,  welche  an  einer 
Stelle  eine  durch  ein  darüber  verschiebbares,  kurzes  Köhrchen  verschliossbare 
Oeffnung  zur  Aufnahme  des  Insufflationspulvers  besitzt.  Das  hintere  Ende  des 
Instrumentes  besteht  ans  einem  Gummiballon  mit  oder  ohne  Luftventil  oder 
einem  Gummiröhrchen  mit  Mundansatz. 

Der  Kehlkopfpulverbläser  nach  Rauchfuss,  wie  er  allgemein  gebräuchlich 
ist,  vermag  nicht  mit  voller  Sicherheit  das  insufflirte  Pulver  an  eine  bestimmte  Stelle  zu 
bringen.  Deshalb  liess  Bergeat  (München)  einen  Ballon  mit  bedeutend  massigerer  Anlage 
des  zwischen  Ballon  und  Blaserohr  gelegenen  Zwischenstückes  anfertigen,  so  dass  in  einer 
in  demselben  angebrachten  Rinne  der  Zeigefinger  fest  aufruht,  und  durch  die  Direction 
dieses  Fingers  die  Insufflation  in  einer  bestimmten  Richtung  erfolgen  kann. 

Zur  Insufflation  verwendet  man  Pulver,  subtilissime  pulverisata.  Als 
Constituens  für  stark  wirkende  Substanzen  verwendet  man  Saccharum  lactis 
statt  des  stark  hygroskopischen  Saccharum  alb.  oder  Amylum  und  Talcum. 

Als  Recepte  für  gebräuchliche  Insufflationspulver  seien  angeführt: 


Rp. 


Rp. 


Rp. 


Rp. 


Rp. 


Acid.  tannic.  pidv.   5  0. 
Talci  subtil,  pulverisat.  lO'O. 
DS.  Zum  Einhlasen. 

Acid.  borac.  10- 0. 
Morph,  mtiriat.  Ol- 
DS.  Zur  Insufflation. 

Cocain,  muriat.  0'5. 
Sacch.  lactis  10  0. 
DS.  Zum  Einblasen. 

Morph,  muriat.  O'l — 05. 

Sacch.  lactis  10- 0. 

DS.  Insufflation. 

{eventiiell  mit  Cocain  combinirt  ää  Q2g). 


Rp. 


Rp. 


Jodoform,  subtilissime  puherisati 

Acid.  boric.  pulv.  Jiä  5-0. 

in  saciilo. 

S.  Zur  Insufflation. 


Rp. 


Rp. 


Rp. 


Jodol.  pulverisat.  50. 
S.  Zu  Einblasungen. 

Morph.  hydrocJdorici  O'l. 
Bismuth.   subnitr. 
Sacch.  alb.  pulo.  ää  3'0. 
MDS.  Zu  Einblasungen. 

Kai.  sozojodolic. 
Sacch.  lactis  ää  10  0. 
DS.  Zur  Insufflation. 


(Schäffer). 


(Schäffer). 


(Ritter) 


Alumin. 

Sacch.  lactis  ää  10  0. 

DS.  Zur  Einblasung. 


Orthophorm.  pur. 

oder  muriat.  100. 
DS.  0'2  g.  zu  einer  Insufflation. 

(Neumayer). 

Zur  Insufflation  medicamentöser  Stoffe  in  das  Gehörorgan  verwendet 
man  die  Luftdouche  (vergl.  Artikel  ^Instrumentarium  des  Ohrenarztes'^  sammt 
zugehörigen  Abbildungen).  w. 

Interne  Krankheiten  und  Ohraffectionen.  Ehe  wir  die  bei  inneren 

Erkrankungen  auftretenden  Ohraffectionen  selbst  betrachten,  wollen  wir  zu- 
nächst kurz  die  gewöhnlichsten  Wege  erörtern,  auf  denen  die  Erkrankungen 
des  Ohrapparates  gewöhnlich  zustande  zu  kommen  pflegen. 

Wir  müssen  zuvörderst  im  Auge  behalten,  dass  zwischen  dem  Ohr  und 
dem  Nasenrachenabschnitt  ein  ausserordentlich  inniger  anatomischer  und 
physiologischer  Connex  besteht,  der  eine  Propagation  dortselbst  bestehender 
entzündlicher  Processe  per  continuitatem  et  per  contiguitatem  ermöglicht,  oft 
direct  begünstigt. 

Weiter  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  in  unserer  Mundnasenrachen - 
höhle  immer  schon  unter  normalen  Verhältnissen,  zur  Zeit  der  völligen 
Gesundheit  also,  eine  nicht  unbeträchtliche  Anzahl  von  pathogenen  und 
bedeutungslosen  Pilzkeiraen  haust;  sie  alle  kommen  theils  durch  die  Athmung, 


Ohren-,  Nasen-,  Kachen-,   Kehlkopfkrankheiten. 


15 


226  INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN. 

theils  durcli  die  immerfortwährenden  Zersetzungsprocesse  (Nahrungsreste  etc.) 
dahin. 

Trotzdem  wir  also  virulente  Mikroorganismen  zu  jeder  Zeit  in  uns 
haben,  bleiben  wir  gesund,  so  lange,  als  die  physiologischen  Schutzdcämme 
integer  functioniren ;  so  wie  sie  durchbrochen  sind  und  ihre  Fähigkeit,  zu 
paralysiren,  aufgehoben  ist,  kann  Krankheit  eintreten,  so  auch  am  Ohre. 

Nehmen  wir  zunächst  die  Erkältung,  die  früher  eine  so  grosse  Rolle 
spielte,  und  der  man  beinahe  alle  Ohrentzündungen  zuschrieb,  in  ihrer 
concreten  Bedeutung  für  das  Ohr,  so  können  wir  sagen,  dass  durch  sie  in 
erster  Linie  eine  Lähmung  des  Fl  immer  epit  hei  s  des  Respirationstractes 
(abgesehen  von  den  Aenderungen  in  der  Gefässinnervation)  verursacht  wird: 
einer  der  Schutzdämme  ist  überwunden,  und  die  pathogenen  Keime  gelangen 
jetzt  im  Nasenrachencavum  zur  Ent Wickelung  und  werden  weiterhin  durch  die 
Tuba  ins  Mittelohr  hineingetrieben. 

Es  ist  ja  selbstverständlich,  dass  sich  die  Entzündung  einfach  per  con- 
tinuitatem  auf  das  Ohr  fortpflanzen  kann,  aber  für  gewöhnlich  geschieht  die 
Infection  des  Ohres  durch  Vermittelung  der  sogenannten  Zwangsbewe- 
gungen der  Tuba:  die  Tuba  öffnet  sich  unwillkürlich  physiologisch  von 
Zeit  zu  Zeit  behufs  Ventilation  der  Trommelhöhle;  ebenso  wirken  alle  Luft- 
verdichtungen, also  Gähnen,  Niesen,  Brechen,  PoLiTZEn'sches  und  Valsalva'- 
sches  Verfahren,  unter  Umständen  direct  vermittelnd. 

Sind  nun  die  virulenten  Keime  aus  dem  primär  inficirten  Gebiete  durch 
die  Tuba,  deren  gelähmtes  Flimmerepithel  keinen  Widerstand  zu  leisten  vermag, 
in  die  Pauke  eingedrungen,  so  steht  ihrer  Entfaltung  daselbst  nichts  mehr  hin- 
dernd im  Wege:  die  Ohrentzündung  kann  beginnen. 

Haben  wir  bei  der  Erkältung  die  Ausschaltung  des  localen  Schutz- 
dammes als  das  Allererste  zu  berücksichtigen,  so  gestalten  sich  die  Verhält- 
nisse bei  den  Allgemeinerkrankungen  analog:  hier  werden  mehr  oder 
weniger  sämmtliche  Schutzdämme  (die  vitale  Energie  der  normalen  Gewebs- 
zellen, die  bacterienfeindliche  Eigenschaft  des  Blutes,  die  Fähigkeit  der  nor- 
malen Organe,  zu  resorbiren  und  chemisch  wirksame  Umsetzungen  zu  bilden) 
ausser  Wirksamkeit  gesetzt,  und  nun  kann  es  entweder  infolge  der  Allgemein- 
erkrankung selbst  und  nur  durch  sie  allein,  oder  wieder  infolge  der  durch  sie 
bedingten  localen  Veränderungen  vermöge  einer  Verschleppung  vom  Cavum 
pharyngo-nasale  aus  zur  Ohrerkrankung  kommen. 

Ausser  diesen  häufigsten  und  gewöhnlichsten  Wegen  haben  wir  dann 
noch  weiter  (seltener)  den  Weg  der  Blutbahn  (Endocarditis,  Pyämie  etc.):  am 
seltensten  kommt  eine  Ohraffection  au  focht  hon,  im  Ohre  selbst,  zustande. 
Auch  von  aussen  her,  durch  den  Gehörgang,  das  Trommelfell,  können  Ohr- 
entzündungen weiterhin  sich  entwickeln  nach  einwärts. 

Bezüglich  der  Eint  hei  lung  der  Ohrerkrankungen  möchte  ich  als  für 
alle  Allgemeinerkrankungen  gleichgiltig  voraussenden,  dass  wir  drei  Gruppen 
zu  unterscheiden  haben: 

L  Rein  nosogene  Ohraffectionen  sind  solche,  die,  durch  irgend  eine 
Allgemeinerkrankung  (acut  oder  chronisch)  selbst  hervorgerufen,  sich  als  Aus- 
druck einer  speciellen  Localisation  derselben  im  Ohre  repräsentiren  (Parotitis, 
Meningitis  epidemica,  Influenza,  Syphilis,  Tuberculose  etc.). 

IL  Einfach  mikrophytogen e  Otitiden  sind  alle  solche,  die  durch 
specifische  Mikroorganismen  bei  nicht  allgemein  erkrankten  Individuen 
durch  locale  Infection  (zumeist  per  tubam)  zustande  kommen.  (Blennorrhoea 
neonatorum,  acute  Corj^za,  Angina,  soferne  diese  nicht  als  Allgemeininfection 
aufgefasst  werden  etc.). 

III.  Mikrophy to-nosogene  Otitiden;  bei  ihnen  gesellt  sich  zur 
Localinfection    die    Allgemeininfection,    vorausgehend,    gleichzeitig    oder   ihr 


INTERNE-KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN.  227 

nachfolgend.     Diese  Mischinfectionen  geben    am    häufigsten  Veranlassung    zu 
schweren  Ohrprocessen,  speciell  bei  den  acuten  allgemeinen  Infectionen. 

I.  Acute  localisirte  Infectionen. 

Ein  nicht  geringer  Bruchtheil  der  Affectionen,  die  wir  jetzt  erörtern 
wollen,  ist  früher  zu  den  Erkältungskrankheiten  gerechnet  worden;  unseren 
neueren  Ansichten  gemäss  sind  sie  jedoch  auf  Infection  zurückzuführen.  Dabei 
dürfen  wir  aber  nicht  ausseracht  lassen,  dass  die  Erkältung  eben  in  einer 
grossen  Anzahl  der  Fälle  das  prädisponirende  Moment  abgibt,  vermöge  dessen 
die  Infection,  nach  Ausschaltung  der  Schutzfactoren,  in  Wirksamkeit  tritt. 

In  erster  Linie  haben  wir  hier  des  allbekannten  acuten  Schnupfens, 
der  Coryza  zu  gedenken;  er  gibt,  wie  wir  alle  aus  Erfahrung  wissen,  recht 
häufig  Veranlassung  zu  Ohraffectionen;  37^/o  der  Ohraffectionen  (Bükkner) 
verdanken  ihm  ihren  Ursprung. 

Gewöhnlich  pflegen  nicht  gleich  anfangs,  sondern  erst  vom  3. — 5.  Tage 
ab,  unangenehme,  zuweilen  schon  schmerzhafte  Sensationen  gegen  das  Ohr  zu 
Platz  zu  greifen,  die  sich  in  der  Folge  zu  kürzer  oder  länger  dauernden 
directen  Ohrschmerzen  ausbilden  können;  gleichzeitig  stellt  sich  eine  mehr 
oder  minder  ausgesprochene  Verminderung  der  Hörfähigkeit  ein,  die  dem 
Patienten  sich  häufig  äussert  in  der  Weise,  als  ob  er  seine  Stimme  wie  aus 
einem  Keller  tönend,  dumpf  hörte  (Au  top  ho  nie);  seltener  macht  sich  eine 
abnorme  Empfindlichkeit  gegen  Geräusche  und  besonders  gegen  grelle  Schall- 
einwirkungen bemerkbar  (Hyperacusis);  häufiger  dagegen  klagen  die 
Patienten  über  subjective  Ohrgeräusche  (Sausen,  Klingen,  Läuten  etc.). 

Vehementes  Schneuzen,  wie  es  ja  so  gerne  gerade  hier  geübt  wird,  wird  sehr 
oft  schmerzhaft  im  Ohre  empfunden,  und  es  ist  das  für  uns  ein  Fingerzeig 
bezüglich  der  Therapie:  wir  sollen  und  dürfen  bei  allen  acuten  Pro- 
cessen im  Nasenrachenräume,  seien  sie  welcher  Natur  sie  wollen, 
principiell  keine  Art  der  Luftdouche  in  Anwendung  ziehen,  ebenso  wie 
wir  dem  Patienten  das  forcirte  Schneuzen  thunlichst  zu  untersagen 
haben,  weil  wir  sonst  geradezu  durch  die  Luftverdichtung  möglicherweise  eine 
schwere  Entzündung  setzen  oder  eine  bereits  bestehende  in  hohem  Grade  ver- 
schlimmern können;  wohl  verstanden,  nur  bei  acuten  Processen.  Inspiciren 
wir  das  Trommelfell  zu  der  Zeit,  so  finden  wir  es  stark,  übernormal  glän- 
zend, längs  des  Hammergriffs  von  einem  frisch  rothen  Gefässtreifen  durch- 
zogen, und  die  geschwellte  Schleimhaut  der  Pauke  gibt  dem  Trommelfell 
einen  zart  röthlichen  Timbre;  zudem  ist  es  oft  mehr  weniger  eingezogen,  die 
Falten  zeigen  sich  angedeutet  oder  ausgesprochen.  Wir  haben  das  Bild  des 
complicatorischen  Tubenschnupfens  oder  einfachen,  acuten  Ohren- 
katarrhes  in  seinem  Beginne. 

Für  gewöhnlich  bildet  sich  die  locale  Ohrerkrankung  im  Laufe  des 
Schnupfens  selbst  zurück,  besonders  wenn  der  Patient  die  willkürlichen 
Luftverdichtungen  möglichst  vermeidet. 

In  einer  Anzahl  der  Fälle  jedoch  wachsen  die  Symptome  rasch  weiter, 
es  kommt  zur  Entwickelung  eines  acuten  Mittelohrcatarrhes  oder  einer  acuten 
exsudativen  Mittelohrentzündung,  eventuell  zur  Eiterbildung  mit  consecutivem 
Durchbruch  des  Trommelfells.  Dass  sich  natürlich  dann  ebensogut  Empyem 
des  Warzenfortsatzes,  Caries  desselben,  sowie  all  die  üblen  Complicationen 
der  acuten  eitrigen  Media,  wie  wir  sie  noch  sehen  werden,  herausbilden  kön- 
nen, liegt  auf  der  Hand.  Seltener  stellen  sich  schon  gleich  während  des  acuten 
Anfangsstadiums  hier  meningeale  Reizungen  ein. 

Bei  der  Abart  der  vulgären  Rhinitis,  der  Rhinitis  f  i  b  r  i  n  o  s  a,  die  sich 
im  frühen  Kindesalter  abzuspielen  pflegt,  wird  nicht  zu  selten  das  Ohr  von 
der  Nase  aus  ergriffen,  und  es  entwickeln  sich  pseudomembranöse,  croupartige 
Fibrintranssudate,  die  die  gleiche  Tendenz  zur  Recidivirung   zeigen,   wie    in 

15* 


228  INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN. 

der  Nase;  nach  Abstossung  der  Membranen  eitrige  perforative  Media  von  oft 
langer  Dauer. 

Ueber  den  sogenannten  exsudativen  Ohrkatarrh  der  Neugebornen 
und  der  Säuglinge,  dem  wir  bei  der  Gehirnpneumonie  wieder  begegnen  werden, 
sind  die  Acten  noch  nicht  geschlossen,  indes  dürfen  wir  nach  dem  jetzigen 
Stande  der  Untersuchung  wohl  als  ziemlich  sicher  annehmen,  dass  es  sich 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eben  um  wirkliche,  rein  bacteriogene  Otitiden 
handelt  und. nicht  um  physiologische  Erscheinungen.  Für  einen  Theil  der 
Fälle  ist  es  Zieh  und  Flesch  gleichwie  mir  gelungen,  einen  directen 
Zusammenhang  mit  der  Blennorrhoea  neonatorum  nachzuweisen,  indem 
das  specitisch  blennorrhoische  Scheidensecret  intra  partum  oder  nachher 
durch  Unvorsichtigkeit  von  Seite  des  Hilfspersonals  zunächst  in  der  Nase  eine 
blennorrhoische  Rhinitis  erzeugt,  von  der  aus  dann,  bacteriologisch  nach- 
weisbar, die  Otoblennorrhoe  entsteht. 

Zur  Perforation  des  Trommelfells  kommt  es  selten,  da  das  Secret  durch 
die  relativ  viel  weitere  kindliche  Tube  nach  innen  abgeführt  wird  und  das 
sehr  jugendliche  Trommelfell  eine  grosse  Mächtigkeit  der  epidermoidalen  Ele- 
mente und  infolge  dessen  eine  starke  Resistenzfähigkeit  aufweist. 

Dauer  der  Affection,  die  unter  stürmischen  Erscheinungen;  Fieber, 
Nahrungsverweigerung  etc.,  einhergeht,  circa  drei  Wochen;  Ausgang  entweder 
Heilung  oder  Fortdauer  einer  eitrigen  Media  bei  Perforation;  bei  marantischen 
Kindern  Exitus. 

Beim  Heuschnupfen  treten  seltener  Erscheinungen  von  Seite  des  Ohres 
auf;  wenn,  dann  in  Form  einer  acuten  Salpingitis,  eventuell  natürlich  auch 
Tympanitis.    Hyperacusis  vereinzelt,  ohne  entzündliche  Nebenerscheinungen. 

Die  acuten  Anginen,  einfache,  phlegmonöse  und  folliculäre,  führen 
nicht  selten  zu  complicatorischen  Ohraffectionen.  Eine  mehr  oder  weniger 
stark  ausgesprochene  Salpingitis,  die  sich  erst  durch  Kitzeln,  später  Stechen 
gegen  das  Ohr  zu,  oder  durch  directe  Schmerzen,  die  durch  Schluckbewe- 
gungen vermehrt  werden,  im  Ohre  selbst  subjectiv  und  objectiv  durch  Empfind- 
lichkeit beim  Drucke  auf  die  Gegend  des  Unterkiefergelenkes  bemerkbar 
macht,  ist  in  den  meisten  Fällen  vorhanden.  Das  Trommelfell  w^eist  erhöhten 
Glanz  bei  Abflachung  und  Injection  des  Hammergriffes  auf.  Nicht  zu 
selten  bildet  sich  aus  den  Anfangssymptomen  eine  richtige,  zuweilen  sehr 
schwere  eitrige  Media,  unter  Umständen  mit  Miterkrankung  der  Knochen- 
lager des  Warzenfortsatzes  heraus;  auch  Ausgang  in  Pyämie  und  Meningitis 
ist  hier  vom  Ohre  aus  beobachtet  w^orden. 

Wir  dürfen  hier  nicht  ausseracht  lassen,  dass  unter  Umständen  auch 
ein  gewissermaassen  umgekehrtes  Verhältnis  sich  einstellen  kann,  indem  es 
nämlich  infolge  einer  bestehenden  meist  acuten  oder  subacuten  Mittelohr- 
eiterung zu  einem  secundären  Senkungsabscess,  einem  Retropharyngeal- 
abscess  kommen  kann  unter  Vortäuschung  des  Bildes  einer  phlegmonösen 
Angina;  es  bricht  hier  der  Eiter  nach  innen  und  unten  von  der  Trommel- 
höhle her  durch,  indem  er  längs  der  peritubaren  Gewebes  zum  Velum  und 
zur  Peritonsillargegend  hin  sich  senkt,  um  von  da  aus,  wenn  ihm  nicht 
rechtzeitig  Abfluss  geschafft  wird,  sich  gegen  das  Mediastinum  zu  verlieren 
zum  Verderben  des  Patienten.  Zur  rechten  Zeit  eröffnet,  gew^ähren  dagegen 
diese  Senkungen  eine  dnrchaus  nicht  ungünstige  Prognose.  (Knapp,  Haug.) 
Bei  der  Pertussis,  dem  Keuchhusten,  zeigen  sich  ausser  den  gewöhn- 
lichen häufigeren  Reizerscheinungen  von  Seite  des  Ohres  (Tubenkatarrh  oder 
katarrhalische  exsudative  Media)  in  manchen  Fällen  Blutergüsse  in  Form 
von  Ecchymosen  auf  dem  Trommelfell  oder  in  Form  von  verschieden  grossen 
Blutblasen;  auch  Hämatotympanum  kommt  vor.  Es  kann  aber  auch  absolute 
bleibende  Taubheit  ohne  Mitbetheiligung  des  Mittelohres  sich  entwickeln  (Blut- 


INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OIIRAFFECTIONEN  229 

ergüsse  ins  innere  Ohr).  Auch  Emphysem  der  seitlichen  Halspartien  (innen) 
und  der  Regio  mastoidea  (aussen)  kommen  (selten)  vor. 

II.  Acute  allgemeine  Infectionen. 

Die  hier  zu  beobachtenden  Otitiden  sind  sämmtlich  entweder  rein  n  o  s  o- 
gene  oder  bacterio-nosogene. 

Die  Influenza  führt  in  zwei  ihrer  Formen,  der  katarrhalischen  und  der 
nervösen,  nicht  der  enteritischen,  sehr  häufig  zu  Ohrcomplicationen.  In  einem 
Theil  der  Fälle,  die  als  bacterio-nosogene  anzusehen  sind,  repräsentirt  sich  die 
Complication  als  eine  acute  Affection  des  tubaren  oder  tubotympanalen  Ab- 
schnittes, die  entweder  im  Verlaufe  der  Grundkraukheit  in  Bälde  sich  zurück- 
bildet, oder,  was  das  Häufigere  ist,  in  acut  progredienter  Weise  zur  Exsudat- 
bildung, zur  Eiterbildung  mit  Perforation  der  Membran  tendirt.  Der  Spontan- 
durchbruch liegt  gerne  in  der  unteren  Hälfte  (er  kann  übrigens  auch  an  allen 
andern  Stellen  der  Membran  erfolgen)  und  stellt  sich  zwischen  dem  dritten  bis 
bis  fünften  Tage  ein,  nachdem  subjective  starke  Schmerzen,  hochgradige 
Verminderung  des  Hörvermögens,  sowie  Fieber  vorausgegangen  waren.  Ver- 
lauf der  einer  gewöhnlichen  acuten  Media. 

Die  reinen  Influenza-Otitiden,  soweit  sie  den  Mittelohrtract  betreffen  — 
als  rein  nosogene  aufzufassen,  nicht  durch  Vermittelung  des  Nasenrachen- 
tractus  —  kennzeichnen  sich  in  der  Mehrzahl  durch  das  ausserordentlich 
stürmische  Einsetzen  der  Symptome  (plötzliches  Auftreten  von  ganz  exorbi- 
tanten, die  der  gewöhnlichen  Media  noch  weit  übertreffenden  Schmerzen,  hohes 
Fieber,  oft  meningeale  Reizerscheinungen),  durch  ihren  anfangs  vehementen 
und  später,  wenn  die  Sache  nicht  bald  zum  Abschluss  gelangt,  durch  ihren 
protrahirten  und  häufig  complicirten  Verlauf,  sowie  speciell  durch  ihren 
hämorrhagischen  Charakter.  Es  entwickelt  sich  bei  Influenza  innerhalb 
oft  sehr  kurzer  Zeitfrist  (nur  Stunder)  die  hämorrhagische  Entzündung  entweder 
als  Hämatotympanum,  so  dass  das  Trommelfell  ganz  oder  partiell  als  dunkelblau- 
schwarze Kugel  vorgewölbt  ist,  oder  in  Form  von  blauschwarzen  Blutblasen, 
die  auf  dunkelrothem  Grunde  an  verschiedenen  Stellen  erstehen  können. 
Auch  auf  das  Trommelfell  allein  beschränkt  kommt  die  hämorrhagische  Ent- 
zündung zur  Beobachtung  in  Form  von  Blutblasen  oder  Ecchymosen,  welche  dem 
Trommelfelle,  insbesondere  wenn  die  Entzündung  im  Ablaufe  ist,  ein  eigen- 
thümlich  geflecktes  oder  marmorirtes  Ansehen  verleihen  können  (Leojxirden- 
fellzeichnimg  Körner);  während  die  Schmerzen  hier  ebenfalls  recht  beträcht- 
lich sein  können,  braucht  das  Hörvermögen  nicht  oder  nicht  sehr  alterirt  zu 
sein. 

Der  Verlauf  kann  ein  ausserordentlich  vielgestaltiger  sein;  während  die 
hämorrhagische  Myringitis  in  kurzer  Zeit  sich  meist  zurückbildet,  ist  dies 
bei  der  hämorrhagischen  Paukenentzündung  bei  weitem  seltener  der  Fall. 
Die  Spontanruptur  tritt  im  allgemeinen  sehr  frühzeitig,  innerhalb  der  ersten 
24  Stunden  ein,  und  es  entwickelt  sich  dann  weiterhin  erst  eine  serös-hämo- 
rhagische  und  schliesslich  hämorrhagisch- eitrige  und  rein  eitrige  Secretion:  wir 
haben  die  gewöhnliche  eitrige  Media  nunmehr  vor  uns. 

Die  Dauer  erstreckt  sich  auf  14  Tage  bis  5  Wochen  durchschnittlich: 
es  kommt  im  Verlaufe,  besonders  gerne  im  Laufe  der  zweiten  oder  dritten  W^oche, 
verhältnismässig  recht  häufig  zu  schweren  Miterkrankungen  des  Warzenfort- 
satzgebietes  mit  acuter  Caries,  Nekrose;  auch  Sinusthrombose,  Pyämie, 
Meningitis  haben  wir  bei  der  Influenza-Otitis  nicht  zu  selten  zu  beklagen  ge- 
habt, so  dass  also  der  Charakter  derselben  a  priori  als  ein  durchaus  nicht 
gutartiger,  sondern  geradezu  maligner  und  heimtückischer  betrachtet 
werden  muss;  es  wird  sich  diese  Malignität  natürlich  nicht  in  allen  Epi- 
demien als  gleiche  erweisen,  die  Erkrankung  wird  sich  dem  Genius  epide- 
micus  entsprechend  gestalten  können,  Vorsicht  bleibt  aber  immer  geboten. 


230  INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN. 

Anlässlich  der  blutigen  Entzündungen  möchte  ich  noch  intercurrent  aut 
eine  sehr  ^\ichtige,  für  alle  Blutansammlungen  innerhalb  des  Mittelohres  gleich- 
massig  giltige  und  diagnostisch  wertvolle  Thatsache  aufmerksam  gemacht  haben: 
es  kann  bei  allen  derartigen  Blutansammlungen  im  Ohre  eventuell  ein  Abfluss 
des  Blutes  durch  die  Tuba  in  den  Ilachen  statthaben,  so  dass  die  Sputa  als 
cocta  imponiren;  auf  diese  Weise  sind  schon  manchmal  Verwechselungen 
mit  croupöser  Pneumonie  vorgekommen.  Also  immer  das  Ohr  auch  unter- 
suchen und  daran  denken,  dass  das  Blut  nicht  aus  der  Lunge  stammen  muss. 
(Das  gleiche  trift't  oft  auch  ein  bei  den  adenoiden  Vegetationen.) 

Kehren  wir  wieder  zu  unserer  Influenza  zurück,  so  haben  wir  noch  die 
Form  zu  betrachten,  die  auch  als  rein  nosogene  nar  den  schallemp  find  enden 
Apparat  betrifft.  Das  Trommelfell  zeigt  sich  absolut  frei.  Die  Patienten 
klagen  über  starke  subjective  Geräusche,  öfters  auch  über  Hyperacusis,  zu- 
weilen stellen  sich  Schwindel  und  Gleichgewichtsstörungen  ein,  das  Hörver- 
mögen nimmt  zuweilen  rasch,  in  seltenen,  prognostisch  sehr  ungünstigen 
Fällen  rapide  bis  zur  Taubheit  ab.  Solche  endigen  in  absoluter  Kerventaub- 
heit,  während  die  leichteren  in  Bälde  in  Restitutio  ad  integrum  auszugehen 
pflegen.  Ausserdem  kommt  es  zuweilen  noch  vor,  dass  sich  unter  meist  ziem- 
lich stark  ausgesprochenen  Allgemeinerscheinungen  eine  intensive  Otalgie 
meist  einer,  selten  beider  Seiten  auf  die  Zeitdauer  von  einer  halben  bis 
anderthalb  Wochen  entwickelt.  Diese  Affection  documentirt  sich  als  reine 
Otalgie  durch  das  absolute  Fehlen  jeglicher  objectiver  Entzündungserschei- 
nungen am  Trommelfelle  und  Mittelohre;  das  Hörvermögen  ist  dabei  nicht 
beeinträchtigt. 

Zu  erwähnen  wäre  noch,  dass  im  Verlauf  der  Influenza,  allein  oder 
combinirt  mit  einer  Media,  Furunculose  des  Gehörgangs  zuweilen  zur 
Beobachtung  gelangt. 

Therapie  bei  den  acuten  Formen:  solange  noch  Resorption  zu  erwarten, 
Eintxäufelungen  (lauwarm)  von  lO^o  Carbolglycerin  oder  Thymol  O'l,  Naphthol 
0*1,  solve  leni  calore  in  Glycerini  50"0.  —  Hirudines  Nr.  3 — 4.  Geht  das  Ex- 
sudat nicht  zurück,  so  sofort  Paracentese  ausgiebig;  statt  der  früher  so  gewöhn- 
lich vorgenommenen  und  auch  jetzt  noch  manchmal  gebrauchten  Ausspülungen 
(mit  zur  Hälfte  verdünntem  Liquor  Aluminii  acetici,  Borwasser)  ist,  wie  bei 
allen  acuten  perforativen  Mittelohrprocessen,  trockene  Reinigung,  nachherige, 
sorgfältige,  trockene,  einfache  Tamponade  des  Meatus  mit  Gazestreifchen  das 
zweckmässigste  (relativ  baldigste  Heilung);  keine  Luftdouche,  kein  Pul- 
ver! solange  die  Entzündung  acut  ist.  —  Bei  der  nervösen  Form:  Pilocarpin 
0"1:10"0,  1  Spritze  täglich  subcutan  (12—20  Einspritzungen  im  ganzen)= 

Bei  jeder  Art  der  Morbillen  kann  es  zur  Ohrcomplication  kommen 
Im  allgemeinen  treten  die  leichteren  Affectionen  in  den  leichteren  Epidemien 
auf,  die  schwereren  entsprechend;  aber  unter  keinen  Umständen  darf  man 
die  Otitiden  bei  Morbillen  als  etwas  Nebensächliches  betrachten,  sie  sind  im 
Gegentheil  immer  als  ernste  Complicationen  zu  erachten.  Es  findet 
sich,  wie  dies  zum  Theile  schon  aus  den  Untersuchungen  Tobeitz's,  Blau's, 
Haug's  und  insbesondere  denen  Bezold's  und  seines  Schülers  Rudolph 
hervorgeht,  in  einer  sehr  grossen  Anzahl  der  Morbillenfälle  eine  gleichzeitige 
Erkrankung  des  gesammten  Mittelohrtractes  (Paukenhöhle  und  Warzentheil) ; 
zum  Theil  können  diese  Veränderungen,  ohne  wesentliche  zeitliche  Erschei- 
nungen zu  produciren,  sich  wieder  zurückbilden.  Jedenfalls  ist  es  das  un- 
bestreitbare Verdienst  Bezold's,  auf  diese  für  den  Praktiker  so  wichtige 
Localisation  der  Ailgemeininfection  —  und  als  etwas  anderes  kann  die  Mor- 
billenotitis  schwerlich  aufgefasst  werden  —  hingewiesen  und  an  der  Hand 
von  Obductionsbefunden  erhärtet  zu  haben. 

Gewöhnlich  entwickelt  sich  im  Verlaufe  des  Desquamationssta- 
diums  eine  Mittelohraffection,   die   alle   Grade  vom  einfachen  Tubenkatarrh, 


INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN.  231 

der  einfach  acuten  katarrhalischen  Media  bis  zur  schwersten  acuten  eitrigen 
perforativen  Tyinpanitis  durchlaufen  kann.  JJie  bei  den  Morbillen  entstandene 
Media  gibt  verhältnismässig  recht  häufig,  weil  vernachlässigt,  den  Grund 
zu  der  späteren,  über  Jahre  und  Jahrzehnte  sich  ausdehnenden  chronischen 
Mittelohreiterung.  Bei  der  acuten  morbillösen  Media  kommt  es  nicht  selten 
zur  acuten  primären  oder  secundären  Caries  und  Empyem  des  Warzenfort- 
satzes. —  Nicht  zu  vergessen  ist,  dass  die  Otitis  dem  Exanthem  auch  voraus- 
gehen und  der  Ausbruch  des  Exanthems  hinausgeschoben  werden  kann. 
Labyrinthstörungen,  ohne  Mitergrifiensein  des  Mittelohres,  kommen  ebenfalls, 
aber  selten  zur  Beobachtung,  gleich  wie  Gangrän  der  Ohrmuschel. 

Scharlach  und  Diphtherie  geben  bekanntermaassen  sehr  häufig  Ohr- 
erkrankungen schwerster  Natur.  Zwischen  12 — 287o  aller  Ohreiterungen 
stammen  vom  Scharlach.     Wir  haben  beim  Scharlach  zu  unterscheiden: 

1.  Die  postexanthematischen  Otitiden,  die  für  gewöhnlich  in  der 
3. — 4.  Woche,  im  Beginne  des  Desquamationsstadiums  auftreten  (sehr  häufig), 
stellen  im  allgemeinen  die  leichteren  Erkrankungen  von  Seite  des  Ohres 
dar;  sie  treten  auf  als  vorübergehende  schmerzhafte  Empfindungen  in  der 
Tiefe  des  Ohres  (Salpingitis,  Myringitis),  oder  es  bildet  unter  Wiedererneuerung 
des  Fiebers  sich  eine  acute  eitrig  perforative,  selten  auch  diphtheritische  Tym- 
panitis  heraus,  die  bei  sachgemässer  Behandlung  verhältnismässig  bald  und 
gut  heilen,  vernachlässigt  jedoch  mit  beinahe  absoluter  Sicherheit  zu  grossen 
Destructionen  und  zu  der  chronischen  Otorrhoe  mit  all  ihren  Consequenzeu 
führen. 

2.  Die  pro-  und  enexanthematischen  Otitisformen  repräsentiren 
beinahe  durchgehends  schwere  bis  schwerste  und  letale  Complicationen. 
Hier  kommt  es  noch  vor  oder  während  des  Ausbruchs  des  Exanthems  unter 
excessiven  Temperatursteigerungen,  meningealen  Reizerscheinungen,  ausser- 
ordentlicher Herabsetzung  des  Hörvermögens  und  lebhaftesten  Schmerzen  zu 
den  schwersten  eitrig-phlegmonösen  oder  scharlach-diphtheritischen  Entzün- 
dungen, zu  ausgedehnten  rapiden  Zerstörungen  im  Schalleitungsapparate; 
insbesondere  das  Trommelfell  wird  unverhältnismässig  rasch  in 
weitem  Umfange  zerstört,  was  bei  gewöhnlichen  Otitiden  nie  der 
Fall  ist.  Derartige,  insbesondere  mit  diphtheritischer  Media  complicirte  Fälle 
sind  als  Ausdruck  einer  schweren  septischen  Infection  aufzufassen,  wie  ja 
überhaupt  die  nekrotisirende  Scharlach-Angina  nicht  mit  der  genuinen  Diph- 
therie, welche  den  LöFFLER'schen  Bacillus  beherbergt,  zusammengeworfen 
werden  soll,  da  sie  nur  der  Ausdruck  der  schweren  scarlatinösen  Sepsis  ist. 
Sehr  ominös  sind  die  nicht  selten  dabei  sich  zeigenden  Schwellungen  der 
Hals-  und  Ohrgegenddrüsen  {Pseudomumps).  In  selteneren,  sehr  schweren 
Fällen  wird  der  gesammte  Ohrapparat  zerstört  durch  eine  alle  Theile  er- 
greifende scarlatinöse  P  an  Otitis;  absolute  Taubheit,  anfänglich  mit  Coordi- 
nationsstörungen,  ist  die  bleibende  Folge.  (Taubstummheit,  wenn  in  früher 
Jugend!)  Empyem,  Caries  und  alle  übrigen,  auch  die  endocraniellen  Com- 
plicationen folgen  dieser  H.  Gruppe  nicht  selten,  ebenso  wie  unter  Umständen 
eine  narbige  Obliteration  des  Tubencanales  (mit  Unmöglichkeit  der  physio- 
logischen Ventilation)  zurückbleiben  kann. 

Die  Prognose  ist  unter  allen  Umständen  als  eine  sehr  ernste,  nie  leichte 
zu  nehmen.     Dauer  der  Eiterung  gewöhnlich  eine  sehr  protrahirte. 

Die  Diphtheritis  vera  kann  auf  zweierlei  Weise  das  Ohr  in  Mit- 
leidenschaft ziehen:  einmal  setzen  sich  per  continuitatem  und  contiguitatem, 
insbesondere  bei  der  Nasendiphtherie,  die  Membranen  auf  den  Tuben-Pauken- 
abschnitt fort.  Temperatur  38-5 — 39*0;  höher,  so  septische  Form.  Im  Gegen- 
satz zur  Scharlach-Ohrdiphtherie  dauert  das  Exsudationsstadium  viel  länger, 
5  —  8 — 12  Tage;  die  Membranen  bilden  sich  sehr  oft  wieder.  Perforation  tritt 
nicht  immer  auf,  die  Zerstörungen,  wie   bei  Scharlach    etc.,   fehlen   im    all- 


232  INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN. 

gemeinen,  nur  bei  der  septischen  Form  kommen  sie  vor.  Die  einmal  eta- 
blirten  Perforationen  sind  meist  klein,  nicht  sichtbar  anfangs,  weil  die  Mem- 
branen über  sie  in  den  Meatus  herausdringen;  nach  ihrer  Abstossung  stellt 
sich  profuse  Eiterung  ein,  die  einen  fast  dreimal  so  lange  dauernden  Verlauf 
als  die  gewöhnliche  Media  aufweist.  Panotitis  kommt  bei  der  Diphtherie 
seltener  vor.     Die  Kieferdrüsen  sind  bei  Ohrdiphtherie  constant  geschwollen. 

Bei  der  zweiten  Art  der  Infection  findet  die  Infection  durch  directe  Ein- 
wanderung des  Pilzmateriales  auf  dem  Wege  der  Blutbahn  statt;  hier  treten 
dann  zuweilen  die  schweren  Labyrinthaffectionen  auf,  die  zu  unheilbarer  Taub- 
heit führen.     Prognose  wie  überall  bei  Diphtherie  ernst. 

Ausser  der  chronischen  Media,  den  Narbenbildungen,  den  Verwachsungen, 
der  Taubheit  zeigen  sich  als  Folgen  der  Diphtherie  Paresen  und  Paralysen 
am  Tensor  und  Levator  Veli  (zu  erkennen  auch  durch  die  Unmöglichkeit, 
Luft  in  die  Tube  zu  bringen  bei  Valsalva,  Katheter  lässt  dagegen  freies 
Geräusch  wahrnehmen),  sowie  des  Facialis. 

Croup  gibt  sehr  selten  Veranlassung  zu  schwereren  Ohraffectionen. 

Parotitis  epidemica  kann  zuweilen  sehr  verhängnisvoll  für  das 
Ohr  werden,  indem  die  Kranken  zwischen  dem  3, — 8.  Tage  der  Affection 
urplötzlich  von  einer  rapid  zunehmenden  Schwerhörigkeit  befallen  wer- 
den, die  schon  nach  2 — 4  Tagen  in  meistens  bleibend-unheilbare  Taubheit 
übergeht  (oft  beiderseitig).  Sausen,  Schwindel,  Coordinationsstörungen  kommen 
auch  hier  wie  bei  Meningitis  epidemica  vor.  Die  Prognose  ist  bei  dieser  sich 
consecutiv  entwickelnden  Atrophie  der  Endfasern  des  Acusticus  per  se  eine 
trostlose.  —  Die  seltener  vorkommenden  entzündlichen  Mittelohraffectionen 
sind  günstiger. 

Meningitis  epidemica  ist  die  Infectionskrankheit,  die  verhältnis- 
mässig die  grösste  Anzahl  der  Taubstummen  liefert;  etwa  60^0  überstehen 
als  Taube  oder  Taubstumme  die  Krankheit. 

Hauptsächlich  ist  es  die  Meningitis  siderans  und  abortiva,  die  die  Patien- 
ten, fast  ausnahmslos  bisher  ohrgesund,  am  3. — 10.  Tage  der  Allgemeinerkran- 
kung unter  starken  subjectiven  Ohrgeräuschen  (Sausen,  Klingen,  Läuten)  in 
sehr  kurzer  Zeit,  oft  in  24  Stunden,  absolut  ertauben  lässt,  und  zwar  beinahe 
regelmässig  doppelseitig.  Bei  den  Gehversuchen  in  der  Reconvalescenz  macht 
sich  eine  gewaltige  Erschütterung  des  Coordinationssystems  bemerkbar,  indem 
die  Patienten  bei  jeder  Bewegung  schwanken  und  stürzen;  der  wackelnde  Gang 
bleibt  noch  bis  die  in  3.  oder  4.  Woche  der  Reconvalescenz,  dann  gleichen 
sich  die  Coordinationsstörungen  langsam  aus,  aber  die  Taubheit  bleibt, 
wenigstens  gewöhnlich,  irreparabel;  in  manchen  Epidemien  sind  die  Hör- 
störungen seltener  oder  bilden  sich  auch  wieder  zurück,  aber  das  ist,  wie 
gesagt,  die  Ausnahme. 

Diese  zwei  Arten  der  Infection  des  Ohres  stellen  die  denkbar  reinste 
nosogene  Form  vor. 

Von  weiteren  acuten  Allgemeininfectionen  haben  wir  noch  der  Pneu- 
monie zu  erwähnen.  Speciell  die  katarrhalische  Pneumonie  des  Kindes- 
alters hat  besonders  oft  als  sogenannte  Pneumonie  mit  Hirnsymptomen 
Ohrcomplicationen  zur  Grundlage;  in  sehr  vielen  Fällen  beherrschen  die  Ohr- 
erscheinungen das  Syraptomenbild  und  täuschen  dem  Nichtvertrauten  eine 
Pneumonie  vor.  Die  kleinen  Kinder  sind  sehr  unruhig,  schlagen  mit  dem  Kopf 
nach  hinten,  schreien  immerfort,  beim  Versuch,  zu  saugen,  fühlen  sie  Schmerzen 
und  stehen  deshalb  von  jedem  Nährversuch  ab.  Fieber,  eklamptische  Anfälle, 
ödematöse  Säcke  um  die  Augen  bei  ängstlichem  Gesichtsausdruck,  Nasenbluten 
(sehr  ominös),  Coma  —  tritt  das  alles  bei  vorhandener  Bronchitis  auf, 
halten  wir  das  Kind,  ehe  es  noch  comatös  geworden  ist,  mit  dem  Kopf  nach 
unten  und  fährt  es  dann  mit  einem  gellenden  Schrei  gegen  die  Schläfen, 
so  ist  die  Diagnose    einer  Otitis    mehr  als    wahrscheinlich;    sichtbar   ist  die 


INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN.  233 

Otitis  am  Trommelfell  an  der  Vorwölbung  der  Membran.  Paracentese 
kann  nicht  schaden,  nur  nützen,  eventuell   das  Leben  retten. 

Die  croupöse  Pneumonie*)  gibt  seltener  Ohrerkrankungen,  wenigstens 
nicht  schwerere  eitrige;  Prognose  günstig.  —  Hier  ist  aufmerksam  zu  machen 
auf  die  Otitis  mit  pneumonischem  Charakter:  Beginn  mit  Schüttelfrost, 
kritischer  Abfall  am  7.  oder  8.  Tage,  geht  rasch  in  Heilung  über. 

Beim  Ileotyphus  erkrankt  das  Ohr  in  ungefähr  4 7o  der  Fälle.  Keiner 
Tubenkatarrh  ist  selten,  dagegen  die  exsudative  typhöse  Media  häufig; 
sie  stellt  sich  gegen  Ende  der  Allgemeinerkrankung  zwischen  dem  25.  und 
35.  Tage  ein,  unter  Schmerzen,  neuem  Fieber,  Geräuschen  und  Verschlech- 
terung des  Hörvermögens,  bildet  sich  entweder  bald  zurück  (seltener)  oder 
führt  (öfter)  zur  Perforation,  die  sich  typischer  Weise  meist  im  hintern  obern 
Quadranten  befindet,  im  Gegensatze  zu  der  sonstigen  acuten  Media  (Per- 
foration hier  vorne  unten!!).  Zuweilen  bilden  sich  mehrere  Löcher,  oder  es 
tritt  eine  rasche  Zerstörung  der  Membran  in  weitem  Umfange  ein.  Die  Pars 
mastoidea  wird  häufig  in  Mitleidenschaft  gezogen,  und  zwar  ;f:eigen  sich  die 
Symptome  gleichzeitig  mit  dem  Eintritt  der  Ohrsymptome,  nicht  erst  in  der 
dritten  Woche,  wie  bei  der  vulgären  Media;  es  handelt  sich  hier  um  primäre 
Periostitiden  oder  Empyeme.  Trotzdem  ist  die  Prognose  keine  gerade  un- 
günstige. 

Die  nervösen  Schwerhörigkeiten  bei  Typhus  stellen  sich  durchschnittlich, 
im  Gegensatz  zur  exsudativen  Media,  gleich  anfangs  in  den  ersten  Tagen  der 
Allgemeininfection  ein,  unter  subjectiven  Geräuschen  nimmt  die  Hörweite 
rasch  ab,  selten  bis  zur  Taubheit;  dabei  finden  sich  keine  objectiven  Ver- 
änderungen. Die  Prognose  dieser  die  nervösen  Organe  befallenden  Surditas 
typhosa  ist  manchmal  eine  günstige,  aber  nicht  durchgehends;  oft  bleibt 
Taubheit.  Bei  Typhusrecidiven  stellt  auch  diese  Art  sich  wieder  von  neuem 
^in,  ein  Zeichen  des  directen  Zusammenhangs  mit  der  Infection.  —  Das  äussere 
Ohr  kann  bei  schwerem  Typhus  gangränös  werden;  Otitis  externa  kommt 
zuweilen  vor  mit  Granulations-  und  Sequesterbildung;  Parotisabscesse,  die 
sich  in  den  Meatus  entleeren,  dürfen  nicht  mit  Gehörgangsabscessen  verwech- 
selt werden. 

Der  Flecktyphus  hat  unter  allen  typhösen  Fiebern  die  grösste  Tendenz 
zu  Ohrcomplicationen  (32%!).  Es  erkrankt  auch  hier  der  nervöse  Apparat 
im  Beginne  der  Erkrankung  oder  in  der  Reconvalescenz ;  die  Patienten  werden 
unter  subjectiven  Geräuschen  am  5. — 7.  Tage  rapide  schwerhörig.  Trotz 
der  Doppelseitigkeit  der  Erkrankung  bildet  sich  die  Complication  gewöhnlich 
ad  integrum  zurück. 

Der  Mittelohrtract  wird  häufig  (relativ  und  absolut)  in  der  Defervescenz- 
periode  ergriffen  in  Form  einfacher  tubarer  Processe  oder  exsudativer  acuter 
Entzündungen.  Zur  Ruptur  kommt  es  am  2.^3.  Tage  in  2  %  der  Fälle; 
Perforation  sehr  klein,  vorne  unten.     Verlauf  gutartig.    Prognose  gut. 

Febris  recurrens  afficirt  bloss  das  Mittelohr;  2—6  Tage  nach  einem 
Anfalle,  nie  während  desselben,  weisen  die  Patienten  die  Symptome  einer  acuten 
perforativen  Media  auf;  speciell  nach  dem  an  und  für  sich  schon  gefähr- 
lichen dritten  Anfalle  pflegt  sie  sich  gerne  auszubilden.  Prognose  sehr 
günstig.     Restitutio  gewöhnlich. 

Variola  zeigt  nur  in  den  schwereren  Formen,  der  Variola  pustulosa 
und  haeraorrhagica,  Ohrerscheinungen.  Am  äusseren  Ohr  treten  die  Efflore- 
scenzen  zuweilen  zuerst  auf;  es  kann  die  ganze  Ohrmuschel  und  der  Meatus 
von  den  Pusteln  überzogen  werden,  unter  colossaler  Verschwellung  des  Organes 

*)  Es  mag  hier  bemerkt  werden,  dass  ein  Theil  der  acuten  Mittelohreiterungen,  auch 
ohne  dass  Pneumonie  dabei  ist,  durch  die  Mikroorganismen  der  Pneumonie  hervorgerufen 
sind. 


234  INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN. 

(lebhaften  Schmerzeu,  Schwerhörigkeit  infolge  Verschlusses  des  Meatus).  Gleich 
wie  auf  der  Haut  siedeln  sich  die  Pusteln  als  Plaques  auf  der  Schleimhaut 
der  Tubenöifnung  im  Rachen  an:  es  kommt  zur  entzündlichen  Salpingitis; 
Media  perforativa  ist  selten.  Panotitis  kommt  ausnahmsweise  vor.  Bei  Variola 
haemorrhagica  entstehen  auch  Blutungen  ins  Labyrinth. 

Bei  Pyämie  treten  zuweilen  auch  peracute  hämorrhagische  Mittelohr- 
entzündungen auf,  die  in  unverhcältnismässig  kurzer  Zeit  von  etlichen  Stunden 
oder  Tagen  eine  umfangreiche  Zerstörung  des  Trommelfelles  anrichten;  ge- 
wöhnlich zeigen  sich  mehrere  Perforationen  auf  einmal,  die  rapide  an  Grösse 
zunehmen  bis  zum  Totaldefect. 

III.  Chronische  Allgemeininfectionen. 

Die  Tuberkulose  kann  sämmtliche  Abschnitte  des  Ohres  befallen.  Das 
äussere  Ohr  erkrankt  in  der  Form  des  Lupus  vulgaris  mit  seinen  bekannten 
Eftiorescenzen.  Ebenso  breiten  sich  die  Scheiben  des  Lupus  erythematodes 
auf  die  Ohrmuscheln  aus.  Weniger  bisher  bekannt  war  die  circumscripta 
K  uotentuberkulose  des  Lobulus  auriculae;  es  bildet  sich  hier  im 
Laufe  sehr  langer  Zeit  (vieler  Jahre)  nur  im  Läppchen  der  Ohrmuschel  ein 
kirsch-  bis  nussgrosser  Knoten  mit  verschiedenen  knolligen  Excrescenzen; 
seine  Consistenz  ist  massig  derb  bis  hart,  die  Haut  ist  mit  dem  Tumor  ver- 
wachsen. Drüsenschwellungen  der  Ohrgegenddrüsen  vorhanden.  Schmerzen  sind 
selten  dabei.  Lupusefflorescenzen  fehlen  immer,  so  dass  die  Sache  nicht  mit 
Lupus  identificirt  werden  darf.  Das  histologische  Bild  ergibt  absolut  sicher 
Tuberkulose     (Bacillen).      Wird     gewöhnlich    mit   dem    Fibrom    verwechselt. 

Eine  weitere  tuberkulöse  Erkrankung  der  Ohrmuschel  ist  die  Perichon- 
dritis  tub.;  sie  ergreift  zumeist  Männer  zwischen  dem  15. — 40.  Lebens- 
jahre, die  anderweitige  Symptome  von  Tuberkulose  aufweisen.  Es  bildet  sich 
unter  Jucken,  Brennen  und  nicht  hochgradigen  Schmerzen  eine  Infiltration  der 
Ohrmuschel  und  des  Meatus;  auf  der  Vorderseite  erheben  sich  eine  bis 
mehrere,  teigige,  nussgrosse  Wülste  entweder  im  Laufe  von  Wochen  oder 
subacut  in  etwa  14  Tagen;  die  regionären  Lymphdrüsen  sind  constant  ge- 
schwellt. Diese  Knoten  zeigen  keinen  flüssigen  Inhalt,  wie  die  der  vulgären 
Perichondritis,  sondern  sind  mit  Granulationen  ausgefüllt.  Zuweilen  kommt 
es  zur  Geschwürsbildung.  Dauer  immer  über  mehrere  Monate.  Selbst  bei 
Heilung  tritt  eine  hochgradige  Verunstaltung  der  Ohrmuschel  ein.  Histologisch 
nur  Tuberkulose. 

Einfache  tuberkulöse  Hautgeschwüre  sind  ebenfalls  an  den  Muscheln 
zu   beobachten. 

Im  Mitte lohrtr acte  kann  das  Trommelfell  idiopathisch  an  einer  tuber- 
kulösen Myringitis  erkranken;  es  bilden  sich  kleine,  höchstens  stecknadelkopf- 
grosse, graugelbliche  Knötchen,  die  ausserordentlich  rasch  zerfallen  und  zu  mehr- 
facher Durchlöcherung  führen.  Diese  Myringitis  tuberculosa  weist  eine  sehr 
destructive  Tendenz  auf,  das  Trommelfell  wird  sehr  rasch  in  grossem  Umfange 
zerstört;  dabei  sind  die  Schmerzen  sehr  gering  und  fehlen  auch  ganz,  ebenso 
wie  die  Entzündungserscheinungen  sehr  geringfügig  zu  sein  pflegen.  —  Weiter- 
hin haben  wir  die  tuberkulöse  Mittel ohreiterung,  bei  der  das  Trommelfell 
secundär,  oft  in  derselben  Weise  wie  bei  der  primären  Tuberkulose  schnell  zer- 
fressen wird.  Sie  kann  zu  jeder  Zeit  der  Phthise  auftreten,  gewöhnlich  jedoch 
inscenirt  sie  das  terminale  Stadium;  es  tritt,  nach  kaum  von  den  Patienten 
beachteten  leichten  Vorboten,  Sausen,  Schwerhörigkeit,  plötzlich  eine  ganz 
profuse  Eiterung  ein,  ohne  dass  gewöhnlich  besondere  Schmerzempfindungen 
vorausgegangen  wären.  Die  anfänglich  sehr  kleine  Lücke  (oder  mehrere)  wächst 
ungeheuer  rasch,  so  dass  in  wenig  Tagen  das  ganze  Trommelfell  destruirt  sein 
kann;  auf  der  blassen,  gelblichrothen,  völlig  reactionslosen  Schleimhaut  der 
Pauke  lagern  zuweilen  graugelbliche  Knötchen  (Tuberkeln).  Die  Secretion  ist 


INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN.  235 

gewöhnlich  eine  intensive,  das  Secret  selbst  dünnflüssig,  eitrig.  Der  Verlauf 
ist  ein  protrahirter;  diese  Otorrhoe  zeichnet  sich  aus  durch  ihre  Hartnäckig- 
keit gegenüber  der  Therapie,  alle  sonstigen  Mittel  schaden  (z.  li.  Ijorj,  nur 
Jodoform,' Perubalsam,  Zimmtsäure  haben  einen  günstigen  Eintluss  neben  der 
Allgemeinbehandlung.  Zuweilen  kommt  es  hier  zu  Carotis-Arrosionen.  Pro- 
gnose eine  schlechte. 

Sehr  häufig  erkranken  die  Knochenlager  des  Felsenbeines  tuberkulös. 
Secundär  geschieht  dies  von  einer  chronischen  Mittelohreiterung  aus,  die  zu 
Caries  und  Nekrose  der  Gehörknöchelchen,  zur  Eiteransamralung  und  Granula- 
tionsbildung sammt  Caries  im  Antrum  mastoideum  und  Processus  mastoideus 
überhaupt  führt.  Das  Periost  kann  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden  fsub- 
periostale  Abscesse),  kann  aber  auch  intact  bleiben. 

Operative  Eingriffe  sind  hier  absolut  nothwendig.  Intracranielle  Compli- 
cationen  von  der  Warzenfortsatzerkrankung  aus  kommen  häufig  vor,  auch 
mit  letalem  Ausgange.  Heilung  ist  möglich  nach  langer  Dauer  und  Offenhalten 
der  Operationsöffnung  oder  durch  Radicaloperation. 

Primär  sehen  wir  ebenfalls  die  Pars  mastoidea  durch  Ostitis  tub. 
afficirt  werden;  es  kann  hier  der  durch  die  centrale  käsige  Ostitis  gelieferte 
Eiter  durch  die  Pauke  dringen,  das  Trommelfell  durchbohren  und  so  eine 
primäre  Media  vortäuschen;  die  Perforation  befindet  sich  hier  immer  hinten 
oben;  oder  die  Ostitis  bleibt  im  Warzenfortsatze.  Die  primäre  Ostitis  lässt 
sich  nur  durch  das  zeitliche  Vorausgehen  der  Warzenfortsatzsymptome  erkennen; 
ein  gutes  Erkennungszeichen  für  sie  ist  übrigens  die  beinahe  constant  in  derlei 
Fällen  vorhandene  Schwellung  der  auf  dem  Warzenfortsatze  aufliegenden 
kleinen  Drüse. 

In  sehr  seltenen  Fällen  kann  sich  eine  tuberkulöse  Panotitis  unter  Mit- 
ergreifung des  Labyrinthes  einstellen. 

Nicht  ausseracht  dürfen  wir  lassen,  dass  von  einem  primär  tuberkulös 
erkrankten  Ohre  aus  eine  tuberkulöse  Allgemeininfection  ausgehen  kann;  es  ist 
das  gar  nicht  so  sehr  selten,  wie  man  gewöhnlich  anzunehmen  geneigt  ist 
{acute  Miliar  tuberkulöse). 

Syphilis  acquisita.  Syphilis  ist  in  etwa  2-67o  das  veranlassende 
Moment  für  Ohrerkrankungen.  Auch  hier  können  alle  Ohrabschnitte  befallen 
werden.  Am  äusseren  Ohre  kommen  (selten)  Primäraffecte  zur  Beobachtung. 
Häufig  dagegen  ist  die  Ohrmuschel,  auch  der  Meatus,  Sitz  der  frühzeitigen 
Secundärexantheme,  Roseola,  insbesondere  der  Papel;  letztere  etablirt  sich  im 
Meatus  sehr  gerne  als  nässende  Papel  oder  als  richtiges  breites  Condylom, 
aus  denen  ringförmige  Geschwüre  hervorgehen  (Folgen:  eventuelle  Stenosen 
und  Obliteration  des  Meatus).  Seltener  zeigen  sich  Papeln  auf  dem  Trommelfell. 

Gummata  mit  und  ohne  Zerfall  kommen  an  der  Ohrmuschel,  häufiger 
an  der  Warzenfortsatzgegend  vor;  am  Trommelfell  ausnahmsweise.  Im  Gehör- 
gang tritt  als  Product  der  Spätperiode  die  concentrische  Hyperostose  der 
V^andungen  auf,  gewöhnlich  nur  auf  einer  Seite,  im  Gegensatze  zu  den  circum- 
scripten,  nicht  specifischen  doppelseitigen  Exostosen. 

Die  Tuba  kann  primär  afficirt  werden  durch  Katheterismus  mit  inficirten 
Instrumenten  (sechs  Fälle  von  Büeov,  einer  von  mir  beschrieben),  ausserdem 
treten  nicht  zu  selten  secundäre  und  tertiäre  Geschwüre  am  Ostium  pharyn- 
geum  auf,  die  narbige  Stenosirung  oder  Strictur  der  Tube  mit  all  ihren  Fol- 
gen veranlassen. 

In  der  Paukenhöhle  kann  die  Syphilis  in  verschiedener  Weise  eingreifen; 
bestehende  einfach  katarrhalische  Processe  nehmen  unter  ihrem  Eintluss  gerne 
die  Tendenz  zur  acuten  oder  subacuten  Exsudatbildung;  eitrige,  längst  er- 
loschene Entzündungen  leben  mit  einem  Schlage  wieder  auf,  und  häufiges  Reci- 
diviren  gehört  bei  diesen  beiden  Arten  nicht  zu  den  Seltenheiten  (directe 
Abhängigkeit    infolge    der   speciellen  Erkrankung  der    Paukengefässe).     Die 


236  INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN. 

Hörweite  nimmt  plötzlich  rasch  ab,  kann  aber  bei  Allgemeinbehandluag  Avieder 
steigen  (rechtzeitig  eingreifen!). 

Sehr  suspect  auf  Lues  sind  auch  die  recidivirenden  Neuralgien  des  Plexus 
tympanicus,  die  meistens  nur  eine  Seite  befallen  unter  nächtlichen  lebhaften 
Schmerzen. 

Eigenartig  verhalten  sich  viele  einfach  katarrhalische  Mittelohrprocesse 
bei  Syphilis,  insoferne,  als  sie  durch  die  sonst  so  hilfreichen  Maassnahmen 
Katheter,  Politzer,  beinahe  regelmässig  verschlechtert  werden.  Weiterhin  ist 
auch  das  Ergebnis  der  Stimmgabelprüfung  oft  sehr  wertvoll:  wir  bekommen 
nämlich  bei  Syphilis  schon  sehr  frühzeitig  verhältnismässig  häufig  ein  voll- 
ständiges Ausfallen  der  Knochenleitung,  was  insbesondere  bei  vor- 
handenen Mittelohraftectionen  (sonst  Ueber wiegen  der  Knochenleitung) 
diagnostisch  nicht  unwichtig  ist. 

Bei  syphilitischen  Labyrinth-Erkrankungen,  bei  welchen  jede  objeetive  Ver- 
änderung zu  fehlen  pflegt,  nimmt  die  Hörfähigkeit  ohne  Schmerzen,  unter 
subjectiven  Geräuschen  rapide  ab,  so  dass  innerhalb  weniger  (6—8)  Tage 
complete  Taubheit  resultiren  kann. 

Besserung  oder  Heilung  nur  möglich  bei  sofortiger  Anwendung  von 
Pilocarpin  und  Allgemeinbehandlung  im  ersten  Beginn  der  Symptome;  später 
ist  alles  fruchtlos. 

Syphilis  hereditaria.  Die  Frühform  zeigt  sich  unmittelbar  nach 
der  Geburt  oder  bald  nachher  in  Form  von  Pemphigus  oder  subperiostaler 
Eiterung  mit  Caries  oder  auch  als  Gangrän  der  Paukenhöhle.  Die  Syphilis 
congenita  spielt  unter  den  ätiologischen  Momenten  der  angeborenen  Taub- 
stummheit eine  nicht  zu  unterschätzende  Eolle.  —  Häufiger  gibt  die  Syphilis 
als  hereditaria  tarda  Ohrerkrankungen  am  häufigsten  unter  dem  Bilde 
der  HüTCHiNSON'schen  Trias:  Keratitis  interstitialis,  meisselförmiges  Ausge- 
brochensein der  Schneidezähne  und  Schwerhörigkeit,  bezüglich  Taubheit.  Mit 
Vorliebe  wird  das  weibliche  Geschlecht  befallen  in  der  Zeit  vom  12.— 16. 
Jahre;  es  erkranken  beide  Ohren  rasch  nacheinander  in  der  Weise,  dass 
innerhalb  weniger  Tage  die  Hörfähigkeit  rapide  bis  zur  doppelseitigen  Taub- 
heit abnimmt,  ohne  Schmerzen.  Sausen,  Coordinationsstörungen  sind  zuweilen, 
aber  nicht  immer,  vorhanden. 

Prognose  ist  im  ganzen  eine  recht  ungünstige. 

Malariakrankheiten.  Es  kommen  bei  Malaria,  wenn  auch  nicht 
gerade  häufig,  Ohraffectionen  vor,  die  in  directera  Causalnexus  zu  ihr  stehen. 
Sowohl  die  Affection  des  Mittelohres  als  die  des  nervösen  Apparates  kann 
in  gleicher  Weise  wie  die  otitischen  Intermittensneuralgien  den  Intermittens- 
typus  unverkennbar,  auch  bezüglich  der  Therapie,  innehalten.  Die  Inter- 
mittens-Media  ist  zuweilen  im  acuten  Stadium  eine  exsudative,  die  sich  mit 
jedem  Anfalle  wieder  von  neuem  einstellt,  nachdem  vorher  eine  bedeu- 
tende Besserung  in  der  freien  Zeit  vorausgegangen  war.  Häufiger  jedoch 
treten  subacute  exsudative  Mittelohrprocesse  im  Intermittenscharakter  nach 
Ablauf  der  eigentlichen  Malaria  auf,  als  Intermittens  larvata  topica.  Perfo- 
ration tritt  ausnahmsweise  hier  ein.  Derlei  in  bestimmtem  Rythmus  unter 
Schmerzen  (Frost),  Fieber  (Schweiss)  immer  wieder  recidivirende  exsudative 
Paukenentzündungen  trotzen  aller  anderen  Therapie,  reagiren  dagegen  prompt 
auf  Chinin.  Bereits  bestehende  Ohraffectionen  können  unter  dem  Einfluss 
der  Malariainfection  erst  den  Intermittenstypus  annehmen.  Die  nervöse 
Form  kann  als  Neuralgie  auftreten  oder  als  Reizung  des  Perceptions- 
apparates;  erstere  wird  in  der  Tiefe  des  Ohres  in  immer  wiederkehrenden 
gleichen  Intervallen  als  lebhafter  Schmerz  empfunden  ohne  jede  objeetive  Ver- 
änderung und  bei  gutem  Hörvermögen  (nicht  zu  verwechseln  mit  der  Otalgie 
e  carie  dentum,  bei  der  der  Schmerz  meist  lange  Zeit  gleichmässig  fortdauert, 
und    nicht    mit   luetischer   Nachneuralgie).  —   Die  Affection  des    schallperci- 


INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN.  237 

pirenden  Apparates  kann  sich  documentiren  in  einer  periodisch  in  den 
bekannten  Intervallen  auftretenden  Schwerhörigkeit,  die  sich  in  der  Zwischen- 
zeit wieder  verliert,  oder  in  periodisch  recidivirenden  subjectiven  Gehörs- 
empfindungen. 

IV.  Allgemeine  Ernährungsstörungen  und  Anomalien   der  Blut- 
mischung. 

Der  Diabetes  kann  sich  wie  am  Körper,  so  auch  am  äusseren  Ohre 
anzeigen  durch  einen  lebhaften  Pruritus  des  Gehörganges  oder  durch  diabe- 
tische Furunkulose  des  Meat US.  Bei  Individuen  im  mittleren  oder  höheren 
Lehensalter  sind  häufig  wiederkehrende,  hartnäckige  Furunkeln  immer  suspect; 
der  Verlauf  der  diabetischen  Furunkulose  ist  ein  protrahirter;  es  bilden  sich 
Granulationen  auf  dem  Furunkelkrater,  deren  Ursache  eine  kleine  circumscripte 
Nekrose  der  knöchernen  Wand  ist.  Es  kann  dieser  Pruritus  nebst  der 
Furunkulose  die  erste  Andeutung  des  Diabetes  überhaupt  sein,  und  es  ist  deshalb 
nothwendig,  in  solchen  Fällen  immer  den  Urin  genau  zu  prüfen.  Auf  diabetischer 
Basis  bildet  sich  ferner  nicht  selten  eine  peracute  perforative  Media  puru- 
lenta  aus;  unter  sehr  lebhaften  Schmerzen  kommt  es  bald  zur  Perforation, 
gewöhnlich  in  der  hinteren  Hälfte  des  Trommelfells.  Dieser  Sitz  der 
Perforation  in  der  hinteren  Hälfte  deutet  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit, 
gleichwie  die  massenhafte,  sehr  dünnflüssige  Secretion,  die  in  keiner  Weise 
zu  vermindern  ist,  auf  eine  primäre  diabetische  Erkrankung  der  Knochenlager, 
speciell  des  Warzenfortsatzes,  und  thatsächlich  erweist  sich  auch  die  Pars  mastoi- 
dea  fast  regelmässig  bei  all  diesen  Fällen  speciell  erkrankt;  häufig  wohnt  dieser 
diabetischen  Caries,  die  nicht  bloss  den  Warzenfortsatz,  sondern  auch  die  übrigen 
Knochenwandungen  ergreift,  eine  ausserordentlich  destructive  Tendenz  inne,  so 
dass  innerhalb  einer  sehr  kurzen  Zeit  ganz  riesige  Zerstörungen  angerichtet 
werden;  auch  das  Trommelfell  fällt  diesem  Zerstörungsprocess  anheim.  In 
den  schwersten  Formen  bildet  sich  geradezu  eine  Gangrän  der  Pars  mastoidea, 
zuweilen  verbunden  «mit  profusen  Blutungen.  —  Prognose  im  allgemeinen 
schlecht,  jedoch  sind  Besserungen,  sogar  Heilungen  beobachtet  worden  (auch 
durch  Vornahme  des  operativen  Eingriffes). 

Arthritis  localisirt  sich  vorzugsweise  an  der  Ohrmuschel  entweder  in 
der  Weise,  dass  sie  sich,  genau  jedem  Anfalle  entsprechend,  etliche  Tage  bis 
Stunden  vor  Ausbruch  des  Anfalles  auf  der  Seite  der  erkrankten  Extremität 
heiss  anfühlt,  roth  und  leicht  schmerzhaft  ist,  oder  dadurch,  dass  unter  leb- 
haften Schmerzen  und  starker  Hitze  gewöhnlich  an  der  Spitze  des  Ohres  eine 
bläulichrothe,  kleine,  abscessähnliche  Erhabenheit  aufschiesst,  die  der  Sitz 
eines  gelblichweissen  Harnconcrementes  wird-,  mit  der  Zeit,  den  Anfällen  ent- 
sprechend, können  eine  oder  beide  Ohrmuscheln  mit  vielen  solchen  Concre- 
menten  überdeckt  sein.  Diese  Gicht-Tophi  sind  nach  den  Grosszehengelenken 
die  Lieblingsplätze  der  G.;  zuweilen  sind  sie  die  ersten  und  einzigen  Zeichen 
derselben.  —  Auch  Exostosen  kommen  als  Folge  der  arthritischen  Diathese 
zur  Beobachtung. 

Bei  Polyarthritis  r  heu  matica  können  in  einzelnen  Fällen  die  Gelenke 
der  Gehörknöchelchen,  wie  jedes  andere  Gelenk  ergriffen  werden,  unter  lebhaften 
Schmerzen  im  Ohre,  die  auf  Salicyl  prompt  reagiren.  Ausserdem  stellen  sich 
noch  Paresen  der  Tubenmuskulatur  ein. 

Rhachitis  bedingt  häufig  Dehiscenzen  des  Tegmen  tympani,  die  für 
die  Fortleitung  der  speciell  bei  rhachitischen  Kindern  sehr  oft  vorkommenden 
Mittelohrprocesse  durchaus  nicht  belanglos  sind. 

Bei  Chlorose  neigen  die  Ohrmuscheln  sehr  leicht,  schon  bei  geringen 
Kältegraden,  zur  Erfrierung  (selten  sogar  Frostgangrän);  Pernionen  sind  häufig. 

Sehr  gewöhnlich  sind  subjective  Gehörsempfindungen,  die  sich  bis  zu 
Wahnideen  ausspinnen  können;  besonders  bei  dem  Nonnengeräusch. 


238  INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN. 

Der  Processus  mastoideus  erweist  sich  bei  clilorotisclien  Individuen  häufig 
mangelhaft  entwickelt  infolge  Schwundes  der  pneumatischen  Zellen;  derlei 
Warzenfortsätze  machen  sich  äusserlich  schon  kenntlich  durch  eine  dellige 
Einziehung  auf  der  Höhe;  auch  geben  sie  einen  ganz  hellen,  leeren  Percus- 
sionsklang. 

Acute  Anämie  und  perniciöse.  Bei  grossen  Blutverlusten  stellt 
sich  als  erstes  Zeichen  der  beginnenden  Syncope  ein  intensives  Ohrensausen 
oder  Klingen  ein,  auch  Taubheit.  Bei  chronischer  einfacher  Anämie 
kommt  es  zuweilen,  vor,  dass  ein  Patient  im  Stehen  nicht  hürt,  taub  ist, 
während  er  sofort  ganz  genau  scharf  percipirt,  wenn  man  ihn  in  horizontale 
Lage  bringt.  —  Perniciöse  Anämie  führt  manchmal  durch  Blutungen  ins 
Labyrinth  zu  acuter  Taubheit. 

Im  Gefolge  der  Leukämie,  sowohl  der  lienalen,  als  der  lymphatischen 
und  myelogenen,  können  wir  eine  Otitis  media  und  interna  leucaemica  finden ; 
die  Media  charakterisirt  sich  durch  die  innerhalb  weniger  Stunden  sich  ein- 
stellende höchstgradige,  beiderseitige  Schwerhörigkeit  ohne  jeden  Schmerz, 
ohne  Schwindel,  der  bei  der  Otitis  interna  leucaemica  stets  vorhanden  ist;  sie 
ist  bedingt  durch  einen  sichtbaren   acuten  Bluterguss   in  die  Trommelhöhle. 

Häufiger  jedoch  ist  die  leukämische  Labyrintherkrankung,  die  auf  beiden 
Seiten,  bei  weitgediehener  Allgemeinerkrankung,  ganz  urplötzlich  unter  inten- 
sivem Sausen  und  nie  fehlendem  Schwindel  zur  doppelseitigen  Ertaubung 
führt  meist  durch  Blutergüsse  ins  innere  Ohr  und  in  die  MeduUarpartien  des 
Acusticus  selbst.  Prognose  richtet  sich  nach  der  Grundkrankheit;  bei  Bes- 
serung kann  auch  hier  eine  Resorption  statthaben.  Ganz  ähnlich  gestalten 
sich  die  Ohrerkrankungen  bei  Pseudoleukämie  {multijjler  LympJiomatose : 
Hämatotympanum) . 

Während  des  Scorbutes  sowohl,  als  bei  Purpura  h a e m o r r h a g i c a 
können  zuweilen  Blutungen  in  die  Pauke  oder  Ecchymosen  am  Trommelfell 
zur  Beobachtung  gelangen.  Ebenso  führt  die  Hämophilie  zuweilen  bei  den 
geringfügigsten  Anlässen, (Schneuzen,  Niesen)  zu  Hämatot.ympanum  oder  Ecchy- 
mosen.   Prognose  im  allgemeinen  günstig. 

V.  Kreislaufstörungen. 

Durch  Erkrankungen  des  Klappenapparates  des  Herzens  oder  der  grossen 
Gefässe  werden  sehr  häufig  die  Gefässgeräusche  (en totische  Geräusche) 
ausgelöst.  Die  arteriellen  Geräusche  charakterisiren  sich  durch  ihren  Iso- 
chronismus mit  der  Herzaction  als  ein  in  gleichem  Rythmus  immer  wieder- 
kehrendes Brummen,  Sausen,  das  zuweilen  auch  objectiv  hörbar  ist.  Die 
venösen  Geräusche  weisen  einen  gleichmässig  fortdauernden  Charakter  auf 
und  sie  werden  von  den  Patienten  als  keuchende  oder  blasende  beschrieben. 
(Nonnengeräusche  oder  Erweiterung  des  Bulbus  der  Vena    ugularis.) 

Rythmische  arterielle  Geräusche,  verbunden  mit  Schwerhörigkeit, 
Schlingbeschwerden,  Athemnoth,  erst  verlangsamtem,  dann  accelerirtem  Pulse 
deuten  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  auf  Aneurysma  der  A. 
b  a  s  i  1  a  r  i  s. 

Die  entotischen  Geräusche  geben  nicht  selten  Veranlassung  zum  Selbst- 
morde wegen  ihrer  unaufhörlichen  Qual,  welche  den  Patienten  jede  Ruhe,  Tag 
und  Nacht,  raubt. 

Bei  Endocarditis  treten  in  Analogie  zur  Embolie  der  A.  centralis 
retinae  Embolien  der  Ohrgefässe  auf  mit  urplötzlicher  ein-  oder  beiderseitiger 
Taubheit;  auch  Blutergüsse  in  die  Pauke  kommen  vor,  besonders  bei  Puerperis. 
Ausgang:  Restitutio. 

Bei  Apoplexie  finden  wir  Hörstörungen  oder  Taubheit;  zuweilen  ist 
die  Taubheit  eine  gekreuzte.  Am  häufigsten  kommt  Taubheit  bei  halbseitiger 
Apoplexie  in  die  Brücke  vor. 


INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN.  239 

Parese  der  Gefässnerven  des  Plexus  cervicalis  oder  .Syrnpathi  cus 
bringt  Köthung  der  Ohrmuschel  der  betreffenden  Seite. 

Erweiterung  der  Hämorrhoidalvenen  soll  zuweilen  Furunkulose 
des  Meatus  im  Gefolge  haben. 

VI.  Erkrankungen  des  Urogenitalapparates. 

Der  Morbus  Brightii  combinirt  sich  viel  häufiger  mit  Ohraffectionen, 
als  man  gewöhnlich  anzunehmen  geneigt  ist;  er  zeigt  sich  am  Ohre  als  acute 
hämorrhagische  Mittelohrentzündung.  Es  kann  auch  sogar  die  hämorrhagische 
Tympanitis  allein  oder  in  Verbindung  mit  mehr  oder  weniger  vehementen 
spontanen  Nasenblutungen  als  erstes  Prodrom  des  Morbus  Brightii  sich  do- 
cumentiren.  Häufig  sind  Ohrerscheinungen,  Sausen,  leichtere  Schwerhörig- 
keit etliche  der  ersten  Erscheinungen  des  Morbus  Brightii.  Nephritis 
scarlatinosa  hat  in  manchen  Fällen  auf  eine  während  des  Scharlachs 
entstandene  Mittelohreiterung  einen  derartigen  Einttuss,  dass  man  das  je- 
weilige Verhalten  der  Nephritis  genau  aus  dem  Stande  der  Otitis  er- 
kennen kann;  sobald  die  Harnmenge  sich  unter  die  Norm  mindert,  zeigen 
sich  sofort  wieder  die  Symptome  der  acuten  recidivirenden  Entzündung  am 
Ohre,  nachdem  sie  vielleicht  vorher  schon  völlig  erloschen  schienen;  es  kann 
da  die  Eiterung  einen  Gradmesser  abgeben  für  den  Stand  der  Albuminurie, 
indem  bei  vermehrter  Otorrhoe  auch  der  Eiweissgehalt  des  Harns  steigt  und 
sich  umgekehrt  proportional  zur  Harnmenge  verhält  (Voss).  Einen  Fall, 
in  dem  die  von  Scharlach  herstammenden  Oedeme  in  directem  Abhängigkeits- 
verhältnis zu  einer  Caries  am  Warzentheile  standen  und  nur  durch  die  Ope- 
ration beseitigt  werden  konnten,  habe  ich  beobachtet. 

Die  Sexualaffectionen,  insbesondere  die  des  weiblichen  Geschlechtes 
haben  häutig  einen  unverkennbaren  Einfluss  auf  das  Ohr.  Bei  oder  öfter 
vor  Eintritt  der  Menses  klagen  viele  Frauen  über  Jucken,  Brennen, 
Beissen  oder  Heisswerden  der  Ohrmuscheln,  was  sich  regelmässig  zu  wieder- 
holen pflegt  zu  der  Zeit;  sogar  die  Decke  des  Processus  mastoideus  kann  sich 
periodisch  entzündlich  geschwellt  zeigen.  Zur  Zeit  der  K a tarn enien  treten 
nicht  selten  hartnäckige  Ohrfurunkeln  auf.  Besonders  die  Gravidität, 
auch  das  Puerperium,  haben  entweder  einfache  exsudative  oder  hämo- 
rhagische  Paukenentzündungen  im  Gefolge-),  oder  aber  am  häufigsten  und 
schwersten  wird  das  innere  Ohr  ergriffen,  indem  es  hier  unter  subjectiven 
Geräuschen  zu  einer  temporären,  öfters  aber  successive  zur  bleibenden  Taubheit 
führenden  nervösen  Schwerhörigkeit  kommt.  Zuweilen  erklärt  sich  die  Taub- 
heit von  Anfang  an  als  permanente.  Prognose  schlecht.  Frauen,  die  bezüglich 
Schwerhörigkeit  hereditär  belastet  sind,  ertauben  besonders  leicht. 

Ovarial-Hyperästhesie  ist  zuweilen  complicirt  mit  Ohrensausen  und 
Otalgie.  Onanie,  excessiv  betrieben,  soll  bei  beiden  Geschlechtern  das  Ohr 
zuerst  in  Mitleidenschaft  ziehen  in  Form  der  Hyperaesthesia  oder  aber  ge- 
radezu Anaesthesia  acustica.  Bei  besonders  sensiblen  Männern  kann  durch 
Manipulation  im  Gehörgange  zuweilen  Ejaculation  hervorgerufen  werden;  wol- 
lüstige Erregungen,  vom  Ohre  ausgelöst,  durch  Manipulationen  im  Meatus  sind 
durchaas  nicht  so  sehr  selten. 

Vn.  Erkrankungen  des  Nervensystems. 
Hysterie  kann  sich  am  Ohre  ausprägen  in  Form  von  Stigmatosen,  der 
vicariir enden   Ohrblutungen:  nach  einer  durch  irgend  welche  Gründe 
veranlassten  Cessatio  mensium  treten  in  dem  der  Wiederkehr  der  Menses  ent- 
sprechenden Zeitraum  Blutungen  aus  dem  Gehörgange  auf,  bei  denen  äussere 


*)  So  habe  ich  erst  im  verflossenen  Jahre  (1897)  wieder  Gelegenheit  gehabt,  bei 
einer  Gravida  eine  beiderseitige  acute  Mittelohrentzündung  beobachten  zu  können,  die  im 
Puerperium  zu  einem  doppelseitigen  schweren  Empyem  der  Proc.  mast.  führte. 


240  INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OHRAFFECTIONEN. 

Verletzungen  ausgeschlossen  sind.  Bei  nicht  vicariireuden  hysterischen  Ge- 
hörgangsblutungen gestalten  sich  die  Spatien  der  Wiederholung  verschieden. 
Die  Hörfähigkeit  kann  während  dieser  Zeit  beträchtlich  sinken.  —  Auch  ohne 
Blutungen  kommen  rein  hysterische  Schwerhörigkeiten  zur  Beobachtung; 
hier  lässt  sich  zuweilen  in  der  Hypnose  der  Transfert  ausführen,  so  dass  das 
bislang  gesunde  Ohr  völlig  ertaubt,  während  das  kranke  gesund  wird. 

Wie  an  andern  Körperregionen,  so  bringen  sich  die  Hysterischen  auch 
an  den  Ohren  Verletzungen  aller  Art  bei,  nur  um  sich  interessant  zu  machen 
{ScJmcfel Säureverbrennung).  Auch  kataleptische  Anfälle  können  bei  Hysterischen 
vom  Öhr  ausgelöst  worden.  Hyperacusis  oder  Anästhesie  ist  bei  Hysterischen 
und  Neurasthenischen  häufig.  Simulation  wird  von  Hysterischen  häufig  geübt. 

M  0 1  i  0  n  s  n  e  ur  0  s  e  n.  Starke  psychische  oder  somatische  Erschütterungen 
können  bei  hysterisch-neurasthenischen  Individuen  neben  Aphasie,  Blindheit, 
An-  und  Parästhesien  eine  momentan  eintretende  Taubheit  zur  Folge  haben, 
die  sich  leider  gewöhnlich  als  eine  unheilbare  entpuppt,  während  die  an- 
deren Symptome  häufig  schwinden.  Es  handelt  sich  hier  um  durch  Shock 
hervorgerufene  Acusticuslähmungen,  wie  sie  im  Gefolge  von  plötzlichen  vehe- 
menten Abkühlungen  oder  umgekehrt  bei  übermässiger  Hitzeeinwirkung 
{Insolaüo)  zur  Beobachtung  gelangen  können.  —  Epilepsie  weist  Hör- 
störungen verschiedensten  Grades  auf.  —  Bei  C  h  o  r  e  a  kann  sich  ein  klonischer 
Krampf  der  Tubenmuskeln  zuweilen  zeigen. 

Quintusneuralgien,  Hemikranie  führen  zu  Hyperästhesie,  Ge- 
räuschen oder  Schwerhörigkeit  nervöser  Natur,  sowie  zu  reinen  Otalgien. 

Tabes  dorsalis  kann  in  vereinzelten  Fällen  an  und  für  sich  zur  ner- 
vösen Taubheit  führen  durch  successive  zunehmende  Schwerhörigkeit;  in 
Fällen  von  Tabes,  in  denen  die  Taubheit  plötzlich  unter  Sausen,  Schwindel, 
nicht  selten  Coordinationstörung  eintritt,  ist  eine  luetische  Grunderkrankung 
vorhanden.  Mittelohraffectionen  können  sich  bei  Tabes  infolge  der  trophischen 
Störungen  neben  oder  ohne  die  nervösen  Erscheinungen  einstellen. 

Erkrankungen  des  Gehirns  (ausgenommen  die  Meningitis  epide- 
mica, die  Gefässerkrankungen  und  die  vom  Ohre  aus  inducirten  Gehirn- 
erkrankungen). 

Die  Gehirntumoren  compliciren  sich  häufig  mit  Ohrsymptomen 
(Yg  aller  Fälle  weisen  Mitergreifung  auf).  Zunächst  müssen  wir  im  Auge  be- 
halten, dass  das  Stammgebiet  des  Acusticus  selbst  verhältnismässig  am  häu- 
figsten unter  allen  Plirnnerven  von  Tumoren  befallen  wird  (Virchow).  Die 
Symptome  derlei  Tumoren  (Gliome,  Sarkome,  Fibrome,  Gummata)  mit  Mit- 
betheiligung  des  Gehörorganes  sprechen  sich  aus  in  Schwindelerscheinungen, 
Geräuschen,  Hyperacusis  mit  meist  ziemlich  schnell  folgender  Taubheit,  Hinter- 
hauptskopfschmerz, der  auf  Klopfen  nicht  exacerbirt,  Anästhesie  des  ganzen 
Ohrtractes,  Lähmungserscheinungen  mehrerer  Hirnnerven,  beginnend  mit  Augen- 
störungen. Für  Tumoren  des  Cervicalmarkes  ist  ein  nicht  unwesentliches 
diagnostisches  Merkmal  das  Fehlen  des  binaurealen  Ohrreflexes,  also  das 
Nichtauftreten  der  physiologischen  functionellen  Synergie  beider  Gehörorgane. 
Für  die  Diagnose  der  Tumoren  der  Vierhügelgegend  fallen  nach  Siebenmann 
in  die  Wagschale  die  Herdsymptome  Ataxie,  Störung  der  Bulbusbewegung, 
motorische  Störungen  in  Form  klonischer  oder  tonischer  Zuckungen,  dann 
Stauungspapille,  scandirende  Sprache,  epileptische  Anfälle,  erhöhter  Sehnen- 
reflex, Kopfschmerz,  Erbrechen  und  hiezu  noch  progressive  Schwerhörigkeit. 
Das  Zusammentreffen  von  ataktischem  Gange  mit  progressiver  Schwerhörig- 
keit und  den  w^eiteren  obgenannten  Symptomen  lässt  mit  Wahrscheinlichkeit 
auf  einen  Tumor  des  Corpus  quadrigeminum  schliessen. 

Hydrocephalus  congenitus  weist  zuweilen  neben  der  mangelhaften 
Ausbildung  der  Gehirnfunctionen  überhaupt  eine  Aplasie  des  Gehörorganes 
auf.  Der  acute  Hydrocephalus  kann  transitorische  Gehörsstörungen  nach  sich 


INTERNE  KRANKHEITEN  UND  OIIRAFFECTIONEN.  241 

ziehen,  durch  vorübergehende  Oedeme  oder  durch  erhöhten  Druck  auf  die 
acustischen  Centren. 

Pachymeningitis  haemorrhagica  kann  intra  vitam  für  das  Ohr  äusser- 
lich  ohne  Erscheinungen  verlaufen,  jedoch  finden  wir  in  einer  Anzahl  von 
Fällen,  dass  das  Trommelfell  einen  gelblich-  oder  graugelbrothen  Ton  auf- 
weist bei  völlig  erhaltenem  Glänze  der  Membran;  der  Grund  hiefür  liegt  in 
dem  Durchscheinen  des  Extravasates. 

Bulbärparalyse  kann  infolge  trophischer  Störungen  in  vereinzelten 
Fällen  Mittelohreiterung  nach  sich  ziehen. 

VIII.  Intoxicationen. 

Chinin  und  Salicyl  wirken,  wie  allbekannt,  sehr  ungünstig  auf  das 
Ohr.  Sie  führen  beide  schon  kurze  Zeit  nach  Einnahme  mehrerer  Gramm- 
portionen zu  einem  sich  immer  mehr  steigernden  Sausen,  Klingen  und  Brummen 
in  beiden  Ohren;  gleichzeitig  mit  diesen  subjectiven  Geräuschen  mindert  sich 
auch  die  Hörfähigkeit  in  verschiedenem  Grade.  Dauert  der  Gebrauch  nicht 
sehr  lange  fort,  oder  werden  nicht  sehr  grosse  Gaben  längere  Zeit  fort  ver- 
abreicht, so  bilden  sich  die  Erscheinungen  wieder  vollständig  zurück  bei 
vorher  gesunden  Gehörorganen;  wird  jedoch  der  Gebrauch  über  viele  Monate 
fortgesetzt  (in  den  Malariagegenden),  so  kann  sehr  leicht  eine  dauernde 
Schädigung  des  Gehörs  zurückbleiben.  Insbesondere  bedroht  sind  Ohren, 
die  schon  aus  früherer  Zeit  nicht  mehr  normal  functionirten.  Bei  ihnen  kann 
bleibende  Taubheit  die  Folge  sein.  Das  anatomische  Substrat  für  diese 
Chinintaubheiten  sollte  nach  den  bisherigen  Annahmen  eine  hochgradige 
Labyrinthhyperämie,  zuweilen  sogar  Blutungen  bilden,  nach  den  Untersu- 
chungen Brunner's  entbehrt  diese  Anschauung  absolut  ihrer  Berechtigung. 
Antipyrin  und  Antifebrin  bewirken  ebenfalls  manchmal  subjective 
Geräusche  und  Schwerhörigkeit,  deshalb  Vorsicht  bei  Leuten,  die  schon 
schwerhörig  sind.  Jod  kann  sich  am  Ohre  als  acute  Salpingitis  ausprägen 
oder  auch  eine  vorübergehende  Diplacusis  hervorrufen. 

Chenopodium  (Wurmmittel)  ist  im  Stande,  unter  turbulenten  Coor- 
dinationsstörungen  und  Geräuschen  hochgradige  Schwerhörigkeit  auszulösen, 
die  sich  nach  Ausgleichung  der  übrigen  Symptome  als  bleibende  erweisen 
kann.  Aehnlich  A tropin.  —  Chloroform  bedingt  zuweilen  erst  eine 
Hyperästhesia  acustica,  der  dann  eine  Schwerhörigkeit  nachfolgt,  oder  eine 
Diplacusis  oder  Paracusis  duplicata;  schon  bestehende  Mittelohraffectionen  dis- 
poniren  zu  einer  Chloroform-Schwerhörigkeit. 

Gruben-  und  Sumpfgasvergiftungen  schliessen  sich  neben  den 
anderen   Erscheinungen   manchmal    ante-exsudative   Paukenentzündungen   an. 

Kohlenoxydga  s  -Vergiftung  kann,  falls  die  Patienten  am  Leben  bleiben, 
zu  bleibender  hochgradiger  Schwerhörigkeit  führen;  die  subjectiven  Geräusche 
verschwinden  oder  mindern  sich  wenigstens.  Der  Grund  für  die  nervöse 
Schwerhörigkeit  hier  ist  eine  anatomische  Dauerveränderung  der  Nerven  des 
inneren  Ohres.  Auch  Morphinismus  kann  Alterationen  der  Hörsphäre 
herbeirufen. 

Alkoholismus  kann  alle  Ohraffectionen,  speciell  aber  die  eitrigen 
Mittelohrerkrankungen,  sehr  ungünstig  beeinflussen;  zuweilen  soll  sich  sogar 
eine  eitrige  Panotitis  auf  seiner  Grundlage  entwickeln  mit  rapider  Destruc- 
tion  des  Trommelfelles.  Jedenfalls  wirken  hier  andere  Momente  (Tuberkulose) 
auch  noch. 

Bei  Tabak  missbrauch  soll  sich  ausser  der  Raucherangina  eine  Con- 
gestivirung  der  Paukenhöhle,  in  einzelnen  Fällen  Ohrensausen  und  Paralyse 
des  Acusticus  entwickeln  können;  ich  selbst  habe  trotz  vieler  und  genauer 
Beobachtungen  nie  eine  Einwirkung  zu  constatiren  vermocht. 

Ohren-,  Nasen-,  Kachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  lö 


242  KATHETERISMUS  TUBAE  EüSTACHII. 

Der  Genuss  giftiger  Schwämme  (Fliegenschwamm  etc.)  zieht  hie  und 
da  bei  Personen,  die  den  allgemeinen  gastrischen  Vergiftungserscheinungen 
lebend  entronnen,  hochgradige,  bleibende  nervöse  Schwerhörigkeit  nach  sich. 

Während  der  chronischen  Bleivergiftung  können  die  Gehörorgane 
dauernd  oder  transitorisch  ertauben;  im  Delirium  saturninum  Gehörshallu- 
cinationen.  Ebenso  kommt  bei  chronischer  Quecksilbervergiftung  (Hut- 
macher) Labyrinthtaubheit  zur  Beobachtung;  bei  Aerzten  tritt  infolge  häu- 
figer Sublimatdesinfectionen  sympathisches  Erythem  und  Ekzem  auch  an  den 
Ohren  auf;  auch  vorübergehende  Schwerhörigkeit  muss  zuweilen  in  Zusammen- 
hang damit  gebracht  werden.  Infolge  chronischer  Arseneinwirkung  kann 
sich  die  Arsenderraatitis  am  Ohre  etabliren  in  Form  hartnäckiger  miss- 
farbiger Geschwüre  oder  als  Taubheit  mit  Geräuschen. 

Höllensteinlösungen,  die  beim  Haarfärben  Verwendung  finden, 
können  bei  häufigem  Gebrauche  eine  unter  intensiven  Geräuschen  beginnende, 
eventuell  unter  Coordinationsstörungen  sich  bildende  vorübergehende  Taub- 
heit involviren. 

Schlangengift.  Der  Biss  der  Kreuzotter  ruft  neben  den  Sym- 
ptomen der  allgemeinen  hämorrhagischen  Diathese  ausgedehnte  Blutungen  in 
die  Pauke  und  das  Trommelfell  hervor.  haug. 

Katheterismus  Tubae  Eustachii.  Der  Katheterismus  hat  den  Zweck, 
die  Tuba  derartig  über  die  Körperoberfläche  zu  verlängern,  dass  sie  für  die 
einzublasende  Luft  und  für  die  einzuführende  Sonde  zugänglich  wird. 

Bei  der  Operation  sitzt  der  Patient  auf  einem  womöglich  hochlehnigen 
Stuhle;  der  Arzt  kann  vor  ihm  stehen,  hat  aber,  mehr  Sicherheit,  wenn  er 
sich  gleichfalls  niedersetzt.  Eine  besondere  Fixirung  des  Kopfes  ist  nicht 
nothwendig,  da  bei  genügender  Uebung  in  normalen  Fällen  kein  nennens- 
werter Schmerz  entsteht;  bei  schwierigerer  Nasendurchgängigkeit,  wobei  die 
Einführung  etwas  länger  dauert  und  empfindlicher  ist,  genügt  es,  mit  der 
linken  Hand  den  Hinterkopf  so  lange  zu  stützen,  bis  der  Katheter  am  Tuben- 
ostium  angelangt  ist.  Nur  bei  Kindern  ist  die  Mitwirkung  eines  Gehilfen 
oft  unentbehrlich.  Uebrigens  kann  man  sich  und  dem  Kranken  in  compli- 
cirteren  Fällen  die  Operation  wesentlich  erleichtern,  wenn  man  kurz  vorher 
eine  lO^oige  Cocainlösung  in  die  Nase  einpinselt  oder  einspritzt. 

a)  Methode  nach  Keamer. 

Der  an  seinem  Trichterende  mit  der  rechten  Hand  wie  eine  Schreibfeder 
gefasste  Katheter  wird  mit  etwa  horizontal  stehendem  oder  etwas  nach  unten 
gerichtetem  Schnabel  in  das  durch  Aufheben  der  Nasenspitze  besser  zugäng- 
lich gemachte  Nasenloch  eingeführt,  sobald  aber  das  Schnabelende  den  Nasen- 
boden berührt,  waagrecht  gestellt  und  mit  stets  nach  unten  gerichtetem 
Ringe  möglichst  rasch  durch  den  unteren  Nasengang  hindurchgeschoben,  bis 
der  Schnabel  an  der  hinteren  Ptachenwand  anstösst.  Während  nun  der  Daumen 
und  Zeigefinger  der  linken  Hand,  deren  dritter  und  vierter  Finger  sich  auf 
den  Nasenrücken  des  Patienten  stützen,  das  Trichterende  leicht  zwischen 
sich  fassen,  hebt  die  rechte  Hand  das  letztere  etwas  nach  oben  und  zieht  das 
Instrument  soweit  (etwa  Tö  cm)  nach  vorn,  bis  der  Schnabel  von  der 
Hinterfläche  des  weichen  Gaumens  aufgehalten  wird.  Dreht  man  jetzt  den 
Katheter  um  etwa  %  eines  Kreises  nach  aussen  und  oben,  so  gelangt  (unter 
einer  geringen  Zurückschiebung)  der  Schnabel  in  das  Tubenostium  hinein, 
und  es  ist  nun  die  Aufgabe  der  linken  Hand,  das  Instrument  fest  in  dieser 
Lage  zu  halten. 

Wenn  der  Katheter  richtig  im  Tubenostium  steht,  so  muss  der  King  in 
der  Regel  nach  dem  äussern  Augenwinkel  der  zu  katheterisirenden  Seite  ge- 
richtet und    eine    weitere  Drehung  des  Schnabels   unmöglich  sein;  auch  darf 


KATHETE PxISMÜS  TÜBAE  EUSTAGIIII.  243 

das  Schlucken  und  Sprechen  nicht  wesentlich  beeinträchtigt  werden.  Geräth 
der  Schnabel,  wie  es  dem  Anfänger  leicht  begegnet,  infolge  einer  zu  früh- 
zeitigen Drehung  in  die  liosENMüLLEii'sche  Grube,  so  sind  die  Schling- 
beschwerden erschwert  und  die  Drehung  wird  früher  aufgehalten  oder  lässt 
sich  wohl  auch  weiter  fortsetzen,  als  bei  der  normalen  Lage  des  Instrumentes. 

h)  Methode  von  Feank-Löwenberg. 

Nachdem  der  Katheter  wie  bei  der  KiiAMER'schen  Methode  bis  au  die 
hintere  Kachenwand  geführt  ist,  dreht  man  den  Schnabel,  beziehungsweise  Ring 
horizontal  nach  innen  (medialwärts)  und  zieht  das  Instrument  unter  möglich- 
ster Anlehnung  seines  Trichterendes  nach  aussen  an  den  Nasenflügel  so  weit 
nach  vorn,  bis  der  Schnabel  sich  an  der  hinteren  Kante  des  Vomer  fängt. 
Durch  eine  Drehung  nach  hinten-aussen-oben,  etwa  um  220°,  wird  nunmehr 
die  Einleitung  in  das  Tubenostium  vollzogen. 

Dieses  Verfahren  bietet  gegenüber  dem  unter  a)  beschriebenen  den  Vor- 
theil,  dass  der  Katheter  zwei  feste  Punkte,  die  hintere  Rachenwand  und  die 
hintere  Vomerkante,  findet,  während  bei  jenem  der  weiche  Gaumen  nur  einen 
relativ  stabilen  Orientirungspunkt  gewährt.  Bei  ganz  normalen  anatomischen 
Verhältnissen  gelingt  daher  dem  Anfänger  die  Einführung  des  Katheters  nach 
der  FRANK-LöwENBERG'schen  Methode  zuweilen  besser;  allein  bei  geringen 
Abweichungen  der  Lageverhältnisse  und  bei  grösserer  Enge  im  Nasenrachen- 
räume ist  dieses  Verfahren  gleichwohl  minder  zuverlässig,  und  ausserdem 
bereitet  es  dem  Kranken  auch  mehr  Beschwerden. 

c)  Methode  von  Kuh-Politzer. 

Der  bis  an  die  hintere  Rachenwand  vorgeschobene  Katheterschnabel 
wird  in  die  RosENMüLLER'sche  Grube  gedreht  und  horizontal  stehend  über 
den  Tubenwulst  nach  vorn  gezogen,  so  dass  er  unter  einem  deutlichen  Ruck 
von  hinten  her  in  das  Ostium  pharyngeum  gleitet,  in  welches  er  durch  eine 
Drehung  nach  oben-aussen  tiefer  eingeführt  wird. 

Dieses  Verfahren  ist  das  schmerzhafteste  und  misslingt  leicht,  weil  das 
Instrument  bei  dem  plötzlichen  Abgleiten  vom  Tubenwulste  zuweilen  über  das 
Ziel  hinausschiesst. 

d)  Methode  von  Lucae. 

LucAE  empfiehlt,  vor  der  Durchführung  des  Katheters  durch  die  Nase 
Messungen  über  deren  Tiefe  anzustellen,  indem  man  die  Convexität  des  in 
den  Mund  geführten  Katheterschnabels  auf  die  Grenze  zwischen  harten  und 
weichen  Gaumen  anlegt  und  mit  den  Fingern  der  rechten  Hand  die  Stelle 
des  Schaftes,  welche  bei  dieser  Lage  an  den  Schneidezähnen  steht,  fasst.  Es 
wird  dadurch  der  Abstand  zwischen  Choanen  und  Nasenöffnung  am  Instru- 
mente markirt.  Mit  unverrückt  am  Katheter  gelassenen  Fingern  wird  das 
Instrument  nun  in  die  Nase  eingeschoben,  bis  die  Fingerspitzen  auf  der 
Nasenöft'nung  angelangt  sind,  der  Schnabel  also  den  Nasenrachenraum  erreicht 
hat,  in  Avelcher  er  unter  gleichzeitiger  Drehung  nach  aussen  und  oben  tiefer 
geschoben  wird,  bis  er  ins  Tubenostium  gelangt  ist. 

Da  die  von  Lucae  für  Anfänger  angegebene  vorbereitende  Messung  zeit- 
raubend und  dabei  sehr  ungenau  ist,  dürfte  es  sich  mehr  empfehlen,  den 
Katheter,  sobald  er  den  Nasenboden  verloren  hat,  in  der  soeben  beschriebenen 
Weise  in  die  Tuba  zu  schieben.  Ueberhaupt  wird  sich  ein  jeder,  welcher 
öfters  in  die  Lage  kommt,  zu  katheterisiren,  seine  eigene  Methode  bilden,  und 
es  kommt  thatsächlich  weniger  auf  die  Wahl  des  Verfahrens  als  auf  die  Art 
der  Ausführung  an.  Vor  allem  ist  möglichst  schonend;  d.  h.  schnell  und  zart, 
vorzugehen.  Schon  am  Naseneingang  muss  man  das  kitzelnde  Herumtasten 
vermeiden  und  besonders  hat  man  bei  der  Durchleituug  durch  den  unteren 
Nasengang,  falls  sich  ein  Hindernis  in  den  Weg  stellt,  jede  Gewaltanwendung 
zu  unterlassen.    Derartige  Hindernisse   werden  z.  B.   durch  Deviationen  und 

1(3- 


244  KATHETERISMÜS  TUBAE  EUSTACHII. 

AuftreibuDgen  des  Septums,  durcli  Prominenz  der  Nasenmuscheln,  durch 
Schleimhautschwellungen  und  Neubildungen  bedingt.  Ihre  Form  und  Aus- 
dehnung kann  mit  Hilfe  der  Rhinoskopie  festgestellt  werden,  doch  gelingt  es 
in  der  Regel  durch  vorsichtiges  Sondiren  mit  dem  Katheter,  den  richtigen 
Weg  zu  linden,  wobei  am  häutigsten  Drehungen  nach  aussen  vorgenommen 
werden  müssen. 

In  den  nicht  häufigen  Fällen,  in  welchen  ein  Nasengang  vollständig 
undurchgängig  für  den  Katheter  ist,  kann  man  meist  von  der  entgegen- 
gesetzten Seite  her  katheterisiren,  wobei  man  im  übrigen  in  der  ange- 
gebenen Weise  verfährt,  nur  unter  Benützung  eines  etwas  langschnabeligen 
Instrumentes.  Nach  dem  Vorgange  von  Pomerey  und  Kessel  kann  man  auch 
S-förmig  gekrümmte  Katheter  vom  Munde  her  in  die  Tube  einführen,  was 
indessen  schwieriger  und  für  den  Patienten  unangenehmer  zu  sein  pflegt. 

Die  Ausführung  des  Katheters  geschieht  nach  der  Zurückdrehung 
des  Schnabels  (Ringes)  in  die  Verticalstellung  und  unter  andauernder  Senkung 
des  Trichterendes.  Sie  gelingt  oft  ohne  Schwierigkeit  auch  in  Fällen,  in  welchen 
die  Einführung  umständlich  war.  Bleibt  indessen  der  Schnabel  an  irgend 
einem  Hindernisse  hängen,  so  muss  das  Instrument  unter  ebensolchen  Win- 
dungen, aber  im  entgegengesetzten  Sinne,  herausgedreht  werden,  wie  die  Ein- 
führung erforderte. 

Trotz  vorsichtiger  Handhabung  des  Katheters  werden  mitunter  üble 
Zufälle  hervorgerufen.  Dazu  gehören  zunächst  reflectorische  Con- 
tractionen  der  Schlingmuskeln,  durch  welche  der  Schnabel  zuweilen 
vollständig  festgeklemmt  wird,  so  dass  die  Beendigung  der  Operation  unmöglich 
ist.  Solche  Krämpfe  verschwinden  meist  schnell,  wenn  man  den  Katheter 
ruhig  liegen  lässt  und  den  Patienten  ermahnt,  regelmässig  durch  die  Nase 
zu  athmen.  Unangenehmer  ist  das  manchmal,  vorzugsweise  bei  erkrankter 
Nasenschleimhaut,  vorkommende  Nasenbluten,  welches  die  Vollendung  der 
Operation  verbieten  kann,  das  Auftreten  von  unaufhörlichen  Würgebewe- 
gungen und  Erbrechen,  von  anhaltendem  Husten  und  Niesen.  Ein 
rasches  Vorgehen  wird  hier  meist  noch  zum  Ziele  führen.  Seltener  kommt 
es  zu  Ohnmächten  und  heftigen  S ch w in delan fällen,  welche  sich 
übrigens  meist  erst  nach  Beendigung  der  Operation  einstellen. 

Die  Luftdouche.  Die  Lufteinblasung  durch  den  Katheter  gibt  den  be- 
stimmten Aufschluss,  ob  das  Instrument  richtig  in  das  Ostium  pharyngeum 
eingeführt  ist.  Sie  hat  den  Zweck,  die  Wegsamkeit  der  Eustachischen  Röhre, 
das  Vorhandensein  von  Secret  im  Mittelohre  festzustellen  und  in  [zweifelhaften 
Fällen  Sicherheit  über  das  Bestehen  einer  Perforation  im  Trommelfelle  zu 
verschaffen. 

Die  Einblasung  von  Luft  wird  mit  Hilfe  eines  birnförmigen  Gummi- 
ballons vollzogen.  Andere  Apparate,  wie  der  Doppelballon  von  Lucae,  der 
Tretballon  (Schwartze),  das  Wasserstrahlgebläse  (Lucae),  sind  für  praktische 
Zwecke  entbehrlich,  und  die  Vorrichtungen,  welche  zur  Herstellung  einer  be- 
sonders grossen  Druckspannung  dienen,  wie  die  von  v.  Teöltsch  construirte 
Luftpumpe  und  ein  recht  brauchbarer  Apparat  von  Hartmann,  sind  jedenfalls 
nur  in  Ausnahmsfällen  anzuwenden. 

Damit  bei  der  Luftdouche  die  in  der  Zimmerluft  enthaltenen  Staub- 
theilchen  und  Infectionsträger  nicht  in  das  Mittelohr  eingeblasen  werden,  ist 
es  zweckmässig,  nach  dem  Vorgange  von  Zaufal  zwischen  den  Gummiballon 
und  den  Katheter  eine  Desinfectionskapsel  einzuschalten.  Dieselbe 
besteht  aus  zwei  mit  je  einem  Hohlzapfen  versehenen  Halbkugeln  von  Hart- 
gummi oder  Metall,  welche  durch  eine  Schraube  luftdicht  vereinigt  werden 
und  von  denen  eine  jede  in  der  Concavität  ein  engmaschiges  Drahtnetz  ent- 
hält. Der  Raum  zwischen  diesen  Geflechten  wird  vor  dem  Zusammenschrauben 
mit  Watte  locker    ausgefüllt.     Aehnliche  Vorrichtungen  können  auch,  wie  es 


KATHETEKISMÜS  TÜBAE  EüSTACHII.  245 

LucAE  angegeben  hat,  am  Katheter  selbst,  in  Form  einer  am  pullen  form  igen 
Erweiterung  des  Trichterendes,  angebracht  werden. 

Bei  der  Lufteinblasung  ist  es  die  wichtigste  Bedingung,  dass  namentlich 
bei  den  ersten  Compressionen  des  Ballons  nur  ein  schwacher  Druck  ange- 
wendet wird,  bis  man  sich  durch  die  Auscultation  überzeugt  hat,  dass  der 
Katheter  richtig  sitzt,  die  Luft  frei  ausströmen  kann.  Aber  auch  dann  darf 
die  Entleerung  des  Ballons  niemals  stossweise  erfolgen,  sondern  muss  mit 
allmählich  zunehmender  Kraft  erfolgen,  weil  sonst  leicht  Schwindelerschei- 
nungen und  Kopfschmerzen  eintreten  und  Veranlassung  zur  Entstehung  eines 
traumatischen  Emphysems  gegeben  werden  kann.  Hat  nämlich  der 
Katheterschnabel  bei  dem  Tasten  nach  der  Tubenmündung  in  der  Umgebung 
der  letzteren  die  Schleimhaut  angeritzt  oder  bestanden  schon  vorher  Ero- 
sionen an  derselben,  so  kann  es  sich  ereignen,  dass  die  aus  dem  nicht  richtig 
in  der  Tube  stehenden  Katheter  entweichende  Luft  in  das  submucöse  Binde- 
gewebe geblasen  wird.  Diese  Emphyseme  bleiben  in  der  Regel  in  Gestalt 
einer  prallen  Geschwulst  auf  den  Bachen  beschränkt,  bereiten  aber,  auch  wenn 
sie  nicht  ausgedehnt  sind,  dem  Patienten  sehr  beängstigende  Beschwerden, 
wie  Schmerz-  und  Fremdkörpergefühl  im  Rachen  und  der  seitlichen  Halsgegend, 
Erschwerung  der  Athmung,  des  Schluckens,  des  Sprechens.  Der  ganz  plötz- 
lichen Entstehung  der  Luftgeschwulst  entsprechend  stellen  sich  diese  Sym- 
ptome mit  einem  Schlage  ein,  um  sich  innerhalb  einiger  Stunden  in  der  Regel 
noch  zu  steigern  und  erst  im  Laufe  der  folgenden  drei  bis  vier  Tage  all- 
mählich zu  verlieren.  Für  die  Diagnose  des  Emphysems,  welche  ohnehin 
kaum  zweifelhaft  sein  kann,  ist  das  charakteristische  Knistern  zu  verwerten, 
das  bei  Druck  auf  die  Geschwulst  entsteht.  Die  Heilung  wird  durch  Streich- 
massage befördert;  nur  bei  sehr  heftigen  Beschwerden  empfiehlt  es  sich,  durch 
einen  Scheerenschnitt  in  die  aufgetriebene  Uvula  den  Luftaustritt  zu  be- 
schleunigen. 

Bei  einer  zu  kräftigen  Entleerung  des  Ballons  zur  Luftdouche  kann  auch 
leicht  einmal,  wenn  das  Trommelfell  krankhaft  verändert  ist,  eine  Ruptur  der 
Membran  erzeugt  werden,  eine  Verletzung,  welche,  obwohl  sie  unbeabsichtigt 
eintrat,  meist  eher  eine  Besserung  als  eine  Verschlechterung  des  Gehörs  zur 
Folge  hat. 

Die  Wirkung  der  Lufteinblasung  auf  das  Mittelohr  und  Trommelfell 
kann  zwar  mit  Hilfe  eines  in  den  Gehörgang  eingeführten  Manometers  oder 
auch  während  oder  unmittelbar  nach  der  Compression  des  Ballons  durch  die 
Inspection  des  Trommelfelles  beobachtet  werden;  vollkommener  aber  wird  das 
Verfahren  für  die  Diagnose  erst  nutzbar  gemacht  durch  die  Auscultation  des 
Ohres  (s.  d.). 

V.  Ersatzmethoden  für  den  Katheterismus. 

a)  Der  VALSALVA'sche  Versuch. 

Das  Experimentum  Valsalvae  ist  die  älteste  Methode  der  Lufteintrei- 
bung in  die  Paukenhöhle.  Es  wurde  von  seinem  Erfinder  nicht  zu  diagno- 
stischen Zwecken  angewendet,  sondern  zur  Beseitigung  von  Eiter  aus  dem 
Mittelohre  bei  Perforation  des  Trommelfelles  empfohlen  und  besteht  in  einer 
gewaltsamen  Exspiration  bei  geschlossenem  Munde  und  zugehaltener  Nase. 

Dieses  Verfahren  gibt  zwar  manchmal  Aufschluss,  ob  die  Tube  durch- 
gängig ist  und  ob  das  Trommelfell  defect  ist,  lässt  aber  auch  in  normalen 
Fällen  so  häufig  im  Stiche,  dass  es  für  die  Diagnose  von  äusserst  unter- 
geordneter Bedeutung  ist.  Nur  zum  Zwecke  der  deutlicheren  Erkennung 
einer  kleinen  Perforation  kann  man  den  VALSALVA'schen  Versuch  wohl  hier 
und  da  während  einer  Trommelfellinspection  vom  Patienten  ausführen  lassen. 
weil,  wenn  Luft  durch  den  Defect  herausdringt,  dessen  Ränder  etwas  mehr 
klaffen. 


246  KATHETERISMUS  TUBAE  EÜSTACHII. 

b)  Der  Versuch  von  Toyubee  oder  der  negative  VALSALVA'sche 
Versuch. 

Toyubee  verwendete  die  Auscultation  durch  den  Hörschlauch  während 
einer  bei  geschlossenem  Munde  und  zugehaltener  Nase  ausgeführten  Schling- 
bewegung, um  aus  dem  hierbei  entstehenden  knackenden  Geräusche  die  Durch- 
gängigkeit der  Tube  zu  erkennen.  Sein  Verfahren  hat  aber  noch  weniger 
Wert  als  das  von  Valsalva,  zumal  da  das  Geräusch,  auf  welches  er  seine 
Diagnose  der  Tubenwegsamkeit  gründet,  wohl  häufig  von  der  Abhebung  der 
membranösen  Tubenwand  von  der  knorpeligen  herrührt,  aber  auch  eintreten 
kann,  wenn  die  Eustachische  Röhre  im  knöchernen  Theile  verschlossen  ist. 

c)  Das  PoLiTZER'sche  Verfahren. 

Auch  Politzer  hat  das  nach  ihm  benannte  Verfahren  nicht  zu  diagno- 
stischen, sondern  zu  therapeutischen  Zwecken  empfohlen;  doch  kann  dasselbe 
innerhalb  gewisser  Grenzen  wie  bei  der  Behandlung  so  auch  bei  der  Unter- 
suchung den  Katheter  ersetzen. 

Der  Ballon,  welcher  für  die  Luftdouche  beim  Katheterismus  benutzt  wird, 
wird  mit  einem  katheterförmigen  oder  besser  mit  einem  kegelförmigen  Nasen- 
ansatze  versehen.  Letzterer  wird,  nachdem  der  Patient  angewiesen  wurde, 
einen  Schluck  Wasser  in  den  Mund  zu  nehmen,  aber  erst  auf  ein  verabredetes 
Commando  („eins,  zwei,  drei";  „jetzt")  zu  schlucken,  luftdicht  in  ein  Nasen- 
loch eingeführt,  während  das  andere  fest  zugedrückt  wird.  Comprimirt  man 
dann  den  Ballon  in  dem  Momente,  in  welchem  der  Kranke  das  Wasser  ver- 
schluckt, so  kann  man  durch  den  eingeschalteten  Auscultationsschlauch  wahr- 
nehmen, wie  die  Luft  durch  die  sich  öffnende  Tube  in  das  Mittelohr  eindringt. 

Wenn  das  Verfahren,  gewissermaassen  ein  passiver  VALSALVA'scher  Ver- 
such, gelingen  soll,  so  muss  die  Lufteintreibung  im  richtigen  Augenblicke, 
d.  h.  sobald  der  Patient  zu  schlucken  begonnen  hat,  ausgeführt  werden.  Man 
beobachtet  deswegen  am  Auge  oder  an  dem  sich  hebenden  Kehlkopfe  des 
Kranken  die  eintretende  Schlingbewegung  und  comprimire  den  Ball  erst,  wenn 
dieselbe  bereits  angesetzt  hat.  Alte  Leute  brauchen  in  der  Hegel  etwas  längere 
Zeit  als  jüngere,  um  das  Commando  auszuführen,  und  übereifrige  und  ängst- 
liche Patienten  schlucken  zuweilen,  noch  ehe  sie  dazu  aufgefordert  werden. 
In  beiden  Fällen  kann  es  sich,  wenn  die  Einblasung  zu  früh  oder  zu  spät 
erfolgt,  ereignen,  dass  das  Wasser  aus  dem  Munde  herausgespritzt  wird  oder 
dass  mit  dem  verschluckten  Wasser  auch  die  eingeblasene  Luit  gewaltsam  in 
den  Magen  gepresst  wird.  Es  hat  dann  eine  Sprengung  des  Abschlusses 
zwischen  Nasenrachenraum  und  Schlund  stattgefunden,  welche  durch  die  bei 
der  Schlingbewegung  sich  einstellende  Anlehnung  des  weichen  Gaumens  an 
die  hintere  Rachenwand  zustande  kommt,  und  welche  für  das  Gelingen  des 
PoLiTZER'schen  Verfahrens  Bedingung  ist.  Der  üble  Zerfall  der  gewaltsamen 
Lufteinpumpung  in  den  Magen  führt  oft  zu  sehr  unangenehmen  Beklemmungs- 
erscheinungen und  veranlasst  manche  Kranke  zu  einer  entschiedenen  Weige- 
rung, wenn  das  Verfahren  wiederholt  werden  soll. 

Es  ist  für  solche  Fälle  zu  rathen,  die  von  Lucae  angegebene  Modifi- 
cation  des  PoLixzER'schen  Verfahrens  anzuwenden,  welche  statt  der  Schling- 
bewegung die  Phonation  zur  Eröffnung  der  Tube  einführt.  Der  Patient  wird 
aufgefordert,  laut  „A"  zu  sagen,  und  während  er  dies  thut,  wird  genau  wie 
oben  beschrieben  die  Lufteinblasung  vollzogen.  Diese  Abänderung  von  Lucae 
gelingt  zuweilen  auch  in  Fällen,  in  welchen  pathologische  Zustände  im  Nasen- 
rachenräume die  exacte  Oeffnung  der  Eustachischen  Röhre  bei  der  Schluck- 
bewegung unmöglich  machen,  und  ist  ein  ganz  besonders  geeigneter  Ersatz 
bei  kleineren  Kindern,  welche  das  Wasserschlucken  auf  Commando  nicht  aus- 
führen können.  Bei  Kindern  in  den  ersten  beiden  Lebensjahren  öffnet  sich 
übrigens    die  Tube    oft    auch    ohne   jede  Mitwirkung    des  Patienten   bei  der 


KEHLKOPF.  247 

blossen  Luttverdichtung  in  der  Nase.  Gelingt  dies  nicht,  so  wird  meist  die 
sonst  unwillkommene  freiwillige  Phonation  in  Gestalt  des  Schreiens  aushelfen. 

Eine  weitere  Moditication  des  PoLiTZEii'schen  Verfahrens  rührt  von 
Geubek  her;  von  der  Methode  Lucae  unterscheidet  sie  sich  nur  dadurch, 
dass  der  Patient  angewiesen  wird,  nicht,  wie  bei  jener,  „A"  zu  rufen,  son- 
dern laut  die  Silbe  „h-ck"  mit  Einfügung  der  verschiedenen  Vocale,  also 
hock,  hack  u.  s.  w.  auszusprechen.  Auch  das  Wort  „Clara"  wird  gern  zur 
Eröffnung  der  Tube  verwendet. 

Was  nun  die  diagnostische  Verwertbarkeit  der  hier  angegebenen  Methoden 
anbelangt,  so  ist  dieselbe  schon  aus  dem  Grunde  eine  beschränkte,  weil  sie 
alle  in  Fällen  von  intensiverer  Verklebung  der  Tul)e  zur  Herstellung  eines 
Lumens  nicht  ausreichen.  Auch  geht  die  Lufteinblasung  so  rasch  vorüber, 
dass  der  Beobachter  zu  einem  genaueren  Auscultiren  keine  Zeit  hat,  so  dass 
man  wohl  in  vielen  Fällen  erkennen  kann,  ob  die  Tube  durchgängig  ist,  nicht 
aber,  in  welcher  Weise  ihre  Durchgängigkeit  und  der  Zustand  des  Mittel- 
ohres überhaupt  verändert  ist.  Am  sichersten  sind  die  Ergebnisse  durch- 
schnittlich, wenn  es  sich  um  die  Constatirung  einer  Trommelfellperforation 
handelt,  weil  hier  die  gewissermaassen  explosive  Wirkung  des  Luftstromes 
ausreicht.  Die  mit  Phonation  verbundenen  Modificationen  des  PouTZER'schen 
Verfahrens  eignen  sich  für  die  Auscultation  noch  weniger,  weil  die  ausge- 
rufenen Laute,  sowie  ein  bei  der  Einblasung  entstehendes  Gurgeln  im  Kachen 
die  im  Ohre  erzeugten  Geräusche  oft  übertönen.  Zu  einer  exacten  Diagnose 
muss  jedenfalls,  so  oft  es  angeht,  der  Katheter  verwendet  werden. 

BÜKKNER. 

Kehlkopf.  (Anatomie.)  Der  Kehlkopf  {Larijnx)  bildet  den  Anfangstheil 
des  Athmungsorgans  und  ist  hauptsächlich  Stimmorgan;  zur  Bildung  der  Stimme 
dienen  ausser  ihm  noch  der  gesammte  Athmungsapparat  mit  seinem  Mechanis- 
mus, die  Eachen-,  Mund-  und  Nasenhöhle,  welche  dem  Athmungsapparat  auf- 
gesetzt sind,  die  in  der  Mundhöhle  liegende  Zunge  und  schliesslich  die  Lippen 
und  der  den  Eingang  zur  Mundhöhle  umgebende  Muskelapparat.  Der  Kehl- 
kopf kann  mit  einer  Zungenpfeife  verglichen  werden:  diese  letztere  besteht 
aus  Zunge,  Windrohr  und  Ansatzrohr;  entsprechende  Theile  kann  man  auch 
am  Kehlkopfe  unterscheiden,  nämlich  die  Stimmbänder  (Zunge),  die  Athmungs- 
organe  mit  der  Luftröhre  und  den  Luftröhrenästen  (Windrohr)  und  die 
Rachen-,  Nasen-  und  Mundhöhle  (Ansatzrohr).  Nur  ist  beim  Menschen  und 
den  Thieren  der  der  Zunge  der  Pfeife  entsprechende  Theil  veränderlich,  kann 
mehr  oder  weniger  gespannt,  verkürzt  und  verlängert  werden,  ausserdem  kann 
die  zwischen  paarigen  Theilen  existirende  Spalte  verengert  und  verbreitert 
werden.  Entsprechend  dieser  Function  ist  auch  die  Form  und  die  Structur 
des  Kehlkopfes  zusammengesetzt. 

Der  Kehlkopf  ist  in  der  Mitte  der  Halsgegend  von  der  Höhe  des  dritten 
bis  zum  unteren  Theile  des  fünften  Halswirbels  gelagert.  Ueber  ihm  befindet 
sich  das  Zungenbein  und  die  Zungenwurzel,  unter  ihm  die  Luftröhre,  hinter 
ihm  der  Schlundkopf  und  vor  ihm  die  oberflächliche  Halsfascie;  vor  ihm  und 
lateralwärts  lagern  sich  die  subcutanen  Muskeln,  zu  beiden  Seiten  die  Gefäss- 
stämme  des  Halses  und  theilweise  auch  die  Lobi  der  Schilddrüse. 

Das  Skelett  des  Kehlkopfes  bilden  vier  Knorpel:  einer  von  diesen  hat  die 
Form  eines  Siegelrings  mit  nach  hinten  gerichteter  Siegelplatte;  der  Knorpel 
vor  und  über  ihm  ist  schildförmig,  stützt  sich  unten  mit  zwei  Fortsätzen  auf 
die  Seitentheile  des  Ringes  und  ist  oben  mit  dem  Zungenbein  verbunden.  Auf 
dem  Rande  der  Ringplatte  sitzen  zwei  sich  nach  oben  verjüngende  Knorpel, 
die  Giessbeckenknorpel.  Ausser  diesen  vier  sind  noch  fünf  Knorpel,  welche 
die  häutigen  Wände  des  trichterförmigen  Eingangs  zur  Stimmspalte  stützen, 
vorhanden.   Der  grössere,  unpaare  Knorpel  hat  die  Form  einer  ausgestreckten 


248  KEHLKOPF. 

Hundszunge,  dieser  ist  der  sogenannte  Kehldeckel,  sein  unterer,  sich  ver- 
schmälernder Theil  reicht  bis  zur  Mitte  der  Innenfläche  des  Schildes.  Auf 
der  Spitze  der  Giessbeckenknorpel  sitzen  Hörnchen,  an  der  convexen  Vorder- 
fläche aber  die  keilförmigen  Knorpel.  Die  vier  Grundknorpel  bestehen  aus 
hyalinem,   die  fünf  Stützknorpel  aber  aus  Faserknorpel. 

Am  Ringknorpel  {Cartüago  cricoidea)  verhält  sich  die  Höhe  des 
Bogens  (Arcus)  zur  Höhe  der  Platte  (Lamina)  wie  5—6:18 — 20.  Der  obere 
Rand  steigt  nach  hinten  zu  an  und  bildet  in  der  Mitte  der  Platte  einen  kleinen 
Einschnitt,  zu  beiden  Seiten  desselben  befinden  sich  elliptische  Gelenkflächen 
(Superficies  articularis  arytaenoidea),  die  mit  der  Basis  der  Giessbeckenknorpel 
articuliren.  Der  untere  Rand  ist  leicht  wellenförmig  gebogen,  unter  ihm  be- 
findet sich  der  erste  Luftröhrenring.  Die  Innenfläche  ist  glatt;  an  den  Seiten- 
theilen,  etwa  ihrer  Mitte  entsprechend,  bemerkt  man  von  aussen  kleine  Er- 
höhungen, die  mit  concaven  Gelenkflächen  endigen  {Superficies  articularis 
thtjreoidea)\  mit  diesen  articuliren  die  unteren  Fortsätze  des  Schildknorpels. 
Die  Platte  wird  durch  einen  verticalen  First  {Linea  eminens),  der  nach  unten 
breiter  wird,  in  zwei  flache  Grübchen  {Foveae  laminae)  getheilt.  Am  Leben- 
den kann  man  den  Bogen  des  Ringknorpels  leicht  durchfühlen. 

Der  Schildknorpel  {Cartilago  thyreoidea)  besteht  aus  zwei  vierseitigen 
Platten,  die  sich  vorn  unter  einem  mehr  oder  weniger  vorspringenden  Winkel 
(von  ungefähr  90^)  miteinander  verbinden.  Der  Querdurchmesser  jeder  Platte 
verhält  sich  zum  verticalen  wie  7:5.  Der  obere  Rand  ist  in  der  Mitte,  über 
dem  Vorsprung  oder  Winkel,  nach  oben  ausgeschnitten;  dieser  Ausschnitt 
{Incisura  cart.  thyreoideae)  reicht  fast  bis  zur  Mitte  des  verticalen  Durch- 
messers der  Platten.  Der  untere  Rand  einer  jeden  Platte  springt  in  der 
Mitte  nach  unten  und  aussen  vor  (Angulus  marg.  infer.).  Der  hintere  Rand 
ist  S-förmig  gekrümmt;  oben  geht  er  in  einen  cylindrischen  Fortsatz  (Cornu 
superius),  der  zum  Ende  des  hinteren  Zungenbeinfortsatzes  gerichtet  ist,  über; 
unten  setzt  er  sich  in  einen,  mit  seinem  Ende  etwas  nach  innen  und  vorn 
gerichteten  Fortsatz  (Cornu  inferius),  der  mit  seiner  kleinen,  kugelförmigen 
Gelenkfläche  mit  den  seitlichen  Gelenkflächen  des  Ringknorpels  articulirt, 
fort.  Die  Innenfläche  des  Knorpels  ist  glatt,  die  Aussenfläche  auch,  nur  be- 
findet sich  auf  dieser,  nahe  am  hinteren  Rande,  ein  conischer  Höcker  {Tiiber- 
culum  cart.  thyreoideae),  der  nach  unten  in  eine  bis  zum  unteren  Rande 
reichende  schiefe  Linie  übergeht.  Auf  einem  Querschnitt  des  Knorpels  findet 
man  bei  der  Untersuchung  unter  dem  Mikroskop,  dass  die  Seitenplatten  in 
der  Mitte  durch  eine  Zwischenlage,  deren  hyaline  Substanz  sich  unmittelbar 
in  die  der  Seitenplatten  fortsetzt,  voneinander  geschieden  sind;  diese  Zwischen- 
lage unterscheidet  sich  nur  dadurch  von  den  Seitenplatten,  dass  in  den  letz- 
teren die  Knorpelkapseln  grösser  und  weniger  dicht  gelagert  sind;  man  hat 
die  Zwischenlage  als  mittlere  Platte  unterschieden  (Halbertsma).  Nach  hinten 
zu  nimmt  die  hyaline  Grundsubstanz  der  Zwischenschicht  faserige  Structur  an 
und  geht  in  die  elastischen  Fasern  der  Stimmbänder  über. 

Die  paarigen  Giessbeckenknorpel  {Cartilagines  arytaenoideae)  haben 
die  Form  einer  dreiseitigen  Pyramide  mit  einer  vorderen,  einer  hinteren  und 
einer  inneren  Seitenfläche,  welche  letztere  oben  zum  inneren  Rande  des 
Knorpels  wird.  Ausserdem  unterscheidet  man  noch  einen  äusseren  Rand,  die 
untere  Basis  und  die  obere  stumpfe  Spitze.  Die  Vorderfläche  des  Knorpels 
ist  convex,  das  mittlere  Drittel  derselben  ist  von  zwei  Wülsten,  einem  oberen 
und  einem  unteren  (Spina  superior  et  inferior),  zwischen  welchen  eine  Grube 
(Fossa  superior)  liegt,  begrenzt;  unter  dem  unteren  Wulst  befindet  sich  noch 
eine  Grube  (Fossa  inferior).  Die  Basis  ist  dem  oberen  Rande  der  Ringknorpel- 
platte entsprechend  ausgehöhlt,  vorn  geht  von  ihr  ein  gleichschenkliger,  in 
querer  Richtung  abgeplatteter  Fortsatz  {Processus  voccdis)  ab;  das  hyaline 
Gewebe    dieses  Fortsatzes  wird  elastisch  und   geht  in  die  elastischen  Fasern 


KEHLKOPF.  249 

der  Stimmbänder  über.  Die  hintere  Fläche  ist  concav.  Der  Aussenrand  geht 
an  der  Basis  in  einen  nach  aussen  und  unten  gerichteten  Fortsatz  (Processus 
muscularis)  aus. 

Der  hundszungenförmige,  unpaare  Kehldeclielknorpel  {Carülayo 
epiglottica)  verjüngt  sich  nach  unten  und  vorn  und  verbindet  sich  hier  durch 
elastisches  Gewebe  mit  der  Mitte  der  hinteren  Schildknorpelüäche.  An  diesem 
Knorpel  hat  man  eine  vordere  und  eine  hintere  Fläche,  zwei  S-förmig  ge- 
krümmte Seitenränder  und  einen  in  der  Mitte  ausgeschnittenen,  freien,  oberen 
Rand  zu  unterscheiden.  Die  vordere  obere  Fläche  ist  sattelförmig,  von  oben 
nach  unten  concav,  von  rechts  nach  links  aber  convex.  Die  hintere  untere 
Fläche  ist  in  entgegengesetzter  Richtung  gekrümmt.  Auf  dieser  Fläche  sieht 
man  mehr  oder  weniger  tiefe  Grübchen,  die  von  Schleimdrüsen  ausgefüllt 
sind.  Der  Knorpel  ist  weich,  elastisch  und  kann,  wie  eine  Fallbrücke,  nach 
hinten  herabgedriickt  werden,  wobei  er  den  Eingang  zum  Athmungsorgane 
verdeckt,     lieber  und  vor  dem  Kehldeckel  ist  die  Zungenwurzel  gelegen. 

Die  paarigen  Hörn  er  {Cart.  corniculatae)  sitzen  auf  der  Spitze  der 
beiden  Giessbeckenknorpel,  mit  denen  sie  durch  elastisches  Gewebe  verbunden 
sind,  und  sind  flach  dreiseitig. 

Die  keilförmigen  Knorpel  {Cart  cuneiformes)  liegen  beiderseits 
zwischen  den  Schichten  der  vom  Rande  des  Kehldeckels  zum  Giessbecken- 
knorpel gehenden  Schleimhautfalte  {Plica  ary-ejpiglottica),  die  zu  beiden  Seiten 
den  Eingang  zum  Kehlkopfinnern  begrenzt.  Dieser  streifenförmige  Knorpel 
sitzt  auf  der  Vorderfläche  des  Giessbeckenknorpels,  über  der  Spina  superior, 
und  ragt  im  hinteren  Theile  der  Falte  mehr  oder  weniger  mit  seinem  oberen 
Ende  hervor.  Er  ist  sehr  schwach  entwickelt  und  besonders  aussen  von 
Schleimdrüsen  bedeckt.  Am  äusseren  Rande  und  unter  der  Spitze  des  Giess- 
beckenkknorpels  bemerkt  man  zuweilen  einen  länglich  abgerundeten  Knorpel 
(  Cart.  sesamoideae) . 

Diese  Knorpel  verbinden  sich  miteinander  und  mit  den  höher  und  nied- 
riger gelegenen  Theilen  durch  Gelenke  und  Syndesmosen.  Erstere  sind  nur 
zwischen  den  Seitenth eilen  des  Ringknorpels  und  den  unteren  Hörnern  des 
Schildknorpels,  zwischen  dem  oberen  Rande  des  Ringknorpels  und  den  Giess- 
beckenknorpeln  und  schliesslich  zwischen  dem  oberen  Hörn  des  Schildknorpels 
und  dem  hinteren  Ende  des  langen  Zungenbeinfortsatzes  vorhanden.  Alle 
übrigen  Verbindungen  sind  Syndesmosen  mittels  elastischen  Gewebes.  Schliess- 
lich befinden  sich  hier  noch  obere,  mittlere  und  untere  sagittale  Falten,  von 
denen  die  letzteren  sich  am  meisten  einander  nähern  und  die  wahren  Stimm- 
bänder bilden,  die  oberen  spannen  sich  zwischen  Zungenwurzel  und  Kehl- 
deckel einerseits  (Plicae  glosso-epiglotticae)  und  von  den  Rändern  des  letzteren 
bis  zu  den  Hörnern  und  Giessbeckenknorpeln  andererseits  (Plicae  ary-epiglotticae) 
aus;  die  mittleren  sind  die  falschen  Stimmbänder  {Plicae  thyreo-arytaenoicleae). 

Das  Ring-Schildknorpelgelenk  {Art.  crico-thyreoidea)  ist  ein 
Kugelgelenk  mit  fibröser  und  synovialer  Kapsel.  Von  aussen  wird  das  Gelenk 
von  drei  Bändern,  w^elche  von  hinten  und  oben  (Lig.  crico-thyreoideum  post. 
sup.),  von  hinten  und  unten  (Lig.  crico-thyreoideum  post.  inf.)  und  von  vorn 
und  unten  (Lig.  crico-thjTeoideum  ant.)  kommen  und  in  dem  Punkte  zusam- 
mentreffen, wo  die  Enden  der  Querachse  durch  die  Gelenke  gehen.  Um  diese 
Querachse  findet  auch  hauptsächlich  die  Bewegung  im  Gelenke  statt. 

Das  Ring-Giessbeckenknorpelgelenk  {Art,  crico-arytaenoidea)  ist 
ein  complicirtes,  elliptisches  Gelenk.  Zwischen  die  elliptischen  Gelenkflächen 
schieben  sich  Synovialfortsätze  von  der  Synovialkapsel  aus.  Von  der  Mitte 
des  oberen  Ringknorpelplattenrandes  geht  jederseits  ein  starkes  Band,  das 
Lig.  crico-arytaenoideum,  zur  Innenfläche  des  Giessbeckenknorpels,  schiefe  Fasern 
verlaufen  auch  lateralwärts  vom  Gelenk  zur  Spitze  des  Processus  muscularis. 
Diese  Bänder  halten  das  Gelenk  in  seiner  Lage,  besonders  bei  der  Bewegung 


250  KEHLKOPF. 

um  die  Querachse,  ausserdem  spielt  das  innere  Band  beim  Abgleiten  des 
Giessbeckenknorpels  nach  aussen  eine  Kolle.  In  diesem  Gelenk  lässt  sich  eine 
Bewegung  der  beiden  Giessbeckenknorpel  um  eine  gemeinsame  Querachse, 
dann  für  jeden  Knorpel  einzeln  um  eine  Sagittalachse  und  schliesslich  eine 
Circumductio,  ^Yie  in  allen  Gelenken  dieses  Typus,  ausführen. 

Zwischen  dem  Bogen  des  Ringknorpels  und  der  Mitte  des  unteren 
Schildknorpelraudes  befindet  sich  das  conische  mittlere  Ring-Schildknorpel- 
band {Lig.  crico-thyreoideum  medium),  das  aus  elastischen  Fasern  besteht  und 
nahe  am  oberen  Rande  von  einer  Gefässöffnung  durchbohrt  ist.  Lateralwärts 
und  nach  hinten  geht  es  in  eine  Membran,  die  längs  dem  oberen  Ringknorpel- 
rande nach  hinten  bis  zur  Basis  des  Giessbeckenknorpels  reicht  (Membrana 
crico-thyreo-arytaenoidea),  über.  Innen  und  oben  reicht  sie  bis  zum  unteren 
Stimmband. 

Durch  Syndesmosen  mittels  elastischen  Gewebes  sind  die  Hörner  mit 
der  Spitze  der  Giessbeckenknorpel  (Syndesmosis  ary-corniculata),  die"  keil- 
förmigen Knorpel  mit  der  Vorderfläche  der  Giessbeckenknorpel  (Syndesmosis 
ary-cuneiformis)  und  der  untere  Fortsatz  des  Kehldeckels  mit  der  hinteren 
Fläche  des  Schildknorpelwinkels  (Syndesmosis  thyreo-epiglottica)  verbunden. 
Die  Mitte  der  Kehldeckelvorderfläche  ist  ausserdem  noch  durch  eine  elastische 
Membran  [Lig.  hyo-epiglottimm)  mit  dem  Körper  des  Zungenbeines  verbunden. 

Der  Schildknorpel  verbindet  sich  oben  durch  ein  Gelenk  (Art.  hyo- 
thyreoidea)  mit  dem  Zungenbein;  die  Kapseln,  welche  beiderseits  am  Peri- 
chondrium  des  oberen  Schildknorpelhorns  beginnen  und  am  langen  Zungen- 
beinfortsatz enden,  sind  langgestreckt,  enthalten  zuweilen  einen  accessorischen 
Knorpel  und  sind  als  strangartige  Syndesmosen  anzusehen. 

In  der  Mitte  spannt  sich  zwischen  dem  oberen  Rande  des  Schildknorpels 
und  der  hinteren  Fläche  des  Zungenbeinkörpers  eine  elastische  Membran  {Lig. 
hyo-thyreoideum).  Vor  diesem  Bande,  gewöhnlich  in  der  unteren  Hälfte,  befindet 
sich  ein  Schleimbeutel  (Bursa  miicosa  hyo-thyreoidea),  der  vorn  auch  gewöhn- 
lich von  einer  elastischen  Membran  begrenzt  wird.  Zu  beiden  Seiten  setzt 
sich  das  Band  in  eine  fibröse  Membran,  die  den  Raum  zwischen  dem  Rande 
des  Schildknorpels  und  dem  grossen  Fortsatz  des  Zungenbeins  nach  hinten 
bis  zum  oberen  Hörne  verschliesst,  fort.  Diese  Membran  enthält  auch  ela- 
stische Fasern  und  wird  von  Blutgefässen  und  Nerven  durchsetzt. 

Unten  verbindet  die  Membrana  crico-trachealis  den  unteren  Rand  des 
Ringknorpels  mit  dem  ersten  Ringe  der  Luftröhre. 

In  sagittaler  Richtung  verlaufen  von  dem  Wulste  am  Winkel  des  Schild- 
knorpels elastische  Fasern  in  Form  eines  quer  comprimirten  Streifens,  der 
gerade  nach  hinten  zur  Innenfläche  des  Processus  vocalis  geht  (Lig.  thyreo- 
arytaenoideum  inferius).  Dieses  Band  geht  lateralwärts  und  nach  unten  in 
die  Membrana  crico-thyreo-arytaenoidea  über. 

In  der  oberen  Schleimhautfalte  sind  auch  elastische  Fasern  vorhanden, 
doch  in  geringer  Anzahl,  und  zudem  bilden  sie  hier  nicht  eine  deutlich  aus- 
gesprochene Schicht,  wie  in  den  unteren  Bändern.  Diese  Fasern  spannen  sich 
zwischen  der  hinteren  Fläche  des  Schildknorpelwinkels  und  der  Vorderfläche 
des  Giessbeckenknorpels  (und  zwar  heften  sie  sich  hier  zwischen  dem  oberen 
und  dem  unteren  Vorsprung  an)  aus. 

Die  Muskeln  des  Kehlkopfes  können  in  vier  Gruppen  getheilt  werden, 
und  zwar:  1.  in  Muskeln,  die  die  Stimmritze  erweitern,  2.  in  Muskeln,  welche 
die  Stimmritze  verengern,  3.  in  Muskeln,  welche  die  Stimmbänder  spannen, 
und  4.  in  Muskeln,  welche  die  Bänder  erschlaften  machen. 

1.  Die  zwischen  den  Stimmbändern  befindliche  Stimmritze  wird  von  den 
Muskeln,  welche  an  der  hinteren  Fläche  der  Ringknorpelplatte  und  am  oberen 
Rande  des  Seitentheils  dieses  Knorpels  entspringen  und  sich  an  den  Processus 
muscularis  des  Giessbeckenknorpels  anheften,  erweitert.   Der  eine  von  diesen 


KEHLKOPF.  251 

Muskeln  ist  der  hintere  lting-Giess])eckenmuskel  (i¥.  crico-arytaenoidens 
■posterior);  sein  Ursprung  nimmt  eine  Hälfte  der  Platte  ein,  seine  Fasern  gehen 
nach  oben,  aussen  und  vorn  und  befestigen  sich  am  hinteren  Ilande  des 
Processus  muscularis.  Der  zweite  Muskel  ist  der  vordere  King-Giess- 
beckenmuskel  {M.  crico-aryiaenoideus  anterior  s.  lateralis)-^  dieser  beginnt 
am  Kande  des  Ptingknorpels,  geht  schräg  nach  oben  und  hinten  und  endet 
am  vorderen  Rande  des  Muskelfortsatzes.  Diese  beiden  Muskeln  ziehen  zu- 
sammen den  Giessbeckenknorpel  nach  aussen  und  unten  und  entfernen  hiermit 
die  Stimmbänder  von  einander.  Wirkt  der  hintere  Muskel  allein,  so  richtet 
sich  der  Processus  vocalis  nach  aussen,  und  es  öffnet  sich  hauptsächlich  der 
mittlere  Theil  der  Stimmritze.  Wirkt  der  vordere  Muskel  allein,  so  richtet 
sich  der  Processus  vocalis  nach  innen,  und  dieser  Theil  der  Hitze  schliesst  sich. 

2.  Genähert  werden  die  Stimmbänder  einander  durch  die  quer  und  schief 
zwischen  den  Aussenrändern  der  Giessbeckenknorpel  gelegenen  Muskeln.  Der 
quere  Giessbeckenknorpel-Muskel  (M.  arytaenoideus  transversus)  geht 
von  dem  äussern  Rande  und  der  concaven  Fläche  des  einen  Knorpels  zu  den 
entsprechenden  Theilen  des  andern.  Ihn  bedeckt  der  oberflächlich  gelegene 
schräge  Muskel  {M.  arytaenoideus  oblicjuus),  der  am  unteren  Theile  des 
äusseren  Giessbeckenknorpelrandes  beginnt,  schräg  nach  oben  geht  und  sich 
am  Aussenrande  des  anderen  Knorpels  mit  einigen  tiefen  Fasern  befestigt. 
Die  oberflächlichen  Fasern  divergiren  über  diesen  Rand  hinweg  und  theilen 
sich;  ein  Bündelchen  geht  nach  oben,  in  der  Richtung  zum  Rande  des  Kehl- 
deckels, das  andere  nach  vorn  zum  Schildknorpel  (M.  thyreo- ary-epiglotticus). 
Die  ersteren  zwei  Muskeln  nähern  die  Giessbeckenknorpel  einander  und 
schliessen  die  Stimmritze.  Wenn  sie  mit  dem  Ring-Giessbeckenmuskel  zu- 
sammenwirken, so  fixiren  sie  den  Giessbeckenknorpel  in  einer  beliebigen  Lage, 
je  nach  dem  Grade  der  Wirkung  eines  jeden  Muskels.  Der  M.  thyreo-ary-epi- 
glotticus  nimmt  an  der  Schliessung  des  Eingangs  zur  Stimmritze,  wenn  durch 
das  Zurückgleiten  der  Zunge  der  Kehldeckel  die  Athmungsorgane  schliesst 
und  den  Eingang  zum  Speisecanal  öffnet,  theil.  Als  Antagonist  dieses  Muskels 
muss  man  die  Muskelbündel,  die  am  vorderen  Theil  der  inneren  Schildknorpel- 
fläche beginnen  und  schräg  nach  oben  und  hinten,  zum  Rande  des  Kehldeckels, 
gehen,  ansehen;  dies  ist  der  M.  thyreo-epiglotticus  oder,  wie  man  ihn  auch 
nennt,  der  M.  dilatator  vestibuli  laryngis  (Luschka).  Bei  beiderseitiger  Con- 
traction  müssen  diese  Muskeln  den  Kehldeckel  nach  vorn  ziehen,  also  den  Ein- 
gang zur  Stimmritze  öffnen. 

3.  Die  die  Stimmbänder  spannenden  Muskeln  lagern  sich  zwischen  der 
Vorderfläche  des  Ringknorpelbogens  und  dem  unteren  Rande  des  Schild- 
knorpels. Diese  Ring-Schildknorpelmuskeln  {M.  crico-thyreoideus)  be- 
ginnen am  Knorpel  zu  beiden  Seiten  der  Mittellinie  und  gehen  dann  diver- 
girend  zu  dem  Angulus  marg.  inferior  des  Schildknorpels  und  zum  Innen- 
rande des  unteren  Horns.  Wenn  sie  beide  wirken,  so  spannen  sie  die  Stimm- 
bänder; wobei  jedoch  die  Giessbeckenknorpel  fixirt  sein  müssen.  Ausserdem 
beginnen  noch  die  äusseren  Schild-Giessb  eckenknorpel-Muskeln  (M. 
thtjreo-arytaenoideus  externus)  an  der  unteren  Hälfte  des  äusseren  Giess- 
beckenknorpelrandes, worauf  ihre  Fasern  in  sagittaler  Richtung  nach  vorn 
und  etwas  nach  aussen  gehen  und  sich  an  der  Innenfläche  der  Seitenplatte 
des  Schildknorpels  auf  der  Höhe  des  Vorsprungs  des  Kehlkopfs,  hinter  der 
Mitte  dieser  Platte  befestigen.  Bei  fixirtem  Giessbeckenknorpel  wird  durch 
die  Contraction  beider  Muskeln  die  hintere  Hälfte  des  Schildkuorpels  nach 
innen  gezogen,  weshalb  der  Winkel  des  Schildknorpels  stärker  vorspringt; 
dadurch  wird  die  Entfernung  zwischen  dem  Winkel  und  den  Giessbecken- 
knorpeln  grösser  und  die  Stimmbänder  spannen  sich;  dieses  ist  nur  dank  der 
Elasticität  des  Ringknorpels  möglich.  Bei  der  Contraction  dieser  ganzen 
Muskelgruppe  kann  ziemlich  viel  Kraft  entwickelt  werden,  da  die  Fläche  des 


252  KEHLKOPF. 

Ursprunges  und  des  Ansatzes  gross  ist.  Einzelne  Tlieile  der  Stimmbänder 
können  von  den  gleich  zu  beschreibenden  Muskeln  gespannt  werden. 

4.  Erschlaftt  können  die  Stimmbänder  durch  die  ihnen  von  aussen  an- 
liegenden sagittalen  Muskelbündel  werden.  Diese  innneren  Schild-Giess- 
beckenknorpel- Muskeln  (M.  thyreo-arytaenoideus  internus)  entspringen  an 
der  Spina  inferior  und  der  Aussenfläche  des  Stiramfortsatzes,  werden  in  ihrem 
Verlauf  von  einer  dünnen  Fascie  und  der  Schleimhaut  der  Plica  thyreo-ar}^- 
taenoidea  inferior  bedeckt  und  heften  sich  an  der  Innenfläche  des  Schild- 
knorpels, lateralwärts  vom  vorderen  Ende  des  unteren  Stimmbandes,  an. 
Medianwärts  liegen  dem  Muskel  die  elastischen  Fasern  des  Stimmbandes  eng 
an.  Ausserdem  finden  sich  hier  stets  Muskelfasern,  die  am  Giessbeckenknorpel 
entspringen  und  in  die  elastischen  Fasern  des  Bandes  übergehen,  die  so- 
genannten Spanner  der  einzelnen  Theile  des  Stimm bandes  {M.  tensores 
lig.  vocalis  veri),  welche  an  der  Bildung  der  Fistelstimme  theilnehmen. 

Die  Lage  des  ganzen  Kehlkopfes  wird  von  den  Muskeln,  welche  ■  vom 
Handgriff  des  Brustknochens,  dem  Zungenbein  und  dem  Pharynx  kommen, 
nämlich  den  Mm.  sterno-thyreoidei,  hyo-thyreoidei  und  dem  M.  constrictor 
pharyngis  inferior,  bestimmt. 

Die  Schleimhaut  des  Kehlkopfes  setzt  sich  von  der  Zungen wurzel 
auf  die  obere,  vordere  Fläche  des  Kehlkopfdeckels  fort  und  bildet  hierbei 
zwei  laterale  und  eine  mittlere  Falte  {Flicae  glosso-epiglotticae  media  et  late- 
rales); zwischen  diesen  Falten  befinden  sich  die  Zungenkehldeckelgruben 
(Fossae  glosso-epiglotticae).  Von  der  vorderen  Fläche  des  Kehldeckels  geht 
die  Schleimhaut  auf  die  hintere  Fläche  desselben  über  und  bildet  zu  beiden 
Seiten  Falten,  die  in  der  Richtung  nach  hinten  und  unten,  zu  den  Giess- 
beckenknorpeln  und  den  Hörnern  gehen,  und  in  denen  die  keilförmigen 
Knorpel  Platz  finden,  die  Kehldeckel-Giessbeckenknorpel-Falten  {Plicae  ary-epi- 
glotticae).  Lateralwärts  geht  die  eine  Lamelle  dieser  Falten  auf  die  Innenfläche 
des  Schildknorpels  über,  so  dass  sich  hier  eine  birnförmige  Grube  (Fossa 
pyriformis);  deren  breiterer  Theil  nach  oben  und  vorn  und  deren  schmälerer 
Theil  nach  unten  und  hinten  gerichtet  ist,  bildet.  Diese  Grube  wird  durch 
eine  schräge,  von  aussen  und  oben  nach  innen  und  unten  gehende  Falte,  die 
Plica  nervi  laryngei,  in  der  man  einen  weissen  Streifen,  den  oberen  Kehl- 
kopfnerven, durchschimmern  sieht,  in  einen  oberen  und  einen  unteren  Ab- 
schnitt getheilt.  Hinten  bekleidet  die  Schleimhaut  die  Giessbeckenmuskel 
und  bildet  einen  Wulst,  der  den  unter  ihr  gelegenen  Drüsen  entspricht; 
weiterhin  setzt  sie  sich  in  die  Schleimhaut  des  Schlundkopfes  fort.  An  der 
hinteren  Fläche  der  Epiglottis  ist  die  Schleimhaut  fest  mit  den  Perichon- 
drium  verwachsen;  an  dieser  Fläche  der  Epiglottis  bemerkt  man  einen  sich 
nach  unten  verengernden  Wulst,  den  Epiglottiswulst.  Von  der  Epiglottis  aus 
bedeckt  die  Schleimhaut  die  Wände  des  Einganges  zur  Stimmritze  und  bildet 
dann  zwei  Paar  Falten,  die  medianwärts  convergiren.  Die  obere  Schild-Giess- 
beckenknorpel-Falte  {Plica  thyreo-arytaenoidea  superior)  ist  mit  ihrem  freien 
Rande  nach  innen  und  unten,  die  untere  Schild-Giessbeckenknorpel-Falte  (Ricas 
thyreo-arytaenoidea  inferior)  nach  innen  und  oben  gerichtet;  diese  letztere 
bildet  mit  den  in  ihrem  freien  Rande  enthaltenen  elastischen  Fasern  die 
unteren  oder  wahren  Stimmbänder  (Chordae  vocales  s.  Ligg.  vocalia 
vera).  Der  zwischen  den  oberen  und  den  unteren  Falten  eingeschlossene 
Blindsack,  die  Kehlkopftasche  (Ventriculi  s.  Sinus  laryngis)  wird  haupt- 
sächlich von  der  oberen  oder  Taschenfalte,  von  oben  und  innen,  begrenzt. 
Die  laterale  Wand  der  Tasche  ist  die  Innenfläche  des  Schildknorpels.  Nach 
oben  reicht  die  Tasche  bis  zum  oberen  Drittel  oder  bis  zum  oberen  Rande 
des  Schildknorpels,  doch  kann  sie  auch  noch  höher  hinaufreichen  und  sich 
sogar  zwischen  dem  Schildknorpel  und  dem  langen  Fortsatz  des  Zungenbeins 
ausstülpen,    so    dass    sie    beim    Ausathmen    mehr    oder   weniger   vorspringt 


KEHLKOPF.  253 

(Geubee).  Beim  Orang-Utan  geht  diese  Tasche  unter  dem  M.  sternocleido- 
mastoideus  und  der  Clavicula  bis  zur  Axilla.  Die  Taschen  dienen  als  lieso- 
natoren,  welche  den  Schall  verdichten.  Ihr  sagittaler  Durchmesser  beträgt 
1-6— 1 '8  cm,  ihr  Querdurchmesser  3 — 4  mm  und  ihre  Höhe  am  Eingange  4  mm. 
Weiter  nach  unten  geht  die  Schleimhaut  auf  die  Wände  des  Kingknorpels 
und  der  Luftröhre  über. 

Die  Schleimhaut  des  Kehlkoi)fes  enthält  zahlreiche  elastische  Fasern, 
ihre  Oberfläche  ist  mit  Flimmerepithel  bedeckt;  nur  die  Vorderfläche  und 
die  Hinterfläche  des  Kehldeckels,  sowie  die  Känder  der  Stimmbänder  sind  mit 
Pflasterepithel  tiberzogen,  und  zwar  ist  dieses  an  der  Hinterfläche  dünn,  an 
der  Vorderfläche  und  an  den  Stimmbändern  aber  mächtig  und  bildet  Papillen. 

Zwischen  den  wahren  Stimmbändern  und  dem  Basaltheil  der  Giess- 
beckenknorpel  befindet  sich  eine  Spalte,  die  Stimmritze  (liima  vocalis). 
Bei  raschem  Einathmen  oder  am  Cadaver  hat  sie  die  Form  eines  gleich- 
schenkligen Dreiecks,  dessen  Spitze  nach  vorn  gerichtet  ist  und  dessen  Basis 
kreisförmig  ausgeschnitten  ist;  diese  letztere  entspricht  den  Basaltheilen  der 
Giessbeckenknorpel,  dem  Ausschnitt  in  der  Mitte  des  oberen  Ringknorpel- 
plattenrandes  und  den  Anfangstheilen  der  Vocalfortsätze.  Die  vorderen  zwei 
Drittel  der  Spalte  werden  als  tonbildender  Theil  (Pars  vocalis),  das 
hintere  Drittel  als  respiratorischer  T heil  {Pars  respiratorm)  bezeichnet; 
der  letztere  ist  beim  Neugeborenen  noch  nicht  vorhanden  und  entwickelt 
sich  hauptsächlich  in  der  Pubertätsperiode.  Die  Länge  der  Spalte  beträgt 
im  Mittel  beim  Erwachsenen  2*2  cw,  die  des  vorderen  Theils  1*4  cm,  die  des 
hinteren  0-8  cm.     In  schlaffem  Zustande  ist  sie  2- — 4  mm  breit. 

Schleimdrüsen  enthält  die  Schleimhaut  dort,  wo  sie  beweglich  mit 
dem  darunterliegenden  Gewebe  verbunden  ist.  Die  Hinterfläche  des  Kehl- 
deckels und  der  Rand  der  Stimmbänder  enthält  keine.  Die  Drüsen  auf  der 
Vorderfläche  des  Kehldeckels,  auf  den  Plicae  epiglotticae,  auf  der  Hinter- 
fläche der  Giessbeckenknorpel-Muskeln  und  auf  den  Wänden  der  Kehlkopf- 
tasche werden  ihrer  Lage  entsprechend  benannt  (Glandulae  epiglotticae,  ary- 
taenoideae  laterales,  arytaenoideae  posticae,  ventriculorum). 

Unter  der  Schleimhaut  des  Giessbeckenknorpel-Wulstes  liegt  hinter  den 
Muskeln  das  gabelförmige  Band  {Lig.  crico-corniculaium),  welches  in  der  Mitte 
des  oberen  Randes  der  Ringknorpelplatte  beginnt  und  sich  nach  oben  hin 
in  zwei  Aeste,  die  an  der  Spitze  der  hornförmigen  Knorpel  endigen,  theilt; 
die  Theilungsstelle  ist  mit  der  Schleimhaut  eng  verbunden  und  dient  der- 
selben, sowie  den  hier  befindlichen  Drüsen  zur  Stütze. 

Die  Gefässe  des  Kehlkopfes  sind  sehr  zahlreich.  Das  Blut  wird  ihm 
durch  drei  Paare  von  Arterien,  der  Arteria  laryngea  superior,  laryngea  inferior 
und  crico-thyreoidea,  zugeführt.  Von  diesen  Arterien  kommt  die  zweite  aus  der 
unteren  Schilddrüsenarterie,  einem  Ast  des  Truncus  thyreo-cervicalis  aus  der 
Arteria  subclavia,  die  beiden  anderen  aus  der  oberen  Schilddrüsenarterie, 
einem  Ast  der  Arteria  carotis  externa.  Die  obere  Schilddrüsenarterie  verläuft 
am  oberen  Rande  der  Drüse  medianwärts,  anastomosirt  in  der  Mitte  mit  der 
Arterie  der  anderen  Seite,  ebenso  wie  die  unteren  Aeste  mit  den  oberen  ana- 
stomosiren,  und  entsendet  in  ihrem  Verlauf  die  Arteria  laryngea  superior  und 
die  Arteria  crico-thyreoidea.  Die  erstere  dringt  mit  der  entsprechenden 
Vene  und  dem  Nerven  durch  die  Membrana  hyo-thyreoidea  ins  Innere  des 
Kehlkopfes  und  verzweigt  sich  hier  bis  zum  Rande  des  Stimmbandes.  Die 
Arteria  crico-thyreoidea  anastomosirt  gewöhnlich  mit  der  Arterie  der  anderen 
Seite  und  liegt  im  oberen  Theile  des  Lig.  cricothyreoideum  medium ;  aus  der 
Mitte  der  Anastomose  entspringt  ein  unpaarer  Ast,  der  durch  eine  Oefinung 
in  diesem  Bande  ins  Innere  des  Kehlkopfes  dringt,  sich  hier  in  den  Wan- 
dungen desselben  verzweigt  und  mit  der  oberen  und  unteren  Kehlkopfsarterie 
anastomosirt.    Die   aus   der   unteren  Schilddrüsenarterie   kommende   Arteria 


254  KEHLKOPF. 

laryngea  inferior  durchbohrt,  auch  uiit  der  entsprechenden  Vene  und  dem 
Nerven,  die  Membrana  crico-thyreo-arytaenoidea  und  verzweigt  sich  in  den 
Wänden  bis  zum  Bande  der  Stimmbänder.  Die  Muskeln  und  Wandungen 
des  Kehlkopfes  sind  überhaupt  sehr  reich  an  Gefässen. 

Die  Venen  entsprechen  den  Arterien  und  ergiessen  sich  in  die  Venae 
thyreoideae  superior,  inferior  et  media. 

Die  Lymphgefässe  ergiessen  sich  in  die  Glandulae  jugulares  profundae. 

Die  Nerven  des  Kehlkopfes  entstammen  dem  N.  vagus  (N.  laryngeus 
^ujjcrior  et  inferior),  einem  sympathischen  Geflechte  aus  dem  Plexus  thyreoideus 
superior  et  inferior  und  dem  N.  accessorius  (centrifugale  Fasern). 

Der  obere  K  ehlkopfsnerv  {N.  laryngeus  superior)  beginnt  mit  seinen 
centripetalen  Fasern  in  der  Schleimhaut  der  Zungenwurzel,  des  Kehldeckels, 
des  Anfangstheils  des  Kehlkopfes  bis  zum  Rande  des  Stimmbandes  und  auch 
der  Vorderwand  des  Pharynx  und  in  den  übrigen  Geweben;  dieses  Faser- 
bündel durchbohrt  die  Membrana  hyopthyreoidea  und  vereinigt  sich  dann  mit 
dem  äusseren  Aste,  der  centrifugale  Fasern  enthält,  zum  Stamme;  dieser  liegt 
hinter  der  Arteria  carotis  externa  et  interna  und  geht  bis  zum  unteren  Theil 
des  Plexus  ganglioformis  N.  vagi.  Der  äussere  Ast  endet  im  M.  crico-thyreoi- 
deus  und  gibt  Fasern  zum  M.  constrictor  pharyngis  inferior. 

Der  untere  Kehlkopfsnerv  (N.  laryngeus  inferior)  erhält  seine 
centripetalen  Fasern  von  den  Wänden  des  Kehlkopfes  unter  dem  Rande  des 
Stimmbandes;  dieses  Faserbündel  tritt  lateral wärts  von  der  Ringknorpelplatte, 
über  dem  Rande  derselben,  heraus  und  vereinigt  sich  dann  mit  den  cen- 
trifugalen  Fasern,  w^elche  alle  Muskeln,  mit  Ausnahme  des  M.  crico-thyreoideus, 
innerviren.  Der  Stamm  liegt  links  im  Sulcus  tracheo-oesophageus,  biegt  rechts 
um  die  Arteria  subclavia,  links  um  den  Arcus  aortae,  hinter  dem  der  Nerv 
gelagert  ist,  und  reicht  bis  zu  den  N.  vagus.  Durch  seine  Aeste  steht  er 
mit  dem  Plexus  cardiacus  in  Verbindung  und  innervirt  die  Speiseröhre,  die 
Luftröhre  und  den  Pharynx. 

Die  sympathischen  Geflechte  bestehen  auch  aus  centrifugalen  und  cen- 
tripetalen Fasern  und  verzweigen  sich  in  den  Wänden  der  Blut-  und  Lymph- 
gefässe. Die  oberen  Geflechte  können,  bis  zum  Plexus  caroticus,  die  unteren 
bis  zum  Plexus  subclavius  verfolgt  werden. 

Aus  dem  über  den  Kehlkopf  Gesagten  erhellt,  dass  er  schwingungs- 
fähige Membranen,  die  Stimmbänder,  welche  in  verschiedenem  Grade  gespannt 
und  einander  genähert  werden  können,  enthält;  die  Stimmbänder  werden  von 
der  aus  den  Athmungsorganen  mit  verschiedener  Kraft  ausgestossenen  Luft 
in  Schwingung  gebracht  und  diese  wird,  im  Gehörgang  aufgenommen,  vom 
Bewusstsein  als  Ton  wahrgenommen.  Die  Töne  sind  um  so  höher,  je  kürzer, 
schmäler  und  gespannter  die  Stimmbänder  sind;  die  Töne  sind  tiefer,  je 
länger,  breiter  und  schlaifer  diese  Bänder  sich  erweisen.  Am  Lebenden  sieht 
man  bei  Untersuchung  mit  dem  Laryngoskop  im  tönenden  Kehlkopf  die  mehr 
oder  weniger  geöffnete  Stimmritze  und  die  sie  begrenzenden  Stimmbänder, 
welche  sich  von  den  lateral  wärts  gelegenen  Furchen  scharf  abheben;  weiter 
nach  aussen  sieht  man  noch  eine  zweite,  weniger  scharf  ausgeprägte  Furche, 
die  Grenze  der  MM.  thyreo-arytaenoidei  interni;  ausserdem  bemerkt  man  zu 
beiden  Seiten  die  scharf  hervortretenden  Plicae  ary-epiglotticae  und  im  hin- 
teren Theile  derselben  zwei  hintereinander  liegende  Höcker,  die  stumpfen 
Spitzen  der  keilförmigen  Knorpel  und  der  Hörner. 

Beim  Aussprechen  der  Vocale  wird  der  Kehlkopf  in  verschiedener  Höhe 
tixirt  und  der  Ansatztheil  in  verschiedenem  Grade  verengert  oder  erweitert. 
Bei  U  nimmt  der  Kehlkopf  seine  tiefste  Lage  an,  ist  der  Ansatztheil  ver- 
engert, die  Zunge  gehoben,  die  Lippen  einander  genähert.  0  vermittelt  den 
Uebergang  vom  U  zum  A.  Bei  A  wird  der  Kehlkopf  in  seiner  Mittellage 
tixirt,  der  Ansatztheil    erweitert,    die   Zunge    herabgedrückt   und   die  Lippen 


KEHLKOPFCROUP.  255 

geöffnet.  In  dieser  Lage  können  alle  Theile  am  besten  untersucht  werden. 
Beim  Uebergang  von  A  durch  E  nach  1  hebt  sich  der  Kehlkopf,  wird  der 
Ansatztheil  verengert,  der  weiche  Gaumen  gespannt,  die  Zunge  gehoben  und 
die  Lippen  einander  genähert. 

Die  Consonanten  werden  auf  folgende  Weise  gebildet:  1.  man  treibt 
den  Luftstrom  durch  die  Nasenhöhle  (Liquidae)  und  verschliesst  die  Mund- 
höhle mit  den  Lippen  (M)  oder  mit  dem  Zungenrücken  (N,  L);  2.  die  auf 
verschiedene  Weise  verschlossene  Mundhöhle  wird  durch  den  exspiratorischen 
Luftstrom  an  den  Lippen  (P,  B),  an  der  Zungenspitze  (T,  D)  oder  hinten  an 
der  Zunge  (K,  G)  geöffnet  (Verschlusslaute);  3.  die  exspirirte  Luft  wird  durch 
eine  enge  Oeffnung  getrieben  (Reibungs-  oder  Zischlaute),  diese  Oeftnung 
wird  von  den  Lippen  (F,  W),  von  der  Zungenspitze  (S,  Seh)  oder  von  der 
Zunge  hinten  (Ch,  H)  gebildet. 

Der  Klang  des  vom  Kehlkopf  hervorgebrachten  Lautes  oder  Tones  hängt 
von  der  Structur  der  Stimmbänder  und  der  Knorpel  und  auch  von  der  Form 
der  Wände  des  Ansatztheiles  ab.  Starkes  Schreien  bewirkt  Verknöcherung 
der  hyalinen  Knorpel  des  Kehlkopfes,  Induration  der  elastischen  Gewebe  und 
regressive  Veränderungen  der  Muskeln,  die  durch  starke  Reizung  derselben 
hervorgerufen  werden.  p.  lesshaft. 

KehlkOpfcrOUp  (Laryngitis  ßbrinosa,  L.  pseudomemhranacea,  häutige 
Bräune).  Die  Bedeutung  des  aus  dem  .Schottischen  stammenden  Namens 
Croup  wird  verschiedenartig  hergeleitet.  Home  gab  die  Bezeichnung  für 
eine  Krankheit,  die  sich  durch  einen  mit  eigenartiger  Heiserkeit  einher- 
gehenden Husten  und  Athemnoth  charakterisirt,  und  gebrauchte  hiefür  den 
Ausdruck  „Suffocatio  stridula".  B.  Fränkel  glaubt  diesen  Ausdruck 
gegenwärtig  am  richtigsten  mit  „acute  Larynxstenose"  ersetzen  zu 
können.  Nach  Mackenzie  stammt  das  Wort  Croup  von  croiving  (krähendes 
Athmen)  her,  da  doch  die  Krankheit  gewöhnlich  damit  einhergeht.  Anderer- 
seits ist  zu  beachten,  dass  das  schottische  Roup  Heiserkeit  bedeutet. 
Nach  Mackenzie  dürfte  das  Wort  eine  Zusammenziehung  des  Halses 
bezeichnen,  da  „Crup"  gleichbedeutend  mit  Zusammenziehung  ist.  Nach 
anderen  Autoren  soll  die  Benennung  Croup  den  sogenannten  „Pips"  der 
Hühner  bezeichnen.  Home  hat  dem  rein  klinischen  Begriffe  der  Suffocatio 
stridula  auch  pathologisch-anatomische  Bedeutung  beigelegt.  Da  sowohl  für 
die  durch  acute  katarrhalische  Schwellungen,  als  durch  fibrinöse  Exsudationen 
hervorgebrachten  Kehlkopferscheinungen  die  Croupbezeichnung  gebraucht 
wurde,  so  ist  mit  der  Definition  des  Croupbegriffes  viel  Verwirrendes  ge- 
schaffen worden.  B.  Feänkel  meint  deshalb,  dass  unter  Croup  eine  Larynx- 
stenose zu  verstehen  sei,  wo  die  fibrinöse  Exsudation  entweder  auf  der  freien 
Oberfläche  der  Schleimhaut  oder  in  dem  Gewebe  derselben  stattfindet.  Gott- 
stein legt  auch  bei  der  Definition  des  Croup  auf  die  fibrinöse  Ausscheidung 
das  Hauptgewicht  und  hält  deswegen  die  Bezeichnung  Laryngitis  pseudomem- 
branacea  für  die  geeignetste,  umso  mehr,  als  die  sowohl  ätiologisch  als 
anatomisch  verwandten  Processe  in  ihren  localen  Erscheinungen  schwer  von- 
einander zu  trennen  sind.  Trotzdem  der  mit  der  Benennung  des  Pseudo- 
croup bezeichnete  Symptomencomplex  gegenwärtig  gänzlich  getrennt  vom 
Croup  erscheint  und  die  letztere  Benennung  nur  für  die  mit  Membranbildung 
einhergehenden  Zustände  gebräuchlich  ist,  so  sehen  wdr  doch  oft  die  Be- 
nennung für  solche  Krankheitsprocesse  verwendet,  wo  die  Laryngitis  fibrinosa 
nicht  durch  diphtheritische  Infection  entstanden  ist.  Deshalb  muss  unbedingt 
Escherich  beigestimmt  werden,  der  in  dem  Artikel  Croup  (pag.  275  der  „In- 
ternen Median'^  dieses  Werkes)  auf  die  Verwirrung  des  Croupbegriffes  aufmerksam 
macht,  die  dadurch  geschaffen  wurde,  dass  die  der  Schleimhautoberfläche  nur  locker 
anhaftenden  fibrinösen  Membranen  als  Croup  der  Schleimhaut  benannt  und  als 


256  KEHLKOPFCROUP. 

sogenannte  croupöse  Entzündung  der  diphtheritischen  Veränderung  der  Schleim- 
haut gegenüber  gestellt  wurden,  bei  welcher  die  Exsudation  in  das  Gewebe 
der  Schleimhaut  selbst  erfolgt.  Indem  ich  auf  die  diesbezüglichen  Erörte- 
rungen Eschekich's  verweise,  wiederhole  ich  nur  in  Kürze,  dass  Escheeich, 
wie  es  auch  eben  dem  Wesen  und  der  Natur  des  Krankheitsprocesses  ent- 
spricht, räth,  das  Wort  „croupös"  im  anatomischen  Sinne  fallen  zu  lassen 
und  durch  „fibrinös"  zu  ersetzen.  Die  Benennung  Croup  wäre  auf  jenes 
Krankheitsbild  anzuwenden,  wo  der  Process  im  Kehlkopf  durch  die  Bil- 
dung membranöser  Auflagerungen  entstanden  ist.  Ob  dieser  Process  aber 
diphtheritischer  oder  nicht  diphtheritischer  Natur  ist,  kann  gegenwärtig  bac- 
teriologisch  ganz  leicht  und  mit  Sicherheit  erwiesen  werden. 

Aetiologie.  Trotzdem  das  Verhältnis  der  Diphtheritis  zum  Kehlkopf- 
croup  nicht  ganz  erwiesen  dasteht,  kann  es  schon  vom  klinischen  Standpunkte 
nicht  übersehen  werden,  dass  die  diphtheritische  Erkrankung  der  Rachengebilde 
in  der  Aetiologie  des  Kehlkopfcroup  eine  maassgebende  Rolle  spielt.  Die 
Erfolge  der  bacteriologischen  und  experimentellen  Untersuchungen  sind  unbe- 
dingt dazu  berufen,  die  Klärung  in  dieser  Frage  herbeizuführen.  Die  Resul- 
tate der  Untersuchungen  Concetti's,  wonach  er  unter  16  Fällen  von  primärem 
Larynxcroup  in  14  den  Diphtheriebacillus  Löfflek  fand,  sprechen  doch 
gewiss  für  die  ätiologische  Zusammengehörigkeit  des  Croup  und  der  Diph- 
theritis. E.  Fränkel  konnte  in  4  Fällen  von  Kehlkopfcroup,  w^o  die  Rachen- 
gebilde ganz  intact  waren,  in  den  Pseudomembranen  den  KLEBS-LöFFLER'schen 
Bacillus  nachweisen.  Ausser  Obgenannten  lieferten  noch  Andere  Daten 
(d'EspiNE  und  Maeignac,  Tangl,  Brieger),  die  alle  dafür  sprechen,  dass  der 
Croup  seine  Entstehung  dem  KLEBS-LöFFLER'schen  Bacillus  verdankt,  trotz- 
dem die  Existenz  eines  nicht  infectiösen,  rein  entzündlichen,  und  zwar  durch 
thermische,  chemische  und  traumatische  Reize  hervorgebrachten  Croups  nicht 
in  Abrede  gestellt  werden  kann.  (Beobachtung  Palloni's  nach  Einathmung 
von  Chlordämpfen,  Reimer's  nach  Verschlucken  von  diluirter  Schwefelsäure.) 

Weigert  hat  experimentell  bei  Thieren  durch  Aetzungen  mit  Kali  causticum  eine 
Laryngitis  crouposa  erzeugen  können.  Heubner  hat  durch  mechanische  Einwirkung  einen 
sogenannten  nicht  infectiösen  Croup  hervorrufen  können,  was  zur  Annahme  der  Existenz 
eines  nicht  diphtheritischen,  fibrinösen  Croup  Veranlassung  gab. 

Nach  Baumgarten  ist  es  erwiesen,  dass  die  Aetiologie  der  Laryngo- 
tracheitis librinosa  keine  einheitliche  ist.  „Gleichwohl  ist  es  anzunehmen, 
dass  jene  typische  Form  der  fibrinösen  Laryngotracheitis,  wie  wir  sie  in  den 
ausgesprochenen  Fällen  von  Croup  vorfinden,  sich  als  etwas  so  Eigenartiges 
aus  dem  Kreise  der  übrigen  Formen  hervorhebt,  dass  man  eine  besondere 
specifische  Ursache  für  dieselbe  anzunehmen  berechtigt  ist." 

Man  muss  unstreitig  die  Rachen-Diphtherie  als  das  wichtigste  Moment 
in  der  Entstehung  des  Croup  betrachten.  Wir  würden  Unrecht  thun,  wenn 
wir  der  geschichtlichen  Wahrheit  entsprechend  unerwähnt  Hessen,  dass 
Bretonneau  die  Palme  gebührt  (Des  inflammations  speciales  1826),  die  enge 
Verwandtschaft  des  Croup  und  der  Diphtheritis  gekennzeichnet  zu  haben,  in- 
dem er  den  Nachweis  zu  liefern  bemüht  war,  dass  die  häutige  Laryngo- 
tracheitis eigentlich  ein  Symptom,  id  est  Localerscheinung  der  Diphtheritis 
abgibt. 

Es  ist  allgemein  bekannt,  dass  der  Croup  vorwiegend  eine  Krankheit  des 
Kindesalters  ist,  und  zwar  werden  Kinder  meistens  zwischen  dem  zw^eiten  und 
siebenten  Lebensjahre  davon  befallen.  Säuglinge  und  Greise  erkranken  daran 
höchst  selten.  Trotzdem  der  Croup  zu  allen  Jahreszeiten  auftritt,  so  sind 
nach  Hirsch  besonders  die  kalten,  feuchten  Winde  für  die  Krankheit  prä- 
disponirend.  Veränderliche  Witterung  und  jeder  Temperaturwechsel  scheinen 
das  Aultreten  des  Croup  auch  zu  begünstigen  (scheinbar  die  wenigsten  Fälle 
sind  von  Mai  bis  September  zu  beobachten).    Das  männliche  Geschlecht  wird 


KEHLKOPFCROUP.  257 

öfter  davon  betroffen.  Die  Erfahrung  lehrt,  dass  die  Disposition  'für  die. 
Krankheit  bei  schwächlichen,  kränklichen  Individuen  nicht  grösser  ist,  als 
bei  kräftigen  und  gutgenäbrten.  Von  erblicher  Anlage  kann  wohl  dem  Vorher- 
gesagten entsprechend  nicht  die  Rede  sein;  doch  ist  es  auffallend,  dass  ein- 
zelne Familien  von  Croup  öfters  heimgesucht  werden.  Es  wird  die  Ursache 
Avahrscheinlich  in  der  von  furchtsamen  Eltern  angewandten  Verwöhnungs- 
und Verzärtelungstheorie  liegen,  weshalb  bei  solchen  Kindern  schon  bei 
leichtem  Temperaturwechsel  entzündlich-katarrhalische  Veränderungen  an  der 
Schleimhaut  entstehen,  wodurch  die  Empfänglichkeit  für  die  Aufnahme  des 
specifischen  Krankheitserregers  erhöht  und  begünstigt  wird.  Die  oft  genug 
von  Laien  erwähnte  mehrmalige  Wiederholung  des  Croupanfalles  beruht 
gewiss  auf  Irrthum,  da  die  Disposition  nach  einmaliger  Erkrankung  abge- 
schwächt scheint  und  die  öfter  sich  wiederholenden  Anfälle  eigentlich  für  den 
Pseudocroup  charakteristisch  sind. 

Der  Croup  kommt  sowohl  endemisch  als  epidemisch  vor.  Der  Ent- 
wicklung nach  bezeichnet  man  als  absteigenden  Croup  denjenigen,  bei 
welchem  die  Krankheit  im  Eachen  beginnt  und  die  Membranbildung  sich 
nach  abwärts  auf  den  Larynx,  Trachea,  in  seltenen  Fällen  auf  die  Bronchien 
verbreitet.  Der  aufsteigende  Croup  hingegen  manifestirt  sich  dadurch,  dass 
schon  viel  früher  Pseudomembranen  und  röhrenförmige  Gebilde  ausgehustet 
werden,  als  die  Symptome  im  Kehlkopf  und  Eachen  erscheinen;  der  Process 
also  in  den  untern  Partien  des  Respirationstractes  beginnend,  iindet  seinen 
Abschluss  im  Rachenraum.  Wahrscheinlich  weil  letztere  Form  seltener  vor- 
kommt und  schwieriger  zu  diagnosticiren  ist,  wurde  sie  vielerseits  bezweifelt, 
trotzdem  in  der  Literatur  zweifellos  dastehende  Fälle  verzeichnet  sind. 
(JuEiNE,  Salomon,  Steiner,  Escherich  u.  a.) 

Ich  selbst  habe  vor  mehreren  Jahren  als  Assistent  an  der  Professor  v.  KoRÄNYi'schen 
Klinik  einen  exquisiten  Fall  von  aufsteigendem  Croup  bei  einem  neunzehnjährigen  Mädchen 
beobachten  können,  wo  im  Beginne  der  Erkrankung  weder  im  Kehlkopf,  noch  im  Rachen 
Veränderungen  zu  finden  waren  und  erst  später  laryngoskopisch  der  Kehlkopfcroup 
diagnosticirt  werden  konnte.  Die  Autopsie  erwies  eine  ausgebreitete  fibrinöse  Bronchitis, 
Tracheitis  und  Laryngitis,  ohne  dass  im  Rachen  die  mindeste  Veränderung  vorhanden 
gewesen  wäre. 

Da  Professor  Escheeich  den  Croup  bei  Kindern  in  pathologisch-anato- 
mischer und  klinischer  Beziehung  in  diesem  Werke  (Interne  Mediciii,  ^:>a^. 
275)  schon  ausführlich  besprochen  hat,  verweise  ich  auf  diesen  Artikel. 

Hier  soll  die  Laryngitis  fibrinosa  mit  Berücksichtigung  der  Erwachsenen 
vom  specialistischen  (laryngologischen)  Standpunkte  erörtert  werden. 

Symptomatologie  und  Verlauf.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  pflegt  als 
Anfangssymptom  die  katarrhalische  Erscheinung  nicht  zu  fehlen.  Es  ist 
Mattigkeit,  Appetitlosigkeit,  leichtes  Frösteln  vorhanden,  später  auch  Heiser- 
keit. Hiezu  gesellen  sich  dann  Schlingbeschwerden,  Brennen  und  Kitzeln  im 
Halse.  Zu  dieser  Zeit  ist  selten  mehr  als  Röthe  der  Schleimhaut  und 
Schwellung  der  Tonsillen  sichtbar,  manchmal  jedoch  sind  schon  jetzt  grau- 
weisse  Flecke  am  weichen  Gaumen,  Uvula  etc.  zu  bemerken.  Durch  Verbrei- 
tung der  Flecke  entstehen  grössere  Plaques,  welche  die  verschiedenen  Theile 
der  Rachengebilde  bedecken.  Häufig  ist  um  diese  Zeit  ein  trockener,  bellender, 
heiserer  Husten  hörbar,  der  aber  eigentlich  für  Croup  nicht  absolut  charak- 
teristisch ist,  da  gerade  beim  Pseudocroup  dieser  sogenannte  „Crouphusten" 
ständig  ist.  Es  muss  bemerkt  werden,  dass  dieser  Husten  beim  Croup  sehr 
bald  tonlosen  Hustenstössen  Platz  macht. 

Zu  diesen,  durch  Rauchfuss  gekennzeichneten  Initialsymptomen  gesellen 
sich  schon  Erscheinungen  von  Seite  des  Kehlkopfes.  Die  laryngoskopische 
Untersuchung  ergibt  nebst  auffallender  Schw^ellung  und  Röthe  der  Schleim- 
haut Exsudation  in  Form  von  reifähnlichen  Auflagerungen.  Dieses  Stadium, 
zuweilen  mit  höherem  Fieber   einhergehend,  kann   auch   bis  zu  zehn  Tagen 

Ohren-,  Nasen-,  Kachen-,  Kehlkopf krankheiten.  17 


258  KEHLKOPFCROÜP. 

anhalten;  die  gewöhnliche  Dauer  beträgt  drei  bis  vier  Tage.    Es  gibt  jedoch 
Fälle,   wo   schon  nach  mehreren  Stunden  die  das  zweite  Stadium  charakteri- 
sirende  Larynxstenose  eintritt.    Langgedehnte,  erschwerte  In-  und  Exspiration, 
klangloser,  heiserer  Husten  wechseln  ab,  bis  durch  Fortschreiten  des  Processes 
in  kleineren  oder  grösseren  Pausen  Erstickungsanfälle  auftreten.     Die  Respi- 
ration wird    mit   der   grössten  Anstrengung    und   bei   Inanspruchnahme    der 
gesammten  Hilfsmusculatur  ausgeführt,   die  Wirbelsäule   gestreckt,   der   Kopf 
nach  rückwärts  geworfen,  die  Schulterblätter  und  Flippen  gehoben,  also  alles 
aufgeboten,  um  die  Erweiterung  des  Thorax  zu  bewerkstelligen.    Die  Inspira- 
tion ist  meist  von  weithin  vernehmbarem  Stridor  begleitet,   der  sich   sägend 
und  pfeifend  anhört,  während  die  Exspiration  mehr  blasenden  Charakters  ist. 
Da  durch  ungenügenden  Luftzutritt  der  Luftdruck  im  Innern  des  Thorax  ver- 
mindert ist,  sinken  die  nachgiebigen  Thoraxpartien,  wie  Supraclavicular-Jugu- 
largegend,  Proc.  xyphoideus,  bei  der  Inspiration  ein.     Das  bei  jeder  Inspira- 
tion beobachtete  tiefe  Herabsteigen  des  Kehlkopfes  muss  auch  als  Aspirations- 
erscheinung  betrachtet   werden.     Wie    schon  oben  erwähnt,  steigert  sich  die 
Stenose  bis  zu  Stickanfällen,  welche  nur  einige  Minuten   oder  auch,   wiewohl 
selten,  länger  anhalten  können.     Für  das  Erscheinen   des   charakteristischen 
Stenosensymptomes    gibt   es   verschiedene   Erklärungen.     Schlautmann    und 
Niemeter  glauben,  dass  die  Croup-Dyspnoe,  abgesehen  von  der  Verengerung, 
die  die  Glottis  durch  Schwellung   und  Auflagerungen  von  Pseudomembranen 
erleidet,    eigentlich   von    einer   durch   seröse   Durchfeuchtung   der  Kehlkopf- 
muskeln  hervorgebrachten  Lähmung  der  Abductoren  bedingt  ist.    Budnicky 
erklärt  die  Croup-Dyspnoe  als    Coordinationsstörung   der   Athembewegungen. 
Die  Untersuchungen   von  PiAuchfuss,    Pienazek   u.  a.    bestätigen,    dass    die 
Behinderung  der  Abductionsbewegung  der  Stimmbänder  Veranlassung  zu  dieser 
Erscheinung  gibt.    Man  hat  auch  (Billard)  zur  Erklärung  einen  Krampf  der 
Glottisschliesser  angenommen.     Zweifellos  müssen  als  das  wichtigste  Moment 
die  mechanischen  Ursachen  genommen  werden,  wodurch  die  Verengerung  des 
Kehlkopfes  entsteht,  als  da  sind:  Schwellung  und  Lockerung  der  Schleimhaut, 
Bildung  von  Pseudomembranen  und  anhaftende  schleimig-eitrige  Secrete.    Die 
laryngoskopische  Untersuchung  zeigt  in  diesem  Stadium  charakteristische,  reif- 
ähnliche Auflagerungen,    welche  theils  zerstreute  Plaques,    theils    zusammen- 
hängende Membranen  bilden.    An   den  Stimmbändern  haften  die  Membranen 
th eilweise  fest  an,  oder  man    sieht   losgelöste  Fetzen,    welche    sogar   in    die 
Trachea  hineinhängen.    Die  Membranen  bedecken  oft  das  ganze  Larynxinnere, 
so  dass  man  überhaupt  keine  freie   Schleimhaut  sieht.     Nicht  selten  ist  die 
Laryngealfläche  der  Epiglottis  ganz  überzogen.     Weiters  ist  es  das  reichlich 
abgesonderte,  zähe,  schleimig-eitrige  Secret,  welches  noch  mehr  zur  Verenge- 
rung der  Glottis  beiträgt.    Als  Zeichen  der  gehemmten  Abduction  der  Stimm- 
bänder   sieht  man  trotz   tiefer  Inspiration    selbe    der  Medianlinie   genähert. 
Die  Glottis  bildet    oft  einen  ganz    engen  Spalt.     In    diesem  Stadium,    dessen 
Dauer  zwischen  1^ — 7  Tagen  schwankt,  können  Remissionen  beobachtet  werden. 
Die  Stickanfälle  sistiren  auf  einige  Zeit,  und  es  scheint,    als  ob    die  Stenose 
sogar    zurückgienge,  da   gewöhnlich    diesem    Zustande   das   Aushusten    einer 
grösseren  Membran  vorausgegangen  ist.     Doch    sind  das  seltene  Fälle,    denn 
diese  scheinbare  Besserung  macht  rasch  einem  neuen  Anfall  Platz,  der  dann 
den  schon  geschwächten  Organismus  um  so  mehr  bedroht. 

Die  ausgehusteten  Membranen  sind  ihren  Ursprungstellen  entsprechend 
entweder  verschieden  dicke  und    grosse  Fetzen    oder   röhrenförmige  Gebilde. 

Wenn  die  Dyspnoe  fortdauert,  so  beobachten  wir  rasche  und  oberfläch- 
liche Athmung,  sowie  Herzschwäche.  Es  treten  die  Symptome  der  Kohlen- 
säurevergiftung ein,  die  das  dritte  und  letzte,  sogenannte  „asphyktische" 
Stadium  der  Erkrankung  bilden.  Die  Cyanose  wird  intensiver,  der  Puls 
klein,  frequent  und  aussetzend,   Convulsionen  und  Contracturen  der  Extremi- 


KEHLKOPFCROUP.  259 

täten  treten  auf.  Die  Haut  wird  kühl  und  unempfindlich,  das  Bewusstsein 
schwindet  und  der  Tod  tritt  durch  Erschöpfung  ein,  abgesehen  von  den  nicht 
seltenen  Fällen,  wo  er  durch  Erstickung  herbeigeführt  wird. 

Wie  schon  oben  erwähnt,  gibt  es  leichtere  Fälle,  insbesondere  bei 
Erwachsenen,  wo  in  dem  zweiten  Stadium  Rückbildung  der  Erkrankung  beob- 
achtet wird. 

Die  Dauer  des  dritten  Stadiums  variirt  gewöhnlich  zwischen  wenigen 
Stunden,  selten  Tagen.  Es  muss  betont  werden,  dass  frühzeitiger  operativer 
Eingriff  (Tracheotomie,  Intubation)  den  Verlauf  günstig  zu  beeinflussen  im 
Stande  ist  (siehe  Therapie).  Die  bei  Croup  zur  Beobachtung  kommenden 
Fieberbewegungen  betreffend,  kann  soviel  erwähnt  werden,  dass  oft  die  Tem- 
peratur während  der  ganzen  Dauer  der  Krankheit  kaum  über  38*5 "^  C  sich 
erhebt,  in  anderen  Fällen  wieder  sind  excessive  Temperaturen  (40— 41''C) 
zu  beobachten.  Wenn  keine  Complicationen  entstehen,  erreicht  die  Tempe- 
ratur im  zweiten  und  Anfang  des  dritten  Stadiums  ihr  Maximum. 

Als  Begleiterscheinungen  wären  die  Anschwellungen  der  Submaxillar- 
drüsen  zu  erwähnen,  ferner  Albuminurie,  Milztumor,  die  jedoch  bei  leichteren 
Fällen  gänzlich  fehlen  können.  Je  jünger  das  Individuum,  desto  rapider  ist 
der  Verlauf,  denn  wir  sehen,  dass  bei  Erwachsenen  der  Process  sich  protra- 
hirender  abspielt.  Weiters  ist  den  leichteren  Verlauf  des  Croup  bei  Erwach- 
senen betreffend  sowohl  die  Widerstandskraft  des  Kehlkopfskelettes,  als  auch 
die  Weite  des  Kehlkopfraumes  in  Rechnung  zu   ziehen. 

Die  Durchschnittsdauer  des  gesammten  Krankheitsprocesses  beträgt  7 — 8 
Tage. 

Complicationen  von  Seite  der  Lunge  und  Bronchien  üben  einen 
ungünstigen  Einfluss  aus,  das  Weiterschreiten  des  Processes  auf  die  Trachea 
ist  so  häufig,  dass  das  nicht  als  eigentliche  Complication  des  Kehlkopfcroup 
betrachtet  werden  kann.  Als  Complication  in  allererster  Reihe  ist  der  nach 
den  Bronchien  absteigende  Croup  zu  nennen,  indem  sich  die  Erkrankung 
nicht  selten  bis  in  die  feinsten  Verzw^eigungen  der  Bronchien  erstreckt. 
Steinee  und  v.  Ziemssen  halten  es  geradezu  für  unmöglich,  den  Bronchial- 
croup  auf  der  Höhe  der  Laryngitis  fibrinosa  mit  Sicherheit  zu  diagnosticiren. 
Das  stark  sägende  und  pfeifende  Kehlkopfgeräusch  lässt  nämlich  das  Respi- 
rationsgeräusch in  den  Lungen  kaum  wahrnehmen. 

Im  Falle  einer  ausgeführten  Tracheotomie  ändern  sich  die  Verhältnisse, 
und  man  kann  dann,  wenn  schweres  und  schnelles  Athmen  vorhanden  ist 
und  die  Auscultation  ausser  Rasselgeräuschen  schwach  vesiculäres  oder  inde- 
terminirtes  Athmen  nachweist,  auf  das  Uebergreifen  der  Erkrankung  auf  die 
Bronchien  schliessen.  Ein  sicheres  Zeichen  des  Bronchialcroups  sind  unbe- 
dingt röhrenförmige  Pseudomembranen,  die  ausgehustet  werden.  Escherich 
(„Interne  Medicin"  pag.  281  dieses  Werkes)  erwähnt,  dass  man  oft  bei 
jungen  Kindern  an  Stelle  des  absteigenden  Croup  eine  diffuse  katarrhalische 
Bronchitis  und  Bronchiolitis  findet.  Er  sagt:  „In  Begleitung  und  im  Gefolge 
der  Complicationen  stellt  sich  fast  regelmässig  eine  mehr  oder  weniger  aus- 
gebreitete Katarrhalpneunionie  ein,  welche  durch  Aspiration  des  Bronchial- 
secretes  hervorgerufen  wird,  und  je  nach  der  Art  der  darin  enthaltenen 
Infectionserreger  die  lobuläre  (Streptococcen)  oder  die  pseudolobäre  (Pneumo- 
coccen)  Form  annimmt."  Nach  Steiner  und  v.  Ziemssen  complicirt  die 
Pneumonie  den  Croup  viel  seltener,  als  man  annimmt,  und  tritt  selbe  meist 
als  lobuläre,  seltener  als  lobäre  auf.  Es  muss  bemerkt  werden,  dass  die 
physikalischen  Zeichen  nur  dann  Sicherheit  gewähren,  wenn  sie  nicht  niu' 
während  der  stürmischen  Larynxerscheinungen  bestehen,  sondern  wenn  sie 
noch  nach  der  ausgeführten  Tracheotomie  zu  beobachten  sind.  Die  Pneumonie 
gibt  als  Complication  eine  ungünstige  Prognose  ab.  Die  durch  den  Larynx- 
croup  bedingte  Dyspnoe  bringt  Lungenblähung  hervor,   deren  Grad  mit  der 

17* 


260  KEHLKOPFCROÜP. 

Dauer  des  Krankheitsprocesses  im  Zusammenhange  steht.  (Das  interstitielle 
und  mediastinale  Emphysem  gehört  zu  den  seltenen  Erscheinungen.) 

Als  Nachkrankheiten  können,  wie  eben  der  diphtheritischen  Infection 
entsprechend,  Lähmungserscheinungen  beobachtet  werden.  Es  können  sich 
partielle  oder  vollkommene  Lähmungen  ausbilden.  Trotzdem  in  den  meisten 
Fällen  der  Grad  der  Ausbreitung  der  Lähmung  von  der  Intensität  der  Krank- 
heit abhängt,  so  sehen  Avir  oft  genug,  bei  sozusagen  abortiven  Fällen,  die 
Symptome  der  Paralysis  postdiphtheritica.  Durch  die  Lähmung  der  Gaumen- 
bögen wird  die  Sprache  nasal  und  die  Flüssigkeiten  regurgitiren  durch  die 
Nase.  Durch  Lähmung  der  Abductoren  kann  Larynxstenose  entstehen,  ebenso 
kann  Paralyse  der  Constrictoren  beobachtet  werden,  wodurch  die  so  entstandene 
Dysphagia  paralytica  oft  die  künstliche  Ernährung  erheischt.  Ausser  den 
Motilitätsstörungen  kann  durch  Lähmung  des  N.  laryngeus  super,  partielle 
oder  vollkommene  Anästhesie  der  Kehlkopfschleimhaut  sicli  ausbilden. 
(v.  ZiEMSSEN,  Escherich.) 

Johann  B(5kai  erwähnt,  dass  in  seltenen  Fällen  sowohl  bei  Larynxcroup, 
wie  auch  bei  Pachendiphtherie  an  der  vorderen  Partie  der  Larynx  Drüsen- 
vereiterungen und  phlegmonöse  Entzündungen  entstehen.  Da  er  diese  Compli- 
cation  einigemal  bei  intubirten  Fällen  gefunden,  wo  im  Larynx  Decubitus- 
geschwüre  aufgetreten  waren,  so  scheinen  seiner  Meinung  nach  diese  Ent- 
zündungen mit  den  genannten  Larynxgeschwüren  in  directer  Verbindung 
zu  sein. 

Mit  einigen  Worten  soll  noch  des  secundären  Croup  gedacht  werden, 
der  im  Gefolge  verschiedener  acuter  und  chronischer  Krankheiten  ent- 
steht. (Infectionskrankheiten,  allgemeine  constitutionelle  Erkrankungen,  pyä- 
mische  Processe  etc.)  Seine  Verlaufsart  ist  gewöhnlich  eine  mildere.  Dies 
gilt  eigentlich  für  sein  Auftreten  bei  Erwachsenen,  denn  bei  Kindern  sehen 
wir,  dass  der  secundäre  Croup   oftmals   ebenso  bösartig  ist  wie  der  primäre. 

Diagnose.  Die  Diagnose  des  Larynxcroup  bereitet  keine  Schwierigkeit, 
wenn  die  Erkrankung  mit  ihren  charakteristischen  und  cardinalen  Symptomen 
einsetzt,  als  da  sind,  plötzlich  auftretende  Heiserkeit  und  Tonlosigkeit,  sodann 
Larynxstenose  mit  Dyspnoe  und  Stickanfällen,  Fieberbewegungen  und  ent- 
weder der  laryngoskopische  Befund  den  Nachweis  von  Membranen  liefert 
oder  aber  solche  ausgehustet  werden.  Es  kann  nicht  genug  betont  w^erden, 
dass  die  laryngoskopische  Untersuchung  nie  unterlassen  werde,  denn  nur 
durch  dieselbe  ist  mit  Sicherheit  die  Diagnose  schon  frühzeitig  zu  stellen, 
also  schon  zu  einem  Zeitpunkt,  wenn  erst  reifähnliche  Auflagerungen,  aber 
noch  keine  ausgebreiteten  MemlDranbildungen  vorhanden  sind.  Um  so  eher, 
als  die  Erfahrung  zeigt,  dass  man  schon  ganz  junge  Kinder  laryngoskopiren 
kann,  nicht  zu  reden  also  von  grösseren  Kindern  und  Erwachsenen,  bei  denen 
die  Unterlassung  dieser  Untersuchungsmethode  einen  Missgriff  bedeutet. 
Nur  so  kann  man  sich  vor  Täuschungen  bewahren,  da  z.  B.  das  Symptom 
dei  Larynxstenose  seine  Ursache  in  Oedema  glottidis,  Wirbelcaries,  Retro- 
pharyngealabscess  etc.  haben  kann.  Besonders  aber  ist  es  der  sogenannte 
Pseudocroup,  der  das  Bild  eines  beginnenden  echten  Croups  vortäuschen  kann. 

Das  gewichtigste  und  für  die  Differentialdiagnose  bestimmende  Moment 
ist,  dass  der  Pseudocroup  ganz  unerwartet  während  des  Schlafes  mit  dem 
stenotischen  Anfall  einsetzt,  bei  wohl  von  bellendem  Husten  begleiteter, 
heiserer,  aber  nicht  aphonischer  Stimme.  Selbstverständlich  ist  die  bacteriolo- 
gische  und  eventuell  histologische  Untersuchung  womöglich  in  jedem  Falle 
zu  machen. 

Die  zu  beobachtenden  prophylaktischen  Maassregeln  können  in 
kurzen  Zügen  gegeben  werden;  da  gegenwärtig  der  Diphtheriebacillus  als 
specifischer  Krankheitserreger  erkannt  ist,  muss  selbstverständlich  alles,  was 
mit  den  Bacillen  behaftet  sein  könnte,  unschädlich  gemacht  werden.    Schon 


KEHLKOPFCROUP.  261 

im  Beginne  der  Krankheit  muss  der  Kranke  isolirt  werden,  alle  üljerflüssigen 
Gegenstände,  Möbelstücke,  Teppiche,  Wäsche  sollen  entfernt  werden,  das 
Wartepersonal  muss  sich  jeder  Berührung  mit  den  Gesunden  enthalten  und 
für  sich  selbst  die  grösste  Vorsicht  beobachten,  die  vor  allen  Dingen  darin 
zu  bestehen  hat,  sich  nach  jedesmaliger  Berülirung  mit  dem  Kranken  die 
Hände  zu  reinigen.  Besondere  Beachtung  erheischen  die  Membranen  und  der 
Auswurf  des  Kranken,  die  auf  das    sorgfältigste  desinficirt  werden  müssen. 

Nach  Ablauf  der  Krankheit  sollen  die  in  Gebrauch  genommenen  Gegen- 
stände einer  energischen  Desinfection  unterzogen  werden,  die  Wände  des 
Krankenzimmers  frisch  getüncht,  der  Fussboden  mit  einem  Desinfectionsmittel 
aufgewaschen  werden. 

Therapie.  Es  gibt  kaum  eine  Erkrankung,  zu  deren  Bekämpfung  so 
vieles  versucht  und  empfohlen  wurde,  als  es  für  die  Diphtheritis  geschieht. 
Bis  vor  einigen  Jahren  waren  wir  überhaupt  nicht  im  Besitze  eines  solchen 
Mittels,  mit  dessen  Hilfe  die  günstige  Beeinflussung  dieses  Krankheitsprocesses 
bestimmt  zu  erhofl"en  gewesen  wäre.  Seit  dem  Jahre  1894  jedoch,  seitdem 
das  von  Behring  empfohlene  Blutserum  bei  Croup-Diphtheritis  allgemein  an- 
gewendet wird,  stehen  wir  nicht  ohnmächtig  dieser  furchtbaren  Krankheit 
gegenüber  wie  bisher.  Wenn  auch  nicht  geradezu  mit  apodiktischer  Gewiss- 
heit behauptet  werden  kann,  dass  das  Serum  ein  unfehlbares  und  immer 
sicher  wirkendes  Mittel  ist,  so  ist  es  doch  zweifellos,  dass  wir  in  dem  Se- 
rum ein  Specificum  gegen  diese  Krankheit  besitzen,  welches  den 
Krankheitsprocess  immer  und  zwar  grösstentheils  günstig  beeinflusst. 

Den  heutigen  Stand  der  Seruratherapie  betreffend  gilt  es  als  Princip, 
in  jedem  Falle  von  Larynxcroup,  unter  allen  Umständen,  unbedingt  Serum 
anzuwenden.  Dieses  muss  als  Axiom  in  der  Therapie  des  Larynxcroup  auf- 
gestellt werden.  Die  Hauptfrage,  ob  das  Serum  überhaupt  in  Anwendung 
gebracht  werden  soll,  ist  heutzutage  schon  entschieden,  strittig  können  nur 
einige  Detailfragen  sein,  die  Art  seiner  Wirkung,  eventuell  die  schädlichen 
Nebenwirkungen  betreffend. 

Bevor  das  Serum  in  seiner  klinischen  Anwendung  und  Wirkung  — 
wenn  auch  nur  in  Kürze  —  besprochen  wird,  sollen  all  jene  therapeutischen 
Verfahren,  welche  in  Croupfällen  ausser  dem  Serum  noch  in  Anbetracht 
kommen  können,  Erwähnung  finden. 

Gegen  die  Entzündungserscheinungen  sind  Blutentziehung  und  Kälte  (Eis- 
umschläge und  Eispillen)  gebraucht  worden.  Da  wir  jedoch  wissen,  dass  es  sich 
hier  nicht  um  einen  einfachen  entzündlichen,  sondern  um  einen  specifischen  Process 
handelt,  so  ist  dieses  Verfahren  zwecklos.  Die  Anwendung  der  Kälte  in  Form 
von  Eisumschlägen  hat  ihre  Berechtigung,  wenn  in  der  Nachbarschaft  erhebliche 
Lymphdrüsenanschwellungen  sich  zeigen.  Viel  grössere  Wichtigkeit  müssen 
wir  dem  Symptom  der  Larynxstenose  beimessen,  das  eines  raschen  Eingriffes 
bedarf.  Da  werden  unzählige  Mittel  in  Anwendung  gebracht.  Vorerst  müssen 
die  Membranen  entfernt  werden,  was  durch  Auflockerung  derselben  geschieht, 
also  durch  x^nfeuchtung  in  Form  von  systematischen  Inhalationen  warmer 
Dämpfe.  Gottstein  hat  im  Jahre  1869  bei  grösseren  Kindern  und  Erwach- 
senen Einspritzungen  von  Aqua  calcis  unter  Leitung  des  Spiegels  mit  der 
STOEEK'schen  Spritze  gemacht  und  laryngoskopisch  die  Ablösung  der  Pseudo- 
membranen nachweisen  können;  doch  hat  die  Methode  ihrer  Ausführung  keine 
Nachahmung  gefunden.  Gottstein  empfiehlt,  die  Einspritzungen  mehrmals 
des  Tages  zu  machen.  Mackenzie  entfernte  die  Membranen  mit  einem  direct 
hiezu  angefertigten  Pinsel.  In  leichteren  Fällen  sind  Expectorantien  von 
Erfolg  und  sogar  ein  Brechmittel.  Selbstverständlich  darf  mit  letzterem  nicht 
übertrieben  werden,  da  es  dann  statt  die  gewünschte  Wirkung  hervorzubringen 
eher  zu  unangenehmen  Complicationen  Anlass  geben  kann.  Bei  Erwachsenen 
ist  die  Anwendung  der   auf  die  Lockerung  und   Entfernung  der  Membranen 


262  KEHLKOPFCKOUP. 

abzielenden  Mittel  leicht.  Entweder  geschieht  es  wie  bei  Kindern  durch 
einen  dampf  bereitenden  Apparat  oder  durch  Zerstäuben  der  Flüssigkeiten 
mit  dem  SiEGLE'schen  Apparat.  Als  Flüssigkeit  können  wir  eine  Sodalösung 
oder  entsprechende  Mineralwässer,  Kalkwasser,  chlorsaures  Kali  etc.  verwenden. 
Die  Inhalationen  müssen  oft  wiederholt  werden  (in  V2 — 1  stündlichen  Zwischen- 
räumen). Die  durh  Eauchfüss  empfohlenen  Quecksilberpräparate,  so  das 
Calomel,  Sublimat,  dann  Inunction  mit  Ungu.  hydr.  einer,  sollen  auch  be- 
zwecken, dass  durch  das  Quecksilber  das  fibrinöse  Exsudat  sich  leichter  ab- 
löse. In  neuerer  Zeit  wird  wieder  das  Pilocarpin  in  Form  von  Injectionen 
(1  Centigr.  bei  Erwachsenen)  angewandt.  Escherich  erwähnt,  dass  in  den  dafür 
geeigneten  Fällen  thatsächlich  eine  Lockerung  und  Abstossung  der  Membranen 
stattfindet.  Die  von  KtiCHENMEiSTEE  als  membranlösendes  Mittel  angepriesene 
Aqua  calcis  erfreut  sich  heute  noch  eines  guten  Rufes.  Ebenso  ist  das  chlor- 
saure Kali,  trotzdem  es  kein  Specificum  ist,  noch  immer  das  souveräne 
Mittel,  welches  sowohl  als  Gargarisma,  wie  auch  innerlich  gebraucht  wird. 
Oertel  hält  die  Carbolsäure  für  das  beste  Mittel,  und  zwar  in  5%  Lösung 
zur  Inhalation,  1 — 2  stündlich,  2 — 3  Minuten  lang.  Die  durch  den  Dampf 
fein  zerstäubte  Carbolsäurelösung  bewirkt  eine  gründliche  Durchtränkung  und 
Desinfection  der  Pseudomembranen,  weiters  werden  die  anscheinend  intacten 
Stellen  auch  überrieselt,  was  bei  Pinselungen  nicht  geschieht.  „Dass  aber," 
sagt  Oertel,  „oft  auf  den  noch  vollständig  normal  aussehenden  Schleimhaut- 
stellen bereits  auf  weite  Strecken  hin  Colonien  von  specifischen  Bacillen 
lagern  können  und  später,  wie  die  Beobachtungen  am  Krankenbette  ergeben, 
weitere  lufectionsherde  bilden,  habe  ich  in  meiner  Arbeit  (epid.  Diphtherie, 
V.  Ziemssen's  Handbuch  d.  spec.  Path.  u.  Ther.)  nachgewiesen." 

Die  Mittel,  welche  auf  die  Unschädlichmachung  der  Bacillen  und  die 
Demarcation  der  Membranen  einwirken  sollen,  Avie  das  Carhol^  Creolin,  Scdicij 
Borsäure^  Liquor  ferr.  sesquiclü.^  Sublimat,  Thymol,  Papayotin  etc.,  werden 
theilweise  zur  Localbehandlung  in  Form  von  Pinselungen,  Touchirungen,  Ein- 
blasungen, Gurgelungen,  theilweise  innerlich  verwendet.  Auf  ihre  Anwendung 
in  den  einzelnen  Fällen  näher  einzugehen,  würde  hier  nur  eine  Wiederholung 
bedeuten,  da  das  schon  bei  der  Behandlung  der  Ptachendiphtherie  auf  das 
eingehendste  geschehen  ist. 

Einen  grossen  Effect  hat  in  der  Therapie  des  Larynxcroup  auch  noch 
heute  der  operative  Eingriff  aufzuweisen,  sei  es  nun  durch  blutige  Eröffnung  der 
oberen  Luftwege  (Trachcotomie)  oder  durch  die  Intubation.  Soll  der  operative  Ein- 
griff von  Nutzen  sein,  so  muss  er  frühzeitig  ausgeführt  werden,  denn  je  länger 
die  Ueberladung  des  Blutes  mit  Kohlensäure  anhält,  desto  ungünstiger  ge- 
staltet sich  die  Prognose.  Escherich,  der  so  wie  die  meisten  die  Tracheo- 
tomie  betreffend  für  die  Frühoperation  eintritt,  meint,  dass  die  langgezogenen, 
angestrengten  Inspirationen  das  Infectionsmaterial  der  oberen  Luftwege  nach 
den  tieferen  Partien  aspiriren  und  hiedurch  die  Weiterverbreiterung  des  diph- 
theritischen  Processes  begünstigen.  Alles,  was  sich  auf  die  Ausführung  der 
Operation  bezieht,  wird  in  dem  Artikel  „Tracheotomie"  dieses  Werkes  be- 
sprochen, die  Erfahrungen  über  die  Ergebnisse  dieser  Operation  bei  Kindern 
hat  Escherich  in  diesem  Werke  (Interne  Medicin,  „6Vo^<jy',  p.  285)  aus- 
führlich dargestellt.  Bei  Erwachsenen  liegt  es  schon  in  den  anatomischen 
Verhältnissen  des  Kehlkopfraumes  (grössere  Dimensionen  des  Kehlkopfes,  Weite 
und  beträchtlichere  Widerstandsfähigkeit  der  Kehlkopfgebilde),  dass  trotz  ver- 
breiteter Membranbildung  es  selten  zu  so  heftigen  Stenosenerscheinungen 
kommt,  die    diesen  operativen  Eingriff  erfordern. 

O'Dwyer  hat  im  Jahre  1885  über  ein  neues  Verfahren  (Intubation) 
Mittheilung  gemacht,  wonach  er  bei  Croup  durch  Einführen  und  Liegenlassen 
von  Bronceröhrchen  (Tuben)  in  den  Kehlkopf  den  Luftzutritt  zu  den  Lungen 
ermöglicht,  also  das    Symptom   der  Larynxstenose   behebt.    Die   Ausführung 


KEHLKOPFCROUP.  263 

der  Intubation  bei  Kindern  ist  in  diesem  Werke  durch  Esciieimch  (Artikel 
Croup  l.  c.  iKuj.  285)  beschrieben  worden.  Es  ist  schade,  dass  dieses  Ver- 
fahren noch  keineswegs  Gemeingut  der  Aerzte  geworden  ist,  trotzdem  die 
bisherigen  Erfolge  dieses  Eingrilfes  unstreitig  für  die  günstige  Beeinflussung 
dieses  Krankheitsprocesses  sprechen.  Bei  uns  in  Budapest  ist  es  Johann 
BuKAi,  Director  des  Stephanie-Kinderspitals,  der  seit  1890  an  seinem  grossen 
Krankenmaterial  in  zahlreichen  Fällen  die  Intubation  erfolgreich  ausführt. 
Auf  Grund  der  Erfahrungen,  die  er  bei  üi3er  600  Fällen  gesammelt  hat,  ge- 
langt er  zur  Ueberzeugung,  dass,  wenn  ein  operativer  Eingriff  nothwendig 
wird,  in  erster  Reihe  die  Intubation  als  mildere  und  unl)lutige  Operation  zu 
unternehmen  ist,  abgesehen  davon,  dass  sie  rascher  zu  vollziehen  ist,  ge- 
ringerer Vorbereitung  und  weniger  Assistenz  bedarf  als  die  Tracheotomie. 
BüKAi  gibt  der  Tracheotomie  nur  in  solchen  Fällen  den  Vorzug,  wo  nebst 
der  bestehenden  Laryngostenose  gleichzeitig  eine  hochgradige  Pharyngo- 
stenose  vorhanden  ist  und  wo  wegen  hochgradigen  Oedems  des  Aditus 
laryngis  von  der  Intubation  kein  Erfolg  zu  erwarten  ist.  (Jahrhucli  der  Kinder- 
heükimde  N.  F.  XXXV.)  Selbstverständlich  ist  die  Intubation  geradezu  con- 
traindicirt,  wenn  der  Larynxcroup  mit  septischer  Diphtheritis  complicirt  und 
wo  das  Hinabsteigen  des  Processes  klinisch  zu  diagnosticiren  ist,  also  die 
Lungen  und  Bronchien  ergriffen  sind. 

lieber  eventuell  eintretende  unangenehme  Folgen  der  Intubation,  resp. 
Complicationen  siehe  Artikel  Croup  (/.  c.  pag.  285).  Zu  bemerken  wäre,  dass 
man  nie  zur  Intubation  schreiten  soll,  ohne  gleichzeitig  alles  zur  Tracheotomie 
vorbereitet  zu  haben,  obwohl  z.  B.  die  Gefahr  eines  Hinabstossens  der  Pseudo- 
membranen höchst  selten  entsteht.  In  der  Privatpraxis  gibt  es  Fälle,  w^o 
man  unter  erschwerenden  Umständen  die  Intubation  eigentlich  nur  als  vor- 
bereitendes Verfahren  für  die  später  nachfolgende  Tracheotomie  auszuführen 
hat,  was  selbst  schon  O'Dwyer  empfiehlt. 

Bei  Erwachsenen  werden  wir  selten  in  die  Lage  kommen,  gegen  die 
Larynxstenose  bei  Croup  die  Intubation  anwenden  zu  müssen,  aus  eben  den 
Gründen,  welche  die  Ausführung  der  Tracheotomie  gewöhnlich  überflüssig 
machen. 

Nach  den  heutzutage  anerkannten  Principien  muss  neben  der  medi- 
camentösen  Behandlung  die  Serumtherapie  eingeleitet  werden,  dem  operativen 
Eingriff  jedoch  soll  die  Serumbehandlung  vorangehen. 

Es  ist  ausserordentlich  wichtig,  dass  die  Seruminjection  in  möglichst  frühem 
Stadium  der  Erkrankung  geschehe.  Die  allgemeine  Erfahrung  zeigt  nämlich, 
dass  der  günstige  Einfluss  des  Serums  umso  sicherer  zu  erwarten  ist,  je  zeit- 
licher es  angewendet  wird.  Die  Injection  ist  je  nach  dem  Alter  und  der 
Schwere  des  Falles  in  schwächerer  oder  stärkerer  Dosis,  ein-  oder  mehrere- 
mal  zu  geben.  Zur  rechten  Zeit  verabreicht,  zeigt  sich  schon  nach  kurzer 
Zeit  die  günstige  Wirkung  des  Serums  in  der  Lockerung  und  Abstossung  der 
Membranen.  Die  Ausbreitung  des  Processes  hört  auf  und  das  Allgemein- 
befinden bessert  sich  rasch. 

Als  Nebenwirkungen  werden  oft  Hauterytheme  sogar  mit  Begleitung 
von  Fiebererscheinungen  beobachtet.  Viel  ernstere  Beachtung  verdienen  die 
Mittheilungen,  welche  von  Albuminurie  als  Nebenerscheinungen  des  Serums 
sprechen.    Es  wird  sogar  über  Nephritiden  berichtet. 

Wenn  wir  jedoch  in  Betracht  ziehen,  dass  jetzt  seit  beiläufig  vier 
Jahren  die  Serumbehandlung  überall  angew^endet  wird  und  trotz  der  grossen 
Anzahl  der  Fälle  nur  selten  schädliche  Nebenwirkungen  zur  Beobachtung 
kommen,  so  können  wir  mit  Beruhigung  das  Serum  als  Specificum  empfehlen. 

Wie  schon  erwähnt  kann  neben  der  Serumbehandlung  eventuell  eine 
innere  Medication  in  Anw^endung  kommen. 


264  KEHLKOPFDIPHTHERIE. 

Zweifellos  hat  seit  der  Serumtherapie  die  Noth\Yeiidigkeit  der  Intubation 
und  Tracheotomie  abgenommen,  wie  dies  die  meisten  Autoren  berichten. 

IRSAI. 

Kehlkopfdiphtherie.  {LanjngUis  dijMheriUca.)  Die  Benennung  stammt 
von  Bretonneau  (otcpöspa  =  Haut,  Pergament),  der  in  der  Membranbildung  den 
Unterschied  von  ähnlichen  Krankheiten  sah.  Mackenzie  erwähnt  in  seinem 
Buche  (Die  Krankheiten  des  Halses  und  der  Nase),  dass  schon  zur  Zeit  des 
Pythagoras  ein  indischer  Arzt  (D"hanyantare)  eine  Halskrankheit  beschrieben 
hat,  die  auf  Diphtheritis  schliessen  lässt.  Unstreitig  stehen  die  von  Aretaeus 
beschriebenen  Fälle  von  „Ulcus  •S^jHacum'--  der  Diphtheritis  nahe.  Hundert 
Jahre  später  spricht  Galenus  von  der  Expectoration  gewisser  Häute,  welche 
den  Rachen  ausfüllten.  1611  gibt  Villa  Real  eine  Schilderung  eines  Krank- 
heitsprocesses,  bei  welchem  er  sofort  beim  Ausbruch  der  Krankheit  eine  weisse 
Materie  auf  den  Gaumenbögen  und  im  Schlünde  gesehen  hat.  Er  sagt: 
„Diese  Materie  ist  so  beschaffen,  dass,  wenn  Ihr  sie  mit  Euren  Händen  zieht, 
sie  elastisch  erscheint  und  Eigenschaften  hat,  wie  die  des  nassen  Leders." 
(Mackenzie,  Krankheiten  des  Halses  und  der  Nase.)  1625  finden  wir  in  den 
Schriften  des  Cartesius  gelegentlich  einer  dazumal  in  Sicilien  verbreiteten 
Halskrankheit  eine  Membran  erwähnt,  welche  leicht  abgestreift  werden  konnte 
und  welche  als  charakteristisches  Merkmal  für  die  Krankheit  diente.  Bard 
hat  schon  im  Jahre  1784  auf  die  ätiologische  Verwandtschaft  des  diphtheritischen 
Processes  des  Rachens  (sogenannte  Angina  memhranacea)  und  des  Kehlkopf- 
croup  aufmerksam  gemacht,  doch  wurde  seine  Ansicht  nicht  eigentlich  aner- 
kannt, bis  Bretoxneau's  Arbeit  (1826)  erschien,  in  welcher  auf  die  Zusammen- 
gehörigkeit der  Rachen-  und  Kehlkopfsymptome  hingewiesen  und  so  die  Iden- 
tität dieser  verschiedenen  Krankheitsbilder  betont  wurde. 

Es  passt  nicht  in  den  Piahmen  dieses  Artikels,  in  chronologischer  Reihenfolge  aut 
die  die  Aetiologie  und  Pathogenese  der  Diphtheritis  betreffenden  Untersuchungen  und 
Ansichten  näher  einzugehen.  Ich  erachte  es  jedoch  für  nothwendig,  einfach  die  Unter- 
suchungsresultate zu  registriren,  denen  man  es  gegenwärtig  zu  verdanken  hat,  dass  das 
Wesen  der  Diphtherie  geklärt  wurde. 

Im  Jahre  1883  hat  Klebs  am  Wiesbadener-Congress  seine  Entdeckung 
mitgetheilt,  wonach  in  den  diphtheritischen  Membranen  Bacillen  zu  finden 
sind.  Ein  Jahr  später  ist  von  Löffler  eine  Mittheilung  erschienen,  in  der 
auf  Grund  bacteriologischer  und  experimenteller  Untersuchungsresultate  dar- 
gestellt wird,  dass  die  durch  ihn  in  den  Membranen  gefundenen  und  schon 
von  Klebs  gesehenen  Bacillen  als  die  specifischen  Krankheitserreger  zu 
betrachten  sind.  Gegenwärtig  steht  es  zweifellos  da,  dass  die  diphtheritische 
Erkrankung  durch  die  Anwesenheit  der  liLEBS-LöFFLER'schen  Bacillen  und 
eventuell  durch  ihre  Toxine  hervorgebracht  wird. 

Der  Diphtheriebacillus  entspricht  beiläufig  der  Länge  des  Bacillus  tuberculosis,  jedoch 
ist  er  viel  breiter  mit  abgerundeten  Enden;  bei  längerem  Wachsthum  entsteht  die  kolbige 
Anschwellung  des  einen  oder  andern  Endes.  (Diese  letztere  Eigenschaft  zeigen  die  gezüch- 
teten Bacillen,  die  in  den  Membranen  vorgefundenen  aber  nicht.) 

Der  jetzige  Stand  der  Aetiologie,  Pathogenese,  sowie  die  pathologische 
Anatomie  der  Diphtherie  wird  in  diesem  Werke  ,,Tiiteriie  Mediciu"  (Diphtherie, 
pag.  418,  Escherich)  so  ausgezeichnet  und  ausführlich  besprochen,  dass  in 
dieser  Hinsicht  auf  diesen  Artikel  zu  verweisen  ist. 

Nachdem  zwischen  dem  echten  Croup  und  der  Diphtherie  im  ätiologi- 
schen Sinne  kein  Unterschied  besteht,  wie  es  die  bacteriologischen  Unter- 
suchungen klarlegen,  müssen  wir  für  die  specifische  Erkrankung  des  Kehl- 
kopfes die  Benennung  Laryngitis  diphtheritica  mit  Larynxcroup  identificiren, 
woraus  folgert,  dass  eine  specielle  Besprechung  der  Laryuxdiphtherie  an  dieser 
Stelle  überflüssig  wäre,  da  alles  darauf  Bezügliche  im  Artikel  Keldkopfcroup 
nachzulesen  ist.  iesai. 


LABYRINTH-ERKRANKUNGEN.  265 

Labyrinth-Erkrankungen,  a)  Traumen  (CommoUon  und  Verletzungen), 
Directe  Yerletzungen  der  Labyrinthe  vom  Gehörgange  aus  durch  spitze  In- 
strumente, welche  das  Trommelfell  und  die  innere  Wand  der  Trommelhöhle 
durchdringen,  gehören  zu  den  Seltenheiten.  Auch  Schussverletzungen  der 
Labyrinthe  oder  Läsionen  derselben  durch  Verbrennung  (Eindringen  flüssiger 
Metalle)  sind  selten.  Das  Labyrinth  wird  dagegen  häufig  durch  Traumen, 
welche  den  Schädel  treffen,  in  indirecter  Weise  verschiedentlich  geschydigt. 
Es  kommen  Fissuren  des  knöchernen  Labyrinthes  nach  traumatischen  Einwir- 
kungen, welche  eine  Fractur  der  Schädelbasis  verursachten,  vor.  In  anderen 
Fällen  treten  Blutextravasate  innerhalb  der  labyrinthären  liäume  infolge 
starker  Erschütterung  auf.  Endlich  entstehen  namentlich  in  Ilörorganen, 
welche  durch  frühere  Erkrankungen  bereits  gelitten  hatten,  infolge  von  hef- 
tigen Detonationen  oder  von  plötzlicher  Luftverdichtung  im  Gehörgange,  z.  13. 
bei  Schlägen  auf  das  Ohr,  Verletzungen  der  labyrinthären  Gebilde,  welche 
theils  durch  Erschütterung  der  feinsten  Nervenendorgane,  theils  durch  kleine 
Blutextravasate  oder  auch  durch  eine  Combination  dieser  beiden  Schädlich- 
keiten bedingt  sein  mögen.  Die  Seltenheit  und  Schwierigkeit  anatomischer 
Untersuchung  in  derartigen  Fällen  erklärt  es  zur  Genüge,  dass  die  pathologisch- 
anatomischen Kenntnisse  in  Bezug  auf  diese  Vorgänge  noch  dürftig  erscheinen. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Nach  schweren  Verletzungen  hat  man 
eitrige  Entzündung  des  Labyrinthes  beobachtet.  In  Betreff'  dieser  Entzün- 
dung und  deren  Ausgänge  muss  auf  den  folgenden  Abschnitt  verwiesen  werden. 
Die  Blutextravasate  und  Erschütterungen  des  Labyrinthes  hinterlassen  häufig 
schwere  und  langdauernde  Störungen  auch  des  Allgemeinbefindens;  nur  in 
leichteren  Fällen  tritt  eine  allmähliche  Rückkehr  zu  der  normalen  Function 
des  Sinnesorgans  ein,  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  erfolgt  eine  nur  unvollstän- 
dige Besserung  einzelner  Symptome,  während  andere,  darunter  namentlich 
die  Schwerhörigkeit  und   das  Ohrensausen,  hartnäckig  fortdauern. 

Die  Symptome  der  traumatischen  Schädigungen  des  Labyrinthes  fallen 
meistentheils  mit  denjenigen  der  sog.  MsNiicRE'schen  Krankheit  zusammen; 
es  handelt  sich  um  andauernden  Schwindel  oder  zeitweilige  Schwändelanfälle, 
w^elche  namentlich  beim  Bücken  auftreten,  um  das  Gefühl  der  Ohnmacht, 
Uebelkeit  und  Erbrechen,  ferner  um  subjective  Geräusche  und  Schwerhörig- 
keit bis  zu  vollständiger  Taubheit.  Daneben  besteht  zuweilen  eine  Empfind- 
lichkeit gegen  starke  Geräusche.  Diese  Erscheinungen  werden  zum  Theil  als 
Aeusserungen  eines  Reizungszustandes  der  Terminalorgane  des  N.  acusticus 
aufgefasst.  Sie  können,  mit  Ausnahme  der  Taubheit,  fehlen,  wenn  totale 
Zerstörung  der  labyrinthären  Gebilde  erfolgt  waren,  durch  welche  eine 
complete  Lähmung  der  Acusticusfasern  bedingt  wurde.  Wenn  eine  Schädel- 
verletzung vorliegt  oder  eine  starke  Erschütterung  des  Schädels  stattfand, 
kann  es  schwierig,  ja  unmöglich  sein,  zu  entscheiden,  ob  Schwindel,  Kopf- 
schmerz, Brechneigung,  geistige  Depression  auf  Rechnung  der  Labyrinth- 
erschütterung oder  auf  gleichzeitige  Gehirn-Läsionen  zurückgeführt  werden 
müssen. 

Die  Diagnose  der  Labyrinthverletzung  gründet  sich  im  wesentlichen 
auf  das  Vorhandensein  MENiERE'scher  Symptome  neben  hochgradiger  Schwer- 
hörigkeit oder  Taubheit.  Was  die  Stimmgabelprüfungen  anbetrifft,  so  wird 
der  Ton  einer  auf  den  Scheitel  gesetzten  Stimmgabel  bei  einseitiger  Zer- 
störung des  Nervenendorganes,  oder  wenn  nach  längerer  Dauer  des  Leidens 
Atrophie  des  Nerven  eingetreten  ist,  allerdings  nur  vom  gesunden  Ohre  per- 
cipirt,  doch  kann  der  Ton  ebensowohl  nach  dem  kranken  Ohre  hin  localisirt 
werden,  so  lange  daselbst  Reizungszustände  bestehen  und  das  Hörvermögen 
noch  nicht  völlig  erloschen  ist.  Man  darf  also  jedenfalls  eine  Labyrinth- 
verletzung nicht  ausschliessen,  wenn  der  Stimmgabelton  vom  verletzten  Ohre 
in  Knochenleitung  besser  gehört  wird  als  vom  gesunden  Ohre.    Dieser  Um- 


266  LABYRINTH-ERKRANKUNGEN. 

stand  ist  deshalb  von  Wichtigkeit,  weil  oft  eine  Ruptur  des  Trommelfells, 
durch  dasselbe  Trauma  bedingt,  zugegen  ist,  und  mancher  nach  dem  Ausfalle 
des  Stimmgabelversuchs,  der  herrschenden  Doctrin  folgend,  geneigt  sein 
könnte,  eine  auf  das  Mittelohr    sich  beschränkende  Läsion  zu  diagnosticiren. 

Der  Erfolg  einer  Behandlung  derartiger  Verletzungen  ist  selbstverständ- 
lich von  dem  Umfange  und  Grade  der  stattgehabten  Zerstörung  wichtiger 
Labyrinthgebilde  abhängig,  auch  darf  man  w'ohl  nur  dann  einen  Einfluss  thera- 
peutischer Maassregeln  auf  den  Krankheitsverlauf  erwarten,  wenn  dieselben 
sogleich  nach  der  Verletzung  Anwendung  finden,  während  nach  Ablauf  einer 
längeren  Frist  wenig  zu  thun  übrig  bleibt.  Es  sind  vor  allem  örtliche  Blut- 
entziehuDgen  am  Warzenfortsatze  vorzunehmen,  ferner  empfiehlt  sich  die  An- 
wendung der  Kälte,  so  lange  dieselbe  vom  Patienten  nicht  unangenehm  em- 
pfunden wird,  und  die  Beförderung  reichlicher  Stuhlentleerungen  durch  sicher 
wirkende  Mittel,  z.  B.  Calomel  mit  Jalappa.  Ruhige  Lage  mit  erhöhtem  Kopfe, 
reizlose  Diät,  Fernhalten  von  Geräuschen  sind  selbstverständliche  Forderungen. 

ScHWARTZE  empfiehlt  in  frischen  Fällen  dringend  die  Anwendung  des 
HEURTELOUP'schen  künstlichen  Blutegels  auf  den  Warzenfortsatz,  weil  dadurch 
zugleich  „ein  Contractionsimpuls"  für  die  gelähmten  Gefässnerven  gegeben 
werde.  Ferner  hat  derselbe  bei  zögernder  Restitution  des  Hörvermögens 
sehr  günstige  Erfolge  von  subcutanen  Injectionen  des  StrijcJminum  nitricum 
0,002 — 0,006  p.  d.  gesehen.  Diese  Injectionen  wurden  während  5 — 8  Tagen 
täglich  einmal  ausgeführt.  Als  Bedingung  gilt  aber,  dass  dieselben  vor  Ab- 
lauf der  ersten  6  Wochen  nach  der  Verletzung  vorgenommen  werden. 

Will  man  den  Versuch  machen,  die  Resorption  etwaiger  Extravasate 
oder  Exsudate  im  Labyrinthe  zu  befördern,  so  können  subcutane  Pilocarpin- 
Injectionen,  sowie  der  innerliche  Gebrauch  der  Jod-Präparate  neben  Bepin- 
selung  des  Warzenfortsatzes  mit  Jodtinctur  Anwendung  finden. 

h)  Entzimdung  {Otitis  intima).  Die  Frage,  ob  eine  idiopathische,  von 
intracraniellen  Erkrankungen  sowohl,  wie  von  Paukenhöhlen-Afiectionen  unab- 
hängige Labyrinthentzündung  vorkomme,  kann  zur  Zeit  noch  nicht  mit  Sicher- 
heit entschieden  werden.  Die  Möglichkeit,  dass  pathogene  Keime  in  den 
Blutstrom  gelangen  und  innerhalb  der  Labyrinthe  abgelagert,  hier  die  Ursache 
primärer  Entzündungen  werden,  lässt  sich  nicht  in  Abrede  stellen;  allerdings 
würde  ein  solches  Ereignis  gegenüber  den  häufig  beobachteten  secundären 
Erkrankungen  der  labyrinthären  Räume  als  selten  zu  bezeichnen  sein. 

Derartige  secundäre  Erkrankungen  beobachtet  man  als  Begleiter  verschie- 
dener Infectionskrankheiten.  Am  häufigsten  kommen  ausgesprochene  Laby- 
rinthentzündungen im  Verlaufe  der  Cerebrospinal-Meningitis  vor.  Hier  dringt 
das  Krankheitsgift  von  den  Subarachnoideal-Räumen  aus,  theils  durch  die 
Nervencanäle,  theils  durch  den  Aquaeductus  Cochleae  in  die  labyrinthären 
Räume  ein.  Andererseits  werden  die  Labyrinthe  dadurch  von  eiteriger  Ent- 
zündung mitergriffen,  dass  im  Verlaufe  schwerer  Tuberkulose  cariöse  Zerstö- 
rungen an  der  inneren  Trommelhöhlenwand  zur  Eröffnung  der  Schnecke  oder 
des  Vorhofes  führen.  Auch  in  Fällen  tertiärer  Syphilis  sind  Labyrinthent- 
zündungen, vom  kranken  Knochen  ausgehend,  beschrieben  worden. 

Bei  schweren  Mittelohr-Entzündungen,  wie  sie  im  Verlaufe  des  Scharlach, 
der  Diphtherie,  der  Masern  nicht  selten  vorkommen,  scheint  der  Krankheits- 
erreger (es  handelte  sich  in  einigen  genauer  untersuchten  Fällen  um  Strepto- 
coccen) zuweilen  in  die  Labyrinthräume,  in  die  Gefässe  und  Markräume  des 
Felsenbeinknochens  einzudringen,  wodurch  eine  Complication  mit  labyrinthärer 
Entzündung  zustande  kommt.  Schwieriger  ist  die  Erklärung  des  Auftretens 
intensiverer  Entzündungen  im  inneren  Ohre,  welche  in  Fällen  von  Leukämie 
beobachtet  wurden,  wenn  wir  von  den  einfachen  diese  Krankheit  begleitenden 
Hämorrhagien  absehen.  Vielleicht  handelte  es  sich  in  diesen  Fällen  um  com- 
plicirte  Constitutions-Anomalien,   zu   welchen  die  Leukämie   erst  als  Folge- 


LABYRINTH-ERKRÄNKUNGEN.  267 

erscheinung  hinzutrat.  Auch  im  Verlaufe  der  Osteomyelitis  ist  eine  plötzlich 
auftretende,  doppelseitige  und  zu  vollständiger  Zerstörung  der  Labyrinthe  füh- 
rende Entzündung  gesehen  worden,  ohne  dass  es  gelang,  die  Wege,  auf  welchen 
das  Krankheitsgift  in  das  innere  Ohr  gedrungen  war,  mit  Bestimmtheit  nach- 
zuweisen. 

Am  wenigsten  bekannt  ist  das  Wesen  der  im  Verlaufe  chronisclier  sklero- 
sirender  Mittelohrentzündungen  vorkommenden  labyrinthären  Erkrankungen. 
Vielleicht  spielen  hierbei  entzündliche  Vorgänge  im  Perioste  der  Labyrinth- 
räume eine  Rolle,  da  dasselbe  in  einigen  Fällen  verdickt  und  verkalkt  ge- 
funden wurde.  Endlich  wäre  zu  bemerken,  dass  auch  nach  traumatischen  Ein- 
wirkungen eitrige  Entzündungen  des  Labyrinths  vorkommen,  welche  sich  hin- 
sichtlich des  Ausganges  nicht  von  den  durch  andere  Ursachen  bedingten  Er- 
krankungen unterscheiden. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Trotz  der  verschiedenen  Ursachen  zeigen 
die  meisten  acuten  Entzündungen  des  Labyrinthes  darin  eine  Ueber- 
einstimmung,  dass  man  3  Stadien  in  ihrem  Verlaufe  unterscheiden  kann.  Es 
tritt  zuerst  eine  eiterige  Entzündung  auf,  an  welcher  sich  das  Periost  der 
Labyrinthräume  wesentlich  betheiligt.  Gleichzeitig  bedingen  aber  die  verschie- 
denen organisirten  Krankheitskeime  oder  deren  Gifte,  wie  wir  dies  auch  in 
anderen  Regionen  des  Körpers  beobachten,  Mortificationen  der  Gewebe,  wo- 
durch rasche  und  ausgedehnte  Zerstörungen  der  Labyrinthgebilde  und  deren 
Nerven  zustande  kommen. 

Im  2.  Stadium  findet  eine  Neubildung  von  gefässreichem  Bindegewebe 
statt,  welche  zwischen  der  Formation  vereinzelter  Fäden  und  totaler  Aus- 
füllung der  Labyrinthräume  je  nach  dem  Grade  der  Entzündung  wechselt. 

Im  3.  Stadium  erfolgt  eine  theilweise  oder  gänzliche  Verknöcherung 
dieses  neugebildeten  Gewebes,  woraus  ein  vollständiges  Verschwinden  der 
Labyrinthräume,  namentlich  der  Bogengänge  resultiren  kann.  Dieser  Vorgang 
ist  am  deutlichsten  bei  den  Labyrinthentzündungen  nach  Cerebrospinal-Menin- 
gitis  beobachtet  worden,  doch  zeigen  auch  die  durch  andere  causale  Momente 
bedingten  Entzündungen,  einschliesslich  der  traumatischen,  einen  ähnlichen, 
allerdings  durch  die  Lebensbedingungen  der  Infectionsträger  modificirten  Ver- 
lauf, insbesondere  jedoch  den  Ausgang  in  Verknöcherung. 

Symptome,  Diagnose.  Die  Symptome  der  Labyrinth entzündungen  — 
Schwindel,  Uebelkeit,  subjective  Geräusche,  Schwerhörigkeit  —  werden  leicht 
übersehen,  da  die  meisten  Fälle  im  Verlaufe  schwerer  Allgemeinerkrankungen 
vorkommen.  Insbesondere  werden  die  in  Fällen  sporadischer  Cerebrospinal- 
Meningitis  vorkommenden  Labyrinthzerstörungen,  welche  namentlich  kind- 
liche Individuen  zu  befallen  pflegen,  oft  erst  erkannt,  wenn  bereits  unheil- 
bare Taubheit  eingetreten  ist.  Man  wird  bei  den  übrigen  oben  erwähnten 
Infectionskrankheiten  an  hinzugetretene  Labyrinthentzündung  denken  müssen, 
wenn  neben  auffallender  und  plötzlicher  Abnahme  des  Gehörs  die  mehr- 
fach erwähnten  Symptome  des  Schwindels  und  der  subjectiven  Gehörsempfin- 
dungen hinzutreten. 

Therapie.  Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich,  dass  es  eine  specifische  The- 
rapie der  Labyrinthentzündungen  nicht  geben  kann,  und  dass  ärztliche  Hilfe  in 
den  meisten  Fällen  erst  dann  in  Anspruch  genommen  werden  dürfte,  wenn  be- 
reits unheilbare  Zerstörungen  des  Sinnesorgans  zugegen  sind.  Dem  otiatrischen 
Specialarzte  werden  derartige  Fälle  meist  erst  nach  Ablauf  von  Jahren  zu- 
geführt, und  unter  den  Aerzten  sind  die  wenigsten  darauf  bedacht,  dem  Gehör- 
organ bei  Allgemeinerkrankungen,  namentlich  im  kindlichen  Alter,  die  nöthige 
Beachtung  zu  schenken.  Es  fehlt  daher  an  Erfahrungen  darüber,  ob  man  im 
ersten  Beginne  eitriger  Labyrinthentzündungen  durch  eine  energische  Anti- 
phlogose  einen  günstigen  Einfluss  auf  den  Verlauf  der  Erkrankung  ausüben 
könne.    Nur   wenn    deutliche   Zeichen   syphilitischer   Erkrankung  vorliegen, 


268  LARYNGITIS  ACUTA. 

wäre  eine  heilsame  Einwirkung  von  Quecksilber-  und  Jodmitteln  zu  erhoffen. 
In  neuerer  Zeit  haben  einzelne  Autoren  die  günstige  Wirkung  von  Pilocarpin- 
Injectionen  bei  acuten  Labyrinthentzündungen,  namentlich  im  Verlaufe  des 
Scharlachfiebers  gerühmt.  Es  ist  selbstverständlich,  dass  auch  diese  Medi- 
cation  nur  im  ersten  Beginne  der  Erkrankung  und  in  leichteren  Fällen  über- 
haupt von  Nutzen  sein  kann. 

c)  Ätropliie  des  Nervus  aciisticus.  Dieselbe  ist  im  Artikel  ^^Äcusticus- 
atrophie"  dieses  Bandes  ausführlich  besprochen. 

d)  Neuhildungen  im  Lahjrinthe.  Primäre  Neubildungen  des  Labyrinthes 
sind  bisher  nicht  mit  Sicherheit  nachgewiesen  worden.  Schwartze  vermuthet, 
dass  die  epitheliale  Auskleidung  des  Aquaeductus  vestibuli  die  Matrix  für  die 
Bildung  von  Cholesteatom-Gesch^Yülsten,  (Margaritome  Virchow's)  abgeben 
könne. 

Die  zur  Obduction  gelangten  Fälle  betrafen  zum  grössten  Theile  bös- 
artige Geschwülste,  welche  theils  von  der  Paukenhöhle,  theils  vom  inneren 
Gehörgange  aus  in  das  Labyrinth  eingedrungen  waren.  Es  handelte  sich  um 
Carcinome,  Sarkome,  Cholesteatomgeschwülste.  Diese  Tumoren  waren  entweder 
im  Bereiche  des  Schläfenbeins  selbst  entstanden  oder  giengen  vom  Gehirn, 
von  der  Dura  niater,  der  Schädelbasis,  dem  Nasenrachenräume,  in  anderen 
Fällen  von  der  Parotis  oder  vom  Oberkiefer  aus.  In  einzelnen  Fällen  ent- 
wickelten sich  Fibrosarkome  oder  Gliome  im  Neurilemm  des  Nervus  acusticus; 
in  anderen  handelte  es  sich  um  die  Bildung  syphilitischer  Gummata  oder  von 
Tuberkelknoten  im  inneren  Gehörgange.  Ein  cavernöses  Angiom,  welches  vom 
Sinus  lateralis  ausgieng  und  das  betreffende  Felsenbein  zum  Theil  zerstört 
hatte,  ist  von  Politzer  beschrieben  worden. 

Die  Symptome  der  Neubildungen  stimmen,  soweit  sie  das  Labyrinth  be- 
treffen, mit  den  Erscheinungen  labyrinthärer  Reizung,  respective  Zerstörung 
überein,  welche  in  den  früheren  Abschnitten  bereits  geschildert  worden  sind. 

Laryngitis   acuta.     (Catarrhus  laryngis  acutus.) 

Aetiologie.  Ausser  den  für  Katarrhe  der  oberen  Luftwege  geltenden 
allgemeinen  ätiologischen  Momenten  sind  noch  besonders  hier  zu  erwähnen 
der  Einfluss  meteorologischer  und  localer  Factoren.  Plötzliche  Wechsel  in 
der  Witterung,  hauptsächlich  aber  das  Auftreten  trockener  Nord-  und  Nord- 
ostwinde sind  in  unserer  Gegend  gefolgt  von  dem  Erscheinen  zahlreicher  acuter 
Kehlkopfkatarrhe,  welche  wir  daher  besonders  im  Frühjahr  und  im  Spätherbste 
am  häufigsten  sehen.  Ueberhaupt  ist  bei  uns  in  Wien  diese  Erkrankung  sehr 
häufig  und  ergreift  Jung  und  Alt,  besonders  gerne  aber  Kinder  und  schwlich- 
liche  Personen. 

In  London  dagegen  soll  z.  B.  acuter  Katarrh  eine  Seltenheit  sein,  was 
wohl  mit  dem  feuchten,  mehr  gleichmässigen  und  windstillen  Klima  zusam- 
menhängt, während  Orte  mit  trockener,  staubiger  und  sehr  bewegter  Luft 
sein  Auftreten  begünstigen.  Endlich  ist  der  acute  Katarrh  eine  Begleit- 
erscheinung vieler  acuter,  fieberhafter  Krankheiten,  namentlich  der  Exan- 
theme; auch  Tuberculose  und  Syphilis  disponiren  dazu.  Die  Disposition  zu 
erkranken  ist  auch  individuell  sehr  verschieden;  schwächliche,  anämische, 
schlecht  genährte,  mit  einer  vererbten  Diathese  behaftete  Leute  sind  mehr 
disponirt  als  gesunde,  kräftige  Menschen.  Auch  dauernde  Entwöhnung  der 
freien  Luft,  wie  sie  namentlich  von  gar  zu  ängstlichen  Eltern  bei  schwäch- 
lichen Kindern  beliebt  wird,  steigert  die  Neigung  zu  erkranken.  Endlich 
begünstigt  auch  Hyperämie  des  Kehlkopfes,  sei  sie  entstanden  durch  starke 
Anstrengung  der  Stimme  oder  durch  den  Beiz  von  Tabak,  Alkohol  etc.,  oder 
sei  sie  ein  Ueberbleibsel  eines  früher  durchgemachten  Katarrhes,  oder  sei  sie 
die  Folge  von  Stauung,  das  Auftreten  des  acuten  Katarrhes.    Jedenfalls  kann 


LARYNGITIS  ACUTA.  269 

man  durch  systematisch  vorgenommene  kalte  Waschungen,  durch  allmähliche 
Gewöhnung  an  Temperaturwechsel  und  durch  Vermeidung  obiger  Schädlich- 
keiten die  Disposition  sehr  vermindern.  Namentlich  ist  dies  wichtig  bei 
Kindern,  welche  häufig  an  Pseudocroup  erkranken. 

Aeltere  Leute,  welche  viel  zu  sprechen  haben  und  oft  Anfällen  von  acutem 
Katarrh  ausgesetzt  sind,  sollen  zunächst  ihre  Sprechweise  genau  controliren 
lassen,  da  oftmals  in  fehlerhafter  Verwendung  der  Sprachorgane  der  Grund 
zu  der  Erkrankung  liegt;  dann  soll  der  Genuss  von  Tabak  und  Alkohol  ein- 
geschränkt und  für  Beseitigung  der  Ursachen  chronischer  Hyperämie  gesorgt 
werden.  Solche  Ursachen  sind  Congestionen  gegen  Kopf  und  Hals,  chronische 
Bronchialkatarrhe,  allgemeine  Fettleibigkeit,  Leber-  und  Verdauungsleiden 
überhaupt,  uratische  Diathese  etc,  welche  Leiden  entweder  durch  Regelung 
der  Diät  und  Gymnastik  oder  durch  Bade-  und  klimatische  Curen  zu  behan- 
deln sind. 

Anatomie.  Da  man  selten  Gelegenheit  hat,  an  Leichen  den  acuten  Katarrh 
zu  beobachten,  so  müssen  wir  uns  auf  die  Untersuchung  des  Lebenden  mit  dem 
Spiegel  verlassen.  Dieselbe  zeigt  nun  Anomalien  in  Bezug  auf  Blutfüllung, 
Umfang  und  Absonderung  der  Schleimhaut. 

Die  Schleimhaut  erscheint  mehr  weniger  geröthet,  und  zwar  entweder 
überall  oder  nur  in  einzelnen  Abschnitten.  Gewöhnlich  ist  die  allgemeine 
Röthung  eine  gleichmässige,  nur  selten  eine  fleckige;  am  auffallendsten  ist  sie 
meistens  an  den  Stimmbändern,  wo  sie  sich  auch  in  geringem  Grade  schon 
nachweisen  lässt,  weil  diese  Theile  bekanntlich  in  gesundem  Zustande  glänzend 
weiss  sind.  An  den  anderen  Theilen  fällt  sie  weniger  in  die  Augen,  um- 
somehr,  da  man  gewöhnlich  nicht  weiss,  wie  bei  dem  betreffenden  Individuum 
die  Färbung  der  Schleimhaut  im  gesunden  Zustande  war.  Leichter  wird  die 
Beurtheilung,  wenn  die  Röthung  nur  einzelne  Theile  betrifft,  da  diese  dann 
gegen  die  anderen  deutlich  abstechen.  Am  häufigsten  werden  die  Stimm- 
bänder, dann  die  Aryknorpel,  seltener  die  Epiglottis  und  andere  Theile  für 
sich  allein  hyperämisch. 

Der  Grad  der  Hyperämie  ist  sehr  wechselnd,  von  geringer  röthlicher 
Verfärbung  bis  zu  kirschrother  oder  düsterrother  Färbung  beobachtet  man 
alle  Nuancen.  Nicht  selten  kommt  es  zu  kleinen  Blutaustritten  in  das  Gewebe 
entweder  infolge  besonderer  Intensität  der  Erkrankung  oder  infolge  einer 
besonderen  Disposition  des  Individuums.  Auch  forcirte  Anstrengungen  der 
Stimme  während  eines  Katarrhes  können  leicht  zu  Blutungen  in  das  Gewebe 
oder  sogar  in  das  Kehlkopflumen  selbst  führen  (siehe  Artikel  „Xar.  hämor- 
rhagica^'). Der  Umfang  der  einzelnen  Theile  des  Kehlkopfes  kann  durch  Exsu- 
dation zunehmen.  So  können  die  Stimmbänder  manchmal  durch  seröse  Infiltra- 
tion zu  grauen  oder  grauröthlichen,  dicken  Wülsten  mit  abgerundeten  Kanten 
umgewandelt  werden,  oder  es  bilden  sich  unter  ihnen  dicke  rothe  Wülste 
{Hypoglottüis  acuta),  oder  die  Epiglottis,  die  Aryknorpelüberzüge  und  die  ary- 
epiglottischen  Falten  werden  dicker  und  weisen  nicht  selten  bei  heftigeren 
Katarrhen  ödematöse  Schwellungen  auf. 

Neben  diesen  mehr"  diffusen  Schwellungen  kommen  namentlich  bei 
Kindern  nicht  so  selten  kleine  Knötchen  an  den  Stimmbandkanten  vor,  welche 
B.  Fränkel  als  skrophulöse  Anschwellungen  deutet  und  von  Ectasien  der 
Schleimdrüsen  herleitet.  Solche  Knötchen  schwinden  sehr  oft  mit  Ablauf  des 
Katarrhes;  manchmal  aber  persistiren  sie  und  werden  als  Entzündungs- 
knötchen  bezeichnet.  In  diesen  bleibenden  Knötchen  findet  man  nun  nur 
äusserst  selten  Schleimdrüsen;  sie  bestehen  aus  verdicktem  Epithel  und  zartem, 
serös  durchtränktem  Bindegew^ebe,  so  dass  wir  wohl  auch  mit  Recht  für  die 
acut  entstehenden  Knötchen  den  gleichen  Bau  annehmen  können. 

Die  Schleimdrüsen  nehmen  natürlich  auch  Theil  an  der  Reizung  und 
sondern  anfangs  wenig  glasiges,  später  aber  mehr  trübes,   öfters  sogar  gelb- 


270  LARYNGITIS  ACUTA. 

liches  Secret  ab.  Dasselbe  ballt  sich  gewöhnlich  zu  Klumpen  und  wird  leicht 
expectorirt.  Machmal  aber  trocknet  es  stark  aus,  bildet  braune,  blaurothe 
oder  schwarze  Krusten  und  haftet  fest  an  der  Schleimhaut,  namentlich  an 
den  Stimmbändern;  diesen  Vorgang  beobachtet  man  bei  Menschen,  welche  an 
Pharyngitis  und  Rhinitis  sicca  leiden;  in  solchen  Fällen  veranlasst  nicht  selten 
das  eingetrocknete  Secret  Stenose  und  bei  seiner  Entfernung  durch  Husten- 
stösse  kleine  Verletzungen  des  Epithels  und  sogar  Blutungen,  so  dass  Gott- 
stein die  Entstehung  der  Laryngitis  haemorrhagica  davon  ableitet. 

Das  Epithel  wird  übrigens  auch  sonst  immer  betroffen;  bald  ist  es  nur 
gelockert,  wodurch  die  Oberfläche  der  Stimmbänder  matt,  glanzlos  erscheint, 
bald  stösst  es  sich  ab,  bald  kommt  es  zu  Excoriationen,  die  sich  zu  Geschwüren 
weiter  entwickeln  können.  Diese  Geschwüre  bleiben  jedoch  immer  ober- 
flächlich, sitzen  gewöhnlich  an  den  Kanten  der  Stimmbänder  und  heilen  bald. 
Endlich  betrifft  die  Exsudation  auch  die  unter  der  Schleimhaut  gelegenen 
Gebilde;  das  submucöse  Gewebe  wird  nicht  selten  durch  seröses  Exsudat  aus- 
gedehnt und  bildet  dann  ödematöse  Schwellungen  namentlich  an  den  Stellen, 
wo  das  submucöse  Gewebe  sehr  locker  und  weitmaschig  ist,  also  an  der  Epiglottis, 
den  Aryknorpeln  und  den  ary-epiglottischen  Falten.  In  seltenen  Fällen  erreichen 
diese  Anschwellungen  ebenso  wie  die  subglottischen  Wülste  hohe  Grade  und 
können  dann  stenosirend  wirken.  Diese  als  Catarrhus  acutus  laryngis  gravis 
(Ziemssen)  bezeichneten  Formen  scheinen  jedoch  gewöhnlich  ihre  Entstehung 
einer  Infection  durch  Streptococcen  zu  verdanken  und  sind  daher  zu  den 
Phlegmonen  zu  rechnen. 

Die  Muskeln  erleiden  durch  die  Exsudation  auch  Störungen,  die  sich 
namentlich  bei  der  Stimmbildung  bemerkbar  machen.  Sie  werden  mehr 
weniger  gelähmt,  manchmal  so  hochgradig,  dass  die  Glottis  weit  klafft,  wie 
ich  das  einige  Male  beobachtete.  Gewöhnlich  jedoch  können  die  Stimmbänder 
nur  beim  Phoniren  nicht  mehr  völlig  aneinander  gelegt  werden  und  lassen 
zwischen  sich  eine  elliptische  Lücke,  offenbar  bedingt  durch  Schwäche  der 
Musculi  vocales. 

Symptome.  Ebenso  wie  die  geschilderten  anatomischen  Veränderungen 
ihrem  Grade  nach  sehr  verschieden  sind,  ist  dies  auch  der  Fall  bei  den 
Symptomen,  die  davon  abhängen.  Die  subjectiven  Beschwerden  machen  sich 
geltend  als  Gefühl  von  Trockenheit,  Druck  im  Halse  oder  als  wirklicher 
Schmerz,  der  als  Brennen  oder  Stechen  beschrieben  wird,  sich  manchmal 
spontan,  manchmal  bei  Druck  auf  den  Kehlkopf,  manchmal  beim  Schlingen, 
gewöhnlich  aber  beim  Sprechen  und  Husten  einstellt.  Diese  Empfindungen 
wechseln  sehr  nach  dem  Grade  der  Erkrankung  und  nach  der  Empfindlichkeit 
des  Individuums. 

Objectiv  ist  festzustellen,  dass  der  leichtere  acute  Katarrh  meist  ohne 
Prodromi  beginnt  und  fieberfrei  verläuft.  Schwerere  Formen  können  massiges 
Fieber  zeigen,  ohne  besondere  Störung  des  Allgemeinbefindens.  Husten  ist 
gewöhnlich  vorhanden  infolge  der  Hyperämie  oder  der  Excoriationen  oder  des 
Schleimes,  anfangs  oft  nur  unbedeutend,  später  aber  öfters  quälend,  sehr 
heftig  und  namentlich  bei  starker  Verdickung  der  Stimmbänder  rauh,  croup- 
artig  klingend,  später  bei  stärkerer  Absonderung  feucht  und  locker. 

Das  Secret  ist  spärlich,  anfangs  mehr  glasig,  später  milchig  und  sogar 
gelblich  gefärbt. 

Die  Stimme  ist  meistens  afficirt,  da  ja  die  Stimmbänder  gewöhnlich 
betheiligt  sind.  Doch  selbst  bei  intacten  Stimmbändern  kann  die  Phonation 
behindert  sein,  so  durch  Schwellung  der  Schleimhaut  zwischen  den  Aryknor- 
peln, welche  den  Schluss  der  Glottis  verhindert,  oder  durch  Verdickung  der 
Taschenbänder,  die  sich  als  Dämpfer  auf  die  Stimmbänder  legen. 

Bei  Erkrankung  der  Stimmbänder  selbst  kann  ihre  Verdickung  die 
Stimme    tiefer  machen,  oder   unregelmässige  Beschaffenheit   der  Kante   kann 


LARYNGITIS  ACUTA.  271 

den  Glottisschluss  ungenau  gestalten,  oder  die  Parese  der  Kehlkopfmuskeln 
kann  den  Schluss  und  die  Spannung  der  »Stimmbänder  verhindern. 

Bei  ganz  leichten  Katarrhen  kann  sich  aber  die  Stimmstörung  auf 
schnelles  Eintreten  von  Ermüdung  der  Stimme  beschränken,  sonst  bestellt 
Heiserkeit,  die  sich  bis  zur  Aphonie  steigern  kann. 

Athembeschwerden  sind  bei  Erwachsenen  nur  selten  bei  trockener 
Krustenbildung  oder  bei  subglottischen  Schwellungen  oder  bei  ödematöser 
ausgebreiteter  Infiltration  vorhanden.  Dagegen  ist  es  bei  Kindern  nicht  so 
selten,  dass  acuter  Katarrh  mit  Erstickungsanfällen  verlauft;  diese  unter  dem 
Namen  Pseudocroup  bekannte  Erkrankung  scheint  theils  infolge  von  subglotti- 
scher Schwellung  (mehrere  eigene  Beobachtungen),  theils  infolge  von  Schleim- 
ansammlung, theils  endlich  infolge  von  Spasmen  des  Kehlkopfes  zu  den 
nächtlichen  Erstickungsanfällen  zu  führen.    („Siehe  Pseudocroup'-'.) 

Seltenere  Formen  des  Catarrlius  acutus. 

1.  Epiglottitis  acuta  seit  Angina  epiglottica.  —  Eine  isolirte  Entzündung 
des  Kehldeckels,  welche  durch  Schmerzen  beim  Schlucken  stark  belästigt.  Die 
Stimme  ist  nicht  verändert.  Bei  der  laryngoskopischen  Untersuchung  sieht 
man  den  Kehldeckel  verdickt,  roth,  manchmal  ödematös,  in  seiner  Beweglicli- 
keit  beschränkt,  sonst  ist  der  Kehlkopf  höchstens  leicht  hyperämisch.  Die 
Affection  verlauft  manchmal  unter  leichtem  Fieber  und  gelangt  in  wenigen 
Tagen  zur  Heilung.  Fälle,  bei  welcher  es  an  der  Epiglottis  zur  umschriebenen 
oder  diffusen  Eiterung  oder  Jauchung  kommt,  sind  als  Abscess,  resp.  Phleg- 
mone aufzufassen  und  werden  durch  Infection  mit  Streptococcen  oder  Staphylo- 
coccen  veranlasst. 

Natürlich  gibt  es  Uebergangsformen,  z.  B.  Phlegmonen,  die  nicht  zur 
Eiterung  kommen  und  deshalb  schwer  zu  diagnosticiren  sind.  Auch  kann 
eine  Phlegmone  mit  leichten  Erscheinungen  beginnen;  gewöhnlich  wohl  be- 
gleitet die  Phlegmone  heftiges  Fieber.  Dies,  sowie  schweres  Ergriffensein 
des  Organismus  lässt  meistens  schon  anfangs  auf  die  infectiöse  Natur  der 
Erkrankung  schliessen  und  wird  den  Arzt  veranlassen,  eine  vorsichtige  Prognose 
zu  stellen,  selbst  wenn  die  localen  Erscheinungen  nicht  hochgradig  sind. 

2.  Laryngitis  postica.  Starke  isolirte  Röthung  und  Schwellung  der  Falte 
zwischen  den  Aryknorpeln  und  der  Aryknorpel  selbst.  Ausser  leichten 
Schmerzen  beim  Schlingen  beobachtet  man  dabei  starke  Heiserkeit,  bedingt 
durch  Behinderung  des  Glottisschlusses  infolge  der  Schwellung  der  hinteren 
Larynxwand,  die  sich  beim  Phoniren  zwischen  die  Stimmbandenden  einschiebt. 
5.  Laryngitis  sicca.  Neben  mehr  weniger  ausgesprochener  Röthung  und 
Schwellung  der  Schleimhaut  findet  man  hier  eine  besondere  Art  des  Schleimes. 
Derselbe  trocknet  nämlich  sehr  leicht  ein  und  bildet  Krusten  und  Borken,  die 
sich  an  den  Stimmbändern  oder  an  anderen  Stellen  festsetzen,  dadurch  starke 
Heiserkeit  und  nicht  selten  durch  ihre  Anhäufung  ein  Hindernis  der  freien 
Athmung  veranlassen.  Nach  Moure's  und  meinen  Erfahrungen  befällt  diese 
Form  besonders  Leute,  die  an  Bhinitis  und  Pharyngitis  sicca  chronica  leiden; 
OoTTSTEiN  dagegen  hat  dieses  Zusammentreffen  nicht  constatiren  können.  Jeden- 
falls ist  die  Laryngitis  sicca  eine  hartnäckige,  oft  durch  Wochen  dauernde  sub- 
acute Form,  welche  recht  leicht  chronisch  wird.  Nach  Gottstetn  soll  sie  beson- 
ders bei  Leuten  vorkommen,  welche  bei  offenem  Feuer  zu  arbeiten  haben.  Die 
Patienten  werden  besonders  des  Morgens  durch  die  während  der  Nacht  ange- 
sammelten Borken  belästigt,  welche  nur  durch  mühsames  Eäuspern  entfernt 
werden  können.  Von  den  Blutungen,  welche  beim  Losreissen  der  Borken 
entstehen  können,  war  schon  früher  die  Rede;  ihnen  verdanken  th eilweise 
auch  die  Krusten  die  dunkelbraune  oder  blaue  Farbe.  Dass  diese  Form  auf 
einer   besonderen  Beschaffenheit   der  Schleimhaut   beruht,   beweist  auch   der 


272  LARYNGITIS  ACUTA. 

Umstand,  dass  gewisse  Individuen  immer  nur  an  dieser  Form  der  Laryngitis 
acuta  erkranken. 

4.  Lanjngitis  acuta  siibglottica  ist  cliarakterisirt  durch  das  Auftreten  von 
rothen  "Wülsten  entweder  an  der  unteren  Fläche  der  Stimmbänder  selbst  oder 
unmittelbar  unter  ihnen.  Man  beobachtet  diese  Form  am  häutigsten  bei 
Kindern,  u.  z.  in  der  Art,  dass  gewisse  Individuen  öfters  von  ihr  befallen 
werden.  Ich  kenne  einige  Personen,  welche  seit  ihrem  5.  Lebensjahre  bis  zum 
15.  jährlich  ein-  oder  zweimal  Anfälle  von  Pseudocroup  überstanden,  ^Yobei 
im  Kehlkopfe  die  subglottischen  rothen  Wülste  nachweisbar  waren.  Im  späteren 
Alter  verlor  sich  die  Neigung  zu  erkranken.  Bei  Erwachsenen  kommt  es 
seltener  (relativ  häufig  bei  InÜuenza)  zu  bedeutenderen  subglottischen  Schwel- 
lungen, wenigstens  nicht  zu  solchen,  welche  Stenosen  verursachen;  unbedeu- 
tende solche  Wülste  dagegen  sind  keine  Seltenheit. 

Stärkere  Grade  dieser  Erkrankung  bedingen  bei  Kindern  nächtliche 
Erstickungsanfälle  und  rauhen,  croupähnlichen  Husten  (siehe  Pseudocroup); 
doch  wird  sowohl  der  rauhe,  Husten  als  auch  die  vorübergehende  Stenose  bei 
solchen  Kindern  beobachtet,  welche  gar  keine  subglottische  Schwellung  auf- 
Aveisen.  Verdickung,  Erschlaffung  und  Lähmung  der  Stimmbänder  oder  ein- 
getrocknetes Secret  kann  auch  den  Crouphusten  erzeugen  (selbst  bei  Erwach- 
senen), ebenso  wie  andererseits  die  Suffocationsanfälle  durch  Krustenbildung  oder 
Spasmus  laryngis  hervorgerufen  werden  können. 

5.  Laryngitis  phlyctaenularis  benennt  Gottstein  jene  Form  des  acuten 
Katarrhes,  bei  der  es  zur  Bildung  von  Stecknadelkopf-  bis  hirsekorngrossen, 
weissen  oder  gelblichen  Bläschen  kommt,  die  entweder  abtrocknen  oder  platzen, 
worauf  kleine,  bald  heilende  Geschwüre  entstehen.  Der  Process  ist  beiderseitig 
und  mit  diffuser  Röthung  der  Larynxschleimhaut  verbunden.  Er  trennt  sie 
strenge  von  dem  Herpes  laryngis  und  fordert  für  H.  die  Einseitigkeit  und  das 
Fehlen  der  diffusen  Röthung.  Ich  glaube  wie  die  meisten  anderen  Laryngo- 
logen,  dass  der  Herpes  aber  bald  einseitig,  bald  beiderseitig  auftritt  und  bald 
mit,  bald  ohne  diffuse  Röthung,  so  dass  man  von  einer  besonderen  phlyc- 
tänulären  Form  des  Katarrhs  im  Gegensatze  zu  Herpes  nicht  sprechen  kann. 
(Siehe  Herpes  laryngis.) 

Diagnose.  Es  wird  nach  dem  Vorstehenden  gewöhnlich  leicht  gelingen, 
die  Erkrankung  sofort  zu  erkennen,  ja  selbst  ohne  mit  dem  Spiegel  den 
Kehlkopf  zu  besichtigen.  Denn  eine  plötzlich  eintretende  Heiserkeit  bei 
einem  früher  ganz  gesunden  Menschen  wird  bei  Fehlen  von  Fieber,  Schling- 
schmerzen und  Verletzungen  gewöhnlich  nur  durch  acuten  Katarrh  veranlasst. 
Doch  bleibt  diese  Art  der  Diagnose  immer  nur  wahrscheinlich,  sicher  wird  sie 
erst,   wenn   die  Laryngoskopie   die   oben  beschriebenen  Veränderungen  zeigt. 

Ferner  wird  uns  erst  der  Spiegel  Aufschluss  geben  können,  welche  Theile 
des  Kehlkopfes  besonders  betroffen  sind,  ob  irgendwo  ödematöse  Schwellung 
besteht,  oder  ob  subglottische  Wülste  vorhanden  sind,  oder  ob  nicht  ein  ohne 
Wissen  des  Kranken  eingedrungener  Fremdkörper  die  Ursache  der^ Heiserkeit 
ist,  oder  ob  eine  totale  halbseitige  Kehlkopflähmung  besteht.  Man  soll  daher 
jeden  Fall  von  Heiserkeit  laryngoskopisch  untersuchen,  dann  wird  man  vor 
Irrthümern  bewahrt  bleiben  und  wird  gleich  die  richtige  Behandlung  ein- 
leiten. 

Besonders  zu  achten  hat  man  auf  folgende  Processe,  die  in  ähnlicher 
Weise  beginnen  können,  wie  der  acute  Katarrh. 

1.  Phlegmonöse  Entzündung  kann  anfangs  sehr  geringe  subjective 
Beschwerden  machen,  wird  aber  durch  die  starke,  oft  ödematöse  Schwellung 
einzelner  Larynxabschnitte  oder  des  ganzen  Larynx  bald  charakterisirt,  ebenso 
wie  durch  Fieber  und  Schlingbeschwerden.  Andererseits  kann  auch  der 
Katarrh  begleitet  sein  von  Oedemen,  wohl  meist  massiger  und  umschriebener 


LARYNGITIS  ACUTA.  273 

Art.  Die  Unterscheidung  ist  da  nur  möglich  durch  längere  Beobachtung; 
daher  ist  in  zweifelhaften  Fällen  die  Prognose  sehr  reservirt  zu  stellen  und 
Ueberwachung  des  Kranken  zu  veranlassen. 

2.  Subglottische  rothe  Wülste  können  nicht  bloss  durch  Katarrh,  sondern 
auch  durch  Tuberculose,  Syphilis  oder  Perichondritis  bedingt  sein. 
Die  Differentialdiagnose  wird  sich  stützen  auf  den  Nachweis  von  Geschwüren 
im  Kehlkopf  oder  Rachen,  die  bei  Tuberculosis  oder  Syphilis  selten  fehlen, 
auf  eine  genaue  Anamnese  und  die  exacte  Untersuchung  des  ganzen  Körpers. 

3.  Die  Differentialdiagnose  des  Pseudocroup  der  Kinder 
gegen  Diphtherie  siehe  im  Artikel  ^^Pseudocroup'-'. 

4.  Auch  muss  Rücksicht  genommen  werden  auf  Fremdkörper, 
Quetschungen  und  Aetzungen  durch  scharfe  Flüssigkeiten,  wodurch 
auch  plötzlich  Heiserkeit  entstehen  kann.  Werden  nun  von  dem  Patienten,  sei 
es  irrthümlicher  W^eise  oder  absichtlich,  falsche  Angaben  über  die  Ursache  der  Hei- 
serkeit gemacht,  kann  gewöhnlich  nur  der  Kehlkopfspiegel  Aufschluss  geben. 

5.  Endlich  kann  eine  halbseitige  Kehlkopflähmung  plötzlich  ent- 
stehen und  einen  acuten  Katarrh  vortäuschen,  während  doch  bekanntlich  die 
Paralyse  gewöhnlich  auf  schweren  Erkrankungen  der  Circulations-  oder 
Respirationsorgane  beruht. 

Prognose.  Die  Vorhersage  des  acuten  Katarrhs  ist  eine  günstige,  da 
er  gewöhnlich  in  einigen  Tagen  abheilt.  Nur  das  Auftreten  von  ödematösen 
Schwellungen  oder  von  subglottischen  Wülsten  fordert  zur  vorsichtigen  Prognose 
auf,  da  sie  nicht  zu  selten  zu  Phlegmonen  sich  ausbilden  oder,  exacter  aus- 
gedrückt, weil  die  phlegmonösen  Formen  manchmal  auch  fieberlos  und  sehr 
leicht  beginnen. 

Aber  selbst  einfache  Katarrhe  können  oft  einige  Wochen  dauern  oder 
sie  können  sich  oft  wiederholen  oder  endlich  sie  können  langsam  in  den 
chronischen  Katarrh  übergehen.  Darauf  muss  man  den  Kranken  aufmerksam 
machen,  damit  er  die  therapeutischen  Rathschläge  befolgt. 

Therapie.  Von  der  Prophylaxe  war  bereits  bei  der  Aetiologie  die  Rede. 

Die  eigentliche  Therapie  wird  nur  eine  symptomatische  sein;  zunächst 
wird  man  von  der  erkrankten  Schleimhaut  alle  Schädlichkeiten  fernhalten; 
jähe  Temperaturwechsel,  trockene,  staubige  Luft,  Aufenthalt  in  schlecht  gelüf- 
teten Räumen,  sowie  alle  Anstrengungen  der  Stimme  sind  zu  vermeiden.  Auf- 
enthalt im  Bette  ist  nur  bei  sehr  heftigen  Graden  des  Katarrhs  oder  bei 
sehr  schwächlichen  Personen  und  bei  Kindern  angezeigt.  Tabakrauchen,  stark 
gewürzte  Speisen  und  geistige  Getränke  sind  strenge  zu  untersagen. 

Manchmal  wirkt  Diaphorese  günstig,  welche  man  durch  warmen  Thee, 
Limonade  und  feuchtwarme  Einpackungen  des  Halses  befördern  kann. 

Eigentliche  medicamentöse  Behandlung  erfordert  gewöhnlich  nur  der 
Hustenreiz,  den  man  durch  Narcotica  bekämpft.  Einige  empfehlen  gegen  die 
Bildung  trockener,  festhaftender  Borken  bei  L.  sicca  Äpomorphin  oder  sogar 
Pilocarpin.  Endlich  kann  manchmal  bei  Pseudocroup-Anfällen  der  Kinder  ein 
Expectorans  oder  sogar  ein  Emeticum  angezeigt  sein,  wenn  der  Spasmus 
durch  eingetrocknetes  Secret  veranlasst  ist.  In  den  meisten  Fällen  von  Pseudo- 
croup genügt  es  aber,  die  Kinder  von  Zeit  zu  Zeit  zu  wecken,  namentlich 
wenn  sie  schwerer  athmen,  und  ihnen  dann  ein  laues  Getränke  zu  geben;  es 
ist  nämlich  experimentell  nachgewiesen,  dass  beim  Schlingen  kleine  Mengen 
der  Flüssigkeit  in  den  Kehlkopf  eindringen,  so  dass  sie  dort  eingetrocknetes 
Secret  befeuchten.  (Näheres  über  Therapie  des  Pseudocroup  siehe  Artikel 
^^Pseudocroup'' .) 

Die  locale  Therapie  hat  zunächst  dafür  zu  sorgen,  dass  die  umge- 
bende Luft  etwas  befeuchtet  wird;  dazu  eignen  sich  flache  mit  Wasser  gefüllte 
Schalen,  die  man  im  Zimmer  anbringt,  oder  feuchte  Tücher,  an  geeigneten 
Stellen  aufgehängt,    oder  Dampfzerstäubungs- Apparate  oder   die    sogenannten 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  lö 


274  LARYNGITIS  ACUTA. 

Luftfeuchter.  Diese  letzteren  Apparate  bedürfen  aber  maschinellen  Betriebes 
und  sind  deshalb  im  Privathause  nicht  zu  beschaffen;  meine  Erfahrungen 
an  der  Poliklinik  giengen  dahin,  dass  unter  dem  Einflüsse  dieser  Apparate, 
welche  die  Luft  bis  zu  98*^/0  "iJt  Feuchtigkeit  sättigen,  die  Beschwerden 
schnell  schwinden,  der  Hustenreiz  abnimmt,  die  Expectoration  erleichtert  und 
der  Verlauf  abgekürzt  wird. 

Zur  directen  Inhalation  kann  man  sich  entweder  der  in  einem  Topfe 
oder  Schnei Isieder  oder  in  dem  MuDGE'schen  Apparate  entwickelten  Wasser- 
därapfe  bedienen,  die  man  rein  oder  mit  Medicamenten  gemischt  einathmet. 
Namentlich  eignet  sich  hiezu  eine  5 — 107oige  Lösung  von  Aqua  laurocerasi  in 
Alcohol  dilutus,  von  welcher  man  einen  Kaffeelöffel  auf  das  dampfende 
Wasser  schüttet.  Die  Einathmung  hat  dreimal  täglich  durch  vier  bis  fünf 
Minuten  bei  leerem  Magen  stattzufinden,  am  besten  mit  Hilfe  eines  langen 
Pappetrichters;  nach  der  Einathmung  hat  der  Kranke  noch  ^4  Stunde  im 
Zimmer  zu  bleiben,  wenn  die  Aussentemperatur  rauh  ist.  Schrötter  empfiehlt 
bei  starker  Schleimansammlung  Terpentin-Oel  zur  Inhalation.  Weniger  Vor- 
sicht erfordert  die  Einathmung  von  zerstäubten  Flüssigkeiten,  weil  dieselben 
selbst  bei  Anwendung  von  Dampfspray  nur  kühl  in  die  Athmungswege  gelangen. 
Die  zu  zerstäubende  Flüssigkeit  ist  entweder  reines  Wasser,  wenn  man  bloss 
befeuchten  will,  oder  V2  bis  l^oige  Lösungen  von  Alkalien  (Chlornatrium,  Soda) 
oder  alkalisch  muriatische  Säuerlinge  behufs  Lösung  des  zähen  Schleimes, 
oder  Lösungen  von  Narcoticis  zur  Stillung  des  Hustenreizes.  Besonders 
empfiehlt  sich  bei  acutem  Katarrhe  nach  meinen  Erfahrungen  eine  Emulsion 
aus  Olei  Vaselini  20'0  ad  200'0  Aq.  dest.,  die  mit  Hilfe  von  Gummi  arabicum 
herzustellen  ist.  Dieser  kann  man  zweckmässig  Cocaini  mur.  0-2  und  zur 
Geschmacksverbesserung  einige  Tropfen  Olei  menthae  pij^eritae  beifügen.  Auch 
der  Spray  von  reinem  Oleum  Vaselini  wirkt  sehr  beruhigend  auf  den  Husten- 
reiz; natürlich  sind  zur  Zerstäubung  dieser  beiden  Mittel  nur  Zerstäuber  mit 
Doppelballon  zu  verwenden.  Sehr  wichtig  ist  es  ferner,  den  Patienten  im 
Gebrauche  der  Zerstäuber  zu  unterweisen;  sie  müssen  nämlich  bei  geöffnetem 
Munde  und  niedergedrückter  Zunge  schnell  und  tief  athmen,  da  sonst  nichts 
von  der  zerstäubten  Flüssigkeit  in  den  Kehlkopf  gelangt.  Einspritzungen  von 
Flüssigkeiten  in  den  Kehlkopf  scheinen  nur  bei  Borkenbildung  angezeigt. 
Dagegen  kann  man  heftigen  Hustenreiz  manchmal  durch  Einblasungen  von 
Morphin  in  kleinen  Dosen,  gemischt  mit  Sacchanim  lactis,  mildern.  Tannin 
und  Alaun  sind  dagegen  nur  indicirt  bei  Residuen  des  Katarrhs  nach  abge- 
laufenem Reizstadium   (vide  Artikel  „Inhalationstherapie^^  und  „Insufflation'^). 

Bepinselungen  des  Kehlkopfes  mit  Cocain-Lösungen  können  manchmal 
durch  Stunden  die  Heiserkeit  und  die  Schmerzempfindungen  beseitigen,  da 
das  Cocain  die  Hyperämie  und  Schwellung  der  Schleimhaut  vermindert;  aber 
eine  Abkürzung  des  Verlaufes  konnte  ich  nie  beobachten.  Ganz  abzurathen 
ist  von  Lösungen  des  Argentum  nitiicimi  oder  Zincum  sulfuricum,  denen 
einige  Autoren  (Gibb)  eine  coupirende  Wirkung  zuschreiben;  ich  habe  sie  nie 
beobachtet.  Bei  Bildung  trockener  Krusten  (bei  L.  sicca),  wo  häufig  die 
Inhalation  nicht  zur  Erw^eichung  genügt,  hat  mir  oft  die  Einpinselung  von 
Oleum  Vaselini  oder  Jodglycerin  gute  Erfolge  gegeben. 

Schliesslich  darf  ich  jedoch  nicht  verhehlen,  dass  die  meisten  leichten 
acuten  Katarrhe  bei  zweckmässigem  Verhalten  von  selbst  bald  abheilen; 
schwere  Formen  mit  Oedemen,  entzündlichen  Schwellungen  oder  starken 
Schmerzen  sind  antiphlogistisch  zu  behandeln  und  sorgfältig  zu  überwachen, 
da  ihre  Abgrenzung  gegen  Phlegmonen  oft  recht  schwer  fällt. 

Residuen  des  Katarrhs,  als  Hyperämien,  Verdickungen,  Paresen,  er- 
fordern dieselbe  Therapie  wie  der  chronische  Katarrh.  Endlich  hat  man  den 
Patienten  aufmerksam  zu  machen,  dass  er  noch  einige  Zeit  nach  Ablauf  des 
Katarrhs  grosse  Neigung  zu  frischer   Erkrankung  behält  und  deswegen  die 


LARYNGITIS  CHRONICA.  275 

bei  der  Aetiologie  erwähnten  Schädlichkeiten  zu  meiden  hat.  Bei  schwäch- 
lichen Individuen,  namentlich  bei  Kindern,  kann  man  manchmal  nur  durch 
allgemeine  Kräftigung,  durch  systematische,  kalte  Waschungen,  längeren  Auf- 
enthalt an  der  See  oder  im  Mittelgebirge  oder  im  Süden  die  schnell  sich 
folgenden  Recidiven  verhüten.  Natürlich  wird  man  auch  immer  darauf  zu 
achten  haben,  ob  diese  Individuen  nicht  vielleicht  durch  Verstopfung  der 
Nase  zu  dauernder  oder  wenigstens  im  Schlafe  eintretender  Mundathmung 
gezwungen  sind.  Da  die  Mundathmung  nämlich  die  Athmungsluft  viel 
weniger  erwärmt,  gereinigt  und  befeuchtet  in  den  Kehlkopf  gelangen  lässt 
als  die  Nasenathmung,  ist  eine  fortwährende  Reizung  seiner  Schleimhaut  un- 
vermeidlich. Man  wird  daher  die  Nase  völlig  frei  zu  machen  haben,  chiaki. 

Laryngitis  chronica  {Catan-lms  larymßs  chronicus)  ist  eine  sehr 
häufige  Erkrankung,  die  sich  übrigens  in  der  verschiedensten  Art  und  in 
sehr  wechselndem  Grade  dem  Beobachter  darbietet.  Manchmal  ist  das  ganze 
Organ  hochgradig  ergriffen,  manchmal  das  Leiden  nur  aus  den  Störungen  der 
Function  (der  Stimmbildung)  zu  erkennen,  manchmal  finden  sich  bedeutende 
Verdickungen  diffuser  und  umschriebener  Art,  manchmal  wieder  deutlich  atro- 
phische Zustände,  bald  ist  die  Secretion  reichlich  und  flüssig,  bald  spärlich 
und  zum  Eintrocknen  geneigt;  ebenso  wechselnd  sind  die  subjectiven  Sym- 
ptome und  die  Störungen  in  Bezug  auf  die  Function.  Dieser  Wechsel  in  den 
Bildern  macht  es  erklärlich,  warum  nicht  selten  Leiden  ganz  anderer  Art  für 
chronischen  Katarrh  gehalten  werden.  Wie  oft  werden  nicht  junge  schwächliche 
Mädchen,  die  durch  übermässiges  Singstudium  ihre  Stimme  verloren  haben, 
erfolglos  an  Katarrh  behandelt,  während  nur  Kräftigung  des  Organismus  und 
Schonung  der  Stimme  sie  heilen  könnte.  Bei  alternden  Sängern  stört  die 
Verkalkung  der  Knorpel  die  Stimmbildung,  der  „Schmelz"  der  Stimme  ist 
verloren;  daran  ist  kein  Katarrh  schuld.  Anderseits  wieder  kommt  auch  der 
gewissenhafteste  Untersucher  öfters  in  Zweifel,  ob  irgend  eine  kleine  Ver- 
dickung auf  Katarrh  oder  etwa  auf  Tuberculose  zurückzuführen  ist,  oder  ob 
eine  leichte  Hyperämie  der  Stimmbänder  eines  Sängers  nur  durch  stärkere 
Function  der  Stimme  oder  durch  Katarrh  bedingt  ist.  Sorgfältige  locale  und 
allgemeine  Untersuchung  mit  Berücksichtigung  der  Anamnese  ist  da  das 
beste  Mittel  gegen  Verlegenheitsdiagnose  „chronischer  Katarrh",  die  man 
um  so  seltener  macht,  je  mehr  Erfahrung  man  besitzt.  Doch  selbst  bei  rigo- 
rosestem Vorgehen  findet  man  das  Leiden  sehr  häufig.  Die  Ursachen  sind 
eben  auch  sehr  verbreitet,  wie  aus  der  allgemeinen  Aetiologie  hervorgeht. 

Der  chronische  Katarrh  kann  entweder  als  Residuum  eines  acuten  be- 
stehen bleiben  oder  er  bildet  sich  langsam  aus,  ohne  jemals  ein  acutes  Sta- 
dium gehabt  zu  haben,  und  ist  bei  Kindern  seltener  als  bei  Erwachsenen.  Da 
er  nach  der  Statistik  viel  häufiger  bei  Männern  als  bei  Frauen  beobachtet 
wird,  so  scheinen  die  Hauptursachen  jene  zu  sein,  welche  hauptsächlich  die 
Männer  berühren,  i.  e.  Trinken,  Rauchen,  Aufenthalt  in  unreiner  Luft,  häu- 
figere Temperaturwechsel  und  stärkere  Anstrengung  der  Stimme. 

Natürlich  wird  auch  mithelfen  eine  grosse  Empfindlichkeit  der  Schleim- 
haut, wie  man  sie  namentlich  bei  scrophulösen,  anämischen  etc.  Individuen 
findet,  oder  starke  active  oder  passive  Hyperämie  der  Schleimhäute.  Auch 
bei  Mutation  stellt  sich  nicht  selten  das  Leiden  ein.  Der  Umstand,  dass  die 
chronische  Pharyngitis  so  häufig  die  chronische  Laryngitis  begleitet,  hat  viel- 
fach zur  Ansicht  geführt,  dass  die  erstere  Ursache  der  letzteren  sei;  etwas 
Ahnliches  behauptet  man  auch  besonders  in  neuester  Zeit  von  chronischen 
Katarrhen  und  Pyorrhoen  der  Nase  und  des  Nasenrachenraumes. 

Man  stellt  sich  das  so  vor,  dass  der  Schleim  oder  Eiter,  der  in  Nase  oder 
Nasenrachenraum  secernirt  wird,  th eilweise  auch  in  den  Kehlkopf  gelangt 
und  daselbst  langsam  eine  Entzündung  anregt.     Auch  wird  das  fortwährende 

18- 


276  LARYNGITIS  CHRONICA. 

Räuspern  zum  Zwecke  der  Entfernung  der  Schleimkrusten  aus  dem  Rachen 
und  dem  Nasenrachenraum  eine  oft  wiederholte  Erschütterung  der  Stimm- 
bänder erzeugen  und  dadurch  schaden.  Andererseits  aber  ist  es  auch  ganz 
gut  denkbar,  dass  ein  Entzündungsprocess,  der  z.  B.  in  der  Nase  begann, 
langsam  in  die  Tiefe  schreitet,  indem  er  sich  per  continuitatem  ausbreitet. 
Endlich  sehen  wir  aber  oft,  dass  Nase,  Rachen  und  Kehlkopf  zur  selben  Zeit 
erkranken,  z.  B.  bei  Influenza  und  anderen  Infectionskrankheiten,  aber  auch 
bei  einfachen  Erkältungen,  und  dass  dann  später  der  Process  überall  chronisch 
wird.  Nach  meinen  Erfahrungen  ist  dieser  letztere  Modus  der  häufigere; 
ScHRöTTER  ist  übrigeus  auch  dieser  Ansicht.  Natürlich  wird  sich  die  Be- 
handlung immer  auf  alle  erkrankten  Gebiete  zu  erstrecken  haben,  sei  ihre 
Combination  auf  was  immer  für  Ursachen  zurückzuführen.  So  wird  zum  Bei- 
spiele auch  eine  abnorm  lange  oder  verdickte  Uvula  zu  amputiren  oder  zu 
ätzen  sein,  schon  um  den  fortwährenden  Reiz  zum  Husten  oder  Räuspern  zu 
beseitigen;  übrigens  muss  ich  constatiren,  dass  ich  nur  äusserst  selten  diese 
Operation  vorzunehmen  hatte. 

Anatomie.  Sowohl  der  Spiegelbefund  als  auch  Autopsien  zeigen  uns 
Veränderungen  in  Bezug  auf  Farbe,  Blutfüllung,  Umfang,  Absonderung  und 
Epithel  bald  einzelner  Theile  oder  des  ganzen  Kehlkopfes.  Häufiger  als  beim 
acuten  Katarrh  ist  die  Veränderung  nur  umschrieben;  besonders  gerne  werden 
die  Stimmbänder  betroflen. 

Die  normaler  Weise  lichtrothe  Farbe  der  Kehlkopfschleimhaut  ist  selten 
unverändert,  häutig  intensiver,  dunkler  und  ins  Bräunliche  spielend.  Die 
braunrothe,  schinkenähnliche  Färbung  kommt  wohl  am  häufigsten  bei  den 
durch  Syphilis  bedingten  Katarrhen  vor,  ja  sie  kann  als  sogenanntes  Erythema 
syphiliticum  ohne  alle  anderen  Abweichungen  das  einzige  Symptom  sein,  so 
dass  der  Process  nicht  einmal  den  Namen  Katarrh  verdient. 

Es  wäre  aber  ein  schwerer  diagnostischer  Fehler,  aus  dieser  Verfärbung 
allein  auf  Syphilis  zu  schliessen,  da  sich  ähnliche  oder  ganz  gleiche  Farben- 
anomalien  auch  bei  gewöhnlichem  Katarrh  und  Tuberculose  finden  können. 
Die  de  norma  sehnig  weissglänzenden  Stimmbänder  lassen  natürlich  alle  Ab- 
weichungen der  Farbe  am  deutlichsten  erkennen;  manchmal  zeigen  sie  eine 
leichte,  frischröthliche  Farbe,  wie  bei  acutem  Katarrh,  gewöhnlich  aber  sind 
sie  dunkler,  bis  braunroth,  wie  das  der  chronischen  Blutüberfüllung  entspricht. 
Nicht  selten  sind  sie  grau  und  dabei  meist  etwas  dicker  und  plumper,  so  dass 
man  mit  Recht  dann  eine  chronische  Bindegewebswucherung  annimmt.  Geht 
die  graue  oder  grauröthliche  Farbe  in  das  Gelbe  über,  so  rührt  das  von 
Pigmentirung  her  oder  ist  ein  Zeichen  von  beginnender  heftiger  Entartung 
(Eppinger)  und  damit  eine  Warnung  vor  zu  günstiger  Prognose  bezüglich  der 
Herstellung  der  Function.  Die  richtige  Beurtheilung  der  beobachteten  Fär- 
bung des  Kehlkopfes  erfordert  grosse  Erfahrung  und  Rücksichtnahme  auf  die 
Färbung  der  benachbarten  Schleimhaut,  da  die  Farbe  selbst  des  gesunden 
Kehlkopfes  individuell  sehr  schwankt.  Man  hat  also  besonders  zu  achten, 
ob  das  Individuum  im  allgemeinen  blasse  oder  rothe  Schleimhäute  hat. 

Auch  die  Art  der  Beleuchtung  hat  grossen  Einfluss;  bei  Petroleum-  und 
Gaslicht  sieht  man  gelb  nicht,  und  ebenso  treten  die  Nuancen  des  Roth  nicht 
scharf  hervor.  Am  besten  eignet  sich  für  Feststellung  feiner  Farbendifierenzen 
das  diffuse  Tageslicht,  welches,  durch  einen  concaven  Reflector  in  den  Kehl- 
kopf geworfen,  für  diesen  Zweck  ausreicht. 

Die  Hyperämie  kann  bei  alten  Processen  gelegentlich  auch  kaum  merk- 
bar sein,  gewöhnlich  aber  ist  sie  in  oben  erwähnter  Weise  mehr  weniger  aus- 
gesprochen. Recht  häufig  beobachtet  man  kleine  ausgedehnte  Gefässchen  an 
verschiedenen  Stellen;  namentlich  an  den  Stimmbändern  sind  sie  leicht  zu 
sehen.  Grössere  venöse  Gefässe  mit  varicösen  Erweiterungen  sind  dagegen 
selten;  ihr  Lieblingssitz  ist  die  obere  Fläche  der  Epiglottis,  woselbst  ja  auch 


LARYNGITIS  CHRONICA.  277 

de  norma  ein  makroskopisch  sichtbares  Veüennetz  Ijesteht.  An  anderen 
Stellen  sind  sie  grosse  Seltenheiten  und  werden  z.  B.  von  Duciiek  als  Folgen 
chronischen  Katarrhs,  von  M.  Mackenzie  als  Producte  einer  passiven  Hyper- 
ämie durch  Stauung  erklärt,  die  mit  Katarrh  nichts  zu  thun  habe. 

Hämorrhagien  sind  selten;  ihr  Liebliugssitz  sind  die  Stimmbänder,  wo- 
selbst sie  als  längliche,  kirschrothe  Streifen  und  Flecken  auftreten. 

Das  Volumen  der  einzelnen  Larynxtheile  wird  schon  ents])rechend  der 
stärkeren  Blutfüllung  zunehmen,  noch  mehr  aber  durch  Exsudation,  sei  es 
seröser  oder  zelliger  Natur  aus  den  ausgedehnten  Gelassen.  Häufig  sind  des- 
halb alle  Contouren  des  Larynx  plumper,  abgerundet,  die  freien  Kanten  der 
Stimmbänder  w-erden  abgestumpft,  die  Taschenbänder  decken  als  dicke,  vor- 
springende Wülste  die  Stimmbänder  theilweise  zu,  und  die  Gebilde  des  Kehl- 
kopfeinganges werden  massiger;  ödematöse  Infiltration  des  submucösen  Ge- 
webes ist  selten,  häufiger  dagegen  die  Verdickung  durch  Rund-  und  Spindel- 
zellen-Anhäufung, welch  letztere  schliesslich  zu  faserigem  Bindegewebe  sich 
ausbilden.  Der  dadurch  erzeugte  Zustand  von  mehr  gleichmässiger  Ver- 
dickung der  Epiglottis,  aryepiglottischen  Falten  und  Taschenbänder  wird  nach 
altera  Sprachgebrauche  als  chronisches  Oedem  bezeichnet.  Hohe  Grade  des- 
selben sind  jedoch  bei  Katarrh  äusserst  selten  und  erregen  deshalb  immer 
den  Verdacht,  dass  es  sich  um  langwierige  Geschwürsprocesse  infolge  von 
Tuberculose,  Syphilis  etc.  handle. 

Häufiger  als  diese  diffusen  Verdickungen  sind  die  umschriebenen,  die 
sich  besonders  gerne  an  den  Stimmbändern  und  der  Interarytänoidfalte  loca- 
lisiren.  Sie  betreffen  entweder  nur  das  Epithel  und  die  oberflächlichsten 
Lagen  der  Schleimhaut  oder  auch  die  tieferen  Lagen.  Was  das  Epithel 
anlangt,  so  ist  dasselbe  sehr  häufig  aificirt.  In  den  leichtesten  Fällen  ist  es 
nur  getrübt,  gequollen  und  gibt  dadurch  der  Oberfläche  eine  matte  Färbung; 
häutig  kommt  es  zur  lebhafteren  Proliferation,  wobei  die  oberflächlichen 
Schichten  schneller  als  sonst  abgestossen  werden.  Bei  längerer  Dauer  der 
Reizung  wird  das  Epithel  verdickt,  und  nicht  selten  bildet  sich  dann  an  ein- 
zelnen Stellen  das  geschichtete,  flimmernde  Cylinderepithel  nach  und  nach  in 
Plattenepithel  um.  Bekanntlich  ist  übrigens  das  Gebiet  des  Plattenepithels 
im  Kehlkopfe  auch  in  gesundem  Zustande  wechselnd,  wenn  es  auch  gewöhn- 
lich nur  die  wahren  Stimmbänder,  die  Interarytänoidfalte  und  die  äusseren 
Flächen  der  Epiglottis  und  der  hinteren  und  seitlichen  Wand  bekleidet 
(Rheiner.)  Es  kann  nämlich  auch  über  die  Ränder  des  Kehlkopfeinganges 
in  das  Lumen  hineingreifen,  ja  sogar  mitten  unter  dem  Flimmerepithel  in 
einzelnen  Inseln  auftreten;  bei  länger  dauerndem  Katarrhe  aber  beobachtet 
man  öfters  eine  weitere  Verbreitung  des  Plattenepithels,  so  auf  die  Taschen- 
bänder und  auf  die  Innenfläche  des  ganzen  Larynxlumens.  Diese  Verhält- 
nisse wurden  durch  zahlreiche  Arbeiten  klargestellt,  zu  denen  theilweise 
ViRCHOw  durch  seine  Untersuchung  über  Pachydermie  die  Anregung  gegeben 
hatte,  so  von  Kanthak,  R.  Heymann,  Forster,  Doleris,  Posner,  0.  Chiari  u.  a. 

Hand  in  Hand  mit  dieser  Metaplasie  und  Verdickung  des  Epithels  geht 
auch  eine  vermehrte  Abstossung  von  Epithel,  w^elche  theils  in  Schuppen,  theils 
in  Lamellen  erfolgt.  Ebenso  kommt  es  zu  einer  stärkeren  Ausbildung  des 
schon  vorhandenen  Papillarkörpers  oder  zur  Neubildung  solcher  Papillen  an 
Stellen,  wo  sie  früher  fehlten.  Diese  Verdickungen  des  Epithels  und  der 
oberflächlichsten  Schleimhautschichten  finden  nun  am  häufigsten  an  umschrie- 
benen Stellen  ihre  stärkste  Entwicklung,  besonders  gerne  an  dem  vorderen 
Drittel  der  Stimmbänder  oder  an  den  Processus  vocales  oder  an  der  Plica 
interarytaenoidea.  Es  entstehen  dadurch  kleine,  flache  oder  halbkugelige 
Knötchen  am  Rande  des  Stimmbandes,  die  man  als  Entzündungsknötchen  oder 
Sängerknoten  bezeichnet,  oder  Verdickungen  an  den  Processus  vocales,  oder 
weisse,  platte  oder  leicht  gezähnelte  Flecke  an  der  vorderen  Fläche  der  Plica 


278  LARYNGITIS  CHRONICA. 

interarytaenoidea.  Die  Vorliebe  dieser  Stelleu,  deutliche  Verdickungen  her- 
vorzubringen, ist  wohl  darin  begründet,  dass  diese  Punkte  bei  der  Phonation 
besonders  stark  angestrengt,  aneinandergepresst  oder  gezerrt  werden.  Das 
dazwischen  liegende  Epithel  ist  auch,  aber  nicht  so  hochgradig  verändert. 
Dauert  nun  der  Katarrh  sehr  lange,  wirken  besonders  Missbrauch  von  Tabak 
und  Alkohol,  sowie  starke  Stimmanstrengungen  lange  Zeit  ein,  so  kommt  es 
an  den  Processus  vocales  zur  Bildung  von  grösseren,  rundlichen  Wülsten,  die 
sich  dann  durch  gegenseitigen  Druck  so  verändern,  dass  schliesslich  die  ge- 
dellten  Wülste  entstehen,  welche  Virchow  zuerst  als  Pachydermia  diffusa 
typica  beschrieben  hat.  Auch  an  der  Plica  interarytaenoidea  kann  es  zu 
grossen  Wulstbildungen  kommen.  Diese  Verhältnisse  sind  näher  erörtert  im 
Artikel  ..Pachijdermie'-'- ,  worauf  hier  verwiesen  werden  muss.  Erwähnen  will 
ich  hier  nur,  dass  der  chronische  Katarrh  nicht  die  einzige  Ursache  der 
Pachydermie  ist,  sondern  dass  auch  Tuberculose,  Syphilis  und  alle  anderen 
chronischen  Reizzustände  gleiche  oder  sehr  ähnliche  Bildungen  hervorrufen 
können.  Auch  bemerke  ich  hier  noch,  dass  bei  diesen  Bildungen  nicht  mehr 
die  oberflächlichen  Schichten  der  Schleimhaut  allein,  sondern  auch  die  tieferen 
Lagen  der  Weichtheile  betheiligt  sind.  Eine  sehr  seltene  Form  der  Ver- 
dickung der  oberflächlichen  Schichten  ist  die  Chorditis  tuberosa  oder  das 
Trachom  der  Stimmbänder  (Türck);  sie  ist  charakterisirt  durch  das  Auftreten 
zahlreicher  kleiner  Knötchen  von  weisslicher,   grauer   oder  röthlicher  Farbe. 

Ergreift  die  chronische  Infiltration  auch  tiefere  Schichten,  so  kann  es 
zu  wulstigen  Bildungen  an  den  Stimmbändern  kommen,  die  meist  ziemlich 
dunkel  gefärbt  sind;  findet  endlich  eine  umschriebene  Hypertrophie  aller 
Schichten  des  Stimmbandes  statt,  so  entwickelt  sich  eine  faltige  Verdickung, 
die  langsam  zunehmend  zu  einem  sogenannten  weichen  Fibrom  heranwächst, 
wie  ich  dies  für  eine  grosse  Reihe  solcher  Gebilde  nachweisen  konnte.  (Siehe 
Artikel  ,,Fibroiite  des  Kehlkopfes''.) 

In  seltenen  Fällen  endlich  kommt  es  zu  Infiltration  der  unteren  Stimm- 
bandantheile  oder  der  Weichtheile  unmittelbar  unter  den  Stimmbändern, 
w^elche  den  Stimmbändern  parallel  liegen  und  röthlichgrau  oder  grau  gefärbt 
sind.  Diese  unter  dem  Namen  Chorditis  vocalis  inferior  hypertrophica  chro- 
nica zuerst  von  Gekhaedt  beschriebene  Form  wurde  später  Hypoglotütis 
chronica  oder  Laryngitis  suhglottica  genannt;  sie  ist  jedoch  meistens  bedingt 
durch  den  Skleromprocess  (siehe  .^BMnosklerom'-^)  und  wird  nur  in  seltenen 
Fällen  durch  Katarrh  oder  Tuberculose  hervorgerufen. 

Sie  führt,  wenn  hochgradig  entwickelt,  zu  einer  langsam  zunehmenden 
Stenosirung  des  Larynxlumens,  umsomehr,  da  sich  die  Verdickung  auch  manch- 
mal auf  die  Plica  interarytaenoidea  erstreckt,  und  es  im  vorderen  Stimm- 
bandwinkel zu  Verklebung  der  Wülste  kommen  kann. 

Endlich  sind  auch  die  Schleimdrüsen  beim  chronischen  Katarrh  be- 
theiligt, sie  werden  vergrössert  und  treten  manchmal  als  hirsekorngrosse 
Höckerchen  hervor;  meistens  sondern  sie  einen  zähen,  fadenziehenden  Schleim 
in  spärlicher  Menge  ab.  In  Form  grauer  Klürapchen  zeigt  sich  das  Secret 
seltener.  Diejenigen  Formen,  welche  sich  durch  abundante  Absonderung  von 
schleimig-eitrigem  Secrete  auszeichnen,  hat  Störk  als  chronische  Blennorrlioe 
abgesondert.  Dieselbe  nimmt  nach  ihm  ihren  Ausgang  von  der  Nase,  deren 
Schleimhaut  einer  pyogenen  Membran  ähnlich  wird;  sowohl  die  Schleimhaut, 
als  auch  die  Muscheln  atrophiren,  so  dass  die  Nasenhöhle  viel  weiter  wird. 
Der  Process  schreitet  dann  durch  den  Nasenrachenraum  und  den  Rachen  in 
Kehlkopf  und  Luftröhre  weiter  und  bedingt  dort  die  schwersten  Veränderungen. 
Die  starke  Eiterabsonderung  erzeugt  nach  Störk  besonders  im  vorderen  Glottis- 
winkel einen  Granulationsprocess,  der  sehr  bald  zur  partiellen  Verwachsung 
der  Stimmbänder  führt;  später  kann  es  dann  zu  Schwellungen  der  ganzen 
Schleimhaut  und  zu  Stenosirung  des  Kehlkopfes  und  der  Luftröhre  kommen, 


LARYNGITIS  CHRONICA.  279 

ohne  dass  im  Nasenraume  Auswüchse,  Verwachsungen,  Wucherungen,  Schrum- 
pfungen etc.  entstehen.  Stükk  sondert  diese  Fälle,  bei  denen  auch  oft  sub- 
chordale  Wülste  vorkommen,  wegen  des  eigenthümlichen  Verhaltens  der  Nase 
von  dem  Rhinosklerom  ab,  nennt  sie  aber  doch  Sklerome;  er  führt  auch  fünf 
Fälle  SoKOLOwsKi's  an,  bei  denen  trotz  der  Bildung  von  subchordalen 
Wülsten  im  Larynx  Rhinosklerombacillen  nicht  gefunden  werden  konnten, 
und  betont,  dass  er  über  die  Aetiologie  nichts  aussagen  könne. 

Jedenfalls  müssen  erst  weitere  Untersuchungen  die  P>age  von  der  Aetio- 
logie der  Blennorrhoe  chronica  und  ihres  Verhältnisses  zum  Rhinosklerom 
klarlegen,  umsomehr,  da  Ehinosklerom  des  Kehlkopfes  nicht  so  selten  ohne 
Betheiligung  der  Nase  und  des  Rachens  vorkommt.  Auch  können  subchor- 
dale  Infiltrate  durch  Tuberculose,  Syphilis  und  andere  Processe  hervorgerufen 
werden. 

Endlich  gibt  es  Fälle,  bei  denen  ohne  jede  Wulstbildung  im  Kehlkoi)fe 
das  Secret  in  der  Form  von  Krusten  eintrocknet;  diese  Krusten  haften  fest 
und  können  namentlich  des  Morgens  nur  mit  grosser  Mühe  entfernt  werden. 
Dabei  kommt  es  nicht  selten  zu  kleinen  Läsionen  und  Blutungen.  Diese  sehr 
lästige  Form  fand  ich  immer  nur  bei  Leuten,  welche  an  atrophischer  Rhinitis 
und  Pharyngitis  mit  Borkenbildung  litten.  Stöek  nennt  auch  diese  P'orm 
chronische  Blennorrhoe  und  beobachtete,  dass  die  Larynxschleimhaut  in  eine 
grüngelblichen  Eiter  absondernde  Fläche  umgewandelt  war,  w^elcher  Eiter  zu 
Krusten  eintrocknete,  und  dass  sich  auch  hier  später  öfters  die  subglottischen 
Infiltrate  mit  Stenose  entwickelten.  Lublin.ski  und  Gottstein  dagegen 
sprechen  in  solchen  Fällen  von  einer  wirklichen  Atrophie  der  Schleimhaut 
mit  Untergang  oder  Degeneration  vieler  Drüsen,  so  dass  der  Process  im 
Larynx  dem  in  der  Nase  und  im  Rachen  verlaufenden  ganz  analog  ist.  Die 
Schleimhaut  ist  hier  anscheinend  wenig  verändert,  nur  blass  und  dünn. 
LuBLiNSKi  nennt  diesen  Zustand  Laryngitis  atrophica. 

Geschwüre  sind  eine  seltene  Erscheinung  bei  chronischem  Katarrhe;  doch 
kommen  sie  zweifellos  vor,  gewöhnlich  wohl  sind  sie  nur  oberflächlich,  oft 
richtiger  als  Excoriationen  zu  bezeichnen.  Ihr  Lieblingssitz  ist  das  Stimm- 
band. Stöek  fand  sie  sehr  oft  als  verticale  Einrisse  in  die  Schleimhaut  der 
vorderen  Fläche  der  hinteren  Larynxwand,  doch  konnten  sie  die  meisten  an- 
deren Laryngologen  nur  selten  sehen. 

Verhältnismässig  häufig  scheinen  sich  an  den  Stellen  mit  starker  Epithel- 
verdickung, wo  wegen  der  starken  Abschuppung  leicht  das  Corium  freigelegt 
wird,  Rhagaden  zu  bilden  (namentlich  bei  der  Pachydermia  difiusa  Viechow), 
welche  dann  unter  dem  Einflüsse  schwerer  Erkrankungen  namentlich  gegen 
das  Lebensende  hin  zu  tiefgreifenden  Geschwüren  werden  (Ilbeeg.)  Sonst 
haben  die  Geschwüre  katarrhalischer  Art  keine  starke  Reaction  in  der  Um- 
gebung und  meist  Neigung  zu  rascher  Heilung.  Nur  der  STöEic'scAe  Schleim- 
Jiautriss  soll  sehr  hartnäckig  der  Behandlung  widerstehen. 

Symptome  und  Verlauf.  Da  die  Intensität  und  Ausbreitung  der  ana- 
tomischen Veränderungen  sehr  verschieden  ist,  werden  auch  die  Beschwerden 
des  Patienten  und  die  Krankheitserscheinungen  sehr  wechseln.  Fieber  wird 
durch  den  Katarrh  nie  veranlasst.  Schmerzen  fehlen,  dagegen  kann  Gefühl 
des  Trockenseins  oder  leichtes  Brennen  den  Patienten  belästigen.  Husten- 
reiz besteht  nur  bei  Geschwürsbildung  oder  Anhäufung  von  fest  haftendem 
Secrete.  Dagegen  fehlt  Räuspern  fast  nie,  weil  doch  immer  einiges  Secret 
zu  entfernen  ist;  ja  es  kann  dieser  Drang  zu  räuspern  den  Patienten  fast  nie 
verlassen  und  dadurch  beinahe  zur  Verzweiflung  treiben. 

Die  constanteste  Erscheinung  ist  die  Stimmstöruug.  Sie  kann  sehr  ver- 
schieden sein:  die  Stimme  ist  manchmal  rein,  kräftig,  aber  ermüdet  viel 
früher  als  vorher.  Der  Spiegel  zeigt  dann  nur  leichte  Hyperämie  bei  guter 
Actionsfähigkeit  der  Stimmbänder;    erst   bei   längerer   Phonation  zeigt   sicli 


280  LARYNGITIS  CHRONICA. 

der  mangelhafte  Schluss  der  Stimmritze.  Eine  reine,  aber  schwache  Stimme 
lässt  auf  mangelnde  Spannung  schliessen.  Ob  in  solchen  Fällen  wirklich 
Katarrh  vorliegt,  das  entscheidet  nur  der  Spiegel;  denn  es  kann  ja  auch 
Ueberanstrengung  der  Stimme  oder  allgemeine  Erschöpfung  diese  Störungen 
bedingen.  Sehr  häufig  jedoch  klingt  die  Stimme  rauh,  tiefer,  oder  es  machen 
sich  erst  beim  Singen  Störungen  bemerkbar,  indem  einzelne  Töne  fehlen  oder 
unrein  (namentlich  in  piano)  klingen  oder  nicht  gehalten  werden  können.  Bei 
stärkerem  Katarrhe  kommt  es  zu  starker  Heiserkeit  oder  sogar  Aphonie. 

Die  Ursachen  der  Stimmstörung  sind  verschieden;  sehr  häufig  handelt 
es  sich  um  Schwäche  der  Phonationsmuskeln,  welche  offenbar  von  dem  Exsu- 
dationsprocesse  direct  betroffen  werden.  Da  gewöhnlich  dieser  Process  beider- 
seits gleich  entwickelt  ist,  so  ist  die  Form  der  etwas  klaffenden  Glottis  meist 
symmetrisch.  Bei  Parese  der  Musculi  vocales  lassen  die  Stimmbänder  vor 
den  Processus  vocales  eine  elliptische  Lücke  zwischen  sich.  Bei  Transversus- 
parese  klafft  die  Glottis  hinter  den  Processus  vocales  in  Form  eines  Dreieckes, 
bei  Parese  der  Musculi  cricoarytaenoidei  laterales  legen  sich  die  Processus 
vocales  nicht  ganz  aneinander,  so  dass  die  Form  der  Glottis  die  betheiligten 
Muskeln  erkennen  lässt. 

Schleim,  der  gewöhnlich  zähe,  fadenziehend  ist,  stört  die  Stimme  nur 
vorübergehend,  ausser  wenn  es  sich  um  Krusten  handelt,  die  sehr  schwer 
auszuhusten  sind.  Diffuse  gleichmässige  Verdickung  der  Stimmbänder  macht 
die  Stimme  tiefer  und  weniger  modulationsfähig.  Verdickte  Taschenbänder 
wirken  dämpfend  auf  die  Vibrationen  der  Stimmbänder.  Umschriebene  kleine 
Knötchen  am  Rande  der  Stimmbänder  können  oft  ohne  Stimmstörung  getragen 
werden,  machen  aber  nicht  selten  das  Singen  hoher  Töne  in  piano  unmöglich. 
In  seltenen  Fällen  sind  sie  Ursache  dei  Dij^hthonie. 

Bedeutendere  diffuse  oder  umschriebene  Verdickungen  stören  fast  immer 
die  Singstimme  bedeutend;  doch  kann  die  Sprechstimme  völlig  ausreichen 
(siehe  ^.,Pac]iydermie'-^). 

Athembeschwerden  treten  nur  auf  bei  Bildung  grosser  diffuser  Wülste, 
so  der  subchordalen  Infiltrate,  u.  z.  in  der  Weise,  dass  sie  sich  sehr  langsam 
entwickeln.  Dadurch  gewöhnt  sich  das  Individuum  so  sehr  an  das  enge  Lumen, 
dass  es  trotz  deutlichen  Stridors  sich  selbst  bei  massiger  Bewegung  gar  nicht 
belästigt  fühlt.  Allerdings  sind  solche  grosse  Infiltrate  bei  Katarrh  ausser- 
ordentlich selten. 

Das  Schlingen  ist  höchstens  bei  hochgradiger  Pachydermie  oder  bei 
Skleromprocess  behindert. 

Diagnose.  Die  Diagnose  wird  sich  auf  die  obigen  Anhaltspunkte  stützen; 
natürlich  ist  sie  nur  mit  dem  Kehlkopfspiegel  sicher  zu  stellen.  Dabei  ver- 
säume man  nie,  den  ganzen  Larynx  sorgfältigst  zu  besichtigen,  und  namentlich 
den  vorderen  Antheil  der  Stimmbänder,  wo  gerade  die  sogenannten  Polypen 
so  gerne  sitzen.  Dazu  eignet  sich  am  besten  die  Untersuchung  des  Patienten 
bei  stark  nach  rückwärts  übergebeugtem  Kopfe,  wobei  der  Arzt  natürlich  zu 
stehen  hat.  Bei  dieser  Vorsicht  wird  man  nie  einen  Polypen  übersehen. 
Ferner  mache  man  es  sich  zum  Grundsatze,  nach  dem  Kehlkopfe  auch  Nase 
und  Rachen  zu  untersuchen  und  den  ganzen  Organismus,  weil  so  häufig  Kehl- 
kopfkatarrhe mit  anderen  Erkrankungen  in  Verbindung  stehen. 

Differentialdiagnostisch  wären  folgende  Processe  zu  berücksichtigen: 

1.  Acuter  Katarrh.  Wie  schon  erwähnt,  beruht  der  wesentliche 
Unterschied  nur  auf  Heftigkeit  und  Dauer  der  Erkrankung;  deswegen  könnten 
ablaufende  acute  Katarrhe  mit  chronischen  verwechselt  werden,  ebenso  sehr 
leichte  acute  Katarrhe.  Man  wird  deshalb  der  Anamnese  oft  nicht  entbehren 
können.  Durchschnittlich  gelten  als  Zeichen  des  acuten  Katarrhs  diffuse, 
frische,  lichtrothe  Färbung  der  Schleimhaut,  rosiges  Aussehen  der  Stimm- 
bänder, starke  Parese  der  Schliesser  und  zu  Klumpen  geballter  Schleim. 


LARYNGITIS  CHRONICA.  281 

Chronischer  Katarrh  zeigt  oft  dunklere,  düstere  Köthe,  graue  oder  gelb- 
liche, mehr  weniger  mit  Koth  gemischte  Färbung  der  Stimmbänder,  geringere 
Parese  der  Stimmbänder  und  fadenziehenden  Schleim. 

Endlich  spricht  starke  Heiserkeit  und  stärkere  unangenehme  Sensation 
im  Kehlkopf  für  acuten  Katarrh.  Etwa  vorhandene  Infiltrate  umschriebener 
Art  sind  bei  acutem  Katarrh  roth,  bei  chronischem  mehr  grau  und  kommen 
bei  letzterem  viel  häufiger  vor. 

2.  Tuberculose.  Natürlich  kann  auch  bei  Lungentuberculose  einfacher 
Katarrh  des  Larynx  auftreten;  bestehen  aber  umschriebene  oder  diffuse  Infil- 
trate, so  ist  die  Differentialdiagnose  schwer;  namentlich  kleine  flache  Ver- 
dickungen der  Plica  interarytaenoidea  mit  weisslicher  Oberfläche  (verdicktes 
Epithel)  können  bei  beiden  Processen  vorkommen;  sie  sehen  bei  der  Anein- 
anderbewegung  der  Aryknorpel  durch  Faltung  der  Unterlage  oft  so  gezackt 
aus,  dass  man  sie  für  ulcerirt  halten  möchte.  Doch  erweisen  sie  sich  bei 
abducirten  Aryknorpeln  als  platt. 

Noch  schwieriger  ist  die  Beurtheilung  typischer,  pachydermischer  Wülste 
an  den  Processus  vocales  und  an  der  Plica  interarytaenoidea;  dieselben  werden 
nämlich  auch  durch  Tuberculose  erzeugt.  Als  Kennzeichen  tuberculöser 
Wülste  gilt  die  Ulceration,  welche  bei  reiner  Pachydermia  meist  fehlt.  Auch 
zeigen  die  durch  Katarrh  erzeugten  Wülste  an  den  Processus  vocales  deut- 
licher die  typische  Schalenform. 

Subchordale  Wülste,  durch  Tuberculose  veranlasst,  sind  meist  stark  roth, 
oft  unsymmetrisch  entwickelt  und  häufig  ulcerirt. 

Ausserdem  ist  der  Larynx  tuberculöser  Menschen  meist  ziemlich  blass 
und  zeigt  oft  charakteristische  Ulcera  oder  Perichondritis.  Endlich  wird  die 
Anamnese,  die  Lungen-  und  Sputumuntersuchung  und  in  besonders  schwie- 
rigen Fällen  die  histologische  und  bacteriologische  Prüfung  eines  Stückchens 
des  Infiltrates  gewiss  Aufschluss  geben. 

3.  Syphilis.  Das  Erythema  syphil.  ist  gewöhnlich  durch  seine 
schinkenrothe  Färbung  auffallend,  doch  darf  nicht  vergessen  werden,  dass 
auch  bei  Katarrh  solche  Färbung  vorkommt  und  dass  sie  anderseits  bei 
Erythema  syphiliticum  fehlen  kann.  Gewöhnlich  bestehen  aber  neben  ihm  auch 
Röthung  und  Condylome  im  Rachen;  dass  zur  Beurtheilung  der  Farben- 
nuancen das  diffuse  Tageslicht  an  zweckmässigsten  ist,  wurde  bereits  hervor- 
gehoben. 

Subglottische  Infiltrate  sind  bei  Syphilis  meist  roth,  bei  chronischem 
Katarrhe  grau.  Oberflächliche  Ulcera  syphilitischen  Ursprunges  sind  häufig 
symmetrisch  an  beiden  Stimmbändern,  hartnäckig  und  begleitet  von  Condylom- 
bidung  im  Gaumen  und  Munde;  auch  sind  ihre  Ränder  infiltrirt  und  ihr 
Grund  dick  belegt.  In  Ermangelung  dieser  Momente  wird  die  Anamnese  und 
genaue  Körperuntersuchung  jeden  Zweifel  beheben. 

4.  Rhinosklerom.  Diese  Erkrankung  kommt  nur  in  Frage  bei  dem 
Vorhandensein  subchordaler  grauer  oder  grauröthlicher  Wülste;  die  meisten 
Autoren  nehmen  dann  Rhinosklerom  an,  doch  hat  Störk  hervorgehoben,  dass 
dies  nur  richtig  sei,  wenn  auch  in  Nase  und  Rachen  Wucherungen,  Knoten, 
narbige  Retractionen  und  Verengerungen  vorhanden  sind.  Besteht  in  der 
Nase  bloss  Atrophie  mit  Blennorrhoe,  so  handelt  es  sich  nicht  um  Rhino- 
sklerom, sondern  um  die  von  ihm  als  chronische  Blennorrhoe  beschriebene 
Erkrankung.  Sokolov^^ski  hat  auch  in  fünf  ähnlichen  Fällen  den  Ehinosklerom- 
bacillus  vermisst.  Jedenfalls  wäre  zur  Diagnose  immer  die  bacteriologische 
Untersuchung  nöthig,  die  übrigens  grosse  Vorsicht  und  Ausdauer  nöthig 
macht,  da  in  alten  Producten  des  Rhinoskleroms   häufig   die  Bacillen  fehlen. 

Therapie.  Da  der  chronische  Katarrh  oft  aus  einem  acuten  hervorgeht, 
wird  man  natürlich  das  Auftreten  des  letzteren  zu  verhüten  (siehe  Aetiologie 
und  Prophylaxe  des  acuten  Katarrhs)  und  jeden  vorhandenen  acuten  Katarrh 


282  LARYNGITIS  CHRONICA. 

völlig  zu  heilen  haben.  Besonders  wichtig  ist  es,  auch  den  kleinsten  Ueber- 
rest  der  acuten  Erkrankung  zu  beachten,  also  jede  Schädlichkeit  noch  durch 
Wochen  hindurch  von  dem  Kehlkopfe  fernzuhalten  und  jede  Hyperämie,  Ver- 
dickung und  SecretionsvermehruDg  durch  locale  Behandlung  zu  beseitigen. 
Das  ist  um  so  wichtiger,  als  acute  Katarrhe  sich  gerne  wiederholen  und  den 
ganzen  Kehlkopf  immer  mehr  empfindlich  machen. 

Andererseits  kann  aber  durch  lange  Einwirkung  der  eingangs  erwähnten 
Schädlichkeiten  der  Kehlkopf  ganz  allmählich  ohne  acutes  Stadium  solche  Ver- 
änderungen acquiriren,  welche  den  chronischen  Katarrh  charakterisiren;  die 
Prophylaxe  wird  dann  in  Abhaltung  obiger  Noxen  bestehen,  als  deren  wich- 
tigste ich  nenne  Aufenthalt  in  staubiger,  schlechter  Luft,  schnellen  Wechsel 
der  Temperaturen,  Missbrauch  von  Tabak  und  Alkohol,  Ueberanstrengung 
oder  unzweckmässigen  Gebrauch  der  Stimme,  dann  in  Beseitigung  von 
Katarrhen  und  anderen  Erkrankungen  der  benachbarten  Schleimhäute,  in 
Herstellung  freier  Nasenathmung,  in  Behebung  von  Stauungen  in  den  oberen 
Luftwegen,  in  Kräftigung  des  ganzen  Organismus,  in  Erhöhung  seiner  Wider- 
standskraft durch  Aufenthalt  in  klimatischen  Curorten,  hydrotherapeutische, 
gymnastische  Curen  etc.,  wovon  schon  die  Rede  war. 

Die  Behandlung  des  schon  bestehenden  chronischen  Katarrhs  wird  ausser 
diesen  Factoren  noch  besonders  die  localen  Eingriffe  zu  berücksichtigen  haben. 

Einathmungen  von  Dämpfen  mit  Zusatz  von  aromatischen  Oelen  oder 
Narcoticis  oder  Balsamen  haben  keinen  besonderen  Erfolg.  Dagegen  em- 
pfehlen sich  Zerstäubungen,  u.  zw.  besonders  mit  Hilfe  der  kalten  Zerstäuber. 
Die  mit  Dampf  betriebenen  Sprays  nämlich  bedingen  immer  die  Gefahr  der 
Explosion  des  Dampfkessels,  wenn  sie  nicht  fortwährend  revidirt  werden, 
haben  aber  sonst  keine  Vortheile.  Zur  Zerstäubung  verwendet  man  halb- 
procentige  Lösungen  von  Kochsalz  oder  Soda,  wenn  besonders  der  zähe  Schleim 
belästigt,  l7o  Tannin-  oder  Alaunlösungen  bei  Hyperämie  und  Schwellung, 
P/q  Kali  chloricum,  Pj^  Carholsäure^  Liquor  Burrowi  mit  lOmal  soviel  Wasser, 
1 — 5^0  Natrium  henzoicum  als  Desinficientien  bei  eitriger  Absonderung, 
Morphin,  Opium  und  Cocain  bei  Hustenreiz;  Vaselinöl  rein  oder  in  107o 
Emulsion  wird  ebenso  wie  bei  acutem  Katarrhe  angezeigt  sein. 

Diese  Inhalationen  wirken  natürlich  nur  langsam,  da  die  Lösungen  sehr 
verdünnt  sind  und  nur  kurze  Zeit  auf  die  erkrankte  Schleimhaut   einwirken. 

Sie  empfehlen  sich  daher  nur  bei  leichten  Erkrankungen  oder  als  Unter- 
stützung wirksamerer  Methoden  oder  zur  Behandlung  solcher  Kranken,  welche 
ferne  vom  Arzte  wohnen. 

Etwas  energischer  wirken  schon  die  Einspritzungen  von  Lösungen  in 
den  Kehlkopf  selbst;  dazu  bedient  man  sich  einer  kleinen  Spritze  mit  langer, 
entsprechend  gekrümmter  Röhre  aus  Hartkautschuk  als  Ansatz.  Eingespritzt 
werden  namentlich  bei  Borkenbildung  ^2 — 2  cm^  P/o  Lösungen  von  Bicarbonas 
Sodae  oder  2 — IO^Iq  Lösungen  von  Menthol  in  Oleum  olivarum  oder  Oleum 
Vaselini. 

Man  lässt  sie  langsam  einträufeln  und  bemerkt  dabei  nur  geringen 
Hustenreiz,  selbst  wenn  die  Flüssigkeit  auch  in  die  Luftröhre  eindringt.  Der 
Erfolg  ist  der,  dass  der  Schleim  sich  anfeuchtet  und  leichter  ausgeworfen  wird. 

Von  der  Einblasung  adstringirender  Pulver  macht  man  zweckmässig 
Anwendung  bei  Röthung  oder  Schwellung  der  Schleimhaut;  Tannin  und  Alaun 
in  feinst  pulverisirter  Form  stehen  am  meisten  in  Gebrauch.  Bei  Geschwürs- 
bildung wirkt  Jodoform  oder  die  Substitute  desselben  Jodol,  Dermatol,  Eü- 
rophen,  Äristol  und  Nosophen,  reinigend,  reizmildernd  und   oft  auch   heilend. 

Gegen  Hustenreiz  bewährt  sich  neben  innerlicher  Verwendung  der  Nar- 
cotica  die  schon  beim  acuten  Katarrh  erwähnte  Mischung  von  Morphin  und 
Milchzucker.     Von    Ärgentum   nitricum    dagegen,    welches    in   Mischung    mit 


LARYNGITIS  CHRONICA.  283 

Amylum  gegen  Hyperämie  und  Schwellung  empfohlen  wird,  habe  ich  keine 
Erfolge  gesehen. 

Alle  diese  Mittel  reichen  übrigens  nur  aus  bei  leichten  Katarrhen;  bei 
schwereren  Formen  muss  man  zu  Bepinselungen  greifen.  Dieselben  erfolgen 
bei  Hypertrophie  der  Gewebe  mit  adstringirenden  Lösungen;  zu  Grunde  liegt 
dieser  Therapie  die  Absicht,  in  dem  chronisch  verdickten  Gewebe  eine  frische 
Entzündung,  einen  lebhafteren  Stoffwechsel  anzuregen,  welcher  im  Stande  ist, 
die  Aufsaugung  der  Exsudate  anzuregen.  Der  nächste  Effect  einer  solchen 
Pinselung,  z.  B.  mit  dem  am  häufigsten  angewendeten  Argentum  nitricum  in 
2 — 10%  Lösung,  ist  starker  Hustenreiz  oder  sogar  ein  Glottiskrampf.  Dann 
folgt  starkes  Brennen  im  Halse,  welches  durch  einige  Minuten,  manchmal 
aber  sogar  Stunden  lang  anhält.  Später  bleibt  noch  Fremdkörpergefühl  und 
Neigung  zum  Räuspern  über,  bis  endlich  jede  Pteizung  schwindet.  Mit  dem 
Spiegel  beobachtet  man  starke  Hyperämie  und  Schleimabsonderung,  welche 
langsam  abnimmt.  Gewöhnlich  nimmt  man  die  Pinselungen  täglich  vor 
während  einiger  Wochen,  untersagt  während  dieser  Zeit  jede  Anstrengung 
der  Stimme  und  lässt  dann  den  Patienten  noch  zwei  Wochen  sich  schonen, 
damit  die  acute  Entzündung,  die  Folge  der  Pinselungen,  völlig  ablaufen  kann. 
Ergibt  nun  nach  dieser  Frist  der  Spiegel  die  Rückbildung  der  Infiltrate  und 
ist  auch  die  Function  wieder  in  Ordnung,  so  kann  der  Patient  seine  ge- 
wohnte Thätigkeit  wieder  beginnen.  Anderenfalls  müsste  noch  eine  Serie 
von  Pinselungen  stattfinden. 

Jedenfalls  hüte  man  sich  aber,  Monate  lang  ununterbrochen  täglich  den 
Kehlkopf  zu  bepinseln,  weil  der  Patient  noch  über  Stimmstörung  klagt;  denn 
während  der  Pinselcur  ist  die  Stimme  nie  rein  und  kräftig,  und  zu  lange 
fortgesetzte  Pinselungen  können  geradezu  chronische  Entzündungen  hervor- 
rufen. 

Man  beginnt  mit  einer  2°/o  Lösung  und  gebraucht  dieselbe  so  lange, 
als  sie  noch  eine  Reaction  hervorruft;  dann  geht  man  zu  4  und  67o  Lösungen 
über;  stärkere  sind  selten  nöthig. 

Um  den  Glottiskrampf,  der  ja  bei  Herzleiden  oder  schweren  Lungen- 
affectionen  nicht  unbedenklich  ist,  zu  vermeiden,  stumpfe  man  den  Larynx 
durch  Einathmungen  von  Tanninlösungen  und  dann  durch  Einblasungen  von 
Alaun  oder  Tannin  in  Pulverform  einige  Tage  lang  ab  und  beginne  dann 
erst  mit  den  Pinselungen.  Manchmal  nützen  auch  sehr  tiefe  und  schnelle 
Einathmungen  unmittelbar  vor  dem  Eingriffe;  bei  besonders  empfindlichen 
Personen  könnte  auch  vorhergehende  Anästhesirung  durch  Cocain  erfolgen. 
Jedenfalls  verweile  man  bei  der  ersten  Pinselung  nicht  zu  lange  mit  dem 
Pinsel  im  Larynx;  später  aber  führe  man  den  Eingriff  energisch,  aber  ohne 
Gewalt  aus.  Trotz  aller  Schonung  kouimt  es  aber  öfter  zu  kleinen  Blutungen, 
namentlich  in  das  Gewebe  der  Stimmbänder,  oder  zu  kleinen  Aetzschorfen 
ebendort  oder  an  der  hinteren  Fläche  des  Kehldeckels. 

Diese  beiden  Vorkommnisse  sind  ohne  Bedeutung,  zwingen  uns  aber, 
die  Pinselungen  auszusetzen,  bis  sie  abgeheilt  sind.  Während  dieser  Zeit 
sind  Einathmungen  von  adstringirenden  Lösungen  angezeigt;  Tannin,  Alaun 
und  Zincum  chloratum  werden  auch  in  circa  lO^o  Lösungen  verwendet, 
wirken  aber  nicht  so  gieichmässig  wie  Silbernitrat.  Dagegen  empfehlen  einige 
Autoren  Jod- Jodkali-Glycerin- Lösung  als  Ersatz  des  Silbers,  wenn  die  Schleim- 
haut gegen  das  letztere  Mittel  abgestumpft  ist.  Ich  habe  von  dem  sogenannten 
Jodglycerin  nur  bei  Laryngitis  sicca  mit  Borkenbildung  gute  Erfolge  gesehen, 
da  es  die  Borken  löst  und  die  zur  Atrophie  neigende  Schleimhaut  wohlthätig 
zu  beeinflussen  scheint. 

Bei  bedeutender  diffuser  Verdickung  leistet  auch  manchmal  Jodtinctur 
gute  Dienste. 


284  LARYNGOSKOPIE. 

Bei  umschriebenen  Hypertrophien  dagegen  empfiehlt  sich  mehr  die  ganz 
localisirte  Aetzung;  mau  führt  dieselbe  am  besten  aus  mit  einem  ge- 
deckten Aetzmittelträger,  der  mit  Lapis  (Argentura  nitricum)  in  Substanz 
armirt  wird,  u.  zw.  nach  vorhergeschickter  Anästhesirung  mittelst  Cocain, 
damit  man  nur  den  ins  Auge  gefassten  Punkt  ätze  und  nicht  vielleicht  wegen 
Unruhe  des  Patienten  auch  andere  treft'e.  Diese  Therapie  eignet  sich  be- 
sonders für  die  sogenannten  Sängerknötchen  der  Stimmbänder,  für  Epithel- 
verdickungen der  Plica  interarytaenoidea  und  für  isolirte  Verdickungen  der 
Taschenbänder. 

Von  der  Behandlung  der  Pachydermia  und  der  als  Geschwülste  impo- 
nirenden  umschriebenen  Hypertrophien  ist  in  den  Pachydermie  und  Kehl- 
kopfneubildungen behandelnden  Artikeln  die  Rede. 

Subglottische  Wülste,  welche  das  Lumen  langsam  verengern,  sind  sehr 
geeignet  zur  Durchführung  der  ScHRöTTER'schen  Dilatationsmethode  mit  den 
dreikantigen  Hartkautschukröhren.  Diese  Röhren  werden  in  das  verengte 
Lumen  unter  Leitung  des  Spiegels  eingeführt  und  bis  zu  V2  Stunde  daselbst 
belassen.  Sie  bringen  nun  durch  Druck  die  Wülste  zum  langsamen  Schwinden, 
so  dass  in  1  bis  2  Monaten  das  Lumen  genügend  weit  ist.  Da  die  meisten 
Patienten  das  Selbsteinführen  der  Röhren  bald  lernen,  so  kann  auch  die 
Wiederkehr  der  Wülste,  die  sonst  sehr  häufig  erfolgt,  verhindert  werden, 
wenn  der  Patient  sich  selbst  öfters  bougirt. 

Die  Intubation  nach  O'Dwyee  ist  auch  bei  diesem  Processe  ver- 
wendbar und  hat  den  Vorzug,  dass  die  Tuben  tagelang  liegen  bleiben  können; 
sie  wird  aber  nicht  von  dem  Patienten  erlernt  und  eignet  sich  daher  nicht 
zur  Verhütung  von  Recidiven. 

Ist  die  subglottische  Stenose  hochgradig,  so  wird  man  nicht  selten 
tracheotomiren  müssen,  und  kann  dann  nachträglich  durch  die  Schröttee- 
schen  Bolzen  die  Dilatation  versuchen.  Endlich  hat  man  auch  öfters  nach 
Laryngofissur  die  Wülste  exstirpirt  und  so  die  Stenose  beseitigt;  ob  mit 
bleibendem  Erfolge,  darüber  ist  noch  kein  abschliessendes  Urtheil  abzugeben, 
da  ja  der  Verlauf  der  sogenannten  Sklerome  des  Larynx,  seien  sie  nun,  wie 
Stöek  für  viele  Fälle  glaubt,  durch  chronische  Blennorrhoe  oder  durch  den 
Rhinosklerombacillus  veranlasst,  ein  sehr  langwieriger  ist.  Es  kommt  zu  oft- 
maligen Nachschüben,  ja  völlig  exstirpirte  Wülste  oder  Knoten  können  rela- 
tiv schnell  nachwachsen.  Andererseits  aber  beobachtet  man  auch  manchmal 
ein  allmähliches  Erlöschen  des  Processes,  wenn  auch  erst  nach  vielen  Jahren. 

Anhang:  Laryngitis  submucosa  chronica.  Diese  von  einigen 
Autoren  als  selbständige  Form  hingestellte  Erkrankung  wurde  im  Vorstehenden 
erörtert.  Sie  hat  ihren  Grund  in  verschiedenen  Erkrankungen,  als  Katarrh, 
chronische  Blennorrhoe,  Rhinosklerom,  Tuberculose,  Syphilis,  Lupus,  Lepra 
und  anderen  chronischen  Processen  und  ist  daher  als  Symptom  und  nicht  als 
selbständige  Krankheit  aufzufassen. 

Die  Laryngitis  herpetica,  erysipel  atosa  und  phlegmonosa 
sind  unter  den  entsprechenden  Stichworten  in  diesem  Bande  erörtert,  chiaei. 

Laryngoskopie.  Die  Laryngoskopie,  d.  h.  die  Besichtigung  des 
Kehlkopfes  mittelst  eines  Spiegels,  geschieht  in  der  Weise,  dass  man  auf 
einen  in  den  Rachen  des  zu  untersuchenden  Patienten  eingeführten  kleinen 
Spiegel  Licht  so  einfallen  lässt,  dass  die  abgelenkten  Lichtstrahlen  senkrecht 
nach  unten  in  den  Kehlkopf  fallen  und  auf  demselben  Wege  zurück  und  vom 
Spiegel  in  das  Auge  des  Beobachters;  damit  empfängt  derselbe  natürlich 
gleichzeitig  das  Spiegelbild  des  Larynxinnern.  Nachdem  schon  früher  man- 
cherlei Versuche,  dasselbe  zu  erhalten,  mit  mehr  oder  weniger  Erfolg  gemacht 
und  meist  wieder  aufgegeben  waren,  gelang  es  Türck,  die  jetzt  allgemein 
übliche  Methode  auszubilden;  aber  wahrscheinlich  wären  seine  Resultate  eben- 


LARYNGOSKOPIE. 


285 


falls  der  Vergessenheit  anheimgefallen,  hätte  nicht 
CzERMAK  mit  unermüdlicher  Ausdauer  und  zähem  Fleiss 
die  Methode  weiter  entwickelt  und  für  ihre  Propagation 
gesorgt. 

Der  in  den  Rachen  einzuführende  Kehlkopfspie- 
gel ist  ein  kleiner  runder,  unter  einem  Winkel  von  ca. 
120",  gegen  seinen  Stiel  geneigter,  gewöhnlich  aus  Glas 
gefertigter  Spiegel  (s.  Fig.  1);  der  Stiel  ist  in  einem 
Heft  mit  Schraube  oder  auf  andere  Weise  befestigt. 
Kleinere  Spiegel  verwendet  man  bei  Kindern,  oder  wenn 
z.  B.  hypertrophische  Tonsillen  die  Einführung  eines 
grösseren  verhindern.  Gewöhnlich  benutzt  man  mittel- 
grosse, die  in  der  Grössenscala  von  1 — 5  die  Nummer 
3  oder  4  tragen. 

Der  Patient  sitzt  bei  der  Untersuchung  vor  und 
neben  der  Lichtquelle;  letztere  befindet  sich  links  von 
demselben,  wenn  man  den  Reflector  sich  vor  das  rechte 
Auge  stellt  und  umgekehrt. 

Der  Reflector  (s.  Fig.  2),  ein  Hohlspiegel  von  9  bis 
10  cm  Durchmesser  und  ca.  20  cm  Brennweite,  ist  an  einem 
Bande   befestigt,   das   der   Untersucher  um    den  Kopf 
schnallt   oder   an    einem   über   den   Kopf  zu  legenden 
Metallreifen,  und  wird  so  eingestellt,  dass  man  mit  dem 
Auge,    vor  dem    er  sich  befindet,    durch  seine  centrale 
Oeffnung  hindurchsieht.  Das  mit  dem- 
selben von  der  Lichtquelle  aufgefangene 
Licht   wird   nun  in  den  Rachen  reflec- 
tirt,    so  dass  unser  Auge,   das  sich  im 
Mittelpunkte  des  vom  Reflector  ausge- 
henden Lichtkegels  befindet,  gleichsam 
zu  einem  selbstleuchtenden  Körper  wird 
und   wir   den   Rachen  hell   erleuchtet 
sehen. 

Das  Flammenbild  soll  nun  von 
dem  Hohlspiegel  soweit  reflectirt  wer- 
den, dass  es  in  den  Kehlkopf  fällt 
(s.  Fig.  3).  Da  unser  Auge  ca.  14  cw 
von  der  Mundöffnung  des  Kranken  ent-  Figur  2. 

fernt  ist,  und  die  Entfernung  von  die- 
ser bis  zu  dem  im  Rachen  eingestellten 
Kehlkopfspiegel  ebenso  wie  die  Distanz 
von  diesem  bis  zu  den  Stimmbändern 
je  ca.  8  cm  misst  —  in  summa  also  30  cm, 
müsste  zur  hellen  Beleuchtung  der  letz- 
teren das  Flammenbild  in  eine  Ent- 
fernung von  30  cm  geworfen  werden. 
Wir  brauchen  nun  aber  für  die  Be- 
leuchtung des  relativ  kleinen  Kehlkopf- 
spiegels nur  einen  kleinen  Lichtkegel 
und  wollen  ein  möglichst  intensives 
Licht  haben;  beides  erreichen  wir,  wenn 
wir  das  umgekehrte  verkleinerte 
Flammenbild  benutzen.  Dieses  liegt  nun 
jenseits  des  Brennpunktes  und  inner- 
halb   der  doppelten  Brennweite,   d.  h.  Figur  3 


Figur  1. 


268 


LARYNGOSKOPIE. 


also  zwischen  20  und  40  cm,  also  ca.  30  cm.  Unser  Auge  ist  vom  Kehlkopf- 
spiegel ca.  22  cm  entfernt,  es  muss  demnach  die  Lichtquelle  hinter  dem 
Patienten  stehen.     (IJezüglich  der  Lichtquellen  siehe  „Phcinjngoslxopie'' .) 

Der  Kranke  hält  den  Kopf  ein  wenig  nach  hinten  geneigt,  öffnet  den 
Mund  möglichst  weit  und  fasst  die  weit  hinausgestreckte  Zunge  mittelst 
Daumens  und  Zeigetiugers  der  rechten  Hand  so,  dass  der  erstere  der  beiden 
mittelst  eines  Taschentuchs  bedeckten  Finger  unter,  der  letztere  über  die 
Zunge  zu  liegen  kommt.  Nimmt  der  Untersucher  die  Zunge,  wie  es  bei  manchen 

ängstlichen  oder  un- 
geschickten Patien- 
ten im  Anfang  nö- 
thig,  so  liegt  der 
Daumen  oben  und 
der  Zeigefinger  un- 
ten (s.  Fig.  4). 

Nun  erwärmt 
man  den  Kehlkopf- 
spiegel, damit  er 
sich  nicht  infolge  der 
feuchtwarmen  Ex- 
spirationsluft  im 
Munde  beschlägt, 
und  zwar  hält  man 
die  Spiegelseite  über 
die  Flamme  der 
Lichtquelle  oder 
eines  Spirituslämp- 
chens,  weil,  erhitzte 
man  die  metallene 
Rückseite  des  Spie- 
gels, es  lange  Zeit 
in  Anspruch  nehmen 
würde,  bis  auch  die 
Glasseite  erwärmt  wäre,  und  man  ausserdem  durch  Ueberhitzen  der  ersteren 
leicht  die  Rachenschleimhaut  verbrennen  könnte.  Um  dies  zu  vermeiden, 
prüft  man  an  der  Rückseite  seiner  linken  Hand  oder  an  der  Wange  die  Tem- 
peratur, die  so  hoch  sein  soll,  dass  die  Haut  dabei  ein  angenehmes  Wärme- 
gefühl empfindet. 

Nachdem  man  nunmehr  mit  dem  Reflector  das  Licht  auf  das  Velum 
geworfen,  führt  man  den  lose,  nach  Art  einer  Schreibfeder,  in  die  rechte  Hand 
genommenen  Kehlkopfspiegel  vom  linken  Mundwinkel  des  Patienten  so  ein, 
dass  er  bei  durch  Anlauten  von  „äh"  gehobenem  Gaumensegel  die  Uvula  auf 
seine  Rückseite  aufladet  und  nach  hinten  und  oben  drängt,  während  der  Stiel 
im  linken  Mundwinkel  liegen  bleibt  (s.  Fig.  5). 

Der  Stiel  hat  also  die  Richtung  von  links  unten  nach  der  Mitte  und 
oben;  diese  schräge  Richtung  ist  nothwendig,  weil  nur  so  der  Spiegel  mehr 
der  Horizontalen  angenähert  werden  kann;  läge  der  Stiel  horizontal,  so  wäre 
er  120"  gegen  die  wagerechte  Ebene  geneigt  und  würde  zu  senkrecht  stehen, 
um  das  Licht  in  den  Kehlkopf  zu  werfen;  vielmehr  würde  es  zu  weit  nach 
vorne  gelangen. 

Die  Einführung  des  Spiegels  geschieht  mit  leichtem,  allmählich  zu- 
nehmendem Druck  gegen  das  Velum;  stossweise  oder  unzarte  Bewegungen, 
sowie  die  Berührung  der  hinteren  Rachenwand  reizen  den  Patienten  zum 
Würgen.  Man  kann,  um  den  Spiegel  ruhiger  zu  halten,  den  Mittel-  oder 
kleinen  Finger  auf  das  Kinn  oder  die  Wange  des  Patienten  stützen,  während 


Figur  4. 


LARYNGOSKOPIE. 


287 


Figur  5. 


die  linke  Hand  nöthigenfalls  durch  Drehung  des  Keflectors  das  Licht  richtig 
einstellt. 

Man  muss  den  Kehlkopf  sowohl  bei  der  Phonation  —  indem  man  den 
Patienten  „äh"  sagen  lässt  —  als  auch  bei  ruhiger  Ptcspiration  untersuchen, 
damit    man    die 

Beweglichkeit 
der  Stimmbänder 
controliren,  resp. 
die  hintere  La- 
rynxwand  und  die 
subglottische  Re- 
gion besichtigen 
kann. 

Wir  können 
nun     das    Licht 
mehr  nach  vorne 
oder  mehr   nach 
hinten  fallen  las- 
sen.    Wie  schon 
oben  angedeutet, 
sehen   wir   weiter  nach  vorne, 
wenn   wir   den    Spiegel    senk- 
rechter stellen,  d.  h.  den  Grift 
mehr  heben,    und   mehr   nach 
hinten   im  umgekehrten  Falle. 
Da    der   Einfallswinkel   gleich 
dem  Ausfallswinkel  ist,  wird  das 
von  vorne  auf  den  mehr  senk- 
recht gestellten  Spiegel  fallende 
Licht  mehr  nach  vorne,  das  auf 
den   mehr  horizontal   gestellten  fallende  mehr  nach 
hinten  reflectirt.     Oder  aber,  fixiren  wir  den  Spiegel 
und  verändern  wir  unsere  Sehaxe,  so  wird,  wenn  wir 
dieselbe  heben,  das  Licht  unter  einem  spitzeren  Win- 
kel   einfallen,    also    auch  in  einem  um  so  spitzeren 
nach  hinten,  d.  h.  weiter  nach  hinten  reflectirt  wer- 
den, während  wir  mehr  die  vordere  Partie  des  Kehl- 
kopfes sehen  werden,    wenn  wir  die  Sehaxe  senken. 

Umgekehrt  also,  sehen  wir  im  Spiegel  den  Zun- 
gengrund, d.  h.  zu  weit  nach  vorne,  so  steht  der 
Spiegel  zu  senkrecht,  wir  müssen  den  Griff  senken, 
sehen  wir  andererseits  die  Spitzen  der  Aryknorpel, 
so  müssen  wir  ihn  heben. 

Drehen  wir  den  Spiegel  in  der  Axe  seines  Stiels, 
so  dass  der  von  uns  aus  gesehene  linke  Rand  geho- 
ben wird,  so  sehen  wir  mehr  die  rechte  Seite  des 
Kehlkopfes  im  Spiegelbilde,  etwa  den  Sinus  pyri- 
formis  und  ebenso   umgekehrt. 

Hat  man  mit  der  rechten  Hand  die  für  die 
Untersuchung  nothwendige  Dexterität  sich  ange- 
eignet, so  beginne  man  die  Uebungen  mit  der  linken 
Hand,  da  die  linkshändige  Untersuchung  füi'  die 
Behandlung  nothwendig  wird,  bei  der  die  rechte  Hand  das  für  dieselbe 
bestimmte   Instrument  führt. 


Figur  6. 


288 


LARYNGOSKOPIE. 


Will  mau  einem  ;iücleren  das  laryugoskopische  Bild  demon- 
striren,  so  hängt  man  einen  NoLTENius'schen  Gegenspiegel  an  dem  Retiector 
auf,  so  dass  der  dem  Uutersucher  gegenüberstehende  Beobachter  oder  der 
Patient  in  dem  Gegenspiegel  das  aus  dem  Laryngoskop  in  ihn  hineingewor- 
fene Bild  sieht.  Bei  Sonnenlicht  benutzt  mau  einen  Planreflector  und 
lässt  den  zweiten  vis-ä-vis  stehenden  Beobachter  neben  dem  Sonnenlichtstrahl 
in  den  Reflector  hineinsehen.  Bei  künstlichem  Licht  benutzt  man  auch,  um 
mit  der  untersuchenden  Hand  dem  neben  dem  Untersucher  stehenden  Mit- 
beobachter den  Einblick  in  den  Mund,  resp.  den  Kehlkopfspiegel,  nicht  zu  ver- 
wehren, das  jüngst  von  B.  Fränkel  angegebene  Laryngoskop,  bei  dem  der 
Handgriff  in  einem  stumpfen  Winkel  zum  Spiegelstiel  steht  (s.  Fig.  6);  man 
fasst  dann  das  Heft  in  die  Faust. 

Will  man  seinen  eigenen  Kehlkopf  besichtigen  (Autolaryngoskopiej, 
so  wirft  man  mittelst  eines  Reflectors  das  Licht  in  seinen  Rachen,  stellt  den 
Kehlkopfspiegel  in  vorschriftsmässiger  Weise  ein  und  beobachtet  in  einem 
vis-ä-vis  gestellten  Planspiegel  das  in  ihn  aus  dem  Kehlkopfspiegel  reflec- 
tirte  Bild. 

Die  Schwierigkeiten  bei  der  Laryngoskopie  schwinden  mehr  und 
mehr  mit  zunehmender  LTebung;  allein  gewisse  Hindernisse  sind  zuweilen  auch 
für  den  Geübteren  vorhanden. 

Ist  die  Zunge  zu  fleischig,  so  dass  sie  nur  einen  schmalen  Spalt 
für  den  Einblick  in  den  Rachen  lässt,  so  kann  man  sie  noch  mit  einem  Spatel 
herunterdrücken.  Ist  der  Patient  sehr  empfindlich  und  leicht  zum  Würgen 
geneigt,  so  gehe  man,  sobald  er  würgt,  mit  dem  Spiegel  aus  dem  Rachen;  ge- 
wöhnlich stumpft  sich  die  Empfindlichkeit  nach  mehrmaliger  Wiederholung 
der  Untersuchung  ab.  Schlimmsten  Falls  macht  man  die  Rachenschleimhaut 
durch  Bepinselung  mit  10 — lö^o  Cocainlösung  unempfindlich. 

Ein  zu  langes  Zäpfchen,  das  leicht  vor  den  Spiegel  fällt,  dränge  man 
mit  dem  Spiegel  seitwärts  oder  halte  es  durch  einen  grossen  Spiegel  zurück. 

Tritt    die  hintere 


3  c^ll  *. 


Rachen  wand  (Lordose) 
weit  hervor,  so  kann  sie 
ein  Hindernis  abgeben  für 
den  Eintritt  der  nach  un- 
ten gerichtetenLichtstrah- 
len  in  den  Kehlkopf;  lässt 
man  den  Patienten  dann 
den  Kopf  nach  vorne  nei- 
gen, so  hilft  man  dem 
Uebelstande  gewöhnlich 
in  ausreichendem  Maasse 
ab.  Liegt  die  Epiglot- 
tis  zu  weit  nach  hin- 
ten über  und  verschliesst 
gewissermaassen  den  La- 
rynxeingang,  so  lasse  man 
den  Kranken  „i"  sagen 
oder  einen  hohen  Ton  singen;  dann  richtet  sich  der  Kehldeckel   auf. 

Bei  Kindern,  deren  Epiglottis  gewöhnlich  eine  mehr  horizontale  Lage 
hat,  erleichtert  man  sicli  den  Einblick  in  den  Larynx  sehr  oft,  wenn  man 
die  kleinen  Patienten  während  der  Untersuchung  tiefe,  seufzende  Inspirationen 
machen  lässt. 

Die  Betrachtung  der  hinteren  Larynxwand,  die  gewöhnlich  per- 
spectivisch  stark  verkürzt  erscheint,  kann  in  befriedigender  Weise  durch 
die  sog.  KiLiAN'sche  Methode  ermöglicht  werden.     Der  Patient  neigt    seinen 


Vordere  Pliarjjnxtcand 
Figur   7. 


LARYNGOSKOPIE. 


289 


Kopf  Dach  vorne  über,  wobei  auch  die  hintere  Larynxwand  vornübergeneigt 
wird;  das  Ange  des  Üntersuchers  befindet  sich  möglichst  tief  unter  dem 
Munde  des  Kranken,  während  der  Patient  steht,  kniet  der  Untersucher 
vor  ihm. 

Das  laryngoskopische  Spiegelbild  scheint  so  weit  hinter  dem 
Spiegel  zu  liegen,  wie  der  gespiegelte  Gegenstand,  der  Larynx,  unter  dem- 
selben sich  befindet;  aus  der  wagerechten  Ebene  werden  die  iur  unsere  Orien- 
tirung  wichtigen  Stimmbänder  in  eine  der  Spiegelebene  entsprechende,  Tb" 
zur  Horizontalen  geneigte,  von  vorne  oben  nach  hinten  unten  abfallende 
Ebene  verlegt;  was  demnach  im  Kehlkopf  vorne  ist,  sieht  man  im  Spiegel 
oben,  was  hinten  ist,  unten.  Oben  sehen  wir  demnach  den  Zungengrund,  die 
Epiglottis,  die  vordere  Commissur,  den  Vereinigungswinkel  der  Stimmbänder, 
unten  im  Spiegel  die  hinteren  Partien,  die  Aryknorpel  und  die  Basis  des 
Glottisdreiecks.  Was  wir  ferner  auf  der  rechten  Seite  im  Spiegel  sehen,  d.  h, 
auf  der  linken  Seite  des  Patienten,  ist  seine  linke  Kehlkopfseite,  und  was 
wir  auf  seiner  rechten  Seite   sehen,  seine  rechte. 

Wir  sehen  im  Spiegel  (s.  Fig.  7)  den  hügeligen  Zungengrund,  dessen 
einzelne  halbkugelige  Balgdrüsen  im  Centrum  eine  kleine  schlitzförmige,  der 
Mündung  des  Drüsenausführungsganges  entsprechende  Oeffnung  zeigen.  Vom 
Zungengrunde  verlaufen  zur  Epiglottis  in  der  Mittellinie  das  Lig.  glosso-epi- 
glotticum  medium  und  lateralwärts  beiderseits  je  ein  Lig.  glosso-epiglotticum 
laterale;  zwischen  diesen  Bändern  befindet  sich  jederseits  die  Vallecula. 

Die  bei  Kindern  seitlich  zusammenge- 
drückte, bei  Erwachsenen  meist  flachere  Epiglot- 
tis lässt  manchmal  am  Rande  den  Knorpel  gelb- 
lich durchscheinen.  Von  der  Epiglottis  verlau- 
fen lateralwärts  in  die  seitliche  Pharynxwand  je 
eine  Plica  pharyngo-epiglottica,  nach  hinten  zu 
den  Aryknorpeln  und  so  den  Kehlkopfeingang 
seitlich  und  nach  hinten  begrenzend,  die  Lig.  ary- 
epiglottica;  nach  hinten  schliessen  die  Aryknor- 
pel und  die  zwischen  ihnen  liegende  hintere 
Wand  — Piegio  interarytaenoidea  —  das  Bild  ab. 
Am  deutlichsten  springen  die  gewöhnlich 
weissen,  selten  rosa  aussehenden  Stimmbänder 
in  die  Augen;  sie  legen  sich  bei  der  Phonation 
in  der  Mittellinie  aneinander  (s.  Fig.  8),  so  dass 
die  Rima  glottidis  bis  auf  einen  linearen  Spalt 
geschlossen  ist,  und  gehen  bei  ruhiger  Respi- 
ration auseinander.  Bei  tiefer  Inspiration  ist 
es  oft  möglich,  die  Trachea  bis  zur  Bifurcation 
und    den  Eingang   in   die  Bronchien  zu  sehen  Pigxir  9. 

(s.  Fig.   9).    Am   Processus   vocalis,   dem   am 

weitesten  nach  vorne  in  die  Substanz  der  Stimmbänder  sich  vorschiebenden 
Theil  des  Aryknorpels,  sieht  man  oft  einen  vom  elastischen  Gewebe  herrühren- 
den gelben  Fleck  —  Macula  lutea.  Oberhalb  der  vorderen  Commissur 
der  Stimmbänder  bemerkt  man  nicht  selten  das  prominente,  lebhaft  rothe 
Tuberculum  epiglottidis;  nach  hinten  verlaufen  sie  zu  den  Aryknorpeln,  die 
sich  mit  der  adductorischen  Bewegung  derselben  nach  innen  und  bei  der 
Respiration  wieder  nach  aussen  drehen.  Die  Spitzen  der  Aryknorpel,  die 
SANTORiNi'schen  Knorpel,  sind  gewöhnlich  lebhafter  roth  als  die  übrige  Larynx- 
schleimhaut.  Seitlich  von  ihnen  sieht  man  in  den  aryepiglottischen  Falten 
als  kleine  Höckerchen  die  WEiSBEEG'schen  Knorpel. 

Oberhalb  der  Stimmbänder   und  etwas    nach  aussen    macht  sich   jeder- 
seits ein  Schlitz  bemerkbar,  der  Eingang  in  den  Ventriculus  Morgagni,  ober- 


Ohren-,  Nasen-,  Bachen-,  Kehlkopfkranklieiten. 


19 


290 


LARYNX  KRISEN. 


halb  dessen  die   rothen    dicken  Wülste    der   Taschenbänder  —  Lig.  glottidis 
spuria  —  liegen. 

Seitlich  von  den  aryepiglottischen  Falten  —  von  ihnen  medianwärts  be- 
grenzt —  liegt  jederseits  ein  Sinus  pyriformis,  den  nach  vorne  die  pharyngo- 
epiglottische  Falte  umschliesst,  Avährend  die  seitliche  Begrenzung  die  seit- 
liche Pharynx^vand  übernimmt  und  seine  hintere  Wand  dem  seitlichen  Theil 
der  hinteren  Eachenwand  entspricht.  Er  bildet  den  Eingang  in  den  tiefsten 
Theil  des  Rachens,  resp.  in  den  Oesophagus. 

KiRSTEiN  hat  uns  gezeigt,  dass  man  bei 
'^^  einer  gewissen  Zahl  von  Patienten  im  Stande 
ist,  direct,  d.  h.  ohne  Anwendung  eines  Spiegels, 
den  Kehlkopf  zu  sehen;  er  nennt  diese  Unter- 
suchungsmethode die  Autoskopie.  Der  Kranke 
sitzt  vor  dem  Arzte  auf  einem  Stuhle  mit  vorne 
übergeneigtem  Oberkörper  und  legt  den  Kopf 
in  den  Nacken,  um,  so  weit  es  ihm  eben  mög- 
Figur  10.  I        lieh,  die  Mundöffnung  in  die  Richtung  des  Luft- 

rohres zu  bringen.  Wenn  der  Patient  nun  sei- 
nen Mund  öffnet,  so  verwehrt  uns  noch  die 
^j  Zunge,  insbesondere  der  Zungengrund,  den  Ein- 
blick in  den  Larynx;  wir  müssen  denselben  da- 
her nach  vorne  ziehen,  um  den  stumpfen  Winkel  auszugleichen,  den  der  Zuü- 
genrücken  mit  der  Axe  des  Kehlkopfes  bildet.  Dies  geschieht  durch  einen 
eigens  für  diesen  Zweck  construirten  Spatel,  der  gewissermaassen  eine  Com- 
bination  des  FRlNKEL'schen  Spatels  mit  dem  REiCHERT'schen  Epiglottisheber 
darstellt  (Fig.  10)  und  so  gleichzeitig  ein  Aufrichten  des  Kehldeckels  gestat- 
tet. Zur  Beleuchtung  benutzt  man  einen  Stirnspiegel  oder  eine  elektrische 
Lampe. 

Wenn  der  Patient  „autoskopirbar"  ist,  so  sehen  wir  die  hintere  Larynx- 
wand  ilächenhaft  vor  uns  liegen;  ferner  kommen  die  hinteren  ^/g  der  Stimm- 
bänder zur  Anschauung,  selten  die  vordere  Commissur. 

Die  Autoskopie  wird  zweifellos  schwerer  ertragen  als  die  Laryngoskopie; 
sie  hat  von  letzterer  ausnahmsweise  bei  Kindern,  besonders  für  endolaryngeale 
Operationen,  einen  Vorzug,  kann  aber  im  allgemeinen  natürlich  nicht  mit  ihr 
concurriren.  a.  eosenberg. 

Larynxkrisen.  Aetiologie  und  Pathogenese.  Es  ist  anzunehmen, 
dass  sich  besonders  im  Beginne  der  Tabes  die  Centren  für  die  Glottisveren- 
gerer  in  einem  latenten  Zustande  höherer  Erregbarkeit  befinden,  so  dass  psy- 
chische und  periphere  Reize,  welch  letztere  hauptsächlich  vom  Kehlkopfe, 
manchmal  auch  von  der  Nase,  dem  Rachen,  dem  äusseren  Gehörgange,  der 
Haut  aus  zu  diesen  Centren  gelangen,  ganz  extravagante  Reactionen  im 
Kehlkopfe  hervorrufen.  Aeussere  Gelegenheitsursachen  sind  u.  a.  die  Be- 
rührung von  kalten  Gegenständen,  heisse  Speisen  und  Getränke,  Sprechen, 
Druck  auf  die  OppENHEm'sche  Stelle  am  Innenrande  des  Kopfnickers. 

Symptome.  Die  leichten  Anfälle  bestehen  in  einem  plötzlichen  heftigen 
Husten,  mit  oder  ohne  tönende  Inspiration.  In  schwereren  Fällen  geht  dem- 
selben irgend  ein  unangenehmes  reizendes  Gefühl  im  Halse  mit  nachfolgendem 
Zusammenschnüren  und  furchtbarer  Beklemmung  voraus,  worauf  der  Husten- 
krampf mit  langgezogener  In-  und  kurzer  Exspiration  unter  Cyanose  erfolgt; 
daneben  können  Würgbewegungen,  Nieskrämpfe,  Schweissausbrüche,  blitz- 
ähnliche Schmerzen  in  den  Extremitäten  etc.  auftreten.  Die  schwersten  Fälle 
endlich  verlaufen  unter  den  peinlichsten  Begleiterscheinungen  der  Erstickung, 
obwohl  sich  die  Patienten  in  der  Regel  wieder  erholen.     Die  Dauer  der  An- 


LEPRA  DES  LARYNX.  291 

fälle  wird  mit  einigen  Secunden  bis  zu  einigen  Minuten  angegeben;  sie  treten 
mit  Intervallen  von  mehreren  Tagen  bis  Monaten  auf. 

Die  Larynxkrisen  gehören  in  der  Regel  zu  den  Fr ühsy mptomen 
der  Tabes,  doch  kann  ihnen  eine  Lähmung  der  Glottisöffner  lange  vorher- 
gehen; damit  ist  aber  nicht  gesagt,  dass  eine  Lähmung  überhaupt  eintreten 
müsste.  Ihre  Entwicklung  ist  meist  sehr  allmählich,  kann  aber  auch  eine  ful- 
minante sein.  Sie  pflegen  später  an  Litensität  und  Häufigkeit  abzunehmen 
und  verschwinden  nicht  selten  lange  vor  dem  Lebensende. 

Diagnose.  Jedenfalls  sollten  Erstickungsanfälle  unter  obigen  Sensa- 
tionen und  unter  Krampfliusten  ohne  physikalischen  Lefund  die  Untersuchung 
auf  Tabes  nahelegen.  Differentiell  kommt  der  Ictus  laryngis  und  die  soge- 
nannte Posticuslähmung  in  Frage, 

Therapie.  Es  ist  methodische  Cocainisirung  des  Kehlkopfes  und  ein 
Bromsalz  anzuwenden.  Bei  Wiederholung  sehr  bedrohlicher  Anfälle  ist  die 
Tracheotomie  vorzunehmen.  bergeat. 

Lepra  des  Larynx.  DieUrsachedes  Aussatzes  ist  der  Leprabacillus, 
der  eine  grosse  Aehnlichkeit  mit  dem  Tuberkelbacillus  hat  und  sich  ebenso 
wie  dieser  in  charakteristischer  Weise  färben  lässt;  andererseits  unterscheidet 
er  sich  von  ihm  dadurch,  dass  er  auch  mit  andern  Bacterienarten  dieselben 
tinctoriellen  Eigenschaften  besitzt.  —  Während  Goldscmidt  nach  seinen 
Beobachtungen  in  Madeira  die  Gefahr  der  Uebertragung  für  eine  sehr  geringe 
hält,  erklärt  Armauer  Hansex,  der  wohl  die  reichste  Erfahrung  auf  diesem 
Gebiete  hat,  die  Lepra  für  eine  ausschliesslich  ansteckende  Krankheit,  die 
nichts  mit  der  Ernährung  an  sich  oder  mit  der  Erblichkeit  zu  thun  hat;  die 
Uebertragung  geschehe  wahrscheinlich  direct  von  Person  zu  Person. 

Man  unterscheidet  eine  knotige  und  eine  maculöse  (anästhetische)  Form;  die 
erstere  führt  zu  Ulcerationen,  enthält  mehr  Bacillen  und  ist  in  Bezug  auf  die 
Uebertragung  die  gefährlichere. 

Die  eingewanderten  Bacillen  führen  zu  einem  langsam  fortschreitenden, 
Granulationsgewebe  bildenden  Entzündungsprocess;  es  entstehen  auf  der 
Schleimhaut,  besonders  des  Larynxeingangs,  knotige  Verdickungen  von  mehr 
glatter  oder  zottiger  Oberfläche,  durch  deren  verschiedene  Localisation  und 
Confluenz  die  Contouren  vollkommen  verwischt  werden.  Nehmen  sie  an  Grösse 
oder  Zahl  zu,  so  wird  das  Lumen  erheblich  verengt.  Die  Knoten  zerfallen 
geschwürig,  und  die  Geschwüre  können  wieder  vernarben,  so  dass  man  Ulcera- 
tionen und  Narben  gleichzeitig  zu  Gesicht  bekommt. 

Symptome:  Ueber  Schmerzen  klagen  die  Patienten  fast  nie,  dagegen 
ist  gewöhnlich  die  Stimme  —  je  nach  der  Localisation  und  Ausbreitung  des 
Processes  —  verändert.    Das  hervorstechendste  Symptom  ist  die  Athemnoth. 

Laryngoskopisch  sieht  man  auf  der  Schleimhaut  jene  Knoten,  die  sich, 
glänzend  gelbweiss,  deutlich  von  dem  rothen  Grunde  der  Schleimhaut  abheben; 
auf  den  Knoten  runde,  mit  glasig-gelbem  Grunde  versehene  Ulcerationen  und 
daneben  Narben,  die  z.  Th.  sehr  in  die  Tiefe  dringen.  Die  befallenen  Theile 
zeigen  ein  plumpes,  dickes,  starres  Aussehen. 

Die  Diagnose  stützt  sich  auf  das  Vorhandensein  der  oben  beschrie- 
benen Knoten  im  Larynx.  Die  Epiglottis  ist  sehr  oft  knotig  verdickt  und 
liegt  mehr  nach  hinten,  weil  die  aryepiglottischen  Falten  ebenfalls  meist  er- 
griffen und  dadurch  starr  und  retrahirt  sind.  Weiterhin  zeigen  sich  die 
charakteristischen  Verdickungen  auch  in  den  unteren  Partien  des  Larynx. 
Ausserdem  finden  sich  gleichzeitig  lepröse  Knoten  an  anderen  Körperstellen. 

Die  Prognose  ist  eine  ungünstige,  der  Verlauf  ist  ein  sehr  protra- 
hirter.  Es  kommt  gewöhnlich  zur  Stenosirung  des  Larynx,  die  die  Ursache 
des  Todes  werden  kann. 

19* 


292  LEPRA  DER  NASE. 

Die  Behandlung  beschränkt  sich  auf  die  Ausführung  der  Tracheotomie 
bei  Laryugostenose.  Bidwell  konnte  in  einem  Falle  nach  Vernähen  der 
äusseren  Haut  mit  der  der  Tracheotomiewunde  die  Canüle  entbehren. 

A.    ROSENBEBG. 

Lepra  der  Nase.  Die  Lepra  hat  durch  neuerliche  Mittheilungen 
Stickeks")  ein  früher  nicht  gekanntes  rhinologisches  Interesse  erlangt. 
Sticker  behauptet:  1.  Der  Ort,  an  dem  alle  Leprakranken  während 
der  längsten  Zeit  ihrer  Krankheit  die  Leprabacillen  regel- 
mässig und  meistens  in  ungeheuren  Mengen  an  ihre  Um- 
gebung abgeben,  ist  die  Nase.  2.  Der  Ort,  an  dem  die  Lepra 
den  gesunden  Körper  zuerst,  vielleicht  ausnahmslos  zuerst 
befällt,  ist  der  vordere  Abschnitt  .  der  Nasenschleimhaut, 
meistens  der  Ueberzug  des  knorpeligen  Septums.  Die  Lepra 
ist  primär  eine  Naseiikraiiklieit  in  demselben  Sinne,  nein,  in  viel 
engerem  Sinne,  wie  die  Syphilis  zuerst  eine  Krankheit  der  Ge- 
schlechtswege ist. 

Klinische  Erscheinungen  (Sticker):  Zuerst  findet  man  bei  schein- 
bar intacter  Schleimhaut  im  vorderen  Theil  der  Nase  ein  etwas  reichlicheres, 
zähes,  Leprabacillen  enthaltendes  Secret.  Die  ersten  sichtbaren  Schleimhaut- 
veränderungen stellen  sich  als  trockene  Hyperämie  oder  als  blasse  Schwellung 
im  Bereiche  der  Pars  cartilagin.  septi  dar.  Diese  gehen  in  eine  derbe  harte 
Schwellung  über,  die  auf  benachbarte  Theile  übergreifen  und  zu  ringför- 
miger Stenosirung  des  Luftweges  führen  kann. 

Die  Kranken  klagen  dabei  über  ein  Gefühl  der  Trockenheit  und  Ver- 
stopfung der  Nase,  öfters  über  Kopfschmerzen.  Häufig  stellt  sich  spontanes 
Nasenbluten  ein. 

Früher  oder  später  kommt  es  zur  Verschwärung.  Das  Septum  wird 
durchbrochen.  Gehen  noch  weitere  Theile  zugrunde,  so  sinkt  die  Nase  ein 
oder,  wenn  Spitze  und  Flügel  mit  Hautknoten  reichlich  durchsetzt  und  schwer 
geworden  sind,  fällt  sie  herab  (Flängenase,  [Sticker]). 

Das  Secret  ist  schleimig,  eitrig  oder  eigenthümlich  leimartig.  Es 
kann  sich  eindicken,  zu  Krusten  eintrocknen  und  durch  bacterielle  Zersetzung 
einen  äusserst  üblen  Geruch  annehmen.  Sticker  hat  bei  57  Fällen  mit 
Knotenlepra  55mal  Leprabacillen  im  Secret  gefunden,  bei  68  mit  Nerven- 
lepra 45mal,  bei  28  mit  Lepra  mixta  27mal,  im  ganzen  also  bei  1.53  Lepra- 
kranken 128mal. 

Selten  ist  das  ganze  äussere  und  innere  Nasengerüst,  sind  Knorpel,  Knochen 
und  Muscheln  weggefressen,  noch  seltener  auch  die  äusseren  Weichtheile. 

Pathologische  Anatomie:  Das  lepröse  Infiltrat  steht  histologisch 
dem  tuberkulösen  ausserordentlich  nahe.  Es  unterscheidet  sich  von  ihm  u.  a. 
durch  eine  grosse  Dauerhaftigkeit  der  Elemente,  weshalb  es  schwer  und,  wie 
manche  behaupten,  nur  infolge  von  accidentellen  Schädlichkeiten  zum  Zerfall 
und  zur  Geschwürsbildung  kommt. 

Der  Verlauf  der  Krankheit  ist  ausserordentlich  chronisch. 

Die  Diagnose  wird  bei  vollausgebildeter  Krankheit  kaum  auf  Schwierig- 
keiten stossen.  Anders,  wenn  lediglich  der  Primäraffect  in  der  Nase  vor- 
handen ist.  Dann  käme  die  Unterscheidung  von  ähnlichen  Zuständen  bei 
der  Xanthose  und  bei  der  Tuberkulose  in  Frage,  die  mit  Sicherheit  wohl 
nur  durch  bacteriologische  Untersuchung  zu  tretfeu  sein  dürfte. 


")  Siicker:  Mitth.  über  Lepra  nach  Erfahrungen  in  Indien  und  Aegypten.  Miinchener 
med.  Wochenschr.  1897,  39  ff.,  (ausführlich  referirt  im  Centralbl.  f."  Bacteriol.  1897, 
Nr.  16/17). 


LEPRA  OPJS  ET  PIIARYKGIÖ.  293 

Therapie:  Ob  es  gelingen  wird,  durch  Zerstörung  des  Primärattectes 
(mit  Messer,  scharfem  Lofiel,  Glühdraht)  die  Generalisirung  der  Krankheit 
zu  verhindern,  wird  noch  die  Zukunft  lehren. 

Sicherlich  aber  wird  man  der  Weiterverbreitung  auf  andere  Personen  durcli 
geeignete  Maassnahmen  (Zerstörung  des  Nasensecretes)  entgegentreten  können. 

Bei  generalisirter  Erkrankung  besteht  die  Aufgabe  des  Nasenarztes  darin, 
den  Luftweg  frei  zu  machen,  was  durch  Entfernung  der  Borken,  durch  Zer- 
störung der  Granulome  und  bei  der  Hängenase  durch  geeignete  Prothesen 
(Gummidrains)  gewiss  erreichbar  sein  wird.  zarniko. 

Lepra  OriS  et  pharyngiS.  Die  tuberöse  Form  der  Lepra  setzt  ihre 
Producte  nicht  nur  auf  der  Haut,  sondern  auch  auf  der  Schleimhaut  des 
Mundes  und  der  oberen  Luftwege  ab.  Wir  vermissen  die  Schleimhautaffec- 
tionen  bei  keinem  älteren  Leprafall,  aber  auch  in  ziemlich,  frischen  Fällen 
sind  sie  ziemlich  oft  vorhanden.  Es  unterscheiden  sich  die  leprösen  Neu- 
bildungen der  Schleimhaut  in  keiner  Weise  von  denjenigen  der  Haut. 
Auch  an  der  Schleimhaut  findet  man  diffuse  Infiltrate  oder  umschriebene 
Knoten,  die  fast  stets  breitbasig  aufsitzen  und  wenig  erhaben  sind.  Die  Em- 
pfindlichkeit der  Schleimhautleprome  ist  eine  sehr  herabgesetzte.  Der  viel 
zartere  epidermoidale  Ueberzug  erklärt  es,  dass  an  den  Schleimhäuten  unter 
Einfluss  mechanischer  Momente  es  häufiger  zu  ulcerösem  Zerfall  kommt  als 
an  der  äusseren  Decke;  auch  diese,  meist  oberflächlichen  Geschwüre  sind  sehr 
unempfindlich.  Wo  keine  Geschwürsbildung  vorhanden  ist,  erscheint  der 
Schleimhautüberzug  gewöhnlich  ganz  normal,  zuweilen  infolge  der  Spannung 
etwas  blässer  oder  auch  mit  grauer,  abgeschilferter  Epithelschicht  bedeckt. 

Nächst  den  oft  durch  Knoten  knollig  verdickten,  gewulsteten  Lippen 
ist  das  Zahnfleisch  als  Sitz  der  Leprome  zu  nennen,  die  sowohl  an  der 
äusseren  als  an  der  inneren  Seite  sich  localisiren  können.  Am  harten  Gaumen 
findet  man  mit  breiter  Basis  aufsitzende  Knoten  oder  auch  ein  diffuses  In- 
filtrat; weicher  Gaumen,  Uvula,  Gaumenbögen  weisen  oft  Knoten,  resp.  Ge- 
schwüre auf,  während  die  hintere  Rachenwand  seltener  afficirt  ist.  Dagegen 
ist  ein  Leprom  der  Zunge  ein  häufiges  Vorkommnis,  und  zwar  ist  diese  ent- 
weder mehr  diffus  infiltrirt  und  dadurch  verdickt,  besonders  in  ihren  me- 
dialen Theil,  oder  von  grösseren,  die  Schleimhaut  nur  wenig  emporwölbenden 
Knoten  durchsetzt. 

Die  Symptome  der  bisher  geschilderten  leprösen  Processe  im  Bereiche 
von  Mund  und  Bachen  sind  ganz  abhängig  von  localen  Verhältnissen.  Schmerz- 
haft sind  sie,  wie  gesagt,  alle  nicht,  im  Gegentheil  erlischt  die  Sensibilität 
immer  mehr  und  die  Kranken  empfinden  selbst  grosse  lepröse  Geschwüre 
kaum,  wenn  dieselben  nicht  den  Kau-  und  Schluckact  erschweren.  Beides 
kommt  auf  rein  mechanischem  Wege  zustande.  Eine  stark  infiltrirte,  ver- 
dickte Zunge,  grosse  Knoten  am  Gaumen  oder  —  was,  wie  gesagt,  selten  ist 
—  an  der  hinteren  Rachenwand  können  natürlich  das  Kauen  und  Schlucken 
auf  rein  mechanischem  Wege  behindern. 

Die  Diagnose  der  Schleimhautlepra  ist  im  allgemeinen  keine  schwere, 
da  das  Gesammtbild  doch  bald  auf  die  Spur  leiten  wird.  Es  handelt  sich 
ja  gewöhnlich  um  Veränderungen,  die  den  Hautanomalien  erst  nachfolgen. 
Im  übrigen  wird  die  auffallende  Hypästhesie  schon  den  Verdacht  wachrufen, 
der  dann  durch  den  Bacillenbefund  wird  leicht  erhärtet  werden  können.  Hat 
man  Geschwüre  vor  sich,  dann  wird  man  die  Bacillen  sicher  in  reicher  Zahl 
im  Secrete  mittels  der  D.oppelfärbung  durch  Carbolfuchsin-Methylenblau 
nachweisen.  Bei  Knoten  dürfte  das  Suchen  in  der  aus  dem  angestochenen 
Knoten  entleerten  Flüssigkeit  auch  kein  vergebliches  sein. 

Betreffs  der  anatomischen  Veränderungen  sei  auf  die  im  Artikel 
„Lepra"  im  Bande  „  Venerische  und  Hautkrankheiten^''  dieses  Sammelwerkes 
gemachten  Angaben  verwiesen. 


294  LEUKOPLAKIA.  ORIS. 

Die  locale  Therapie  ist  eine  rein  symptomatische.  Sie  kann  auf 
eine  Vernarbung  der  einzelnen  Geschwüre,  eine  Rückbildung  vorhandener 
Knoten  begünstigend  einwirken,  ohne  neuen  Eruptionen  vorzubeugen.  In 
prophylactischer  Beziehung  ist  die  Beseitigung  der  Schleimhautgeschwüre  von 
grosser  Wichtigkeit,  da  unzählige  Bacillen  durch  sie  mit  dem  Auswurf  und 
der  Exhalationsluft  ausgeschieden  werden,  die  der  Umgebnng  gefährlich 
werden  können.  jessner, 

Leukoplakiä  OriS.      Die  krankhaften  Veränderungen  der  Mundschleim- 
haut,   welche    man    als   Leukoplakie    oder    auch    schlechter   als    Psoriasis, 
Pac'hydermie,  Leukoraa,  Keratosis,  Tylosis  oris  bezeichnet,  zeigen 
auf  der  Höhe  der  Entwicklung  folgendes  Bild:  Man  findet  mehr  oder  weniger 
ausgedehnte   Theile  der  Mundschleimhaut   statt   mit  dem  normalen,   feucht- 
glänzenden, rothen,  zarten  Epithel  überzogen  mit  einer  weissen,  dicken,  sich 
derbe,  zuweilen  auch  rauh  anfühlenden,  relativ  trockenen  Decke,  die  glatt  oder 
etwas   gefaltet  ist.     Es   kann  dabei   die   kranke  Schleimhautstelle   im  Niveau 
der  Umgebung  liegen   oder   auch   dieselbe   ein  wenig  überragen.     Die  Form 
dieser  weissen  Stellen  kann  eine  verschiedene  sein.    Man  sieht  bald  nur  einen 
kleinen  Fleck  verändert,  bald  —  und  zwar  in  w^eiter  vorgeschrittenen  Fällen 
—    ausgedehnte,  gewöhnlich   nicht   scharf    begrenzte    Flächen,   die    aus   der 
Confluenz    mehrerer     sich    vergrössernder   kleinerer   Flecke    hervorgegangen 
sein   können.     In   anderen  Fällen  wiederum   haben    die  Veränderungen    eine 
streifenförmige  Gestalt  angenommen;  die  Streifen  —  meistens  horizontal  ver- 
laufend —  können  auch  leistenartig  hervortreten.    Oft  findet  man  beides  com- 
binirt:    von    einer   centralen   weissen,   opaken   Fläche  strahlen  gleichgefärbte 
Streifen  in  die  Umgebung  aus.    Wenn  man  die  Entwicklung  dieses  Processes 
verfolgt,  so  sieht  man  die  opaken  Schleimhautverdickungen  hervorgehen   aus 
leichten  grauen,  die  Schleimhaut  schleierartig  überziehenden  Trübungen,  durch 
welche  das  Roth  derselben  noch  durchschimmert.     Allmählich  verdichtet  sich 
die  Trübung,  an  Intensität  stetig  zunehmend  verdickt  sich  der  Mucosa-Überzug, 
bis  das   erstgeschilderte   Bild    erscheint.    Nach   Schwimmer,   der  die  Leuko- 
plakie gründlich  studirt  hat,    geht  dem   grauen  Anflug  der  Schleimhaut  ein 
Stadium  erythematosum  voraus.  Die  sich  später  trübende  Stelle  erscheint 
im  Beginne  abnorm  geröthet  und  verharrt  Monate  in  diesem  Zustande,  bevor 
die  Opalescenz  beginnt.    Der  ganze  Process  spielt  sich  ausserordentlich  lang- 
sam ab,  so  dass  Monate,  selbst  Jahre  vergehen  können,  bis  der  Process  seine 
Acme  erreicht  hat.    Der  dann  ausgebildete  dicke,  weisse  Schleimhautüberzug 
haftet  sehr  fest  an  der  Unterlage  und  lässt  sich  nur  unter  Gewaltanwendung 
von  der  dann  blutenden,  wunden  Schleimhaut  abziehen.    Da  die  leukoplakische, 
verdickte  Mucosa  derb,   hart  ist,   die   normale  Elasticität   eingebüsst  hat,   ist 
es  begreiflich,  dass  sie  im  Gefolge  der  Leukoplakie  unter   dem  Einflüsse  der 
mechanischen   Reizung   und  Zerrung  beim  Sprechen  und  Kauen  stellenweise 
platzt,  und  leicht  Fissuren  und  Rhagaden  sich  bilden,  die  die  weissen  Flächen 
durchziehen.  Tiefere  Geschwüre  gehören  nicht  zum  Bilde  der  Leukoplakie.  Wo 
man  solchen  in  ihrem  Verlaufe  begegnet,  gehen  sie  aus  knotenförmigen  Neubil- 
dungen der  Schleimhaut  hervor,  oft  starke  Granulationswucherungen  zeigend. 
In  solchen  Fällen  handelt  es  sich  aber  um  das  Hinzutreten  specifisch-luetischer 
gummöser  Symptome,  eine  Combination,  die,  wie  wir  noch  sehen  werden,  sehr 
leicht  verständlich  ist. 

Der  Sitz  der  Leukoplakie  ist  am  häufigsten  die  Wangenschleimhaut  mit 
Bevorzugung  der  Mundwinkel  einerseits,  der  centralen  Theile  andererseits. 
Durch  Confluenz  kann  der  grösste  Theil  der  Wangenschleimhaut  die  derbe, 
weisse,  opake  Oberfläche  erhalten.  Aber  auch  an  der  meist  stark  zerklüfteten 
Zungen-  und  Lippenschleimhaut  localisirt  sich  die  Leukoplakie,  im  letzteren 
Falle  vornehmlich  das  dem  Alveolarrand  und  den  Zähnen  anliegende  Lippen- 


LEÜKOPLAKIA  ORIS.  295 

roth  verwandelnd.  Die  Unterlippe  ist  häufiger  afficirt  als  die  Oberlippe.  Leuko- 
plakie der  Schleimhaut  des  harten  Gaumens  soll  auch  vorkommen.  Die 
Fissuren  bilden  sich  am  häufigsten  am  Mundwinkel,  dem  aus  leicht  begreif- 
lichen Gründen  bevorzugten  Sitze  von  Platzstellen  bei  allen  möglichen  Leiden 
(Ekzem,  Lues,  Stomatitis  etc.). 

Die  subjectiven  Beschwerden  der  an  Leukoplakie  Leidenden  sind  meistens 
gering;  sie  haben  nur  ein  Gefühl  der  Steifigkeit,  der  Rigidität,  der  Trockenheit. 
Nur  sobald  Fissuren  entstanden,  nehmen  die  Beschwerden  zu.  Dieselben 
schmerzen  spontan,  besonders  aber  bei  Zufuhr  differenter  Speisen  recht  lebhaft 
und  erschweren  die  Ernährung.  Im  allgemeinen  aber  würde  es  sich  um  ein 
recht  unschuldiges,  wenig  bedeutendes  Leiden  handeln,  wenn  die  Erfahrung  nicht 
lehrte,  dass  auf  dem  leukoplakischen  Boden  gar  nicht  selten  sich  Carcinoma 
im  höheren  Alter  entwickeln.  Nachdem  die  Leukoplakie  oft  viele  Jahre  bestanden, 
beginnt  allmählich  das  Wachsthum  der  malignen  Neubildung  mit  ihren  trau- 
rigen Folgen.  Eine  bestimmte  Statistik  über  die  Häutigkeit  der  Carcinom- 
neubildung  bei  der  Leukoplakie  lässt  sich  in  zulässiger  Weise  nicht  aufstellen, 
aber  erfahrungsgemäss  ist  das  Vorkommnis  ein  so  häutiges,  dass  die  dem 
Carcinom  die  Wege  ebnende  Leukoplakie  schon  deshalb  grosse  Beachtung 
verdient. 

Die  Dauer  der  Leukoplakie  ist  nur  durch  das  Lebensende  des 
Patienten  begrenzt.  Einer  spontanen  Rückbildung  ist  der  Process  im  vorge- 
schrittenen Stadium  sicherlich  nicht  fähig;  im  Beginne  kann  derselbe,  wenn  es 
gelingt,  die  ursächliche  Noxe  zu  erkennen  und  zu  beseitigen,  sich  ganz  zurück- 
bilden. —  Ein  grosser  Unterschied  besteht  in  der  Verbreitung  der  Leuko- 
plakia  oris  bei  den  verschiedenen  Geschlechtern.  Es  sind  in  der  bei  weitem 
grossen  Mehrzahl  der  Fälle  erwachsene  Männer,  welche  von  dem  Leiden  heim- 
gesucht werden,  während  man  bei  Frauen  ihm  nur  sehr  selten,  bei  jugend- 
lichen Individuen  fast  gar  nicht  begegnet.  Es  ist  mir  in  der  Literatur  nur  ein 
Fall  begegnet,  in  dem  Leukoplakia  oris  bei  einem  Kinde  gesehen  worden  ist. 
Durch  die  gleich  zu  erörternde  Aetiologie  der  Krankheit  ist  die  hervorstechende 
Betheilung  der  erwachsenen  Männer  leicht  verständlich.  —  Nur  anhangs- 
weise sei  hier  erwähnt,  dass  bei  Frauen  eine  Leukoplakie  der  Vulva  und 
Vagina  zuweilen  vorkommt. 

Die  Leukoplakie  ist  ein  idiopathisches  Leiden,  dem  vornehmlich  zwei 
Ursachen  zu  Grunde  liegen:  die  Syphilis  und  die  locale  Nicotinein  Wir- 
kung. Die  Hauptrolle  spielt  wohl  die  Syphilis,  in  deren  späteren  Stadien,  3  bis 
20  Jahre  nach  der  Infection,  die  Leukoplakie  sich  häufig  einstellt;  nur  selten 
begegnet  man  ihr  schon  im  zweiten  Jahre.  Man  darf  deshalb  aber  diese 
Anomalie  nicht  als  specitisch-luetisches  Symptom  auffassen;  das  beweist  ja 
schon  der  Umstand,  dass  sie  sicherlich  auf  anderer  Basis  beruhen  kann.  Es 
zählt  die  Leukoplakie  zu  den  sogenannten  parasyphilitischen  Erscheinungen, 
d.  h.  zu  denjenigen  Veränderungen,  welchen  auch  die  Syphilis  ebenso  wie 
andere  Noxen  den  Weg  ebnet,  den  Boden  vorbereitet,  ähnlich  wie  es  bei 
der  Tabes,  der  Dementia  paralytica  etc.  der  Fall  ist.  Der  zweite  ursäch- 
liche Moment  ist  das  Rauchen  und  das  Kauen  von  Tabak.  Nicotinverehrer 
können  von  Leukoplakia  oris  heimgesucht  w^erden,  ohne  luetisch  inticirt  zu 
sein.  Das  Verhältnis,  in  dem  diese  beiden  verschiedenen  Ursachen  wirksam 
sind,  wird  gewöhnlich  so  angegeben,  dass  die  Leukoplakie  in  %  der  Fälle 
auf  Syphilis,  in  Vs  auf  Tabaksgenuss  zurückzuführen  ist.  Diese  statistische 
Angabe  verdient  aber  um  so  weniger  respectirt  zu  werden,  als  naturgemäss 
sehr  oft  beide  Noxen  gleichzeitig  eingewirkt  haben,  sind  doch  die  von  Syphilis 
befallenen  Männer  meistens  auch  Raucher.  Der  rauchende  Syphilitiker  stellt 
deragemäss  zur  Leukoplakie  das  grösste  Contingent;  daraus  erklärt  sich  auch 
das  seltene  Auftreten  der  Leukoplakie  bei  luetischen  Frauen.  Hat  jemand 
gar  nicht  oder  sehr  wenig  geraucht,  dann  wird  man  kaum  fehlgehen,  wenn 


296  LEÜKOPLAKIA  ORIS. 

man  eine  frühere  Syphilis  auch  bei  entgegenstehender  Anamnese  annimmt. 
Bei  stärkeren  Rauchern  wird  natürlich  auch  eine  bewiesene  Syphilis  nur  mit 
Vorsicht  zu  einer  vorhandenen  Leukoplakie  in  Verbindung  gebracht  werden 
dürfen.  —  Andere  ursächliche  Momente  sind  mit  Sicherheit  nicht  bekannt. 
Ob  chronische  Verdauungsstöruugen,  eine  lang  dauernde  Stomatitis  die  Leuko- 
plakie hervorrufen  kann,  ist  doch  fraglich;  dagegen  ist  es  sicher,  dass  sie 
die  vorhandene  verschlimmern  können.  —  Vielfach  wird  auch  nicht  die 
Syphilis,  sondern  .das  dagegen  angewendete  Quecksilber  als  Ursache  der 
Leukoplakie  beschuldigt,  jedoch  ist  es  zweifelhaft,  ob  das  mit  Recht  geschieht, 
wie  ja  in  manchen  Kreisen  überhaupt  das  Quecksilber  unverdienter  Weise  als 
Sündenbock  für  syphilitische  oder  parasyphilitische  Erscheinungen  herhalten 
muss.  Aber  das  muss  hier  auch  zugegeben  werden,  dass  die  Quecksilber- 
anwendung mitunter  auf  eine  vorhandene  Leukoplakie  fördernd  einwirken 
kann,  und  zwar,  wie  ich  glaube,  weniger  als  specifisches  Gift,  sondern  auf 
dem  Umwege  der  durch  dasselbe  oft  ausgelösten  entzündlichen  Affection  der 
Mundschleimhaut. 

Die  Diagnose  der  Leukoplakie  auf  der  Höhe  der  Entwicklung  ist 
leicht;  dieser  festhaftende,  derbe,  dicke  weisse  Ueberzug,  der  der  Schleimhaut 
das  Aussehen  der  äusseren  Haut  gibt,  ist  ganz  charakteristisch.  In  frühen 
Stadien  ist  eine  Verwechslung  mit  Plaques  opalines,  Pemphigus  wohl  möglich, 
aber  auch  nur  bei  kurzdauernder  Beobachtung.  Der  Erfolg  der  specifischen 
Therapie  wird  im  ersteren  Falle,  die  Abstossung  des  lange  nicht  so  fest 
haftenden  Belages  —  im  Gegensatz  zur  Schleimhautverdickung  bei  Leuko- 
plakie —  mit  folgender  normaler  Epithelisirung  im  letzteren  Falle  bald 
Klarheit  schaffen.  Schwerer  abzugrenzen  ist  der  Liehen  der  Schleimhaut,  die 
Begleiterscheinung  des  Liehen  ruber  der  äusseren  Haut,  solange  die  letztere 
keine  Efflorescenzen  aufweist.  Wegen  der  ausschlaggebenden  Differenzen  ver- 
weise ich  auf  die  Schilderung  des  „Liehen  oris".  —  Aphten,  Narbenbildung 
nach  Aetzungen  mit  scharfen  Säuren  oder  Alkalien  dürften  leicht  auszu- 
schliessen  sein. 

Der  anatomische  Befund  zeigt,  dass  es  sich  um  eine  keratoide 
Umwandlung  der  Schleimhaut  handelt.  Das  Primäre  dürfte  eine  Zellinfiltration, 
Bindegewebswucherung  und  Periarteriitis  der  Mucosa  sein.  Auch  in  der  Sub- 
mucosa  besteht  nach  Schwimmee  eine  Zellwucherung  um  Lymph-  und  Schleim- 
follikel.  Das  Epithel  zeigt  mehrere  Schichten;  zu  unterst  cylindrische,  dann 
polygonale  Zellen,  die  unter  den  zu  oberst  liegenden  verhornten  Epithelzellen 
Keratohyalin  enthalten,  den  häufigen,  wenn  auch  nicht  stetigen  Begleiter  der 
Verhornung.  Hervorgehoben  zu  werden  verdient  der  Befund  von  Epithel- 
perlen, wie  sie  bei  Cancroiden  so  häufig  sind.  Es  ist  das  wichtig  wegen  der 
häufigen  Carcinombildung  auf  der  Basis  einer  Leukoplakie.  Sitzt  diese  an 
der  Zunge,  dann  sind  die  Papillen  erheblich  abgeflacht,  trotzdem  wird  aber 
jede  functionelle  Störung   in  Bezug  auf  die  Geschmacksempfindung  vermisst. 

Die  Prognose  ist  da  etwas  günstiger,  wo  der  Process  im  Beginne  ist 
und  der  Patient  bereit  ist,  dem  Tabaksgenuss,  soweit  er  ihm  huldigt,  zu  ent- 
sagen. Ist  die  Schleimhaut  schon  in  höherem  Maasse  keratoid  degenerirt,  dann 
ist  eine  Rückbildung  nicht  zu  erzielen.  Man  muss  seine  Prognose  trotz  der 
unbedeutenden  Störungen,  die  durch  die  Leukoplakie  bewirkt  werden,  sehr 
vorsichtig  fassen,  weil  die  Carcinombildung  über  dem  Haupte  eines  jeden  daran 
Leidenden  gleich  einem  Damoclesschwert  stetig  schwebt. 

Die  Therapie  erheischt  wie  immer  in  erster  Reihe  eine  Beseitigung 
der  ursächlichen  Noxe.  Da  tritt  zunächst  die  Frage  entgegen,  ob  eine  anti- 
luetische Cur  bei  Luetikern  eingeleitet  werden  soll  oder  nicht.  Wenn  es 
auch  richtig  ist,  dass  bei  den  parasyphilitischen  Symptomen  meistens  die 
antiluetische  Cur  nicht  von  Erfolg  ist,  wird  man  dieselbe  doch  in  jedem  Falle 
versuchen.    Gegen  die  Jodanwendung  wird  man  sicher  in  keinem  Stadium  des 


LICHEN  ORIS.  297 

Leidens  etwas  einzuwenden  haben;  wo  es  nicht  hilft,  kann  es  docli  wenigstens 
kaum  schaden.  Vorsichtiger  muss  man  schon  mit  Hydrargyrum  sein;  jeden- 
falls wird  man  während  der  Quecksilberdarreichung  besondere  Obacht  der 
Mundpflege  zuwenden,  eine  Stomatitis  sorgsam  zu  verhüten  bestrebt  sein,  wo 
sie  doch  eintritt,  oder  das  Leiden  Fortschritte  zu  machen  scheint,  die  Cur 
abbrechen.  Geht  man  so  vor,  dann  wird  man  nicht  schaden,  in  dem  einen 
oder  anderen  Initialfalle  aber  doch  einen  Erfolg  zu  verzeichnen  haben.  — 
Einer  energischen  specifischen  Behandlung  bedürfen  die  oben  erwähnten  Fälle, 
wo  neben  der  Leukoplakie  gummöse  luetische  Processe  in  Gestalt  von  Knoten, 
Geschwüren  im  Munde  vorhanden  sind.  —  Eines  energischen  Eingreifens  bedarf 
die  zweite  Hauptursache,  das  Rauchen.  Da  hilft  lediglich  ein  absolutes  rück- 
sichtsloses Verbot  jeden  Tabaksgenusses.  Eine  Verminderung  desselben  nützt 
notorisch  nichts,  da  die  Patienten  eher  dazu  zu  bewegen  sind,  auf  das  Ptauchen 
oder  Kauen  des  Tabaks  ganz  zu  verzichten,  als  sich  eine  Einschränkung  auf- 
zuerlegen. Wo  absolut  die  nöthige  Energie  nicht  vorhanden  ist,  da  ist  das 
Rauchen  sehr  leichter  Cigarren  durch  längere,  häufig  zu  wechselnde  Cigarren- 
spitzen  vorzuziehen. 

Die  locale  Behandlung  erheischt  zunächst  rationelle  Mundpflege,  gute 
Versorgung  der  Zähne,  fleissiges  Spülen  mit  Kalichloricum-Lösung  oder  47oiger 
Boraxlösung.  Von  Heilmitteln  wird  als  das  erfolgreichste  wohl  jetzt  mit 
Recht  das  Resorcin  angesehen,  welches  nach  der  Angabe  von  Leistikow  Ver- 
wendung findet.  Man  reibt  mit  einem  um  einen  Sondenknopf  gewickelten 
Wattebäuschchen  zweimal  täglich  folgende  Paste  in  die  leukoplakischen 
Stellen  ein: 

Resorcin.  albissim.  3'0 

Terr.  silic.  1-5 

Adip.  lani  0-5. 

Dieses  wird  solange  fortgesetzt,  bis  die  weisse  Stelle  sich  zu  runzeln 
beginnt.  Dann  setzt  man  die  Einreibungen  aus  und  wartet  die  eintretende 
Abstossung  des  Epithels  ab,  in  der  Zwischenzeit  fleissig  spülend  oder  eines 
der  noch  zu  nennenden  milderen  Mittel  auftragend.  Ist  die  Schälung  beendet, 
dann  beginnt  die  Procedur  von  neuem,  und  das  wird  so  lange  wiederholt,  bis 
eine  ganz  oder  annähernd  normale  Schleimhaut  vorhanden  ist.  —  Wirksam  ist 
mitunter  auch  die  Pinselung  mit  Bals.  Peruvianum,  2  — lO^oiger  Chromsäure- 
lösung (Vorsicht!),  ^/g^/oiger  Sublimatlösung,  lO^oigem  Salicylspiritus;  Joseph 
empfiehlt  Aetzungen  mit  Milchsäure.  Das  viel  angewendete  Argentum  nitricum  ist 
zur  Beseitigung  etwaiger  Rhagaden  sehr  geeignet,  die  Leukoplakie  beeinflusst  es 
höchstens,  wenn  vorher  das  verhornte  Epithel  beseitigt  ist.  Das  kann  durch 
energisches  Abschaben  mit  scharfem  Löffel  geschehen;  besser  ist  aber  die 
Application  des  Thermokauter.  In  Narkose  wird  die  ganze  kranke  Stelle  ober- 
flächlich verschorft.  Die  Schmerzen  sind  nach  dieser  Operation  nicht  unbe- 
deutend, und  bedarf  es  während  der  Nachbehandlung  der  Application  local- 
anästhetischer,  möglichst  ungiftiger  Mittel  (Eucain),  um  die  Nahrungszufuhr 
zu  ermöglichen.  Jedenfalls  ist  dieses  eingreifende  Verfahren,  wo  die  milderen 
versagen,  einem  Leiden  gegenüber,  das  so  leicht  einer  malignen  Umw^andlung 
fähig  ist,  zur  Anwendung  zu  empfehlen.  jessner. 

Liehen  OriS.  Der  WiLSON'sche  Liehen  ruber,  von  dem  man 
einen  Liehen  ruber  planus  und  Liehen  ruber  acuminatus  unterscheidet, 
kann  sich  auch  an  der  Schleimhaut  des  Mundes  localisiren.  Das  dadurch 
erzeugte  klinische  Bild  erfährt  seitens  der  verschiedenen  Autoren  eine 
etwas  abweichende  Schilderung.  Es  geht  daraus  wohl  hervor,  dass  es  nicht 
immer  ganz  charakteristisch  ist.  Meistens  gestaltet  es  sich  wohl  fol- 
gendermaassen:     Es    entstehen    an    der    Wangenschleimhaut    opalescirende. 


298  LICHEN  ORI 

weisslicli-trübe,  silberweisse  Stellen  in  Gestalt  kleiner,  stecknadelkopfgrosser, 
abgeflachter  oder  ein  wenig  hervorragender,  runder,  sich  fest  anfühlender 
Knötchen,  umgeben  von  normaler  Schleimhaut.  Diese  Knötchen  sind  ange- 
ordnet in  Leisten  oder  Rasen.  Neben  und  zwischen  den  Knötchen  finden 
sich  streifenförmige  Schleimhauttrübungen,  die  sich  dendritisch  verzweigen, 
miteinander  anastomosiren  und  so  Netzwerke  bilden.  Diese  Streifen  wie  die 
Knötchen  haben  eine  etwas  rauhe  Oberfläche  im  Gegensatz  zu  der  Glätte  der 
normalen  Schleimhaut.  Sind  diese  linearen  und  knötchenförmigen  Trübungen 
sehr  dicht,  sehr  ausgebreitet,  dann  erhält  man  ein  Bild,  das  demjenigen  einer 
Leukoplakie  ausserordentlich  ähnlich,  ja  von  dieser  an  sich  kaum  abgrenzbar 
ist.  Etwas  anders  gestaltet  sich  der  Liehen  ruber  der  Zunge  entsprechend 
dem  anatomischen  Bau  ihrer  Oberfläche.  Im  Beginne  sind  es  nämlich  nur 
die  interpapillären  Räume,  die  ergriffen  werden.  Man  sieht  diese  dann  als 
graue  Netze  sich  abheben,  in  deren  Maschen  die  rothen  Papillen  liegen, 
ein  eigenthümliches  Bild.  Bei  längerem  Bestehen  greift  die  Epithelverdick- 
ung und  Epitheltrübung  allerdings  auch  auf  die  Papillen  über,  überzieht 
dieselben,  und  nun  erhalten  wir  mehr  gleichmässig  aussehende,  graue 
Plaques  der  Zunge.  Zuweilen  soll  es  auch  zur  Zerklüftung  dieser,  besonders 
am  Zungenrande,  kommen.  Im  weiteren  Verlaufe  ist  also  auch  an  der  Zunge 
das  Bild  ein  wenig  von  der  Leukoplakie  differirendes.  Entzündliche  Er- 
scheinungen sind  dem  Liehen  oris  kaum  eigen,  die  subjectiven  Beschwerden 
deshalb  wenig  ausgesprochen.  Meistens  fehlen  sie  ganz  und  ist  die  Affection 
vor  der  zufälligen  Entdeckung  von  den  Patienten  gar  nicht  bemerkt  worden. 
In  der  Rachenhöhle  sind  ähnliche  Schleimhautveränderungen  bisher  nicht 
beobachtet.  Wohl  berichtet  aber  Lukasiewitz  über  entsprechenden  Befund 
im  Kehlkopf. 

Das  zeitliche  Verhältnis  zu  den  Erscheinungen  auf  der  äussern  Haut 
kann  ein  verschiedenes  sein.  Gewöhnlich  treten  die  Schleimhautveränderungen 
später  auf.  Manchmal  aber  bilden  sie  auch  das  erste  Symptom  des  Leidens 
und  gehen  dem  Liehen  über  der  Haut  voraus. 

Die  Diagnose  des  Liehen  der  Schleimhaut  ist  da  leicht,  wo  sich 
auf  der  Körperoberfläche  EfÜorescenzen  des  Liehen  ruber  planus  oder  Liehen 
ruber  acuminatus  vorfinden.  Man  wird  deshalb  bei  Leukoplakie-ähnlichen 
Affectionen  im  Munde  niemals  versäumen  dürfen,  den  ganzen  Körper  einer 
genauen  Inspection  zu  unterziehen.  Wo  man  aber  auf  der  Körperdecke  nichts 
findet,  wird  die  Diagnose  die  grössten  Schwierigkeiten  darbieten.  Man  wird 
dann  zunächst  ausschliessen  müssen,  dass  alte  Lues  vorliegt,  was  nicht  immer 
leicht  gelingt.  Wo  es  sich  um  starke  Raucher  handelt,  wird  man  sich  auch 
für  Raucher-Leukoplakie  eher  entscheiden.  Andererseits  wird  man  bei  Frauen 
mehr  Veranlassung  haben,  einen  vorliegenden  Liehen  anzunehmen,  da  sie 
einerseits  selten  rauchen,  andererseits  auch  bei  vorhandener  Lues  nur  sehr 
wenig  zur  Leukoplakie  disponirt  sind.  Wenigstens  gehört  die  luetische 
Leukoplakie  der  Frauen  zu  den  grössten  Raritäten. 

Eine  Differentialdiagnose  kann  auch  nöthig  werden  gegenüber  den 
Plaques  muqueuses  und  dem  Pemphigus  oris;  dieselbe  dürfte  aber  nur  bei 
sehr  flüchtiger  Beobachtung  Schwierigkeiten  machen. 

Die  Therapie  erheischt  hier  wie  beim  Liehen  ruber  überhaupt  die 
interne  Verabreichung  von  Arsenik  in  grossen  Dosen  durch  längere  Zeit  hin- 
durch. Am  geeignetsten  ist  die  Pillenform  (mit  Zusatz  von  Piper,  nigrum); 
jede  Pille  soll  0'003 — 0-005 — O'Ol  Äcid.  arsenic.  enthalten;  dreimal  täglich  wird 
eine  Pille  nach  dem  Essen  unter  allmählicher  Steigerung  der  Dosis  gegeben. 
Die  locale  Behandlung,  soweit  sie  nicht  durch  den  Erfolg  der  internen  ent- 
behrlich gemacht  wird,  muss  dieselbe  sein,  wie  bei  der  Leukoplakie.  Spülungen 
mit  öligen  Lösungen  von  Kali  chloricum,  eingedickten,  syrupartigen  Heidel- 


LARYNX-LIPOME.  —  KEIILKOPF-LUXATION.  -  LYMPHANGIOMA  LARYNGIS.  299 

beerdecocten,  Pinselungen  mit  Bals.  Feruvianum,  S^oiger  Chromsäure,  Einreiben, 
einer  Resorcinpaste  {Eesorcin  3  0,  Terr.  silic.  15,  Adip.  lan.  (J-ß)  sind  da  am 
Platze.  jEs.sNKJt, 

Lipome  des  Larynx.  Mehrere  Fälle  wurden  von  Bruns  und  Schrötteu 
u.  a.  als  weiche  rundliche,  mit  länglichen,  fingerförmigen  Fortsätzen  versehene, 
von  Schleimhaut  bedeckte  Geschwülste  beschrieben.  Sie  waren  beweglicli, 
giengen  aus  von  den  Aryknorpeln,  vom  Kehldeckel,  von  den  ary-epiglottischen 
Falten;  also  nur  von  der  Umrandung  des  Kehlkopfeinganges.  Ihre  Diagnose 
wäre  nach  der  Form,  Weichheit  und  Beweglichkeit  und  Localisation  nicht 
sehr  schwer.  Die  Therapie  bestand  in  Abtragung  mit  der  galvanischen 
Schlinge.  (Schrötteu,  Bruns.)  Jones  torquirte  die  Geschwulst,  nachdem  er 
die  Schleimhaut  im  Niveau  des  Stieles  abgeschnitten  hatte.  Kleine  Lipome 
könnten  mit  weichen  Fibromen  verwechselt  werden;  die  histologische  Unter- 
suchung wäre  dann  für  die  Diagnose  unentbehrlich.  cn. 

Luxation  des  Kehlkopfes.  Buchstäblich  genommen  ist  eine  echte 
Luxation  des  Kehlkopfes  aus  seiner  Verbindung  mit  dem  Zungenbein  im 
Thyreohyoidgelenke  wohl  noch  nicht  beobachtet  worden.  Eine  unechte  Luxa- 
tion dagegen,  mit  Bruch  der  oberen  Schildknorpel-  oder  der  grossen  Zungen- 
beinhörner  ist  beim  p]r hängen  sehr  häufig. 

Ueber  die  Luxationen  in  den  Binnengelenken  des  Kehlkopfes  ist 
Folgendes  zu  berichten: 

a)  Cricothyreoidgelenk.  Ueber  einen  unsicheren  Fall  traumatischen 
Ursprunges  berichtete  Holden.  Drei  Fälle  von  habitueller  Luxation  schil- 
derte Braun;  sie  war  stets  einseitig,  trat  beim  tiefen  Athmen  und  besonders 
beim  unterdrückten  Gähnen  auf,  war  schmerzhaft,  liess  eine  Hervorragung  am 
vorderen  Kopfnickerrande  erkennen  und  konnte  durch  einen  Handgriff  oder 
mehrere  Schlingbewegungen  reponirt  werden;  sie  konnte  sich  täglich  wieder- 
holen und  dann  für  längere  Zeit  ausbleiben. 

b)  Cricoary taenoidgelenk.  Zu  dieser  Luxation  geben  schw^ere 
Traumen  des  Kehlkopfes,  Knorpelnekrosen  im  Bereiche  des  Gelenkes,  Druck 
von  Geschwülsten,  Narbenzug  und  die  „paralytische  Contraction"  der  Anta- 
gonisten gelähmter  Kehlkopfmuskeln  Anlass.  Der  Aryknorpel  wird  nach 
aussen  hinten  oder  häufiger  nach  vorne  innen  dislocirt;  dabei  kann  er  sich  mit 
seiner  Spitze  bis  auf  die  Stimmbänder  herab  neigen  und  abnorme  Drehungen 
um  die  verticale  Axe,  sowie  Bewegungsbeschränkungen  auch  ohne  die  häufige 
Ankylose  erleiden.  Nicht  selten  kommt  es  zu  Stimmstörungen  verschiedenen 
Grades  und  Charakters  (Aphonie,  Heiserkeit,  Fistelstimme  u.  a.)  oder  zur 
Dyspnoe.  Die  Unterscheidung  von  Lähmungen  der  Kehlkopfmuskeln  ist  manch- 
mal recht  schwer.  Therapeutisch  können  die  Reposition  nach  Traumen,  die 
Anbringung  eines  narbigen  Gegenzuges,  die  Dehnung  von  Narben,  die  Wieder- 
belebung der  gelähmten  Muskeln  und  die  bekannten  Maassnahmen  gegen  die 
Dyspnoe  in  Betracht  kommen.  bergeat. 

Lymphangioma  laryngis  wurde  einmal  von  Koschier  in  Wien  beob- 
achtet und  beschrieben.  Es  war  einn  ussgrosser,  von  rother  Schleimhaut  über- 
zogener, breit  aufsitzender,  fluctuirender  Tumor,  welcher,  von  der  hinteren 
Fläche  des  einen  Aryknorpels  und  der  aryepiglottischen  Falte  ausgehend,  den 
Sinus  pyriformis  ausfüllte. 

Er  wurde  mit  der  galvanokaustischen  Schlinge  abgetragen,  recidivirte 
aber  nach  einigen  Monaten, 

Wahrscheinlich  war  er  angeboren  und  erst  seit  fünf  Monaten  (so  lange  näm- 
lich hatte  der  Patient  Schlingbeschwerden)  stärker  gewachsen;  nach  Analogie 
mit  anderen  Lymphangiomen  hatte  dazu  eine  Entzündung  Anlass  gegeben,   cf. 


300  LYMPHOSARCÜME  DES  LARYNX. 

LymphOSarCOme  des  Larynx.  Diese  Erkrankung  beginnt  nur  selten 
im  Kehlkopf  selbst.  Gewöhnlich  ist  schon  früher  der  Rachen  betroffen,  und 
zwar  entweder  in  der  Form  einer  eigenthümlich  durchscheinenden,  glasartigen, 
diffusen  Infiltration  oder  in  Form  von  flachen,  polsterartigen  Infiltraten,  welche 
schnell  zerfallen,  oder  in  der  Form  von  grosshöckrigen  oder  knolligen  Tumoren. 
Alle  diese  Wucherungen  können  sich  entweder  langsam  zurückbilden,  ohne 
Spuren  zu  hinterlassen,  oder  sie  können  eitrig  zerfallen  und  vollständig  heilen, 
oder  sie  können  verjauchen.  Der  Kehlkopf  wird  meist  später  befallen,  und 
zw^ar  entweder  in  Form  der  glasähnlichen  Infiltration  oder  in  der  Form  von 
Knoten  wie  im  Rachen.  Diese  Gebilde  erleiden  auch  dieselben  Veränderungen. 
Diese  Erscheinungen  ziehen  sich  lange  Zeit  hin,  und  gerade  dieses  Auf- 
tauchen von  neuen  Infiltraten,  während  alte  sich  resorbiren,  und  zwar  manch- 
mal in  ganz  plötzlicher  Weise,  dann  der  Zerfall  anderer  Geschwülste  und  das 
Vernarben  derselben  spielt  sich  auch  im  Kehlkopf  im  Verlauf  von  Monaten 
ab.  Oft  werden  auch  die  Drüsen  am  Halse  betroffen  und  im  Kehlkopf  ent- 
wickeln sich  Heiserkeit  und  Stenose.  Doch  hat  StöRK  solche  Zustände  im 
Kehlkopf  manchmal  sehr  lange  ohne  Lebensgefahr  bestehen  gesehen.  Histo- 
logisch gleicht  das  Lymphsarcom  einem  Lymphdrüsengewebe,  nur  unterschei- 
det es  sich  von  Lymphdrüsen  durch  die  unregelmässige  Anordnung,  durch  ver- 
schiedene Grösse  der  Rundzellen  und  manchmal  durch  eine  besonders  starke 
Ausbildung  des  bindegewebigen  Stromas. 

Den  Verlauf  hat  besonders  Kündrat  in  klassischer  Weise  geschildert 
und  mit  Recht  die  dadurch  veranlasste  Erkrankung  als  Lymphosarcomatosh 
bezeichnet.  Im  Rachen  beginnt  die  Erkrankung  an  einer  Gruppe  von  peri- 
pheren Lymphdrüsen  oder  an  den  Mandeln.  Ihre  weitere  Ausbreitung  erfolgt 
entweder  durch  flächenförmiges  Vorwärtsschreiten  oder  durch  rücksichtsloses 
Durchwuchern  aller  Gewebe,  selbst  des  Knochens,  oder  endlich  durch  Infec- 
tion  der  Lymphdrüsen. 

Die  Diagnose  ist  namentlich  im  Anfang  sehr  schwierig,  höchstens  die 
glasartig  durchscheinende  diffuse  Infiltration  ist  charakteristisch.  Sonst  kann 
man  die  Infiltrate  oder  Geschwüre  im  Rachen  oder  Kehlkopf  anfangs  sehr 
leicht  für  Folgen  von  Tuberculose  oder  Syphilis  halten;  namentlich  die  durch 
den  Zerfall  der  flachen  Infiltrate  entstehenden  rundlichen  Geschw^üre  sehen 
den  syphilitischen  sehr  ähnlich  und  wurden  auch  schon  öfters  mit  ihnen  ver- 
wechselt. Erst  der  oben  geschilderte  langsame  Verlauf,  in  welchem  das  Auf- 
treten neuer  Infiltrate,  das  Rückbilden  alter,  der  geschwürige  Zerfall  und  die 
Vernarbung  derselben  fort  und  fort  abwechseln,  lässt  die  Diagnose  sicher- 
stellen, wenn  man  längere  Zeit  beobachten  kann.  Besonders  eigenthümlich 
ist  die  manchmal  auftretende  plötzliche  Rückbildung  sehr  grosser  Tumoren. 
So  erwähnt  Eisenmengee  eines  Falles,  bei  welchem  wegen  grosser  Tumoren 
im  Rachen  die  Luftröhre  und  die  Speiseröhre  eröffnet  werden  raussten,  um 
das  Schlingen  und  Athmen  möglich  zu  machen.  Zwei  Tage  später  waren 
die  grossen  Tumoren  völlig  geschwunden. 

Die  Symptome  sind  anfangs  sehr  gering,  erst  beim  Zerfall  der  Wuche- 
rung tritt  Schmerz  beim  Schlingen  ein,  welcher  den  Patienten  veranlasst, 
einen  Arzt  aufzusuchen.  Später  kommt  es  natürlich  durch  die  Ausbildung 
grosser  Geschwüre  und  grosser  Tumoren  zu  Heiserkeit,  Athembeschwerden 
und  Schlingbeschwerden. 

Therapie.  Vor  allem  andern  scheint  Arsen  von  gutem  Einfluss  zu  sein, 
indem  es  manchmal  eine  lang  dauernde  Rückbildung  der  Infiltration  bedingte, 
einigemal  si  gar  zur  Heilung  führte.  Manchmal  jedoch  blieb  es  wirkungslos. 
Man  wird  daher  jedenfalls  eine  locale  Behandlung  einzuleiten  haben.  Eine 
vollständige  Exstirpation  wird  selten  möglich  sein,  weil  der  Process  gewöhnlich 
zu  weit  über  Rachen,  Nase,  Nasenrachenraum  etc.  ausgebreitet  ist.  Dagegen 
kann  sich  die  Exstirpation  einzelner  kleiner,  besondere  Beschw^erden  machender 


MENIERE'SCHE  SYMPTOME.  301 

GescliAvülste  oft  als  recht  günstig  erweisen,  namentlich,  weil  sich  manchmal 
einem  solchen  Eingriff  eine  ausgebreitete  Rückbildung  der  Tumoren  anschloss. 
Diese  Besserung  ist  aber  gewöhnlich  nicht  von  Dauer,  denn  der  Trocess 
schreitet  weiter,  ergreift  den  ganzen  Kachen  und  Nasenrachenraum,  die  Nase, 
die  Nebenhöhlen  der  Nase,  die  Orbita  und  wuchert  nicht  selten  vom  Nasen- 
rachenraum durch  die  Schädelknochen  in  die  Schädelhöhlc  hinein.  Ueberall 
bilden  sich  in  den  späteren  Stadien  grosse  Tumoren,  welche  sehr  leicht 
bluten,  oft  vereitern  oder  verjauchen,  und  dadurch  theils  das  Schlingen,  theils 
das  Athmen  behindern.  Endlich  richten  sie  das  Individuum  zugrunde  durch 
fortwährende  Blutung  und  Jauchung  oder  durch  Uebergreifen  auf  das  Gehirn. 
Dieser  fast  immer  beobachtete  perniciöse  Verlauf  hat  namentlich  Kundkat 
veranlasst,  das  Lymphosarcom  als  die  bösartigste  aller  Neubildungen  zu  er- 
klären, viel  bösartiger  als  das  Carcinom.  chiari. 

Meniere'SChe  Symptome.  Es  ist  wohl  eines  der  schwierigsten  Capitel 
der  Otologie  und  der  Neurologie,  das  wir  vor  uns  haben.  Es  muss  vor  allem 
festgestellt  werden,  dass  der  Ausdruck  „MfiNiBRE'sche  Symptome"  durchaus 
keine  bestimmte  Krankheitseinheit,  keine  bestimmte  Affection  bezeichnet.  Wir 
verstehen  darunter  vielmehr  einen  symptomatischen  Begriff,  ein  klinisches  Bild, 
dem  durchaus  kein  einheitliches  anatomisches  Substrat  zu  Grunde  liegt,  einen 
Symptomencomplex,  der  nicht  nur  durch  verschiedene  ätiologische  Momente 
und  dift'erente  anatomische  Veränderungen,  sondern  auch  durch  mannigfache 
functionelle  Störungen  bedingt  sein  kann. 

Die  wesentlichen  Bestandtheile  dieses  Bildes  sind:  Schwindel,  subjeetive 
Gehörswahrnehmungen  und  Erbrechen,  die  bekannte  MENiiRE'sche  Trias.  In 
einer  gewissen  Gruppe  von  Fällen,  bei  dem  sogenannten  otitischen  MENifeRE'schen 
Schwindel,  ist  auch  Schwerhörigkeit  immer  vorhanden.  Diese  Symptome  treten 
manchmal  plötzlich  in  Form  von  Anfällen,  Zusammensturz  mit  oder  ohne 
Bewusstlosigkeit  auf.  Oft  sind  sie  von  anderen  Nebensymptomen  begleitet, 
wie  Augensymptome  (Nystagmus,  Pupillenerweiterung,  Hemianopsie,  Doppelt- 
sehen u.  s.  w.),  Kopfschmerzen,  seltener  Facialisparalyse  und  sonstigen  Nerven- 
erscheinungen.  Das  ganze  Bild  kann  einen  oder  einige  Momente  bestehen 
und  dann  ganz  verschwinden,  um  früher  oder  später  sich  zu  wiederholen,  oder 
die  Erscheinungen  bestehen  in  einem  gewissen  Grade  fort  und  exacerbiren 
anfallsweise  in  verschiedenen  Intervallen.  Den  Anfällen  und  Exacerbationen 
gehen  manchmal  gewisse  prämonitorische  Erscheinungen  voraus,  mitunter  sind 
gewisse  veranlassende  Momente  als  causa  movens  seu  provocans  nachweisbar, 
in  den  meisten  Fällen  fehlen  solche  ganz. 

Zwischen  den  einzelnen  Insulten  nehmen  die  Symptome  gewöhnlich  an 
Intensität  ab  oder  verlieren  sich  ganz  bis  zur  nächsten  Attaque.  Am  constan- 
testen  ist  der  Schwindel,  in  den  otitischen  Formen  die  Schwerhörigkeit,  die 
in  verschiedenem  Grade  vorhanden  sein  und  fortbestehen  können.  Der  Schwindel 
ist  entweder  der  Art,  dass  Patient  das  Gefühl  hat,  als  ob  die  Gegenstände 
seiner  Umgebung  sich  um  ihn  bewegen,  drehen,  tanzen  u.  s.  w.  oder  dass  er 
selbst  um  jene  gedreht  wird.  Die  subjectiven  Geräusche  sind  sehr  verschie- 
dener Natur,  continuirlich  oder  intermittirend  und  leiten  sehr  oft  den  Anfall 
ein.  Das  Erbrechen  ist  nicht  constant,  häufiger  sind  nur  Uebelkeit,  Brech- 
reiz u.  dgl.  vorhanden. 

In  seltenen  Fällen  sind  die  Symptome  continuirlich,  stationär  in  hohem 
Grade,  so  dass  die  Patienten  von  fürchterlichem  Ohrensausen  und  Dreh- 
schwindel fortwährend  gequält,  ununterbrochen  ans  Lager  gefesselt  sind,  ohne 
die  horizontale  Lage  verlassen  zu  können,  ein  Zustand,  den  v.  Fraxkl- 
HocHWART  sehr  treffend  mit  .^Status  Meniericus^  bezeichnet  hat. 

Pathologie.  Combina'tionen,  Intensität,  Dauer  und  Verlauf  dieses 
Bildes,  sowie  der  einzelnen  es  zusammensetzenden  Symptome  bieten  zahlreiche 


302  MENIERE'SCHE  SYMPTOME. 

Modificationen  und  Variationen  dar,  welche  zumeist  von  der  bedingenden 
anatomischen  oder  functionellen  Ursache  abhängig  sind.  —  Als  Mkni^rü;  im 
Jahre  1861  die  nach  ihm  benannte  Krankheit  beschrieb  und  seine  Erklärung 
auf  Grund  eines  von  ihm  obducirten  Falles  und  einiger  klinischer  Beobach- 
tungen begründete,  glaubte  er  wohl  eine  specielle  Atfection,  eine  Krankheit 
sui  generis  vor  sich  zu  haben.  Indessen  zeigte  die  Erfahrung,  dass  diese  Sym- 
ptome nicht  nur  von  jedem  Theile  des  Gehörorganes  durch  verschiedene  Er- 
krankungen ausgelöst,  sondern  dass  sie  auch  vom  centralen  Nervensystem 
und  selbst  von  peripheren  Nervenendigungen  hervorgerufen  werden  können, 
ohne  dass  ihnen  irgend  eine  nachweisbare  organische  Alteration  zn  Grunde 
läge.  Da  das  Leiden  selten  letal  endigt  und  für  viele  Fälle  gar  keine  oder 
nur  unvollständige  anatomisch-pathologische  Untersuchungen  vorliegen,  die 
vorliegenden  pathologischen  Befunde  ebenso  wie  die  physiologischen  Experi- 
mente widersprechende  Resultate  ergaben,  ist  man  bezüglich  der  Erklärung 
seines  Entstehungsmechanismus  zum  grossen  Theile  auf  Hypothesen  und  Ver- 
muthungen  angewiesen.  Soviel  steht  jedoch  fest,  dass  der  Acusticus  die  Hör- 
empfindung vermittelt,  und  vieles  spricht  dafür,  dass  die  halbzirkelförraigen 
Canäle  den  Sitz  der  Gleichgewichtsregulirung  bilden.  Wenn  auch  gegen  diese 
Ansicht  viele  bis  nun  noch  nicht  endgiltig  widerlegte  Argumente  ins  Feld 
geführt  werden,  so  lassen  sich  doch  mit  ihrer  Hilfe  die  meisten  klinischen 
Erfahrungen  und  Beobachtungen  befriedigend  erklären  und  in  Uebereinstim- 
mung  bringen.  Pathologische  Veränderungen  dieser  Theile  werden  daher 
Schwindel  und  Schwerhörigkeit  nach  sich  ziehen.  Insofern  scheint  schon 
Meniere  bezüglich  der  Localisation  und  des  Zustandekommens  dieser  Er- 
scheinungen in  gewissen  Fällen  das  Richtige  gedeutet  zu  haben.  Thatsächlich 
fanden  sich  in  einem  Falle  Meniere's  und  in  einigen  anderen  Fällen  bei  der 
Obduction  Erkrankungen  im  Labyrinthe  als  Basis  der  MExiöRE'sclien  Symptome, 
und  es  unterliegt  gar  keinem  Zweifel,  dass  solche  Affectionen  oft  den  er- 
wähnten Symptomen  zu  Grunde  liegen.  Diese  Veränderungen  können  sein: 
Hyperämie,  Blutungen,  Entzündungen  mit  ihren  verschiedenen  Ausgängen,  wie 
Bindegewebswucherungen,  Atrophie  u.  s.  w.  im  Labyrinthe.  Nach  Gruber 
spielt  hier  abnorme  Beschaffenheit  der  Adnexe  des  Labyrinthes,  besonders  der 
Wasserleitungen,  eine  grosse  Rolle.  Danach  kommt  es  bei  mangelhaftem 
Abflüsse  der  Endolymphe  durch  Verschluss  des  Aquaeductus  vestibuli  oder 
durch  Obliteration  der  von  Rüdinger  nachgewiesenen  Abzugscanälchen  zu 
einer  vermehrten  Ansammlung  derselben,  die,  w^enn  sie  den  Höhepunkt  erreicht, 
vielleicht  durch  übermässigen  Druck,  vielleicht  sogar  durch  Zerreissen  mit 
gleichzeitigem  Blutaustritte  die  MENifeRE'schen  Erscheinungen  mit  einem 
Schlage  herbeiführen  kann.  Durch  Zufälligkeiten,  z.  B.  durch  übermässigen 
Genuss  von  Spirituosen,  bei  starker  Congestion  gegen  den  Kopf  könnte  es 
zu  einer  vermehrten  Secretion  der  Endolymphe  kommen,  die  infolge  Insuf- 
ficienz  der  Abzugscanäle  ähnliche  Erscheinungen  verursachen  könnte.  Neben 
exsudativen  entzündlichen  Processen  können  also  auch  Secretionsanomalien  die 
Basis  dieser  Erscheinungen  bilden. 

Nun  zeigte  die  Erfahrung,  dass,  während  in  manchen  Fällen  trotz 
prägnanter  anatomischer  Veränderungen  und  organischer  Erkrankungen  im 
Labyrinthe  diese  Symptome  in  vivo  fehlten,  in  anderen  für  das  markant  aus- 
gesprochene Krankheitsbild  nicht  die  geringste  anatomische  Läsion  nach- 
gewiesen werden  konnte  (Lucas,  Baginsky  u.  a.).  Zur  Erklärung  solcher 
Fälle  müssen  dann  functionelle  oder  reflectorische  Alterationen  im  Labyrinthe 
oder  im  Centralnervensystem,  besonders  im  Kleinhirne,  herangezogen  werden. 
Dasselbe  gilt  von  manchen  dieses  Bild  concomittirenden  nervösen  Erschei- 
nungen. Sind  jedoch  functionelle  Störungen  im  allgemeinen  noch  nicht  bis 
in  ihre  ursprünglichen  ätiologischen  Details  klargelegt,  so  lässt  speciell  die 
Frage  bezüglich  des  Zustandekommens  der  MENifeRE'schen  Erscheinungen,  resp. 


MENIERE'SCHE  SYMPTOME.  308 

bezüglich  der  Kette  des  causalen  Zusammenhanges  zwischen  Ursache  und 
Wirkung,  trotz  aller  mehr  oder  weniger  plausiblen  Theorien  an  Vollständigkeit 
und  Klarheit  vieles  zu  wünschen  übrig.  Soviel  ist  jedoch  sicher,  dass  auch 
Läsionen  des  Kleinhirnes  Ohrensausen,  Schwindel  und  Erbrechen,  eventuell 
auch  Schwerhörigkeit  produciren  können.  Das  Kleinhirn  ist  ein  Organ, 
welches  bekanntlich  mit  dem  Nervus  vestibularis  in  Verbindung  tritt  und 
dem  im  allgemeinen  ein  Zusammenhang  mit  dem  Gleichgewichte  vindicirt 
wird,  und  nicht  nur  die  Nerven  des  Labyrinths,  sondern  auch  die  betreffen- 
den Centren  im  Kleinhirne  scheinen  auf  eine  Keihe  von  Schädigungen  des 
Organismus  mit  den  MjiNiKUE'schen  Erscheinungen  zu  reagiren.  Der  Vorhof 
des  Labyrinthes  kann  als  peripheres  Organ  des  Kleinhirnes,  als  des  statischen 
Apparates  des  Centralnervensystemes  angesehen  werden,  welchem  als  lieHexcen- 
trum  von  den  Haut-,  Sehnen-,  Gelenks-  und  Augennerven  entweder  direct  oder 
durch  Vermittlung  der  Bogengänge  periphere  Eindrücke  zugeführt  werden, 
welche  die  uns  interessirenden  Erscheinungen  auslösen  können. 

Die  leichte  Auslösbarkeit  derselben  auf  geringfügige  äussere  Reize  wird 
man  in  manchen  Fällen  auf  eine  constitutionelle  neuropathische  Veranlagung 
zurückführen  können.  Dafür  spricht  die  häufige  Combination  dieses  Zustandes 
mit  anderen  constitutionellen  Neuropathien,  wie  Hysterie  (Charcot),  Epilepsie, 
Hemicranie  (v.  Feankl- Hochwart),  Neurasthenie  und  die  von  manchen 
beobachtete  Heredität  (Simon).  Das  Irritamentum  kann  um  so  geringer  sein, 
je  stärker  die  Disposition  des  Kranken,  je  geringer  die  Widerstandsfähigkeit 
seiner  Nerven  ist.  Es  handelt  sich  da  wahrscheinlich  um  ein  labiles  Gleich- 
gewicht der  molecularen  Nervenelemente,  welches  auf  einen  geringfügigen 
äusseren  Reiz  ins  Schwanken  geräth.  Dadurch  ist  die  individuelle  Schwelle 
der  Erregbarkeit  gewisser  Centren  und  Nerven  bei  den  betreffenden  Patienten 
herabgesetzt.  Der  Reiz  schlägt  dann  die  Bahnen  ein,  wo  ihm  der  geringste 
Widerstand  entgegenwirkt,  wo  die  Erregbarkeit  den  geringsten  Schwellwert 
besitzt.  Die  den  veränderten  Nervenmechanismus  bewirkende  specifische 
Ursache,  das  auf  das  Nervensystem  schwächend  einwirkende  pathogene  Agens 
kann  angeboren  sein  oder  auch  erworben  durch  verschiedene  Ernährungs- 
störungen, .  Alcoholmissbrauch,  Infections-  und  Nervenkrankheiten  etc.  Die 
Entstehungsursache  des  MENiERs'schen  Symptomencomplexes  ist  also  jedenfalls 
eine  neurogene. 

Von  weiteren  Erfahrungen,  von  der  Vervollkommnung  der  anatomisch- 
histologischen  Untersuchungsmethoden  und  den  Fortschritten  der  neuropatho- 
logischen  Forschung  sind  in  der  Zukunft  auch  hier  nähere  Aufklärungen  zu 
erwarten.  Jedenfalls,  so  meinen  wir,  sollten  in  allen  Fällen  von  MENiERE'schem 
Erscheinungscomplex  zweifelhafter  Provenienz  die  genaue  Harnuntersuchung 
auf  Chloride,  Antointoxicationsproducte,  Toxine  etc.  vorgenommen  werden, 
was  bis  jetzt  nicht  geschehen  ist.  Eine  solche  Analyse  dürfte  vielleicht  in 
manche  ätiologisch  dunkle  Fälle' einiges  Licht  zu  bringen  im  Stande  sein. 

Aetiologie.  Wenn  wir  nun  auf  die  eigentliche  klinische  Ursache  ein- 
gehen wollen,  präsentiren  sich  uns  zwei  grosse  in  die  Augen  springende 
Krankheitsgruppen,  die  strenge  von  ein  and  ergehalten  werden  müssen.  Wenn 
man  den  symptomatischen  Begriff  „ MENiERE'sche  Symptome"  im  weiteren  Sinne 
auffasst,  so  hat  man  es,  strenge  genommen,  mit  einer  Concurrenz  von  cere- 
bralen Symptomen  zu  thun,  die  zwar  in  erster  Reihe  im  Kleinhirn  und  Laby- 
rinth entstehen,  jedoch  einerseits  Bestandtheile  des  Krankheitsbildes  dar- 
stellen, wie  sie  von  verschiedenen  Gehirnkrankheiten  (I  a)  und  Affectionen  des 
Gesammtnervensystemes  (I  b)  hervorgerufen,  anderseits  von  diversen  Erkran- 
kungen des  Gehörorganes  inducirt  werden  können  (H). 

I  a)  Pathologische  Affectionen  im  Gehirne  werden,  besonders 
wenn  der  Acusticus  oder  seine  Kerne  in  Mitleidenschaft  gezogen  sind,  neben 
anderen  Erscheinungen  leicht  auch  Schwerhörigkeit  oder  Taubheit,  Schwindel- 


304  MENIERE'SCHE  SYMPTOME. 

erscheinungeil,  Ohrenrauschen  und  auch  Erbrechen  verursachen.  Solche 
Affectionen  können  z.  B.  sein:  Tumoren,  Aneurysmen,  Blutungen, 
Erweichungen,  Pachymeningitis,  Meningitis,  Gehirnabscess, 
Embolie  u.  dgl.  viele.  Die  erwähnten  Symptome  kommen  dann  mit 
anderen  entsprechenden  Gehirnsymptomen  combinirt  vor.  Je  nach  der  Natur 
der  Krankheit  treten  diese  Symptome  in  apoplectischer  Form  auf  (z.  B.  bei 
Embolie,  Blutungen),  wie  in  zwei  Fällen  von  Frankl-Hochwart,  in  welchen 
der  MKNiERE'sche  apoplectische  Anfall  mit  Facialislähmung  complicirt  war.  In 
beiden  Fällen  blieben  Taubheit  und  Gesichtslähmung  dauernd.  Wahrscheinlich 
war  eine  Blutung  an  der  Hirnbasis  im  Bereiche  dieser  Nerven  die  Ursache, 
ebenso  wie  in  einem  dritten  Fall  desselben  Autors,  welcher  mit  Bewusst- 
losigkeit  und  Trigeminusanästhesie  einhergieng;  oder  die  Symptome  ent- 
wickeln sich  langsam,  nehmen  einen  progressiven  Verlauf,  dauern  continuirlich 
oder  sind  nur  vorübergehend. 

Nach  WoAKES  könnten  die  MENifcuB'schen  Symptome  auch  durch  eine  Affec- 
tion  des  Ganglion  cervicale  inferius  sympathici  bedingt  sein;  dieses  Ganglion 
nimmt  nämlich  einerseits  einen  EinÜuss  auf  die  Arteria  vertebralis,  somit 
auch  auf  die  Labyrinthgefässe,  während  es  anderseits  mit  den  Vagusästen  in 
Verbindung  steht.  Bei  einer  Erschlaffung  dieses  Ganglion  werden  vom  Laby- 
rinthe Schwerhörigkeit,  Ohrensausen,  Schwindel,  vom  Vagus  hingegen  Uebel- 
keit  und  Erbrechen  ausgelöst. 

I  b)  In  anderen  Fällen  bilden  die  besprochenen  Symptome  eine  Theil- 
erscheinung  einer  allgemeinen  Neurose.  Hierher  gehört  Hysterie,  auf 
deren  Association  mit  dem  in  Rede  stehenden  Symptomencomplex  Charcot 
die  Aufmerksamkeit  lenkte.  Es  sind  weiters  Fälle  beobachtet  worden,  die 
dafür  sprechen,  dass  diese  Symptome  als  Aura  epileptische  Anfälle  einleiten,  sie 
begleiten,  vicariirend  oder  als  Aequivalent  für  sie,  ebenso  für  Anfälle  von 
Hemicranie  eintreten  können.  Es  scheint  auch,  dass  diese  Erscheinungen  als 
„forme  fruste"  von  epileptischen,  hysterischen  oder  hemicranischen  Attaquen 
sich  manifestiren  können,  v.  Frankl-Hochwart  theilt  einige  einschlägige 
Fälle  mit,  die  aber  nicht  ganz  einwandsfrei  sind.  Es  ist  ja  nicht  ausge- 
schlossen, dass  es  sich  in  einigen  dieser  Fälle  um  eine  Neurose  des  Laby- 
rinthes bei  nervösen  Personen  gehandelt  hat,  um  eine  functionelle  Schädigung 
des  Bogengangapparates,  bei  welcher  die  MENiERE'schen  Symptome  zufällig  von 
Krämpfen,  Kopfschmerzen  und  anderen  Erscheinungen  der  gleichzeitig  be- 
stehenden allgemeinen  Nervosität  complicirt  waren.  Solche  Anfälle  bestehen 
dann  in  Drehschwindel,  Ohrensausen,  Brechreiz  oder  Erbrechen  und  sind 
manchmal  von  Zuckungen,  Convulsionen,  heftigen  Kopfschmerzen  oder  anderen 
nervösen  Zufällen  begleitet.  Die  Attaquen  sind  meistens  transitorisch,  dauern 
verschieden  lange  Zeit,  verschwinden  dann  vollständig,  um  sich  jedoch  nach 
einem  verschieden  langen  Intervall  zu  wiederholen.  Ihrem  Auftreten  geht 
meist  kein  äusserlich  nachweisbarer  Anlass  oder  äussere  Einwirkung  voraus. 
Die  Gehörschärfe  ist  in  allen  diesen  Fällen  intact,  der  otoskopische  Befund, 
wenn  nicht  eine  zufällige  Complication  vorhanden  ist,  normal.  Diese  Inte- 
grität des  Gehörorganes  beweist,  dass  man  es  da  nicht  mit  dem  echten  Meniere'- 
schen  Anfalle  zu  thun  hat.  Der  Ausdruck  Vertigo  auratis  ist  hiernatürlich  nicht 
am  Platze.  Frankl-Hochwart  schlägt  daher  für  diese  Formen  die  Bezeich- 
nung „Pseudo-MENiERE'sche  Anfälle"  vor.  Bezüglich  der  Erklärung  solcher 
Fälle  ist  man  bei  dem  Mangel  anatomischer  Untersuchungen  auf  hypothetische 
Combinationen  angewiesen.  Wahrscheinlich  handelt  es  sich  hier  um  eine 
Mitbetheiligung  des  Labyrinthes  an  einer  allgemeinen  Nervosität,  um  eine 
gesteigerte  reflectorische  Irritabilität  der  Bogengangsnerven,  der  Nervi  am- 
pullares,  des  Kleinhirnes  oder  auch  um  eine  vasomotorische  Neurose  der 
Labyrinthgefässe.  Analog  verhält  es  sich  mit  dem  von  Urbantschitsch  beob- 
achteten Falle,   betreffend   einen  mit  Morbus  Basedowii   behafteten  Patienten, 


MfiNIERE'SCHE  SYMPTOME.  305 

der   gleichzeitig    an    Schwerhörigkeit,    subjectiven    Gehörsempfindungen    und 
Schwindel  litt. 

Hierher  wäre  auch  vielleicht  der  Fall  von  Eitelbebg  zu  setzen,  wo  im  Anschlüsse 
an  eine  einmalige  energische  Bepinselung  des  Rachens  mit  einer  lO^/oigen  Lapislösung,  von 
der  1  gr  der  Lösung  verbraucht  worden  war,  Erbrechen,  später  Schwindel  und  Ohrensausen 
auftraten,  einige  Zeit  mit  Unterbrechungen  anhielten  und  schliesslich  verschwanden,  um 
einer  bleibenden  Facialisparalyse  Platz  zu  machen.  Dabei  blieb  jedoch  das  Gehör  während 
der  ganzen  Zeit  intact.  Das  Krankheitsbild  Hesse  sich  hier  durch  eine  Idiosynkrasie  gegen 
Argent.  nitr.  erklären.  Die  Facialisparalyse  könnte  einer  zufälligen  Complication  zuge- 
schrieben werden.  Eine  andere  Erklärung  wäre  die,  dass  die  Schwindelerscheinungen  die 
Folge  einer  durch  Reizung  der  Pharynxnerven  ausgelösten  Reflexneurose  wären,  dann  wäre 
dieser  Fall  zu  den  Pseudo-MENiERK'schen  Symptomen  zuzählen.  Ob  nicht  auch  Autointoxicationen 
den  MENiERE'schen  Symptomen  zu  Grunde  liegen  können?  Diese  Frage  wäre  zu  erwägen.  Bis  nun 
liegen  jedoch  keine  entsprechenden  Beobachtungen  vor.  Auch  könnten  solche  Anfälle  auf 
reflectorischem  Wege  von  Affectionen  der  Nase  oder  der  Genitalorgane  besonders  bei  Frauen 
ausgelöst  werden,  und  es  wäre  angezeigt,  in  gegebenen  Fällen  die  Aufmerksamkeit  darauf 
zu  richten  und  diese  Organe  einer  genauen  Untersuchung  zu  unterziehen. 

IL  In  der  zweiten  Gruppe  von  Krankheiten  liegen  Affectionen  verschie- 
dener Abschnitte  des  Gehörorganes  den  erwähnten  Symptomen  zu  Grunde. 
Das  wichtigste,  allen  diesen  Fällen  gemeinsame  Merkmal  ist  die  Alteration 
der  Gehör  schärfe.  Man  hat  es  hier  demnach  mit  dem  eigentlichen  Ohr- 
schwindel, der  Vertigo  ab  aure  laesa,  den  MENitiRE'schen  Symptomen  sensu  stric- 
tiori  zu  thun.  Auch  hier  zeigen  die  Symptome  eine  grosse  Verschiedenheit  in 
ihrem  Verlauf,  ihrer  Intensität  und  ihren  Combinationen  je  nach  der  Natur  und 
dem  Sitze  der  zu  Grunde  liegenden  Ohrenaffectionen.  Wenn  wir  die  Reihen- 
folge vom  Centrum  gegen  die  Peripherie  weiter  einhalten,  so  kommen  wir  zu- 
nächst zum  Labyrinthe. 

a)  Setzen  die  Symptome  bei  bisher  ohrgesunden  Personen  plötzlich  ein 
und  schliesst  sich  dem  ersten  Anfall  ein  chronischer  Verlauf  an,  ohne  sonstige 
Hirn-  oder  Nervensymptome,  so  liegt  die  eigentliche  MENiERE'sche  Krankheit  sive 
die  apoplectische  Form  Mbniere's  vor.  Dieselbe  kommt  nur  selten  vor,  ihre 
Kenntnis  und  richtige  Deutung  datirt  von  Menierr,  dessen  Namen  sie  auch 
führt.  Der  Beginn  erfolgt  plötzlich.  Manchmal  stürzt  der  bis  dahin  gesunde 
Patient  wie  vom  Schlage  gerührt  plötzlich  bewusstlos  zusammen.  Nach  einigen 
Minuten  bis  Stunden  kehrt  das  Bewusstsein  zurück.  Es  treten  dann  unter 
starker  Gesichtsblässe  und  kaltem  Schweisse  so  starker  Schwindel  und  Ohren- 
sausen auf,  dass  Patient  sich  vorerst  nicht  erheben  und  einige  Zeit  ohne 
Stütze  nicht  gehen  kann.  Dazu  tritt  gleichzeitig  Brechreiz  oder' Erbrechen 
und  Schwerhörigkeit.  Allmählich  hört  auch  das  Brechen  auf,  die  Schwindel- 
und  atactischen  Erscheinungen  lassen  nach,  die  Schwerhörigkeit  aber  bleibt 
und  nimmt  gewöhnlich  in  der  Folge  zu.  Nach  einem  kürzeren  oder  längeren 
Zwischenraum  wiederholt  sich  der  Anfall,  und  der  Verlauf  nimmt  eine  wellen- 
förmige Gestalt  an.  Nach  jedem  frischen  Insulte  kommt  der  Patient  mit 
einer  Steigerung  der  Gehörsstörung  davon.  Den  Schluss  bildet  gewöhnlich 
vollständige  Taubheit. 

Doch  ist  der  A^ erlauf  nicht  immer  gleich  typisch  und  finden  sich  die 
mannigfachsten  Variationen.  Während  der  Anfall  manchmal  unvermittelt,  wie 
ein  Blitz  aus  heiterem  Himmel  einschlägt,  gehen  demselben  in  anderen  Fällen 
einige  Zeit  gewisse  prämonitorische  Erscheinungen  voraus,  wie  Schwindel, 
Kopfschmerz,  Blutandrang  zum  Kopfe,  Hitzegefühl,  Ohrengeräusche,  seltener 
Erbrechen.  Der  Anfall  selbst  kann  ohne  Bewusstlosigkeit  und  auch  ohne 
Zusammensturz  plötzlich  mit  heftigen  Schwindelerscheinungen,  Schwanken, 
unsicherem  Gange,  Taumeln  oder  mit  Erbrechen,  Ohrenklingen  etc.  beginnen 
und  von  den  anderen  Symptomen  begleitet  werden.  Zuweilen  erwachen  die 
Patienten  aus  dem  Schlafe  mit  heftigem  Sausen,  Schwindel,  aufgehobener  Coor- 
dination,  Schwerhörigkeit  und  Uebelkeiten.  Es  kann  ferner  gleich  nach  der 
ersten  Attaque  vollständige  Taubheit  zurückbleiben,  oder  die  anfänglich  geringe 
Schwerhörigkeit   nimmt  später   successive  zu.     Selten   bessert    sich    auch   die 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  -0 


306  MENIERE'SCHE  SYMPTOME. 

Hörfähigkeit.  Am  frühesten  verschwindet  das  Erbrechen,  während  der  Schwindel 
und  die  atactischen  Erscheinungen  noch  einige  Zeit,  Wochen  bis  Monate, 
anhalten.  Am  längsten  hält  sicli  das  Ohrensausen  und  die  Schwerhörigkeit. 
Manchmal  tritt  nach  einer  Erkältung  plötzlich  Schwindel,  Ohrensausen,  Taub- 
heit ein. 

Nach  einigen  Tagen  hört  der  Schwindel  auf,  das  Sausen  besteht  fort, 
die  Taubheit  bleibt  intensiv.  Auch  können  sich  die  Symptome  langsamer  ent- 
wickeln und  allmählich  steigern.  Die  Taubheit  kann  anfangs  nur  einseitig 
sein  und  so  bleiben  oder  später  doppelseitig  werden  oder  gleich  doppelseitig 
auftreten.  Recidiven  der  Anfälle,  resp.  anfallsweise  Exacerbationen  sämmtlicher 
Symptome  ist  die  Regel  und  für  diese  Krankheit  charakteristisch.  Doch  selbst 
in  Fällen,  in  denen  keine  Rückfälle  auftraten  und  die  anderen  Symptome 
allmählich  zurückgehen,  bleibt  doch  die  Schwerhörigkeit  meist  unverändert, 
bessert  sich  nur  selten  und  auch  dies  meist  nur  vorübergehend. 

In  seltenen  Fällen  wiederholen  sich  die  Anfälle  regelmässig  in  bestimmten 
periodischen  Intervallen. 

Von  directen  Ursachen  wurden  am  häufigsten  atmosphärische  Einflüsse 
beschuldigt,  Erkältung,  Kälte,  Durchnässung,  Zugluft  u.  dgl.  In  anderen 
Fällen  werden  Einwirkung  hoher  Temperaturen,  Erhitzung  des  Körpers,  psy- 
chische Emotionen,  geistige  und  körperliche  Ueberanstrengung,  Alcoholmiss- 
brauch  u.  a.  als  agents  provocateurs  angegeben.  Als  prädisponirende  Ursachen 
sind  bekannt  manche  allgemeine  Krankheiten,  wie  Syphilis,  Tabes,  Paralysis 
progressiva,  Sclerosis,  Gicht  etc.  Verhältnismässig  oft  wurde  Leukämie  als 
causa  disponens  beobachtet.  Die  Untersuchung  des  Ohres  ergibt  dabei  meist: 
äusseres  Ohr,  Mittelohr,  Trommelfell  normal  und  Affection  des  schallleitenden 
Apparates,  nämlich:  Acusticusperception  abgeschwächt  oder  aufgehoben  —  die 
Knochenleitung  vermindert  oder  fehlend.  Ebenso  ergibt  die  genaue  Prüfung 
des  Nervensystemes  Intactsein  der  Function  der  anderen  Hirnnerven.  Oefters 
findet  man  Zeichen  der  bereits  erwähnten  disponirenden  Krankheiten. 

Solche  apoplectische  Anfälle  waren  ebenso  wie  die  MENiERR'schen  Symptome 
in  Begleitung  verschiedener  Ohrenkrankheiten  schon  früher  bekannt,  wurden  je- 
doch ehemals  ausschliesslich  Erkrankungen  des  Gehirnes  oder  seiner  Hüllen 
zugeschrieben.  Der  Zusammenhang  derselben  mit  pathologischen  Zuständen 
des  Labyrinths  wurde  zuerst  von  Meniere  erkannt  und  gewürdigt,  daher  auch 
der  Name  „MENiERE'sche  Symptome."  In  einem  Falle  Meniere's  und  in  einigen 
später  zur  Obduction  gelangten  Fällen  fanden  sich  anatomische  Veränderungen 
im  Labyrinth  in  Form  von  Extravasaten  oder  blutigem  Exsudate,  Bindegewebs- 
neubildungen  und  Zelleninfiltration  in  dem  Vorhofe,  in  den  Bogengängen  oder 
auch  in  den  Schneckenwindungen,  wobei  oft  die  Nervenfäden  des  CoETi'schen 
Organes,  sowie  die  Vestibular-Ampullartheile  in  dem  geschrumpften  Binde- 
gewebe und  in  den  Detritusmassen  vollständig  zugrunde  gehen.  Doch  muss 
für  die  Fälle,  die  mit  Bewusstlosigkeit  einhergehen,  wohl  auch  eine  wenn 
auch  nur  vorübergehende  Schädigung  des  Gehirnes,  etwa  eine  Erschütterung 
oder  eine  Hyperämie,  zur  Erklärung  mit  herangezogen  werden. 

Man  wird  also  mit  Meniere  in  allen  apoplectiformen  Fällen,  in  denen 
eine  wesentliche  Affection  des  Gehirnes  sich  ausschliessen  lässt,  unbedingt 
eine  genuine  Erkrankung  des  Labyrinths,  resp.  der  Bogengänge  annehmen 
und  dieselbe  als  eine  ätiologisch  und  anatomisch  determinirte  Krankheit  — 
Morbus  Menieri  —  ansehen  können.  Für  eine  Blutung  als  Ursache  der  Paro- 
xysmen  spricht  auch  die  nach  jedem  Anfalle  resultirende  bleibende  Verschlim- 
merung des  Gehörs.  Für  jene  Fälle  dieser  Krankheit,  bei  welchen  sich  die 
Bogengänge  frei  und  nur  andere  Theile  des  Labyrinths,  wie  Schnecke  u.  s.  w., 
afficirt  fanden,  kann  eine  reflectorische  Störung  der  halbzirkelförmigen  Canäle 
von  anderen  Theilen  des  Labyrinthes  aus  vorausgesetzt  werden,  während  man 
in  Fällen,  wo  trotz  prägnanter  anatomischer  Veränderungen  der  Bogengänge 


MlilNIERE'SCHE  SYMPTOME.  ^307 

<Moos,  LuCAE  u.  a.)  oder  ausgedehnter  Zerstörung  im  Labyrinthe  keine  Spur 
<iieser  Erscheinungen  in  vivo  vorhanden  war,  annehmen  muss,  dass  das  Laby- 
rinth der  anderen  Seite,  das  Kleinhirn  oder  andere  Theile  des  Centralnerven- 
systemes  die  Function  der  zerstörten  Partien  substituiren,  sie  compensatorisch 
ersetzen,  resp.  nach  Politzer,  dass  nur  dort,  wo  durch  ein  Extravasat  ein 
Reiz  auf  die  Ampullarnerven  ausgeübt  wird,  die  MicNiioRE'schen  Symptome  in 
hohemGrade  ausgeprägt  auftreten,  während  sie  ganz  fehlen,  wenn  der  Blut- , 
erguss  nicht  unmittelbar  auf  die  Vorhofs-  und  Ampullarnerven  einwirkt. 

Zu  den  Erkrankungen  des  Labyrinths,  welche  die  MKNiEi'.E'schen  Symptome 
lierbeiführen  können,  müssen  auch  Intoxicationen  gezählt  werden.  Nach  verschie- 
denen Arzneimitteln,  wie  Chinin,  Natr.  salicyl.,  den  Labyrinthgiften  xai'  i;o//^v, 
nach  Nicotin,  Argent.  nitr.  u.  a.  wurde  das  Auftreten  dieser  Symptome  beob- 
achtet. Der  Verlauf  ist  meist  ein  vorübergehender,  die  Entwicklung  dieses 
Bildes  je  nach  Art  der  Darreichung  der  betreffenden  Medicamente  eine  lang- 
same oder  eine  raschere.  Auch  hier  ist  die  Hörstörung  am  hartnäckigsten, 
mitunter  auch  bleibend.  Der  negative  otoskopische  Befund  neben  den  Zeichen 
einer  Acusticusaffection  in  Verbindung  mit  den  Ergebnissen  der  Thierexpe- 
rimente  von  Kirchner  berechtigen  zu  der  Vermuthung,  dass  es  sich  in  diesen 
Fällen  um  Hyperämien,  Hämorrhagien  oder  serösem  Exsudate  im  Labyrinthe, 
manchmal  auch  in  der  Paukenhöhle  handelt,  Frankl-Hochwart  hat  bei 
einem  Petroleumgrubenarbeiter,  wahrscheinlich  infolge  Gasvergiftung,  Haug 
infolge  einer  Schwammvergiftung  die  MENiERE'schen  Symptome  auftreten 
gesehen. 

Die  Affectionen  des  Labyrinths  mit  MENifeRE'schen  Symptomen  sind  jedoch 
nur  selten  primär,  in  den  meisten  Fällen  hingegen  secundärer  Natur,  sei  es 
durch  Infectionskrankheiten  oder  durch  Krankheiten  anderer  Abschnitte  des 
Gehörorganes  verursacht.  Hierher  gehört  die  sogenannte  „Labyrinthitis  idio- 
pathica"  von  Voltolini,  die  von  anderen  Autoren  als  eine  abortive  Form  der 
Meningitis  cerebro  -  spinalis  gehalten  wird,  was  auch  wahrscheinlicher  ist. 
Diese  Krankheit  tritt  am  häufigsten  bei  Kindern  plötzlich,  manchmal  auch 
nach  vorausgegangenen  Schwindelerscheinungen  unter  stürmischen  Allgemein- 
erscheinungen, wie  hohes  Fieber,  nicht  selten  Schüttelfrost,  convulsivischen 
Zuckungen,  Brechreiz,  Coordinationsstörungen  und  anderen  meningealen  Reiz- 
erscheinungen, zuweilen  unter  Bewusstlosigkeit  auf.  Nach  kurzer  Zeit  (2—4 
Tagen)  gehen  alle  diese  Erscheinungen  vorüber.  Nur  die  Schwindelerschei- 
nungen dauern  mitunter  länger,  so  dass  die  Kinder  Wochen  bis  Monate  hie- 
durch  nicht  ohne  Unterstützung  zu  gehen  vermögen  oder  bei  jedem  Versuch, 
aufzustehen,  starke  Schwankungen  des  Körpers,  Taumeln  zeigen.  Später  treten 
auch  diese  Symptome  ab,  nur  die  Taubheit  bleibt  meist  beiderseitig  und 
dauernd  zurück.  Im  Gefolge  von  Scharlach,  Nephritis  und  anderen  Infections- 
krankheiten, seltener  primär  kommt  es  manchmal  zu  der  unter  dem  Namen 
Panotitis  von  Politzer  beschriebenen  Krankheit,  bei  welcher  das  Mittelohr 
und  das  Labyrinth  gleichzeitig  von  einer  acuten  Entzündung  ergriffen  werden, 
die  von  der  MENiERE'schen  Trias  begleitet  zu  werden  pflegt.  Der  Verlauf  ist 
dann  acut  und  hängt  im  übrigen  von  der  primären  Krankheit  ab. 

Aber  auch  zu  bereits  bestehenden  chronischen,  primären  oder  secundären 
Labyrinthleiden,  seien  diese  durch  allgemeine  Infections-  oder  Nervenkrank- 
heiten, wie  Leukämie,  Lues,  Tabes  u.  a.  oder  mechanisch  durch  langdauernde 
Schalleinwirkung  (Berufskrankheiten  der  Schlosser,  Kesselschmiede,  Maschinisten, 
Artilleristen  etc.)  oder  durch  Mittelohrerkrankungen  entstanden,  können  die 
MENifeRE'schen  Symptome  hinzutreten.  Bei  solchen  Patienten  also,  die  schon 
seit  längerer  Zeit  schwerhörig  sind,  manifestiren  sich  diese  Erscheinungen 
entweder  plötzlich  mit  dem  oben  für  die  apoplectische  Form  beschriebenen 
Verlaufe,  die  Insulte  wiederholen  sich  in  verschiedenen  Intervallen  und  lassen 
eine  immer  grössere  Schwerhörigkeit  zurück,  oder  die  Trias   entwickelt   sich 

20* 


308  MENIERE'SCHE  SYMPTOME. 

langsam,  nimmt  einen  progressiven  Verlauf  oder  bleibt  in  einem  gewissen) 
Stadium  stationär  mit  oder  ohne  periodische  Exacerbationen  unter  intensivem 
Drehschwindel,  Zusammenstürzen  u.  s.  w. 

h)  Von  den  Mittelohrkrankheiten  gibt  es  wohl  keine,  bei  der  nicht  unter 
Umständen  die  MENiERE'schen  Symptome  erscheinen  könnten.  Bei  vorher 
gesundem  Gehörorgane  kann  infolge  einer  acuten  Tympanitis,  besonders  bei 
einem  raschen  reichlichen  Exsudatergusse  ins  Mittelohr  die  apoplectische 
Form  auftreten,  die,  mit  der  ursächlichen  Krankheit  wieder  vollständig  vorüber- 
zugehen pflegt.  Die  häufigste  Form  des  Ohrschwindels  wird  jedoch  bedingt  durch 
die  chronischen  Processe  des  Mittelohres,  sowohl  durch  die  eitrigen  als  auch 
die  katarrhalischen,  besonders  durch  die  chronisch  sklerosirenden  Entzündun- 
gen. Der  Verlauf  der  MENifeRE'schen  Symptome  ist  hier  meist  ein  langsam 
sich  entwickelnder,  dauernder,  ähnlich  wie  bei  den  chronischen  Labyrinth- 
erkrankungen. Oft  aber  werden  solche  Ohrenkranke  auch  von  anfallsweise  in 
unregelmässigen  Zwischenräumen  auftretenden  Schwindelanfällen  heimgesucht, 
zwischen  welchen  sie  von  diesen  Erscheinungen  frei  sind,  oder  diese  bestehen 
in  geringerem  Grade  auch  in  der  Zwischenzeit  fort.  Zuweilen  gesellen  sich 
zu  der  chronisch  bestehenden  Schwerhörigkeit  und  Ohrengeräuschen  die  anderen 
Symptome,  Schwindel  und  Erbrechen,  auf  gewisse  äussere  Anlässe  liinzu, 
z.  B.  bei  Niesen,  raschen  Körperbewegungen  u.  dgl.,  während  die  Geräusche 
und  Schwerhörigkeit  sich  verschlimmern.  Das  Zustandekommen  dieser  Er- 
scheinungen bei  Ohrenkranken  wird  von  manchen  auf  einen  pathologischen 
Reizzustand  der  Vestibulär-  und  Ampullarnerven,  von  anderen  auf  cerebrale 
Störungen  zurückgeführt,  welche  dadurch  entstehen,  dass  von  der  Labyrinth- 
flüssigkeit durch  die  Aquaeducte  auf  den  Subarachnoidealraum  stossweise 
Druckschwankungen  fortgepflanzt  werden,  welche  eine  Reizung  der  Hirn- 
nerven, wie  des  N.  acusticus,  opticus,  abducens,  und  consecutiv  die  Schwindel- 
erscheinungen herbeiführen. 

Für  viele  Fälle  reicht  schon  die  blosse  Einwärtsdrängung  der  Gehör- 
knöchelchen mit  consecutiver  Erhöhung  des  intralabyrinthären  Druckes  allein 
zur  Erklärung  dieser  Zustände  aus. 

Es  ist  jedoch  a  priori  anzunehmen,  dass  die  Erscheinungen  und  Paro- 
xysmen  in  den  Bogengängen  oder  im  Kleinhirne  von  Reizen  im  Mittelohr 
auch  reflectorisch  ausgelöst  werden  können  und  dass  sie  bei  Personen  mit 
weniger  widerstandsfähigem  Nervensysteme,  wie  bei  Hysterischen,  Neurasthe- 
nischen  u.  dgl.,  viel  leichter  und  häufiger  zustande  kommen  dürften  als  bei 
sonst  gesunden  Ohrenpatienten. 

Geadenigo  unterscheidet  unechte  Schwindelanfälle  otitischen  Ursprunges, 
welche  mit  einer  collateralen  oder  Reflexreizung  der  Bogengangsampullen  auf 
Grund  einer  Mittelohrerkrankung  in  Verbindung  gebracht  werden,  von  den 
echten  typischen,  welche  von  directen  Erkrankungen  der  Bogengänge  her- 
rühren. Diese  letzteren  stammen  nach  Geadenigo  nicht  von  einer  Blutung 
im.  inneren  Ohre  her,  sondern  sind  eine  Folge  der  Ausbreitung  einer  chronisch 
katarrhalischen  Mittelohraffection  auf  das  Labyrinth.  Vollzieht  sich  dieses 
Uebergreifen  nur  sehr  langsam,  so  können  die  Symptome  von  Seiten  des 
Ampullenapparates  ganz  oder  fast  ganz  fehlen,  während  bei  weniger  langsamer 
Ausbreitung  sich  in  einer  gewissen  Periode  des  Leidens  typische  MENifcRE'sche 
Schwindelanfälle  einstellen  und  bei  rascher  Ausbreitung  und  höchster  Stärke 
der  Schwindel  beständig  wird.  Auch  die  Dauer  des  MENiijRß'schen  Stadiums 
im  klinischen  Verlaufe  einer  chronisch  katarrhalischen  Mittelohrkrankheit,  von 
wenigen  Monaten  bis  zu  einem  und  mehreren  Jahren  schwankend,  hängt  von 
der  Raschheit  der  Fortpflanzung  des  Processes  ab.  Je  beschleunigter  der 
Verlauf,  desto  kürzer  pflegt  die  Periode  der  Schwindelanfälle  zu  dauern,  da 
dann  umso  eher  der  Reizung  des  Ampullenapparates  seine  Lähmung  folgt. 


MENIERE'SCHE  SYMPTOME.  ;i09 

Andere  (Mackenzie)  schreiben  in  dieser  Beziehung  aucli  gichtischen 
Veränderungen  und  Circulationsanomalien  eine  gewisse  Holle  zu.  Indessen 
spricht  auch  vieles  dafür,  dass  es  sich  in  den  anfallsweise  auftretenden  Attaquen 
€ft  um  vorübergehende  Hyperämien    oder  Blutungen    im  Labyrinthe  handelt. 

c)  Dass  auch  vom  äusseren  Ohre  das  MioNiioRE'sche  Symptomenbild 
ausgelöst  werden  kann,  ist  eine  durch  unzweifelhafte  Beobachtungen  fest- 
gestellte Thatsache.  Dieselben  erstrecken  sich  hauptsächlich,  von  Traumen  ab- 
gesehen, auf  Cerumen  und  Fremdkörper  im  äusseren  Gehörgange.  Die  Anfälle 
treten  da  plötzlich  auf  und  verschwinden  rasch  mit  der  Entfernung  der  Ur- 
sache. Hier  ist  das  Zustandekommen  dieser  Symptome  nur  auf  reflectorischem 
Wege  zu  erklären. 

d)  In  seltenen  Fällen  können  auch  Erkrankungen  des  Acusticus 
ähnliche  Anfälle  hervorrufen.  Solche  charakterisiren  sich  nach  Politzer 
•durch  plötzliches  Erblassen  des  Gesichtes  mit  unmittelbar  darauf  folgender 
üeblichkeit,  Schwindel,  Ohrensausen  und  Schwerhörigkeit,  Symptomen,  welche 
schon  nach  einigen  Minuten  vollständig  wieder  verschwinden  ohne  die  geringste 
Hörstörung  zurückzulassen,  sich  jedoch  von  Zeit  zu  Zeit  wiederholen  können. 
Politzer  nimmt  für  einen  solchen  von  ihm  beobachteten  Fall  eine  vom  Sym- 
pathicus  ausgehende  Angioneurose  des  Acusticus  als  Ursache  der  Anfälle  an. 

In  einem  Falle  von  Alt  und  Pineles,  in  welchem  eine  typische  apo- 
plectische  Form  der  Meniere'schen  Krankheit  vorlag,  welche  mit  plötzlichem 
Ohrensausen  und  heftigem  Schwindel  einsetzte,  worauf  nach  14  Tagen  fast 
€omplete  Taubheit  folgte,  ergab  die  Nekroskopie  eine  leukämische  Erkrankung 
des  Acusticus  neben  allgemeiner  myelo-linealer  Leukämie  als  anatomische 
Basis  des  Krankheitsprocesses. 

e)  Erkrankungen  des  Schläfebeines.  Hier  verdient  angeschlossen 
2U  werden  der  Fall  von  Nothnagel,  bei  welchem  die  MENifeRE'schen  Symptome 
durch  viele  Jahre  chronisch  bestanden  und  mit  Affection  des  Facialis  und  des 
Lingualis  combinirt  waren.  Nach  Nothnagel  müssen  die  Erscheinungen  in 
diesem  Falle  auf  eine  Läsion  auf  der  Strecke  vom  Knie  des  Facialis  bis  zum 
Abgange  der  Chorda  tympani  zurückgeführt  werden,  welche  zu  einer  Sklerose 
des  Felsenbeines  geführt  hat,  mit  gleichzeitiger  Beeinträchtigung  der  Func- 
tionen des  Facialis  und  des  Acusticus. 

ni.  Traumen  als  Ursache  des  MENifeEE'schen  Krankheitsbildes  können 
entweder  durch  directe  Gewalteinwirkung  auf  das  Gehörorgan,  durch  Schlag, 
fremde  Körper,  Schuss-  oder  Stichverletzungen,  oder  auf  indirectem  Wege  zu- 
stande kommen.  In  letzterem  P^all  kann  die  Gewalt  auf  den  Schädelknochen 
einwirken  und  sich  von  da  auf  das  Ohr  fortpflanzen,  oder  das  Trauma  kommt 
durch  Luftdruckschwankungen  zustande. 

Es  ist  eine  sehr  häufige  Erscheinung,  dass  schon  sehr  geringfügige 
traumatische  Einflüsse  bei  sonst  ganz  gesunden  Menschen  diese  Symptome 
hervorrufen  können.  Manche  Patienten  bekommen  beim  Ausspritzen  des 
Ohres,  besonders  mit  kaltem  Wasser,  Schwindel  und  Zusammensturz,  Ohnmacht, 
denen  nicht  selten  Ueblichkeiten,  Ohrenrauschen  nachfolgen.  Aehnliches  kann 
man  oft  beobachten  bei  Berührung  verschiedener  Stellen  des  äusseren  Gehör- 
ganges, des  Trommelfelles  und  vorzüglich  der  Paukenhöhle,  besonders  des 
Promontoriums  mit  der  Sonde.  Ebenso  können  plötzlich  ins  Ohr  hineinge- 
rathende  Fremdkörper,  besonders  Insecten,  ein  apoplectisches  Einsetzen  dieser 
Symptome  bewirken.  Hierher  gehören  auch  verschiedene  directe  und  indirecte 
äussere  Einwirkungen,  wie  Einwirkung  verdichteter  Luft  auf  Trommelfell  und 
Paukenhöhle,  bei  der  Ausübung  der  Luftdouche,  des  VALSALVA'schen  Verfahrens, 
bei  starkem  Schneuzen,  Pressen  u.  dgl.,  Einwirkung  hoher  Töne  oder  starker 
Geräusche,  Detonation  u.  s.  w.  In  dieser  Beziehung  wurden  gewisse  Idio- 
synkrasien beobachtet,  insoferne  als  manche  Personen  gerade  auf  gewisse 
Töne  und  Geräusche  mit  Schwindel  und  Sausen  reagiren,  ebenso  wie  gewisse 


310  MENIERE'SCHE  SYMPTOME. 

Individuen  an  der  Seekrankheit  leiden,  deren  Symptome  mit  den  MENiöRB'schen 
fast  identisch  sind.  Manche  Personen  mit  gesundem  Gehörgange  sind  aus 
diesem  Grunde  nicht  im  Stande,  mit  der  Eisenbahn,  andere  auch  nicht  mit 
einem  gewöhnlichen  Pferdewagen  zu  fahren,  manche  bekommen  beim  Tanzen, 
besonders  bei  Rundtänzen,  bei  Schaukelbewegungen  oder  bei  jeder  brüsken 
Drehbewegung  des  Körpers  oder  des  Kopfes,  zum  Beispiel  beim  Caroussel- 
fahren  u.  dgl.,  Ueblichkeiten,  Erbrechen,  Schwindel  u.  s.  w.  Bekannt  sind  auch 
die  Schwindelerscheinungen,  welche  die  Application  starker  galvanischer  Ströme 
am  Kopfe  hervorruft.  Alle  diese  Anfälle  sind  meist  vorübergehend,  dauern 
nur  wenige  Secunden  oder  Minuten,  selten  länger.  Insoferne  als  dabei  keine 
oder  nur  eine  bald  vorübergehende  Hörstörung  vorhanden  ist,  könnte  man  sie 
zu  den  Pseudo-MENiERE'srhen  Anfällen  zählen. 

Die  Ursache  der  Erscheinungen  in  diesen  Fällen  ist  manchmal  in  vor- 
übergehenden Labyrinth-  und  Hirncongestionen  zu  suchen.  Mitunter  wird 
man  wohl  eine  Verschiebung  der  molecularen  anatomischen  Anordnung  der 
betreffenden  Nervencentra  im  Kleinhirne  oder  der  bezüglichen  Nervenelemente 
im  Vorhofe  annehmen  müssen,  und  man  kann  a  priori  voraussetzen,  dass 
ohrenkranke  und  neuropathisch  belastete  oder  veranlagte  Personen  auf  die 
erwähnten  Einflüsse  viel  eher  mit  Schwindelerscheinungen  reagiren  werden 
als  ganz  Gesunde,  obwohl  in  dieser  Beziehung  noch  keine  hinreichenden 
Beobachtungen  und  erschöpfenden  Untersuchungen  vorliegen.  Gewisse  Ex- 
perimente, welche  an  Thieren  (Kaninchen,  Tauben  u.  s.  w.)  und  an  Taub- 
stummen vorgenommen  wurden  (Flourens,  Kretdl,  Pollak,  Breuer  u.  a.), 
ergaben,  dass  es  vorzüglich  die  Bogengänge  sind,  von  deren  Zustand  und 
speciell  Erregbarkeit  das  Auftreten  oder  Ausbleiben  gewisser  Coordinations- 
störungen  und  Schwindelerscheinungen  abhängt. 

Nicht  selten  wurden  MENiERE'sche  Symptome  bei  directer  und  indirecter 
traumatischer  Verletzung  des  Trommelfelles  und  selbst  bei  der  Paracentese 
desselben  beobachtet.  Neben  der  Empfindung  einer  starken  Detonation  und 
eines  heftigen  Schmerzes  tritt  Ohnmacht  oder  starker  Taumel,  Schwindel  und 
Ohrensausen  ein.  Die  Erscheinungen  gehen  bald  ganz  vorüber  und  nur,  wenn 
gleichzeitig  eine  Erschütterung  des  Labyrinthes  stattgefunden  hat,  kann 
Schwerhörigkeit  länger  anhalten  oder  auch  dauernd  sein. 

Auf  die  Schädelknochen  einwirkende  Gewalt  kann  eine  Schädigung  des 
Labyrinthes  durch  Fortsetzung  einer  Schädelfissur  auf  dasselbe  bewirken,  oder 
es  kommt  nur  eine  Erschütterung  des  Labyrinthes  ohne  Verletzung  der  Laby- 
rinthkapsel zustande.  Sowohl  in  dem  einen  wie  in  dem  anderen  Falle 
kann  der  MENiERE'sche  Schwindel  auftreten.  So  wurden  Fälle  beobachtet,  in  denen 
Schlag  auf  den  Kopf,  Sturz  auf  Kopf,  Auffallen  eines  schweren  Gegenstandes 
auf  den  Schädel,  Verletzung  des  Labyrinthes  durch  Fremdkörper,  Instrumente 
etc.,  ferner  Einwirkung  verdichteter  Luft,  z.  B.  bei  Caissonarbeitern,  den 
MENiERE'schen  Symptom encomplex  in  apoplectischer  Form  zur  Folge  hatten.  Wo 
Verletzungen  des  Labyrinthes  stattgefunden  hatten,  dort  war  der  Verlauf  dem 
der  echten  MENiERs'schen  Krankheit  ähnlich.  Die  Symptome  dauerten  nach 
dem  Anfall  in  schwächerem  Grade  fort.  Die  Taubheit  blieb  constant.  Manche 
Fälle  endeten  letal  an  den  Folgen  der  Verletzung  (Meningitis).  Der  oto- 
skopische  Befund  war  negativ,  ausser  wenn  gleichzeitig  eine  Verletzung  im 
schallleitenden  Apparate  stattfand,  die  Schallperception  durch  die  Schädel- 
knochen herabgesetzt,  die  Stimmgabelschwingungen  wurden  gegen  das  nor- 
male Ohr  lateralisirt. 

Schon  aus  diesem  Verlaufe  allein  geht  mit  Unzweideutigkeit  hervor,. 
dass  es  sich  in  den  mitgetheilten  Fällen  um  eine  Läsion  des  Acusticus,  resp. 
des  Labyrinthes  gehandelt  haben  muss.  Dies  wurde  auch  durch  einige  vor- 
liegende anatomische  Untersuchungen  festgestellt.  In  zwei  Fällen  Politzer's 
und  in  einem  von  Voltolini  mit  Kopftrauma  und  MENiERE'schem  Symptomen- 


MENIERE'SCHE  SYMPTOME.  311 

complex,  welche  zur  Obduction  gelangt  sind,  konnte  Fissur  der  Felsenbeine, 
der  knöchernen  Labyrinthe  neben  theils  frischem  blutigem  Extravasate,  theils 
blutigen  Coagulis  oder  entzündlichem  Exsudate  und  entzündlichen  Binde- 
gewebsneubildungen  in  Bogengängen  und  »Schnecke  nachgewiesen  werden. 
Besonders  interessant  ist  der  zweite  Fall  Politzer's,  der  einzige,  bei  dem 
bis  jetzt  auch  eine  histologische  Untersuchung  vorgenommen  und  fünf  Wochen 
nach  stattgehabtem  Insulte  eine  intensive  Bindegewebsneubildung  in  den 
Labyrinthgebilden  aufgefunden  wurde.  Es  lassen  sich  daraus,  wie  Politzer 
richtig  bemerkt,  wichtige  .Schlüsse  auf  die  Ausgänge  der  in  anderer  Weise 
zustande  kommenden  entzündlichen  Labyrintherkrankungen  ziehen,  und  es 
lässt  sich  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  annehmen,  dass  das  rasche  Fort- 
schreiten der  Schwerhörigkeit  bei  den  Labyrintherkrankungen  in  Begleitung 
von  Infectionskrankheiten  bei  Typhus,  Parotitis,  Panotitis,  Meningitis  cerebro- 
spinalis etc.  auf  die  rapide  Entwicklung  von  entzündlichem  Bindegewebe  und 
den  späteren  Uebergang  desselben  in  Verknöcherung  zurückzuführen  ist. 
Selten  kann  auch  vollständige  Heilung  eintreten,  wie  in  einem  Falle  von 
Eitelberg,  in  welchem  am  siebenten  Tage  nach  stattgefundenem  Trauma  zu 
den  MENiERE'schen  Symptomen  eine  Facialisparalyse  hinzutrat.  Hier  dürfte  eine 
Blutung  an  der  Hirnbasis  (vielleicht  infolge  der  luetisch  degenerirten  Gefässe), 
die  später  zur  vollständigen  Resorption  gelangte,  die  Ursache  gewesen  sein, 
da  der  Fall  mit  vollständiger  Heilung  endete. 

Durch  Untersuchungen  an  Caissonarbeitern  und  durch  Thierversuche 
stellte  Alt  fest,  dass  es  durch  den  Aufenthalt  in  Räumen  mit  verdichteter 
Luft,  also  in  der  Druckkammer,  zur  Stauungshyperämie  im  Mittelohre  und  im 
Labyrinthe  und  in  weiterer  Folge  durch  die  mangelhafte  Ernährung  der 
Gefässwände  zur  Transsudation,  resp.  Blutung  in  das  Mittelohr  oder  Labyrinth 
kommen  kann.  Bei  drei  von  ihm  untersuchten  Arbeitern,  bei  denen,  nach- 
dem sie  vier  Stunden  unter  einem  Ueberdruck  von  über  zwei  Atmosphären 
gearbeitet  hatten,  die  typischen  Symptome  des  Morbus  Menieri,  nahezu 
complete  Taubheit  und  hochgradiger  Schwindel,  aufgetreten  waren,  fand  Alt 
starke  Retraction  und  livide  Verfärbung  des  Trommelfelles,  Injection  der 
Hammergefässe.  Der  Stimmgabelbefund  fiel  im  Sinne  einer  Labyrinthaffection 
aus.  In  zwei  Fällen  war  die  Taubheit  doppelseitig.  In  einem  Falle  giengen 
die  Erscheinungen  auf  einem  Ohre  in  kurzer  Zeit  zurück,  so  dass  man  an- 
nehmen muss,  dass  hier  die  langandauernde  Stase  Transsudation  mit  secun- 
därer  Drucksteigerung  bedingte,  so  dass  die  Symptome  einer  Labyrinthaffec- 
tion vorlagen,  jedoch  zurückgiengen,  indem  später  ein  Ausgleich  der  Drack- 
steigerung  stattfand,  während  es  in  den  anderen  Labyrinthen  zur  Blutung 
und  Zerstörung  der  Gebilde  gekommen  ist. 

Aber  auch  ohne  anatomische  Läsion  können  selbst  leichte  Traumen,  wie 
Ohrfeigen,  starke  Schalleinwirkung,  Detonation,  infolge  Erschütterung  des  La- 
byrinthes ähnliche  Folgen  nach  sich  ziehen.  In  solchen  Fällen  also,  wo  keine 
Verletzung  des  Labyrinthes  stattgefunden  hat,  handelt  es  sich  entweder  um 
Ecchymosen  oder  um  eine  übermässige  Erschütterung  der  Labyrinthflüssigkeit, 
durch  welche  die  Endigungen  der  Hörnerven  eine  Lageveränderung  erleiden, 
wodurch  sie  gelähmt  oder  in  einen  abnormen  Reizzustand  versetzt  werden. 
In  leichteren  Fällen  dauern  die  Schwindelerscheinungen  kurze  Zeit  fort  und 
es  kann  Heilung  erfolgen.  Bei  intensiverer  Labyrintherschütterung  ist  Heilung 
selten  und  die  Hörstörung  mit  oder  ohne  subjective  Geräusche  meist 
bleibend.  Bestand  schon  vorher  ein  Ohrenleiden,  dann  reicht  gewöhnlich 
schon  eine  geringere  Erschütterung  aus,  um  einen  deletären  Einfluss  aus- 
zuüben, ebenso  wie  es  bei  manchen  Blut-  und  Gefässerkrankungen  viel 
leichter  zu  einem  Blutergusse  im  Labyrinthe  kommen  wird  als  bei  Gesunden. 

Für  manche  Fälle,  bei  denen  nach  vorausgegangenem  Trauma  derMENiERE- 
sclie  Schwindel  acut  aufgetreten  ist  oder   sich  langsam  entwickelt,  ohne  dass 


312  MENIERE'SCHE  SYMPTOME. 

die  geringste  Läsion  nachweisbar  ist,  könnte  es  sich  um  eine  traumatische 
Keurose  handeln,  analog  den  Functionsstörungen,  wie  sie  nach  einem  Trauma 
im  Gebiete  der  anderen  Sinnesorgane,  z.  B.  der  Augen  etc.,  beobachtet  werden. 

Hiermit  glauben  wir  sämmtliche  Ursachen,  welche  dieses  Symptomen- 
bild erzeugen  können,  erschöpft  zu  haben.  Die  Mannigfaltigkeit  der  Befunde, 
der  Erscheinungen,  des  Verlaufes,  bei  dem  Mangel  hinreichender  patholo- 
gischer Untersuchungen,  lässt  die  Schwierigkeit  der  Ableitung  des  so  kaleido- 
skopisch wechselnden  Krankheitsbildes  aus  constanten  gleichen  Ursachen  be- 
greiflich erscheinen.  Es  hält  schwer,  in  dem  Wirrsal  der  Meinungen  und 
Thatsachen,  in  dem  herrschenden  Chaos  von  Theorien  und  Hypothesen  eine 
andere  Orientirung  zu  gewinnen  als  die,  dass  man  Gewisses  darüber  noch 
nicht  weiss,  und  dass  ein  nach  allen  Seiten  und  für  alle  Fälle  befriedigender 
Aufschluss  über  die  Entstehungsmechanik  des  MENiBRß'schen  Bildes  zur  Stunde 
thatsächlich  noch  aussteht. 

Der  Verlauf  ist  sehr  verschieden,  von  der  zu  Grunde  liegenden  Ur- 
sache bedingt,  und  wurde  bereits  an  den  entsprechenden  Stellen  besprochen. 

Die  Diagnose  des  besprochenen  Krankheitsbildes  und  seiner  Ursachen 
kann,  so  prägnant  auch  die  dasselbe  zusammensetzenden  Symptome  aus- 
gesprochen sein  mögen,  sehr  erschwert  sein.  Es  könnten  ja  dieselben  Er- 
scheinungen durch  einige  andere  gleichzeitig  bestehende  Krankheiten  produ- 
cirt  werden.  Wenn  z.  B.  jemand  infolge  einer  Ohrenkrankheit  schwerhörig 
ist  und  von  subjectiven  Gehörsempfindungen  gequält  wird  und  gleichzeitig  in- 
folge eines  anderen  Leidens,  z.  B.  Atherom  der  Arterien,  Herzkrankheit, 
Nephritis,  Magenaffection  u.  dgl.  an  Schwindel,  Erbrechen,  Kopfschmerz  leidet, 
so  haben  wir  denselben  Symptomencomplex  vor  uns,  der  die  MENiEKE'schen  Sym- 
ptome vortäuschen  und  doch  nicht  auf  diese  Bezeichnung  Anspruch  machen 
kann.  Es  reicht  durchaus  nicht  aus,  festzustellen,  dass  diese  Symptome  vor- 
handen sind,  sondern  dieselben  müssen  nachweisbar  zusammengehören,  nicht 
von  verschiedenen  Krankheiten  zusammengesetzt  sein,  sondern  einer  Quelle 
entstammen,  von  einem  Motive  hergeleitet  werden  können,  das  allerdings  sehr 
verschieden  sein  kann,  wenn  MENifeRE'sche  Symptome  constatirt  werden  sollen. 
Namentlich  müssen  diese  Erscheinungen  einen  gewissen  charakteristischen 
Verlauf  aufweisen,  je  nach  der  Ursache  sich  durch  anfallweises  Auftreten,  Reci- 
diviren,  durch  paroxysmatische  Exacerbationen  etc.  kennzeichnen,  wie  aus  dem 
Obigen  hervorgeht. 

Die  Erkennung  der  Ursache  wird  bei  localen  Erkrankungen  des  centralen 
Nervensystems  nicht  schwer  fallen,  da  meist  anderweitige  Hirnerscheinun- 
gen, Hirndruck  und  Herdsymptome,  Parästhesien,  Hemiplegien,  Convulsionen, 
Lähmungserscheinungen  in  anderen  Nervenbezirken  etc.  auf  die  wahre  Quelle 
hinweisen.  Am  meisten  kommt  hier  in  Betracht  Hirntumor,  der  lange  latent 
verlaufen  kann,  während  Meningitis  und  andere  Hirnaffectionen  durch  andere 
auffallende  Symptome  sich  genug  bemerkbar  machen  und  schwerlich  über- 
sehen oder  verwechselt  werden  dürften.  Was  nun  die  Dififerentialdiagnose 
zwischen  Tumoren  des  Gehirnes  und  Labyrinthaffection  betrifft,  so  haben  wir 
wichtige  Anhaltspunkte  in  dem  frühzeitigen  Auftreten  der  Facialisparalyse 
und  in  der  lange  intact  bleibenden  Perception  für  Uhr  und  Hörmesser  durch 
die  Kopfknochen,  was  für  die  ersteren  spricht.  Während  nämlich  bei  Laby- 
rintherkrankungen schon  bei  massiger  Hörstörung  die  Perception  durch  die 
Kopfknochen  bedeutend  gelitten  hat,  bleibt  dieselbe  bei  Hirntumoren  lange 
intact. 

Für  eine  Erkrankung  des  Cerebellum  spricht  überdies  die  eigenthümliche 
cerebellare  Ataxie,  sensible  Störungen  an  den  Extremitäten,  an  der  Haut, 
ferner  Sprachstörungen,  heftige  Schmerzen  und  hochgradige  Druckempfindlich- 
keit in  der  Hinterhauptsgegend. 


MliNIERE'SCHE  SYMPTOME.  313 

Die  Diagnose  der  durch  eine  Geschwulst  der  Hinterschenkelhaube  be- 
dingten MENiEKE'schen  Symptome  gründet  sich  auf  die  entsprechenden  Herd- 
symptome zugleich  mit  den  diffusen  Erscheinungen,  Kopfschmerz,  Erbrechen, 
scandirende  Sprache,  epileptische  Anfälle,  erhöhte  Sehnenreflexe.  Besonders 
würde  das  Zusammentreffen  von  atactischem  Gange  mit  ophthalmoplegischen, 
resp.  Accommodations-Störungen  der  Augenmuskeln  in  Verbindung  mit  den  für 
einen  Tumor  charakteristischen  diffusen  Hirnsymptomen  in  complicirten  Fällen 
die  Diagnose  sicherstellen. 

Die  Pseudo-MKNii:RE'schen  Anfälle  unterscheiden  sich  von  der  echten 
otitischen  Herkunft  vor  allem  durch  das  Erhaltensein  des  Gehöres.  Hysterie 
erkennt  man  an  den  gewissen  Stigmata,  wie  Einschränkung  des  Gesichtsfeldes, 
Parästhesien,  unmotivirter  Wechsel  der  Erscheinungen  etc.  Auch  soll  nach 
Gradenigo  Verminderung  der  elektrischen  Erregbarkeit  des  Acusticus  eher 
zvL  Gunsten  einer  Affection  des  Nerven  oder  des  Labyrinthes  sprechen. 

Schwieriger  kann  schon  der  Zusammenhang  mit  Epilepsie  zu  erkennen 
sein.  Es  könnte  die  durch  irgend  eine  Ursache  provocirte  MENituE'sche  Trias 
mit  Bewusstlosigkeit  und  klonischen  Krämpfen  einhergehen,  ohne  dass  gerade 
Epilepsie  ihnen  zu  Grunde  läge.  Anderseits  ist  es  unstreitig,  dass  epileptische 
Anfälle  von  diesem  Symptomencomplex  eingeleitet  werden  können.  Eine  nach- 
weisbare Ohrenaffection  spricht  allerdings  für  den  echten  Meniere.  Es 
ist  jedoch  eine  bekannte,  durch  unzweifelhafte  Beobachtungen  sichergestellte 
Thatsache,  dass  verschiedene  Affectionen  des  Gehörganges  epileptische  An- 
fälle induciren  können.  Ferner  könnte  das  besprochene  Symptomenbild  als 
Einleitung  oder  als  Aequivalent  für  Epilepsie  zufällig  bei  einem  Ohrenkranken 
und  unabhängig  von  der  Ohrenaffection  auftreten.  Das  Vorhandensein  einer 
Ohrenkrankheit  schliesst  demnach  die  epileptische  Natur  der  MENiERE'schen 
Symptome  im  gegebenen  Falle  durchaus  nicht  aus.  Es  wird  also  ausser  der 
Untersuchung  des  Gehörorganes,  der  Hörschärfe,  oft  noch  eine  aufmerksame 
längere  Observation  der  Anfälle  selbst,  der  sie  begleitenden,  vorausgehenden 
und  nachfolgenden  Erscheinungen  des  Verlaufes  und  eine  genaue  Anamnese 
erforderlich  sein,  um  sich  Klarheit  zu  verschaffen.  Hereditäre  Belastung, 
unwillkürlicher  Koth-  und  Urinabgang,  längere  Bewusstlosigkeit,  postepilep- 
tische Benommenheit  und  andere  für  Epilepsie  charakteristische  Erscheinun- 
gen, die  bei  der  echten  Vertigo  auralis  gar  nicht  oder  nur  selten  vor- 
kommen, bilden  weitere  Anhaltspunkte  für  die  Diagnose.  Entschieden  gegen 
den  Ohrenschwindel  spricht  natürlich  intactes  Gehör,  für  denselben  constatirte 
Labyrinthtaubheit  nach  den  ersten  Anfällen  neben  der  anamnestischen  Sicher- 
stellung eines  zuvor  bestandenen  intacten  Gehöres.  Aehnliches  gilt  mutatis 
mutandis  für  die  Differentialdiagnose  von  andern  mit  MENiERE'schen  Sym- 
ptomen einhergehenden  nervösen  Zuständen,  wie  Hemicranie,  Neurasthenie, 
Morbus  Basedowi  etc.  Begleitende  oder  intervalläre  klinische  Zeichen  der  einen 
oder  der  anderen  Neurose  geben  allenfalls  wichtige  diagnostische  Fingerzeige. 

Hat  man  einen  apoplectiformen  Anfall  vor  sich,  so  ward  mau  ihn  im 
ersten  Momente  gewiss  nicht  von  einer  Hirnapoplexie,  Hirncongestion,  Em- 
bolie  u.  dgl.  unterscheiden  können.  In  dem  Maasse  jedoch,  als  das  Bewusst- 
sein  zurückkehrt,  das  Sensorium  frei  und  eine  Untersuchung  des  Gehöres 
möglich  wird  und  die  charakteristischen  Symptome  des  Sausens,  Schwindels, 
Erbrechens  und  der  Taubheit  in  den  Vordergrund  treten,  die  Untersuchung 
die  Ausschliessung  einer  Gehirnaffection  wegen  Mangel  entsprechender  Er- 
scheinungen und  von  Erkrankungen  anderer  Abschnitte  des  Gehörorganes,  bei 
welchen  zeitweilig  ähnliche  Schwindelanfälle  vorzukommen  pflegen,  gestattet. 
wird  man  den  Zustand  immer  klarer  beurtheilen  können.  Ein  Adjuvans  der 
Diagnose  bietet  das   Vorhandensein  anderweitiger   chronischer  Krankheiten, 


314  MENIERE'SCHE  SYMPTOME. 

die  erfahrungsgemäss  zu  der   MEmfeRE'schen  Krankheit  disponiren,  wie  Leu- 
kämie, Syphilis  u.  a.  oben  erwähnte. 

Einer  secundären  Labyrinthaftection  zu  Grunde  liegende  acute  Infections- 
krankheiten,  wie  Typhus,  Meningitis  cerebrospinalis,  Diphtheritis  etc.,  machen 
sich  durch  die  begleitenden  sie  charakterisirenden  Allgemeinerscheinungen 
und  localen  Merkmale  auffällig  und  dürften  schwerlich  verkannt  werden.  Zur 
Entscheidung,  ob  Meningitis  cerebrospinalis  oder  primäre  Labyrinthitis  vorliegt, 
könnte  im  gegebenen  Falle  die  Lumbalpunction  herangezogen  werden.  Es 
muss  jedoch  bemerkt  werden,  dass  die  bei  einer  Meningitis  cerebrospinalis 
sich  manifestirenden  MENifeRE^schen  Symptome  auch  auf  einer  conservativen 
Tympanitis  acuta,  wie  bereits  erwähnt,  beruhen  könnten,  ohne  dass  das  Labyrinth 
an  der  Erkrankung  direct  betheiligt  wäre.  Ist  nun  einige  Zeit  bereits  seit  dem 
Anfalle  vergangen,  so  wird  die  otoskopische  Untersuchung  keinen  Aufschluss 
mehr  geben  können,  da  eine  eventuelle  acute  Mittelohrerkrankung  inzwischen, 
ohne  eine  Spur  zurückzulassen,  ausgeheilt  sein  kann.  Man  wird  dann  nur 
aus  dem  Ergebnisse  der  Hörprobe,  wenn  es  gelingt,  eine  Affection  des  schall- 
percipirenden  Apparates  nachzuweisen,  auf  eine  secundäre  Labyrinthaffection 
als  Ursache  des  Insultes  schliessen  können. 

Liegen  Intoxicationen  zu  Grunde,  so  verhilft  die  Anamnese  und  der 
Verlauf  zu  ihrer  Erkennung.  Ergibt  die  Anamnese  und  die  Untersuchung  acute 
oder  chronische  Erkrankungen  des  Gehörorganes,  dann  liegt  die  Ursache 
der  Anfälle  klar  zu  Tage.  Aber  selbst  dort,  wo  der  Ausgangspunkt  in  einer 
Affection  des  Mittelohres  sichergestellt  ist,  bleibt  noch  immer  die  Frage  un- 
entschieden, ob  die  MENiERE'schen  Symptome  durch  secundäre  organische  Ver- 
änderungen im  Labyrinthe  zustande  gekommen  oder  ob  sie  Reflexerscheinungen 
seitens  des  Labyrinthes  oder  seitens  des  Kleinhirnes  darstellen.  Denn  es  ist 
ausser  allem  Zweifel,  dass  vom  Mittelohre  aus  cerebellare  Erscheinungen 
ausgelöst  werden  können.  Es  darf  weiters  nicht  aus  den  Augen  gelassen 
werden,  dass  andere  Ursachen  zufällig  bei  Ohrenkranken  vorkommen  können. 
Es  ist  ja  auch  gut  denkbar,  dass  zu  einer  bereits  bestehenden  Erkrankung 
des  Mittelohres  eine  von  dieser  unabhängige  primäre  Labyrinthaffection  hin- 
zugetreten ist.  Es  können  also  gleichzeitig  verschiedene,  voneinander  unab- 
hängige Bedingungen  gegeben  sein,  von  denen  jede  für  sich  allein  als  Basis 
und  Ursache  des  uns  interessirenden  Krankheitsbildes  angesprochen  werden 
könnte.  Wo  also  eine  solche  Concurrenz  der  Ursachen  vorliegt,  dürfte  es 
manchmal  nicht  möglich  sein,  die  Entscheidung  zu  treffen.  In  solchen  Fällen 
wird  die  Beobachtung,  der  Verlauf,  begleitende  Symptome,  die  Beeinflussung 
des  Zustandes  durch  Behandlung  eines  Ohrenleidens,  die  Behebung  des  Leidens 
nach  Entfernung  eines  Fremdkörpers,  eines  Ceruminalpropfes  nach  verschie- 
denen otiatrischen  Eingriffen  etc.  ex  juvantibus  auf  den  Ausgangspunkt 
schliessen  lassen, 

Ueber  ein  Trauma  als  Ursache  gibt  die  Anamnese,  der  Verlauf,  eine 
etwa  nachweisbare  Verletzung  Aufschluss.  Treten  nach  einem  durch  ein 
Trauma  hervorgerufenen  Insulte  Erscheinungen  einer  Basisfractur  neben  hoch- 
gradiger Taubheit  auf,  so  ist  eine  Läsion  des  Labyrinthes  unzweifelhaft.  Für 
einen  Sprung  der  Labyrinthkapsel  oder  der  Schädelhöhle  spricht  ein  reich- 
licher seröser  Ausfluss  aus  dem  Ohre  —  natürlich  bei  gleichzeitiger  Trommel- 
fellperforation —  welche  die  chemischen  Eigenschaften  der  Cerebrospinal- 
flüssigkeit  zeigt,  neben  den  Erscheinungen  einer  Acusticuslähmung.  Liegt 
keine  nachweisbare  Verletzung  vor,  so  lässt  sich  aus  dem  Umstände,  dass 
der  MENiERE'schen  Attaque  unmittelbar  ein  Trauma,  z.  B.  Erschütterung,  Luft- 
douche,  Schalleinwirkung  u.  s.  w.,  vorausgegangen,  das  causale  Moment  leicht 
nach  dem  Grundsatze  post  hoc,  ergo  propter  hoc  deduciren.  Zurückbleibende 
Labyrinthtaubheit  lässt  auch  bei  nicht  nachweisbarer  Verletzung  eine  Läsion 
des  Labyrinthes  annehmen,  und  zwar   erscheint  eine  Blutung  im  Labyrinthe 


MKNIERE'SCHE  SYMPTOME.  315 

umso  wahrscheiülicher,  wenn  es  ein  Individuum  betrifft,  welches  im  allge- 
meinen zu  Hämorrhagien  inclinirt,  z.  B.  bei  mit  Gefässerkrankungen,  atheroma- 
tösen  Processen  u.  a.  Behafteten.  Doch  könnte  ein  Trauma  auch  durch  Affection 
der  acustischen  Centren  im  Gehirne  dieselben  Folgen  nach  sich  ziehen,  bei 
vollständiger  Integrität  des  peripheren  Gehörorganes.  Vergeht  der  Anfall  ohne 
eine  Spur  zurückzulassen,  dann  handelt  es  sich  um  eine  transitorische  Er- 
schütterung. Doch  ist  zu  einer  solchen  Diagnose  oft  eine  genaue  Anamnese 
und  eine  längere  Observation  nothwendig,  da  einerseits  eine  unmittelbar  nach 
dem  Insulte  bestehende  Taubheit  sich  nach  einiger  Zeit  verlieren,  während 
andererseits  die  chronische  Vertigo  auralis  sich  erst  einige  Zeit  nach  einem 
vorausgegangenen  Insulte  langsam  einstellen  kann.  Es  kann  aber  auch  ein 
Trauma  unmittelbar  eine  andere  Ohrenkrankheit  zur  Folge  haben,  die  ihrer- 
seits mit  der  Zeit  zum  Auftreten  der  MENifeRß'schen  Symptome  Anlass  gibt. 
Dann  wird  sich  schwer  entscheiden  lassen,  ob  diese  Symptome  auf  das  Trauma, 
resp.  auf  die  dadurch  gesetzte  Labyrinthläsion  direct  oder  secundär  auf  die 
Ohrenkrankheit  zu  beziehen  sind.  Dasselbe  ist  der  Fall,  wenn  ein  Trauma 
auf  einen  bereits  von  früher  her  Ohrenkranken  eingewirkt  hat  und  sich  nach- 
träglich Schwindelerscheinungen,  Labyrinthtaubheit  etc.  entwickeln. 

Die  angioneurotische  Form  charakterisirt  sich  durch  das  Einsetzen  des 
Anfalles  unter  auffallender  Gesichtsblässe,  welche  beim  Aufhören  der  Erschei- 
nungen der  normalen  Gesichtsfarbe  weicht,  durch  die  kurze  Dauer,  den  raschen 
Verlauf  und  den  Mangel  anderweitiger  ursächlicher  Momente. 

Prognose.  Bei  der  Mannigfaltigkeit  des  Ausgangspunktes  und  des 
Verlaufes  kann  von  einer  Prognose  im  allgemeinen  natürlich  keine  Rede  sein. 
Anders  wird  dieselbe  lauten  in  Fällen,  denen  eine  schwere  organische  Läsion 
des  Labyrinthes  zu  Grunde  liegt,  und  ganz  anders  in  Fällen,  wo  eine  vorüber- 
gehende reflectorische  Reizung  das  Krankheitsbild  erzeugte.  Im  speciellen 
wird  sich  die  Prognose  aus  dem  bereits  geschilderten  Verlaufe  der  verschie- 
denen Zustände  ergeben.  Auch  zeigen  die  einzelnen  das  ganze  Bild  zusammen- 
setzenden Symptome  eine  verschiedene  Prognose.  Dort,  wo  der  MENiERE'sche 
Schwindel  als  eine  Theilerscheinung  einer  Gehirn-  oder  Nervenkrankheit  er- 
scheint, ist  die  Voraussage  von  der  Natur  dieser  letzteren  abhängig.  MENiERE'- 
sche Anfälle  als  Folge  einer  Hyperämia  cerebri,  eines  Hirnsyphilom  u.  dgl. 
sind  rückbildungsfähig,  die  von  bösartigen  Tumoren  oder  schweren  Gehirn- 
krankheiten inducirten  natürlich  nicht. 

Die  Pseudo-MENiERE'schen  Anfälle  gestatten  günstig  zu  prognosticiren. 
wäe  überhaupt  alle  Fälle,  in  welchen  diese  Symptome  auf  eine  reflectorische 
Reizung  oder  functionelle  Störung  des  statischen  Apparates  zurückzuführen  sind. 

Die  apoplektischen  genuinen,  wie  die  in  Begleitung  von  Infectionskrank- 
heiten  (Meningit.  cerebrosp.,  Scharlach,  Diphtheritis,  Typhus)  oder  bei  Tabes, 
Lues,  Leukämie  und  die  bei  chronischen  Labyrinth erkrankungen  auftretenden 
Formen  verlaufen  quoad  vitam  günstig,  da  sie  nur  selten  und  nur  infolge 
der  Grundkrankheit  (Meningitis,  Leukämie)  oder  infolge  einer  Complication 
letal  endigen.  Doch  ist  die  Aussicht  quoad  sanctionem  keine  gute.  Die 
Anfälle  gehen  meist  in  einen  chronischen  Zustand  über,  der  wechselnd  oder 
stationär  verläuft.  Eine  eventuelle  Besserung  einzelner  Symptome  ist  zwar 
möglich,  doch  meist  nur  vorübergehend.  Die  sich  wiederholenden  Anfälle 
oder  Exacerbationen  bringen  jedesmal  eine  Verschlimmerung  der  Symptome, 
besonders  der  Schwerhörigkeit  mit  sich.  Die  letztere  ist  meist  progressiv 
und  führt  zu  totaler  Taubheit.  "Während  jedoch  in  frischen  Fällen  auch  hier 
die  Möglichkeit  einer  Besserung  nicht  ausgeschlossen  ist,  ist  eine  solche  in 
Bezug  auf  das  Gehör  bei  bereits  längere  Zeit  währender  Taubheit  absolut 
nicht  zu  erwarten. 

Bei  Intoxicationen  ist  die  Prognose  zweifelhaft,  eine  Besserung  selten, 
aber  je  nach  der  Art  Toxine,  Dauer  und  Dosis  der  Darreichung  möglich. 


316  MENIERE'SCHE  SYMPTOME. 

Acute  Mittelohrkrankheiten  oder  eine  Affection  des  äusseren  Gehör- 
ganges als  Ausgangspunkt  der  Symptome  gestatten  eine  günstige  Prognose, 
da  hier  vollständige  Heilung  möglich  ist.  Weniger  günstig  ist  die  Voraus- 
sicht bei  chronischen  Mittelohrerkrankungen,  ungünstig  besonders  bei  der 
Sklerose.  Zwar  können  sich  auch  hier  einzelne  Symptome,  Schwindel,  Sausen, 
bessern,  doch  ist  eine  vollständige  Heilung  fast  ausgeschlossen,  eine  Besserung 
der  Schwerhörigkeit  sehr  selten. 

Ist  der  Symptomencomplex  eine  Folge  der  Einwirkung  eines  Trauma, 
so  ist  die  Prognose  nur  dann  günstig,  wenn  sich  eine  Beschädigung  des 
Labyrinthes  mit  Sicherheit  ausschliessen  lässt.  Man  muss  sich  aber  immer 
vor  Augen  halten,  dass  manchmal  selbst  ein  leichtes  Trauma  oder  äussere 
Einflüsse  transitorischer  Natur,  z.  B.  Ohrfeigen,  starke  Schalleinwirkung,  Ein- 
wirkung verdichteter  Luft  u.  dgl.  durch  Erschütterung  eine  oft  sich  erst  später 
manifestirende  dauernde  Schädigung  des  Labyrinthes,  also  auch  des  Gehöres 
nach  sich  ziehen.  Man  wird  sich  daher  in  analogen  Fällen  mit  der  Prognose 
reservirt  halten  müssen  und  sie  oft  erst  nach  längerer  Observation  decidirt 
stellen  können. 

Wo  eine  Beschädigung  der  Schädelbasis  oder  des  Labyrinthes  vorliegt 
oder  vermuthet  wird,  da  sind  consecutive  entzündliche  Processe  zu  befürchten, 
welche  entweder  durch  hinzutretende  Meningitis,  Gehirnabscess  etc.  den  letalen 
Ausgang  herbeiführen  oder  einen  dauernden  Zustand,  Labyrinthitis  chronica, 
etabliren  können,  was  selbstverständlich  die  Prognose  ungünstig  gestaltet. 
Verletzungen  der  Pyramide  ohne  Beschädigung  der  Schädelbasis  schliessen 
die  Möglichkeit  einer  Heilung  trotz  schwerer  klinischer  Symptome  nicht  aus. 

Bei  Caissonarbeitern  bleibt,  wie  die  Erfahrung  zeigt,  wo  die  MENiERE'schen 
Symptome  aufgetreten  sind,  die  Taubheit  meist  dauernd,  doch  ist  eine  Rück- 
bildung und  Besserung,  wenn  auch  selten,  nicht  ausgeschlossen. 

Die  angioneurotische  Form  der  Acusticus-Anästhesie  mit  dem  Meni^re'- 
schen  Symptomencomplex  gestattet  nach  der  bisherigen  Erfahrung  eine  gün- 
stige Prognose. 

Forensische  Bedeutung.  Die  gerichtliche  Begutachtung  des  MENiERE'- 
schen Schwindels  ist  in  erster  Reihe  von  den  ihm  zu  Grunde  liegenden,  durch 
ein  Trauma  entstandenen  anatomischen  oder  functionellen  Alterationen  und  von 
der  Prognose  derselben  abhängig.  Dass  nachweisbare  Schädel-  und  Labyrinth- 
verletzungen eine  schwere  körperliche  Beschädigung  involviren,  ist  wohl  ebenso 
selbstverständlich,  wie  dass  eine  nach  einem  Trauma  schnell  vorübergehende 
MJENiERE'sche  Attaque  keine  Bedeutung  besitzt.  Schwierigkeiten  in  der  Be- 
urtheilung  werden  vorliegen  in  Fällen,  in  denen  der  Betroffene,  ohne  dass 
eine  Verletzung  nachweisbar  wäre,  über  Schwindel,  Sausen  und  Schwerhörig- 
keit infolge  eines  traumatischen  Insultes  klagt.  Da  muss  man  sich  immer 
gegenwärtig  halten,  dass  diese  Symptome  bei  der  gerichtlichen  Untersuchung 
der  Simulation  und  der  Aggravation  seitens  des  Beschädigten  unterliegen, 
dass  sie  leicht  nachgeahmt  oder  verstärkt  werden  können,  um  eine  strengere 
Bestrafung  des  Attentäters  oder  eine  ausgiebigere  Entschädigung  zu  erzielen. 
Da  nun  aber  diese  Symptome  zumeist  subjectiver  Natur  sind,  die  sich  einer 
objectiven  Constatirung  entziehen,  die  sie  manchmal  begleitenden  objectiven 
Augensymptome,  z,  B.  Nystagmus,  Ungleichheit  der  Pupillen  etc.  zu  wenig 
constant  sind,  so  wird  man  das  Gutachten  hauptsächlich  auf  das  Ergebnis  der 
Untersuchung  der  Hörfähigkeit  beruhen  lassen  müssen.  Man  wird  daher  zu- 
nächst auf  eine  vorhandene  oder  simulirte  Taubheit,  resp.  Schwerhörigkeit 
untersuchen  müssen,  wozu  verschiedene  Untersuchungsmethoden  dienen,  die 
an  einem  anderen  Orte  auseinandergesetzt  werden.  Hier  möchte  ich  nur  von 
einer  Erwähnung  thun,  die  bis  jetzt  sonst  nirgends  vorgeschlagen  wurde.  Wie 
Taechanoff  nachwies,  kann  man  durch  Reizung  verschiedener  Sinnesorgane 
galvanische   Hautströme  erzeugen,    welche   eine    galvanoskopische   Ablenkung 


MlilNJERE'SCHE  SYMPTOME.  317 

hervorrufen,  wenn  die  Elektroden  des  entsprechenden  Instrumentes  mit  der 
Haut  verschiedener  Körperstellen  in  Contact  gebracht  werden.  Lässt  man  nun 
auf  ein  angeblich  schwerhöriges  oder  taubes  Ohr  irgend  welche  Schallein- 
drücke einwirken,  so  wird  bei  Anwendung  des  erwähnten  Instrumentes  das 
Auftreten  einer  Ablenkung  des  Galvanometerspiegels  eine  vorhandene  Gehörs- 
perception,  somit  auch  die  Simulation  der  Taubheit  unwiderleglich  beweisen, 
während  das  Fehlen  einer  Ablenkung  eine  vorhandene  Schwerhörigkeit  oder 
Taubheit  wahrscheinlich  macht.  Weiters  muss  man  trachten,  den  Grad  der 
vor  dem  Insulte  vorhandenen  Hörfähigkeit,  resp.  Störung  zu  eruiren. 

Die  blosse  Sicherstellung  eines  apoplectischen  Anfalles  durch  eigene 
Beobachtung  oder  durch  Zeugen  ist  für  die  Beurtheilung  der  Schwere  der 
Verletzung  nicht  maassgebend,  da  ein  solcher  Anfall  ohne  welche  Folgen 
vorübergehen  kann. 

Ist  eine  Schwerhörigkeit  constatirt,  so  muss  dieselbe  erst  durch  eine 
Stimmgabelprüfung,  resp.  durch  den  Nachweis  verminderter  Schallperception 
durch  die  Knochenleitung  als  eine  Labyrinthtaubheit  qualificirt  werden,  be- 
sonders wenn  gleichzeitig  ältere  oder  etwa  durch  das  Trauma  gleichzeitig 
entstandene  Veränderungen  im  peripheren  Hörapparat  vorhanden  sind,  z.  B. 
Tympanitis,  Trommelfellruptur,  Hämatotympanon  etc. 

Auch  die  nach  einer  Trommelfellruptur  folgende  Schwerhörigkeit  kann 
vorübergehend  sein  oder  auch  bleibend,  wenn  damit  eine  Labyrintherschütte- 
rung verbunden  war.  Zur  Feststellung  einer  vorhandenen  Acusticuslähmung 
ist  dann  eine  durch  Monate  fortgesetzte  Beobachtung  und  Constatirung  einer 
Labyrinthtaubheit  durch  entsprechende  Gehörsprüfungen  nothwendig. 

Die  Ergebnisse  der  Otoskopie  können  überhaupt  nur  in  sehr  be- 
schränktem Maasse  verwertet  werden,  da  bekanntlich  hochgradige  pathologische 
Veränderungen  am  Trommelfelle  eine  gute  Hörfähigkeit  nicht  ausschliessen 
und  umgekehrt  trotz  normalen  Trommelfellbefundes  eine  vorhandene  Alteration 
des  Gehöres  dennoch  von  einer  Erkrankung  des  Mittelohres  herrühren  kann, 
da  sehr  wichtige  pathologische  Zustände  an  den  Labyrinthfenstern  vorhanden 
sein  können,  die  sich  der  Ocularinspection  entziehen  und  sich  auch  durch 
keine  abnormen  Auscultationserscheinungen  zu  erkennen  geben. 

Doch  sind  nachweisbare  anderweitige  ältere  Erkrankungen  des  Gehör- 
organes,  ebenso  wie  etwa  bestehende  pathologische  Zustände  der  Gefässwan- 
dungen,  welche  das  Zustandekommen  eines  hämorrhagischen  Ergusses  in  das 
Labyrinth  begünstigen,  insoferne  berücksichtigungswürdig,  als  damit  behaftete 
Personen  zu  einer  Erkrankung  des  Labyrinthes  und  für  die  MEMiERE'schen  Sym- 
ptome leichter  disponirt  sind  als  sonst  Gesunde.  In  ähnlicher  Weise  können 
hereditäre  Belastung,  neuropathische  Zustände,  das  Bestehen  einer  der  oben 
angeführten  disponirenden  Krankheiten  das  Gutachten  in  milderndem  Sinne 
beeinflussen,  und  für  solche  Fälle  hat  die  Gesetzgebung  durch  die  gesetzliche 
Berücksichtigung  der  eigenthümlichen  Leibesbeschaftenheit  der  Verletzten 
vorgesorgt. 

Von  angegebenen  subjectiven  Gehörsempfindungen  ist  zu  bemerken,  dass 
nur  continuirliche  Geräusche  auf  eine  traumatische  Läsion  des  Labyrinthes 
bezogen  werden  können,  nicht  aber  intermittirende. 

Für  alle  Fälle  ist  es  wichtig,  sich  nicht  auf  eine  einzige  Untersuchung 
zu  beschränken.  Denn  einerseits  können  Schwindelerscheinungen  und  selbst 
bei  der  ersten  Untersuchung  constatirte  Schwerhörigkeit  nach  einiger  Zeit 
vollständig  zurückgehen,  eine  stattgefundene  Labyrintherschütterung  sich  voll- 
kommen ausgleichen,  während  es  anderseits  möglich  ist,  dass  eine  unmittelbar 
nach  dem  Trauma  nicht  oder  kaum  nachweisbare  Hörstörung  sich  erst  später 
bemerkbar  macht,  beziehungsweise  sich  steigert  und  eine  Labyrintherschütte- 
rung sich  erst  durch  ein  nachträglich  sich  langsam  entwickelndes  Meniere'- 
sches  Symptomenbild  verräth.  Es  wird  daher  in  einzelnen  Fällen  häufig  eine 
längere  Beobachtungsfrist  und  oft  wiederholte  genaue  objective  Untersuchung 


318  MENifeRE'SCHE  SYMPTOME. 

erforderlich  sein,  bevor  man  in  die  Lage  kommen  wird,  ein  endgiltiges  Gut- 
achten speciell  über  die  Stabilität  der  nachgewiesenen  Gehörstörung  abzugeben 
und  zu  entscheiden,  ob  man  es  mit  einem  vorübergehenden  oder  bleibenden 
Zustand,  einem  „Verluste"  oder  „einer  bleibenden  Schwächung  des  Gehöres" 
zu  thun  hat,  ob  die  Beschädigung  als  eine  „schwere"  zu  qualificiren  ist,  ob 
durch  dieselbe  eine  „Gesundheitsstörung"  oder  „eine  Berufsunfähigkeit"  und 
auf  wie  lange  veranlasst  wurde  u.  s.  w. 

Für  das  Gutachten  gelegentlich  einer  Lebensversicherung  ist  das 
bei  der  Prognose  Erwähnte  maassgebend. 

Die  Prophylaxis  erfordert  eine  sachgemässe  Behandlung  von  Ohren- 
krankheiten und  sorgfältige  Vermeidung  gewisser  Eingriffe,  Einflüsse,  Erschütte- 
rungen (Luftdouche,  Ausspritzungen,  Sondirungen,  Schalleinwirkungen  etc.) 
bei  Personen,  von  denen  bekannt  ist,  dass  sie  zu  Schwindelanfällen  incliniren. 

Gegen  die  Vorboten  eines  Anfalles,  in  Form  von  vermehrtem  Ohren- 
sausen, Völle  im  Kopfe  oder  Kopfschmerzen,  bei  Zeichen  erhöhten  Blutdruckes 
sind  ableitende  Mittel  in  Form  vom  Quecksilberpräparaten,  wie  Calomelpulver 
(in  Dosen  von  0"18 — 30),  zu  verabreichen. 

Therapie.  In  therapeutischer  Beziehung  stellt  dieses  Leiden  eine  wahre 
crux  medicorum  dar,  da  leider  nur  zu  oft  alle  empfohlenen  Mittel  und 
Methoden  erfolglos  bleiben.  Doch  darf  der  Arzt  bei  der  Unsicherheit  der 
Diagnose  und  der  Prognose  trotz  der  scheinbaren  Aussichtslosigkeit  der  Be- 
handlung sich  wenigstens  des  Versuches  einer  Besserung  nicht  entschlagen, 
me  Urbantschitsch  in  edler  Auffassung  der  humanen  Aufgabe  des  Arztes 
richtig  bemerkt.  Dies  ist  ein  Erfordernis  nicht  bloss  der  Humanität,  sondern 
auch  der  Erfahrung.  In  der  That  zeigt  uns  letztere  nicht  gar  so  selten,  dass 
ein  Fall,  in  welchem  bereits  jede  Aussicht  auf  Besserung  geschwunden  er- 
schien, die  Behandlung  dennoch  einen  Heilaffect  erzielen  kann,  wenn  auch 
manchmal  nur  vorübergehend. 

Die  Heilbestrebungen  dieses  Leidens  sollen  causale  und  symptomatische 
sein.  Erstere,  die  causale  Therapie,  hat  in  erster  Reihe  das  causale  Moment 
zu  berücksichtigen  und  sich  gegen  die  pathogenen  und  disponirenden  ätio- 
logischen Factoren  zu  richten.  Gehirn-  und  Rückenmarkskrankheiten,  Tabes, 
progressive  Paralyse,  multiple  Sklerose,  Leukämie  etc.  müssen  entsprechend 
berücksichtigt  werden.  Liegt  Verdacht  auf  Lues  vor,  dann  wird  eine  anti- 
luetische Behandlung  am  Platze  sein.  Daneben  empfiehlt  sich  Pilocarpin  muriat., 
einige  Tropfen  einer  2°/oigen  Lösung,  intern  oder  subcutan. 

Ausgedehnte  Berücksichtigung  verlangen  besondere  neuropathische  Zu- 
stände. Zumal  in  Fällen,  in  denen  eine  gesteigerte  Irritabilität  und  eine  ge- 
ringere Widerstandsfähigkeit  des  Nervensystemes  angenommen  werden  muss, 
ist  der  Schwäche-  oder  Reizzustand  durch  entsprechende  roborirende  und  ab- 
leitende Wirkungen  zu  beeinflussen.  Dahin  gehören  Kräftigung  des  Nerven- 
systemes durch  entsprechende  hygienische  und  diätetische  Maassnahmen, 
Hydrotherapie,  Elektricität,  Klimato-  oder  Balneotherapie,  besonders  Jod-  und 
Soolbäder,  geistige  und  physische  Ruhe,  Vermeidung  geistiger  Getränke, 
von  Kaffee,  Thee,  von  Ueberanstrengungen,  psychischen  Emotionen.  Innerlich 
sind  Eisen-  oder  Brompräparate  anzuwenden.  Daneben  sollen  psychische 
Beeinflussung,  Suggestion,  Hypnose  als  des  Versuches  würdige  Methoden  nicht 
aus  den  Augen  gelassen  werden. 

Bei  vorhandener  Idiosynkrasie  gegen  Schaukelbewegungen,  z.  B.  bei  der 
Seekrankheit,  kann  ich  auf  Grund  eigener  Beobachtung  und  Erfahrung  gewisse 
gymnastische  Schaukelbewegung  empfehlen.  Man  beobachtet  oft  bei  Personen, 
welche  bei  hoher  See  sehr  stark  an  den  Schwindelerscheinungen  leiden,  dass 
sie  nach  einiger  Zeit  sich  so  vollständig  daran  gewöhnen  können,  dass  ihnen 
schliesslich  das  stürmischeste  Wasser  und  die  stärksten  Schwankungen  des 
Schiffes   nichts  mehr  anhaben  können.    Es  geht  daraus  hervor,    dass  die  be- 


MENIERE'SCHE  SYMPTOME.  319 

treffenden  Nerven  oder  Centren  durch  öftere  Wiederholung  des  äusseren  Reizes 
abgestumpft  und  weniger  empfindlich  gemacht  werden  können.  Dieses  Raison- 
nement  führt  zu  der  Schlussfolgerung,  dass  Personen,  welche  Eisenbahnfahrt, 
Rundtänze  u.  dgl.  nicht  vertragen,  durch  entsprechende  gymnastische  Uebungen 
gegen  ähnliche  Bewegung  unempfindlich  gemacht  werden  können.  Solchen 
Personen  ist  daher  zu  empfehlen,  dass  sie  täglich  systematisch  Schaukel- 
bewegungen nach  allen  drei  Dimensionen  ausüben,  d.  h.  von  vorne  nach  rück- 
wärts, von  rechts  nach  links  und  von  unten  nach  oben  und  ausserdem  Dreh- 
bewegungen um  einen  gewissen  Gegenstand,  z.  B.  einen  kleinen  Tisch  oder 
Stuhl.  Diese  Bewegungen  sind  anfangs  schwach,  langsam  und  durch  kurze 
Zeit,  später  immer  stärker,  rascher  und  länger  auszuführen.  Die  dazu  nöthige 
Einrichtung  kann  man  sich  ohne  grosse  Umlagen  anschaffen  und  in  der 
eigenen  Wohnung  anbringen. 

Bei  gichtischer  Anlage  sind  Alkalien,  Colchicin  etc.  von  Nutzen. 

Vorhandene  Affectionen  des  Gehörorganes  und  traumatische  Läsionen 
müssen  selbstverständlich  einer  entsprechenden  Behandlung  zugeführt  werden. 
Es  ist  schon  oft  gelungen,  durch  eine  Luftdouche,  durch  eine  Paracentese  des 
Trommelfelles  oder  durch  Extraction  eines  Fremdkörpers  einen  apoplectiformen 
Anfall  zu  coupiren  und  noch  öfter  einen  chronischen  Schwindelzustand  zu 
mitigiren.  Schon  daraus  allein  erhellt  die  immense  Wichtigkeit  einer  richtigen, 
rechtzeitigen  Diagnose.  Unter  Umständen  wird  es  nothwendig  sein,  den 
Patienten  rasch  aus  einem  luftverdichteten  Raum  zu  entfernen  oder  eine 
Steigerung  im  intralabyrinthären  Druck  durch  entsprechende  otiatrische  Ein- 
griffe, Excision  des  Trommelfelles,  der  Gehörknöchelchen  etc.  zu  beheben. 
In  einem  Falle,  wo  der  Ohrenschwindel  von  Störungen  in  der  psychomotori- 
schen Sphäre  begleitet  war,  erzielte  Avoledo  in  Mailand  eine  Dauerheilung 
durch  das  Operations  verfahren  nach  Stacke. 

Ferner  sind  indicirt,  besonders  bei  vermutheten  Extravasaten,  resorbirende 
und  ableitende  Mittel,  wie  Jodkali,  Einpinselung  von  Jodtinctur  auf  dem  Proc. 
raast.,  Einreibung  von  Jodsalben  daselbst.,  Injection  von  einigen  Tropfen  einer 
Jodkalilösung  (0*3:20)  in  die  Trommelhöhle,  Jodpräparate  intern  u.  dgl. 

Wo  Intoxicationen  als  Ursache  bekannt  sind,  muss  natürlich  das  betref- 
fende Medicament  sofort  beseitigt  und  womöglich  eine  entsprechende  anti- 
dotische Behandlung  platzgreifen. 

Wo  die  Ursache  nicht  eruirbar  ist  und  die  causale  Behandlung  im  Stiche 
lässt,  tritt  neben  derselben  die  leider  meist  aussichtslose  symptomatische  Be- 
handlung in  ihre  Rechte. 

Im  apoplectischen  Insulte  ist  die  Behandlung  ähnlich  wie  bei  einer  ge- 
wöhnlichen Hirnblutung:  Ruhe,  Eisumschläge,  Blutentziehung,  Ableitung  durch 
reizende  Klysmen,  Sinapismen  auf  die  Extremitäten,  strenge  Diät  etc.  Aehnlich 
wird  bei  jeder  stürmischen  Attaque  verfahren.  Sind  die  stürmischen  Erschei- 
nungen vorüber,  hat  Patient  noch  einige  Zeit  die  ruhige  Lage  einzuhalten, 
am  besten  horizontale  Lagerung  mit  hochgelagertem  Kopfe,  da  schon  jede  ge- 
ringe Bewegung  heftigen  Schwindel,  Erbrechen  u.  s.  w.  verursachen  kann. 
Dabei  sind  grelle  Eindrücke  auf  die  Sinnesorgane,  z.  B.  helles  Licht,  starke 
Geräusche,  zu  meiden  und  besonders  Gemüthsaffecte  strenge  fernzuhalten.  Für 
den  chronischen  Zustand  werden  ausser  den  bereits  erwähnten  Jod-  und  Brom- 
präparaten, Natr.  hydrobrom,  Acid.  hydrobromic.  u.  s.  w.,  noch  Chininprä- 
parate in  grossen  Dosen  von  Charcot  u.  a.  empfohlen,  wie  Chinin,  sidfiir., 
Chinin,  valerian.  u.  a. 

Zu  versuchen  ist  auch  der  Einfluss  der  Elektricität,  die  sich  manchmal 
auf  einzelne  Symptome  günstig  erweist,  und  zwar  wirkt  manchmal  besser  der 
faradische  Strom,  in  anderen  Fällen  die  galvanische  oder  statische  Elektricität. 
Näheres  über  die  Anwendung  derselben  wird  bei  den  Nervenkrankheiten  be- 
sprochen.    Doch  muss  hier  erwähnt  werden,   dass  sie  nie  in   frischen  Fällen 


320  MISSBILDUNGEN  DES  KEHLKOPFES. 

angewendet  werden  darf,  wo  sie  sogar  schädlich  wirken  kann,  sondern  erst 
in  einem  späteren  Stadium,  nach  einigen  Wochen  und  immer  mit  Vorsicht, 
versuchsweise,  erst  in  schwächerem  Grade  durch  kürzere  Zeit  und  später  in 
successive  immer  stärkeren  Strömen  und  längeren  Sitzungen. 

Der  gegen  die  einzelnen  Symptome  empfohlenen  Mittel  und  Eingriffe  ist 
Legion.  Wir  wollen  nur  anführen:  Einblasung  von  Chloroform  und  Aether, 
von  Aether  sulph.  und  Liqu.  Holland,  Jodaethyl,  Spirit.  aether.  nitr.  in  die 
Paukenhöhle,  Verdünnung  der  Luft  im  äusseren  Gehörgang,  Massage  des 
Warzeufortsatzes,  subcutane  Injection  von  Morphium  und  Strychnin,  Blut- 
entziehungen, Vesicantieu,  spirituose  Einreibungen  am  Processus  mast.  gegen 
heftiges  Ohrensausen. 

Innerlich  wurde  gleichfalls  gegen  die  lästigen  subjectiven  Gehörswahr- 
nehmungeu  empfohlen:  Natr.  salici/l.,  Phenacetin,  Tct.  belladonnae,  Tct.  Arnicae, 
Tct.  Fowleri,  Atropin,  Amylnitrit  zum  Riechen  u.  a.  Ukbantschitsch  erzielte 
mit  Tct.  Aconiti  (8 — 10  Tropfen  pro  die)  günstige  Wirkung  gegen  das  Ohren- 
sausen. Von  LucAE  wurde  die  Tonbehandlung  empfohlen,  u.  zw.  die  Anwen- 
dung hoher  Stimmgabeln  bei  subjectiven  Geräuschen  mit  einem  tiefen  Ton- 
charakter, tiefer  Gabeln  hingegen  bei  hohen  subjectiven  Geräuschen. 

Narkotische  Mittel  wirken  meist  ungünstig  und  sind  womöglich  zu  meiden. 

In  dem  von  Politzer  beobachteten  Fall  von  angioneurotischer  Acusticus- 
lähmung  mit  den  MENiERE'schen  Symptomen  erwies  sich  die  Galvanisation 
des  Sympathicus  von  sehr  günstigem  Einflüsse.  Die  Anfälle  wurden  nach 
Stägiger  Anwendung  derselben  seltener  und  nach  einem  Monate  blieben  sie 
ganz  aus. 

UKBANTSCHITSCH  erreichte  eine  bedeutende  Besserung  der  subjectiven 
Gehörsempiindungen  und  der  Schwerhörigkeit  in  einem  Falle  von  MENiERE'schen 
Symptomen  bei  Morbus  Basedowi  nach  der  Anwendung  des  Inductionsstromes 
bei  Application  der  einen  Elektrode  an  den  Tragus,  der  anderen  an  die  Gegend 
des  Ganglion  cervicale  inferius  syrapathici.  Spira. 

MiSSbildungen  des  Kehlkopfes.  Es  gibt  deren  l.  angeborene, 
2.  erworbene. 

Ad  1.  Mangel  des  Kehlkopfes  kommt  nur  bei  Acardiacus  amorphus 
und  acephalus  vor.  Häufiger  ist  der  Defect  von  einzelnen  Kehlkopfknorpeln^ 
z.  B.  der  Epiglottis,  und  von  Theilen  derselben;  besonders  häufig  ist  das 
obere  Schildknorpelhorn  isolirt.  Abnormitäten,  die  bisher  ohne  grössere 
praktische  Bedeutung  geblieben  sind,  sind  übrigens  an  allen  Bestandtheilen 
des  Kehlkopfes  gefunden  worden;  zu  erwähnen  sind  besonders  die  Asymmetrien 
des  Knorpelgerüstes,  zumal  diejenige  der  beiden  Schildknorpelplatten  mit 
ihrer  Aeusserung  als  „Skoliose  des  Kehlkopfes",  die  Varietäten  und 
Ueberzahl  von  Muskeln,  die  Spaltbildung  zwischen  den  Aryknorpeln,  die 
Bildung  eines  dritten  vorderen  Ventrikels,  der  abnorme  Verlauf  der  Arteria 
laryngea  etc. 

Eine  Notiz  über  Verdoppelung  des  Kehlkopfes  soll  ohne  Verantwort- 
lichkeit wiedergegeben  werden. 

Wichtiger  für  die  praktische  Orientirung  sind  folgende  Einzel- 
heiten: 

Die  Ueberkreuzung  der  Giessbeckenknorpel  infolge  von  Kehlkopfasym- 
metrien; 

die  Vergrösserung  der  SANTORiNi'schen  und  WRiSBERG'schen  Knor- 
pelchen; 

die  tumorähnliche  Vergrösserung  des  Petiolus  epiglottidis; 

die  Auszackung  des  Kehldeckelrandes,  welche  Geschwüre  und  Narben 
vortäuschen  kann; 

die  Vergrösserung  des  Kehldeckels; 


MISSBILDUNGEN  DER  MUNDHÖHLE,  321 

die  seitliche  Compression  desselben,  welche  nicht  nur  die  Laryngoskopie 
behindern  kann  („kindliche  Epiglottis"),  sondern  in  extremen  Graden  sogar 
zur  Erstickung  von  Kindern  beigetragen  hat; 

die  Bildung  von  Spalten  der  Epiglottis  (bis  zu  drei  beobachtetj  und  in- 
folge davon  von  hängenden  Lappen,  welche  Laryngospasmus  hervorrufen 
können; 

die  Erweiterung  der  Sinus  Morgagni,  welche  sich  bis  ausserhalb  des 
Kehlkopfes  erstrecken  und  zu  äusserlich  wahrnehmbaren  Luftgesch Wülsten 
aufgeblasen  werden  können  (Laryngoceleventricularis;  Analogon  zu  den 
Sacci  ventriculares  extralaryngei  (laterales)  des  Gorilla  und  Oran-Utang)  und 
welche  mittelst  Exstirpation  des  Sackes  von  aussen  her  zu  behandeln  wären; 

die  Articulation  zwischen  dem  Körper  des  Zungenbeines  und 
dem  Mitteltheile  des  oberen  Schildknorpel  ran  des,  wichtig  in  Bezug 
auf  die  Pharyngotomia  subhyoidea; 

das  Vorkommen  von  Schleimhautspangen  und  Diaphragmen.  Erstere 
sind  zwischen  den  Stimmbändern,  dem  Aryknorpel  und  der  Epiglottis  sowie 
der  hinteren  Wand  und  dem  Taschenbande  gefunden  wurden.  Die  Dia- 
phragmen liegen  dicht  unter  dem  Niveau  der  Stimmbänder  und  erstrecken 
sich  vom  vorderen  Winkel  aus,  wo  sie  auch  am  dicksten  sind,  mehr  weniger 
weit  symmetrisch  nach  hinten.  Im  Extreme  war  bei  Erhaltung  des  Indivi- 
duums die  Athmung  durch  ein  stecknadelkopfgrosses  centrales  Loch  ermöglicht 
und  merkwürdigerweise  die  Stimme  normal.  Ausnahmsweise  findet  sich  ein 
zweites  Diaphragma.  Die  Entstehung  erklärt  man  mit  dem  unvollständigen 
Schwinden  des  oberen  Verschlusses  der  ursprünglichen  Luftröhrenanlage;  Sei- 
fert hat   eine  Vererbung  vom  Vater  auf  seine   drei  Töchter  beobachtet. 

Die  Therapie  ist  gewöhnlich  eine  endolaryngeal-operative. 

Ad  2.  Für  die  Dauer  erworben  sind:  Defect  und  Verstümmelung  der 
Knorpel  nach  Operationen  und  Entzündungen,  perichondritische  und  ecchon- 
drotische  Knorpelverdickung,  Verwachsung  der  Stimm-  oder  Taschenbänder, 
Bildung  von  Diaphragmen  und  anderen  Narbenstenosen  infolge  von  Schnitt- 
wunden, luetischen  und  andere  Geschwüren  und  Rhinosklerom;  Dislocation  an 
den  Knorpeln  infolge  von  Fractur  oder  Luxation;  fibröse  Verbindung  (Pseud- 
arthrose?)  der  beiden  Schildknorpelhälften;  Kleinbleiben  des  männlichen  Kehl- 
kopfes nach  frühzeitiger  Kastration;  Abreissung,  ankylotische  und  andere  Fixation 
der  Stimmbänder.  Gewaltige  Dislocationen  des  Kehlkopfes  bis  in  die  vom 
äusseren  Ohre  gefällte  Senkrechte  sollen  durch  Narben  und  Geschwülste 
hervorgebracht  werden  können. 

Therapeutisch  lässt  sich  durch  endolaryngeale,  nöthigenfalls  auch  durch 
äussere  Eingriffe  besonders  auf  die  Stenosen  einwirken.  Sehr  bemerkenswert 
ist,  dass  sich  nach  erworbenen  Defecten  am  Kehlkopfe,  z.  B.  nach  partiellen 
Exstirpationen,  Narbenstränge  bilden  können,  welche  eine  tönende  Stimme 
wieder  ermöglichen. 

Erworbene  sogenannte  functionelle  Abnormitäten  sind  die  Taschenband- 
stimme, welche  nach  Verlust  der  Thätigkeit  der  Stimmbänder  vicariiren  kann, 
und  die  sogenannte  Fistel-,  Eunuchen-  oder  Kastratenstimme  des  normal 
entwickelten  Kehlkopfes,  welche  durch  gewisse  Sprechübungen  abgewöhnt 
werden  kann.  bergeat. 

WliSSbildungen  der  Mundhöhle.  Als  Spaltbildungen  der  Lippen  sind 
bekannt  die  Hasenscharte  {Cheiloschisis).  Dieselbe  ist  ein-  oder  doppelseitig 
und  betrifft  fast  immer  nur  die  Oberlippe,  zwischen  äusserem  Schneidezahn 
und  Eckzahn  beginnend  und  nach  oben  gegen  das  Nasenloch  laufend.  Sie 
ist  häufig  combinirt  mit  dem  sogenannten  Wolfsrachen,  welcher  einer  unvoll- 
ständigen Vereinigung  des  Zwischen-  und  Oberkiefers  entspricht.  Auch  diese 
Spaltbildung  kommt  ein-  und  doppelseitig  vor. 

91 

Ohren-,  Nasen-,  Radien-,  Kehlkopfkrankheiten.  -"■ 


322  MISSBILDUNGEN  DER  NASE. 

Syncheilie  heisst  die  vollständige  Verwachsung  der  Lippen  bis  zur  voll- 
ständigen Atresie  der  Mundhöhle. 

Mih-ostomie  ist  eine  Folge  ausserordentlicher  Hypoplasie  der  Lippen. 

Acheilie,  Mikro-  oder  Brachycheilie  sind  Bezeichnungen  für  vollständigen 
Mangel  oder  abnormer  Ausbildung  der  Lippen. 

Mih'ognathie   ist    eine    unvollkommene  Ausbildung  der  Kiefer. 

Makrostomie  ist  eine  ein-  oder  doppelseitige  Fortsetzung  der  Mundspalte 
gegen  die  Ohren  hin. 

An  der  Zunge  kommen  verschiedene  Missbildungen  vor  {Agiossie,  Mikro- 
glossie,  Makroglossie).  Die  Zunge  kann  partiell  mit  dem  Mundhöhlenboden 
verwachsen  sein  (Änkgloglosson)]  ein  specielles  Beispiel  hiezu  ist  das  zu  kurze 
Zungenbändcheu;  es  veranlasst  Schwerbeweglichkeit  der  Zunge  und  erschwert 
bei  Säuglingen  das  Saugen.  Man  beseitigt  diesen  Zustand,  indem  man  auf 
einer  gespaltenen  Sonde  das  Frenulum  linguae  durchschneidet.  Spaltung  der 
Zunge  (Schistoglossie)  ist  eine  atavistische  Missbildung,  da  einzelne  Säugethiere, 
wie  z.  B.  der  Seehund,  de  norma  eine  gespaltene  Zunge  haben. 

Ausführliches  über  die  Missbildungen  der  Mundhöhle  findet  sich  in  der 
Disciplin  „Chirurgie'-''  dieses  Sammelwerkes.  K. 

MiSSbildungen  der  Nase.  Wir  theilen  die  Missbildungen  der  Nase 
in  angeborene  und  durch  anomales  Wachsthum  verursachte  ein. 

L  Angeborene  Missbildungen:  Eine  Reihe  derartiger  Missbildungen, 
wie  z.  B.  der  vollständige  Mangel  der  Nase  (Maisonneuve),  das  Fehlen  des 
Septum  (Fernet,  Rosenfeld),  unvollständige  Bildung  der  Nasenmuscheln 
(Hyrtl),  Fissuren  und  Lückenbildung  nebst  completem  Mangel  der  Nasenbeine 
(Thomas,  Hoppe),  Doppelnase  mit  zwei  knorpeligen  Septa  und  drei  Nasen- 
löchern (Baümgaeten),  amniotische  Abschnürung  der  Nase  (Julius  Wolff, 
Nasse)  sind  medicinische  Curiosa  ohne  weiteres  praktisches  Interesse.  —  Die 
nicht  selten  beobachteten  „congenitalen"  Septumperforationen  (Hildebrand, 
Hyrtl)  sind  wohl  meist  auf  eine  frühere  Perichondritis  zurückzuführen  (Zucker- 
kandl);  es  kommen  jedoch  derartige  Fälle  vor,  bei  welchen  weder  eine  Peri- 
chondritis, noch  eine  andere  Ursache  nachweisbar  ist  und  die  man  als  con- 
genitale Defecte  auffassen  muss. 

Eine  viel  grössere  Wichtigkeit  für  uns  hat  der  congenitale  Ver- 
schluss der  vorderen  oder  der  hinteren  Nasenöffnungen;  ersterer 
ist  ungemein  selten  (Voltolini,  E.  Mayer)  und  ist  stets  häutiger  Natur;  nur 
im  Falle  von  Mayer  bestand  ein  quer  verlaufender,  knorpelharter  membranar- 
tiger Verschluss,  der  ungefähr  einen  halben  Zoll  tief  den  Eingang  einer  jeden 
Nase  vollständig  verschloss.  Derartige  Verbildungen  müssen  ebenso  wie  die 
in  Folge  von  phlegmonösen  Entzündungen  entstandenen  Atresien  der  Nasen- 
löcher (Loeb)  mit  dem  Messer  eingeschnitten,  abgetragen  und  durch  Einlegen 
kleiner  Röhren  ihre  Wiederkehr  verhindert  werden. 

Viel  häufiger  sind  die  Occlusionen  der  hinteren  Nasen-Oeff- 
nungen.  (Schwendt,  Watson,  Gouggenheim  und  Helary,  Hems,  Hopmann, 
Baumgarten,  Crull,  Schutter,  Suchaneck,  Schröter,  Anton);  es  handelt 
sich  hiebei  entweder  um  häutige  oder  um  knöcherne  coraplete  Verschlüsse 
beider  oder  auch  nur  einer  einzigen  Choane;  die  diaphragmaartigen  Membranen, 
die  aus  Bindegewebe,  zuweilen  auch  aus  Muskelfasern  bestehen  oder  die  viel 
häufigeren  oft  elfenbeinharten  Knochenplatten  liegen  meist  im  Rahmen  der 
ovalen  hinteren  Nasenöffhung,  zuweilen  vor  derselben  gegen  die  Nasenhöhle 
zu  oder  auch  hinter  den  Choanen  in  der  Gegend  der  Tubenöflfnungen. 
Schwendt  trennt  diese  knöchernen  Occlusionen  der  Choanen  in  teratologische 
und  rhinologische;  erstere  sind  congenitaler  Natur,  während  letztere  durch 
Verwachsung  und  Sklerosirung  der  entzündeten  Knochensubstanz  in  den 
hinteren  Nasenabschnitten  während  der  Kinderjahre  zu  Stande  kommen.  Meist 


MISSBILDÜNGEN  DER  NASE.  323 

verschliessen  sie  vollständig  die  hintere  Nasenoffhung;  andere  seltene  Male 
ist  der  Verschluss  nur  ein  partieller.  Besteht  eine  doppelseitige  Nasen- 
occlusion,  so  ist  schon  bald  nach  der  Geburt  die  Athmung  des  Kindes  eine 
erschwerte,  was  besonders  beim  Saugen  und  im  Schlafe  hervortritt.  Das 
Leben  des  kleinen  Kindes  kann  hierdurch  gefährdet  sein,  wenn  das  Athmungs- 
hindernis  nicht  bald  beseitigt  wird;  andere  Kinder  gewöhnen  sich  allmählich 
daran,  werden  nur  leicht  dyspnoisch  und  athmen  fast  stets  mit  offenem  iMunde; 
im  späteren  Alter  wird  ihre  Sprache  klanglos,  ihr  Geruchsvermögen  ist  be- 
trächtlich vermindert  und  zuweilen  erkranken  auch  die  Gehörorgane.  Trotz 
alledem  können  sich  derartige  Kinder  körperlich  und  geistig  gut  entwickeln 
(Süchaneck).  Bei  Kindern,  die  durch  häufige  Erstickungsanfälle,  durch  oft- 
malige Störungen  beim  Saugen  geplagt  werden,  müssen  wir  auch  an  eine 
derartige  Nasenverlegung  denken;  am  besten  erkennt  man  dieselben  vermit- 
telst der  Nasensonde,  mit  welcher  es  zugleich  möglich  ist,  die  Consistenz  des 
Hindernisses,  ob  häutig  oder  knöchern  und  seine  Ausdehnung  zu  bestimmen; 
auch  durch  eine  schonende  Digitaluntersuchung  lassen  sich,  selbst  beim  Kinde, 
die  betreffenden  Verhältnisse  feststellen.  Bei  grösseren  Kindern  und  bei 
Erwachsenen  besteht  ausserdem  eine  auffallend  hohe  Gaumenwölbung  und 
in  diesem  Alter  ist  die  Diagnose  sowohl  per  digitum  wie  auch  durch  die 
hintere  Rhinoskopie  ziemlich  leicht;  bei  letzterem  Verfahren  sind  wir  zu- 
weilen im  Stande,  die  Dicke  der  obturirenden  Membran  an  dem  Durch- 
scheinen einer  durch  den  unteren  Nasengang  eingeführten  Sonde  abzuschätzen. 
—  Häutige  Verschlüsse  zerreisst  man  beim  Kinde  sobald  als  möglich  vermit- 
telst eines  durch  die  Nase  eingeführten  Troicarts;  beim  Erwachsenen  muss 
eine  derartige  Perforation  mit  einem  geknöpften  Bistouri  unter  Hilfe  des  in 
den  Nasenrachenraum  eingeführten  Fingers  erweitert  werden.  Knöcherne  Ver- 
schlüsse erheischen  Meissel  oder,  wovon  ich  in  einem  Falle  guten  Erfolg  gese- 
hen, lange,  geriö'te  Knochenbohrer,  wie  wir  sie  auch  zur  Eröffnung  der  High- 
morshöhle vom  Alveolarfortsatze  verwenden. 

Alle  diese  künstlichen  häutigen  oder  knöchernen  Oeffnungen  haben  grosse 
Neigung  sich  wieder  zu  schliessen  und  sie  müssen  deshalb  mit  Drain-  oder 
kleinen  Celluloidröhren  offen  gehalten  werden.  —  Ein  von  Lange  mitgetheilter 
Fall  von  congenitalem,  membranösem  Verschlusse  der  rechten  Choane,  in  welchem 
nach  Anwendung  des  Galvanocauters,  nach  einigen  Tagen  der  Tod  eintrat, 
gebietet  uns  Vorsicht. 

ZucKERKANDL  rcchuet  auch  zu  den  congenitalen  Missbildungen  eine 
gewisse  Zahl  von  Synechien  im  Inneren  der  Nase;  dieselben  kommen 
jedoch  viel  häufiger  als  pathologische  Folgen  von  operativen  Eingriffen,  wie 
z.  B.  den  so  beliebten  galvanocaustischen  Aetzungen,  von  traumatischen, 
syphilitischen  oder  diphtheri tischen  Entzündungen  vor  und  entstehen  meist  in 
der  Weise,  dass  gegenüberliegende,  angeätzte  oder  ulcerirte  Schleimhaut- 
partien eine  Zeit  lang  sich  berühren,  mit  einander  verkleben  und  allmählich 
fest  verwachsen.  Späterhin  bilden  diese  Adhäsionen  schmale  oder  breite 
membranartige  Verbindungen  zwischen  verschiedenen  Theilen  des  Nasen- 
inneren, besonders  zwischen  den  unteren  und  mittleren  Muscheln  und  dem 
Septum,  oder  auch  zwischen  den  Muschelrändern  selbst.  Derartige  abnorme 
membranöse  Verbindungen  kommen  nach  Zuckerkandl  auch  als  congenitale 
Bildungen  vor,  ebenso  auch  knöcherne  Synechien  zwischen  Muschel  und 
Septum  oder  zwischen  unterer  Muschel  und  Nasenboden.  Bisweilen  findet 
man  häutige  oder  knöcherne  Synechien  in  beiden  Nasenhöhlen,  sogar  an 
symmetrischen  Stellen  und  gerade  diese  Fälle  dürften  am  ehesten  noch  con- 
genitaler Natur  sein. 

Alle  diese  abnormen  Zustände  rufen  kaum  irgend  welche  Störung  hervor; 
sie  sind  nur  Curiosa  congenitaler  Hemmungszustände  und  wir  constatiren 
dieselben  meist  zufällig  bei  Untersuchungen  der  Nase. 

21* 


324  MISSBILDUNGEN  DER  NASE. 

Die  grösste  Zahl  der  aus  anderen  Ursachen  entstandenen  Synechien  ist 
ebenfalls  ohne  grösseren  Belang;  nur  selten  verengern  dieselben  den  Respira- 
tionsweg oder  verursachen  Reflexneuralgien,  Kopfweh  u.  s.  w.  Dünne,  strang- 
artige membranöse  Synechien  werden,  wenn  nöthig,  mit  der  Sonde  durch- 
gerissen oder  mit  dem  Galvanokauter  getrennt  und  ihre  Wiederbildung  durch 
eingelegte  dünne  Wattebäusche  oder  Jodoform  streifen  verhindert.  Knöcherne 
Synechien  müssen  im  Nothfalle  entweder  mit  dem  Meissel  oder  der  Knochen- 
säge beseitigt  werden. 

IL  Missbildungen  durch  anomales  Wachsthum  verursacht. 
—  Verbildungen  im  Inneren  der  Nase,  die  infolge  abnormer  Wachsthums- 
vorgänge  entstehen,  werden  am  häufigsten  an  der  Nasenscheidewand  beob- 
achtet, viel  seltener  an  den  Muscheln  und  den  lateralen  Nasenabschnitten. 
Im  allgemeinen  finden  wir  bei  demselben  Individuum  selten  zwei  gleich  weite  und 
gleichartig  beschaffene  Nasenhöhlen;  die  Verschiedenheiten  beruhen  entweder 
auf  einer  abnormen  Stellung  und  Verbiegung  des  Septum  (Devi- 
atio)  oder  auf  einer  irregulären  Auflagerung  auf  die  Nasenscheidewand 
(Exostose  und  Ecchondrose)  oder  endlich  auf  Verkrümmungen  und 
blasen  förmigen  Form  Veränderungen  der  einen  oder  der  anderen 
Muschel. 

1.  Die  Verbiegung  der  Nasenscheidewand  (Deviatio  Sepü- 
narium).  Das  Septum,  in  seinem  knöchernen  wie  in  seinem  knorpeligen 
Abschnitte,  steht  selten  in  der  Medianlinie  des  Körpers;  häufig  ist  dasselbe 
nach  rechts  oder  links  verbogen;  in  ihren  geringen  Graden  verursachen  diese 
Ditformitäten  keinerlei  krankhaften  Erscheinungen;  starke  Verbiegungen  da- 
gegen veranlassen  zuweilen  so  erhebliche  Beschwerden  besonders  bei  der  Re- 
spiration, dass  sie  ärztliche  Abhilfe  erheischen. 

Selbst  hochgradige  Deviationen  der  Scheidewand  können  ohne  jede  Ver- 
änderung der  äusseren  Nasenform  bestehen;  nur  zuweilen  bedingen  sie 
äusserliche  Difformitäten,  die  das  Gesicht  verunzieren;  die  Nase  ist  in  solchen 
Fällen  von  der  Wurzel  bis  zur  Spitze  schief  gestellt,  anderemale  ist  nur  die 
Spitze  nach  der  Seite  gedrängt,  wieder  in  anderen  Fällen  besteht  ein  seit- 
licher Höcker  oder  auch  eine  S-förmige  Verkrümmung  der  Nase  (skoliotische 
Nase  nach  Welker  und  Ziem). 

Die  Verbiegung  betrifft  den  knorpeligen  oder  den  knöchernen  Theil  des 
Septums,  auch  beide  zugleich;  die  des  knorpeligen  Abschnittes  sind  die  häu- 
figeren und  die  durch  sie  bedingten  krankhaften  Störungen  oftmals  viel 
ausgesprochener  als  dies  bei  den  Verbiegungen  des  knöchernen  Abschnittes 
der  Fall  ist.  Die  Form  der  knorpeligen  Deviationen  ist  je  nach  dem 
ursächlichen  Momente  eine  verschiedene.  Sie  entstehen  entweder  infolge  von 
Wachsthumsanomalien  oder  infolge  eines  Traumas;  letztere  haben  die  Form 
einer  an  den  Seiten  flach  gedrückten  Halbkugel  mit  winkligen,  kammartigen 
Vorsprüngen;  die  durch  abnorme  Wachsthums Vorgänge  entstandenen  haben 
mehr  eine  abgerundete,  langgestreckte,  convexe  Form;  sie  sind  zuweilen  blasen- 
förmig,  anderemale  mehr  in  die  Länge  gezogen,  wurstartig  und  gehen  in 
diesem  letzteren  Falle  in  eine  gleichartige  Krümmung  des  knöchernen  Septums 
über.  —  Die  Deviationen  des  knorpeligen  Septums  kommen  oftmals  ganz 
isolirt  vor,  ohne  dass  das  knöcherne  verändert  ist;  die  des  knöchernen  da- 
gegen, besonders  in  ihren  ausgeprägten  Formen  finden  sich  selten  als 
isolirte  Verkrümmungen,  sondern  sind  häufig  mit  Verbiegungen  des  knorpeligen 
Abschnittes  combinirt;  gerade  diese  letzteren  sind  fast  regelmässig  durch 
Wachsthumsanomalien  bedingt,  und  nur  selten  durch  Trauma;  dabei  ist 
ihre  Form  eine  sehr  unregelmässige;  meist  sind  es  buckelige  Convexitäten, 
die  sich  allmählich  vom  Rande  des  Septums  her  erheben,  zuweilen  sind  sie 
langgestreckt,  auch  winkelig  vorspringend,  die  einen  Male  liegen  sie  an 
den   oberen,  die  anderen  Male  an  den  unteren  Abschnitten  des  Septum,   sei 


MISSBILDÜNGEN  DER  NASE.  325 

es  in  horizontaler,  sei  es  in  verticaler  liichtung  verlaufend.  Manchmal  auch 
ist  das  Septum  S-förmig  an  zwei  hinter-  oder  an  zwei  übereinander  gelegenen 
Stellen  verbogen,  so  dass  z.  B.  die  Vorwölbung  hinten  nach  rechts,  vorn 
nach  links  gerichtet  ist.  —  Der  Convexität  des  Septum  in  der  einen  Nasen- 
hälfte entspricht  immer  eine  gleichlange  und  entsprechend  tiefe  Oon- 
cavität  in  der  anderen  Nase;  nur  wenn  sich  auf  der  verbogenen  Septumpartie 
knorpelige  oder  knöcherne  Auflagerungen  entwickelt  haben,  ändert  sich  die 
Form  der  Deviation  dahin,  dass  verhältnismässig  geringe  Verbiegungen  auf 
ihrer  convexen  Seite  eine  beträchtliche  Dicke  durch  diese  Auflagerungen 
erreichen,  während  auf  der  anderen  Septumseite  eine  nur  geringe  mulden- 
förmige Concavität  vorhanden  ist.  Im  allgemeinen  umfassen  die  Verbiegungen 
des  knorpeligen  wie  des  knöchernen  Septum  die  ganze  Dicke  des  Knorpels, 
resp.  Knochens  und  so  muss  auch  der  Convexität  in  der  einen  Nasenhälfte 
die  gleichgrosse  Concavität  in  der  anderen  entsprechen.  Eine  seltene  Aus- 
nahme hievon  habe  ich  in  einigen  Fällen  von  Verbiegung  des  knorpeligen 
Septums  beobachtet;  es  lag  hier  eine  starke  convexe  Auftreibung  des  Septum 
in  der  einen  Nasenhöhle  vor,  während  in  der  anderen  Seite  die  knorpelige 
Scheidewand  fast  ganz  gerade  verlief;  nach  Abtragung  der  dicken  convexen 
Knorpelmasse  sah  man,  dass  in  der  anderen  Nasenhöhle  das  Septum  intact 
stehen  geblieben  war  und  dass  keine  Durchlöcherung  der  Scheidewand  statt- 
gefunden hatte.  Dies  an  und  für  sich  seltene  Vorkommen  muss  dahin  er- 
klärt werden,  dass  beim  Kinde  das  knorpelige  Septum  ebenso  wie  das 
knöcherne  aus  zwei  dicht  aneinander  liegenden  in  späteren  Jahren  aber  stets 
verschmelzenden  Lamellen  zusammengesetzt  ist;  die  vollständige  Verwachsung 
dieser  beiden  Lamellen  der  cartilago  quadrangularis  ist  die  Regel  und  nur  in 
obigen  Ausnahmefällen  war  diese  Verschmelzung  nicht  zu  Stande  gekommen 
und  die  Verbiegung  hatte  an  der  einen  Platte  stattgefunden,  während  die 
andere  gerade  verblieben  war;  die  Innenfläche  der  betreflfenden  abgetragenen 
convexen  Knorpelplatte  war  regelmässig  mit  einer  dünnen  Schleimhaut  über- 
zogen. 

Der  praktische  Arzt  wird  viel  häufiger  in  der  Lage  sein,  Verbiegungen 
des  knorpeligen  Septums  zu  sehen,  als  der  Anatom,  der  häufig  seine  Unter- 
suchungen nur  am  knöchernen  Schädel  machen  kann;  daher  rühren  auch  die 
grossen  Unterschiede  in  den  Angaben  über  die  Häufigkeit  dieser  Anomalie. 
Makenzie  hat  in  77%,  Zuckerkandl  in  nur  SS^I^  der  untersuchten  Köpfe 
Deviationen  der  Scheidewand  gefunden;  Heymann  fand  bei  800  Nasenunter- 
suchungen in  kaum  l7o  ein  gerades  Septum;  ebenso  verschieden  lauten  die 
Angaben,  ob  die  Verbiegungen  mehr  nach  rechts  oder  nach  links  statthaben; 
letztere  sollen  nach  einigen  Autoren  (Bresgen)  die  häufigeren  sein.  Ebenso 
Meyes,  der  bei  300  untersuchten  Schädeln  200  Mal  Verkrümmungen  nach 
links  gefunden  hat.  Nach  Zuckerkandl  sind  nur  die  vorderen  %  der  Scheide- 
wand verbogen,  während  das  hintere  ^g  fast  immer  gerade  steht  und  des- 
halb auch  nur  ganz  selten  Asymmetrien  der  Choanen  vorkommen;  ich  habe 
im  Gegentheil  sehr  oft  Gelegenheit  gehabt,  sowohl  bei  der  hinteren  Rhino- 
skopie  als  bei  der  Digitaluntersuchung  wie  auch  an  der  Leiche  festzustellen, 
dass  die  eine  Choane  und  zwar  meist  die  linke  viel  enger  war  als  die  rechte, 
und  dass  diese  Asymmetrie  durch  den  Schiefstand  des  hinteren  Septumdrittels 
bedingt  war. 

Aetiologie.  Eine  vielumstrittene  Frage.  —  Für  die  Einen  sind  Wachs- 
thumsanomalien  die  alleinige  Ursache  der  Septumdeviation;  andere  führen 
ihre  Entstehung  fast  immer  auf  ein  Trauma  zurück.  Die  Wahrheit  liegt  in 
der  Mitte.  Die  runde  Contour,  die  gleichmässige  Wölbung,  das  allmähliche 
Aufsteigen  der  Septumverbiegung  von  der  Umgebung  her  deuten  für  eine 
Anzahl  von  Deviationen  auf  eine  langsam  wirkende  Ursache  hin,  wie  dies 
nur  beim  Wachsthum  der  Fall  sein  kann;   es   gilt   dies  vor  Allem   für  jene 


326  MISSBILDUNGEN  DER  NASE. 

Verbieguügen,  die  nur  am  knöcliernen  oder  zu  gleicher  Zeit  am  knöchernen 
und  knorpeligen  Abschnitte  des  Septum  zur  Beobachtung  kommen;  dagegen 
gibt  es  eine  andere  Reihe  von  Deviationen,  besonders  die  des  knorpeligen 
Septumtheiles  allein,  bei  welchen  oft  nicht  nur  ein  früheres  Trauma  mit  aller 
Bestimmtheit  festgestellt  werden  kann,  sondern  deren  unregelmässige  Formen 
wie  ihre  winkeligen  Knickungen  auf  das  ursächliche  Moment  eines  Traumas 
hinweisen.  Wir  wissen  ja,  wie  häutig  Schlag  und  Fall  auf  die  Nase  besonders 
im  kindlichen  Älter. vorkommen  und  wie  wenig,  ausser  der  hiebei  entstehen- 
den Nasenblutung,  diese  kleinen  Unfälle  berücksichtigt  werden;  und  doch 
kommen  dabei  nicht  selten  Fracturen  des  knorpeligen  Septums  zu  Stande, 
die  nicht  beachtet  und  bei  denen  die  entstandenen,  oft  verschobenen  Bruch- 
stücke nicht  reponirt  werden;  dieselben  heilen  dann  in  dieser  falschen  Stellung 
zusammen,  was  bei  der  prompten  Callusbildung  im  Kindesalter  sehr  rasch 
geschieht;  in  dieser  Weise  kommen  dann  Deviationen  des  knorpeligen  Septums 
zu  Stande.  —  Auch  Löv^enbeeg  hält  die  von  ihm  als  verticale  Deviation 
oder  Faltung  der  Nasenscheideivand  bezeichnete  Verbiegung  des  vorderen 
Septumdrittels  durch  Fall  oder  Schlag  auf  die  Nase  bedingt,  während  er 
seine  horizontalen  Deviationen  (untere  wie  obere)  auf  Wachsthumsanomalien 
zurückführt,  lieber  die  Art  und  Weise,  wie  infolge  von  Wachsthumsano- 
malien Septumdifformitäten  zu  Stande  kommen,  sind  die  Ansichten  ebenfalls 
verschieden.  Hyrtl  sieht  in  dem  stetigen  Schnäutzen  der  Nase  mit  der  rechten 
Hand  den  Grund  der  häufigen  Verbiegungen  nach  links;  Welker  führt  sie 
auf  den  Druck  zurück,  welchen  die  Nase  beim  habituellen  Schlafen  auf  einer, 
meist  der  linken  Seite  erleidet  und  vergleicht  diese  Verbiegungen  mit  denen 
des  Sternum  der  Bruthenne  beim  Brüten;  es  erkläre  dies  auch  die  Thatsache, 
dass  bei  den  uncivilisirten  Nichteuropäern,  die  auf  dem  Ptücken  zu  schlafen 
pflegen,  wie  z.  B.  den  Negern,  Indianern  u.  s.  w.  die  Deviationen  der  Nasen- 
scheidewand viel  seltener  gefunden  werden  (Zuckerkandl).  Mackenzie  erklärt 
diese  Wachsthumsanomalie  aus  der  zu  verschiedenen  Zeiten  beendigten  Ossi- 
ficirung  der  drei  Knochen  (lamina  perpendicularis  des  Siebbeins,  vomer  und 
crista  nasalis  des  Oberkiefers),  aus  denen  sich  das  Septum  zusammensetzt; 
nach  ihm  werde  der  noch  geringer  verknöcherte  Abschnitt  bei  seinem  Zu- 
sammentreffen mit  dem  schon  mehr  ossificirten  und  dadurch  widerstands- 
fähigeren Theile  nach  der  einen  oder  anderen  Seite  ausgebogen.  Scanes 
Spicer  sieht  in  der  Deviation  die  Folge  einer  bei  der  Geburt  schon  statt- 
gehabten Verletzung  des  beim  Fötus  noch  ganz  knorpeligen  Septums.  Patrzek 
hat  schon  beim  Neugeborenen  verbogene  Septa  gefunden  und  ebenso  Anton, 
der  bei  56  Leichen  neugeborener  Kinder  neunmal  Deviation  und  Schiefstand 
der  Nasenscheidewand  beobachtete.  Lewy  betrachtet  sie,  da  sich  neben  der 
Deviation  öfters  auch  ein  abnorm  hohes  und  schmales  Gaumengewölbe  vorfindet, 
als  die  Folgezustände  einer  rhachitischen  Erkrankung;  auch  Schaus  hält  die- 
selben durch  krankhafte  Vorgänge  in  der  2.  Dentition  verursacht,  worauf  auch 
die  abnorme  Höhe  und  Schmalheit  des  harten  Gaumens,  der  ungleich  hohe 
Stand  der  Orbitae  u.  s.  w^  hinweisen.  In  neuester  Zeit  fasst  Bergeat  als  Ur- 
sachen der  Verbiegungen  zusammen:  1.  die  zu  bedeutende  Grösse  einzelner 
oder  aller  Septumplatten  im  Verhältniss  zur  Ausdehnung  der  sagitto- senk- 
rechten Mittelebene  der  Nase;  2.  Verschiebung  an  der  oberen  und  unteren 
Sagittallinie  der  Nase;  3.  Druck  der  seitlichen  Theile  der  Nase  und  Nasen- 
gegend und  4.  Traumen.  —  Die  Experimente  von  Ziem  an  jungen  Thieren, 
denen  er  die  eine  Nasenhälfte  verschloss,  beweisen  uns  aber,  wie  hemmend 
dies  experimentelle  Moment  auf  die  Entwicklung  der  betreifenden  Schädel- 
hälfte einwirkt;  das  eine  Nasenbein  erreicht  hiebei  nicht  die  Länge  des 
anderen,  der  betreffende  Alveolarfortsatz  steht  höher,  die  Sagittalnaht 
weicht  nach  der  einen  Seite  ab  u.  s.  w.  Ziem  schliesst  deshalb  daraus,  dass 
nur  mechanische  Momente  hier  im  Spiele    sind   und  dass  die  Septumdevia- 


MISSBILDUNGEN  DER  NASE.  327 

tionen  fast  ausschliesslich  durch  Trauma  entstanden  sind;  der  Ilochstand  des 
harten  Gaumens  und  der  einen  Orbita,  wie  auch  die  Verengerung  der  Aper- 
tura  pyriformis  sind  nach  ihm  nur  die  Folgen  einer  traumatischen  Deviation. 
Es  dürfte  immerhin  in  vielen  Fällen  schwer  zu  bestimmen  sein,  was  Ursache 
und  was  Folge  ist,  besonders  bei  den  häufig  so  unbestimmten  anamnestischen 
Angaben  der  Patienten  oder  deren  Angehörigen.  —  Fassen  wir  alles  zu- 
sammen, so  muss  das  Trauma  sicher  als  Ursache  einer  beträchtlichen  Zahl 
von  Septumdeviationen,  besonders  der  des  knorpeligen  Theiles  angesehen 
werden,  es  ist  dies  auch  bei  den  häufigeren  Vorkommen  dieser  Difformität 
beim  Manne  (133:59.  Griffin)  recht  wahrscheinlich;  nicht  minder  sicher  ist 
es,  dass  sich  eine  andere  Reihe  von  Verkrümmungen  nur  infolge  von  Wachs- 
thumsanomalien  entwickelt  hat;  bei  diesen  letzteren  wird  es  sich  entweder  um 
physiologische  oder  pathologische  Fälle  handeln;  erstere  sind  nach  der  Ansicht 
von  Mackenzie  dadurch  zu  Stande  gekommen,  dass  der  später  oder  unge- 
nügend ossificirte  Knochenabschnitt  bei  seinem  Zusammenstossen  mit  dem  in 
seiner  Verknöcherung  fortgeschritteneren  anderen  Septumsegment  nachgeben 
und  nach  einer  Seite  sich  verbiegen,  selbst  an  einer  sehr  schwachen  Stelle  ein- 
knicken wird.  Die  pathologischen  Wachsthumsanomalien  umfassen  jene  Fälle, 
in  welchen  die  Verknöcherung  des  beim  Fötus  noch  ganz  knorpeligen  Septums 
infolge  constitutioneller  Erkrankungen  (Rhachitis,  Anämie)  in  dem  einen  oder 
in  dem  anderen  der  knöchernen  Septumtheile  verzögert  wird;  dann  kommen 
auch  hier  in  gleicher  Weise  wie  bei  den  obigen  physiologischen  Fällen,  jene 
blasigen  Verkrümmungen  der  Scheidewand  zu  Stande,  die  mit  ihrer  sanft 
aufsteigenden  bogenförmigen  Wölbung  an  die  Verbiegungen  der  rhachitischen 
Tibia  der  Kinder  erinnern. 

Symptome.  Geringe  Grade  von  Septumdeviation  haben  gar  keine  oder 
nur  geringe  Symptome  zur  Folge;  sie  sind  die  häufigsten  Anomalien  der  Na- 
senscheidewand und  werden  nur  als  zufällige  Befunde  bei  den  Nasenunter- 
suchungen notirt;  selbst  hochgradige  Verbiegungen  bestehen  oftmals  ohne  jed- 
wede Beschwerde,  so  z.  B.  verursachen  tief  gelegene  blasige  Deviationen  kei- 
nerlei Symptome,  so  lange  oberhalb  und  unterhalb  derselben  genügender 
Raum  für  die  Luftathmung  und  für  den  Riechact  vorhanden  ist.  Winklige 
Deviationen  im  allgemeinen  und  besonders  die  am  knorpeligen  wie  am  knor- 
pelig-knöchernen Abschnitte  der  Nasenscheidewand  rufen  dagegen  nicht  sel- 
ten intensive  Beschwerden  hervor;  sie  beeinträchtigen  in  erster  Linie  die 
Nasenathmung  und  dies  besonders  dann,  wenn  auch  die  andere  Nasenseite 
trotz  des  concav  verbogenen  Septums  infolge  eines  chronischen  Schwellkatarrhs 
der  Muscheln  verengt  ist;  solche  Kranken  müssen  durch  den  Mund  athmen 
und  sind  allen  Folgen  dieser  abnormen  Athmung  ausgesetzt:  Rachen-  und 
Kehlkopfkatarrhe,  unruhiger  Schlaf,  näselnde  Sprache  u.  s.  w.;  sie  haben  fer- 
nerhin grössere  Mühe,  ihre  Nase  genügend  zu  reinigen  und  sind  zu  neuen 
Katarrhen  mehr  disponirt;  auch  ist  ihr  Geruchvermögen  auf  der  betreffenden 
Seite  stark  beeinträchtigt,  bei  sehr  starken  Vorwölbungen  sogar  vollständig 
verloren. 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  nervösen  Störungen,  die  sogenannten 
nasalen  Reflexneurosen,  welche  in  derartigen  Fällen  manchmal  zur  Beob- 
achtung kommen.  Der  fortwährende  Druck,  den  solche  knorpelige  oder 
auch  knöcherne  Scheidewandverbiegungen  auf  die  gegenüberliegende  Muschel- 
schleimhaut mit  ihren  zahlreichen  Nervenverzweigungen  ausüben,  löst  gewiss 
viel  leichter  Reflexneurosen  aus,  als  Schwellungen  der  Muscheln,  Nasen- 
polypen u.  s.  w.  Derartige  Neurosen  treten  besonders  als  Stirn-  oder  Hinter- 
kopfschmerzen auf;  auch  Asthma  nasale  kann  durch  eine  Septumdeviation  ver- 
ursacht sein,  wenn  auch  seltener  als  durch  Polypen.  Manche  Verbiegungen 
verursachen  eine  so  starke  Verengerung  der  Nasenhöhle,  dass  die  vordere 
Rhinoskopie,    wie   besonders   auch   operative  Eingrifle,   z.  B.  Extraction  von 


328  MISSBILDÜNGEN  DER  NASE. 

Polypen  sehr  erschwert  sind.  Es  unterliegt  endlich  keinem  Zweifel,  dass 
Septumverbiegungen  für  die  Entstehung  und  Unterhaltung  verschiedener 
Mittelohrprocesse  von  grosser  Bedeutung  sind;  die  grosse  Neigung  zu  Nasen- 
katarrhen, die  ungenügende  Nasenathmung,  die  mangelhafte  Ventilirung  der 
Tuba,  der  erschwerte  Katheterismus,  alle  diese  Momente  beeinflussen  die 
Prognose  jener  Ohrerkrankungen  in  ungünstiger  Weise. 

Diagnose:  Stärkere  Formveränderungen  der  äusseren  Nase  lassen  eine 
Deviation  des  Septums  vermuthen;  die  tumorartigen  Verbiegungen  des  knor- 
peligen Theiles  erkennen  wir  leicht  mit  der  Sonde  an  ihrer  Unempfindlich- 
keit,  ihrer  festen  Consistenz,  ihrer  anämischen  Schleimhaut  und  an  ihrem 
allmählichen  Uebergehen  in  die  umgebenden  Septumtheile,  zum  Unterschiede 
von  einem  Polypen  oder  einer  anderen  Geschwulst;  auch  entspricht  der  con- 
vexen  Vorbauchung  des  Septums  nach  einer  Seite  eine  entsprechende  Con- 
cavität  in  der  anderen  Nasenhöhle;  gerade  dieses  letzte  Zeichen  ermöglicht 
auch,  die  tiefer  gelegenen  Verbiegungen  zu  erkennen,  wenn  dieselben  so  dicht 
an  die  mittlere  oder  untere  Muschel  herantreten,  dass  wir  nur  mit  Mühe 
eine  Sonde  zwischen  dem  vorgewölbten  Septum  und  der  Muschel  durch- 
zuführen im  Stande  sind  und  wir  die  betreffende  Convexität  für  eine  Knochen- 
geschwulst halten  könnten;  Tiefe  und  Ausdehnung  der  Concavität  belehren 
uns  auch,  ob  wir  es  blos  mit  einer  Deviation  oder  mit  der  Combination  einer 
solchen  mit  Knochen-  oder  Knorpelauflagerungen  zu  thun  haben.  Auch  die 
S-förmigen  Deviationen  lassen  sich  in  dieser  Weise  ohne  grosse  Mühe  fest- 
stellen. Die  Ausdehnung  der  Verbiegung  nach  hinten  wird  mit  einer  haken- 
förmig gekrümmten  Sonde  bestimmt.  Durch  die  hintere  Rhinoskopie  können 
wir  die  in  der  hinteren  Nasenhälfte  gelegenen  Diff'ormitäten  feststellen,  jedoch 
sieht  man  bei  dieser  Untersuchungsmethode  weniger  gut  den  Schiefstand  des 
vomer,  als  man  ihn  per  digitum  aus  der  Ungleichheit  der  Choanen  zu  er- 
kennen in  der  Lage  ist. 

Prognose:  Nur  bei  hochgradigen  und  die  Respiration  stark  beeinträch- 
tigenden Deviationen  werden  Schlaf  und  Allgemeinbefinden  gestört  sein, 
psychische  Verstimmungen  und  Reflexneurosen  zu  Stande  kommen;  bei  letzteren 
jedoch  ist  immer  zu  erwägen,  dass  bei  vielen  derartigen  Kranken  eine  neur- 
asthenische  Grundlage  besteht  und  dass  auch  trotz  operativer  Beseitigung 
der  Nasendifformität  die  nervösen  Beschwerden  oft  fortdauern,  jedenfalls  leicht 
zurückkehren  können. 

Behandlung:  Nach  Tillaux  soll  man  nur  im  äussersten  Nothfalle  ope- 
riren.  Wir  dürfen  diesen  Rath  nur  dann  befolgen,  wenn  keine  beträchtlichen 
Beschwerden  vorliegen,  wie  dies  bei  hochgradigen  Deviationen  der  Fall  sein 
kann;  zuweilen  genügt  es,  die  gleichzeitig  vorhandene  Hypertrophie  der 
gegenüber  liegenden  Muschel  galvanokaustisch  zu  verkleinern  oder  mit  der 
Schlinge  abzutragen. 

Verursachen  dagegen  diese  Anomalien  eine  hochgradige  Nasenstenose, 
lösen  sie  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  reflectorische  Neuralgien  aus  oder 
sitzen  Neubildungen  hinter  der  Verengerung,  die  aussergewöhnlich  schwer  zu 
entfernen  sind  oder  endlich,  besteht  ein  hässliches  Schiefstehen  der  äusseren 
Nase,  so  ist  die  Operation  indicirt. 

Eine  für  alle  Arten  und  Formen  dieser  Erkrankung  passende,  gleich- 
artige Behandlung  gibt  es  nicht;  sie  richtet  sich  nach  dem  Sitze  und  nach 
der  Form  der  Deviation  des  einzelnen  Falles.  —  Die  orthopädischen 
Methoden  früherer  Jahre  (Druck  durch  den  Finger,  Nasenklemmen,  Watte- 
tampon in  die  verengte  Seite)  könnten  höchstens  in  frischen  traumatischen 
Fällen  geringeren  Grades  von  Erfolg  sein.  —  Die  von  Adams,  Jürasz  und 
Delstanche  empfohlene  Methode,  vermittelst  besonderer  Zangen  das  ver- 
bogene Septum  zu  brechen,  gerade  zu  richten  und  in  dieser  Stellung  mehrere 


MISSBILDÜNGEN  DER  NASE.  329 

Tage  lang  zu  fixiren,  hat  sich  nur  in  den  Händen  einiger  weniger  Aerzte 
bewährt;  nur  in  einem  Falle  von  frischer,  schlecht  geheilter,  traumatischer 
Septumfractur  habe  ich  Nutzen  davon  gesehen.  Bei  den  eigentlichen,  den 
älteren  Deviationen  habe  ich  nicht  nur  keinen  Erfolg  beobachtet,  sondern  die 
hiebei  entstehenden  Druckgeschwüre,  die  grosse  Schmerzhaftigkeit  während 
der  Behandlung  Hessen  mich  von  dem  weiteren  Gebrauche  dieser  Zangen 
Abstand  nehmen.  Die  Locheisenzangen  von  Rupprecht  und  Blandix  eignen 
sich  ebenfalls  nicht,  weil  sie  nicht  völlig  hinter  die  engste  Stelle  gebracht 
werden  können  und  wir  somit  die  störende  Verengerung  nicht  zu  heben  im 
Stande  sind. 

Die  Fachchirurgen  (Dieffenbach  u.  a.)  haben  von  jeher  die  Deviation 
durch  Resection  des  prominenten  Theiles  der  Scheidewand  zu  heilen  gesucht; 
auch  heutzutage  ist  diese  Methode  für  die  meisten  Fälle  die  rationellste; 
wir  haben  aber  hiebei  nicht  nöthig,  die  Nase  von  aussen  her  zu  eröffnen,  wie 
dies  Dieffenbach,  Chassaignac  u.  a.  gethan,  sondern  wir  suchen  die  Ope- 
ration per  vias  naturales  auszuführen;  nur  bei  sehr  engem  Naseneingange  kann 
man  nach  Moldenhauee  den  Nasenflügel  in  der  Nasolabialfalte  IV2 — 2  cm 
hoch  ablösen  und  ihn  nach  oben  klappen,  um  bessere  Einsicht  in  die  Nasen- 
höhle zu  erhalten.  Die  von  Krieg,  Petersen,  Rethi,  Zarniko  angegebenen 
Verfahren  der  blutigen  Abtragung  des  vorgewölbten  Septumtheiles  weichen 
beträchtlich  von  einander  ab;  gemeinsam  ist  ihnen,  zur  Erhaltung  des  Schleim- 
hautüberzuges an  der  convexen  wie  an  der  concaven  Septumfläche,  vorerst 
die  mucosa  abzulösen,  zurückzuschieben  und  dann  erst  den  Knorpel,  resp. 
Knochen  abzutragen.  Nach  Zarniko-Hartmann  wird  an  der  vorderen  Grenze 
der  Deviation  mit  einem  bogenförmigen  galvanokaustischen  Striche  die  Schleim- 
haut bis  auf  den  Knorpel  getrennt,  der  Schleimhautlappen  vermittelst  eines 
Elevatorium  vom  Knorpel  abgelöst  und  nach  hinten  oben  zurückgeschlagen, 
alsdann  wird  das  convexe  Knorpelstück  an  seinem  vorderen  Ende  vorsichtig 
eingeschnitten  und  von  diesem  Schlitze  aus  mit  einem  schmalen  Elevatorium 
auch  die  Mucosa  der  anderen  Septumfläche  abgehebelt;  schliesslich  trägt  man 
mit  einer  kleinen  CooPER'schen  Scheere  die  knorpelige  Erhebung  in  kleinen 
Stücken  ab.  Der  Schleimhautlappen  wird  mit  Jodoformpulver  bestreut  und 
zu  seiner  Fixirung  werden  Wattebäusche  zwischen  ihn  und  die  Aussenwand 
der  Nase  eingelegt.    Petersen  befestigt  den  Lappen  durch  einige  Suturen. 

Wie  man  sieht,  ist  diese  Operationsmethode  eine  recht  subtile  und 
erheischt  ziemlich  lange  Zeit;  auch  ist  die  Blutung  eine  ebenso  beträchtliche 
als  störende.  Zarniko  kommt  trotzdem  immer  mit  der  Cocainanästhesie  aus. 
—  Die  Beobachtung,  die  man  so  häutig  bei  künstlichen  sowohl,  wie  bei  patho- 
logischen Perforationen  der  Nasenscheidewand  zu  machen  Gelegenheit  hat, 
dass  nämlich  selbst  grössere  Substanzverluste  im  Septum  keinerlei  Beschwerden 
weder  für  die  Athmung  noch  für  die  Riechfunction  zur  Folge  haben,  und  dass 
sie  auch  kosmetisch  das  äussere  Nasengerüste  nicht  verunstalten,  diese  That- 
sache  konnte  uns  auch  belehren,  dass  die  allzu  peinliche  Rücksicht,  die  man 
bei  diesen  operativen  Eingriffen  auf  die  Erhaltung  der  Schleimhaut  nimmt, 
eine  übertriebene  ist;  ich  thue  es  deshalb  auch  nur  bei  jenen  Deviationen, 
die  unmittelbar  hinter  der  äusseren  Nasenöffnung  gelegen  sind  und  deren 
Abtragung  ohne  Schonung  der  Mucosa  von  aussen  sichtbare  Oeffnungen  zurück- 
lassen würden.  Es  geht  die  Heilung  bei  erhaltener  Schleimhaut  etwas  schnel- 
ler von  statten,  jedoch  die  Operation  dauert  länger  und  ist  durch  die 
starke  Blutung  eine  ersch wertere.  Die  Erhaltung  der  Schleimhaut  ist  ausser- 
dem nur  da  nothwendig,  wo  sehr  grosse  Stücke  des  Knorpels  abgetragen 
werden  müssen  und  demnach  allzu  grosse  Defecte  übrig  bleiben  würden; 
nur  in  diesen  letzteren  Fällen  wie  auch  bei  den  schon  oben  erwähnten 
ganz  vorn  sitzenden,  blasigen  Deviationen  bilde  ich  einen  vorderen  Schleim- 
hautlappen.   Die  von  mir  seit  langen  Jahren  geübte  Methode  bei  allen  übri- 


330  MISSBILDÜNGEN  DER  NASE. 

gen  Deviationen  ist  eine  einfachere,  lässt  sich  leicht  und  rasch  ausführen  und 
die  Erfolge  sind  nicht  schlechter  als  die  nur  mit  grosser  Geduld  und  Mühe 
durch  die  peinlichen  Operations  verfahren  Anderer  erzielten. 

Bei  VerbieguEgen  des  knorpeligen  Septums,  die  fast  unmittelbar  hinter 
der  äusseren  Nasenöfifnung  gelegen  sind,  durchschneide  ich  in  querer  Rich- 
tung die  Schleimhaut  über  der  stärksten  Erhebung  des  Knorpels  und  ziehe 
sie  mit  einem  schmalen  rechtwinkligen  Easpatorium  stark  nach  vorn  ab;  man 
durchsticht  dann  mit  einem  langen,  geraden,  lanzettförmigen  und  doppel- 
schneidigen Messer,  unter  Schonung  der  Schleimhautmanchette,  die  Basis  des 
Tumors  von  vorn  nach  hinten,  schneidet  erst  nach  unten  —  um  das  Opera- 
tionsfeld freier  von  Blut  zu  haben  —  und  dann  nach  oben  die  blasige  Knorpel- 
masse durch,  wobei  letztere  mit  einem  spitzen  Häckchen  angezogen  und 
schliesslich  entfernt  wird.  —  Bei  den  weiter  nach  hinten  sitzenden  Ver- 
biegungen  wird,  ohne  Berücksichtigung  der  Schleimhaut,  ein  langes  schmales 
vorn  abgestumpftes  Messer,  dessen  Schneide  je  nach  der  Nasenseite  leicht 
convex  nach  rechts  oder  links  gebogen  ist,  flach  zwischen  Nasenboden  und 
Septumverbieguug  über  deren  hinteres  Ende  hinausgeführt,  die  Schneide  nach 
oben  gewendet  und  nun  von  unten  nach  oben  und  von  hinten  nach  vorn 
bogenförmig  die  verkrümmte  Septumpartie  abgeschnitten.  Geht  der  hintere 
Theil  der  Knorpeldifformität  in  eine  stärkere  Deviation  des  knöchernen  Sep- 
tumabschnittes  über,  durch  w^elche  das  Lumen  der  betreffenden  Nasenseite 
noch  stark  verengt  bleibt,  so  muss  auch  der  vorspringende  Knochen  entweder 
mit  dem  ScHöTz'schen  oder  dem  CnoLEWA'schen  Meissel  abgestemmt  oder 
mit  einer  stumpfwinkligen  Stichsäge  abgetragen  w^erden.  Die  hiebei  ent- 
stehende Blutung  ist  ziemlich  profus,  steht  aber  bald  durch  die  Tamponade 
beider  Nasenhöhlen  mit  Jodoformgaze;  vom  anderen  Tage  an  ist  der  Tampon 
blos  auf  der  operirten  Seite  zu  erneuern.  Meist  genügt  eine  2 — 3  w^öchentliche 
Nachbehandlung  zur  Heilung  der  Wunde;  die  Tampons  müssen  zweimal  im 
Tage  gewechselt  werden  und  zur  genügenden  Erweiterung  des  verengten  Nasen- 
ganges kann  man  dieselben  allmählich  etwas  dicker  nehmen;  bei  allzu  starken 
Verengerungen  verwendet  man  auch  mit  gutem  Nutzen  ovale,  verschieden  dicke 
Celluloid-  oder  Metallröhrchen  zur  allmählichen  Dilatation  der  betreffenden 
Nasenseite. 

Bei  Erwachsenen  genügt  die  Cocainanästhesie,  in  einfachen  Fällen  durch 
Aufpinseln,  bei  hochgradigen  Formen  durch  Injection  in  die  Schleimhaut; 
jüngere  oder  unruhigere  Patienten  werden  im  Lehnstuhle  chloroformirt,  wobei 
nur  zu  beachten  ist,  dass  während  der  Operation  der  Kopf  des  Patienten  gut 
nach  vorn  geneigt  wird,  um  das  Abfliessen  des  Blutes  in  den  Hals  so  viel 
als  möglich  zu  verhüten,  —  Die  zurückbleibende  Septumöffnung  ist  in  den 
Fällen,  in  welchen  ein  vorderer  Schleimhautlappen  gebildet  wurde,  eine  un- 
bedeutende, in  manchen  Fällen  kommt  es  sogar  zum  vollständigen  Verschluss 
der  Septumlücke;  jene  Oeffnungen  dagegen,  die  nach  der  Operation  tiefer 
gelegener  Deviationen  zurückbleiben,  hatten  keinerlei  Schädigungen  zur  Folge 
weder  für  die  Nasenathmung,  noch  für  den  Riechact  (Levy).  —  Bei  den 
S-förmigen  Verbiegungen  genügt  es  nach  Rethi  nur  den  unteren,  resp.  den 
vorderen  Bogen  abzutragen. 

Der  Vollständigkeit  halber  müssen  noch  eine  Anzahl  anderer  Operations- 
methoden erwähnt  werden,  die  in  den  letzten  Jahren  zur  Heilung  der  Devia- 
tionen empfohlen  worden  sind.  So  gebraucht  Schötz  einen  Meissel  mit 
stumpfwinkligem  Handgriffe,  der  von  hinten  nach  vorne  schneidet  und  mit 
welchem  die  prominente  Knorpelmasse  ohne  Rücksicht  auf  die  Schleimhaut 
abgetragen  wird.  Astier,  Goodwille,  Ziem,  Spiess  u,  a.  tragen  die  Knorpel- 
und  Knochenverbiegungen  vermittelst  kleiner  Drillbohrer  und  Trephinen  ab,  die 
durch  die  WniTE'sche  Zahnbohrmaschine  oder  durch  den  Elektromotor  bewegt 
werden.     Voltolini   empfiehlt    die    galvanokaustische  Durchschneidung    und 


MISSBILDUNGEN  DER  NASE.  331 

das  allmähliche  Abbrennen  mit  messerförmigen,  geraden  oder  knieförmigen 
Kauteren;  er  will  hiebei  niemals  ein  Loch  im  Septum  erhalten  haben,  was 
er  übrigens  auch  nicht  befürchtet,  da  die  Nase  hiebei  nicht  einsinke.  Bei 
Verbiegungen  geringeren  Grades  wird  diese  einfache  und  fast  schmerzlose 
galvanokaustische  Behandlung  ausreichen;  einige  Sitzungen  genügen,  um 
derartige  Knorpelvorsprünge  allmählich  zu  zerstören;  jedenfalls  ist  diese  Me- 
thode wirksamer  als  die  durch  Stan  und  Rethi  vorgeschlagenen  Aetzungen 
der  Muscheln  und  der  Septumconvexität  vermittelst  Chromsäure. 

Seit  mehreren  Jahren  endlich  ist  auch  von  vielen  Seiten  die  elektro- 
lytische Behandlung  dieser  Anomalie  empfohlen  worden  (Voltolini,  Kuttner, 
Meyer  und  viele  andere.)  Man  bedient  sich  hierzu  einer  galvanischen  Bat- 
terie mit  Galvanometer,  Stromwender  und  Ptheostat  und  als  Elektrode  einer 
Doppelnadel  mit  Platin-Iridiumspitze;  letztere  wird  möglichst  an  der  Basis 
in  die  Deviation  eingestochen,  der  Strom  muss  langsam  von  circa  10  —  20 
Milliampere  anschwellen  und  10—15  —  20  Minuten  andauern.  Es  soll  auf 
diese  Weise,  durch  elektrolytische  Zersetzung  der  in  der  Gewebsflüssigkeit 
enthaltenen  Salze,  eine  Gerinnung  des  Eiweisses  und  ein  Schorf  mit  nach- 
folgender Narbe  erzeugt  und  die  Vorwölbung  allmählich  zerstört  werden. 
Wenn  auch  dieses  Verfahren  keiner  eigentlichen  Nachbehandlung  bedarf,  so 
erheischt  es  doch  regelmässig  eine  Reihe  von  Sitzungen,  dauert  ziemlich 
lange  und  dürfte  überhaupt  nur  bei  Verbiegungen  geringeren  Grades  und  bei 
ängstlichen  Gemüthern  seine  Anwendung  finden;  übrigens  habe  ich  auch  bei 
dieser  Methode  in  den  meisten  Fällen  Septumlöcher    zurückbleiben    gesehen. 

Alles  in  allem  sind  wir  durch  keine  der  besprochenen  Behandlungs- 
methoden im  Stande,  bei  ganz  hochgradigen  Septumdeviationen  alle  Störungen 
dauernd  zu  beseitigen;  wir  werden  nie  die  völlige  Geradestellung  des  Septums 
erzielen  und  dürfen  überhaupt  nur  bestrebt  sein,  die  Verengerung  des  Nasen- 
ganges mehr  oder  weniger  zu  beseitigen;  aber  gerade  um  dies  letztere  dauernd 
zu  erzielen,  halte  ich  eine  sorgfältige  und  ziemlich  lange  fortgesetzte  Nach- 
behandlung vermittelst  der  schon  oben  erwähnten  Dilatationsröhrchen,  deren 
Volumen  gradatim  zu  steigern  ist,  für  ungemein  wichtig. 

2.  Durch  abnorme  W^achtsthumsvorgänge  sind  auch  jene  Knochen- 
oder Knorpelauflagerungen  (Exostosen  und  Ecchondrosen)  bedingt, 
welche  in  Gestalt  von  Leisten  (cristae)  oder  von  Dornen  (spinae)  an  ver- 
schiedenen Theilen  der  Nasenscheidewand  beobachtet  werden.  Am  häufigsten 
kommen  solche  leistenförmige  Vorsprünge  am  unteren  Drittel  des  knöchernen 
Septum  vor,  gerade  an  der  Stelle,  wo  die  lamina  perpendicularis  und  der 
vomer  mit  dem  processus  nasalis  des  Gaumenbeines  verschmelzen ;  man  sieht 
sie  ferner  im  vorderen  und  hinteren  Abschnitte  des  Pflugscharbeines;  beson- 
ders an  letzterem  springen  dieselben  zuweilen  sehr  stark  vor  und  werden 
deshalb  von  Zuckerkandl  „Hakenfortsätze"  benannt.  —  Die  Leisten  und 
Dorne  sind  meist  knöcherner  Natur,  zuweilen  deckt  noch  ein  Knorpelstrei- 
fen ihren  vorderen  Rand  oder  auch  den  First  des  Knochen vorsprunges;  der- 
artige Knorpeldecken  können  später  ebenfalls  ossificiren;  nicht  selten  sieht 
man  auch  solche  Knochen-  oder  Knorpelauflagerungen  neben  Verbiegungen 
des  Septum.  In  einzelnen  Fällen  bestehen  solche  Leisten  und  Dorne  an 
beiden  Flächen  der  Scheidewand. 

Nach  Zuckerkandl  entstehen  diese  Bildungen  nach  dem  siebenten 
Lebensjahre,  also  zur  Zeit  der  zweiten  Dentition,  bei  w^elcher  auch  der  Ober- 
kiefer stärker  wird;  sie  kommen  übrigens  auch  schon  bei  jüngeren  Kindern 
vor.  Im  späteren  Alter,  am  ausgewachsenen  Schädel,  entwickeln  sich  diese 
Bildungen  nur  noch  nach  traumatischen  Verletzungen. 

Nur  w^enn  derartige  Leisten  oder  Dome  sehr  stark  entwickelt  sind  und 
die  gegenüberliegenden  Nasentheile  berühren,  können  sie  erheJDliche  Verände- 
rungen an  diesen  letzteren  hervorrufen;    so  drücken  sie  zuweilen  so  fest  auf 


332  MISSBILDÜNGEN  DER  NASE. 

das  vordere  oder  hintere  Ende  der  unteren  oder  der  mittleren  Muschel,  dass 
deren  Schwellgewebe  verdnängt  wird  und  Furchen  oder  Gruben  in  demselben 
entstehen;  selbst  vollständige  Perforation  dieser  Schleimhaut  hat  Zuckerkandl 
gesehen. 

Es  bestehen  diese  Verbildungen  sehr  oft  ohne  jegliche  Beschwerde  für 
den  Patienten;  andere  seltene  Male  jedoch  sind  reflectorische  Neurosen  der 
mannigfachsten  Art  durch  sie  bedingt,  die  dann  ihre  operative  Entfernung 
erheischen. 

Die  Diagnose  dieser  Leisten  und  Dorne  ist  leicht;  die  Sonde  lässt  uns 
ihren  Ursprung,  ihre  Ausdehnung  wie  ihre  Verhältnisse  zu  den  Nachbartheilen 
erkennen;  stets  ist  es  auch  nothwendig,  auf  ihre  nicht  seltene  Combination 
mit  einer  Deviation  Rücksicht  zu  nehmen. 

Starke  knöcherne  Auflagerungen,  von  denen  intensive  krankhafte  Störungen 
ausgehen,  werden  am  besten  mit  winkeligen  Meissein,  wie  wir  solche  auch 
zur  Entfernung  von  Ohrexostosen  verwenden,  abgetragen;  auch  der  ScHöTz'sche 
Meissel  eignet  sich  hiezu;  sind  jedoch  diese  knöchernen  Dorne  ausser- 
gewöhnlich  hart  und  von  ganz  compacter  Knochensubstanz,  so  thut  man 
besser,  dieselben  mit  der  BoswoRTH'schen  Nasensäge  abzuschneiden.  Bei 
allen  diesen  Operationen  ist  es  nicht  nöthig,  auf  die  Schleimhaut  Rücksicht 
zu  nehmen;  handelt  es  sich  blos  um  knorpelige  Vorsprünge,  so  genügt  die 
gekrümmte  Nasenscheere,  oder  sie  können  auch  mit  einem  messerförmigen 
Galvanokauter  abgebrannt  werden. 

In  jenen  Fällen,  wo  neben  Leisten  auch  noch  Deviationen  des  Septum 
vorhanden  sind,  müssen  die  cristae  zuerst  entfernt  werden.  —  Die  Cocain- 
anästhesie  genügt  bei  diesen  Operationen;  die  meist  starke  Blutung  lässt 
sich  durch  die  Tamponade  mit  Salicylwatte  stillen;  ausserdem  empfiehlt  es 
sich  auch  hier,  mehrere  Tage  lang  antiseptische  Wattebäusche,  die  mit  Bor- 
Vaselin  eingefettet  sind,  tief  in  die  betreffende  Nasenhöhle  einzulegen  und 
sie  2 — 3  mal  täglich  zu  wechseln. 

3.  Endlich  finden  wir  auch  Wachsthumsmissbildungen  an  den 
einzelnen  Nasenmuscheln,  die  in  Form  von  starken  Verkrümmungen 
oder  b  lasenförmigen  Auftreibungen  das  Naseninnere  beträchtlich  ver- 
engern. So  ist  zuweilen  der  mediane  Rand  der  unteren  und  besonders 
der  mittleren  Muschel  so  stark  verkrümmt,  dass  er  nahe  an  das  Sep- 
tum herantritt,  dasselbe  sogar  berührt;  diese  Verkrümmungen  sind  beson- 
ders häufig  und  stark  ausgesprochen  an  den  vorderen  Muschelenden  und  sind 
dann  ungemein  störend  für  operative  Eingriffe  in  den  hinteren  und  oberen 
Nasenabschnitten:  Extraction  von  Neubildungen,  Auskratzen  cariöser  Knochen- 
theile,  Sondiren  und  Ausräumen  der  Nebenhöhlen  u.  s.  w.;  in  solchen  Fällen 
ist  die  Resection  dieser  Muschelpartien  vermittelst  der  Knochenscheere  noth- 
wendig. —  Andere  Male  sehen  wir  das  vordere  Ende  der  mittleren  Muschel 
blasenförmig  aufgetrieben  und  so  voluminös,  dass  es  bis  ans  Septum 
heranreicht  und  den  ganzen  mittleren  Nasengang  ausfüllt;  in  ähnlicher  Weise 
kann  auch  die  mittlere  Siebbeinzelle  (hulla  ethnoidalis)  so  mächtig  entwickelt 
sein,  dass  sie  die  mittlere  Muschel  ganz  an  die  Nasenscheidewand  drängt  und 
das  Infundibulum  ad  minimum  verengt.  Der  Respirationsweg  wird  hiedurch 
verengert  und  die  Riechfunction  gestört;  auch  kann  durch  den  Druck, 
welchen  diese  voluminöse  Knochenblase  auf  das  Septum  ausübt,  dies  letztere 
allmählich  nach  der  anderen  Seite  gedrängt  und  verbogen  werden;  reflecto- 
rische Neurosen  können  ebenfalls  durch  derartige  Muschelanomalien  verur- 
sacht sein. 

Stieda  macht  mit  Recht  darauf  aufmerksam,  wie  es  auch  schon  von 
ScHMiEGELOw  hervorgchobeu  wurde,  dass  alle  Fälle  von  Knochenblasen  beim 
weiblichen  Geschlechte  vorkommen.  Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung 
fand  er,  wovon  ich  mich  in  einigen  Fällen  ebenfalls  überzeugen  konnte,  dass 


MISSBILDÜNGEN  DES  RACHENS.  —  MYKOSEN  DES  RACHENS.  338 

der  Bildung  dieser  Knochenblasen  ein  entzündlicher  Process  sowohl  an  der 
Schleimhaut  als  auch  an  der  Knochensubstanz  zu  Grunde  liegt. 

Die  Härte  und  die  Unverschiebbarkeit  solcher  geschwulstartigen  Knochen- 
blasen lassen  eine  Verwechslung  mit  Polypen  oder  anderen  Neubildungen 
nicht  leicht  zu;  ausserdem  kommen  diese  Anomalien  fast  immer  nur  in  einer 
Nasenhöhle  zur  Beobachtung  und  der  Vergleich  mit  der  anderen  Nasenseite 
erleichtert  ebenfalls  unsere  Diagnose;  höchstens  mit  dem  so  selten  vor- 
kommenden Osteom  könnten  sie  verwechselt  werden. 

Besteht  noch  zwischen  der  Knochenblase  und  dem  Septum  ein  schmaler 
Zwischenraum,  so  gelingt  es  uns  zuweilen,  die  galvanokaustische  Schlinge  um  das 
aufgetriebene  Muschelende  anzulegen  und  dasselbe  langsam  in  toto  abzu- 
tragen; hiebei  fand  ich  das  Innere  der  Knochenblase  von  einer  ähnlichen 
Schleimhaut  überzogen,  wie  z.  B.  das  antrum  Highmori. 

In  jenen  Fällen  aber,  wo  kein  genügender  Zwischenraum  zwischen 
Scheidewand  und  Muschel  vorhanden  ist,  muss  die  vordere  Wandung  der 
Knochenblase  mit  einem  starken  Nasenlöffel  eingestossen  und  mit  dem  IIart- 
MANN'schen  Conchotom  oder  irgend  einer  anderen  kräftigen  Nasenzange  die 
blasige  knöcherne  Auftreibung  stückweise  abgetragen  werden.  Die  Schmerzen 
hiebei  sind  trotz  207oi8'er  Cocainisirung  recht  beträchtlich  und  ebenso  ist  die 
Blutung  meist  eine  profuse  und  benöthigt  eine  längere  und  feste  Tamponade. 

KUHN. 

MiSSbildungen  des  Rachens.  Zu  denselben  zählt  der  bereits  bei  den 
Missbildungen  der  Mundhöhle  genannte  Wolfsrachen  {üranoschisma).  Eine 
Verlängerung  ragte  in  vereinzelten  Fällen  bis  in  den  Nasenrachenraum  vor. 
Vereinzelt  sind  Fälle  von  membranösem  und  knöchernem  Verschluss  der 
Choanen  beschrieben,  congenitale  Missbildungen,  die  jedoch  auch  eine  Folge 
von  Lues  darstellen  können.  Dasselbe  gilt  auch  für  die  Defecte  im  weichen 
Gaumen;  die  Uvula  kann  fehlen,  gespalten  oder  abnorm  lang  sein,  im  letzt- 
genannten Falle  bedingt  sie  unangenehme  Sensationen,  namentlich  Husten- 
reiz. Die  Tonsillen  können  fehlen  und  accessorische  Tonsillen  können  an 
verschiedenen  Theilen  des  Rachens  gefunden  werden.  Divertikel-Bildungen 
congeuitalen  Ursprungs  finden  sich  an  verschiedenen  Stellen  des  Bachens;  sie 
stellen  Ueberreste  der  Halskiemenfisteln  dar.  Man  unterscheidet  Hypoph  aryn- 
geal-Divertikel  und  Parapharyngeal-Divertikel;  die  an  der 
Hinterwand  des  Rachens  liegenden  Retropharyngeal-Divertikel  stellen 
oft  Säcke  von  ganz  besonderer  Grösse  dar  und  können  begreiflicherweise  den 
Schlingact  in  der  unangenehmsten  Weise  beeinflussen. 

Die  hier  genannten  Missbildungen  werden,  namentlich  mit  Rücksicht 
auf  deren  operative  Beseitigung,  in  der  Disciplin  „Chirurgie'-^  besprochen 
werden.  .  R. 

Mykosen  des  Rachens.  Zu  den  parasitären  Erkrankungen  des  Rachens 
gehören  die  Pharyngomycosis  benigna,  der  Soor,  die  Sarcine,  die  Actino- 
mykose  und  Schimmelmykose. 

1.  Pharyngomycosis  benigna  s.  Älgosis  fancium  leptothricia.  Aetiologie. 
Als  prädisponirende  Momente  werden  katarrhalische  Entzündungen,  Nasen- 
stenosen, Hyperplasie  der  Mandeln  u.  a.  angegeben;  dagegen  findet  man 
häufig  bei  den  Patienten  von  alledem  nichts.  Einmal  sahen  wir  die  Mykose 
bei  einer  Frau  während  der  Gravidität  entstehen  und  nach  Beendigung  der- 
selben von  selbst  schwinden.  Bevorzugt  ist  nach  unseren  Beobachtungen  das 
Alter  von  15  bis  25  Jahren  und  das  weibliche  Geschlecht, 

Symptome.  Die  Patienten  klagen  wohl  zuweilen  über  Kratzen  im  Halse, 
Trockenheit,  Fremdkörpergefühl;  andere  Male  wird  die  Mykose  bei  einer  ge- 
legentlichen Inspection  des  Rachens  entdeckt. 


334  MYKOSEN  DES  RACHENS. 

Man  sieht  dann  in  den  Lacunen  der  Tonsillen,  (bei  laryngoskopischer 
Untersuchung)  auf  den  Zungenbalgdrüsen,  zuweilen  auch  auf  den  Granulis 
der  hinteren  Kachenwand,  ja  selbst  im  adenoiden  Gewebe  des  Nasenrachens 
und,  wenn  auch  selten,  tiefer  unten,  im  Larynx,  besonders  au  der  hinteren 
Wand,  weisse  etwa  stecknadelkopfgrosse  oder  grössere  der  Schleimhaut  fest 
aufsitzende  cohärente,  harte  Pfropfe. Untersucht  man  sie  unter  dem  Mikroskop, 
so  findet  man  neben  Epithelzellen  und  verschiedenen  anderen  Bacterien  die  cha- 
rakteristischen, unter  Jodeinwirkung  sich  blau  färbenden  Leptothrixfäden.  — 
Siebenmann  hält  diese  für  reine  Saprophyten,  so  dass  er  nach  diesen  neben- 
sächlichen Befunde  die  Krankheit  nicht  benannt  wissen  will.  Vielmehr  er- 
scheint ihm  das  wesentliche  ein  ungewöhnlich  intensiver  Verbrennungspro- 
cess  des  lacunären  Epithels,  eine  wirkliche  Stachelbildung.  Er  nennt  daher 
folgerichtig  diese  Affection:  Hyperkeratosis  lacunaris. 

Die  Diagnose  könnte  eigentlich  nur  schwanken  zwischen  Pharyngo- 
mycosis,  Diphtherie,  Angina  lacunaris  und  chronischer  Tonsillitis.  Gegen  die 
Diphtherie  spricht  der  fieberlose  Verlauf,  das  Fehlen  von  Halsschmerzen,  von 
irgend  welchen  acut  entzündlichen  Erscheinungen  im  Rachen,  der  getrennte 
Sitz  der  Pfropfe  in  den  einzelnen  Lacunen,  das  fast  stetige  Mitergriffensein 
des  Zungengrundes  und  das  Fehlen  einer  sichtbaren  Weiterentwicklung.  — 
Die  derbe  Consistenz  der  weissen  mykotischen  Depots,  sowie  ihr  festes  Haften 
an  der  Unterlage  unterscheidet  sie  von  den  dickflüssigen,  gelblichen  Secret- 
tröpfchen,  die  bei  der  Angina  aus  den  Lacunen  fliessen,  abgesehen  davon,  dass 
bei  letzterer  Erkrankung  ja  immer  F'ieber  und  Schluckschmerz  vorhanden 
ist.  Die  Pfropfe  bei  der  chronischen  Tonsillitis  schliesslich  sind  krümlig, 
bröcklig  und  erweisen  sich  unter  dem  Mikroskop  als  zusammengesetzt  aus 
verfetteten  Zellen  und  Cholestearin. 

So  harmlos  gewöhnlich  die  Krankheit  ist,  so  langwierig  ist  doch  zumeist 
ihr  Verlauf. 

Die  Behandlung  kann,  wenn  keine  Beschwerden  vorhanden  sind,  unter- 
bleiben; sonst  entfernt  man  am  besten  die  einzelnen  Pfropfe  energisch  und 
ätzt  die  Stelle  ihres  bisherigen  Sitzes  mit  acid.  trichloracetic,  Chromsäure 
oder  Galvanokaustik.  Manchmal  lassen  alle  Methoden  im  Stich;  andere  Male 
nützen  wieder  weniger  eingreifende  Mittel,  so  z.  B.  die  von  B.  Fränkel  em- 
pfohlene Pinselung  des  Piachens  mit  Alcohol  absolutus. 

2.  Soor.  A  e  t  i  0 1 0  g  i  e.  Der  denselben  erzeugende  Pilz  ist  das  oidium  lactis, 
der  am  besten  auf  Pflasterepithel  gedeiht  und  deswegen  den  Nasenrachen,  die 
Nase  und  ebenso  den  Larynx  meist  verschont.  Er  bildet  weisse  rundliche,  etwas 
erhabene  Flecke,  die  an  der  Schleimhaut  fest  haften,  weil  die  fadenförmigen 
Mycelien  in  das  Epithel   eindringen. 

Er  findet  sich  häufiger,  und  zwar  besonders  bei  Kindern,  im  Munde  als  im 
Rachen,  wenigstens  ist  er  hier  selten  primär,  meist  vom  Munde  fortgepflanzt. 
Man  beobachtet  ihn  bei  mangelhaft  gepflegten  Kindern,  bei  Erwachsenen  ge- 
wöhnlich nur  bei  schwereren  Erkrankungen,  Pneumonie,  Typhus,  Diabetes, 
Phthise,  Carcinose.  Verfasser  sah  ihn  einmal  im  Verlaufe  einer  schweren  In- 
fluenza, Freudenberg,  Seifert  und  Thorner  fanden  ihn  selbst  bei  Gesunden. 

Symptome.  Ist  der  Soor  auf  den  Rachen  beschränkt,  so  klagen  die 
Patienten  über  etwas  erschwertes  Schlucken,  das  Gaumensegel  macht  ihnen 
einen  steifen,  wenig  beweglichen  Eindruck.  Ist  die  Mundhöhle  betheiligt,  wie 
immer  bei  kleinen  Kindern,  so  ist  ihnen  das  Saugen  und  Schlucken  schmerz- 
haft. Bei  Erkrankung  des  Larynx  kann  es  zu  laryngostenotischen  Erscheinungen 
kommen. 

Bei  der  Untersuchung  findet  man  im  Anfang  einzeln  stehende  kleine 
weisse  Flecke,  die  allmählich  zu  grösseren  Membranen  confluiren,  hie  und 
da  sieht  man  Inseln  gerötheter,  trockener  Schleimhaut  dazwischen. 


MYKOSEN  DES  R/ICHENS.  —  MYOM  DES  LARYNX.  -  MYRINGITIS.        335 

Die  Diagnose  kann  kaum  zweifelhaft  sein.  Wenn  man  wirklich  an 
Diphtherie  denken  sollte,  so  wird  die  etwaige  Localisirung  im  Munde,  die 
Möglichkeit,  die  Membran  ohne  Blutung  zu  entfernen,  der  protrahirte  Ver- 
lauf, das  Fehlen  schwerer  entzündlicher  Erscheinungen  den  Zweifel  zerstreuen. 
Im  übrigen  kann  ja  das  Mikroskop  sofort  die  Diagnose  verificiren,  indem  es 
uns  die  schlanken,  gegliederten  Mycelfäden,  die  Kerne  in  ihren  langen  cylin- 
drischen  Zellen,  Sporangien  und  Sporen  zeigt. 

Die  Prognose  ist  von  dem  Grundleiden  abhängig. 

Die  Behandlung  richtet  sich  vor  allem  auf  eine  sorgfältige  Mund- 
pflege, Auswischen  des  Mundes,  besonders  nach  den  Mahlzeiten,  mit  Lösungen 
von  Borax  oder  Kali  hypermanganicum,  Gurgeln  mit  denselben  oder  anderen 
desinficirenden  Flüssigkeiten,  nöthigenfalls  Pinseln  mit  6'%\gev  Carbolsäure- 
lösung. 

3.  Sarcine  findet  sich  nicht  selten  im  Secret  des  Kachens.  Dagegen 
beobachtet  man  sie  nui"  ausnahmsweise  in  grösseren  Haufen,  sie  bilden  dann 
reifähnliche  Flecke  auf  der  Schleimhaut,  und  zwar  meist  bei  marastischen 
Kranken.  Vom  Bachen  oder  vom  Munde  aus  oder  durch  Einathmung  des- 
selben oder  seiner  Sporen  kann  der  Sarcinepilz    in  die    Lungen  einwandern. 

Die  Sarcine  verläuft  Symptom  los. 

Gegen  eine  Verwechslung  mit  Soor  schützt  die  mikroskopische  Unter- 
suchung, die  die  warenballenähnlichen  Figuren  nachweist. 

4.  Adinomykose.  Aetiologie.  Sie  kommt  im  Rachen  selten  vor,  gewiss 
nur  ausnahmsweise  primär;  sie  setzt  sich  vielmehr  gewöhnlich  vom  Munde  her 
fest,  wo  sie  meist  von  einem  cariösen  Zahn  ihren  Ausgang  nimmt.  Zuweilen 
allerdings  nistet  sich  der  Actinomycespilz  in  der  Tonsille  ein,  oder  aber  er  wird 
zufällig  an  andere  Partien  des  Rachens  getragen. 

So  sah  Bertha  die  Infection  durch  eine  im  Pharynx  stecken  gebliebene 
Kornähre  eintreten,  und  Schlange  fand  einmal  einen  retropharyngealen 
Actinomycesherd. 

Symptome.  Es  entwickeln  sich  langsam  massige  Schluckbeschwerden. 
Bei  der  Untersuchung  findet  man  die  Erscheinungen  einer  subacuten  Schleim- 
hautentzündung und  später  einen  Abscess,  nach  dessen  Eröffnung  man  in  dem 
dünnflüssigen  gelben  Eiter  schwefelgelbe  Körnchen  sieht,  deren  Untersuchung 
den  charakteristischen  Strahlenpilz  nachweist. 

Die  Diagnose  wird  durch  diesen  Nachweis  gesichert. 

Die  Prognose  hängt  ab  von  der  Localisation  und  der  Ausdehnung  des 
Herdes;  zuweilen  hat  man  Spontanheilung  gesehen. 

Die  Behandlung  besteht  in  der  gründlichen  Ausräumung  des  Herdes. 

5.  Schimmelmykose.  Siebenmann  fand  bei  einer  alten  Frau  am  Rachen- 
dach Borken  von  Aspergillus  fumigatus  und  nidulans,  sowie  Mucor  corym- 
bifer.  Siebenmann  meint,  dass  sie  selten  im  Rachen  zu  finden  sei,  weil 
Aspergillen  auf  schleimüberzogenen  Schleimhäuten  nicht  wachsen,  und  auch 
faulende  Secrete  und  Geschwürsflächen  ein  ungenügendes  Substrat  für 
Schimmelpilze  abgeben.  Uebrigens  hat  schon  vor  Siebenmann  Schubert 
Schimmelmykose  im  Rachen  beobachtet.  a.  rosenberg. 

Myom  des  Larynx  wurde  nur  in  einem  einzigen  Falle  von  Schrötter 
beobachtet.  Dasselbe  sass  als  erbsengrosse,  graue  Geschwulst  von  etwas  un- 
ebener Oberfläche  zwischen  dem  Kehldeckel  und  dem  vorderen  Ansatz  der 
Stimmbänder  und  bestand  aus  quergestreiften  Muskelfasern  mit  starker  Kern- 
wucherung. GH. 

Myringitis.  Die  anatomischen  Verhältnisse  des  Trommelfells  machen 
es  erklärlich,  dass  Entzündung  des  Trommelfells,  Myringitis,  sowohl  an 
dessen  äusserer,  als  an  dessen  innerer  Fläche  von  einander  unabhängig  auf- 


336  MYRINGITIS. 

treten  kann,  und  dass  in  nicht  gar  seltenen  Fällen  beide  Schichten,  demnach 
das  Trommelfell  in  toto,  durch  den  entzündlichen  Process  ergriffen  werden. 

Ich  finde  es  demnach  für  correct,  wenn  wir  die  Entzündung  des  Trommel- 
fells zum  Zwecke  der  genauen  Begrenzung  in  folgende  Unterabtheilungen 
bringen:  1.  Myringitis  externa;  2.  Myringitis  interna;  3.  Myringitis  totalis. 
Ebenso  ist  es  zweckmässig,  je  nach  dem  Verlauf  und  die  Dauer  der  Ent- 
zündung des  Trommelfells  dieselbe  in  eine  acute  und  chronische  Form  zu 
rangiren. 

Die  Ursachen,  in  deren  Gefolge  Myringitis  auftritt,  sind  je  nachdem 
Sitze  der  Entzündung  verschieden.  Durch  Pilzsporen,  welche  in  der  Epi- 
thelialschichte  des  Trommelfells  sich  einnisten,  entsteht  eine  eigenthümliche 
Entzündungsform  in  der  Dermoidschichte  des  Trommelfelles  {Myringomycosis); 
durch  Eindringen  von  kaltem  Wasser  in  den  äusseren  Gehörgang,  sowie  durch 
kalten  Wind,  insbesonders  beim  Schneewehen,  wenn  dasselbe  das  Ohr  trifft, 
können  wir  sehr  häufig  Entzündung  in  der  äusseren  Trommelfellschichte 
beobachten.  Bei  Erkrankungen  der  Trommelhöhle,  ob  nun  dieselben  durch 
Infection  bei  contagiösen  Krankheiten  oder  durch  sonstige  Einwirkungen  ent- 
stehen, ist  es  in  der  Regel  die  innere  Trommelfellfläche,  welche  an  der  Ent- 
zündung theilnimmt.  Bei  Verletzungen  des  Trommelfells,  wo  die  Gewebe 
desselben  alle  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden,  verbreitet  sich  der  ent- 
zündliche Process  auf  alle  Theile  des  Trommelfells,  ebenso  participiren  an 
der  Entzündung  alle  drei  Schichten  des  Trommelfells,  wenn  infolge  derselben, 
ob  sie  nun  vom  äussern  Gehörgange  oder  der  Trommelhöhle  auf  das  Trommel- 
fell übergreift,  dieses  perforirt  wird. 

Der  objective  Befund  ist  je  nach  dem  Sitze  der  Myringitis  und  je  nach 
der  Dauer  derselben  verschieden. 

Das  Trommelfellbild  bei  Myringitis  externa  zeigt  eine  lebhaft  roth 
injicirte  Membran,  die  Röthe  kann  auf  das  ganze  Trommelfell  sich  aus- 
dehnen, in  welchem  Falle  dasselbe  glanzlos,  undurchsichtig  ist,  und  man  den 
Lichtkegel  vermisst.  Im  Beginne  der  Erkrankung  sehen  wir  die  Gefässe  im 
Verlaufe  des  Hammergriffes  blutstrotzend  und  nur  einzelne  Partien  am 
Trommelfell  geröthet,  gewöhnlich  die  hintere  Hälfte  desselben,  während  im 
vorderen  untern  Quadranten  der  Lichtkegel  noch  sichtbar  ist;  im  weiteren 
Verlaufe  sehen  wir  die  äussere  Fläche  durchfeuchtet,  mit  einer  dünnen  Eiter- 
schichte belegt,  nach  deren  Entfernung  eine  wulstige  rothe  Fläche  sichtbar 
wird,  die  sich  in  kurzer  Zeit  wieder  mit  Exsudat  bedeckt. 

Bei  der  Myringomycosis,  wo  die  Sporen  des  Aspergillus  glaucus  oder 
nigrans  in  dem  Epithel  Wurzel  fassen,  sehen  wir  die  ganze  Fläche  des  Trommel- 
fells von  einer  durchfeuchteten,  schmutzig  grauen,  häutigen  Masse  bedeckt, 
nach  deren  Entfernung  eine  von  Epidermis  entblösste  rothe  Membran  sichtbar 
wird,  welche  nach  Verlauf  einiger  Stunden,  wie  von  Mehlstaub  bestreut,  weisse 
Pünktchen,  die  Sporen  des  Pilzes,  aufweist. 

Bei  Myringitis  interna  sehen  wir  im  Beginne  das  Trommelfell  geröthet, 
nur  ist  die  Röthe  mehr  bläulich  durch  die  Dermoidschichte  gedämpft,  und 
grösstentheils  nur  auf  einzelne  Partien  desselben  beschränkt,  das  Trommel- 
fell ist  glanzlos,  mehr  nach  innen  gewölbt.  Bei  Myringitis  interna  im  Ge- 
folge der  Influenza  sehen  wir  zwischen  den  Lamellen  des  Trommelfells 
stecknadelkopfgrosse  bis  linsengrosse  Blutergüsse,  Ecchymosen.  In  manchen 
Fällen  von  Myringitis  interna  sehen  wir  am  Trommelfell  runde  oder  läng- 
lichrunde Ausbuchtungen,  die  lebhaft  geröthet  gegen  den  Gehörgang  zu  sich 
vorwölben;  im  weitern  Verlaufe  der  Entzündung  füllen  sich  diese  Ausbuch- 
tungen mit  Eiter,  und  wir  sehen  gelblich  gefärbte  Abscesse  manchmal  in  der 
oberen  Hälfte  des  Trommelfells,  häufiger  im  vordem  als  im  hintern  Qua- 
dranten. —  Kommt  es  zur  Perforation  des  Trommelfells,  so  ist  das  Bild 
desselben  je  nach  dem  Sitze  und  der  Grösse  derselben  verschiedenartig,    der 


MYRINGITIS.  337 

Substanzverlust  kann  stecknadelkopfgross  sein  oderdie  Ausdehnung  einer 
Linse  einnehmen,  die  Form  desselben  ist  gewöhnlich  rund,  kommt  jedoch 
mit  unregelmässigen  Iländern  auch  vor,  der  unversehrt  gebliebene  Theil  des 
Trommelfells  ist  mattgrau  mit  Exsudat  belegt. 

Die  subjectiven  Erscheinungen  sind  im  Beginne  von  grosser 
Heftigkeit,  es  treten  Schmerzen  auf,  die  anhaltend  sind  und  sich  auf  die 
Gesichtshälfte  und  bis  zum  Scheitel  hinauf  erstrecken.  Das  Gehörvermögen 
verringert  sich  hochgradig,  es  tritt  Sausen,  das  Gefühl  des  Hämmerns,  des 
Pulsirens  im  Ohre  auf;  alle  diese  Erscheinungen  weichen  mit  dem  Eintritte 
der  Exsudation,  nur  die  Schwerhörigkeit  bleibt  bis  nach  Ablauf  des  Processes. 

Myringitis  tritt  auf,  sobald  die  schädliche  Einwirkung  erfolgt,  plötzlich, 
ohne  prodromale  Erscheinung  in  ihrer  ganzen  Heftigkeit  und  hält  gewöhnlich 
einige  Tage  an;  sie  kann  sich  nur  auf  die  Ursprungsstelle  beschränken  oder 
kann  von  hier  aus  auf  die  übrigen  Trommelfellpartien  übergreifen,  auch 
kommt  es  vor,  dass  die  Myringitis  der  Ausgangspunkt  von  sehr  ernsten  Com- 
plicationen  wird,  indem  die  Entzündung  vom  Trommelfell  aus  die  Nachbar- 
gebilde ergreift. 

Die  Prognose  ist  insoweit  günstig,  als  durch  geeignete  therapeutische 
Eingriffe  die  Restitutio  ad  integrum  baldigst  erfolgt,  vorausgesetzt,  dass  die- 
selben beim  Beginne  der  Erkrankung  erfolgen;  ist  dies  nicht  der  Fall,  so 
richtet  sich  die  Prognose  nach  der  Localität,  auf  welche  sich  die  ursprüng- 
liche Entzündung  ausgedehnt  hat,  ebenso  nach  dem  Grade  der  Erkrankung; 
immerhin  bleibt  infolge  einer  längere  Zeit  anhaltenden  Myringitis  das  Gehör- 
vermögen beeinträchtigt. 

Die  Behandlung  der  Myringitis  richtet  sich  nach  dem  Stadium  und 
dem  Sitze  der  Erkrankung.  Im  Beginne  der  Myringitis,  wo  die  Blutgefässe 
des  Trommelfelles  mit  Blut  überfüllt  sind,  ist  die  Anwendung  eiskalter  Um- 
schläge auf  das  Ohr  und  die  Applicirung  von  2—^4  Stück  Blutegel  angezeigt 
und  von  sehr  gutem  Erfolge,  nur  sollen  dieselben  an  gehörige  Stelle  kommen, 
so  bei  Myringitis  externa  in  die  Tragusgegend,  während  bei  Ergriffensein  der 
inneren  Fläche  des  Trommelfells  die  Blutegel  hinter  der  Ohrmuschel  am 
Processus  mastoideus  zu  setzen  sind.  Gegen  die  heftigen  Schmerzen  kann  man 
nebstbei  eine  5 — 107oigö  Cocainlösung  lauwarm  stündlich  instilliren;  ich  habe 
gefunden,  dass  das  Cocain,  in  den  äusseren  Gehörgang  eingeträufelt,  selbst  als 
Antiphlogistikon  wirkt. 

Bei  der  Myringomycosis  müssen  vor  allem  die  Pilzmassen  entfernt 
werden;  so  lange  dies  nicht  erfolgt  ist,  hat  der  Kranke  unsägliche  Schmerzen; 
die  Entfernung  desselben  kann  durch  einfaches  Ausspritzen  oder  durch  an- 
dere Extractionsversuche  nicht  effectuirt  werden,  man  muss  die  Aufquellung 
der  Epidermisschichte  bewerkstelligen,  und  das  geschieht  durch  stündliche 
Instillation  einer  1^/oigen  Natri  bicarbon,  -  Lösung  in  den  äussern  Gehörgang;  ist 
auf  diese  Weise  nach  Verlauf  von  5 — 6  Stunden  das  Epithel  gelockert,  so 
gelingt  die  Entfernung  der  Pilzmassen  mittelst  Einspritzen  lauen  Wassers; 
nach  dieser  Procedur  müssen  war  trachten,  die  Pilzsporen  zu  zerstören,  was 
am  sichersten  erfolgt  durch  Einträufeln  von  Alcohol  in  den  äusseren  Gehör- 
gang; die  Anwendung  verursacht  wohl  heftige  Schmerzen,  aber  in  2— 3  Tagen 
bei  täglich  einmaligem  Gebrauche  ist  die  Erkrankung  behoben. 

In  vielen  Fällen  gelingt  es,  die  heftigen  Schmerzen  und  die  weitere  Ent- 
wicklung der  Myringitis  zu  coupiren,  wenn  wir  in  das  lebhafte  injicirte 
Trommelfell  mit  dem  kleinen  sichelförmigen  Messerchen  seichte  Scarificationen 
ausführen.  Bieten  sich  Hervorwölbungen  im  Trommelfell  dar,  ob  nun  die- 
selben mit  blutigseröser  Flüssigkeit  oder  mit  Eiter  gefüllt  sind,  so  darf  man 
mit  der  Eröffnung  derselben  nicht  zögern,  es  geschieht,  dies  entweder  mit 
einer  lancettförmigen  Nadel  oder  mit  einem  sichelförmigen  Messerchen,  welche 
in  einem  Griff  eingeschrauft   werden,    welcher   mit   dem   Instrumente    einen 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  ^^ 


338  MYXOME  DES  LARYNX.  —  NASE. 

rechten  Winkel  bildet,  derart,  dass  man  bei  genügender  Beleuchtung  den 
Einschnitt  ausführe;  nach  der  Eröffnung  des  Abscesses  wird  der  Gehörgang 
hermetisch  verschlossen,  nachdem  das  Exsudat  mit  einem  Wattatampon  ent- 
fernt wurde;  in  den  meisten  Fällen  tritt  nach  Verlauf  von  24  Stunden  Hei- 
lung ein. 

Zeigt  sich  Exsudation  auf  der  Trommelfläche,  so  ist  dieselbe  baldigst  zu 
sistiren;  von  gutem  Erfolge  ist  die  Anwendung  der  Borsäure,  eine  S^oige 
Lösung  wird  lauwarm  eingespritzt  zur  Entfernung  des  Secretes,  hierauf  wird 
die  Trommelfellfläche  mittelst  Brunswattetampons  abgetrocknet,  worauf  fein 
jjulverisirte  Borsäure  eingeblasen  wird.  JUL.  böke. 

Myxome  des  Larynx,  Sind  ausserordentlich  selten,  ja  Eppinger  glaubt, 
dass  es  sich  nur  um  ödematöse  Fibrome  handelte,  wie  dies  schon  in  dem 
Artikel  Fibrome  erwähnt  wurde.  Es  sind  durchscheinende,  weiche,  graue  oder 
grauröthliche  Geschwülste,  die  den  Bau  der  WtiARTON'schen  Sülze  hatten. 
Niemals  wurde  aber  nachgewiesen,  dass  die  Flüssigkeit,  welche  ihre  Maschen 
ausfüllte,  Schleim  war,  so  dass  man  bis  zur  Erbringung  dieses  Nachweises 
das  Kecht  haben  wird,  sie  als  ödematöse  Fibrome  zu  betrachten.  Näheres 
über  Statistik,  Diagnose  und  Therapie  siehe  bei  ^Fihrome'-^.  ch. 

Na.se.  (Anatomie.)  Der  Nasenrachenraum  ist  der  Eingangstheil 
der  Respirationsorgane;  in  der  Bachenhöhle  kreuzt  dieser  Raum  die  Ein- 
gangstheile  der  Speiseröhre.  Eine  Klappe  schliesst  und  unterbricht  ent- 
weder die  eine  Wege  und  öffnet  die  andere,  oder  umgekehrt;  diese  Klappe 
ist  der  weiche  Gaumen.  In  der  Nasenhöhle  ist  der  Geruchsapparat  gelegen, 
ausserdem  sind  hier  Nebenhöhlen  und  in  verschiedene  Grade  eingerollte 
Lamellen,  längs  der  W^ände  gelagert,  die  alle  eine  grosse  Fläche  in  einem 
möglichst  kleinen  Umfange  darstellen,  wo  Nerven  ihren  Anfang  nehmen  und 
Gefässnetze  die  Temperatur  der  eingeathmeten  Luft  reguliren.  Zuerst  sind  die 
Grundlage  der  Nasenhöhle  und  die  sie  auskleidenden  Theile  zu  untersuchen. 

Die  Nasenhöhle  ist  ein  birnförmiger  Raum,  der  nach  vorn  und  unten 
sich  verengt  und  mit  zwei  Oeffnungen  nach  unten  sieht  und  nach  oben  und 
hinten  sich  verbreitet  und  mit  zwei  nach  hinten  gerichteten  Oeffnungen  in 
die  Rachenhöhle  mündet.  Man  unterscheidet  gewöhnlich  die  äussere  Nase 
und  die  innere  Nase  oder  Nasenhöhle.  Die  äussere  Nase  ist  ein  conischer 
mit  der  Basis  nach  unten  gerichteter  Vorsprung  in  der  Mitte  des  Gesichts 
zwischen  Stim  und  Oberlippe;  zu  beiden  Seiten  des  Vorsprungs  sind  die 
Augen  und  Wangen  gelagert.  Das  obere  am  Stirn  gelagerte  Ende  des  Vor- 
sprungs ist  schmal  und  vertieft;  das  ist  die  Nasenwurzel  {radix  nasi).  Von 
hier  geht  in  seiner  Mitte  ein  nach  unten  und  vorn  gerichteter  Rand,  der 
Nasenrücken,  der  mit  einer  mehr  oder  weniger  abgerundeten  Spitze  —  die 
Nasenspitze  —  endet.  Unter  der  Spitze  befinden  sich  zwei  nach  abwärts 
gerichtete  Oeffnungen,  das  rechte  und  linke  Nasenloch  (aperturae  nasi  exter- 
nae),  die  12 — 14  mw  lang  und  6  mm  breit  sind.  Sie  sind  von  einer  häutigen 
Scheidewand  {septum  memhranaceum  nasi)  getrennt,  die  3  mm  dick  ist,  und 
von  aussen  durch  bewegliche  Wände  —  die  Nasenflügeln  {alae  nasi)  — 
begrenzt. 

Die  Form  der  Nase  ist  sehr  grossen  Modificationen  unterworfen;  ge- 
wöhnlich unterscheidet  man  zwei  Hauptformen:  die  vorspringende  und 
die  eingedrückte  Nase.  Bei  der  ersteren  Form  tritt  der  Nasenrücken 
mehr  oder  weniger  gewölbt  hervor,  die  Nase  ist  bei  dieser  Form  verhältnis- 
mässig länger  und  höher  als  breit.  Wenn  kein  Eindruck  an  der  W^urzel 
existirt  und  die  Nase  in  einer  Richtung  vom  Stirnbein  absteigt,  so  ist  es  ein 
griechischer  Typus;  mit  einem  Eindruck  an  der  Wurzel  und  stark  vor- 
springendem Rücken  mit  nicht  gekrümmter  Spitze  ist  der  römische  Typus 


NASE.  339 

ausgeprägt;  bei  gekrümmter  Spitze  bildet  sich  die  sogenannte  Adlernase. 
Die  eingedrückte  Nase  zeichnet  sich  dadurch  aus,  dass  der  Nasenrücken  von 
der  Wurzel  bis  zur  Spitze  mehr  oder  weniger  platt  und  hohl  ist,  während 
die  Spitze  verhältnismässig  breiter  ist.  Ist  die  Spitze  stumpf  und  stark  auf- 
geworfen, so  ist  das  der  Typus  der  Stumpfnase,  wogegen  der  Typus  der 
Plätschnase  sich  dadurch  kennzeichnet,  dass  die  ganze  Nase  sehr  niedrig 
und  platt  ist  und  die  Nasenflügel  sehr  breit  sind  und  ohne  scharfe  Grenze 
in  die  Wangen  übergehen,  die  Nasenlöcher  sind  gewöhnlich  mehr  vorwärts 
gerichtet. 

Die  Form  der  Nase  kann  noch  sehr  variiren,  sie  kann  fein  begrenzt, 
schmal  sein,  mit  eckiger,  markirter  Spitze;  die  Nasenlöcher  können  schmal,  eng 
oder  rund  sein,  endlich  kann  die  Scheidewand  unter  den  Nasenlöchern  sich 
hervorwölben.  Besonders  zu  bemerken  ist,  dass  die  Nase  des  Neugeborenen 
noch  wenig  entwickelt  ist;  hier  sind  nicht  gegebene,  angeborene  Formen, 
sondern  die  Form  bildet  sich  unter  dem  Einflüsse  der  Muskeln  und  ihrer 
Thätigkeit,  wie  überhaupt  alle  Theile  des  Gesichtes  sich  formiren,  je  nach 
der  Form  des  Schädels  und  dem  mit  der  Entwickelung  der  Muskulatur  ver- 
bundene Gesichtsausdruck.  Hoher  Schädel  ist  gewöhnlich  verbunden  mit 
hohem  Kiefer  und  vorspringender  schmaler  Nase;  niedriger  Schädel  mit 
platter  Nase.  Die  vorspringende  Nase  gehört  der  kaukasischen  Kace  an,  die 
eingedrückte  der  mongolischen  Race  und  den  Negern. 

Die  Grundtheile  der  äusseren  Nase  bilden  die  beiden  Nasenknochen,  die 
Nasenfortsätze  der  Oberkiefer,  die  seitlichen  Nasenknorpel  und  der  mediane 
Scheidewandknorpel  mit  seinen  Seitenplatten.  Die  Oeftnungen  der  äusseren 
Nase  sind  von  Muskeln  umgeben,  die  als  unvollkommene  Sphincteren  und 
Levatoren  fungiren.  Alle  diese  Theile  sind  aussen  von  Haut  bedeckt  und 
von  innen  mit  Schleimhaut  überzogen. 

Der  mediane  Nasenknorpel  {cartilago  septi  s.  quadr angularis)  ist 
von  unregelmässig  rhombischer  Form;  sein  oberer  hinterer  Eand  liegt  dem 
unteren  Rande  der  laminae  perpendicularis  des  Siebbeins  an;  sein  unterer 
hinterer  Rand  verbindet  sich  mit  dem  Pflugscharbeine  und  der  crista  nasalis; 
der  vordere  obere  Rand  geht  vom  unteren  Theile  der  Verbindung  der  Nasen- 
knochen nach  unten  bis  zur  Spitze  der  Nase;  der  untere  vordere  Rand  geht 
in  die  häutigen  Theile  über  und  reicht  nach  hinten  bis  zur  Spina  nasalis 
anterior.  Der  vordere  obere  Rand  des  Knorpels  verbreitet  sich  unter  der 
Mitte  des  Knochenrandes,  hier  bildet  sich  längs  dem  Rande  eine  Rinne,  die 
von  seitlichen  vorstehenden  Leisten  begrenzt  wird.  Diese  Leisten  gehen  in 
dreieckige  Seitenplatten  über;  der  obere  Rand  dieser  Platte  schiebt  sich 
unter  dem  Rande  der  Nasenbeine  und  weiter  nach  aussen  bis  zum  Processus 
frontalis  des  Oberkieferknochens;  der  untere  Rand  ist  frei,  er  wird  vom  Rande 
des  Nasenknorpels  des  Nasenflügels  bedeckt;  der  innere  Rand  geht  vom  er- 
weiterten Theile  des  medianen  Nasenknorpels  aus  und  ist  hier  die  Seiten- 
platte im  unteren  Drittel  oder  sogar  im  unteren  Zweifünftel  durch  einen 
Schlitz  vom  Nasenknorpel  getrennt. 

Der  Knorpel  des  Nasenflügels  oder  der  seitliche  Nasen- 
knorpel {cartilagines  inferiores  s.  alares)  ist  beiderseits  unter  den  Seiten- 
platten des  medianen  Knorpels  gelagert  und  bildet  die  Grundlage  des  Nasen- 
flügels. Er  umgibt  bandartig  den  vorderen  Rand  der  äusseren  Nasenöfinung 
und  besteht  aus  einem  inneren,  kurzen  und  einem  äusseren,  längeren  Schenkel, 
die  vorn  an  der  Spitze  der  Nase  bogenförmig  ineinander  übergehen.  Der 
äussere  Schenkel  ist  breiter  und  entweder  bogenförmig  gekrümmt  und  reicht 
bis  zum  äusseren  Rande  des  Nasenflügels,  oder  er  ist  geschlängelt,  nach  aussen 
faltenförmig,  schmäler  nach  aussen  oder  defect  in  der  Mitte  gebildet.  Ueber- 
haupt  ist  dieser  Knorpel  sehr  variabel  geformt;  ebenso  verschieden  ist  seine 
Breite  und  Dicke.    Auch  kann  dieser  Knorpel  durch  Einschnitte  in  einzelne 

22* 


340  NASE. 

Stücke  getheilt  sein.  Der  obere  Rand  dieses  Knorpels  ist  gewöhnlich  nach 
aussen  vom  unterem  Rande  der  Seitenplatte  gelagert. 

Ausser  dieser  Knorpel  kommen  in  der  Grundlage  der  äusseren  Nase 
noch  Schaltknorpel  vor,  sie  sind  gewöhnlich,  von  2  bis  5  an  der  Zahl,, 
zwischen  dem  Rande  des  vorderen  Theiles  des  Nasenflügelknorpels  und  dem 
medianen  Knorpel  gelagert.  Ihre  Form  und  Grösse  ist  sehr  verschieden. 
Alle  diese  Knorpel  sind  hyaliner  Structur.  Das  Perichondrium  des  Knorpels 
geht  von  ihren  beiden  Flächen  in  die  diese  Knorpel  verbindende  Membran 
über,  die  ihrerseits  in  das  Periost  der  benachbarten  Knochen  übergehen. 

Die  äusseren  Nasenöffnungen  werden  von  zwei  Gruppen  von  Muskeln 
umgeben.  Die  einen  heben  den  freien  Rand  der  Nasenflügel  und  richten  ihn 
nach  aussen,  wobei  der  zum  Knochen  gerichtete  Rand  des  Knorpels  nach 
innen  geht  und  den  Zugang  zum  Geruchstheil  der  Nasenhöhle  verengt. .  Die 
Antagonisten  dieser  Muskelgruppe  ziehen  den  hinteren  Rand  der  äusseren 
Nasenöfinungen  nach  unten  und  erweitern  dadurch  den  Eingang  zum  Geruchs- 
organ, wobei  die  eingezogene  Luft  zu  dem  Theil  der  Nasenhöhle  gerichtet 
wird,  wo  das  Geruchsorgan  gelagert  ist;  zugleich  wird  der  freie  Rand  des 
Nasenflügels  etwas  nach  innen  gezogen  und  die  Flügel  selbst  gespannt.  — 
Die  erste  Gruppe  besteht  aus  folgenden  zwei  Muskeln:  M.  levator  labii  supe- 
rior  alaeque  nasi  und  M.  levator  alae  nasi  proprius.  Zur  zweiten  Gruppe 
gehören:  Mm.  depressor  alae  nasi,  transversus  nasi,  depressor  septi  mobilis 
nasi.  Die  ersteren  Muskeln  gehen  von  den  aufsteigenden  Aesten  des  Ober- 
kiefers und  von  den  Nasenknochen  zum  Nasenflügel,  bis  zum  freien  Rande 
dieses  Flügels.  Die  letzeren  Muskeln  beginnen  am  Oberkiefer  entsprechend 
den  Wurzeln  des  Eckzahns  und  zweiten  Schneidezahns  (M.  depressor  nasi), 
des  Eckzahns  und  ersten  Backenzahns  {M.  transversus  nasi)  und  des  ersten 
Schneidezahns  {M.  depressor  septi  mobilis),  sie  richten  ihre  Fasern  nach 
oben  und  endigen:  der  erste  Muskel  am  hinteren  Umfange  des  Nasenloch- 
randes, der  zweite  geht  zum  Nasenrücken,  unterhalb  der  knöchernen  Nase, 
er  ist  ein  dünner,  breiter,  dreiseitiger  Muskel,  der  in  der  Länge  des  oberen 
Nasenknorpels  mit  dem  Muskel  der  anderen  Seite  zusammenkommt;  end- 
lich der  dritte  Muskel  am  hinteren  Ende  des  Knorpels  der  Nasenscheide- 
wand und  dem  hinteren  Umfange  der  Nasenöffnung.  Alle  diese  letzten 
Muskeln  eröffnen  den  Zugang  zu  dem  Geruchsorgane  der  Nasenhöhle. 

Die  Haut  der  äusseren  Nase  ist  dick  und  an  den  Nasenflügel  fest  mit 
dem  unterliegenden  Gewebe  verbunden;  am  oberen  Theile  der  Nase  ist  die 
Haut  beweglich.  An  dem  Nasenflügel  und  der  Nasenspitze  ist  die  Haut  noch 
reich  an  Talgdrüsen.  An  den  Nasenöffnungen  sind  kurze  steife  Haare 
(Vibrissae)  vorhanden,  die  sich  durch  eine  verschiedene  Länge  auszeichnen,  je 
nach  Alter  und  Geschlecht. 

Die  Nasenhöhle  {cavum  nasi)  mit  ihren  Fortsetzungen  oder  Neben- 
höhlen enthält  den  Eingang  zu  dem  Athmungsorgane  mit  dem  Geruchsapparate. 
Auch  hier  ist  zuerst  die  Stütze  der  Nasenhöhle  mit  ihren  Nebenhöhlen  und 
dann  die  die  Höhle  auskleidende  Schleimhaut  mit  ihren  Gefässen  und  Nerven 
zu  beschreiben. 

Die  KnochenAvände  der  Nasenhöhle  werden  hauptsächlich  von  den  Nasen- 
theilen  des  Oberkiefers  und  des  Siebbeins  von  jeder  Seite  gebildet.  Von  vorn 
nach  hinten  ist  die  Aussenw^and  der  Höhle  von  folgenden  Knochentheilen 
begrenzt:  vom  aufsteigenden  Fortsatze  und  Körper  des  Oberkiefers,  der  Nasen- 
fläche des  Thränenbeins  und  Siebbeins,  mit  deren  hier  gelagerten  Muskeln, 
der  inneren  Fläche  des  perpendiculären  Theiles  des  Gaumenbeines  und  der 
inneren  Fläche  der  medialen  Platte  des  Gaumenflügels  vom  Wespenbeine. 
Die  obere  Wand  bilden:  die  untere  Fläche  der  Nasenknochen,  des  Nasenfort- 
satzes, des  Stirnbeins,  die  Siebplatte  des  Siebbeins  und  der  vordere  Theil 
der  unteren  Fläche  des  Körpers  des  Wespenbeins.    Die  untere  Wand  wird 


NASE.  341 

von  der  oberen  Fläche  des  Gaumenfortsatzes  des  Oberkiefers  und  der  hori- 
zontalen Platte  des  Gaumenbeines  gebildet.  Von  vorne  wird  die  Höhle  durch 
die  innere  Wand  der  äusseren  Nase  begrenzt.  In  die  Höhle  führen  die 
paarigen,  äusseren  Oeffnungen  der  äusseren  Nase;  die  Höhle  verbindet  sich 
mittelst  der  vertical  nach  hinten  gerichteten,  hinteren  Oeffnungen  (choanae) 
mit  der  hinter  ihr  gelagerten  liachenhöhle.  Die  Nasenhöhle  ist  durch  eine 
Scheidewand,  mehr  oder  weniger  symmetrisch,  getheilt.  Diese  Scheidewand 
'besteht  aus  einem  knöchernen,  knorpeligen  und  membranösen  Theile.  Die 
knöcherne  Wand  wird  von  der  perpendiculären  Platte  des  Siebbeins  und  dem 
Pflugscharbein  gebildet;  diese  Wand  geht  aus  von  der  unteren  und  vorderen 
Fläche  des  Körpers  des  Wespenbeins  und  von  der  horizontalen  Platte  des 
Siebbeins,  sie  richtet  sich  nach  unten  und  vorn  und  reicht  bis  zum  Kamm 
des  Gaumenfortsatzes  der  Gaumenbeine  und  der  Oberkiefer.  Der  hintere  Ptand 
dieser  Scheidewand  ist  glatt  und  begrenzt  nach  innen  die  hinteren  Oeffnungen 
der  Nasenhöhle.  Nach  vorne  bildet  der  untere  Rand  des  perpendiculären 
Fortsatzes  des  Siebbeins  einen  nach  hinten  gerichteten,  spitzen  Winkel  mit 
dem  vorderen  Rande  des  Pflugscharbeines,  diese  Ränder  gehen  in  den  rhom- 
bischen Scheidewandknorpel  über.  Dieser  Knorpel  sowie  seine  Seitenplatte 
sind  schon  oben  beschrieben,  ebenso  wie  auch  die  membranöse  Scheidewand, 
die  die  äusseren  Oeffnungen  der  Nasenhöhle  von  einander  scheidet. 

Die  Form  der  Nasenhöhle  ist  in  der  Mitte  an  einem  Frontalschnitte 
conisch,  mit  abgerundeten  Ecken,  nach  oben  ist  sie  enger,  nach  unten  ver- 
breitert sie  sich;  dieses  kann  man  am  besten  auf  einem  Frontalschnitte  sehen, 
der  durch  die  Mitte  der  Höhle  geführt  ist.  Die  grösste  Höhe  der  Nasen- 
höhle in  der  Mitte  seiner  Länge  ist,  längs  der  Scheidewand  gemessen,  3-8  bis 
4'2  cm,  zu  den  hinteren  Oeffnungen  vermindert  sich  diese  Höhe  von  2  bis  2*2  cm, 
nach  vorn  ist  der  sagittale  Durchmesser  der  äusseren  Oeffnungen  1*5  cm. 
Die  Breite  ist  im  unteren  Theile,  in  der  Mitte  der  Länge  2-8  bis  Sem,  folg- 
lich auf  jede  Hälfte  1'4  bis  P5  cm,,  am  Dache  ist  der  Querdurchmesser 
0*8  bis  l'O  mm  oder  4  bis  5  tnm  jederseits.  Die  Quere  der  äusseren  Oeffnung 
beträgt  5  bis  6  mm. 

Die  Nasenhöhle  ist  von  einer  Reihe  Nebenhöhlen  umgeben,  die  mittelst 
geringer  Oeffnungen  mit  der  Höhle  communiciren.  Ausserdem  sind  an  den 
äusseren  Wänden  der  Nasenhöhle  gewundene  Platten  oder  Nasenmuscheln 
gelagert.  Wie  die  Nebenhöhlen,  so  sind  auch  die  Nasenmuscheln  als  grosse 
Flächen  anzusehen,  die  im  verhältnismässig  kleinen  Räume  sich  reich  an 
Gefässen  und  Nerven  erweisen.  Mittelst  der  Gefässnetze  wird  die  hier  von 
aussen  eintretende  Luft  erwärmt,  was  auch  durch  Beimengung  der  in  den 
Nebenhöhlen  enthaltenden  Luft  geschieht,  so  dass  die  in  den  Athmungs- 
organen  eintretende  Luft  wärmer  als  die  eingeathmete  Luft  ist  und  daher 
die  Temperatur  der  Respirationswege  nicht  herabsetzt.  Die  centripetal  leiten- 
den Nerven  machen  es  möglich,  dass  mittelst  der  hier  gelagerten  Geruchs- 
organe die  Qualität  der  eingeathmeten  Luft  bestimmt  werden  kann.  Die 
Nebenhöhlen  communiciren  durch  kleine  Oeffnungen  mit  der  Haupthöhle, 
dadurch  ist  der  Luftwechsel  erschwert,  er  wird  stärker  bei  grösserer  Ver- 
schiedenheit der  Temperatur.  Hier  sind  folgende  Nebenhöhlen  zu  unter- 
scheiden: nach  vorn  und  oben  der  simcs  frontalis,  oben  seitlich  das  Labyrinth 
des  Siebbeins,  unten  seitlich  der  sinus  maxillaris  und  nach  oben  und  hinten 
der  sinus  sjphenoidalis;  noch  ist  hier  nach  oben,  aussen  und  hinten  die  tuba 
tympanica,  das  cavum  tympani  und  der  sinus  ■mastoideus  zu  bezeichnen,  die 
zusammen  auch  einer  Nebenhöhle  der  hinter  der  Nasenhöhle  gelagerten 
Rachenhöhle  entsprechen.  Ausserdem  sind  beiderseits  an  der  äusseren  (^late- 
ralen) Wand  der  Nasenhöhle  dünne,  gekrümmte  Knochenplatten  vorhanden; 
diese  Platten  oder  Muscheln  sind  am  besten  von  Seite  der  Rachenhöhle  zu 
übersehen  und  erweisen  sich  hier  als  o  b  e  r  e,  m  i  1 1 1  e  r  e  und  un  t  e  r  e  Muscheln. 


342  NASE. 

Die  obere  und  mittlere  Muschel  sind  an  der  Innenfläche  des  Labyrinthes  des 
Siebbeins  gelegen,  während  die  grösste  untere  Muschel  an  der  Nasenfläche 
des  Oberkiefers  gelegen  ist. 

Die  Wände  der  Nasenhöhle,  sowie  auch  der  Nebenhöhlen  sind  von 
einer  Bein-  oder  Knorpelhaut  bedeckt,  die  von  einer  Schleimhaut  überzogen 
ist.  In  den  Nebenhöhlen  sind  die  Häute  eng  verschmolzen  und  sehr  dünn 
(O'o  bis  0-5  nini),  glatt,  glänzend  und  blass.  Die  Schleimhaut  hat  hier  mehr 
Aehnlichkeit  mit  einer  serösen  Membran;  ist  auch  ärmer  an  Gefässen  und 
Nerven  als  die  Schleimhaut  der  Nasenhöhle.  Am  dünnsten  ist  die  Schleim- 
haut der  Stirnhöhle,  der  Zellen  des  Labyrinthes  und  der  Keilbeinhöhle;  dicker 
ist  die  der  Kieferhöhle.  Die  freie  Fläche  dieser  Haut  ist  beim  Uebergange 
in  die  Schleimhaut  der  Nasenhöhle  mit  Fliramerepithel  bedeckt,  welches 
sich  der  dünnen  Stelle  nähernd  verändert  und  hier  sich  als  Pflasterepithel 
erweist,  sie  ist  feucht-schleimig. 

Die  Schleimhaut,  w^elche  die  Wände  der  Nasenhöhle  bedeckt,  ist  mit 
der  Bein-  und  Knorpelhaut  dieser  Wände  genau  verbunden.  Sie  bekleidet  die 
ganze  Scheidewand,  die  in  der  Nasenhöhle  vorhandenen  Muscheln,  sowie  auch 
die  übrige  Fläche  der  Wände  dieser  Höhle;  gewöhnlich  ist  der  obere  Theil 
dieser  Schleimhaut  als  ScHNEiDEn'sche  Haut  {membrana  Schneideriana  s.  olfac- 
toria)  bekannt.  Sie  ist  dick  (4  bis  5  mm),  rauhig,  blut-  und  nervenreich,  ist 
sehr  gefärbt  und  besonders  oben  auf  den  Muscheln  und  an  der  Scheidewand 
gelblich.  Stellenweise,  besonders  an  den  hinteren  und  am  Kandtheile  der 
Muscheln,  ist  die  Schleimhaut  mit  Wärzchen  und  Falten  bedeckt. 

Zwischen  den  Muscheln  sind  die  Nasengänge  gelagert  und  namentlich 
zwischen  der  oberen  und  mittleren  Muschel  ist  der  obere  Nasengang,  zwischen 
der  mittleren  und  unteren  Muschel  der  mittlere  Nasengang,  und  zwischen 
der  unteren  Muschel  und  der  unteren  Wand  der  Höhle  ist  der  unter  e  Nasengang 
gelegen.  Alle  diese  Gänge  sind  am  Lebenden  mittelst  des  Nasen-Rachenspiegels 
von  Seiten  der  Rachenhöhle  zu  sehen. 

Mit  diesen  Nasengängen  communiciren  mittelst  sehr  kleiner  Oeffnungen 
die  Nebenhöhlen:  1.  in  dem  oberen  Nasengang  —  im  hinteren  Theile  —  öffnen 
sich  die  hinteren  Siebbeinzellen,  etwas  höher  —  dem  hinteren  Theile  der 
oberen  Muschel  entsprechend  —  ist  die  nach  vorn  gerichtete  Oeffnung  der 
Keilbeinhöhle  gelagert;  2.  im  vorderen  Theile  des  mittleren  Nasenganges  ist 
eine  längliche  gebogene  Furche  vorhanden,  die  Convexität  dieser  Furche  ist 
nach  vorn  gerichtet,  sie  ist  von  einem  wulstigen  Rande  begrenzt  und  variirt 
sehr  in  ihrer  Form  und  Grösse.  Im  vorderen  Theile  dieser  Furche  öffnet 
sich  die  Stirnhöhle,  im  mittleren  Theile  die  vorderen  Siebbeinzellen;  im 
hinteren  ist  oft  eine  Oeffnung,  die  in  die  Kieferhöhle  führt,  vorhanden  (Sappey). 
Ungefähr  in  der  Mitte  des  mittleren  Nasenganges,  hinter  der  eben  erwähnten 
Furche  in  einer  Entfernung  um  35  mm  von  dem  hinteren  Rande  der  äusseren 
Nasenöffnung  ist  die  grössere  und  mehr  beständige  Oeffnung  der  Kieferhöhle 
gelagert.  Alle  diese  Oeffnungen  sind  sehr  klein  und  von  einem  Schleimhaut- 
rande begrenzt.  3.  Im  unteren  Nasengange  erweist  sich  die  Oeffnung  des 
Thränennasenganges;  die  Oeffnung  variirt  sehr  in  ihrer  Form;  sie  ist  spaltförmig, 
2 bis  4^;??;?  lang  und  0-ömm  breit;  oval,  punktförmig,  furchen-  oder  trichterförmig. 
Gewöhnlich  ist  sie  unter  dem  vorderen  Ende  der  unteren  Muschel  gelagert, 
12  bis  14  mm,  hinter  dem  vorderen  Rande  des  Nasenfortsatzes  des  Oberkiefers; 
1-8  bis  2-4  cm  von  dem  hinteren  Rande  der  äusseren  Nasen  Öffnung  und  8  bis 
10  mm  vom  Boden  der  Nasenhöhle  entfernt.  Die  im  vorderen  inneren  Theile 
am  Schädel  gelagerte  paarige  Oeffnung  des  Nasengaumencanals  ist  ebenso 
wie  die  dem  hinteren  Theile  des  oberen  Nasenganges  entsprechende  Commu- 
nicationsöffnung  {foramen  splmio-palatinum)  zwischen  der  Nasenhöhle  und  der 
fossa  spheno-maxillaris  mit  Gefässen  und  Nerven  und  den  sie  umgebenden 
Geweben  ausgefüllt. 


NASE.  343 

Die  Schleimhaut  derNasenhöhle  mit  ihren  Nebenhöhlen  ist  desto 
dicker  und  gefässreicher,  je  mehr  diese  Haut  unmittelbar  mit  der  einathmenden 
Luft  in  Berührung  kommt,  in  der  Nasenhöhle  an  den  Uändern  der  Muscheln 
ist  sie  daher  am  dicksten,  in  den  Nebenhöhlen  und  namentlich  den  entferntesten 
ist  sie  am  dünnsten  und  gefässärmer.  An  der  Schleimhaut  ist  zu  unter- 
scheiden: 1.  ein  Eingangstheil,  2.  ein  Athmungstheil  und  3.  ein  lüechtheil. 
Der  Eingangstheil  bedeckt  die  Innenfläche  des  Nasenfiügelknorpels  von 
den  äusseren  Oeffnungen  der  Nasenhöhle  bis  zu  ihrem  oberen  Rande,  den 
sogenannten  Vorhof  dieser  Höhle  (Sappey).  Der  Athmungstheil  bekleidet 
den  unteren  Theil  der  Nasenhöhle  bis  zur  Fläche  des  unteren  Randes  der 
mittleren  Muschel.  Der  Riechtheil  der  Schleimhaut  oder  die  sogenannte 
„ScHNEiDER'sche  Membran"  überzieht  die  äussere  und  innere  Wand  der  nach 
oben  vom  erwähnten  Rande  der  mittleren  Muschel  gelegenen  Antheile  der 
Nasenhöhle. 

Die  Schleimhaut  besteht  aus  einer  fibrösen  Propria,  die  mehr  oder 
weniger  fest  mit  dem  Perioste  vereinigt  ist.  Sie  enthält  spärlich  elastische 
Fasern,  Gefässe,  Nerven  und  Drüsen.  —  Die  Oberfläche  der  Schleimhaut  ist 
am  Eingangstheile  mit  Pflasterepithel  bedeckt.  Hier  sind  über  den  Rändern 
der  äusseren  Oeffnung  an  der  äusseren  und  inneren  Wand  des  Vorhofs  Pa- 
pillen und  mehr  oder  weniger  lange  steife  Haare  (vibrissae)  gelagert,  an 
deren  Wurzel  eine  bis  zwei  Talgdrüsen  sich  befinden.  Die  Haare  der  äusseren 
und  inneren  Wand  runzeln  sich  in  ihrer  Richtung  und  bilden  so  ein  feines 
Netz,  durch  welches  die  eingeathmete  Luft  dringt  und  die  in  ihr  suspendirten 
Staubth eilchen  aufgehalten  werden.  Nur  ist  das  nicht  als  Schutzvorrichtung 
anzusehen,  da  beim  Kinde  dieses  Netz  hier  nicht  existirt  und  oft  sehr  schwach 
entwickelt  ist.  Die  Schleimhaut  des  Athmungstheiles  ist  mit  Flimmer- 
epithel bedeckt  und  enthält  eine  grosse  Zahl  von  Schleimdrüsen;  im  all- 
gemeinen kann  man  sagen:  ihre  Zahl  ist  der  Dicke  der  Schleimhaut  propor- 
tional (Sappey).  Die  Zahl  dieser  Drüsen  variirt  hier  von  30  bis  100 — 150 
auf  1  cOT^-Fläche.  Die  Drüsen  sind  sehr  verschiedener  Grösse,  tubulöser 
und  aeinöser  Structur.  Die  Fortsetzungen  der  Schleimhaut  der  Nasenhöhle 
bekleiden  die  Wände  der  Nebenhöhlen,  wo  je  dünner  die  Schleimhaut,  desto 
weniger  und  kleiner  die  Drüsen  sind.  Ihre  Grösse  ist  hier  von  0-3  bis  0-5  bis 
0-05  mm;  mehr  an  Zahl  und  Grösse  sind  die  Drüsen  in  der  Schleimhaut  der 
Kieferhöhle,  am  geringsten  sind  sie  in  den  vorderen  und  hinteren  Nebenhöhlen 
und  den  Zellen  des  Siebbeins  (Sappey). 

Die  Schleimhaut  des  Riechtheils  der  Nasenhöhle  ist  im  oberen  Theile 
gelblich  gefärbt,  sie  nimmt  die  äussere  Wand,  hauptsächlich  die  Gegend  der 
oberen  und  mittleren  Muscheln  und  den  entsprechenden  Theil  der  Scheide- 
wand ein.  Dieser  Theil  wird  als  locus  luteus  vom  röthlichen  Theile  der 
regio  respiratoria  unterschieden.  Ihre  Dicke  beträgt  bis  4  mm.  Die  Pro- 
pria dieser  Schleimhaut  enthält  elastische  Fasern  und  im  Bindegewebe  ade- 
noides Gewebe  und  sogar  folliculäre  Knötchen.  In  diesem  Theile  der  Schleim- 
haut ist  das  Geruchsorgan  gelagert,  und  daher  unterscheidet  man  auf  ihrer 
Fläche  drei  Formen  von  Zellen:  Riechzellen,  Stützzellen  und  Ersatz- 
zellen.   Die  Drüsen  dieser  Epithelschicht  ist  beim  Menschen  0*06  mm. 

Das  Flimmerepithel  des  Respirationstheiles  der  [Schleimhaut  verliert 
beim  Uebergange  in  den  Riechtheil  die  diese  Elemente  bedeckenden  Cilien 
und  geht  in  Stütz-  oder  sechsseitige  Cylinderzellen  mit  ovalem  Kern  über. 
Diese  Kerne  sind  annähernd  in  der  gleichen  Höhe  gelagert.  Der  breite 
periphere  Theil  der  Zelle  geht  in  der  Richtung  zum  Bindegewebe  in  einen 
schmäleren,  plattgedrückten  Theil  über,  der  getheilt,  gezackt  oder  mit  Fuss- 
platten  endet.  Wie  im  peripheren  so  ist  auch  im  basalen  Theile  der  Zelle 
körniges,  gelbliches  Pigment  vorhanden. 


344  NASE. 

Zwischen  den  Stützzellen  sind  die  Riech-  oder  Stäbchenzellen  gelagert; 
im  Umkreise  einer  Stützzelle  erweisen  sich  sechs  und  mehr  Riechzellen.  Sie 
sind  spindelförmige  Körper  mit  einem  anderen  Kerne,  nebst  peripherem  und 
centralem  Fortsatze.  Von  diesen  Fortsätzen  ist  der  periphere  gewöhnlich 
stärkerer,  cylindrischer  Form;  an  seinem  freien  Ende  ist  er  mit  einem  Büschel 
kurzer,  freier  Härchen  besetzt,  welche  in  der  Zahl  von  6  bis  8  meist  etwas  aus- 
einanderweichen (v.  Brunn).  Der  centrale  Fortsatz  ist  dünner,  mit  leichten 
Yaricositäten  und  hat  den  Charakter  von  Nervenfibrillen.  Er  soll  in  eine 
Olfactoriusfaser  übergehen. 

Im  Grunde  des  Epithels  gegen  das  Bindegewebe  liegen  die  Ersatz-  oder 
Basalzellen;  sie  sind  kegelförmig,  sollen  durch  Fortsätze  mit  einander  zu- 
sammenhängen und  so  ein  protoplasmatisches  Netzwerk  bilden. 

Die  Oberfläche  des  Epithels  ist  mit  einem  feinen  Häutchen  überzogen 
(memhrana  limitans  olfadona),  dem  peripheren  Theile  der  Riechzellen  ent- 
sprechend sind  hier  Löcher  vorhanden.  Die  Limitans  wird  oft  noch  be- 
stritten. 

Noch  kommen  in  der  Epithelschicht  Wanderzellen  vor,  die  noch  unter 
dem  Namen  von  Glockenzellen  beschrieben  werden. 

Die  Drüsen  der  Riechschleimhaut  erweisen  sich  als  einfache  oder  ver- 
ästelte Schläuche,  die  in  der  Bindegewebsschicht  der  Schleimhaut  gelagert 
sind,  sie  werden  BowMANN'sche  Drüsen  genannt.  In  den  Zellen  dieser  Drüsen 
kann  auch  gelbliches  Pigment  vorkommen,  so  wie  in  den  Stützzellen.  Sie, 
als  reine  Eiweissdrüse  (v.  Brunn)  anzusehen,  ist  sehr  zweifelhaft. 

Der  periphere  Fortsatz  {Dendrit)  beginnt  mit  den  Riechhärchen  und 
geht  bis  zui'  Zelle  mit  ihrem  runden  Kerne  und  Kernkörperchen. 

Der  centrale  Fortsatz  der  Riechzelle  wird  jetzt  als  Achsencylinderfortsatz 
{Neurit)  angesehen,  der  von  der  Riechzelle  als  Hautnervenzelle  entsteht  und 
im  glomerulus  olfactorius  als  Endbäumchen  endet.  —  So  wird  jetzt  der  An- 
fangstheil  der  Riechnerven  des  Geruchsorgans  gedeutet.  Die  Drüsen  dienen 
dazu,  die  hier  wirkenden  Stoffe  gelöst  zu  halten,  da  die  riechbaren  Stoffe 
flüchtig  und  gelöst  sein  müssen,  um  auf  das  Geruchsorgan  zu  wirken. 

Die  Gefässe  der  Nasenhöhle  sind  äussere  und  innere.  Die  äusseren 
sind  Aeste  der  äusseren  Kiefergefässe,  die  zu  den  Rändern  der  äusseren  Oeff- 
nungen,  dem  Nasenflügel  und  der  ganzen  äusseren  Wand  des  Nasenrückens 
bis  zur  Wurzel  gehen,  in  der  Mittellinie  mit  den  entsprechenden  Aesten  der 
anderen  Seite  communiciren  und  alle  hier  liegenden  Gewebstheile  mit  Nahrung 
versorgen.  An  der  Wurzel  und  am  Rande  der  Nase  communiciren  sie  mit 
den  Aesten  der  Augenhöhlengefässe  und  den  Aesten  der  inneren  Kiefer- 
arterie. 

Die  Schleimhaut  der  Nasenhöhle  ist  sehr  reich  an  Gefässen,  besonders 
Venen,  und  gehört  zu  den  blutreichsten  Schleimhäuten  des  Körpers.  Die 
inneren  Gefässe  sind  Aeste  der  inneren  Kieferarterie  {art.  maxillaris  interna) 
und  der  Augenhöhlengefässe.  {art.  et  venae  ophtJialmicae).  Die  Aeste  der 
inneren  Kieferarterie  erweisen  sich  als:  1.  Gefässe  des  Oberkiefers 
{vasa  maxillaria  sup.,  posf.  et  med.)  und  Aeste  der  Unteraugenhöhlengefässe 
{vasa  infraorhitalia),  die  als  vordere  Oberkieferäste  (art.  maxillaris  sup.  ant.) 
ihre  Zweige  den  Wänden  der  Kielerhöhle  geben;  2.  Aeste  der  Keilbein- 
Gaumengefässe  {vasa  splieno-palatina).,  die  als  hintere  Nasenarterien  {art. 
nasales  post.)  in  den  oberen,  mittleren  und  unteren  Theilen  der  äusseren 
Wand  und  in  der  Scheidewand  {art.  septi  narium)  sich  verzweigen  und  mit 
den  Gaumenarterien  anostomosiren  und  als  art.  vidiana  s.  pterygoidea  in  der 
Umgebung  der  hinteren  Nasenöffnung  und  der  Tuba  sich  verästeln;  3.  Aeste 
der  Flügel-Gaumenarterie  {art.  pterygo-palatina)  zum  hinteren  Theile 
der  Nasenhöhle  und  der  Umgegend  der  hinteren  Nasenöffnung.  Die  Aeste 
der  Augengefässe    {oasa  ophthahnica)  gehen  aus  der  art.  nasofrontalis  als 


NASE.  345 

art.  ethmoidales  ab.  Gewöhnlich  sind  es  zwei  Aeste,  die  als  art.  ethmoi- 
dalis  ant.  und  post.  in  der  Ernährung  der  Nasenhohle  und  deren  Neben- 
höhlen theilnehmen.  Die  art.  ethmoidalis  ant.  gibt  Aeste  zur  vorderen 
Region,  der  dura  mater  (meningea  anterior),  verzweigt  sich  in  die  Stirnhöhle, 
im  vorderen  Theile  des  Labyrinthes  und  im  vorderen  Theile  der  Nasenhöhle, 
wie  zur  inneren  Wand  der  äusseren  Nase,  so  auch  zum  vorderen  Theile  der 
Nasenscheidewand,  Diese  Aeste  anastomosiren  mit  den  Nasen-  und  Lippen- 
ästen der  äusseren  Kieferarterie.  Die  art.  ethmoidalis  post.  dringt 
durch  das  hintere  Siebbeinloch  und  verzweigt  sich  in  den  hinteren  Siebbein- 
zellen, bis  zur  Keilbeinhöhle  und  dem  oberen  Theile  der  Nasenscheidewand. 

Die  Venen  der  Nasenhöhle  entsprechen  den  Arterien,  sind  hier  über- 
haupt sehr  zahlreich;  die  vorderen  Venen  sammeln  sich  hauptsächlich  in 
der  Antlitzvene  {vena  facialis  s.  maxillaris  ext.);  die  oberen  in  den  Sieb- 
beinvenen, die  zur  Augenvene  gehen,  und  die  hinteren  Venen  sammeln  sich 
zum  foramen  spheno-palatinum  und  ergiessen  sich  in  die  vena  maxillaris 
interna,  in  den  Plexus  der  fossae  zygomaticae. 

Die  Lymphgefässe  liegen  in  der  Schleimhaut  der  Nasenhöhle  sehr 
oberflächlich;  sie  richten  sich  hauptsächlich  zum  hinteren  Theile  der  Nasen- 
höhle und  sammeln  sich  in  die  gl.  faciales  profundae  und  die  gl.  cervicales 
profund  ae  sup. 

Die  Nerven  der  Nasenhöhle  sind  centripetalleitende,  die  dem  Geruchs- 
nerven {n.  olfadorius)  und  dem  Trigeminus  angehören  und  sympathische,  die 
centripetal  und  centrifugal  zu  den  sich  hier  verästelnden  Gefässen  gehen.  — 
Die  Fila  olfactoria  beginnen  wie  schon  gesagt  in  dem  Riechtheile  der  Nasen- 
schleimhaut und  gehen  zum  bulbus  olfactorius.  Vom  Bulbus  gehen  die  Fasern 
bis  zum  nucleus  caudatus  und  dem  cornu  Ammonis;  diese  Kerne  verbinden 
sich  mit  den  psycho-sensitiven  Centren  der  Stirn-  und  Schläfenlappen  und 
namentlich  mit  der  frontalen  Riechsphäre,  die  den  gesammten  hinteren  Rand 
der  Basis  des  Stirnlappens  und  den  basalen  Theil  des  gyrus  fornicatus  um- 
fasst,  und  mit  der  temporalen  Riechsphäre,  die  sich  auf  den  üncus  und  einen 
Theil  des  benachbarten  inneren  Pols  des  Schläfenlappens  begrenzt  (Flechsig). 
—  Die  centripetalleitenden  Fasern  des  n.  trigeminus  gehen  von  der  ganzen 
Fläche  der  Nasenhöhle  aus,  den  hier  gelagerten  Nervenbündel  einßchliessend. 
Sie  gehören  dem  ramus  ophthalmicus  an  und  namentlich  den  n.  ethmoidalis, 
die  von  der  Keilbeinhöhle,  von  den  Zellen  des  Labyrinthes  und  von  dem 
vorderen  Theile  der  Nasenhöhle  ausgehen.  Zum  zweiten  Aste  des  Trigeminus 
gehen  die  Nervenzweige  mittelst  des  ganglion  spheno-palatinum;  die  Fäden 
gehen  von  den  oberen,  mittleren  und  unteren  Theilen  der  äusseren  Wand  der 
Nasenhöhle  und  der  Nasenscheidewand  aus.  —  Die  Wände  der  Nebenhöhlen  geben 
ihre  Fäden:  die  Keilbeinhöhle  dem  hinteren  Ethmoidalnerven  und  Fäden  zu 
den  Schlundnerven;  die  Oberkieferhöhle  zu  den  oberen  Alveolarnerven  des  Ober- 
kieferastes; das  LabjTinth  gibt  seine  Fäden  zu  den  Ethmoidalnerven;  die 
Stirnhöhle  zum  Unter-  und  Oberrollennerven.  Die  Muskeln  am  äusseren 
Theile  der  Nase  werden  von  Fäden  des  n.  facialis  innervirt.  —  Die  s}Tiipa- 
thi sehen  Geflechte  der  Gefässe  der  Nasenhöhle  mit  ihren  Nebenhöhlen  gehören 
hauptsächlich  dem  Plexus  ophthalmicus,  dem  nervus  caroticus  internus 
s.  cerebralis  an  und  dem  Plexus  maxillaris  internus,  der  mit  dem 
Plexus  Carotins  externus  in  Beziehung  steht. 

Aus  allem  den  Angeführten  erweist  sich,  dass  die  Nasenhöhle  mit  ihren 
Nebenhöhlen: 

1.  Den  Eingangstheil  der  Athmungsorgane  bildet.  Hier  wird  die  Tem- 
peratur der  einzuathmenden  Luft  durch  die  in  den  Nebenhöhlen  befindliche 
Luft,  sowie  auch  der  Gefässe  der  Muscheln  regulirt  und  die  Quantität  der  Luft 
mittelst  des  Riechorgans  bestimmt. 


346  NASENPOLYPEN. 

2.  Die  Nebenhöhlen  sind  beim  Neugeborenen  nicht  gegeben,  sondern  nur 
Folge  der  Architectur  des  Gesichtskelettes  und  hängen  von  dem  Grade  der 
Entwicklung  des  Kauapparates  und  der  Geruchsorgane  ab. 

3.  Die  in  der  Schleimhaut  der  Nasenhöhle  und  ihren  Nebenhöhlen  ge- 
lagerten Drüsen  und  der  Thränengang  dienen  zur  Regulirung  des  Grades 
der  Feuchtigkeit  der  einzuathmenden  Luft  und  der  hier  enthaltenen  Riech- 
theile.  Sie  entwickeln  sich  je  nach  dem  Grade  der  Temperatur  dieser  Luft 
und  dem  Grade  des  Reizes  der  diese  Luft  enthaltenden  Riechtheile. 

4.  Die  nach  abwärts  gerichteten  Nasenlöcher  richten  den  Luftstrom  beim 
Einathmen  nach  oben  zu  den  hier  gelagerten  Riechorganen,  weiter  geht  dieser 
Strom  in  einem  Bogen  durch  die  Choanen  zu  den  Schlund-  und  Athmungs- 
organen. 

5.  Die  Form  und  Structur  der  Nasenhöhle  hat  auch  eine  Bedeutung  bei 
der  Bildung  der  Sprache  und  der  Stimme,  besonders  spricht  sich  diese  Wir- 
kung in  dem  Klange  der  Stimme  aus. 

6.  Die  Function  des  Riechorgans  wird  bei  normaler  Structur  nur  durch 
Uebung,  bei  gradatim  und  consequenz  erhöhtem  Reize  vervollkommt. 

P.   LESSHAFT. 

Nasenpolypen  (SMeimpohjpen).  Die  weichen  oder  ödematösen 
Fibrome  sind  die  häufigsten  Neubildungen  der  Nase;  man  nennt  sie  auch 
„Schleimpolypen"  wegen  ihrer  glatten,  glasig-schleimigen  Oberfläche  und 
ihrer  weichen  gallertähnlichen  Consistenz,  die  es  zuweilen  möglich  macht, 
den  ganzen  Tumor  wie  dickliches  Schleimgewebe  derart  zu  zerdrücken,  dass 
nach  Auspressen  seines  klebrigen  flüssigen  Inhaltes  nur  noch  eine  dünne  band- 
artige Hülle  zurückbleibt.  Die  gegenüber  allen  anderen  Nasentumoren  weit- 
aus am  häufigsten  vorkommenden  ödematösen  Fibrome  können  ihrer  Gut- 
artigkeit, ihrer  dem  „Meerespolypen"  am  meisten  ähnlichen  Form,  Farbe  und 
Stielbildung  halber  als  „Nasenpolypen"  xax'  s^oyj)]v  bezeichnet  werden,  im 
Gegensatze  zu  den  übrigen  Nasentumoren,  deren  anatomischer  Bau  und  kli- 
nischen Symptome  deutliche  Unterschiede  von  jenen  zeigen,  und  deren  äussere 
Formen  meist  sehr  verschieden  von  denen  eines  „Polypen"  sind. 

Der  Schleimpolyp  stellt  einen  grauen,  graurothen,  glatten,  leicht  glän- 
zenden zu\feilen  durchscheinenden  Tumor  dar,  von  runder  oder  kolbiger, 
keulenförmiger,  bald  auch  mehr  platter,  nieren-  oder  birnförmiger  Gestalt. 
Je  nachdem  sich  die  Geschwulst  bei  ihrem  Wachsthume  frei  entwickeln  kann, 
besonders  gegen  den  breiten  Nasenboden  zu,  nimmt  sie  eine  mehr  kugelige 
oder  birnartige  Form  an,  während  sie  in  den  oberen  und  mitteren  Nasen- 
abschnitten, wo  sie  sich  des  engen  Knochengerüstes  halber  nicht  in  die  Breite 
ausdehnen  kann,  klein  und  flach  bleibt;  liegen  mehrere  polypöse  Bildungen 
neben  einander,  so  platten  sie  sich  ab,  verwachsen  sogar,  sei  es  mit  ihrem 
Körper,  sei  es  mit  ihrem  Stiele  (Fig.  1)  derart,  dass  mehrere  Polypen  an 
einem  Stiele  hängen. 

Alle  diese  Geschwülste  stehen  durch  einen  Stiel  mit  der  Nasenschleim- 
haut in  Verbindung;  derselbe  ist  ungemein  verschieden,  bald  dünn  und  lang, 
bald  kurz  und  breit;  andere  Male  sitzt  der  Polyp  ganz  breit,  ohne  eigentliche 
Stielbildung  auf  der  Schleimhaut  und  stellt  eine  höckerartige  Prominenz  der 
Schleimhaut  dar;  zuweilen  hängt  ein  Schleimpolyp  durch  zwei,  selbst  drei 
stielförmige  Fortsätze  mit  der  Schleimhaut  zusammen;  gelegentlich  findet  man 
auch  einen  Polypen,  der  an  seinem  Körper  mit  einer  zweiten,  sogar  dritten 
Stelle  der  Nasenhöhle  infolge  längerer  Berührung  verwachsen  ist.  Die  Grösse 
dieser  Fibrome  variirt  von  der  eines  Hirsekornes  bis  zu  der  eines  Tauben- 
eies und  darüber;  ihre  Consistenz  ist  eine  weiche,  zuweilen  sogar  fluctuirende; 
beim  Comprimiren  solcher  Geschwülste  fühlt  man,  dass  die  Fluctuation  durch 
einen  grösseren  oder  durch  mehrere  mit  Flüssigkeit  gefüllte  Hohlräume  be- 


NASENPOLYPEN. 


347 


Fig 


Natürl.  Grösse. 


Nasenpolyp  aus  dem  hinteren  Drit- 
tel der  rechten  Nasenhöhle  einer  27jähr. 
Frau. 


dingt  ist;  andere  Male  fühlt  man  nur  kleine  derbere  Knötchen  in  der  Ge- 
sehwulstmasse, die  ebenfalls  von  kleinen  cystösen  Erweiterungen  herrühren; 
sind  diese  Cystenbildungen  dicht  unter  der  Oberfläche  gelegen,  so  stellen  sie 
oft  flache  buckelige  Unebenheiten  an  der  sonst  glatten  Oberfläche  des  Tumors 
dar.  Der  Inhalt  dieser  Cysten  besteht  aus  einer  hellen,  zähen  und  dünn- 
schleimigen Flüssigkeit. 

Der  Schleimpolyp  entwickelt  sich  vor- 
zugsweise im  Bereiche  des  mittleren  Nasen- 
ganges und  speciell  in  der  Umgebung  des 
hiatus  semilunaris,  ferner  an  den  Oeffnungen 
der  Siebbeiuzellen,  auch  im  oberen  Nasen- 
gange, an  den  freien  Rändern  der  beiden 
oberen  Muscheln,  sehr  selten  dagegen  an  der 
Nasenscheidewand  oder  am  Nasenboden  und 
am  seltensten  an  der  unteren  Muschel;  sie 
wurzeln  fernerhin  an  den  Ostien  der  Nasen- 
nebenhöhlen, besonders  der  Oberkiefer-  und 
Stirnhöhle,  in  deren  Höhlungen  sie  gleich- 
falls vorkommen  und  von  wo  aus  sie  durch 
die  Ausführungsöffnungen  in  die  eigentliche 
Nasenhöhle  hineinwachsen  können.  In  Fällen 
excessiven  Wachsthumes  nach  vorn  kann  der 
Polyp  aus  der  äusseren  Nase  herausragen  oder 
er  kann  sich  auch  nach  hinten  zu  bis  in  den 
Nasenrachenraum  entwickeln. 

Sehr  häufig  finden  wir  Polypen  gleich- 
zeitig in  beiden  Nasenhöhlen,  zuweilen  sogar 

an  symmetrischen  Stellen;  nur  ganz  selten  haben  wir  es  mit  einer  verein- 
zelten Geschwulst  zu  thun;  fast  immer  handelt  es  sich  um  eine  grössere  Zahl, 
zuweilen  sogar  um  ein  halbes  Hundert,  ja  noch  darüber. 

Nur  in  den  allerseltensten  Fällen  verursachen  solche  Schleimpolypen  eine 
Diff'ormität  der  äusseren  Nase;  doch  kann  es  schliesslich  bei  sehr  vielen  und 
sehr  grossen  derartigen  Bildungen  auch  zu  einer  Auftreibung  und  Verbreiterung 
des  äusseren  Nasengerüstes  kommen.  Das  Innere  der  Nase  dagegen  wird 
öfters  durch  diese  Tumoren  verändert,  die  Nasengänge,  besonders  der  mittlere, 
wie  auch  der  Hiatus  semilunaris  werden  erweitert,  die  Muscheln  verdünnt 
und  die  Schleimhaut  mehr  weniger  atrophisch. 

Das  ödematöse  Nasenfibrom  zeigt  auf  der  Schnittfläche  eine  compacte 
Structur  von  der  gleichen  graurothen  Farbe  wie  die  Tumoroberfläche;  hie 
und  da  sieht  man  einzelne  feine  weissliche  Gewebszüge  vom  Stiele  gegen  den 
Geschwulstkörper  ziehen;  fernerhin  finden  sich  oft  kleinere  und  grössere  mit 
einer  hellen  glasigen  Flüssigkeit  gefüllte  Hohlräume  in  der  Gewebsmasse. 
Nach  BiLLEOTH  besteht  der  Nasenpolyp  aus  einem  feinen  kurzgefaserten 
Bindegewebsstroma  mit  zahlreichen^  kernhaltigen  Zellen;  in  dieser  völlig 
ungeordnet  verlaufenden  faserigen  Grundsubstanz  liegt  eine  grosse  Zahl 
röhrenförmiger  Schleimdrüsen,  an  deren  Ende  sich  reichliche  traubenartige 
Drüsenbläschen  befinden,  also  ähnliche  Drüsengebilde,  wie  in  der  normalen 
Nasenschleimhaut.  Durch  Verstopfung  der  Drüsenausführungsgänge  oder 
auch  durch  Secretionsstörungen  in  der  Drüse  selbst  kommt  es  zuweilen 
zu  einer  Erweiterung  einzelner  Drüsenbläschen  und  zur  Bildung  kleiner 
oder  grösserer  Hohlräume,  zu  Cysten  mit  einem  flüssigen  albuminhaltigen 
Inhalte,  in  dem  sich  zuweilen  auch  Cholestearinkrystalle  befinden;  die 
Innenfläche  dieser  Cystenräume  besitzt  nach  Billeoth  keine  besondere 
Wand,  ist  aber  stets  von  Cyliuder-  oder  Plattenepithel  ausgekleidet.  Bill- 
eoth  hebt    dabei    hervor,    dass    diese   Drüsenbildungen   nicht   constant   in 


348  NASENPOLYPEN. 

den  Schleimpolj'pen  der  Nase  vorkommen,  sondern  dass  dieselben  oft  nur 
sehr  kümmerlich  vorhanden  seien,  zuweilen  sogar  ganz  zu  fehlen  scheinen. 
Im  Ganzen  fasst  demnach  Billroth  diese  Tumoren  als  Adenome  auf;  hie- 
gegen  wendet  sich  mit  Recht  Hopmann  in  seinen  ausführlichen  Arbeiten 
über  diesen  Gegenstand,  indem  er  hervorhebt,  dass  die  eigentliche  Masse 
dieser  Polypen  „aus  einem  Stroma  von  areolärem  Bindegewebe  besteht", 
dessen  Maschen  verschiedene  Grösse  und  Form  besitzen  und  die  besonders 
in  älteren  derartigen  Tumoren  oftmals  nur  noch  ein  ganz  enges  Netzwerk 
zeigen;  von  dem  gröberen  ovalen  oder  rhomboidalen  Balkenwerk  selbst  geht 
nach  Hopmann  ein  feineres  Reticulum  aus,  in  dessen  Alveolen  runde  Zellen 
gelegen  sind,  deren  Menge  ungemein  schwankt,  zuweilen  sehr  spärlich  und 
zerstreut,  andere  Male  in  grosser  Menge  und  dicht  angehäuft.  Nur  äusserst 
selten  fand  Hopmann  Drüsenbildungen  in  diesen  Schleimpolypen  und  auch 
dann  blos  in  der  Nähe  des  Polypenstieles  und  in  degenerirtem  Zustande;  er 
hält  deshalb  diese  Neubildungen  für  Fibrome,  und  zwar  als  ödematöse, 
weiche  Form  derselben. 

Diese  Ansicht  Hop- 
9        mann's  ist  im  Grossen  und 
"^        Ganzen  berechtigt,  nichts 
destoweniger     sind    aber 
auch   die  Angaben  Bill- 
roth's    insofern  begrün- 
L'         det,  als  wir  in  Wirklich- 
keit,  und  zwar  viel  häu- 
^         figer   als   dies   Hopmann 
zugibt,  Drüsen  und  Cysten 
in   dem   fibrösen    Stroma 
des  Nasenpolypen  finden; 
ja  es  gehört  meiner  Er- 

Fig.  2     Fibrom,  oedemat.  aus  dem  rechten  mittleren  Nasengange  einer       lahrUng  UaCh  ZU  deU  AUS- 

37jährig.  Frau.  nahmcu,    gar  nichts   von 

drüsigen  Elementen  in 
diesen  ödematösen  Fibromen  anzutreffen;  Durchschnitte  von  kleinen,  Avenn 
auch  oft  verkümmerten  Drüsenbläschen  finden  sich  fast  immer  (Fig.  2);  auch 
nach  ZucKERKANDL  fehlen  die  Drüsen  nur  sehr  selten  bei  diesen  Gallert- 
polypen. Ihre  Vertheilung  in  der  Geschwulst  ist  eine  sehr  ungleiche;  am 
regelmässigsten  finden  wir  sie  in  den  Tumortheilen,  die  an  die  Insertion 
der  Geschwulst  grenzen;  andere  Male  erstrecken  sie  sich  über  die  ganze 
Ausdehnung   fast   bis  an  die  Oberfläche   des  Polypen  (Fig.  3). 

Wir  fanden  diese  reichlichen  Drüsenzüge  an  dünngestielten  wie  an  breit 
aufsitzenden  Tumoren,  vielleicht  bei  letzteren  etwas  häufiger  und  ausgespro- 
chener; stets  handelte  es  sich  um  die  vergrösserten,  traubenförmigen  Drü- 
sengebilde der  Nasenschleimhaut  mit  ihren  engen  und  weiten  röhrenförmigen 
Gängen,  theils  aber  auch  um  neugebildete  Drüsen.  Zuckerkandl  hält  die- 
selben nur  in  den  seltensten  Fällen  für  neugebildet,  sondern  für  die  gewöhn- 
lichen acinösen  Drüsen  der  Nase,  die  infolge  der  stärkeren  fibrösen  W^uche- 
rung  des  Stromas  auseinander  gedrängt  wurden.  Es  finden  sich  weiterhin 
im  Verlaufe  der  röhrenförmigen  Drüsengänge  sowohl,  wie  auch  hie  und 
da  im  fibrösen  Grundgewebe  kleinere  und  grössere  cystöse  Ptäume,  deren 
Innenwandung  mit  cylindrischem  oder  mit  cubischem  Epithel  überzogen 
ist;  es  sind  dies  die  schon  von  Billroth  erwähnten  Cysten,  die  auf 
zweierlei  Weise  in  unseren  Nasenfibromen  zustande  kommen;  entweder, 
und  dies  ist  der  häufigere  Fall,  ein  Ausführungsgang  der  Drüse  wird  ver- 
stopft, es  kommt  zur  Erweiterung  erst  des  Ganges  und  dann  eines  oder 
mehrere  Drüsenbläschen  und  so  bilden   sich  ovale   oder  runde  cystöse   Hohl- 


NASENPOLYPEN. 


349 


räume,  oder  aber  es  wächst,  wie  wir  diesen  Modus  bei  den  (jhrpolypen  und 
anderen  ähnlichen  Neubildungen  häufig  beobachten,  das  normale  Deckepithel 
der  Nasenpolypen  in  das  Innere  der  Gewebsmasse  hinein,  bildet  mehr  weniger 
tiefe  Einstülpungen,  die  sich  dann  abschnüren  und  längliche  Käume  dar- 
stellen, deren  Innenwand  von  Cylinderepithel  ausgekleidet  ist;  in  diesen  ab- 
geschnürten, röhrenförmigen  Hohlräumen  sammelt  sich  Secret,  der  Innenraum 
erweitert  sich  allmählich  und  so  kommt  es  zur  Bildung  von  cystenartigen 
Hohlräumen.  Wir  finden  diese  sogenannten  Retentionscysten  schon  in  ganz 
kleinen  Polypen;  in  grösseren  Fibromen  erreichen  sie  zuweilen  so  beträcht- 
liche Dimensionen,  dass  von  der  fibrösen  Grundsubstanz  und  von  den  zahl- 
reichen Drüsen  nur  noch  eine  äussere,  etwas  derbe,  fibröse  Hülle  um  den  zähen 
flüssigen  Cysteninhalt  übrig  geblieben  ist;  nach  Ausfiuss  dieses  letzteren  bil- 
det die  Hülle  selbst  einen  bandartigen,  fibrösen  Hautfetzen. 

Von  diesen  mit  Epithel  aus- 
gekleideten und  von  leicht  ge- 
latinöser, zuweilen  auch  eiteriger 
Flüssigkeit  angefüllten,  cystösen 
Hohlräumen  müssen  wir  die  in 
dem  grobmaschigen,  areolären  Bin- 
degewebe häufig  vorhandenen, 
grösseren  Spalten  und  Zwischen- 
räume unterscheiden,  die  gleich- 
falls mit  reichlicher  Flüssigkeit 
angefüllt  sind  und  wie  cysten- 
artige  Räume  imponiren  können, 
die  aber  Aveder  eine  eigene  Wan- 
dung besitzen,  noch  von  Epithel 
oder  Endothel  ausgekleidet  sind 
und  daher  weder  als  cystös  er- 
weiterte Drüsen,  noch  als  dilatirte 
Lymphräume  angesehen  werden 
dürfen.  In  den  cystischen  Räumen 
sow^ohl,  wie  auch  in  den  mehr 
oder  minder  grossen  Zwischen- 
räumen der  ödematösen,  fibrösen 
Grundsubstanz  liegt  seröse  Flüs- 
sigkeit,   deren   Albumincharakter 

durch  das  Erstarren  beim  Kochen  und  durch  den  starken  Eiweissniederschlag 
bei  Zusatz  von  Ferrocyankalium  erwiesen  ist  (Hopmann). 

ZucKEEKANDL,  der  die  Schleimpolypen  der  Nase  für  das  Product  einer 
entzündlichen  Hypertrophie  der  Schleimhaut  ansieht,  hält  diese  in  den  Maschen 
und  Cysten  vorhandene  Flüssigkeit  für  das  Exsudat  der  chronischen  Ent- 
zündung; nach  KöSTEE  und  Hopmann  dagegen  handelt  es  sich  um  ein  Trans- 
sudat aus  den  Blutgefässen  des  Tumors  infolge  von  Circulationsstörungen, 
die  besonders  bei  gestielten  Geschwülsten  sehr  leicht  eintreten  können,  da 
die  unteren  voluminösen  Theile  eine  beständige  Zerrung  am  Stiele  ausüben 
und  dessen  Gefässe  dadurch  verengert  werden;  in  diesen  Tumoren  sollen  die 
kleinen  Venen  und  Capillaren  fast  immer  erweitert  sein;  aber  auch  in  den 
breit  aufsitzenden  Polypen  können  derartige  Stauungsödeme  durch  ihre  Lage 
und  die  Compression  von  Seite  der  Umgebung  zu  Stande  kommen. 

In  frischen  ödematösen  Nasenfibromen  liat  Lewy  sehr  häufig  die  Charcot-Neumaka-- 
LEYDEN'schen  Asthmakrystalle  gefunden,  die  aber  nicht  fertig  gebildet  m  der  Geschwulst 
sind,  sondern  erst  in  zerquetschten,  frischen  Präparaten  sichtbar  werden;  da  sich  diese 
Krystalle  ebenso  häufig  in  Nasenpolypen  finden,  deren  Träger  an  Asthma  leiden,  wie  auch 
in    Schleimpolypen  ohne    eine   solche   Reflexneurose,  so   muss  es   zum    mindesten   traglicü 


Fig.  3.  Schleimpolyp  aus  dem  rechten  mittleren  Nasen- 
gange eines  40jährigen  Mannes. 


350  NASENPOLYPEN. 

erscheinen,  ob  diese  krystallinischen  Bildungen  in  den  Fibromen  mit  dem  Asthma  in  irgend 
einem  causalen  Zusammenhange  stehen. 

Die  glatte,  selten  leicht  eingekerbte  Oberfläche  der  Nasenpolypen  ist 
von  einem  grossen  flimmernden  Cylinderepithel  überzogen;  nur  an  Stellen, 
die  der  Luft  oder  einem  längeren  Drucke  ausgesetzt  sind,  findet  man  Platten- 
epithel; an  einzelnen  Stellen  entsendet  das  Cylinderepithel  kürzere  oder  län- 
gere zapfenförmige  Fortsätze  in  die  Geschwulst,  aus  denen  durch  Abschnürung 
die  oben  erwähnten  cystösen  Hohlräume  entstehen. 

Das  bindegewebige,  grobmaschige  Netzwerk  des  weichen  Fibroms  verläuft 
vom  Stiele  aus  gegen  die  Peripherie  der  Geschwulst,  in  der  gleichen  Eichtung 
■wie  die  nicht  sehr  zahlreichen  und  meist  dünnen  Blutgefässe  dieser  Nasen- 
tumoren; in  ihrem  Verlaufe  spalten  sich  die  letzteren  vielfach  und  bilden 
schöne,  bogenförmige  Netze  an  der  Oberfläche  des  Polypen.  Nerven  scheinen 
in  diesen  Geschwülsten  ausserordentlich  selten  vorzukommen;  Billroth  hat 
nur  in  einem  einzigen  Falle  einzelne  kleine  Nervenstämmchen  gesehen.  Nach 
Kalischer  dagegen  findet  man  häufig  Nerven;  meist  jedoch  in  sehr  spärlicher 
und  nur  selten  in  reichlicher  Menge;  darunter  auch  stärkere  Nervenstämm- 
chen; es  sind  ihrem  Verlaufe  und  ihrem  Kernreichthume  nach  neugebildete 
Nervenfasern;  Ganglienzellen  oder  Endkörperchen  findet  man  nicht. 

Von  diesen  weichen  Fibromen  trennt  Hopmann  die  in  polypoider  Form 
auftretenden  Hyperplasien  circum scripter  Muschelabschnitte;  es  sind  dies,  wie 
die  Schleimpolypen,  glatte  Tumoren,  die  sich  von  diesen  nur  durch  ihr  aus- 
schliessliches Entstehen  an  den  Muscheln  unterscheiden,  sowie  auch  nach 
Hopmann  durch  ihre  derbere  Consistenz  und  ihre  dunklere  Farbe;  in  ihrem 
feineren  Bau  stellen  sie  eine  Hyperplasie  der  cavernösen  Muschelschleimhaut 
dar,  wobei  bald  die  drüsigen,  bald  die  cavernösen  Bestandtheile  derselben 
überwiegen;  in  ihnen  sieht  Hopmann  die  Adenome  Billroth's;  unter  ihnen 
fand  er  auch  solche,  die  an  ihrer  Peripherie  areoläres  Bindegewebe  (Fig.  3) 
zeigten,  wie  das  ödematöse  Fibrom;  nur  um  den  Geschwulstcharakter  dieser 
Bildungen  genauer  zu  bezeichnen,  nennt  er  sie  polypoide  Hypertrophien,  im 
Gegensatze  zu  den  einfachen  Hypertrophien  der  Nasenschleimhaut.  Nun 
kommt  es  aber  bei  der  durch  eine  chronische  Entzündung  entstandenen  Hyper- 
plasie der  Schleimhaut  nicht  allein  zu  einer  Wucherung  des  Bindegewebes, 
auch  das  Drüsengewebe  betheiligt  sich  und  es  entstehen  Bildungen,  die  ausser 
ihrer  bindegewebigen  Grundlage  verlängerte  und  erweiterte  Drüsenschläuche, 
selbst  cystöse  Bäume  enthalten;  es  lässt  sich  daher  die  von  Hopmann  ver- 
langte Trennung  der  polypoiden  Hypertrophie  von  der  einfachen  Hyperplasie 
sehr  schwer  durchführen,  denn  alle  diese  Bildungen  gehören  in  das  Grenz- 
gebiet zwischen  den  hypertrophischen  Producten  einer  Entzündung  und  den 
eigentlichen  Neubildungen;  es  wird  oft  schwer  sein  zu  sagen,  ob  wir  es  mit 
einer  entzündlichen  Hyperplasie  oder  mit  einem  wahren  Tumor  zu  thun  haben 
(Orte).  Wir  haben  es  bei  diesen  Schleimpolypen,  ob  dünngestielt,  ob  breit 
aufsitzend,  mit  einer  Hypertrophie  sämmtlicher  Bestandtheile  der  Nasenschleim- 
haut zu  thun,  von  denen  jedoch  die  einzelnen  in  verschiedenem  Grade  ent- 
wickelt sein  können;  es  hat  nicht  den  geringsten,  klinischen  Wert,  diese  fibro- 
matösen  Neubildungen  je  nach  dem  Vorwiegen  des  einen  oder  anderen  die- 
ser Bestandtheile  von  einander  zu  trennen  und  sie  als  Fibroadenome,  Cysto- 
fibrome,  Fibroangiome  u.  s.  w.  gesondert  zu  schildern.  —  Zuweilen  finden 
wir  in  den  Schleimpolypen,  besonders  denen,  die  von  der  mittleren  Muschel 
ausgehen,  eine  oder  mehrere  dünne  Knochenspangen  mit  wohlausgebildeter 
Markhöhle,  die  sich  vom  Polypenstiele  aus  baumartig  im  Geschwulstkörper 
verzweigen;  es  handelt  sich  hiebei  um  eine  hyperplastische  Wucherung  des 
Muschelperiostes,  wie  dies  Zarniko  zuerst  beschrieben  hat,  und  wie  es 
Manasse  bei  sieben  derartigen  Geschwülsten  aus  meiner  Klinik  bestätigen 
konnte. 


NASENPOLYPEN.  351 

Ausser  den  weichen  ödematösen  Fibromen  kommen  auch  derbere 
festere  Fibrome  in  der  Nase  vor;  sie  haben  die  gleiche  birnformige  Gestalt, 
sind  auch  gestielt  wie  jene,  unterscheiden  sich  aber  von  ihnen  durch  ihre 
hellere  weissgraue  Farbe  und  ihre  viel  derbere  Consistenz  ;  sie  zeigen  auf 
dem  Durchschnitte  eine  weissliche  blut-  und  plasmaarme  Schnittfläche  und 
bestehen  aus  dicht  aneinander  gelagerten,  sich  vielfach  durchflechtenden 
derben  Bindegewebsfasern  und  kleinen  runden  oder  spindelförmigen  Zellen 
in  spärlicher  Menge  (Fig.  4).  Wir 
finden  diese  Fibromart  nur  selten; 
fast  immer  sitzt  sie  als  solitäre 
Geschwulst  in  den  hinteren  Thei- 
len  der  Nasenhöhle,  entweder  vom 
Septum  oder  den  hintersten  Mu- 
schelabschnitten oder  auch  von 
der  inneren  Umrandung  der  Cho- 
anen  ausgehend ;  im  letzteren  Falle 
wachsen  sie  gegen  den  Nasen- 
rachen zu,  erreichen  aber  nie  so  ^^""''  ■■•■--v>..*!i«i»i=A>,k« 
beträchtliche     Dimensionen     wie      ^.       „  ,    ^., 

-_,.,  ,.  ,  ^  •     1  Fig-  4-  Hartes  Fibrom  vom  hinteren  Septumende  aus  der 

jene    l^lbrOme,    die    von    der    hinte-  rechten  Nasenhöhle  eines  23jährigeii  Mädchens. 

ren  Fläche  der  Choane  ausgehen 

und   die   wir   bei   den  Neubildungen  des  Nasenrachenraumes  kennen  lernen 

werden. 

Die  harten  Fibrome  gehen  von  den  tieferen,  fibrösen  Schichten  der 
Nasenschleimhaut  aus  und  beruhen  auf  einem  excessiven,  einseitigen  Wachs- 
thume  des  Bindegewebes.  Die  Oberfläche  dieser  Tumoren  ist  glatt  und  mit 
cylindrischem  Flimmerepithel  überzogen.  Ihr  Gewebe  ist  sehr  blutarm,  daher 
sie  auch  bei  der  Extraction  viel  weniger  bluten  als  der  gewöhnliche,  weiche 
Schleimpolyp. 

Aetiologie.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  sind  die  Schleimpolypen 
durch  eine  chronische  Entzündung  der  Nasenschleimhaut  bedingt;  so  ent- 
stehen auch  Fibrome  an  den  Ostien  der  Nasennebenhöhlen,  wenn,  bei  Em- 
pyem derselben,  Eiter  durch  diese  Oeffnungen  abfliesst  und  ihre  Ränder  fort- 
während reizt  (Zaeniko).  Die  Ursache,  weshalb  bei  der  Entwicklung  dieser 
Geschwülste  das  eine  Mal  mehr  das  Bindegewebe,  das  andere  Mal  mehr  die 
Drüsen,  ein  drittes  Mal  mehr  die  Gefässe  oder  das  Epithel  prävaliren,  wissen 
wir  nicht,  ebensowenig  weshalb  es  in  dem  einen  Falle  zu  einer  diffusen 
Wulstung  der  Schleimhaut,  in  dem  anderen  zur  Bildung  eines  freien  beweg- 
lichen Tumors  kommt.  Nach  Hopmann  liegt  den  ödematösen  Fibromen  ein 
Prolaps  der  Mucosa  zu  Grunde,  der  sich  durch  die  zerrende  Wirkung  der 
Athmung  immer  vergrössert.  Nach  Stoerk  wird  die  Polypenbildung  bei  ver- 
engerten Nasen,  besonders  wenn  die  Verengung  durch  Schleimhautanschwel- 
lung veranlasst  ist,  begünstigt. 

Die  Schleimpolypen  gehören  mit  zu  den  häufigsten  Erkrankungen  der 
Nase  und  machen  circa  20%  derselben  aus;  sie  kommen  vier  bis  fünf  Mal 
häufiger  vor  als  alle  übrigen  Neubildungen  der  Nase  zusammengenommen ; 
ZucKEEKANDL  fand  sie  in  jeder  achten  bis  neunten  Leiche  von  Erwachsenen. 
Sie  sind  bei  Männern  viel  häufiger  als  bei  Frauen;  wir  finden  sie  vorzugs- 
weise bei  Individuen  im  Alter  von  20—40  Jahren,  aber  auch  bei  jüngeren 
Kranken,  selbst  bei  Kindern  kommen  sie  zur  Beobachtung;  Keakauee  hat 
Polypen  bei  einem  4V2  wöchentlichen  Kinde,  Le  Roy  und  Caedoxe  sogar  bei 
Neugeborenen  gesehen;  anderseits  finden  wir  sie  auch  bei  ganz  alten  Leuten. 

Nach  Heymann  liegt  zuweilen  Heredität  zu  Grunde.  —  Die  von  Woakes 
ausgesprochene  Ansicht,  es  seien  die  Nasenpolypen  immer  durch  eine  „nekro- 
sirende  Ethmoiditis"   bedingt,  und  die  später  durch  Geünwald  noch  erwei- 


352  NASENPOLYPEN. 

terte  Behauptung,  dass  diese  Geschwülste  nur  bei  Nebenhöhlenempyemen  vor- 
kommen und  ausschliesslich  durch  dieselben  verursacht  seien,  konnte  nicht 
vollständig  bestätigt  werden;  denn  wenn  man  dies  auch  in  einigen  Fällen 
anerkennen  muss,  so  gibt  es  doch  anderseits  eine  fast  grössere  Anzahl  von 
Polypenfällen,  bei  denen  ausser  der  Neubildung  jede  andere  tiefere  Erkrankung 
der  Nasenhöhle  oder  einer  Nebenhöhle  absolut  fehlt.  Auch  Zuckerkandl  hat 
bei  zahlreichen  anatomischen  Untersuchungen  von  Nasenpolypen  niemals 
Caries  oder  Nekrose  der  Siebbeinzellen  gefunden,  ausser  bei  Lues  und  Tuber- 
kulose; ebenso  hat  er  viele  Fälle  von  Polypen,  Ozaena  und  eitriger  Rhinitis 
gesehen  ohne  Erkrankung  der  Nebenhöhlen  oder  der  Nasenknochen.  Alexander 
beobachtete  bei  170  Empyemfällen  45  Mal  Nasenpolypen.  Hajek  fand,  wie 
schon  Zukerkandl,  dass  die  unter  den  Polypen  gelegene  Knochenschicht 
ebenfalls  hypertrophisch  ist,  also  gerade  das  Gegentheil  wie  Wookes  und 
GRüNwaLD  angegeben.  Nach  HajEK  sind  diese  Tumoren  nichts  anderes  als 
eine  ödematöse  Plypertrophie;  von  12  untersuchten  Fällen  fand  er  bei  4  nur 
oberflächliche  Veränderungen  der  Schleimhaut;  bei  den  anderen  lag  eine  Ent- 
zündung der  tieferen  Theile  vor  (Infiltration,  Knochenhyperplasie,  auch  Ostei- 
tis rareficans). 

Symptome.  Anfangs  leiden  die  Kranken  nur  an  einer  etwas  vermehrten 
schleimigen  Nasensecretion;  erst  allmählich  stellen  sich  die  Erscheinungen  von 
Verstopfung  des  einen  oder  beider  Nasengänge  ein;  der  Katarrh  wird  stärker, 
die  Sprache  ist  leicht  näselnd,  zeitweilige  Schmerzen  in  der  Stirn  treten  auf, 
Eingenommenheit  des  Kopfes,  Vergesslichkeit;  das  Geruchsvermögen  ist  ver- 
mindert, sogar  völlig  aufgehoben,  auch  Thränenträufeln  wird  beobachtet;  zu- 
weilen verspüren  solche  Patienten  beim  Ein-  oder  Ausathmen  ein  flatterndes 
Geräusch  in  der  Nase  {hruit  de  drapeau  nach  Dupuytren),  das  von  den  Be- 
wegungen gestielter  Polypen  herrührt.  Sind  mehrere  Polypen  in  beiden 
Nasenhöhlen,  wie  dies  ja  meist  der  Fall,  so  treten  die  Symptome  der  nasalen 
Stenose  immer  mehr  in  den  Vordergrund:  Athmen  durch  den  Mund,  Trocken- 
heit im  Hals,  nächtliches  Schnarchen,  unruhiger  Schlaf,  Kurzathmigkeit  bei 
stärkeren  Körperbewegungen,  beim  Bergsteigen  und  schliesslich  auch  Bethei- 
ligung der  Tube  und  des  Mittelohres.  Alle  diese  Symptome  treten  bei  feuchtem 
Wetter  stärker  hervor,  da  diese  Tumoren  bei  ihrer  hygroskopischen  Natur 
voluminöser  werden;  die  Nasensecretion  vermehrt  sich,  sie  ist  meist  wässerig 
schleimig,  selten  eiteriger  Natur;  Nasenbluten  kommt  nur  ganz  selten  vor, 
kann  aber  manchmal  profus  werden,  wenn  ein  etwas  grösseres  Blutgefäss  des 
Polypen  beim  heftigen  Schneuzen  oder  nach  einem  Trauma  zerrissen  wurde. 

Liegt  der  Polypenbildung  ein  Nebenhöhlen-Empyem  zugrunde,  wie  dies 
zuweilen  der  Fall  ist,  so  sind  die  Kopfschmerzen  grössentheils  durch  diese 
Höhieneiterung  verursacht,  und  es  treten  die  Kopfbeschwerden  besonders  dann 
hervor,  wenn  das  Ostium  der  Nebenhöhle  durch  ein  solches  Fibrom  ver- 
legt ist. 

Ausser  diesen  schmerzhaften  Kopfsymptomen  beobachten  wir  bei  Nasen- 
polypen zuweilen  auch  reflectorische  Neuralgien,  z.  B.  Husten,  Migräne, 
Schwindel,  wenn  auch  im  Ganzen  seltener  als  bei  den  cavernösen  Schwellungen 
der  vorderen  und  hinteren  Muschelenden.  Voltolini  hat  schon  im  Jahre 
1871  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  asthmatische  Anfälle  durch  Nasen- 
polypen hervorgerufen  werden  können,  dann  haben  Hänisch,  B.  Fränkel, 
Hartmann,  Porter,  Daly,  vor  allem  aber  Hack  eine  grosse  Anzahl  der- 
artiger Fälle  veröffentlicht  und  noch  andere,  ebenfalls  durch  Nasenpolypen 
bedingte  Reflexneurosen  beschrieben,  wie  Alpdruck,  Migräne,  Niesskrampf, 
Supraorbitalneuralgie,  Rhinorrhoe,  Heufieber,  selbst  Epilepsie,  Morbus  Base- 
dow!. Hack  nahm  an,  dass  zur  Auslösung  des  asthmatischen  Bronchial- 
krampfes ausser  den  Polypen  auch  noch  eine  Anschwellung  der  cavernösen, 
vorderen,  unteren  Muschelenden  vorhanden  sein  müsse.    In  vielen  Fällen  je- 


NASEN  POLYPEN.  353 

doch  gesellt  sich  Asthma,  wie  auch  andere  Reflexneurosen,  zu  Nasenpolypen 
direct  und  zwar  von  allen  Theilen  der  Nasenschleimhaut  aus  ohne  dies  Zwi- 
schenglied der  hypertrophischen  vorderen  Muschelenden.  —  Im  Grossen  und 
Ganzen  beobachten  wir  das  Asthma  nasale  wie  die  anderen  Kefiexneurosen  recht 
selten  bei  Nasenpolypen;  die  Neubildung  allein  kann  es  nicht  sein,  durch 
welche  derartige  nervöse  Symptome  hervorgerufen  werden;  sie  könnte  zwar, 
wie  es  z.  B.  das  verbogene  Septum  zuweilen  thut,  gewissermaassen  als 
Fremdkörper  auf  die  Trigeminuszweige  in  der  Nasenschleimhaut  einen  Druck 
ausüben,  der  bei  längerer  Dauer  und  bei  der  Schwellbarkeit  der  Polypen  selbst 
(Hopmann)  vasomotorische  und  sensitive  Heize  auszulösen  im  Stande  ist. 
Das  Asthma  kommt  aber  zuweilen  ohne  einen  solchen  directen  Contact  des 
Nasenpolypen  mit  der  gegenüberliegenden  Septumfiäche  zu  Stande,  wenn  z.  B. 
die  Patienten  des  Nachts  horizontal  gelagert  sind,  die  cavernösen  Muschel- 
enden hiebei  stark  anschwellen  und  dadurch  die  Nasenathmung  immer  mehr 
und  mehr  erschwert  wird;  so  kommt  allmählicli  eine  Ueberladung  des  Blutes 
mit  Kohlensäure  zu  Stande,  als  deren  Ausdruck  wir  den  asthmatischen  Anfall 
ansehen  müssen  (Schech).  Nach  Bloch  sind  bei  Nasenstenose  durch  Polypen 
die  Bronchialmuskeln  viel  mehr  angestrengt,  wodurch  leicht  Neurasthenie  ent- 
stehe, auf  deren  Grundlage  alsdann  Asthma  eintreten  kann. 

Bei  sehr  grossen  und  zahlreichen  Schleimpolypen,  die  eine  vollständige 
Nasenstenose  bedingen,  werden  eigenthümlicher  Weise  solche  asthmatische 
Zufälle  viel  seltener  beobachtet  als  bei  kleineren  Tumoren,  neben  denen  die 
Nase  noch  gut  durchgängig  ist.  —  Der  asthmatische  Anfall  tritt,  ohne  jedes 
allgemeine  oder  locale  Prodrom,  meist  bei  Nacht  auf,  kann  mehrere  Stunden 
dauern  und  verläuft  unter  dem  gleichen  Bilde  der  exspiratorischen  Orthopnoe, 
der  pfeifenden  klein-  und  grossblasigen  Basseigeräusche,  der  spasmodischen 
Bronchienverengerung,  des  Mangels  an  Expectoration,  wie  das  Lungenasthma 
überhaupt,  durch  welche  Ursache  dasselbe  auch  bedingt  ist;  gegen  das  Ende 
des  Anfalles  werfen  die  Kranken  geringe  Mengen  weisslichen,  fadenziehenden 
Schleimes  aus,  in  dem  die  Spiralen  von  Curschmann,  sowie  auch  die  oben  er- 
wähnten Kry stalle  von  Charcot-Leyden  vorhanden  sind ;  Schmidt  und  Hem- 
merich fanden  im  Auswurfe  sowohl  wie  auch  in  excidirten  Schleimhautstück- 
chen eosinophile  Zellen,  also  grosse  Leukocyten  mit  zwei  granulirten  Kernen. 

Diagnose:  In  seltenen  Fällen  ragen  die  Schleimpolypen  aus  der  äusseren 
Nasenöffnung,  etwas  häufiger  schon  ist  es  möglich,  sie  beim  Hinaufheben  der 
Nasenspitze  direct  zu  Gesicht  zu  bekommen;  immer  aber  sehen  wir  dieselben 
bei  der  vorderen  Rhinoskopie,  und  zwar  als  glatte,  grauröthliche,  leicht  glän- 
zende rundliche  Tumoren,  die  bei  der  Berührung  mit  der  Sonde  unempfindlich 
sind,  sich  leicht  eindrücken  und  gut  hin  und  her  bewegen  lassen;  gewöhnlich 
sieht  man  nur  eine  Geschwulst,  die  vordere,  welche  die  tiefer  gelegenen  ver- 
deckt; andere  Male  kann  man  mehrere  kleinere  Polypen  neben  und  über 
einander  liegen  sehen;  Schleimpolypen  der  hinteren  Nasenabschnitte  sind  erst 
bei  der  hinteren  Rhinoskopie  gut  zu  erkennen.  Gestielte  Fibrome  sind  sehr 
leicht  und  nach  allen  Richtungen  beweglich;  ist  die  Insertion  des  Stieles 
hoch  und  versteckt,  so  ist  es  oft  nicht  möglich,  dieselbe  genauer  zu  be- 
stimmen; breit  aufsitzende  Polypen  unterscheiden  sich  durch  ihre  glatte  glän- 
zende Oberfläche  von  den  mehr  unebenen  und  fast  papillomatös  aussehenden 
hypertrophischen  Schwellungen  der  vorderen  und  hinteren  j\luschelenden;  bei 
diesen  letzteren  sieht  man  auch,  dass  die  Geschwulst  die  breite  unmittelbare 
Fortsetzung  der  cavernösen  Muschelschleimhaut  darstellt,  auch  verkleinert  sich 
dieselbe  ziemlich  deutlich  nach  Einpinselung  mit  Cocain,  was  bei  den  Schleim- 
polypen und  den  polypoiden  Hypertrophien  nicht  der  Fall  ist.  Anfänger  können 
eine  Verbiegung  oder  ein  Hämatom  des  knorpeligen  Septum,  auch  Fremd- 
körper oder  Exostosen  für  einen  Polypen  halten;  die  härtere  Consistenz,  Unbe- 
weglichkeit,    wie    auch    zuweilen    die  Empfindlichkeit  jener  Tumoren  schützt 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  -ö 


354  NASENPOLYPEN. 

uns  leicht  vor  solchen  Irrthiimern;  Richter  (cit.  v.  Albrecht)  hat  einen  pro- 
lapsus  cerebri  irrthümlicher  Weise  als  Nasenpolypen  abgeschnitten.  Papillome, 
Angiome  erkennt  man  an  ihrer  unregelmässigen  Oberfläche,  ihrem  exclusiven 
Sitze  an  der  unteren  Muschel  und  am  Septum.  Bösartige  Tumoren  haben  in 
ihren  Anfangsstadien  einige  Aehnlichkeit  mit  dem  weichen  Fibrom,  unter- 
scheiden sich  aber  bald  von  demselben  durch  ihre  grosse  Neigung  zu  Blutun- 
gen, durch  die  eiterige  und  fötide  Absonderung  und  häufig  auch  durch  ihre 
Schmerzhaftigkeit. 

Ob  im  gegebenen  Falle  Neurosen  und  speciell  Asthma  mit  vorhandenen 
Schleimpolypen  in  einem  causalen  Zusammenhange  stehen,  ist  meist  schwer 
zu  sagen;  können  jedoch  hiefür  andere  ursächliche  Momente,  vor  allem  Lungen- 
und  Herzkrankheiten  ausgeschlossen  werden,  so  darf  immerhin  das  nasale 
Leiden  als  die  mögliche  Ursache  angesehen  und  die  Extraction  des  Polypen 
ausgeführt  werden,  selbst  wenn  .es  sich  nur  um  kleine  Tumoren  handelt,  die 
keinerlei  andere  Beschwerden  verursachen.  In  manchen  Fällen  ist  die  Wahr- 
scheinlichkeit, dass  Neurosen,  besonders  das  Asthma  von  der  Nase  ausgehen, 
sehr  gross,  wenn  sich  nämlich  solche  Patienten  schon  einige  Stunden  vor 
dem  eigentlichen  Anfalle  über  Migräne,  Nieskrampf,  nervösen  Schnupfen  be- 
klagen; fernerhin  haben  Fränkel,  Lublinski,  Zarniko  u.  a.  darauf  hinge- 
gewiesen, dass  es  zuweilen  bei  solchen  Patienten  gelingt,  den  asthmatischen 
Anfall  künstlich  hervorzurufen  durch  mechanische  Reizung  jener  Schleimhaut- 
partie, mit  welcher  der  Polyp  für  gewöhnlich  in  Berührung  ist  oder  bei 
Schwellungszuständen  in  Contact  kommen  kann,  und  fernerhin,  dass  wir  im 
Stande  sind,  einen  künstlich  hervorgerufenen  oder  auch  einen  krankhaften 
Anfall  durch  Aufpinselung  einer  10 — 20°/oigen  Cocainlösung  auf  die  betreffende 
Septumpartie  zu  unterdrücken.  Sehr  häufig  jedoch  lassen  uns  diese  Experi- 
mente im  Stiche  oder  gelingen  nur  unvollständig.  Scheinmann  lässt  den 
Patienten  darauf  achten,  ob  er  durch  Einlegen  eines  mit  Cocain  getränkten 
Wattebausches  in  die  Nase  den  Anfall  unterdrücken,  resp.  mildern  kann. 

Prognose.  Der  Schleimpolyp  ist  ein  gutartiger  Tumor,  und  selbst  ohne 
Operation  haben  derartige  Neubildungen,  auch  wenn  ihrer  noch  so  viele  vor- 
handen sind,  keine  lebenswichtigen  Folgen;  Bayer  hat  die  Umwandlung  eines 
weichen  Fibromes  in  einen  bösartigen  Tumor  beobachtet;  es  hatte  sich  in 
seinem  Falle  auf  einem  gewöhnlichen  breitbasigen  Schleimpolypen,  der  vom 
Nasendache  ausgieng,  ein  Zottenkrebs  entwickelt;  nach  Abtragung  des  ganzen 
Tumors  war  kein  Recidiv  eingetreten.  —  Billroth  hat  schon  darauf  auf- 
merksam gemacht,  dass  bei  einem  Individuum,  das  früher  einen  einfachen 
Nasenpolypen  hatte,  sich  später  unter  Einfluss  schlechterer  Constitutionsver- 
hältnisse  ein  bösartiger  Tumor  entwickeln  könne.  Immerhin  muss  die  Beob- 
achtung Bayer's  um  so  mehr  berücksichtigt  werden,  als  in  den  letzten  Jah- 
ren Massei,  Schmiegelow  ähnliche  Umwandlungen  von  Nasenpolypen  in 
carcinomatöse  Geschwülste  gesehen  haben;  ausserdem  berichtet  Fink  über 
einen  Fall,  wo  bei  einem  Manne  zahlreiche  Schleimpolypen  zuerst  aus  der 
Nasenhöhle,  dann  aus  dem  antrum  Highmori  entfernt  worden  waren  und  bei 
dem  dann  kurze  Zeit  nachher  wegen  neuer  Geschwulstbildung  das  antrum 
eröffnet  werden  musste,  in  welchem  sich  die  weichen  Massen  eines  Mark- 
schwammes  vorfanden;  wenige  Wochen  nachher  trat  bei  diesem  Kranken 
Krebsmetastase  in  den  Halswirbeln  und  Tod  durch  Cachexie  ein.  Es  muss 
hier  auch  an  die  bekannte  Sammelforschung  erinnert  werden,  die  Semon  über 
die  Frage  der  Umwandlung  gutartiger  Kehlkopftumoren  in  maligne  angestellt 
hat  und  wonach  auf  10,747  Fälle  von  Larynxgeschwülsten  fünf  ganz  sichere 
Beobachtungen  einer  derartigen  Transformation  nachgewiesen  sind,  und  bei 
sechs  anderen  Fällen  diese  Möglichkeit  mindestens  als  wahrscheinlich  be- 
trachtet werden  darf. 


NASENPOLYPEN.  355 

Der  Nasenpolyp  kann  leicht  und  vollständig  durch  eine  Operation  geheilt 
werden;  sehr  häufig  jedoch  treten  Kecidive  auf,  besonders  dann,  wenn  kleine 
Beste  der  Geschwulst  aus  Unachtsamkeit,  oder  weil  an  schwer  zugänglichen 
Stellen  gelegen,  übersehen  oder  nicht  entfernt  werden  konnten;  oftmals  auch 
handelt  es  sich  gar  nicht  um  wirkliche  Kecidive,  sondern  es  sind  kleinere, 
bei  einer  ersten  Operation  schon  vorhanden  gewesene,  aber  übersehene  Poly- 
pen, die  jetzt  wachsen  und  sich  ausdehnen  können,  nachdem  die  Nase  durch 
die  Extraction  der  früheren  Tumoren  frei  geworden. 

Bei  der  prognostischen  Beurtheilung  der  Reflexneurosen,  die  bei  Nasen- 
polypen vorhanden  sind,  ist  grosse  Vorsicht  von  Nöthen;  es  gibt  zweifelsohne 
eine  Anzahl  von  Asthmafällen,  die  durch  die  Extraction  der  Schleimpolypen 
definitiv  geheilt  worden  sind;  andere  Male  aber  kehren  das  Asthma  sowohl, 
wie  auch  die  anderen  reflectorischen  Neurosen,  trotz  des  anfänglichen  guten 
Erfolges,  nach  der  Operation,  zuweilen  nach  Wochen  schon,  wieder  zurück; 
bei  derartigen  Fällen  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  wir  es  häufig  mit  einer 
allgemeinen  nervösen  Disposition  der  Kranken  zu  thun  haben,  die  vielen  Be- 
handlungsarten Trotz  bietet. 

Therapie.  Die  einzige  rationelle  Behandlung  dieser  Neubildungen  ist  die 
instrumentelle  Abtragung  derselben;  die  Anwendung  von  Adstringentien,  die 
Scarificationen,  die  Ligatur,  das  Abätzen,  das  Absägen  mittelst  knotiger 
Fäden  (Zandek),  alle  diese  Methoden  sind  verlassen;  nicht  minder  ist  es  der 
von  HiPPOCRATES  schon  gemachte  und  von  Voltolini  wieder  aufgenommene 
Vorschlag,  von  den  Choanen  her  mit  einem  Schwämme  die  Nasenhöhle  auszu- 
scheuern und  so  die  Polypen  loszureissen,  ähnlich  wie  es  Voltolini  auch  für 
die  Operation  der  Larynxpolypen  empfohlen  hat. 

Die  jetzt  gebräuchlichen  Verfahren  zur  Operation  der  Nasenpolypen  sind 
die  Extraction  derselben  vermittelst  zangenförmiger  Instrumente  oder  die  Ab- 
schnürung mit  der  Drahtschlinge. 

Die  Zangenextraction:  Alle  hiezu  dienenden  Instrumente  sind 
Modificationen  der  gewöhnlichen  Kornzange;  sie  sind  nur  etwas  länger  und 
schlanker  oder  sind  an  ihrem  vorderen  Ende  oder  an  ihrem  Handgriffe  ge- 
krümmt. Mit  derartigen  Zangen,  die  heutzutage  noch  von  vielen  AeTzten, 
selbst  hervorragenden  Chirurgen  (Albert,  Bossen  u.  a.)  benützt  werden,  führt 
man  die  Extraction  des  Polypen  in  der  Weise  aus,  dass  bei  directer  oder 
auch  reflectorischer  Beleuchtung  der  Nase,  das  Instrument  in  eine  Nasenhöhle 
eingeführt,  der  vorliegende  Polyp  gefasst,  einige  Male  um  seine  Axe  gedreht 
und  dann  durch  einen  ziemlich  kräftigen  Zug  abgerissen  wird;  diese  Mani- 
pulation wird  in  einer  oder  mehreren  Sitzungen  so  oft  wiederholt,  bis  die 
Nase  ausgeräumt  zu  sein  scheint;  die  Kranken  verspüren  bei  diesem  Operations- 
modus, selbst  bei  Anwendung  von  Cocain,  recht  heftige  Schmerzen  und  die 
Blutung  aus  der  Nase  ist  meist  eine  beträchtliche;  ausserdem  werden  bei 
etwas  breit  aufsitzenden  Polypen  fast  regelmässig  kleinere  oder  grössere  Stücke 
der  nachbarlichen  gesunden  Nasenschleimhaut,  selbst  auch  Theile  der  knö- 
chernen Muschelenden  oder  des  Siebbeinlabyrinthes  durch  die  Zange  mit  her- 
ausgerissen. Zur  Entschuldigung  dieser  Nebenverletzungen  halten  die  An- 
hänger der  Extractionsmethode  die  gewaltsame  Entfernung  der  peripheren 
Muscheltheile  geradezu  für  nothwendig,  um  Becidiven  vorzubeugen.  Abge- 
sehen von  der  grossen  Schmerzhaftigkeit,  den  starken  Blutungen,  wie  auch 
von  den  erwähnten  Nebenverletzungen  hat  die  Zange  noch  den  weiteren 
Nachtheil,  dass  sie  die  Neubildung  manchmal  zerquetscht,  voneinander  reisst 
und  so  den  Polypen  unvollständig  entfernt,  sowie  weiterhin  noch,  dass  klei- 
nere, tief  gelegene  oder  in  den  Nischen  und  Spalten  der  lateralen  Nasenwand 
sitzende,  aber  immerhin  sichtbare  Neubildungen  mit  der  verhältnismässig 
voluminösen  Zange  weder  erreicht,  noch  gefasst  werden  können. 

23* 


356 


NASENPOLYPEN. 


Zum  Abschnüren  des  Schleimpolypen  mit  der  Schneideschlinge 
verwenden  wir  entweder  die  kalte  oder  die  galvanokaustische  Schlinge.  Dünn- 
gestielte und  sehr  bewegliche  Polypen  werden  mit  der  kalten  Schlinge  abge- 
tragen, da  die  Blutung  hiebei  fast  null  ist  und  wir  immerhin  mit  dieser 
Schlinge  etwas  rascher  und  leichter  arbeiten  können;  wir  verwenden  dagegen 
die  Glühschlinge  bei  breit  aufsitzenden,  sowie  auch  bei  hochgelegenen  Tumoren, 
deren   Insertion   nicht  genau   zu   bestimmen   ist;   man   vermeidet   auf   diese 

Weise  starke  Blutungen  und  kann  zu  glei- 
cher Zeit  die  versteckt  gelegene  Inserti- 
onsstelle  mit  dem  Glühdraht  abbrennen. 
Zur  Verwendung  kommen  für  die  kalte 
Schlinge  der  von  Wilde  für  die  Ohrpo- 
lypen angegebene  Schlingenschnürer  in 
seiner  von  Zaufal  für  die  Operation  der 
Nasenpolypen  modificirten  Form  (s.  Ohr- 
polyp). Zur  Glühschlinge  benutzen  wir  das 
Instrument  von  Bruns-Schech  (Fig.  5), 
für  das  eine  Tauchbatterie  oder  ein  Accu- 
mulator  den  Strom  liefert;  letzterer  ist 
seiner  einfacheren  Construction  und  seiner 
leichteren  Instandhaltung  halber  vorzuzie- 
hen. Als  Draht  für  die  kalte  Schlinge  ver- 
wendet man  mittelstarken  ausgeglühten 
Eisendraht,  den  man  auch  statt  des  theu- 
ren  Platindrahtes  für  die  Glühschlinge  be- 
nützen kann.  —  Im  Grossen  und  Ganzen 
ist  das  Anlegen  der  voluminöseren  und 
durch  die  Leitungsdrähte  belasteten  Glüh- 
schlinge etwas  mühsamer  als  das  der  kal- 
ten Schlinge;  sie  hat  aber  vor  dieser  den 
Vorzug  geringerer  Blutungen  und  dadurch 
einer  häufigeren  Anwendung  in  der  glei- 
chen Sitzung. 

Die  Schlingenschnürer  werden  in  fol- 
gender Weise  angelegt:  Nach  Cocainisirung 
(10%)  des  Naseninneren  wird,  bei  guter 
Beleuchtung  durch  Stirnspiegel  und  Spe- 
culum,  die  dem  vorliegenden  Polypen  ent- 
sprechend weite  Drahtschlinge  in  verticaler  Stellung  und  parallel  dem  Septum 
bis  zum  Polypen  eingeführt,  dann  die  Schlinge  horizontal  gestellt  und  von  unten 
her  über  den  Tumor  so  hoch  als  möglich  hinaufgeschoben;  jetzt  verkürzt  man 
langsam  die  Schlinge,  zieht  sie  fest  zusammen  und  extrahirt  schliesslich  durch 
einen  massig  kräftigen  Zug  den  Polypen.  Nur  in  jenen  Fällen,  wo  die  kalte 
Schlinge  den  Tumor  nicht  an  seiner  Insertionsstelle  gefasst  hat,  was  beson- 
ders bei  hochgelegenen  oder  auch  bei  breitaufsitzenden  Geschwülsten  der  Fall 
sein  kann,  bedarf  es  eines  etwas  kräftigeren  Zuges,  um  denselben  von  seiner 
Anheftungsstelle  loszureissen;  hiebei  werden,  ähnlich  wie  bei  der  Zangenope- 
ration, wenn  auch  in  viel  geringerem  Grade,  kleinere  Schleimhautpartien,  selbst 
Muschelfragmente  mit  herausgerissen  und  die  Blutung  ist  eine  etwas  stärkere; 
es  wird  dies  durch  die  Anwendung  der  Glühschlinge  vermieden;  die  gefassten 
dickeren  Stielpartien  werden  von  dem  rothglühenden  Drahte  langsam  durch- 
schnitten und  die  Neubildung  folgt  einem  leichten  Zuge  des  Instrumentes; 
hiebei  ist  es  jedoch  nothwendig,  den  elektrischen  Strom  abwechselnd  zu  öff- 
nen und  zu  schliessen,  um  den  Draht  nicht  weissglühend  zu  machen  und  den 
Stiel  nicht  zu  rasch  zu  durchschneiden,  was  stärkere  Blutungen  verursachen 


Fig.    5. 


NASENPOLYPEN.  357 

würde.  Bei  dünngestielten  Polypen  ruft  die  kalte  Schlinge  keine  oder  nur 
eine  ganz  geringe  Blutung  hervor;  bei  breit  aufsitzenden  dagegen  ist  die- 
selbe ziemlich  stark  und  es  kommt  auch  manchmal  zu  längeren  Nachblutungen. 

Das  Anlegen  der  Schlinge  verlangt  sehr  wenig  Zeit,  kaum  mehr  als  das 
Einführen  der  Zange,  das  häufig  ganz  blindlings  geschieht;  es  lassen  sich  mit 
der  Schlinge  immer  mehrere  Polypen  rasch  nach  einander  entfernen,  beson- 
ders auch  mit  der  Glühschlinge,  bei  deren  Anwendung  es  immer  nur  zu  einer 
ganz  geringen  Blutung  kommt,  die  das  Operationsfeld  nicht  verdeckt.  Bei  stär- 
keren Blutungen  müssen  weitere  Extractionen  um  2  bis  8  Tage  verschoben 
werden,  bis  das  Naseninnere  wieder  übersehen  werden  kann.  —  Bei  kräftigen 
und  nicht  empfindlichen  Kranken  kann  sogar,  nach  Absolvirung  der  einen  Nasen- 
hälfte in  der  gleichen  Sitzung  auch  die  andere  in  Angriff  genommen  werden. 
Die  Schmerzhaftigkeit  der  Schiingenoperation  ist  nicht  gross;  immerhin  ist 
es  rathsam,  durch  Einlegen  eines  mit  einer  10 böigen  Cocainlösung  getränkten 
Wattebausches  in  die  Nase  während  4  bis  5  Minuten,  die  ganze  Procedur  zu 
einer  fast  ganz  schmerzlosen  zu  machen. 

Zur  Stillung  der  Blutung  nach  der  Operation,  sowie  auch  zur  Verhütung 
von  Nachblutungen  führt  man  einen  oder  zwei  lange  feste  Wattebausche  in 
die  Nase  und  lässt  sie  mehrere  Stunden  liegen. 

In  dieser  Weise  werden  alle  Polypen,  wenn  nöthig  in  mehreren  Sitzungen, 
entfernt;  es  gelingt  dies  mit  der  Schlinge  viel  besser,  als  mit  der  Zange,  weil 
wir  mit  dem  relativ  dünnen  Schnürer  nicht  allein  ganz  kleine,  sondern  auch 
hochgelegene  und  in  Nischen  und  Spalten  sitzende  Tumoren  fassen  und  ex- 
trahiren  können. 

Zur  Verhütung  von  Kecidiven  soll  die  Insertionsstelle  der  Neubildung 
bald  nach  deren  Extraction  zerstört  i.  e.  geätzt  werden;  bei  Verwendung  der 
Glühschlinge  wird  eine  derartige  Aetzung  schon  mit  der  Extraction  selbst 
ausgeübt;  andere  Male  verwendet  man  hiezu  den  knopfförmigen  Galvano- 
kauter;  auch  Chromsäure,  Trichloressigsäure,  Chlorzink  u.  s.  w.  sind  hiezu 
empfohlen  worden.  Bei  diesen  Aetzungen  ist  es  nicht  immer  möglich,  hoch 
und  verborgen  gelegene  Ansatzstellen  genau  zu  sehen  und  zu  zerstören;  es 
werden  demnach  an  unzugänglichen  Stellen  oftmals  Stielreste  zurückbleiben, 
die  zu  Recidiven  Veranlassung  geben.  Auch  beim  gründlichsten  Ausräumen 
der  Nase  und  trotz  sorgfältiger  Zerstörung  der  Polypenwurzel  mit  den  ver- 
schiedenen Aetzmitteln  müssen  wir  auf  Recidive  gefasst  sein,  und  es  lässt 
sich  in  den  einzelnen  Fällen  schwer  sagen,  ob  es  sich  um  das  Nachwachsen 
eines  Tumors  auf  dem  alten  Stiele  oder  um  ein  Aufschiessen  eines  neuen 
Polypen  von  einer  benachbarten  Schleimhautstelle  handelt;  die  einen  Male 
entstehen  Recidive  trotz  sorgfältigster  Exstirpation  und  gründlicher  Nach- 
ätzung, andere  Male  tritt  nach  einmaliger  Extraction,  selbst  mit  der  kalten 
Schlinge,  dauernde  Heilung  ein. 

Schleimpolypen  in  den  hinteren  Nasenabschnitten  und  härtere  Fibrome, 
die  in  der  Nähe  der  Choanen  ihren  Sitz  haben  und  erst  bei  der  hinteren 
Ehinoskopie  gesehen  werden,  lassen  sich  gleichfalls  mit  der  kalten  oder  der 
Glühschlinge  extrahiren;  oft  gelingt  es  vermittelst  eines  etwas  härteren  und 
gut  federnden  Drahtes,  z.  B.  Ciavierdrahtes,  von  der  Nase  aus  den  Tumor 
direct  in  die  Schlinge  zu  fassen;  andere  Male  ist  es  nothwendig,  die  durch 
den  unteren  Nasengang  vorgeschobene  Schlinge  mit  dem  vom  Munde  aus  in 
den  Nasenrachenraum  eingeführten  Finger  von  unten  her  über  den  Polypen 
zu  schieben,    die  Schlinge   dann  zuzuziehen    und    den  Tumor   zu   extrahiren. 

Wir  sehen  somit,  dass  wir  mit  der  Schlinge  und  ohne  grosse  Beschwerden 
für  den  Kranken  alle  derartigen  Neubildungen  der  Nase  exstirpiren  können, 
die  grössten  wie  die  kleinsten,  die  leicht  zugänglichen  wie  die  in  den  oberen 
Nasentheilen  versteckt  gelegenen;  wir  brauchen  heute  nicht  mehr  zu  den  in 
früheren  Jahren  geübten,  eingreifenden  und  oft  sehr  entstellenden  Methoden 


358  NAÖENRACHENPOLYPEN. 

der  Spaltung  der  Nase  oder  gar  der  temporären  Resection  der  Nasenknochen 
behufs  völliger  Ausräumung  der  Nase  unsere  Zuflucht  zu  nehmen. 

Die  Schiingenoperation  ist  so  einlach,  verursacht  so  geringe  Schmerzen 
und  Blutungen,  dass  sich  die  Patienten  bei  späteren  Recidiven  ohne  grosse 
Ueberredung  zu  einem  neuen  Eingriffe  verstehen,  während  die  Wiederholung 
einer  Zangenextraction  von  den  Kranken  nur  nach  grossem  Widerstreben 
zugestanden  wird.  Es  wird  wohl  heutzutage  kein  Arzt,  der  mit  Stirnspiegel 
und  Schliugenschnürer  umzugehen  weiss,  und  dem  die  rohen,  unsicheren 
und  schmerzhaften  Zangenextractionen  aus  den  chirurgischen  Kliniken  in  der 
Erinnerung  geblieben  sind,  zur  Zange  greifen,  um  Nasenpolypen  zu  operiren. 

Die  Nachbehandlung  nach  diesen  operativen  Eingriffen  ist  eine  einfache, 
da  es  nur  äusserst  selten  zu  einer  stärkeren  Heaction  an  der  verletzten 
Schleimhaut  kommt;  immerhin  empfiehlt  es  sich,  die  Nase  mehrere  Tage,  lang 
mit  Wundwatte  leicht  zu  verstopfen;  stellt  sich  eitrige  Secretion  aus  der  Nase 
ein,  so  lässt  man  einfache  Durchspülungen  {Nasenspüler)  mit  lauwarmem 
Salz-  oder  Borwasser  machen  und  zeitweilig  kleine  Mengen  von  Borsäure  oder 
Sozojodolnatrium  einblasen. 

Die  Reflexneurosen,  besonders  das  Asthma,  verschwinden  in  einzelnen 
Fällen  vollständig,  schon  nach  der  ersten  Operation;  bei  anderen  stellt  sich 
der  Erfolg  nur  allmählich  ein,  erst  nachdem  alle  Polypen  entfernt  sind;  andere 
Male  aber  besteht  die  Neurose  hartnäckig  weiter  und  kann  sogar  durch  die 
Operation  noch  gesteigert  werden;  so  sah  Rethi  „Nieskrampf,  «Schwindel- 
anfälle, Glottiskrampf"  nach  solchen  operativen  Eingriffen;  bei  einer  Patientin 
von  Semon  entwickelte  sich  sogar  nach  der  Entfernung  von  Nasenpolypen 
eine  einseitige  BASEDOw'sche  Krankheit.  kühn. 

Nasenrachenpolypen.  wir  unterscheiden  zweierlei  Arten  von  Nasen- 
rachenpolypen:  1.  Polypenartige  Geschwülste,  die  im  Nasenrachenräume 
selbst  entstehen  und  sich  hier  w^eiter  entwickeln,  die  „typischen  Nasen- 
rachenpolypen'^  und  2.  Polypöse  Tumoren,  die  in  den  benachbarten 
Nasenhöhlen  entstehen,  von  da  in  die  Rachenhöhle  hineinwachsen  und  sich 
dort  weiter  entwickeln,  die  „nicht  typischen  oder  Pseudo- Nasen- 
rachenpolypen" (Nasenmuschelpolypen,  Choanenfibrome  und 
polypöse  Hypertrophien  der  hinteren  Enden  der  unteren  Muschel). 

1.  Der  typische  Nasenrachenpolyp  oder  das  Naseiiracheiifibrom. 

Derselbe  stellt  einen  solitären  harten  Tumor  dar  von  rundlicher  knolliger 
Form  und  von  der  Grösse  eines  Taubeneies  bis  zu  der  einer  grossen  Birne; 
er  entspringt  meist  mit  breiter  Basis  vom  Pharynxdache,  also  von  der  unteren 
Fläche  des  Keilbeinkörpers  und  des  processus  basilaris  des  Hinterhauptbeines, 
von  der  Umgebung  des  foramen  lacerum  anticum  und  von  der  Vorderfläche 
der  Cerebral-  und  Cervical-Wirbelkörper.  Bensch  trennt  sie  nach  ihrem  Ur- 
sprünge in  intra-  und  extra-pharyngeale ;  die  ersteren  gehen  von  der  Fibro- 
cartilago  basilaris,  den  oberen  Halswirbeln  und  von  der  lamina  interna  des 
Flügelfortsatzes  aus,  letztere  vom  foramen  lacerum  anticum  oder  der  fossa 
spheno-palatina.  Die  Neubildung  entwickelt  sich  vom  Periost  aus,  zuweilen 
aber  dringt  das  Gewebe  ihres  Stieles  bis  in  die  Alveolen  des  darunter  ge- 
legenen Knochens  und  zerstört  denselben  bis  auf  ganz  dünne  Lamellen 
(Spillmann,  Follin).  Anfangs  besteht  der  Nasenrachenpolyp  aus  einem  ein- 
zigen Körper  mit  kurzem  breitem  Stiele;  bei  seiner  ungemein  grossen  Wachs- 
thumsenergie  aber  spaltet  er  sich  nach  mehr  oder  minder  kurzer  Zeit  in 
Fortsätze,  die  sich,  um  den  umgebenden  Weich th eilen  auszuweichen,  nach 
verschiedenen  Richtungen,  meist  nach  denen  des  geringeren  Widerstandes  aus- 
dehnen. Der  Körper  des  Polypen  kann  so  gross  werden,  dass  er  im  Pharynx 
bis  zur  Epiglottis  herabreicht;  die  Fortsätze  können  eine,  selbst  beide  Nasen- 


NASENRACHENPOLYPEN.  359 

höhlen  ausfüllen  und  sind  im  Stande,  die  .Scheidewand  zu  verdrängen,  sogar  zu 
zerstören  und  schliesslich  zuweilen  bis  zur  äusseren  Nasenöffnung  herauszu- 
wachsen; oftmals  dringen  diese  Fortsätze  in  Knochenfissuren  und  gelangen 
aus  der  fossa  pterygo-palatina  in  die  Schläfengrube,  wo  sie  am  Jochbogen  zu 
Tage  treten,  oder  auch  durch  das  foramen  sphenopalatinum  in  die  Nasen-, 
resp.  Keilbein-  oder  Kieferhöhle,  oder  endlich  durch  die  fissura  orbitalis 
inferior  in  die  Augenhöhle.  Hierbei  werden  die  Knochenwandungen  mehr 
oder  weniger  zerstört,  und  der  Tumor  kann  an  der  lamina  cribrosa  des  Sieb- 
beines, dem  foramen  lacerum  anticum  die  knöcherne  Schädelbasis  zerstören 
und  in   die  Schädelhöhle  hineinwachsen. 

Erreichen  die  Hauptmasse  der  Neubildung  oder  deren  Fortsätze  die  gegen- 
überliegende Wandung,  so  geht  das  Epithel  der  sich  berührenden  Stellen  in- 
folge des  Druckes  allmählich  verloren  und  es  entstehen  Decubitusgeschwüre, 
Adhäsionen  und  feste  Verwachsungen;  derartig  verwachsene  Fortsätze  machen 
zuweilen  den  Eindruck  eines  Tumorstieles,  stehen  jedoch  zur  Ernährung  des 
Polypenkörpers  in  gar  keiner  Beziehung;  sie  müssen  stets  als  Appendices, 
als  Fortsätze  angesehen  und  als  solche  auch  bei  der  Operation  berücksichtigt 
werden. 

Nach  seiner  Abtragung  stellt  ein  solcher  Tumor  „einen  Körper  dar,  der 
je  nach  Art  und  Zeit  seiner  Entwicklung  einen  oder  viele  Fortsätze  hat: 
der  Körper  entsprechend  der  Nasenrachenhöhle,  wallnuss-  bis  Kinderfaust- 
gross,  die  Fortsätze  von  sehr  verschiedener  Zahl,  Stärke  und  Länge." 

Der  Name  „7ioX'jtiou?"  (Vielfuss)  wird  schon  von  Galen  (Lib.  III.  Comp.  Pharm.)  und 
Paul  Aegineta  (Lib.  IV.  15)  für  die  Nasenpolypen  wie  für  die  Nasenrachenpolypen  wegen 
der  Aehnlichkeit  ihres  Fleisches  und  ihrer  Fortsätze,  mit  dem  Meerpolypen  und  seinen  Fang- 
armen verglichen. 

Was  den  feineren  Bau  dieser  Geschwülste  betrifft,  so  haben  sie  im  all- 
gemeinen den  Charakter  der  harten  Fibrome;  sie  sind  auf  ihrem  Durch- 
schnitte weisslich  oder  blassroth  und  bestehen  aus  Bindegewebsfibrillen,  die 
meist  in  Form  dichter  Bündel  angeordnet  sind  und  oftmals  einen  deutlichen 
concentrischen  Verlauf  um  die  Nerven  und  Gefässe  herum  zeigen;  zellige  Ele- 
mente, die  sogenannten  Bindegewebskörperchen,  sind  nur  in  spärlicher  Zahl 
vorhanden.  Man  findet  zuweilen  in  den  jüngeren  Theilen  der  Geschwulst, 
wie  ja  auch  bei  anderen  Fibromen,  Nester  von  embryonalem  Bindegewebe, 
eine  sogenannte  fibroplastische  Substanz,  die  sich  manchmal  in  solcher  Menge 
vorfindet,  dass  der  Tumor  sarkomartig  zu  sein  scheint;  diese  Verwechslung 
mit  Sarkom  ist  bei  den  häufigen  Recidiven  der  Nasenrachenfibrome,  bei  ihrem 
schnellen  Wachsthume,  bei  den  durch  sie  herbeigeführten  Knochenzerstö- 
rungen und  bei  ihrem  oftmals  tödtlichen  Verlaufe  leicht  erklärlich.  0.  Weber 
sah  Nasenrachenpolypen,  die  anfangs  fibröser,  später  aber  sarkomatöser  Natur 
waren;  er  führt  diese  bösartige  Umwandlung  auf  vorausgegangene  Aetzungen 
des  Tumors  zurück.  Das  fibroide  Gewebe  dieser  Geschwülste  ist  im  allgemei- 
nen sehr  gefässarm,  nur  an  der  Wurzel  findet  sich  eine  grössere  Anzahl  von 
Blutgefässen;  andere  Male  aber  ist  der  Tumor  sehr  reich  sowohl  an  Arterien 
wie  an  Venen,  und  es  besteht  ein  ausgebildetes  cavernöses  Venennetz;  dabei 
sind  die  Blutgefässe  so  innig  mit  dem  fibroiden  Gewebe  verwachsen,  dass 
ihre  Adventitia  stellenweise  vollständig  darin  aufgegangen  ist,  so  dass  sich 
die  Gefässe  bei  einer  eventuellen  Verletzung  nicht  zurückziehen  können  und 
ihre  lumina  dauernd  offen  bleiben  müssen;  die  starre  klaffende  Gefässwan- 
dung  erschwert  die  Bildung  eines  ThromlDus  und  hierin  müssen  wir  den 
anatomisch-mechanischen  Grund  sehen,  weshalb  Blutungen  aus  den  Nasen- 
rachenfibromen so  heftig  sind  und  oftmals  ohne  Kunsthilfe  nicht  zum  Still- 
stand gebracht  werden  können  (Billeoth).  Man  findet  Tumoren,  in  welchen 
wie  bei  den  Angiofibromen  die  Gefässe  in  solcher  Anzahl  vorhanden  sind, 
dass  der  fibromatöse  Bau  fast  gänzlich  zurücktritt  und  die  darin  enthaltenen 


360  NÄSENRACHENPOLYPEN. 

reichlichen  Venennetze  der  Neubildung  das  Gepräge  einer  cavernösen  Ge- 
schwulst haben;  solche  Geschwülste  zeigen  auch  Fluctuationsgefühl  und  ihr 
Volumen  variirt  durch  Ab-  und  Anschwellen.  Die  im  fibrösen  Stroma  ein- 
gesprengten, spindelförmigen  Bindegewebszellen  befinden  sich  hie  und  da  im 
Zustande  fettiger  Degeneration,  was  vielleicht  auf  eine  Rückbildung  hindeu- 
tet (Middeldorf).  Cruveilhiee  und  Maisonneuve  haben  Cysten  in  diesen 
Geschwülsten,  Cloquet  eine  kalkige  Ablagerung  in  Form  einer  Fischgräte 
im  Centrum  des  Tumorstieles  gesehen.  —  Die  Geschwulst  ist  von  einer  unge- 
mein blutreichen,  blaurothen  Schleimhaut  überzogen,  die  der  normalen  Be- 
deckung des  Nasenrachenraumes  ganz  analog  ist;  an  einzelnen  Stellen 
beobachtet  man  zuweilen  kleine  oberflächliche  Geschwüre,  andere  Male  sieht 
man  blosse  Narben  auf  derselben. 

Aetiologie.  Die  typischen  Nasenrachenpolypen  gehören  zu  den  sel- 
tenen Erkrankungen,  werden  jedoch  unter  den  im  Nasenrachenräume  vor- 
kommenden Neubildungen  am  häufigsten  beobachtet.  Die  bis  jetzt  bekannt 
gewordenen  Fälle  belehren  uns,  dass  sie  in  überwiegender  Zahl  bei  männ- 
lichen Individuen  von  10 — 25  Jahren  vorkommen;  einige  wenige  Ausnahmen 
bei  Kindern  unter  10  Jahren  (Veeneuil,  Chapoy),  bei  Männern  über  30  Jahren 
(Robin-Mace),  bei  Mädchen  und  Frauen  (Blanko,  Verneuil,  Gussenbauer) 
sind  bekannt  geworden;  immerhin  muss  für  einige  dieser  Fälle  bei  den  un- 
genauen Angaben  über  den  anatomischen  Bau  der  Geschwülste  bezweifelt 
werden,  ob  es  sich  um  einen  typischen  Nasenrachenpolypen  oder  um  ein 
intrapharyngeales  weiches  Fibrom  oder  gar  um  einen  Choanenpolypen  ge- 
handelt habe.  So  auffallend  das  fast  ausschliessliche  Vorkommen  dieser  Ge- 
schw^ülste  beim  männlichen  Geschlechte  und  während  der  Pubertätsjahre  ist, 
noch  räthselhafter  muss  uns  die  von  mehreren  Chirurgen  beobachtete  weitere 
Thatsache  erscheinen,  dass  ^diese  Tumoren  sich  mit  Abschluss  der  Pubertät 
spontan  zurückbilden,  ja  vollständig  verschwinden  können  (Gosselin,  Lafonte, 
Hüter,  Poisson  (cit.  v.  Bensch),  Grünwald,  Bouchaud);  es  wurde  dies  so- 
"VN'ohl  bei  Tumoren  beobachtet,  die  unvollständig  operirt  als  besonders  auch 
bei  enorm  grossen,  die  gerade  ihrer  Grösse  und  ihres  complicirten  Sitzes 
halber  als  inoperabel  zurückgewiesen  worden  waren. 

Schon  Velpeau  sah  im  Wachsthumsstillstande  und  in  der  Rückbildung  sol- 
cher Nasenrachenpolypen  eine  Analogie  mit  der  spontanen  Involution  der 
Uterusfibrome  während  der  Menopause.  Legouest  sagt  ebenfalls,  dass  das 
Wachsthum  dieser  Geschw^ülste  nach  dem  25. — 30.  Lebensjahre  von  selbst  zum 
Stillstande  komme  und  dass  gar  manche  Heilung  eines  solchen  Polypen  trotz 
unvollständiger  oder  misslungener  Operation  auf  dessen  spontane  Rückbil- 
dung zurückzuführen  sein  dürfte.  Bensch  erklärt  das  fast  exclusive  Vor- 
kommen dieser  Tumoren  bei  Männern  und  ihre  spontane  Involution  nach  der 
Pubertät  in  folgender  Weise: 

1.  Die  Congruenz  der  Schädelentwicklung  bei  beiden  Geschlechtern  im 
Kindesalter  bewirkt  das  gleichzeitige  Vorkommen  der  Nasenrachenpolypen 
bei  beiden. 

2.  Die  Divergenz  der  Schädelentwicklung  des  männlichen  Gesichts- 
schädels zur  Zeit  der  Pubertät  erklärt  den  totalen  Unterschied  bezüglich 
dieser  Krankheit. 

3.  Der  Stillstand  der  Schädelentwicklung  nach  dem  25.  Jahre  erklärt 
das  plötzliche  Verschwinden  dieser  Geschwülste.  Nach  Bensch  ist  demnach 
die  Neuentstehung  einer  solchen  Geschwulst  nach  dem  25.  Lebensjahre  aus- 
geschlossen, ein  Fortbestehen  unwahrscheinlich  und  eine  Rückbildung  der  vor- 
handenen zu  erwarten;  vor  Ablauf  der  Pubertät  kann  man  eine  Radicalheilung 
nur  dann  erwarten,  wenn  die  Insertionsstelle  des  Polypen  von  Grund  aus  zer- 
stört wurde.  Langenbeck  sieht  den  Grund  der  Entwicklung  dieser  Tumoren 
bei   gesunden  jungen  Subjecten    „in  der  excessiven  Vegetationsfähigkeit,   die 


NASENRACHENPOLYPEN.  361 

in  der  Pubertät  vorhanden  ist,  wie  sich  dies  wälirend  dieser  Jahre  auch  in 
Form  der  aufgedunsenen  Nase,  Nasenbluten,  Hautefliorescenzen  zeige!" 

Symptome.  Im  Anfang  macht  sich  diese  Geschwulst  kaum  bemerkbar; 
erst  bei  ihrem  Grösserwerden  fängt  sie  an,  die  Athmung  zu  behindern  und 
der  Sprache  einen  näselnden  Beiklang  zu  verleihen;  bald  stellt  sich  ein  stär- 
kerer seröser  Austiuss  aus  der  Nase  ein,  und  es  treten  zeitweilige  Schmerzen 
in  der  Stirngegend  auf.  Alle  diese  leichten  Erscheinungen  steigern  sich  in 
der  Folge  und  die  jetzt  hinzutretenden  Symptome  hängen  vor  allem  vom  je- 
weiligen Sitze  der  Geschwulst  ab.  Bei  ihrem  stetigen  Wachsthume  kommt 
sie  mit  den  benachbarten  Theilen  des  Nasenrachenraumes  in  Berührung,  es 
entstehen  durch  diese  gegenseitigen  Reibungen  Erosionen  und  Geschwüre  an 
der  Oberfläche  des  Tumors  selbst,  wie  auch  an  den  Wandungen  des  Pharynx, 
den  Choanenrändern  und  den  hinteren  Muschelenden;  bei  dem  grossen  Blut- 
reichthume  der  betroffenen  Schleimhautdecken  stellen  sich  leicht  Nasen- 
blutungen ein,  die  durch  ihre  Heftigkeit,  wie  durch  ihre  Häufigkeit  höchst 
bedenklich  werden  können.  Der  Austiuss  aus  der  Nase  nimmt  allmählich 
eitrige  Beschaffenheit  an,  wird  ungemein  übelriechend,  theils  weil  die  schwer 
entfernbaren  Secretmassen  in  der  Nasenhöhle  liegen  bleiben  und  sich  zer- 
setzen, theils  auch  weil  sie  von  der  geschwürigen  Oberfläche  der  Geschwulst 
und  der  Pharynxtheile  herrühren.  Bei  der  behinderten  Nasenathmung  schläft 
der  Kranke  mit  offenem  Munde  und  seine  Sprache  wird  völlig  klanglos.  Die 
immer  grösser  werdende  Hauptgeschwulst  drückt  und  fixirt  das  Gaumensegel 
so  stark  nach  vorn  und  unten,  dass  sich  Schlingbeschwerden  einstellen  und 
Speise  und  Trank  leicht  in  die  Nasenrachenhöhle  und  Nase  eindringen; 
bei  noch  tieferem  Herabreichen  des  Polypen  gegen  die  Epiglottis  können 
Erstickungsanfälle  eintreten.  Der  Tumor  kann  weiterhin  die  Tubenostien 
vollständig  verlegen  und  dadurch  Taubheit  verursachen,  oder  auch  die  Ent- 
zündung der  Rachenschleimhaut  greift  per  continuitatem  auf  Tuba  und  Pauken- 
höhle über  und  es  kommt  zur  eiterigen  Mittelohrentzündung.  Ausserdem 
klagen  auch  solche  Kranke  über  intensive  Stirnkopfschmerzen  oder  andere 
heftige  Neuralgien  und  Parästhesien  im  Gebiete  des  zweiten  Trigeminusastes. 

Bilden  sich  Tumorfortsätze  und  wachsen  dieselben  durch  die  Choanen 
in  die  Nasenhöhle  oder  durch  die  untere  Augenhöhlenfissur  in  die  Orbita 
oder  endlich  durch  die  fissura  pterygo-maxillaris  gegen  den  Jochbogen  zu 
u.  s.  w.,  so  machen  sich  im  Gesichte  charakteristische  Entstellungen  be- 
merkbar. Die  Nasenknochen  werden  auseinander  gedrängt,  der  Nasenrücken 
verbreitert,  die  Nasenscheidewand  wird  verbogen  selbst  zerstört,  der  Bulbus 
verdrängt,  die  Kranken  schielen  und  klagen  über  Doppeltsehen;  der  Augapfel 
wird  stark  vorgetrieben,  die  Jochbogengegend  schwillt  an;  ist  ein  solcher 
Fortsatz  bis  in  die  fossa  temporalis  gedrungen,  so  werden  die  Kaubewe- 
gungen erschwert,  ja  der  Unterkiefer  kann  luxirt  w^erden  (Postel);  schliess- 
lich kann  an  der  Ansatzstelle  des  Tumors  die  Schädelbasis  sich  verdünnen 
und  perforiren,  oder  ein  Geschwulstfortsatz  dringt  indirect  dui'ch  eine 
Knochenfissur  in  das  Schädelinnere;  hiedurch  entstehen  dann  Gehirnerschei- 
nungen, wie  Schwindel,  Erbrechen,  Schlafsucht,  Pulsverlangsamung,  Nacken- 
starre, Meningitis  u.  s.  w.;  in  den  meisten  Fällen  jedoch  ist  der  Tod  solcher 
Patienten  nicht  die  Folge  einer  derartigen  Gehirncomplication,  sondern  er 
tritt  öfters,  in  einem  Zeiträume  von  2- — 3  Jahren  entweder  durch  Erstickung 
oder  durch  zunehmende  Erschöpfung  infolge  der  häufigen  Blutungen  ein. 
Letztere  treten  oft  ganz  ohne  jede  äussere  Veranlassung  auf,  sind  zuweilen 
enorm  und  können  direct  tödtlich  werden;  Bensch  bezieht  dieselben  nicht 
auf  den  Tumor  selbst,  sondern  auf  die  Blutgefässe  des  Schleimhautüberzuges. 
Bei  der  Operation  jedoch  stammen  sie  aus  den  weiten  venösen  Räumen  der 
Geschwulstmasse  selbst.  Der  tödtliche  Ausgang  ist  die  Regel  für  alle  Fälle 
ohne   operative  Behandlung,    und  nur  jene  wenigen  Beobachtungen  aus  der 


362  NASENRACHENPOLYPEN. 

Literatur  machen  hievon  eine  Ausnahme,  bei  denen  gegen  das  Ende  der 
Pubertätsjahre  die  Neubildung  sich  spontan  zurückgebildet  hatte. 

Diagnose.  In  den  Frühstadien  werden  diese  Polypen  nur  zu  oft  über- 
sehen; ihre  geringgradigen  Symptome  gleichen  denen  eines  chronischen 
Schnupfens  und  eine  genauere  rhinoskopische  Untersuchung  wird  versäumt 
und  gerade  zu  dieser  Zeit  schon  könnte  man  bei  dieser  Untersuchungsmethode 
den  Tumor  sehen,  gleichwie  ihn  auch  ein  mit  der  hinteren  Rhinoskopie  nur 
wenig  vertrauter  Arzt  bei  der  Digitaluntersuchung  zu  erkennen  und  zugleich 
seine  Härte  und  seinen  Ursprung  zu  bestimmen  imstande  ist.  Schwieriger  ist 
es  im  Anfange  sicher  zu  bestimmen,  ob  es  sich  um  einen  typischen  Nasen- 
rachenpolypen  oder  ein  einfaches  Fibrom  oder  einen  Choanaltumor  handelt. 
Auch  einfache  Nasenpolypen,  die  im  hinteren  Nasenabschnitte  entstanden  und 
in  den  Pharynxraum  gewachsen  sind,  können  mit  einem  Nasenrachenpolypen 
verwechselt  Averden.  Carcinome  des  Nasenrachenraumes  sind  ungemein  selten 
und  kommen  nur  bei  älteren  Leuten  vor;  die  hiebei  stets  vorhandenen  Drü- 
senanschwellungen, wie  auch  die  heftigen  Schmerzen  im  Halse  fehlen  beim 
Nasenrachenfibrom.  Zwischen  dem  Sarkom  und  Fibrom  dagegen  sind  die  Un- 
terschiede geringer,  um  so  mehr,  als  Uebergänge  von  Fibrom  in  Fibrosarkom 
oder  reines  Sarkom  beobachtet  worden  sind;  hier  unterscheidet  nur  die  mikros- 
kopische Untersuchung.  Auch  Enchondrome  sind  für  Nasenrachenpolypen  ge- 
halten worden,  DuPLaY  hat  einen  vom  ersten  Halswirbel  ausgehenden  Retro- 
pharyngealabscess  anfangs  für  einen  derartigen  Tumor  gehalten,  bis  die 
Fluctuation  die  Diagnose  klar  stellte.  Cruveilhier  erwähnt  in  seiner  patho- 
logischen Anatomie  einen  Fall  von  Gehirnprolaps  durch  die  zerstörte  Lamina 
cribrosa  des  Siebbein  der  zu  einem  ähnlichen  Irrthume  Veranlassung  gab. 
Vor  dem  Auftreten  cerebraler  Symptome  wird  es  nicht  leicht  sein  festzustellen, 
ob  der  Tumor  die  Schädelbasis  schon  durchbrochen  hat. 

Hat  der  Tumor  schon  Fortsätze  getrieben  oder  bestehen  Verwachsungen, 
so  ist  seine  Natur  nicht  mehr  zweifelhaft;  auch  sprechen  alsdann  hiefür  die 
anderen  klinischen  Erscheinungen,  die  häufigen  Blutungen,  der  stinkende 
Nasenausfluss  u.  s.  w^;  zuweilen  reicht  der  Tumor  so  weit  nach  abwärts,  dass 
er  vom  Munde  aus  besonders  beim  Aufheben  des  Gaumensegels  als  blaurothe 
runde  Geschwulst  sichtbar  ist. 

Sitz  und  Ursprung  der  Neubildung  lassen  sich  leichter  durch  die  Pal- 
pation als  im  rhinoskopi sehen  Bilde  erkennen;  bei  sehr  voluminösen  Tumoren, 
die  den  Nasenrachenraum  fast  vollständig  ausfüllen,  ist  es  zuweilen  erst  nach 
der  Exstirpation  möglich,  die  Ursprungsstelle  zu  erkennen. 

Prognose.  Wenn  auch  diese  Fibrome  als  Geschwulstform  nicht  ma- 
ligner Natur  sind,  so  bedrohen  sie  doch  in  bedenklicher  Weise  durch  ihr  Wachs- 
thum  und  ihre  häufigen  erschöpfenden  Blutungen  das  Leben  der  Patienten;  auch 
ihrer  häufigen  Recidive  halber  müssen  wir  in  ihnen  ein  sehr  ernstes  und  ominöses 
Leiden  sehen.  Das  Alter  der  Patienten  ist  für  die  Prognose  höchst  wichtig; 
je  jünger  der  Kranke,  desto  schneller  wachsen  diese  Geschwülste  und  desto 
leichter  recidiviren  sie;  je  älter  dagegen,  je  mehr  sich  der  Patient  dem 
Mannesalter  nähert,  desto  eher  dürfen  wir  hoffen,  dass  die  Geschwulst  nicht 
mehr  recidivirt,  ja  sogar  sich  vollständig  zurückbildet. 

Behandlung:  In  den  Frühstadien  können  diese  Fibrome,  besonders 
wenn  sie  einen  gut  fühlbaren  Stiel  und  noch  keine  Verwachsungen  besitzen, 
vermittelst  der  galvanokaustischen  Schlinge  abgetragen  werden;  man  führt 
mit  der  rechten  Hand  eine  in  der  elektrischen  Führungsröhre  liegende  und 
gut  federnde  Stahldrahtschlinge  durch  den  unteren  Nasengang  bis  in  den 
Nasenrachenraum  und  sucht  dann,  mit  Zeige-  und  Mittelfinger  der  linken 
Hand  von  der  Mundhöhle  aus,  die  Schlinge  um  den  Tumor  so  hoch  als 
möglich  zu  legen.  Allerdings  gelingt  dies  trotz  Vorsicht  und  Geduld  nicht 
in  allen  Fällen;   bei  schwereren  zieht  Moldenhauee  die  Drahtschlinge,  ver- 


NASENRACHENPOLYPEN.  363 

mittelst  einer  BELLOc'schen  Eöhre,  vom  Munde  her  in  die  Nase  und  sucht 
nun  vom  Rachen  aus  mit  zwei  Fingern  die  Schlinge  über  den  Tumor  hinauf- 
zuschieben, um  schliesslich  die  zur  äusseren  Nasenöffnung  herausragenden 
beiden  Drahtenden  im  galvanokaustischen  Schiingenträger  zu  fixiren.  Grün- 
wald führt  die  BELLOc'sche  Sonde  zu  beiden  Seiten  des  Tumors  ein,  um  so 
jedes  der  beiden  Drahtenden  vom  Munde  her  gesondert  durch  den  unteren 
Nasengang  führen  zu  können.  Die  Schlinge  muss  langsam  zusammengezogen 
und  der  elektrische  Strom  abwechselnd  geschlossen  und  geöffnet  werden;  der 
Draht  wird  hiebei  nur  rothglühend  und  übt  grössere  hämostatische  Wirkung  aus. 
Beim  Abschneiden  dieser  Fibrome,  besonders  derer  mit  breiter  Basis,  treten 
nicht  selten  starke  Blutungen  auf;  zu  ihrer  Stillung  bringt  man  am  besten 
mit  einer  gekrümmten  Kornzange  einen  grossen  festen  Wattetampon  in  den 
Nasenrachenraum  und  drückt  ihn  eine  Zeit  lang  stark  gegen  das  Ilachendach 
an;  wenn  nothwendig,  werden  noch  mehrere  Tampons  eingeführt  und  der 
nasale  Pharynx  damit  ausgefüllt  (Voltolini).  Zaufal  empfiehlt  schon  vor 
der  Operation  vom  Munde  her  einen  Faden  durch  die  Nase  zu  legen  und 
an  dessen  Mundende  einen  dicken  Wattetampon  zu  befestigen,  der  dann  im 
Nothfalle  in  den  Rachenraum  gezogen  werden  kann;  auch  kann  man  unter 
solchen  Umständen  bei  herabhängendem  Kopfe  die  Digitalcompression  an  der 
blutenden  Stelle  ausüben. 

Das  Ligaturverfahren  ist  in  früheren  Jahren  vielfach  zur  Anwendung 
gekommen;  um  starke  Blutungen  zu  verhindern,  verkürzte  man  einige  Zeit 
hindurch  täglich  dre  Schlinge;  allein  es  schwoll  hiebei  der  Polyp  stark  an 
und  es  traten  Erstickungsanfälle  auf,  oder  auch  der  Tumor  fiel  während  des 
Schlafes  ab  und  war  in  die  Luftwege  gerathen. 

In  ähnlicher  Weise  haben  Chassaignac  und  Maisonneuve  mit  ihrem 
^ßcraseur'-^  und  ^^Constricteur'-'-  und  Pean  mit  seiner  ,^Scie  pince''  operirt. 
Gegenüber  diesen  Methoden  ist  die  galvanokaustische  Schlinge  zweifelsohne 
einfacher  und  gefahrloser,  sie  ist  aber  nur  bei  ziemlich  frühzeitiger  Diagnose 
anwendbar. 

Ist  die  Geschwulst  zu  voluminös  geworden,  bestehen  schon  Verwach- 
sungen, haben  sich  Fortsätze  entwickelt,  so  müssen  wir  bei  Kranken,  die  dem 
Mannesalter  nahe  stehen,  durch  Palliativoperationen  versuchen,  die  Beschwer- 
den zu  lindern  und  die  Gefahren  zu  beseitigen;  auf  diese  Art  und  Weise  soll 
abgewartet  werden  bis  der  Patient  jenes  Alter  erreicht,  wo  wir  auf  eine 
spontane  Rückbildung  dieser  Geschwülste  rechnen  dürfen.  Bei  jüngeren  In- 
dividuen dagegen,  die  erst  am  Anfange  der  Pubertätsjahre  stehen,  liegen  in 
dem  fortschreitenden  Wachsthume  der  Geschwulst,  in  den  allzu  häufigen  pro- 
fusen Blutungen  so  bedenkliche  und  gefahrdrohende  Symptome  vor,  dass  wir 
deren  Beseitigung  durch  eine  spontane  Involution  vor  Ablauf  eines  längeren 
Zeitraumes  nicht  abwarten  können;  bei  solchen  Patienten  erscheint  eine  Ra- 
dicaloperation  gerechtfertigt. 

Die  Palliativoperationen  bezwecken,  durch  Verkleinerung  der  voluminösen 
Geschwulst  die  Athem-  und  Schluckbeschwerden  wie  auch  die  profusen  Nasenblu- 
tungen zu  vermindern  und  möglicherweise  auch  die  spontane  Rückbildung  zu 
befördern.  Am  meisten  haben  sich  hiefür  die  Galvanokaustik  und  die  Elek- 
trolyse bewährt;  man  trägt  entweder  mit  der  galvanischen  Schlinge  in  ähnlicher 
Weise,  wie  wir  dies  oben  beschrieben  haben,  Stücke  des  Tumors  ab  oder  man 
bohrt  messer-  oder  kuppeiförmige  Brenner  an  verschiedenen  Stellen  in  die 
Geschwulst  ein  und  sucht  so  dieselbe  allmählich  zu  zerstören,  respective  zu 
verkleinern.  Bensch  hat  für  diesen  Zweck  einen  bogenförmigen  galvano- 
kaustischen „Doppelmeissel"  empfohlen.  —  Voltolini  zuerst  hat  für  derar- 
tige Neubildungen  die  Elektrolyse  in  Anwendung  gebracht,  und  seitdem 
Kuttner  gezeigt  hat,  dass  auch  bei  wiederholter  Anwendung  derselben  und 
bei  sehr  hohen  Stromstärken    eine    Schädigung   des  Gehirnes   nicht   eintritt, 


364  NASENRACHENPOLYPEN. 

ist  dieselbe  ziemlich  häufig  angewendet  worden.  Eine  Reihe  von  Erfolgen 
(Kael  Michel  u.  A.)  hat  gezeigt,  dass  wir  vermittelst  dieser  Methode  die 
Geschwülste  verkleinern,  dieselben  sogar  völlig  heilen  können;  eine  grössere 
Zahl  von  Sitzungen  ist  hiebei  immer  nothwendig  gewesen.  Die  von  Vol- 
TOLiNi  zu  diesem  Zwecke  angegebene  Doppelnadel  wird  entweder  vom  un- 
teren Nasengange  oder  vom  Munde  aus  in  verschiedene  Theile  des  Tumors 
eingestochen,  während  die  andere  Elektrode  auf  die  Brust  gesetzt  wird.  Die 
Heilung  erfolgt  durch  das  Zusammensinken  der  Neubildung  ohne  Eiterung 
oder  es  bilden  sich  Schorfe  um  die  Einstichsstellen,  die  sich  durch  die  nach- 
folgende Entzündung  und  Eiterung  abstossen.  —  Was  die  Radicaloperation  an- 
belangt, so  kann  nicht  mehr  angezw^eifelt  werden,  dass  sich  bei  frühzeitiger 
Anwendung  der  hinteren  Rhinoskopie  die  Fälle  mehren  werden,  wo  die  Nasen- 
rachenpolypen  noch  nicht  aussergew^öhnlich  gross,  noch  ohne  complicirende 
Fortsätze  sind  und  vermittelst  der  galvanokaustischen  Schlinge  oder  der  Elek- 
trolyse radical  entfernt  werden  können.  Es  ist  das  grosse  Verdienst  von 
Bensch  und  Voltolini  gezeigt  zu  haben,  „dass  man  auf  rhinoskopischem 
Wege  —  Elektrolyse  und  galvanokaustische  Schlinge  —  ohne  Voroperation 
oder  nur  nach  einer  kleinen  ungefährlichen  und  nicht  entstellenden,  Nasen- 
rachenpolypen  radical  zu  operiren  vermag";  Bensch  fordert  deshalb  auch,  „dass 
diese  Kranken  nicht  dem  Chirurgen,  sondern  dem  Rhinologen  überwiesen 
werden  sollen". 

Noch  immer  beachten  die  meisten  Chirurgen  diese  verhältnismässig  ein- 
facheren Methoden  nicht  oder  nur  wenig;  sie  operiren  stets  nach  den  ver- 
schiedenen Verfahren  früherer  Jahre.  Eine  der  einfacheren  chirurgischen 
Methoden  ist  noch  die  von  König  für  nicht  aussergewöhnlich  grosse  Tumoren 
angegebene:  er  führt  nach  Spaltung  der  Nase  einen  langgestielten,  nicht  sehr 
scharfen  aber  ziemlich  grossen  Löffel  durch  den  unteren  Nasengang  in  den 
Pharynx  und  drängt  nun  mit  Hilfe  des  in  den  Rachenraum  eingeführten 
Zeigefingers  der  anderen  Hand,  den  Polypen  nach  vorn,  um  ihn  schliesslich 
abzureissen.  Sonst  kommen  hier  hauptsächlich  die  temporäre  Resection  des 
Oberkiefers  (von  Langenbeck),  die  Resection  der  Nasenknochen  (Ollier),  die 
partielle  Abtragung  des  knöchernen  Gaumens  (Nelaton,  Gussenbauer)  oder 
auch  die  Quer-  und  Längsspaltung  des  weichen  Gaumens  (Manne,  Dieffen- 
BACH,  BöCKEL,  Weber)  in  Betracht;  alles  operative  Eingriffe,  die  meist  grosse 
Entstellungen  im  Gesichte  des  Patienten  hinterlassen. 

Nachdem  man  sich  durch  diese  sogenannten  Präliminaroperationen  Zugang 
zum  Tumor  geschaffen  hat,  wird  derselbe  entweder  mit  einem  gekrümmten 
stumpfendigen  Bistouri  (Dieffenbach)  abgeschnitten  und  der  Stumpf  des  Tu- 
mors ausgemeisselt  (Borelli,  Guerin  und  Ollier)  oder  mit  dem  Pacquelin 
ausgebrannt.  —  Ausser  den  narbigen  Verstümmelungen,  welche  diese  Vor- 
operationen im  Gesichte  hinterlassen,  liegt  die  Gefahr  der  Blutungen  in  die 
Luftwege  während  derselben  vor  und  es  soll  fast  immer  die  Tracheotomie 
der  Operation  vorausgehen.  Den  Wert  aller  dieser  Operations  verfahren 
schildert  uns  König  mit  den  Worten  Dieffenbach's:  „Eine  derartige  Operation 
nimmt  die  ganze  Gewandtheit,  Sicherheit  und  ünerschrockenheit  des  erfahrenen 
Chirurgen  in  Anspruch;  er  hat  fast  nur  zwischen  Dreierlei  zu  wählen:  Er- 
stickung des  Kranken,  wenn  er  die  Unterbindung  des  Polypen  macht,  zu 
Tode  bluten  bei  der  Operation  durch  Ausschneiden  und  Ausreissen  oder  Nicht- 
voUendung  der  Operation."  Dieser  Ausspruch  gilt  auch  heute  noch  voll  zu 
Recht  trotz  einer  vollkommeneren  Technik,  und  trotz  Antisepsis  und  er  müsste 
gewässermassen  den  Praktiker  verpflichten,  die  rhinoskopische  Untersuchungs- 
methode zu  erlernen,  um  derartige  Nasenrachenpolypen  schon  in  ihren  An- 
fangsstadien zu  erkennen  und  sie  in  verhältnismässig  einfacherer  Weise  zu 
operiren. 


NASENRACHENPOLYPEN.  365 

Mag  man  nun  in  der  einen  oder  anderen  Weise  operirt  haben,  stets  ist 
es  nothwendig,  die  Insertionsstelle  des  Polypen  gründlich  zu  zerstören,  um 
neuen  Recidiven  vorzubeugen;  auch  hiefür  ist  das  Ausbrennen  der  betreffen- 
den Stellen  mit  dem  galvanokaustischen  Kuppelbrenner  allen  früheren  Mitteln, 
wie  Ruginen,  scharfen  Löffeln  und  Meissein  vorzuziehen;  dasselbe  kann  aber 
sicher  und  genau  nur  bei  der  hinteren  Rhinoskopie  gemacht  werden,  was  auch 
König  zugibt,  wenn  er  die  Kenntnis  der  hinteren  Rhinoskopie  von  allen  jenen 
Aerzten  verlangt,  die  gewissenhaft  die  Reste  einer  Geschwulst  der  Rachen- 
höhle entfernen  wollen. 

2.  Pseiulo-Nasenracheiipolypeii. 

Mit  diesem  Namen  fassen  wir  alle  gutartigen  polypenförmigen  Ge- 
schwülste zusammen,  die  an  irgend  einem  Theile  des  hinteren  Nasenabschnittes 
ihren  Ursprung  nehmen  und  erst  mit  ihrem  stärkeren  Wachsthum  in  den  Na- 
senrachenraum gelangen  und  denselben  mehr  oder  weniger  ausfüllen.  Es 
sind  dies  a)  Schleimpolypen  an  den  hinteren  Abschnitten  der  unteren 
und  mittleren  Muschel,  ß)  Fibrome,  die  am  Choanenrande  und  speciell 
am  hinteren  Ende  des  Septum  entspringen  und  7)  polypöse  Hypertro- 
phien des  hinteren  Endes  der  unteren  Nasenmuscheln. 

Die  Schleimpolypen  stellen  auch  hier,  wie  in  der  Nasenhöhle  selbst, 
länglich  runde  gestielte  grauröthliche  Tumoren  dar;  ihre  Form,  Consistenz 
wie  auch  ihre  mikroskopische  Structur  sind  die  gleichen  wie  die  des  gewöhn- 
lichen Nasenpolypen,  also  die  des  weichen  ödematösen  Fibroms  mit  seiner 
Drüsen-  und  Cystenbildung;  sie  stellen  demnach  auch  hier  nur  eine  Wucherung 
der  normalen  Schleimhautelemente  ihres  Mutterbodens  dar.  Meist  finden  wir, 
neben  Polypen  der  Nasenhöhle  selbst,  eine  oder  mehrere  derartige  Geschwülste, 
die  von  einem  tieferen  Nasenabschnitte  entspringend,  nach  hinten  zu  sich  ent- 
wickelt haben  und  in  den  Nasenrachenraum  hinein  gewachsen  sind;  zuweilen 
verwachsen  mehrere  Nasenpolypen  mit  einander,  theils  an  ihrem  Stiele  theils 
an  ihrem  Körper  und  nur  der  hinterste  dieser  Polypen  oder  auch  mehrere 
drängen  sich  durch  die  Choanen  in  den  Nasenrachenraum. 

Diese  Tumoren  erreichen  selten  eine  so  beträchtliche  Grösse  wie  die  här- 
teren Choanal-Fibrome,  sie  bilden  auch  keine  Fortsätze  und  gehen  keine  Ver- 
wachsungen mit  den  Nachbarth  eilen  ein;  durch  die  völlige  Verlegung  der 
hinteren  Nasenöffnung  rufen  sie  die  bekannten  Beschwerden  der  behinderten 
Nasenathmung  hervor:  offener  Mund,  gestörter  Schlaf,  näselnde  Stimme,  all- 
gemeine Nervosität  u.  s.  w.;  nicht  selten  klagen  auch  diese  Kranken  über 
Schwerhörigkeit  und  Ohrensausen. 

Die  an  den  Choanen  rändern  und  besonders  am  hinteren  Ende  der 
Scheidewand  entspringenden  Geschwülste  sind  derbere  und  härtere  Fibrom- 
arten als  die  oben  geschilderten  Schleimpolypen;  sie  bestehen  aus  viel  feste- 
rem Fasergewebe,  sind  arm  an  Blutgefässen  und  haben  ein  trockenes,  weiss- 
liches  Aussehen;  auch  sie  besitzen  weder  Fortsätze  noch  gehen  sie  Verwach- 
sungen mit  den  Nachbartheilen  ein;  dagegen  erreichen  sie  häufig  ein  viel 
grösseres  Volumen  als  die  oben  geschilderten  Schleimpolypen  und  können 
zu  einer  so  enormen  Grösse  gedeihen,  dass  sie  bis  zum  Larynxeingang  herab- 
reichen (Stoeek,  Zaufal). 

Schliesslich  haben  wir  die  polypösen  Hypertrophien  der  hinteren 
unteren  Muschelenden,  die  so  gross  werden  können,  dass  sie  die  Choane  voll- 
ständig ausfüllen,  in  die  Nasenrachenhöhle  hineinragen  und  zuweilen  das 
Tubenostium  verlegen;  ihr  Wachsthum  ist  ein  langsames,  sie  erreichen  jedoch 
zuweilen  die  Grösse  eines  Taubeneies;  ihre  Oberfläche  ist  unregelmässig,  him- 
beerartig und  stark  hyperämisch.  Diese  Tumoren  stellen  Hyperplasien  des 
hinteren  Muschelendes  dar  und  bestehen  aus  einem  dichten,  aber  doch  zellen- 
reichen Bindegewebsstroma  mit  zahlreichen  alten  und   neugebildeten  Blutge- 


366  NASENRACHENPOLYPEN. 

fassen.  Bei  stärkerer  Entwicklung  rufen  auch  sie  die  gleichen  Sjanptomeund 
Beschwerden  hervor,  w^ie  die  beiden  oben  erwähnten  Geschwulstarten. 

In  den  meisten  Fällen  wird  es  möglich  sein,  alle  diese  Geschwülste  von 
der  Nase  aus  mit  der  kalten  oder  der  Glühschlinge  abzutragen.  Die  Leitungs- 
röhre des  Instrumentes  muss  länger  sein  als  für  die  gewöhnlichen  Nasenpolypen 
und  vor  allem  muss  man  sich  eines  gut  federnden  Drahtes  (z.  B.  Ciavier- 
draht) bedienen;  in  manchen  Fällen  ist  es  nothwendig,  wie  bei  den  typischen 
Nasenrachenpolypen,  die  durch  die  Nase  eingeführte  Schlinge  vermittelst  der 
Finger  vom  Munde  her,  über  den  Polypen  hinaufzuscMeben.  Bei  den  Schleim- 
polypen wie  bei  den  Choanalfibromen  reicht  die  kalte  Schlinge  aus,  denn 
nur  selten  entstehen  hiebei  starke  Blutungen;  haben  wir  jedoch  im  rhinosko- 
pischen  Bilde  die  vorliegende  Geschwulst  an  ihrer  unebenen  papillomatösen 
Oberfläche  und  an  ihrer  stärkeren  ßöthe  als  eine  polypöse  Hypertrophie  der 
unteren  Muschel  erkannt,  so  muss  die  galvanokaustische  Schlinge  in  Anwen- 
dung kommen,  weil  diese  Tumorart  häufig  zu  profusen  Blutungen  Veran- 
lassung gibt. 

Bei  der  Schiingenoperation  gelingt  es  fast  immer,  den  Polypen  mit  der 
Schlinge  aus  der  Nase  herauszuziehen;  doch  könnte  es  vorkommen,  dass  der 
Glühdraht  den  Stiel  des  Tumors  so  prompt  durchschneidet,  dass  die  Geschwulst 
aus  der  Schlinge  heraus  in  den  Kehlkopf  oder  in  die  Speiseröhre  hinabfällt; 
eingedenk  dieser  Möglichkeit  muss  man  darauf  gefasst  sein,  die  Neubildung 
rasch  mit  dem  Finger  oder  mit  einer  Zange  herauszuholen.  Rethi  gibt  eine 
galvanokaustische  Leitungsröhre  an,  deren  vorderes  Ende  durch  ein  Charnier- 
gelenk  nach  der  Seite  umgelegt  werden  kann  und  so  das  Anlegen  der  Schlinge 
erleichtert. 

Bei  sehr  grossen  Choanalfibromen  kann  man  vom  Munde  aus  vermittelst 
einer  rechtwinklig  gebogenen  MuzEux'schen  Zange  oder  auch  mit  dem  von 
mir  für  die  Abtragung  der  hypertrophischen  Pharynxtonsille  angegebenen  In- 
strumente den  Tumor  fassen  und  ihn  losreissen  (Hansberg).  Lange  führt 
einen  rechtwinkligen  stumpfen  Haken,  ähnlich  dem  Decapitationshaken  der 
Geburtshelfer,  durch  die  Nase  in  den  Pharynxraum  und  zieht  damit  die  vom 
Munde  her  durch  den  Finger  in  die  Choane  hineingedrängte  Geschwulst  stark 
nach  vorn,  bis  sie  von  ihrem  Ursprünge  abgerissen  wird.  Zaufal  gelang 
es  ein  11  bis  16  cm  langes,  6  cm  breites  und  12  g  schweres  Fibrom  vom 
Munde  her  auszureissen;  dasselbe  hatte  seinen  Ursprung  am  hinteren  Rande 
des  Septum  und  dem  oberen  Choanenbogen. 

Eine  eigenthümliche,  seltene  Geschwulstform  des  oberen  Pharynxraumes 
wurde  von  Conitzer  unter  dem  Namen  des  behaarten  Rachenpolypen 
beschrieben.  Conitzer  hat  ausser  seinem  Falle  noch  neun  ähnliche  in  der 
Literatur  auffinden  können;  bei  allen  diesen  handelte  es  sich  sieben  mal  um 
angeborene  Tumoren,  in  den  übrigen  3  Fällen  betraf  es  13-,  22-  und  26jährige 
Individuen.  Die  Neubildung  war  immer  von  der  linken  Seite  der  vorderen 
Pharynxwand  ausgegangen,  und  zwar  vom  Pharynxdache  oder  von  der  oberen 
hinteren  Fläche  des  weichen  oder  harten  Gaumens.  Die  Hauptmasse  der  Ge- 
schwulst bestand  aus  Fettgewebe  und  ihre  Bedeckung  hatte  die  Charaktere  der 
behaarten  äusseren  Haut;  in  den  einzelnen  Fällen  sind  Schweissdrüsen,  glatte 
und  quergestreifte  Muskelfasern  gefunden  worden;  letztere  bildeten  in  der 
Beobachtung  von  Schuchardt  den  Kern  des  Polypen.  Die  Haare  waren  meist 
pigmentlos,  auch  hell  oder  dunkelblond.  In  einigen  Fällen  fand  sich  hyaliner 
oder  elastischer  oder  Faserknorpel  mit  deutlichem  Perichondrium.  Schuchardt 
sieht  diese  Tumoren  als  parasitäre  Doppelmissbildungen  an  (foetus  in  foetu), 
während  Conitzer  mehr  der  Ansicht  Arnold's  zuneigt,  der  sie  bei  der  Ent- 
wicklung der  Mundrachenhöhle  aus  verirrten  Gewebskeimen  entstehen  lässt. 
Im  Falle  von  Conitzer  handelte  es  sich  bei  einem  26jährigen  Arbeiter  um 
einen   mandelgrossen  flaschenförmigen    Tumor,    der   links    neben    der  Uvula 


NERVÖSE  GEHÖRAFFECTIONEN.  367 

herabhing  und  unterhalb  der  linken  Choane  mit  einem  bleistiftdicken  Stiele 
entsprang;  die  Geschwulst  wurde  mit  der  kalten  Schlinge  extrahirt. 

KUHN. 

Nervöse  GehÖraffectIonen.  Es  ist  schwer,  das  Gebiet  der  nervösen 
Affectionen  des  Gehörorgans  zu  bestimmen,  da  im  gegebenen  Falle  das  gleich- 
zeitige Bestehen  anatomischer  Läsionen,  namentlich  wenn  diese  unbedeutend 
und  einer  directen  objectiven  Untersuchung  unzugänglich  sind,  klinisch  nicht 
immer  ausgeschlossen  werden  kann.  Hiezu  kommt  noch,  dass  sich  die  ner- 
vösen Gehörstörungen  sehr  oft  organischen,  zuweilen  leichten  Veränderungen 
zugesellen;  in  derartigen  Fällen  kann  es  geradezu  unmöglich  werden,  den 
Antheil  zu  bestimmen,  welchen  die  verschiedenen  Factoren  an  dem  Zustande- 
kommen des  Krankheitsbildes  nehmen.  Wir  wollen  uns  hier,  der  üblichen 
Classification  folgend,  mit  der  echten  Hyperacusis,  mit  der  schmerzhaften 
Hyperästhesie,  den  subjectiven  Ohrgeräuschen  (obzwar  diese  letz- 
teren in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  organische,  mehr  oder  weniger  bedeutende 
Alteration  des  Gehörorgans  bedeuten)  und  schliesslich  mit  den  verschiedenen 
Formen  der  nervösen  Taubheit  (reflectorischen  oder  hysterischen  Charak- 
ters) beschäftigen. 

Hyperacusis.  Es  müssen  zwei  Formen  der  acustischen  Hyperacusis 
unterschieden  werden.  Bei  der  einen  handelt  es  sich  um  eine  wirkliche 
Steigerung  der  Gehörschärfe,  welche  die  normale  übertrifft.  Die  andere  Form 
könnte  eher  als  schmerzhafte  Hyperacusis  bezeichnet  werden  und 
zeichnet  sich  durch  das  Vorhandensein  einer  Art  von  Schmerz  aus,  welchen 
Schallwirkungen,  auch  wenn  sie  von  geringer  Intensität  sind,  im  Patienten 
hervorrufen. 

Echte  Hyperacusis,  Oxyecoia.  Diese  kommt  äusserst  selten  vor, 
und  ich  gestehe,  dass  mir  mit  Sicherheit  kein  einziger  Fall  begegnet  ist. 
Die  in  der  Literatur  angeführten  Fälle  sind  schwer  zu  beurtheilen,  denn  oft 
handelte  es  sich  um  hysterische  Individuen,  in  welchen  die  psychischen  Er- 
scheinungen über  diejenigen  der  Gehörsempfindungen  die  Oberhand  gewannen, 
noch  öfters  war  die  Steigerung  der  Gehörsschärfe  nur  eine  scheinbare,  da 
die  Schmerzgefühle,  welche  auch  geringfügige  und  von  den  Anwesenden  kaum 
wahrgenommene  Geräusche  in  den  Kranken  hervorriefen,  die  Hörschärfe  der- 
selben excessiv  gesteigert  erscheinen  Hessen.  Die  gleiche  Erscheinung  wurde 
auch  bei  Reizzuständen  des  Gehörorgans  beobachtet,  namentlich  wenn  sie 
schweren  intracraniellen  oder  Labyrinthveränderungen  vorangehen. 

In  allen  diesen  Fällen  wäre  es  von  Wichtigkeit,  genau  die  Hörschärfe 
zu  messen,  und  man  würde  sehr  wahrscheinlich  hiebei  erkennen,  dass  die- 
selbe die  normalen  Grenzen  nicht  überschreitet. 

Die  schmerzhafte  Hyperacusis  hingegen  kommt  in  der  Praxis 
oft  vor;  sie  kann,  namentlich  bei  nervösen  Individuen,  bei  normaler  Hör- 
schärfe und  Integrität  des  Gehörorgans  beobachtet  werden;  gewöhnlich  jedoch 
gesellt  sie  sich  zu  einer  mehr  oder  weniger  deutlichen  Herabsetzung  der 
Hörschärfe  und  in  aussergewöhnlichen  Fällen  wurde  sie  auch  bei  vollstän- 
digem Fehlen  jedweder  acustischen  Empfindung  constatirt. 

Die  schmerzhafte  Hyperacusis  manifestirt  sich  oft  nach  Entfernung  von 
grossen  Cerumenpfröpfen,  welche  den  äusseren  Gehörgang  vollständig  aus- 
füllen und  schon  seit  vielen  Jahren  bestanden.  In  derartigen  Fällen  wird 
das  Gehörorgan,  welches  lange  Zeit  hindurch  acustischen  Reizen  entzogen 
war,  da  es  plötzlich  denselben  wieder  ausgesetzt  wird,  schmerzhaft  berührt. 
Man  kann  jedoch  deshalb  nicht  sagen,  dass  die  Hörschärfe  feiner  sei  als 
unter  normalen  Umständen,  ebensowenig  als  die  Blendung  eines  Auges,  das 
lange  Zeit  hindurch  im  Dunkeln  gehalten  wurde  und  plötzlich   einem  hellen 


368  NERVÖSE  GEHÖRAFFECTIONEN. 

Lichte  ausgesetzt  wird,  eine  Zunahme  der  Sehschärfe  bedeutet.  Die  schmerz- 
hafte Hyperacusis  ist  übrigens  in  diesen  Fällen  nur  vorübergehend  und  ver- 
schwindet gewöhnlich  in  wenigen  Stunden. 

Die  in  Rede  stehende  Krankheitsform  zeigt  sich  oft  auch  bei  hysterischen 
Individuen  und  kann  als  acustisches  Aequivalent  der  hysterischen  Otalgien,  die 
in  derartigen  nervösen  Individuen  vorkommen,  angesehen  werden.  Bei  einigen 
der  von  mir  beobachteten  Patienten  dieser  Art  war  auffallend,  dass  auch  schwache, 
aber  continuirliche  Geräusche  ihnen  Beschwerden  verursachten,  so  z.  B.  das 
Herumgehen  in  dem  über  ihrem  Wohnzimmer  gelegenen  Stockwerke,  der  Gesang 
der  Vögel,  das  tik-tak  eines  Pendels,  während  andererseits  sehr  intensive,  aber 
nicht  continuirliche  Geräusche  (Kanonenschüsse  in  der  Nähe)  von  denselben 
ganz  gut  vertragen  wurden. 

Der  Schmerz,  welchen  manche  Patienten  wegen  intensiver  Geräusche 
empfinden,  kann  so  bedeutend  sein,  dass  sie  energische  Bewegungen  machen 
um  sich  instinctiv  von  der  Schallquelle  zu  entfernen.  Eine  Frau,  die  ich 
zu  beobachten  Gelegenheit  hatte,  welche  Residuen  einer  eitrigen  Mittelohr- 
entzündung mit  Anlöthungen  in  der  Trommelhöhle  und  Symptome  einer 
schweren,  allgemeinen,  nervösen  Ueberreizbarkeit  mit  hysterischem  Charakter 
darbot,  fiel  vom  Sessel  unwiderstehlich  auf  die  Erde,  wenn  man  sich  dem 
erkrankten  Ohre  derselben  mit  einer  Stimmgabel,  auch  der  mittleren  Octaven, 
mit  massiger  Schwingung  näherte.  In  noch  anderen  Fällen  ruft  ein  intensiver 
Schall  Schwindel-  und  sogar  Ohnmachtsanfälle  hervor. 

Subjective  Ohrgeräusche.  Die  Ohrgeräusche  müssen  in  subjective 
und  objective  unterschieden  werden.  Die  ersteren  sind  gewissermaassen  vir- 
tuell und  hängen  von  einer  Reizung  des  schallempfindenden  Apparates  (Hör- 
nerv  und  seine  Endigungen  im  Labyrinthe)  ab;  die  letzteren  sind  hingegen 
wirkliche  Geräusche,  welche  im  Ohre  selbst  oder  in  dem  ihm  nahelegenen 
Organen  entstehen  und  aus  irgend  welchem  Anlasse  mit  besonderer  Intensität 
dem  Gehörapparat  mitgetheilt  werden  (innere  Ohrgeräusche). 

Wir  wollen  uns  hier  blos  mit  den  subjectiven  Geräuschen  beschäftigen. 
Diese  sind  grösstentheils  durch  anatomische  Läsionen  des  Gehörorgans  bedingt, 
welche  eine  Reizung  des  schallempfindenden  Apparates  verursachen,  und  wenn 
man  auch  in  einzelnen  Fällen  das  Bestehen  solcher  Läsionen  im  Lebenden 
nicht  mit  Sicherheit  nachweisen  kann,  so  müssen  sie  doch  jedenfalls  als  sehr 
wahrscheinlich  angenommen  werden.  Eine  genaue  functionelle  Prüfung  lässt 
in  der  That  leichte  Verminderung  der  Hörschärfe  erkennen. 

Die  Ursachen,  welche  öfters  eine  Reizung  des  schallempfindenden 
Apparates  bedingen,  können  in  folgende  Kategorien  eingetheilt  werden: 

Auf  das  Labyrinth,  a)  Es  kommt  eine  Steigerung  des  Druckes  inner- 
halb des  Labyrinthes,  durch  Lageveränderung  der  Steigbügelplatte,  vor,  und 
zwar  kann  dies  auf  verschiedene  Weise  erfolgen:  durch  Druck  eines  fremden 
Körpers  auf  das  Trommelfell,  wodurch  dieses  sammt  der  Kette  der  Gehör- 
knöchelchen nach  innen  verschoben  wird,  oder  durch  Verdünnung  der  Luft 
in  der  Trommelhöhle  mit  nachfolgender  Retraction  des  Trommelfells  und  der 
Kette  der  Gehörknöchelchen  oder  schliesslich  durch  Ansammlung  von  Exsudat 
in  der  Trommelhöhle,  namentlich  in  der  Gegend  der  Labyrinthfenster  u.  s.  w. 

h)  Hyperämie  des  Labyrinthes,  entweder  direct,  wie  bei  gewissen  Intoxi- 
cationen,  oder  indirect  durch  Diffusion  vom  mittleren  Ohr  oder  auf  reflexem 
Wege  bei  Otitis  media  et  externa  acuta. 

c)  Entzündliche  Processe  des  inneren  Ohres. 

Auf  den  Nervenstamm,  Kerne  und  corticale  Centren  des  Acusti- 
cus  kann  eine  Reihe  intracranieller  Reize  einwirken,  die  wir  hier  nicht  auf- 
zählen wollen. 

Der  schallempfindende  Apparat  reagirt,  bei  gesunden  Individuen  unter 
physiologischen    Umständen    auf    mechanische,    acustische,    elektrische    oder 


NERVÖSE  GEHÖRAFFECTIONEN.  369 

von  den  Gefässen  ausgehende  Keize  mit  einem  sehr  hohen  Schalle  von 
fast  constanter  Tonhöhe  (Tirritus  aurium).  Eine  Gruppe  von  Gehörzellen 
oder  Nervenfasern  wird  also  von  Keizen  im  allgemeinen  leichter  berührt, 
und  zwar  wahrscheinlich  wegen  besonderer  anatomischer  Verhältnisse,  die 
namentlich  von  der  Gefässversorgung  abhängig  sind.  Mit  Hilfe  der  Theo- 
rie von  Helmiioltz,  welche  den  zelligen  Elementen  der  Basilarwindung 
der  Schnecke  die  Perception  hoher  Töne  zuschreibt,  kann  auch  die  That- 
sache  erklärt  werden,  warum  die  elektrischen  und  mechanischen  Reize  vor- 
wiegend jene  zelligen  Elemente  treffen,  welche  in  der  Nähe  der  Labyrinth- 
fenster gelegen  sind,  durch  welche  ja  gewöhnlich  die  Reize  ins  Labyrinth 
eindringen.  Bei  Steigerung  der  Intensität  des  Reizes  können  auch  solche 
Elemente  getroffen  werden,  welche   den  mittleren  Tönen   entsprechen. 

Die  pathologischen,  subjectiven  Geräusche  lassen  mit  Rücksicht  auf  die 
Tonhöhe  drei  Typen  erkennen: 

1.  Tiefe  Geräusche. 

2.  Hohe  musikalische  Geräusche,  welche  dem  physiologischen  Klingen 
ähnlich  sind. 

3.  Musikalische  Geräusche  von  verschiedener  Tonhöhe. 

Diese  drei  Arten  von  Geräuschen  können  isolirt  sein,  oder  sie  com- 
biniren  sich  in  verschiedener  Weise. 

L  Am  häufigsten  kommen  Geräusche  von  tiefer  Tonhöhe  vor,  die  sich 
oft  (64  Schwingungen)  nähern  und  von  den  Kranken  mit  dem  Geräusche  des 
Windes  zwischen  den  Blättern  oder  des  Regens  oder  eines  fliessenden  Stromes 
u.  s.  w.  verglichen  werden,  Sie  kommen  bei  chronischem  Katarrh,  Mittel- 
ohrverletzungen, wie  auch  bei  langsamen  Krankheitsprocessen  vor,  welche 
vom  Mittelohre  durch  die  Labyrinthfenster  hindurch  auf  das  innere  Ohr  über- 
greifen. 

Diese  Erscheinung  könnte  möglicherweise  einer  Reizung  der  percipiren- 
den  Elemente  des  Vorhofes  zugeschrieben  werden.  Diese  Geräusche  können 
in  den  Krankheitsformen,  welche  auf  das  Mittelohr  beschränkt  bleiben,  von 
vorübergehendem  Charakter  sein;  wenn  sie  aber  continuirlich  sind,  dann  ist 
auch  die  Prognosis  eine  schwere,  da  dann  die  Geräusche  mit  permanenten 
Circulationsstörungen  im  Vorhofe  zusammenhängen. 

n.  Der  hohe  musikalische  Klang  hat  gewöhnlich  die  Tonhöhe  des  phy- 
siologischen Klingens  (C4,C5),  zuweilen  ist  er  tiefer  (ungefähr  Cg);  er  steht 
in  Beziehung  zu  einer  diffusen  Reizung  des  gesammten  schallempfindenden 
Apparates  und  kommt  mit  transitorischem  Charakter  bei  acuten  Vergiftungen 
mit  Chinin  und  salicylsauren  Salzen  und  permanent  bei  entzündlichen  Pro- 
cessen im  inneren  Ohre  vor. 

HL  Die  subjectiven  Geräusche,  welche  musikalischen  Klängen  von  ver- 
schiedener Tonhöhe,  wie  z.  B.  einer  Glocke,  einer  Trompete  oder  eines  Or- 
chesters ähnlich  sind,  werden  durch  schwere  Alterationen  des  Perceptions- 
apparates  hervorgebracht,  und  sie  sind  es,  welche  auf  das  Vorhandensein  ana- 
tomischer Läsionen  des  inneren  Ohres  schliessen  lassen.  Wenn  jedoch  die 
subjectiven  Geräusche  den  Charakter  von  Harmonien,  Melodien  oder  von 
Stimmen  annehmen,  dann  deuten  sie  eine  Reizung  der  entsprechenden  Gehirn- 
centren an. 

Der  intermittirende  Charakter  oder  die  Continuität  der  subjectiven  Ge- 
räusche hat  eine  sehr  bedeutende  prognostische  Wichtigkeit,  und  wenn  sie 
nach  Versuchen  einer  Correction  der  abnormen  Stellung  der  Gehörknöchelchen 
(Lufteintreibung  in  die  Trommelhöhle  u.  s.  w.)  unverändert  bleiben,  dann 
kann  vermuthet  werden,  dass  sie  ihren  Sitz  im  Labyrinthe  selbst  haben.  Die 
Geräusche  wechseln  fast  in  allen  Fällen  an  Intensität  je  nach  der  Einwirkung 
einer  ganzen  Serie  von  Ursachen,  und  man  kann  sagen,  dass  alle  Umstände, 
welche  auf  die  Circulation  des  Gehörorgans  störend  einwirken,  auch  den  Grad 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopf krankheiten.  ^4 


370  NEOPLASiMEN  DES  KEHLKOPFES. 

der  Geräusche  verschlimmern.  (Starke  Gemüthseindrücke,  Ermüdung  des 
Körpers  und  des  Geistes,  Gebrauch  von  reizenden  Substanzen,  Allgemein- 
erkrankungen u.  s.  w.) 

Die  Geräusche  werden  von  den  Kranken  gewöhnlich  im  Inneren  des 
Gehörorgans  localisirt,  zuweilen  sind  sie,  und  zwar  hauptsächlich  dann,  wenn 
beide  Ohren  angegriffen  sind,  diffus  auf  dem  ganzen  Kopfe  verbreitet,  viel 
seltener  werden  sie  nach  aussen  verlegt,  und  können  bei  psychopathischen 
Individuen  zu  Hallucinationen  Anlass  geben.  Sie  kommen  nicht  bei  allen 
krankhaften  Processen  des  Gehörorgans  vor  und  fehlen  gewöhnlich  bei  den 
eitrigen  Mittelohrentzündungen  mit  chronischem  Verlaufe  und  in  gewissen 
Formen  von  progressiver  Taubheit,  welche  durch  chronischen  Katarrh  des 
Mittelohres  entstehen,  während  sie  in  anderen  Fällen,  bei  anscheinend  gleichem 
klinischem  Verlaufe,  das  schwerwiegendste  Symptom  darstellen.  Das  Fehlen 
oder  Vorhandensein  der  Geräusche  in  diesen  Fällen  kann  durch  die  Eigen- 
thümlichkeiten  der  Localisation  des  krankhaften  Processes  erklärt  werden. 

Man  kann  im  allgemeinen  sagen,  dass  die  subjectiven  Geräusche  ein 
schweres  Symptom  der  chronischen  Ohrerkrankung  darstellen,  welche  dem 
Kranken  zuweilen  viel  mehr  Beschwerden  als  die  Taubheit  selbst  ver- 
ursachen. Eine  aufmerksame,  klinische  Beobachtung  zeigt  in  den  meisten 
Fällen  von  progressiver  Taubheit,  dass  während  die  Geräusche  erst  aufzutreten 
beginnen,  die  Taubheit  schon  seit  Jahren,  und  zwar  in  fortschreitender  Zu- 
nahme bestanden  hat,  wenn  auch  diese  Thatsache  vom  Kranken  nicht  wahr- 
genommen wurde.  Dies  erklärt  uns  auch,  warum  unter  solchen  Umständen 
die  Geräusche  nur  schwer  zum  Schwinden  gebracht  oder  modificirt  werden 
können;  sie  entsprechen  eben  einem  schon  zu  stark  vorgeschrittenen  Stadium 
der  chronischen  Erkrankung. 

Es  geht  aus  dem  Gesagten  hervor,  dass  die  Behandlung  der  subjectiven 
Geräusche  mit  der  Behandlung  der  vorhandenen  Ohrkrankheit  Hand  in  Hand 
gehen  muss,  von  der  sie  ja  nur  ein  Symptom  darstellen;  ja  man  kann  noch 
weiter  gehen  und  behaupten,  dass,  mit  Ausnahme  bestimmter  Fälle,  die  Besse- 
rung oder  Verschlimmerung  der  subjectiven  Geräusche  das  sicherste  Kriterium 
zur  Feststellung  der  Methode  abgeben,  die  wir  in  der  Therapie  der  bestehen- 
den Erkrankung  des  Ohres  anwenden  müssen.  Sämmtliche  palliative  Mittel, 
welche  in  den  Handbüchern  angegeben  und  direct  auf  das  Ohr  oder  in  dessen 
Nachbarschaft  angewendet  werden,  ergeben,  nach  meinen  Erfahrungen,  gar 
keine  oder  nur  vorübergehende  Resultate,  und  es  sind  deshalb  blos  beruhigende 
Arzneimittel,  zumal  Bromkalium,  zu  empfehlen,  um  dem  Kranken  sein  Leiden 
zu  erleichtern.  Zuweilen  hilft  auch  die  Galvanisation  des  Ohres,  aber  nur 
vorübergehend,  und  es  ist  Grund  zur  Annahme  vorhanden,  dass  die  durch 
die  Galvanisation  erhaltenen  guten  Resultate  eher  einer  beruhigenden  Wirkung 
derselben  auf  das  Nervensystem  im  allgemeinen  als  auf  das  Ohr  selbst  zu- 
geschrieben werden  müssen.  gradenigo. 

Neoplasmen  des  Kehlkopfes.  {KeMkojjfgeschvUlste,  Neoplasmata  la- 
rt/ngis.)  Begriffsbestimmung.  Es  soll  hier  nur  die  eigentliche  Neubil- 
dung betrachtet  werden,  nicht  aber  die  Schwellung,  welche  durch  acute  oder 
chronische  Entzündung  hervorgerufen  wird.  Man  bezeichnet  die  Neubildungen 
des  Kehlkopfes  öfters  auch  zusammen  als  Polypen,  wie  sich  überhaupt  in 
der  Medicin  die  Gewohnheit  eingebürgert  hat,  Neubildungen  in  Körperhöhlen 
so  zu  benennen,  besonders  Avenn  sie  gestielt  sind.  Eppinger  dagegen  versteht 
unter  Kehlkopfpolyp  eine  umschriebene  Neubildung,  welche  alle  Bestandtheile 
der  Kehlkopfschleimhaut  und  des  submucösen  Gewebes  enthält.  Wegen  dieser 
verschiedenartigen  Auflassung  des  Wortes  Polyp  dürfte  es  sich  daher  empfeh- 
len, diesen  Ausdruck  nicht  mehr  zu  gebrauchen,  sondern  von  Neubildungen 
zu  reden.  Der  Ausdruck  Geschwulst  kann  leicht  zur  Verwechslung  führen  mit 


NEOPLASMEN  DES  KEHLKOPFES.    .  371 

Entzündungen,  tuberkulösen,  syphilitischen  oder  durch  andere  Dyskrasien  ver- 
anlassten Schwellungen. 

Allgemeine  Eintheilung.  Die  Kehlkopfneubildungen  theilt  man 
im  allgemeinen  ein  in  gutartige  und  bösartige.  Schon  bei  dieser  Unter- 
scheidung macht  sich  eine  grosse  Schwierigkeit  geltend.  Als  Kennzeichen 
der  gutartigen  Neubildung  wird  nämlich  angenommen  1.  Strenges  Beschränkt- 
sein  auf  den  Kehlkopf,  2.  keine  Neigung  zum  Zerfall  oder  zur  Blutung, 
3.  sie  macht  nur  durch  Grösse  oder  Sitz  Störungen  in  Bezug  auf  Stimme 
und  Athmung,  4.  keine  Neigung  zur  Infection  der  benachbarten  Lymphdrüsen 
oder  zur  Metastasenbildung. 

Wenn  wir  diese  Merkmale  gelten  lassen,  so  müssten  von  den  gutartigen 
Neubildungen  auch  die  Enchondrome  und  Schilddrüsengeschwülste  aus- 
geschieden werden.  Gewöhnlich  aber  rechnet  man  nur  die  Sarkome,  Lympho- 
sarkome und  Carcinome  zu  den  bösartigen.  Es  wird  sich  also  hier  empfehlen, 
das  Fibrom,  das  Papillom,  die  Cyste,  das  Lipom,  Myxom,  Angiom,  Adenom 
und  die  Ekchondrosen  als  entschieden  gutartig  zu  betrachten,  dagegen  p]n- 
chondrom,  Thyreoidealtumor,  Sarkom,  Lymphosarkom  und  Carcinom  als  bös- 
artig zu  bezeichnen. 

Das  Carcinom  wird  in  einem  eigenen  Artikel  behandelt  (vide  pag.  56 
ds.  Bds.).  Die  einzelnen  Arten  beider  Classen  werden  nach  ihrer  histo- 
logischen Structur  unterschieden. 

Vorkommen  und  Häufigkeit.  Vor  der  Erfindung  des  Kehlkopf- 
spiegels wurden  nur  wenige  Neubildungen  im  Kehlkopf  beschrieben  und  noch 
weniger  operirt.  Nach  Ziemssen's  Angabe  dürften  nicht  mehr  als  80  Fälle 
zu  dieser  Zeit  bekannt  worden  sein.  Mit  der  Einführung  des  Kehlkopf- 
spiegels aber  häuften  sich  die  Beobachtungen,  und  nachdem  v.  Bruns  1861 
die  erste  endolaryngeale  Operation  einer  Kehlkopfneubildung  ausgeführt  hatte, 
auch  die  Operationen  ausserordentlich.'  Einzelne  Laryngologen  konnten  schon 
in  den  Siebzigerjahren  mehrere  100  Fälle  veröffentlichen;  trotzdem  ist  aber 
ihr  Vorkommen  kein  häufiges,  wenn  man  nämlich  alle  Patienten,  die  wegen 
Hals-  oder  Nasenleiden  den  Arzt  aufsuchen,  berücksichtigt.  So  machen  die 
Neubildungen  des  Kehlkopfes  nach  meiner  Statistik  nur  0-89 7o  aller  dieser 
Leiden  aus;  also  auf  100  Patienten  kommt  noch  nicht  einer  mit  Kehlkopf- 
neubildung.    Fauvel  fand  etwas  mehr  als  1%;  M.  Schmidt  I'ö^q. 

Ich  verfüge,  alles  zusammen,  über  eine  Zahl  von  20.000  Patienten, 
von  denen  wohl  mehr  als  die  Hälfte  an  der  Nase  oder  im  Rachen  ki'ank 
waren,  sodass  vielleicht  nur  8000  am  Kehlkopfe  litten.  Bei  diesen  fanden 
sich  178  Neubildungen  des  Kehlkopfes,  also  etwas  über  2%  aller  Kehlkopf- 
leiden. 

Rechnet  man  zu  den  Neubildungen  aber  auch  die  sogenannten  Entzün- 
dungsknötchen  oder  Sängerknötchen  an  den  Stimmbändern,  die  in  50  Fällen 
beobachtet  wurden,  so  kommt  eine  höhere  Procentzahl  zustande,  nämlich 
2-857o. 

Unter  diesen  178  Fällen  waren  90  Fibrome,  35  Papillome,  7  Cysten, 
5  sogenannte  Schleimpolypen,  37  Carcinome,  2  fibröse  Polypen,  eine  "harte 
Warze  und  ein  Angioma. 

Von  diesen  178  Fällen  betrafen  nur  21  weibliche  Patienten;  dagegen 
wurden  die  Sängerknötchen  öfters  bei  Frauen  als  bei  Männern  beobachtet. 
Die  Papillome  wurden  in  5  Fällen  bei  Individuen  unter  20  Jahren  gesehen, 
Carcinome  nur  bei  einem  Alter  von  über  40  Jahren  beobachtet.  Unter  meinen 
141  Fällen  von  gutartigen  Neubildungen  betrafen  nur  19  w^eibliche  Patienten. 
Rechnet  man  aber  die  Sängerknötchen  auch  noch  dazu,  welche  bei  35  weib- 
lichen und  15  männlichen  Individuen  beobachtet  wurden,  so  bekommt  man 
andere  Verhältniszahlen;  nämlich  unter  191  gutartigen  Neubildungen  wurden 

24* 


Fauvel     .     .     . 

.   300  Fälle 

M.  Mackenzie  . 

•    287       „ 

SCHRÖTTER     .       . 

.    391       „ 

Chiari     .     .     . 

•    191       „ 

372  NEOPLASMEN  DES  KEHLKOPFES. 

54  bei  weiblichen  Individuen  gesehen.     Die    Statistiken  anderer   Beobachter 
weisen  folgende  Verhältniszahlen  bei  den  gutartigen  Neubildungen  auf: 

männL  weibl. 

.     .     .     770/0  23% 

.     .     .     69»/o  31«/o 

.     .     .     67-87o  22-27o 

•     .     .     72%  28% 

Aetiologie.  Dieselbe  ist  wie  überhaupt  bei  allen  Neubildungen  eine  dunkle. 
Im  allgemeinen  nimmt  man  öfters  wiederholte,  leichte  Reize  als  Ursache  an. 
Wir  sehen  trotzdem  jene  Leute,  welche  ihre  Stimme  stark  anstrengen,  die  öfters 
wiederholten  Temperatursänderungen,  dann  dem  Einlluss  von  Staub  und  Rauch 
ausgesetzt  sind,  nicht  auffällig  oft  an  Neubildungen  des  Kehlkopfes  erkranken, 
obwohl  anderseits  die  grössere  Häufigkeit  des  Leidens  bei  Männern  uns  den 
Gedanken  nahelegt,  dass  die  öftere  Einwirkung  obiger  Schädlichkeiten  daran 
Schuld  trägt.  Es  muss  also  noch  eine  gewisse  Disposition  dazu  kommen. 
Diese  kann  angeboren  oder  erworben  sein.  So  beobachtete  ich  erst  vor 
kurzem  bei  einem  jungen  Manne  eine  Stimmbandneubildung,  und  erfuhr  von 
ihm,  dass  auch  sein  Vater  daran  gelitten  habe.  Wahrscheinlich  dürfte  eine 
solche  angeborene  Disposition  öfters  vorkommen,  sich  aber  meist  der  Be- 
obachtung entziehen,  weil  die  Eltern  der  jetzt  in  das  Polypenalter  kommenden 
Generation  meist  noch  in  der  Zeit  vor  der  Erfindung  des  Kehlkopfspiegeis 
lebten,  daher  ihre  etwa  vorhandene  Kehlkopfneubildung  nicht  diagnosticirt 
wurde.  Für  eine  gewisse  Art  der  Kehlkopfneubildungen,  nämlich  für  die 
Papillome,  die  sich  nicht  selten  im  jugendlichen  Alter,  manchmal  sogar  vor 
der  Geburt  entwickeln,  muss  eine  angeborene  Disposition  entschieden  ange- 
nommen werden. 

Es  hat  schon  Oertel  darauf  hingewiesen,  dass  diese  Papillome  beson- 
ders bei  Individuen  beobachtet  werden,  die  mit  Anämie,  Chlorose,  Scrophu- 
lose  behaftet  sind,  während  andere  Beobachter  dies  nicht  constatiren  konnten. 

Als  weitere  Ursache  ist  gewiss  der  chronische  Katarrh  zu  bezeichnen, 
wenn  auch  viele  hervorragende  Forscher,  so  Schröttter,  diesen  Katarrh 
mehr  als  Folge  der  Neubildung  ansehen.  Man  sieht  nämlich  häufig  die  Neu- 
bildung im  Larynx  von  Katarrh  begleitet  und  erfährt,  dass  die  Patienten 
schon  viele  Jahre  vorher  oft  vorübergehend  an  Heiserkeit  litten.  Man  sieht, 
dass  nach  Entfernung  der  Neubildung  der  Katarrh  oft  noch  fortdauert  und 
erst  durch  eine  besondere  Behandlung  beseitigt  werden  kann.  Endlich  ent- 
wickeln sich  oft  bei  chronischen  Katarrhen  bis  stecknadelkopfgrosse,  um- 
schriebene Verdickungen  an  den  Rändern  der  Stimmbänder  (Sängerknötchen), 
welche  aus  verdicktem  Epithel  und  theilweise  auch  aus  Bindegewebe  bestehen 
und  oft  symmetrisch  an  beiden  Seiten  liegen,  und  in  anderen  Fällen  be- 
obachtet man  an  derselben  Stelle  des  Stimmbandes  sogenannte  Fibrome. 
Diese  so  häufige  Localisation  der  Sängerknötchen  und  der  sogenannten 
Fibrome  in  der  Mitte  oder  am  Uebergange  vom  mittleren  zum  vorderen  Drittel 
des  Stimmbandrandes  legen  den  Gedanken  nahe,  dass  der  Schwingungs- 
Mechanismus  der  Stimmbänder  Schuldan  der  Wahl  dieses  Ortes  trägt.  Schnitzler 
suchte  die  Sache  so  zu  erklären,  dass  an  diesem  Punkte  häufig  ein  Schwin- 
gungsknoten entsteht,  während  Störk  geradezu  annimmt,  dass  dieser  Punkt 
bei  der  Phonation  die  grösste  Erschütterung  erleidet.  Jedenfalls  steht  die 
Thatsache  fest,  dass  bei  leichter  Schleimbildung  im  Kehlkopf  während  der 
Phonation  gerade  an  diesem  Orte  kleine  Schleimklümpchen  sich  festsetzen. 

Es  wirken  also  bei  der  Entstehung  der  Kehlkopfneubildung  congenitale, 
dyskrasische,  dann  in  der  Function  der  Stimmbänder  begründete  mechanische 
und  äussere  Ursachen  mit,  obwohl  die  chronischen  Katarrhe  nach  meiner 
Ansicht  die  Hauptrolle  spielen. 


NEOPLASMEN  DES  KEHLKOPFES.  373 

Histologische  Eintheilung  der  Neubildungen.  Nach  ihrer  histo- 
logischen Beschatienheit  unterscheidet  man  Fibrome,  Papillome,  Cysten, 
Myxome,  Lymphangiome,  Angiome,  Varices,  Adenome,  Myome,  Lipome,  Thyreoi- 
dealtumoren,  Ekchondrosen,  Lnchondrome,  Sarkome,  Lymphosarkome,  Car- 
cinome. 

lieber  ihre  relative  Häufigkeit  liegen  sehr  abweichende  Angaben  vor; 
jedoch  stimmen  sie  alle  darin  überein,  dass  Fibrome,  Papillome  und  Carciiiome 
am  häufigsten  beobachtet  werden.  Ein  Blick  auf  die  beiliegende  Tabelle 
lehrt  dies  sofort.  Auöallend  ist  hauptsächlich  die  Verschiedenheit  der  Procent- 
zahlen bei  Fibrom  und  Papillom.  Nach  Morel,  Mackf:nzip:,  Fauvel,  Klh- 
BERG,  Massei,  Jurasz,  Tobold  und  Störk  machen  die  Papillome  47  bis 
687o,  die  Fibrome  dagegen    14  bis  31%  aller    gutartigen  Neubildungen  aus. 

Nach  ScHRöTTER,  Rosenberg  (Berlin),  M.  Schmidt  (Frankfurt  a/M.)  und 
mir  beträgt  die  Procentziffer  für  Papillome  von  11  bis  25,  für  Fibrome  da- 
gegen von  43  bis  69,  wobei  die  Sängerknötchen  nicht  gerechnet  sind. 

Diese  Verschiedenheit  in  der  relativen  Häufigkeit  des  Papilloms  und 
Fibroms  katn  kaum  ihren  Grund  haben  in  localen  Verhältnissen,  da  z.  B. 
Heidelberg,  wo  Jurasz  wirkt,  und  Frankfurt  a/M.  doch  in  Klima  und  Bevölkerung 
nicht  gar  so  different  sind,  während  die  Procentzahlen  für  Papillome  dort  62  und 
hier  11  betragen.  Wahrscheinlich  liegt  der  Grund  in  der  verschiedenen  Auf- 
fassung des  Begriffs  Papillom,  so  dass  z.  B.  vielleicht  einzelne  Autoren  auch 
die  papillären  Excrescenzen  bei  Tuberkulose,  Syphilis  und  ähnlichen  Leiden 
zu  den  Papillomen  rechneten.  Auch  manche  Fibrome  haben  eine  grobhöckerige 
Oberfläche,  doch  niemals  einen  papillären  Bau;  daher  können  sie  makro- 
skopisch mit  Papillomen  verwechselt  werden. 

Schon  Paul  Bruns,  der  im  Jahre  1878  eine  Statistik  von  1100  gut- 
artigen Kehlkopfpolypen  aufstellte,  betont  diese  Abweichungen  in  den  Pro- 
centzahlen der  Fibroide  (so  sagt  er  statt  Fibrome)  und  der  Papillome.  Er 
verwertet  die  Angaben  von  M.  Mackenzie,  v.  Bruns,  Tobold,  Fauvel, 
Oertel,  Störk,  Hopmann,  Böcker  und  seine  eigenen  und  erwähnt,  dass  bei 
den  englischen  und  französischen  Beobachtern  die  Papillome,  bei  den  deutschen 
die  Fibroide  überwiegen.  Die  Erklärung  dafür  sucht  er  auch  in  verschiedener 
Benennung  der  Geschwülste  und  in  dem  Umstände,  dass  in  diese  Statistik 
besonders  viele  Fälle  von  Polypen  des  kindlichen  Alters  aufgenommen  wurden, 
die  fast  immer  zu  den  Papillomen  gehören. 

Nach  diesen  Ausführungen  glaube  ich,  dass  viele  Autoren  Tumoren 
als  Papillome  gezählt  haben,  die  eigentlich  zu  den  Fibromen  gehören. 

Dafür  spricht  auch  das  Ergebnis  der  von  Felix  Semon  in  London 
1888 — 1889  veranstalteten  Sammelforschung  betreffs  des  Ueberganges  gut- 
artiger Kehlkopfneubildungen  in  bösartige.  Von  107  Beobachtern,  wozu  fast 
alle  hervorragenden  Laryngologen  der  ganzen  Welt  gehörten,  wurde  über 
10,747  gutartige  und  1550  bösartige  Kehlkopfneubildungen  berichtet. 

Von  diesen  waren  4190  Papillome,  also  nur  39%  aller  gutartigen  Neu- 
bildungen, mithin  lange  nicht  die  Hälfte.  Die  Cysten,  Myxome,  Lipome 
und  Angiome  sind  aber  relativ  so  selten,  dass  für  die  Fibrome  (die  leider  in 
Semon's  Sammelforschung  nicht  besonders  aufgezählt  sind)  gewiss  die  grössere 
Procentzahl  anzunehmen  ist.  Eine  Zahl  ist  noch  in  der  Tabelle  zu  be- 
sprechen, nämlich  die  53  Myxome  Fauvel's  unter  300  Polypen.  Faüyel"s 
Angaben  beruhen  offenbar  auf  Verwechslung  von  ödematös  durchtränkten 
Fibromen  mit  dem  eigentlichen  Myxom,  wovon  später  mehr  die  Rede 
sein  soll. 


374 


NEOPLASMEN  DES  KEHLKOPFES. 


Autor 

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Noten 

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O 

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ü 

02 

M.  Mackenzie 

1871 

100  Söo/o 

67% 

Stoerk  1872    . 

36  69% 

19% 

Tobold  1874  . 
Oertel  1875.  . 

206  48% 
68  57% 

29% 

35% 

fauvel  1876   . 

300 

5% 

69% 

18% 

P.  Bruns  1878 

1100 

31-4% 

54-7% 

2-4% 

6-6% 

Sammel- 
forsohung 

Eisberg  1880  . 

310 

54% 

Massei  1885.  . 

200 

16% 

47% 

Semon  1889.  . 

10747 

39% 

^1550 

Sammel- 
forsclinng 

Jurasz  1891    . 

192 

14% 

10% 

62'"o 

7% 

1-6% 

15 

6 

8  un- 
bestimmt 

Schrötter  1892 

391 

18-5% 

Rosenberg  1893 

152 

43% 

25% 

^ 

3^ 

M.Sclimidtl894 

424 

60% 

25-7% 

11% 

2% 

0-2% 

l"/» 

75 

3 

Chiari  ..... 

191 

51% 

26% 

18-3% 

3-6% 

0-5% 

37 

Symptome.  Bei  den  gutartigen  Neubildungen  sind  die  subjectiven  meist 
sehr  gering ;  da  Schmerzen  immer  fehlen,  kann  höchstens  von  einem  Fremd- 
körpergefühl die  Rede  sein.  Dasselbe  äussert  sich  manchmal  als  Kitzel  oder 
in  seltenen  Fällen  als  ein  fortwährender  Reiz  zum  Husten.  Die  objectiven 
Symptome  sind  sehr  verschieden  nach  der  Grösse,  dem  Sitz  und  der  Beweg- 
lichkeit der  Geschwülste;  es  sind  wesentliche  Störungen  der  Stimme  und  der 
Athmung,  nur  selten  ist  das  Schlingen  gehindert,  wenn  nämlich  die  Ge- 
schwulst sehr  gross  ist  und  über  den  Kehlkopf  herausragt.  Bösartige  Neu- 
bildungen dagegen  veranlassen  oft  Schmerz  und  hochgradige  Störungen  in 
Athmung  und  Schlingen  (s.  „Carcinoma  laryngis^'  pag.  ,56  ds,  Bd.). 

Ganz  kleine  Knötchen  an  dem  Stimmbandrande  verursachen  gewöhnlich 
keine  Störung,  wenigstens  beim  Sprechen;  beim  Singen  aber  behindern  sie 
häufig  die  Bildung  einzelner  höherer  Töne,  nämlich  in  piano.  Sie  veranlassen 
deshalb  fast  nur  Sänger,  den  Arzt  aufzusuchen.  Grosse  Polypen  dagegen  er- 
zeugen fast  immer  starke  Störungen  in  der  Stimmbildung  auch  beim  Sprechen, 
so  zwar,  dass  länger  dauernde  Heiserkeit  bei  einem  gesunden  Menschen  vor 
allem  den  Verdacht  auf  Kehlkopfneubildung  erwecken  muss.  Die  Stimm- 
störungen sind  übrigens  verschieden  je  nach  Grösse,  Sitz  und  Art  der  An- 
häufung des  Gebildes.  Sie  stehen  durchschnittlich  (ceteris  paribus)  mit  der 
Grösse  in  geradem  Verhältnisse.  Was  den  Sitz  anlangt,  so  werden  alle  auf 
dem  Stimmband  sitzenden  Neubildungen  (und  das  ist  die  grosse  Mehrzahl) 
mehr  Heiserkeit  erregen  als  solche,  die  anderswo  angeheftet  sind.  Von  der 
grössten  Bedeutung  ist  die  Art  der  Anheftung  und  die  Beweglichkeit  der  Ge- 
schwülste. Breit  aufsitzende,  unbewegliche  Geschwülste  werden  gleichblei- 
bende Heiserkeit  bedingen,  gestielte  dagegen  können,  wenn  sie  unter  die 
Stimmbänder  zu  liegen  kommen,  die  Stimme  fast  rein  lassen.  Sowie  sie  aber 
zwischen  den  Stimmbändern  eingeklemmt  werden,  behindern  sie  die  Schwin- 
gungen derselben  sehr  bedeutend;  daher  ist  der  schnelle  Wechsel  in  der 
Stimmstörung  charakteristisch  für  gestielte  Polypen.  Endlich  können  auch 
breit  aufsitzende,  doch  weiche  Geschwülste,  ohne  Heiserkeit  zu  erregen,  bestehen, 
sie  werden  nämlich  einfach  zwischen  den  Stimmbändern  eingeklemmt  und  von 
ihnen  bei  der  Phonation  ganz  zusammengepresst.  Eine  besondere  Art  der 
Stimmstörung,  die  man  hauptsächlich  bei  Fibromen  beobachtet,  ist  die 
Diphtonie.  Dieselbe  besteht  darin,  dass  zugleich  zwei  Töne  von  verschiedener 
Höhe    gebildet   werden,    und  wird  nach  Türck  wahrscheinlich  bedingt  durch 


NEOPLASMEN  DES  KEHLKOPFES.  375 

Theilung  der  Glottis  in  zwei  tönende  Spalten.  Die  dabei  gebildeten  Töne 
stehen  verschieden  weit  von  einander  ab.  Der  Doppelton  wird  manchmal 
bei  jedem  Ton  beobachtet,  manchmal  nur  bei  der  Hervorbringung  gewisser 
Töne.  Einmal  beobachtete  ich  das  Auftreten  der  Diphtonie  nach  Exstirpation 
eines  kleinen  Knötchens  an  einem  Stimmbandrande;  die  Operation  war  von 
einem  Fachcollegen  sehr  exact  durchgeführt  worden;  wahrscheinlich  war  hier 
eine  seichte  Narbe  am  Stimmbandrande  vorhanden,  obwohl  derselbe  ganz 
gerade  aussah  und  makroskopisch  nicht  die  geringste  Vertiefung  zeigte. 

Sehr  selten  entstehen  durch  den  Reiz  der  Neubildung  vorübergehende 
Spasmen.  Die  Ursache  dieses  seltenen  Auftretens  des  sonst  bei  fremden 
Körpern  im  Kehlkopf  so  prompt  erscheinenden  Stimmritzenkrampfes  liegt 
wohl  in  der  Gewöhnung  des  Kehlkopfes  an  den  langsam  entstehenden  Polypen. 

Mechanische  Athmungsbeschwerden  kommen  begreiflicher  Weise  nur  bei 
grossen  Polypen  vor;  besonders  grosse  gestielte  Polypen,  die,  gewöhnlich  unter 
den  Stimmbändern  liegend,  keine  wesentlichen  Athembeschwerden  machen, 
können  plötzlich  in  der  Stimmritze  eingeklemmt  werden  und  Erstickung  hervor- 
rufen. Weniger  bewegliche  Geschwülste  veranlassen  allmählich  zunehmende 
Athmungsbehinderung,  welche  zu  einem  äusserst  hohen  Grad  gedeihen  kann, 
ohne  Erstickung  hervorzurufen. 

Diagnose.  Wenn  es  auch,  wie  schon  früher  erwähnt  wurde,  gewöhnlich 
gelingt,  aus  der  Anamnese,  aus  der  allgemeinen  Untersuchung  und  besonders 
aus  der  Stimmstörung  das  Vorhandensein  einer  Kehlkopfneubildung  mit  Wahr- 
scheinlichkeit zu  erkennen,  so  gibt  doch  erst  die  laryngoskopische  Unter- 
suchung Sicherheit  darüber  und  über  Art,  Grösse,  Sitz  der  Neubildung,  wovon 
im  Speciellen  mehr  die  Rede  sein  soll. 

Therapie.  Dieselbe  muss  fast  immer  eine  operative  sein.  Spontan  er- 
folgt nämlich  die  Entfernung  der  Neubildung  nur  ausnahmsweise  und  dann 
unvollständig  bei  Papillomen.  Auch  Einathmungen,  Pinselungen  oder  Aetzungen 
führen  höchstens  bei  den  an  der  Grenze  zwischen  Entzündung  und  Neubildung 
stehenden  sogenannten  Sängerknötchen  manchmal  zum  Ziele.  Will  man  also 
die  Neubildung  entfernen,  so  bleibt  nur  die  Operation  über.  Contraindicirt  ist 
dieselbe  nur  bei  hochgradiger  Schwäche  des  Patienten,  bei  gutartigen,  kleinen, 
nicht  störenden  und  voraussichtlich  nicht  wachsenden  Tumoren  (was  natürlich 
schwer  festzustellen  ist)  und  endlich  bei  sehr  ausgebreiteten  bösartigen  Neu- 
bildungen. 

Was  die  Geschichte  der  endolaryngealen  Operation  anbelangt, 
so  sind  aus  der  Zeit  vor  der  Erfindung  des  Kehlkopfspiegels  die  Nachrichten 
sehr  selten.  Da  die  Neubildung  meist  nicht  diagnosticirt  werden  konnte,  be- 
schränkte sich  ihre  Behandlung  auf  die  Beseitigung  der  durch  sie  hervorge- 
rufenen Stenose  des  Kehlkopfes.  Uebrigens  wird  ein  Fall  von  Fibrom  des  Kehl- 
deckels erwähnt,  der  vom  Munde  her  entfernt  wurde.  (Derselbe  Hess  sich  bei 
herunter  gedrückter  Zunge  von  vorne  direct  sehen.)  Sonst  machte  man  die  Spal- 
tung des  Kehlkopfes  und  entfernte  dann  erst  die  Neubildung.  Der  erste,  w^ elcher 
eine  Kehlkopfneubildung  endolaryngeal  unter  Leitung  des  Spiegels  entfernte,  war 
Victor  v,  Beuns,  welcher  im  Jahre  1861  seinen  Bruder  von  einem  solchen 
Gewächse  befreite.  Er  bediente  sich  dazu  eines  scheerenartigen  Instrumentes. 
Seither  hat  sich  die  Anzahl  solcher  endolaryngealer  Operationen  ausserordent- 
lich vermehrt,  so  dass  viele  Laryngologen  über  hunderte  von  Fällen  berichtet 
haben.  Jetzt  bedient  man  sich  zur  Operation  kleiner  weicher  Geschwülste 
meist  der  Kehlkopfpincette  oder  des  Quetschers.  Man  fasst  die  Geschwülste 
knapp  an  ihrem  Ansatz,  quetscht  sie  etwas  und  entfernt  sie  dann  mit  einem 
leichten  Rucke  von  ihrer  Basis.  Man  wartet  nun  einige  Minuten,  bis  die 
meist  geringe  Blutung  aufgehört  hat,  entfernt  noch  etwaige  Reste,  bis  die 
Ansatzstelle  ganz  eben  ist.  Zweckmässig  ist  es,  den  nächsten  Tag  nochmals 
eine  genaue  Besichtigung  vorzunehmen,  um  etwaige  früher  durch  kleine  Blut- 


376  NEOPLASMEN  DES  KEHLKOPFES. 

klümpchen  verdeckte  Reste  der  Geschwulst  wieder  sorgfältig  zu  entfernen.  Hat 
man  sich  endlich  davon  überzeugt,  dass  die  Basis  vollständig  glattrandig  ist,  so 
wird  die  Ansatzstelle  mit  Lapis  in  substantia  geäzt.  Diese  endolaryngeale  Opera- 
tion wird  nach  vorhergegangener  Anasthesirung  des  Kehlkopfes  mit  Cocain 
ausgeführt.  Man  bedient  sich  dazu  einer  20  bis  oO^oigen  Lösung  von  Cocain 
mur.  in  Wasser  und  pinselt  dieselbe  mit  einem  feinen  Haarpinsel  energisch 
auf  die  Schleimhaut  des  Kehlkopfes  auf.  Bei  grosser  Empfindlichkeit  des 
Patienten  hat  man.  früher  auch  den  Zungengrund,  den  weichen  Gaumen,  die 
Mandeln  und  die  hintere  Eachenwand  ebenso  zu  bepinseln.  Nach  der  Ein- 
pinselung  wartet  man  eine  halbe  Minute  und  prüft  dann  mit  der  Kehlkopf- 
sonde, ob  die  Empfindlichkeit  ganz  geschwunden  ist.  Ist  das  nicht  der  Fall, 
so  wiederholt  man  die  Pinselung  eventuell  5  bis  6mal.  Die  Operation  hat 
stattzufinden,  wenn  der  Patient  ausgeruht  ist  und  leeren  Magen  hat.  Sonst 
kann  leicht  der  Brechreiz  hinderlich  sein.  Nur  sehr  selten  wirkt  die  Cocaini- 
sirung  nicht  vollständig  anästhesirend,  noch  seiteuer  hat  sie  üble  Folgen. 
Zwar  stellt  sich  sehr  bald  ein  unangenehmes  Gefühl  von  Kälte  oder  Lähmung 
im  Rachen  und  Kehlkopf  ein,  ja  die  Patienten  behaupten  oft,  dass  sie  nicht 
athmen  könnten,  doch  beobachtet  man  schlimme  Erscheinungen,  eigentliche 
Intoxicationen,  bei  dieser  Methode  nur  sehr  selten.  Natürlich  muss  man  immer 
den  Patienten  ermahnen,  ja  nichts  von  der  Flüssigkeit  zu  schlucken.  Merk- 
w^ürdigerweise  gelingt  die  Anasthesirung  durch  Cocain  bei  Kindern  häufig 
nicht  gut. 

Vor  der  Einführung  des  Cocains  waren  diese  Operationen  sehr  schwierig. 
Gewöhnlich  gelang  es  zwar  in  zwei  bis  drei  Tagen  die  Neubildung  zu  ent- 
fernen, ja  in  einzelnen  Fällen  konnte  man  ohne  jede  Vorbereitung  operiren. 
Sehr  häufig  jedoch  musste  man  den  Patienten  durch  vier  bis  fünf  Tage,  ja 
manchmal  durch  mehrere  Wochen  zur  Operation  vorüben.  Diese  Vorübung 
bestand  in  der  oftmaligen  Einführung  einer  Sonde  in  den  Larynx.  Ferner 
gelang  es  fast  nie,  den  Kehlkopf  vollständig  unempfindlich  zu  machen,  so 
dass  alle  Operationen  mit  einer  besonderen  Geschwindigkeit  ausgeführt  werden 
mussten,  und  eine  besondere  Geschicklichkeit  dazu  gehörte.  In  seltenen 
Fällen  endlich  konnte  auch  der  geschickteste  Operateur  die  Geschwulst  nicht 
entfernen  wegen  der  Empfindlichkeit  des  Patienten.  Dann  musste  man  seine 
Zuflucht  nehmen  zu  der  von  Türck  eingeführten  und  von  Schrötter  modi- 
ficirten  localen  Anasthesirung  mit  Morphin-Bepinselung.  Dieselbe  wurde  in 
folgender  Weise  ausgeführt.  Abends,  beiläufig  um  6  Uhr,  wurde  der  Patient 
12mal  mit  reinem  Chloroform  im  Larynx  gepinselt,  um  eine  starke  Hyperämie 
der  Schleimhaut  zu  erzeugen.  Diese  Procedur  war  sehr  unangenehm,  da  sie 
starkes  Brennen  im  Halse  veranlasste.  Eine  Stunde  darnach  wurde  der 
Patient  12mal  hintereinander  mit  einer  Lösung  von  O'bg  Morphii  muriatici 
in  5  ^  Wasser  gepinselt.  Diese  Procedur  war  viel  angenehmer,  aber  für  den 
Patienten  etwas  gefährlich.  Es  musste  nämlich  sorgfältigst  vermieden  werden, 
etwas  von  dieser  Lösung  zu  schlucken.  Man  Hess  daher  den  Patienten  fleissig 
ausspucken*  und  sich  nach  jeder  Pinselung  mit  einer  2%igen  Lösung  von 
Tannin  ausgurgeln.  Nun  wurde  der  Patient  die  Nacht  über  beobachtet,  um 
Vergiftungserscheinungen  sofort  entgegentreten  zu  können.  Nur  in  sehr 
wenigen  Fällen  kam  es  zu  ;  schweren  Erscheinungen,  und  einmal  erlag  auch 
ein  Patient.  In  den  anderen  Fällen  aber  schliefen  die  Patienten  meist  gar 
nicht  und  zeigten  ausser  engen  Pupillen  keine  Vergiftungserscheinungen. 
Den  nächsten  Morgen  war  der  Kehlkopf  gewöhnlich  vollständig  unempfindlich 
und  blieb  es  sogar  häufig  durch  viele  Stunden.  Man  nahm  die  Bepinselung 
Abends  vor,  weil  die  Erfahrung  gezeigt  hatte,  dass  die  Anästhesie  gewöhn- 
lich erst  mehrere  Stunden,  sogar  bis  12  Stunden  nach  der  Bepinselung  sich 
einstellte.  War  der  Patient  am  Morgen  noch  nicht  anästhetisch,  so  wurde 
er  neuerdings  12mal  mit  Morphinlösung    gepinselt.     Trotz  der  Umständlich- 


NEOPLASMEN  DES  KEHLKOPFES.  377 

keit  und  Gefährlichkeit  dieses  Verfahrens  führte  es  in  seltenen  Fällen  nicht 
zum  Ziele.  Es  ist  daher  begreiflich,  dass  man  die  Anästhesirung  mit  Cocain 
bei  weitem  vorzog.  Grosse  derbe  Geschwülste  kann  man  noch  durch  Injection 
von  sehr  schwachen  Cocainlösungen  in  ihre  Substanz  bis  ins  Centrum  unem- 
pfindlich machen.  Aetherzerstäubung  auf  die  Gegend  des  Durchtrittes  des  ner- 
vus  laryngeus  superior  (Rossbach)  oder  Morphininjection  ebendort  ist  selten 
wirksam. 

Endlich  hat  man  namentlich  bei  Kindern  endolaryngeale  Operationen  in 
der  Narkose  ausgeführt.  Schnitzler  war  der  erste,  der  dies  durchführte. 
Natürlich  braucht  man  dann  eine  grosse  Menge  Assistenten,  da  das  Kind 
aufrecht  gehalten  werden  muss,  man  den  Mund  gewaltsam  zu  öffnen,  die  Zunge 
hervorzuziehen  und  den  Rachen  und  Kehlkopf  fortwährend  von  Schleim  und 
Blut  zu  reinigen  hat. 

Um  nun  allen  diesen  Mühseligkeiten  zu  entgehen,  hatte  Voltolini 
seine  Schwammmethode  angegeben.  Er  Hess  nämlich  an  einem  gekrümm- 
ten ziemlich  festen  Metallstiel  einen  rundlichen  Schwamm  von  circa  1  cm 
Durchmesser  recht  genau  und  sicher  befestigen  und  führte  nun  diesen  Schwamm 
schnell  in  den  Kehlkopf  ein  und  wartete,  bis  die  Stimmbänder  sich  öffneten. 
Dann  bewegte  er  ihn  in  schnellem  Tempo  auf-  und  abwärts,  immer  wieder 
den  Schluss  der  Stimmbänder  durchbrechend.  Dadurch  nun  wurden  kleine, 
an  der  Kante  oder  der  inneren  Fläche  der  Stimmbänder  sitzende  Geschwülste 
abgerissen  oder  doch  so  vielfach  gequetscht,  dass  sie  sich  bald  von  selbst 
abstiessen.  Natürlich  wurden  dabei  sehr  häufig  auch  die  gesunden  Theile 
der  Stimmbänder  abgeschabt  und  abgeschunden  und  sehr  häufig  das  kleine 
Geschwülstchen  gar  nicht  getroffen.  Doch  ist  es  richtig,  dass  eine  Zerreis- 
sung  oder  schwere  Schädigung  der  Stimmbänder  niemals  beobachtet  wurde. 
Diese  früher  von  vielen  ungeduldigen  Operateuren  sehr  begünstigte  Methode 
konnte  sich  natürlich  nach  Einführung  des  Cocains  nicht  mehr  halten,  da  sie 
zu  roh  und  unsicher  war.  Man  wendete  sich  allgemein  den  exacten  Opera- 
tionsmethoden zu,  welche  in  Abtragung  der  Geschwulst  unter  Leitung  des 
Spiegels  bestanden.  Dazu  hatte  man  nach  dem  Beispiele  v.  Bruns  schon 
eine  grosse  Reihe  von  Instrumenten  construirt,  welche  an  anderer  Stelle 
{„Instrumentarium  der  Laryngologen"  pag.  214  ds.  Bds.)  kurz  besprochen 
werden. 

Die  Wahl  der  Instrumente  hängt  natürlich  vom  Belieben  jedes  Opera- 
teurs ab,  aber  am  meisten  dürften  sich  für  die  kleinen,  weichen  Geschwülste 
Kehlkopfpincetten  mit  kleinen  Branchen  empfehlen  (vide  die  entsprechenden 
Figuren  auf  pag.  214  u.  ff.). 

Harte  oder  sehr  grosse  Neubildungen  entfernt  man  entweder  mit  dem 
Messer,  indem  man  den  Stiel  damit  durchschneidet,  oder  mit  der  Guillotine 
oder  mit  der  galvanokaustischen  Schlinge.  Besonders  findet  das  letztere  In- 
strument Anwendung  bei  sehr  blutreichen  Neubildungen.  Die  Operation  ist 
übrigens  selten  von  starker  Blutung  gefolgt.  Gewöhnlich  hört  sie  von  selbst 
auf  durch  Gurgelung  mit  kaltem  Wasser  oder  auf  Pinselung  mit  Cocain. 
Eventuell  kann  man  mit  einer  Lösung  von  einigen  Tropfen  liquor  ferri  in 
einem  Glas  Wasser  bepinseln.  Gelegentlich  jedoch  waren  die  Blutungen  so 
heftig,  dass  man  Tracheotomie  machen  und  den  Kehlkopf  tamponiren  musste. 
Deshalb  soll  bei  solchen  Operationen  jedenfalls  alles  dazu  bereit  sein.  Natür- 
lich hängt  die  Möglichkeit  der  Durchführung  der  endolaryngealen  Operation 
sehr  viel  von  der  Geschicklichkeit  und  Geduld  der  betreffenden  Operateui'e 
ab.     Was    darin    geleistet    werden    kann,    lehrt    die    Casuistik   von    Bkuns, 

SCHRÖTTEß,    StÖRCK,    MaCKENZIE   U.   A. 

Eine  der  seltensten  Methoden  ist  die  Injection  von  Flüssigkeiten  in  den 
Tumor,  welche  denselben  entweder  langsam  zum  Schwinden  oder  zur  Nekrose 
bringen  sollen.  Diese  Behandlungsmethode  bedarf  fortwährender  Ueberwachung 


378  NEOPLASMEN  DER  NASENHÖHLE. 

des  Kehlkopfes,  weil  man  nie  weiss,  welche  Keaction  die  Flüssigkeit  im  Tumor 
hervorruft.  Man  verwendete  in  dieser  Art  besonders  Ueberosmiumsäure  und 
Liquor  ferri. 

Extralaryngeale  Operation.  Ist  der  Tumor  bösartig  oder  sehr 
gross,  sehr  hart,  sehr  blutreich,  sind  schon  Athembeschwerden  vorhanden,  ist 
überhaupt  das  Individuum  sehr  unruhig  und  ängstlich,  so  kommt  natürlich 
die  Operation  von  aussen  in  Frage.  Dieselbe  besteht  darin,  dass  man  ent- 
weder die  Pharyngotomia  subhyoidea  oder  Pharyngotomia  late- 
ralis oder  die  Laryngotomia  transversa  oder  Laryngof issur  oder 
Exstirpatio  laryngis  vornimmt  und  auf  diese  Art  den  Tumor  entfernt. 
Diese  Operationen  werden  bei  gutartigen  Neubildungen  nur  in  sehr  seltenen 
Fällen,  dagegen  bei  bösartigen  recht  häufig  vorgenommen.  Sie  sind  deswegen 
in  dem  Artikel  „Carcinoma  laryngis"  ausführlich  besprochen.  chiari. 

Neoplasmen  der  Nasenhöhle.  {Neoplasmata  narlum.)  Die  Nasenhöhlen 
sind  sehr  häufig  der  Sitz  von  Neubildungen,  deren  graurothe  Farbe,  weiche  Con- 
sistenz,  deren  Form  und  Stielbildung  grosse  Aehnlichkeiten  mit  den  Mollusken 
darbieten  und  die  man  deshalb  ^Polypen'-'-  nennt.  Diese  Bezeichnung  galt  in  frü- 
heren Jahren  für  alle  Nasentumoren,  gleichviel,  wo  ihr  Sitz  war,  welche  anato- 
mische Structur  und  welche  sonstigen  klinischen  Eigenschaften  sie  hatten; 
höchstens  sprach  man  von  harten  und  von  weichen  Polypen  und  trennte  hievon 
späterhin  die  bösartigen  Neubildungen,  das  Sarkom  und  Carcinom.  Heute  ist 
es  nothwendig  und  auch  möglich,  vom  anatomischen  wie  vom  klinischen  Stand- 
punkte aus  die  in  der  Nase  vorkommenden  Neubildungen  schärfer  von  ein- 
ander zu  trennen;  Form,  Consistenz  und  Sitz  der  meisten  dieser  Geschwülste 
bieten  schon  bei  der  klinischen  Untersuchung  genügende  Anhaltspunkte  für 
die  Bestimmung  ihrer  anatomischen  Natur;  anderseits  jedoch  sehen  wir  zuweilen 
eine  Anzahl  Nasengeschwülste  von  ganz  verschiedener  anatomischer  Zusammen- 
setzung, die  aber  in  ihren  klinischen  Symptomen  so  viel  Gemeinsames  haben, 
dass  wir  nach  ihrer  mikroskopischen  Untersuchung  erst  in  der  Lage  sind, 
ihre  wahre  Natur  nebst  ihrer  Prognose  und  Behandlung  zu  bestimmen.  Es 
ist  daher  auch  für  den  klinischen  Gebrauch  richtiger,  bei  der  Eintheilung  der 
Neubildungen  in  der  Nase  deren  anatomische  Structur  zu  Grunde  zu  legen. 

Von  homologen   (A)  Neubildungen  finden  wir  in  der  Nase  Binde- 
substanz- und  epitheliale  Formen: 
I.  Fibrome  (weiche  und  harte). 
IL  Papillome  (fibröse  und  epitheliale). 

IIL  Angiome. 

IV.  Ekchondrome  uud  Osteome.  —  Wir  können  diese  Geschwülste 
klinisch  als  gutartige  bezeichnen. 

Von  heterologen  (B)  Tumoren,  die  sich  wie  überall  auch  hier  mit 
dem  klinischen  Begriffe  der  Malignität  decken,  beobachten  wir  in  der  Nase: 

1.  Neubildungen  des  Bindegewebes,  die  Sarkome  und 

2.  die  des  Epithels,  die  Carcinome. 

I.  Wir  unterscheiden  zwei  Arten  von  Fibromen:  1.  die  weichen  öde- 
matösen  und  2.  die  harten  trockenen  Fibrome. 

Von  anderen  gutartigen  Neubildungen  sind  von  Landgraf  u.  A.  Cysten 
an  den  Nasenmuscheln  beobachtet  worden,  im  Falle  von  Landgraf  handelte 
es  sich  um  einen  weichen,  weisslichen,  kirschgrossen  Tumor  mit  bindegewebiger 
Hülle  und  Detritusinhalt. 

Sqüire  (London  Lancet  1891)  hat  einen  Fall  von  Lipom  in  der  Nase 
gesehen;  ebenso  Gomperz,  der  ein  Lipom  aus  der  Nase  eines  60jährigen 
Mannes   beschreibt,   das   als  kirschgrosser  und   derber  Tumor  an  der  oberen 


NEOPLASMEN  IM  NASENRACHENRÄUME.  —  NEOPLASMEN  DES  OHRES.  379 

Nasenwand  aufgesessen  und  häufiges  Nasenbluten  verursacht  hatte;  bei  der 
mikroskopischen  Untersuchung  bestand  dasselbe  an  der  Oberfläche  aus  kem- 
reichem  festem  Bindegewebe,  das  allmählich  in  ein  zartes  grossmaschiges 
fibröses  Gewebe  übergieng,  in  dessen  Maschen  die  Fettzellen  lagen,  welche 
die  Hauptmasse  der  Geschwulst  ausmachten. 

Die  weichen  Fibrome  werden  Schleimpolypen  oder  Nasenpolypen 
sensu  strictiori  bezeichnet  und  im  Artikel  „iVasmjJo/^/jvm"  ausführlich  besprochen. 
Bezüglich  der  übrigen  Tumoren  der  Nasenhöhle  {Papillome^  Angiome,  Elccho- 
drome,  Osteome,  Carcinome  und  Sarcome)  sei  auf  die  gleichlautenden  Sticli- 
worte  in  diesem  Bande  verwiesen.  k. 

Neoplasmen  im  Nasenrachenräume,  wir  theiien  die  Neubildungen 

des  Nasenrachenraumes  in  A.  gutartige  und  B.  bösartige  ein.  Die 
Gruppe  A  umfasst  a)  die  Nasenrachenpolypen  und  b)  die  Enchon- 
drome;  die  Gruppe  B  die  Sarkome  und  Carcinome.  Die  Gruppe  A  a)  ist 
im  Artikel  „Nasenrachenpoli/pen''  ausführlich  beschrieben.  Bezüglich  der 
übrigen  Tumoren  des  Nasenrachenraumes  verweisen  wir  auf  die  entsprechen- 
den Stichworte:  Enchondrome,  Carcinome,  Sarkome. 

Neoplasmen  des  Ohres.  (Neubildungen  im  Gehörorgane.)  Die  Neu- 
bildungen des  Ohres  theilt  man  ein  in  Neubildungen  der  Ohrmuschel, 
des  Gehörorganes,  des  Trommelfelles,  der  Tube,  des  Mittelohres,  des  Warzen- 
fortsatzes und  des  inneren  Ohres. 

I.  Neubildungen  der  Ohrmuschel.*) 

Von  den  Geschwülsten  der  Bindesubstanzreihe  haben  wir  vor  allem  der 
Fibrome   zu  gedenken.    Ihr  Prädilectionssitz  ist  der  Lobulus  auriculae;  sie 
entwickeln  sich  ausserordentlich  lang- 
sam im  Laufe  vieler  Jahre,  aber  meist  ,,^:;.,      ,-,,. 
im  directen  Anschluss  an  Verletzungen,  -   -^.ß'-.^''      '?  -'i        W^H:-.            '/ 
den    chronischen  Keiz   von  Ohrgehän-  ^         ^^ /";!;; ^:;  ;  0:^  '■:  ■         />  vr  ■^^- ' 
gen  etc.  Ihre  Grösse  wechselt  von  hirse-  "  ""^~-^"'  '    ^/  ^i  V  '/V  .^v   ,  ^r         ' 
korngrosser   Einlagerung   bis   gewöhn-  '    '^' '  .      '  ^ ;  /        ■  :      .,, 
lieh   zu   Kirsch-    oder   Nussgrösse;   in  b  ~^\-:''----:'':v:<':y:^^'' ''   ^":          /:; 
den  Tropen  gedeihen  sie  zu  noch  viel  ""A{^     :    .      '           -^     - 
ansehnlicherem  Umfange.     Die   Consi-  ^  "*>;""";           .                   V 
stenz  dieser  knolligen  Excrescenzen  ist,  ""^'^  ^,  -  "  .        ,_.  ,V^ 
so  lange   sie  als  benigne  Fibrome  be-  -   "  '  V, -"  "        _-:"'..- 
stehen,  immer  eine  derb-feste;  die  Haut 
zeigt  sich  zumeist  verwachsen  mit  dem  J7=i^««^)v. 

Tumor.  Drüsenschwellungen       fehlen,     Kg.  i.  Fibroma  lobuU  aunculae.  «.Epldermisstratum 

ebenso  Schmerzen.    Makroskopisch  ha-  ™".  """f  i:«l^'*^  """^t^^'''  ?"j"=°,':^'^^f:  infiit"rter 

.  -J^.  .  Cutis,     h.  Grossere    längliche  Infiltrationsherde  m  das 

ben  sie  auf  dem  DUrChSChnittee  m  weiss-     beginnende  Fibrom  eingesprengt,  c    Die  Bindegewebs- 

gelbes  oder  sehnig  glänzendes  Gefüge;  ''''T^^^^Sn^^^^Z^'^S^:T''' 
mikroskopisch   zeigen  sie  sich  aus  ge- 

fässarmem  Bindegewebe  mit  zelligen  Einlagerungen  von  Spindelzellen  zu- 
sammengesetzt; Eundzelleninfiltrate  sind  häufig  in  verschiedener  Ausdehnung 
vorhanden  als  Ausdruck  einer  stattgehabten  entzündlichen  Reizung. 

Die  Therapie  muss  eine  operative  sein  (Keilexcision  mit  oder  ohne 
Plastik).    Die  Prognose  ist  im  allgemeinen  eine  günstige;  jedoch  kommen 


* j  Haug,  Zur  mikroskopischen  Anatomie  der  Geschwülste  des  äusseren 
Ohres.  Archiv  f.  Ohr.  XXXHI,  und:  Weitere  Beiträge  zur  Klinik  und  mikro- 
skopischen Anatomie  der  Geschwülste  des  äusseren  und  mittleren  Ohres. 
Archiv  f.  Ohr.  XXXV  und  Arch.  f.  Ch.  Bd.  XLIil.  sowie  in  Ziegler's  Beiträgen  z.  path. 
Anat.  u.  z    allgem.  Pathologie.  Bd.  XVI. 


380  NEOPLASMEN  DES  OHRES. 

Uebergänge  zum  Sarkom  und  Carcinom  vor.  Auch  weiche  Fibrome  (wie  bei 
der  Elephantiasis)  kommen  zur  Beobachtung.  Elephantiasis  der  ganzen 
Muschel  ist  sehr  selten.  Ein  Fall,  bei  welcher  das  vergrösserte  Ohr  folgende 
geradezu  colossale  Ausmaasse  aufgenommen  hatte:  I272  ctm  im  Längendurch- 
messer, 7  ctm  im  Querdurchmesser  und  23  ctm  in  dem  Umfang,  ist  auch 
jüngst  (Arch.  f.  Ohr.  Bd.  46,  pag.  15)  beschrieben  worden. 

Aus  Narben  am  Ohre,  speciell  am  Lobulus,  entwickeln  sich  zuweilen 
Keloide,  die  bei -jedem  Exstirpationsversuch  wieder  recidiviren. 

In  selteneren  Fällen  gelangen  Chondrome  oder  Chondro myxome 
als  nussgrosse  knotige  derbe  Geschwülste,  festaufsitzend  gewöhnlich  der  hin- 
teren Fläche  der  Muschel  zur  Beobachtung.  Chondrome  der  Parotis  können 
auf  das  Ohr  übergreifen.  N  e  u  r  0  m  e  (Fibroneurome)  entwickeln  sich  zuweilen 
auf  keloidartigen  Narben;  sie  sind  schmerzhaft.  Ausserdem  findet  sich  noch 
Einlagerung  von  Kalksalzen  in  den  Knorpel  als  Verknöcherung  der  Ohr- 
muschel, jedoch  nie  als  Knochenneubildung  (Osteom). 

Atherome  sind  gar  nicht  selten;  sie  etabliren  sich  mit  Vorliebe  an 
dem  hinteren  Insertionswinkel  der  Muschel,  sehen  glatt  aus  bei  meist  verschieb- 
licher Haut  und  fühlen  sich  teigig  an.  Dermoide  greifen  zuweilen  von 
der  Schläfe  auf  das  Ohr  über;  sie  sind  ganz  leicht  kenntlich  durch  ihren 
periostealen  Wall. 

Ob  selbständige  Cysten  an  der  Vorderfläche  der  Ohrmuschel  vor- 
kommen, ist  noch  nicht  sicher  erhärtet;  für  gewöhnlich  handelt  es  sich  in 
Fällen  von  sogenannten  Cysten  mit  gelblichem  synoviaähnlichem  Inhalt  um  die 
Producte  einer  Perichondritis  oder  eines  Othämatoms. 

Angiome  können  als  einfache  verschieden  grosse  Naevi  vasculosi  an 
beliebigen  Stellen  des  Ohres  angeboren  beobachtet  werden,  oder  es  bilden  sich 
im  Laufe  der  Zeit,  zuweilen  veranlasst  durch  ein  Trauma,  grosse,  oft  sehr 
grosse,  bläulich-rothe,  von  dünner  Hautlage  überzogene  Tumoren,  die  sich  bei 
entsprechender  Richtung  des  Druckes  vergrössern  oder  verkleinern  lassen; 
Aneurysmen  der  A.  A.  temporalis  oder  occipitalis  oder  auricul.  posterior 
geben  das  bekannte  Aneurysmageräusch.  Therapie:  Unterbindung  oder  lange 
Compression  der  zuführenden  Gelasse;  eventuell  Stichelungen  mit  dem  Paquelin 
in  wiederholten  Sitzungen.  Injectionen  von  Eisenchlorid  etc.  sind  sehr  zu 
widerrathen.  Bei  kleineren  Geschwülsten,  Naevis,  kann  hie  und  da  Elektro- 
lyse abhelfen. 

Plexiforme  Angiosarkome  kommen  in  seltenen  Fällen  am  Tragus 
vor,  (Diagnose  nur  mikroskopisch)  ebenso  sind  Cylindrome  der  Muschel 
ausserordentlich  selten,  ebenso  Endotheliome. 

Aus  der  Gruppe  der  epithelialen  Geschwülste  ist  die  hauptsächlichste, 
weil  am  öftesten  vorkommend  und  die  grössten  Zerstörungen  anrichtend,  der 
Krebs  der  Ohrmuschel.  Er  entwickelt  sich  entweder  von  vorhandenen  Naevis, 
Warzen  oder  von  kleineren,  nicht  beachteten,  vernachlässigten  und  häufig 
irritirten  Erosionen,  Rhagaden,  meist  im  höheren  Lebensalter;  unter  Umstän- 
den kann  das  chronische  Ekzem  zum  Epitheliom  führen.  Für  gewöhnlich 
etablirt  sich  ein  kleines  derbes  Knötchen  am  Rande  des  Helix,  das  zuweilen 
durch  Jahre  als  solches  bestehen  kann,  öfters  juckt  und  deshalb  zerkratzt 
wird;  aus  ihm  entsteht  dann  schnell  das  Ulcus  carcinomatosum  mit  meist 
wallartig  erhabenen,  mit  papillären  Excrescenzen  besetzten,  grossbuchtigen 
Rändern,  das  Centrum  mit  missfarbigem,  schmierigem  Detritus  belegt.  Die 
regionären  Lymphdrüsen  sind  in  diesem  Stadium  immer  schon  vergrössert, 
zuweilen  auch  schmerzhaft;  die  Geschwürsfläche  verbreitet  einen  penetranten 
Gestank.  Der  Knorpel  wird  bald  ergriffen  und  in  die  Destruction  mit  ein- 
bezogen, so  dass  bald  langsamer,  bald  rapide  der  grösste  Theil  der  Muschel 
oder  die  ganze  in  Verlust  geräth,  und  ausserdem  die  Neubildung  weiter  auf 
die  knöchernen  Lager  des  Gehörganges,   des  Felsenbeines,  die  Parotisgegend 


NEOPLASMEN  DES  OHRES.  38 1 

und  bis  auf  den  Schädelgrund  übergreift.  Es  ist  aus  diesen  Gründen  die 
möglichst  frühzeitige  Exstirpation  der  primären  Knötchen  mit  gleichzeitiger 
sorgfältiger  Ausschälung  der  Lymphdrüsen  das  einzig  rationelle  Verfahren, 
und  es  sollte  nie  die  kostbare  Zeit  verschwendet  werden  mit  Aetzmitteln, 
Sodawaschungen  und  ähnlichem.  Bei  den  vorgeschritteneren  Ulcerationen 
lassen  sich  die  absolut  sicheren  Recidive  nicht  mehr  ausschliessen. 

Was  den  histologischen  Charakter  dieser  Epitheliome  anbelangt,  so  ist 
nach  meinen  Untersuchungen  anzunehmen,  dass  die  unterste  Schichte  der 
cylindrischen  Basalzellen  des  Bete  das  eigentlich  wuchernde  Epithelstratum 
abgibt.  Das  bindegewebige  Stroma,  sehr  gefässreich  und  aus  hinfälliger  jugend- 
licher Bindesubstanz  bestehend,  tritt  in  den  bösartigen,  schnell  destruirenden 
Fällen  vollständig  in  den  Hintergrund  gegenüber  der  Epithelial  Wucherung;  in 
den  benigneren  Fällen  ist  das  Stroma  überwiegend  und  von  derberer  Structur. 
Der  Knorpel  zeigt  sich  infiltrirt,  die  Knorpelkapseln  gesprengt  und  durch  die 
Neubildung  substituirt. 

Von  den  Neubildungen  infectiösen  Charakters  ist  es  vor  allem  die 
Tuberkulose,  die  in  verschiedenen  Formen  als  Neubildung  die  Ohrmuschel 
häufig  befällt. 

Nicht  zu  selten  ist  sie  der  Sitz  des  Lupus  vulgaris,  der  entweder, 
gewöhnlich  gleichzeitig  mit  Gesichtslupus,  seltener  ohne  diesen,  in  Form  des 
Lupus  maculosus  als  braunrothe,  flache,  eventuell  abheilende  Eruption 
{L.  exfoUativus)  auftritt,  oder  in  bösartigeren  Fällen  bei  einer  Masseninfil- 
tration mit  kleinen  Primäreffiorescenzen  zu  einer  hochgradig  lupösen  Ver- 
sch wellung  des  ganzen  Organes  führt,  insbesondere  am  Ohrläppchen.  Ulce- 
rationen bleiben  oft  lange  Zeit  aus,  zuweilen  jedoch  zerfällt  das  Ohr  rapide 
und  gibt  so  zu  argen  Verunstaltungen  Veranlassung;  kommt  es  zur  Heilung, 
so  bleiben  als  Residuen  Stenosirung  oder  Atresie  des  Gehörganges  nicht  sel- 
ten zurück. 

Die  linsen- bis 
fingernagelgrossen, 
braunröthlichen,  im 
Centrum  abblassen- 
den und  verheilen- 
den, an  der  Periphe- 
rie in  Bogenlinie  mit 
wallartigem    Saume 

fortschreitenden 
Scheiben  des  Lupus 
erythematoides 
treten  selten  primär 
an  den  Ohren  auf, 
vielmehr  werden  sie 
meist  secundär  er- 
griffen von  der 
W^ange  oder  Schläfe  ^  ^   .^^^  _.  ^^    «i;^  -  ..  ,    •     •.  •.'...--  --  -  ■ 

aus.     Die    Drüsen-  <^,  .•,•  *'- "y-   -^ ji^'-*«'--\ •"•.•;•''•':  •':   •' 'Dll^«^  f«^. 

Schwellung,  die  beim 

Lupus  vulgaris   nie  ■^.?f,<.— •". 

fehlt,    ist  hier  bei- 

nalio  nio  vnrliQTiflpn  ^^S-  2.  Circmnscripte  Knotentuberkulose.  a.  Unterhalb  des  noch  normalen  Stra- 

Uciue  liit!  VUlUclUUeu.  ^^^  papilare   beginnt  diffuse,  disseminirte  KundzeUeninEltration  der  Cutis,  die 

Eine  dritte  Art  sich  bei  &  in  den  tieferen  Partien  zu   massenhaften   Eundzellenanhäufungen  zu- 

,  ,     ,        IT"  sammenballen,  um  bei  c  die  rundlichen   epitheloiden  Zellhaufen  zu  umschliessen. 

der     tUberKUlOSen  d.  Vielkemlge   Rlesenzellen,   bei   Immersion   bacillenhältig.    —  Hartnack  II.  5. 

Neubildung     finden 

wir  in  der  circumscripten  Knotentuberkulose  des  Lobulus,  die  nicht 
mit  einem  Lupus  identificirt  werden  darf.  Die  Krankheit  entwickelt  sich 
ausserordentlich  langsam    im  Laufe    von  vielen  Jahren  und  Jahrzehnten  und 


^'-» 


382  NEOPLASMEN  DES  OHRES. 

etablirt  sich  in  Gestalt  eines  kirsch-  bis  nussgrossen,  derb  weichen,  mit  der 
bedeckenden  Haut  verwachsenen  blass-röthlichen  Knotens  nur  und  allein  im 
Lobulus  auriculae,  gewöhnlich  auf  einer  Seite.  Das  Ohrläppchen  ist  da 
von  Anfang  an  der  primäre  Sitz  der  Geschwulst,  während  beim  Lupus  der 
Lobulus  durchgehends  secundär  zu  erkranken  pflegt;  auch  fehlen  bei  der 
circumscripten  Knotentuberkulose  immer  die  lupösen  Efflorescenzen  an  den 
anderen  Partien  des  Ohres,  es  ist  völlig  gesund  bis  auf  den  Lobulus.  Die 
regionären  Auriculardrüsen  erweisen  sich  leicht  geschwellt  und  geben  im  hi- 
stologischen Bilde  mit  gleich  absoluter  Sicherheit  eine  wahre  Tuberkulose 
wie  die  Stammgeschwulst.  Ulcerationen  pflegen  dabei  gewöhnlich  nicht  auf- 
zutreten. 

Gerade  wegen  seiner  langsamen  Entwicklung,  wegen  des  Fehlens  von 
irgend  welchen  Veränderungen  in  der  Umgebung,  wegen  der  Schmerzlosigkeit 
und  wegen  des  Sitzes  im  Lobulus  wird  der  Tumor  fast  Die  als  das  erkannt, 
was  er  in  Wirklichkeit  ist;  er  wird  beinahe  immer  verwechselt  mit  Fibroma 
auriculae.  Es  ist  deshalb  in  allen  solchen  Fällen  die  klinisch-makroskopische 
Diagnose  nie  genügend,  nur  das  Mikroskop  kann  die  Diagnose  sichern.  Ich 
bin  der  festen  Ueberzeugung,  die  Sache  wäre  viel  früher  entdeckt  worden, 
hätte  man  nicht  im  guten  Glauben,  es  mit  Fibromen  zu  thun  zu  haben,  die 
Detailuntersuchung  einfach   oft  unterlassen. 

Die  Prognose  ist  eine  im  Allgemeinen  gute,  da  es  sich  um  eine  rein 
locale  Infection  handelt,  die  bei  gleichzeitiger  DrüsenentfernuDg  eine  dauernde 
Radicalheilung  gestattet;  meine  fünf  Fälle  sind  bisher  (über  5  Jahre  theil- 
weise)  völlig  gesund  geblieben;  doch  ist  ein  Fall  beobachtet  worden  (Düring), 
in  welchem  von  dieser  primären  Infectionsstelle  aus  eine  allgemeine  Tuber- 
kulose sich  entwickelte,  die  rasch  in  IV2  Jahren  zum  Tode  führte. 

Die  Perichondritis  tuberculosa  ist  hier  als  Entzündung  nicht  zu 
erwähnen.  Einfach  tuberkulöse  Hautgeschwüre  kommen  ebenfalls 
am  Ohre  vor. 

Syphilis  kann  sowohl  in  den  Frühformen  als  Roseola  und  Papel,  als 
insbesonders  in  den  späteren  Stadien  als  Rupia,  serpiginös-ulceröses  Syphilid 
und  als  Gumma  am  Ohre  sich  repräsentiren.  Primäraffecte  am  Ohre  sind 
sehr  selten. 

Molluscum  contagiosum  ist  bis  jetzt  erst  in  einem  Falle  an  der 
Muschel  beobachtet  worden. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  nicht  vergessen,  dass  von  anorganischen  Bil- 
dungen ausser  der  obgenannten  Ablagerung  von  Kalksalzen  es  bei  Arthritis 
Vera  sehr  häufig  zur  Bildung  von  harnsauren  Concrementen  am  Ohre,  speciell 
am  Helix  kommen  kann;  richtige  Gichttophi,  weissgelbliche  harte  Knötchen, 
umgeben  von  einem  stark  vascularisirten  Hofe. 

n.  Neubildungen  des  Gehörganges. 

Ein  guter  Theil  der  an  der  Ohrmuschel  beobachteten  Geschwülste  kommt 
auch  im  Meatus  vor.  Wir  haben  Fibrome,  harte  und  weiche  Mischformen 
Fibrosarkome,  Chondrofibrom,  Atherome,  Milium,  Papillome, 
Carcinome,  Sarkome  (plexiformes  Angiosarkom,  auch  melanstische),  Ade- 
nome und  Adenocarcinome,  letztere  ausgehend  von  den  Ohrschweiss- 
drüsen  oder  auch  von  den  Talgdrüsen,  Angiome  und  Lymphangiofi- 
brome-  und  sarcome  (Endothelion)  Lupus,  Condylome,  Gumm  ata. 
Polypen  kommen  zwar  im  Meatus  sehr  häufig  vor,  jedoch  entspringen 
sie  verhältnissmässig  selten  in  ihm,  und  wir  werden  sie  deshalb  bei  den 
Mittelohrgeschwülsten  zu  betrachten  haben.  Bezüglich  der  Art  des  Auftretens, 
der  Prognose  verhalten  sich  alle  diese  genannten  Neubildungen  genau  so  wie 
die  der  anderen  Körperregionen  und  verlangen  ein  rechtzeitiges,  zumeist 
chirurgisches    Eingreifen.     Die  functionellen  Störungen  sind  oft,    solange  die 


NEOPLASMEN  DES  OHRES.  383 

Neubildung  den  Gehörgang  noch  nicht  abgeschlossen  oder  auf  für  das  Hören 
nöthige  Theile  übergegriffen  hat,  (Sausen,  leichte  Schwerhörigkeit  etc.),  oft 
aber  bei  weichen  vorgeschrittenen  Stadien  in  hohem  Grade  ausgesprochen 
und  vergesellschaften  sich  dann  mit  den  Schädeldrucksymptomen.  Ebenso 
schwanken  die  subjectiven  Erscheinungen  in  den  weitesten  Grenzen. 

Dagegen  haben  wir  in  der  Knochenneubildung  ein  für  den  Meatus 
neues  Neoplasma,  das  wir  ins  Auge  fassen  müssen.  Sie  etablirt  sich  nur 
an  dem  knöchernen  Theile  des  Gehörganges  und  kann  in  zwei  strenge  zu 
scheidenden  Abarten  auftreten. 

Die  Exostose  entwickelt  sich  entweder  im  Laufe  langer  Jahre  infolge 
äusserer  Reizeinwirkungen,  oder  sie  tritt,  und  dies  ist  gar  nicht  selten,  schon 
angeboren  auf,  häutig  doppelseitig  an  correspondirenden  Stellen.  Sie  stellt 
oft  eine  kugelige,  compacte  Prominenz  von  Stecknadelkopf-  bis  zu  etwa 
Erbsengrösse  und  darüber  an  irgend  einer  Partie  der  Gehörgangswand,  be- 
sonders der  hinteren,  überzogen  mit  normaler  oder  stark  verdünnter  und  in 
solchen  Fällen  gegen  Berührung  sehr  empfindlicher  Cutis,  dar.  Am  Ptivini- 
schen  Ausschnitte  des  Anulus  tympanicus  zeigen  sich  zuweilen  je  zwei  klei- 
nere, mehr  spitze  oder  auch  kugelige  Höckerchen  (Osteophyten);  diese  wie 
die  griffel-  und  stachelförmigen  Exostosen  sind  zumeist  congenital;  irgend 
welche  klinische  Bedeutung  wohnt  ihnen  nur  insoferne  inne,  als  sie  bei 
Schwellungen,  Retensionen  etc.  sich  unangenehm  bemerkbar  machen  können. 
Gestielte  Exostosen  oder  mit  Knochenmasse  überdachte  Hohlräume  {Kno- 
chenblasen) sind  selten. 

Im  Gegensatz  zu  diesen  circumscripten  Knochenneubildungen  steht  die 
diffuse  Umwandlung  einer  mehr  weniger  ausgedehnten  Partie  des  Meatus  in 
hyperplastische  Knochenmasse,  die  Hyperostose.  Sie  stellt  eine  oft  ziemlich 
gleichmässige  concentrische  Verengung  des  Gehörgangslumens  dar,  so  dass 
die  Lichtung  auf  Stricknadeldicke   oder  beinahe   ganz  verschlossen  erscheint. 

Was  die  Aetiologie  solcher  Knochenneubildungen  anbelangt,  so  steht  es 
fest,  dass  in  einem  Theil  der  Fälle,  speciell  bei  diffuser  Hyperostose,  Lues 
als  Grundlage  angenommen  werden  muss;  es  kommt  zu  einer  proliferiren- 
den  Periostitis  gummosa  mit  consecutiver  periostealer  Knochenapposition, 
Uebrigens  dürfen  wir  nicht  ausseracht  lassen,  dass  es  im  Verlaufe  lange 
dauernder,  chronisch-eitriger  Mittelohrprocesse  durchaus  nicht  selten  zu  einer 
condensirenden  Ostitis  der  Felsenbeinpartien  kommen  kann,  infolge  deren 
sich,  gleich  wie  am  Warzenfortsatze,  auch  im  Meatus  Hyperostose  speciell  der 
hinteren  Gehörgangswand  herausbilden  kann. 

Für  die  circumscripten  Exostosen  wird  nicht  selten  Arthritis  als  ver- 
anlassendes Moment  angenommen,  indes  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  die 
typischen  Exostosen  in  den  allermeisten  Fällen  als  eine  einfache  Wachsthums- 
störung  der  Knötchen  im  Gehörgangswandungen  zu  betrachten  ist  und  dass 
oft  genug  Rasseneigenthümlichkeiten  mit  im  Spiele  sind.  Es  ist  hier  der  an- 
thropologisch interessanten  Thatsache  zu  gedenken,  dass  bei  den  Schädeln 
der  Völker  der  neuen  Welt  (speciell  Amerikaner,  Peruaner)  verhältnissmässig 
viel  mehr  mit  Exostosen  behaftet  gefunden  wurden  als  bei  denen  der  alten 
Welt.  Am  häufigsten  wiesen  nach  Ostmann's  Untersuchungen  Exostosen 
auf  die  Amerikanerschädel,  dann  die  Australier  und  Oceanier,  die  übrigen 
Rassen  traten  weit  zurück. 

Subjective  Symptome  dieser  über  lange  Jahre  sich  hinausziehenden  Neu- 
bildungen sind  überhaupt  für  gewöhnlich  nicht  vorhanden.  Die  Patienten 
werden  sich  ihrer  gar  nicht  bewusst,  so  lange  als  es  nicht  durch  Verhinderung 
des  Austritts  des  Cerumens  zur  Ansammlung  desselben  und  mithin  zur 
Schwerhörigkeit  kommt.  Bei  Schwellungszuständen  kann  sich  infolge  der 
Verengerung  des  Lumens  eine  auffallend  rasche  Schwerhörigkeit  entwickeln; 
auch   kann   bei  gleichzeitig    bestehender  Mittelohreiterung  dem  Abfluss  nach 


384  NEOPLASMEN  DES  OHRES. 

aussen  der  Weg  versperrt  und  vermögen  so  die  bedrohlichsten  Symptome  von 
Retention  ausgelöst  zu  werden.  Sonst  bilden  sich  Harthörigkeit,  dann  aber 
hochgradige,  zuweilen  auch  Schmerzen  nur  bei  sehr  grossen,  den  Gehörgang 
vollkommen  abschliessenden  Knocheneinlagerungen. 

Der  hyperostotischen  Einwärtssenkung  der  hinteren  Meatuswand,  wie 
auch  der  Schwellungssenkung  der  hintern  obern  Wand,  die  von  Ungeübten 
nicht  selten  mit  Furunkeln  verwechselt  wird,  wohnt  noch  eine  besondere 
diagnostische  Wichtigkeit  inne,  insoferne,  als  sie  bei  chronisch-eitrigen  Mit- 
telohrprocessen  mit  und  ohne  Cholesteatom  sich  ausserordentlich  häufig 
mit  Eiterungen,  Caries  und  Nekrose  in  der  Mastoidealgegend  complicirt,  d.  h. 
auf  sie  hindeuten  kann.  Die  Senkung  der  hintern  obern  Wand  deutet  mit 
Zuverlässigkeit  auf  das  Weitergreifen  auf  die  Pars  mastoidea  hin. 

Spontanheilungen  finden  nur  ausnahmsweise  statt.  Bei  nicht  progre- 
dienten Tumoren  braucht  man  nichts  zu  thun;  zuweilen  muss  aber  wegen  der 
durch  grosse  Exostosen  bedingten  Schwerhörigkeit  oder  aus  indicatio  vitalis 
(Retention)  die  Abtragung  vorgenommen  werden,  und  zwar  geschieht  dies  am 
zweckmässigsten  mit  Hammer  und  Meissel.  Luetische  Hyperostosen  er- 
weisen sich  wohl  nur  in  den  allerersten  Anfängen  durch  Allgemeinbehandlung 
involutionsfähig. 

Das  Cholesteatom  des  Meatus  siehe  „Mittelohr", 

HI.  Neubildungen  des  Trommelfelles. 

Cornua  cutanea  oder  Papillome  sind  in  einzelnen  Fällen  am 
Trommelfell  beobachtet  worden;  sie  stellen  kleine  umschriebene,  warzen- 
ähnliche, sehr  fest  aufsitzende,  derbe  Wucherungen  des  Cutislagers  dar, 
können  weggerissen  werden,  recidiviren  aber  gerne. 

Periförmige  Epithelbildungen,  zuerst  von  Uebantschitsch 
gefunden,  kommen  als  Nebenbefund  bei  chronischem  Mittelohrkatarrh  hie  und 
da  vor  das  Auge.  Sie  repräsentiren  sich  als  punkt-  bis  stecknadelkopfgrosse, 
matt  glänzende,  w^eissliche,  harte,  kugelige  Excrescenzen;  es  sind  ihrer  eines 
oder  mehrere  bis  fünf.  Eine  besondere  Bedeutung  für  den  Patienten  besitzen 
sie  nicht.    Auch  Katz  hat  neuerdings  solche  beschrieben. 

Verkalkungen  begegnen  wir  sehr  häufig  als  Residuen  von  Entzün- 
dungen, Abscessen  der  Membran,  in  Gestalt  von  meist  milchweissen,  scharf 
contourirten  Flecken;  es  kann  die  Verkalkung  beinahe  das  ganze  Trommelfell 
betreffen  oder  nur  einzelne  Segmente  desselben,  hier  dann  in  einem  oder 
mehreren  Exemplaren,  die  häufig  eine  sichelförmige  Begrenzungslinie  auf- 
weisen. Bei  stark  ausgeprägten  Verkalkungen,  die  alle  Schichten  der  Membran 
durchsetzen,  sehen  wir  ein  leichtes  Herausragen  über  das  Niveau  des  übrigen 
Trommelfelles.  Die  Verkalkungen  an  und  für  sich  beeinflussen  das  Gehör  nicht 
in  hohem  Grade;  die  dabei  vorhandene  Harthörigkeit  ist  auf  Rechnung  der 
Begleitaffectionen,  chronischer  Mittel ohrkatarrhe  zu  setzen.  Therapeutisch  ist 
höchstens  bei  totalen  Verkalkungen  eine  Ausschneidung  zu  befürworten,  die 
umsoweniger  gefährlich  ist,  als  sich  das  Trommelfell,  wenn  es  nicht  im  Kno- 
chenfalze excidirt  wurde,  bald  wieder  ersetzt. 

Knochenneubildung  wird  am  Trommelfell  sehr  selten  gesehen;  sie 
betrifft  entweder  eine  Ablagerung  von  Knochensubstanz  in  vorhandene  Kalk- 
flecken oder  ganz  ausnahmsweise  das  totale  Trommelfell. 

Kleine  Angiome,  Cysten,  erstere  an  der  Aussenfläche,  letztere  ander 
Innenfläche  sind  selten.  —  Tuberkeln  als  miliare,  grau-gelbliche,  stecknadel- 
kopfgrosse Knötchen,  die  an  der  Spitze  sehr  bald  haarfein  durchbohrt  werden 
und  zu  einem  rapiden  Zerfall  der  Membran  führen  (multiple  Perforation  bei 
sehr  geringen  Eutzündungserscheinungen,  ohne  Schmerzen),  werden  bei  Kindern 
und  Erw^achsenen  beobachtet. 


NEOPLASMEN  DES  OHRES.  385 

Syphilitische  Papeln,    sowie  kleine  Gummata  treten  manchmal,  ge- 
wöhnlich in  der  oberen  Hälfte,  auf. 
Polypen  siehe  Mittelohr. 

IV.  Neubildungen  der  Tuba. 

Pharyngitis  granulosa  setzt  sich  in  manchen  Fällen  auf  das 
Ostium  pharyngeum  fort  und  producirt  hier  die  nämlichen  Knötchen  wie  an 
der  Rachenwand;  es  kann  zu  einem  drüsig-papillären  Auswachsen  derselben 
kommen,  so  dass  eine  Verlegung  der  Mündung  daraus  resultirt.  —  Kleinere 
polypoide  Wucherungen  sind  nicht  selten;  einengrossen  fibro  sarkoma- 
tösen Polypen  der  vorderen  Tubenlippe  habe  ich  durch  Operation  entfernt. 
VoLTOLiNi  beschrieb  einen  Polypen,  der  vom  Ostium  tympanicum  zum  Ostium 
pharyngeum  durch  den  ganzen  Tubencanal  ging. 

Kalkeinlagerungen  in  den  Tubenknorpelplatten  finden  sich  ge- 
wöhnlich nur  als  symptomloser  Ausdruck  der  senilen  Involution.  Ebenso 
sollen  zu  dieser  Zeit  auch  Exostosen  da  vorkommen. 

Syphilis  kann  die  Tube  in  allen  Stadien  ergreifen.  Primäre  harte 
Schanker  am  Ostium  pharyngeum  durch  Katheterismus  sind  bis  jetzt  in  sieben 
Fällen  zur  Beschreibung  gelangt  (sechs  von  Bueow,  einer  von  mir).  Secundäre 
und  tertiäre  ülcerationen  setzen  sich  nicht  selten  auf  das  Ostium  pharyngeum 
fort,  es  kann  die  Folge  der  Verschwärung,  sehr  folgenschwerer  Stenosirung, 
eventuell  Obliteration  des  Tubencanales  sein. 

Tuberkulose  kann  als  serpiginöses  Geschwür  grosse  Substanzverluste 
anrichten.    (Schleimhautlupus  und  einfache  Tuberculose.) 

V.  Neubildungen  des  Mittelohres. 

Die  wichtigste  und  häufigste  Neubildung  der  Paukenhöhle  ist  der  Polyp. 
Wohl  gut  74  aller  Polypen  gehen  von  der  Pauke  aus,  zumeist  auf  Grund 
einer  chronischen,  oft  mit  Caries  und  Nekrose  einhergehenden  Mittelohreiterung; 
selten  nehmen  Polypen  vom  Gehörgange  ihren  Ursprung,  etwas  häufiger  vom 
Trommelfell,  sehr  selten  dagegen  von  den  Warzenzellen  oder  von  der  Tube. 
Auch  ohne  nachweisbare  Ursache  sollen  sie  gefunden  worden  sein,  ja  sogar 
angeboren.*) 

Im  Grossen  und  Ganzen  dürfen  und  müssen  wir  für  die  Aetiologie  der  Ohrpolypen 
annehmen,  dass  es  am  allerhäufigsten  Fremdkörper  sind,  die  die  Veranlassung  zur  Polypen- 
bildung geben.  Freilich  handelt  es  sich  dabei  weniger  um  Fremdkörper  im  gewöhnlichen 
Sinne  als  vielmehr  um  Stückchen  des  Organismus  selbst,  die  infolge  irgend  welcher  Pro- 
cesse  dem  localen  Tode  erlegen  sind.  Abgestorbene  Knochenstückchen,  mortificirte  Epithel- 
fetzen, Cholestarin-  und  Kalkconcremente  und  noch  v.  a.  werden  nicht  oder  nicht  voll- 
ständig resorbirt  oder  eliminirt;  sie  reizen  das  umgebende  Gewebe  zur  Granulationsbildung 
an,  um  vermittelst  ihrer  zur  Elimination  zu  gelangen.  In  einzelnen  Fällen  sind  aber  auch 
wirkliche  von  aussen  eingedrungene  Fremdkörper,  wie  z.  B.  in  den  Fällen  von  Kühn  und 
mir  Haare,  die  directe  Ursache.  Selbstverständlich  werden  in  einer  Anzahl  von  Fällen 
auch  mechanische  oder  infectiöse  Momente  (Störungen  im  Blutlaufe,  Uebertragung  infec- 
tiöser  Keime  auf  die  Mucosa)  die  Schuld  haben  können.  Mit  dieser  Auffassung  lässt  sich 
auch  ganz  gut  der  (siehe  unten)  pathologisch-anatomische  Befund  vereinigen,  indem  wir 
alle  die  3  verschiedenen  Hauptformen  der  Polypen  als  Formen  verschiedenen  Alters 
ansehen  können,  da  in  jedem  Granulationsgewebe  die  Tendenz  herrscht  sich  zu  Binde- 
gewebe, eventuell  zu  bleibendem  Bindegeweben  umzubilden.  Hierdurch  werden  uns  die 
üebergänge  von  Granulom  zum  Angio-  und  Myxofibrom  und  schliesslich  zum  reinen  Fibrom 
am  einfachsten  plausibel. 

W^as  ihr  makroskopisches  Aussehen,  ihre  Gestalt  und  ihre  Grösse 
anbelangt,  so  repräsentiren  sie  sich  als  längliche,  rundliche,  birnförmige,  einfache 
oder  gelappte  Geschwülste,  entweder  breit  aufsitzend  oder  häufiger  sich  rasch 
nach  hinten  verjüngend,  gestielt.  Wir  unterscheiden  demgemäss  an  einem 
Polypen  den  rundlich-länglichen,  keulenartigen  Körper  und  den  am  Ursprungs- 

*)  Vergleiche  mit  der  nachfolgenden  Darstellung  auch  den  selbständigen  Artikel 
„OJnyolypen"'  in  diesem  Bande. 

Ohren-,  Nasen-,  Kachen-,  Eehlkopfkiankheiten.  25 


386  NEOPLASMEN  DES  OHRES. 

punkte  aufsitzenden  Stiel;  zuweilen  können  mehrere  Polypen  auf  einem  Stiel 
aufsitzen.  Was  die  Anzahl  der  Geschwülste  in  einem  Ohre  betrifft,  schaben 
wir  öfters  mehrere  kleinere,  grosse  sind  meist  einfach,  solitär.  Ihre  Farbe 
wechselt  vom  Graurothen  bis  zum  Weisslichblauen,  vom  Gelbrothen  bis  zum 
Blau-  oder  tief  Dunkelrothen.  Bezüglich  ihrer  Consistenz  können  wir  unter- 
scheiden zwischen  weichen,  Schleimpolypen  ähnlichen  und  derben  harten  Ge- 
schwülsten. Ihre  Oberfläche  ist  zumeist  glatt,  feucht  glänzend,  zuweilen  finden 
sich  oberflächliche  oder  auch  tiefere  Substanzverluste,  geschwüriger  Zerfall 
an  ihnen;  er  wird  hervorgerufen  durch  die  macerirende  Einwirkung  des  nur 
zu  häufig  den  Tumor  umspülenden  Eiters.  Ihre  Grösse  bewegt  sich  in  den 
weitesten  Schranken;  wir  finden  hirsekorn-  bis  erbsengrosse  Polypen  in  der 
Trommelhöhle;  so  lange  sie  in  ihr  sind,  eirund,  sowie  sie  aber  in  den 
Gehörgang  verwachsen,  nehmen  sie  eine  mehr  längliche  oder  keulenförmige 
Gestalt  an,  und  so  können  sie  dann,  rasch  oder  langsam  wachsend,  den  ganzen 
Gehörgang  allmählich  ausfüllen,  ja  über  sein  Orificium  externum  hinauswuchern, 
so  dass  sie  dem  Blicke  des  Beschauers  als  bläulichweisse  oder  röthliche  Aus- 
wüchse sofort  auffallen.  Auf  diese  Weise  kommen  Polypen  zur  Beobachtung, 
die  eine  Länge  von  3 — 4  cm  haben,  bei  einer  Dicke  von  1 — P/o  cm.  Der- 
artige mit  der  Aussenluft  in  Berührung  kommende  Polypen  verhornen  gerne 
an  der  Oberfläche,  so  dass  sie  sich  derb  und  hart  anfühlen.  Die  grossen  harten 
Polypen  sind  auch  meist  viel  älteren  Datums,  oft  recht  ehrwürdige,  Jahrzehnte 
alte  Burschen,  während  die  kleineren  weichen,  schleimigen  und  roth  aussehen- 
den meist  jugendlicher  sind.  Alte  dicke  und  grosse  Polypen  drücken  sich 
enge  in  jede  Nische  des  Gehörgangs  hinein  und  erweitern  sein  Lumen  durch 
den  immerwährenden  expansiven  Druck. 

Mikroskopisch  können  wir 

nach  meinen  nun  an  ca.  300  Ohrpoly- 

a  —  ^'  g  ^^  pen  angestellten  Untersuchungen,  die 

^^  ,     -5    /^     ,  im  Grossen  und  Ganzen   mit  deneii 

"^   ,j  ,w'?,'^^,  '/     -  von    Moos,    Steinbrügge,    Kessel,. 

^ -j^  ~'~  "z.  ^  '  Steudener,  Kuhn,  Manasse  überein- 

\  '  \'  stimmen,  unterscheiden: 

^^%  ,,  j  1.  Granulationsgeschwül- 

-     1^,  *    "~  ste.     Sie   repräsentiren  zum  Theile 

die  sogenannten  Schleimpolypen  des 

Ohres  und  sind  fraglos  die  am  öfte- 

^'  "  —  'iy*  1^      '  ^'  /-^      sten  vorkommenden;  zu  ihnen  gehö- 

'\    ""I  *^r  «^      ^'^"<  ^^^    ^^®    kleinen   bis    mittelgrossen 

/^*     !^^     ^       '^j^''    "">/7       Tumoren  von  saftigrothem,  glänzen- 

r'^ '\  Vo  *   '•'C^'^        '  dem,     zuweilen    brombeerähnlichem 

C-- "^'V^^  ^"'*^'^®   **"'      ^  ^^^"^   bläulichrothem   Aussehen,    die 

/  '  (!^       "^    ^       '5*  sich    weich    anfühlen   und  im  Ohre 

/)» ^ttuijt       '       \  /  sehr   häufig  Veranlassung  geben  zu 

/^.  *^       -      ,/    ^'  ^,/  <£?-/  Blutungen  infolge  ihres  Gefässreich- 

V  •  C  ^i  thums.     Histologisch  entpuppen   sie 

V"^*^  sich  durchschnittlich  als  Kundzel- 

len-Geschwülste.    In    einem  zi  em- 

Fig.  3.  Polypöse  Granulationsgeschwulst,  a   Epithelsaum  ,.    ,        o.pv,;no-    pn+wipVpltPTl    fpiTIPn      nft 

des  Polypen    6.   Auf  dem  Querschnitt  getroffene  Einsen-  HCU      gCrmg    eniWlCKeiien    ICineU,    ÜIl 

kung  des  Epithelsaumes,    ein  Drüsenlumen  imitirend    r.  ödematÖS      geqUOllCnen      StrOma      VOU 

Gefässe  mit  proliferirenoer  Intima  und  Adventitia.  a.  Jie  ■•  ^  •      t               t->-        ^              1.1. 

Kundzellen  des  Granuloms  allenthalben  sichtbar    e.  Spar-  jUgOndllChCr      BindeSUDStaUZ 

lichere  spindelförmige  Zellelemente.  -  Hartnack  II.  7.  ^^^.^  spärilcheu  odcr  Seltener  Zahl- 
reicheren spindelförmigen  und  ovalen  Zellelementen  sind  die  Rundzellen 
des  Tumors  in  grosser  Menge  eingestreut.  Dem  makroskopisch  succu- 
lenten  Aussehen  entspricht  auch  ein  ausserordentlicher  Gefässreichthum  von 
jungen  Gefässp rossen.     Diese  Polypen  tragen  auf  ihrer  Oberfläche  eine 


NEOPLASMEN  DES  OHRES.  387 

Epithel  läge,  die  übrigens  sehr  variiren  kann  bezüglich  ihres  Charakters. 
Sehr  häufig  finden  wir  die  ganze  Peripherie  besetzt  mit  einer  einfachen  Lage 
Cylinderepithels,  oft  noch  Flimmerepithel,  besonders  ist  dies  bei  jüngeren 
Geschwülsten  der  Fall.  Grössere  ältere  Tumoren  tragen  zuweilen  zweierlei 
Epithel,  indem  die  Epithellage  des  dem  Meatusausgange  nahe  gerückten 
Körpers  des  Polypen  aus  Plattenepithel  besteht,  das  sich  aus  dem  Cylinder- 
epithel  umgewandelt  hat,  während  die"  Stielpartie  noch  reines  Cylinderepithel 
trägt.  Sehr  häufig  geht  das  Epithel,  insbesondere  bei  sehr  kleinen  Polypen, 
durch  die  Eiterung  zu  Grunde  oder  wird  wenigstens  oft  sehr  undeutlich  ge- 
trübt. 

Ein  nicht  seltenes  Vorkommnis  müssen  wir  hier  noch  kurz  ins  Auge  fassen,  das  für 
alle  Polypenarten  gleichmässige  Giltigkeit  hat.  Bei  grösseren  oder  lappigen  Geschwülsten 
finden  wir  Einstülpungen  der  bedeckenden  Epiihellage  in  das  Innere  des  Tumors;  hier- 
durch entstehen  buchtige  oder  längliche,  mit  demselben  Epithel  ausgekleidete  Spalten,  die, 
wenn  sie  in  der  Tiefe  auf  einem  Quer-  oder  Längsschnitt  getroffen  werden,  den  Anschein 
erwecken,  als  ob  es  sich  hier  um  drüsenähnliche  Anlagen  handle;  thatsächlich  sind  es 
aber  keine  Drüsen,  sondern  wie  gesagt  einfache  Epithelfortsätze.  Zuweilen  werden  auch 
cystenähnliche  Hohlräume  auf  diese  Art  gebildet.  —  Uebrigens  sind  Polypen  mit  mehr- 
fachen Epithellagen  übereinander  durchaus  kein  seltenes  Vorkommnis;  es  betrifft  dies  so- 
wohl das  Flimmer-  als  das  Plattenepithel,  die  an  einzelnen  Stellen  von  Polypen  als  ge- 
schichtete Lagen  sich  dem  Auge  darstellen. 

2.  Fibrome.    Zu    ihnen   gehören 

meist    die   grossen  alten  und   auch   dem-  ^ 

gemäss  harten  und  derben  Polypen.     Sie  -     .  i  j    /     . ' 

haben  ein  derbes,  faserig-fibrilläres  Stroma  i  \  ,,^\;^,    J- ,/  , 

von  altem  fertigem  Bindegewebe,   in  das  '<vfv  \    1*"^   ^    '  ^' 

bei  geringer  Gefässentwicklung  nur  spar-  ,     ^J    /   i^r 

liehe  langgezogene  Spindelzellen  eingela-  ^   '    \    -(?__ 

gert  sind;    vereinzelte  Rundzellen   finden  ,      ^  '  ^^'■•^,  ,    ;^ 

sich  auch  hier,  insbesondere  um  die  Ge-       6.^     '       '  •, 

fasse   herum.     Sie   tragen    beinahe   con-  "^'*"^L\      ^'.      ~^  ' 

stant  aussen  ein  Pflasterepithel,  nach  in-  ^       i  --.'   i     f 

nen   zu   Cylinderepithel;    zuweilen    geht,  '^'   ^     ' 

wie  ich  wiederholt  beobachtet  habe,    das  ,  i  ^       ',/     ..^ 

eine  Epithel  ohne  eigentlichen  Uebergang  '  ,A 

ganz   plötzlich   in   das   andere  über.    An 

dem    nach  aussen  zu  befindlichen  Körper       jj\  j^^^^^^^  t 

kann  sich    sogar    ein  ganz    gewöhnlicher         '  "«^/<t- 

EpidermiSÜberZUg,      allerdings     selten     mit       ?■'"•  *•    centrale   gegen   die  Wurzel  zu  gelegene 

-n„„'ii ^-u-ij  i.    1  T  T-      1  j  Partie  eines  alten,  rein  fibrösen  Polypen CFibrom). 

Papillenblldung,   etabliren.    V  erhornUng  der       «.    centrales    nur   noch    einziges  Ernährungs-e- 

obersten  Schichte  der  Epidermis  gelangt    'lll,tl^^Z:;J^M^^:!:it^i^t'lk 

bei    alten    Polypen,     besonders    fibrösen,    oft  ^^enigen    rundlichen    und    ovalen  Zelleu    haupt- 

-711^    'Rar\Ko/iTi+  sächlich   noch  längs  des  Gefässes,    sonst  in  dem 

zur    -öeODaCniUng.  Fibrom  sehr  spärlich  zerstreut.  Der  Polyp  hatte 

Es   hat   eben   bei   solchen  Fibromen  die  Bil-  *^    seinem  Körper   geschichtetes  Plattenepithel, 

düng  von  definitivem  Bindegewebe  aus  dem  Gra-     ^'^'^  "'^  Wurzel  ^z^u ^Cylinderepithel.  -  Hart- 

nulationsgewebe  heraus  allmählig  stattgefunden; 

das  Granulationsgewebe  hat  seine  Endbestimmung  in  patholoo-ischer  Weise  erreicht. 

Häufiger  als  die  histologisch  und  klinisch  einlachen  wirklichen  Fibrome 
treffen  wir  die  Misch  formen  des  Fibroms  an,  die  Uebergänge  von  Granu- 
lom zum  Fibrom. 

3.  Angio-  und  Myxofibrome.  Die  ersteren  entwickeln  sich  ge- 
wöhnlich aus  den  Granulomen,  indem  sowohl  das  Perithel  der  Adventitia  als 
das  Endothel  der  Intima  durch  Wucherung  zur  Obliteration  der  Gelasse 
führt;  es  entstehen  hieraus  erst  Züge  jugendlichen,  spindelzellenhaltigen  Ge- 
webes, das  sich  mit  der  Zeit  zu  einfacher,  zellarmer,  fertiger  Bindesubstanz 
umwandelt.  Die  Rundzelleneinlagerung  kann  als  solche  in  dem  neuen  Binde- 
gewebsstratum  bestehen  bleiben.  Es  wäre  also  falsch,  zu  meinen,  es  handle  sich 
hier  um  ein  Angiom,  blos  das  Stroma  hat  sich  aus  den  Gelassen  heraus  gebildet. 

25* 


a 


388  NEOPLASMEN  DES  OHRES. 

Die  Myxofibrome  verdanken  ihre 
Entstehung  einer  mehr  oder  weniger  aus- 
gebreiteten  myxomatösen   Entartung    der 
fibrösen  Grundsabstanz,  sie  wird  homogen, 
*'  oft  gallertig  und  enthält  neben  sehr  spär- 

V    v^f   y-~^'  K  liehen  Rundzellen  entweder  in  früheren  Sta- 

)\'"/  ^        '-'  dien   noch   relativ  viele  grössere  Spindel- 

.    \/'     .      ■.  \  Zellen,  oder  später  nur  mehr  wenige  kleine 

/y  '  fixe  Bindegewebszellen;  ausserdem  jedoch 

^-"^  »  noch  eine  verschieden  grosse  Anzahl  von 

,     .-^  I  ^  multipolaren    oder   bipolaren   Sternzellen; 

■^  enthält  sie  blos  diese  Sternzellen  in  einem 

V  _  reinen  homogenen,  gallertigen  Stroma,  so 

y'  J^^         .  haben  wir  das  reine  Myxom. 

/^       ...  yf^  Reine   Angiome  sind   sehr  selten. 

'-"  ><i^         ''     ^     -  Angiosarkome  ebenfalls.  Nicht  so  gar 

^  V  ^  selten  kommt   es  aber  bei  anfangs  benig- 

^''  .-'  nen  Polypen   zu    einer  secundären  Malig- 

D^'  ^"^      ,^         ■  -  -^  nität,  indem  das  schleim-  und  spindelzel- 

'**'  lenhaltige  Gewebe  durch  neue  Sarkomzel- 

Fig.  5.  Die  grossen  sternförmigen,  peitschen-  und        leU  (Rundzelleu)  SUbstltuirtwlrd ;  daS  MyXO- 
ganglienzellähniic^en^^^ellen    eines  reinen  ^^^^^^     -g^      -^^     ^j^g     Sarkom     metaplaslrt. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  es  auch 
primäre  maligne  Tumoren  in  der  Pauke  ihren  Ursprung  nehmen  können,  wie 
wir  weiter  unten  sehen  werden. 

Was  die  Symptome  der  Polypenbildung  anbelangt,  so  können  kleine,  zu- 
weilen auch  grössere,  an  und  für  sich  für  den  Patienten  völlig  symptomlos  bleiben, 
neben  der  beinahe  immer  vorhandenen  Mittelohreiterung.  Ein  Wahrzeichen, 
das  immer  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  auf  Granulations-,  bezw.  Polypen- 
bildung hindeutet,  ist  das  Blut,  das  sich  entweder  dem  Eiter  beimengt  oder 
zuweilen  rein  aus  dem  Ohre  ab  träufelt.  Wird  der  Polyp  sehr  gross,  so  dass 
der  ganze  Meatus  ausgefüllt  ist,  oder  treten  Schwellungen  der  Gehörgangs- 
wände ein,  so  treten  in  kürzester  Zeit  die  Erscheinungen  der  Reten- 
tion auf:  die  Patienten  bekommen  Schmerzen  im  Ohre,  im  Warzenfortsatze, 
hauptsächlich  aber  intensive  Kopfschmerzen,  verbunden  mit  Schwindel,  Un- 
sicherheit der  Gehbewegungen,  schliesslich  Erbrechen,  Fieber,  zuweilen  auch 
Faciallähmung.  Ebenso  kann  während  der  Zeit  das  Hören  verändert  sein, 
muss  es  aber'  nicht.  Nimmt  man  oft  noch  zur  rechten  Zeit  die  Entfernung 
des  Polypen  vor,  so  gehen  die  Erscheinungen  häufig  rasch  zurück. 

Reflexneurosen  (Husten,  Niesen  etc.)  kommen  zuweilen  auch  bei 
nicht  eingeklemmten  Polypen  vor.  Die  Polypen  des  Recessus  epitympanicus 
bei  Perforation  der  Membrana  Strapnelli  lösen  gerne  schwere  Symptome  aus. 

Erkannt  werden  die  Polypen  gewöhnlich  leicht,  besonders  die  grösseren 
sind  oft  schon  ohne  Reflector  zu  diagnosticiren.  Der  Sitz  der  Polypen  wird  mit- 
telst der  Sonde  eruirt,  und  wir  finden  ihn  zumeist  in  der  Pauke,  da  das  Trom- 
melfell gewöhnlich  perforirt  ist.  Verwechslungen  können  stattfinden  mit  dem 
granulös  entarteten  Trommelfell,  das  als  breite,  roth  granulirte  Fläche  leicht 
blutend  vor  uns  liegt;  indes  ist  das  Trommelfell  bei  Berührung  empfindlich, 
der  Polyp  nicht.  Auch  die  Luftdouche  lässt  sich  mit  zur  Diagnose  ver- 
wenden. Bei  unperforirtem  Trommelfell  kann  die  Diagnose  a  priori  über- 
haupt nicht  gestellt  werden;  erst  nach  dem  Spontandurchbruch  oder  einer 
Incision  wird  das  Bild  klar. 

Die  Prognose  richtet  sich  nach  der  Art  und  dem  Wachsthum  des 
Polypen.  Harte,  grosse,  solitäre  Polypen  besonders  wenn  sie  schon  im 
Meatus  oder  am  Trommelfell  selbst  entspringen,  recidiviren  fast  nie;  kleine 


NEOPLASMEN  DES  OHRES.  389 

weiche,  leicht  blutende  dagegen  recidiviren  sehr  gerne,  wenn  sie  nicht  gründ- 
lich al3getragen  werden.  Kleinere  (trotz  der  Entfernung)  immer  wieder- 
kehrende Granulationen  deuten  auf  versteckte  Caries  und  werden  niemals  zur 
definitiven  Heilung  gelangen,  bevor  der  cariöse  Herd  nicht  durch  operativen 
Eingriff  beseitigt  worden.  Sehr  rasch  wachsende  Geschwülste  sind  suspect 
auf  Malignität.  Die  mikroskopische  Untersuchung  ist  für  die  Stellung  der 
Prognose  unerlässlich. 

Therapie.  Obwohl  es  in  Ausnahmsfällen  zu  einer  Spontanabstossung 
oder  zu  einer  Vereiterung  oder  Schrumpfung  der  Polypen  kommen  kann, 
dürfen  wir  nie  auf  ein  solches  Vorkommnis  rechnen.  Der  Polyp  muss  ent- 
fernt werden.  Wir  können  zweierlei  Arten  der  Behandlung  unterscheiden,  die 
medicamentöse  und  die  operative.  Bei  kleineren  Polypen,  besonders  bei 
multiplen  Granulationen,  kommt  man,  so  lange  nicht  Caries  der  Grund  ihres 
Daseins  ist,  zuweilen  zum  Ziele  durch  Einträufelungen  von  absolutem  Alko- 
hol mit  Sublimat  (O"!  S.  :100-0  A).  Auch  Aetzungen  bringen  eine  Heilung 
oft  zu  Stande:  Argent.  nitric.  in  Substanz  an  die  Sonde  angeschmolzen  oder 
Chromsäure  rein;  ebenso  sind  Aetzungen  mit  Trichloressigsäure  sehr 
ausgiebig,  wenn  schon  die  Schmerzhaftigkeit  momentan  eine  sehr  hohe  ist. 
Bei  grösseren  Polypen  oder  bei  Ketentionserscheinung  ist  die  operative  Ent- 
fernung angezeigt,  ebenso  bei  recidivirenden  kleineren.  Sie  wird  am  bequem- 
sten vorgenommen  mit  der  alten  WiLDE'schen  Schlinge;  sehr  harte  Polypen 
müssen  mit  der  galvanokaustischen  Schneideschlinge  abgetragen  werden.  Ab- 
rissen und  Abquetschen,  ebenso  Abdrehen  oder  Abbinden  sind  als  theils  sehr 
unzuverlässig,  theils  als  roh  und  gefährlich  zu  verwerfen.  Kleine  recidi- 
virende  Granulome  müssen  mit  dem  scharfen  Löffel  oder  der  Curette  (für 
die  Pauke)  ausgekratzt  werden,  jedoch  unter  grösster  Vorsicht.  Xach  jeder 
Abtragung  muss  der  Stumpf  möglichst  gründlich  verödet  werden.  (Vergleiche 
auch  Artikel  „  Ohrjjoli/pen"  dieses  Bandes.) 

Die  zweite  Neubildung,  die  uns  als  sehr  wichtige  entgegentritt,  ist  das 
Cholesteatom.  (Vergleiche  mit  der  nachfolgenden  Darstellung  den  aus- 
führlichen Artikel  „Cholesteatom^^  pag.  86  dieses  Bandes.)  Es  repräsentirt 
sich  uns  als  eine  mehr  weniger  rundliche,  kirsch-  bis  oft  über  eigrosse,  perl- 
mutterähnlich glänzende,  weisslichgelbe  oder  weissbräunliche  Geschwulst,  die 
aus  concentrisch  zusammengeschächtelten  Plattenlagern  polygonaler,  kernloser 
Epidermiszellen  mit  Cholestearin-  und  Fettkörncheneinlagerungen  sich  zusam- 
mengesetzt erweist. 

Die  Genese  der  Geschwulst  ist  noch  nicht  definitiv  geklärt;  es  bestehen 
drei  Anschauungen.  Virchow  u.  A.  sehen  es  als  eine  heteroplastische  Ge- 
schwulst, als  eine  eventuell  congenitale  Neubildung  des  Mittelohres  nach 
Analogie  der  branchiogenen  Kystome  an. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  es  thatsächlich  solche  Cholesteatome  gibt, 
die  nur  als  wahre  primäre  Neubildungen  aufzufassen  sind,  *wie  z.  B.  von  Seh  wart  ze  ein 
derartiger  Fall  beobachtet  wurde,  aber  immerhinist  diese  Genese  des  Ch.  die  bei  weitem 
seltenste. 

Tröltsch  und  mit  ihm  sehr  viele  Ohrenärzte  betrachteten  es  als  ein  Pro- 
duct  alter  abgelagerter  Epithel-  und  Eitermassen;  es  handle  sich  hiebei  noch 
um  ein  Metaplasie  des  Trommelhöhlenepithels,  das  sich  in  ein  geschichtetes 
Plattenepithel  umwandle. 

Habermann  und  mit  ihm  die  Mehrzahl  der  jetzigen  Otologen  nimmt 
an,  es  bilde  sich  eine  Hyperplasie  des  Epithels  des  äusseren  Ohres,  das 
secundär  durch  die  Perforation  hindurch  in  die  Mittelohrräume  hineinwuchere 
und  dort  durch  selbständiges  Fortwachsen  das  Cholesteatom  erzeuge.  Letztere 
Ansicht  hat  die  meiste  Wahrscheinlichkeit.  Veranlasst  kann  das  Cholesteatom 
werden  durch  chronische  Entzündungen  im  äusseren  Gehörgange  (Fremdkör- 
per, Cerumen-   und  Epidermispfröpfe,  Entzündungen)  oder  im  Mittelohr. 


390  NEOPLASMEN  DES  OHRES. 

Nach  meinen  eigenen  *)  Untersuchungen,  die  die  Resultate  Habermann's  im  Ganzen 
nur  bestätigen,  entsteht  die  grösste  Mehrzahl  der  Ohrcholesteatome  secundär  durch  ein 
primäres  Hineinwachsen  des  Plattenepithels  des  äusseren  Ohres  durch  eine  Trommel- 
felllücke. Das  einfache  Hineinwachsen  an  und  für  sich  erzeugt  aber  das  Cholesteatome  noch 
nicht,  durch  dieses  wird  im  Gegentheil  die  epidermoidale  Heilung,  die  beste  Naturbildung 
erzielt,  die  eben  eintritt,  wenn  das  eingewanderte  fremde  Epithel  seiner  Bestimmung,  als 
einfache  vicariirende  Ueberzugsdecke  zu  fungiren  nachkommen  kann.  Erst  wenn  die  ein- 
gewanderte Epidermis  durch  die  Secretions-  und  Lokalverhältnisse  gezwangen  anfängt, 
sich  in  niederer  Lage  übereinander  zu  schichten  und  in  Folge  des  permanenten  Reizes  in 
hyperphysiologischer  Menge  producirt  wird,  entsteht  das  Gh.,  da  das  producirte  Epithel 
seiner  Bestimmung  nicht  zugeführt  werden  kann  und  somit  als  todter  Körper,  als  selbst 
wieder  irritirend  wirkender  Fremdkörper  vom  Organismus  eliminirt  werden  soll,  aber 
nicht  kann  (vermöge  der  eigenartigen,  reuseiiähnlichen  Lagerung  der  Zelllagen  selbst,  der 
Lage  und  der  Gestalt  der  Perforation,  sowie  anderer  Lokalverhältnisse).  Es  kommt  zu 
einem  Missverhältniss  zwischen  Production  und  Abfuhr  und  als  Resultat  dieser  frucht- 
losen Bemühungen  der  Natur,  die  Elimination  mit  der  Production  ins  Gleichgewicht  zu 
bringen,  tritt  das  Cholesteatom  mit  seiner  in  ihm  selbst  begründeten  Tendenz  der  escen- 
trischen  Expansion,  da  allmählich  die  knöchernen  Widerlager  zum  Opfer  fallen  müssen, 
zu  Tage.  Kümmel  scheint  neuerdings  mehr  der  Auffassung  zuzuneigen,  dass  die  meisten 
Cholesteatome  das  Product  einer  lediglich  desquamativen  Otitis  sein  dürften. 

Der  Liebliügssitz  des  Cholesteatoms  ist  der  obere  Paukenraum,  der  Re- 
cessus  und  das  Antrum  mastoideum;  zuweilen  etablirt  es  sich  auch  im  Gehör- 
gange und  kann  dann  sackartig  in  die  Pauke  hineinragen.  Zu  den  letzteren 
gehört  auch  ein  Theil  der  von  Nessler  genau  geschilderten  Epidermis- 
pfröpfe  des  Gehörganges.  Ueberall,  wo  es  sich  befindet,  kann  es  im  Laufe  der 
Zeit  durch  Druckusur  zum  Schwunde  und  zur  Destruction  des  Knochens  füh- 
ren, so  dass  die  grossartigsten  ossalen  Zerstörungen  aus  ihm  entspringen;  es 
kann,  wie  ich  u.  a.  das  beobachtet  haben,  die  ganze  Paukenhöhle  sammt  dem 
Processus  mastoideus  und  Meatus  in  eine  einzige  grosse  Höhle  umgewandelt 
werden. 

Vor  nicht  sehr  langer  Zeit  habe  ich  einen  Fall  obducirt,  in  dem  das  Ch.  nach 
Usurirung  der  Schädelknochen  der  Dura  und  des  Gehirns  sogar  in  dem  Seitenventrikel 
durchgebrochen  war. 

Symptomatologisch  bleiben  oft  ziemlich  grosse  Cholesteatome  für  den 
Patienten  ohne  eigentliche  Merkmale,  ausgenommen  eine  sehr  variable  Schwer- 
hörigkeit, so  dass  der  Patient  keine  Ahnung  hat,  in  welcher  Lebensgefahr 
er  schwebt.  Dies  ist  der  Fall  besonders,  wenn  ein  Stillstand  des  Wachsthums 
des  Cholesteatoms  eingetreten  ist.  Es  verräth  sich  das  Cholesteatom  dem 
Patienten  höchstens  durch  den  Abgang  weisslichgelber,  plattenartiger  Häute 
aus  dem  Ohre.  In  anderen  Fällen  aber  stellen  sich  entweder  ganz  plötzlich, 
häufig  auf  einen  äusseren  Anlass  hin  (Eindringen  von  Wasser  beim  Baden, 
Ausspritzen)  oder  mehr  langsam  bedrohliche  Erscheinungen  von  Seite  des 
Labyrinthes  und  Gehirnes  ein,  heftige  Ohr-  und  Kopfschmerzen,  speciell  auf 
der  kranken  Seite,  Erbrechen,  Schwindel,  Coordinationsstörungen.  Die  Eite- 
rung, die  meist  dabei  vorhanden  ist,  ist  gewöhnlich  keine  profuse,  dagegen 
ausserordentlich  stark  stinkend.  Ausserordentlich  häufig  findet  man  bei  die- 
sen subacuten  Schüben  eine  mit  Otitis  externa  verwechselbare  Anschwellung 
des  Gehörganges  und  insbesondere  stark  ausgeprägt  die  Senkung  der  hinteren, 
oberen  Wand.  Häufig  tritt  eine  temporäre  Besserung  ein,  wenn  sich  spontan  oder 
artificiell  ein  Theil  des  Cholesteatoms  entfernen  lässt;  später  aber  treten  wieder 
die  gleichen  Erscheinungen,  die  rasch  zur  letalen  Meningitis  führen  können, 
auf,  falls  nicht  eine  gründliche  Entfernung  vorgenommen  wird.  Die  Dauer 
des  Cholesteatoms  erstreckt  sich  immer  auf  viele  Jahre. 

Bezüglich  der  speciellen  Symptomatologie,  Prognose  und 
Therapie  vergleiche  den  ausführlichen  Artikel  „Cholesteatom"  pag.  90  u.  ff. 

Ausser  diesen  wichtigsten  Neubildungen  des  Mittelohres  haben  wir  noch 
zu  registriren  von  malignenprimären  Paukenhöhlentumoren  das  Sarkom, 


*)  Centralblatt  f.  allg.  Path.  u.  path.  Anatomie  Bd.  VL  1895. 


NEOPLASMEN  DES  OHRES.  391 

das,  wie  angedeutet,  zuerst  unter  dem  Bilde  eines  rasch  wachsenden  Polypen 
auftreten  kann;  es  kann,  wie  ich  das  in  einem  Falle  beobachtet  habe,  die 
Wucherung  gleichzeitig  aus  dem  Gehörgang  heraustreten  und  an  der  Ober- 
fläche des  Warzenfortsatzes,  nach  Durchbruch  der  knöchernen  Decklager  zum 
Vorschein  kommen  als  bläulichrothe,  schwammige,  bei  der  geringsten  Derührung 
colossal  blutende,  über  taubeneigrosse  Geschwulst.  Sarkome  können  auch  unter 
Umständen  eine  subcutane  periosteale,  teigige  Schwellung  der  regio  mastoidea 
veranlassen  und  so  verwechselt  werden  (Schwartze)  mit  einem  subperiostealen 
Abscess  oder  einem  durchgebrochenen  Empyem;  bei  der  Incision  findet  sich 
statt  des  Eiters  die  Geschwulstmasse.  Ein  primäres  melanotisches  Sarkom 
hatte  ich  zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt.  Ebenso  Kuhn.  Es  handelt  sich 
meist  um  Rundzellensarkome,  seltener  Spindelzellensarkome  oder  grosszellige 
Sarkomformen.  Osteosarkome  entstehen  selten  in  der  Pauke,  gewöhnlich 
greifen  sie  über.  Fibrosarkome,  relativ  benigne,  gehen  vom  Periost  des 
Mittelohres  aus.  EinChlorom,  das  eine  Sinusentzündung  vortäuscht,  ist 
von  Körner  beobachtet. 

Carcinome,  primäre,  sind  beobachtet  worden  mit  colossaler  consecutiver 
Zerstörung  des  ganzen  Felsenbeines.  Sie  finden  sich  als  Plattenepithelkrebse 
oder  Cylinderepitheliome,  die  sich  gegen  den  Oberkiefer,  die  Schädelbasis, 
den  Hals,  das  Cavum  pharyngeum  und  bis  zur  Occipitalgegend  ausbreiten 
unter  ausgesprochenen  Lähmungserscheinungen.  Chronische,  jahrelange  be- 
standene Mittelohreiterung  ist  für  gewöhnlich  mit  leicht  blutenden  Granu- 
lationsbildungen vorausgegangen;  die  subjectiven  Erscheinungen  (frühzeitiger 
Schmerz  im  Ohre,  zuweilen  in  Form  von  Trigeminusneuralgie,  Schwindel, 
Taubheit,  Facialslähmung)  sind  nicht  ausgesprochen.  Therapeutisch  sind  die 
meisten  Mittelohrcarcinome,  wenn  sie  nicht  schon  frühzeitig  histologisch  ana- 
lysirt  werden,  nahezu  unzugänglich.  Konnte  man  nicht  sehr  frühzeitig  aus- 
reichend exstirpiren,  so  beschränkt  sich  die  Behandlung  auf  Insufflation  von 
Pulv.  Herb.  Sabin,  u.  Alumin.  cüi  oder  die  sonstige,  obligate  Behandlung,  jeder 
andere  Eingriff  beschleunigt  nur  erst  recht  das  Wachsthum,  insbesondere  die 
Aetzungen. 

Tuberkulose  des  Mittelohres  als  primäre  Erkrankung  kommt  vor; 
dem  Schleimhautlupus  kann  das  ganze  Ohr  als  Panotitis  luposa  zum 
Opfer  fallen  (Gradenigo). 

Syphilis  kann  als  Ulceration  oder  periostales  Gumma  in  der  Pauke 
auftreten. 

Osteome  (benigne)  stellen  sich  als  flache  oder  kugelige  Hervorragungen 
ein;  Hyperostose  ist  nicht  selten,  in  der  Umgebung  der  Fen.  rot.  und 
ovalis  von  besonders  schweren  Folgen  für  die  Hörfunction;  auch  allgemeine 
Hyperostose  bei  chronischen  exsudativen  Processen  ist  nicht  zu  selten. 

Cystische  Entartung  der  Paukenschleimhaut,  nach  Analogie  der  Kolpo- 
hyperplasia  cystica,  kommt  bei  chronischen  Eiterungen  in  Form  vieler  kleiner 
gelblicher  Bläschen  zur  Beobachtung;  Blutcysten  ausnahmsweise. 

VI.  Neubildungen  des  Warzenfortsatzes. 

Bei  Hyperostose  des  ganzen  Warzenfortsatzes  als  Product  einer  durch 
chronisch-eitrige  Mittelohrprocesse  hervorgerufenen  condensirenden  Ostitis 
gelangen  sämmtliche  pneumatischen  Räume  mehr  oder  weniger  zur  Oblitera- 
tion;  der  Percussionsschall  ist,  trotzdem  in  der  Tiefe  Ansammlungen  von 
Eiter  sein  können,  absolut  hell. 

Die  Hyperostose  legt  der  Natur-  und  Kunsthilfe  oft  schwere  Hinder- 
nisse bei  der  Unschädlichmachung  der  eitrigen  Processe  in  den  Weg.  — 
Osteome  können  sich  infolge  einer  Entzündung  innerhalb  der  Zellen  als 
drüsige  Excrescenzen  bilden.  —  Exostosen  kommen  als  rundliche,  glatte, 
schmerzlose  Geschwülste  vor. 


392  NEUROSEN  DES  KEHLKOPFES. 

Sonstige  Neubildungen:  Gummata  (nicht  selten),  primäre  Schanker 
(selten),  Sarkome,  Carcinome;  bei  diesen  handelt  es  sich  zumeist  um 
Krebse,  die  vom  Mittelohr  durchgebrochen  oder  vom  äusseren  Ohr  her 
herübergewandert  sind;  primäre  centrale  Tuberkulose,  bei  der  immer  die 
Lymphdrüse  auf  dem  Warzenfortsatz  tuberkulös  infiltrirt  und  palpabel  ist, 
habe  ich  nachgewiesen. 

Luftgeschwülste  kommen  infolge  von  Traumen  zur  Beobachtung 
bei  congenitaler  Dehiscenzbildung  an  der  Corticalis  des  Processus. 

YIL  Neubildungen  des  inneren  Ohres. 

Neubildungen  des  Acusticus  sind  mehrfach  beobachtet  worden;  es 
gehören  hieher  Fibrome,  Sarkome,  Neurogliome  und  Gummata; 
auch  ein  „knorpeliger  Körper"  wurde  an  der  Austrittsstelle  des  Acusticus 
aus  der  Medulla  beschrieben.  Kalkeinlagerungen  in  Gestalt  von  phos- 
phorsaurem oder  kohlensaurem  Kalk  sind  im  Periost  des  Porus  acusticus 
internus  und  im  Neurilem  gefunden  worden. 

Die  Diagnose  solcher  Geschwülste  intra  vitam  wird  oft  eine  sehr  un- 
sichere sein  und  bleiben  müssen,  wenigstens  bei  Tumoren,  die  nur  den 
Acusticus  allein  betreffen,  da  die  dabei  sich  langsam  oder  schnell  entwickelnde 
Taubheit  gerade  so  gut  von  einer  Labyrinthaffection  herkommen  kann.  Erst 
wenn  sich  Symptome  von  Seite  der  anderen  Hirnnerven  dazu  gesellen,  wird 
der  objective  Thatbestand  einer  Acusticusneubildung  näher  gerückt,  insbeson- 
dere wenn  Lähmungserscheinungen  im  Gebiete  des  Facialis  auftreten. 

Die  klinisch-casuistische  und  pathologisch-anatomische  Literatur  über 
Neubildungen  des  Labyrinthes  ist  bislang  noch  eine  sehr  kleine. 

Am  häufigsten  sind  noch  Bindegewebsneubildungen  als  Residuen 
entzündlicher  Processe  im  Vorhofe  oder  im  Porus  acusticus  internus  näher 
verfolgt  werden.  Ihnen  folgen  dann  die  Hyperplasien  der  knöchernen  Kapsel 
als  Osteophyten  oder  Exostosen.  Ausserdem  wurden  noch  als  primäre 
Tumoren  beschrieben  ein  „fibromusculärer  Tumor",  und  das  Chole- 
steatom soll  nach  Böticher  auch  seinen  Ursprung  im  Labyrinthe  nehmen 
können.     Syphilom  ebenfalls. 

Häufiger  sind  schon  die  Fälle,  in  welchen  das  Labyrinth  secundär  von 
Neubildungen  ergriffen  wurde.  So  können  sich  Parotiskrebse,  Carcinome  des 
Nasenraumes  oder  der  Zunge  oder  des  Mittelohres  auf  das  innere  Ohr  fort- 
setzen. Maligne  Neoplasmen,  besonders  der  Meningen,  setzen  sich  häufig 
in  der  Weise  fort:  Fibro-  und  Spindelzellensarkom,  Rundzellen- 
sarkom, Endotheliom,  Carcinom,  Psammom.  Ein  Osteosarkom 
habe  ich  übergreifen   sehen  bei  einem  19jährigen  jungen  Mann. 

HAUG. 

Neurosen  des  Kehlkopfes.  Dieselben  werden  eingetheilt  in  A)  Sen- 
sibilitätsneurosen, B)  Motilitätsneurosen.  Die  Sensibilitätsneurosen 
sind  unter  dem  gleichlautenden  Stichworte  in  diesem  Bande  abgehandelt. 
Die  Motilitätsneurosen  zerfallen  wieder  in  a)  hyperkinetische  und  b) 
hypokinetische  Motilitätssstörungen  des  Kehlkopfes.  Erstere  sind  als 
Spasmus  glottidis,  Larynxkrisen,  inspiratorisch  functioneller  Stimmritzenkrampf, 
phonischer  functioneller  Stimmritzenkrampf  „Nervöser  Kehlkopf  husten"  und 
„Kehlkopfschwindel,"  unter  dem  gemeinsamen  Stich worte  ^^Glottiskrämpfe'-' 
auf  pag.  168  u.  ff.  dieses  Bandes  abgehandelt.  Die  hypokinetischen  Moti- 
litätsstörungen werden  kurz  als  Kehlkopfmuskellähmungen  bezeichnet  und 
finden  ihre  Ursache  entweder  in  einer  Erkrankung  der  Kehlkopfmuskel  — 
myopathische  Form  oder  es  liegt  eine  Erkrankung  der  den  Kehlkopf  ver- 
sorgenden Nerven,  neuropathische  Form,  vor.  Die  Kehlkopfmuskellähmungen 
sind  ausführlich  im  Artikel  ^^Parahjsis  musculorum  laryngis'-^  behandelt,     r. 


NEUROSEN  DER  MUNDHÖHLE,  DES  RACHENS.  —  OHRPOLYPEN.  393 

Neurosen  der  Mundhöhle.  Die  Neurosen  der  Mundhöhle  theilt  man 
gleichfalls  ein  in  Sensibilitätsstörungen  (vide  Artikel  „  Sensibüitätsstörun^en 
der  Mundhöhle"),  in  Störungen  des  Geschmacksinnes  (dieselben  sind  im  Artikel 
j^GeschmacJisinnstörungen^^  im  Bd.  I,  der  Int.  Med.  2)ag.  775,  sowie  in  den  Ar- 
tikeln „Ägeusie'"'-  und  Hypergeusie  auf  pag.  17.,  bezw.  2()()  ds.  Bds.  besprochen) 
und  in  Störungen  der  Motilität.  Letztere  betreffen  Lähmungen  der  Lippen, 
Kau-  und  Zungenmusculatur.  Paresen  der  Lippenmusculatur  finden  sich  bei 
centralen  Erkrankungen  und  bei  der  peripheren  Facialislähmung.  Läh- 
mung der  Kaumusculatur  sind  Zeichen  schwerer  centraler  Erkrankungen. 
Vielfältiger  sind  die  Ursachen  der  Zungenlähmung.  Die  letzteren  sind 
ebenso  wie  die  Zungenkrämpfe  unter  gleichlautenden  Stichworten  in  die- 
sem Bande  besprochen.  k. 

Neurosen  des  Rachens.  Die  sensiblen  Neurosen  des  Rachens  werden 
im  Artikel  „  Sensibüitätsstöi^ungen  des  Rachens''''  besprochen.  Bezüglich  der 
Krämpfe  in  der  Pharynxmusculatur  vergl.  den  Artikel  ,^  Schlundh-ämpfe'-' .  Die 
Lähmungen  der  Gaumenmusculatur  werden  im  Artikel  „Paresis  veli  imlati^ 
behandelt.  u, 

Ohrpolypen,  in  früheren  Jahren  bezeichnete  man  mit  dem  Namen 
„Ohrpolyp"  eine  jede  Geschwulst  im  Ohre,  ob  gut-  oder  bösartig,  ob  weich 
oder  hart,  ob  im  äusseren  oder  im  mittleren  Ohrabschnitte.  Heute  geben 
wir  diesen  Namen  nur  jenen  gutartigen  Bindesubstanzgeschwülsten  im  äusseren 
und  mittleren  Ohre,  die  von  länglicher  Form,  graurother  Farbe  eine  meist 
glatte,  selten  eine  gefurchte  Oberfläche  besitzen  und  die  vermittelst  eines 
dünneren  oder  dickeren  Stieles  mit  der  Mittelohrschleimhaut  oder  der  Cutis 
des  äusseren  Gehörcanales  in  Verbindung  stehen.  Die  Grösse  dieser  Ge- 
schwülste variirt  von  der  eines  Stecknadelkopfes  bis  zu  einer  Nuss;  im  letz- 
teren Falle  füllen  sie  die  Paukenhöhle  und  den  Gehörcanal  aus,  können  sogar 
aus  der  äusseren  Ohröftnung  herausragen ;  ebenso  variirt  ihre  Zahl,  meist  ist 
nur  ein  Tumor  vorhanden,  oftmals  aber  sind  es  deren  mehrere  bis  zu  fünf 
und  sechs.  Ihre  Form  ist  anfangs  eine  rundliche;  meist  aber  wachsen  sie 
in  der  Richtung  des  länglichen,  äusseren  Gehörcanales 
und  nehmen  dann  auch  eine  längliche,  keulenartige  Form  ^jg-  2. 

an  (Fig.  1  und  2);  ihre  Oberfläche  ist  meist  ganz  glatt, 
andere  Male  ist  dieselbe  unregelmässig,  leicht  gefurcht       '^^s- 1- 
und  papillomatös;  in  den  häufigsten  Fällen  besitzt  der 
Polyp  nur   einen  einzigen  Körper,  zuweilen  jedoch  ist  & 

er  aus  mehreren,  kleineren  oder  grösseren  lappigen  Ein-  ^ 
zeigeschwülsten  zusammengesetzt,  die  von  einem  ein-  ^m 
zigen  breiten  Stiele  ausgehen  (Fig.  3).  ^^ 

Kleinere  Polypen  und  solche,  die  noch  im  Bereiche     i'^g-  \  poIj-p  aus  dem  rech- 
der  Paukenhöhle  liegen,  haben  eine   hochrothe  Farbe;     ten  Muteiohre^emes  lojahng. 
je  mehr  sie  dann  bei  ihrem  Wachsthum  den  Gehörcanal     e'*?-  2.  Poiyp  aus  dem  rech- 
erreichen   und   so  der  äusseren  Luft  ausgesetzt  sind,       ^^'^ölährigen  n'a'n^ner*'' 
desto  trockener  ist  ihr  Aussehen  und  sie  nehmen  eine 

graurothe,  selbst  grauweisse  Farbe  an.  Die  Consistenz  der  Polypen  ist  meist 
eine  ganz  weiche,  nur  die  grösseren  und  trockenen  sind  härter  und  resisten- 
ter. Die  Geschwulst  ist  mit  ihrem  Mutterboden  durch  einen  mehr  oder  min- 
der langen,  häufig  ganz  dünnen,  oftmals  auch  sehr  breiten  Stiel  verbunden. 

Die  meisten  Ohrpolypen  entstammen  der  Paukenhöhle,  viel  seltener 
kommen  sie  aus  dem  äusseren  Gehörcanale,  vom  Trommelfell,  und  am  seltensten 
findet  man  sie  in  den  Warzenzellen  und  der  Tuba  Eustachii;  sie  wurzeln  in 
den  oberflächlichen  Gewebsschichten  dieser  Ohrtheile,  zuweilen  auch  gehen 
sie   vom   Periost   aus.    In   der   Paukenhöhle    entspringen   diese  Geschwülste 


394 


OHRPOLYPEN. 


Fig.  3.  Polyp  (Fibroma  mol- 
luscum)  aus  dem  linken  Mit- 
telohre eines  40jährigen 
Mannes. 


vorzugsweise  von  der  inneren  Trommelhöhlenwandung,  im  Meatus  externus 
von  dessen  hinterer  oberer  Wand;  sie  entstehen  an  der  Aussen-  wie  auch  an 
der  Innenfläche  des  Trommelfelles;  oftmals  bilden  sie  sich  als  Granulome  an 
den  Rändern  einer  kleinen,  frischen  oder  alten  Trom- 
melfellperforation oder  auch  infolge  eines  mechanischen 
Reizes  (Cerumenpfropf)  oder  einer  instruraentellen  ober- 
flächlichen Verletzung  oder  schliesslich  an  cariös-nekro- 
tischen  Knochenpartien.  Zu  den  grössten  Seltenheiten 
gehören  Polypen  der  Paukenhöhle  bei  intactem  Trom- 
melfell. (Zaufal,  Gottstein,  Eitelberg.)  Im  Inneren 
des  Warzenfortsatzes  kommen  nicht  allzu  selten  polypöse 
Tumoren  vor,  die  durch  die  hintere  Meatuswand  in  den 
Gehörcanal  oder  durch  die  Corticalis  des  Knochens 
nach  aussen  durchbrechen  können.  Einige  wenige  Fälle 
von  Polypen  am  Paukenostium  der  Tuba  sind  ebenfalls 
gesehen  worden  (Voltolini).  Gar  oft  finden  wir  Polypen  zu  gleicher  Zeit 
im  äusseren  und  im  mittleren  Ohre,  zuweilen  sogar  in  beiden  Ohren  und 
manchmal  an  symmetrischen  Stellen. 

Mikroskopisch  unterscheiden  wir  nur  zwei  Arten  von  Ohrpolypen:  die 
Granulome  und  die  Fibrome.  Die  ersteren  und  häufigsten  bestehen 
aus  einer  spärlichen  Grundsubstanz  von  jungem  Bindegewebe  und  aus  zahl- 
reichen, dicht  gelagerten  Rundzellen;  ausserdem  besitzen  sie  eine  grosse 
Menge  capillärer  Blutgefässe;  ihre  Oberfläche  ist  meist  von  einem  einfachen 
cylindrischen  Flimmerepithel  überzogen.  Bei  grösseren  Polypen  sehen  wir  oft- 
mals Cylinderepithel  an  der  Wurzel  und  den  jüngeren  Geschwulsttheilen, 
während  das  periphere  Stück  des  Tumors  Pflasterepithel  trägt.  An  der 
papillären  Oberfläche  solcher  Geschwülste  senkt  sich  das  Deckepithel  zapfen- 
artig  in   die    Tiefe,   und  beim  Weiterwachsen  dieser  Neubildungen  schnüren 

sich  diese  zapfenförmigen  Epitheleinsen- 
kungen ab  und  stellen  drüsenschlauch- 
artige,  mit  Cylinderepithel  ausgekleidete 
Gänge  dar;  letztere  können  sich  später 
erweitern  und  mehr  weniger  grosse,  cysten- 
artige  Räume  bilden,  in  denen  freier 
Schleim,  Schleimzellen,  Cholestearinkry- 
stalle  liegen  (Fig.  4).  Zuweilen  erreichen 
diese  cystösen  Räume  eine  solche  Grösse, 
dass  der  ganze  Polyp  nur  eine  einzige 
Cyste  darstellt.  Die  Cystenbildung  kann 
aber  auch  in  der  Weise  zu  Stande  kom- 
men, dass  zunächst  in  dem  Granulations- 
gewebe eine  circumscripte  Anhäufung  von 
Leukocyten  entsteht,  ein  richtiger  Lymph- 
follikel,  in  dessen  Centrum  eine  schlei- 
mige Erweichung  stattfindet,  die  dann  nach 
der  Peripherie  fortschreitet,  und  schliess- 
lich bleibt  nur  ein  einschichtiger  Leuko- 
cytensaum  übrig,  der  die  Wandung  oder 
das  Epithel  der  jetzt  fertigen  Cyste  dar- 
stellt (Manasse).  Die  zweite  Art  von  Ohr- 
polypen besitzen  den  Bau  der  harten  oder 
weichen  Fibrome.  Die  viel  selteneren 
harten  und  trockenen  Tumoren  bestehen  aus  dichten,  dicken  Bindegewebsfasern 
mit  nur  wenigen  spindelförmigen  Zellen  und  einer  ganz  geringen  Anzahl  von 
Blutgefässen;    die  weichere    ebenfalls  blutgefässarme  Form,    das   sogenannte 


Fig.  4.    Querschnitt  durch    einen    Granulations- 

polypen.     Linkes  Mittelohr  einer  47j&hrigen 

Frau.     Hartn.  3  1 1. 


OHRPOLYPEN.  395 

ödematöse  oder  Myxofibrom,  kommt  viel  häufiger  vor  und  ist  aus  dünnen 
durchsichtigen  Fibrillen  zusammengesetzt,  zwischen  welchen  ziemlich  viele 
Kund-  oder  Spindelzellen  eingestreut  sind;  zuweilen  zeigt  das  Bindegewebs- 
stroma  alveoläre  Anordnung  mit  homogener  mucinhaltiger  Zwischensubstanz 
(Steudener,  Kisselbach).  Zwischen  den  harten  Fibromen  und  diesen  öde- 
matösen  weichen  beobachtet  man  zahlreiche  Uebergangsformen;  selbst  im 
gleichen  Tumor  wechseln  härtere  mit  weicheren  Stellen  ab.  So  ist  auch  das 
von  Steudener  u.  a.  geschilderte  Myxom  der  Paukenhöhle  nur  ein  gallertiges 
weiches  Fibrom,  in  welchem  neben  dem  embryonalen  Bindegewebe  hie  und 
da  auch  etwas  derbere  fibröse  Partien  vorkommen;  das  durchsichtige  Binde- 
resp.  Schleimgewebe  dieser  letzteren  Fibromart  ist  dem  in  der  Nabelschnur  ganz 
analog,  und  sie  haben  sich  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  aus  zurückgeblie- 
benen Resten  jenes  fötalen  Schleimhautpolsters  entwickelt,  das  beim  Neu- 
geborenen an  der  Promontorialschleimhaut  regelmässig  vorhanden  ist. 

Es  ist  unnöthig,  bei  den  Ohrpolypen  noch  weitere  anatomische  Formen 
zu  unterscheiden,  z.  B.  Angiome  (Moos  und  Steinbrügge),  Fibroepitheliome 
und  Adenome  (Niemack),  denn  schliesslich  dürften  alle  Ohrpolypen,  mit  Aus- 
nahme der  seltenen  harten  Fibrome  des  Gehörcanales,  ursprünglich  nur  Gra- 
nulome (Weydner)  gewesen  sein,  die  eine  allmähliche  Umwandlung  in  Fibrome, 
Angiome  erlitten  haben.  So  z.  B.  ist  das  Angiofibrom  nur  eine  weitere  Ent- 
wicklungsform des  Granuloms,  entstanden  „durch  Bildung  von  Bindegewebs- 
zellen aus  den  Zellen  der  Adventitia  der  zahlreichen  später  meist  obliteri- 
ten  Gefässe  von  Granulationsgeschwülsten." 

In  den  Fibroepitheliomen,  die  besonders  im  äusseren  Ohre  zur  Beob- 
achtung kommen,  finden  wir  ein  an  Blutgefässen  armes  bindegewebiges  Stroma, 
in  welches  von  der  Oberfläche  her  starke,  atypische  Wucherungen  des  Epithels, 
resp.  der  Epidermis  hineingewachsen  sind. 

Der  Epithelüberzug  der  Ohrgranulome  und  Fibrome  ist  ein  sehr  ver- 
schiedener. Die  glatte,  nicht  blutende  Oberfläche  der  kleinen  Granulome  be- 
sitzt oft  gar  keinen  Epithelüberzug,  ebensowenig  wie  der  geschwürige  Mutter- 
boden, auf  dem  sie  sich  entwickelt  haben;  andere  Polypen  sind  mit  einem 
einfachen,  wieder  andere  mit  einem  mehrschichtigen  flimmernden  Cylinder- 
epithel  überzogen,  hohen  cylindrischen  Zellen  mit  grossem  runden  Kerne. 
Zuweilen  wird  am  geschichteten  Cylinderepithel  die  obere  Zellschichte  durch 
Einwirkung  der  äusseren  Luft,  durch  Druck  u.  s.  w.,  so  auf  die  tiefere 
Schichte  gepresst,  dass  die  oberen  Cylinderzellen  horizontal  zu  liegen  kommen 
und  wie  Plattenepithelien  aussehen.  Andere  Male  haben  wir  es  mit  einem 
epidermoidalen  Ueberzuge  zu  thun;  wir  finden  über  der  untersten  Cylinder- 
schichte  Stachel-  und  Riffzellen  und  darüber  w^ahres  Plattenepithel.  Ob  wir 
es  hier  mit  einer  Metaplasie  von  Cylinderepithel  in  Plattenepithel  zu  thun 
haben,  ist  schwer  zu  sagen;  jedenfalls  sieht  man  sehr  oft  Cylinderzellen  in 
die  Retezellen  hineinwachsen  und  anderseits  die  cubischen  Riffzellen  sich 
in  die  wahren  Cylinder  hineindrängen.  Einen  solchen  epidermoidalen  Ueber- 
zug  finden  wir  an  der  Oberfläche  der  Geschwulst  sowohl,  wie  auch  an  ihren 
Einkerbungen;  zuweilen  sieht  man  an  den  jüngeren  Geschwulsttheilen  schönes 
einfaches  Cylinderepithel,  während  die  älteren  Abschnitte  von  Plattenepithel 
und  Epidermis  überzogen  sind.  —  Wendt  hat  Schweissdrüsen,  Lucae  Schleim- 
drüsen in  Ohrpolypen  gefunden.  Drüsenartige,  schlauchförmige  Bildungen 
sieht  man  häufig  auf  Quer-  und  Schrägschnitten  solcher  Tumoren;  in  vielen 
Fällen  handelt  es  sich  hiebei  um  Abschnürungen  des  ins  Stroma  hinein- 
gewachsenen Deckepithels,  andere  Male  aber  sind  diese  mit  Cylinderzellen 
ausgekleideten  Schläuche  von  festem  Bindegewebe  umgeben  und  stellen  wahre 
Drüsengebilde  vor.  Ausser  diesen  drüsenartigen  Bildungen  finden  wii'  auch  häufig 
kleinere  und  grössere  cystenartige  Räume,  wir  sehen  oftmals  Blutungen  und 
deren  Umwandlungen   in  Pigment.    Wir   finden   Riesenzellen   der   verschie- 


396  OHRPOLYPEN. 

densten  Art  und  Form  um  abgefallenes  Epithel  oder  Cholestearinschollen 
(Manasse);  alle  diese  Riesenzellen  müssen  als  Fremdkörperriesenzellen  be- 
trachtet werden;  Epidermisschuppen  im  lebenden  wie  im  abgestorbenen  Zu- 
stande oder  Cholestearinkrystalle  wirken  auf  das  vorhandene  Granulations- 
gewebe als  Fremdkörper,  und  es  bildet  sich  um  dieselben  eine  einzige  oder 
auch  ein  geschlossener  Kranz  von  Riesenzellen. 

Es  kommen  ferner  Verkalkungen  vor,  selbst  Yerknöcherungen,  bei 
welchen  die  Knochensubstanz  von  der  Mittelohrwand,  wo  der  Polyp  aufsass, 
in  das  Granulom  hineingewachsen  ist,  oder  auch  völlige  Verknöcherung  des 
ganzen  Tumors  (Bezold).  Schliesslich  wurden  auch  Haare  in  diesen  Tumoren 
gesehen,  die,  sei  es  zufällig,  von  aussen  auf  das  Granulom  gefallen  waren 
(Kuhn)  oder  in  demselben  (!)  sich  gebildet  haben  sollen  (Scheibe). 

Aetiologie.  Wir  kennen  aus  der  Literatur  einige  wenige  Fälle  von 
angeborenen  Ohrpolypen  (Itaed,  Urbantschitsch).  Die  Neubildungen  ent- 
stehen im  Ohre  auch  ohne  bekannte  vorausgegangene  Schädigung  oder 
Eiterung,  so  in  erster  Linie  die  Fibrome  des  äusseren  Gehörcanales;  oftmals 
bilden  sich  Granulationsgeschwülste  im  Verlaufe  acuter  Entzündungen  des 
äusseren  Gehörcanales,  des  Trommelfells  und  der  Paukenhöhle,  hervorgerufen, 
sei  es  durch  die  irritirende  Wirkung  der  eiterigen  Secretion,  sei  es  auch  in- 
folge eines  medicamentösen  Reizes;  in  den  meisten  Fällen  jedoch  besteht 
neben  den  Ohrpolypen  eine  chronische  Eiterung,  besonders  in  der  Pauken- 
höhle; es  entstehen  zuerst  oberflächliche,  später  tiefere  Substanz  Verluste  auf 
der  entzündeten  Schleimhaut  des  Mittelohres,  und  auf  diesen  wuchern  dann 
die  Granulationen;  w^arum  dies  nur  in  gewissen  Fällen  von  chronischen  Mittel- 
ohreiterungen stattfindet,  in  anderen  vielleicht  schon  länger  bestehenden  der- 
artigen Paukenprocessen  dagegen  nicht,  warum  in  dem  einen  Falle  diese 
kleinen  Granulome  weiterwachsen,  in  anderen  aber  nicht,  diese  verschiedenen 
Momente  sind  uns  bis  jetzt  noch  unbekannt.  Die  Erfahrung  lehrt  uns  nur, 
dass  Constitutionsanomalien  (Scrophulose,  Tuberkulose,  Anämie  u.  s.  w^)  zu 
eiterigen  Ohrkatarrhen  ungemein  disponiren  und  auch  häufig  zu  Bildungen 
von  Granulationspolypen  Veranlassung  geben.  Wir  finden  weiterhin,  dass,  wie 
an  allen  Körpertheilen,  so  auch  im  Ohre  polypöse  Granulationen  sich  häufig 
auf  cariösen  Stellen  entwickeln;  es  kommen  aber  auch  zahlreiche  Fälle  von 
Ohrpolypen  vor,  ohne  cariöse  Erkrankung  des  Standortes. 

Symptome.  Bei  kleineren  Polypen  finden  wir  nur  die  Erscheinungen 
eines  eitrigen  Ohrenflusses  und  mehr  weniger  hochgradige  Taubheit,  gerade 
so  wie  bei  der  einfachen,  eitrigen  Mittelohrentzündung;  aus  der  häufigen 
Beimengung  von  Blut  zum  Ohreiter  dürfen  wir  einen  solchen  Tumor  ver- 
muthen  und  werden  ihn  auch  bei  genauer  Untersuchung  des  gut  gereinigten 
Ohres  in  vielen  Fällen  finden;  wir  sehen  dann  eine  kleine  bewegliche, 
erbsengrosse,  stark  geröthete,  weiche  und  leicht  blutende  Geschwulst  in  der 
Tiefe  des  Ohres.  Bei  grösseren  Geschwülsten  gesellen  sich  den  Symptomen 
der  Ohreiterung  und  der  Schwerhörigkeit  erst  dann  noch  andere  Erscheinungen 
bei,  wenn  der  Tumor  durch  sein  grösseres  Volumen  den  Gehörcanal  verlegt 
und  den  Eiterabfluss  aus  der  Tiefe  hindert;  dann  treten  sogenannte  Reten- 
tionserscheinungen  auf,  die  in  starker  Eingenommenheit  des  Kopfes,  in  hef- 
tigen einseitigen  Kopfschmerzen,  unsicherem  Gange,  Schwindel  und  Er- 
brechen bestehen.  Dieselben  sind  durch  jenen  Druck  verursacht,  welchen 
bei  sehr  voluminösen  Polypen,  die  in  der  Pauke  zurückgehaltene,  weil  an  ihrem 
Abflüsse  behinderte  Eitersecretion  auf  die  Labyrinthfenster  und  den  Labyrinth- 
inhalt ausübt,  und  der  schliesslich  eine  Reizung  des  Kleinhirnes  bedingt;  der- 
artige Symptome  machen  häufig  den  Eindruck  einer  beginnenden  Gehirner- 
krankung und  verschwinden  erst,  w^enn  durch  die  Entfernung  des  grossen 
Ohrpolypen  der  Eiter  wieder  abfliessen  kann;  in  allen  solchen  Fällen,  bei 
welchen  diese  Remission  nicht  eintritt,  können  wir  eine   schon  bestehende 


OHRPOLYPEN.  397 

complicirende  Gehirnaffection  annehmen.  Bei  Polypen  des  Mittelohres  beob- 
achten wir  manchmal  eine  Facialisparalyse,  die  meist  infolge  einer  Caries  des 
FALLOP'schen  Canales  entstanden  ist,  aber  auch  ohne  eine  solche  auftreten 
kann,  wie  uns  dies  jene  Fälle  beweisen,  in  welchen  nach  der  Extraction  von 
Ohrpolypen  die  Lähmungen  sich  gebessert  haben,  zuweilen  sogar  vollständig 
verschwunden  sind. 

Hie  und  da  werden  auch  Reflexneurosen  im  Verlaufe  von  Ohrpolypen 
beobachtet:  Husten,  Niesen,  Hemianästhesie,  Gesichtsparese  mit  Ptosis,  Erec- 
tionen  u.  s.  w^;  alles  Reüexerscheinungen,  die  indirect  vom  Kleinhirn  aus- 
gelöst werden.  —  Die  Functionsstörungen  sind  bei  den  Polypen  des  äusseren 
Ohres  nur  durch  die  mechanische  Verlegung  des  Gehörcanales  bedingt;  sie 
können  sehr  beträchtlich  sein,  verschwinden  aber  vollständig  mit  der  Entfer- 
nung des  Polypen,  vorausgesetzt,  dass  keine  andere  Ohrerkrankung  ausser 
dem  Polypen  vorhanden  ist.  Bei  den  Polypen  des  Mittelohres  dagegen  ist  die 
Schwerhörigkeit  vor  allem  die  Folge  der  mannigfachen  Veränderungen  in  der 
Pauke  und  an  den  Gehörknöchelchen,  und  sie  verbleibt  auch  meist  trotz  Ent- 
fernung der  Neubildung. 

Diagnose.  Bei  Polypen  des  äusseren  Ohres  und  des  Trommelfelles 
braucht  letzteres  nicht  perforirt  zu  sein;  dem  grössten  Theile  (757o)  dieser 
Neubildungen  liegt  aber  eine  chronische  Mittelohreiterung  zu  Grunde,  und 
hier  besteht  immer  eine  Trommelfellperforation.  Den  Tumor  selbst,  seine 
Consistenz,  seine  Beweglichkeit  erkennen  wir,  nach  guter  Pieinigung  des  Ohres, 
vermittelst  der  Sonde,  und  es  ist  alsdann  nicht  schwier,  den  gut  beweg- 
lichen, weichen,  nicht  empfindlichen  und  meist  leicht  blutenden  Ohrpolypen 
von  der  geschwellten  Promontorialschleimhaut,  einem  Ohrfurunkel,  einer  Vor- 
bauchung der  hinteren  oberen  Gehörgangswand  oder  von  einer  Exostose  zu 
unterscheiden.  Die  Beimengung  von  Blut  zu  dem  Ohreiter  wird  bei  Polypen 
sehr  häufig  beobachtet. 

Schwieriger  ist  es,  den  Standort  der  Polypen  genau  zu  bestimmen  und 
seine  anatomische  Gattung.  Die  leichtblutenden,  weichen  Geschwülste  ent- 
stammen meist  der  Paukenhöhle;  je  beweglicher,  desto  dünner  und  länger  ist 
ihr  Stiel;  härtere,  hellere  und  weniger  blutreiche  Polypen  wurzeln  meist  im 
äusseren  Ohre,  und  es  gelingt  uns  häufig  ziemlich  leicht,  den  Sitz  der  letzteren 
vermittelst  der  Sonde  genau  zu  bestimmen  und  sie  als  Fibrome  zu  erkennen. 
Bei  Polypen  der  Paukenhöhle  ist  es  ebenfalls  möglich,  je  nach  der  Tiefe  und 
der  Richtung,  in  welcher  wir  die  Ohrsonde  einführen  können,  Lage  und  Sitz 
derselben  genauer  zu  diagnosticiren.  Maligne  Tumoren  lassen  sich  in  ihren 
Anfangsstadien  kaum  von  den  gutartigen  Polypen  unterscheiden;  nur  wenn 
diese  polypenähnlichen  Bildungen  sehr  rasch  nach  ihrer  Extraction  nach- 
wachsen und  wenn  sie  häufig  und  stark  bluten,  so  müssen  sie  unsern  Ver- 
dacht erregen  und  erheischen  eine  genaue  mikroskopische  L^ntersuchung  und 
dies  besonders  dann,  wenn  die  benachbarten  Lymphdrüsen  noch  nicht 
geschwollen  sind. 

Prognose.  Bei  Polypen,  die  dem  äusseren  Ohre  entstammen  und  bei 
denen  das  Trommelfell  intact  ist,  wird  die  Prognose  eine  günstige  sein;  sie 
können  vollständig  entfernt  und  ihr  Recidiviren  verhindert  werden;  lag  vor- 
her keine  functionelle  Ohrerkrankung  vor,  so  kehrt  auch  das  Gehörvermögen 
vollständig  zurück. 

Die  bei  acuten  Eiterungen  zuweilen  sich  bildenden  kleinen  Granulome 
verschwinden  meist  sehr  leicht  bei  richtiger  Behandlung  und  bei  gutem  Ab- 
flüsse des  Paukenhöhleneiters.  Besteht  jedoch  neben  dem  Obrpolypen  eine 
chronische  Mittelohraffection,  wie  ja  dies  so  häufig  der  Fall  ist,  so  "haben  wir 
es,  wie  bei  einer  jeden  chronischen  Eiterung  der  Paukenhöhle  mit  oder  ohne 
Caries,  mit  einer  ernsten  Erkrankung  zu  thun  und  dies  umso  mehr,  als  durch 
den  Ohrpolypen  die  Möglichkeit  einer  Eiterretention  mit  ihren  bedenklichen 


398  OHRPOLYPEN. 

Complicationen  gegeben  ist.  Bestehen  seit  längerer  Zeit  heftige  Kopfschmerzen. 
Schwindelanfälle,  so  ist  die  Prognose  immerhin  eine  bedenkliche,  aber  auch 
jetzt  kann  die  baldige  Extraction  des  Tumors  noch  Heilung  bringen.  Stets  muss, 
auch  nach  vollständiger  Entfernung  der  Neubildung,  der  zu  Grunde  liegende 
chronische  Mittelohrprocess  behandelt  werden.  Facialislähmungen  heilen  zu- 
weilen vollständig  nach  Entfernung  der  Polypen;  das  Gehörvermögen  dage- 
gen wird  durch  die  Extraction  der  Mittelohrpolypen  nur  in  seltenen  Fällen 
gebessert  werden  können,  weil  ja  die  zu  Grunde  liegenden  entzündlichen 
Veränderungen  auf  der  Mittelohrschleirahaut  und  am  Gehörknöchelchen- 
apparate es  sind,  welche  die  Hörfunction  herabsetzen,  und  dieselben  fast 
nicht  mehr  zur  vollständigen  Heilung  gebracht  werden  können.  Wird  bei 
Polypenbildungen  in  einem  Ohre  die  Stimmgabel  beim  WEBER'schen  Versuche 
nur  im  nichterkrankten  Ohre  vernommen,  so  ist  neben  der  Erkrankung 
des  mittleren  Ohres  auch  das  Labyrinth  afficirt.  Nur  in  jenen  Fällen,  bei 
denen  schon  im  Momente  des  operativen  Eingriffes  eine  otitische  Gehirncom- 
plication  besteht,  ist  die  Polypenextraction  bedenklich;  in  allen  anderen 
Fällen  wird  eine  vorsichtige  Hand  diese  leichte  Operation  ohne  jeglichen 
Schaden  für  den  Kranken  ausführen,  und  die  in  der  Literatur  bekannt  gewor- 
denen Todesfälle  bei  Polypenextraction  dürften  auf  schon  vor  der  Operation 
bestandene  intracranielle  Complicationen  zurückzuführen  sein. 

Behandlung.  Kleinere  Polypen  werden  zuweilen  infolge  fettiger  Dege- 
neration ihres  dünnen  Stieles  spontan  oder  bei  Einspritzungen  ausgestossen; 
GoMPERZ  hat  Granulome  durch  Schrumpfung  verschwinden  sehen;  oftmals 
jedoch  recidiviren  diese  spontan  entfernten  Geschwülste.  —  Die  in  früheren 
Jahren  viel  versuchten  Mittel  (Zinkvitriol,  Bleiessig,  Creosot,  Opiumtinctur 
u.  s.  w.)  werden  kaum  von  Nutzen  sein;  es  ist  vielmehr  zu  befürchten,  dass 
während  ihres  Gebrauches  bei  dem  inzwischen  fortschreitenden  Wachsthume 
der  Neubildung  bedenkliche  Rententionserscheinungen  auftreten.  Auch  die 
von  manchen  Ohrenärzten  angegebenen  Eisenchlorideinspritzungen  in  das 
Gewebe  des  Polypen  sind  nach  neueren  Erfahrungen  nicht  unbedenklich.  Die 
von  Politzer,  Löwenberg  und  Morpurgo  wiederholt  beobachtete  Heilung 
von  Polypenresten  und  Granulationen  durch  die  methodischen  Einträufelungen 
von  absolutem  Alkohol  konnten  von  Anderen  nicht  bestätigt  werden. 

Die  Ohrpolypen  müssen  operativ  entfernt,  ihre  Wurzel  muss  zerstört 
werden  und  bei  den  Polypen  des  Mittelohres  ist  ausserdem  auch  die  Behandlung 
des  zu  Grunde  liegenden  chronischen  Mittelohrprocesses  nothwendig. 
Polypen  des  äusseren  Ohres  und  des  Trommelfelles,  sowie  auch  einige  wenige 
des  Mittelohres  können  durch  die  Extraction  und  die  Zerstörung  der  Wurzel 
rasch  und  definitiv  geheilt  werden;  bei  Mittelohrpolypen  dagegen  dauert  die 
Behandlung  viel  länger;  denn  die  nach  der  Extraction  der  Neubildung  noth- 
wendige  Nachbehandlung  des  ursächlichen  Mittelohrleidens  nimmt  meist  lange 
Wochen  und  Monate  in  Anspruch  und  erheischt  ausserdem  sehr  häufig, 
neben  der  bekannten  localen  Therapie,  besonders  bei  Kindern  eine  tonisirende 
und  antiscrophulöse  Allgemeinbehandlung  (Salzbäder,  Eisen,  Arsenik  u.  s.  w.); 
die  Erfahrung  hat  gelehrt,  dass  gerade  bei  den  in  ihrem  Allgemeinbefinden 
geschwächten  Kindern  und  Erwachsenen  die  Mittelohrpolypen  sehr  häufig  zu 
jenen  oben  geschilderten  bedenklichen  Ptetentionserscheinungen  Veranlas- 
sung geben;  ihre  Entfernung  ist  deshalb  so  bald  als  möglich  vorzunehmen, 
denn  es  kann  ja  auch  der  eitrige  Mittelohrprocess  ohne  Entfernung  des  Tu- 
mors niemals  geheilt  werden. 

Grössere  aus  dem  Gehörcanale  hervorragende  Polypen  kann  man 
mit  einer  gekrümmten  Scheere  abschneiden,  resp.  verkleinern;  der  hiebei  zu- 
rückbleibende Stumpf  muss  aber  in  der  unten  zu  schildernden  Weise  noch  nach- 
träglich behandelt  werden.  Zur  Extraction  des  Ohrpolypen  bediente  man  sich 
in  früheren  Jahren  der  bekannten  „Verband-   oder  Kornzange";   hiebei   läuft 


OHRPOLYPEN. 


399 


man   aber    immer   Gefahr,    die   Ge- 
schwulst  zu   zerquetschen,    sie    nur 
unvollständig  zu   entfernen  und  bei 
breitaufsitzenden    Tumoren    die    an- 
grenzenden Schleimhautpartien  oder 
die  Gehörknöchelchen  gewaltsam  mit 
herauszureissen.  Viel  besser,  weil  viel 
schonender,  geschieht  jetzt  allgemein 
die  Extraction  vermittelst  des  Wilde- 
schen    Schlingenschnürers;    das    In- 
strument  kann   in   seiner  ursprüng- 
lichen Form,  wie  es  durch  v.  Tröltsch  schon 
vor   35   Jahren  in  Deutschland  bekannt  ge- 
worden, auch  heute  noch  mit  grösstem  Nu- 
tzen  verwendet   werden;  nur   um  sich    des 
gleichen  Instrumentes  auch  zur  Entfernung 
von    Ohr-,    Nasen-   und  Nasenrachenpolypen 
bedienen  zu  können,  sind  einige  Modificatio- 
nen  des  alten  Modells  nothwendig  gewesen, 
vor  allem  solche,   die  es  ermöglichen,   Lei- 
tungsröhren von  verschiedener  Länge  einzu- 
legen.    An    dem   modificirten    WiLDE'schen 
Schnürer   (Figur  5)    ist  eine  Flügelschraube 
angebracht,  vermittelst  welcher  der  Draht  auf 
einer   darunter   befindlichen   gerifften  Quer- 
stange  rasch    und    sicher    befestigt   werden 
kann;  als  Draht  bewährte  sich  mir  am  besten 
ausgeglühter   Stahldraht,    der   auch   für   die 
galvanokaustische  Glühschlinge  geeignet  ist. 
Die  Extraction  des  Polypen  geschieht 
in  folgender  Weise:  Man  legt  eine  der  Grösse 
des  Polypen  entsprechend  weite  Drahtschlinge 
um  die  Geschwulst,  schiebt  dieselbe  langsam 
so   tief  als  möglich  vor,   verkürzt  sie  hiebei 
allmählich  und    zieht  dieselbe    alsdann   fest 
zusammen;  schliesslich  wird  durch  einen  leich- 
ten Zug  mit  dem  Instrumente  die  Geschwulst 
extrahirt.     Bei  Polypen   mit    dünnem  Stiele 
genügt    eine   ganz  leichte   Traction, 
während   bei    breit  aufsitzenden  ein 
etwas  kräftiger  Zug  nothwendig  ist. 
Kleinere  und  weichere  Polypen  wer- 
den   von    dem    dünnen    Stahldrahte 
leicht    durchgeschnitten  und  müssen 
nachträglich  mit  der  Pincette  entfernt 
werden;  in  den  meisten  Fällen  jedoch 
bleibt    der   Tumor  in    der   Schlinge 
hängen   und  lässt    sich  sammt  dem 
Instrumente   aus   dem   Ohre  heraus- 
ziehen.    Bei  Polypen  des   Trommel- 
felles, bei  Granulomen  an  den  Gehör- 
knöchelchen     oder     anderer     CariÖSer  ^'°-  ^-    ModiScirter  Wllde-scher  Polypenschnürer. 

Mittelohrpartien  muss  die  Extraction  eine  behutsame  sein.  Geschwülste,  die 
sich  derb  und  hart  anfühlen,  und  besonders  die  mit  breiter  Basis  aufsitzen- 
den, entfernt  man  am  besten  vermittelst  der  Glühschlinge,  deren  Anlegen  um 


400  OHRPOLYPEN. 

den  Tumor  in  gleicher  Weise  geschieht  wie  der  WiLDE'sche  Schnürer;  beim 
Gebrauche  von  gut  isolirten  und  schlanken  Leitungsröhren  sind  die  Nach- 
bartheile  vor  der  Glühhitze  gut  geschützt,  auch  darf  der  elektrische  Strom 
erst  dann  geschlossen  werden,  wenn  die  Schlinge  den  Polypenstiel  schon  fest 
umfasst  hat. 

Da  der  WiLDE'sche  Schlingenschnürer  durch  Compression  und  Schnitt 
wirkt,  so  ist  die  Operation  nur  selten  von  einer  stärkeren  Blutung  gefolgt; 
aber  auch  etwas,  stärkere  Blutungen  hören  spontan  auf  und  erheischen 
höchstens  Einspritzungen  von  kaltem  Wasser;  bei  profusen,  besonders  arte- 
riellen Blutungen,  wie  solche  in  seltener  Zahl  zur  Beobachtung  gekommen 
sind,  wird  die  Tamponade  des  Gehörganges  mit  Eisenchloridwatte  nothwendig. 

Bei  Mittelohrpolypen,  die  durch  eine  Perforation  in  den  Gehörgang 
gewachsen  sind,  muss  häufig  die  Trommelfellöffnung  erweitert  werden,  um  das 
Instrument  gut  in  die  Paukenhöhle  einführen  zu  können.  —  Kleine  und 
weiche  Granulome  entfernt  man  auch  leicht  und  vollständig  mit  kleinen 
scharfen  Löffeln  (0.  Wolf)  oder  mit  kleinen  ovalen  Curetten,  deren  schnei- 
dende Concavität  den  Tumor  an  seiner  Basis  durchschneidet  und  abdrückt; 
besonders  geeignet  sind  dieselben  für  Granulome  der  Membrana  Shrapnelli  und 
im  recessus  epitympanicus;  hiebei  können  auch  cariöse  Stellen  der  darunter 
gelegenen  Knochentheile  vorsichtig  abgekratzt  werden,  wobei  wir  jedoch  nur 
mit  grösster  Behutsamkeit  vorgehen  dürfen,  da  <Jiese  cariösen  papierdünnen 
Knochentheile  sehr  leicht  perforirt  werden  könnten  und  wir,  je  nach  Lage  der- 
selben, das  innere  Ohr,  den  FALLOp'schen  Canal  u.  s.  w.  unfreiwillig  er- 
öffnen würden.  Jene  polypösen  Tumoren,  die  dem  Inneren  des  Warzenfort- 
satzes entstammen  und  durch  die  hintere  Meatuswand  in  den  Gehörcanal  oder, 
was  seltener,  durch  die  Corticalis  nach  aussen  durchgebrochen  sind,  können 
vollständig  nur  durch  eine  breite  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  exstirpirt 
werden,  —  Bei  Granulomen,  die  in  Perforationen  der  SnEAPNELL'schen  Membran 
gelegen  sind,  die  aber  oft  von  dem  cariöserkrankten  Hammer  ausgehen, 
muss  der  Hammer  mit  entfernt  werden.  Zur  Zerstörung  der  Polypenwurzel 
eignet  sich  am  besten  die  Aetzung  mit  einem  knopfförmigen  Galvanokauter; 
derselbe  muss  bis  zu  seiner  Spitze  gut  isolirt  sein,  um  die  Aetzung  nur  auf 
den  Stumpf  des  Polypen  beschränken  zu  können.  Unter  den  so  zahlreich  em- 
pfohlenen chemischen  Aetzmitteln,  dem  Höllenstein,  der  Chloressigsäure,  Salpeter- 
säure, Wiener-  und  Chlorzinkpaste,  ziehe  ich  die  Chromsäure  vor;  ihre  Anwen- 
dung geschieht  in  der  Weise,  dass  ein  paar  kleine  Crystalle  an  das  geriffte  Ende 
einer  silbernen  Ohrsonde  angeschmolzen  werden  und  damit  der  Polypenstumpf 
zerstört  wird;  auch  hier  müssen  die  Nachbartheile  so  viel  als  möglich  ge- 
schont werden,  sonst  dauern  die  auf  die  Aetzung  folgenden  Schmerzen  mehrere 
Stunden;  die  galvanokaustische  Aetzung  ist  viel  schmerzhafter  als  die  ver- 
mittelst Chromsäure,  dauert  aber  nur  ganz  kurze  Zeit,  während  letztere  oft- 
mals einige  Stunden  währt.  In  einigen  wenigen  Fällen  genügt  ein  einmaliges 
kräftiges  Aetzen;  der  Aetzschorf  stösst  sich  nach  einigen  Tagen  ab,  der  Polyp, 
wie  auch  die  durch  ihn  unterhaltene  Eiterung  sind  und  bleiben  verschwunden; 
andere  Male  jedoch  muss  das  Aetzen  mehrfach  wiederholt  werden  und  eine 
solche  Nachbehandlung  kann  Wochen  und  Monate  andauern.  Harte,  libro- 
matöse  Polypen  recidiviren  selten,  allein  auch  die  übrigen  Granulationspolypen 
des  Mittelohres  lassen  sich  bei  consequenter  Anwendung  obiger  Behandlungs- 
weise  sicher  und  definitiv  beseitigen.  Die  Extraction  des  Polypen,  und  oft- 
mals sind  mehrere  Geschwülste  vorhanden,  die  zuweilen  nothwendige  Aus- 
kratzung cariöser  Stellen,  sowie  auch  die  nachfolgende  Aetzung  des  Stieles, 
sind  recht  schmerzhafte  Proceduren,  und  man  wird  am  besten  daran  thun,  die- 
selben bei  Kindern  und  auch  bei  etwas  empfindlichen  Erwachsenen  in  der 
Narkose  auszuführen;  die  Extraction,  wie  vor  allem  die  Aetzung  können  als- 
dann  in   viel  gründlicherer  Weise  vorgenommen   werden.    Wird  jedoch  die 


OSTEOM  DER  NASENHÖHLE.  401 

Narkose  verweigert,  so  sucht  man  für  die  Extraction  sowohl,  wie  für  eine 
jedesmalige  Aetzung,  durch  Eingiessen  einer  20'Voigen  Cocainlösung  in  die 
Paukenhöhle  die  Schmerzhaftigkeit  so  viel  als  möglich  zu  vermindern.  Ist 
bei  der  Extraction  die  Blutung  von  längerer  Dauer,  so  verschiebe  man  die 
Aetzung  des  Polypenrestes  auf  einige  Tage  später,  um  sich  in  der  von  Blut- 
gerinnsel frei  gewordenen  Paukenhöhle  besser  orientiren  und  kleinere  Wurzel- 
reste genauer  zerstören  zu  können.  —  In  allen  jenen  Fällen,  wo  stärkere 
Granulomententwickelung  neben  cariösen  Erkrankungen  einzelner  Mittelohr- 
partien vorliegt,  besonders  an  schwer  zugänglichen  Theilen,  wie  z.  B.  gegen 
das  Antrum  zu,  im  Atticus  u.  s.  w.  genügt  weder  die  Extraction  noch  die 
Aetzung  der  polypösen  Massen  zur  völligen  Heilung  des  eiterigen  Mittelohr- 
processes;  nur  durch  die  sogen.  Radicaloperation  werden  wir  alsdann  im 
Stande  sein,  die  chronische  Eiterung  vollständig  zu  beseitigen.  kühn. 

Osteom  der  Nasenhöhle.  Osteome  kommen  in  der  Nase  häufiger 
vor  als  Enchondrome  (v.  pag.  115  ds.  Bds.);  früher  hielt  man  dieselben  für  ver- 
kalkte Polypen  (Cloquet)  oder  verknöcherte  Chondrome  (Rokitansky).  Es  sind 
Knochengeschwülste,  die  in  der  Regel  vermittelst  eines  dünnen  Stieles  mit  der 
Nasenschleimhaut,  resp.  mit  dem  Perioste  in  Zusammenhang  stehen.  Virchow 
betrachtet  sie  als  Exostosen,  wie  ja  die  Osteome  überhaupt  von  entzündlichen 
und  einfachen  Knochenwucherungen  nicht  zu  trennen  sind;  möglicherweise 
beginnt  das  Nasenosteom  als  Exostose,  deren  knöcherner  Zusammenhang  mit 
dem  Mutterboden  später  zum  grössten  Theile  zerstört  wird. 

Wir  finden  harte  und  weiche  Osteome  in  der  Nase;  die  harten  oder 
elfenbeinernen  sind  die  häufigeren;  sie  sind  aus  sehr  dünnen  concentrischen 
Knochenlamellen  zusammengesetzt;  die  weichen  oder  spongiösen  Osteome 
haben  nur  eine  mehr  weniger  dicke,  compacte  Knochenschale,  während  sie 
im  Inneren  aus  spongiösem,  markhaltigem  Knochengewebe  bestehen.  Alle 
diese  Osteome  besitzen  eine  bindegewebige  Hülle,  durch  deren  stielartige, 
fibröse  Verlängerung  sie  mit  dem  Perioste  zusammenhängen;  zuw^eilen  jedoch 
fehlt  eine  solche  Verbindung  und  sie  liegen  als  „todte  Osteome"  frei  in 
einer  Höhlung  des  Naseninneren;  nach  Tillmanns  ist  die  spontane  Loslösung 
dieser  todten  Osteome  durch  Druckatrophie  ihrer  knöchernen  Stielstellen  zu 
erklären. 

In  der  Regel  ist  nur  ein  Tumor  vorhanden;  seine  Form  ist  rundlich, 
eiförmig  und  kann  er  die  Grösse  eines  Hühnereies  erreichen.  —  Auch  das 
Osteom  gehört  dem  jugendlichen  Alter  an,  wo  das  Wachsthum  des  Knochens 
am  meisten  ausgesprochen  ist;  es  entwickelt  sich  an  den  verschiedensten 
Theilen  der  Nase,  meist  jedoch  am  Nasendache  i.  e.  am  Siebbein  (Sprengel, 
MoNTAZ,  Habermaas,  Kammeree,  Spielmann,  Atkin,  Helferich);  im  Ganzen 
sind  die  Osteome  der  Nasenhöhle  viel  seltener  als  die  der  Nebenhöhlen. 

Beim  Osteom  tritt  die  Nasenstenose  sehr  bald  in  den  Vordergrund,  die 
Sprache  wird  näselnd,  es  stellt  sich  heftiges  Jucken  in  der  Nase  ein,  Anosmie 
und  ausserdem  häufiges  und  starkes  Nasenbluten;  hiezu  gesellen  sich  schon 
frühe  heftige  Neuralgien  in  der  Nasen-,  Wangen-,  und  Stirngegend:  die 
bindegewebige  Hülle  der  Geschwulst  ist  stark  geröthet,  ulcerirt  bald  trotz  des 
langsamen  Wachsthums  der  Neubildung,  und  es  kommt  zu  eitriger,  fötider 
Secretion,  selbst  zur  oberflächlichen  Nekrose  der  Knochensubstanz.  Mit  dem 
Grösserwerden  des  Osteoms  wird  die  äussere  Nase  auseinander  getrieben,  es 
entsteht  das  sogenannte  Froschgesicht,  die  Nasolabialfalte  verstreicht,  die 
untere  Orbitalwand  wird  in  die  Höhe  gehoben,  der  Bulbus  verdrängt,  und  das 
Gaumengewölbe  senkt  sich  nach  der  Mundhöhle  zu. 

Diagnostisch  kann  das  knochenharte  Osteom  nur  mit  einer  Exostose 
oder  einem  Rhinolithen  verwechselt  werden;  erstere  jedoch  erreicht  nie  eine 
so  beträchtliche  Grösse  und  sitzt  ganz  breit  auf  dem  Knochen  auf;  vom  Rhi- 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  -" 


402  OTITIS  EXTERNA. 

nolithen  lassen  sich  immer  vermittelst  der  Sonde  oberflächliche  Kalktheile 
losbröckeln.  Nach  Sprengel  soll  man  mit  dem  Finger,  wenn  nöthig  in  der 
Narkose,  das  Naseninnere  untersuchen:  die  Ausfüllung  der  Nase  an  der 
Stelle,  wo  die  Geschwulst  aussen  bemerkbar  ist,  sei  ein  sicheres  diagnostisches 
Zeichen  für  die  Gegenwart  eines  Osteoms. 

Je  früher  wir  diese  Osteome  erkennen,  desto  eher  wird  ihre  Extraction 
durch  die  Nase  möglich  sein,  entweder  vermittelst  einer  kräftigen  Knochen- 
zange oder  sogar  noch  mit  der  kalten  Schneideschlinge.  Bei  allen  grösseren 
Geschwülsten,  besonders  bei  den  elfenbeinernen  Osteomen  muss  zu  ihrer  Ent- 
fernung die  Nase  durch  Resection  der  betheiligten  Knorpel-  und  Knochen- 
theile  breit  eröffnet  werden.  kühn. 

Otitis  externa.  Das  anatomische  Substrat  für  die  meisten  Erkran- 
kungen des  äusseren  Gehörganges  bildet  die  häutige  Auskleidung  desselben. 
Die  topographischen  und  anatomischen  Eigenthümlichkeiten,  wodurch  sich 
dieselbe  von  der  allgemeinen  Körperdecke  unterscheidet,  bewirkt  einerseits, 
dass  manche  Krankheiten,  welche  beiden  gemeinsam  sind,  sich  im  äusseren 
Ohre  durch  eine  besondere  pathologische  Form  und  einen  eigenthümlichen, 
klinischen  Verlauf  auszeichnen,  anderseits,  dass  man  hier  Krankheitsbilder 
antrifft,  wie  sie  an  andern  Stellen  des  allgemeinen  Integumentes  nicht  zur 
Beobachtung  kommen,  z.  B.  hämorrhagische,  parasitäre,  desquamative  Ent- 
zündungen, Cerumen  etc. 

Aus  dem  Umstände,  dass  der  äussere  Ohrcanal  vermöge  seiner  ganzen 
Configuration  nicht  blos  dazu  dient,  die  Schallwellen  dem  Trommelfelle  und 
dem  Mittelohre  zuzuführen,  sondern  auch  um  äussere  Schädlichkeiten  von 
diesen  Gebilden  fernzuhalten,  folgt  schon  a  priori,  dass  er  selbst  diesen  Schäd- 
lichkeiten in  höherem  Grade  exponirt  sein  muss.  In  der  That  sind  Erkran- 
kungen des  äusseren  Ohres  sehr  häufig.  Unter  diesen  Erkrankungen  nehmen 
die  Entzündungen  wegen  ihrer  Häufigkeit  —  sie  bilden  nach  Cerumen  ob- 
turans  die  häutigste  Erkrankung  des  äusseren  Gehörganges  —  und  wegen  ihrer 
Erscheinungen  die  wichtigste  Stellung  ein.  Ihren  Sitz  haben  sie  entweder 
im  knorpeligen  oder  im  knöchernen  Abschnitte  des  Ohrcanales  oder  in  beiden, 
in  verschiedener  Tiefe  der  Cutis,  und  breiten  sich  sehr  oft  auch  auf  das 
Trommelfell  aus.  In  klinischer  und  pathologisch-anatomischer  Beziehung 
müssen  die  Entzündungen  des  äusseren  Gehörganges  in  zwei  grosse  Gruppen 
unterschieden  werden  und  zwar  in  acute  und  in  chronische  Entzündungen. 

A.  Otitis  externa  acuta. 

Aetiologie.  Die  acuten  Entzündungen  des  äusseren  Gehörganges, 
auch  kurzweg  mit  „Externa"  bezeichnet,  können  auftreten:  1.  Secundär,  ver- 
anlasst durch  Erkrankungen  der  Ohrmuschel  oder  der  benachbarten  Haut  des 
Gesichtes  (Seborrhoe,  Ekzema  etc.),  der  Parotis,  des  Warzenfortsatzes,  benach- 
barter Lymphdrüsen  u.  dgl.;  viel  öfter  findet  man  secundäre  Ohrgangsentzündung 
in  Begleitung  und  als  Folgen  einer  eitrigen,  perforativen  Mittelohrentzündung. 
2.  Primär  und  idiopathisch  können  solche  Entzündungen  auftreten  entweder 
ohne  jede  bekannte  Ursache  oder  erzeugt  durch  die  mannigfaltigsten,  mecha- 
nischen, chemischen  und  thermischen  Reize.  Verschiedene  Manipulationen 
im  äusseren  Ohre,  wie  Kratzen  mit  Fingernägeln,  Herumstochern  und  Bohren 
mit  Haarnadeln,  Bleifedern,  Streichhölzern  u.  dgl.,  ungeschickte  Extractions- 
versuche  von  Fremdkörpern  und  sonstige  mechanische  Verletzungen,  Cerumen, 
scharfe  kantige  oder  spitze  Fremdkörper,  thierische  und  pflanzliche  Parasiten, 
z.  B.  verschiedene  Aspergillusarten,  Verticillium  Graphi  (Otomycosis),  etc.  ge- 
hören zu  den  häufigsten  Ursachen  dieser  Krankheiten.  In  anderen  Fällen 
sind  es  scharfe  Stotte,  die  zu  curativen  Zwecken  ins  Ohr  eingelassen  wurden, 
wie   Knobel,   Petroleum,    Chloroform,   heisse   Dämpfe,   Schnaps  u.  dgl.,    Be- 


OTITIS  EXTERNA.  403 

giessungen  mit  Vitriol  bei  Attentaten,  Application  gewisser,  irritirender  Sub- 
stanzen, wie  Säuren,  Terpentin,  Lapis,  die  sich  Militärpflichtige  behufs  Selbst- 
beschädigung ins  Ohr  hineingiessen,  ferner  zu  heisses  oder  zu  kaltes  Wasser 
ins  Ohr  gelangt,  zu  häufiges  Ausspritzen  mit  reizenden  Medicamenten  etc., 
die  als  Ursache  dieser  Entzündungen  angesprochen  werden  müssen.  Es  unter- 
liegt weiters  auch  gar  keinem  Zweifel  mehr,  dass  diese  Entzündungen  in 
■vielen  Fällen  durch  eine  Infection  mit  Mikroorganismen  zustande  kommen, 
und  wurden  wiederholt  pathogene  Bacterien  (Staphylococcus  pyogenes  au- 
reus, albus)  im  Entzündungsherde  nachgewiesen,  Otitis  externa  ex  infectione. 
Einmal  trat  eine  solche  Entzündung  durch  Infection  mit  Impfstoff  auf. 

Eine  sehr  wichtige  prädisponirende  Rolle  kommt  allgemeinen  Zuständen, 
wie  Constitutionsanomalien,  verschiedenen  Dyskrasien  und  Diathesen,  Tuber- 
kulose, Rhachitis,  Lues,  Scrophulose,  Anämie,  Chlorose,  Rheumatismus,  Diabetes. 
Menstruationsanomalien  zu.  Gewisse  Formen  sind  häufig  in  Begleitung  von 
Infectionskrankheiten,  wie  Influenza,  Typhus,  acute  Exantheme  etc.  anzutreffen. 
Frauen  sind  zur  Zeit  des  Climacteriums  leichter  zu  dieser  Krankheit  disponirt. 
Sie  kommt  in  jedem  Alter  vor,  bald  auf  dem  einen,  bald  auf  dem  anderen 
Ohre  oder  auf  beiden,  vielleicht  häufiger  bei  Frauen  als  bei  Männern,  was 
sich  wahrscheinlich  auf  das  Tragen  von  Ohrgehängen  und  den  häufigeren 
Missbrauch,  den  sie  durch  Kratzen  im  Ohre  mit  Haar-  und  Stricknadeln  üben, 
zurückzuführen  sein  dürfte. 

Auch  atmosphärische  Einflüsse  sind  beobachtet  worden,  wie  rascher 
Temperaturwechsel,  plötzliche  starke  Abkühlung,  besonders  bei  feuchtem 
Ohre,  das  häufigere  Auftreten  der  Krankheit  zu  gewissen  Jahreszeiten  als  zu 
anderen. 

Schliesslich  sind  noch  zu  erwähnen  sympathische  Entzündungen  des 
einen  Ohres  nach  vorausgegangener  Erkrankung  des  anderen,  wie  z.  B.  die 
von  Weber-Liel  beobachteten,  alternirenden  Furunkelbildungen  in  beiden 
äusseren  Gehörgängen  und  die  auf  trophische  Störungen  zu  beziehenden  Ent- 
zündungen des  äusseren  Gehörganges,  die  sich  im  Gefolge  von  Mittelohr- 
processen,  von  Trommelincisionen  u.  dgl.  einzustellen  pflegen.  Auch  lässt 
sich  ein  gewisser  Einfluss  der  Heredität,  wie  bei  Ohrenkrankheiten  überhaupt, 
so  auch  speciell  bei  der  in  Rede  stehenden  Affection  nicht  mehr  leugnen  und 
wurde  sie  oft  bei  mehreren  Mitgliedern  derselben  Familie  beobachtet. 

Symptome.  Objectiv  können  Zeichen  der  Erkrankung  bei  manchen 
Formen  im  Anfange  fehlen,  oder  es  zeigen  sich  gleich  Hyperämie,  Röthung, 
Schwellungen  verschiedenen  Grades  und  verschiedener  Ausdehnung,  welche  Ver- 
engerung oder  vollständigen  Verschluss  des  Gehörcanales  bewirken  können. 
In  schwereren  Fällen  breitet  sich  das  Oedem  in  die  Umgebung  über  Ohr- 
muschel und  Gesichtshaut  bis  über  die  Augenlider  und  zur  Nase  der  be- 
trefi'enden  Seite  aus,  bisweilen  auch  über  Schläfe  und  Warzenfortsatz  bis  zum 
Scheitel  und  dem  Hinterhaupte,  so  dass  der  Patient  ganz  entstellt   erscheint. 

Subjectiv  das  wichtigste  und  constanteste  Symptom  bilden  die 
Schmerzen,  welche  oft  plötzlich  und  als  erstes  Zeichen  der  Krankheit  sich 
manifestiren.  Sie  können  verschiedene  Dimensionen  annehmen,  von  einem 
leichten  spontanen  Brennen  und  einer  unbedeutenden  Empfindlichkeit  des  Ohr- 
knorpels bei  Berührung  bis  zu  den  heftigsten,  ausstrahlenden  Schmerzen.  Am 
häufigsten  strahlen  sie  gegen  die  Zähne  aus,  nicht  selten  aber  auch  gegen  die 
Schläfe,  das  Hinterhaupt  oder  gegen  den  ganzen  Kopf,  und  sind  Kopf- 
schmerzen bei  dieser  Krankheit  eine  sehr  gewöhnliche  Erscheinung.  Die 
Schmerzen  können  den  Patienten  des  Schlafes  und  des  Appetites  berauben  und 
wenn  sie  länger  dauern,  was  glücklicherweise  nur  selten  der  Fall  ist,  ihn  auch 
physisch  und  moralisch  herunterbringen.  Die  Intensität  der  Schmerzen  ist 
nicht  immer  der  Intensität  der  Entzündung  proportional,  sondern  hängt  dies 
zum  Theil  von  dem  Sitze,  resp.  der  Tiefe  des  Entzündungsherdes,  zum  Theil 

26* 


404  OTITIS  EXTERNA. 

von  der  individuellen  Empfindlichkeit  des  Patienten  ab.  So  können  unbedeu- 
tende Veränderungen  im  Ohre  sehr  bedeutende  Schmerzen  verursachen, 
während  andererseits,  was  seltener  der  Fall  ist,  stärkere  Entzündungen  fast 
schmerzlos  verlaufen. 

Als  Begleitsymptome  findet  man  oft  Schwerhörigkeit  verschiedenen  Grades, 
abhängig  einerseits  von  den  Grade  der  Schwellung  des  Gehörganges  und  der 
consecutiven  Verengerung  seines  Lumens,  andererseits  von  der  Anhäufung 
von  Secret,  Exsudat,  Eiter  oder  Epithelschollen  daselbst  oder  auf  dem  Trommel- 
felle. Damit  im  Zusammenhange  steht  häufig  das  Gefühl  der  Völle  und  des 
Verlegtseins  im  Ohre.  Nicht  selten  begleiten  die  Krankheit  subjective  Ge- 
hörswahrnehmungen, welche  sich  auf  eine  collaterale  Hyperämie  im  Mittel- 
ohre und  im  Labyrinthe  oder  (nach  Uebantschitsch)  auf  eine  reflectorische 
Wirkung  der  irritirten  Trigeminuszweige  auf  die  akustischen  Centren  zurück- 
führen lassen.  In  schwereren  Fällen  und  bei  jugendlichen  und  leicht  erreg- 
baren Individuen  können  allgemeine  Reactionserscheinun^en  auftreten,  wie 
Fieber,  Abgeschlagenheit,  grosse  Schwäche,  selbst  Schüttelfrost  und  Benommen- 
heit des  Sensoriums,  kurzum  Erscheinungen  einer  Infectionskrankheit. 

Diagnose.  Das  charakteristischeste  Merkmal  einer  Entzündung  des 
äusseren  Gehörganges  bildet  die  Empfindlichkeit  der  Ohrmuschel  und  des 
Knorpels  des  äusseren  Ohres  auf  Druck,  Zug  oder  Berührung.  Dieses  Symptom 
ist  so  constant,  dass  es  als  pathognomisch  angesehen  werden  kann  und  ge- 
stattet es  oft  für  sich  allein  ohne  weitere  Untersuchung  eine  Wahrscheinlich- 
keitsdiagnose. Klagt  ein  Patient  über  Schmerzen  im  Ohr,  erweist  sich  der 
Tragus,  Antitragus  und  Meatus  auf  leichten  Druck  empfindlich,  ist  das  Liegen 
auf  dem  Ohre  und  sind  die  Bewegungen  des  Unterkiefers  beim  Kauen  mit 
Schmerzen  verbunden,  so  wird  man  selten  in  der  Diagnose  einer  Entzündung 
des  äusseren  Gehörganges  fehlgehen.  Doch  darf  die  objective  Untersuchung 
nie  unterlassen  werden,  die  zumeist  leicht  ist,  mitunter  auch  ein  negatives 
Resultat  ergeben  oder  auch  durch  Verengerung  des  Gehörganges  sehr  er- 
schwert und  selbst  unmöglich  gemacht  sein  kann. 

Verlauf.  Die  Dauer  der  Krankheit  ist  meist  eine  kurze  und  beträgt 
einige  Tage  bis  höchstens  einige  Wochen.  Der  Verlauf  ist  gewöhnlich  günstig, 
Restitutio  ad  integrum  ist  die  Regel.  Doch  sind  Recidiven  ziemlich  häufig 
und  ist  selbst  der  Uebergang  in  eine  chronische  Entzündung  möglich.  Unter 
ungünstigen  Umständen,  bei  Vernachlässigung,  mangelhafter,  geringer  Wider- 
standsfähigkeit des  Organismus,  bei  sehr  geschwächten,  anämischen,  recon- 
valescirenden  Patienten  kann  der  Verlauf  auch  eine  ungünstigere  Wendung 
nehmen.  So  kann  es  zum  Durchbruche  der  Entzündung  in  die  benachbarten 
Organe,  in  die  Paukenhöhle  und  sogar  bis  in  die  Schädelhöhle  kommen,  wie 
wir  weiter  unten  sehen  werden.  Vom  äusseren  Gehörgange  kann  der  Process 
in  die  Paukenhöhle  übergeleitet  Averden,  selbst  mit  Umgehung  des  Trommel- 
felles, und  zwar  durch  die  Fissura  petro-tympanica,  welche  häufig  im  innersten 
Abschnitte  des  Gehörganges  in  einer  Ausdehnung  von  1 — 2  min  offen  bleibt. 
Auf  demselben  Wege  können  solche  Entzündungen  unter  Umständen  un- 
mittelbar in  die  Schädelhöhle  übergeführt  werden.  Die  vordere  und  untere 
knöcherne  Gehörgangswand  steht  in  naher,  räumlicher  Beziehung  mit  dem 
Kiefergelenke.  Dieser  Zusammenhang  ist  umso  inniger,  wenn  an  der  unteren 
Wand  eine  persistirende  Ossificationslücke  sich  befindet,  was  nachweislich 
vorzukommen  pflegt.  An  der  hinteren  Gehörgangswand  liegen  unmittelbar 
die  Warzenzellen  an,  welche  mit  dem  Gehörgange  durch  kleine  Canälchen 
communiciren,  durch  welche  Bindegewebszüge  und  Gefässe  hindurchtreten. 
Die  hintere  obere  Gehörgangswand  tritt  in  ihrem  innersten  Abschnitte  in  Be- 
ziehung zum  Antrum  mastoideum,  die  obere  zum  Mittelohre,  resp.  zur  mitt- 
leren Schädelgrube.  Der  knorpelige  Gang  ist  ausgezeichnet  durch  seine  Be- 
ziehungen zur  Parotis,  zum  Warzenfortsatze  und  zum  Unterkiefergelenke,  an 


OTITIS  EXTERNA.  405 

der  unteren,  vorderen  Wand  grenzt  diö  häutige  Auskleidung  des  Gehcirganges, 
den  Incisurae  Santorini  entsprechend,  unmittelbar  an  die  Parotis. 

Wenn  wir  diese  Beziehungen  des  Gehörganges  zu  seiner  Nachbarschaft 
berücksichtigen,  so  erscheint  die  Leichtigkeit,  mit  welcher  eine  Otitis  externa 
auf  die  Nachbarschaft  übergreift,  einleuchtend  und  selbstverständlich. 

Hier  möge  noch  die  Beobachtung  von  Szenes  Erwähnung  finden,  nach 
welcher  eine  zu  einer  acuten  „Media"  hinzugetretene  „Externa"  manchmal  einen 
augenfälligen  heilungsbefördernden  Einfiuss  auf  die  primäre  Mittelohratt'ection 
ausüben  kann.  Dieser  curative  Einfiuss  wird  als  Ableitung,  Depletion  oder  als 
kritische  Metastase  angesehen  und  erklärt. 

Prognose.  Dem  Vorstehenden  entsprechend  wird  man  bei  einer  „Ex- 
terna" in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  im  allgemeinen  eine  günstige 
Prognose  stellen  können.  Mit  Berücksichtigung  jedoch  der  möglichen  Com- 
plicationen  darf  eine  gewisse  Reserve  nicht  aus  den  Augen  gelassen  werden. 
Man  muss  daran  denken,  dass  neben  der  Erkrankung  des  äusseren  Gehör- 
ganges eine  solche  des  mittleren  oder  inneren  Ohres  vorhanden  sein  kann. 
Lässt  sich  durch  die  Anamnese,  durch  die  Untersuchung,  durch  die  Prüfung 
der  Kopfknochenleitung  eine  solche  Complication  ausschliessen,  dann  kann 
auch  eine  Wiederherstellung  des  Gehörs  und  ein  Verschwinden  der  anderen 
vom  Labyrinthe  herstammenden  Symptome  vorausgesetzt  werden. 

Therapie.  Durch  eine  abortive  Behandlung  —  Injection  von  Carbol- 
säurelösung  in  den  Entzündungsherd  oder  in  die  Umgebung  oder  durch 
Massage  —  kann  manchmal,  wie  wir  weiter  unten  sehen  werden,  eine 
Coupirung  der  Krankheit  gelingen.  Sonst  hat  die  Behandlung  zu  berücksich- 
tigen: 1.  die  Indicatio  causalis,  2.  die  Indicatio  morbi,  3.  die  Indicatio  sym- 
ptomatica.  Dort  wo  sich  Fremdkörper,  stagnirendes  Secret  oder  andere 
Ursachen  nachweisen  lassen,  ist  es  natürlich  die  erste  und  dringendste  Auf- 
gabe der  Therapie,  dieselben  zu  entfernen.  Dabei  muss  man  daran  denken, 
dass  Ausspritzungen  gewöhnlich  irritirend  auf  den  entzündeten,  äusseren 
Gehörgang  wirken,  daher  sie  nach  Möglichkeit  zu  meiden  und  nur  dort  aus- 
zuführen sind,  wo  eine  entsprechende  Indication  sie  unbedingt  erheischt.  In 
manchen  Fällen  wird  es  angezeigt  sein,  erst  die  Rückbildung  der  heftigen 
entzündlichen  Reactionserscheinungen  abzuwarten,  bevor  man  zur  Spritze 
greift.  Die  zweite  Indication  erfordert  anfangs  wie  bei  jedem  entzündlichen 
Processe  die  Anwendung  der  Antiphlogose.  Diese  besteht  in  der  Anwendung 
der  Blutentziehung  durch  Blutegel  vor  dem  Tragus  oder  im  Warzenfortsatz- 
unterkieferwinkel,  bei  Kindern  in  der  Zahl  zwei  bis  vier,  bei  Erwachsenen 
sechs  bis  acht  angesetzt,  und  in  der  Anwendung  von  Kälte  ums  Ohr,  entweder 
in  Form  von  Eisbeutel  oder  der  LEixEß'schen  Bleiröhren  auf  dem  Warzen- 
beine. Wenn  auch  die  thermometrischen  Versuche  von  Eitelbeeg  keine  con- 
stante  Temperatursteigerung  im  äusseren  Ohre  bei  Entzündungen  daselbst 
nachweisen  konnten,  so  unterliegt  doch  die  rasche,  antiphlogistische  Wirkung 
der  kalten  Umschläge  bei  dieser  Affection  nach  den  Versuchen  von  Winterxitz, 
und  von  Webek-Biel  und  nach  den  Erfahrungen  der  Ohrenärzte  keinem 
Zweifel. 

In  demselben  Sinne  wirken  Einpinselungen  ums  Ohr  mit  Tinct.  jodin., 
Tinct.  gallar.  ää.  pp.  aequales,  Einreibung  mit  Ungu.  einer.,  Ichthyolsalben, 
Application  eines  Vesicans  hinter  der  Ohrmuschel,  Ableitung  durch  den 
Darm  etc.  Da  durch  diese  Behandlung  gewöhnlich  auch  der  Schmerz  gelin- 
dert wird,  so  erscheint  dadurch  auch  die  dritte  Indication  erfüllt. 

Ist  die  Entzündung  bereits  weiter  vorgeschritten,  wird  Kälte  nicht  ver- 
tragen oder  bringt  es  die  gewünschte  Linderung  nicht,  dann  tritt  Wärme  an 
ihrer  Stelle.  Diese  kommt  zur  Anwendung  entweder  in  Form  von  „Ohr- 
bädern", indem  warme,  antiseptische  Flüssigkeiten  ins  Ohr  eingegossen  und 
einige  Zeit  darin  gelassen  werden  oder  ein  mit  ihnen  getränkter  Wattetampon 


406  OTITIS  EXTERNA. 

ins  kranke  Ohr  eingelegt  wird,  wodurch  gleichfalls  der  zweiten  und  dritten  In- 
dication  genügt  wird.  Solche  dazu  besonders  geeignete  Flüssigkeiten  sind 
2 ^/oige  essigsaure  Thonerde  oder  die  ßuROw'sche  Lösung  (Almini  acet.  l-0,Plumb. 
acet.  5-0,  Aqu.  destill.  lOO'O),  welche  sich  als  desinficirendes,  adstringirendes 
und  schmerzstillendes  Mittel  empfiehlt.  Auf  das  Ohr  wird  eine  in  warmes 
Wasser  oder  in  BuROw'sche  Lösung  getauchte  Compresse  aufgelegt,  mit  einer 
Lage  von  Guttapercha  bedeckt  und  mit  einer  Binde  befestigt.  Diese  Com- 
presse soll  dann '  alle  drei  bis  vier  Stunden  gewechselt  werden.  Weiters 
erweisen  sich  zu  palliativen  Zwecken,  zur  Linderung  besonders  der  Schmerzen 
nützlich,  warme  Cataplasmen  und  warme  Einlagen  ins  Ohr,  z.  B.  von  ge- 
kochten Rosinen,  erweichten  Reiskörnern  u.  dgl.  Demselben  Zwecke  dienen 
auch  Carbolglycerinlösungen  (0-5: 15-0)  auf  Watta  geträufelt,  in  den  Gehör- 
gang eingelegt  (Politzer),  Eingiessungen  von  Spiritus  vini  rectificatissimi. 
In  neuerer  Zeit  werden  Menthollösungen  empfohlen:  Menthol  4-0,  Ol. 
Olivar.  20*0.  Ein  mit  dieser  Flüssigkeit  getränkter  Wattetampon  wird  so 
dicht  und  so  tief  in  den  Gehörgang  eingelegt,  dass  damit  ein  massiger 
Druck  auf  die  Wandungen  desselben  ausgeübt  wird.  Der  Tampon  bleibt  dort 
24  Stunden  liegen,  um  dann  mit  einem  frischen,  wenn  möglich  dickeren  ver- 
tauscht zu  werden. 

Zu  rein  symptomatischen  Zwecken,  zunächst  um  die  heftigen  Schmerzen 
zu  lindern,  werden  verschiedene  narkotische  Mittel  angewendet;  Morphium, 
Opium,  Cocain,  Belladonna  in  verschiedener  Form,  z.  B.  in  Tropfen  als  Tinct. 
capit.  papaveris  (1:10'0),  dem  noch  etwas  Morphium  zugesetzt  werden  kann, 
oder  Tinct.  opii.  simpl.  ö'O  Aqu.  destll.  Glycerin  ää  15-0;  Cocain.  l'O — 2-0  auf 
Aqu.  destll.  Glycerin  m,  10-0 ;  Morph,  muriat.  0'20.  Aqu.  lauroceras.  20-0 
u.  dgl.  lauwarm  ins  Ohr  gegossen,  oder  in  Form  von  Salben  oder  Pasten,  die 
auf  die  entzündete  Gehörgangswand  aufgetragen  werden,  oder  in  Form  von 
Gelatinkugeln  oder  Gelatinmandeln  (Gruber),  ^velche  im  Gehörgange  allmählich 
zerfliessen  und  dadurch  mit  den  kranken  Stellen  in  innige  Berührung 
kommen  etc.  Oft  erzielt  man  Erleichterung  auch  durch  Priessnitzumschläge, 
auf  die  Ohrgegend  aufgelegt,  und  von  Chloroform  und  Ol.  hyoscyam.  coct.  in 
der  Umgebung  des  Ohres  einige  Minuten  eingerieben.  Nur  selten  dürfte  es 
nöthig  sein,  narkotische  Mittel  innerlich  darzureichen.  Lässt  sich  irgendwo 
Eiter  nachweisen,  so  muss  er  entleert  werden,  ist  Secretion  vorhanden,  so 
muss  der  Gehörgang  gereinigt  werden,  etwa  vorhandene  Complicationen  er- 
fordern selbstverständlich  eine  entsprechende  Berücksichtigung. 

In  Fällen,  in  denen  bei  entzündlich  verengtem  Gehörgange  Stagnation 
vom  Secret  oder  Eiterretention  in  der  Tiefe  vorhanden  ist  und  sich  dies 
in  anderer  Weise  nicht  beseitigen  lässt,  dann  müssen  energische  Mittel  in 
Anwendung  gezogen  werden,  um  die  Permeabität  möglichst  rasch  wieder  her- 
zustellen und  die  nöthige  Reinigung  zu  ermöglichen.  Solche  Mittel  sind: 
forcirte  Dilatation  des  Gehörganges  mittelst  Pincette,  Diktatoren,  Press- 
schwammkeilen, Laminariastifte  oder  tiefe  Incisionen  in  die  Wände  des  Gehör- 
ganges und  nachträgliche  Einführung  entsprechend  dicker  Kautschukröhrchen 
oder  feiner,  biegsamer,  durchbohrter  Silberröhrchen  und  darauffolgende,  gründ- 
liche Reinigung. 

Wichtig  ist  auf  die  allgemeinen  Verhaltungsmaassregeln  solcher  Patienten 
zu  achten,  die  ein  gewisses  Regime  einhalten  sollen.  Am  besten  ist,  wenn 
solche  Patienten  zu  Bette  bleiben,  keineswegs  dürfen  sie  bei  schlechtem 
Wetter  das  Zimmer  verlassen.  Alles,  was  Congestionen  zum  Kopfe,  somit 
auch  zu  den  Ohren  veranlassen  kann,  soll  vermieden  werden;  somit  Obsti- 
pation, Genuss  heisser  Flüssigkeit,  alkoholischer  Getränke,  körperliche  An- 
strengungen, jedwede  mechanische  Reizung  des  Ohres,  wozu  auch  Aus- 
spritzungen gerechnet  w^erden  müssen,  Bücken,  Senken  des  Kopfes  u.  dgl. 


OTITIS  EXTERNA.  407 

Zur  Verhütung  von  Recidiven  ist  wieder  die  Beseitigung  ursächlicher 
Momente  nothwendig,  wie  Kratzen,  Jucken,  Ekzem  etc.  am  Ohre,  Verhütung 
des  Eindringens  von  kaltem  Wasser  ins  Ohr  beim  Baden,  ferner  erweisen  sich 
diesem  Zwecke  dienlich  Einträul'elung  von  Sublimatspiritus  und  Anwendung 
von  Präcipitatsalben  im  äusseren  Gehörgange. 

Die  Entzündungen  des  äusseren  Gehörganges  werden  je  nach  ihrer  Aus- 
dehnung eingetheilt  in  Otitis  externa  circumscripta  und  Otitis  externa  diffusa. 
Von  letzterer  unterscheidet  man  nach  dem  pathologischen  Processe  und  den 
klinischen  Erscheinungen  Otitis  externa  diffusa  1.  simplex,  phlegmonosa  oder 
crouposa,  2.  diphtheritica,  3.  haemorrhagica. 

I.  Otitis  externa,  circumscripta  {simplex  oder  furuncidosa)  ist  die 
häufigste  Entzündungsform  des  äusseren  Gehörganges.  Man  versteht  darunter 
die  Entzündung  einer  scharf  umschriebenen  Stelle  des  äusseren  Gehörganges. 
Sie  bildet  wegen  ihrer  Häufigkeit  und  wegen  der  Heftigkeit  ihrer  Symptome 
für  den  praktischen  Arzt  eine  der  wichtigsten  Ohrenkrankheiten.  Ihr  Standort 
befindet  sich  zumeist  im  knorpeligen,  seltener  im  knöchernen  Abschnitte,  bald 
in  einer  tieferen  Schichte  der  Cutis,  bald  näher  ihrer  Oberfläche;  Lieblings- 
stellen sind  die  vordere  und  untere  Wand  des  knorpeligen  Gehörganges. 
Diese  Krankheit  beruht  auf  einem  verschiedenen,  pathologisch-anatomischen 
Processe  und  kann  daher  eine  verschiedene  Form  annehmen. 

In  den  meisten  Fällen  geht  der  Entzündungsprocess  von  einem  Haar- 
balge oder  von  einer  Schw'Cissdrüse  aus;  es  kommt  zur  Entwicklung  : eines 
Furunkels  mit  Bildung  eines  nekrotischen  Pfropfes  im  Centrum  des  Entzün- 
dungsherdes {Otitis  externa  follicularis  s.  furunculosa).  Es  kommen  aber  im 
Gehörgang  ebenso  wie  an  anderen  Körperstellen  auch  einfache  Abscesse  oder 
Periostitiden  vor  ohne  Gewebsnekrotisirung.  Es  bildet  sich  erst  eine  infiltrirte 
Stelle  in  oder  unter  der  Hautoberfläche,  die  immer  mehr  gegen  die  Oberfläche 
fortschreitet  und  schliesslich  als  eine  geröthete  Prominenz  im  Gehörgange 
zum  Vorschein  kommt.  Der  Sitz  ist  am  häufigsten  die  untere  oder  die  vor- 
dere, seltener  die  anderen  Gehörgangswände,  Manchmal  entwickeln  sich  gleich- 
zeitig oder  rasch  hintereinander  einige  solche  Herde.  Dies  betrifft  zumal 
die  eigentliche  Furunkelbildung,  während  die  besonders  durch  Kratzen  ohne 
Infection  hervorgerufene  circumscripte  Entzündung  in  der  Regel  nur  aus  einem 
Herde  besteht. 

Aetiologie.  Auffallend  oft  findet  man  diese  Krankheit  bei  Personen, 
welche  über  häufiges  Jucken  im  Ohre  klagen  und  sich  dort  mit  verschiedenen 
Gegenständen  zu  kratzen  pflegen,  daher  auch  besonders  bei  mit  Ekzema  im 
Ohreingange  Behafteten.  Durch  Kratzen  im  Ohre  mit  unreinen  Fingernägeln 
oder  Bohren  mit  unreinen  Instrumenten  kann  daselbst  eine  Verletzung  und 
eine  Infection  mit  septischen  Stoffen  zustande  kommen  {Otitis  externa  ex  in- 
fectione),  welche  auch  grössere  Dimensionen  annehmen  kann.  Besonders  ist 
dies  bei  der  Furunkelbildung  der  Fall,  daher  diese  auch  eigentlich  als  eine 
Infectionskrankheit  zu  betrachten  ist.  Es  ist  auch  unstreitig,  dass  gewisse 
Personen  eine  besondere  Inclination  zu  dieser  Aftection  zeigen  und  regelmässig 
einigemal  im  Jahre  davon  betroffen  werden.  Secundär  kommen  circumscripte 
Entzündungen  im  äusseren  Gehörgange  zum  Vorscheine  infolge  von  Durch- 
bruch eines  Abscesses  aus  der  Umgebung,  aus  der  Parotis,  aus  dem  Warzen- 
fortsatze,  oder  auch  einer  benachbarten  Lymphdrüse  in  den  Gehörgang  hinein. 
Dies  geschieht  am  häufigsten  an  den  knorpel-  und  knochenfreien  Stellen  des 
Gehörganges,  so  an  der  Verbindungsstelle  zwischen  dem  knorpeligen  und  dem 
knöchernen  Abschnitte,  an  den  den  SANXORixi'schen  Lücken  entsprechenden 
Stellen  des  knorpeligen  Ganges  und  schliesslich  an  der  vorderen,  unteren  Wand 
des  knöchernen  Gehörganges,  wo  bei  Kindern  nicht  selten  eine  lange,  persi- 
stirende  Knochenlücke  angetroffen  wird.  Auch  als  Folge  einer  der  sonstigen 
oben  angeführten  Ursachen  und  auch  als  Theilerscheinung  einer  allgemeinen 


408  OTITIS  EXTERNA. 

Furunculose  der  äusseren  Haut  kann  diese  Krankheit  vorkommen.  Doch  tritt 
sie  oft  genug  auch  ohne  jede  nachweisbare  Ursache  auf.  In  gewissen  Jahres- 
zeiten, so  im  Frühjahre  und  im  Herbste,  pflegt  man  sie  viel  häufiger  als  sonst 
anzutreften.  Nicht  selten  wurde  auch  epidemisches  Auftreten  derselben  con- 
statirt. 

Symptome.  Die  objectiven  Symptome  können  im  Anfange  ganz 
unbedeutend  sein.  Ja  es  kommt  vor,  dass  der  Arzt  trotz  Klagen  seitens  des 
Patienten  über  heftige  Ohrenschmerzen  mit  dem  Auge  anfangs  gar  keine 
objective  Veränderung  wahrnehmen  kann.  Dies  ist  besonders  der  Fall,  wenn 
der  Sitz  der  Entzündung  in  den  tieferen  Gewebsschichten  sich  befindet.  Später 
und  bei  mehr  oberflächlichem  Sitze  zeigt  sich  der  Eingang  des  Meatus  geröthet, 
geschwellt,  spaltförmig.  Zieht  man  die  Ohrmuschel  ab,  so  bemerkt  man  eine 
oder  mehrere  scharf  begrenzte,  überaus  empfindliche,  mehr  oder  weniger  ge- 
röthete,  harte  Erhabenheiten  an  der  einen  oder  der  anderen  Gehörgangswand, 
aus  denen  sich  manchmal  bereits  ein  Eitertröpfchen  herauspressen  lässt.  Das 
Gehörgangslumen  ist  meist  gleichfalls  verengt.  Gewöhnlich  sind  auch  die 
Weichtheile  um  die  Ohrmuschel  herum  angeschwollen  und  druckempfindlich. 
Sitzt  der  Herd  an  der  vorderen  Wand,  so  erscheint  die  Parotisgegend  vor  dem 
Tragus  mehr  geschwollen.  Hat  die  Entzündung  an  der  hinteren  Meatuswand 
ihren  Ausgangspunkt,  dann  findet  man  zuweilen  in  der  Regio  mastoidea  eine 
empfindliche  Anschwellung,  Abstehen  der  Ohrmuschel,  was  für  eine  Periostitis 
2)rocessi  mastoidei  imponiren  kann.  Seltener  finden  sich  auch  die  Lymph- 
drüsen im  Maxillomastoidealwinkel,  unter  dem  Lobulus  und  vor  dem  Tragus 
geschwellt. 

Subjectiv  macht  sich  diese  Krankheit  vor  allem  durch  Schmerzen 
fühlbar.  Diese  erreichen  manchmal  excessive  Grade  und  sind  besonders  heftig 
bei  der  Localisation  des  Processes  im  knöchernen  Abschnitte,  wo  dann  die 
Krankheit  wegen  der  Dünne  der  Hautauskleidung  an  dieser  Stelle  den  Charakter 
einer  Periostitis  annimmt  oder  an  der  oberen  Gehörgangswand,  wegen  des 
grösseren  Reichthums  dieser  Stelle  an  Gefässen  und  Nerven.  Charakteristisch 
ist  die  Empfindlichkeit  des  ganzen  Ohrknorpels.  Druck  auf  denselben,  Zug 
an  der  Ohrmuschel,  mitunter  schon  die  leiseste  Berührung  derselben  beim 
Waschen,  ebenso  wie  Bewegungen  des  Unterkiefers  beim  Kauen,  Einführung 
des  Ohrtrichters  steigern  den  Schmerz  ins  Unerträgliche.  Die  Patienten 
können  nicht  auf  der  kranken  Seite  liegen,  können  sich  die  Ohrmuschel  nicht 
waschen,  und  die  Empfindlichkeit  kann  so  gross  sein,  dass  der  Patient  beim 
Versuche,  den  Ohrtrichter  hineinzuschieben,  ohnmächtig  zusammenstürzt.  Der 
Schmerz  beim  Kauen  kann  so  vehement  sein,  dass  sich  die  Patienten  tagelang 
jeder  festen  Nahrung  enthalten.  Auch  das  Sprechen  ist  oft  erschwert,  Appetit- 
und  Schlaflosigkeit,  Fieberbewegungen  und  in  deren  Folge  deprimirte  Stim- 
mung sind  nicht  selten.  So  kommt  es,  dass  schwächliche  Personen  bei  diesem 
Leiden  infolge  des  Mangels  an  Nachtruhe  und  der  beständigen  Schmerzen 
ebenso  entkräftet  werden  können  wie  bei  einer  langdauernden  Allgemein- 
krankheit. Subjective  Geräusche,  Gehörsstörungen  und  andere  subjective  Er- 
scheinungen sind  bereits  oben  besprochen  worden. 

Verlauf.  In  den  meisten  Fällen  ist  der  Gang  der  Krankheit  ein 
rascher.  In  drei  bis  fünf  Tagen,  je  nach  der  Tiefe  des  Entzündungsherdes, 
kommt  es  gewöhnlich  zur  Vereiterung,  l)ald  darauf  zur  Oeffnung  des  Abscesses, 
und  damit  verschwinden  die  heftigen,  bohrenden  und  stechenden  Schmerzen 
mit  einem  Schlage.  Die  entzündlichen  Reactionserscheinungen  bilden  sich 
schnell  zurück  und  in  kurzer  Zeit  (8  bis  14  Tage)  ist  die  Krankheit  ganz 
geheilt.  Doch  bleibt  manchmal  noch  einige  Zeit  nach  der  Heilung  eine  leichte 
Verdickung,  etwas  Jucken  und  vermehrte  Abschuppung  an  dieser  Stelle  zurück. 
Manchmal  dauert  es  etwas  länger,  bis  der  Abscess  aufbricht,  was  von  der  Tiefe, 
von  welcher  die  Exsudation  ausgeht,  abhängt.  Auch  Exacerbationen  und  hart- 


OTITIS  EXTERNA.  409 

nackige  Recidiven  sind  nicht  selten.  Es  kommt  ferner  besonders  bei  lym- 
phatischen und  rhachitischen  Personen  vor,  dass  bereits  offene  Wunden  nicht 
so  schnell  zuheilen,  torpid  werden,  Granulationen  wuchern,  Geschwüre  bilden 
und  einen  chronischen  Verlauf  nehmen.  Spontane  Rückbildung  und  Zertheilung 
eines  solchen  circumscripten  Entzündungsherdes  ohne  Eiterbildung  kommt 
wohl  auch  vor,  ist  aber  selten. 

Die  Diagnose  kann  sehr  erschwert  sein.  Erstens  im  Beginne  der 
Krankheit,  wo  der  Entzündungsherd  in  der  Tiefe  der  Haut  steckt  und  ober- 
flächlich sich  noch  durch  nichts  markirt  und  nicht  wahrnehmbar  ist.  Die 
subjectiven  Angaben  über  Schmerzen,  die  Anamnese,  die  Empfindlichkeit  der 
Ohrmuschel  und  des  Tragus  auf  Druck  und  Berührung,  die  Schmerzhaftigkeit 
bei  der  Einführung  des  Ohrtrichters,  sobald  dieser  eine  bestimmte  Stelle  er- 
reicht, lenken  die  Aufmerksamkeit  des  Arztes  auf  die  richtige  Spur.  In  der 
Regel  kann  man  dann  beim  Suchen  mit  der  geknöpften  Sonde  im  äusseren 
Gehörgange  eine  Stelle  finden,  welche  auf  Druck  empfindlicher  ist  als  die 
Umgebung.  Hier  ist  dann  der  Sitz  der  Infiltration  in  der  Tiefe  anzunehmen. 

In  einem  späteren  Stadium  kann  wiederum  die  Schwellung  der  Umgebung 
und  an  dem  Ohreingaoge  den  Blick  in  den  Gehörgang  verwehren  und  die 
Diagnose  erschweren.  Ist  es  bereits  zur  Eiterung  gekommen,  dann  gelingt 
es  mitunter  durch  Druck  auf  die  geschwellten  Partieen  der  Umgebung,  durch 
Zug  am  Tragus  oder  an  der  Ohrmuschel,  einen  Eitertropfen  aus  einer  Lücke 
einer  Gehörgangswand  auszupressen. 

Verwechslungen  können  vorkommen  mit  Exostosen,  Polypen  und  son- 
stigen Tumoren  im  Meatus  externus,  wenn  sie  mit  gerötheter  Haut  bedeckt 
sind.  Die  Anamnese  und  die  Sondenuntersuchung  sind  dann  geeignet,  jeden 
Zweifel  aufzuklären.  Die  mit  der  Sonde  nachzuweisende- knochenharte  Resi- 
stenz, geringe  Schmerzhaftigkeit  auch  bei  Berührung,  der  Mangel  eines  In- 
jectionshofes  und  das  nahezu  constant  bleibende  Aussehen  unterscheiden  eine 
Exostose  gegenüber  dem  weichen,  schmerzhaften,  empfindlichen,  in  der  Um- 
gebung gerötheten,  sich  rasch  verändernden  Furunkel  oder  Abscess.  Sonstige 
Tumoren  unterscheiden  sich  durch  die  Verschiedenheit  in  der  Consistenz,  im 
Wachsthum  und  im  Verlaufe.  So  z.  B.  entwickeln  sich  Polypen  langsam  und 
schmerzlos,  können  von  der  Sonde  umkreist  werden,  entleeren  bei  der  In- 
cision  nur  reines  Blut,  während  bei  der  Incision  eines  Abscesses  neben  Blut 
auch  Eiter  zum  Vorschein  kommt. 

Es  können  weiters  Verwechslungen  vorkommen  mit  einer  Entzündung 
des  Warzenfortsatzes,  besonders  wenn  die  Haut  über  demselben  geschwellt  ist. 
Andererseits  können  Senkungen  der  hinteren  oberen  Gehörgangswand,  wie  sie 
im  Verlaufe  von  Mastoiditis  vorzukommen  pflegen,  ebenso  wie  Vorwölbungen 
der  vorderen  Wand  bei  Parotitis  für  eine  circumscripte  Externa  imponiren. 
Findet  man  bei  der  Ocularinspection  eine  scharf  begrenzte,  stark  geröthete, 
überaus  empfindliche  Prominenz  oder  einige  solche  im  äusseren  Gehörgange, 
kann  eine  Aff'ection  der  Nachbarschaft  wegen  Mangels  sonstiger  Symptome 
einer  Erkrankung  der  Parotis  oder  des  Processus  mastoideus  ausgeschlossen 
werden  und  sind  die  oben  erwähnten  subjectiven  Symptome  vorhanden,  so 
kann  die  Diagnose  nicht  mehr  zweifelhaft  sein.  Schwieriger  muss  sich  die 
Diflerentialdiagnose  gestalten,  wenn  bei  einem  gleichzeitig  in  der  Nachbar- 
schaft bestehenden  entzündlichen  Processe  es  darauf  ankommt,  zu  entscheiden, 
ob  die  Entzündung,  ursprünglich  im  Gehörgange,  sich  von  da  in  die  Umgebung 
fortgepflanzt,  oder  ob  umgekehrt  ein  in  der  Warzengegend,  in  der  Parotis 
oder  in  einer  benachbarten  Drüse  primär  entstandener  Process,  resp.  Abscess 
erst  secundär  den  Gehörgang  ergriff'en,  resp.  dahin  durchgebrochen  hat.  Eine 
von  der  Parotis  ausgehende  Entzündung  lässt  sich  als  solche  erkennen  durch 
die  bedeutende  Schwellung  der  Gegend  vor  dem  Ohre,  durch  Zunahme  der 
Spannung  und  der  Schwellung  im  Gehörgange  bei  Druck  auf  die  Parotis,  die 


410  OTITIS  EXTERNA. 

verhältnismässig  grosse  Menge  des  sich  entleerenden  Eiters,  Steigerung  des 
Eiterausliusses  aus  dem  Ohre  bei  Druck  auf  die  Parotisgegend,  die  Möglich- 
keit, eine  Sonde  von  der  Wunde  im  Gehörgang  aus  in  das  Parotisgewebe  tief 
vorzuschieben. 

Ein  Mastoidealabscess  unterscheidet  sich  von  einem  nach  hinten  durch- 
gebrochen Furunkelabscesse  durch  eine  meist  gleichzeitig  bestehende  eitrige 
Media,  durch  den  reichlichen  Erguss  von  Eiter  nach  dem  Durchbruche  nach 
vorne  und  durch  die  Möglichkeit,  mit  der  Sonde  vom  Gehörgange  weit  nach 
hinten  in  die  Warzenzellen  vorzudringen.  Bei  einem  vom  Meatus  nach  hinten 
durchgebrochenen  Abscesse  sind  die  entzündlichen  Erscheinungen,  Röthung, 
Schwellung,  Schmerzhaftigkeit,  in  der  Nähe  des  primären  Herdes  und  in  der 
Furche  zwischen  Ohrmuschel  und  Proc.  mastoideus  am  prägnantesten,  hingegen 
sind  diese  Erscheinungen  bei  einem  von  der  Warzengegend  ausgehenden 
Abscesse  über  der  Durchbruchsstelle  und  über  dem  Planum  mastoideum  am 
meisten  ausgesprochen. 

Bei  gleichzeitig  vorhandenem  Fieber  sprechen  die  Schmerzhaftigkeit  im 
Gehörgange  und  heftige  Stirnkopfschmerzen  für  Furunkelabscess,  da  bei  von 
einem  Mastoidealabscess  etwa  inducirter  Sinusphlebitis  mit  pyämischem 
Fieber  heftige  Kopfschmerzen  selten  sind,  während  die  von  Erkrankungen  des 
Warzenfortsatzes  oder  Extraduralabscess  ausgehenden  Schmerzen  in  der  Regel 
nur  auf  der  betreffenden  Seite  und  am  wenigsten  an  der  Stirne  empfunden 
werden.  Uebrigens  ist  das  Fieber  gemeiniglich  bei  Meatusabscessen  erheblich 
höher  als  das  die  subperiostalen,  vom  Warzenbeine  ausgehenden  Abscesse  be- 
gleitende. Ist  noch  die  charakteristische  Form  eines  Furunkels  erhalten,  seine 
Communication  mit  dem  Abscesse  nachweisbar,  so  erleichtert  dies  natürlich 
die  Diagnose  bedeutend,  ebenso  wie  das  Vorhandensein  von  weisslichen 
Pfropfen,  von  eitrig  zerfallenen,  nekrotischen  Gewebsfetzen  im  Eiter.  Letzteres 
kann  auch  zur  Unterscheidung  von  einem  auf  dem  Lymphwege  entstandenen 
nach  dem  Gehörgange  durchgebrochenen  Abscesse  dienen  (Leüteet). 

Wenn  nun  auch  die  Prognose  im  allgemeinen  als  günstig  bezeichnet 
werden  kann,  so  muss  doch  mit  Rücksicht  auf  die  erwähnten  möglichen  Even- 
tualitäten in  Verlauf  und  Complicationen  eine  gewisse  Reserve  in  der  Vorher- 
sage beobachtet  werden. 

Therapie.  Es  empfiehlt  sich,  neben  der  anfangs  anzuwendenden  Anti- 
phlogose,  eventuell  vor  derselben  ein  abortives  Verfahren  zu  versuchen,  mit  dessen 
Hilfe  es  nicht  selten  gelingt,  die  Krankheit  zu  coupiren.  Zu  diesem  Zwecke 
wurden  Injectionen  von  einigen  Tropfen  einer  Steigen  Carbolsäurelösung  in  den 
Furunkel  empfohlen,  was  aber  ein  viel  zu  schmerzhafter  Eingriff  ist.  Ludewig 
empfiehlt  zur  Behandluug  sowohl  des  gewöhnlichen  Furunkels  im  äusseren 
Gehörgange  als  auch  für  manche  Formen  vom  Externa  diffusa  subcutane  In- 
jection  von  3°/oiger  Carbolsäurelösung  vor  dem  Tragus  oder  hinter  der  Ohr- 
muschel, und  zwar  1  bis  2  PEAVAz'sche  Spritzen  voll.  Hierauf  sah  er  beginnende 
Furunkel  und  diffuse  entzündliche  Schwellung  des  äusseren  Gehörganges 
prompt  zurückgehen.  Politzee  sah  oft  Coupirung  und  Rückbildung  des  Pro- 
cesses  nach  wiederholten  Einpinselungen  des  Furunkels  mit  Carbolglycerin. 
Sicherer  und  vorzuziehen  ist  ein  anderes  abortives  Verfahren,  nämlich  die 
sogenannte  Massage.  Diese  Methode  wird  in  folgender  Weise  ausgeführt. 
Man  streicht  die  entzündete  Stelle  einigemal  mit  einem  mit  Ungu.  einer, 
oder  Vaselin.  hydrargyr.  imprägnirten  Tampon  ein  und  legt  einen  entsprechend 
dicken  Tampon  oder  ein  Drainröhrchen  (Urbantschitsch,  Eitelberg),  das 
mit  der  Salbe  befeuchtet  wird,  so  in  den  Gehörgang,  dass  dadurch  ein 
leichter  Druck  auf  die  entzündete  und  verengte  Stelle  ausgeübt  wird.  Der  Seiten- 
druck des  elastischen  Röhrchens  bringt  die  Gehörgangswand  zum  Abschwellen, 
und  das  locker  gewordene  Röhrchen  muss  dann  durch  ein  stärkeres  ersetzt  werden, 
daher  nach  24  Stunden  der  eingelegte  Tampon  oder  das  Röhrchen  entfernt  und  mit 


OTITIS  EXTERNA.  411 

einem  dickeren  vertauscht  werden  soll,  u.  s.  w.  Dadurch  kann  manchmal  der 
Process  im  Keime  erstickt,  im  Fortschreiten  gehindert,  Eiterbildung  hintangehalten 
werden.  Die  einzige  Vorsichtsmaassregel,  die  man  hier  zu  beobachten  hat, 
besteht  darin,  dass  man  das  äussere  Ende  des  eingeführten  Drains  kurz  ab- 
schneide, damit  beim  Anstossen  an  das  Röhrchen,  beim  Liegen  auf  der  kranken 
Seite,  durch  eine  Ohrenbinde  oder  sonst  dasselbe  nicht  gegen  das  Trommelfell 
hineingestossen  wird.  Oft  aber  nimmt  die  Schwellung  um  einem  solchen 
Tampon  herum  noch  stärker  zu,  oder  die  Methode  erweist  sich  als  zu  schmerz- 
haft und  wird  nicht  vertragen;  dann  muss  zu  der  oben  erwähnten  Behandlung 
mittels  Wärme  und  narkotischer  Mittel  übergegangen  werden,  wodurch  zu- 
gleich die  Reifung  des  Furunkels,  resp.  Abscesses  beschleunigt  wird.  Dies 
wird  so  lange  fortgesetzt,  bis  sich  mit  der  Sonde  an  einer  Stelle  des  Meatus 
Fluctuation  nachweisen  lässt,  worauf  die  'Spaltung  des  Abscesses  und  Entlee- 
rung des  Eiters  vorzunehmen  ist.  Dieser  gemeiniglich  sehr  schmerzhafte 
Eingriff  kann  eventuell  bei  sehr  empfindlichen  Personen  unter  Anwendung 
der  Localanästhesie,  mit  Zuhilfenahme  von  Methylchlorid  oder  der 
ScHLEicn'schen  Injectionen  ausgeführt  werden.  Man  soll  sich  aber  nicht  mit 
dem  blossen  Einschnitte  begnügen,  sondern  auch  trachten  durch  einen  nach- 
träglichen Druck  den  nekrotischen  Pfropf  oder  den  Eiter  möglichst  gründlich 
und  rasch  zu  entfernen.  Doch  wird  man  von  diesem  Eingrifie  wegen  der 
grossen  Schmerzhaftigkeit  manchmal  im  ersten  Momente  abstehen  und  ihn  auf 
eine  spätere  Zeit  verschieben  oder  auch  sich  damit  begnügen  müssen,  die 
spontane  Entleerung  durch  weitere  Anwendung  von  Wärme  zu  beschleunigen. 
Man  versuchte  früher,  um  den  Process  zu  beschleunigen,  den  Einschnitt  noch 
vor  der  vollständigen  Reifung  der  infiltrirten  Stelle  auszuführen.  Die  Erfah- 
rung hat  aber  ergeben,  dass  dadurch  der  Process  durchaus  nicht  verkürzt, 
die  Schmerzen  nur  vorübergehend  oder  gar  nicht  erleichtert  werden  und  nicht 
selten  eine  zweite  Incision  an  einer  benachbarten  Stelle  nothwendig  wird,  was 
leicht  auch  den  Verlust  des  Vertrauens  seitens  des  Patienten  zum  Arzte  nach 
sich  ziehen  kann.  Allerdings  hat  dies  oft  seinen  Grund  darin,  dass  bei  der 
ersten  Incision  nicht  die  richtige  Stelle  getroffen  und  an  einem  unrichtigen 
Punkte  eingeschnitten  wurde,  was  in  einem  früheren  Stadium  der  Entzündung 
wegen  der  gleichmässigen  Schwellung  der  Umgebung  des  Entzündungsherdes 
schwer  zu  vermeiden  ist.  Es  ist  daher  rathsamer  und  sicherer,  trotz  der 
quälenden  Schmerzen  und  der  Ungeduld  der  Patienten  sich  nicht  zu  über- 
hasten und  früher  sichere  Zeichen  der  Eiterbildung  abzuwarten  und  dann  erst 
zu  incidiren.  Nur  beim  Sitze  der  Entzündung  im  knöchernen  Abschnitte  ist 
es  rathsam,  die  Incision  nicht  zu  lange  hinauszuschieben,  da  hier  die  Gefahr 
nahe  liegt,  dass  der  dicht  darunter  liegende  Knochen  bei  längerer  Dauer 
mitafficirt  werden  könnte.  Der  Einschnitt  soll  auch  möglichst  tief  gemacht 
werden,  wodurch  eine  raschere  und  gründlichere  Entleerung  des  Inhaltes  des 
Furunkels  oder  des  Eiters  erleichtert  wird.  Eine  spontan  entstandene  Auf- 
bruchsöffnung soll  nöthigenfalls  erweitert  werden.  Zur  Ausführung  der  In- 
cision wurden  verschiedene  Instrumente,  sogenannte  Furunkelmesser  angegeben; 
man  kommt  aber  auch  mit  einem  einfachen,  schmalen  Spitzbistouri  ganz  gut 
zum  Ziele.  Doch  ist  der  Eingriff  weniger  schmerzhaft,  wenn  dazu  ein  an  der 
Spitze  doppelseitig  geschliffenes  Messer  benützt  wird.  Dasselbe  wird  in  die 
Basis  der  vorgewölbten  Stelle  eingestochen  und  gegen  die  Oberfläche  durch- 
geführt. Nach  der  Operation  ist  die  Wunde  weiterhin  nach  chirurgischen 
Regeln  zu  behandeln;  Reinigung,  antiseptischer  Verband  etc. 

Zur  Verhütung  von  Recidiven  sind  tägliche  Einpinselungen  des  Gehör- 
ganges mit  0-1— 0-2%igen  Sublimatlösungen  in  Alkohol,  Ohrbäder  mit  l^oigen 
Kali  sulfuratum,  das  Tragen  eines  Wattatampons  im  Ohre  durch  längere  Zeit, 
Verhütung  des  Kitzeins  und  Juckens,  Vermeidung  von  Kratzen  und  von  Be- 
feuchtung des  Ohres  empfohlen.    Zur  Verhütung  des  Juckens  erweist  sich 


412  OTITIS  EXTERNA. 

Bepinselung  des  äusseren  Gehörganges  mit  weisser  Präcipitatsalbe  (Hydrargyr, 
praecip.  alb.  0*2,  Yaselin  10-0)  noch  durch  längere  Zeit  nach  der  Krankheit 
wirksam.  Es  ist  von  grosser  Wichtigkeit  für  die  Vermeidung  von  Recidiven, 
der  Indicatio  causalis  eine  besondere  Aufmerksamkeit  zu  schenken.  Ein  im 
Ohreingange  bestehendes  Ekzem  muss  behoben  werden.  Bei  vorhandener 
Otorrhoe  muss  der  die  Wandungen  des  Meatus  reizende  und  arrodirende  Eiter 
möglichst  oft  und  gründlich  entfernt  werden,  am  besten  auf  trockenem  Wege, 
durch  fleissigen  Wechsel  der  Tampone  unter  möglichster  Vermeidung  von 
Ausspritzungen.  Dabei  ist  es  rathsam,  excoriirte  Stellen  des  äusseren  Gehör- 
ganges mit  einem  Fette,  Vaselin  oder  irgend  einem  sonstigen  Deckungs- 
mittel zu  bestreichen,  um  so  die  schädliche  Wirkung  des  Secretes  zu  paraly- 
siren.  In  gleicher  Weise  müssen  etwaige  Allgemeinzustände,  welche  der  Ent- 
stehung von  Recidiven  günstig  sind,  z.  B.  allgemeine  Furunkulose,  Diabetes  etc. 
gehörig  berücksichtigt  werden. 

IL  Otitis  externa,  acuta,  diffusa  (simplex,  phlegmonosa  und  croiqwsa). 
Eine  zweite  Form  der  Externa  ist  die  diffuse  Entzündung  des  äusseren  Ohres, 
welche  an  Häufigkeit  der  vorigen  zurücksteht.  Bei  dieser  Afi'ection  ist  ein 
grosser  Theil  des  Ohrcanales  oder  seine  ganze  häutige  Auskleidung  er- 
griffen. Die  Krankheit  beginnt  mit  Schwellung,  Röthung  der  Haut,  Schmerz- 
haftigkeit  im  Ohre.  Nach  einigen  Tagen  tritt  Ausfluss  eines  anfangs  dünn- 
flüssigen, serösen,  später  dichteren,  eitrigen  oder  visciden,  meist  spärlichen, 
leicht  eintrocknenden  Secretes  auf,  während  das  Epithel  in  kleineren  Schuppen 
oder  mit  grösseren  Fetzen  sich  abzustossen  beginnt.  In  den  meisten  Fällen 
erscheint  das  Paukenfell  in  stärkerem  oder  geringerem  Grade  mitergriften.  In 
seltenen  Fällen  finden  sich  an  einzelnen  Stellen  des  äusseren  Gehörganges, 
besonders  im  knöchernen  Abschnitte  desselben  und  am  Trommelfelle,  croupöse 
Auflagerungen,  welche  aus  geronnenen  Faserstoftausschwitzungen  bestehen. 
Dieselben  lassen  sich  leicht  mit  der  Sonde  oder  durch  Ausspritzung  entfernen, 
bilden  sich  aber  ebenso  rasch  wieder  zurück,  Otitis  externa  acuta 
diffusa  crouposa. 

Aetiologie.  Ebenso  wie  bei  der  vorherbeschriebenen  können  auch  bei 
dieser  Krankheit  durch  Kratzen  im  Ohre  mit  unreinen  Instrumenten  in  den 
dabei^'  zustande  gekommen en  Läsionen  der  Haut  des  Meatus  organisirte  Ent- 
zündungserreger überimpft  und  dadurch  eine  unter  Umständen  sehr  heftige 
Entzündung  mit  tiefer  Infiltration  phlegmonöser  Art  gesetzt  werden,  Otitis 
externa  phlegmonosa.  Oefter  ist  die  primäre,  diffuse  Entzündung  des 
äusseren  Gehörganges  auf  das  Hineingelangen  scharfer,  reizender  Substanzen  ins 
Ohr,  auf  Fremdkörper,  Otomycosis  u.  s.  w.  wie  eingangs  ausgeführt,  zurückzu- 
führen. Viel  häufiger  jedoch  erscheint  diese  Krankheit  secundär,  in  Begleitung 
von  Infectionskrankheiten,  wie  Influenza,  Typhus,  Scharlach,  Diphtheritis,  Ery- 
sipel u.  s.  w.,  ferner  consecutiv  bei  Otorrhoe,  infolge  des  arrodirenden  eiterigen 
Secretes  aus  dem  Mittelohr  oder  auch  durch  die  gegen,  die  Otorrhoe  in 
Anwendung  gezogenen  scharfen,  antiseptischen,  adstringirenden  Medicamente, 
Ausspritzungen  u.  s.  w.  Es  kann  aber  auch  eine  diffuse  Entzündung  aus 
einer  ursprünglich  circumscripten  Erkrankung  hervorgehen,  wenn  sich  mehrere 
umschriebene  Entzündungsherde  gleichzeitig  und  nebeneinander  entwickeln, 
mit  einander  confluiren  und  so  diffuse  Schwellung  und  Infiltration  des  äusseren 
Gehörganges  verursachen,  oder  es  entwickelt  sich  eine  diffuse  Entzündung 
gleichzeitig  mit  einer  folliculosen. 

Symptome.  Objectiv  fällt  in  erster  Reihe  die  diffuse  Schwellung, 
Röthung  und  Infiltration  der  Gehörgangswände  ins  Auge.  Oft  kommt  es  zu 
einer  vermehrten  Epithelabstossung  an  der  Oberfläche,  wodurch  diese  mit 
einer  Lage  weisser  Epidermisschuppen  bedeckt  erscheint.  Diese  lassen  sich 
durch  Ausspritzen  leicht  entfernen,  worauf  die  Veränderungen  an  den  ge- 
rötheten   und   aufgelockerten   W'änden   des   Gehörganges   darunter  und  nicht 


OTITIS  EXTERNA.  413 

selten  auch  auf  dem  Trommelfell  sichtbar  werden.  Oder  die  Hautauskleidung 
des  Gehörganges  zeigt  sich  nässend,  eine  wässerige,  schmierig  eitrige 
Flüssigkeit  secernirend  oder  mit  eingetrockneten  Borken  bedeckt.  Ist  das 
Trommelfell  mitafficirt,  so  erscheint  es  aufgelockert,  congestionirt,  geröthet, 
trüb  oder  mit  Desquamationen  bedeckt  und  nur  undeutlich  vom  Gehör- 
gange abgegrenzt,  oder  man  findet  eitrige  Geschwüre  oder  Erosionen  auf 
demselben  oder  auch  eine  Perforation  neben  einer  primären  oder  secundären 
Mittelohreiterung.  Manchmal  findet  man  eine  Combination  einer  diffusen 
mit  einer  circumscripten  Entzündung.  Bei  der  Otitis  externa,  crouposa  zeigt 
sich  zumeist  an  der  hinteren  Wand  des  knöchernen  Ohrcanales  eine  Auf- 
lagerung von  gräulichweissen  Pseudomembranen,  welche  sich  bei  massiger 
Blutung  und  unter  grossen  Schmerzen  leicht  mit  der  Sonde  abstreifen  lassen, 
worauf  die  blutigsuffundirte  Unterlage  zum  Vorschein  kommt. 

Subjectiv  äussert  sich  die  Krankheit  durch  mehr  oder  weniger  heftige, 
ausstrahlende  Schmerzen,  die,  wenn  die  Entzündung  nicht  gerade  sehr  intensiv 
ist,  weniger  heftig  sind  als  bei  der  circumscripten  Entzündung.  Empfindung 
von  Hitze,  von  Pulsation  und  von  Völle  im  Ohr  fehlt  selten,  subjective 
Gehörseindrücke  und  Hörstörungen  sind  abhängig  einerseits  vom  Grade  der 
Schwellung,  von  der  Mitbetheiligung  der  Trommelmembran,  andererseits  von 
stagnirendem,  letzterer  aufliegendem  Exsudate  oder  Secrete.  Allgemeinerschei- 
nungen, Fieber,  Störungen  des  Allgemeinbefindens  u.  s.  w.  sind  nicht  selten 
und  erreichen  zuweilen  eine  bedeutende  Höhe. 

Diagnose.  Die  richtige  Erkennung  der  Krankheit  kann  bei  starker 
Schwellung  und  Schmerzhaftigkeit  unüberwindliche  Schwierigkeit  darbieten, 
so  dass  mitunter  nichts  anderes  übrig  bleibt,  als  abzuwarten,  bis  unter  anti- 
phlogistischer Behandlung  die  entzündlichen  Reactionsersch einungen  abge- 
nommen und  eine  genaue  Untersuchung  ermöglicht  ist.  Ist  dann  der  Einblick 
in  die  Tiefe  gestattet,  so  sind  die  beschriebenen,  objectiven  Veränderungen 
leicht  wahrzunehmen  und  klären  sammt  der  oben  erwähnten,  charakteristischen 
Empfindlichkeit  des  Ohrknorpels  den  Sachverhalt  auf.  Es  kann  aber  mitunter 
zweifelhaft  sein,  ob  eine  Affection  des  Mittelohres  gleichzeitig  vorhanden  ist 
oder  nicht,  ob  das  Secret  vom  äusseren  oder  vom  mittleren  Ohre  herstammt 
oder  von  beiden.  Eine  vorhandene  Perforation  der  Membrana  tympani  kann 
leicht  übersehen  werden  dadurch,  dass  sie  an  einer  dem  Blicke  schwer  zu- 
gänglichen Stelle  liegt,  oder  durch  Schwellung  oder  Schuppen  oder  zähes 
Secret  verdeckt  ist.  Eine  bedeutendere  Beeinträchtigung  des  Gehöres  macht 
eine  Mitaffection  des  Mittelohres  wahrscheinlich.  Luftdouche  und  Auscul- 
tation  geben  Aufschluss  über  etwaiges  Vorhandensein,  resp.  Abwesenheit  einer 
Trommelfelllücke.  Schleimiges  Secret  kann  nur  vom  Mittelohre  herstammen, 
seröses  und  eitriges  sowohl  vom  mittleren  als  auch  vom  äusseren.  Beim 
Fehlen  von  Erscheinungen  einer  Otitis  med.  gestatten  die  abgestossenen 
Epidermiszellen  und  die  Secretion  von  viscidem  Eiter  die  Diagnose  Otitis 
externa.  Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  des  Secretes  eventuell  nach- 
gewiesene Mikroorganismen,  Epidermisplatten,  pflanzliche  Parasiten  u.  dgl. 
tragen  gleichfalls  zur  Sicherstellung  der  Diagnose  bei.  Findet  man  eine  Com- 
bination von  Otitis  med.  und  externa,  dann  ist  wohl  in  den  meisten  Fällen 
die  erstere  als  primär,  die  letztere  als  secundär  entstanden  anzunehmen. 
Doch  ist  das  Umgekehrte  denkbar  und  die  Möglichkeit  vorhanden,  dass  eine 
Media  von  einer  Entzündung  des  Meatus  secundär  inducirt  worden,  was,  w^enn- 
gleich  selten,  doch  vorgekommen  ist.  Für  die  Differentialdiagnose  zwischen 
primärer  und  secundärer  Media,  resp.  Externa  wird  einerseits  die  objective 
Untersuchung,  andererseits  die  Anamnese  in  den  meisten  Fällen  jeden  Zweifel 
beseitigenden  Aufschluss  geben.  Man  muss  aber  daran  denken,  dass  äusseres 
und  mittleres  Ohr  gleichzeitig  und  unabhängig  von  einander,  z.  B.  bei  einer 
allgemeinen  Infectionskrankheit  afficirt  werden  können. 


414  OTITIS  EXTERNA. 

Epitheliale  Auflagerungen,  wie  sie  im  Geliörgauge  bei  verschiedenen  Zu- 
ständen vorkommen,  können  croupöse  Auflagerungen  vortäuschen.  Die  Ent- 
fernung derselben  mit  der  Pincette,  der  Sonde  oder  durch  Ausspritzung  fördert 
eine  verschieden  beschaffene  Unterlage  zu  Tage,  die  leicht  vor  Verwechslung 
schützt. 

Der  Verlauf  ist  in  den  meisten  Fällen  ein  günstiger  und  rascher.  In 
einigen  Tagen  lassen  die  Entzündungserscheinungen  nach.  Schwellung  und 
Secretion  nehmen  ab,  schwinden,  und  es  erfolgt  Restitutio  ad  integrum. 
Schmalz  beschreibt  eine  eigene  Form  von  Otitis  externa,  welche  mit  einem 
von  starkem  Juckreiz  eingeleiteten,  von  wechselnd  starken,  im  Ganzen  massig 
bleibenden  Schmerzen  begleiteten,  acuten  Stadium  einer  entzündlichen  Haut- 
schwellung beginnt.  Bald  kommt  es  zu  einer  wässerigen,  häutiger  auch  dünn 
eiweissartigen,  später  nur  bisweilen  schwach  eitrigen  Absonderung.  Dann  folgt 
eine  völlig  entzündungslose  Zwischenpause,  während  welcher  sich  im  Gehörgange 
nur  reichlich  weisse  Schüppchen  abstossen,  worauf  in  kürzeren  oder  längeren 
Intervallen  eine  verschieden  grosse  Reihenfolge  von  Recidiven  auftritt,  ohne 
dass  es  zu  einem  wirklich  chronischen  Verlaufe  zu  kommen  pflegt.  Besonders 
gern  werden  Leute  von  dieser  Otitis  befallen,  deren  Kopfhaut,  beziehungsweise 
Haarboden  nachweislich  schon  längere  Zeit  seborrhoisch  erkrankt  war,  und 
solche,  die  an  Acne  vulgaris  der  Gesichtshaut  leiden,  und  zwar  hört  die 
Neigung  zu  Recidiven  erst  auf,  wenn  die  Erkrankung  der  Kopfhaut  mit  Erfolg 
bekämpft  wird.  Schmalz  bezeichnet  daher  diese  Otitis,  welche  mit  der  er- 
wähnten Hautkrankheit  des  Kopfes  in  ursächlichem  Zusammenhange  steht, 
als  Otitis  seborrhoica  und  rechnet  sie  zu  den  mycotischen  Entzündungs- 
vorgängen. 

Selbstverständlich  kann  der  Verlauf  nur  dann  eine  günstige  Wendung 
nehmen,  wenn  es  gelingt,  allfällige  ursächliche  Momente,  z.  B.  Fremdkörper, 
zu  eliminiren.  In  anderen  Fällen,  in  denen  entweder  eine  locale  oder  allge- 
meine constitutionelle  Ursache  fortdauert,  ist  der  Verlauf  weniger  günstig, 
unregelmässig.  Besserungen  wechseln  mit  Exacerbation  ab.  Auf  eine  Remis- 
sion der  Erscheinungen  erfolgt  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  plötzlich  ein 
neues  Aufflackern  der  Entzündung  mit  erneuerter  Schwellung  und  gesteigerter 
Exsudation,  und  die  Krankheit  kann  sich  Wochen  und  Monate  hinziehen.  Es 
bilden  sich  Ulcerationen  an  den  Wänden  des  Gehörganges,  an  dem  Trommel- 
felle mit  Durchbruch  ins  Mittelohr,  es  kommt  zur  Entwicklung  von  Granu- 
lationen, polypösen  Wucherungen,  Bloslegung  der  Knochen,  kurz  es  ent- 
wickelt sich  der  Uebergang  in  der  chronischen  Form  zur  Otitis  externa 
chronica. 

Prognose.  Wie  aus  dem  Vorausgeschickten  hervorgeht,  ist  unter 
günstigen,  hygienischen  und  constitutionellen  Bedingungen,  besonders  wenn 
das  ursächliche  Moment  herausgefunden  und  leicht  weggeschafft  werden  kann, 
eine  günstige  Prognose  gestattet.  Doch  soll  dieselbe  vorsichtshalber  mit 
Rücksicht  auf  den  verschiedenen  Verlauf,  den  diese  Krankheit  nehmen,  und 
die  verschiedene  Folgezustände,  die  sie  nach  sich  ziehen  kann,  erst  nach  einer 
gewissen  Beobachtungszeit  mit  Entschiedenheit  ausgesprochen  werden.  Ist 
der  Process  nur  auf  die  häutige  Auskleidung  des  Gehörganges  beschränkt, 
dann  ist  die  Prognose  unbedingt  günstig;  weniger  günstig  ist  sie,  wenn  bereits 
die  knöcherne  Unterlage  das  Trommelfell  oder  gar  das  Mittelohr  mitergriffen 
worden  ist. 

Therapie.  Die  Behandlung  richtet  sich  anfangs  nach  den  im  allge- 
meinen Theile  auseinandergesetzten,  allgemeinen  Grundsätzen.  Tritt  Secretion 
ein,  dann  sind  lauwarme  Ausspritzungen  mit  antiseptischen  Lösungen,  2 — S^oigei' 
Carbolsäurelösung  oder  Seiger  Borsäurelösung  mit  nachfolgender  Insufflation  von 
feingepulverter  Borsäure  von  vorzüglicher  Wirkung.  Diese  Manipulation  ist  je 
nach   der  Menge  der  Secretion  1 — 3mal  täglich   zu  wiederholen.     Wenn   die 


OTITIS  EXTERNA.  415 

Schwellung  und  die  Infiltration  der  Gehörgangswände  mit  bedeutender  Ver- 
engerung oder  fast  völligem  Verschlusse  des  Lumens  trotz  energischer  Anti- 
phlogose  längere  Zeit  nicht  weicht,  dann  sind  ausgiebige  Incisionen  durch  die 
ganze  Dicke  der  häutigen  Auskleidung  bis  auf  den  Knochen  und  durch  die 
ganze  Länge  des  Meatus  auszuführen,  worauf  Irrigationen  des  Ohres  mit  er- 
wärmten, antiphlogistischen  Flüssigkeiten  zu  folgen  haben.  Mit  dem  Nach- 
lassen der  Schwellung  und  der  Secretion  kann  man  zur  Einblasung  von  Bor- 
säurepulver übergehen. 

Bei  der  Otitis  crouposa  empfiehlt  es  sich,  zuvor  die  Pseudomembranen 
durch  Ausspritzen  oder  mit  dem  Instrumente  wegzuschaffen  und  dann  erst 
die  pulverisirte  Borsäure  zu  insuffliren. 

III.  Otitis  externa,  acuta,  diffusa,  diphtlieritica.  Die  diphtheritische 
Entzündung  des  äusseren  Ohres  stellt  eine  sehr  seltene  Affection  dar  und 
kommt  fast  nur  als  Complication  des  diphtheritischen  Processes  in  der  Nasen- 
oder Ptachenhöhle  oder  der  Otitis  media  diphtheritica  vor.  Bei  einer  Diphtheritis 
in  der  Nachbarschaft  kommt  sie  meist  durch  mittelbare  Uebertragung  mit  dem 
Finger  zustande,  indem  die  Patienten,  zumeist  Kinder,  den  verunreinigten 
Finger  von  der  Nase  und  dem  Munde  ins  äussere  Ohr  führen  und  durch 
Kratzen  daselbst  eine  Uebertragung  der  Infection  bewerkstelligen. 

Symptome.  Diese  Entzündung  charakterisirt  sich  ausser  den  allen, 
acuten  Externis  gemeinsamen,  entzündlichen  und  Schwellungserscheinungen 
besonders  durch  einen  schmutziggrauen  oder  weisslichen  Belag  auf  der  Ober- 
fläche der  geschwellten  und  infiltrirten  Gehörgangswände.  Die  charakteristische 
Auflagerung  lässt  sich  nur  schwer  abstreifen,  und  ist  dies  gelungen,  dann 
erscheint  die  darunter  liegende  Haut  blutend  und  ulcerirt.  Die  Schwellung 
greift  zumeist  auf  die  Umgebung  des  Ohres  über.  Besonders  sind  dabei  ge- 
wöhnlich die  Lymphdrüsen  unter  dem  Ohre  und  im  Unterkieferwinkel  mit- 
afficirt.  Gleichzeitig  besteht  zumeist  ein  massiger,  blutig  seröser  Ausfluss 
aus  dem  Ohre.  Die  Krankheit  ruft  oft  stürmische  Fiebererscheinungen 
hervor,  geht  in  der  Regel  mit  enormen  Schmerzen  einher  und  ist  von  Schwer- 
hörigkeit, Sausen,    dem  Gefühle  von  Hitze  und  Völle  im  Ohre  etc.  begleitet. 

Die  Diagnose  ergibt  sich  leicht,  sobald  der  festanhaftende,  diphtheri- 
tische Belag  der  Untersuchung  zugänglich  ist.  Wo  aber  vorhandene  Schwellung 
und  bestehende  Verengerung  die  Constatirung  der  Pseudomembranen  unmög- 
lich macht,  da  wird  die  Diagnose  einige  Zeit  in  suspenso  bleiben  müssen. 
Manchmal  kann  die  Besichtigung  der  inneren  Partien  des  Meatus  und  die  Er- 
kennung der  Krankheit  erst  nach  nekrotischer  Abstossung  der  Auflagerung 
möglich  werden.  Erleichtert  wird  die  Diagnose  bei  bestehender  Diphtheritis- 
epidemie  oder  bei  gleichzeitig  an  anderen  Stellen  des  Körpers  bestehenden 
diphtheritischen  Processen.  Unter  Umständen  kann  eine  Verwechslung  mit 
weissen  Auflagerungen  in  Frage  kommen,  wie  sie  durch  Maceration  der  Epi- 
dermis des  Gehörganges  bei  gleichzeitiger  Mittelohreiterung  verursacht  werden 
kann.  Doch  lassen  sich  diese  Epithelauflagerungen  leicht  in  grossen  Platten 
und  ohne  Verletzung  der  Basis  abstreifen,  was  bei  den  diphtheritischen  Mem- 
branen nicht  der  Fall  ist.  In  zweifelhaften  Fällen  kann  durch  die  mikro- 
skopische Untersuchung  des  Inhaltes  des  Gehörganges  und  durch  den  Nachweis 
der   charakteristischen  Diphtheriebacillen  die  Diagnose  sichergestellt  werden. 

Der  Verlauf  ist  wie  bei  allen  acuten  Entzündungen  dieser  Stelle  ein 
kurzer.  Speciell  bei  der  idiopathischen,  diphtheritischen  Externa  kommt  es  ge- 
wöhnlich in  einigen  Tagen  zur  Abstossung  des  Belages,  Reinigung  des  Gehör- 
ganges und  Rückbildung  der  Entzündungserscheinungen.  Seltener  bilden  sich 
diese  Membranen  wiederholt  wieder,  oder  die  Entzündung  greift  auf  die  Nach- 
barschaft, auf  Trommelfell,  Ohrmuschel  u.  s.  w.  über.  Weniger  günstig  ist 
der  Verlauf  der  mit  Diphtherie  im  Rachen,  Mittelohre,  in  der  Nase  oder  an 
anderen  Orten  complicirten,  diphtheritischen  Entzündung  des  äusseren  Ohres, 


416  OTITIS  EXTERNA. 

da  diese  leicht  zu  ausgebreiteten  Zerstörungen,  zu  Caries,  Gangrän,  Narben, 
Stenosirungen  u.  dgl.  führen  kann. 

Die  Prognose  wird  demgemäss  auch  nur  bei  auf  den  Gehörgang  be- 
schränkter Affection  günstig  gestellt  werden  können,  sie  ist  hingegen  bei 
vorhandenen  Complicationen  zweifelhaft. 

Therapie.  Die  Behandlung  ist  anfangs  eine  antiphlogistische,  gegen 
die  Entzündung,  und  eine  symptomatische,  gegen  die  Schmerzen  gerichtete. 
Später  sind  Ohrbäder  mit  Aqua  Calcis,  Bepinselungen  mit  concentrirten  Lapis- 
lösungen (10 — 15%),  Einblasungen  von  Jodoformpulver,  Salicylsäure  oder 
Borsäure  anzuwenden.  Bei  wiederholten  Nachschüben  sind  Eingiessungen  von 
Salicylspiritus  (1:100-0),  Sublimatspiritus  (l7oo)  oder  Bepinselungen  der  affi- 
cirten  Stellen  mit  S^/o  Carbolspiritus  vorzunehmen. 

IV.  Endlich  ist  als  acute,  diffuse  Entzündung  des  äusseren  Gehörganges 
die  sogenannte 

„Otititis  externa,  haemoiTliagica"  anzuführen.  Bei  jugendlichen  Personen 
kommt  es  zumeist  in  Begleitung  einer  Infectionskrankheit  oder  im  Beginne 
einer  fulminanten  Otitis  media  bei  Influenza  oder  auch  ohne  bekannte  Ur- 
sache zu  einer  Schwellung  des  äusseren  Gehörganges,  infolge  einer  Entzün- 
dung der  Cutis  daselbst  und  einer  Extravasation  unter  der  Epidermis.  Die- 
selbe erscheint  in  Form  von  Blasen  oder  länglichen  Wülsten  von  der  Unter- 
lage abgehoben,  wodurch  im  Gehörgange  verschieden  geformte,  dunkle,  livide 
Prominenzen  von  verschiedener  Ausdehnung  zum  Vorschein  kommen.  Die 
Krankheit  befällt  häufiger  Männer  und  den  linken  Meatus,  als  Frauen  und 
den  rechten  Gehörgang. 

Symptome.  Objectiv  findet  man  eine  mehr  oder  weniger  starke  Be- 
einträchtigung des  Gehörgangslumens,  infolge  Schwellung  seiner  Wände,  wo- 
durch die  Inspection  der  tieferen  Theile  erschwert  wird.  Zumeist  findet  man 
im  knöchernen  Abschnitte  die  oben  beschriebenen,  blutig  durchschimmernden, 
weichen,  blauen  Wülste  oder  hämorrhagischen  Blasen,  die  sich  einerseits 
gegen  den  knorpeligen  Gehörgang,  andererseits  auf  die  Trommelmembran  aus- 
breiten können.  Bei  der  Untersuchung  mit  der  Sonde  erweisen  sie  sich  als 
nachgiebig,  manchmal  elastisch,  lassen  sich  eindrücken,  werden  leicht  einge- 
rissen, worauf  sich  eine  dunkle,  blutige  Flüssigkeit  aus  denselben  entleert. 
Die  subjectiven  Reactionserscheinungen  sind  gemeiniglich  nicht  besonders 
intensiv.  Sowohl  die  Schmerzen  als  auch  die  Schwerhörigkeit  und  die  sub- 
jectiven Geräusche  erreichen  bei  dieser  Krankheit  in  der  Regel  keinen  sehr 
hohen  Grad.  In  den  meisten  Fällen  ist  nur  etwas  Jucken  und  das  Gefühl 
von  Brennen  und  Völle  im  Ohre  vorhanden.  Nur  in  einem  Falle  (Wagen- 
häusee)  wurden  im  Verlaufe  derselben  Delirien  mit  Verfolgungswahn  beob- 
achtet. 

Diagnose.  Diese  kann  natürlich  nur  möglich  sein,  wenn  die  erkrankten 
Stellen  der  Ocularinspection  zugänglich  sind.  Zu  Verwechselungen  können 
Anlass  geben  Polypen.  Die  Untersuchung  mit  der  Sonde  wird,  in  zweifel- 
haften Fällen  zu  Hilfe  genommen,  für  die  eine  oder  die  andere  Krankheit 
entscheiden  können.  Ferner  können  durch  die  Rarefication  der  Luft  im 
äusseren  Gehörgange  bei  der  Ausführung  der  Massage  des  Trommelfelles  nach 
Delstanche  daselbst  ähnliche  Extravasate  und  Sugillationen  entstehen,  die 
mit  der  hämorrhagischen  Entzündung  viel  Aehnlichkeit  haben  und  mit  der- 
selben verwechselt  werden  können.  Auch  sonstige,  traumatische  Läsionen 
könnten  ein  ähnliches  Bild  hervorrufen.  Mit  Hilfe  der  Anamnese  wird  man 
jedoch  in  den  meisten  Fällen  imstande  sein,  die  spontane  Entstehung  der 
Krankheit  zu  constatiren  und  traumatische  und  andere  Ursachen  auszuschliessen. 

Verlauf.  Diese  Krankheit  dauert  immer  nur  kurz  und  verläuft  günstig. 
Die  subjectiven  Erscheinungen  vergehen  innerhalb  3  bis  4  Tagen.  Es  kommt 
bald    zur   Eindickung,     Eintrocknung    und    schliesslich   zur   Resorption   des 


OTITIS  EXTERNA.  417 

hämorrhagischen  Ergusses,  oder  die  abgehobene  Epitheldecke  bricht  durch 
und  der  Inhalt  entleert  sich  nach  aussen.  Es  folgt  eine  kurze,  spärliche 
Secretion,  innerhalb  etwa  14  Tagen  kommt  es  zur  Abstossung  der  abgehobenen 
Epidermis  und  zur  vollständigen  Heilung.  Kestitutio  ad  integrum  ist  die 
Kegel.  Mitunter  treten  noch  durch  einige  Zeit  Kecidiven  an  anderen  Stellen 
des  äusseren  Gehörganges  auf,  die  gewöhnlich  ebenso  schnell  zurückgehen. 

Therapie.  Im  Beginne  der  Erkrankung  ist  eine  antiphlogistische 
Behandlung  am  Platze;  ist  das  erste  acut  entzündliche  Stadium  vorüber,  dann 
tritt  eine  chirurgische  an  ihre  Stelle.  Die  blutigen  Iläume  werden  mit  einer 
Nadel  oder  einer  Sonde  eröffnet,  ihr  Inhalt  entleert  und  ein  Jodoformgaze- 
streifen eingeschoben.  Dann  wird  Borsäurepulver  eingeblasen  und  ein  Watte- 
tampon eingelegt.  Diese  Behandlung,  durch  einige  Tage  unter  Beobachtung 
antiseptischer, Cautelen  fortgesetzt,  führt  zum  schnellen  Versiegen  der  Secretion, 
Trockenlegung  des  äusseren  Gehörganges  und  vollständiger  Heilung. 

B.  Otitis  externa  chronica. 

Die  chronischen  Entzündungen  des  äusseren  Gehörganges  sind  viel  sel- 
tener als  die  acuten.  Sie  gehen  in  den  meisten  Fällen  aus  der  letzteren 
hervor;  viel  seltener  verlaufen  sie  vom  Beginne  an  chronisch.  Sie  entstehen 
durch  längere  Einwirkung  der  oben  angeführten  mechanischen  und  chemischen 
Reize,  namentlich  unter  dem  gleichzeitigen  Einflüsse  gewisser  constitutioneller 
Anomalien  und  dyskrasischer  Zustände.  Die  sie  bedingenden  pathologischen 
Processe  sind  sehr  verschiedenartig  und  beschränken  sich  nicht  auf  die  häu- 
tige Auskleidung  des  Gehörganges,  sondern  greifen  tiefer  auf  die  benach- 
barten Gewebe  und  Gebilde  über. 

Symptome.  Dementsprechend  sind  auch  die  objectiven  Veränderungen 
in  der  Form,  in  der  Extensität  und  Intensität  sehr  verschieden  und  differiren 
von  der  oberflächlichen  chronischen  Infiltration  der  Haut  bis  zu  tiefgreifenden 
Geschwüren,  Zerstörungen  der  Knochenunterlage,  Caries  und  Nekrose;  Aus- 
fluss  aus  dem  Ohr  fehlt  dabei  entweder  ganz  oder  ist  nur  unbedeutend. 

Die  subjectiven  Symptome  sind  ebenso,  wie  die  allgemeinen  Reactions- 
erscheinungen,  insoferne  sie  nur  von  den  Veränderungen  am  Gehörgange  selbst 
herrühren,  im  allgemeinen  viel  weniger  intensiv  als  bei  den  acuten  Processen. 

Diagnose.  Bei  den  hier  durchgehends  auffallenden  objectiven  Verän- 
derungen ist  die  Diagnose  in  den  meisten  Fällen  leicht. 

Der  Verlauf  ist  immer  schleppend,  lange  dauernd,  oft  sehr  hartnäckig 
und  führt  nicht  selten  zu  mehr  oder  weniger  ausgebreiteten  destructiven 
Processen  der  Nachbarschaft,  so  des  Felsenbeines  und,  wenn  auch  seltener,  zu 
schweren  intracraniellen  Complicationen.  Nicht  selten  wird  der  chronische 
Verlauf  durch  zeitweises  Aufflackern  der  Entzündung,  durch  acute  Exacerba- 
tionen unterbrochen.  Als  Endresultat  dieser  Krankheiten,  als  Residuen  der- 
selben findet  man  oft  Hypertrophie  der  Haut  des  Meatus,  Verengerungen  und 
partielle  und  totale  Verwachsungen,  Atresien  seines  Lumens.  Seltenere 
Folgezustände  sind  Atrophie  und  Rarefication  der  Gehörgangswand,  Erwei- 
terung des  Gehörcanales  und  abnorme  Communicationen  mit  der  Nachbarschaft. 

Therapie.  Die  Behandlung  ist  eine  allgemeine  und  eine  locale. 
Erstere  ist  auf  die  Verbesserung  des  Blutes,  der  allgemeinen  constitutionellen 
Beschaffenheit,  der  hygienischen  und  sanitären  Bedingungen  des  kranken 
Individuums  gerichtet.  Die  locale  hat  in  erster  Reihe  etwaige  locale  Ursachen, 
z.  B.  Parasiten  etc.,  zu  beseitigen  und  dann  den  pathologischen  Process  ent- 
weder mit  conservativen  antiseptischen,  adstringirenden  oder  mit  chirur- 
gischen, operativen  Mitteln  zu  bekämpfen. 

Unter  den  chronischen  Entzündungen  des  äusseren  Gehörganges  unter- 
scheidet man  Otitis  externa  chronica  1.  circumscripta,  2.  diffusa  simplex, 
3.  diffusa  desquamativa. 

Ohren-,  Nasen-,  Eachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  27 


418  OTITIS  EXTERNA. 

I.  Otitis  externa  circumscripta  subacuta  und  chronica.  Zu  dieser 
Krankheit  rechnen  wir  umschriebene  Infiltrate  und  Geschwüre  im  äusseren 
Gehörgange  mit  längerem,  oft  hartnäckigem  Verlaufe,  welche  entweder  aus 
der  acuten  Externa  circumscripta  durch  Vernachlässigung  oder  lymphatische 
Beschaffenheit  besonders  nach  Infectionskrankheiten  hervorgehen,  oder  durch 
zerfallende  Neubildungen,  Syphilis,  Tuberkulose  etc,  bedingt  werden.  Bei 
dyskrasischen  Individuen  und  unter  sonstigen  ungünstigen  hygienischen  und 
sanitären  Verhältnissen  tritt  oft  nach  der  Entleerung  des  Eiters  aus  einem 
Abscesse  oder  Furunkel  am  äusseren  Gehörgang  nicht,  wie  sonst  gewöhnlich, 
eine  rasche  Rückbildung  der  Entzündungserscheinungen  mit  baldiger  Heilung 
ein,  sondern  es  bilden  sich  Substanzverluste,  Hautgeschwüre  mit  schlaffen 
unterminirten  Rändern,  mit  einem  dünnflüssigen,  manchmal  mit  Blut  unter- 
mischten Ausflusse.  Es  kommt  zu  Wucherungen  von  Granulationen,  zur 
Bildung  von  Polypen,  welche  einen  langwierigen,  hartnäckigen  Ausfluss  unter- 
halten. In  weiterer  Folge  können  sich  tiefe  sinuöse  Senkungsabscesse  in  die 
Fossa  retromaxillaris  oder  fistulöse  Gänge  unter  der  Haut  des  Gehörganges 
ausbilden.  Aber  auch  Erkrankungen  des  darunter  liegenden  Knochens,  Caries, 
Nekrose  und  deren  Folgezustände  sind  nur  die  natürliche  Folge  eines  solchen 
chronischen  Verlaufes. 

Symptome.  Objectiv  findet  man  manchmal  an  der  unteren  Gehör- 
gangswand kegelförmige,  zapfenförmige  Hervorragungen,  welche  bis  zur  gegen- 
überliegenden Wand  reichen  und  so  das  Lumen  des  Gehörganges  einschränken 
und  als  eine  Neubildung  imponiren  können.  Nach  gehöriger  Reinigung  und 
Untersuchung  mit  der  Sonde  gelangt  man  an  der  Spitze  des  Zapfens  in  eine 
Oeffnung,  aus  der  sich  etwas  Eiter  ausdrücken  lässt,  während  man  bei  weiterem 
Vordringen  mit  der  Sonde  in  einen  Fistelgang  geräth  oder  auf  cariösen 
Knochen  stösst.  Je  nach  dem  weiteren  Verlaufe  wird  man  auch  verschiedene 
objective  Veränderungen  constatiren  können.  So  wird  man  unter  Umständen 
Senkungsabscesse  in  der  Nachbarschaft,  in  den  seitlichen  Partien  des  Halses, 
nach  hinten  gegen  den  Warzenfortsatz,  nach  vorne  in  der  Parotisgegend 
finden.  Es  kann  auch  zu  Ausstossungen  von  Knochensequestern  und  zu 
Knochenlücken  im  äusseren  Gehörgange  kommen,  wodurch,  wenn  dies  an  der 
inneren  Partie  der  oberen  Wand  geschieht,  Theile  der  Paukenhöhle  biosgelegt 
und  dem  Blicke  zugänglich  werden,  die  sonst  nach  aussen  abgeschlossen  und 
unsichtbar  sind. 

Die  subjecti  ven  Beschwerden  sind  dabei  gemeinhin  nicht  sehr  bedeu- 
tend; nur  selten  sind  stärkere  Schmerzen  vorhanden. 

Diagnose.  Trotz  gehöriger  Reinigung  und  genauer  Ocularinspection 
wird  eine  richtige  Diagnose  oft  erst  mit  Hilfe  der  Sonde  möglich  sein.  Zur 
Difi"erentialdiagnose  von  aus  der  Nachbarschaft  in  den  Gehörgang  durch- 
brechenden Abscessen  wurde  das  Nöthige  oben  bei  der  acuten  Entzündung 
ausgeführt. 

Die  Prognose  ist,  eine  entsprechende  Behandlung  vorausgesetzt 
und  nur  in  solchen  Fällen  günstig.  Manchmal  kommt  es  jedoch  erst  nach  Ex- 
folication  grösserer  Knochenpartien  der  hinteren  W^and  des  äusseren  Gehör- 
ganges, des  oberen  Theiles  des  Anulus  tympanicus,  öfter  auch  mit  gleich- 
zeitiger Abstossung  eines  Theiles  der  Warzenzellen,  zur  Heilung. 

Therapie.  Die  Behandlung  hat  vor  allem  das  causale  Moment  ins 
Auge  zu  fassen.  In  erster  Linie  müssen  etwaige  Reize  im  äusseren  Ohre, 
z.  B.  aus  dem  Mittelohr  secernirter  Eiter  u.  dgl.,  nach  Möglichkeit  entfernt 
oder  in  der  bereits  erwähnten  Weise  unschädlich  gemacht  werden.  Local 
sind  torpide  Wunden  und  Geschwüre  mit  Adstringentien  zu  behandeln,  und 
zwar  sind  Grund  und  Ränder  der  Geschwüre  mit  Tinct.  opii.  croc.  oder 
mit  einer  starken  Lapislösung  zu  bepinseln,  Granulationen  sollen  mit  Lapis 
oder  Chromsäure  geätzt,  Polypen  mit  Drahtschlingen  oder  Galvanokauter  ab- 


OTITIS  EXTERNA.  419 

getragen  werden.  Siebenmann  empfiehlt  zur  Heilung  der  oft  zu  beobach- 
tenden, mit  hartnäckig  recidivirenden  Granulationen  verbundenen  Geschwürs- 
bildung im  äusseren  Gehürgange  eine  Salbe  aus  Argent.  nitr.  0*1 — 0-2,  Bal- 
sam, peruv.  0'5,  Ungt.  zinc.  10*0,  welche  mit  Hilfe  von  festgedrehten  und 
zugespitzten  Wattawicken  1  bis  2  mal  täglich  an  die  erkrankten  Partien  ge- 
bracht wird.  Cariöser  Knochen  wird  ausgelölielt,  Fistelgänge  gespalten, 
nekrotische  Sequester  extrahirt,  nöthigenfalls  Gegenöffnungen  und  Drainröhren 
angelegt  und  auch  sonst  nach  chirurgischen  Regeln  verfahren.  In  der  Nach- 
behandlung muss  man  immer  an  die  Möglichkeit  einer  zurückbleibenden 
Stenose  des  Gehörganges  denken  und  eine  solche,  ebenso  wie  eine  Verwach- 
sung der  gegenüberliegenden  Wände  mit  einander  zu  verhüten  trachten. 

Circumscripte  Infiltrationen  und  Geschwüre  specifischer  oder  neoplasma- 
tischer  Natur  im  äusseren  Gehörgange  unterscheiden  sich  in  ihrem  Verlaufe, 
ihren  Symptomen,  ihrer  Diagnose  und  der  erforderlichen  Behandlung  nicht 
von  jenen  an  einer  anderen  Stelle  der  allgemeinen  Körperdecke,  erfordern 
daher  an  dieser  Stelle  keine  besondere  Besprechung. 

IL  Otitis  externa  diffusa  simplex  chronica.  Diese  Krankheit  geht 
fast  immer  aus  der  acuten  Form  hervor,  infolge  unpassender  fehl^^rhafter 
Behandlung,  Vernachlässigung,  geringer  Widerstandsfähigkeit  des  afficirten 
Organismus,  oder  auch  infolge  der  fortdauernden  äusseren  reizenden  Ursachen 
(chronische  Seborrhoe,  Parasiten  im  Ohre  u.  dgl.).  Sie  charakterisirt  sich  durch 
eine  Hyperplasie  der  Cutis,  somit  durch  Verdickung  der  Haut,  öfters  auch 
durch  Geschwürsbildungen  in  den  Gehörgangswänden  und  durch  einen  serösen 
oder  eitrigen  nicht  sehr  beträchtlichen  Ausfluss.  Beactionserscheinungen  sind 
dabei  nur  sehr  geringfügig,  somit  auch  die  Schwellung  entweder  fehlend  oder 
minder  ausgeprägt.  Stellenweise  findet  man  die  erschlafften  Gehörgangswände 
mit  polypösen  Wucherungen  besetzt  und  mit  einem  übelriechenden,  serösen, 
zuweilen  auch  sanguinolenten,  schmierigen  oder  eitrigen,  manchmal  ein- 
trocknenden Secrete  bedeckt,  in  welchem  in  der  Regel  neben  Eiterzellen  noch 
Epidermiszellen  und  Mikrococcen  sich  nachweisen  lassen. 

Symptome.  Neben  den  eben  angeführten  objectiven  Veränderungen 
sind  die  subjectiven  Symptome  meist  nur  sehr  unbedeutend.  Am  constantesten 
besteht  Jucken,  mitunter  sind  auch  etwas  Ohrenrauschen  und  geringgradige 
Schwerhörigkeit  vorhanden. 

Diagnose.  In  den  meisten  Fällen  wird  die  Erkennung  der  Krankheit 
keinen  Schwierigkeiten  unterliegen.  Zur  Aufklärung  ihrer  Ursache  jedoch 
empfiehlt  es  sich  in  zweifelhaften  Fällen,  das  Secret  und  die  abgestossenen 
Epidermiszellen  auf  Mikroorganismen  und  auf  Parasiten,  Aspergillus  zu 
untersuchen. 

Der  Verlauf  ist  ein  langwieriger.  Der  häufigste  Ausgang  ist  bei  ent- 
sprechender Behandlung  und  Besserung  des  Grundleidens  Heilung,  oft  mit 
zurückbleibender  Verdickung  der  Cutis,  seltener  Hyperostose  der  Knochen- 
wandungen mit  mehr  oder  weniger  beträchtlicher  Verengerung,  seltener  Auf- 
hebung des  Lumens  des  Gehörganges,  durch  Verwachsung,  Narbenbildung, 
Obliteration.  Doch  kann  es  auch  zu  tieferen  Verschwärungen,  zu  Caries, 
Nekrose  und  weitergreifenden  Destructionen  mit  Durchbruch  in  die  Parotis, 
in  den  Warzenfortsatz  und  von  da  selbst  in  den  Sinus  transversus  kommen, 
oder  der  Process  setzt  sich  durch  die  obere  Gehörgangswand  auf  die  Schädel- 
basis fort  und  führt  zu  einer  Erkrankung  der  Meningen.  Von  der  unteren 
Wand  ist  ein  Uebergreifen  der  Entzündung  auf  das  Unterkiefergelenk  mög- 
lich. Solche  Fortpflanzungen  des  entzündlichen  Processes  auf  die  Nachbar- 
schaft werden  erleichtert  durch  vorhandene  constante  oder  zufällige  Knorpel- 
und  Knochenlücken  oder  längs  der  Gefäss-  und  Bindegewebszüge  in  den 
Wandungen  des  Gehörganges.  In  äusserst  seltenen  Fällen  soll  eine  einfache 
chronische  Externa  in  eine  desquamative  Otitis  externa  übergehen  können. 

27- 


420^  OTITIS  EXTERNA. 

Die  Prognose  ist,  wenn  die  consecutiven  Veränderungen  nicht  etwa 
schon  zu  weit  gegriffen  haben,  eine  günstige,  sonst  ist  dieselbe  von  dem  Grade 
und  der  Intensität  der  secundären  Erkrankungen  und  Complicationen  abhängig 
zu  machen.  Am  gefährlichsten  ist  secundäre  Knochencaries,  wegen  der  Mög- 
lichkeit eines  Durchbruches  nicht  nur  in  die  Parotis  und  in  das  Kiefergelenk, 
sondern  auch  in  den  Warzenfortsatz,  in  den  Sinus  transversus  und  in  die 
Schädelhöhle,  wodurch  selbst  Todesfälle  infolge  von  Entzündungen  des  äusseren 
Gehörganges,  wenn  auch  selten,  doch  vorkommen  können. 

Therapie.  Local  sind  je  nach  den  vorliegenden  Veränderungen  Pei- 
nigung durch  antiseptische  Ausspülungen,  Einträufelungen  oder  Bepinselungen 
mit  Adstringentien:  Sublimatspiritus,  Plumb.  acet.  dep.,  Zinc.  sulfur. 
(0"5^/o — 1*0%),  Argent.  nitr.  (1 — 5%),  rectificirten  Alcohol  und  Einblasungen 
von  Jodol,  Dermatol,  Airol,  Borsäure  vorzunehmen.  Geschwüre,  Granulation, 
Polypen,  Knochenaffectionen  und  sonstige  Complicationen  sind  me  oben  an- 
gegeben zu  behandeln.  Es  ist  selbstverständlich,  dass  man  auch  die  Beseiti- 
gung allgemeiner  und  localer  schädlicher  Einflüsse,  die  allgemeine  Kräftigung 
des  Organismus  gleichzeitig  anzustreben  hat. 

III.  Otitis  externa  diffusa  desquamativa,  auch  „Keratosis  ob- 
turans"  genannt,  ist  jener  chronisch  entzündliche  Zustand,  welcher  zur  Accu- 
mulation  von  Epidermismassen  im  äusseren  Gehörgange  d.  i.  zum  primären 
Cholesteatom  des  Gehörganges  führt.  Toynbee  beschrieb  zuerst  diese  Krank- 
heit unter  dem  Namen  „Sebaceus  tumours",  die  Bezeichnung  „Keratosis  ob- 
turans"  stammt  von  Wreden.  Sie  kommt  nur  sehr  selten  vor.  Hessler  fand 
sie  in  O'OB^o  der  Kranken;  er  stellte  aus  der  Literatur  67  solcher  Fälle  zu- 
sammen und  entwarf  auf  Grund  derselben  ein  klinisches  Bild  dieser 
Aflfection. 

Aetiologie.  Nach  Politzer  können  die  primären  Cholesteatome  des 
äusseren  Gehörganges  durch  vorausgegangene  circumscripte  oder  diffuse  Ent- 
zündungen hervorgerufen  werden,  welche  zu  Structurveränderungen  der  Cutis 
mit  andauernder  Desquamation  von  Epidermis  führen.  Auch  vermehrter 
Juckreiz  im  Ohre,  wie  er  oft  bei  vorhandenen  Katarrhen  in  der  Tuba  und 
des  Mittelohres  vorkommt,  kann  zu  dieser  Krankheit  Anlass  geben.  Das 
Jucken  veranlasst  nämlich  häufiges  Kratzen  im  Ohre,  wodurch  eine  chronische 
Hyperämie  der  Gehörgangswände  und  in  weiterer  Folge  eine  Hyperplasie 
derselben  und  vermehrte  Epithelabstossung  hervorgerufen  wird.  Ferner 
wurde  diese  Krankheit  nach  vorausgegangenen  Otorrhoen  ohne  ursächlichem 
und  zeitlichem    Zusammenhang   mit  denselben   beobachtet. 

Nach  Hessler  besitzt  diese  Krankheit  eine  gewisse  Analogie  mit  Ceru- 
minalpfröpfen.  Während  bei  manchen  Personen  infolge  der  Hypersecretion 
im  äusseren  Gehörgange  Cerumen  abgesetzt  wird,  entsteht  bei  anderen  in- 
folge Hyperplasie  des  Epithels  an  denselben  Stellen  Absetzung  und  Verwach- 
sung von  Epidermislamellen  zu  Epidermispfropfen,  während  bei  wieder  an- 
deren beide  Arten  von  Pfropfen  combinirt  vorkommen. 

Selbstverständlich  muss  unter  den  der  Entstehung  dieser  Krankheit 
günstigen  und  sie  fördernden  Umständen  auch  allen  jenen  Verhältnissen  eine 
gewisse  Ptolle  zugeschrieben  werden,  w^elche  eine  Herausbeförderung  dieser 
Massen  nach  aussen  erschweren,  wie  Fremdkörper,  angeborene  und  erworbene 
Verengerungen,  eigenthümliche  Configuration  des  Meatus  u.  s.  w.,  ähnlich  wie 
-bei  Cerumen. 

Verlauf.  Die  vermehrte  Anhäufung  von  Epidermislamellen  im  äusseren 
Ohre  führt  zur  Bildung  von  Geschwülsten  daselbst  von  verschiedener  Grösse, 
von  gelblich  weisser  Farbe  mit  perlenartigem  Glänze,  welche  beim  Zusammen- 
ballen zu  Klumpen  einen  zwiebelartigen,  concentrisch  geschichteten,  lamel- 
lösen  Bau  und  eine  ziemlich  beträchtliche  Consistenz  annehmen  und  mit  den 
Wandungen  des  Gehörganges  mehr  oder  weniger  fest   zusammenhängen.    In 


OTITIS  EXTERNA.  ä21 

seltenen  Fällen  wurden  in  alten  angehäuften  Epidermismassen  Steinconcre- 
mente  gefunden,  die  bei  näherer  Untersuchung  das  balkige  Gefüge  und  das 
Aussehen  von  Sequestern  spongiöser  Knochensubstanz  aufwiesen. 

Diese  Epithelaccumulation  im  äusseren  Gehörgange  kann  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  stationär  bleiben  und  sogar  latent  verlaufen.  Durch  lang- 
sames progressives  Wachsen  des  Propfes  jedoch  entsteht  ein  gleichmässiger 
Druck  auf  die  Gehörgangswand  und  auf  das  Trommelfell,  welcher  bedeu- 
tende Veränderungen  und  tiefgreifende  Zerstörungen  verursachen  kann. 
Der  Gehörgang  wird  immer  mehr  ausgeweitet,  das  Trommelfell  an  die  Laby- 
rinthwand angedrückt,  die  Gehörknöchelchen  dislocirt.  Es  kommt  zu  Druck- 
atrophie und  zur  Usurirung  des  Knochens  mit  Durchbruch  in  die  Warzen- 
höhe, in  die  Paukenhöhle  und  schliesslich  sogar  in  die  Schädelhöhle,  wodurch 
selbst  Hirndruckerscheinungen  hervorgerufen  werden  können.  Durch  den 
Druck  auf  den  Facialis  kann  seine  Lähmung,  durch  Druck  auf  den  Steig- 
bügel Schwindelerscheinungen  und  bleibende  Schwerhörigkeit  herbeigeführt 
werden. 

Ein  anderer  Verlauf  kommt  zustande,  wenn  mehr  durch  Zufall  als  durch 
unzweckmässige  Behandlung  Feuchtigkeit  ins  Ohr  hineingelangte  und  die  hygro- 
skopischen Epidermismassen  zum  Aufquellen  brachte.  Der  Druck  ist  dann  ein 
viel  stärkerer  und  rascher  zunehmender.  Dadurch,  sowie  auch  durch  Kratzen 
im  Ohre  mit  fremden  Körpern  werden  Ulcerationen  an  den  Wandungen  des 
Gehörganges  gesetzt,  an  denen  die  allgegenwärtigen  Bacterien  einen  günstigen 
Boden  zu  ihrer  Entwicklung  und  zur  Entfaltung  ihrer  deletären  Wirksamkeit 
finden.  Die  nächste  Folge  davon  ist  eine  acute  infectiöse  Entzündung  des 
Gehörganges  mit  manchmal  sehr  intensiven  Reactionserscheinungen,  Schüttel- 
frost, vehemente  Schmerzen,  extensive  Schwellung  u.  s.  w. 

Mit  dem  Nachlasse  der  acuten  Erscheinungen  kommt  es  zu  Otorrhoe, 
Ulcerationen  und  Granulationsbildungen  an  den  Wänden  des  äusseren  Gehör- 
ganges. Der  inficirte,  die  Umgebung  usurirende  Epidermispfropf  kann  weiters 
zu  einer  Otitis  media  mit  Durchbruch  der  Trommelmembran  und  in  weiterer 
Consequenz  zu  Meningitis  mit  oder  ohne  Gehirnabscess,  ferner  zu  Sinus- 
phlebitis,  otitischer  Pyämie  und  zum  Exitus  letalis  führen.  Die  Affection  kann 
sowohl  einseitig  als  auch  doppelseitig  auftreten,  verläuft  fast  immer  chronisch 
und  nur  in  äusserst  seltenen  Fällen  kann  sie  auch  einen  acuten  Verlauf 
nehmen.  In  einem  Falle  von  Gottstein  bildeten  sich  unter  heftigen  Schmerzen 
und  Fiebererscheinungen  grau- weisse  Membranen  in  der  Tiefe  beider  Gehör- 
gänge, die  nach  ihrer  Entfernung  einen  vollständigen  Abdruck  des  Trommel- 
felles darstellten  und  sich  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  als  epitheliale 
Membranen  erwiesen. 

Objective  Symptome.  Aus  dem  Vorstehenden  ist  ersichtlich,  dass  die 
Symptome  je  nach  der  Art  und  dem  Stadium  des  Verlaufes  verschieden  sein 
werden.  Anfangs  wird  man  den  Gehörgang  von  schmutzig  grau-weissen  oder 
bräunlichen  Massen  mit  der  beschriebenen  Beschaffenheit  angefüllt  finden, 
späterhin  werden  die  durch  das  continuirliche  schrankenlose  Wachsen  des 
Pfropfes  oder  durch  die  entzündlichen  Erscheinungen  erzeugten  Veränderungen 
in  der  Umgebung  auffallen.  Durch  die  Entfernung  des  Pfropfes  kann  man 
oft  an  demselben  einen  Abdruck  des  Gehörganges  und  des  Trommelfelles 
bemerken,  während  am  Gehörgange  und  Trommelfelle  die  durch  den  Druck 
erzeugten  Veränderungen  zu  Tage  treten. 

Subjective  Erscheinungen  können  wie  bei  Cerumen  vollständig  fehlen, 
oder  sie  beschränken  sich  auf  geringere  oder  stärkere  Schwerhörigkeit,  Juck- 
reiz und  Sausen.  Es  können  aber  auch  sämmtliche  bei  Cerumen  angeführten 
locale  Symptome,  subjective  Beschwerden  und  mannigfachste,  reflectorische 
Erscheinungen  (vgl.  „Cerwwm")  zur  Beobachtung  kommen. 


422  OTITIS  EXTERNA. 

Kommt  es  durch  Erosionen  unter  Vermittlung  der  in  dem  Epidermis- 
zapfen  zahlreich  vorhandenen  Mikroorganismen  zur  Wundinfection,  dann  treten 
allgemeine  Erscheinungen  auf,  wie  Krankheitsgefühl,  Frieren,  Hinfälligkeit, 
Schwäche  und  die  sonstigen  oben  bei  den  acuten  Processen  geschilderten 
Symptome.    Recidiven  sind  bei    dieser  Krankheit  ziemlich  häufig. 

Diagnose.  In  ähnlicher  Weise,  wie  bei  den  vorausgegangenen  Er- 
krankungen wird  auch  bei  der  in  Kede  stehenden  eine  sichere  Diagnose  nicht 
gemacht  werden  können  in  Fällen,  in  denen  der  Gehörgang  durch  Schwellung 
für  den  kleinsten  Ohrtrichter  undurchgängig,  somit  für  die  otoskopische  Unter- 
suchung unzugänglich  ist.  Im  allgemeinen  lässt  eine  nach  einem  voraus- 
gegangenen Kratzen  oder  Reinigen  des  Ohres  plötzlich  auftretende  Schwer- 
hörigkeit ohne  Schwindel  und  Erbrechen  und  ohne  sonstige  Cerebralerschei- 
nungen,  ohne  vorausgegangene  Affection  der  Nase  oder  des  Rachens  und 
ohne  anderweitige  für  eine  Affection  des  mittleren  oder  des  inneren  Ohres 
sprechende  Anhaltspunkte  mit  Recht  einen  Verschluss  des  Meatus  durch  einen 
Fremdkörper  voraussetzen.  Alles,  was  vom  Cerumen  in  dieser  Beziehung  ge- 
sagt wurde,  hat  auch  hier  seine  Geltung.  Die  nähere  Diagnose  wird  erst 
möglich  sein,  wenn  nach  einiger  Zeit  die  entzündlichen  Erscheinungen  und 
die  Schwelluugszustände  abgenommen  haben.  Ist  die  Ocularinspection  möglich, 
so  wird  man  mit  Hilfe  der  Sonde  Hyperostosen,  Exostosen  und  etwaige  harte 
Fremdkörper  leicht  ausschliessen  können.  Nicht  so  leicht  ist  die  Unter- 
scheidung vom  Cerumen,  mit  welchem  unsere  Krankheit  in  der  That  sehr  viel 
Aehnlichkeit  besitzt.  Indessen  geben  der  eigenthümliche  lamellöse  Bau,  die 
gelblich-weisse,  perlartig  glänzende  Farbe  der  Epidermismasse,  ihr  festerer 
Zusammenhang  mit  der  Matrix,  der  Epidermis  des  Gehörganges,  wodurch  die 
Entfernung  der  obturirenden  Massen  mittelst  Ausspritzen  viel  langsamer  von 
statten  geht  und  viel  schwieriger  gelingt  als  beim  Ceruminalpfropf,  ferner  die 
durch  ihre  Druckwirkung  verursachten  Folgen,  wie  z.  B.  die  gleichmässige 
Erweiterung  des  Gehörganges  u.  s.  w.,  wichtige  Anhaltspunkte  für  die  Dif- 
ferentialdiagnose. Die  Dislocation  des  Trommelfelles  medianwärts,  seine  Ver- 
wachsung mit  der  Labyrinthwand  und  der  Durchbruch  der  fremden  Masse 
durch  den  hinteren  oberen  Quadranten  des  Trommelfelles  in  die  Paukenhöhle 
und  durch  den  angrenzenden  Abschnitt  des  knöchernen  Gehörganges  nach 
dem  Atticus  zu  ist  charakteristisch  für  Epidermismasse.  Aehnliche  Verände- 
rungen kommen  zwar  auch  bei  Cerumen  vor,  doch  sind  sie  bei  diesem  nicht 
so  constant,  ja  überhaupt  selten  und  erreichen  nie  solche  Dimensionen,  sa 
dass  diese  Alterationen  der  Nachbarschaft  als  pathognomonisch  für  Epidermis- 
zapfen  angesehen  werden  können.  In  zweilelhaften  Fällen  wird  man  mit  Hilfe 
der  mikroskopischen  Untersuchung  eines  mit  der  Sonde  entfernten  Partikel- 
chens der  den  Gehörgang  ausfüllenden  Masse  die  Zusammensetzung  derselben 
aus  Epidermiszellen  leicht  nachweisen  und  so  die  Natur  der  Krankheit  in 
einer  jeden  Zweifel  ausschliessenden  Weise  klarlegen  können.  Doch  muss 
man  daran  denken,  dass  auch  beide  diese  Krankheiten  mit  einander  combinirt 
vorkommen  können,  so  dass  sich  keine  ausschliessen  lässt. 

Noch  schwieriger  ist  die  Differentialdiagnose  von  einem  secundären,  aus 
dem  Warzenfortsatze  oder  der  Paukenhöhle  in  den  Gehörgang  eindringenden 
Cholesteatom.  Durch  die  Anamnese  oder  durch  die  Untersuchung  constatirte 
vorausgegangene  Entzündung  des  Mittelohres,  entsprechende  krankhafte  Ver- 
änderungen in  der  Nase  und  in  deren  Nebenhöhlen,  starker,  penetrirender^ 
fauler  Geruch  aus  dem  Ohre  entfernter  Bröckel  sprechen  für  secundäres 
Cholesteatom,  während  das  Fehlen  dieser  Beweismomente  Epidermismasse 
wahrscheinlich  macht. 

Trotzdem  wird  es  genug  Fälle  geben,  in  denen  die  Difterentialdiagnose 
a  priori  nicht  möglich  sein  und  sich  erst  im  Verlauf  der  Beobachtung  und 
der  Behandlung,  nach  Räumung  und  Reinigung  des  Ohrcanales  ergeben  wird. 


OTITIS  EXTERNA.  423 

Es  könnte,  wie  bereits  erwähnt,  zufällig  ein  Mittelohrleiden  vorausgegangen 
oder  später  dazugekommen,  eventuell  durch  die  Erkrankung  des  äusseren 
Ohres  provocirt  worden  sein,  während  letztere  später,  resp.  früher  und  ganz 
unabhängig  von  der  ersteren  primär  entstanden  ist.  Nach  einer  gewissen 
Observationszeit  werden  sich  jedoch  oft  auch  diese  Schwierigkeiten  beseitigen 
lassen.  Man  darf  sich  natürlich  in  solchen  P'ällen  mit  der  Diagnose  nicht 
übereilen.  Zeigt  sich  nach  Entfernung  der  fremden  Masse  aus  dem  Ohre 
der  Mutterboden  rein  und  glatt,  so  spricht  dies  für  Epidermispfropf,  da  bei 
dem  aus  der  Nachbarschaft  ins  äussere  Ohr  eingedrungenen  Cholesteatom  eine 
entzündliche  Reizung  des  angrenzenden  Gewebes  bestehen  bleibt;  die  die  Matrix 
des  Cholesteatoms  bildende  darunter  liegende  Knochenoberfläche  erweist  sich 
meist  uneben  wie  bei  beginnender  Caries;  für  primäre  Epithelaccumulation 
im  äusseren  Gehörgang  spricht  weiters  das  Vorkommen  von  mehrfachen 
Zapfenbildungen  von  Epidermismassen  in  den  Wandungen  des  Gehörcanals, 
hohes  Alter  des  Patienten  und  subjective  Gehörserapfindungen  und  Schwer- 
hörigkeit ohne  Ohrenzwang. 

Die  Prognose  ist  nur  dann  günstig  gestaltet,  wenn  die  Krankheit 
noch  keine  bedeutenden  consecutiven  und  bleibenden  Veränderungen  ver- 
ursacht hat.  Sind  bereits  ausgebreitete  Entzündungen  eingetreten  oder  blei- 
bende Veränderungen  am  Trommelfelle,  an  den  Gehörknöchelchen  u.  s.  w. 
infolge  der  Druckwirkung  gesetzt  worden,  dann  ist  die  Prognose  bezüglich 
des  Gehörs  und  der  Gesundheit  weniger  günstig  und  von  der  Art  und  dem 
Grade  dieser  secundären  Alterationen  abhängig  zu  machen. 

Therapie.  Die  Behandlung  ist  verschieden,  je  nach  dem  Zustande, 
in  welchem  die  Krankheit  zur  ärztlichen  Beobachtung  gelangt.  Ist  das  Ohr 
mit  den  trockenen  Massen  ausgefüllt,  dann  soll  man  trachten,  dieselben  wo- 
möglich auf  trockenem  Wege  mit  Sonde  und  Ohrlöffel  zu  entfernen.  Bedenkt 
man,  wie  hygroskopisch  und  quellbar  diese  Massen  sind,  ferner  dass  quellende 
Epidermismassen  einen  Reiz  auf  die  Gehörgangswand  ausüben,  wodurch  die 
dort  angenisteten  Mikroorganismen  mobilisirt  und  ihre  pathogene  Wirkung 
ausgelöst  wird,  so  wird  man  begreifen,  dass  Feuchtigkeit,  somit  auch  Ein- 
spritzungen hier,  wo  nur  möglich,  zu  umgehen  sind,  ausser  in  Fällen,  wo 
sichere  Aussicht  vorhanden  ist,  die  angehäuften  Massen  auf  einmal  oder  in 
einer  Sitzung  vollständig  zu  entfernen,  was  nur  selten  der  Fall  ist.  Wichtiger 
noch  ist  es,  Ausspritzungen  zu  vermeiden  in  Fällen,  wo  eine  Perforation  der 
tympanischen  Membran  constatirt  werden  kann,  z.  B.  wenn  das  Spülwasser 
durch  die  Nase  herauskommt,  da  dadurch  sehr  leicht  eine  Infection  und  eine 
acute  Entzündung  der  Paukenhöhle  heraufbeschworen  werden  kann.  Sind 
jedoch  die  Epidermisschollen  schon  zuvor  befeuchtet  und  zur  Quellung  ge- 
bracht worden,  dann  sind  sie  möglichst  rasch  und  gründlich  zunächst  dui'cli 
starke  Ausspritzungen  zu  entfernen.  Diese  ihre  Extraction  kann  nur  langsam 
und  schwierig  vor  sich  gehen,  da  diese  Massen  der  Gehörgangswand,  mit  deren 
Epidermis  sie  zusammenhängen,  viel  fester  anhaften  als  Ceruminalmassen. 
Man  wird  daher  die  Ausspritzungen  in  mehreren  Sitzungen  vornehmen  müssen 
und  in  der  Zwischenzeit  die  Aufweichung  durch  Eingiessungen  alkalischer 
Flüssigkeiten  oder  2^0 iger  öliger  Salicylsäurelösung  zu  vervollständigen  trachten. 
In  hartnäckigen  Fällen  ist  zu  dieser  Aufweichung  absoluter  Alkohol  zu  be- 
nützen. Durch  Lockerung  des  Pfropfes  mit  der  Sonde  oder  einem  Ohrspatel 
wird  seine  Loslösung  von  der  Unterlage  bedeutend  erleichtert.  Gelingt  die 
vollständige  Elimination  dieser  Schollen  mit  den  erwähnten  Mitteln  durchaus 
nicht,  dann  wird  man  zur  Curette  greifen  müssen,  um  den  Meatus  in  der 
Chloroformnarkose  gründlich  zu  reinigen. 

Beim  Ausspritzen  muss  man  sich  vor  Augen  halten,  dass  es  oft  durch 
den  langdauernden  Druck  zur  Atrophie  des  Trommelfelles  kommt,  welches 


424  OTITIS  EXTERNA. 

dann  durch  einen  etwas  stärkeren  Strahl  leicht  perforirt  werden  kann,  woran 
sich  schwere  eitrige  Entzündungen  des  Mittelohres  anzuschliessen  pflegen. 

Sind  entzündliche  Reactionserscheinungen,  Schwellung  und  Verengerung 
des  Meatus  vorhanden,  dann  soll  man  anfangs  nur  symptomatisch  Antiphlogose 
anwenden  und  diese  —  Kälte,  Eisumschläge  etc.  —  so  lange  fortsetzen,  bis 
absolute  Abschwellung  erfolgt  ist;  ist  dies  erreicht,  dann  kann  erst  an  die 
Extraction  gesehritten  werden  (Hessler).  Ulcerationen,  Granulationen,  Polypen, 
die  sich  nach  der  Reinigung  des  Ohres  an  den  Meatuswänden  zeigen,  sind  in 
der  oben  angedeuteten  Weise  entsprechend  therapeutisch  anzugehen.  Doch 
sollen  solche  Polypen  unter  der  blossen  Einwirkung  von  Kälte  auf  die  ent- 
sprechenden Weichtheile  ums  Ohr  zur  spontanen  Schrumpfung  und  zum 
Schwinden  gebracht  werden  können. 

Complicationen  seitens  des  Warzenfortsatzes  und  des  Mittelohres  sind 
nach  den  in  den  betreö'enden  Abschnitten  auseinandergesetzten  Grundsätzen 
zu  behandeln.  Als  Grundsatz  hat  zu  gelten,  dass,  während  bei  dem  aus  der 
Nachbarschaft  stammenden  Cholesteatom  gewöhnlich  eine  viel  eingreifendere 
operative  Behandlung,  Entfernung  der  Knochenmatrix,  Abmeisselung  der 
Knochenunterlage  etc.  erforderlich  ist,  reicht  bei  dem  primären  Epidermis- 
pfropf  des  äusseren  Gehörganges  selbst  mit  Durchbruch  ins  Mittelohr  und  in 
den  Warzenfortsatz  die  blosse  Entfernung  der  Epidermislamellen  zur  voll- 
ständigen Heilung  aus  (Hessler). 

Nach  Entfernung  dieser  Massen  ist  es  zur  definitiven  Heilung  und 
namentlich  zur  Hintanhaltung  von  Recidiven  angezeigt,  noch  durch  einige  Zeit 
öftere  Einträufelungen  von  Jodkalilösungen  oder  von  Sublimatlösungen 
(0*1 :30 — 50)  ins  Ohr  vorzunehmen. 

Nachtrag. 

Die  forensische  Bedeutung   der   Entzündungen   des   äusseren 

Gehörganges. 

Wie  oben  auseinandergesetzt  wurde,  spielen  unter  den  Ursaclien  der  bespro- 
chenen Entzündungsformen  Fremdkörper  und  scharfe  Substanzen  im  äusseren  Ohre 
eine  hervorragende  Rolle.  Nun  gehört  es  keineswegs  zu  den  Seltenheiten,  dass 
solche  Gegenstände  durch  fremde  Schuld  oder  gewaltsam  durch  fremde  Hand  ins  Ohr 
gelangen.  Bei  Attentaten  mit  Vitriol,  Salpetersäure,  Schwefelsäure  u.  dgl.  kann 
leicht  etwas  von  diesen  Flüssigkeiten  ins  Ohr  gelangen.  Bei  Stellungspflichtigen 
wurde  es  oft  genug  beobachtet,  dass  sie  sich  solche  oder  ähnliche  Stoffe  ins  Ohr 
hineingegossen  oder  hineingiessen  Hessen,  um  eine  Entzündung  daselbst  und  Dienst- 
untauglichkeit zu  erzeugen.  Fremdkörper  können  durch  fremde  Schuld,  durch  Fahr- 
lässigkeit (z.  B.  bei  Einsturz  von  Gebäuden,  Gerüsten  u.  dgl.)  ins  Ohr  gelangen  und 
die  erwähnten  Folgezustände  herbeiführen. 

Viel  zu  oft  begegnet  man  auch  Fällen  von  Otitis  externa,  verursacht  durch 
von  Laien,  nicht  selten  leider  auch  von  Aerzten  vorgenommene  ungeschickte  und 
misslungene  Extractionsversuche  wirklich  oder  angeblich  zufällig  ins  Ohr  hinein- 
gerathener  Fremdkörper.  Die  Folgen  solcher  Manipulationen  beschränken  sich  nicht 
immer  auf  den  äusseren  Gehörgang,  sondern  können  nach  Durchbohrung  des  Trommel- 
felles sogar  zu  Meningitis  und  Exitus  letalis  führen.  Ja  es  sind  sogar  Fälle  bekannt,  in 
denen  Verletzungen  im  Meatus  gesetzt  wurden  bei  Versuchen  Fremdkörper  von  dort 
zu  entfernen,  die  gar  nicht  vorhanden  waren.  In  dieser  Art  entstandene  Entzün- 
dungen können  natürlich  unter  Umständen  leicht  Gegenstand  gerichts-  und  polizei- 
ärztlicher Untersuchung  und  Begutachtung  werden.  Wir  haben  gesehen,  dass  alle 
Formen  von  Otitis  externa  in  der  Regel  leicht  verlaufen,  unter  ungünstigen  Um- 
ständen jedoch  dauernde  üble  Folgen  nach  sich  ziehen  können.  Man  wird  also  bei 
der  Begutachtung  berücksichtigen  müssen,  ob  die  beschuldigten  mechanischen,  che- 
mischen oder  thermischen  Reize  in  der  That  geeignet  sind,  gegebene  entzündliche 
Erscheinungen  hervorzurufen,  ob  letztere  thatsächlich  durch  eine  inculpirte  Verletzung 


OTITIS  MEDIA  CATARRHALIS.  '425 

bedingt  sind,  oder  ob  diese  Folgen,  beziohungswoiso  ein  wenig  günstiger  Verlauf 
durch  „besondere  körperliche  JJeschaifenheit"  des  Verletzten,  durch  unpassende  Be- 
handlung oder  durch  andere  zufällige  Umstände  herbeigeführt  wurden.  Ist  ein 
causa  1er  Zusammenhang  der  Krankheit  mit  ins  Ohr  hineingerathcnen  Fremdkörpern 
nachweisbar,  so  muss  man  erwägen,  ob  die  Entzündung  wirklich  auf  den  Koiz  des 
Fremdkörpers  allein  oder  vielleicht  nur  auf  nachträglich  vorgenommene  unzweck- 
raässige  Extractionsversuche  zurückzuführen  ist.  Dabei  hat  man  sich  vor  Augen  zu 
halten,  dass  Fremdkörper  lange  Zeit  im  Ohre  verbleiben  können,  ohne  welche 
schädliche  Folgen  nach  sich  zu  ziehen,  dass  wenn  sie  von  glatter  Oberfläche,  geringem 
Umfange  weich,  nicht  quellbar  sind  und  nur  lose  im  Gehörgange  sitzen,  sie  durchaus 
nicht  geeignet  sind,  Entzündungserscheinungen  daselbst  hervorzurufen,  wohl  aber 
unebene,  harte,  höckerige,  spitzige,  kantige,  quellbare  oder  fest  eingekeilte  Fremd- 
körper und  lebende  Parasiten. 

Sind  in  dieser  Weise  Entzündungen  mit  acuten  Reactionserscheinungen  ver- 
ursacht worden,  so  ist  der  Fall  als  eine  „leichte  körperliche  Beschädigung"  zu  be- 
urtheilen,  die  gewöhnlich  eine  Gesundheitsstörung  und  eine  Berufsunfähigkeit  von 
weniger  als  20  Tagen  nach  sich  zieht,  die  aber  eventuell  „mit  besonderen  Qualen" 
für  den  Verletzten  verbunden  war. 

"Wie  oben  erwähnt,  können  unter  ungünstigen  Umständen  auch  acute  Entzün- 
dungen des  äusseren  Gehörganges  eine  Heilungsdauer  von  einigen  Wochen  bean- 
spruchen. Man  muss  sich  daher  bezüglich  der  Dauer  der  Gesundheitsstörung,  resp. 
auch  der  Berufsstörung  anfangs  nur  vorsichtig  und  reservirt  aussprechen  und  ein 
definitives  Urtheil  erst  nach  einer  gewissen  Beobachtungszeit  abgeben.  Ist  eine  solche 
acute  Otitis  externa  chronisch  geworden  oder  sind  Verengerungen,  Constrictionen 
oder  Narbenverschluss  u.  dgl.  des  äusseren  Gehörganges  aus  der  Entzündung  resul- 
tirt,  dann  ist  eine  längere  resp.  bleibende  Gesundheitsstörung,  eventuell  auch 
Berufsunfähigkeit  und  eine  schwere  körperliche  Beschädigung  anzunehmen.  Doch  er- 
fordert da  wieder  eine  besondere  Berücksichtigung  und  Erwägung  die  Frage,  ob 
dieser  Verlauf  und  dieses  Resultat  durch  die  Art  der  Verletzung  selbst  oder  etwa 
durch  besondere,  zufällige,  von  der  Verletzung  unabhängige  Nebenumstände,  wie 
bereits  oben  hervorgehoben,  bedingt  wurde.  Sind  Nebenverletzungen  gesetzt  worden, 
z.  B.  am  Trommelfelle,  Mittelohre  etc.  oder  ernstere  Folgezustände  und  Complica- 
tionen  am  Knochen,  in  der  Nachbarschaft  u.  s.  w.  aufgetreten,  so  wird  dadurch  das 
Gutachten  natürlich  entsprechend  beeinflusst.  e.  spiea. 

Otitis  media  CatarrhaliS.  MitdleserBenennungbezeichnen  wir  jenen 
Krankheitsprocess  der  Trommelhöhle,  bei  w^elchem  die  Schleimhaut  derselben 
anschwellt  und  mehr  minder  flüssigen  Schleim  in  abnormer  Menge  absondert. 

Mit  Ausnahme  des  ersten  Lebensjahres,  in  welchem  die  Auskleidungs- 
membran der  Trommelhöhle  noch  alle  Attribute  der  Schleimhaut  besitzt,  und 
wo  man  in  der  Trommelhöhle  eine  seröse  schleimige  Flüssigkeit  vorfindet, 
ist  bei  erwachsenen  gesunden  Individuen  die  Schleimhaut  der  Trommelhöhle 
und  der  Eustachischen  Röhre  zu  einer  dünnen,  mit  dem  Perioste  eng  ver- 
wachsenen Membran,  in  welcher  man  keine  Schleimdrüsen  findet,  umgewandelt. 
Dieser  physiologische  Zustand  des  Mittelohres  ist  für  das  normale  Gehör- 
vermögen nothwendig,  indem  Störung  desselben  erfolgt,  w^enn  die  Luft  ent- 
weder durch  Schwellung  der  Tubenschleimhaut  nicht  eindringen  kann,  oder 
wenn  in  der  Trommelhöhle  Schleim  abgesondert  wird,  oder  selbst  dann,  wenn 
die  Schleimhaut  derselben  anschwellt  und  so  das  Lumen  der  Trommelhöhle 
verengt  wird. 

Die  katarrhalische  Anschwellung  der  Trommelhöhlenschleimhaut  hat  auf 
das  Gehörvermögen  auch  noch  durch  den  Umstand  eine  störende  Wirkung, 
weil  dieselbe,  so  wie  die  serösen  Membranen,  die  Gebilde  umhüllt,  sie  um- 
zieht den  Hammer,  Amboss  und  Steigbügel,  wodurch  deren  Beweglichkeit,  die 


426  OTITIS  MEDIA  CATARRHALIS. 

doch  zur  Fortpflanzung  der  Schallwellen  erforderlich  ist,  sehr  beträchtlich  be- 
hindert wird. 

Die  Otitis  media  catarrhalis  simplex  kommt  sehr  häufig  im  kindlichen 
Alter  vor,  indem  in  diesem  Alter  die  Schleimhaut  der  Nasenrachenhöhle 
noch  nicht  rückgebildet  ist,  und  wir  dieselbe  entweder  gleichmässig  ge- 
schwellt vorfinden,  oder  wo  die  folliculare  Pharyngitis  constant  anzutreöen 
ist,  ebenso  sehen  wir  im  kindlichen  Alter  die  Tonsillen  hypertrophisch,  und 
deren  Vergrösseruiig  bildet  einen  permanenten  Reiz  auf  die  Tubenmündung, 
oder  dieselbe  wird  mechanisch  durch  die  grosse  Tonsille  verlegt,  wodurch 
entweder  eine  Anschwellung  der  Tuben-  und  Trommelhöhlenschleimhaut  oder 
Behinderung  der  Luftzufuhr  in  die  Trommelhöhle  sich  einstellt. 

Auch  bei  Erwachsenen  ist  oft  ein  einfacher  Schnupfen,  aber  noch 
viel  mehr  die  katarrhalische  Affection  des  Nasenrachenraumes  die  Ursache 
der  Otitis  media  catarrhalis;  man  kann  also  füglich  alle  Schädlichkeiten,  die 
diese  Aliectionen  verursachen,  als  ätiologische  Momente  für  den  einfachen 
Trommelhöhlenkatarrh  annehmen,  so  Erkältungen,  Influenza,  Syphilis,  acute 
Exantheme  u.  s.  w.  Unter  den  Ursachen  lässt  sich  auch  hereditäre  Anlage 
sehr  häutig  finden,  es  gibt  Familien,  in  welchen  beinahe  jedes  Mitglied  der- 
selben an  Trommelhöhlenkatarrh  leidet,  es  ist  hier  eine  prävalente  Vulnera- 
bilität der  Schleimhäute  im  allgemeinen  und  besonders  des  Nasenrachentractes 
zu  beobachten. 

Die  subjectiven  Erscheinungen  sind  je  nach  dem  Grade  und  der  Dauer 
des  Katarrhes  verschieden;  im  Beginne  fühlen  die  Kranken  eine  unangenehme 
Völle  im  Ohre,  derart,  dass  sie  sehr  lebhaft  fühlen,  als  ob  das  Ohr  von  aussen 
her  verlegt,  verstopft  wäre;  diese  Klage  der  Kranken  veranlasst  auch  Aerzte, 
die  das  Ohr  nicht  untersuchen  können,  zum  Ausspritzen  desselben.  Auch  stellt 
sich  häufig  ein  spannendes  Gefühl  im  Ohre  ein,  hie  und  da  fühlen  die  Kranken 
einen  flüchtigen  Stich  in  der  Tiefe  des  Ohres.  Besteht  der  Katarrh  schon 
längere  Zeit,  stellt  sich  beträchtliche  Hörverminderung  ein,  die  Uhr  wird  nur 
an  der  Ohrmuschel  angelegt  gehört,  während  mit  dem  WEBER'schen  Versuch 
die  Stimmgabel  lebhaft  auf  dem  kranken  Ohre  gehört  wird,  der  RiNNE'sche 
Versuch  fällt  gewöhnlich  negativ  aus.  Wird  die  Secretion  in  der  Trommel- 
höhle profus,  und  befindet  sich  in  derselben  flüssiges  bewegliches  Exsudat,  so 
können  die  verschiedensten  Erscheinungen  sich  einstellen,  so  kommt  es  vor, 
dass  Kranke  bei  einer  gewissen  Neigung  des  Kopfes  besser,  ja  auch  ganz 
gut  hören,  und  sobald  sie  diese  Kopfstellung  auflassen,  total  taub  sind;  manch- 
mal treten  auch  Schwindel  und  Brechneigung  auf;  so  habe  ich  einen  Collegen 
behandelt,  der  nur  horizontal  im  Bett  liegen  konnte,  indem  bei  der  leisesten 
Bewegung  Schwindel  und  Erbrechen  sich  einstellte,  nach  der  Paracentese  des 
Trommelfelles  und  Entfernung  des  visciden  eigelbartigen  Exsudates  aus  der 
Trommelhöhle  waren  diese  Erscheinungen  wie  mit  Zauberschlag  geschwunden. 
Auch  die  Erscheinung  des  Besserhörens  bei  einer  gewissen  Kopfstellung  wird 
dadurch  erklärlich,  dass  das  flüssige  Exsudat  in  der  Trommelhöhle  seine 
Stellung  ändert  und  dem  Fortpflanzen  der  Schallwellen  freien  Weg  lässt.  Bei 
längerem  Bestehen  des  Trommelhöhlenkatarrhs  stellen  sich  abnorme  subjective 
Gehörsempfindungen,  Ohrensausen  in  den  verschiedensten  Formen  ein,  welche 
manchmal  constant  anhalten,  manchmal  zeitweise  aussetzen.  In  manchen  Fällen 
hören  die  Kranken  ein  Knacken  im  Ohre,  sie  geben  die  Empfindung  derart 
an,  als  ob  etwas  im  Ohre  platzen  würde,  w^orauf  sich  das  Gehör  bessert,  um 
in  kurzer  Zeit  wieder  reducirt  zu  werden;  es  bezieht  sich  diese  Erscheinung 
auf  das  momentane  Eindringen  von  Luft  in  die  Trommelhöhle,  wodurch  das 
eingezogene  Trommelfell  vorübergehend  seine  normale  Lage  annimmt. 

Bei  der  Untersuchung  finden  wir  je  nach  dem  Stadium  der  Erkran- 
kung sowohl  das  Trommelfell  als  die  Trommelhöhle  in  verschiedenem  Grade 
verändert;  wir  haben  jedoch  nicht  nur  diese  Gebilde,  sondern  auch  den  Rachen 


OTITIS  MEDIA  CATARRHALIS.  427 

und  die  Nasenrachenhöhle  zu  untersuchen.  Erstreckt  sich  die  Erkrankung 
nur  auf  die  Tubenmündung  und  etwa  auf  den  Tubencanal,  so  dass  die  Trommel- 
höhle noch  in  relativ  normalem  Zustande  sich  befindet,  so  sehen  wir  das 
Trommelfell,  was  Farbe,  Glanz  und  Lichtkegel  anbelangt,  noch  unverändert, 
und  nur  die  Lage  desselben  ist  eine  abnorme,  das  Trommelfell  ist  seiner 
ganzen  Fläche  nach  mehr  gegen  die  Trommelhöhle  hin  gerückt,  mehr  ein- 
wärts gewölbt,  wir  sehen  den  Hammergriff  mehr  nach  hinten  oben  gerichtet, 
dafür  wird  an  der  Peripherie  des  Trommelfelles  der  kurze  Fortsatz  des  Hammers 
wie  ein  Stecknadelkopf  von  knöcherner  Farbe  deutlich  sichtbar;  infolge 
dieses  abnormen  Spannungsverhältnisses  stellt  sich  alsbald  Hyperämie  in  den 
Blutgefässen  des  Trommelfelles  ein,  wir  sehen  einen  rothen  Streifen  längs  des 
Hammergriffes  und  Röthe  an  der  Peripherie  des  Trommelfelles,  welche  sich  selbst 
auf  die  angrenzenden  Wandungen  des  äusseren  Gehörganges  ausdehnt.  Tritt 
Schwellung  in  der  Trommelhöhlenschleimhaut  auf,  so  verändert  das  Trommel- 
fell seine  Farbe  und  Durchsichtigkeit,  wir  sehen  ein  schiefergraues,  verdicktes 
Trommelfell,  der  Lichtkegel  fehlt  gänzlich  oder  ist  zu  einem  Punkte  am  Umbo 
verkleinert.  Bei  freiem  Exsudate  in  der  Trommelhöhle  kann  das  Trommel- 
fell seine  normale  Lage  behalten  oder  ist  oft,  besonders  an  der  unteren  Hälfte, 
mehr  gegen  den  äussern  Gehörgang  gerückt.  Bei  durchscheinendem  Trommel- 
felle können  wir  bei  äusserer  Besichtigung  das  Exsudat  sehen,  dasselbe  nimmt 
in  der  Regel  die  untere  Hälfte  der  Trommelhöhle  ein,  und  man  kann  dessen 
Grenze  als  gerade  oder  wellige  Linie  am  Umbo  genau  sehen,  auch  kann  man 
durch  verschiedene  Kopfstellungen  eine  Veränderung  in  der  Lage  des  Exsu- 
dates und  hiemit  auch  der  Grenzlinien  herbeiführen. 

Beim  Katheterisiren  der  Tuba  Eustachii  dringt  in  den  meisten  Fällen  die 
Luft  mit  Rasseln  in  die  Trommelhöhle,  wir  sehen  dann  das  Trommelfell 
seine  normale  Lage  und  Farbe  annehmen.  Ist  Schwellung  der  Tubenschleim- 
haut vorhanden,  so  dringt  selbst  die  comprimirte  Luft  schwer,  mit  dünnem 
zischendem  Tone  in  die  Trommelhöhle;  besteht  die  Schwellung  der  Schleim- 
haut schon  längere  Zeit  und  geht  sie  mit  profuser  Schleimabsonderung  einher, 
so  kann  es  geschehen,  dass  die  Luft  absolut  nicht  in  die  Tuba  dringt,  die 
Tuba  kann  verstopft  sein  und  sich  bei  forcirten  Schluckbewegungen  entleeren, 
oder  die  Wandungen  sind  aneinander  derart  gerückt,  dass  Stenose  des  Tuben- 
canals  gewöhnlich  am  Isthmus  tubae  constatirt  werden  kann;  wir  führen  in 
solchen  Fällen  eine  dünne  Sonde  oder  eine  Geigensaite  in  die  Tuba,  wodurch 
eben  die  unpassirbare  Stelle  deutlich  zu  Tage  tritt. 

Die  Otitis  media  catarrhalis  simplex  tritt  in  manchen  Fällen  plötzlich 
auf  und  befällt  in  der  Regel  beide  Ohren,  es  ist  jedoch  nicht  selten,  dass  an- 
fangs nur  ein  Ohr  ergriffen  wird  und  dass  das  andere  Ohr  in  einem  späteren 
Stadium  erkrankt.  Der  Verlauf  ist  ein  sich  hinschleppender,  was  gewöhnlich 
noch  durch  die  Veränderlichkeit  im  Gehörvermögen  befördert  wird;  indem 
die  Kranken  durch  das  zeitweilige  Besserhören  ärztlichen  Rath  nur  nach  län- 
gerem Bestehen  der  Krankheit  in  Anspruch  nehmen;  am  schnellsten  findet 
Heilung  statt,  wenn  keine  constitutionelle  Anlage  vorhanden  ist,  und  der  Ka- 
tarrh in  Begleitung  eines  Schnupfens  sich  einstellt;  hier  kann  Heilung  von 
selbst  erfolgen  oder  bei  zweckmässiger  Behandlung  in  einigen  Tagen  sich 
einstellen.  Anders  ist  es  bei  acuten  Exanthemen,  bei  der  Influenza,  bei  Syphilis 
und  chronischen  Pharyngealkatarrhen;  bei  diesen  zeigt  sich  eine  grosse  Nei- 
gung zu  Recidiven,  und  nicht  selten  stellt  sich  chronischer  Katarrh  der  Trom- 
melhöhlen ein;  ebenso  verhält  es  sich  bei  hochgradiger  Anschwellung  der 
Tubenschleimhaut  und  noch  mehr,  wo  schon  Verengerung  im  Lumen  der 
Tuba  sich  gebildet  hat. 

Die  Behandlung  bei  Otitis   media  catarrhalis   hat  folgende   Aufgabe 
zu  lösen:  Wegsammachung  der  Tuba,  Entfernung  vorhandener  Schleimmassen, 


428  OTITIS  MEDIA  CATARRHALIS. 

und  die  Schwellung  der  Trommelhöhlensclileimhaut  zum  normalen  Zustande 
herunterzubringen. 

Die  Wegsammachung  der  Tuba  wurde  in  älterer  Zeit  durch  den  Val- 
SALVA'schen  Versuch  angestrebt,  es  bringen  jedoch  selbst  Gesunde  nicht 
immer  durch  Zuhalten  von  Mund  und  Nase  bei  forcirtem  Exspiriren  die  Luft 
in  die  Trommelhöhle,  viel  weniger  gelingt  es,  bei  geschwellter,  schwer  durch- 
gängiger Tuba  auf  diese  Weise  dies  auszuführen. 

Um  Luft  durch  die  Tuba  in  die  Trommelhöhle  einzutreiben,  bedienen 
wir  uns  des  Katheters,  durch  ^velchen  wir  entweder  mittelst  eines  faustgrossen 
Gummiballens  oder  einer  Compressionspumpe  comprimirte  Luft  eintreiben; 
man  führt  vor  allem  den  Katheter  durch  den  unteren  Nasengang  bis  zur 
Tubenmündung,  fixirt  denselben  in  dieser  Lage  durch  die  PtAu'sche  Brille  und 
verbindet  hierauf  die  äussere  Oeffnung  des  Katheters  durch  einen  Gummi- 
schlauch mit  dem  Ballon  oder  der  Compressionspumpe.  Bei  Verengerungen 
und  Stenosen  der  Tuba  können  wir  den  Katheter  nicht  entbehren,  wir  be- 
nöthigen  ihn,  um  die  Darmsaite  oder  Bougie  in  die  Tuba  zu  führen,  wo  wir 
dieselbe  so  lange  liegen  lassen,  bis  sie  anschwellen,  und  so  durch  Druck  das 
Lumen  der  Tuba  erweitern,  auch  können  die  zur  Erweiterung  verwendeten 
Darmseiten  und  Bougies  mittelst  medicamentöser  Mitteln  imprägnirt  sein, 
wozu  man  gewöhnlich  eine  l%ige  Lapislösung  benützt.  Wir  können  ferner  den 
Katheter  durch  nichts  ersetzen  in  den  Fällen,  wo  der  Katarrh  nur  auf  ein 
Ohr  localisirt  ist. 

Das  Katheterisiren  der  Tuba  erfordert  eine  geübte  Hand,  auch  gibt  es 
Fälle,  wo  infolge  Deformitäten  in  der  Nase  das  Einführen  des  Katheters  un- 
möglich ist;  ebenso  beschwerlich  ist  es,  bei  Kindern  den  Katheter  zu  appli- 
ciren,  und  diese  Umstände  haben  es  veranlasst,  dass  für  den  Katheter  andere 
Verfahren  in  die  Therapie  eingeführt  werden,  mittelst  denen  es  ermöglicht 
wird,  Luft  per  tubam  in  die  Trommelhöhle  einzutreiben. 

Politzer  hat  die  Thatsache,  dass  beim  Schlingen  der  Nasenrachenraum 
abgeschlossen  wird,  dazu  benützt,  um  durch  einen  Ballon  bei  diesem  Acte 
durch  die  Nase  Luft  einzutreiben,  indem  die  Nase  zugehalten  wird  und  auf 
diese  Weise  im  Nasenrachenraum  die  eingepresste  Luft  nur  in  die  Tuben 
eindringen  kann.  Gruber  hat  dieses  Verfahren  modificirt,  indem  er  nicht 
Wasser  schlucken  lässt,  sondern  die  Kranken  die  Selbstlaute  a,  o,  u  aus- 
sprechen lässt,  wodurch  auch  ein  Verschliessen  des  Nasenrachenraumes  erfolgt. 
Es  lassen  sich  beide  Verfahren  anwenden  in  leichteren  Fällen  von  Otitis  media 
catarrhalis,  insbesonders  wenn  beide  Ohren  ergriffen  sind,  denn,  ist  nur  ein 
Ohr  krank,  so  dringt  die  auf  diese  Weise  eingetriebene  Luft  viel  mehr  in  die 
wegsame  Tuba,  als  in  die  kranke  undurchgängige.  Geschieht  nun  die  Luft- 
eintreibung auf  welche  Weise  immer,  so  wird  der  Schleim  aus  Tuba  und 
Trommelhöhle  in  leichteren  Fällen  entfernt,  und  der  Kranke  hat  momentan 
sein  Gehör  erlangt  und  fühlt  sich  bedeutend  erleichtert;  die  Erleichterung  ist 
in  prognostischer  Beziehung  insoferne  von  Bedeutung,  indem  deren  Dauer  auf 
die  schnelle  oder  langsame  Heilung  folgern  lässt;  wir  finden  nämlich  nach 
erfolgter  Lufteintreibung  manchmal,  dass  das  Gehörvermögen  stundenlang 
sich  gebessert  erhält,  während  in  schwereren  Fällen  die  Besserung  entweder 
gar  nicht  erfolgt  oder  nur  für  kurze  Zeit  anhält.  Wir  richten  auch  nach 
dieser  Erscheinung  unser  Vorgehen  ein,  bei  längere  Zeit  bestehender  Gehör- 
verbesserung genügt  es,  jeden  zweiten  bis  dritten  Tag  die  Lufteintreibung  vor- 
zunehmen, während  im  schlechteren  Falle  dieselbe  täglich  durch  zwei  bis  drei 
Wochen  anzuwenden  ist. 

Bei  Schwellung  der  Tubenschleimhaüt  und  der  Schleimhaut  der  Trommel- 
höhle ist  es  von  Vortheil,  wenn  durch  den  Katheter  einige  Tropfen  von 
Lösungen  adstringirender  Mittel,  am  geeignetsten  von  einer  P/oigen  Sulfat. 
Zinci-Lösung,  mittelst  comprimirter  Luft  eingetrieben  werden;  man  darf  nur  nicht 


OTITIS  MEDIA  SCLEROTICA.  429 

einen  starken  Luftstrom  einwirken  lassen,  weil  hiedurch  die  Flüssigkeit  einen 
starken  Reiz,  manchmal  infolge  hochgradiger  Hyperämie  in  der  Trommelhöhle 
auch  heftigen  Schmerz  verursacht;  dieser  Schmerz  hört  wohl  in  den  meisten 
Fällen  in  kurzer  Zeit  auf;  es  kommt  jedoch  vor,  dass  hiedurch  eitrige  Entzün- 
dung in  der  Trommelhöhle  erfolgt. 

Ist  in  der  Trommelhöhle  freies  Exsudat  in  grösserer  Menge  angesammelt, 
was  durch  Besichtigung  des  Trommelfelles  leicht  zu  constatiren  ist,  so  thun  wir 
am  besten,  wenn  die  Taracentese  des  Trommelfelles  vorgenommen  wird, 
LufteintreilDungen  sind  in  solchen  Fällen  von  keinem  bleibenden  Nutzen;  selbst 
wenn  eine  leichte  Besserung  nach  derselben  sich  einstellt,  so  können  wir  bald 
darauf  das  Exsudat  auf  seiner  früheren  Stelle  finden,  während  wir  in  der  Para- 
centese  ein  sicheres  Vorgehen  zu  dessen  Entfernung  besitzen  und  den  Krank- 
heitsprocess  auch  in  kürzester  Zeit  zum  Schwinden  bringen. 

Die  Paracentese  des  Trommelfelles  verursacht  gewöhnlich  gar  keine  un- 
angenehmen Zufälle,  auch  der  Schmerz  ist  ganz  unbedeutend,  und  ich  vollziehe 
dieselbe  beinahe  immer  ambulanter;  es  ist  mir  jedoch  vorgekommen,  dass 
neurasthenische  Individuen  bei  der  Paracentese  des  Trommelfelles  ohnmächtig 
wurden. 

Zur  Paracentese  des  Trommelfelles  gebrauche  ich  eine  kleine  lanzen- 
förmige,  zweischneidige,  gut  zugespitzte  Nadel,  deren  Heft  5  cm  lang  ist  und 
in  einen  Griff  durch  eine  Schraube  befestigt  wird,  derart,  dass  der  Grifi  mit 
der  Nadel  einen  stumpfen  Winkel  bildet;  man  kann  die  Lanzennadel  auf  diese 
Weise  je  nach  Bedarf  entweder  horizontal  oder  vertical  placiren  und  so  das 
Trommelfell  mit  derselben  durch  einen  horizontalen  oder  verticalen  Ein- 
schnitt eröftnen. 

Bei  Ausführung  der  Paracentesen  ist  es  zweckmässig,  obwohl  nicht  un- 
umgänglich nothwendig,  wenn  ein  Gehilfe  den  Kopf  des  Patienten  fixirt;  wir 
führen  den  Trichter  ein,  und  bei  gehöriger  Beleuchtung  der  zu  operirenden 
Stelle  wird  die  Nadel  eingestochen  und  mit  einem  2 — S^mm  grossen  Einschnitt 
eröffnet  man  das  Trommelfell. 

Wo  das  Trommelfell  zu  paracentesiren  ist,  das  zeigt  am  besten  der 
Trommelfellbefund,  wir  handeln  jedoch  zweckmässig,  wenn  wir  die  Paracen- 
tese an  dem  hinteren  unteren  Quadranten  des  Trommelfelles  ausführen,  indem 
hier  die  tiefste  Stelle  ist,  durch  welche  das  Exsudat  am  leichtesten  nach  aussen 
befördert  werden  kann.  Indem  in  den  meisten  Fällen  das  Exsudat  eine 
klebrige  viscide  Masse  ist,  so  sind  es  die  seltenen  Fälle,  wo  dasselbe  durch  die 
einfache  Paracentese  sich  entfernen  lässt;  gewöhnlich  entleert  sich  dasselbe 
nur,  wenn  nach  der  Paracentese  eine  kräftige  Lufteintreibung  ausgeführt  wird; 
es  ist  dies  umso  nothwendiger,  weil  in  den  meisten  Fällen  der  Einschnitt  im 
Trommelfelle  im  Verlauf  von  24  Stunden  sich  vollkommen  schliesst.  Nach 
der  Paracentese  wird  der  äussere  Gehörgang  von  den  ausgetriebenen  Schleim- 
massen mittelst  Wattatampons  gereinigt  und  der  Gehörgang  luftdicht  ver- 
schlossen. BÖKE. 

Otitis  media  SCierotica.  (Synonym:  Otitis  media  plastica,  trockener 
Paukenhöhlenkatarrh,  Rigidität  der  Paukenhöhlenschleimhaut.) 

Pathologische  Anatomie.  Bei  der  Sklerose  der  Paukenhöhlen- 
schleimhaut handelt  es  sich  um  eine  narbige  Schrumpfung  des  vorher 
häufig  hyperplastischen  und  infiltrirten  submucösen  Bindegewebes,  wodurch 
der  Ueberzug  der  Wandungen  und  der  einzelnen  Gebilde  (Gehörknöchelchen) 
starr,  „rigid"  wird.  Dazu  tritt  im  weiteren  Verlaufe  eine  Einlagerung 
von  Kalksalzen  zwischen  die  Bindegewebsfasern  und  sehr  oft  eine  theil- 
weise  Verknöcherung  namentlich  in  den  tieferen,  dem  Periost  anliegenden 
Schichten  der  Mucosa,  in  den  bindegewebigen  und  knorpeligen  Bekleidungen 
der  Ossicula  und   in   den  Bändern  ihrer  Gelenke.    Da  unter  diesen  degene- 


480  OTITIS  MEDIA  SCLEROTICA. 

rativen  Vorgängen   ein  Theil   der  Blutgefässe   verloren   geht,   erscheint   die 
Paukenhöhlenauskleidung  blass,  grauweiss. 

Diese  narbige  Schrumpfung  und  Verkalkung  kann  ausgedehntere  Flächen 
der  Schleimhaut  befallen  oder  ganz  umschrieben  auftreten.  Das  erstere  ist 
öfter  der  Fall,  wenn  sich  die  Sklerose  im  Anschluss  an  einen  chronischen 
Mittelohrkatarrh  entwickelt,  und  wir  sehen  dann  zuweilen  neben  den  erwähn- 
ten Veränderungen  noch  charakteristische  Zeichen  dieser  ursächlichen  Krank- 
heit wie  Hyperämie  und  zellige  Infiltration.  Umschriebene  sklerotische  Herde 
hingegen  entstehen  meist  ohne  nachweisbare  vorhergehende  locale  Störungen; 
ihr  Lieblingssitz  ist  die  Umgebung  des  Steigbügels  und  der  Labyrinthfenster, 
und  gerade  hier  wird  der  Process  besonders  verhängnisvoll,  weil  er  an  dieser 
für  die  Hörfunction  hervorragend  wichtigen  Grenze  zwischen  Schallleitungs- 
und Empfindungsapparat  durch  abnorme  Fixationen  (Ankylose  des  Steig- 
bügels) die  schwersten  Formen  von  Taubheit  erzeugt.  In  der  That  sind 
Erkrankungen  des  Labyrinths  bei  Sklerose  sehr  häufig,  und  es  ist  wahrschein- 
lich, dass  sie  zum  grösseren  Theile  als  secundäre,  durch  die  übermässige 
Belastung  und  Erstarrung  des  Leitungsapparates  bedingte,  aufzufassen  sind, 
obwohl  man  andererseits  nicht  selten  zu  der  Annahme  gezwungen  wird,  dass 
die  Betheiligung  des  inneren  Ohres  primär  zustande  kommen  kann.  Viel- 
leicht handelt  es  sich  öfter  um  Vorgänge,  wie  sie  Politzee  und  Voltolini 
beschrieben  haben,  nämlich  um  eine  gleichzeitige  Hyperostose  der  äusseren 
und  der  inneren  Fläche  der  Umrandung  der  fenestra  ovalis. 

Ausser  am  Stapes  werden  Ankylosen  auch  am  Hammer- Ambossgelenke 
und  am  Amboss-Steigbügelgelenke  beobachtet,  sowie  auch  die  Membrana  tym- 
pani  secundaria  zuweilen  verkalkt  oder  durch  Hyperostose  ihrer  Nischen- 
wandungen fixirt  gefunden  wird.  Das  Trommelfell  zeigt  keine  charakteristi- 
schen Veränderungen.  Erstreckt  sich  die  Atrophie  der  Schleimhaut  auch  auf 
seinen  Ueberzug,  so  erscheint  es  dünn,  vermehrt  durchscheinend,  und  der 
Hammer  sieht  breiter  aus  als  gewöhnlich,  was  übrigens  zum  Theil  auch  von 
einer  Verknöcherung  seines  Knorpelüberzuges  herrühren  kann.  Bei  Steigbügel- 
Ankylose  hat  Schwaktze  öfters  eine  umschriebene  Hyperämie  der  Schleim- 
haut am  Promontorium  nachgewiesen,  welche  auch  dem  Trommelfelle  an  der 
entsprechenden  Stelle  einen  röthlichen  Schimmer  verleihen  kann.  Die  Tube 
wird  fast  stets  normal  gefunden. 

Aetiologie.  Die  Ursachen  der  Sklerose  sind  oft  in  tiefes  Dunkel 
gehüllt.  Es  ist  zwar  nicht  zu  bestreiten,  dass  den  degenerativen  Verände- 
rungen der  Schleimhaut  nicht  selten  katarrhalische  Processe  voraus- 
gehen, doch  entwickelt  sich  die  Sklerose  viel  häufiger,  als  man  früher  anzu- 
nehmen geneigt  war,  primär.  Ernährungsstörungen  verschiedener  Art,  nament- 
lich Anämie,  scheinen  ihre  Entstehung  zu  begünstigen,  auffallend  oft  wird 
das  weibliche  Geschlecht  befallen,  und  das  gesammte  Geschlechtsleben  des 
Weibes,  ganz  besonders  die  Schwangerschaft  und  das  Wochenbett,  übt  einen 
entschiedenen  Einfluss  auf  die  Krankheit  aus.  Eine  hervorragende  Rolle 
spielt  die  Heredität,  und  jedenfalls  ist  ein  sehr  grosser  Theil  der  zur 
Beobachtung  kommenden  Fälle  von  Sklerose  auf  diese  Ursache  zurückzuführen 
—  auf  Grund  welcher  pathologischer  Vorgänge  ist  freilich  durchaus  unauf- 
geklärt. Die  Krankheit  befällt  weit  weniger  Kinder  als  Erwachsene;  doch 
kann  man  sie  gerade  auf  hereditärer  Basis  zuweilen  schon  im  zweiten  Decen- 
nium  des  Lebens  beginnen  sehen. 

Symptome.  Die  subjectiven  Erscheinungen  der  Sklerose  entwickeln 
sich  in  den  meisten  Fällen  so  schleichend,  dass  der  Kranke  noch  frei  von 
Beschwerden  ist  und  vollkommen  gesund  zu  sein  glaubt,  wenn  sein  Leiden 
schon  Jahre  lang  besteht  und  bereits  unheilbar  ist.  Dies  gilt  besonders  von 
der  Schwerhörigkeit,  und  das  lange  Verborgenbleiben  dieses  Symptoms  er- 
klärt sich  dadurch,  dass  in  der  Regel  zuerst  vorwiegend  nur  ein  Ohr  erkrankt 


OTITIS  MEDIA  SCLEROTICA.  431 

und  erst  bei  erheblicherer  Functionsstörung  auf  dem  zweiten  Ohre  dem  Patien- 
ten bemerkbar  wird,  dass  er  bestimmte  Geräusche,  wie  das  Uhrticken,  Vogel- 
zwitschern, weniger  deutlich  und  auf  geringere  Entfernung  vernimmt  als 
andere,  oder  dass  er  das  Durcheinandersprechen  in  der  Gesellschaft,  die  auf 
der  Bühne  gesprochenen  Worte,  die  Predigt  in  der  Kirche,  nicht  mehr  ver- 
stehen kann.  Doch  kommt  es  auch  nicht  selten  vor,  dass  die  .Schwerhijrig- 
keit  sich  schneller  und  auf  beiden  Ohren  gleichzeitig  einstellt  und  dann  früh- 
zeitiger festgestellt  wird.  Sehr  gewöhnlich  ist  die  weitere  Zunahme  der 
Functionsstörung  eine  ungleichmässige,  sprungweise,  d.  h.  auf  ein  Stadium 
einer  sehr  langsamen  Verschlimmerung  oder  vollständigen  Stationärbleibens 
folgt  eine  raschere  Verschlechterung,  und  besonders  bei  älteren  Patienten  ist 
ein  rapides  Fortschreiten  der  Gehörsabnahme  ein  häufiges  Vorkommnis.  In 
solchen  Fällen  kann  die  Hörfähigkeit  erheblichen  Schwankungen  unterliegen, 
so  dass  der  Kranke  bald  leidlich  gut,  bald,  und  zwar  besonders  bei  feuchter, 
schwüler  Witterung,  infolge  von  Aufregungen  und  Anstrengungen,  sehr  viel 
schlechter  hört.  Auffallend  ist  auch  häufig  eine  schnell  eintretende  Er- 
müdung des  Gehörsinnes,  besonders  bei  angestrengtem  Lauschen,  wie 
sie  sich  z.  B.  bei  länger  ausgedehnten  Hörprüfungen  leicht  geltend  macht. 
Diese  Erscheinung,  welche  Schwartze  gewiss  mit  Recht  auf  eine  Ueber- 
anstrengung  der  Binnenmuskeln  der  Paukenhöhle  zurückführt,  kann  auch  mit 
einem  ;,heimlichen"  Schmerz  von  ziehendem  und  reissendem  Charakter  ver- 
bunden sein. 

Während  in  vielen  Fällen  die  Schwerhörigkeit  schliesslich  eine  sehr 
hochgradige  wird  und  bei  Ankylose  des  Steigbügels  eine  nahezu  vollkommene 
Taubheit  eintritt,  kommt  es  auch  vor,  dass  ein  gewisser  Grad  von  massiger 
Hörschwäche  nicht  überschritten  wird;  feinere  und  besonders  tiefe  Geräusche 
und  Töne  werden  aber  regelmässig  schlecht  gehört. 

Subjective  Geräusche  fehlen  bei  Sklerose  fast  niemals.  Oft  sind 
sie  das  erste  Symptom,  welches  der  Kranke  bemerkt,  zuweilen  schon  Jahre 
lang,  ehe  ihm  seine  Schwerhörigkeit  zum  Bewusstsein  kommt.  Die  Geräusche 
pflegen  zunächst  nicht  continuirlich  zu  sein,  sich  bei  gewissen  Gelegenheiten, 
z.  B.  nach  körperlichen  und  geistigen  Anstrengungen,  nach  Excessen  etc.  ein- 
zustellen, werden  aber  später  in  der  Regel  persistent  und  steigern  sich  bei 
den  schwereren  Fällen,  besonders  wenn  Synostose  des  Steigbügels  besteht, 
bis  zur  Unerträglichkeit,  so  dass  der  Patient  lieber  taub  zu  sein  als  das  fort- 
währende Toben  länger  zu  hören  wünscht.  Die  Fälle,  in  welchen  die  Ge- 
räusche intermittirend  oder  so  schwach  bleiben,  dass  der  Kranke  sich  an  sie 
gewöhnt,  müssen  als  besonders  günstig  bezeichnet  werden. 

Schwindel  kommt  nicht  regelmässig,  aber  doch  in  vielen  Fällen  vor, 
meist  bei  bestimmten  Bewegungen,  z.  B.  beim  Bücken  oder  wenn  der  Patient 
rasch  nach  oben  sieht.  Stärkere  Anfälle  mit  vermehrtem  Sausen  und  Er- 
brechen sind  ungewöhnlich,  so  lange  das  Labyrinth  intact  ist. 

Ein  sehr  häufiges  Symptom  ist  die  Paracusis  WiUisii,  das  Besserhören 
bei  Geräuschen,  welches  vielleicht  bei  keiner  anderen  Ohrenkrankheit  so 
ausgeprägt  beobachtet  wird,  wie  bei  der  Sklerose.  Es  ist  keine  seltene  Er- 
scheinung, dass  Sklerotiker  z.  B.  im  Eisenbahnwagen  während  der  Fahrt  die 
Unterhaltung  leichter  verstehen  als  Normalhörende. 

Diagnose.  Die  objectiven  Erscheinungen  sind  durchaus  typisch,  so 
dass  die  Diagnose  mehr  oder  weniger  per  exclusionem  gestellt  werden  muss. 
Vor  allem  zeigt  das  Trommelfell,  besonders  bei  umschrieben  verlaufender 
Erkrankung,  oft  gar  keine  Abweichung.  In  anderen  Fällen  ist  es  atrophisch, 
so  dass  der  Amboss  und  das  Promontorium  durchscheint,  oder  verdickt, 
fleckig  oder  diffus  weiss  getrübt,  zuweilen  theilweise  oder  gänzlich  verkalkt. 
Der  Hammergriff  erscheint   oft,   theils   infolge  der  Verdünnung  der  ihn  um- 


432  OTITIS  MEDIA  SCLEROTICA. 

gebecden  Weiclitheile,  tlieils  infolge  der  oben  erwähnten  Verkalkung  und 
Verknöcherung  seines  Knorpelüberzuges,  breit  und  sehr  weiss,  zuweilen  ist 
ein  röthlicher  Schimmer,  welcher  von  der  Hyperämie  der  Promontorium- 
schleimhaut  herrührt,  in  der  Umbogegend  zu  bemerken.  Ein  häufiger  Befund 
ist  eine  leicht  eintretende  Injection  der  am  Hammer  entlang  laufenden  Gefässe; 
bei  manchen  Kranken  genügt  schon  die  Einführung  des  Ohrtrichters,  um 
diese  Congestion  zu  erzeugen,  bei  anderen  stellt  sie  sich  beim  Katheterisiren 
ein.  Die  Wölbung  des  Trommelfelles  ist  entweder,  und  zwar  häufiger,  normal, 
oder  es  besteht  eine  vermehrte  Einziehung,  sei  es  der  ganzen  Membran  oder 
einzelner  Theile,  wie  der  membrana  flaccida.  Der  Gehörgang  ist  meist  arm 
an  Cerumen. 

Alle  diese  Erscheinungen  können  einzeln  oder  neben  einander  bei  Skle- 
rose, wie  bei  verschiedenen  anderen  Krankheiten,  vorhanden  sein,  während 
andererseits  hochgradige  Schwerhörigkeit  infolge  von  Steigbügelankylose 
bestehen  kann,  ohne  dass  irgend  welche  objective  Veränderungen  nachweis- 
bar sind. 

Auch  die  Auscultation  gibt  nicht  immer  bestimmten  Aufschluss  für 
die  Diagnose.  Meist  ist  die  Tube  vollkommen  durchgängig,  so  dass  das  Aus- 
cultation sgeräusch  von  dem  normalen  nicht  abweicht.  Verengerung  des  Lumens 
besteht  jedenfalls  selten  und  nur,  wenn  neben  beginnender  Sklerose  noch 
Katarrh  vorhanden  ist.  Hingegen  kommt  bei  ausgesprochener  Sklerose  ein 
charakteristisches  Geräusch  vor,  ein  breites,  eigenthümlich  hartes,  scharfes, 
zuweilen  fast  pfeifendes  Blasegeräusch,  welches  auf  eine  abnorme  Trockenheit 
und  besonders  leichte  Durchgängigkeit  der  Eustachischen  Röhre,  sowie  auf 
vollkommenen  Secretmangel  in  der  Paukenhöhle  schliessen  lässt.  Nach  der 
Luftdouche  schimmert  zuweilen  die  Schleimhaut  deutlich  roth  durch  das 
Trommelfell  durch. 

Die  Hörprüfung  ergibt,  so  lange  keine  Labyrinthaffection  hinzugetreten 
ist,  die  ausgesprochenen  Anzeichen  einer  Erkrankung  des  Schallleitungsappa- 
rates. So  wird  beim  WEBER'schen  Versuche  der  Stiramgabelton,  falls  eine 
erhebliche  Differenz  in  der  Hörfähigkeit  zwischen  beiden  Ohren  besteht,  aus- 
schliesslich oder  wesentlich  stärker  auf  der  schlechteren  Seite  wahrgenommen; 
der  BiNNE'sche  Versuch  fällt  überwiegend  häufig  negativ  aus,  die  Perceptions- 
dauer  für  den  Stimmgabelton  ist  ganz  beträchtlich  verlängert.  Die  Taschen- 
uhr wird  schon  frühzeitig  auffallend  schlecht  durch  die  Luft,  oft  aber  noch  lange 
vom  Knochen  aus  gehört,  hohe  Töne  werden  gut,  tiefe  schlecht  wahrgenommen, 
Flüstersprache  wird  meist  nur  auf  eine  kurze  Entfernung  verstanden. 

Ist  gleichzeitig  eine  Labyrinthaffection  vorhanden,  so  gibt  die  Hör- 
prüfung sehr  widersprechende  Resultate;  doch  lässt  sich  auf  eine  Betheiligung 
des  Empfindungsapparates  schliessen,  wenn  bei  jüngeren  Individuen  die  cranio- 
tympanale  Leitung  abgeschwächt  ist,  der  RiNNE'sche  Versuch  positiv  ausfällt 
und  auch  die  hohen  Töne  auffallend  schlecht  gehört  werden.  Ein  wichtiges 
Zeichen  ist  auch  die  Verkürzung  der  Perceptionsdauer. 

Der  neuerdings  von  Bloch  weiter  ausgeführte  Versuch  von  Gelle,  eine 
bestehende  Steigbügelankylose  mit  Hilfe  der  Verdichtung  der  Luft  im  Gehör- 
gange während  einer  Stimmgabelprüfung  (Pressions  centripetes)  nachzuweisen, 
ist  unzuverlässig.  Nach  Bjloch  ist  auf  Steigbügelfixation  zu  diagnosticiren, 
wenn  bei  einseitiger  Schwerhörigkeit  durch  die.  Luftverdichtung  im  Gehör- 
gange bei  Zuleitung  des  Stimmgabeltones  durch  die  Luft  eine  Intensitäts- 
abnahme der  Tonwahrnehmung,  bei  craniotympanaler  Zuleitung  des  Tones 
(Aufsetzen  der  Stimmgabel  auf  den  Scheitel)  hingegen  ein  Gleichbleiben  der 
Intensität  des  Schalles  festgestellt  wird.  (Siehe  „Untersuchungsmethoden.") 

Die  Verwendung  der  Sonde  zur  directen  Erkennung  der  verminderten 
Beweglichkeit  des  Leitungsapparates  ist  schwierig,  da  es  sich  um  selbst  nor- 
maler Weise  verschwindend  kleine  Excursionen   handelt.     Der  Hammer  lässt 


OTITIS  MEDIA  SCLEROTICA.  433 

sich  ohne  weiteres,  am  besten  nach  Lucae  mit  einer  am  Knopfe  eingekerbten 
Sonde  betasten;  will  man  am  Steigbügel  Mobilisirungsversuche  anstellen,  so 
muss  der  hintere  obere  Quadrant  des  Trommelfelles  ausgeschnitten  werden. 
Liegt  vollkommene  Ankylose  vor,  so  fühlt  man  wohl  bei  grosser  Uebung  mit 
der  Sonde  die  Unbeweglichkeit  des  Knöchelchens,  auch  fallen  daun  die  bei 
beweglichem  Stapes  recht  erheblichen  subjectiven  Erscheinungen  aus;  gerin- 
gere Differenzen  in  der  Schwingungsfähigkeit  sind  indessen  durch  die  tactile 
Untersuchung  kaum  festzustellen. 

Bezüglich  der  Differentialdiagnose  zwischen  Sklerose  und  ein- 
fachem Mittelohrkatarrh  ist  es  wichtig  zu  bemerken,  dass  durch  die  Luftdouche 
bei  letzterer  Affection  fast  regelmässig  eine  messbare  Hörverbesserung  erzielt 
wird,  während  bei  Sklerose  bei  der  einzelnen  Anwendung  des  Katheters  meist 
kein  nennenswerter  Einfluss  auf  die  Function  nachweisbar  ist.  Auch  erhält 
man  bei  dem  in  der  Kegel  mit  Tubenverengerung  complicirten  Mittelohr- 
katarrh, selbst  wenn  nicht  viel  Exsudat  vorhanden  ist,  ein  anderes  Auscul- 
tationsgeräusch  als  bei  der  Sklerose. 

Prognose.  Die  Prognose  der  Otitis  media  sclerotica  ist  ungünstig. 
Zwar  gelingt  es  zuweilen,  namentlich  wenn  keine  hereditäre  Disposition  vor- 
liegt, bei  sehr  frühzeitiger  Behandlung,  dem  Schallleitungsapparate  seine  Be- 
weglichkeit einigermaassen  zu  erhalten,  bei  bereits  vorgeschrittenerem  Leiden 
eine  zeitweilige  Besserung  zu  schaffen  oder  doch  den  Eintritt  einer  erheblichen 
Verschlimmerung  hinauszuschieben;  allein  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  sind  die 
Beschwerden  progressiv,  und  wenn  man  die  soeben  erwähnten  Erfolge  der 
Therapie  skeptisch  betrachtet,  so  können  sie  doch  oft  recht  zweifelhaft  er- 
scheinen, da  ein  Stillstand  der  Krankheit  auch  spontan  nicht  selten  beobachtet 
wird.  In  den  meisten  Fällen  verschlimmern  sich  die  Symptome  trotz  aller 
Behandlung  und  leider  auch  oft  infolge  einer  unzweckmässigen  Behand- 
lung; denn  es  steht  fest,  dass  eine  rapide  Zunahme  der  Schwerhörigkeit  durch 
übertriebenes  ärztliches  Eingreifen  in  vielen  Fällen  verschuldet  wird. 

Die  Prognose  ist  relativ  besser,  wenn  das  Leiden  nicht  ererbt  ist  und 
noch  nicht  lange  besteht,  wenn  die  craniotympanale  Leitung  erhalten  ist,  die 
subjectiven  Geräusche  nur  zeitweilig  auftreten  und  noch  Schwankungen  in 
der  Hörfähigkeit  zu  beobachten  sind.  Hingegen  ist  die  Prognose  schlecht  bei 
ausgesprochener  Betheiligung  des  Labyrinthes,  bei  nachweisbarer  Verschlech- 
terung des  Gehöres  oder  bei  Eintreten  von  Dumpfheit  und  Schwindel  nach 
der  Luftdouche,  bei  rascher  und  gleichmässiger  Zunahme  der  Schwerhörigkeit, 
bei  continuirlichen  subjectiven  Geräuschen.  Ungünstig  beeinflusst  wird  der 
Verlauf  auch  durch  die  fortdauernde  Einwirkung  gewisser  Schädlichkeiten, 
welche  den  Hörnerven  reizen  oder  Congestionen  zum  Kopfe  verursachen.  Beim 
Manne  ist  daher  die  Berufsthätigkeit  häufig  von  grossem  Nachtheile  für  das 
Ohr,  wie  beim  Weibe  Schwangerschaft  und  Wochenbett  oft  eine  rapide  Ver- 
schlimmerung herbeiführen. 

Behandlung.  Die  Behandlung  der  Sklerose  ist,  wie  aus  dem  Gesagten 
hervorgeht,  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  undankbare.  Nur  bei  noch  ver- 
hältnismässig frischer  Erkrankung  gelingt  es  zuweilen,  die  allmähliche  Er- 
starrung des  Leitungsapparates  aufzuhalten,  und  es  muss  deshalb  als  eine 
Pflicht  des  praktischen  Arztes,  insbesonders  des  Hausarztes,  bezeichnet  werden, 
bei  den  Angehörigen  von  Familien,  in  welchen  Schwerhörigkeit  aufgetreten 
ist,  in  regelmässigen  Zwischenräumen  das  Gehörorgan  genau  zu  prüfen,  damit 
jede  Störung  früh  entdeckt  wird  und  Behandlung  findet. 

Die  geeignete  Therapie  ist  in  derartigen  Fällen  der  Käthe terismus. 
Wenn  manche  erfahrene  Ohrenärzte  die  Anwendung  der  Luftdouche  für  nutzlos 
oder  für  verderblich  erklären  und  diese  Behandlung  grundsätzlich  verwerfen, 
so  stimme  ich  ihnen  in  Bezug  auf  das  PoLiTZER'sche  Verfahren,  dessen 
Stosswirkung  in  der  That  geradezu  gefährlich  für  die  brüchige  Paukenhöhlen- 
ohren-, Nasen-,  Kachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  28 


434  OTITIS  MEDIA  SCLEROTICA. 

auskleidung  werden  kann,  vollkommen  bei;  aber  die  Hände  vollkommen  resig- 
nirt  in  den  Schoss  zu  legen,  finde  ich  nicht  für  alle  Fälle  gerechtfertigt.  So 
entschieden  das  PoLiTZER'sche  Verfahren  bei  der  Sklerose  contraindicirt  ist, 
so  unzweifelhaft  kann  die  vorsichtige  Anwendung  des  Katheters  bei  sorg- 
fältiger Individualisirung  von  Nutzen  sein.  Der  Katheterismus  darf  aber 
freilich  immer  nur  kurze  Zeit,  etwa  4 — 6  Wochen  lang  dreimal  wöchent- 
lich und  immer  nur  mit  sehr  schwachem  Drucke  ausgeführt  werden  und  ist 
in  jedem  Falle  sofort  auszusetzen,  wenn  sich  etwa  Reizungserscheinungen, 
wie  vermehrtes  Sausen,  Druckgefühl  oder  Schwindel,  danach  einstellen.  Auch 
in  vorgeschritteneren  Fällen  tritt  zuweilen  ein  Stillstand  von  längerer  oder 
kürzerer  Dauer  bei  der  Behandlung  mit  der  Luftdouche  ein  —  ob  post  oder 
propter  hocV  ist,  wie  schon  bemerkt  wurde,  nie  mit  Sicherheit  zu  entscheiden. 
Jedenfalls  sollte  man,  so  lange  sich  nicht  eine  Neigung  zum  Schlechterwerden 
herausstellt,  namentlich  in  älteren  Fällen  nicht  katheterisiren  und  diese  Be- 
handlung erst  wieder  für  kurze  Zeit  aufnehmen,  wenn  das  Gehör  weiter  zu 
sinken  beginnt.  Ich  habe  auf  diese  Weise,  durch  etwa  jedes  Jahr  oder  in 
mehrjährigen  Zwischenräumen  wiederholte  mehrwöchentliche  Anwendung  der 
Luftdouche  und  bei  fortgesetzter  Controle  der  Patienten,  eine  ganze  Reihe  von 
Fällen  ziemlich  stationär  bleiben  sehen  und  bei  jüngeren  Individuen  niemals 
schädliche  Einwirkungen  bei  dieser  maassvollen  Benützung  des  Katheters  nach- 
weisen können.  Von  einer  übertriebenen  Anwendung  der  Luftdouche  ist 
aber  ganz  entschieden  zu  warnen,  wie  denn  überhaupt  bei  kaum  einer  anderen 
Ohraffection  das  r.pw-ov  jjlsv  to  [itj  ßXccTctsiv  mehr  Beherzigung  verdient  als 
bei  der  Otitis  media  sclerotica.  Zumal  wenn  es,  infolge  der  Betheiligung 
des  Labyrinthes,  mit  dem  Gehör  rapid  bergab  geht,  ist  die  Luftdouche  nicht 
am  Platze;  sie  bewirkt  dann  meist  ein  vermehrtes  Druckgefühl,  zuweilen 
geradezu  eine  Betäubung,  und  selbst,  wenn  es  auch  manchmal  den  Anschein 
hat,  als  ob  die  Beschwerden  vorübergehend  gemildert  würden,  so  ist  doch 
längstens  binnen  wenigen  Stunden  Alles  beim  Alten  oder  gar  dann  schon  eine 
Verschlechterung  nachzuweisen. 

Die  Injection  von  Medicamenten  durch  den  Katheter  ins  Mittel- 
ohr bringt  nur  selten  einigen  Nutzen  und  wohl  nur  in  solchen  Fällen,  in 
welchen  die  Luftdouche  allein  günstig  einwirkt.  Empfohlen  werden  theils 
dampfförmige  Mittel,  wie  W^asserdämpfe,  Jodäthyl,  Salmiak-  und  Terpentin- 
dämpfe, Aether,  Chloroform  etc.,  theils  Flüssigkeiten,  wie  Natrium  carbonicum 
und  bicarbonicum,  Kalium  jodatum,  Chloralhydrat.  Namentlich  mit  dem 
letzteren  Medicamente  (1:30  aqua)  sind  von  Lücae  vielfach  gute  Erfolge  er- 
zielt worden;  doch  hat  sich  auch  dieses  Mittel,  zumal  da  es  mitunter  erheb- 
lich reizt,  nicht  allgemeiner  bewährt.  Auch  die  Bestrebungen,  mit  Hilfe  von 
injicirten  Lösungen  (Salpetersäure,  Glycerinphosphorsäure)  die  in  der  Pauken- 
höhlenschleimhaut deponirten  Kalksalze  zu  lösen,  sind  als  gescheitert  anzu- 
sehen. 

Anstatt  der  Injectionen  hat  man  auch  die  Behandlung  mit  Bougies  zur 
Einführung  von  Arzneimitteln  durch  die  Tuben  benutzt,  und  es  ist  namentlich 
von  Delstanche  Jodoformvaselin  in  dieser  Weise  angewendet  worden;  allein 
der  Erfolg  ist  auch  hier  selten  ein  befriedigender,  und  die  Bougirung  der 
Ohrtrompete  ist  bei  der  Sklerose  umso  weniger  indicirt,  als  die  Tube,  wie 
erwähnt,  in  der  Regel  normal  oder  gar  übermässig  leicht  durchgängig  ist. 

Verhältnismässig  bessere  Ergebnisse  liefert  zuweilen  die  Luft  Ver- 
dünnung im  äusseren  Gehörgange,  welche  auch  in  solchen  Fällen 
versuchsweise  ausgeführt  werden  kann,  in  welchen  die  Luftverdichtung  in  der 
Paukenhöhle  in  Gestalt  des  Katheterismus  keinen  oder  einen  nachtheiligen 
Einfluss  übt.  Am  einfachsten  geschieht  dies  nach  dem  von  Lucae  angege- 
benen Verfahren  mit  einem  vor  der  luftdichten  Einführung  des  Ohransatzes 
in  den  Gehörgang  mit  Gewichten  belasteten  Gummiballon,  welchen  man  durch 


OTITIS  MEDIA  SCLEROTICA.  435 

allmähliche  Eatfernung  der  Gewichte  langsam  aufgehen  lässt.  Recht  gut 
eignet  sich  auch  der  von  IJelstanche  construirte  Rarefacteur,  mit  welchem 
die  Luft  durch  einen  SiEGLE'schen  Trichter  mit  Hilfe  eines  durch  eine  Hebel- 
vorrichtung in  Thätigkeit  gesetzten  spritzenartigen  Saugapparates  aus  dem 
Gehörgange  ausgesogen  wird.  Bei  dieser  Behandlungsmethode  muss  man 
indessen  sehr  vorsichtig  zu  Werke  gehen,  damit  nicht  Blutblasen  entstehen 
und  auf  das  Trommelfell  nicht  ein  zu  starker  Zug  ausgeübt  wird.  Die  Beein- 
flussung der  Hörfähigkeit  ist  bei  der  Luftverdünnung  im  Gehörgange  mit- 
unter weniger  fühlbar  als  die  günstige  Wirkung  auf  die  subjectiven  Geräusche, 
welche  in  manchen  Fällen  auf  längere  Zeit  vermindert  werden. 

In  neuerer  Zeit  hat  Lucae  versucht,  durch  eine  direct  auf  den  Hammer 
wirkende  Massage  die  Beweglichkeit  der  Gehörknöchelchen  zu  bessern.  Er 
benützt  dazu  eine  nach  dem  Princip  der  Eisenbahnpuffer  hergestellte  „federnde 
Drucksonde",  einen  durch  eine  Leitungsröhre  gezogenen  stählernen  Stift, 
welcher  zur  Aufnahme  des  Processus  brevis  einen  kleinen  oben  eingedrückten 
Knopf  trägt  und  welcher  auf  einer  im  Handgriffe  angebrachten,  leicht  nach- 
gebenden Spiralfeder  ruht.  Das  Instrument  wird  unter  Leitung  des  Auges 
parallel  mit  der  hinteren-oberen  Gehörgangswand  gegen  den  kurzen  Fortsatz 
eingeführt  und,  nachdem  der  Knopf  auf  diesem  gut  fixirt  ist,  ein  bis  zwei 
bis  zehnmal  hintereinander  in  stempelartige  Bewegungen  versetzt.  Der  Erfolg 
dieser  oft  sehr  empfindlichen  Massage  ist  stets  nur  ein  vorübergehender,  d.  h. 
es  tritt  zuweilen  eine  Zeit  lang  eine  gewisse  Erleichterung  ein;  leider  folgt 
auf  dieselbe  recht  oft  eine  ganz  entschiedene  Verschlechterung,  so  dass  diese 
Behandlung  im  allgemeinen  nicht  empfehlenswert  erscheint;  und  ganz  ent- 
schieden ist  die  Anwendung  der  Drucksonde  in  älteren  Fällen,  in  welchen 
ein  höherer  Grad  von  Brüchigkeit  der  Paukenhöhlenauskleidung  angenommen 
werden  muss,    mit  Rücksicht  auf  die  Gefahr  einer  Verletzung  zu  vermeiden. 

Weniger  bedenklich  ist  eine  andere  Form  der  Massage,  die  Tragus- 
presse,  welche  von  Hommel  herrührt.  Das  Verfahren  besteht  in  rhyth- 
misch aufeinander  folgendem  luftdichtem  Einpressen  und  Freilassen  des 
Tragus,  wodurch  gleichmässig  abwechselnde  Luftverdichtungen  und  -Verdün- 
nungen im  Gehörgange  entstehen.  Die  Presse  soll  bei  täglich  ein  bis  vier  bis 
sechsmaliger  Anwendung  ungefähr  120  bis  löOmal  in  der  Minute  wiederholt 
und  jedesmal  auf  ein  bis  zwei  Minuten  Dauer  ausgedehnt  werden.  Sie  führt 
bei  nicht  veralteter  Sklerose,  mitunter  in  Fällen,  in  welchen  die  Luftdouche 
erfolglos  blieb,  eine  merkbare  subjective  Erleichterung  und  eine  messbare 
Hörverbesserung  herbei  und  wirkt  niemals  nachtheilig,  w^eshalb  sie,  zumal  bei 
Patienten,  bei  welchen  sich  die  Anwendung  des  Katheters  aus  irgend  einem 
Grunde  verbietet,  unbedenklich  empfohlen  werden  kann.  In  den  letzten  Jah- 
ren sind  ferner  noch  verschiedene,  zum  Theil  recht  complicirte  Apparate  für 
die  regelmässig  abwechselnde  Verdichtung  und  Verdünnung  der  Luft  im  Ge- 
hörgange angegeben  worden.  Sie  alle  bezwecken  eine  Vibrationsmassage 
des  Trommelfelles.  Die  Apparate  von  Wegener  und  Breitung  sind,  nament- 
lich, wenn  sie  mit  Elektromotor  getrieben  werden  und  dabei  gleichmässige 
und  sehr  schnelle  Vibrationen  ermöglichen,  nach  meinen  Erfahrungen  in  nicht 
zu  veralteten  Fällen  von  Sclerose  und  mit  Vorsicht  augewendet,  nicht  selten 
auch  da  von  Nutzen,  wo  der  Katheterismus  erfolglos  oder  contraindicirt  ist. 
Zuvor  wird  auch  mit  Hilfe  der  Vibrationsmassage  die  Hörfähigkeit  fast  nie- 
mals gebessert,  allein  die  subjectiven  Geräusche  und  das  so  oft  vorhandene 
Druckgefühl  werden  sehr  häufig  —  zuweilen  auf  längere  Dauer  —  ganz  er- 
heblich gemildert.  Diese  Behandlungsweise  kann  daher  als  eine  wesentliche 
Bereicherung  unserer  therapeutischen  Methoden  bezeichnet  w^erden. 

Die  Bestrebungen,  die  traurigen  Folgen  der  Sklerose  und  namentlich 
die  Ankylose  der  Gelenke  auf  operativem  Wege  zu  beseitigen,  sind  bis- 
her nur  wenig  glücklich  ausgefallen.  In  Fällen,  in  welchen  nur  das  Hammer- 

28* 


436  OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA. 

Ambossgelenk  unbeweglich  ist,  kann  die  zuerst  von  Kessel  empfohlene 
Excision  des  Trommelfelles  mit  dem  Hammer  Abhilfe  schaffen. 
Die  subjectiven  Geräusche  werden  dadurch  wohl  selten  verschlimmert,  oft 
vermindert,  zuweilen  dauernd  beseitigt;  das  Gehör  erfährt  mitunter  eine  Besse- 
rung. Doch  scheitert  der  temporär  nicht  selten  augenfällige  Erfolg  oft  an 
der  grossen  Kegenerationsfähigkeit  des  Trommelfelles.  Bei  bestehender  Stapes- 
synostose  ist  in  neuerer  Zeit,  gleichfalls  zuerst  von  Kessel,  der  Steigbügel 
extrahirt  worden,  theils  mit,  theils,  und  zwar  viel  öfter,  ohne  Erfolg.  Jeden- 
falls haben  diese  Operationen,  über  welche  an  anderer  Stelle  nachzulesen  ist, 
nur  dann  einen  Zweck,  wenn  die  vorausgeschickte  Paracentese  Besserung 
schafft  und  das  Labyrinth  nach  den  Ergebnissen  der  Hörprüfung  als  intact 
angenommen  werden  darf;  denn  die  Eingriffe  sollen  durch  die  Beseitigung 
des  untauglichen  Leitungsapparates  den  Schallwellen  einen  directen  Zugang 
zum  Labyrinthe  schaffen.  In  solchen  Fällen  mag  auch  die  jetzt  in  Frank- 
reich vielfach  geübte  Mobilisirung  des  Steigbügels  mit  Hilfe  einer 
Sonde  versucht  werden;  sie  ist  jedenfalls  weniger  schwierig  und  weniger  ge- 
fährlich als  die  Excision  des  Knöchelchens,  welcher  leicht  eine  eitrige  Menin- 
gitis folgen  kann.  Es  ist  mit  Zuversicht  zu  hoffen,  dass  in  der  Zukunft 
Operationsmethoden  werden  erfunden  werden,  welche  die  Krankheit  wirksamer 
bekämpfen  als  die  bisher  geübten. 

Ist,  wie  aus  dem  Gesagten  hervorgeht,  die  locale  Therapie  der  Sklerose 
meistens  ohnmächtig  und  erscheint  sie  in  vielen  Fällen  sogar  schädlich,  so 
wird  man  umso  eher  versuchen  müssen,  durch  eine  vernünftige  Allgemein- 
behandlung günstig  auf  den  Krankheitsprocess  einzuwirken.  Vor  allem 
ist  dafür  Sorge  zu  tragen,  dass  der  schallempfindende  Apparat,  welcher  so 
häufig  in  Mitleidenschaft  gezogen  wird,  möglichst  geschont  werde.  Der  Kranke 
hat  daher  laute  und  anhaltende  Geräusche,  sowie  fortgesetztes  angestrengtes 
Lauschen,  welches  eine  Uebermüdung  des  Gehörnerven  herbeiführen  kann, 
zu  vermeiden,  hat  sich  vor  übermässigem  Genuss  von  Tabak  und  Alkohol, 
vor  psychischen  und  nervösen  Aufregungen,  namentlich  auch  vor  sexuellen 
Excessen  zu  hüten.  Besteht  Anämie  oder  eine  andere  Constitutionsanomalie, 
so  muss  zunächst  gegen  diese  zu  Felde  gezogen  werden,  und  hierdurch  wird 
man  in  der  Regel  den  merkbarsten  Nutzen  stiften.  Die  Verdauung  ist  zu 
regeln,  für  warme  Füsse  Sorge  zu  tragen,  Beschäftigungen,  welche  anhalten- 
des Bücken  erfordern,  müssen  thunlichst  beschränkt  werden.  Sehr  zu  warnen 
ist  vor  kalten  Douchen  und  Bädern,  namentlich  vor  Seebädern;  sie  schaden 
fast  stets,  und  vielen  Sklerotikern  bekommt  selbst  der  Aufenthalt  an  der  See 
schlecht.  Patienten,  welche  häufig  an  Katarrhen  erkranken,  werden  unter 
Umständen,  mit  Rücksicht  auf  die  dem  Ohre  daraus  erwachsenden  Gefahren, 
für  die  rauhe  Jahreszeit  in  südlichere  Gegenden  geschickt  werden  müssen. 
Will  man  einen  Cur  ort  empfehlen,  so  kommen  Ems,  Kissingen,  Karlsbad  und 
die  mittelhoch  gelegenen  Gebirgs-Sommerfrischen  (im  Harz  Schierke,  Braun- 
lage, St.  Andreasberg,  in  Thüringen  Oberhof,  Neuhaus  am  Rennweg  u.  a., 
in  den  süddeutschen  Bergländern  eine  grosse  Anzahl  zu  beliebiger  Auswahl) 
in  Betracht.  Man  erreicht  dadurch  manchmal  wenigstens  einen  Stillstand  und 
eine  vorübergehende  Besserung  der  Geräusche.  büekner. 

Otitis  media  suppurativa,  Eitrige  Mittelohrentzündung.  (Synomjm; 
Otitis  media  perforativa.,  Eitriger  Mittelohr katarrh.) 

Die  Mittelohrentzündungen  gehören  zu  den  ernstesten  Krankheiten  des 
Gehörorganes  nicht  allein  ihrer  Häufigkeit  und  ihrer  intensiven,  subjectiven 
Beschwerden  wegen,  sondern  auch  infolge  der  nicht  seltenen  Ausdehnung 
des  Processes  auf  Nachbarorgane  und  ganz  besonders  in  Anbetracht  der  Ge- 
fahren, welche  sie  für  Gesundheit  und  Leben  des  Betroffenen  in  sich  bergen. 


OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA.  437 

Aetiologie.  Die  Otitis  media  suppurativa  ist  gekennzeichnet  durch 
Hyperämie  und  eitrige  Exsudation  in  der  Paukenhöhle  mit  Perforation  des 
Trommelfelles.  Sie  kann  acut  und  chronisch  verlaufen  und  entsteht  am 
häufigsten  bei  Constitutionsanomalien,  wie  Scrophulose,  Pthachitis, 
sowie  bei  chronischen  und  acuten  Nasen-  und  P^achenaff ectionen,  bei 
Bronchitis  und  Pneumonie,  bei  acuten  Inf ectionskrankheiten, 
wie  Scharlach,  Masern,  Diphtherie,  Typhus,  Influenza,  Keuchhusten.  PJine 
grosse  Zahl  von  Erkrankungen  kommt  ferner  zustande  unter  der  Ein- 
wirkung von  Kälte  und  Nässe,  z.  B.  beim  Eindringen  von  Wasser  ins 
Ohr  beim  Waschen  und  Baden;  und  besonders  schwere  Entzündungsformen 
werden  durch  das  Eintreiben  von  Flüssigkeit  durch  die  Tuben  bei  fehler- 
hafter Anwendung  der  Nasendouche  hervorgerufen.  Nach  der  Veranstal- 
tung von  Bähungen  und  der  Auflegung  von  heissen  Breiumschlägen 
wird  gleichfalls  eine  Otitis  media  suppurativa  nicht  selten  beobachtet,  und 
zwar  kann  sie  sich  in  solchen  Fällen  rasch  aus  einem  einfachen  Pauken- 
höhlenkatarrh entwickeln,  wie  denn  überhaupt  diese  leichtere  Erkrankungs- 
form unter  ungünstigen  Umständen  sich  oft  in  die  eitrige  verwandelt.  Das 
auffallend  häufige  Vorkommen  der  Otitis  media  bei  Neugeborenen  kommt 
anscheinend  durch  Störungen  bei  der  Rückbildung  das  von  der  Labyrinth- 
wand ausgehenden  Gallertgewebes  (v.  Teöltsch)  zustande,  welches  die 
Paukenhöhle  des  Fötus  polsterartig  ausfüllt.  Aber  hier  wie  bei  den  durch 
Krankheiten  und  durch  acute  Veranlassungen  hervorgerufenen  Entzündungen 
des  Mittelohres  dürfte  die  eigentliche  Krankheitsursache  zum  mindesten  sehr 
häufig  in  einer  Infection  zu  suchen  sein.  Wenigstens  werden  Mikroorga- 
nismen im  eitrigen  Secrete  der  Paukenhöhle  fast  niemals  vermisst,  und 
zwar  kommen  besonders  häufig  ausser  den  pyogenen  Staphylococcen  und  Strepto- 
coccen der  FßiEDLÄNDER'sche  Pneumoniebacillus  und  der  Diplococcus  pneu- 
moniae (FeInkel-Weichselbaum)  vor.  Nicht  selten  finden  sich  mehrere  dieser 
Mikroorganismen  neben  einander,  und  Zaufal  hat  beobachtet,  dass  im  Ver- 
laufe einer  Eiterung  ein  Mikroparasit  durch  einen  anderen  verdrängt  wer- 
den kann. 

Das  Eindringen  dieser  Infectionsträger  kann  sowohl  auf  dem  Wege  der 
Blutbahn  als  auch  durch  die  Tube,  z.  B.  beim  Schneuzen,  bei  der  Luftdouche, 
oder  durch  das  perforirte  Trommelfell  vom  Gehörgange  aus,  wie  bei  der 
Paracentese,  bei  rohen  Extractionsversuchen  bei  Fremdkörpern  und  ähnlichen 
Verletzungen,  erfolgen.  Ueber  die  pathogene  Bedeutung  der  verschiedenen 
Mikroorganismen  herrscht  noch  viel  Unklarheit.  Jedenfalls  kann  man  als 
sicher  annehmen,  dass  ihre  blosse  Einwanderung  in  das  Mittelohr  zur  Er- 
zeugung der  Otitis  nicht  genügt,  wie  schon  aus  der  Thatsache  hervorgeht, 
dass  diese  Bacterien  auch  in  dem  Secret  der  gesunden  Paukenhöhle  gefunden 
worden  sind.  Ob  es  gelingen  wird,  aus  dem  Vorhandensein  eines  bestimmten 
Mikroorganismus  auf  eine  bestimmte  Form  der  Entzündung  zu  schliessen, 
erscheint  zunächst  noch  zweifelhaft;  doch  hat  man  Grund  zu  der  Annahme, 
dass  einzelne  Infectionsträger,  wie  namentlich  die  Streptococcen,  besonders 
heftige  Otitisformen  erzeugen  können. 

I.  Otitis  media  suppurativa  acuta. 

Pathologische  Anatomie.  Die  Schleimhaut  der  Paukenhöhle  zeigt 
Hyperämie  und  Schwellung  durch  seröse  und  zellige  Infiltration 
entweder  an  einzelnen  Abschnitten  oder  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung.  Die 
Dickenzunahme  der  Mucosa  kann  so  beträchtlich  sein,  dass  der  ganze  Hohl- 
raum durch  eine  lockere,  succulente  Masse  ausgefüllt  ist,  in  welche  die  Gehör- 
knöchelchen vollständig  eingehüllt  sind.  Hyperämie  und  Schwellung  erstreckt 
sich  oft  auch  auf  die  angrenzenden  Wände  des  Gehörganges,  auf  die  Tube, 
den  Warzenfortsatz,  das  Labyrinth.    Das  Exsudat   ist   vorwiegend   eiterig, 


438  •  OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA. 

im  Beginn  auch  oft  hämorrhagisch;  stets  enthält  es  einzelne  Blutkörperchen 
und  zahlreiche  Epithelzellen  in  verschiedenen  Degenerationsstadien.  Einzelne 
Stellen  der  Paukenhöhlenauskleidung  werden  nicht  selten  nekrotisch,  in 
welchem  Falle  der  Process  auch  auf  den  Knochen  übergehen  kann. 

"Während  diese  Erscheinungen  mit  Ausnahme  der  Nekrose  in  ähnlicher 
Weise,  wenn  auch  minder  intensiv,  beim  acuten  Mittelohrkatarrh  vorkommen, 
ist  für  die  eitrige  Entzündung  ein  charakteristisches  Zeichen  die  in  der 
Regel  schon  frühzBitig  eintretende  Perforation  des  Trommelfelles. 
Der  Gewebszerfall,  welcher  zu  dieser  Defectbildung  führt,  entsteht  durch  eine 
Auflockerung  und  Ulceration  der  Weichtheile  und  durch  den  vom  angesam- 
melten Exsudate  auf  die  Membran  ausgeübten  Druck. 

Subjective  Symptome.  Die  ersten  Erscheinungen  sind  meist  stür- 
misch, wiewohl  nicht  immer  direct  vom  Ohre  ausgehend,  sondern  zuweilen 
sehr  unbestimmter  Art,  etwa  wie  in  dem  Prodromalstadium  einer  acuten  In- 
fectionskrankheit:  Allgemeines  Uebelbefinden,  Kopfweh,  Schwindel, 
Erbrechen  leitet  die  Otitis  häufig  ein,  bevor  ausgesprochene  Symptome 
am  Ohre  auftreten.  Fieber  fehlt  fast  niemals,  und  bei  kleinen  Kindern  ist 
es  oft  das  einzige  Symptom,  dessen  Deutung  bei  Unterlassung  der  Otoskopie 
natürlich  unmöglich  ist.  Entwickelt  die  Ohrentzündung  sich  im  Verlaufe 
einer  acuten  Infectionskrankheit,  so  zeigt  sich  ein  durch  die  letztere  entweder 
verdecktes  oder,  wenn  die  durch  sie  bedingte  Temperatursteigerung  bereits 
vermindert  war,  nicht  erklärtes  erneutes  Ansteigen  der  Körperwärme.  Schüttel- 
fröste sind  nicht  selten,  Temperaturen  von  39 — 40°  gewöhnlich,  bis  über 
41*  wiederholt  beobachtet  worden.  Morgenremissionen  und  abendliche  Ex- 
acerbationen sind  meist  nachweisbar,  ein  steiler  Abfall  der  Curve  tritt  erst 
ein,  wenn  der  Eiter  den  Ausweg  aus  dem  Mittelohre  gefunden  hat;  aber  auch 
nach  dem  Entstehen  der  Perforation  fällt  die  Temperatur  nicht  immer  sofort 
auf  die  Norm,  sondern  es  besteht  unter  unregelmässigen  Schwankungen  noch 
Fieber  fort,  und  eine  Entfieberung  in  geradezu  lytischer  Form  ist  nicht  so 
selten. 

Das  Fieber  ist  fast  stets  begleitet  von  Sopor  und  Delirien;  aber 
auch  andere,  eigentliche  cerebrale  Erscheinungen,  wie  F'lockenlesen, 
Pupillenstarre,  Nackensteifigkeit,  Convulsionen,  kommen  häufig 
vor,  was  bei  den  anatomischen  Verhältnissen  nicht  verwundern  kann.  Die 
bei  Kindern  durch  die  fossa  subarcuata  und  die  fissura  petroso-squamosa  regel- 
mässig eine  Verbindung  zwischen  Dura  und  Paukenhöhlenschleimhaut  her- 
stellenden Bindegewebszüge  müssen  für  das  Auftreten  der  Hirnreizungs- 
erscheinungen und  für  die  nicht  seltene  Fortleitung  des  Entzündungsprocesses 
in  erster  Linie  verantwortlich  gemacht  werden.  Auch  Dehiscenzen  im  tegmen 
tympani  können  dieselbe  Eolle  spielen.  Da  auch  der  Facialcanal  oberhalb 
des  ovalen  Fensters  und  an  anderen  Stellen  seines  Verlaufes  um  die  Pauken- 
höhle oft  nur  durch  Bindegewebe  geschlossen  ist,  so  kommt  durch  Druck 
der  Schleimhaut  oder  des  Exsudates  auf  den  Nerven  nicht  selten  eine 
Facialislähmung  zu  Stande. 

Unter  den  localen  Symptomen  tritt  der  Schmerz  entschieden  in  den 
Vordergrund.  Er  ist  meist  äusserst  heftig,  bohrend,  stechend,  reissend  und 
strahlt  mehr  oder  weniger  über  die  ganze  Kopfseite,  über  Hals  und  Nacken 
und  gegen  den  Schlund  aus.  Auch  der  Processus  mastoideus  ist  fast  regel- 
mässig mindestens  druckempfindlich,  oft  spontan  schmerzhaft.  Bewegungen, 
des  Kopfes,  Schlucken,  Niesen,  Husten,  besonders  Schneuzen  steigern  die 
Schmerzen,  welche  ihren  höchsten  Grad  in  der  Nacht  zu  erreichen  pflegen. 
Schwankungen  in  der  Intensität  der  Schmerzempfindung  sind  häufig  und  fallen 
oft  mit  den  Remissionen  und  Exacerbationen  der  Temperatur  zusammen,  am 
auffallendsten  nach  der  Eröffnung  der  Paukenhöhle.  Bei  Kindern  und  hoch- 
gradig fiebernden  Kranken,   welche  über  ihre  Beschwerden  nicht   Aufschluss- 


OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA.  439 

ZU  geben  vermögen,  äussert  sich  der  Schmerz  in  einer  besonderen  Unruhe, 
welche  bei  Säuglingen  in  der  Form  eines  charakteristischen  Hin-  und  Her- 
scheuerns  des  Kopfes  auf  dem  Kissen  anzunehmen  pflegt. 

Druckgefühl  im  Ohre  und  Eingenommensein  des  Kopfes 
fehlen  fast  nie,  treten  aber  gegen  die  Schmerzen  zurück.  Subjective  Ge- 
räusche stellen  sich  meist  schon  im  Beginn  der  Krankheit  ein;  sie  sind 
continuirlich  und  in  der  Regel  von  pulsirendem  Charakter,  wenigstens  so 
lange  das  Trommelfell  noch  nicht  perforirt  ist;  später  können  sie  diesen 
Rhythmus  verlieren.  Das  Sausen  ist  oft  dasjenige  Symptom,  welches  am 
längsten  fortbesteht. 

Schwerhörigkeit  ist  stets  nachweisbar,  wenn  der  Kranke  auch  nicht 
immer  darüber  klagt.  In  ihrer  Intensität  ist  sie  im  wesentlichen  vom 
Schwellungsgrade  und  der  Secretmenge  in  der  Paukenhöhle  abhängig  und 
daher  mannigfachen  Schwankungen  unterworfen.  Doch  kann  bekanntlich  auch 
das  Fieber  sehr  erheblich  auf  die  Hörfunction  einwirken,  und  wenn  eine 
Allgemeinkrankheit  besteht,  welche  innerlich  behandelt  wird,  so  muss  man 
an  die  Möglichkeit  denken,  dass  das  verordnete  Heilmittel  (Chinin,  Salicyl- 
säure,  Antipyrin)  das  Gehör  herabsetzen  kann.  Dauernde  hochgradige  Schwer- 
hörigkeit muss  den  Verdacht  auf  eine  Betheiligung  des  Labyrinths  erwecken. 

Objective  Symptome.  Ausser  den  erwähnten,  zum  Theil  auch  ob- 
jectiv  nachweisbaren  Störungen  des  Allgemeinbefindens,  welche  für  die  Dia- 
gnose mit  zu  verwerten  sind,  kommen  sehr  beträchtliche  locale  Verände- 
rungen in  Betracht,  und  die  Feststellung  der  letzteren  durch  die  Untersuchung 
mit  dem  Ohrspiegel  gibt  regelmässig  und,  wenn  wir  von  den  Säuglingen  ab- 
sehen, ohne  Schwierigkeiten  die  Erklärung  für  jene.  Wenn  jeder  praktische 
Arzt  im  Stande  wäre  und  sich  der  Mühe  unterziehen  wollte,  in  jedem  Falle 
von  fieberhafter  Erkrankung  das  Gehörorgan  in  den  Bereich  der  Untersuchung 
zu  ziehen,  so  würden  in  einer  überraschend  grossen  Zahl  von  Fällen  Ohr- 
affectionen  bemerkt  und,  was  für  die  Prognose  von  grösster  Bedeutung  ist, 
frühzeitig  behandelt  werden.  Leider  bleibt  aber  gerade  die  Otitis  media 
suppurativa  acuta  nur  allzu  oft  unbemerkt  und  selbst  ungeahnt,  bis  schliess- 
lich der  aus  dem  Ohre  ausfliessende  Eiter  ihr  Vorhandensein  verkündet  und 
die  Erklärung  für  die  stürmischen  Allgemeinerscheinungen  liefert,  vor  welchen 
der  Arzt  rathlos  gestanden  hat.  Und  wie  viele  Fälle  von  Mittelohrentzündung, 
in  welchen  nicht  einmal  dem  eitrigen  Ausflusse  Beachtung  geschenkt  wurde, 
mögen  als  Erkrankungen  an  Typhus  oder  Meningitis  angesehen  werden!  Die 
erste  Veränderung,  welche  am  Trommelfelle,  wenn  man  es  ganz  im  Be- 
ginn der  Krankheit  betrachtet,  zum  Vorschein  kommt,  ist  Injection  der 
Gefässe,  welche  sich  mitunter  mit  erstaunlicher  Geschwindigkeit  entwickelt, 
indem  zunächst  nur  die  Hauptgefässstämme  am  Hammergriffe  deutlich  roth 
erscheinen,  nach  wenigen  Stunden  aber  von  diesen  aus  in  der  oberen  Hälfte 
der  Membran  parallel  zu  einander  und  senkrecht  zum  Manubrium,  in  der 
unteren  Hälfte  radiär  zum  Umbo  verlaufend,  eine  ganze  Anzahl  von  Aeder- 
chen  ein  dichtes  Netz  auf  dem  blaugrau  oder  violett  verfärbten  Grunde 
bilden.  Der  Hammergriff  selbst  verschwindet  sehr  bald  unter  dieser  Hyper- 
ämie, zu  welcher  sich  rasch  eine  beträchtliche  Schwellung  gesellt,  so  dass 
auch  der  bis  dahin  noch  sichtbare  kurze  Fortsatz  nicht  mehr  hervorragt.  Noch 
vor  Ablauf  der  ersten  24  Stunden  bildet  das  Trommelfell  eine  gleichmässig 
blaurothe  und  glanzlose  Membran,  auf  welcher  sich  ausser  einigen  dickeren 
Gefässen  nichts  differenzirt,  und  welche  auch  ihre  Trichterform  eingebüsst  hat. 
Unter  einer  serösen  Durchfeuchtung  und  einer  theilweiseu  Abhebung 
des  Epidermisüberzuges  wölbt  sich  das  Trommelfell  allmählich  nach  aussen 
und  ist  nun,  meist  schon  am  zweiten  Tage,  einem  blaurothen  Tumor  mit 
zahlreichen  kleinen  Lichtpunkten  und  landkartenähnlichen  weissen  Zeich- 
nungen,   den    umgerollten   Rändern    der    stehengebliebenen  Epidermisinseln, 


440  OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA. 

ähnlich.  Noch  scheckiger  wird  das  Bild,  wenn  durch  die  Entstehung  von 
Ecchymosen  auch  hellrothe  Flecken  auf  der  Membran  gebildet  werden,  und 
w^enn  auf  einer  meist  besonders  stark  vorspringenden,  mehr  gelbrothen  Stelle 
ein  weissgelber,  pustelartiger  Fleck  den  bevorstehenden  Durchbruch  des  Eiters 
anzeigt. 

In  manchen  Fällen  erscheint  das  Trommelfell  in  diesem  Stadium  auf- 
fallend klein,  weil  auch  der  tiefste  Theil  des  Gehörganges  an  der  Schwellung 
und  Röthung  theilnimmt  und  dadurch  die  Grenzen  zwischen  der  Membran 
und  ihrer  Umrahmung  verwischt  werden.  Zuweilen  bewirkt  auch  das  Ex- 
sudat, nachdem  es  den  oberen  Rand  der  Membrana  flaccida  abgehoben  hat  und 
zwischen  Haut  und  Periost  der  oberen  Wand  eingedrungen  ist,  eine  um- 
schriebene stärkere  Vorwölbung  über  dem  Trommelfelle,  welche  das  Bild 
natürlich  noch  mehr  einengen  muss. 

Der  Durchbruch  des  Eiters  erfolgt  meist  zwischen  dem  zweiten 
und  fünften  Tage,  im  Durchschnitt  am  dritten,  zuweilen  aber  schon  am  ersten, 
selten  erst  nach  dem  fünften  Tage.  Ausser  der  fast  stets  bedeutenden  Besse- 
rung des  Allgemeinbefindens  zeigt  sich  nun  auch  das  Trommelfellbild  verändert. 
Es  tritt  schnell  eine  erhebliche  Abschwellung  ein,  wobei  sich  gleichzeitig 
die  Farbe  in  ein  helles  Rosa  umwandelt  und  grössere  Epidermisschollen  ab- 
gestossen  werden.  Die  wichtigste  Veränderung  wird  aber  durch  die  Per- 
foration selbst  bedingt.  Dieselbe  ist  in  den  ersten  Tagen,  so  lange  die 
Schwellung  und  Auflockerung  der  Weichtheile  noch  kein  eigentliches  Klaffen 
ihrer  Ränder  zulässt,  sehr  klein,  oft  kaum  grösser  als  ein  Nadelstich, 
nimmt  später  aber  in  der  Regel  die  Gestalt  einer  freien 
Oeffnung  an  (Fig.  1).  Der  Lieblingssitz  der  Perforation  ist 
der  vordere-untere  Quadrant,  demnächst  der  hintere-untere, 
seltener  der  hintere-obere,  am  seltensten  der  vordere-obere 
Quadrant  und  die  SnEAPNELL'sche  Membran.  Ist  der  Defect, 
was  ziemlich  häufig  vorkommt,  unsichtbar,  so  kann  sein  Vor- 
handensein doch  stets  aus  bestimmten  Anzeichen  erkannt 
werden.  In  manchen  Fällen  wird  man  nämlich  an  einer 
bestimmten  kleinen  Stelle  zu  Zeiten  etwas  Secret  hervor- 
geschwoiienes  from-     sickcm    seheu,    lu    audcrcn  erscheint  die  Gegend  der  Perfo- 

melfel   mit  kleiner  ..  ,  ,  .,  r       i       t        i.  i  jr-iii-i 

Perforation  (Otitis  ratiou  bcsouders  stark  aufgelockert  und  anders  gelarbt  als  ihre 
""^'^'''acüta)"'^^*'''^  Umgebung.  Augenfälliger  aber  ist  die  Erscheinung  des  pul- 
sirenden  Reflexes.  Wenn  nämlich  eine  auf  der  äusseren 
Fläche  des  Trommelfelles  liegende  Flüssigkeitsschicht,  gleichviel  ob  sie  vom 
Paukenhöhlensecret  oder  einer  eingespritzten  Lösung  herrührt,  durch  ein 
Löchelchen  mit  der  die  geschwollene  Paukenschleimhaut  bedeckenden  Flüssig- 
keit communicirt,  so  theilen  sich  die  auf  die  letztere  von  den  pulsireuden 
Mittelohrgefässen  übertragenen  Bewegungen  der  ersteren  so  regelmässig  mit, 
dass  man  an  ihren  rhythmischen  Verschiebungen  ohne  weiteres  die  Pulsfre- 
quenz nachzählen  kann.  Da  diese  Pulsation  einer  im  Gehörgange  befindlichen 
Flüssigkeit  fast  ausschliesslich  bei  einer  bestehenden  Trommelfellperforation 
beobachtet  wird,  so  kann  sie  als  ein  ziemlich  untrügliches  Zeichen  betrachtet 
werden,  dass  das  Trommelfell  defect  ist.  Unbedingt  sichergestellt  wird  die 
Diagnose  durch  das  Auftreten  des  charakteristischen  pfeifenden  Perforations- 
geräusches bei  der  Luftdouche,  welches  der  Patient  zuweilen  schon  selbst 
beim  Schneuzen  bemerkt  hat. 

Andere  Methoden  sind  für  den  Nachweis  einer  Perforation  entbehrlich, 
so  z.  B.  das  von  Politzer  empfohlene  Ausfüllen  des  Gehörganges  mit  einer 
Flüssigkeit  und  darauf  folgende  Luftdouche,  wobei  in  der  Flüssigkeit  Luft- 
blasen aufsteigen,  die  Einstäubung  von  Pulver  ins  Ohr,  welches  bei  einer 
Lufteinblasung  herausgeschleudert  wird  (Pins),  das  luftdichte  Einführen  eines 
Pfeifchens  in  den  Gehörgang  u.  a.  m. 


OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA.  441 

Für  die  Erkennung  einer  Perforation  ist  es  stets  von  ganz  besonderer 
Wichtigkeit,  dass  das  Trommelfell  von  den  ihm  anhaftenden  Epidermis- 
schollen  und  Secretschichten  sorgfältig  befreit  werde.  Dies  geschieht  am 
besten  durch  Abtupfen  mit  Watte  oder,  wo  dies  nicht  ausreicht,  durch  Aus- 
spülungen mit  einer  sterilisirten  Flüssigkeit.  Auch  was  von  letzterer  zurück- 
bleibt, muss  stets  mit  Wattetampons  entfernt  werden. 

Was  das  Secret  anbelangt,  so  ist  dasselbe  schleimig- eitrig,  von  gelb- 
licher Farbe,  anfangs  nicht  selten  blutig  tingirt,  ja  vorwiegend  serös-hämorrha- 
gisch.  Es  bildet  in  dem  aufgefangenen  Spritzwasser  eine  wolkige  Trübung 
oder,  wenn  es  reichlich  mit  Schleim  vermischt  ist,  flockige  Klumpen  oder 
langausgezogene  Fäden.  Zahlreiche  Epidermisschuppen  werden  mit  dem  Ex- 
sudate aus  dem  Ohre  herausgespült. 

Die  Eiterung  dauert  im  Mittel  etwa  drei  Wochen,  oft  wesentlich  weniger 
lange;  ist  sie  nach  etwa  fünf  Wochen  noch  vorhanden,  so  kann  es  zweifelhaft 
erscheinen,  ob  man  es  nicht  mit  einer  chronischen  Entzündung  zu  thun  hat. 
Andererseits  muss  man  an  die  Möglichkeit  einer  Complication  denken,  wenn 
schon  die  subjectiven  Beschwerden  nicht,  wie  es  Regel  ist,  in  den  auf  den 
Eiterdurchbruch  folgenden  Tagen  wesentlich  zurückgehen,  wenn  insbesondere 
die  Schmerzen  nur  wenig  vermindert  fortbestehen  und  die  Temperatur  an- 
dauernd hoch  bleibt  oder  nach  einem  afebrilen  Stadium  von  neuem  steil 
ansteigt. 

Nachdem  die  allmählich  spärlicher  gewordene  Eiterung  vollständig  auf- 
gehört hat,  schliesst  sich  die  Perforation  meist  sehr  rasch,  oft  binnen  24 
Stunden,  jedenfalls  bei  gesunden  Individuen  binnen  wenigen  Tagen.  Bei  sehr 
kleinen  Defecten  kommt  diese  Heilung  durch  einfaches  Aneinanderlegen  der 
Wundränder  zustande,  so  dass  nachher  nichts  mehr  von  der  stattgehabten 
Continuitätstrennung  zu  bemerken  ist,  bei  grösseren  Perforationen  aber  kommt 
es  zur  Bildung  einer  Narbe.  Dieselbe  ist  ebenso  scharf  begrenzt,  wie  es 
vorher  der  Sub stanz verlust  war,  und  ist  als  dünnere  Stelle  —  es  fehlt  ihr 
die  membrana  propria  —  genau  zu  erkennen.  Fast  regelmässig  bleiben 
ausserdem  weissliche,  fleckige  oder  diffuse  Trübungen  oder  scharf  umschrie- 
bene, grell  weisse  Verkalkungen  zurück. 

Prognose.  Falls  eine  geeignete  Behandlung  rechtzeitig  eingeleitet 
wird,  der  Kranke  von  gesunder  Constitution  ist  und  der  Verlauf  ein  durch- 
aus ungestörter  blieb,  so  ist  die  Prognose  der  Otitis  media  suppurativa  acuta 
als  günstig  zu  bezeichnen.  Ungünstige  Umstände  sind  Scrophulose  und 
Tuberkulose,  Syphilis,  schlechte  Ernährungsverhältnisse.  Mit  grosser  Vor- 
sicht ist  die  Prognose  auch  zu  stellen,  wenn  als  Ursache  der  Ohrafi'ection 
Scharlach,  Diphtherie,  Typhus  und  Influenza  angesehen  werden  muss,  da 
diese  Krankheiten  oft  zu  schweren  Complicationen  und  zu  einem  chronischen 
Verlaufe  führen.  Ebenso  ist  das  Auftreten  von  Strepto-  und  Pneumococcen 
verdächtig.  Jede  erheblichere  Abweichung  vom  typischen  Krankheitsbilde, 
insbesondere  die  längere  Dauer  des  ersten,  nicht  perforativen  Stadiums,  die 
Hartnäckigkeit  der  subjectiven  Beschwerden,  der  Hirnerscheinungen,  eine 
anhaltende  Schmerzhaftigkeit  am  Warzenfortsatze,  plötzliches  Aufhören  der 
vorher  abundanten  Eiterung  mit  folgender  Temperatursteigerung,  müssen  als 
suspect  betrachtet  werden,  wenngleich  auch  in  solchen  Fällen  meist  noch 
Heilung  erfolgt.  Exitus  letalis  durch  Pyämie  und  Sinusthrombose,  Menin- 
gitis oder  Hirnabscess  kommen  seltener  vor,  als  bei  der  chronischen  Form 
der  Entzündung.  Wenngleich  die  Gefahr,  dass  eine  dieser  Folge- 
krankheiten sich  entwickeln  kann,  nicht  so  naheliegt,  so  ist 
sie  doch  in  keinem  Falle,  so  lange  Eiterung  besteht,  aus- 
geschlossen. 


442  OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA. 

Die  im  Verlaufe  der  acuten  Mittelohrentzündung  zuweilen  auftretende 
Facialisparalyse  heilt  meist,  zuweilen  sogar  ohne  directe  Behandlung,  mit  fort- 
schreitender Besserung  des  Ohres. 

Behandlung.  Die  erste  Anforderung,  welche  in  frischen  Fällen  an 
die  Therapie  gestellt  wird,  bezieht  sich  in  der  Regel  auf  die  Beseitigung  der 
Schmerzen.  Zu  diesem  Zwecke  empfehlen  sich  Blutegel  (je  2 — 3  vor  den 
Tragus  und  auf  den  Processus  mastoideus  gesetzt),  Eiswassercompressen, 
Eisbeutel  oder  LEiTEß'sche  Kühlröhren.  Die  letzteren  werden  von  den 
meisten  Patienten  allem  Anderen  vorgezogen.  Einträufelungen  von  narko- 
tischen Mitteln,  wie  Morphin,  sind  zu  vermeiden,  weil  sie  die  Gehörgangs- 
haut leicht  reizen;  man  erreicht  mit  sterilisirtem,  reichlich  lauwarmem  Wasser 
und  mit  erwärmtem  Thymolöl  (0'5:25"0)  oft  eine  vorübergehende  Linderung, 
bei  sehr  intensiven  Schmerzen,  welche  am  besten  mit  subcutanen  Morphin- 
Injectionen  bekämpft  werden,  kann  man  Atropinlösungen  (0-05'.25*0) 
einträufeln,  muss  aber  dafür  sorgen,  dass  diese  Flüssigkeit,  wenn  sie  5 — 10 
Minuten  im  Ohre  verweilt  hat,  wieder  ausgetupft  wird,  weil  sonst  leicht 
Furunkel  entstehen.  Carbolglycerin  (Bendelack-Hewetson)  zu  10— 207o 
wirkt  zuweilen  stark  irritirend,  Cocain  ganz  unzuverlässig.  Bähungen 
und  Breiumschläge  aller  Art  werden  von  praktischen  Aerzten  leider 
noch  oft  verordnet  oder  vom  Kranken  aus  eigener  Weisheit  angewandt;  sie 
sind  aber,  obwohl  sie  subjectiv  erleichternd  wirken  und  den  Eiterdurchbruch 
befördern,  unbedingt  zu  verwerfen,  weil  sie  zu  einer  ausgedehnten  Maceration 
des  Trommelfelles  führen  können.  Hingegen  sind  PEiESSNiTz'sche  Um- 
schläge mit  sterilisirten  Flüssigkeiten  oder  essigsaurer  Thonerde,  welche 
von  manchen  Patienten  den  kalten  Umschlägen  vorgezogen  werden,  nicht 
schädlich.  Schmerzen  am  Warzenfortsatze  werden  durch  einen  ausgiebigen 
Jodanstrich  zuweilen  rasch  beseitigt. 

Zweckmässig  ist  es,  gleich  im  Anfang  eine  kräftige  Ableitung  auf 
den  Darm  (Calomel)  herbeizuführen  und  bei  heftigen  Allgemeinerscheinungen 
Bromkalium  oder  Chloralhydrat,  bei  hohem  Fieber  Äntifebrin  (nicht 
aber  Chinin,  Salicylsäure  oder  Antipyrin)  zu  verordnen.  Bestehen  schwere 
Hirnsymptome,  so  bewähren  sich  die  von  Schw^artze  empfohlenen  Einreibungen 
von  Unguentum  cinereum  und  subcutane  Sublimatinj  ectionen. 
Der  Kranke  hat  das  Bett  zu  hüten  und  ist  auf  Fieberdiät  zu  setzen;  das 
kranke  Ohr  wird  mit  Wundwatte  oder  sterilisirter  Gaze  verstopft;  regel- 
mässige Temperaturmessungen  müssen  mindestens  zweimal  täglich  vorgenom- 
men werden,  weil  sie  für  den  Verlauf  maassgebend  sind. 

Sobald  die  Anwesenheit  von  Eiter  in  den  Mittelohrräumen  festgestellt 
ist,  darf  mit  der  Paracentese  nicht  gezögert  werden,  welche  hier  gerade- 
zu eine  indicatio  vitalis  erfüllen  kann.  Der  Einschnitt  wird  an  der  typischen 
Stelle  im  hinteren-unteren  Quadranten  angelegt  und  muss  ziemlich  gross,  min- 
destens 3  mm  lang  sein,  weil  sonst  leicht  Verklebung  mit  Eiterretention  ein- 
tritt. Bei  ungenügender  Sicherheit  dringt  das  Messer  zuweilen  nicht  durch 
alle  Schichten  des  sehr  stark  geschwollenen  Trommelfelles,  so  dass  der  Ein- 
griff sofort  wiederholt  werden  muss.  Man  sei  daher  nicht  allzu  ängstlich 
und  lasse  es  darauf  ankommen,  ob  bei  dem  erforderlichen  tiefen  Eingehen 
mit  dem  Instrumente  die  innere  Paukenhöhlenwand  etwa  angeritzt  wird;  die 
erhebliche  Vorwölbung  der  Membran  lässt  es  dazu  nicht  so  leicht  kommen. 
Die  bei  der  Operation  eintretende  Blutung  ist  selten  nennenswert,  wenn 
schon  zuweilen  grösser  als  beim  einfachen  Katarrh.  Die  Schmerzen,  welche 
der  Schnitt  verursacht,  sind  mitunter  äusserst  heftig,  weshalb  bei  den  durch 
das  allgemeine  Uebelbefinden  schon  geschwächten  Patienten  nicht  selten  ein 
Ohnmachtsanfall  folgt. 

Die  Luft dou che  ist  für  die  Herausbeförderung  des  Exsudates  bei  ge- 
nügend lang  angelegter  Incision  entbehrlich,   kann  aber  bei  vorübergehender 


OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA.  443 

Eiterstöckung  durch  Verklebung  einer  kleinen  Perforation  sehr  entschieden 
schmerzstillend  wirken,  und  es  lässt  sich  in  derartigen  Fällen  mitunter  durch 
die  Temperaturmessung  feststellen,  dass  die  Einblasung  auch  direct  eine 
Herabsetzung  des  Fiebers  zur  Folge  haben  kann.  Im  Allgemeinen  ist  es  frei- 
lich rathsam,  die  Luftdouche  gänzlich  zu  unterlassen. 

Wenn  der  Eiter  dünnflüssig  und  spärlich  ist,  so  ist  es  zweckmässig, 
unmittelbar  nach  der  Operation  mit  Hilfe  einer  Sonde  oder  Pincette  einen 
etwa  10  cm  langen,  1cm  breiten  Streifen  von  sterilisirter  Gaze  bis  an  das 
Trommelfell  einzuführen  und  12 — 24  Stunden  liegen  zu  lassen,  um  ihn  dann 
zu  erneuern  —  stets  die  schonendste  und  zweckmässigste  Behandluiigsweise 
—  oder  im  weiteren  Verlaufe  die  Reinigung  auf  nassem  Wege  eintreten  zu 
lassen.  Ausspritzungen  sind  jedenfalls  indicirt  bei  copiöser  Eiterung 
und  bei  allen  Patienten,  welche  man  nicht  täglich  mindestens  einmal  sehen 
kann.  Sie  sind  täglich  ein-  bis  zweimal  zu  wiederholen  und  mit  einer  '""'U^lo 
Kochsalzlösung  oder  S^igen  Borsäurelösung  unter  schwachem  Drucke 
und  nach  genügender  Erwärmung  der  Flüssigkeit  (etwa  38"  C)  auszuführen. 
Man  versäume  nicht,  so  oft  man  Ausspülungen  einem  Laien  verordnet,  dem- 
selben genau  zu  zeigen,  in  welcher  Weise  die  Spritze  zu  handhaben  ist.  Auf 
jede  Ausspritzung  muss  eine  Austrocknung  mit  Watte  folgen. 

Wenn  schon  in  den  leichten  Fällen  die  blosse  Reinigung  durch  Drai- 
nage mit  Gaze  oder  durch  Ausspülungen  mit  Borsäurelösung  genügt,  so  kommt 
man  doch  häufig  in  die  Lage,  auch  gegen  die  Eiterbildung  etwas  zu  ver- 
ordnen. Bei  der  Auswahl  eines  Medicamentes  hat  man  vor  allem  darauf  zu 
sehen,  dass  es  nicht  irritirend  wirke;  ob  man  ein  Adstringens  oder  ein  Anti- 
septicum  wählt,  ist  von  untergeordneter  Bedeutung. 

Besonders  gut  eignet  sich  der  von  Schwartze  empfohlene  Liquor 
plumbi  subacetici,  von  welchem  für  den  jedesmaligen  Gebrauch  1 — 2 
Tropfen  mit  10  Tropfen  destillirten  Wassers  gemischt  und  mit  Hilfe  eines 
Tropfgläschens  in  den  Gehörgang  eingegossen  werden,  wo  sie  5 — 10  Minuten 
verweilen  sollen.  Diese  schwache  Bleiessiglösung  wird  fast  ohne  Ausnahme 
gut  vertragen  und  wirkt  auf  den  Entzündungsprocess  günstig  ein;  an  dem 
Auftreten  eines  weissen  Bleiniederschlages  am  Trommelfelle  erkennt  man  mit 
ziemlicher  Sicherheit  das  Aufhören  der  Eiterung.  Auch  Liquor  Aluminii 
acetici  (1:10—5  Aqu.  dest.)  und  3"/oige  Borsäurelösung  eignen  sich  sehr 
gut  zu  Einträufelungen;  Salicylsäure-  und  Sublimatlösungen  sind 
mit  Vorsicht  anzuwenden. 

Vielfach  wird  zur  Bekämpfung  der  Eiterung  von  fein  pulverisirter  Bor- 
säure Gebrauch  gemacht,  welche  die  Secretion  in  der  That  oft  überraschend 
schnell  zum  Verschwinden  bringt,  und  bei  vorsichtiger,  vom  Arzte  selbst 
unter  täglicher  Controle  vorgenommener  Einblasung  kaum  je  Unheil  stiften 
dürfte.  Obwohl  die  gegen  die  Borpulverbehandlung  erhobenen  Einwände 
nach  meiner  Ueberzeugung  übertrieben  sind,  erscheint  es  nach  vereinzelten 
üblen  Erfahrungen,  welche  bei  kritikloser  Anwendung  des  Medicamentes 
gemacht  worden  sind,  doch  rathsam,  bei  den  in  Fällen  von  acuter  Mittel- 
ohrentzündung in  der  Regel  sehr  kleinen  Perforationen  kein  pulverförmiges, 
sondern  ein  flüssiges  Mittel,   noch  besser  die  höridoe  Behandlung  zu  wählen. 

Die  Behandlung  der  acuten  Otitis  media  suppurativa  mit  spontanem 
Durchbruch  des  Eiters  ist  dieselbe  wie  nach  einer  Paracentese.  Nur  hat 
man  hier  ganz  besonders  darauf  zu  achten,  dass  der  Secretabfluss  vollkommen 
frei  erfolgen  kann,  weil  bei  ungenügender  Eiterentleerung  der  Verlauf  ein 
schleppender  und  durch  Complicationen,  namentlich  von  Seiten  des  Warzen- 
fortsatzes, erschwert  wird.  Ein  ungenügender  Abfluss  kann  bedingt  sein  durch 
zu  geringe  Grösse  und  zu  hohe  Lage  der  Perforation;  beiden  Uebelständen 
ist  leicht  abzuhelfen,  indem  man  im  ersteren  Falle  den  Defect  mit  dem 
Trommelfellmesser  verlängert,   im  letzteren  Falle   im    hinteren-unteren  Qua- 


444  OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA. 

dranten  eine  Gegenöft'nung  anlegt.    Bilden  sich  Granulationen,  so  werden 
dieselben  mit  einer  an  eine  Sonde  angeschmolzene  Lapisperle  geätzt. 

Von  ganz  besonderer  Wichtigkeit  ist  es  schliesslich,  in  jedem  Falle 
von  Mittelohrentzündung  etwa  gleichzeitig  vorhandenen  Erkrankungen  der 
Nase  und  des  Rachens  eingehende  Beachtung  zu  schenken. 

II.  Otitis  media  suppurativa  chronica. 

Pathologische  Anatomie.  Die  chronische  eitrige  Mittelohrent- 
zündung entwickelt  sich  meist  aus  einer  acuten,  kann  indessen  auch  von 
Anfang  an  einen  chronischen  Verlauf  nehmen. 

Charakteristische  anatomische  Befunde  sind  Hyperämie,  Gefässneu- 
bildung  und  rundzellige  Infiltration  der  verdickten  Schleimhaut  in 
der  Paukenhöhle  und  ihren  Nebenhöhlen,  Zotten  und  Höcker  oder  Gra- 
nulationen an  einzelnen  Stellen  der  Mucosa,  Verhornung  und  fettige 
Degeneration  des  Epithels,  welches  fleckenweise  auch  völlig  fehlen 
kann.  Die  Lymphgefässe  sind  erweitert  zu  cystenartigen  Hohlräumen 
und  kolbigen  Ausbuchtungen.  In  den  meisten  Fällen  finden  sich  ferner  ab- 
norme Band  Züge,  in  verschiedenen  Richtungen  zwischen  den  Gebilden  der 
Paukenhöhle  ausgespannt,  welche,  wenn  sie  breit  sind,  ganze  Theile  des 
Cavum  tympani  mehr  oder  weniger  vollständig  absperren  können.  Das 
Trommelfell  ist  ausnahmslos  perforirt,  doch  kann  Grösse  und  Form 
des  Defectes  sehr  verschieden  sein;  von  einem  punktförmigen  Löchelchen  bis 
zum  totalen  Verlust  der  Membran  können  alle  denkbaren  Ausdehnungen  des 
Substanzverlustes  angetroffen  werden.  Der  Rest  des  Trommelfelles  ist 
meist  verdickt  und  verfärbt  und  enthält  nicht  selten  fettig  degenerirte 
Zonen  in  Gestalt  weisslicher  Trübungen  und  kreideweisser  Verkalkungen. 
Je  grösser  die  Perforation  ist,  umso  stärker  ist  in  der  Regel  der  Hammer- 
griff, dem  die  Stütze  fehlt,  medialwärts  gezogen,  und  in  dieser  Stellung  der 
Retraction  verwächst  er  nicht  selten  mit  der  inneren  Paukenhöhlenwand. 

Das  Secret  ist  vorwiegend  eitrig,  von  gelblicher  oder  graulicher 
Farbe.  Ist  es  spärlich  und  eingetrocknet,  so  erscheint  es  in  Form  von  bräun- 
lichen Krusten.  Zahlreiche  Mikroorganismen  sind  im  Eiter  der  chro- 
nischen Mittelohrentzündung  nachgewiesen  werden,  am  häufigsten  Pneumo- 
coccen,  Staphylococcen  und  Streptococcen,  selten  der  Bacillus  pyocyaneus, 
welcher  die  blaue  Otorrhoe  hervorruft. 

Da  die  Nebenhöhlen  fast  regelmässig  in  Mitleidenschaft  gezogen  sind, 
so  finden  sich  in  der  Tuba  und  namentlich  im  Warzenfortsatz  ähnliche 
Schwellungszustände  me  im  Cavum  tympani  selbst. 

Nach  Ablauf  der  Eiterung  kann  die  Perforation,  auch  wenn  sie  sehr 
gross  ist,  sich  durch  Bildung  einer  Narbe  schliessen  oder  persistent 
bleiben,  in  welchem  Falle  zuweilen  die  ganze  Paukenhöhle  an  Stelle  der 
Schleimhaut  mit  Epidermis  ausgekleidet  ist. 

Subjective  Symptome  sind  in  vielen  Fällen  kaum  vorhanden.  Oft 
bemerkt  der  Kranke  nichts  als  etwas  eitrigen  Ausfluss,  welcher  leider 
vielfach  noch  als  ganz  harmlos  gilt  und  weniger  Beachtung  findet  als  das 
unschuldige  Cerumen,  auf  das  zuweilen  förmlich  Jagd  gemacht  wird.  Ist 
das  Secret  sehr  gering,  so  trocknet  der  stagnirende  Eiter  am  Trommelfelle 
und  in  der  Tiefe  des  Gehörganges  so  vollständig  ein,  dass  der  Kranke  sein 
Ohr  für  ganz  heil  hält;  in  anderen  Fällen  besteht  so  reichlicher  Ausfluss, 
dass  wenigstens  reinlichen  Menschen  Unbequemlichkeiten  daraus  erwachsen. 
In  der  Regel  entwickelt  sich  bei  spärlicher  Secretion  ein  intensiver  Foetor, 
der  aber  auch  vorkommt,  wenn  eine  reichliche  Eiterung  vernachlässigt  wird. 

Schmerzen  fehlen  meist  oder  treten  nur  zeitweilig  auf,  sowohl  im  Ohre 
als  in  der  entsprechenden  Kopfhälfte.     Stellen  sie  sich  plötzlich  und  heftig 


OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA.  445 

ein,  so  sind  sie  in  der  Regel  als  ein  Symptom  eines  acuten  Nachschubes  oder 
einer  beginnenden  Complication  aufzufassen,  und  die  Veranlassung  liegt  dann 
oft  in  einer  Verlegung  der  Ausflussöftnung  mit  folgender  Eiterretention.  An- 
haltende bohrende  und  reissende  Schmerzen  deuten  auf  einen  cariösen 
Process  hin. 

Nicht  selten  werden  die  Kranken  von  Schwindel  befallen,  am  häufigsten 
beim  Ausspritzen  mit  zu  kühlen  Lösungen  oder  unter  zu  starkem  Drucke; 
doch  stellen  sich  Anfälle  von  verschiedener  Intensität  auch   spontan  ein. 

Schwerhörigkeit  lässt  sich  durch  die  Hörprüfung  fast  regelmässig 
nachweisen,  auch  wenn  sie,  wie  es  oft  vorkommt,  dem  Patienten  im  Verkehre 
nicht  zum  Bewusstsein  kommt.  Höhere  Grade  von  Hörschwäche  kommen  bei 
Verwachsungen  und  sehr  erheblicher  Schleimhaut-Hyperplasie,  bei  Granulationen 
und  Polypen,  sowie  bei  gleichzeitig  bestehenden  Atfectionen  des  schallpercipi- 
renden  Apparates  vor;  die  Perforation  an  sich  bedingt  keine  erhebliche  Herab- 
setzung der  Hörfunction.  Sehr  häufig  werden  Schwankungen  in  der  Intensität  der 
Schwerhörigkeit  beobachtet,  welche  vorzugsweise  vom  Schwellungsgrade  der 
Schleimhaut  und  der  Menge  des  angesammelten  Secretes  abhängig  sind. 

Subjective  Geräusche  fehlen  oft  gänzlich  und  bilden  selten  einen 
Gegenstand  der  Klage.  Nur  bei  Synechiebildung  und  Labyrintherkrankung 
erreichen  sie  einen  hohen  Grad. 

Zu  den  Erscheinungen,  welche  zwar  nicht  selten  vorkommen,  aber  dem 
Kranken  meist  verborgen  bleiben,  gehören  Anomalien  der  Geschmacks- 
empfindung, welche  sich,  von  einer  Eeizung  der  Chorda  tympani  aus- 
gehend, in  einer  Herabsetzung  oder  vollständigen  Aufhebung  des  Geschmackes 
an  der  dem  erkrankten  Ohre  entsprechenden  Hälfte  der  Zunge,  zuweilen  auch 
am  Gaumen  und  der  hinteren  Rachenwand  äussern.  Facialislähmung 
kommt  bei  einfacher  Schleimhauteiterung  vor,  wenn  die  infiltrirte  Mucosa 
oder  Secretmassen  und  Desquamationsproducte  auf  den  Nervenstamm  drücken, 
ist  aber  viel  häufiger  bei  cariösen  Processen.  Andere  nervöse  Ercheinungen, 
welche  zuweilen  beobachtet  werden,  sind  von  der  Paukenhöhlenauskleidung 
ausgehende  reflectorische  Einflüsse  („sympathische  Synergien")  auf  die 
Sinnesnerven,  z.  B.  das  durch  Vermittlung  des  Trigeminus  zu  erklärende,  von 
ÜRBANTSCHiTSCH  constatirte  Sinken  der  Sehkraft  und  der  Nystagmus, 
welcher  sich  entweder  spontan  oder  bei  einem  auf  die  Paukenhöhlen-  oder 
Gehörgangswände  mit  einer  Sonde  ausgeübten  Druck  einstellt.  Auch  psychische 
Alterationen  und  epileptif orme  Anfälle  sind  mehrfach  beobachtet 
worden. 

Objective  Symptome.  Bei  der  Untersuchung  zeigt  sich  als  erstes 
Symptom  in  der  Regel  das  Secret;  ist  es  in  grosser  Menge  vorhanden,  so 
erblickt  man  es  zuweilen  schon  vor  der  Beleuchtung  mit  dem  Ohrspiegel  in 
der  Concha,  während  es  sonst  meist  auf  die  tieferen  Theile  des  Gehörganges 
beschränkt  ist.  Eine  ganz  geringfügige  Secretion  kann  auf  den  ersten  Blick 
übersehen  werden,  da  entweder  zur  Zeit  der  Untersuchung  überhaupt  kein 
Eiter  vorhanden  ist,  oder  derselbe  hinter  den  bereits  erwähnten,  fest  an  den 
Gehörgangswänden  und  am  Trommelfelle  haftenden  Krusten  versteckt  ist. 
Für  die  deutliche  Erkennung  der  Perforation  ist,  wie  bei  der  acuten  Ent- 
zündungsform, so  auch  hier  die  gründliche  Beseitigung  aller  Secretmassen 
und  der  durch  Maceration  der  Gehörgangswände  oft  zustande  kommenden 
Desquamationsproducte  sehr  nothwendig;  im  übrigen  macht  ihre  Diagnose 
in  gewöhnlichen  Fällen  keine  Schwierigkeiten.  Die  Befunde  sind  höchst  mannig- 
faltig, so  dass  nur  die  besonders  typischen  Bilder  erwähnt  werden  können. 

Was  zunächst  den  Trommelfellrest  betrifft,  so  kann  derselbe  sich 
normal  verhalten  oder  verändert  sein:  grauweiss  oder  grauroth,  aufgequollen, 
theilweise  verkalkt.    Der  Hammergriff  steht,  wie  oben  erwähnt,  bei  grösseren 


446 


OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA, 


Defecten  stark  nach  innen  und  erscheint  daher  bei  der  Besichtigung  von 
aussen  verkürzt;  oft  sieht  man  nur  den  processus  brevis.  In  anderen  Fällen 
ragt  das  Manubrium  in  seiner  normalen  Stellung  frei  in  die  Perforation  hin- 
ein. Der  Rand  der  Perforation  ist  entweder  glatt  oder  wulstig,  oft  callös 
verdickt,  mit  Granulationen  bedeckt,  nach  innen  abgeschrägt.  Nicht  selten 
wird  er  in  einer  gewissen  Ausdehnung  mit  der  gegenüberliegenden  Pauken- 
höhlenwand verwachsen  gefunden. 

Der  Sitz  der  Perforation  ist  auch  bei  der  chronischen  Mittelohreiterung 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  der  vordere-untere  Quadrant;  doch  dehnt  sich  der 
Defect  sehr  oft  auf  die  benachbarten  Quadranten  aus.  Am  seltensten  wird 
der  vordere-obere  Quadrant,  etwas  häutiger,  indessen  vorwiegend  bei  cariösen 
Processen,  die  membrana  flaccida  befallen.  Da  der  annulus  tendineus  wider- 
standsfähiger ist  als  das  übrige  Trommelfell,  so  bleibt  er  selbst  bei  vollstän- 
digem Verlust  der  Membran  in  der  Regel  erhalten. 

Dass  die  Grösse  der  Perforation  innerhalb  der  weitesten  Grenzen 
schwankt,  ist  bereits  erwähnt  worden.  Am  kleinsten  sind  meist  die  Defecte 
in  der  Shrapnell' sehen  Membran,  welche  die  Form  einer  ganz  feinen  fistel- 
artigen Oeffnung  annehmen  können  und  dem  Auge,  zumal  wenn  wenig  Eiter 
vorhanden  ist,  leicht  verborgen  bleiben.  Im  Verlaufe  der  Eiterung  hat  man 
oft  Gelegenheit,  das  allmähliche  Grösserwerden  einer  anfangs  kleinen  Per- 
foration zu  verfolgen  und  zu  beobachten,  wie  bei  fortschreitendem  Schwund  des 
Trommelfelles  der  Hammer  nach  und  nach  immer  weiter  blossgelegt  wird. 

Die  Gestalt  der  Perforation  ist  rund,  oval,  elliptisch  oder  eckig. 
Geht  die  Umbogegend  verloren,  dann  entsteht  bei  freiem  Hineinragen  des 
Hammergriffendes  in  den  oberen  Rand  desDefectes  eine  nierenförmige  oder 
herzförmige  Perforation;  ist  der  Substanzverlust  noch  grösser,  so  dass 


Fig.  2. 
Eunde  Perforation. 


Pig.  3. 
Ovale  Perforation. 


Fig.  6. 
Doppelperforation. 


Fig.  4 

Nierenförmige 

Perforation. 


Fig.  7. 
Perforation  mit 
granulirter   Schleim- 
haut. 


nur  ein  schmaler  dreieckiger  Zwickel  zu  beiden  Seiten  des  Manubrium  stehen 
geblieben  ist,  so  wird  die  Perforation  nach  dem  übrig  gebliebenen  Trommel- 
fellstücke als  V-förmig  bezeichnet.  Mehrere  Defecte  an  einem  Trommel- 
felle sind  nicht  eben  selten,  namentlich  in  der  unteren  Hälfte  der  Membran. 
Zu  Verwechslungen  mit  einer  Doppelperforation  gibt  mitunter  eine  vom 
Hammergriffende  zum  unteren  Rande  herabhängende  Hautlamelle  Veranlassung, 
welche  den  vorhandenen  grossen  Defect  überbrückt.    (Fig.  2 — 6.) 


OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA.  447 

Sehr  verschieden  kann  auch  der  Zustand  der  Paukenhöhlen  seh  leim- 
haut sein.  Man  kann  denselben  natürlich  um  so  deutlicher  erkennen,  je 
grösser  der  Substanzverlust  im  Trommelfelle  ist.  Kleine  Perforationen  er- 
scheinen nur  als  dunkle  Löcher,  weil  das  wenige  hindurchfallende  Licht  in 
der  Tiefe  absorbirt  wird;  grosse  Defecte  zeigen  einen  blass-  oder  dunkelrothen, 
normal  dicken,  verdünnten  oder  hyperplastischen,  glatten  oder  wulstigen 
Hintergrund,  je  nach  der  Beschaffenheit  der  Mucosa.  Häufig  sind  Granula- 
tionen, welche  entweder  jenseits  des  Perforationsrandes  in  der  Paukonhölile 
liegen  oder  bis  über  die  Fläche  des  Trommelfelles  hervorspriessen.  (Fig.  9.) 
Nach  Ablauf  der  Eiterung  nimmt  die  Auskleidung  der  Paukenhöhle  einen 
gelblichen  Schimmer  an  und  erscheint  dünn,  mitunter  wohl  auch  etwas  ver- 
dickt und  sehnig  getrübt. 

Die  Gebilde  der  Paukenhöhle  kommen  bei  günstiger  Lage  des 
Defectes  mehr  oder  weniger  deutlich  und  ausgedehnt  zum  Vorschein.  So 
sieht  man  beim  Fehlen  des  hinteren-oberen  Quadranten  den  absteigenden 
Ambossschenkel  zuweilen  auch  den  Steigbügelkopf  und  den  äusseren  Schenkel 
dieses  Knöchelchens,  die  Chorda  tympani,  die  TRöLTScn'sche  Tasche;  bei 
Defecten  im  hinteren-unteren  Quadranten  erscheint  das  Promontorium  mit 
seinen  Gefässen  und  seiner  schroffen  Kante,  welche  die  gleichfalls  sichtbare 
Nische  des  runden  Fensters  begrenzt.  Reicht  der  Substanzverlust  bis  zum 
unteren  Rande,  so  erblickt  man  einen  Theil  des  Bodens  der  Paukenhöhle  mit 
netzförmig  verlaufenden  Trabekeln  und  den  zwischen  ihnen  liegenden  Cellulae 
tympanicae. 

Die  Luftdouche  und  die  Hörprüfung  ergeben  für  die  Diagnose  im 
allgemeinen  keine  wichtigen  Anhaltspunkte.  Das  bei  der  Auscultation  wahr- 
nehmbare Perforationsgeräusch  ist  bei  sehr  grossen  Trommelfelldefecten 
nicht  immer  so  typisch  wie  bei  kleinen,  doch  fühlt  man  zuweilen  den  Luft- 
strom am  eigenen  Ohre  umso  deutlicher. 

Prognose.  Die  Prognose  der  Otitis  media  suppurativa  chronica  ist 
sehr  wesentlich  abhängig  von  der  Constitution  des  Patienten.  Liegt  Anämie, 
Rhachitis,  Scrophulose  zu  Grunde,  so  ist  wenig  Neigung  zur  Heilung  vor- 
handen, und  jedenfalls  bleibt  nach  Ablauf  der  Eiterung  die  Perforation  in 
den  meisten  Fällen  persistent.  Noch  ungünstiger  ist  der  Verlauf  der  Otitis 
nach  Scharlach,  Diphtherie  und  Tuberkulose,  nicht  selten  auch  nach  Masern 
und  Typhus,  indem  es  dann  häufig  zu  Complicationen  von  Seiten  des 
Labyrinthes  und  zur  Erkrankung  des  Knochens  kommt.  Der  günstigste  Aus- 
gang in  vollständige  Heilung,  d.  h.  Aufhören  der  Eiterung,  Verschluss  des 
Trommelfelles  und  Wiederherstellung  der  Function,  ist  bei  gesunden  Indivi- 
duen bei  geeigneter  Behandlung  nicht  selten.  In  anderen  Fällen  schwindet 
die  Eiterung  auch  bei  kräftiger  Körperconstitution,  ohne  dass  der  Defect  ver- 
narbt, wobei  dann  Recidive  der  Eiterung  gewöhnliche  Erscheinungen 
sind.  Dieselben  können  noch  nach  Decennien  eintreten,  wenn  irgend  ein 
übler  Zufall  eine  Reizung  der  freiliegenden  Paukenhöhlenschleimhaut  verur- 
sacht. Eine  besonders  lange  Dauer  hat  die  Eiterung,  w^enn  Granulationen  und 
Polypen  bestehen  und  w^enn  Caries  eingetreten  ist.  Auch  die  Bildung  von 
Adhäsionen  erschwert  die  Heilung  erheblich  und  verhindert  namentlich  die 
Vernarbung. 

Im  allgemeinen  muss  ganz  entschieden  betont  werden, 
dass  jede  Entzündung  des  Mittelohres,  solange  Eiterung  be- 
steht oder,  weil  das  Trommelfell  defect  geblieben  ist,  jeder- 
zeit wieder  einsetzen  kann,  als  eine  ernste  Krankheit  ange- 
sehen werden  muss,  welche  eine  indirecte  Gefahr  für  Gesund- 
heit und  Leben  in  sich  schliesst.  Wenn  auch  unzählige  mit  Otorrhoe 
behaftete  Menschen,  ohne  je  erheblichere  Ohrbeschwerden  gehabt  zu  haben,  ein 
hohes  Alter  erreichen  und  schliesslich  an  einer  nicht  mit  der  Ohraffection  in 


44:8  OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA. 

Zusammenhang  stehenden  Krankheit  zu  Grunde  gehen,  so  gehören  doch 
andererseits  äusserst  schwere,  oft  letale  Folgekrankheiten  nicht  zu 
den  Seltenheiten.  Jeder  Umstand,  welcher  eine  Eiterretention  herbei- 
führen kann,  ist  für  die  Prognose  von  Bedeutung,  da  er  an  Stelle  der  in- 
directen  Gefahr  eine  directe  Gefahr  setzt. 

Auf  eine  Wiederherstellung  der  Function  ist  nur  dann  zu  rechnen, 
wenn  die  Schleimhaut  sich  vollständig  zurückbildet.  Ungünstig  quoad  func- 
tionem  ist  jede  Betheiligung  des  Labyrinthes,  die  Ausstossung  von  Gehör- 
knöchelchen, welche  auch  ohne  Caries  vorkommen  kann,  die  Entstehung  von 
Verwachsungen  in  der  Paukenhöhle.  Die  Heilung  der  Eiterung  und  der  Ver- 
schluss der  Perforation  ist  umso  wahrscheinlicher,  je  kürzer  die  Dauer  der 
Krankheit  ist,  je  rascher  die  Eiterbildung  abnimmt,  je  schleimhaltiger  das 
Exsudat  ist,  je  glatter  und  blasser  die  Schleimhaut  und  der  Trommelfellrest 
aussieht  und  je  kleiner  und  tiefer  gelegen  der  Defect  ist.  Am  ungünstigsten 
verhalten  sich  die  Perforationen  der  membrana  flaccida. 

Behandlung.  Die  wichtigste  Indication  für  die  Therapie  der  chronischen 
Mittelohreiterung  ist  die  Reinigung  des  Ohres.  Dieselbe  wird  vorbereitet 
durch  die  Luft dou che,  und  zwar  bei  einseitigen  Affectionen  besser  mit  dem 
Katheter,  während  bei  bilateraler  Erkrankung  unter  normalen  Durchgängigkeits- 
verhältnissen  der  Tuben  ebensowohl  das  PoLiTZER'sche  Verfahren  angewendet 
werden  kann.  In  Fällen,  in  welchen  Nasen-  und  Rachenaffectionen  infectiöser 
Natur  bestehen,  wird  man  freilich  von  der  Luftdouche  Abstand  zu  nehmen 
haben.  Durch  die  Lufteinblasungen  wird  das  vorhandene  Secret  gelockert  und 
zum  Theil  schon  aus  der  Perforation  herausgeschleudert.  Seine  Entfer- 
nung aus  dem  Ohre  geschieht  am  sichersten  mit  Hilfe  der  Spritze.  Bei  der 
Ausspritzung  hat  man  vor  allem  für  eine  geeignete  Temperatur  der  Flüssig- 
keit (38**  C)  zu  sorgen  und  sich  vor  zu  starkem  Drucke  zu  hüten.  Liegt  die 
Perforation  hoch,  so  genügt  nicht  immer  die  Ausspülung  vom  Gehörgange 
her,  es  muss  vielmehr  auch  von  der  Tuba  her  durch  den  Katheter  oder 
durch  nur  in  die  Paukenzelle  eingeführtes  Röhrchen  direct  eine  grössere, 
erwärmte  Flüssigkeitsmenge  in  das  Mittelohr  injicirt  werden.  Hiezu  eignet 
sich  am  besten  eine  ^U^Io^gQ  Kochsalzlösung  oder  eine  37oige  Borsäurelösung. 
Für  die  Ausspritzungen  vom  Gehörgange  her  sind  unzählige  Flüssigkeiten 
empfohlen  worden.  Für  viele,  aber  nur  für  uncomplicirte  Fälle  ist  abgekoch- 
tes Wasser  mit  etwas  Salzzusatz  ausreichend;  Burckhardt-Merian 
beobachtete  besonders  gute  Erfolge  bei  Anwendung  einer  5 böigen  Glauber- 
salzlösung, in  welcher  das  Ei  weiss  des  Eiters  gelöst  bleibt.  Im  allge- 
meinen wird  man  mit  Rücksicht  auf  die  fast  stets  im  Secrete  vorhandenen 
Mikroorganismen  die  Injection  von  anti septischen  Mitteln  vorzuziehen  haben. 
Unter  ihnen  eignet  sich  vermöge  ihrer  Unschädlichkeit  in  erster  Linie 
die  von  Bezold  eingeführte  Borsäure  in  S^/oiger  Lösung;  Carb Ölsäure, 
welche  höchstens  2%ig  zur  Anwendung  kommen  sollte,  und  Salicyl- 
säure  (nach  Politzer  ein  Theil  einer  lO^oigen  alkoholischen  Lösung 
auf  ^/g  Liter  Wasser)  haben  sich  weniger  bewährt.  Sublimat,  welches  in 
Lösungen  von  0*5 — 1:1000  am  sichersten  antibacteriell  wirkt,  ist  wegen  des 
häufig  vorkommenden  Abflusses  der  eingespritzten  Flüssigkeit  in  den  Schlund 
nicht  für  alle  Fälle  brauchbar.  In  der  von  Kretschmann  abgegebenen  Do- 
sirung  (O'lilOO'O  Aqua.  dest.  und  ro  Acid.  hydrochlor.)  leistet  es  oft  ausge- 
zeichnete Dienste.  Kalium  hypermanganicum  erschwert  die  Beobach- 
tung durch  die  Erzeugung  bräunlicher  Niederschläge. 

Zu  den  besten  Mitteln  gehört  neben  der  Borsäure  das  gleichzeitig  anti- 
septisch und  adstringirend  wirkende  Aluminium  aceticum,  besonders  in 
der  BuROvs^'schen  Lösung  zu  27o-  Will  man  abgestossene  Epidermismassen 
gründlich  entfernen,  so  ist  mit  dem  von  Trautmann  empfohlenen  Jod  tri  Chlo- 
rid  in   wässerigen   Lösungen  von  Vs  —  VaVo  mehr   als   mit  anderen  Mitteln 


OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA.  449 

ZU  erreichen;  da  dieses  Medicament  das  Metall  angreift,  muss  hier  eine  Glas- 
spritze, am  besten  die  von  Trautmann  angegebene,  aseptische  verwendet  werden. 

Von  den  zahllosen  neueren  Antisepticis  wird  besonders  Creolin  (5  g 
auf  V2  Liter  Aqua.)  viel  benutzt,  obwohl  es  sich  wegen  der  milchigen  Trübung 
seiner  wässerigen  Verdünnung  nicht  besonders  eignet  und  öfters  ein  unan- 
genehmes Brennen  im  Ohre  erzeugt;  besser  bewährt  sich  das  Kresolum 
purum  liquefactum  Nördlinger,  welches  in  V2%iger  Lösung  wasserhell 
ist  und  nicht  reizt.  Lysol  und  Naphthol  (Haug),  Wasserstoffsuperoxyd 
(Bettman,  Rohrer),  Aseptol  (Franchi),  Pyoktanin  (Rohrer)  besitzen 
keine  Vorzüge,  zum  Theil  aber  erhebliche  Nachtheile.  Gut  desodorisirend 
wirkt  Aqua  chlorata  1:2  Aqua  (Jacobson). 

Wesentlicher  als  die  Auswahl  des  zum  Ausspritzen  zu  benutzenden 
Mittels  ist  die  Gründlichkeit  der  Ausspritzung.  Soll  dabei  der  Kranke 
selbst  oder  seine  Angehörigen  das  Reinigen  übernehmen,  so  muss  der  Arzt 
diese  Procedur  nicht  nur  genau  zeigen,  sondern  sich  auch  durch  den  Augen- 
schein die  Ueberzeugung  verschaffen,  dass  seine  Vorschriften  richtig  befolgt 
werden. 

Die  Reinigung  der  Paukenhöhle  auf  trockenem  Wege, 
welche  in  der  Erwägung,  dass  die  Ausspülung  irritirend  wirkt  und  zur  Ver- 
schleppung von  Entzündungserregern  dienen  kann,  wiederholt  empfohlen 
worden  ist,  hat  für  den  praktischen  Arzt  nur  eine  beschränkte  Berechtigung, 
weil  diese  Behandlungsmethode  in  der  Regel  nur  vom  Arzte  selbst  ausge- 
führt werden  kann,  eine  regelmässige  tägliche  Controlle  und  eine  grössere 
Uebung  erfordert.  Diese  trockene  Behandlung  besteht  in  äussert  gründlicher 
Entfernung  aller  Secretmassen  durch  wiederholtes  Abtupfen  mit  steriler  Gaze 
und  in  darauf  folgender  Einführung  von  10  ctm.  langen,  1  ctm.  breiten  Strei- 
fen von  steriler  Gaze  (Jodoform-  oder  Sublimatgaze).  Manche  auf  diese  Weise 
behandelte  Fälle  heilen  schneller  als  bei  der  Reinigung  mit  der  Spritze, 
welche  im  allgemeinen  nur  bei  geringerer  Uebung  in  der  Behandlung  des 
Ohres  den  Vorzug  verdient. 

Eine  zweite  Indication  der  Therapie  richtet  sich  gegen  den  Entzün- 
dungsprocess  selbst.  Hier  kommt  vorwiegend  die  Behandlung  mit  Adstrin- 
gentien,  caustischen  und  antiseptischen  Mitteln  in  Betracht,  die  beiden  ersteren 
wesentlich  bei  stärkerer  Schwellung  und  Hyperämie  der  Paukenhöhlenschleim- 
haut, die  letzteren  bei  fötider  und  bei  Cocceneiterung. 

Alle  Lösungen  müssen  in  Mengen  von  etwa  10  Tropfen  erwärmt  und 
sterilisirt  eingeträufelt  werden,  und  zwar  unter  Abziehung  der  Ohrmuschel 
nach  hinten  und  oben  und  bei  nach  der  gesunden  Seite  geneigtem  Kopfe. 
Man  lässt  sie  3  bis  10  Minuten  im  Ohre  verweilen  und  sorgt  durch  mehr- 
maliges Drücken  auf  den  Tragus  dafür,  dass  sie  wirklich  in  das  Mittelohr 
gelangen.  Die  Einwirkung  der  Medicamente  kann  verlängert  werden  durch 
die  Application  mittelst  Gelatinebougies  nach  Gruber,  doch  tritt  nach 
der  Erweichung  des  Leimes  eine  unangenehme  Verschmierung  des  Gehör- 
ganges ein,  weshalb  diese  Methode  sich  nicht  eingebürgert  hat. 

Von  Adstringentien  ist  durch  v.  Tröltsch  und  Schwartze  na- 
mentlich das  essigsaure  Blei  (Liquor  plumb.  subacet.  1:20  mit  allmählich 
zunehmender  Concentration)  empfohlen  worden,  welches  nach  meinen  Erfah- 
rungen bei  der  chronischen  Eiterung  weniger  günstig  wirkt  als  bei  der  acuten, 
V.  Tröltsch  verwendete  auch  mit  Vorliebe  Plumb  um  nitricum  (l^'/o), 
Lucae  rühmt  das  Cuprum  sulfuricum  (0'12:30-0),  Miot  das  Borax- 
glycerin  (1:30).  Am  wenigsten  irritirend  wirken  Zincum  sulfuricum 
(0-5— P/o),  Liquor  Aluminii  acetici  (2%)  und  Acidum  tannicum, 
welche  ich  am  häufigsten  in  Lösungen  von  0'5:25-0  Glycerin  verordne. 

Unter  den  caustischen  Mitteln  ist  das  sicherste  das  Argentum 
nitricum,   welches  bei  kleineren  Perforationen  ohne  Complication  oft  ganz 

Ohren-,  Nasen-,  Eachen-,  Kehlkopfkranklieiten.  ^^ 


450  OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA. 

auffallend  rasch  die  Eiterung  beseitigt.  Nach  der  Anweisung  von  Schwaetze, 
■welcher  diese  „caustische  Methode"  eingeführt  hat,  wird  eine  erwärmte, 
wässerige  Lösung  von  Argentum  nitricum  von  1:30  bis  1:10  in  das  vorher 
sorgfältig  gereinigte  Ohr  bei  seitlicher  Kopflagerung  eingeträufelt;  dieselbe 
bleibt  ^/a  bis  1  Minute  im  Ohre  und  wird  dann  wieder  entfernt  durch  mehr- 
maliges Ausspritzen  des  Ohres  mit  Kochsalzlösung;  um  das  Zurückbleiben 
von  Chlorsilberklumpen  zu  verhüten,  wird  noch  einige  Male  mit  sterilisirtem 
Wasser  nachgespritzt.  Nach  Abstossung  des  durch  die  Einwirkung  des  Lapis 
entstandenen  grauweissen  Aetzschorfes,  welche  am  2.  bis  5.  Tage  erfolgt, 
wird  dieses  Verfahren  so  lange  wiederholt,  bis  die  Eiterung  aufhört.  Erheb- 
liche Schmerzen  entstehen  dabei  selten,  doch  ist  es  unbedingt  nothwendig, 
die  Neutralisirung  mit  Chlornatrium  jedesmal  vorzunehmen.  Besonders  gute 
Erfolge  hat  Schwaetze  beobachtet,  wenn  er  nach  mehrmaliger  Wiederhalung 
der  Lapiseinträufelung  minimale  Mengen  von  feinpulverisirtem  Alaun  in  die 
Paukenhöhle  einstäubte.  Es  muss  indessen  betont  werden,  dass  die  Anwen- 
dung des  fast  unlöslichen  Alaunpulvers  nur  geübten  Händen  überlassen 
werden  darf. 

Andere  Aetzmittel,  wie  Zincum  chloratum,  Acid.  aceticum,  Li- 
quor ferri  sesquichlorati  sind  viel  unzuverlässiger  und  schwerer  ver- 
träglich als  das  Argentum  nitricum.  Auch  die  von  Lange  empfohlene  Milch- 
säure in  15  bis  307oiger  Lösung  und  die  von  Katz  neuerdings  wieder  ange- 
wandte Chrom  säure  (37o)  muss  der  zu  starken  Reizung  wegen  nicht  selten 
ausgesetzt  werden. 

Die  antiseptischen  Mittel  werden  mit  umso  grösserer  Vorliebe 
angewendet,  je  mehr  man  geneigt  ist,  alle  Entzündungsvorgänge  auf  eine 
Infection  zurückzuführen.  Zwar  wird  sich  Niemand  verhehlen,  dass  eine 
eigentliche,  antiseptische  Behandlung  des  Mittelohres  aus  anatomischen  Gründen 
überhaupt  nicht  möglich  ist;  allein  die  Versuche,  welche  mit  den  verschie- 
denen, keimtödtenden  Medicamenten  angestellt  worden  sind,  haben  gleichwohl 
zum  Theil  befriedigende  Erfolge  aufzuweisen.  Die  zuerst  erprobte  Carb Öl- 
säure wird  oft  schlecht  vertragen,  mag  man  sie  in  wässeriger  Lösung  oder 
in  Glycerin  (2 — 5%)  einträufeln.  Weniger  reizt  die  Salicylsäure,  welche 
in  2—5^0  alkoholischer  Lösung  vielfach  verordnet  wird,  und  das  Sublimat, 
dessen  wässerige  und  alkoholische  Lösungen  (0"05:50-0)  mitunter  gute 
Dienste  leisten.  Doch  kommen  namentlich  bei  den  letzteren,  sowie  bei  der 
von  Menieee  empfohlenen  Anwendungsweise  mit  Glycerin  (0  05 — 0*3: 10*0) 
beträchtliche  Hyperämien  vor.  Ziemlich  gut  bewährt  sich,  namentlich  in  Fällen 
von  Hyperplasie  der  Schleimhaut,  Resorcin  in  4Voiger  Lösung,  während  der 
für  die  gleichen  Zwecke  empfohlene  Alkohol  (Politzee)  zuweilen  lebhafte 
Schmerzen  erzeugt  und  nur  sehr  langsam  wirkt.  Handelt  es  sich  nicht  gerade 
um  eine  fötide  Eiterung,  bei  welcher  Sublimat  in  erster  Linie  angezeigt  wäre, 
so  verdient  die  37oige  Borsäurelösung  den  Vorzug  vor  den  meisten  anderen 
Mitteln,  obwohl  diese  zum  Theil  kräftigere,  antizymotische  Eigenschaften  be- 
sitzen. Auch  das  Boroglycerid  (Beandeis)  in  10 — 50^/oiger  Lösung,  das 
neutrale  und  alkalische  bor  saure  Natrium  (Jaenicke,  Kafemann) 
sind  vielfach  mit  Erfolg  angewendet  worden.  In  neuerer  Zeit  hat  man  auch 
mit  schwachen  Formollösungen  ganz  gute  Erfahrungen  gemacht. 

In  geeigneten  Fällen  wirkt  in  der  Regel  kein  Medicament  so  ausge- 
zeichnet wie  die  fein  pulverisirte  Borsäure,  welche,  in  kleinen  Quan- 
titäten in  die  Paukenhöhle  eingeblasen,  langdauernde  Eiterungen  oft  in 
wenigen  Tagen  beseitigt.  Eiterretentionen  und  Entzündungen  am  Warzen- 
fortsatze,  wie  sie  bei  kritikloser  und  fehlerhafter  Anwendung  des  Pulvers 
beobachtet  worden  sind,  hat  man  nicht  zu  befürchten,  so  lange  man  sich  an 
die  Regel  hält,  dass  das  Borpulver  nur  bei  grossen  und  tiefliegenden  Perfo- 
rationen, in  kleinen  Mengen  und  bei  regelmässiger  Controle  angewendet  werden 


OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA.  451 

soll.  Für  die  Selbstbehandlung  eignet  sich  das  Mittel  wenig.  Die  Angriffe, 
welche  namentlich  von  Schwartze  und  seinem  Schüler  Stacke  gegen  die 
Borsäurebehandlung  gerichtet  worden  sind,  müssen  als  übertrieben  bezeichnet 
werden,  zumal  Eiterretentionen  auch  ohne  die  Anwendung  von  pulverförmigen 
Medicamenten  keine  Seltenheit  sind.  Die  p]inblasungen  von  Borsäure  müssen, 
so  oft  die  Eiterung  wieder  zum  Vorschein  kommt,  wiederholt  werden,  sollen 
aber  unterbleiben,  sobald  das  zuletzt  insuffiirte  Pulver  trocken  geblieben  ist. 
Fälle,  in  welchen  das  Medicament  nach  einigen  Wochen  nicht  zur  Sistirung 
der  Otorrhoe  geführt  hat,  eignen  sich  nicht  für  diese  Therapie. 

Die  anderen  in  grosser  Zahl  für  die  Pulverbehandlung  empfohlenen 
Mittel  stehen  der  Borsäure  weit  nach  und  sind  auch  ihrer  schweren  Löslich- 
keit halber  unzweckmässig.  Dahin  gehören  das  Jodoform  (Rankin,  Spencer) 
das  Jodol  (Stetter),  das  Aristol  (Rohrer),  das  ß-Naphthol  (Haug) 
u.  a.  m. 

Mit  Recht  hat  Politzer  betont,  dass  man  bei  längerer  Dauer  der 
Eiterung  nicht  unterlassen  solle,  mit  den  Medicamenten,  deren  es  ja  genug 
zur  Auswahl  gibt,  öfters  abzuwechseln.  Man  findet  dann  doch  meistens 
schliesslich  eines,  das  anschlägt,  nachdem  ihm  vielleicht  der  Boden  durch  die 
vorhergegangene  Therapie  bereitet  worden  ist. 

Was  die  Behandlung  von  Granulationen  betrifft,  so  wird  man  mit 
den  meisten  der  oben  angeführten  Medicamente  nicht  viel  erreichen,  obwohl 
Borsäurepulver  und  Aristol,  sowie  Resorcinlösungen  und  Alkohol  mitunter 
kleinere  Wucherungen  zum  Schrumpfen  bringen.  Hier  empfiehlt  sich  in  erster 
Linie  die  Anwendung  des  Galvanokauters  oder,  wo  ein  solcher  fehlt,  die 
an  eine  Sonde  angeschmolzene  Lapisperle,  mit  welcher  man  ganz  genau 
umschriebene  Aetzungen  vornehmen  kann.  In  hartnäckigen  Fällen  bewährt 
sich  auch  die  Tri  chlore  ssigsäure  und  die  Chromsäure,  welche  in 
Krystallform  mit  Watte  auf  die  Granulationen  aufgetragen  werden.  Am 
schnellsten  lassen  sich  Granulationen  mit  einem  scharfen  Löffel  beseitigen, 
und  da  es  bei  zu  befürchtender  oder  bereits  eingetretener  Eiterretention  von 
der  grössten  Bedeutung  sein  muss,  solche  Hindernisse  sofort  und  radical  zu 
beseitigen,  so  sollte  man  beim  Eintritt  verdächtiger  Erscheinungen  (Ausbleiben 
des  Eiters,  Schmerzen,  Schwellung  des  Gehörganges  und  Warzenfortsatzes, 
Fieber)  etc.  mit  dem  Auskratzen  nicht  zögern.  Ueberhaupt  ist  es  eine 
besonders  wichtige  Aufgabe  der  Therapie,  für  einen  regel- 
mässigen und  glatten  Eiterabfluss  Sorge  zu  tragen,  damit  der 
Eintritt  von  Complicationen  verhütet  werde.  Dahin  gehört  auch  die 
schon  bei  der  acuten  Eiterung  erwähnte  Erweiterung  zu  kleiner  Per- 
forationen und  die  Anlegung  von  Gegenöffnungen,  wenn  der  vor- 
handene Defect  sehr  hoch  liegt;  ferner  dieAetzung  sehr  verdickter 
Perforationsränder  mit  Lapis,  die  Trennung  von  Synechien,  die 
ihrer  Lage  nach  zu  Eiterabsackungen  führen  können,  die  Beseitigung  von 
Desquamationsproducten  und  Krusten  und  das  schleunige  Ein- 
greifen gegen  alle  diffusen  und  circumscripten  Schwellungs- 
processe  im  Gehörg'ange.  In  manchen  Fällen  wird  der  stockende  Eiter- 
abfluss befördert,  wenn  man  hydropathische  Umschläge  mit  sterilisirtem  Wasser 
oder  essigsaurer  Thonerde  auf  das  Ohr  und  seine  Umgebung  auflegen  lässt. 

Abgesehen  von  dieser  localen  Therapie  darf  zweierlei  nicht  unberück- 
sichtigt bleiben:  erstens  die  Beseitigung  von  pathologischen  Zu- 
ständen in  der  Nase  und  im  Rachen  (worüber  das  betreffende  Capitel 
nachzulesen  ist)  und  zweitens  die  Allgemeinbehandlung. 

Für  die  letztere  ist  es  von  ganz  besonderer  Wichtigkeit,  dass  die 
hygienischen  Verhältnisse,  in  welchen  der  Kranke  lebt,  möglichst 
günstig  gestaltet  werden.  Wo  das  nicht  dauernd  möglich  ist,  muss  wenigstens 
zeitweise  durch  Luft-  und  Badecu ren  Ersatz  geschaffen  werden,   und  in 

29* 


452  OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA. 

dieser  Hinsicht  kann  die  moderne  Einrichtung  der  Feriencolonien  nicht: 
genug  gewürdigt  werden.  Geschützte  Gebirgsthäler  und  Hoch- 
plateaus, Waldgegenden  sind  oft  ebenso  zweckdienlich  wie  ein  Auf- 
enthalt im  Süden.  Sehr  günstig  wirken  oft,  nicht  nur  bei  Scrophulösen, 
Soolbäder  ein,  besonders  die  Jod-  und  bromhaltigen,  wie  Kreuznach,  Tölz.  Bei 
Anämie  sind  namentlich  Stahlbäder  angezeigt  (Pyrmont,  Elster,  Franzens- 
bad, Brückenau,  Berka,  Liebenstein  und  die  arsenhaltigen  Bäder  Levico,  Ron- 
cegno). 

Ebenso  ist  für  die  innere  Medication  reichlich  Gelegenheit  gegeben. 
Leberthran,  Eisen,  Arsen,  Jod  sind  von  jeher  mit  Erfolg  verordnet 
worden.  Hier  gibt  es  keine  specifische  Indication,  vielmehr  ist  die  Therapie 
ganz  der  Constitution  des  Kranken  anzupassen. 

Dass  jeder  an  einer  Mittelohreiterung  Leidende  Watte  im  Ohre  zu 
tragen  hat,  ist  selbstverständlich;  und  diese  Vorsichtsmaassregel  ist  nicht 
allein  im  eigenen  Interesse  des  Patienten,  sondern  auch  mit  Rücksicht  auf 
das  Wohl  seiner  Mitmenschen  geboten,  denn  es  darf  wohl  als  feststehend  ange- 
nommen werden,  dass  in  dem  zahlreiche  Mikroorganismen  enthaltenden  Ohr- 
secrete  eine  gewisse  Ansteckungsgefahr  für  Andere  liegt.  Auch  in  allen  Fällen, 
in  welche  eine  „trockene  Perforation"  besteht,  d.  h.  in  welchen  die  Eiterung 
aufgehört,  das  Trommelfell  sich  aber  nicht  geschlossen  hat,  sollte  das  Ohr 
stets  mit  Watte  verstopft  werden,  damit  nicht  durch  irgend  eine  Schädlichkeit, 
z.  B.  durch  Eindringen  von  Wasser,  eine  Becidiv  der  Eiterung  hervorgerufen 
werde. 

Ueber  Eiterungen  im  oberen  Theile  der  Paukenhöhle  mit  Durchbruch 
durch  die  membrane  flaccida  ist  unter  dem  Kapitel  Caries,  über  die  Com- 
plicationen  der  Mittelohreiterung  in  dem  betreffenden  Abschnitte  nachzulesen. 
Der  vorstehende  Artikel  behandelt  ausschliesslich  die  einfache  Schleimhaut- 
eiterung. BÜRKNER. 


Folgezustände  der  Mittelolirentzündungen. 

Bei  der  Betrachtung  der  mannigfaltigen  Folgezustände  der  Mittelohrentzün- 
dungen erscheint  es  zweckmässig,  die  verschiedenen  Formen  und  Abstufungen  der 
Entzündung  auseinander  zu  halten.  Wenn  wir  die  übliclie  Eintheihmg  der  Mittel- 
ohrentzündungen in  sogenannte  einfache  und  in  eitrige  Formen  zu  Grunde 
legen,  so  lässt  sich  im  allgemeinen  vorausschicken,  dass  die  eitrige  Entzündung  unter 
Umständen  theils  zu  ausgedehnteren  Zerstörungen  aller  Gebilde  des  Mittelohres,  theils 
zu  viel  erheblicheren  Verunstaltungen  derselben  führen  kann,  als  die  einfache  Ent- 
zündung. 

Die  schweren  Formen  eitriger  Mittelohrentzündung,  wie  sie  im  Gefolge  des 
Scharlachfiebers,  der  Diphtherie,  der  Tuberkulose  und  anderer  Infectionskrankheiten 
zuweilen  auftreten,  charakterisiren  sich  nämlich  durch  nekrotisirende  Vorgänge,  welche 
einen  raschen  Zerfall  der  Gewebe  zur  Folge  haben.  Dadurch  entstehen  mehr  oder 
weniger  ausgedehnte  Zerstörungen  des  Trommelfelles,  sowie  der  Schleimhaut  des 
Mittelohres,  welche  letztere  wiederum  die  Veranlassung  zu  cariösen  Processen  im 
Felsenbeinknochen,  zu  Caries  oder  partieller  Nekrose  der  Gehörknöchelchen,  selbst 
zu  vollständiger  Ablösung  und  Ausstossung  derselben  geben  können. 

Die  Folgezustände  der  einfachen  und  auch  der  leichter  verlaufenden,  eitrige» 
Mittelohrentzündungen  sind  weniger  in  die  Augen  fallend,  wenngleich  sie  ebensowohl 
zu  erheblichen  Functionsstörungeu  des  Hörorganes  führen  können  wie  die  eben- 
erwähnten Processe.  Sie  bestehen  im  wesentlichen  in  Verdickung  oder  Schrumpfung 
der  Mittelohrschleimhaut,  je  nach  dem  Zeitpunkte  der  anatomischen  Untersuchung; 
in  bindegewebigen  Verwachsungen  der  Knöchelchen  und  des  Trommelfelles,  in  Nar- 
benbildungen,   Ablagerung    von  Kalksalzen,    Ankylosirung    der  Gelenkverbindungen.. 


OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA.  453 

Wir  unterscheiden  bei  den  einfachen  Entzündungsformen  wieder  zweierlei  Vorgänge, 
nämlich  einmal  die  grosse  Reihe  der  auch  als  „katarrhalische  Entzündungen''  be- 
zeichneten Erkrankungen  des  Mittelohres,  welche  dasselbe  vorüljergeliend  in  acuter 
"Weise  befallen  und  nach  einigen  Wochen  mit  vollständiger  Heilung  ablaufen  können, 
in  einer  grossen  Zahl  von  Fällen  aber  sich  schubweise,  nach  längcnjr  oder  kürzerer 
Zeit  wiederholen,  wobei  nach  jeder  Attaque  eine  grössere  Abnahme  der  Beweglich- 
keit des  schallleitenden  Apparates  zurückbleibt.  Letztere  Fälle  werden  gewöhnlich 
unter  der  nicht  ganz  zutreffenden  Bezeichnung  der  „chronischen  Mittelohrkatarrhe" 
zusammengefasst. 

Von  diesen  Fällen  unterscheiden  sich  die  sogenannten  sklerosirenden  Formen 
.dadurch,  dass  sie  unmerklich  und  schleichend  die  Gehörorgane  besonders  dazu  dis- 
ponirter,  oft  erblich  belasteter  Individuen  befallen  und  schädigen,  wobei  der  krank- 
hafte Process  vorwiegend  in  der  Schleimhaut  und  wahrscheinlich  auch  im  Knochen 
der  Labyrinthwand,  namentlich  in  der  Nische  des  ovalen  Fensters,  sowie  in  der  Steig- 
bügel-Yorhofsverbindung  verläuft,  während  der  das  Trommelfell  bekleidende  Theil 
der  Schleimhaut  meist  frei  bleibt,  oder  nur  sehr  geringe  Entzündungsresiduen  in 
Form  leichter  Trübungen  erkennen  lässt. 

Nach  diesen  allgemeinen  Bemerkungen  wenden  wir  uns  zu  der  speciellen  Be- 
trachtung der  Folgezustände  der  Mittelohrerkrankungen  in  Bezug  auf 

a)  Das  Trommelfell. 

Zu  den  häufigsten  Befunden  gehören  die  bekannten  Wölbungsanomalien  des 
Trommelfelles,  welche  infolge  lange  dauernder  Tubenverengerung,  entsprechend  der 
dabei  stattfindenden  Luftverdünnung  innerhalb  der  Paukenhöhle  und  dem  Ueberdruck 
der  äusseren  Atmosphäre,  zu  Stande  kommen.  Durch  die  damit  verbundene  Eetraction 
und  Verkürzung  der  Sehne  des  Musculus  tensor  tympani  wird  die  abnorme  Stellung 
des  Hammers  und  Trommelfelles  permanent.  Das  Trommelfell  bleibt  in  übermässig 
concaver  Wölbung  der  Labyrinthwand  genähert,  der  kurze  Fortsatz  des  Hammers 
und  die  hintere  Trommelfellfalte  treten  scharf  hervor.  Bei  längerer  Dauer  dieses 
Zustandes,  vielleicht  auch  infolge  begleitender,  entzündlicher  Vorgänge  kommt  es  in 
manchen  Fällen  zu  einem  Schwunde  der  Faserschichte  in  der  Membrana  propria, 
mithin  zu  einer  Verdünnung  des  Trommelfelles. 

Ueberaus  häufig  findet  man  als  Zeichen  stattgehabter,  einfacher  Trommelhöhlen- 
entzündung Trübungen  der  Membran,  welche  sich  zuweilen  auf  die  Schleimhaut- 
schichte beschränken,  oft  aber  auch  die  Membrana  propria  und  Cutifsschichte  ein- 
nehmen. Sie  beruhen  bald  auf  Zunahme  des  Bindegewebes,  bald  au  Einlagerung 
von  Fettmoleculen  oder  Kalksalzen.  Das  Trommelfell  verliert  dadurch  seinen  nor- 
malen Glanz,  der  dreieckige  Lichtreflex  wird  verkümmert  oder  geht  ganz  verloren, 
die  Farbe  der  Membran,  anfangs  dunkler  erscheinend,  wird  später  milchglasartig, 
oder  man  sieht  grau-weisse  Streifen  in  wechselnder  Zahl  auftreten,  während  die 
Ablagerung  von  Kalksalzen  in  der  Gestalt  auffallend  weisser,  oft  halbmond-  oder 
keulenförmiger  Figuren  in  die  Erscheinung  tritt. 

Zugleich  mit  der  Trübung  findet  man  öfters  eine  Verdickung  der  Membran, 
welche  durch  Zunahme  des  Bindegewebes  in  der  Cutis-  und  Schleimhautschichte  be- 
dingt ist.  Je  nachdem  die  Cutisschichte  an  der  Verdickung  betheiligt  ist,  wird  der 
Hammergriff  mehr  oder  weniger  unsichtbar. 

Bei  weitem  auffallender  sind  die  Veränderungen  des  Trommelfelles,  welche 
nach  abgelaufenen  eitrigen  Mittelohrentzündungen  zurückbleiben.  Hier 
handelt  es  sich  bald  um  permanente  Perforationen,  welche  in  Form  mannigfaltiger, 
grösserer  oder  kleinerer  Defecte  des  Trommelfelles  restiren,  bald  um  Narbenbildung, 
durch  welche  eine,  wenn  auch  nur  unvollständige  Heilung  des  Defectes  erfolgte, 
da  in  der  bindegewebigen  Narbensubstanz  eine  Neubildung  von  elastischen  Trommel- 
fellfasern nicht  zu  Stande  kommt.  Die  Ränder  der  permanenten  Perforationen  findet 
man  nicht  selten  mit  der  Labyrinthwand  verwachsen,  häufiger  gilt  dies  jedoch  für 
die  neugebildeten  Narben.     In  Betreff'  der  Verdickungen  und  Trübungen  der  Mem- 


454  OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA. 

bran,  deren  Vorkommen  nach  einfachen  Mittelohrentzündungen  oben  geschildert 
■wurde,  gilt  dasselbe  auch  für  die  Residuen  eitriger  Entzündung,  doch  sind  die 
Verdickungen  meist  noch  hochgradiger,  die  Kalkablagerungen  häufiger.  In  sehr 
seltenen  Fällen  wurde  auch  Knochenneubildung  im  Trommelfelle  nachgewiesen. 

b)  Die  Gebilde  des  Mittelohres. 

Die  Schleimhaut  des  Mittelohres  erleidet  nach  Ablauf  von  einfachen  Ent- 
zündungen, wenn  keine  vollkommene  Heilung  stattfand,  eine  Verdickung,  welche  in 
früheren  Stadien  durch  Einlagerung  von  Zellen,  später  durch  Bindegewebs-Neubildung 
bedingt  ist.  In  früheren  Stadien  findet  man  ferner  zuweilen  noch  Reste  flüssigen 
Exsudates,  in  Form  zäher,  schleimiger  Masse.  Die  Farbe  der  Schleimhaut  wird  je 
nach  dem  Füllungszustande  der  Gefässe  grau,  grau-roth  oder  livide-roth  gefunden. 
Häufiger  werden  kleine  Knötchen,  Zotten  oder  Kolben  an  der  Schleimhautoberfläche 
beobachtet. 

In  späteren  Stadien  finden  gewöhnlich  Schrumpfungsvorgänge  in  dem  neu- 
gebildeten Bindegewebe  statt,  es  erfolgt  eine  Sklerosirung  namentlich  der  tieferen 
periostalen  Schichten,  nicht  selten  mit  Ablagerung  von  Kalksalzen  verbunden.  In 
veralteten  Fällen,  und  namentlich  bei  den  oben  skizzirten  Formen,  welchen  ins- 
besondere die  Bezeichnung  der  Sklerose  zukommt,  findet  man  demnach  die  Mucosa 
eher  geschrumpft,  die  knorpeligen  Belege  des  ovalen  Fensters,  das  Ringband  der 
Steigbügelplatte  verkalkt  oder  verknöchert.  In  vielen  Fällen  betheiligen  sich  auch 
die  oberflächlichen  Knochenschichten  an  dem  chronisch  entzündlichen  Processe,  so 
dass  der  Knochen  stellenweise,  insbesondere  in  der  Gegend  der  Fensternischen  eine 
Dickenzunahme  erfährt.  Diese  Verdickung  ist  insofern  von  verhängnisvoller  Bedeu- 
tung, als  jede  Einengung  der  Fensternischen  eine  schon  vorhandene  Behinderung  der 
normalen  Schallübertragung  auf  das  Labyrinth  im  höchsten  Grade  steigert. 

Die  Folgezustände  der  eitrigen  Mittelohrentzündung  sind  davon  abhängig,  ob 
die  Trommelfellperforation  zur  Heilung  gelangte  oder  offen  blieb.  In  ersterem  Falle 
findet  man  neben  verdickter  Schleimhaut  oft  Verwachsungen  des  Trommelfells  mit 
der  Labyrinthwand,  welche  bereits  oben  erwähnt  wurden,  ferner  Adhäsionen  der 
Membran  des  runden  Fensters  mit  der  Fensternischenschleimhaut,  selbst  Verschluss 
des  runden  Fensters  durch  eine  neugebildete  Pseudomembran.  Insbesondere  aber 
sind  solche  Verwachsungen  des  Trommelfells  oder  derartige  Neubildungen  von  Binde- 
gewebsplatten  von  Wichtigkeit,  welche  einen  Abschluss  des  oberen  Theiles  der 
Trommelhöhle,  also  der  Gegend  des  Hammer-Ambossgelenkes  bedingen.  Nicht  selten 
besteht  nämlich  ein  entzündlicher  Process  in  diesem  sogenannten  Kuppelraume  fort, 
nachdem  die  primäre  Trommelhöhlenentzündung  abgelaufen  ist.  Da  nun  der  Abfluss 
des  dabei  entstehenden  eitrigen  Secretes  nach  abwärts  durch  die  Verwachsungen  behin- 
dert bleibt,  so  resultiren  daraus  Fistelbildungen  in  der  Membrana  flaccida  und  weitere 
verderbliche  Folgen  für  den  Kranken.  Es  kommt  zu  cariösen  Processen  im  Kuppel- 
raume, an  den  Gehörknöchelchen,  nicht  selten  zum  Uebergange  der  Entzündung  auf 
die  Meningen,  resp.  auf  das  Gehirn. 

In  den  Fällen,  in  welchen  die  Perforation  des  Trommelfelles  nicht  zur  Heilung 
kommt  oder  keinen  Verschluss  durch  Narbenbildung  erfährt,  dauert  die  Eiterung 
oftmals  fort;  die  Paukenhöhlenschleimhaut  bleibt  aufgelockert,  verdickt,  roth  gefärbt, 
zeigt  nicht  selten  eine  granulirte  Oberfläche  und  enthält  zuweilen  kleinere  Cysten- 
bildungen.  Bei  längerer  Dauer  der  Eiterung  entwickeln  sich  von  der  Schleimhaut 
aus  grössere  Granulationen,  aus  welchen  wiederum  weichere  oder  härtere  Polypen- 
formen entstehen  können. 

In  anderen  Fällen  sistirt  die  Eiterung  trotz  offener  Perforation.  Die  Mittelohr- 
schleimhaut blasst  ab  und  nähert  sich  dem  normalen  Zustande.  Da  jedoch  unter 
diesen  Verhältnissen  leicht  pathogene  Keime  vom  äusseren  Gehörgange  aus  durch  die 
offene  Perforation  in  die  Trommelhöhle  eindringen  können,  kommt  es  sehr  oft  zu 
Rückfällen  der  Entzündung  und  zu  erneuter  Eiterung. 


OTITIS  MEDIA  SUPPURATIVA.  455 

Bei  läDgerer  Dauer  des  Bestehens  von  Trommelfelldcfecten  hat  man  nicht 
selten  eine  epidermoidale  Umwandlung  der  Mittelohrauskleidung  heohachtet.  Wie 
diese  Umwandlung  zu  Stande  kommt,  kann  noch  nicht  mit  Sicherheit  entschieden 
werden.  "Wahrscheinlich  wächst  die  Epidermis  vom  äusseren  (jehörgangc  durch  den 
Trommelfelldefect  auf  die  Mittclohrausklcidung  hinüber.  Dieser  Vorgang  kann  unter 
günstigeu  Verhältnissen  zur  Heilung  der  eiterigen  Entzündung  beitragen,  er  kann 
jedoch  ebensowohl  verderbliche  Folgen  nach  sich  ziehen.  Erlischt  nämlich  der  ent- 
zündliche Reiz  in  der  Mittelohrauskleidung  nicht  vollständig,  bleiben  pathogene 
Mikroorganismen  in  den  Geweben  zurück,  so  zeigt  die  epidermisirte  Haut  einen 
chronisch- entzündlichen  Zustand,  in  welchem  es  zu  abnormer  Bildung  und  stetiger 
Ablösung  der  obersten  Schichten  des  Bete  Malpighii  kommt.  Es  erfolgt  die  Bildung 
der  fälschlich  sogenannten  Cholesteatommassen,  welche  zum  grössten  Theile  aus  ange- 
häuften Epidermislagen  bestehen,  und  im  übrigen  Eiterzellen,  Mikroorganismen  und 
fettige  Producte,  darunter  auch  Cholestearintafeln  in  wechselnder  Menge  enthalten. 
Diese  Massen  können  bei  weiterem  Wachsthum  zu  den  ausgedehntesten  Zerstörungen 
des  Felsenbeinknochens  führen. 

c)  Gehörknöchelchen, 

Die  Folgezustände  der  Mittelohrerkrankungen  in  Bezug  auf  die  Gehörknöchel- 
chen erklären  sich  leicht,  wenn  man  den  Umstand  in  Betracht  zieht,  dass  letztere 
dieselbe  periostal-mucöse  Umhüllung  tragen,  welche  auch  die  Wände  der  Trommel- 
höhle überzieht.  In  frischen  Fällen  von  einfacher  Mittelohrentzündung  findet  mau 
auch  diesen  Ueberzug  der  Knöchelchen  serös  infiltrirt  und  daher  geschwellt;  nach 
Ablauf  der  Entzündung  zeigen  sich  häufig  bindegewebige  Adhäsionen  zwischen  den 
einzelnen  Kuöchelchen  oder  zwischen  diesen  und  dem  Trommelfell,  resp.  den  anderen 
Paukeuhöhlenwändeu.  Am  häufigsten  sind  die  Steigbügelschenkel  mit  der  Xische 
des  ovalen  Fensters  verwachsen,  oder  es  ist  der  Baum,  welchen  sie  mit  der  Fuss- 
platte  einschliessen,  durch  eine  bindegewebige  Platte  ausgefüllt.  In  anderen  Fällen 
findet  man  die  fibröse  Scheide  des  Musculus  tensor  tympani  verdickt,  ihre  Anheftung 
an  den  Hammerhals  durch  Bindegewebszunahme  verbreitert,  den  langen  Amboss- 
schenkel mit  dem  Hammergriff  bindegewebig  verlöthet,  das  Hammer-Ambossgelenk 
mit  dem  Paukenhöhlendach  durch  Pseudoligamente  verwachsen. 

Bei  öfterer  Wiederkehr  einfacher  Mittelohrentzündungen  werden  die  Gelenk- 
verbindungen der  Gehörknöchelchen  durch  Schrumpfungsvorgänge,  Yerlöthungen, 
Ablagerungen  von  Kalksalzen  mehr  und  mehr  beeinträchtigt,  so  dass  es  schliesslich 
zu  Ankylosen  der  Gelenke  kommen  kann;  auch  scheint  zuweilen  eine  Zunahme  der 
Knochensubstanz  infolge  chronisch-entzündlicher  Zustände  vorzukommen,  so  dass  die 
Knöchelchen  im  Dickendurchmesser  vergrössert  erscheinen. 

Nach  eitrigen  Entzündungen  kommen  mannigfaltige  Zerstörungen  der  Knöchel- 
chen, Lockerung  der  Gelenkverbindungen,  langdauernde  Caries  an  denselben  vor. 
Am  seltensten  wird  die  Steigbügelplatte  von  Caries  befallen. 

d)  Binnenmuskeln  der  Trommelhöhle. 

Bei  häufig  wiederkehrender  Tubenverengerung  durch  katarrhalische  Anschwellung 
der  Schleimhaut  derselben,  sowie  infolge  von  narbiger  Eetraction  der  die  Sehne  des 
Musculus  tensor  tympani  überziehenden  Bindegewebsscheide  findet  man  Verkürzung 
dieser  Sehne. 

In  Fällen  von  Taubstummheit,  sowie  nach  langjähriger  Schwerhörigkeit  ist 
reichlicher  Fettgehalt  der  Muskeln,  Schwund  der  Fibrillen  und  Zunahme  des  Binde- 
gewebes beschrieben  worden. 

Nach  langjähriger,  mit  Caries  des  Felsenbeines  complicirter  Ohreiterung  be- 
obachtete man,  dass  die  Querstreifimg  der  Muskelfibrillen  grösstentheils  verloren  ge- 
gangen war.  Der  Sarkolemmaschlauch  enthielt  eine  bald  feinkörnige,  bald  homogene 
wachsartige  Masse.  STEnreKüGGE. 


456 


OTOMYCOSIS. 


OtomyCOSiS.  Unter  diesem  Namen  verstehen  wir  die  durch  Ansiede- 
lung und  Entwicklung  verschiedener  Pilze  in  den  Wandungen  des  äusseren 
Gehörganges  hervorgerufene  Erkrankung,  die  auch  mit  „Otitis  externa  para- 
sitaria" bezeichnet  werden  kann.  Diese  Krankheit  entsteht  entweder  primär, 
wenn  die  pflanzlichen  Parasiten  von  der  äusseren  Luft  direct  ins  Ohr  gelangen, 
oder  secundär,  wenn  sie  sich  schon  zuvor  in  einer  anderen  Stelle  der  Haut 
eingenistet  und  festgewurzelt  hatten.  Sie  manifestirt  sich  durch  circumscripte, 
disseminirte  oder  auch  diÖuse,  verschieden  gefärbte,  punkt-  oder  fleckenförmige 
Auf-  oder  Einlagerungen  der  Epidermis  der  Gehörgangswände,  resp.  des 
Trommelfelles,  und  durch  die  in  ihrem  Gefolge  auftretenden  subjectiven  und 
objectiven  entzündlichen  Erscheinungen.  Solche  im  äusseren  Ohre  vor- 
kommende Pilze  sind  die  verschiedenen  Aspergillusarten,  von  denen  die 
häufigsten  Aspergillus  niger  flavescens,  fumigatus  und  nidulens  sind,  zu  denen 
sich  nach  Lindt  als  fünfter  Ohrpilz  Eurotium  malignum  anreiht.  Seltener  sind 
Verticillium  Graphi,  Otomyces  Hageni,  Acaphora  elegans,  Mucor  corymbifer, 
Eurotium  repens,  Mucor  septatus  und  Penicillium  minimum,  ferner  Micro- 
sporon  furfur  u.  a. 

Die  Diagnose  wird  durch  die  Constatirung  der  objectiven  Verände- 
rungen mit  Hilfe  der  Ohrspiegeluntersuchung  und  in  schwierigen  Fällen  mittelst 
der  mikroskopischen  Untersuchung  festgestellt. 

Die  Prognose  ist  durchgehends  günstig. 

Die  Therapie  besteht  in  der  mechanischen  Entfernung  der  fremden 
Colonien,  in  der  Anwendung  antizymotischer  Mittel  und  in  der  Beseitigung 
der  ursächlichen  und  disponirenden  Momente  und  wird  gewöhnlich  von  glück- 
lichen Erfolgen  gekrönt. 

I.  Otomycosis  aspergillina.  Die  häufigsten  pflanzlichen  Parasiten  im 
äusseren  Gehörgange  gehören  dem  Schimmelpilze,  der  Gattung  Aspergillus 
an,  von  der  verschiedene  Arten  vorgefunden  wurden.  Dieselben  stellen  makrosko- 
pisch einen  aus  verfilzten  feinen  Fäden  bestehenden  Pilzrasen  von  verschie- 
dener Farbe  dar;  Fruchtlager,  Thallus  (Th.).  Unter  dem  Mikroskop  findet 
man  einzelne  einfache  oder  gegliederte  Fäden,  Mycelien,  Hyphen,  Frucht- 


^^ 


Fig.  1.     Aspergilluspilze. 


Fig.  2.  Fruchtlager  von  Aspergillus. 


fäden  (H.),  die  von  dem  Fruchtboden  in  senkrechtem  oder  spitzem  Winkel 
abgehen  und  mit  einem  knopfförmigen  rundlichen  Köpfchen  Fruchtkopf 
oder   Sporangium,   endigen.    Letzteres   besteht   aus    einer   blasenförmigen 


OTOMYCOSIS.  457 

Anschwellung  im  Centrum,  als  unmittelbare  Fortsetzung  des  Fruchtfadens, 
Receptaculum  (R.),  welchem  radiär  gestellte,  haarfeine,  pinselförmige 
Zellen,  Sterigmen  (St.),  aufsitzen,  die  sich  an  ihrer  Peripherie  zu  kleinen, 
rundlichen  Knöpfchen  abschnüren,  Pilzsporen  oder  Gonidien  (G.j. 

Diese  Sporen  sind  von  verschiedener  Farbe,  von  der  die  Farbe  der 
ganzen  Art  abhängig  ist.  Sie  können  schwarzbraun,  gelblich,  grünlich  oder  grau- 
schwarz sein,  und  darnach  unterscheiden  wir  Aspergillus  nigriscens,  liavescens, 
glaucus  und  fumigatus.  Nur  ausnahmsweise  können  sie  auch  blutrothe  Farbe 
haben.     Diese  Pilze  können  auch  gezüchtet  werden. 

Aetiologie.  Die  Pilzsporen  sind  fast  stets  in  der  uns  umgebenden 
Luft  unserer  Wohnräume  enthalten,  finden  jedoch  im  gesunden  Gehörgange 
keinen  günstigen  Bedingungen  zu  ihrer  Niederlassung  und  Entwicklung. 
Unter  gewissen  pathologischen  Zuständen  hingegen,  besonders  bei  solchen, 
welche  mit  einer  Auflockerung  der  Epidermisschichte  oder  mit  einer  krank- 
haften Beschaffenheit  der  Cutis  im  Gehörgange  einhergehen,  können  die  aus 
der  Luft  hineingelangten  Pilzsporen  daselbst  einen  günstigen  Boden  zur 
Keimung  und  raschen  Vermehrung  antreffen.  Solche  Zustände,  welche  einen 
zur  Einnistung  der  Parasiten  gleichsam  präparirten  Boden  bilden,  sind  Ekzeme 
des  äusseren  Gehörganges  und  spärliche,  seröse  Otorrhoe.  Sind  die  Pilze 
einmal  hier  eingenistet,  dann  können  sie  umso  leichter  zur  vollen  Ent- 
wicklung gelangen,  als  sie  daselbst  vor  äusseren  Schädlichkeiten  so  ziemlich 
geschützt  sind. 

Begünstigt  wird  die  Pilzwucherung  durch  Eingiessungen  von  öligen 
und  fettigen  Substanzen,  von  Milch-,  Kräuterabkochungen  und  anderen  sich 
leicht  zersetzenden  Stoffen,  welche  bei  verschiedenen  Erkrankungen  des  Ohres 
zur  Anwendung  kommen,  wie  durch  Einträufelungen  von  Zink-,  Alaun-, 
Glycerinlösungen  etc.,  wie  auch  durch  mechanische  Insulte  des  äusseren 
Gehörganges  und  durch  alle  jene  Umstände,  die  wir  als  Ursache  der  Otitis 
externa  kennen  gelernt  haben.  Ein  weiteres,  die  Entstehung  dieser  Krankheit 
begünstigendes  Moment  bildet  der  Aufenthalt  in  feuchten  und  schmutzigen 
Localitäten.  In  vielen  Fällen  kann  gar  keine  Ursache  dieser  Krankheit  nach- 
gewiesen werden.  Cerumen  und  profuse  eitrige  Secretion  scheinen  für  die 
Pilzbildung  sehr  ungünstig  zu  sein. 

Diese  Krankheit  ist  dem  äusseren  Gehörgange  eigenthümlich  und 
kommt  an  keiner  anderen  Stelle  der  Haut  vor.  Bei  Kindern  wurde  sie  noch 
nicht  beobachtet,  bei  alten  Individuen  selten,  zumeist  wurde  sie  im  mittleren 
Lebensalter,  viel  häufiger  bei  Männern  als  bei  Frauen  angetroffen. 

Verlauf.  Die  Pilzwucherungen  betreffen  hauptsächlich  den  knöchernen 
Abschnitt  des  äusseren  Gehörganges  und  das  Trommelfell  (Myringomycosis 
aspergülina).  Doch  können  sie  sich  auch  auf  den  ganzen  Gehörgang  erstrecken. 
Sie  finden  sich  nur  selten  auf  der  Epidermis,  meist  unter  derselben  auf  der 
Oberfläche  des  Bete  Malpighi  oder  des  Corium.  Sie  können  längere  Zeit  be- 
stehen, ohne  welche  krankhaften  Erscheinungen  hervorzurufen,  besonders  wenn 
sie  sich  auf  die  Epidermis  beschränken.  Dringen  sie  jedoch  in  die  Tiefe, 
oder  kommt  eine  andere  Ursache,  eine  wenn  auch  nur  geringe  Aufschürfung 
der  Haut  hinzu,  so  kann  eine  mehr  oder  weniger  heftige  Otitis  externa  die 
Folge  sein.  Manchmal  treten  Schmerzhaftigkeit  und  seröser  Ausfluss  als 
erste  Kundgebungen  einer  durch  diese  Krankheit  bedingten  Dermatitis  des 
äusseren  Gehörganges  auf.  Die  Entzündungserscheinungen  können  in  einigen 
Tagen  ablaufen,  um  nach  verschieden  langen  Intervallen  mit  erneuerter  Vehe- 
menz zu  recidiviren.  Es  ist  aber  auch  eine  vollständige  spontane  Aushei- 
lung durch  Erschöpfung  der  Pilzbildung  möglich.  In  anderen  Fällen  ist  der 
Verlauf  ein  langwieriger,  chronischer,  mit  verschiedenen  Schwankungen  der 
Intensität  und  kann  sich  durch  mehrere  Wochen  und  länger  hinziehen.  Da- 
bei können  die  Parasiten   innerhalb  des  Trommelfellgewebes    gelangen   und 


458  OTOMYCOSIS. 

nach  Zerstörung  dieser  Membran  oder  bei  bereits  bestehender  Perforation  in 
die  Paukenhöhle  eindringen.  In  einem  Falle  von  Haug  waren  die  Schimmel- 
pilze durch  die  Paukenhöhle  bis  in  die  Räume  des  Warzenfortsatzes  vorge- 
drungen. Nach  spontaner  oder  durch  Behandlung  erfolgter  Heilung  sind 
Recidiven  sehr  häufig. 

Symptome,  Subjective  Beschwerden  können  bei  dieser  Krankheit 
auch  ganz  fehlen.  Am  constantesten  besteht  jedoch  Jucken,  bisweilen  auch 
Brennen  oder  Stechen  im  Ohre,  seltener  sind  Schmerzen,  die  mitunter  ausser- 
ordentlich heftig  sein  und  gegen  Kopf  und  Hals  ausstrahlen  können;  findet 
Verstopfung  oder  Verlegung  des  Gehörganges  oder  Druck  auf  das  Trommel- 
fell statt,  dann  sind  auch  Ohrensausen  und  Schwerhörigkeit  vorhanden. 

Objectiv  findet  man  bei  der  Untersuchung  schwärzliche,  braune,  weisse 
oder  gelbliche  punktirte  Flecke,  Plaques  oder  Membranen  von  verschiedener 
Ausdehnung  in  der  inneren  Partie  des  äusseren  Gehörganges  und  auf  dem 
Trommelfelle,  Die  hervorstehenden  feinen  Pilzfäden  verleihen  denselben  das 
Aussehen  einer  mit  verschiedenfarbigem  Staube  bestreuten,  rasenförmigen, 
sammtartigen  Fläche.  Gewöhnlich  haften  die  Parasiten  ihrer  Unterlage  so  fest 
an,  dass  sie  anfänglich  nur  theilweise  von  derselben  abgelöst  werden  können. 
Manchmal  gelingt  es,  grössere  Fetzen  durch  Ausspritzen  zu  entfernen,  an 
welchen  man  schon  mit  freiem  Auge,  noch  besser  mit  Hilfe  einer  Lupe  die 
verschieden  gefärbten  charakteristischen  Pünktchen  wahrnehmen  kann.  Oder 
man  bekommt  einen  blindsackförmigen  Abguss  des  Gehörorganes  in  Form 
eines  aus  Epidermis  bestehenden  Handschuhfingers,  an  dessen  Innenseite  die 
braunen,  gelblichen,  dunkelgrünen  oder  schwarzen  Pilzanhäufungen,  Hyphen 
und  Sporangien  deutlich  hervortreten.  Nach  Entfernung  der  Pilzmasse  zeigt 
sich  die  darunter  liegende  Auskleidung  des  Gehörganges  und  des  Trommel- 
felles von  Epidermis  entblösst,  geröthet  und  geschwellt.  Dabei  kann  eine 
spärliche,  seröse  oder  serös  eitrige  Secretion  bestehen  oder  auch  nicht. 
Schwindet  nach  der  Ausspritzung  die  Hyperämie  der  ergriffenen  Partie  in 
kurzer  Zeit,  dann  ist  vollständige  Heilung  zu  erwarten,  besteht  aber  die 
Röthe  fort,  dann  ist  ein  Recidiv  vorauszusehen,  das  manchmal  schon  nach 
24  Stunden  unter  Bildung  frischer  Pilzmembranen  eintritt.  Eine  Weiterver- 
breitung der  Parasiten  auf  andere  und  entferntere  Organe  ist  nicht  zu 
fürchten,  ebensowenig  ein  Eindringen  derselben  in  die  Blutbahn. 

Diagnose.  Bei  den  zumeist  charakteristischen,  objectiven  Erscheinungen 
unterliegt  die  Diagnose  einer  Mycose  des  äusseren  Gehörganges  in  der  Regel 
keinen  Schwierigkeiten.  Es  können  jedoch  unter  Umständen  Verwechslungen 
mit  andersartigen  Auflagerungen  vorkommen,  die  ein  den  Pilzwucherungen 
ähnliches  Aussehen  darbieten.  So  können  Gemmen,  Staub,  Pflanzentheilchen, 
Kohlenpartikelchen,  Puder  und  andere  ähnliche,  staubförmige  Fremdkörper 
von  verschiedener  Farbe  inselförmige,  disseminirte,  fleckige  Belege  an  den 
Gehörgangswandungen  bilden  und  Schimmel-  oder  Sprosspilze  vortäuschen. 
Die  begleitenden  Erscheinungen  einer  Otitis  externa  tragen  allerdings  zur 
Aufklärung  des  Sachverhaltes  bei,  da  sonstige  indifferente  Fremdkörper  nicht 
in  demselben  Maasse  geeignet  sind,  entzündliche  Erscheinungen  hervorzurufen. 
Dennoch  wird  man  bisweilen  zur  vollständigen  Sicherstellung  der  Diagnose 
der  mikroskopischen  Untersuchung  nicht  entrathen  können.  Dann  entferne 
man  durch  Ausspritzen  oder  mit  dem  Ohrlöffel  einen  Theil  der  so  veränderten 
Epidermis  aus  dem  Gehörgange.  Man  bekommt  dann  weisse  Hautfetzen  mit 
aufsitzenden  gelblichen,  schwarzen  etc.  Punkten.  Zerzupft  man  nun  ein 
kleines  Stückchen  der  aufgelagerten,  abnorm  gefärbten,  prominirenden  Flecken, 
so  kann  man  schon  bei  schwacher  Vergrösserung  ein  aus  feinen  Fasern  ver- 
filztes  Lager  mit  zahlreichen  zerstreuten  Sporen  erkennen,  von  denen  hie 
und  da  die  Fruchtträger  mit  den  an  ihren  Enden  mohnkopfförmigen  Ver- 
dickungen abgehen.     Am  deutlichsten   treten  diese  morphologischen  Differen- 


OTOMYCOSIS.  459 

cirungen  an  den  dem  Trommelfelle  anliegenden  Massen  hervor,  da  daselbst 
die  meist  entwickelten  Formen  der  Parasiten  sich  finden,  während  diese  weiter 
nach  aussen  immer  weniger  entwickelt  erscheinen.  Mit  Hilfe  dieser  Unter- 
suchung wird  es  auch  in  schwierigen  Fällen  immer  gelingen,  diagnostische 
Zweifel  auszuschliessen. 

Prognose.  Wenn  wir  auch  gesehen  haben,  dass  in  vernachlässigten 
Fällen  die  Pilze  sogar  in  die  Paukenhöhle  eindringen  und  daselbst  eine  Otitis 
media  heraufbeschwören  können,  so  geschieht  dies  doch  nur  sehr  selten,  und 
ist  selbst  in  diesen  Fällen,  eine  sachgemässe  Behandlung  vorausgesetzt,  die 
Prognose  absolut  günstig,  da  nicht  blos  die  Krankheit  selbst  leicht  zu  heilen, 
sondern  mit  ihrer  Beseitigung  auch  etwaige  Folgen  leicht  der  Heilung  zu- 
geführt werden  können.  Doch  sind  Recidiven  die  Regel  und  manchmal  so 
hartnäckig,  dass  man  gut  thun  wird,  diesem  Umstände  in  der  Vorhersage 
Rechnung  zu  tragen,  besonders  bei  Fortdauer  der  erwähnten  disponirenden 
Verhältnisse. 

Therapie.  In  prophylaktischer  Beziehung  ist  die  Vermeidung  von  fett- 
und  ölhaltigen  Medicamenten  für  das  Ohr  und  gründliche  Desinfection  der 
bei  der  Behandlung  von  Ohrenkrankheiten  zur  Verwendung  kommenden  In- 
strumente, Ohrenspritzen  u.  s.  w.  erforderlich.  Die  erste  Aufgabe  einer  sach- 
gemässen  Behandlung  der  in  Rede  stehenden  Krankheit  ist  die  gründliche 
Entfernung  der  anhaftenden  Pilzmembranen.  Dies  gelingt  manchmal  mit  der 
Spritze  allein  nicht,  und  dann  müssen  sie  von  ihrer  Basis  zuvor  gelockert 
werden,  was  mit  der  Sonde  zu  geschehen  hat.  Wenn  nun  auch  nach  der 
Entfernung  der  fremden  Massen  auf  mechanischem  W^ege  in  der  Regel  die 
Schmerzen  und  die  sonstigen  entzündlichen  Symptome  schnell  zurückgehen, 
so  ist  mit  dieser  Manipulation  allein  doch  noch  nicht  den  Ansprüchen  einer 
rationellen  Therapie  Genüge  geleistet.  Denn  einerseits  können  an  dem  Auge 
schwer  zugänglichen  Stellen  des  Gehörganges  kleinere  parasitäre  Ansiede- 
lungen leicht  übersehen  und  zurückgelassen  werden,  die  sich  dann  später 
wieder  weiter  ausbreiten  können  oder  sie  setzen  ihrer  vollständigen  Aus- 
räumung auf  mechanischem  Wege  einen  unüberwindlichen  Widerstand  ent- 
gegen, andererseits  lehrt  die  Erfahrung,  dass  nach  scheinbar  vollständiger 
Elimination  eine  Rückbildung  dieser  Massen  in  sehr  kurzer  Zeit  sehr  häufig 
erfolgt.  Man  wird  daher  zur  sicheren  und  gründlichen  Beseitigung  der 
Krankheit  zu  den  bekannten  antimycotischen,  pilztödtenden  Mitteln  greifen 
müssen.  Als  solche  wirken  am  sichersten  Einträufelungen  von  reinem  Alko- 
hol, 27oige  Salicylalkohollösungen,  ferner  0-27oige  Sublimatlösungen,  Steige 
Carbolsäure-,  S^oige  Borsäurelösungen  am  besten  in  Alkohol.  Sehr  wirksam 
erweisen  sich  auch  Eingiessungen  starker  Lösungen  von  Kali  hypermanganicum 
und  von  27oigen  Lösungen  von  Cuprum  sulfuricum  u.  a.  Diese  Flüssigkeiten 
müssen  nach  mechanischer  Entfernung  der  Pilzmembranen  lauwarm  2 — 3  mal 
täglich  ins  Ohr  eingegossen  werden.  Damit  soll  man  immer  seltener,  manch- 
mal durch  einige  Wochen  in  Zwischenräumen  von  einigen  Tagen  so  lange 
fortsetzen,  bis  die  Epidermisauskleidung  des  äusseren  Gehörganges  und  des 
Trommelfelles  ihr  normales  Aussehen  wiedererlangt  hat. 

Um  Recidiven  zu  verhüten,  darf  man  auf  die  disponirenden  Momente 
nicht  vergessen,  und  soll  man  die  Beseitigung  antihygienischer  Verhältnisse 
und  etwa  vorhandener  krankhafter  Zustände,  wie  Ekzem  des  Ohres,  chro- 
nische Otorrhoe,  anzustreben  trachten.  Zu  demselben  Zwecke  empfiehlt  es 
sich,  die  erwähnten  parasiticiden  Mittel  noch  durch  eine  längere  Zeit  nach  der 
Heilung  mit  gewissen  Unterbrechungen  anzuwenden. 

II.  Eine  andere  seltenere  Mycose  des  äusseren  Gehörganges  bildet  die 
Pityriasis  versicolor  (Kirchner).  Dieselbe  kommt  im  Ohre  fast  nie  primär 
vor.  Am  häufigsten  ist  sie  gleichzeitig  an  der  Brust  und  am  Halse  an- 
zutreffen,  wo  sie  die  bekannten   bräunlich-gelben  Flecken   mit   kleienartigen 


460  OTOSKOPIE. 

Schüppchen  bildet.  Von  hier  wird  die  Krankheit  durch  Kratzen  mit  dem 
Finger  auf  den  Gehörgang  übertragen.  Hier  tritt  sie  unter  demselben  Bilde 
wie  an  der  übrigen  Körperoberfläche  auf  und  ruft  meist  hartnäckiges  Jucken 
hervor,  kann  aber,  wenngleich  seltener,  auch  subjective  Geräusche,  Schwer- 
hörigkeit, bedingt  durch  Ansammlung  der  abgestossenen  Schuppen  oder  eine 
Verdickung  der  Gehörgangswände,  Wärmegefühl  im  Ohr,  mitunter  auch  neu- 
ralgische Gesichtsschmerzen  veranlassen. 

Diagnose.  Diese  Krankheit  kann  im  Ohre  um  so  leichter  übersehen 
und  verkannt  worden,  als  sie  hier  meist  keine  solchen  in  die  Augen  sprin- 
genden Veränderungen  veranlasst,  wie  die  Aspergillusarten,  und  leichte  Ab- 
schuppungen oder  Jucken  auch  bei  normalem  Gehörgange  ziemlich  häufig  an- 
getroffen werden.  Auch  hier  wird  die  mikroskopische  Untersuchung  und  der 
Nachweis  der  für  den  specifischen  Pilz,  Mikrosporon  furfur,  charakteristischen 
fadenförmigen  Mycelien  und  Gonidienhaufen  in  den  Epidermislamellen  zur 
sicheren  Diagnose  verhelfen. 

Therapie.  Diese  Pilzkrankheit  lässt  sich  gleichfalls  durch  Einpinse- 
lungen der  erkrankten  Stellen  mit  parasiticiden  Mitteln,  am  besten  mit  Ol. 
cadin.  und  Spiritus  vini  aa.  pp.  aequales,  2—3  mal  wöchentlich  wiederholt,  be- 
kämpfen, womit  auch  die  durch  sie  veranlassten  Folgen,  das  lästige  Jucken 
verschwinden.  Um  Recidiven  vorzubeugen,  ist  es  rathsam,  sich  nicht  damit 
zu  begnügen,  die  Ohrenkrankheit  geheilt  zu  haben,  sondern  darnach  zu 
trachten,  auch  den  primären  Ausschlag  an  anderen  Körperstellen  wegzuschaffen. 

IIL  Von  Ladreit  de  Laciianciere  wurde  auch  eine  seltene  Mycose  unter 
dem  Namen  „Pityriasis  alba"  beschrieben,  die  im  Alter  von  40— 50  Jahren 
in  Combination  mit  Pityriasis  capitis  vorkommt.  Nach  Entfernung  der 
Schüppchen,  welche  mikroskopisch  die  charakteristischen  Pilzsporen  zeigen, 
erscheint  die  Cutis  des  Gehörganges  verdickt  und  geröthet.  Die  Mycose  ist 
nicht  mit  der  Seborrhoe  des  Gehörganges  zu  verwechseln,  bei  welcher  es  eben- 
falls zur  Bildung  eines  mit  fettigen  Schüppchen  durchsetzten,  gelblichgrauen 
Secretes  ohne  merkliche  Veränderung  der  Cutis  kommt.  Die  Therapie  der 
Pityriasis  alba  besteht  in  der  Extraction  der  meist  steifen  Haare  und  in  Be- 
pinselungen der  Gehörgangsauskleidung  mit  einer  0-57oigen  Sublimatlösung 
(Politzer). 

IV.  Der  Vollständigkeit  halber  wollen  wir  noch  eine  Krankheit  hier 
erwähnen,  deren  mycotische  Natur  noch  nicht  allgemein  anerkannt  ist,  näm- 
lich die  Psoriasis.  Dieselbe  bildet  auch  im  äusseren  Gehörgange  die  von 
anderen  Hautstellen  her  bekannten  charakteristischen  Plaques.  Sie  gewinnt 
aber  für  den  Gehörgang  eine  besondere  Bedeutung  dadurch,  dass  durch  das 
von  ihr  hier  verursachte  starke  Jucken  Anlass  zu  häufigem  Kratzen  mit  Ohr- 
löffeln, Fingernägeln  u.  s.  w.  gegeben  wird,  und  die  hier  so  zustande  kom- 
menden häufigen  Insulte  öfters  acute  und  chronische  Otitides  externae  nach 
sich  ziehen  können.  Die  Krankheit  hat  ihren  Sitz  meistens  im  knorpeligen 
Gehörgange,  kann  sich  aber  bis  in  den  knöchernen  Abschnitt  ausbreiten. 

Therapie.  Auch  diese  Krankheit  wird  am  besten  mit  Einpinselungen 
von  Ol.  cadin.  und  Weingeist  aa.  pp.  aequales  2 — 3  mal  in  der  Woche  aus- 
geführt, behandelt,  wodurch  auch  das  Jucken  beseitigt  und  das  Kratzen  ver- 
hütet wird.  SPiRA. 

OtOSkopie.  Zur  Otoskopie  ist  ein  Ohr  Spiegel  und  ein  Satz  von 
Ohrtrichtern  (siehe  „Instrumentarium  des  0/ire««r2;^es'')  erforderlich.  Bevor 
man  das  Trommelfell  untersucht,  soll  man  nicht  versäumen,  das  äussere  Ohr 
und  seine  Umgebung  einer  genauen  Betrachtung  zu  unterziehen  und  unter 
Beleuchtung  mit  dem  Spiegel,  aber  ohne  Trichter,  den  knorpeligen  Gehörgang 
zu  besichtigen.  Es  bleiben  sonst  leicht  Schwellungszustände,  Fisteln,  Furunkel 
und  dergleichen  unbemerkt. 


OTOSKOPIE.  461 

Als  Lichtquelle  für  die  Untersuchung  des  Tronimolfelles  verwendet 
man  mit  Vortheil  diffuses  Tageslicht,  weil  dasselbe  am  reinsten  weiss 
ist  und  die  beleuchteten  Gebilde  daher  in  ihrer  natürlichen  Farbe,  ohne 
fremde  Beimengung  erscheinen  lässt.  Die  hellsten  weissen  Strahlen  liefern 
die  das  Sonnenlicht  retlectirenden  Wolken  oder  auch  von  der  Sonne  beschie- 
nene helle  Mauern,  welche  dem  Untersuchungszimmer  gegenüber  liegen;  bei 
blauem  und  gleichmässig  grauem  Himmel  fehlt  es  dem  Lichte  gewöhnlich  an 
Intensität.  Directes  Sonnenlicht  soll  man  nicht  oder  höchstens  mit  einem 
Planspiegel  reflectirt  verwenden,  weil  es  zu  stark  blendet  und  die  Erkennung 
feinster  Nuancen  unmöglich  macht.  Scheint  die  Sonne  in  das  Zimmer,  so 
kann  durch  einen  dichten  weissen  Vorhang  gedämpftes  Licht  benutzt  werden. 

Ist  man  auf  eine  künstliche  Lichtquelle  angewiesen,  wie  es  am 
Abend,  in  grossen  Städten  häufig  auch  am  Tage  der  Fall  ist,  so  genügt  für 
die  Untersuchung  jede  Lampe.  Da  aber  das  Petroleum-,  Oel-  oder  Gaslicht 
viele  gelbe  Strahlen  enthält,  so  erscheinen  die  damit  beleuchteten  Gebilde 
nicht  in  ihrer  natürlichen  Farbe,  und  man  bekommt,  wenn  man  mit  Tages- 
licht zu  otoskopiren  gewöhnt  ist,  leicht  den  Eindruck,  als  ob  das  Trommelfell 
hyperämisch  wäre.  Man  kann  diesem  Uebelstande  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  durch  einen  blauen  Cylinder  abhelfen,  wenn  man  Gas  zur  Verfügung 
hat,  aber  wirksamer,  indem  man  Auer'sches  Glühlicht  verwendet,  das  ohne 
weiteres  auf  jeden  Gasbeleuchtungskörper  aufgesetzt  werden  kann  und  ein 
relativ  reines  Licht  liefert.  Noch  weissere  Strahlen  gibt  die  elektrische 
Glühlampe,  deren  Benutzung  in  Städten,  in  welchen  eine  elektrische  Central- 
stelle  vorhanden  ist,  schon  vielfach  Verwendung  findet. 

Zum  Zwecke  der  Untersuchung  setzt  man  den  Kranken  derartig  gegen 
ein  Fenster  (die  Lichtquelle),  dass  das  zu  besichtigende  Ohr  vom  Lichte  ab- 
gewendet ist.  Der  Kopf  muss  etwas  seitlich  und  schräg  gedreht  werden,  so 
dass  er  die  Lichtstrahlen  nicht  auffangen  kann.  Der  Ohr  Spiegel  wird  in 
der  Hand  gehalten,  welche  dem  zu  untersuchenden  Ohre  entspricht,  also  bei 
der  Beleuchtung  des  rechten  Ohres  in  der  rechten  Hand,  die  andere  Hand 
fasst  zwischen  den  dritten  und  vierten  Finger  den  oberen  Theil  der  Ohr- 
muschel, um  durch  sanften  Zug  nach  hinten  und  oben  den  in  der  Ruhelage 
gekrümmten  Gehörgang  gerade  zu  strecken;  zwischen  Daumen  und  Zeigefinger 
den  möglichst  weiten  Ohrtrichter,  welcher  unter  leicht  rotirenden  Bewe- 
gungen so  tief,  wie  es  ohne  die  geringste  Gewalt  möglich  ist,  in  den  Gehör- 
gang eingeführt  wird.  Da  es  in  der  Regel  nicht  gelingt,  das  ganze  Trommel- 
fell auf  einmal  einzustellen,  so  muss  der  Trichter  nach  und  nach  in  ver- 
schiedene Stellungen  gebracht  werden,  bis  jeder  Abschnitt  der  Membran  be- 
sichtigt worden  ist. 

Eine  Hauptbedingung  für  das  gute  Gelingen  der  Otoskopie  ist  es  natür- 
lich, dass  das  Trommelfell  focal  beleuchtet  werde;  der  Spiegel  muss  also  in 
einer  genau  so  weiten  Entfernung  von  der  Membran  gehalten  werden,  wie 
seine  Brennweite  beträgt.  Für  Normalsichtige,  welche  gut  accommodiren 
können,  und  für  nicht  übermässig  Kurzsichtige  ist  diese  Entfernung,  welche 
etwa  15  cm  beträgt,  eine  günstige;  Hypermetropen  müssen  sich  bei  der 
Spiegelung  einer  Convexlinse  bedienen,  welche  in  Form  einer  Brille  oder  mit 
Hilfe  einer  mit  einem  Charnier  befestigten  Gabelvorrichtung  an  der  Rückseite 
des  Spiegels  angebracht  werden  kann. 

Finden  sich  im  Gehörgang  Gegenstände,  welche  den  Einblick  erschweren, 
wie  Cerumen-  oder  Epitheltheilchen,  so  werden  dieselben,  wofern  sie  sich  gut 
fassen  lassen,  mit  einer  Pincette  oder,  wenn  sie  wandständig  oder  in  grosser 
Menge  vorhanden  sind,  durch  Ausspritzen  mit  warmem  Wasser  entfernt.  Bei 
Extractionsversuchen  ist  der  Handspiegel  mit  einem  Stirnspiegel  zu  vertauschen, 
wodurch  eine  Hand  frei  wird. 


462  OTOSKOPIE. 

Will  man  die  Beweglichkeit  des  Trommelfelles  prüfen,  so  benutzt  man 
den  SiEGLE'schen  pneumatischen  Ohrtrichter,  welcher  in  dem  Artikel 
„Instrumentarium  des  Ohrenarztes"  beschrieben  worden  ist.  Normaler  Weise 
gentigt  ein  leichter  Druck  auf  den  mit  dem  Apparate  verbundenen  Gummi- 
ball, um  eine  Verschiebung  der  Membran  zu  erzeugen,  und  bei  einiger 
Uebung  kann  man  gut  feststellen,  ob  und  welche  Stellen  des  Trommelfelles 
den  mit  dem  Trichter  erzeugten  Luftdruckschwankungen  nicht  Folge  leisten. 

Bei  der  Untersuchung  des  Trommelfelles  empfiehlt  es  sich,  denjenigen 
Theil  zuerst  einzustellen  und  zur  weiteren  Orientirung  zu  benutzen,  welcher 
am  constantesten  ist,  den  kurzen  Fortsatz  des  Hammers.  Derselbe 
liegt  nahe  dem  vorderen-oberen  Rande,  hat  das  Aussehen  einer  kleinen  perlen- 
artigen Vorwölbung  oder  springt  mehr  schnabelartig  vor.  Vom  kurzen  Fort- 
satze in  der  Richtung  nach  hinten,  unten  und  innen  verläuft  der  gelblich- 
weisse,  schwach  S-förmig  gekrümmte  Hammerhandgriff,  dessen  etwas 
schaufeiförmig  verbreitertes  Ende  im  U  m  b  o,  der  am  weitesten  eingezogenen 
Stelle  des  Trommelfelles  liegt.  Betrachtet  man  den  Hammergriff  als  Radius 
des  Trommelfelles,  was  er  genau  genommen  nicht  ist,  weil  der  hinter  ihm 
gelegene  Theil  der  Membran  grösser  ist  als  der  vordere,  so  kann  man  sich 
mit  Hilfe  einer  einfachen  geometrischen  Construction  das  Trommelfell  in  vier 
Quadranten  getheilt  denken:  einen  hinteren-oberen,  einen  hinteren-unteren, 
einen  vorderen-unteren  und  einen  vorderen-oberen,  und  sich  dadurch  die  Be- 
zeichnung der  Regionen  erleichtern. 

Nach  oben  und  vorn  vom  kurzen  Fortsatze  befindet  sich  die  Mem- 
brana flaccida,  welche  meist  etwas  concav  nach  innen  gewölbt  erscheint 
und  deren  Grenze  gegen  die  Membrana  tensa  durch  die  vom  Processus  brevis 
ausgehenden  Falten  gebildet  wird;  nach  hinten  von  jenem  zieht  sich  sanft 
geschwungen,  etwa  in  einem  rechten  Winkel  zur  vorderen  Kante  des  Hammer- 
griffes, die  hintere  Falte,  in  ihrer  Verlängerung  vom  kurzen  Fortsatze 
nach  vorn  die  bedeutend  kürzere  vordere  Falte.  Vom  Processus  brevis 
nach  vorn-oben  und  hinten-oben  divergiren  ausserdem  zwei,  nicht  immer 
deutlich  ausgeprägte  obere  Falten,  welche  in  der  Membrana  flaccida  ent- 
halten sind.  Die  obere  Grenze  der  letzteren  gegen  die  obere  Gehörgangswand 
lässt  sich  zuweilen  nicht  scharf  erkennen. 

Beim  normalen  Trommelfelle  springt  am  stärksten  in  die  Augen  der 
dreieckige  Licht  fleck  {Lichtkegel^  Reflex),  welcher  im  vorderen-unteren 
Quadranten  seinen  typischen  Sitz  hat.  Seine  Spitze  liegt  dicht  am  Hammer- 
griffende im  Umbo,  seine  etwa  2  mm  breite  Basis  nahe  dem  vorderen-unteren 
Rande  der  Membran;  seine  Grösse  und  Form,  sowie  die  Intensität  seines 
Glanzes  unterliegt  selbst  innerhalb  der  normalen  Breite  mannigfachen  Schwan- 
kungen. Da  seine  Entstehung  nämlich  durch  die  Trichtergestalt  des  Trommel- 
felles und  durch  den  Umstand  bedingt  ist,  dass  infolge  der  Verticalstellung 
eines  Theiles  des  vorderen-unteren  Quadranten  unsere  Sehachse  senkrecht  auf 
eine  bestimmte  Zone  auffällt,  so  muss  jede  noch  so  unbedeutende  Abweichung 
in  den  Wölbungsverhältnissen  der  Membran  eine  Veränderung  des  Lichtkegels 
zur  Folge  haben.  Ausserdem  aber  ist  nur  dann  ein  Reflex  vorhanden,  wenn 
die  Oberfläche  des  Trommelfelles  von  einer  gleichmässigen,  glatten  Epithel- 
schicht bedeckt  ist,  während  abnorme  Zustände,  wie  Quellung  der  Epithel- 
zellen, den  Glanz  mehr  oder  weniger  aufheben. 

Die  Farbe  des  Trommelfelles  ist  eine  Mischfarbe,  welche  aus  dem 
Zusammenwirken  der  Farbe  des  angewandten  Lichtes,  derjenigen  der  durch- 
scheinenden Paukenhöhlenschleimhaut  und  der  Eigenfarbe  der  Membran  resul- 
tirt  und  als  ein  helles  Grau  (Perlgrau)  bezeichnet  werden  kann.  Dasselbe 
verhält  sich  an  verschiedenen  Stellen  des  Trommelfelles  verschieden;  da  näm- 
lich,   wo   die   innere   Paukenhöhlenwand   weiter   von   der    durchscheinenden 


OZAENA.  463 

Membran  entfernt  ist  und  das  durch  letztere  durchfallende  Licht  zum  grossen 
Theile  absorbirt  wird,  erscheint  das  Grau  dunkler  als  an  denjenigen  Stellen, 
an  welchen  infolge  des  Naheliegens  des  Hintergrundes  ein  grösserer  Theil  des 
Lichtes  von  diesem  reflectirt,  der  Trommelfarbe  beigemischt  wird.  Deshalb 
ist  die  Farbe  am  dunkelsten  im  vorderen  und  oberen  Theile,  heller  im  Umbo 
und  in  der  Gegend  des  Promontoriums  nach  hinten  und  unten  von  diesem; 
am  hellsten  erscheint  der  Hand,  der  Annulus  tendineus,  welcher  durch 
eine  besonders  dichte  Verfilzung  der  Trommelfasern  mit  Letheiligung  des 
Periosts  gebildet  wird  und  oft  Knorpelzellen    {Annulus  cartilarjineuH)   enthält. 

Bei  sehr  durchscheinendem  Trommelfelle  kommen  einzelne  Gebilde  der 
Paukenhöhle  mehr  oder  weniger  deutlich  zum  Vorschein.  So  insbesondere 
hinter  dem  Hammergriffe  und  mit  ihm  ungefähr  parallel  und  von  ähnlicher 
Form  und  Farbe  der  absteigende  Ambossschenkel,  von  welchem,  im 
rechten  Winkel  abgehend,  der  äussere  Steigbügelschenkel  zuweilen 
sichtbar  wird;  unter  der  hinteren  Falte  und  ungefähr  parallel  mit  dieser 
erscheint  mitunter  der  untere  Rand  der  TRöLTScn'schen  Tasche,  seltener 
die  Chorda  tympani;  ziemlich  regelmässig  schimmert  unten  und  hinten 
vom  Umbo  das  Promontorium  röthlich-gelb  durch. 

Da  es  für  die  Beurtheilung  nicht  allein  der  auf  das  Trommelfell  selbst 
beschränkten  Krankheitsprocesse,  sondern  auch  für  alle  Vorgänge  in  der 
Paukenhöhle  von  der  grössten  Wichtigkeit  ist,  dass  man  am  Trommelfelle  die 
geringste  Abweichung  von  der  Norm  erkennt,  so  muss  die  Untersuchung  der 
Membran  in  jedem  einzelnen  Falle  mit  der  Genauigkeit  ausgeführt  werden. 
Je  mehr  Zeit  man  auf  die  Otoskopie  verwendet,  umso  mehr  Anhaltspunkte 
wird  man  für  vorhandene  pathologische  Zustände  finden.  Aber  weder  die 
genaueste  Beschreibung  des  Befundes,  noch  die  vollkommenste  Abbildung 
kann  die  Uebung  ersetzen.  bürkner. 

Ozaena  [SUnknase,  Rhinitis  atropldcans  foetida).  Als  Ozaena  (o'Cvj,  Ge- 
stank) bezeichnen  wir  eine  eigenthüraliche,  diffuse  Erkrankung  der 
Nasenschleimhaut,  die  durch  Production  eines  dicken,  zur 
Krusten-  und  Borkenbildung  tendirenden,  specifisch  übel- 
riechenden Secrets  und  durch  Atrophie  der  Schleimhaut  und 
des  darunterliegenden  Nasengerüstes  charakterisirt  ist. 

Objective  Symptome.  Das  hervorragendste  und  in  unbehandelten 
Fällen  stets  vorhandene  Symptom  der  Ozaena  ist  ein  specifisch  er,  übler 
Geruch  der  Athmungsluft. 

Die  eigenthümliche  Geruchsqualität  lässt  sich  mit  nichts  vergleichen. 
Sie  erinnert  etwas  an  den  Gestank  von  Schweissfüssen  oder  von  fötiden  Cho- 
lesteatomen, viel  weniger  an  den  zerquetschter  Wanzen  (die  Stinknase  heisst 
französisch  punaisie  von  punaise,  Wanze).  Die  Stärke  des  Geruchs  ist  sehr 
verschieden.  Oft  ist  er  nur  in  unmittelbarer  Nähe  des  Kranken  wahrzunehmen, 
oft  ist  er  so  stark,  dass  er  seine  Umgebung  in  weitem  Umkreise  verpestet. 
Er  wechselt  bei  derselben  Person  zuweilen  merklich.  Bei  Frauen  ist  es  häufig 
die  Zeit  der  Periode,  in  der  er  beträchtlich  zunimmt. 

Häufig  ist  die  Nase  klein  im  Verhältnis  zum  übrigen  Gesicht,  etwas 
abgeplattet  und  breit.     Doch  kann  ihre  Gestalt  auch  ganz  normal  sein. 

Die  Rhinoskopie  zeigt  weite  Nasenhöhlen,  die  von  grüngelben  oder 
schmutziggrauen  oder  schwarzgescheckten,  bei  der  Betastung  klebrig  schmie- 
rigen oder  lederharten  Borken,  Schalen,  Krusten  oder  Klumpen  austapezirt 
werden.  Daneben  finden  wir  stellenweise  ein  zähweiches,  glasiges,  fadenziehendes, 
graues  oder  grüngelbes  Secret.  Die  Borkengebilde  sitzen  in  der  Regel  ziem- 
lich fest,  sodass  sie  ohne  Vorbereitung  nur  unter  Blutung  abgelöst  werden 
können.     Wo  sie  lose  sitzen,  zeigt  sich  an  ihrer  der  Schleimhaut  zugewandten 


464 


OZAENA. 


Oberfläche  das  schon  beschriebene,  zähe  Secret,  durch  dessen  Eintrocknung, 
wie  wir  schliessen  müssen,  die  Borke  entstanden  ist. 

An  den  Secreten  haftet  der  vorher  geschilderte  mephi- 
tische  Gestank.  Sie  sind  es,  die  ihn  der  Athmungsluft  mittheilen,  und 
die  von  ihnen  befreite  Nase  ist  geruchlos. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  des  Secretes  findet  man 
von  morphologischen  Bestandtheilen  vorzüglich  Eiterzellen  und  äusserst  zahl- 
reiche Mikroorganismen  der  verschiedensten  Arten  (Fig.  1,  2).  Schuchardt 
hat  daneben  zahlreiche,  zum  Theil  kernlose  Plattenepithelien  vorgefundeo. 


Fig.  1.   Secret  bei  einer  Ozaena.  Fig.  2.    Secret  bei  einer  andern  Ozaena. 

Vergr.:  ^''o/,.  '  Gefärbt  mit  Löfflers  Methylenblau.     . 

Nach  Präparaten  des  Verfassers,  gez.  von  P.  Günther. 


Erst  nach  der  Entfernung  der  Secrete  (s.  Therapie)  können  wir  uns  von  der 
Gestalt  der  Nasenhöhle  ein  rechtes  Bild  machen.  Wir  finden  sie  stets 
abnorm  gross,  und  zwar  vorzugsweise  durch  Schwund  der  Nasenmuscheln, 
besonders  der  unteren.  Diese  sind  oft  zu  einer  dünnen  Schleimhautfalte  redu- 
cirt,  die  wie  ein  Zeltdach  den  untern  Nasengang  bedeckt.  Ist  dabei  die 
mittlere  Muschel  intact,  so  erscheint  sie  besonders  gross.  Manchmal  aber  ist 
auch  diese  fast  völlig  eingegangen,  sodass  die  Gegend  des  Hiatus  semilunaris 
ohne  weiteres  im  Präparate  sichtbar  ist  (Fig.  3).  Oft  kann  man  an  der  mitt- 
leren Muschel  vorbei  die  Keilbeinostien  sehen  und  unter  der  Leitung  des 
Auges  sondiren.  Besonders  deutlich  aber  zeigt  sich  uns  die  Hinterwand  des 
Nasenrachenraumes,  die  Tubenmündung  mit  ihrer  Umgebung  und  ihren 
Veränderungen  beim  Sprechen,  Schlucken,  Würgen.  Die  Schleimhaut  erscheint 
blass,  sehnenartig  glänzend,  sie  liegt  straff  auf  ihrer  Unterlage. 

Die  Erkrankung  findet  sich  in  den  meisten  Fällen  bilateral.  Häufig  er- 
streckt sie  sich  auf  den  Nasenrachenraum,  manchmal  weiter  hinab  auf 
den  Rachen  (Pharyngitis  sicca)  und  den  Kehlkopf  (Laryngitis 
sicca).  Selten  sind  die  Anhänge  der  Nase  (Nebenhöhlen  und  des 
Rachens  (Tube,  Mittelohr)  in  Mitleidenschaft  gezogen. 

Bei  der  retronasalen  Ozaena  ist  die  Schleimhaut  verdünnt,  trocken 
glänzend  und  häufig  mit  massenhaften,  stalaktitenähnlichen  Klumpen  ein- 
getrockneten Secretes  bedeckt,  die  gewöhnlich  sehr  fest  haften. 

Der  Geruch  der  Ozaenakranken  ist  wohl  stets  herabgesetzt,  manchmal 
ganz  aufgehoben.  Daher  kommt  es,  dass  sie  durch  ihre  Exhalationen  selten 
belästigt  werden. 

Ozaenakranke  sind  in  der  Mehrzahl  schlechtgenährte,  blutarme 
Individuen  mit  fahler  Hautfarbe,  schlaffer  Musculatur,  geringer  Kraft  und 


OZAENA. 


465 


Energie.  Die  einen  sagen,  diese  Constitution  sei  das  Primäre,  sie  disponire 
zur  Ozaena.  Andere  behaupten,  die  Schädlichkeiten  der  Nasenerkrankung 
(Einathmung  verdoi*bener  Luft,  zeitweiliges  Verschlucken  fauliger  Secrete  und 
dadurch  erzeugte  Verdauungsstörungen,  psychische  Depression)  seien  die  Ur- 
sache des  schlechten  Ernährungszustandes.  Vermuthlich  haben  beide  An- 
schauungen ihre  Berechtigung. 

Subjective  Symptome.  Merkwürdigerweise,  und  man  kann  wohl 
sagen,  glücklicherweise  riechen  viele  Patienten  den  in  der  eigenen  Nase  er- 
zeugten Gestank  nicht,  weil  ihre  Riechschärfe  zu  sehr  herabgesetzt  ist.  Diese 


Eig.  3.  Linke  Nasenhälfte.  Ozaena.  —  ei,  cm,  es,  untere,  mittlere,  obere  Muschel. 

/,  Sinus  frontalis,     hs,  Hiatus  semilunaris.     ot,  Ost.  pharyng.  tubae 

(aus  Dr.  Arthur  Hartmann's  Sammlung). 

wissen  auch  nichts  von  der  Abscheulichkeit  ihres  Leidens,  bis  sie  von  ihrer 
Umgebung  darauf  aufmerksam  gemacht  werden.  Wie  niederschmetternd  muss 
eine  derartige  Mittheilung  wirken!  Die  Kranken  fühlen  sich  geächtet,  sie  be- 
merken, wie  man  ihrem  Athem  aus  dem  Wege  geht  und  sind  umso  miss- 
trauischer,  weil  sie  selbst  ihre  Exhalationen  nicht  controliren  können.  Diese 
Wahrnehmungen  führen  zur  Menschenscheu  und  Schwermuth,  ja  in  einzelnen 
Fällen  zur  Verzweiflung  und  zum  Selbstmorde. 

Gewöhnlich  leiden  die  Kranken  unter  zeitweiliger  Nasen  Ver- 
stopfung, dann  nämlich,  wenn  der  Luftweg  durch  massenhafte  Borken- 
bildung verlegt  wird.     Mit  der  Entfernung  der  Borken  wird  die  Nase  frei. 

Die  Entfernung  der  Borken  ist  in  der  Kegel  mit  grossen  Schwierig- 
keiten verknüpft.  Die  Kranken  müssen  übermässig  schnauben  und  beim  Ver- 
such, die  Massen  nach  hinten  durchzuziehen,  erfolgt  oft  Würgen  und  Er- 
brechen. 

Das  gilt  besonders  auch  für  die  im  Nasenrachenraum  festsitzenden  Se- 
crete. Diese  führen  ausserdem  zu  mannigfaltigen  perversen  Sensationen 
(Fremdkörpergefühl  in  der  Kehlkopfgegend,  Kratzen  und  Hustenreiz  u.  dgl.  m.). 

Die  bei  der  Ozaena  gewöhnlich  vorhandenen,  zeitweiligen  Kopf- 
schmerzen können  von  verschiedenen  Ursachen  abhängig  sein,  von  der 
Resorption  der  verdorbenen  Inspirationsluft,  von  der  zeitweiligen  Nasenver- 
stopfung, von  der  mit  heftigem  Schneuzen  verbundenen  Blutstauung,  zuweilen 
wohl  auch  von  einer  complicirenden  Nebenhöhlenerkrankung. 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  "" 


466  OZAENA. 

Verlauf,  Die  Ozaena  entwickelt  sich  unmerklich,  schleichend.  Sie 
wird  gewöhnlich  anfangs  für  einen  heftigen  Schnupfen  gehalten,  und  die 
Kranken  suchen  ausnahmslos  den  Arzt  erst  bei  vollentwickelter  Krankheit 
auf.  So  kommt  es,  dass  noch  niemand  ihre  Entwicklung  exact  beobachtet 
und  beschrieben  hat. 

Wir  sind  also  lediglich  auf  die  Angaben  der  Kranken  angewiesen,  die 
fast  regelmässig  etwa  folgendermaassen  lauten:  Sie  litten  schon  lange  Zeit  an 
Schnupfen,  d.  h.  an  vermehrter  Absonderung  aus  der  Nase.  Das  Abgesonderte 
wäre  allmählich  dicker  geworden,  es  hätte  einen  üblen  Geruch  angenommen, 
der  immer  stärker  geworden  sei.  Von  anfänglicher  Nasen  Verstopfung 
wissen  viele  nichts;  andere  geben  an,  dass  sie  zeitweilig,  aber  nie  dauernd 
daran  gelitten  hätten. 

Aus  diesen  Angaben  lässt  sich  nichts  weiter  schliessen,  als  dass  die 
Ozaena  sich  schleichend  entwickelt  und  dass  sie  ein  geruchsfreies  Vorstadium 
hat.  Welcher  Art  aber  dieses  Vorstadium  ist,  welche  Veränderungen  an 
Schleimhaut  und  Secret  dabei  im  Spiele  sind,  das  entzieht  sich  völlig  unserem 
Urtheil. 

Eine  Anzahl  namhafter  Rhinologen  verficht  die  Anschauung,  dass  die 
Ozaena  nichts  anderes  als  das  Endstadium  einer  hypertrophi- 
schen Rhinitis  sei.  Diese  Behauptung  könnte  ganz  allein  durch  die 
klinische  Beobachtung  bewiesen  werden,  dass  sich  eine  hypertrophische 
Rhinitis  im  Laufe  der  Zeit  in  eine  veritable  Ozaena  verwandelt  habe.  Eine 
derartige  Beobachtung  existirt  bis  jetzt  trotz  der  Häufigkeit  der  Ozaena  nicht. 
Die  Thatsache,  dass  man  am  Lebenden  und  an  anatomischen  Präparaten  nicht 
so  selten  entzündlich  verdickte  Partien  neben  atrophischen  findet,  beweist 
natürlich  gar  nichts.  Wie  man  sieht,  steht  die  angeführte  Behauptung  auf 
schwachen  Füssen.  Aber  sie  ist  von  ihren  Autoren  sehr  bestimmt  aus- 
gesprochen und  wird  unentwegt  nachgesprochen  und  geglaubt,  weil  man  ganz 
vergisst,  nach  ihrer  Begründung  zu  fragen. 

Vorkommen  und  Aetiologisches.  Die  Krankheit  ist  unter  den 
niederen  Schichten  weiter  verbreitet  als  bei  den  wohlhabenden  Classen,  wenn- 
gleich sie  auch  hier  häufig  genug  vorkommt.  Sie  betrifft  vorzüglich  das 
weibliche  Geschlecht,  so  dass  Voltolini  sie  kurzweg  als  ein  Frauenleiden 
bezeichnet. 

Die  Prädilectionszeit  der  Ozaena  ist  die  der  Pubertätsentwicklung 
und  man  hat  darauf  hingewiesen,  dass  gerade  in  dieser  Zeit  beim  weiblichen 
Geschlecht  manche  constitutionelle  Erkrankungen  (Chlorose,  Anämie)  sich 
mit  Vorliebe  einstellen. 

Die  Disposition  zur  Ozaena  ist  exquisit  vererbbar.  Sie  überträgt  sich 
in  der  Regel  von  der  Mutter  auf  weibliche  Descendenten,  die  nach  ihr  oder 
in  ihre  Familie  ähneln. 

Pathologische  Anatomie.  Im  Präparat  findet  man  die  Schleim- 
haut der  Muscheln  dünn,  blass,  glänzend,  ähnlich  einer  serösen  Haut.  Der 
Schwellkörper  ist  geschwunden.  Der  Knochen  wird  —  wie  Präparate  von 
verschiedenen  Stadien  zeigen  —  dünner,  biegsamer  und  kleiner,  stellenweise 
durchlöchert.  Er  nimmt  an  Höhe  ab  dadurch,  dass  sich  am  Rande  dünne 
Streifen  loslösen  und  resorbirt  werden  (Zuckerkandl).  Selten  sind  die  Neben- 
höhlen mitergriffen. 

Das  Mikroskop  zeigt  am  Anfange  des  Processes  Rundzelleninfiltration 
der  Schleimhaut.  Die  Rundzellen  neigen  zu  körnigem  Zerfall  und  zur  Ver- 
fettung. Aehnliche  Degenerationserscheinungen  sind  bei  den  Drüsen,  sowohl 
den  acinösen  wie  den  Bov^aiAN'schen,  vorhanden.  An  den  Knochenrändern 
sieht  man  reichlich  HowsHip'sche  Lacunen  mit  Osteoklasten  darin. 

Das  Epithel  ist  gewöhnlich  in  ein  cubisches  oder  mehrschichtiges 
Plattenepithel    verw^andelt,    dessen    oberflächliche    Schichten    verhornen.    In 


OZAENA.  467 

späteren  Stadien  tritt  die  Zellinfiltration  gegen  eine  Neubildung  von  faserigem 
Bindegewebe  zurück,  die  zur  Schrumpfung  der  Schleimhaut  führt.  Daneben 
ist  bedeutender  Schwund  von  Drüsen  und  Gefässen  constatirbar. 

Ueber  das  Wesen  der  Ozaena  ist  man  bis  heute  noch  vollständig 
im  Unklaren. 

Eine  Theorie  der  Krankheit  muss  die  beiden  Hauptsymptome:  die  Bil- 
dung specifisch-fötider  Borken  und  die  Atrophie  der  Schleimhaut  und  des 
Nasengerüstes  zum  Ausgangspunkte  nehmen.  Sie  muss  beide  Zustände  entweder 
auseinander  oder  aus  einer  einheitlichen  Ursache  heraus  abzuleiten  suchen. 

Bevor  wir  deshalb  die  vorhandenen  Ozaenatheorien  streifen,  müssen  wir 
die  Genese  der  beiden  Cardinalsymptome  betrachten. 

Dass  der  Fötor  durch  bacterielle  Zersetzungen  von  Nasensecreten  ent- 
steht, ist  leicht  zu  beweisen.  Welcher  Art  aber  sind  diese  Zersetzungen? 
Als  einfache  Fäulnisprocesse  werden  sie  heute  wohl  von  den  wenigsten  be- 
trachtet. 

Der  specifische  Geruch  weist  vielmehr  deutlich  darauf  hin,  dass  bei  den 
Zersetzungen  etwas  besonderes  vorhanden  sein  muss,  entweder  ein  eigenthüm- 
licher  Zersetzungserreger  oder  ein  besonderes  Secret  oder  beide  zusammen. 
Diesem  Gedankengange  folgend  hat  H.  Krause  in  dem  Fettgehalt  des  Secrets, 
hat  E.  FßÄNKEL  in  dem  Fehlen  des  Saftes  der  BowMAN'schen  Drüsen,  haben 
YoLKMANN  und  ScHUCHAEDT  in  der  Anwesenheit  von  Hornsubstanz  in  dem 
metaplasirten  Epithel  das  Besondere  gesehen,  während  Löwenberg  seinen 
Ozaenacoccus  als  den  specifischen  Erreger  des  Gestanks  anspricht,  Hajek 
seinen  Bacillus  ozaenae  foetidus.  Löv^^enberg  fordert  daneben  noch  eine 
nicht  näher  definirte  chemische  Alteration  des  Secrets,  und  er  befindet  sich  da- 
mit in  Uebereinstimmung  mit  B.  Fränkel,  der  sowohl  eine  Eiterung  der 
atrophischen  Schleimhaut,  als  auch  ein  besonderes  Ferment  verlangt. 

Die  Atrophie  sehen  die  einen  als  congenitalen  Defect  an  (Zaufal), 
die  Mehrzahl  der  Autoren  hält  sie  für  die  Folge  eines  entzündlichen  Processes 
(s.  0.),  einzelne  messen  mit  Walb  dem  Druck  der  Borken  Bedeutung  bei. 

Als  die  Grundlage  der  ganzen  Erkrankung  nun  betrachten 
die  meisten  Autoren  eine  Entzündung.  Diese  erzeuge  sowohl  das 
veränderte  zu  besonderer  Zersetzung  neigende  Secret,  als  auch  die  Atrophie. 
Einzelne  (Zaufal,  Hajek)  legen  das  Hauptgewicht  auf  die  Stagnation  des 
Secrets,  die  es  ihm  überhaupt  erst  ermögliche,  in  Zersetzung  zu  gerathen. 

Gegen  alle  die  aufgeführten  Theorien  lässt  sich  vieles  einwenden.  Keine 
erklärt  in  völlig  befriedigender  Weise  den  eigenthümlichen  Symptomencomplex 
der  Ozaena. 

Ich  *)  habe  auf  folgende  Möglichkeit  hingewiesen.  Nehmen  wir  an,  dass  eine 
neurotrophische  Störung  Schleimhaut  und  Nasengerüst  betreffe.  Die  ersten  Folgen 
■werden  sein:  Ernährungsstörung  des  Epithels  mit  consecutiver  Metaplasie,  Atrophie  der 
Schleimhaut  und  des  Gerüstes.  Weiter:  Unmöglichkeit  durch  Flimmerbewegung  allerhand 
Schädlichkeiten  zu  eliminiren,  Reizung  der  Schleimhaut,  Entzündung.  Das  aufgequollene 
verhornte  Pflasterepithel  gibt  einen  guten  Nährboden  für  einen  ubiquitären,  specifischen 
Zersetzungserreger  ab,  der  den  specifischen  Fötor  verursacht. 

Die  bisherige  Darstellung  fasst  die  Ozaena  als  eine  wohlumgrenzte  eigen- 
artige Krankheit  auf.  Sie  lässt  es  beispielsweise  nicht  zu,  dass  man  die 
Ozaena  mit  den  nach  tertiärer  Nasenlues  oft  zurückbleibenden  Veränderxingen 
zusammenwerfe,  auch  wenn  diese  in  vielen  Stücken  denen  bei  der  Ozaena  zum 
Verwechseln  ähnlich  sind. 

Wir  dürfen  aber  nicht  verschweigen,  dass  in  neuester  Zeit  wiederum 
der  Versuch  gemacht  ist,  die  Ozaena  als  Krankheit  sui  generis   zu  streichen. 

GutJNWALD  ist  es  gelungen,  eine  beträchtliche  Anzahl  von  Fällen,  die  er 
selbst  und  vor  ihm  Fachautoritäten  als  Ozaena  diagnosticirt  hatten,  auf  Neben- 


*)  Vgl.  Zarniko:  Die  Krankheiten  der  Nase  etc.  Berlin  1894. 

30* 


468  OZAENA. 

höhlenempyeme  zurückzuführen  und  durch  sachgemässe  Behandlung  auszu- 
heilen. Geünwald  glaubt,  dass  noch  andere  Processe,  insbesondere  circum- 
scripte  Naseneiterungen,  das  Bild  der  „Ozaena"  liefern  könnten,  und  empfiehlt, 
deshalb,  die  Bezeichnung  lediglich  für  das  Symptom  der  stinkenden  Borken- 
bildung ohne  Präjudiz  auf  die  Natur  der  Grunderkrankung  zu  reserviren.  Die 
wertvollen  Mittheilungen  Grünwald's  fordern  zu  einer  erneuten  Prüfung  der 
Frage  dringend  auf.  Ich  vermuthe  jedoch,  dass  diese  nur  dazu  führen  wird,, 
per  exclusionem  die  Existenz  einer  einheitlichen  Erkrankung  sicherzustellen,, 
die  ich  in  den  früheren  Ausführungen  zu  umgrenzen  und  auseinanderzulegen 
bemüht  gewesen  bin.  Und  es  hindert  uns  nichts,  diese  auch  weiterhin  als 
genuine  Ozaena  oder  als  Ozaena  schlechthin  zu  benennen. 

Diagnose.  Nach  den  Erfahrungen  Grünwald's  müssen  wir  mit  der 
Diagnose  Ozaena  sehr  vorsichtig  sein,  wir  dürfen  sie  erst  aussprechen,  wenn 
wir  mit  Sicherheit  circumscripte  Erkrankungen,  insbesondere  Nebenliöhlen- 
empyeme  ausschliessen  können.  Diese  Ausschliessung  ist,  wie  sich  aus  dem 
Artikel  y^Pyeine  der  Nasennehenhöhlen'-''  dieses  Werkes  ergeben  wird,  oft  mit 
den  allergrössten  Schwierigkeiten  verknüpft. 

Uebrigens  glaube  ich  bis  auf  weiteres,  dass  uns  der  Geruch  des 
Secretes  hier  einen  zuverlässigen  Anhalt  gibt.  Ich  wenigstens  habe  bei 
Nebenhöhlenempyemen,  mögen  sie  noch  so  abschreckend  gerochen  haben,  noch 
nie  die  specifische  Färbung  des  Ozaenagestankes  wahrnehmen  können. 

Prognose.  Die  Ozaena  ist  unheilbar.  Wir  können  die  atrophische 
Schleimhaut  nicht  in  einen  functionsfähigen  Zustand  zurückversetzen,  nicht  ihr 
Gefässe,  Drüsen  und  Flimmerepithel  wiederverschaffen.  Aber  wir  können  die 
Erkrankung  vollständig  cachiren,  indem  wir  Borken  und  Fötor  wegbringen  und 
die  Patienten  in  den  Stand  setzen,  sich  in  diesem  Zustande  dauernd  zu  erhalten. 
Therapie.  Dazu  sind  zwei  Mittel  vorzüglich  geeignet,  die  Nasen- 
pumpe und  die  GoTTSTEm'sche  Tamponade. 

Die  Nasenpumpe  (Fig.  4)  besteht  aus  einem  starken  Gum- 
miballon, der  zwischen  zwei  sich  in  derselben  Richtung  öffnenden 
Ventilen  angebracht  ist.  Deshalb  treibt  er  aus,  wenn  man  ihn 
comprimirt,  saugt  er  ein  beim  Nachlassen  des  Druckes.  Die  viel 
gebrauchte,  aber  wenig  empfehlenswerte  Olive  als  Ansatzstück  hat 
Hartmann  durch  einen  fingerlangen,  sich  etwas  verjüngenden 
Gummischlauch  ersetzt,  der  tief  in  die  Nase  eingeführt  und  bis 
dicht  an  die  wegzuspülenden  Theile  gebracht  werden  kann.  Die- 
ses Ansatzstück  setzt  die  Gefahr,  dass  Spülwasser  durch  die  Tube 
ins  Mittelohr  gepresst  werden  könne,  auf  ein  Minimum  herab^ 
weil  das  Wasser  neben  ihm  vorbei  einen  Ausweg  findet. 

Die  Anwendung  der  Nasendouche  ist  jedem  Pa- 
tienten genau  zu  zeigen.  Er  muss  sie  zuerst  unter  der 
Controle  des  Arztes  richtig  ausführen  können,  bevor 
man  sie  ihn  selbständig  anwenden  lässt. 

Als  Spülflüssigkeit  benutzt  man  am  besten  eine  lauwarme 
physiologische  Kochsalzlösung  (7*5^  NaCl  auf  1  Liter 
gekochten  und  nachher  auf  25"  abgekühlten  Wassers).  Man  vermeide 
differente  Mittel  (Desinficientien,  Desodorantien*)  unter  allen  Um- 
*"'*Anslt"z^°'''^  ständen,  wenn  noch  eine  Spur  von  Riechfähigkeit  vorhanden  ist, 
sonst  könnte  man  auch  diese  noch  vernichten.  Und  es  lässt  sich 
leicht  zeigen,  dass  Desinficientien  auf  die  Mikroorganismen  des  Nasenschleims 
gar  keine  oder  so  gut  wie  gar  keine  Wirkung  ausüben  können.  (Vgl.  darüber 
Zarniko  1.  c.) 


*)  Sublimat  1  :  10000  (Löwenberg),  Carbol  1—2  :  100,  Lysol  1—2  :  100,  Eesorcin  1  :  100,. 
rosafarbene  Lösung  von  Kai.  permanganic.  etc. 


OZAENA.  469 

Die  Spülflüssigkeit  steht  in  einem  Napf  zur  Linken  des  Patienten. 
Dieser  senkt  das  Saugventil  hinein  und  übt  rhythmische  Compressionen  auf 
den  Ballon  der  Pumpe,  solange,  bis  die  Flüssigkeit  ohne  Luftblasen  zum  Vor- 
schein kommt.  Nun  führt  er  den  Ansatz  in  das  eine  Nasenloch,  und  zwar  in 
der  Richtung  auf  den  Prädilectionssitz  der  Borken,  die  ihm  gezeigt  werden 
muss.  Er  beugt  sich  über  eine  leere  Waschschüssel,  die  zum  Auffangen  des 
Spülwassers  dient,  athmet  ruhig  durch  den  geöflneten  Mund  und  beginnt  zu- 
nächst sanft,  später  kräftiger  zu  pumpen.  Dabei  hebt  sich  das  Gaumensegel 
reflectorisch  und  die  Spülflüssigkeit  nimmt  durch  den  Nasopharynx  zum  an- 
deren Nasenloch  ihren  Ausweg,  Nasenschleim  und  Borken  lockernd  und  mit  sich 
fortschwemmend.  Nach  einer  Weile  wird  die  Pumpe  ins  andere  Nasenloch  ein- 
geführt und  dasselbe  Spiel  wiederholt.  Gewöhnlich  kommt  man  mit  7l'  —  1  Liter 
Flüssigkeit  aus. 

Folgende  Regeln  hat  der  Patient  sich  fest  einzuprägen  und  genau  zu 
befolgen:  Er  muss  während  der  Douche  fest  durch  den  Mund 
athmen,  darf  nicht  sprechen  und  nicht  schlucken  (weil  sich  dabei 
die  Tube  öffnet!).  Er  soll  nach  der  Douche  das  restirende  Spül- 
wasser durch  leichtes  Blasen  entfernen.  Schneuzen  darf  er 
sich  erst  nach  Verlauf  von  72  Stunde. 

GoTTSTEiN'sche  Tamponade.  Legt  man  eine  grosse  Wattewieke 
derart  in  die  Nase,  dass  sie  den  mit  Borken  bedeckten  Stellen  massig  fest 
aufliegt,  so  findet  eine  Lösung  der  Borken  statt,  wahrscheinlich  dadurch,  dass 
sich  reflectorisch  eine  Secretion  zwischen  Schleimhaut  und  Borke  einstellt  und 
die  Borke  a  tergo  lockert  und  abhebt.  Entfernt  man  daher  nach  einiger 
Zeit  (^4 — 2 — 12  Stunden)  den  Tampon,  so  haften  entweder  die  Borken  darauf 
oder  sie  sind  doch  so  lose,  dass  sie  leicht  ausgeschnoben,  abgewischt  oder 
abgespült  werden  können. 

Für  seine  Tamponade  hat  Gottstein  einen  besonderen  Watteträger  in 
Form  einer  Doppelschraube  angegeben.  Dieser  kann,  wenn  der  Tampon  an 
der  rechten  Stelle  liegt,  nach  rückwärts  herausgedreht  werden.  Er  ist  be- 
sonders für  den  Selbstgebrauch  des  Patienten  empfehlenswert.  Der  Arzt  wird 
sich  einfacher  der  knieförmigen  Nasenzange  bedienen. 

Die  Anwendung  der  besprochenen  Mittel  geschieht  beim  besonderen  Falle 
zweckmässig  in  folgender  Weise:  Man  beginnt  die  Behandlung  damit,  dass 
man  in  die  erkrankte  Nasenhöhle  Tampons  einlegt.  Entfernt  man  diese  nach 
V4 — V2  Stunde,  so  kommt  der  grösste  Theil  der  Borken  in  der  Regel  mit 
heraus".  Was  zurückbleibt,  sitzt  lose  auf  und  lässt  sich  leicht  mit  der  Gummi- 
pumpe wegspritzen,  wenn  man  den  Strahl  direct  darauf  richtet,  oder  mit 
Sonde  und  Zange  entfernen.  Auf  diese  Weise  gelingt  es  häufig  gleich  am 
ersten  Tage,  die  Nase  vollkommen  zu  reinigen,  den  Gestank  zu  bannen. 
Sicherlich  ist  dies  aber  am  zweiten  oder  dritten  Behandlungstage  möglich. 
Inzwischen  hat  sich  der  Patient  eine  Nasenpumpe  besorgt  und  man  unter- 
weist ihn  gründlich  in  ihrer  Anwendung.  Insbesondere  zeigt  man  ihm,  wo- 
hin er  das  Ansatzstück  zu  richten  hat,  um  die  Prädilectionsstellen  der  Borken- 
bildung zu  treffen.  Ist  der  Patient  in  allem  sicher,  so  besorgt  er  fortan  die 
Reinigung  selber,  indem  er  morgens  und  abends  die  Douche  applicirt.  In 
mehrtägigen  Intervallen  erscheint  er  zur  Controle.  Finden  sich  dabei  Borken 
vor,  so  forsche  man  nach  der  Ursache.  Fast  immer  wird  man  einen  Fehler 
in  der  Anwendung  der  Douche  finden.  Wo  dies  nicht  der  Fall  ist,  hat  der 
Patient  die  Douche  durch  die  Tamponade  zu  unterstützen.  Man  zeigt  ihm 
die  Zubereitung  der  Wattewieke  und  die  Richtung,  in  der  er  sie  mit  Hilfe 
der  GoTTSTEiN'schen  Schraube  einzuführen  hat.  Er  legt  die  Tampons  ent- 
weder morgens  vor  der  Douche  für  1  Stunde  ein  oder  am  Abend  abwechselnd 
in  die  eine  oder  die  andere  Nasenseite,  um  sie  die  Nacht  über  darin  zu 
lassen. 


47Ö  PACHYDERMIA  LARYNGIS. 

Hat  man  die  Ueberzeugung  gewonnen,  dass  der  Patient  mit  Douche  und 
Tampon  gut  umzugehen  versteht,  so  kann  man  in  immer  längeren  Zwischen- 
räumen controliren,  wöchentlich,  monatlich,  vierteljährlich.  Man  kann  dann  auch 
versuchen,  die  Reinigung  seltener  ausführen  zu  lassen,  einmal  täglich  oder 
jeden  zweiten  Tag.  Die  Patienten  ermitteln  selber  am  besten  die  Dauer  der 
Zeiträume,  die  sie  zwischen  den  einzelnen  Reinigungen  verfliessen  lassen 
dürfen.  —  In  jedem  Falle  sind  die  Patienten  von  vornherein  darüber  auf- 
zuklären, was  wir  niiit  der  Therapie  leisten  können  und  wollen.  Sie  müssen 
sich  in  den  Gedanken  einleben,  die  vorgeschriebenen  Proceduren  bis  an  ihr 
Lebensende  sorgfältig  und  unverdrossen  auszuführen,  wie  sie  sich  das  Haar 
kämmen  und  die  Zähne  putzen.  Und  sie  können  das  um  so  eher,  als  die 
Proceduren  sehr  einfach  und  von  kurzer  Dauer  sind  und  die  dazu  nöthigen 
Instrumente  handlich  und  auf  Reisen  leicht  mitzuführen  sind. 

Mit  der  geschilderten  Behandlung  erreicht  man  bei  der  Ozaena  alles  über- 
haupt Erreichbare.  Und  man  hat  daher  nicht  nöthig,  sich  anderen  Maass- 
nahmen  und  Mitteln  zuzuwenden. 

Solche  sind  in  ungeheurer  Zahl  gegen  die  Ozaena  empfohlen.  Mit  allen 
wollen  die  Autoren  glänzende  Erfolge  erzielt  haben.  Das  kann  man  wohl 
glauben,  denn  es  gibt  kein  Mittel,  das  bei  der  Ozaena  nicht  wirksam  wäre, 
wenn  nur  eine  gründliche  Reinigung  der  Nase  mit  seiner  Application  ver- 
knüpft ist.  Und  das  ist  immer  der  Fall.  Denn  es  wird  niemandem  einfallen, 
ein  Pulver,  sei  es  nur  desinficirend,  adstringirend  oder  ätzend,  in  die  un- 
gereinigte Nase  zu  blasen.  Die  Borken  und  Secrete  werden  vielmehr  immer 
vorher  entfernt.  —  Aehnlich  ist  es  mit  der  Vibrationsmassage.  Durch  die 
Vibrationen  werden  ja  die  Borken  gelockert,  die  Secrete  infolge  der  reflec- 
torisch  angeregten  Thätigkeit  der  noch  vorhandenen  Drüsen  flüssiger  gemacht 
und  auf  diese  Weise  die  Nase  reingehalten. 

Neben  der  localen  Behandlung  hat  man  dem  Allgemeinzustande  der  Pa- 
tienten gebührende  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Es  wird  sich  bei  der  Ozaena 
wohl  immer  nur  darum  handeln,  die  Ernährung  anämischer,  scrophulöser  In- 
dividuen zu  verbessern  und  ihre  Gesammtconstitution  zu  kräftigen.  Die  hierzu 
geeigneten  Vorschriften  finden  in  den  Artikeln  „Anämie"  und  ^, Scrophulose" 
dieses  Werkes  ihre  Erledigung.  zaeniko. 

Pachydermia  laryngis.  Bekanntlich  stammt  dieser  Name  von  Viechow, 
welcher  damit  alle  Veränderungen  bezeichnet,  die  mit  Verdickung  des  Platten- 
epithels und  Papillenbildung  in  dasselbe  hinein  einhergehen.  Er  unterscheidet 
besonders  zwei  Formen,  nämlich  die  diffuse  und  circumscripte.  Die  letztere 
(auch  Pachydermia  verrucosa  genannt)  begreift  in  sich  die  sogenannten  Papillome 
des  Larynx.  Da  nun  diese  wohl  charakterisirte  und  in  ihren  klinischen 
Erscheinungen  ganz  verschiedene  Wucherungen  sind,  so  hat  ihre  Einord- 
nung in  die  Pachydermie  bei  den  meisten  Anatomen  und  Laryngologen  keine 
Anerkennung  gefunden.  Die  Papillome  des  Larynx  gehören  also  nicht  zur 
Pachydermie;  sonach  wird  hier  nur  von  der  Pachydermia  diffusa  die  Rede 
sein.  Viechow  beschrieb  unter  diesem  Namen  besonders  die  eigenthümlichen, 
schalenförmigen  Wülste  an  den  Processus  vocales,  die  er  gewöhnlich  bei 
älteren  Männern  fand,  die  Missbrauch  mit  Alkohol  und  Tabak  getrieben 
hatten;  in  seltenen  Fällen  fand  er  gleichzeitig  Veränderungen  an  der  Plica 
interarytaenoidea. 

Aetiologie.  Als  Ursache  wurde  von  Viechow  chronischer  Katarrh, 
Missbrauch  von  Alkohol  und  Tabak,  Ueberanstrengung  der  Stimme  an- 
gegeben; spätere  Untersuchungen  haben  aber  gezeigt,  dass  auch  Tuber- 
kulose, Lues  und  andere  chronische  Reize  die  gleichen  oder  sehr  ähnliche 
Veränderungen  im  Larynx  hervorrufen  können.  Das  Wesen  der  Verände- 
rung liegt  in  der  Bildung  eines  stark  verdickten,  viele  Zellenlagen  enthalten- 


PACHYDERMIA  LARYNGIS.  471 

den,  oberflächlich  verhornten  Plattenepithels;  in  dasselbe  dringen  zahlreiche, 
oft  dicke  und  verzweigte  Papillen  ein;  die  Schleimhaut  und  das  submucöse 
Gewebe  betheiligen  sich  in  der  Form  einer  chronischen  Verdickung,  Dieser 
Process  entwickelt  sich  an  den  Stellen  des  Larynx,  welche  Plattenepithel 
theils  de  norma,  theils  infolge  pathologischer  Vorgänge  besitzen.  Da  jedoch 
diese  Verdickungen  nicht  blos  durch  Katarrh,  sondern  auch  durch  die  anderen 
oben  erwähnten  chronischen  Pteize  bedingt  werden,  manchmal  stärker,  manch- 
mal geringer  sind,  darf  die  Pachydermie  nicht  als  eine  Erkrankung  sui  generis, 
sondern  als  ein  Symptom  verschiedener  Erkrankungen  betrachtet  werden. 
Besonders  charakterisirt  ist  jene  Form  der  Pachydermie,  welche  sich  an  den 
Processus  vocales  localisirt;  dieselbe  wird  daher  auch  Pachydermia  typka  ge- 
nannt. Es  bilden  sich  nämlich  infolge  chronischer  Pteize  an  den  Processus 
vocales  schalenartige  Wülste;  die  Vertiefung  in  diesen  Wülsten,  Delle  genannt, 
kommt  meist  einseitig  vor  und  ist  so  gelagert,  dass  der  erhabene  Kand  des 
Wulstes  in  die  Vertiefung  der  Gegenseite  genau  hineingreift,  so  dass  der 
Verschluss  der  Stimmbänder  ein  ziemlich  exacter  ist.  Die  Dellenbildung 
wurde  von  einer  strafferen  Anheftung  der  Schleimhaut  an  die  Spitze  des 
Processus  vocalis  abgeleitet;  jedoch  ist  es  wahrscheinlich,  dass  dieselbe 
nur  durch  Druck  des  Wulstes  der  Gegenseite  langsam  entsteht.  Die  Wülste 
sind  meist  roth  und  leicht  gekörnt,  die  Oberfläche  der  Delle  glatt  und  bläs- 
ser. Im  Larynx  finden  sich  deutlich  Zeichen  von  chronischem  Katarrh  und 
nicht  selten  auch  Verdickungen  der  Plica  interarytaenoidea,  welche  ebenfalls 
aus  verdicktem  Epithel  und  Bindegewebe  bestehen;  in  ihnen  bilden  sich  oft 
Rhagaden;  nur  sehr  selten  finden  sich  Wülste  der  Plica  interarytaenoidea 
ohne  Wülste  an  den  Processus  vocales.  Alle  diese  Formen  sind  selten.  Sehr 
häufig  dagegen  beobachtet  man  leichte  Epithelverdickungen  und  Trübungen 
an  den  Stimmbändern,  kleine  weissliche  Knötchen  an  ihren  Rändern  {Sän- 
gerknötchen),  dann  weissliche  Verdickungen  des  Epithels  der  Plica  inter- 
arytaenoidea. Diese  Formen  sind  ebenfalls  Pachydermie  zu  nennen,  so  zwar, 
dass  man  Uebergänge  findet  von  der  leichtesten  Form  bis  zu  den  typischen 
Wülsten.  Alle  diese  Formen  wurden  auch  schon  vor  Virchow  gesehen,  ja 
auch  die  typischen  Wülste  an  den  Processus  vocales  abgebildet,  doch  meist 
wegen  des  Vorhandenseins  der  Delle  als  Geschwüre  mit  wulstigen  Rändern 
gedeutet.  Wie  schon  früher  erwähnt,  bilden  sich  auch  infolge  anderer 
chronischen  Reize,  z.  B.  Tuberkulose,  Lues,  Lupus,  chronische  Perichondritis, 
nahezu  gleiche  oder  ähnliche  Verdickungen  an  denselben  Stellen  des  La- 
rynx; dieselben  sind  auch  histologisch  gleich,  nur  z.  B.  bei  Tuberkulose 
durch  das  Vorhandensein  von  Tuberkelknoten  unterschieden.  Man  wird  daher 
auch  mit  Recht  diese  Formen  als  Pachydermie  bezeichnen,  fügt  aber  zur 
Unterscheidung  von  reinen,  primären  Formen  den  Beisatz  accessorische  oder 
secundäre  bei. 

Die  Diagnose  ist  nach  dem  Vorstehenden  leicht  zu  stellen.  Subjective 
Beschwerden  sind  meist  sehr  gering.  Bei  der  typischen  Form  an  dem  Pro- 
cessus vocalis  fehlt  meist  die  Heiserkeit,  nur  leichte  Schlingbeschwerden 
stellen  sich  manchmal  ein.  Grosse  Wülste  an  der  Plica  interarytaenoidea 
dagegen  behindern  oft  den  Schluss  der  Glottis  und  erzeugen  daher  Heiser- 
keit, manchmal  sogar  Athembeschwerden.  Die  accessorischen  Formen  machen 
durchschnittlich  mehr  Beschwerden  entsprechend  der  zu  Grunde  liegenden 
Krankheit. 

Verlauf.  Die  typischen  Wülste  an  dem  Processus  vocalis  können  oft 
jahrelang  bestehen,  ja  man  hat  sogar  spontan  Rückbildung  derselben  be- 
obachtet. 

Selbst  bei  tuberkulösen  Menschen  hat  man  sie  unbeeinflusst  von  der 
bacillären  Krankheit  fortdauern  gesehen;  in  sehr  seltenen  Fällen  scheinen  sie 


472  PAPILLOME  DES  KEHLKOPFES. 

aber  bei  zufälligem  Hinzutreten  schwerer  allgemeiner  Erkrankungen  zu  ge- 
schwürigem Zerfall  zu  neigen. 

Die  Behandlung  wird  sehr  verschieden  sein,  je  nach  dem  Grade  der 
Entwicklung  der  Pachydermie.  1.  Die  leichtesten  Formen,  Trübungen  und  leichte 
Verdickungen  der  Stimmbänder  und  der  Plica  interarytaenoidea  werden  der- 
selben Behandlung  unterzogen,  wie  der  sie  veranlassende,  chronische  Katarrh. 

2.  Bei  den  Knötchenbildungeu  an  den  Stimmbändern  muss  man  bedenken,  dass 
dieselben  oft  bei  Schonung  der  Stimme  von  selbst  verschwinden.  Ihre  Ope- 
ration ist  nur  bei  bedeutender  Grösse  angezeigt  und  erfordert  grosse  Vorsicht. 

3.  Die  zahlreichen  Knötchen,  die  sich  in  seltenen  Fällen  an  den  Stimmbändern 
finden  {Chordüis  tuberosa)  sind  energisch  abzuschaben.  4.  Die  typischen  Wülste 
an  den  Processus  vocales  bedürfen  meist  keiner  Behandlung.  Leichte  Gaben 
von  Jodkali  innerlich,  Einathmung  von  schwachen  Essigsäurelösungen  haben 
sich  oft  als  nützlich  erwiesen.  Die  operative  Entfernung  derselben  hat  zwar 
hie  und  da  gute  Erfolge  gehabt,  war  aber  öfters  von  langandauernder  Granu- 
lationswucherung an  der  Operationsstelle  gefolgt.  Es  empfiehlt  sich  daher 
eine  mehr  expectative  Behandlung.  5.  Die  typischen  Wülste  an  der  Plica 
interarytaenoidea  verlangen  dagegen,  wegen  der  Behinderung  der  Stimme  und 
Athmung,  gewöhnlich  eine  chirurgische  Behandlung.  (Entfernung  derselben 
mit  schneidenden  Pincetten  oder  Zangen,  mit  der  Galvanokaustik  oder  Elek- 
trolyse.) 6.  Die  accessorischen  Formen  sind  mit  Rücksicht  auf  die  Grundkrank- 
heit und  die  localen  Beschwerden  zu  behandeln;  namentlich  kommen  hier  am 
meisten  die  tuberkulösen  pachydermischen  Wucherungen  und  Infiltrate  in 
Frage,  deren  chirurgische  Behandlung  in  neuerer  Zeit  vielfach  empfohlen  und 
ausgeführt  wurde.    (Siehe  Artikel  ^Tuberculosis  laryngis"-.)  chiari. 

Papillome  des  Kehlkopfes.  Die  Papillome  sind  nach  den  Fibromen 
die  nächst  häufige  Neubildung  des  Kehlkopfes.  Sie  kommen  auch  bei  jungen 
Individuen,  manchmal  sogar  angeboren  vor.  Unter  meinen  36  Patienten 
waren  4  unter  12  Jahren.  Paul  Beuns  konnte  schon  1878  40  Fälle  von  endo- 
laryngealer  Operation  dieser  Gebilde  bei  Kindern  unter  1 5  Jahren  zusammen- 
stellen. 

Aetiologie.  Während  einige  Autoren  nichts  Bestimmtes  darüber  an- 
geben, hält  Oertel  geradezu  für  die  Ursache  der  Papillome  eine  gewisse 
scrophulöse  oder  anämische  Anlage  der  Individuen.  Doch  findet  man  sehr 
häutig  ganz  gesunde,  kräftige  Menschen  von  diesem  Leiden  befallen. 

Anatomie.  Die  Papillome  bestehen  aus  einem  mehr  oder  weniger 
feinen  bindegewebigen  Grundgewebe,  welches  zahlreiche  Papillen  aussendet. 
Die  Blutgefässe  in  ihnen  sind  verschieden  reichlich  entwickelt.  Die  oft  viel- 
fach verästigten  Papillen  sind  von  einem  dicken  geschichteten  Plattenepithel 
bedeckt,  dessen  obere  Schichten  nicht  selten  theilweise  verhornen  und  sich 
in  Form  von  Schuppen  abstossen.  Eine  starke  Verhornung  findet  sich  aber 
nur  ausnahmsweise.  Durch  diese  dicke  Epithelschichte  bekommt  die  Geschwulst 
oft  eine  weissliche  Farbe,  welche  durch  das  Durchscheinen  der  Gefässe  mehr 
weniger  ins  Rothe  übergeht.  Mehrere  dieser  kleinen  Papillen  sitzen  auf 
grösseren  auf,  und  dadurch  wird  die  Geschwulst  an  der  Oberfläche  zackig 
und  blumenkohlartig  gestaltet.  Da  nun  die  Hauptmasse  aus  verdicktem 
Epithel  und  hypertrophischen  Papillen  besteht,  so  hat  Virchow  dafür  den 
Namen  Pachydermia  verrucosa  vorgeschlagen,  welcher  sich  aber  nicht  in  der 
Literatur  einbürgern  konnte,  weil  dadurch  für  einen  scharf  umschriebenen 
Begriff  eine  neue  Bezeichnung  eingeführt  wurde,  ferner,  weil  die  Aetiologie 
der  Pachydermia  auf  chronisch  entzündliche,  mehr  ausgebreitete  Erkrankungs- 
zustände der  Schleimhaut  hinweist,  während  die  Papillome  gewöhnlich  auf 
ganz  gesunder  Schleimhaut  aufsitzen.  Ferner  recidiviren  die  Papillome  sehr 
gerne,  während  die  Pachydermia  dazu  die  Neigung  nicht  hat. 


PAPILLOME  DES  KEHLKOPFES.  473 

Endlich  kommen  die  Papillome  so  ziemlich  auf  allen  Stellen  des  Larynx 
vor,  mit  besonderer  Vorliebe  aber  auch  wieder  an  den  Stimmbändern,  oft 
jedoch  zu  gleicher  Zeit  an  mehreren  Orten;  ja  manchmal  wuchern  sie  über- 
all auf  der  Schleimhaut,  so  dass  sie  die  ganze  Larynxhöhle  ausfüllen  und 
Erstickung  veranlassen  können.  Bei  kleinen  Kindern  hat  man  sie  auch 
schon  öfters  mit  Croup  oder  fremden  Körpern  verwechselt.  (Jertel  unter- 
scheidet drei  Formen:  1.  rundliche,  röthliche  Geschwülste  mit  kleinen,  ober- 
flächlichen Erhabenheiten,  besonders  an  den  vorderen  Antheiien  der  Stimm- 
bänder, 2.  weisse,  grauliche  Geschwülste  von  papillösem  Bau,  wieder  an  den 
Stimmbändern,  3.  trauben-  oder  maulbeer-  oder  blumenkohlähnliche  Ge- 
schwülste, welche  von  verschiedenen  Theilen  des  Larynx  ausgehen.  Sie  sind 
manchmal  so  locker  der  Oberfläche  der  Schleimhaut  angeheftet,  dass  sie  spon- 
tan abgestossen  und  ausgehustet  werden.  Sie  lassen  sich  daher  sehr  leicht 
mit  Pincette  oder  Zange  entfernen,  haben  aber  leider  auch  die  Gewohnheit, 
sehr  gern  zu  recidiviren. 

Es  scheint  manchmal  eine  Neigung  der  ganzen  Larynxschleimhaut  zu 
bestehen,  immer  wieder  solche  Bildungen  zu  produciren.  Gewöhnlich  gelingt 
es  aber  doch,  durch  wiederholtes  Entfernen  auf  endolaryngealem  Wege  den 
Patienten  vor  schweren  Zufällen  zu  bewahren,  bis  endlich  die  Disposition  zur 
Kecidive  erlischt.  Ich  hatte  selbst  solche  Patienten  bis  sechs  Jahre  lang  in 
Behandlung,  die  endlich  nach  vielen  Recidiven  doch  noch   geheilt  wurden. 

Die  Symptome  bestehen  in  Heiserkeit,  wenn  die  Papillome  an  den 
Stimmbändern  oder  zwischen  ihnen  sitzen  oder  wenn  sie  das  ganze  Lumen 
ausfüllen.  Athembeschwerden  treten  natürlich  nur  bei  ausgebreiteten  solchen 
Wucherungen  auf. 

Die  Diagnose  ist  nach  dem  Gesagten  leicht.  Bei  der  Differentialdia- 
gnose hat  man  namentlich  das  Carcinoma  und  die  papillären  Wucherungen 
zu  berücksichtigen,  die  bei  tuberkulösen,  syphilitischen  und  lupösen  Erkran- 
kungen vorkommen.  Gegen  Carcinoma  ist  die  Abgrenzung  nur  schwer  im 
Anfange.  Das  Carcinom  kann  nämlich  manchmal  als  eine  umschriebene  papilläre 
Stimmbandgeschwulst  beginnen,  welche  ganz  dem  gewöhnlichen  Papilloma 
gleicht.  Dieselbe  wird  natürlich  exstirpirt,  und  nun  zeigt  die  histologische 
Untersuchung  den  Charakter  sicher  an. 

Es  kann  dabei  der  Larynx  sonst  vollständig  gesund  erscheinen.  Ge- 
wöhnlich aber  wird  das  in  papillärer  Form  beginnende  Carcinom  sehr  blut- 
reich erscheinen,  die  Beweglichkeit  des  Stimmbandes  sehr  bald  beeinträch- 
tigen, bei  der  Exstirpation  verhältnismässig  stark  bluten  und  schnell  an  dem- 
selben Orte  recidiviren.  Aeltere  Formen  des  Krebses  sind  leicht  zu  erkennen 
an  dem  Vorhandensein  eines  grossen  Tumors,  welcher  blumenkohlartig  oder 
höckerig  einzelne  Theile  des  Larynx  substituirt,  oft  ulcerirt,  und  bald  Blutun- 
gen und  Schlingbeschwerden  veranlasst;  kommen  dazu  noch  angeschwollene 
Drüsen,  so  steht  die  Diagnose  ganz  sicher. 

Gegen  andere  papilläre  Wucherungen,  die  durch  Tuberkulose,  Lupus 
oder  Syphilis  veranlasst  sind,  wird  die  Abgrenzung  erleichtert  durch  das  Vor- 
handensein von  entzündlichen  oder  geschwürigen  Veränderungen  im  Kehlkopf 
selbst,  dann  durch  das  Auftreten  von  Erscheinungen  im  Rachen,  in  der  Nase 
oder  endlich  in  den  Lungen  oder  am  ganzen  Körper.  Doch  gibt  es  seltene 
Fälle  von  isolirten,  ganz  umschriebenen  warzigen  Wucherungen  infolge  von 
Tuberkulose,  welche  nur  durch  histologische  Untersuchung  diagnosticirt 
werden  können. 

Prognose.  Dieselbe  ist  günstig,  was  das  Leben  anbelangt,  wenn  nicht 
etwa  schon  hochgradige  Stenose  vorhanden  ist.  Dagegen  kann  man  nie  sicher 
auf  das  Ausbleiben  von  Recidiven  rechnen. 

Therapie.  Dieselbe  besteht  in  der  Exstirpation:  bei  beschränkter  Zahl 
und  geringer  Grösse  der  Papillome  ist  sie  leicht  in  ähnlicher  Weise  wie  bei 


474  PAPILLOME  DER  NASENHÖHLE. 

den  Fibromen  vorzunehmen.  Doch  muss  nachträglich  die  Basis  recht  ener- 
gisch abgekratzt  oder  geätzt  werden.  Zu  Aetzungen  ist  hier  sehr  häufig  der 
Lapis  infernalis  unzureichend  und  Kali  causticum  oder  der  Galvanokauter  vor- 
zuziehen. Bei  grossen  gestielten  Tumoren  wird  man  zur  Exstirpation  zweck- 
mässig die  Schlinge  verwenden.  Nur  muss  man  Sorge  tragen,  dass  die 
Geschwulst  nicht  in  die  Trachea  fällt.  Bei  sehr  grossen  und  zahlreichen 
Wucherungen  mit  Stenose  muss  wegen  Erstickungsgefahr  mit  grosser  Vor- 
sicht vorgegangen  werden.  Oefters  ist  man  in  solchen  Fällen  gezwungen, 
die  Tracheotomie  vorzunehmen,  wenn  es  nicht  gelingt,  durch  Intubation  das 
Athemhindernis  zu  beseitigen;  doch  lässt  sich  die  letztere  manchmal  nicht 
anwenden,  wenn  nämlich  die  Geschwulst  weit  über  den  Kehlkopfeingang 
hervorragt.  Es  ist  daher  in  soeben  Flällen  immer  alles  zur  Tracheotomie 
bereit  zu  halten.  Gewöhnlich  gelingt  aber  die  endolaryngeale  Operation,  die 
man  auch  nach  ausgeführter  Tracheotomie  noch  fortzusetzen  hat,  bis  endlich 
alle  "Wucherungen  entfernt  sind. 

Dies  erfordert  grosse  Geschicklichkeit  und  Geduld,  namentlich  bei 
Kindern.  In  solchen  Fällen  konnte  man  sich  manchmal  durch  Einführung 
gefensterter  Tuben  nach  O'Dvv^yer  und  Lichtw^itz  helfen,  indem  nämlich 
in  den  Fenstern  beim  Extubiren  Stücke  der  Neubildung  hängen  bleiben;  diese 
Schwierigkeiten  bei  der  endolaryngealen  Operation  haben  namentlich  die  Chi- 
rurgen veranlasst,  den  Kehlkopf  zu  spalten  und  dann  die  Neubildung  sammt 
ihrer  Basis  vollständig  wegzuschneiden.  Doch  hat  man  auch  hier  häufig 
Recidiven  gesehen,  welche  wiederholte  Laryngofissur  nöthig  machten,  wobei 
oft  die  Stimmbänder  verletzt  wurden.  Daher  geht  man  von  dieser  Behand- 
lungsmethode immer  mehr  ab.  Es  empfiehlt  sich  also  nach  dem  Gesagten, 
durch  wiederholte  endolaryngeale  Operationen,  sei  es  ohne  oder  nach  Vor- 
nahme der  Tracheotomie,  eventuell  mit  Intubation  die  Papillome  so  lange  zu 
behandeln,  bis  sie  endlich  nicht  mehr  wiederkehren.  Man  vermeidet  dadurch 
am  leichtesten  dauernde  Störungen  der  Stimmbildung.  chiari. 

Papillome  der  Nasenhöhle.  Die  Papillome  der  Nasenhöhle  theilt 
man  in  fibröse  oder  weiche  und  epitheliale  oder  harte  Papillome  ein. 

a)  Die  fibrösen  oder  weichen  Papillome. 

Es  war  Hopmann,  der  zuerst  auf  die  klinischen  und  anatomischen  Eigen- 
schaften dieser  Nasengeschwülste  aufmerksam  gemacht  hat.  Das  fibröse  Nasen- 
papillom  stellt  einen  röthlichen,  auch  gelbrothen  breitaufsitzenden  Tumor  dar 
mit  leicht  gelappter  papillärer  Oberfläche,  an  Grösse  und  Gestalt  einer  Maul- 
beere ähnlich;  die  einzelnen  papillären  Läppchen  der  Geschwulst  sehen  oftmals 
wie  kleine  glasige  Schleimpolypen  aus  und  der  ganze  Tumor  macht  dann  den 
Eindruck  „kleiner  beerenartiger  Polypchen,  die  auf  etwas  breiter  Basis  aufsitzen"; 
die  Läppchen  selbst  liegen  ziemlich  dicht  aneinander  und  gehen  immer  von 
einer  centralen  dickeren  Gewebsbasis  aus,  die  breit  und  ohne  deutliche  Stiel- 
bildung der  Schleimhaut  aufsitzt.  Die  Geschwulst,  die  man  ihrer  Form  und 
Structur  nach  auch  weiche  Warze  nennen  kann,  ist  durchschnittlich  erbsen- 
bis  haselnussgross,  kann  aber  auch  die  Grösse  eines  Hühnereies  erreichen; 
im  allgemeinen  wachsen  diese  Geschwülste  sehr  langsam.  Wir  finden  die 
Papillome  ausschliesslich  an  der  unteren  Muschel,  meist  an  deren  vorderem 
und  mittlerem  Theile,  am  freien  medianen  Bande  oder  an  ihrer  concaven 
Fläche,  unter  anderem  auch  an  der  Einmündungssteile  des  Thränennasenganges; 
sehr  selten  dagegen  sitzen  dieselben  an  der  convexen  Muschelfläche;  oftmals 
ist  es  nur  eine  einzelne  Geschwulst,  andere  Male  finden  sich  mehrere  an  den 
verschiedenen  Theilen  der  unteren  Muschel  und  in  noch  anderen  Fällen  ist 
die  Muschelschleimhaut  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  von  hirsekorn-  bis  bohnen- 
grossen,  weichen  Warzen  besetzt,  gleichsam  papillomatös  degenerirt. 


PAPILLOME  DER  NASENHÖHLE. 


475 


Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  finden  wir  an  der  Basis 
und  im  Centrum  dieser  papillomatösen  Fibrome  alle  ßestandtheile  der  Nasen- 
schleimhaut; zuweilen  prävalirt  das  Bindegewebsstroma  oder  auch  die  Drüsen 
und  die  cystösen  Erweiterungen  der  Drüsengänge;  andere  Male  sind  die  Blut- 
gefässe in  etwas  grösserer  Zahl  vorhanden  und  theilweisc  stark  erweitert. 
Das  fibröse  Gewebe  ist  ziemlich  locker,  aber  nicht  areolär  wie  die  ödematöse 
Form  des  Nasenpolypen;  an  den  peripheren  Läppchen  jedoch  trifft  man  die 
gleiche,  maschenartige  Bindegewebsstructur  des  gewöhnlichen  Schleimpolypen. 
Im  Gewebe  der  Papillome  liegen  viele  Leukocyten,  die  besonders  zahlreich 
unter  dem  Epithel  sied;  derartige  Zellen  finden  sich  nur  spärlich  in  dem  ein- 
fachen Nasenpolypen  sowohl,  wie  auch  in  der  normalen  Muschelsclileimhaut. 
Die  Geschwulst  mit  allen  ihren  lappenförmigen  Theilen  ist  vom  cylindrischen 
Flimmerepithel  der  normalen  Nasenschleimhaut  überzogen;  an  einzelnen  Stellen 
fand  Zarniko  Uebergangs-  und  selbst  Pflasterepithel.  Das  Hineinwachsen  der 
Epitheldecke  in  die  Geschwulstmasse  ist  es,  wodurch  die  papilläre  Form  der 
Neubildung  zu  Stande  kommt,    (s.  Fig.) 

Im  Centrum  der  einzel- 
nen Läppchen,  deren  fibröses 
Stroma  gleichfalls  zahlreiche 
Rundzellen  enthält,  verlaufen 
dicke  Blutcapillaren,  die  von 
den  erweiterten  Venen  der  Ge- 
schwulstbasis stammen. 

Die  äussere  papilläreForm 
dieser  fibrösen  Geschwulst,  so 
wie  auch  ihr  exclusiver  Sitz  an 
der  unteren  Muschel  sind  es, 
die  ihre  Trennung  von  den 
gewöhnlichen     Schleimpolypen 

und  ihre  Benennung    „fibröses  Papillom  oder  auch  papilläres  Fibrom' 
fertigen. 

Wie  schon  wiederholt  hervorgehoben,  finden  wir  diese  Papillome  nur  an 
der  unteren  Muschel,  an  welcher  der  gewöhnliche  Schleimpolyp  fast  nie  beob- 
achtet wird;  ob  es  das  cavernöse  Schwellgewebe  dieser  Muschel  oder  ihre  vielen 
acinösen  Drüsen  mit  dem  reichlichen  Epithel  sind,  welche  die  Entwicklung 
dieser  weichen  Warzen  begünstigen,  oder  ob  der  chronische  Reizzustand  in- 
folge der  durch  die  bei  der  Athmung  der  unteren  Muschel  leicht  sich  nieder- 
schlagenden Staub-  und  Schmutztheilchen  diese  Bildungen  verursacht,  wissen 
wir  nicht;  jedenfalls  beobachtet  man  häufig  neben  diesen  Papillomen  die 
Zeichen  einer  atrophischen  Rhinitis,  und  es  wäre  nicht  unmöglich,  dass  die 
schleimigeitrige  Secretion  dieser  Krankheit  sich  grösstentheils  in  dem  unteren 
Nasengange  ansammelt  und  dort  einen  chronischen  Reiz  bedingt,  dessen  Folge 
das  langsam  wachsende  Papillom  mit  seinen  gewucherten  Schleimhaut-  und 
Epithelelementen  ist.  Es  ist  oftmals  recht  schwer  festzustellen,  ob  bei  solchen 
Kranken  der  eitrige  Nasenkatarrh  vor  oder  nach  der  Bildung  solcher  Papil- 
lome vorhanden  war;  jedenfalls  findet  man  häufig  da,  W'O  Papillome  vorhan- 
den sind,  eine  mehr  weniger  ausgesprochene  Atrophie  der  Nasenschleimhaut; 
auf  der  anderen  Seite  aber  sehen  wir  unzählige  Fälle  von  Ozaena,  bei  denen 
jede  Spur  eines  Papilloms  oder  einer  papillomatösen  Degeneration  der  unteren 
Muschel  fehlt. 

Diese  Geschwulstart  findet  sich  meist  nur  in  einer  Nasenseite,  erreicht 
niemals  eine  so  beträchtliche  Grösse  oder  kommt  in  so  überaus  grosser 
Zahl  vor,  dass  die  betreffende  Nasenhälfte  undurchgängig  wird;  meist  sind 
mehrere  Papillome  vorhanden.     Sie  kommen  viel  seltener  zur  Beobachtung 


Fibröses  Papillom  der  unteren  Muschel  aus  der  rechten  Xase 
eines  4ijährigen  Mannes. 


recht- 


476  PAPILLOME  DER  NASENHÖHLE. 

als  der  gewöhnliche  Schleimpolyp;  auf  circa  20  Fälle  der  letzteren  Geschwulst- 
form kann  man  höchstens  einen  Fall  von  Papillom  rechnen. 

Die  Beschwerden  des  schleimig-eitrigen  Nasenkatarrhes  sind  es,  welche 
diese  Papillompatienten  in  erster  Linie  behelligen:  Verstopfung  einer  Nasen- 
hälfte durch  Borkenbildung,  Trockenheit  im  Halse,  Räuspern,  Hustenreiz, 
Würgen,  leichte  Heiserkeit,  Ermüdung  beim  Sprechen,  kurz  alle  Symptome, 
me  sie  dem  atrophischen  Nasenrachenkatarrhe  zukommen  und  dessen  ander- 
weitige Läsionen  wir  auch  häufig  bei  der  Untersuchung  der  Nase  und  des 
Halses  vorfinden.  Die  Beobachtung  Hopmann's,  dass  solche  Patienten  häufig 
und  heftig  aus  der  Nasenseite  bluten,  wo  die  Papillome  sitzen,  habe  ich  nur 
ganz  selten  bestätigen  können;  dagegen  fand  ich  in  einigen  Fällen,  die  vom 
Augenarzte  wegen  eines  hartnäckigen  Thränenleidens  des  einen  Auges  unserer 
Klinik  zugewiesen  worden  waren,  dass  ein  weiches  Papillom  die  Ausgangs- 
öffnung des  Thränennasencanales  verlegte. 

Bei  der  vorderen  Rhinoskopie  erkennt  man  das  fibröse  Papillom  sehr 
leicht  an  seiner  himbeerähnlichen  Form  und  Farbe  und  vor  allem  auch  an 
seinem  Vorkommen  im  Bereiche  der  unteren  Muschel,  wo  andere  Neubil- 
dungen nur  ausnahmsweise  zur  Beobachtung  kommen;  die  nicht  selten  vor- 
handene hypertrophische  Anschwellung  des  vorderen  oder  hinteren  unteren 
Muschelendes  lässt  sich  bei  ihrem  grösseren  Volumen,  ihrer  glatten  Ober- 
fläche, ihrer  Unbeweglichkeit  von  dem  kleineren,  lappigen  Papillom  leicht 
unterscheiden. 

Man  extrahirt  die  Papillome  am  besten  mit  der  Glühschlinge,  theils  um 
stärkere  Blutungen  zu  vermeiden,  theils  um  die  Tumorbasis  zu  gleicher  Zeit 
zu  zerstören  und  allenfallsige  Recidive  zu  verhüten,  die  nicht  selten  an  der- 
selben Stelle  wieder  auftreten.  Mit  der  kalten  Schlinge  hatte  ich  in  einigen 
Fällen  recht  starke  Blutungen.  Nach  Ausräumung  der  Nase  muss  der  chro- 
nische, atrophische  Nasenkatarrh  in  geeigneter  Weise  behandelt  werden. 

b)  Das  epitheliale  oder  harte  Papillom. 

Im  Gegensatz  zu  dem  verhältnismässig  häufigen  weichen  oder  fibrösen 
Papillom  der  Nase  sind  nur  wenige  Fälle  (Hopmann,  Michel,  Verneuil, 
V.  BüNGNER,  Heymann,  Kahn,  Zarniko,  Aysaguer,  Kisselbach,  Weil,  Hell- 
mann) des  harten  oder  epithelialen  Papillomes  in  der  Nase  bekannt 
geworden.  Bei  allen  diesen  Tumoren  handelt  es  sich  trotz  ihres  atypischen 
Baues  um  gutartige  Geschwülste.  In  den  bis  jetzt  veröffentlichten  Fällen  war 
das  Papillom  entweder  am  vorderen  Abschnitte  oder  im  oberen  Theile  der  Nase 
entstanden,  hatte  aber  bald  durch  sein  ungemein  schnelles  und  mächtiges 
Wachsthum  die  Muschelgebilde  verdrängt  und  das  Nasengerüste  stark  aufge- 
trieben. Die  Gesch\vulst  stellt  eine  grauröthliche,  blumenkohlartige  Masse  dar 
mit  vielen  zottigen  und  papillären  Auswüchsen.  In  dem  einen  Falle  von 
Hopmann  war  der  Tumor  von  der  äusseren  Nasenöffnung,  im  anderen  vom 
Siebbein  ausgegangen;  v.  Büngner  beschreibt  sehr  ausführlich  eine  derartige 
„Hornwarzengeschwulst",  die  am  oberen  Abschnitte  des  knorpeligen  und 
knöchernen  Septum  und  am  Nasendache  entstanden  war  und  sich  zu  einer 
enormen  Grösse  entwickelt  hatte;  bei  dem  45-jährigen  Patienten  Kahn's  war 
der  hühnereigrosse,  gefässreiche,  epitheliale  Tumor  mittels  breiten  Stieles  von 
der  unteren  und  vorderen  Fläche  der  mittleren  Muschel  entsprungen;  der  von 
Kiesselbach  als  Epithelioma  papilläre  der  mittleren  Muschel  mitgetheilte 
Fall  gehört  bei  seinem  gutartigen  Verlaufe  und  der  Abwesenheit  jeder  Drüsen- 
schwellung trotz  seiner  Recidive  zu  diesen  harten  Papillomen;  auch  in  der 
Beobachtung  Verneuil's  muss  es  sich  bei  der  langen  Dauer  der  Erkran- 
kung um  ein  hartes  Papillom  gehandelt  haben,  wenn  auch  der  Tumor  trotz 
ausgiebigster  Eröffnung  der  Nasenhöhle  immer  mehr  am  sich  griff'  und  schliess- 
lich die  Lamina  cribriformis  des  Siebbeins  zerstörte. 


PARALYSIS  MÜSCULORUM  LARYNGIS.  477 

Im  ganzen  also  kommt  das  harte  Papillom,  das  im  ViKCnovv'schen 
Sinne  einzig  und  allein  als  Papillom  bezeichnet  werden  dürfte,  sehr  selten  in 
der  Nase  vor;  seine  Prädilectionsstelle  ist  der  Naseneingang,  also  da,  wo  die 
äussere  Haut  mit  ihrem  PÜasterepithel  noch  eine  kleine  Strecke  weit  in  das 
Naseninnere  übergreift;  zu  seiner  Entwicklung  bedarf  diese  Geschwulstform 
eines  Mutterbodens  mit  geschichtetem  Pfiasterepithel;  wo  immer  es  sich  in 
den  tieferen  Theilen  der  Nase  entwickelt,  wie  in  den  meisten  obigen  Phallen, 
muss  das  dort  vorhandene  Cylinderepithel  eine  Umwandlung  in  PHasterepithel 
erlitten  haben,  wie  dies  auch  von  einigen  Autoren  für  das  Cholesteatom  des 
Mittelohres  angenommen  wird  und  wie  dies  nach  Schuciiardt  auch  bei  der 
Rhinitis  atrophicans  stattfindet;  in  Wirklichkeit  bestand  in  den  Fällen  von 
Hopmann  und  v.  Büngner  eine  derartige  chronische  Nasenerkrankung  mit 
Metaplasie  des  normalen  Cylinderepithels  in  mehrschichtiges  Plattenepithel 
und  mit  Psoriasis  der  Septumschleimhaut,  auf  deren  Boden  sich  das  harte, 
exquisit  hornige  Papillom  entwickelt  hatte. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  dieser  Papillome  finden 
■wir  in  den  centralen  Theilen  ein  spärliches  Bindegewebsstroma,  zu  welchem 
von  der  Oberfläche  her  zahlreiche  gefässführende,  mehr  weniger  dicke,  theils 
isolirte,  theils  fest  aneinander  gelagerte  Bindegewebskegel  stossen,  die  alle 
mit  einem  epidermisähnlichen,  theilweise  sogar  verhornten  Plattenepithel 
überzogen  sind;  der  Epithelüberzug  ist  scharf  gegen  das  Bindegewebe  abge- 
grenzt und  dringt  an  keiner  Stelle  in  dasselbe  ein.  Wir  haben  es  demnach 
mit  einer  epithelialen  Neubildung  zu  thun,  bei  der  das  Epithel  dem  Binde- 
gewebe gegenüber  prävalirt;  jene  concentrisch  angeordneten  Hornzellen,  die 
sogenannten  Cancroidperlen,  wie  wir  sie  sonst  in  den  harten  Papillomen  z.  B.  im 
äusseren  Ohre  finden,  sind  bei  den  Nasenpapillomen  nicht  beobachtet  worden. 

Alle  bisherigen  Beobachtungen  sprechen  dafür,  dass  das  epitheliale 
Papillom  trotz  seiner  oft  mächtigen  Ausbreitung  und  seiner  hartnäckigen 
Recidive  eine  gutartige  Neubildung  ist,  ferner  dass  dasselbe  nicht  wie  das 
Sarcom  und  Carcinom  zerfällt  oder  in  Verschwärung  übergeht  und  schliesslich, 
dass  es  durch  eine  vollständige  Exstirpation  vermittelst  des  scharfen  Löffels, 
sei  es  per  vias  naturales  oder  durch  Aufklappen  der  Nase  vollständig  geheilt 
werden  kann.  kühn. 

ParalysiS   mUSCUlorum   laryngis.    {KehmopfmuskelWimungen.)     Das 

Capitel  von  den  Nervenkrankheiten  des  Kehlkopfes  gleicht  gegenwärtig,  wie 
Semon  in  einer  kürzlich  erschienenen  Monographie  über  diesen  Gegenstand 
ausführt,  einem  ausgedehnten  Baugrunde,  in  welchem  viele  Baumeister  gleich- 
zeitig, aber  nicht  nach  einheitlichem  Plane  thätig  sind. 

Die  Anatomie  und  Physiologie  der  Innervation  des  Kehl- 
kopfes weist  eine  Reihe  unklarer,  strittiger  Momente  auf.  Ohne  auf  die 
Darstellung  der  letzteren  näher  einzugehen,  wollen  wdr  im  Nachfolgenden 
möglichst  dogmatisch  die  wichtigsten  Thatsachen  der  Neuropathologie  des 
Kehlkopfes  mittheilen. 

Aetiologie.  Die  Kehlkopfmuskellähmungen  pflegt  man  in  neuropa- 
thische  und  myopathische  einzutheilen,  je  nachdem  sie  durch  Erkran- 
kungen der  Kehlkopfmusculatur  oder  der  Kehlkopfnerven  bedingt  sind. 

Als  Ursachen  für  Kehlkopfmuskellähmungen  können  wir  folgende  Er- 
krankungen anführen. 

1.  Erkraiikiiiigen  des  Centralnerveiisystemes.  Darunter  sind  jene 
Affectionen  verstanden,  welche  die  Medulla  oblongata  und  den  Pons  betreffen, 
sei  es,  dass  es  sich  um  eine  Sklerose,  um  eine  Bulbärparalyse  oder  um  Tabes 
handelt.  In  diesen  Fällen  sind  die  Kerne  des  Kehlkopfnerven  (Vagus,  Acces- 
sorius)  betroffen.  Auch  bei  Erkrankungen  des  Grosshirnes  (Hämorrhagien) 
sind  Kehlkopfmuskellähmungen  beobachtet  worden. 


478  PARALYSIS  MÜSCDLORÜM  LARYNGIS. 

Es  ist  heute  durch  das  Thierexperiment  über  jeden  Zweifel  hinaus  sichergestellt, 
dass  der  Kehlkopf  bis  in  die  Hirnrinde  hinauf  in  Form  eines  selbständigen  „Centrams" 
vertreten  ist  und  gerade  die  Pathologie  der  Kehlkopfmuskellähmungen  dürfte  zur  Klärung 
dieser  Frage  noch  weiter  beitragen. 

Nach  Krause  ist  es  beim  Hunde  eine  Stelle  im  Gyrus  praefrontalis,  auf  deren 
Reizung  doppelseitige  Annäherung  der  Stimmbänder  erfolgt.  Nach  Semon  befindet  sich 
am  Fasse  des  aufsteigenden  Gyrus  frontalis  hinter  dem  unteren  Ende  des  Sulcus  praecen- 
tralis  ein  Focus  für  die  Phonationsbewegungen  der  Stimmbänder.  Dieser  Focus  wird  nach 
vorne  durch  den  Sulcus  praecrucialis,  nach  unten  durch  die  Fissura  Sylvii  begrenzt. 
Rüssel  hat  beim  Hunde  auch  ein  specielles  Gebiet  für  die  Glottiserweiterung  in  der  Hirn- 
rinde entdeckt.  Dieses  Inspirationsgebiet  in  der  Rinde  des  Hundes  liegt  dicht  bei  dem 
Phonationsgebiet. 

Von  der  Hirnrinde  ziehen  die  Fasern  durch  die  Corona  radiata  zur  inneren  Kapsel. 
Die  für  die  respiratorische  Function  des  Kehlkopfs  bestimmten  Fasern  liegen  im  vorderen 
Schenkel  und  im  Kern  der  Kapsel,  die  der  Phonation  dienenden  Fasern  liegen  ebendaselbst, 
aber  hinter  den  ersteren. 

Onodi  hat  ein  Stimmbildungscentrum  beschrieben,  dessen  Intactheit  die  Stimm- 
bildung und  Annäherung  der  Stimmbänder  ermöglicht,  selbst,  wenn  auch  oberhalb  der- 
selben jede  Verbindung  mit  dem  Gehirn  und  Gehirnganglien  durchschnitten  wurde.  Das- 
selbe umfasst  die  hinteren  Corpora  quadrigemina  und  den  entsprechenden  Theil  des  Bodens 
vom  vierten  Ventrikel.     Der  OjMODi'sche  Befund  wird  von  anderer  Seite  bestritten   (Klem- 

PERER,    GrABOWER). 

2.  Erkrankung  des  Vagus,  Accessoriusstammes  und  deren  Aeste. 
Gleich  nach  dem  Austritte  aus  dem  Gehirne  kann  Vagus  und  Accessorius 
durch  an  der  Schädelbasis  sitzende  Processe  betroffen  werden  {Einisyplülis, 
Hirntumoren). 

In  seinem  weiteren  Verlaufe  kann  der  Vagus,  resp.  seine  Aeste,  Laryn- 
geus  superior  und  inferior,  betroffen  werden:  durch  Geschwülste  am  Halse, 
Strumen,  Oesophaguskrebs,  Aneurysmen  der  Arteria  anonyma  und  subclavia 
dextra,  Tumoren  innerhalb  der  Brusthöhle  etc. 

Der  Vagus  komiut  vor  dem  Processus  mastoideus  aus  der  Schädelhöhle 
heraus,  betheiligt  sich  an  dem  Plexus  ganglioformis  und  gibt  unterhalb  des- 
selben den  Nervus  laryngeus  superior  ab.  Letzterer  theilt  sich  hierauf  in 
einen  Ramus  internus  und  externus.  Der  Ramus  externus  versorgt  den  Mus- 
culus cricothyreoideus,  der  Ramus  internus  ist  sensibler  Natur  und  breitet 
sich  in  der  Schleimhaut  des  Kehlkopfes  aus. 

Die  Frage,  ob  die  Fasern  des  Ramus  externus  nicht  aus  dem  Accesso- 
riuskern  stammen,  also  dem  Vaguskern  nicht  angehören,  ist  Gegenstand 
jahrelanger  Discussion  der  bedeutendsten  Laryngologen  und  bisher  noch  un- 
entschieden. Es  herrscht  jedoch  kein  Zweifel,  dass  sämmtliche  für  den  Kehl- 
kopf bestimmten  Nervenfasern  nach  dem  Austritt  des  Vagus  aus  dem  Foramen 
jugulare  in  dessen  Fasern  verlaufen. 

Nachdem  der  Vagus  sin.  den  Aortenbogen  gekreuzt  hat,  gibt  er  den 
Nervus  recurrens  sin.  (s.  laryngeus  inferior  sm.)  ab,  der  sich  der  Hinter- 
wand des  Bogens  nach  aufwärts  schlingt  und  zurück  zum  Kehlkopf  läuft.  Der 
Nervus  recurrens  dexter  {s.  laryngeus  inferior  dexter)  entspringt  aus  dem 
Nervus  vagus  dexter;  aber  schon  dort,  wo  derselbe  die  Arteria  subclavia  über- 
quert. Derselbe  steigt  hinter  der  Carotis  zwischen  Trachea  und  Oesophagus 
gegen  den  Larynx  empor.  Neuere  anatomische  Untersuchungen  haben  ergeben, 
dass  mit  Ausnahme  des  Musculus  cricothyreoideus  (s.  oben)  alle  übrigen  Kehl- 
kopfmuskeln sowohl  vom  laryngeus  inferior  (recurrens)  als  vom  laryngeus  su- 
perior innervirt  werden. 

Relativ  häufig  pflegen  Aneurysmen  des  Aortenbogens  durch  Druck  auf 
den  umschlingenden  Recurrens  Kehlkopfmuskellähmungen  zu  erzeugen.  Der 
rechte  Recurrens,  welcher  sich  um  die  Subclavia  schlingt,  kann  von  aneu- 
rysmatischen  Erweiterungen  dieses  Gefässes  comprimirt  werden,  ebenso  wie 
anderseits  die  rechte  Lungenspitze,  die  sich  an  dieser  Stelle  direct  dem  Nervus 
recurrens  anschmiegt,  bei  Schrumpfung  ihres  Gewebes  (Schwielenbildung)  eine 
rechtsseitige  Recurrenslähmung  erzeugen  kann. 


PARALYSIS  MUSCULORÜM  LARYNGIS. 


479 


3.  Allgemeine  Neurosen,  namentlich  Hysterie. 

4.  Reflexljihmungen.  So  beobachtete  man  Kehlkopfmuskellähmungen 
bei  Erkrankungen  der  Mandel,  bei  Nasenpolypen,  bei  submaxillaren  Lym- 
phomen, Helminthiasis,  Uteruserkrankungen  etc.  etc. 

5.  Infectionskrankheiten:  Typhus,  Cholera,  Diphtherie,  Variola,  Per- 
tussis, Erysipel,  Influenza,  Malaria,  Dysenterie  u.  a.  Höchstwahrscheinlich 
handelt  es  sich  in  diesen  Fällen  um  specielle  Neuritiden. 

6.  Vergiftungen.  Kehlkopfmuskellähmungen  sind  beschrieben  bei  Blei-, 
Belladonna-,  Opium-  und  Strammonium-Vergiftungen. 

Pathologische  Anatomie.  Die  Zahl  der  makro-  und  mikroskopischen 
Befunde  an  Muskeln  und  Nerven  bei  Kehlkopfmuskellähmungen  ist  sehr 
spärlich.  Es  handelt  sich  um  degenerative,  atrophische  Veränderungen  (Ver- 
fettung; körniger  Zerfall,  Kernwucherung,  Bindegewebshyperplasie).  Oft  ist  die 
Muskelveränderung  erst  die  secundäre  Folge  der  länger  bestehenden  neuro- 
pathischen  Lähmung. 

Symptomatologie  und  Diagnose.  Die  Symptomatologie  der  Kehlkopf- 
muskellähmungen wechselt  je  nach  den  Muskelgruppen,  die  von  der  Lähmung 
befallen  wurden.     AVir  unterscheiden  folgende  Typen  von  Lähmungen: 


1.  KeMkopfspiegelbüd  bei  Lähmung  beider 
Mm.  crico-arytaenoidei  postici, 
Inspirationsstellung. 


Fig.    2.     Kehlkopf  Spiegelbild   bei   Lähmung   des 
rechten  M.  crico-arytaenoideus  posticus. 


Fig.    3.     Kehlkopfspiegelbild   bei   Lähmung]  der 
[Mm.  arytaenoidei.  Phonationsstellung. 


4.  Kehlkopfspiegelbild  bei  Lähmung  beider 
Mm.  thyreo-arytaenoidei  interni. 
Pbonationsstellung. 


a)  Lähmung  der  Musculi,  crico-arytaenoidei  postici.  Das  Kehlkopfspiegel- 
bild zeigt  in  Inspirationsstellung,  dass  die  Stimmbänder  nicht  auseinander- 
gehen, sondern  sich  vielmehr  bis  auf  einen  feinen  Spalt  nähern.  Bei  einseitiger 
Lähmung  bleibt  das  Stimmband  auf  der  gelähmten  Seite  in  der  Mittellinie 
stehen,  während  das  gesunde  nach  aussen  verzogen  wird,  so  dass  die  Stimm- 
ritze einen  dreieckigen  Spalt  bildet. 

h)  Lahmung  der  Musculi  arytaenoidei.  Das  Kehlkopfspiegelbild  zeigt 
beim  Phoniren,  dass  die  Stimmbänder  im  Bereiche  der  zwei  vorderen  Drittel 
aneinanderschliessen,  im  Bereiche  des  hinteren  Drittels  einen  dreieckigen  Spalt 
bilden. 

c)  Lähmung  der  Musculi  arytaenoidei  interni.  Das  Kehlkopfspiegelbild 
zeigt  bei  der  Phonation,  dass  das  Stimmband  im  Bereich  der  Glottis  vocalis 


480 


PARALYSIS  MüSCULORüM  LARYNGIS. 


(die  vorderen  zwei  Drittel  der  Stimmbänder)  eine  ovale  Spalte  bildet.  Bei 
der  einseitigen  Form  bildet  das  gesunde  Stimmband  eine  gerade  Linie,  wäh- 
rend das  gelähmte  eine  Einbuchtung  aufweist. 

Sind  gleichzeitig  die  Musculi  arytaenoidei  gelähmt,  so  bleiben  bei  Pho- 
nationsversuchen  sowohl  die  Glottis  ligamentosa  als  auch  die  Glottis  carti- 
laginea  offen.  Die  vorderen  zwei  Drittel  der  Stimmbänder  bilden  einen  ovalen, 
das  hintere  Drittel  einen  dreieckigen  Spalt. 

d)  Lähmung  der  Musculi  thyreo- anjtaenoidei  lat.  Die  isolirte  Lähmung 
dieser  Muskel  lässt  sich  durch  den  Kehlkopfspiegel  nicht  erkennen.  Das 
gleiche  gilt 


Fig.   5.     Kehlkopfspiegelbild    bei    Lähmung    des 
1.  M.  thyreo- arytaenoideus  internus  (Phonation). 


Fig.  6.     Lähmung    beider  M.   thyreo-arytaenoid. 
interni  und  beider  M.  arytaenoidei. 


Fig.    7.     Kehlkopfspiegelbild  bei    doppelseitiger 

Kecurrenslähmung.  Stimmbänder  in  Cadaver- 

stellimg. 


Fig.  8.  Kehlkopfspiegelbild  bei  linksseitiger  Ke- 
currenslähmung mit  Atrophie  des  gelähmten 
Stimmbandes.  Inspirationsstellung  n.  v.  Ziemssen. 


Fig.  9.  Kehlkopf  Spiegelbild  bei  linksseitiger  Be- 
currenslähmung.     Inspirationsstellnng. 


Flg.    10.     Kehlkopfspiegelbild    bei    linksseitiger 

Kecurrenslähmung    in  Phonationsstellung   mit^ 

Ueberkreuzung  der  Giessbeckenknorpel. 


e)  von  der  Lähmung  der  Musculi  thyreo-arytaenoidei  externi. 

f)  Lähmung  des  ganzen  Nervus  recurrens.  Das  gelähmte  Stimmband 
bleibt  sowohl  bei  der  In-  und  Exspiration,  als  auch  bei  der  Phonation  un- 
beweglich in  gleicher  Stellung  stehen;  in  einer  Position,  welche  in  der  Mitte 
zwischen  der  inspiratorischen  Aussensteilung  des  Stimmbandes  und  der  Median- 
linie des  Kehlkopfes  liegt  {Cadaverstellung  der  Stimmbänder).  Bei  der  Phona- 
tion überschreitet  das  gesunde  Stimmband  die  Mittellinie  und  sucht  sich  dem 
gelähmten   bis   zur   Berührung   zu   nähern.    Die  Glottis   bildet  dabei  einen 


PARÄLYSIS  MUSCüLORUM  LARYNGIS.  481 

schrägen  Spalt,  dabei  findet  häufig  eine  Ueberkreuzung  der  Giessbecken- 
knorpel  statt,  und  zwar  steht  gewöhnlich  das  gelähmte  Stimmband  vor  dem 
gesunden,  also  im  laryngoskopischen  Bilde  nach  innen. 

Das  weitaus  häufigste  ursächliche  Moment  der  linkssei tigen,  totalen 
Recurrenslähmung  ist  das  Aneurysma  des  queren  Theiles  der  Aortenbogens, 
bei  re eh ts ei tig er,  peripherer  Recurrenslähmung  muss  man  an  pleuritische 
Schwielenbildung  um  die  rechte  Lungenspitze  denken. 

Bei  doppelseitiger  Recurrenslähmung  sind  die  beiden  Stimmbänder 
in  Cadaverstellung.  Das  Sprechen  ist  ein  unartikulirtes  Brummen  oder  ein 
Flüstern,  Flüssigkeiten  gerathen  durch  die  offene  Glottisspalte  in  den  Kehlkopf 
und  erzeugen  Hustenstösse. 

g)  Lähmung  der  Musculi  cricothyreoidei.  Dieselbe  ist  entweder  Symptom 
einer  Vaguslähmung  oder  einer  isolirten  Lähmung  des  Nervus  laryngeus  supe- 
rior.  Die  letztere  kommt  hauptsächlich  nach  Diphtherie  vor.  Die  Stimme  der 
Kranken  ist  tief  und  rauh  und  es  ist  ihnen  unmöglich,  hohe  Töne  zu  repro- 
duciren.  Bezüglich  des  laryngoskopischen  Bildes  gehen  die  Angaben  der  Autoren 
weit  auseinander.  Bei  einseitiger  Lähmung  des  Musculus  crico-thyreoideus 
haben  Riegel  und  Semon  Niveaudifferenzen  der  Stimmbänder  gesehen,  indem 
bei  der  Phonation  das  afficirte  Stimmband  tiefer  steht  als  das  gesunde.  Böse 
beschrieb  sichtbaren  Mangel  der  Stimmbändervibrationen,  Makenzie  ein  Sicht- 
barwerden der  Processus  vocales,  Kieselbach  Auswärtsdrehung  des  Giess- 
beckenknorpels.  Bei  der  doppelseitigen  Form  ist  nach  Schrötter  ein  Klaffen 
der  Glottis  bei  der  Phonation  in  ihrem  ligamentösen  Antheile  zu  sehen. 

h)  Lähmmig  der  Musculi  thyreo-argepiglottici  kommt  häufig  vereint  mit 
einer  Lähmung  der  Musculi  crico-thyreoidei  vor.  Dieses  Muskelpaar  hat 
die  Aufgabe,  den  Kehldeckel  über  den  Larynxeingang  nach  rückwärts  zu  ziehen 
und  dadurch  das  Hineingelangen  von  Speisen  ins  Kehlkopfinnere  zu  hindern. 
Das  Kehlkopfspiegelbild  zeigt  Unbeweglichkeit  des  Kehldeckels. 

i)  Lähmung  des  ganzen  Nervus  laryngeus  superior  setzt  sich  aus  den 
Symptomen  zusammen,  die  in  g  und  h  beschrieben  wurden,  dazu  kommt  noch 
Anästhesie  der  Kehlkopfschleimhaut  von  der  unteren  Schlundregion  bis  zu 
den  Stimmbändern  herab. 

Prognose.  Die  Vorhersage  der  Kehlkopfmuskellähmungen  richtet  sich 
nach  der  Grundursache.  Am  gefährlichsten  ist  die  Lähmung  der  Musculi 
erico-arytaeuoidei  postici. 

Therapie.  Dieselbe  ist  zunächst  eine  causale;  da  Kehlkopfmuskel- 
lähmungen auch  reflectorisch  entstehen  können,  so  muss  das  ursächliche 
Moment  auch  zuweilen  an  einem  entfernten  Organ  (Uterus)  beseitigt  werden. 
Bei  diphtheritischen  Lähmungen  sind  Strgchnininjectionen  (O'l :  10-0, 1—5  Theil- 
striche  subcutan)  versucht  worden.  Von  Valleix,  Gerhardt,  Levisün  beschrie- 
bene Fälle  von  intermittirender  Stimmbandlähmung  sollen  nach 
Chiningebrauch  geschwunden  sein. 

Die  locale  Behandlung  muss  zunächst  auf  einen  complicirenden  Katarrh 
einwirken.  Direct  angreifend  wirkt  die  Elektricität;  die  Art  und  Weise,  in 
welcher  die  Elektricität  bei  Kehlkopfmuskellähmungen  verwendet  wird,  ist  aus- 
führlich im  Artikel  ^Elektro-Lary7igo-Therapie''  (pag.  111  dieses  Bandes) 
beschrieben. 

Bei  Lähmung  der  Musculi  crico-arytaenoidei  postici  muss,  wenn  Er- 
stickungsgefahr droht,  die  Tracheotomie  ausgeführt  werden,  als  Ersatz 
derselben  wurde  in  einzelnen  Fällen  auch  die  Intubation  versucht. 

jüL.  weiss. 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  öl 


482  PARESIS  VELI  PALATINI. 

ParesiS  veli  palatini.  Aetiologie.  Eine  Lähmung  der  Rachen- 
muskulatur kann  centralen  oder  peripheren  Ursprungs  sein.  Acute  und 
chronische  Krankheiten  des  Gehirns,  Geschwülste,  Blutungen  bei  Apoplexie, 
die  den  Vago-Accessorius  drücken,  degenerativ- atrophische  Processe  des  Ge- 
hirns und  der  Medulla,  Bulbärparalyse,  Tabes,  multiple  Sklerose,  amyatro- 
phische Lateralsklerose,  ferner  Tumoren  an  der  Schädelbasis,  besonders  in  der 
Gegend  des  Foramen  jugulare,  und  ähnliche  Erkrankungen  können  eine  Schlund- 
lähmung herbeiführen.  Auch  eine  Schädigung  des  Nervus  facialis  in  seinem 
centralen  Ende  bis  zum  Ganglion  geniculi  ist  oft  mit  einer  Gaumenlähmung 
complicirt.  Weiterhin  ist  diese  beobachtet  worden  bei  Bleiintoxicationen,  In- 
fluenza und  Typhus. 

Zu  den  peripheren  Ursachen  zählt  vor  allem  die  Diphtherie;  auch  nach 
einfachen  Anginen  habe  ich  eine  Gaumensegellähmung  zuweilen  beobachtet, 
wobei  ich  freilich  dahin  gestellt  sein  lassen  muss,  ob  in  den  aus  den  Lacu- 
nen  der  Tonsille  heraustretenden  Secrettröpfchen  Diphtheriebacillen  vorhan- 
den waren.  Ferner  kann  eine  Bewegungsbeschränkung  veranlasst  werden 
durch  besonders  im  sagittalen  Durchmesser  vergrösserte  Tonsillen,  die  rein 
mechanisch  die  vollständige  Hebung  des  Gaumensegels  hindern,  und  durch 
entzündliche  Processe  in  seiner  Muskulatur,  vor  allem  durch  eine  Periton- 
sillitis. 

Die  Lähmung  des  Gaumensegels  ist  entweder  eine  einseitige  oder  doppel- 
seitige, eine  vollständige  (Paralysis)  oder  unvollständige  (Paresis). 

Auch  bei  der  doppelseitigen  Lähmung  sieht  man  dieselbe  nicht  selten 
auf  der  einen  Seite  mehr  ausgesprochen  als  auf  der  anderen. 

Symptome.  Bei  doppelseitiger,  vollkommener  Lähmung  besteht  abso- 
lute Unbeweglichkeit;  die  Phonationsstellung  des  Velum  unterscheidet  sich 
in  nichts  von  der  Ruhestellung.  Bei  incompleter,  beiderseitiger  Parese  da- 
gegen bemerkt  man  ein  träges  Hinaufsteigen  des  Gaumensegels,  aber  nur  bis 
zu  einem  Bruchtheil  des  Weges,  den  es  bei  normaler  Function  zurücklegt, 
so  dass  ein  mehr  oder  minder  breiter  Raum  zwischen  ihm  und  der  hinteren 
Rachenwand  übrig  bleibt.  Ist  die  Lähmung  auf  einer  Seite  vollständiger  als 
auf  der  anderen,  so  weicht  die  Raphe  nach  der  letzteren  hin  von  der  Mittel- 
linie ab. 

Bei  einseitiger  Erkrankung  wird  das  Velum  nach  der  gesunden  Seite  hin 
verzogen,  so  dass  die  Raphe  einen  nach  der  kranken  Seite  hin  offenen  Bogen 
macht.  Die  Arkade  ist  dementsprechend  auf  der  letzteren  breiter  und  tiefer 
als  auf  der  gesunden. 

Die  Lähmung  macht  sich  bemerkenswert  durch  eine  Störung  der  Sprache 
und  des  Schluckactes.  Während  erstere  bei  vollständiger  doppelseitiger  Para- 
lyse absolut  nasal  (Rhinolalia  aperta)  klingt,  manche  Worte  geradezu  unver- 
ständlich gesprochen  werden,  hat  sie  bei  incompleter  Lähmung  nur  einen 
nasalen  Beiklang,  ähnlich  wie  bei  einseitiger  Functionsstörung.  Das  Gurgeln, 
Backenaufblasen  und  ähnliche  Verrichtungen,  zu  deren  Ausführung  der  Ab- 
schluss  der  Mund-  und  Schlundhöhle  vom  Nasenrachen  Erfordernis  ist,  sind 
erschwert  oder  unmöglich. 

Flüssigkeiten,  die  geschluckt  werden  sollen,  gelangen  wegen  des  Offen- 
bleibens der  Pforte  zum  Nasenrachen  in  diesen  und  von  da  in  die  Nase 
hinein,  so  dass  sie  aus  den  Nasenlöchern  herausgeschleudert  werden,  und  zwar 
gelangen  sie  bei  einseitiger  Lähmung  aus  dem  Nasenloche,  das  der  gelähmten 
Seite  entspricht. 

Häufig  ist  die  Gaumensegellähmung  mit  einer  solchen  der  Constrictores 
pharyngis  und  der  Muskulatur  des  tieferen  Schlundes  complicirt;  im  ersteren 
Falle  bleibt  beim  Schlucken  die  Schleimhaut  auf  der  gelähmten  Seite  glatt, 
runzelt  sich  nicht  und  der  Schlund  erscheint  erweitert;  im  letzteren  bleiben 
die  Bissen   im  Schlünde    stecken   und  können  zu  Erstickungsanfällen  führen 


PEMPHIGUS  LARYNGIS,  OPJS  ET  PIIARYNGIS.  483 

Die  Diagnose  ist  nach  dem  Gesagten  leicht  zu  stellen;  jedoch  ist  darauf 
zu  achten,  ob  die  mangelhafte  Beweglichkeit  des  Velum  mit  ihren  I'olge- 
erscheinungen  nicht  zurückzuführen  ist  auf  eine  Tonsillenhyperplasie,  eine 
tuberkulöse  oder  syphilitische  Infiltration  des  Gaumensegels  oder  entzündliche 
Vorgänge  an  demselben. 

Auch  adenoide  Wucherungen  und  Retronasalpolypen  können  mechanisch 
die  Hebung  des  Velum  beeinträchtigen. 

Was  die  Eruirung  des  Sitzes  der  Ursache  betrifft,  so  gibt  uns  die  elek- 
trische Prüfung  einen  Anhaltspunkt.  Während  nämlich  bei  centralen  Läh- 
mungen die  elektromotorische  Erregbarkeit  normal  bleibt,  nimmt  sie  bei  voll- 
ständiger peripherer  Lähmung  rasch  ab. 

Die  Prognose  ist  abhängig  von  der  Grundursache;  ist  diese  eine  cen- 
trale, so  ist  die  Prognose  infaust,  ist  die  Lähmung  eine  periphere,  so  ist  die 
Vorhersage  günstig. 

Die  Behandlung  richtet  sich  natürlich  nach  der  Ursache.  Im  übrigen 
verspricht  uns  die  Anwendung  der  Elektricität  den  meisten  Erfolg.  Daneben 
empfehlen  sich  subcutane  Strychnininjectionen.  Bei  den  schweren  Lähmungen 
ist  man  zuweilen  zu  künstlicher  Ernährung  gezwungen. 

A.    liOSENBEKG. 

Pemphigus  laryngis,  OriS  et  pharyngiS.  Die  Aff^ectionen  der  Schleim- 
häute des  Mundes,  wie  derjenigen  der  oberen  Luftwege  spielen  in  dem  Krank- 
heitsbilde des  Pemphigus  vulgaris  in  allen  seinen  Gestaltungsformen  eine 
nicht  unbedeutende  Rolle.  Nicht  gar  selten  bieten  sie  sogar  während  eines 
grossen  Theiles  des  Krankheitsverlaufes  die  hervorstechendsten  Symptome,  sei 
es,  dass  es  sich  um  einen  benignen  Pemphigus  vulgaris,  oder,  was  häufiger 
ist,  um  eine  maligne  Art  desselben,  um  den  Pemphigus  foliaceus  oder  Pem- 
phigus vegetans  handelt.  Das  sich  darbietende  Krankheitsbild  kann  ein  ver- 
schiedenes sein,  jedoch  handelt  es  sich  nur  um  graduelle  Differenzen  desselben 
Processes.  Das  eigentliche  Charakteristicum  des  Pemphigus  vulgaris,  die 
etwas  schlappe  Blase,  fi^nden  wir  relativ  selten.  Es  bedeutet  das  nicht,  dass 
es  auf  der  Schleimhaut  nicht  zur  Bildung  derselben  käme;  es  ist  das  viel- 
mehr leicht  so  zu  erklären,  dass  das  Epithel  der  Schleimhäute  im  Vergleich 
zu  demjenigen  der  äusseren  Haut  sehr  zart  und  dementsprechend  leichter  ver- 
letzlich ist.  Unter  dem  Einflüsse  der  Kau-  und  Sprechbewegungen,  also  rein 
mechanischer  Momente,  kommt  es  schnell  zu  einer  Zerstörung  der  Blasen- 
decke, noch  bevor  die  Blase  von  dem  Kranken  beachtet  oder  vom  Arzt  be- 
obachtet ist.  Die  relativ  geringe  Schmerzhaftigkeit  der  Blase  gegenüber  den 
im  weiteren  zu  schildernden  Veränderungen  begünstigt  das  Unbeachtetbleiben. 
Jedoch  gilt  dieses  nicht  für  alle  Fälle,  denn  zuweilen  findet  man,  zumal 
wenn  erst  die  Aufmerksamkeit  des  Kranken  darauf  gelenkt  ist,  ganz  intacte 
Blasen  von  verschiedener  Grösse.  Vielfach  mag  allerdings  auch  die  Blase 
von  vornherein  gefehlt  haben,  nämlich  w^enn  die  Exsudation  keine  besonders 
umschriebene  und  lebhafte  ist  und  nicht  stürmisch  einhergeht.  Dann  findet 
man  gleich  das  auch  nach  vorangegangener  Zerstörung  etwaiger  Blasen  hervor- 
tretende Bild.  Man  sieht  weisslich  grau  belegte  Schleimhautstellen,  die  mit 
Membranen  bedeckt  sind,  welche  croupösen  oder  diphtheritischen  Membranen 
ähneln.  Entfernt  man  diese  Auflagerungen,  die  aus  Epithelmassen  und  De- 
tritus bestehen,  so  bietet  sich  uns  eine  epithellose,  excoriirte,  wunde,  leicht 
blutende,  geröthete,  zuweilen  etwas  unebene  Schleimhaut  dar,  die  sehr  schmerz- 
empfindlich ist.  Die  Oberfläche  dieser  erodirten  Stelle  ist  zuweilen  etwas 
trocken,  sodass  dieselbe  wie  überfirnisst  erscheint.  Die  Entfernung  der  Auf- 
lagerungen macht  übrigens  bald  mehr,  bald  weniger  Schwierigkeiten.  Einfach 
wegzuwischen  sind  sie  in  keinem  Falle;  zuweilen  haften  sie  sogar  sehr  fest. 
Die  Umgebung  der  so  veränderten  Schleimhautstellen  kann  ganz  normal  sein; 

31* 


484  PEMPHIGUS  LARYNGIS,  ORIS  ET  PHARYNGIS. 

in  anderen  Fällen  ist  sie  etwas  entzündlich  geröthet  und  geschwellt.  Nur  wo 
die  Schleimhaut  durch  sehr  lockeres  Bindegewebe  an  die  von  ihr  überzogene 
Unterlage  befestigt  ist,  kann  es  zu  stärkerer  Exsudation  in  der  Umgebung, 
zu  starkem  Oedem  kommen.  Das  ist  möglich  an  den  Gaumenbögen,  vor  allem 
aber  im  Larynxeingang  und  an  den  falschen  Stimmbändern. 

Man  darf  nicht  annehmen,  dass  die  wunde  Schleimhaut  stets  erst  nach 
künstlicher  Entfernung  sichtbar  wird.  Auch  spontan  stossen  sich  die  Epithel- 
massen ab  und  legen  so  die  Schleimhaut  blos.  Sind  eine  Reihe  von  Schleim- 
hautstellen gleichzeitig  an  Pemphigus  erkrankt,  dann  bekommt  man  oft,  wenn 
man  die  Schleimhaut  betrachtet,  ein  buntes  Bild  zu  sehen:  Blasen,  croup-ähn- 
lich  belegte  Stellen,  Excoriationen  findet  man  gleichzeitig  neben  einander. 
Localisirt  sich  Pemphigus  an  der  Schleimhaut  des  Mundeinganges,  dann 
kommt  es  unter  dem  eintrocknenden  Einflüsse  der  äusseren  Luft  leicht  an 
den  Lippen  zur  Krustenbildung.  Bei  den  Bewegungen  des  Mundes  bilden 
sich,  wie  bei  vielen  entzündlichen  Affectionen  dieser  Stelle,  an  den  Lippen 
leicht  Fissuren  und  Rhagaden,  die  ausserordentlich  schmerzhaft  sind.  Bevor- 
zugt sind  in  dieser  Richtung,  wie  immer,  die  Mundwinkel.  Die  Ausdehnung 
der  einzelnen  afficirten  Schleimhautstelle  ist  gewöhnlich  keine  grosse,  selten 
grösser  als  ein  Zehnpfennigstück.  Dennoch  kann  man  ausgedehnte  Theile 
der  Schleimhaut  ergrifien  finden,  da  die  verschiedenen  Efflorescenzen  so  dicht 
gesät  sind,  dass  sie  schliesslich  confluiren.  So  sieht  man  bei  einer  starken 
Eruption  zuweilen  die  ganze  Rachenhöhle  mit  den  Membranen  wie  aus- 
tapezirt. 

Die  weitere  Gestaltung  des  Processes  ist  folgende:  Nach  Ab- 
stossung  der  Auflagerungen  tritt,  nachdem  sich  die  excoriirte  Schleimhaut 
eventuell  noch  einmal  oder  auch  wiederholt  mit  weisslichgrauen,  schmierigen 
Membranen  bedeckt  hat,  schliesslich  eine  Epithelisirung  ein,  die  erkrankten 
Stellen  heilen,  und  zwar  ohne  jede  Narbenbildung,  so  dass  der  frühere  Sitz 
der  Pemphigusaffection  gar  nicht  mehr  erkennbar  wird,  ganz  wie  es  meistens 
auf  der  äusseren  Haut  der  Fall  ist.  Ein  anderer  Verlauf  zählt  zu  den  Aus- 
nahmen. Dabei  kann  es  dann  zur  Granulationswucherung  kommen,  ähnlich 
wie  beim  Pemphigus  vegetans  der  äusseren  Haut.  In  anderen  Fällen  tritt  ein 
geschwüriger  Zerfall  der  ergriffenen  Schleimhautstelle  ein,  wobei  ein  mehr 
oder  weniger  erheblicher  Gewebsverlust  stattfindet.  In  diesen  Fällen  wiederum 
ist  natürlich  die  Narbenbildung  unvermeidlich.  In  der  Nasenhöhle  hat  Land- 
graf sogar  eine  secundäre  Zerstörung  des  knöchernen  und  knorpeligen  Ge- 
rüstes beobachtet,  was  aber  ganz  vereinzelt  scheint.  Noch  eine  andere  Mög- 
lichkeit bedarf  der  Erwähnung:  die  nachfolgende  Schrumpfung  der  Schleim- 
haut ohne  eigentliche  Narbenbildung  durch  cirrhotische  Veränderung  des  sub- 
mucösen  Bindegewebes.  Dieser  traurige  Folgezustand,  der  auf  der  Conjunctiva 
bulbi  nach  Phemphigus  etwas  öfter  beobachtet  ist,  hat  in  einem  Falle  von 
Fuchs  infolge  einer  Schrumpfung  der  Wangenschleimhaut  sogar  zur  Mund- 
sperre geführt.  Der  Vollständigkeit  halber  sei  schliesslich  noch  erwähnt, 
dass  Landgraf  in  einem  Falle  von  Pemphigus  laryngis  eine  Verwachsung  der 
vordem  Commissur  der  Stimmbänder  eintreten  sah. 

Charakteristisch  ist  für  den  Pemphigus  der  Schleimhaut,  ebenso  wie  für 
denjenigen  der  Haut,  das  schubweise  Auftreten.  Ziemlich  plötzlich  treten 
mehrere  kranke  Stellen  hervor,  es  kommen  einige  weitere  nach,  dann  tritt 
ein  Stillstand  ein.  Die  Efflorescenzen  heilen  ab,  es  scheint  völlige  Genesung 
vorhanden.  Ein  nach  kürzerer  oder  längerer  Pause  eintretender  weiterer 
Schub  lehrt  aber  gewöhnlich,  das  es  leider  nur  eine  Täuschung  war.  Dabei 
werden  bei  den  weiteren  Attaquen  gewöhnlich  nicht  dieselben  Stellen  ergriffen, 
wie  bei  den  vorigen;  die  Localisation  der  Efflorescenzen  wechselt.  Die  Dauer 
der  einzelnen  Eruption  ist  deshalb  eine  begrenzte,  kann  sich  aber  in  malignen 


PEMPHIGUS  LARYNGIS,  ORIS  ET  PHARYNGIS.  485 

Fällen  auf  Wochen  und  Monate  erstrecken.  Es  kommen  da  die  grössten 
Variationen  vor. 

Der  Einfluss,  den  der  Pemphigus  des  Mundes,  Rachens  und  Kehlkopfes 
auf  das  Allgemeinbefinden  ausübt,  hängt  ab  von  der  Ausdehnung  des  Pro- 
cesses,  seiner  Dauer,  der  Häufigkeit  der  einzelnen  Schübe,  der  Länge  der 
Intervalle.  Stets  ist  derselbe  aber  ein  beträchtlicher.  Am  wenigsten  bedeut- 
sam, wenn  auch  sehr  quälend  ist  der  zuweilen  sehr  starke  Speichelfluss  und 
der  Foetor  ex  ore,  der  ja  nicht  nur  den  Kranken,  sondern  auch  seine  Um- 
'  gebung  sehr  belästigt.  Sehr  viel  schlimmer  ist  die  Beeinträchtigung  der  Er- 
nährung durch  die  Erschwerung  des  Kauens  und  Schluckens.  Der  Schmerz 
ist  es,  der  hier  hinderlich  ist,  er  kann  sogar  so  hochgradig  werden,  dass  jede 
Nahrungszufuhr  verweigert  wird.  Infolge  dessen  kommen  die  Kranken,  wenn 
es  sich  nicht  gerade  um  sehr  geringe  Eruptionen  handelt,  während  derselben 
stets  sehr  herunter,  um  sich  in  den  Pausen  wieder  zu  erholen,  wenn  diese 
lang  genug  dazu  sind.  Sehr  wichtig  ist  das  Vorhandensein  oder  Fehlen  von 
Temperaturerhöhung.  Gewöhnlich  fehlt  dieselbe  bei  der  Eruption,  stellt  sich 
aber,  wenn  dieselbe  ausgebreitet  ist  und  lange  dauert,  zuweilen  ein,  einen  inter- 
mittirenden  Charakter  zeigend.  Die  Consumption  ist  dann  natürlich  eine  sehr 
beschleunigte.  Grosse  Beschwerden,  ja  eine  directe  Lebensgefahr  kann  ein 
sich,  wie  oben  erwähnt,  in  seltenen  Fällen  einstellendes  Larynxödem  be- 
dingen. Dass  eine  Afiection  des  Larynx  von  Heiserkeit  begleitet  ist,  die  sich 
zur  Aphonie  steigern  kann,  bedarf  wohl  keiner  weiteren  Erörterung. 

Die  Häufigkeit  der  SchleimhautafFectionen  bei  Pemphigus  ist  keine  sehr 
grosse.  Da  auch  der  Pemphigus  vulgaris  an  sich  kein  sehr  häufiges  Leiden  ist, 
darf  es  um  so  weniger  Wunder  nehmen,  dass  nur  eine  beschränkte  Zahl  von 
Fällen  bisher  bekannt  ist,  als  es  noch  gar  nicht  lange  her  ist,  dass  man  die 
Schleimhäute  beim  Pemphigus  zu  beachten  angefangen  hat. 

Wie  erwähnt,  kann  die  Schleimhaut  bei  allen  Formen  des  Pemphigus 
vulgaris  ergriffen  werden;  der  Zeitpunkt  ist  ein  verschiedener.  Bald  erkrankt 
sie  erst  im  Verlaufe  des  bis  dahin  auf  die  Haut  beschränkten  Leidens,  bald 
gehen  die  Schleimhautveränderungen  den  Hautanomalien  voraus.  Es  können 
Monate,  selbst  Jahre  vergehen,  bis  die  Erkrankung  der  Haut  derjenigen  der 
Schleimhaut  folgt. 

Die  Diagnose  wird  da  leicht  sein,  wo  das  Hautleiden  deutlich  aus- 
gesprochen ist.  Die  Zusammengehörigkeit  der  Veränderungen  dürfte  dann 
kaum  Zweifel  erregen.  So  lange  aber  die  äussere  Haut  frei  ist,  —  auf  die 
Dauer  ist  das  niemals  der  Fall  —  können  die  grössten  Schwierigkeiten 
sich  der  Diagnose  in  den  Weg  stellen.  Jedenfalls  vergesse  man  nie,  bei 
zweifelhaften  Affectionen  der  sichtbaren  Schleimhäute  die  Haut  sorgsam  zu 
beachten.  Hält  man  sich  nur  an  das  locale  Krankheitsbild,  dann  wird  man 
zunächst  die  Diphtherie  abgrenzen  müssen;  die  ganze  Gestaltung,  der  acute 
Verlauf  wird  letztere  leichter  erkennen  lassen,  als  der  locale  Befund.  Ferner 
müssen  ausgeschlossen  werden:  Herpes,  Aphthen,  luetische  Plaques,  Tuber- 
kulose. Aehnliche  Bilder  können  auch  Soor,  Aetzungen  mit  Schwefelsäure 
und  Kalilauge  geben.  Eine  sorgsame,  klinische  Beobachtung,  die  mikro- 
skopische Untersuchung,  eventuell  auch  die  Anamnese  w^erden  die  Situation 
klären  müssen.  Wo  man  die  Zweifel  absolut  nicht  bannen  kann,  da  bleibt 
schliesslich  nichts  übrig,  als  abzuwarten,  ob  nicht  eine  Hauteruption  mit  einem 
Schlage  das  Räthsel  lösen  wird. 

Die  Prognose  des  Pemphigus  der  sichtbaren  Schleimhäute  ist  insofern 
von  vornherein  eine  sehr  traurige,  als  es  an  sich  häufiger  die  malignen  Pem- 
phigusfälle  sind,  zu  denen  die  Schleimhautaffectionen  sich  hinzugesellen,  resp. 
welchen  die  Schleimhautaft'ectionen  vorausgehen.  Zur  Beschleunigung  des 
Processes  tragen  sie  da  bei,  wo  sie  in  häufigen  Schüben  vUnd  starker  Extension 
auftreten.    Jedenfalls  muss  man  einen  traurigen  Schluss  stets  als  wahrschein- 


486  PERICHONDRITIS  AURICDLAE. 

lieh  annehmen.  Man  hüte  sich  aber,  das  dem  Patienten  anzudeuten,  da 
manchmal  grosse,  selbst  jahrelange  Stillstände  eintreten  können,  bevor  der 
traurige  Schlussact  folgt. 

Die  Therapie  kann  nur  eine  symptomatische  sein,  solange  wir  keine 
Heilmittel  für  Pemphigus  kennen.  Sorgsames  Spülen  mit  5%igem  Kali  chloricum 
(Vorsicht!),  Adstringentien,  Desinficientien  sind  zur  Reinigung  nothwendig.  Die 
von  den  Auflagerungen  entblössten  Stellen  pinselt  man  mit  27oiger  Argent. 
nitr.-Lösung.  Sind  sie  sehr  schmerzhaft,  so  muss  man  zur  Application  von 
Cocain  und  seinen  Ersatzmitteln  (Eucain  etc.)  greifen;  unter  letzteren  wird 
man  das  am  wenigsten  toxisch  wirkende  wählen.  Bei  der  Ernährung  wird 
man  sich  möglichst  an  flüssige  und  milde  Kost  halten,  alles  Salzige  und  stark 
Gewürzte  verbietet  sich  bei  der  Schmerzhaftigkeit  von  selbst.  Die  Hauptrolle 
wird  natürlich  die  Milch  spielen.  jessnek. 

PerichondritiS  auriCUlae.  Die  Entzündung  der  Knorpelhaut  ist  eine 
seltene  Erkrankung  der  Ohrmuschel.  Pathologisch  stellt  sie  einen  sämmtliche 
Weichtheile  bis  auf  den  Knorpel  ergreifenden  phlegmonösen  Process  an  der 
vorderen  Fläche  der  Auricula  vor. 

Aetiologie.  Diese  Krankheit  tritt:  1.  primär,  ohne  bekannte  Ur- 
sache, also  spontan  auf.  Diese  idiopathische  Perichondritis  lässt  sich  in 
manchen,  vielleicht  in  vielen  Fällen  auf  eine  Infection  zurückführen, 
welche  durch  directe  Eesorption  der  Keime  vom  Meatus  aus  oder  auf  Basis 
einer  Allgemeinerkrankung  verursacht  werden  kann.  Nach  Biehl  bilden  in 
manchen  Fällen  vasomotorische  Störungen  die  einzige  plausible  Möglichkeit 
der  primären  Entstehung  dieser  Krankheit  ebenso  wie  der  Othämatome. 

2.  Secundär  kann  diese  Affection  infolge  von  Trauma,  Otitis  externa, 
Otitis  media  purulenta,  Phlegmone,  Periostitis  und  anderen  Erkrankungen 
des  Meatus  auftreten.  Ferner  wurde  sie  mehrere  Male  in  der  plastischen 
Nachbehandlung  der  operativen  Freilegung  der  Mittelohrräume  beobachtet, 
besonders  in  Fällen,  wo  bei  der  Lappenbildung  der  horizontale  Schnitt  durch 
die  hintere  Gehörgangswand  zu  weit  nach  aussen  bis  in  den  Ohrmuschel- 
knorpel hinein  verlängert  wurde  (Grunert).  Als  Ursache  dieser  Complica- 
tion  wird  der  in  Culturen  aus  dem  perichondritischen  Exsudate  gefundene 
Pyocyaneus  angesehen.  In  frischen  Präparaten  fand  sich  aber  auch  der  Staphylo- 
coecus  vor.  Hartman  sah  einmal  Perichondritis  auriculae  nach  einer  Ver- 
brennung sich  entwickeln. 

3.  Bei  der  Perichondritis  tuberculosa  (Haug)  sind  meist  gleich- 
zeitig tuberkulöse  Herde  an  anderen  Körperstellen  oder  wenigstens  hereditäre 
Belastung  vorhanden. 

Decursus.  Der  Verlauf  dieser  Krankheit  ist  meist  ein  acuter.  Der 
Process  steigt  rasch  an  und  erreicht  manchmal  schon  in  einigen  Tagen  seine 
Akme,  kann  aber  bis  zur  Heilung  einige  W^ochen  und  selbst  Monate  in  An- 
spruch nehmen.  Er  beginnt  mit  einer  circumscripten  Röthe  und  Schmerz- 
haftigkeit oft  unter  fliegendem  Stechen  und  Brennen  an  der  vorderen  Fläche 
der  Ohrmuschel.  Die  afficirte  Stelle  kann  circumscript  bleiben  oder  auch 
sich  immer  weiter  ausbreiten  und  schliesslich  die  ganze  laterale  Fläche  der 
Auricula  einnehmen.  Es  kommt  zu  Schwellung,  Infiltration  und  Fluctuation. 
Die  Vertiefungen  der  Ohrmuschel  werden  ausgefüllt,  die  Geschwulst  in 
der  Concha  kann  Taubeneigrösse  erreichen,  und  die  Mündung  des  Gehör- 
ganges erscheint  durch  die  Schwellung  vollständig  verschlossen.  Gegen  das 
Läppchen  erscheint  die  Entzündung  immer  scharf  abgesetzt.  Da  der  Lobulus 
keinen  Knorpel,  somit  auch  kein  Perichondrium  besitzt,  so  muss  er  natur- 
gemäss  von  dieser  Krankheit  verschont  bleiben.  Ist  es  zur  Fluctuation  ge- 
kommen, dann  kann  der  Zustand  einige  Zeit  stationär  und  unverändert  bleiben. 
Die  Ausgänge  sind  verschieden.     Entweder  kommt    es  zur  Abscedirung   und 


PERICHONDRITIS  AÜRICÜLAE.  487 

zum  Durchbruche;  es  entleert  sich  eine  synovia-ähnliche,  viscide  helle  oder 
eitrigschleimige  Flüssigkeit,  worauf  die  entzündlichen  Erscheinungen  zurück- 
gehen. Die  umgebenden  Weichtheile  bleiben  oft  noch  einige  Zeit  hart  an- 
geschwollen und  zeigen  meist  nach  Entleerung  der  Flüssigkeit  nur  geringe 
Neigung,  zur  früheren  Beschaffenheit  zurückzukehren.  Auch  wiederholte  An- 
sammlung der  Flüssigkeit  nach  ihrer  Entleerung  kommt  nicht  selten  zustande. 
Es  kann  aber  auch  zur  liückbildung  des  Processes  und  Itcsolution  ohne  Ei- 
terung  kommen.  In  ungünstigen  Fällen  tritt  Gangrän  der  Haut  und  des 
Knorpels  ein,  oder  die  Krankheit  heilt  mit  Schrumpfung  der  Ohrmuschel  und 
Zurücklassung  einer  Deformation  und  Verkrüppelung  derselben,  ähnlich  wie  oft 
bei  Hämatom.  Es  kann  ferner  eine  circumscripte  Perichondritis  nach  ihrer  Hei- 
lung an  einer  Stelle  sich  an  einer  anderen  wiederholen,  immer  wieder  an- 
dere Knorpeltheile  ergreifen  und  so  nach  einander  die  ganze  äussere  Auri- 
cularfläche  durchwandern^  wodurch  die  Krankheit  einen  schleppenden  und 
langwierigen  Verlauf  annimmt.  Seltener  sind  die  Ausgänge  in  kalkige  und 
käsige  Degeneration  des  Knorpels,  und  wurde  sogar  eine  partielle  Ossifica- 
tion  derselben  und  Umwandlung  in  ostoides  Gewebe  infolge  einer  Perichon- 
dritis beobachtet  (Knapp). 

Gradenigo  beobachtete  einen  Fall  von  beiderseitig  symmetrischer 
Perichondritis  serosa,  welche  in  Form  von  serösen  Cysten  verliefen,  mit  Ab- 
hebung des  Perichondriums  vom  Knorpel. 

Die  Perichondritis  tuberculosa  hat  immer  einen  hartnäckigen  protra- 
hirten  Verlauf,  da  das  Knorpelgewebe  allmählich  einem  ausgedehnten  Zerfalle 
anheimfällt. 

Symptome.  Objectiv  charakterisirt  sich  diese  Krankheit  durch 
starke  Schwellung,  Infiltration  und  Spannung  der  Cutis,  eventuell  auch  durch 
Fluctuation,  durch  die  rothe  oder  blaurothe,  bei  Fingerdruck  nicht  verschwin- 
dende Verfärbung  und  die  erhöhte  Temperatur  der  sich  heiss  anfühlenden 
Ohrmuschel.  Die  Furchen  und  Vertiefungen  an  der  lateralen  Fläche  der 
Auricula  erscheinen  verstrichen  und  ausgefüllt,  die  Ohrmuschel  durch  An- 
schwellung des  Bindegewebes  um  das  zwei-  bis  dreifache  seiner  normalen 
Dicke  unförmlich  gestaltet.  Kommt  es  zur  Abscedirung  und  Eröffnung,  dann 
findet  man  das  Perichondrium  vom  Knorpel  abgelöst.  Letzterer  liegt  bloss 
und  fühlt  sich  mit  der  Sonde  rauh  und  uneben  an.  Manchmal  stossen  sich 
einzelne,  nekrotische  Theile  des  Knorpels  ab. 

Subjectiv  machen  sich  nur  mehr  oder  weniger  heftige  Schmerzen, 
Brennen,  Stechen  u.  s.  w.  geltend.  Bisweilen,  besonders  bei  empfindlichen 
Individuen,  sind  allgemeine  Reactionserscheinungen,  wie  allgemeines  Unwohl- 
sein, Kopfschmerz,  fieberhafte  Temperaturbewegungen  etc.  vorhanden. 

Diagnose.  Trotz  der  nicht  zu  verkennenden,  deutlich  ausgesprochenen 
objectiven  Symptome  dieser  Krankheit  kann  doch  die  Diagnose  derselben 
in  einem  gewissen  Stadium  zweifelhaft  und  eine  Verwechslung  mit  Hämatom 
sehr  leicht  möglich  sein.  Im  Stadium  der  Fluctuation  nämlich  bieten  beide 
diese  Krankheiten  so  viel  Aehnlichkeit  mit  einander  dar,  dass  die  Difi'eren- 
tialdiagnose  auf  den  ersten  Blick  unmöglich  erscheinen  kann.  Difi'erential- 
diagnostische  Momente  ergeben  die  Anamnese  und  die  weitere  Beobachtung. 
Das  Hämatom  entsteht  plötzlich,  auf  einmal  und  nach  einem  vorausgegan- 
genen Trauma.  Perichondritis  entwickelt  sich  langsam,  allmählich  und  meist 
ohne  bekanntes  veranlassendes  Moment  unter  entzündlichen  Erscheinungen.  Bei 
der  Punction  oder  Spaltung  entleert  sich  aus  ersterem  eine  blutige,  aus  letz- 
terer eine  helle  synovia-artige  oder  auch  eitrige  Flüssigkeit.  Charakteristisch 
für  unsere  Krankheit  ist  ferner  die  Beschränkung  derselben  auf  die  vordere 
Fläche  der  Ohrmuschel  und  das  Freibleiben  des  Lobulus. 

Bei  der  tuberkulösen  Perichondritis  der  Ohrmuschel  erscheinen  als 
charakteristischer  Befund   bei  Eröffnung   der  Geschwulst   grauröthliche   oder 


488  PERICHONDRITIS  LARYNGEA. 

gelbliche  fimgöse  Granulationswucherungen,  zuweilen  mit  weissfarbigem, 
krümmeligem  Eiter  durchsetzt  oder  mit  demselben  erfüllte  Fistelgänge.  Auch 
lassen  sich  mikroskopisch  die  für  Tuberkulose  charakteristischen  Gebilde,  wie 
miliare  Knötchen  und  Kiesenzellen,  und  in  dem  Eiter  oft  auch,  wenngleich 
spärlich,  Bacillen  nachweisen.  Die  Drüsen  in  der  Nachbarschaft  sind  in  der 
Regel  stark  geschwollen  (Haüg). 

Prognose.  Diese  ist  quoad  sanationem  günstig,  quoad  restitutionem 
ad  integrum,  wie  aus  dem  Verlaufe  hervorgeht,  zweifelhaft. 

Therapie.  In  den  Anfangsstadien  wird  man  durch  exacte  Antiphlo- 
gose  den  entzündlichen  Process  zu  bekämpfen  trachten.  Zu  diesem  Behüte 
sind  Kälte,  Eisumschläge,  LEiTER'sche  Apparate,  Umschläge  mit  Liqu.  Burowii, 
Aqu.  Goulardi  etc.  anzuwenden.  In  vorgeschrittenerem  Stadium,  wo  Eiter- 
bildung zu  erwarten  ist,  sind  warme  Compressen  besser  am  Platze.  Bei 
bereits  nachweisbarer  Abscedirung  oder  Fluctuation  müssen  die  bedeckenden 
Weichtheile  breit  incidirt,  der  Inhalt  möglichst  gründlich  entfernt  werden,  um 
dann  weiterhin  nach  chirurgischen  Grundsätzen  zu  verfahren.  In  die  Abscess- 
höhle  werden  Drains  oder  Jodoformgazestreifen  eingeschoben  und  darüber  ein 
leichter  Druckverband  angelegt.  Manchmal  müssen  die  Incisionen  wieder- 
holt ausgeführt  werden.  Treten  Granulationswucherungen  auf,  dann  müssen 
sie  mit  dem  scharfen  Löffel  ausgekratzt,  nekrotische  Knorpelstücke  sollen 
eventuell  excidirt  werden,  um  die  Heilung  zu  beschleunigen.  Haug  hat  durch 
wiederholte  Function  und  Aspiration  des  Inhaltes  mittelst  der  PRAVAz'schen 
Spritze  ohne  Incision  vollständige  Heilung  ohne  Deformität  erzielt,  und  er 
empfiehlt  dieses  Verfahren  wenigstens  bei  jungen,  frischen  Perichondritiden. 
Einfachheit,  Gefahrlosigkeit  und  Bequemlichkeit  für  den  Patienten  und  sehr 
befriedigende,  kosmetische  Effecte  sprechen  für  dieses  Heilverfahren,  welches 
in  frischen  Fällen  probatorisch  Anwendung  finden  kann.  Ein  vorgeschritte- 
neres Stadium  der  Entzündung  und  Knorpelnekrose  contraindiciren  es.  An- 
dere empfehlen  Function  des  Abscesses  und  Injection  verdünnter  Jodtinctur. 

Nach  Kuhn  empfiehlt  sich  Massage  besser  als  Spaltung  und  Injectionen. 
In  einem  Falle  von  Perichondritis  serosa  Gradenigo's  konnte  selbst  Aus- 
brennen mit  dem  Galvanocauter  die  Wiederansammlung  der  Flüssigkeit  nicht 
verhüten,  und  die  Heilung  erfolgte  erst  unter  der  Behandlung  mit  Zink- 
chlorür  und  Sublimatinjectionen. 

Die  Behandlung  der  Perichondritis  tuberculosa  der  Ohrmuschel  unter- 
scheidet sich  nicht  von  jener  der  localen  Tuberkulose  an  anderen  Körper- 
stellen: Entfernung  der  Granulationen,  Drainirung  mit  Perubalsamgaze, 
Einspritzungen  von  Jodoformglycerin  in  die  Knorpelsubstanz,  Exstirpation  der 
infiltrirten  Drüsen  etc.  eafael  spira. 

Perichondritis  laryngea  benennt  sich  die  Entzündung  der  Knorpel- 
haut einzelner  oder  mehrerer,  das  Larynxskelett  bildender  Knorpel,  wobei  es 
auch  zu  secundärer  Nekrose  und  Caries  der  Knorpelsubstanz  kommen  kann. 

Aetiologie.  Die  genuine  Perichondritis,  die  überhaupt  selten  zur 
Beobachtung  gelangt,  kann  ebenso  traumatischen  (Fracturen,  Schnitt-,  Schuss- 
wunden etc.)  Ursprunges  sein,  als  rheumatischen  Einflüssen  entspringen. 
Letztere  sind  anzunehmen,  wenn  bei  gutartigem  Verlauf  keine  eigentliche 
Ursache  aufzufinden  ist.  Allenfalls  hat  Gottstein  Recht,  wenn  er  darauf  auf- 
merksam macht,  dass  es  noch  dahingestellt  bleiben  muss,  ob  man  nicht  eine 
localisirt  septische  Infection  als  Ursache  voraussetzen  soll. 

Gewiss  kann  über  das  Vorkommen  der  primären  Perichondritis  kein 
Zweifel  obwalten.  Schrötter,  der  bereits  vor  Jahren  eine  grössere  Anzahl 
derartiger  Fälle  veröffentlicht  hat,  ist  der  Ansicht,  dass  die  Erkältung  als 
Ursache  dieser  Erkrankung  eine  grosse  Rolle  spielt,  doch  meint  auch  er,  dass 
es   nahe   liegt,    an  Infectionsmomente    zu  denken,     v.  Ziemssen  betont,    dass 


PERICHONDRITIS  LARYNGEA.  489 

speciell  Perichondritis  cricoidea  bei  altern  Leuten,  bei  denen  die  Kingknorpel- 
platte  verknöchert  ist,  öfter  durch  Einführung  der  Schlundsonde  entstehen 
kann.  Die  Behauptung  Dittkich's,  wonach  die  als  traumatische  Ursache  der 
Perichondritis  gekennzeichnete  entzündliche  Ernährungsstörung,  welche 
durch  den  Druck  der  hinteren  Fläche  des  verknöcherten  Jlingknorpels  gegen 
die  Wirbelsäule  hervorgerufen  wurde,  ist  eigentlich  nicht  erwiesen.  Floumann 
veröffentlichte  schon  gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  Fälle  von  primären 
Perichondritiden  des  liingknorpels,  welche  nach  vielem  und  lautem  .Schreien 
entstanden  sein  sollen,  und  noch  von  vielen  anderen  Autoren  werden  über- 
grosse und  andauernde  Anstrengung  des  Kehlkopfes  als  irritative  Momente 
hingestellt.  Tobold  hingegen  bezeichnet  diese  Entstehungsursache  als  zweifel- 
haft, da  er  in  zahlreichen  Fällen  von  entzündlichen  Larynxerkrankungen, 
welche  durch  Ueberreizung  des  Organes  entstanden,  nie  Gelegenheit  hatte, 
Perichondritis  zu  beobachten. 

Unvergleichlich  häufiger  bekommen  wir  die  Perichondritis  als  eine 
secundäre  Erkrankung  zur  Beobachtung,  und  zwar  im  Gefolge  von  acuten 
und  chronischen  Infectionskrankheiten,  entweder  als  metastatischen  Process 
oder  infolge  von  bestehenden  Ulcerationsprocessen  im  Larynx. 

Eingekeilte  Fremdkörper,  sowie  in  seltenen  Fällen  eitrige  Entzündungen 
der  den  Kehlkopf  bedeckenden  Weichtheile  des  Halses  können  auch  Anlass 
zum  Auftreten  perichondritischer  Erscheinungen  geben.  Gottstein  ist  der 
Ansicht,  dass  bei  Tuberkulose  und  Syphilis  auch  selbständig,  also  ohne  Ulce- 
ration,  Perichondritis  auftreten  kann.  Nach  den  Beobachtungen  Schmidt's 
pflegt  sich  in  manchen  Fällen  von  Carcinom  dasselbe  am  Perichondrium  oder 
in  der  Nähe  desselben  zu  entwickeln.  „Es  verräth  seine  Anwesenheit  ziemlich 
früh  durch  Erregung  von  Perichondritis  und  diese  Neigung  zu  Perichondritis 
scheint  diesen  Fällen  durch  die  ganze  Dauer  des  Leidens  innezuwohnen." 
Dass  ein  ulcerirtes  Carcinom,  bis  in  die  Nähe  der  Knorpelhaut  reichend,  eine 
Entzündung  hervorbringen  kann,  ist  selbstverständlich. 

Aus  der  Zusammenstellung,  die  Retslag  aus  den  Sectionsprotokollen  der 
Berliner  path.  anat.  Anstalt  angefertigt  hat,  ergibt  sich,  dass  das  männliche 
Geschlecht  in  auffallender  Weise  mehrbetheiligt  ist  (von  20  Fällen  16  Männer, 
4  Frauen). 

Am  häufigsten  wird  bei  der  genuinen  Perichondritis  die  C.  cricoidea 
befallen.  Ihr  folgen  die  C.  thyreoidea,  die  Aryknorpel  und  zuletzt  der  Kehl- 
deckel. Bei  der  secundären  hingegen  sind  es  die  Aryknorpel,  welche  in 
erster  Reihe  ergriffen  werden,  dann  folgen  erst  die  C  cricoidea  und  C.  thyre- 
oidea nach. 

Pathologische  Anatomie.  Bei  der  Perichondritis  finden  wir,  wie 
schon  oben  erwähnt,  gewöhnlich  den  einen  oder  anderen  Knorpel  erkrankt, 
selten  das  ganze  Kehlkopfgerüst.  Verschieden  gestalten  sich  die  Verände- 
rungen, je  nachdem  ein  acuter  oder  langsamer  Verlauf  zu  beobachten  ist. 
Bei  ersterem  geht  die  entzündliche  Anschwellung  sehr  bald  in  eitrige  Infiltra- 
tion über,  die  Knorpelhaut  wird  vom  Knorpel  losgelöst  und  so  Nekrose  des 
Letzteren  hervorgerufen.  Die  nekrotisirten  Theile  sind  von  schmutzig  dunkel- 
grauer, selbst  schwärzlicher  Farbe.  Die  Entfärbung  scheint  von  der  Existenz 
der  Communication  zwischen  dem  Knorpel  und  der  atmosphärischen  Luft  ab- 
zuhängen (Mackenzie).  Dies  ist  gewöhnlich  der  Fall,  wenn  Perforation  der 
Weichtheile  vorhanden  ist. 

Ist  der  Verlauf  ein  langsamer,  so  bildet  der  Abscess  eine  Vorwölbung, 
die  ebenso  wie  beim  acuten  \  erlauf  durch  consecutives  Oedem  des  umge- 
benden, submucösen  Bindegewebes  zu  hochgradigen  Stenosirungen  des  Kehl- 
kopfraumes Veranlassung  geben  kann.  Der  Abscess  kann,  die  Weichtheile 
durchbrechend,  bald  nach  dem  Pharynx  hin,  bald  in  das  Innere  des  Kehl- 
kopfes oder  nach  aussen  sich  eröffnen.    Erfolgt  der  Durchbruch  des  Eiters 


490  PERICHONDRITIS  LARYNGEA. 

spät,  SO  wird  der  ergriffene  Knorpel  ganz  nekrotisch,  das  Perichondrium  wird 
zerstört,  es  können  sogar  der  eine  oder  beide  Aryknorpel  eliminirt  werden, 
gewöhnlich  jedoch  werden  nur  kleinere  oder  grössere  Fragmente  der  Knorpel 
ausgestossen. 

Wenn  die  Perichondritis  im  Anschlüsse  von  Schleimhautulcerationen 
entsteht,  so  ändern  sich  die  Verhältnisse,  indem  die  entzündliche  Schwellung 
nicht  so  gross  wird, und  die  Abscessbildung  schneller  ihren  Abschluss  findet, 
da  der  Durchbruch  durch  das  geringere  Hindernis  leichter  vor  sich  geht,  und 
so  die  Entleerung  des  Eiters  rascher  stattfindet.  Geschieht  der  Durchbruch 
des  perichondritischen  Abscesses  gleichzeitig  nach  innen  und  aussen,  so  ent- 
steht ein  Fistelgang.  (v.  Ziemssen  erwähnt  eines  Falles  von  primärer  Perichon- 
dritis, wo  die  linke  Schildknorpelplatte  nekrotisch  geworden  und  eine  com- 
plette  Kehlkopffistel  entstand.) 

Nach  Mackenzie  findet  man  bei  mikroskopischer  Untersuchung  in  den  frühesten 
Stadien  eine  theilweise  Destruction  der  Knorpelkörperchen  und  schliesslich  Verschwinden 
infolge  fettiger  Degeneration.  „Die  Intercellularsubstanz  ist  zuerst  verdickt  und  getrübt, 
später  findet  eine  retrogressive  Metamorphose  derselben  in  Eiter  statt." 

Nach  Ausstossung  des  Knorpels  collabirt  der  Abscess;  die  Höhle  füllt 
sich  mit  Granulationen  aus  und  es  entstehen  feste  Narben. 

In  seltenen  Fällen  entsteht  durch  Organisation  des  Entzündungsproductes 
callöse  Bindegewebsverdickung.  Ein  andermal  tritt  bei  äusserst  chronisch 
verlaufenden  Perichondritiden  (Syphilis)  Sklerosirung  (bindegewebige  Umge- 
staltung —  Metaplasie)  des  Knorpels  auf. 

Symptomatologie  und  Verlauf.  Die  ersten  Spiegeluntersuchungen 
bei  Perichondritis  sind  von  Türck  ausgeführt  worden  und  verdanken  wir  ihm 
die  grundlegenden  Kenntnisse  hierüber.  Im  Beginne  der  Erkrankung  pflegen 
die  Symptome  nicht  so  ausgeprägt  zu  sein,  dass  sie  als  charakteristische 
Kennzeichen  verwertet  werden  können.  Selbst  Schmerzhaftigkeit  oder  auf- 
fallende Empfindlichkeit  auf  Druck  bestimmter  Larynxtheile  deuten  ebenso- 
wenig auf  perichondritische  Veränderung,  als  das  Schmerzgefühl  beim  Sprechen 
oder  Schlucken,  da  man  die  eben  erwähnten  Symptome  bei  sehr  verschiedenen 
Larynxerkrankungen  zu  finden  Gelegenheit  hat. 

Die  Symptome  der  primären  Perichondritiden  sind  deutlicher.  Bei  den 
secundären  Formen  hingegen  können  die  perichondritischen  Erscheinungen 
theils  durch  Symptome  der  Primäraffection  verdeckt  sein,  theils  ist  das  be- 
gleitende Oedem  derartig,  dass  hiedurch  der  laryngoskopische  Befund  für  die 
Diagnose  der  Perichondritis  negativ  ausfällt.  Beweisbringend  für  die  Erkran- 
kung sind  die  im  späteren  Verlaufe  auftretenden  Erscheinungen,  wie  Ent- 
fernung von  nekrotischen  Knorpelstücken  nach  Entleerung  eines  Abscesses 
und  durch  Sondenuntersuchung  constatirbare  freiliegende,  rauhe  Knorpeltheile. 
Ein  wichtiges  Symptom   der  Perichondritis   kann  die  Laryngostenose  bilden. 

Je  nach  dem  Sitz  der  Erkrankung  wechselt  nicht  nur  der  laryngosko- 
pische Befund,  sondern  das  ganze  Krankheitsbild.  Sonach  sieht  man  bei  der 
Perichondritis  arytaenoidea,  welche  als  secundäre  Erkrankung  am 
häufigsten  zu  beobachten  ist,  eine  mehr  oder  minder  ausgebreitete  Schwellung 
der  Schleimhaut  der  pharyngealen  Fläche  des  Aryknorpels,  welche  oft  auf  das 
Lig.  aryepiglotticum  und  Taschenband  derselben  Seite  übergeht.  Kommt  es 
zur  Abscessbildung,  so  entleert  sich  der  Eiter  am  häufigsten  am  Processus 
vocalis  oder  an  der  Spitze  des  Aryknorpels,  seltener  gegen  den  Sinus  pyri- 
formis. 

Die  Perichondritis  der  Aryknorpel  findet  ihre  Entstehungsursache  meistens 
in  tuberkulösen  Geschwüren  der  hinteren  Kehlkopfwand,  häufig  in  Ulcerationen 
des  Processus  vocalis.  Nebst  sehr  heftigen,  schmerzhaften  Schlingbeschwerden 
ist  oftmals  auch  ünbew^eglichkeit  des  Aryknorpels  zu  bemerken. 


PERICHONDRITIS  LARYNGEA.  491 

V.  ZiEMSSEN  hat  bei  einer  grossen  Zahl  Typhuskranker  totale,  seltener 
partielle  Nekrose  des  Aryknorpels  beobachten  können.  Ist  der  nekrotische 
Knorpel  ausgestossen  worden,  so  fällt  der  Abscess  zusammen,  und  es  kommt 
durch  Neubildung  von  Bindegewebe  zu  narbigen  Schrumpfungen,  die  sich 
laryngoskopisch  als  Depression  der  hinteren  Partie  des  Ligamentum  aryepi- 
glotticum  kennzeichnen.  Es  muss  bemerkt  werden,  dass  an  der  Stelle,  wo 
der  Knorpel  eliminirt  wurde,  statt  Einziehung  durch  Hyperplasie  des  sub- 
mucösen  Gewebes  sogar  eine  Verdickung  beobachtet  werden  kann,  wodurch 
das  Fehlen  des  Knorpels  maskirt  wird. 

V.  ZiEMSSEN  meint,  dass  die  partielle  speciell  auf  den  Processus  vocalis 
localisirte  Perichondritis  weder  unbedingt  zur  Nekrose,  noch  zur  Betheiligung 
des  ganzen  Aryknorpels  führt,  sondern  als  schmerzhafte,  geschwulstartige 
Erhabenheit  unverändert  bestehen,  sogar  sich  rückbilden  kann.  Die  partielle 
Ausstossung  des  Aryknorpels  kann  ohne  besondere  Beschwerden  vor  sich 
gehen,  wie  dies  aus  einem  von  Gottstein  erwähnten  Fall  ersichtlich  ist,  wo 
der  Kranke,  ohne  Unannehmlichkeiten  zu  verspüren,  den  Knorpel  auf  der 
Strasse  ausstiess,  weshalb  gar  keine  ärztliche  Hilfe  in  Anspruch  genommen 
wurde. 

Die  Perichondritis  cricoidea  kommt  vornehmlich  ander  hinteren 
Platte  vor,  seltener  werden  die  Seiten  und  der  Vordertheil  angegriffen.  Ge- 
wöhnlich geht  mit  der  Perichondritis  cricoidea  die  Nekrose  des  einen  oder 
beider  Aryknorpel  einher.  Besonders  sind  es  tuberkulöse  und  syphilitische 
Geschwüre,  die  Anlass  zu  ihrer  Entstehung  geben. 

Die  exquisiten  Symptome  der  Perichondritis  cricoidea  bestehen  in 
heftigem  Schmerz  beim  Schlucken  (insbesondere,  wenn  die  Platte  afficirt  ist) 
und  in  Athemnoth,  welche  durch  die  rasch  entstehende  Larynxstenose  bedingt 
wird.  Die  Larynxstenose  hat  ihre  Ursache  in  der  Hervorwölbung  des  Abscesses 
an  der  hinteren  Wand,  oder  sie  wird  dadurch  hervorgerufen,  dass  durch 
Lähmung  je  eines  oder  beider  mm.  cricoaryt.  post.  das  eine  oder  beide  Stimm- 
bänder in  der  Medianlinie  verbleiben. 

Die  Perichondritis  thyreoidea  ist  die  seltenere  Form.  Meistens 
wird  die  innere  Fläche  ergriffen.  Durch  Hervorwölbung  der  Abscesswand 
entsteht  die  Larynxstenose.  Die  Erkrankung  zeigt  sich  selten  gleichzeitig  an 
der  äusseren  Fläche;  ist  das  aber  dennoch  der  Fall,  so  ist  die  Möglichkeit 
zur  Bildung  einer  Larynxfistel  gegeben.  (Schrötter  hatte  einen  Fall,  in  dem 
die  von  aussen  in  die  Fistelöffnung  eingeführte  Sondenspitze  in  der  Kehl- 
kopfhöhle laryngoskopisch  gesehen  werden  konnte.) 

Ein  Hauptsymptom  bildet  bei  der  Perichondritis  thyreoidea  die  grosse, 
auf  Druck  vermehrte  Schmerzhaftigkeit  der  Cartilago  thyreoidea,  die,  wenn 
ihre  äussere  Fläche  erkrankt  ist,  eine  auffallend  prominente  Anschwellung 
mit  Schwinden  der  Contouren  des  Larynx  zeigt. 

Die  primäre  Perichondritis  der  Epiglottis  ist  die  seltenste  Erscheinung. 
Es  gibt  Autoren,  die  ihr  Vorkommen  geradezu  bezweifeln.  Tobold  erklärt 
sich  für  das  selbständige  Auftreten  der  Perichondritis  epiglottidea.  Er  sagt: 
„Das  Vorhandensein  der  verschiedenartigsten  DiÖormitäten  der  Epiglottis  bei 
Intactheit  oder  nur  geringfügiger  Affection  der  übrigen  Larynxtheile  spricht 
deutlich  für  die  Annahme  einer  isolirten  Erkrankung,  oder  wenigstens  für  das 
hervorragende  Ergriöensein  dieses  Larynxtheiles."  Die  Perichondritis  epi- 
glottidea kennzeichnet  sich  durch  einen  auffallenden  Schmerz  bei  jedweder 
Schluckbewegung.  Haben  wir  es  mit  einer  primären  Affection  zu  thun,  so 
sieht  sich  die  Epiglottis  vielfach  verdickt  an,  besonders  ihre  linguale  Fläche. 
Der  Rand  ist  verbreitert.  Bei  secundärer  Perichondritis  epiglottidea,  als 
Folge  eines  Geschwüres,  kann  man  am  Grunde  desselben  den  nekrotischen 
Knorp eltheil  finden. 


492  PERICHONDRITIS  LARYNGEA. 

In  den  günstigeren  Fällen  ist  der  Process  ein  langsamer.  Sobald  es 
jedoch  zur  Abscessbildung  kommt,  wird  der  Verlauf  gewöhnlich  ein  rascher. 
In  der  Mehrzahl  der  Fälle  geht  der  Kranke  schon  seines  primären  Leidens 
halber  zu  Grunde,  bevor  noch  die  perichondritischen  Erscheinuugen  ihr  Maximum 
erreicht  haben.  Dass  der  Abscess  selbst  oder  das  sich  anschliessende  Oedem, 
weiters  die  Entleerung  des  Fiters  in  die  Larynxhöhle  oder  das  Stecken- 
bleiben eines  ausgestossenen  nekrotischen  Knorpelstückes  durch  Erstickung 
tödten  können,  braucht  nicht  besonders  betont  zu  werden.  In  vereinzelten 
Fällen  kann  durch  Durchbruch  des  perichondritischen  Abscesses  nach  aussen 
Hautemphysem  entstehen.  (Rokitansky,  Wilks.)  Als  eine  besondere  Form 
des  Ausgangs  der  Perichondritis  wäre  die  Anckylose  des  Cricoary- 
taenoidalgelenks  (Semon)  zu  erwähnen,  die,  wenn  sie  auch  nicht  aus- 
schliesslich im  Gefolge  dieser  Krankheit  entsteht,  zweifellos  häufig  durch 
sklerosirende  Perichondritiden  verursacht  wird. 

Im  allgemeinen  ist  der  Verlauf  der  primären,  traumatischen,  eventuell 
syphilitischen  Perichondritis  günstiger.  Es  kann  nach  Ausstossung  nekrotischer 
Knorpel  Veruarbung  entstehen  und  so  Heilung  eintreten.  Selbstverständlich 
ist  die  Heilung  so  zu  verstehen,  dass  die  gefahrdrohenden  Erscheinungen  ver- 
schwinden, doch  müssen  wir  darauf  vorbereitet  sein,  dass  unter  den  besten 
Umständen  bedeutendere  oder  mindere  Defecte  am  Kehlkopfskelette  zurück- 
bleiben, die  durch  Form  und  Lageveränderung  bestimmter  Larynxtheile,  aus- 
gebreitete NarbenbilduDg  und  callöse  Bindegewebsverdickungen  zu  nicht  un- 
erheblichen Veränderungen  führen. 

Diagnose.  Mit  absoluter  Sicherheit  kann  die  Diagnose  auf  Perichon- 
dritis nur  dann  gestellt  werden,  wenn  entweder  nach  Durchbruch  des  Abscesses 
nekrotische  Knorpelfragmente  ausgestossen  werden,  oder  wenn  mittelst  Sonden- 
untersuchung in  der  Abscesshöhle  oder  am  Geschwürrande  entblösste  Knorpel- 
theile  zu  finden  sind.  Erschwert  wird  die  Erkenntnis  dieser  Erkrankung  da- 
durch, dass  der  perichondritische  Abscess  von  einem  submucösen  Abscesse 
eigentlich  kaum  zu  unterscheiden  ist.  Als  differentialdiagnostisches  Moment 
dürfte  vielleicht  hervorgehoben  werden,  dass  der  Durchbruch  des  Abscesses 
bei  der  Entzündung  des  submucösen  Zellgewebes  rascher  geschieht.  Das 
Symptom  der  Veränderung  der  Stimme  kann  für  die  Perichondritis  nicht  als 
bestimmend  betrachtet  werden.  Oft  kann  schon  die  äussere  Inspection,  dann 
Palpation  (circumscripte  Anschwellung  bestimmter  Knorpelbezirke),  weiters  der 
laryngoskopische  Befund  (siehe  Symptomatologie)  über  den  perichondritischen 
Process  Aufschluss  geben. 

Die  Verwechslung  des  perichondritischen  Abscesses  mit  einem  Neuge- 
bilde kann  nach  Schrötter  nicht  leicht  vorkommen,  da  die  Neubildungen 
allmählich  eine  unregelmässige,  höckerige  Oberfläche  annehmen,  ausserdem 
durch  ihren  Verlauf  bald  Klarheit  bringen.  Die  Erkenntnis  der  secundären, 
von  einer  Ulceration  ausgehenden  Perichondritis  bietet  weniger  Schwierig- 
keiten als  die  der  primären. 

Therapie.  Aus  dem  Vorhergesagten  geht  hervor,  dass  der  therapeu- 
tische Eingriff  sich  immer  dem  speciellen  Fall  anzupassen  hat.  Wir  werden 
bei  den  primären  Perichondritiden  anders  verfahren,  als  sich  die  Maassnahmen 
gestalten  müssen,  wenn  wir  es  mit  secundären  Knorpelhautentzündungen  zu 
thun  haben.  UnlDedingt  ist  v.  Ziemssen  beizustimmen,  der  betont,  dass  durch 
die  Eröffnung  eines  neuen  Luftweges  (Tracheotomie)  die  im  Kehlkopfe  befind- 
lichen entzündlich  destructiven  Processe  meistentheils  günstig  beeinflusst 
werden.  Seiner  Meinung  nach  sind  mit  Genesung  endigende  Fälle  in  der 
Mehrzahl  durch  die  rechtzeitig  ausgeführte  Tracheotomie  erreicht  worden. 

Die  Behandlung  der  primären  Knorpelhautentzündungen  besteht  im 
Anfangsstadium,  also  bei  Beginn  der  ersten  entzündlichen  Erscheinungen,  in 
Anwendung  von  Kälte  (Eisumschläge  und  Eispillen)  und  localer  Blutentziehung 


LARYNGITIS.  493 

(Blutegel  an  den  Hals).  Nach  Schmidt  sind  Einreibungen  des  Halses  mit 
grauer  Salbe  und  Einpinselungen  der  erkrankten  Stelle  mit  Jodtinctur  vor- 
zunehmen. Kommt  es  zur  Abscessbildung  und  hiedurch  zu  den  Erscheinungen 
der  Larynxstenose,  so  muss  operativ  eingegriffen  werden,  und  zwar  durch 
Scarificationen  oder  Eröffnung  des  Abscesses,  eventuell  Tracheotomie,  je  nach- 
dem die  Stenosirung  vom  Oedem  der  umgebenden  Weichtheile  oder  von  der 
Hervorwölbung  des  Abscesses  verursacht  wird.  Zeigt  sich  die  Eiterung  nach 
aussen,  so  ist  hier  die  Incision  zu  machen. 

Ungleich  schwieriger  gestaltet  sich  das  therapeutische  Verfahren  der 
seeundären  Perichondritis  gegenüber,  da  doch  in  erster  Reihe  auf  die  primäre 
Erkrankung  Rücksicht  zu  nehmen  ist.  Günstigere  Ausnahmen  können  syphi- 
litische Perichondritiden  bilden,  wo  energische  antisyphilitische  Curen  einzu- 
leiten sind.  So  habe  ich  im  Jahre  1892  Mittheilung  gemacht  über  zwei  Fälle 
von  Perichondritis  laryngea  syphilitischen  Ursprungs,  bei  welchen,  trotzdem 
hochgradige,  laryngostenotische  Erscheinungen  aufgetreten  waren,  durch  intra- 
musculäre  Injectionen  einer  öligen  Sublimatlösung  (Lukasiewicz)  nicht  nur  die 
Tracheotomie  umgangen  wurde,  sondern  sehr  rasch  die  Rückbildung  des  Pro- 
cesses  beobachtet  werden  konnte.  Von  der  localen  Behandlung  des  Kehl- 
kopfes ist  wenig  zu  erwarten.  Die  endolaryngeale  Application  verschiedener 
Mittel  scheint  sogar  bei  Perichondritis  schädlich  zu  sein,  da  das  erkrankte 
Organ  vor  allem  der  Ruhe  bedarf.  Bleiben  nach  günstig  abgelaufenen  Peri- 
chondritiden Larynxstenosen  zurück,  so  tritt  die  Stenosenbehandlung 
in  ihre  Rechte.  Die  Behandlung  geschieht  mittelst  der  ScHRöTTER'schen  Hart- 
kautschukröhren oder,  wenn  die  Tracheotomie  vorhergegangen,  mittelst  Ein- 
legung von  Zinnbolzen.  Die  Beschreibung  beider  höchst  genialen  Verfahren 
gehört  nicht  in  den  Rahmen  dieses  Artikels,  doch  soll  bemerkt  werden,  dass 
über  die  Zweckmässigkeit  und  den  glänzenden  Effect  dieser  beiden  Methoden 
nur  eine  Stimme  herrscht.  Vor  einigen  Jahren  war  es  Leffert,  der  bei 
durch  syphilitische  Perichondritiden  entstandenen  Stenosen  die  Intubation  an- 
wendete. Leffert's  Erfolge  waren  so  zufriedenstellend,  dass  die  Tracheotomie 
umgangen  werden  konnte.  Seitdem  ist  dieses  Verfahren  von  Vielen  mit 
Erfolg  erprobt  worden,  doch  bleibt  es  immer  den  jeweiligen  Umständen  an- 
*  heimgestellt,  welches  von  den  erwähnten  Verfahren  angewendet  werden  soll. 
Auf  Grund  meiner  theils  mit  den  ScHRöTTER'schen  Hartkautschukröhren, 
theils  durch  Intubation  erfolgreich  behandelten  Fälle  möchte  ich  der  letz- 
teren Methode  deshalb  den  Vorzug  geben,  weil  durch  das  längere  Liegen- 
lassen (Verbleiben)  des  Tubus  eine  intensivere  Dilatation  eher  möglich 
erscheint.  irsai. 

Pharyngitis.  Nach  Ausscheidung  der  Entzündungen  des  Isthmus  fau- 
cium  unter  dem  Sammelnamen  Angina  (s.  diese)  beschränkt  sich  heutzutage 
.der  Begriff"  Pharyngitis  in  Deutschland  wenigstens  auf  die  Entzündungen  der 
hinteren  und  oberen  Rachenwand,  sowie  der  medialen  Fläche 
der  Tuben  und  der  oberen  Fläche  des  weichen  Gaumens,  welche 
letztere  noch  keine,  ausgebildete,  specielle  Pathologie  besitzen. 

Die  bisherige  Vereinigung  mit  den  weit  aufdringlicheren  Erkrankungen 
des  Isthmus  faucium  hat  vielfach  zu  einer  mehr  nebensächlichen  Beachtung 
der  eigentlichen  Rachenwand  Anlass  gegeben,  so  dass  über  das  Verhalten 
derselben  nicht  immer  genügende  Berichte  zu  finden  sind. 

Nach  der  bekannten  Einth eilung  des  Gesammtrachens  in  eine  Pars  su- 
perior,  der  im  erweiterten  Sinne  die  übrigen  Flächen  des  Nasenrachenraumes 
sich  anschliessen,  und  in  eine  Pars  inferior,  die  wieder  in  eine  Pars  oralis 
und  laryngea  zerfällt,  ist  praktisch  eine  Pharyngitis  superior  und  in- 
ferior (partis  oralis  und  laryngeae)  zu  unterscheiden. 


494  PHARYNGITIS. 

A.  Pharyngitis  acuta. 

1.  Pharyngitis  acuta  catarrhalis. 

Hyperämien  des  Rachens  infolge  von  anderweitigen  Erkrankungen,  der  Menstrua- 
iion,  verschiedener  Reizungen  des  Halses  oder  in  der  Art  arzneilicher  und  anderer  Ery- 
theme dürfen  wegen  des  Vorhandenseins  gewisser,  subjectiver  Beschwerden  als  eine  Art 
rudimentärer,  infolge  der  ungenügenden  Reize  nicht  ganz  ausgebildeter  Entzündungen  an- 
gesehen werden. 

Aetiologie.  Am  häufigsten  werden  Erkältungen  angeschuldigt; 
besonders  die  Verweichlichung  des  Halses  leistet  denselben  Vorschub, 
z.  B.  beim  Anlegen  von  Civilkleidern  statt  der  hochgeschlossenen  Uniform. 
Dem  Einflüsse  trockener  und  staubiger  Luft  sind  besonders  Jene  aus- 
gesetzt, welche  bei  rauhem  Winde  oder  in  überheizten  oder  rauchigen  Eäumen 
während  stimmlicher  Anstrengungen  oder  Verlegung  der  Nase  durch  den 
Mund  athmen.  Traumatische  Momente  sind  Fremdkörper,  galvanokaustische 
und  andere  Eingriffe,  Verbrennungen  durch  heisse  Luft,  z.  B.  beim  Rauchen, 
oder  heisse  Ingesta,  unter  welchen  die  oft  unvernünftig  erwärmten  medicamen- 
tösen  Aufgüsse  und  Mineralwasser  nicht  zu  vergessen  sind.  Als  toxische 
Pharyngitiden  werden  die  unter  Einwirkung  des  Jodes,  Quecksilbers,  Brech- 
weinsteins, der  Belladonna,  sehr  scharfer  ätherischer  Oele,  concentrirter  Säuren 
und  Alkalien  entstandenen,  als  infectiöse  die  besonders  im  Anfange  der 
acuten  Infectionskrankheiten,  der  Röthein,  Masern,  Blattern,  Typhusarten,  der 
Maul-  und  Klauenseuche  etc.  auftretenden,  später  mitunter  durch  ausge- 
prägtere Erscheinungen  ersetzten  Katarrhe  bezeichnet.  Im  Auslande  wird 
mehr  Wert  als  bei  uns  auf  die  Aufstellung  einer  rheumatischen  und  einer 
gichtischen  Pharyngitis  gelegt.  Dass  die  Rachenentzündung  vielfach 
durch  Fortleitung  eines  Nasenkatarrhes,  und  speciell  wieder  die  Entzündung 
des  unteren  Theiles  durch  Ausbreitung  einer  solchen  des  oberen  Theiles  ent- 
steht, ist  bekannt;  ausserdem  ist  heutzutage  den  im  Anschlüsse  an  Anginen 
(s.  oben)  auftretenden  Erkrankungen  des  eigentlichen  Pharynx  der  secun- 
däre  Charakter  aufgedrängt  worden.  —  Am  häufigsten  wird  das  kindliche 
und  überhaupt  das  jugendliche  Alter  befallen. 

Symptome  und  Befund.  Es  besteht,  besonders  zu  Anfang,  ein 
höheres  Fieber.  Auf  Trockenheit  folgt  eine  zum  Räuspern  reizende  Ver-. 
schleimung.  Häufig  kommt  es  zu  Verlegung  des  Nasenrachenraumes,  zu  Ent- 
zündungen des  Gehörganges  oder  zu  Heiserkeit  und  Husten.  Schmerzen 
werden  bei  Pharyngitis  superior  mehr  im  Hinterhaupte,  bei  Pharyngitis  inferior 
in  der  Tiefe  des  Halses  und  zwar  hauptsächlich  beim  Schlucken  und  Sprechen 
verspürt.  Objectiv  fällt  die  Injection  der  Schleimhaut,  die  übrigens  in  Stärke 
und  Ausbreitung  (sie  ist  mitunter  nur  auf  einen  Streifen  beschränkt)  variirt,  auf; 
wenn  es  zu  Ecchymosen  oder  freien  Blutungen,  meist  geringen  Grades,  kommt, 
so  kann  man  von  Pharyngitis  acuta  haemorrhagica  sprechen;  die  be- 
sondere Localisation  der  Entzündung  auf  die  seitlichsten  Theile  des  Rachens 
bezeichnet  man  als  Pharyngitis  acuta  lateralis.  Die  Schwellung  im 
unteren  Rachenabschnitte  ist  meist  nur  massig,  wogegen  es  im  Nasenrachen- 
räume leicht  zu  Oedemen  kommt,  die  sich  besonders  am  Zäpfchen  bemerkbar 
machen.  Bei  Kindern  erhält  der  entzündete  Rachen  durch  Anschwellen  der 
folliculären  Gebilde  ein  höckeriges  Ansehen  (Pharyngitis  acuta  folli- 
cularis). 

Die  Dauer  der  Erkrankung  ist  normaler  Weise  einige  Tage;  einfache 
Fälle  haben  eine  gute  Prognose,  doch  bleibt  infolge  ungenügender  Ausheilung 
häufig  die  Neigung  zu  immer  schnelleren  Recidiven  und  zur  chronischen  Ent- 
zündung zurück. 

Therapeutisch  ist  die  Abortivbehandlung  durch  Diaphorese 
sehr  populär;  es  darf  aber  bemerkt  werden,  dass  das  längere  Einathmen  der 
heissen  trockenen  Luft  in  der  Heissluftkammer,  dann  das  Trinken  sehr  heisser 


PHARYNGITIS.  495 

Getränke,  endlich  der  Gebrauch  PRiESSNiTz'scher  Umschläge  in  einer  Form, 
in  der  sie  die  Venen  des  Halses  comprimiren  oder  von  der  durchleuchteten 
Halshaut  unwillkürlich  im  Schlafe  abgezogen  werden  können,  oder  bei  Ausser- 
achtlassung  einer  nachfolgenden,  zweckmässigen  Abkühlung  nur  zu  leicht 
schädlich  wirken;  Verfasser  lässt  die  feuchtwarmen  Umschläge  noch  zu 
wachender  Zeit  und  unter  Vermeidung  des  Umhergehens  anwenden,  vor  dem 
Schlafengehen  aber  durch  ein  trockenes  Wolltuch  ersetzen.  Ebenfalls  als 
Abortiva  findet  man  die  bewährte  Darreichung  von  5—10  Tropfen  Tinct.  op. 
simpl.  des  Morgens  nach  dem  Stuhlgange,  welchem  überhaupt 
Aufmerksamkeit  zu  widmen  ist,  dann  Pastillen  mit  0*2  Piesin.  Guajaci, 
Antipyretica  und  Antirheumatica,  5"/oige  Höllensteinpinselungen  u.  a.  em- 
pfohlen. Gegen  die  Schmerzen  dienen  Eispillen  und  Bepinselungen  am  besten 
mit  Cocain  1-0  (Antipyrin  2-0)  Aqu.  dest.  lO-Q;  gegen  die  Trockenheit  Ein- 
führung von  Borsalbe  oder  Einträufeln  einer  nicht  zu  süssen  Glycerinver- 
dünnung  (1:3—4)  während  der  Rückenlage  in  die  Nase,  schleimige  Pastillen 
oder  Getränke  und  anfrischende  Bespülungen  des  Piachens  (das  Kalium 
chloricum  lässt  sich  hier  durch  schwachsaures  Citronenwasser  oder  eine  Ptotte- 
rinlösung  vorzüglich  ersetzen).  Die  Entfernung  der  Schleimmassen  ist  gleich- 
falls durch  die  ebengenannten,  möglichst  ohne  Würgen  auszuführenden  Gurgel- 
ungen, für  den  Nasenrachenraum  mittels  Aufziehens  ^/^^lo^S^^  Kochsalz- 
lösung durch  die  Nase  bis  in  den  Hals  zu  bewerkstelligen.  Mit  Ptecht  ist 
neben  anderen  Verboten,  die  sich  aus  den  Beschwerden  von  selbst  ergeben, 
hauptsächlich  dasjenige  des  Ausgehens  zu  betonen.  Eine  Vorsicht  für  das 
Gehörorgan  kann  insoferne  walten,  als  der  Kranke  angewiesen  wird,  sich  nicht 
in  der  gebräuchlichen  Weise  zu  schnauzen,  sondern,  was  überhaupt  vorzu- 
ziehen ist,  die  beiden  Nasenseiten  nach  einander  einfach  auszublasen.  Eine 
sehr  vorth eilhafte  desinficirende  Anw^endung  ist  die  Einblasung  von  Jodol-  und 
ähnlichen  Pulvern  am  besten  mittels  eines  kurzschnäbeligen  Pulverbläsers  direct 
hinter  den  Gaumen  oder  wenigstens  in  die  Nase.  Reste  der  Pharyngitis  sind 
mit  adstringirenden  Gurgelungen  (Alaun  oder  Tannin  1:100),  beziehungsweise 
mit  den  genannten  Einblasungen  nachzubehandeln.  Gegen  die  Recidive  ist 
eine  geeignete  Abhärtung  anzuordnen. 

2.  Pharyngitis  acuta  haemorrhagica.  Zwar  bereits  oben  besprochen,  ver- 
langt sie  doch  noch  die  Erwähnung,  dass  ganz  ähnliche  Erscheinungen  bei 
der  hämorrhagischen  Diathese  während  der  WERLHOF'schen  Krankheit  auf- 
treten. Freie  Blutungen  des  Rachens  können  den  Anschein  von  solchen  der 
Lunge  erwecken. 

3.  Pharyngitis  ßbrinosa  oder  crouposa  henigna.  Sie  ist  nicht  häufig.  Ihr 
Aussehen  gleicht  dem  der  Diphtherie,  von  w^elcher  sie  sich  durch  ihre  voll- 
kommene Gutartigkeit  und  den  nicht  specifischen  bacteriologischen  Befund 
unterscheidet.  Die  Membranen  erneuern  sich  manchmal  hartnäckig,  was  zu 
Pinselungen    mit  Sublimat  1:3000  Anlass  gibt. 

Fibrinösen  Beschlag,  der  sich  aber  nicht  erneuert,  bekommen  auch  die 
galvanokaustisch  oder  mit  Chrom-  und  anderen  Säuren  oder  Alkalien  ver- 
ätzten Stellen  und  die  geplatzten  Herpes-  und  Pemphigusblasen. 

4.  Pharyngitis  dijyhtheritica.  Es  ist  nur  hervorzuheben,  dass  die  Diph- 
therie auch  an  der  Rachenwand  und  im  Nasenrachenräume  beginnen  so^ie 
local  unter  dem  Bilde  einer  einfachen  Pharyngitis  verlaufen  kann. 

5.  Pharyngitis  acuta  mycotica.  Als  solche  liest  man  die  Soorinvasion 
bezeichnet,  welche  aber  auch  einen  langwierigen  Verlauf  nehmen  kann,  Sie 
ist  gekennzeichnet  durch  die  bekannten  diphtherieähnlichen  Flecke  auf 
der  Schleimhaut.  Obwohl  sie  zumeist  secundär  neben  Soor  der  Mundhöhle 
an  Kindern  und  Geschwächten  beobachtet  wird,  kann  sie  doch  auch  primär 
unter  den  Symptomen  eines  Rachenkatarrhes  selbst  bei  gesunden  Erwachsenen 


496  PHARYNGITIS. 

auftreten.    Der  Nasenrachenraum  wäre  von  der  Nase  aus  mit  2  böiger  Borax - 
lösung  zu  bespülen. 

6.  Pharyngitis  cachectica  seu  desquamativa.  Die  ihr  eigenthümlichen  diph- 
therieähnlichen Abschilferungen  von  kleineren  oder  grösseren  Epithelbezirken 
können  bei  acuten  und  chronischen  Schwächezuständen  zur  Beobachtung 
kommen. 

7.  Pharyngitis  acuta  exsudativa.  Bei  derselben  wird  ein  wenigstens  im 
Anfange  seröses  Exsudat  unter  die  obersten  Epithelschichten  ergossen. 

a)  Gelegentlich  bilden  sich  seröse  Blasen,  die  eintrocknen  oder  platzen,  bei  Erythema 
exsxidativum  multiforme  der  Haut,  Erysipel,  Blattern. 

h)  Miliaria  crystallina,  eine  sehr  seltene  Krankheit.  Die  in  geringer 
oder  in  unzählbarer  Menge  auftretenden  wasserhellen  Bläschen  bilden  im 
Gegensatze  zum  Herpes  niemals  Geschwüre,  sondern  trocknen  ein.  Hieher 
zählt  wohl  auch  der  „Pseudoherpes",  eine  in  8—14  Tagen  ablaufende 
Bläschenbildung  über  der  Mündung  der  Schleimdrüsen  sowie  die  vielleicht 
mit  diesem  identische  „Acne  pharyngis". 

c)  Als  ^Ekzema  pharyngis'^  bezeichnete  Schmidt  eine  von  ihm  beob- 
achtete ganz  eigenartige  fieberhafte  Erlirankung,  die  etwa  zehn  Tage  währte 
und  sich  durch  Tausende  und  Millionen  ganz  nach  Art  des  Herpes  heilender 
Bläschen  kennzeichnete. 

d)  Herpes.  Derselbe  betrifft  nur  selten  und  fast  nie  ausschliesslich  die 
Pharynxwand.  Die  von  einem  entzündlichen  Hofe  umgebenen  hirsekorn- 
grossen  Bläschen  können  in  sehr  verschiedener  Zahl  einseitig  oder  diffus  auf- 
treten; anfangs  wasserhell,  trüben  sie  sich  bald  und  bilden  durch  ihr  Platzen 
kleine  Geschwüre,  die  ohne  Narbe  heilen.  Soweit  treten  nur  geringes  Fieber 
und  Lymphdrüsenschwellungen  hinzu.  Es  können  aber  die  Bläschen  auch 
eitrig  werden  oder  confluiren  und  zu  schwieriger  heilenden  Substanzverlusten, 
ja  zu  ßachengangrän  führen,  oder  es  kann  sich  der  Verlauf  durch  schub- 
weises Auftreten  wie  man  liest,  bis  zu  einem  Monate  hinausziehen.  Gegen 
recidivirende  Formen  sind  Arsen,  Antipyrin  und  sonstige  Antirrheumatica 
empfohlen.     10*^/o  Lapis  deckt  die  schmerzenden  offenen  Stellen. 

e)  Pemphigus.  Derselbe  kann  acut  und  chronisch,  selbständig  oder  als 
vom  Hautleiden  abhängige  Affection  auftreten.  Bis  auf  die  Grösse  der  Blasen 
(bis  zu  Zehnpfennigstückumfang)  und  der  Beschwerden  gleicht  er  ganz  dem 
Herpes.  Die  Heilung  geht  unter  fibrinösem  Beschläge  oder  unter  Eiterung 
vor  sich. 

f)  Pharyngitis  pustulosa.  Vergleiche  Herpes  und  Pemphigus.  Speciell 
tritt  bei  Blattern  häufig,  und  zwar  mitunter  neben  nur  geringer  oder  sogar 
fehlender  Betheiligung  der  Haut,  2—3  Tage  nach  dem  initialen 
Katarrhe  die  Bildung  von  Pusteln  ein,  die  mit  Narben  heilen  und  besonders 
durch  Hervorrufen  eines  Kehlkopfödemes  gefährlich  werden  können.  Die 
Behandlung  ist  symptomatisch;  die  Gurgelwässer  sollen  reizlose  sein. 

8.  Pharyngitis  acuta  submucosa.  Dieselbe,  in  Analogie  mit  Infiltrationen 
der  Schleimhaut  an  anderen  Gebieten  stehend,  ist  noch  wenig  studirt. 

a)  Pharyngitis  acuta  oedematosa.  An  der  Uvula,  gewissermaassen  dem 
periphersten  Theile  des  Nasenrachenraumes,  kann  man  Oedeme  entzündlichen 
Affectionen  der  hinteren  Gaumenwand  gar  nicht  selten  beobachten.  Wenig 
beachtet  sind  offenbar  die  Oedeme  des  übrigen  Rachens;  doch  hat  Verfasser 
solche  der  Plica  salpingopharyngea  bei  erysiplatöser  Infection  der  hintern 
Wand  der  Pars  laryngea,  endlich  des  Rachendaches  unter  bedeutender  Ver- 
kleinerung der  einen  Choane  bei  Vorhandensein  von  Geschwüren,  bezw.  in 
Form  einer  polypoiden  Entartung  in  Erinnerung. 

bj  Pharyngitis  erysipelatosa.  Diese  kommt  sowohl  primär,  und  zwar 
manchmal  zunächst  unter  dem  Bilde  einer  einfachen  Pharyngitis,  die  erst 
nach  der  typischen  Efflorescenz  in  der  Ohrgegend  richtig  gewürdigt  wird,  als 


PHARYNGITIS.  497 

auch,  und  zwar  viel  häufiger,  secundär  zum  Ausbruche.  Hochgradige  lack- 
farbene  Hyperämie  und  Schwellung,  besonders  des  adenoiden  Gewebes,  Ver- 
legung des  Nasenrachenraumes,  eitriges  oder  hämorrhagisches  Beeret,  Lymph- 
drüsenschwellung am  Halse,  häufige  Mittelohr-  und  ödematöse  Kehlkopfent- 
zündung verleihen  ihr  im  Vereine  mit  sonstigen  localen  und  allgemeinen  Er- 
scheinungen einen  besonderen  schweren  Charakter.  An  der  Hinterwand  können 
sich  Blasen  entwickeln;  es  kann  zu  Phlegmone  und  Gangrän  kommen.  Nor- 
maler Weise  erreicht  die  Infiltration  in  2—3  Tagen  ihren  Höhepunkt.  Die 
locale  Therapie  hat  Eis  innerlich  und  äusserlich  am  Halse  sowie  Reinigung 
des  Rachens  und  des  Nasenrachenraumes  etwa  mit  Borsäurelösung  anzuwen- 
den; wegen  der  stets  drohenden  Entwicklung  eines  rasch  ansteigenden  Kehl- 
kopfödemes  muss  der  Patient  wenn  möglich  laryngoskopirt  und  sorgfältigst 
überwacht  werden. 

c)  Pharyngitis  phlegmonosa.  Sie  ist  noch  recht  selten  beschrieben  worden. 
An  der  unteren  Rachenwand  werden  Traumen  (Fremdkörper),  galvanokaustische 
Operationen  und  das  Erysipel,  als  dessen  localisirte  Form  man  sie  bezeichnet 
finden  kann,  die  hauptsächlichsten  Ursachen  sein;  im  Nasenrachenräume 
mögen  auch  periostitische  und  peripharyngotonsilläre  Processe  zu  Grunde 
liegen.  Unter  ähnlichen,  Erscheinungen  wie  bei  Pharyngitis  erysipelatosa 
kommt  der  Abscess  zur  spontanen  oder  geeigneten  Falles  künstlichen  Eröffnung. 

Als  „acMife  infediöse  Phlegmone  des  Bachens"'  beschrieb  Senator  eine 
spontan  oder  durch  Fremdkörper  eintretende  Affection  mit  frühzeitigen  Hals- 
schmerzen besonders  beim  Schlucken,  Fieber,  dann  Heiserkeit  und  laryngealer 
Athemnoth,  Drüsenschwellungen,  Sensoriumstörung  und  zumeist  letalem  Aus- 
gange, ohne  dass  erhebliche  Erscheinungen  an  anderen  Organen  festzustellen 
waren.  In  den  tieferen  Geweben  der  Pharynxschleimhaut  fand  sich  constant 
eine  diffuse  eitrige  Entzündung.  Die  Eigenart  der  Krankheit  ist  noch  nicht 
sichergestellt. 

9.  Pharyngitis  acuta  ulcerosa.  Abgesehen  von  den  Geschwüren  infolge 
Zerfalles  von  Blasen  und  Pusteln  und  den  gelegentlich  auftretenden  bei  acuten 
Infectionskrankheiten  (diphtheritische,  specifisch -typhöse)  kommt  es  noch  be- 
sonders manchmal  zum  Zerfall  von  Follikeln  oder  Schleimdrüsen;  im  ersteren 
Falle  haben  die  Geschwürchen  eine  flache  Form,  im  letzteren  aber  einen 
überhängenden  Rand.     Sie  sind  mit  Höllenstein  zu  tupfen. 

10.  Pharyngitis  gangraenosa.  Spontan  oder  im  Gefolge  des  Herpes,  Pem- 
phigus, Scorbutes,  Erysipels,  der  Diphtherie,  von  Verletzungen  und  consumi- 
renden  Krankheiten,  angeblich  auch  nach  der  Impfung  auftretend,  macht  der 
feuchte  Brand  manchmal  erst  an  der  Knochenunterlage  Halt.  Das  bei  grösserer 
Ausdehnung  wohl  unvermeidliche,  letale  Ende  tritt  infolge  Sepsis,  Blutungen 
oder  Inanition  ein.  Die  Therapie  hat  für  Erhaltung  der  Kräfte,  Linderung 
der  Leiden,  sowie  Reinhaltung  und  Desinfection  der  befallenen  Stellen  zu 
sorgen. 

11.  Pharyngo-tonsillitis  acuta.  Die  Entzündungen  der  Rachenmandel 
nehmen  eine  sehr  ähnliche  Stellung  auch  in  Bezug  auf  das  umliegende  Ge- 
webe ein,  wie  jene  der  Gaumenmandel.  Mit  dem  Nasenrachenspiegel  sind  die 
nachstehenden  Formen  studirt  worden: 

o^  Pharyngo-tonsillitis  acuta  catarrhalis  oder  simplex 
(Adenoitis  der  Franzosen).  Sie  ist  am  häufigsten  im  Kindesalter;  ihre  Aetio- 
logie  ist  ähnlich  wie  "jene  der  einfachen  Pharyngitis,  nur  wird  hier  besonders 
noch  die  Schädigung  durch  diagnostische  Palpation  erwähnt  (es  ist  keines- 
wegs überflüssig,  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  einmal  die  Nase  keine 
absolute  Reinigung  der  eingeathmeten  Luft  vollzieht  und  dann,  dass  vor  dem 
Eingehen  in  den  Nasenrachenraum  nicht  nur  der  Finger  und  die  Instrumente, 
sondern  auch  die  Mundhöhle  und  der  untere  Rachen  einer  möglichst  gründ- 
lichen  Desinfection   bedürfen).     Die  Symptome    sind    lebhafter   wie   bei    der 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  öjS 


498  PHARYNGITIS. 

gewölmlichen  Entzündung  des  Nasenrachenraumes,  besonders  hinsichtlich  des 
meist  remittirenden  Fiebers;  die  Absonderung  kann  rostfarben  sein.  Die 
Prognose  ist  an  sich  gut.  Die  Therapie  entspricht  ebenfalls  jener  beim 
acuten  oberen  Rachenkatarrhe. 

h)  Pharyngo-tonsillitis  acuta  follicularis.  Man  kann  dieselbe 
mitunter  als  Vorläufer  der  gleichartigen  Gaumenmandelentzündung  zu  sehen 
bekommen;  sie  verhält  sich  sonst  wie  eine  obere  Rachenentzündung. 

c)  Pharyngo-tonsillitis  phlegmonosa  seu  parenchymatosa. 
Hiebei  vereitert  infolge  Streptococceninvasion  eine  grössere  Masse  des  folli- 
culären  Gewebes;  den  häufigsten  Anlass  sollen  Operationen  an  der  Rachen- 
mandel und  die  Palpation  geben.  Die  Erscheinungen  sind  etw^a  wie  bei  der 
Pharyngitis  phlegmonosa;  die  Rachenmandel  selbst  ist  hochgradig  und  derb 
geschwollen,  oft  mit  einem  harten  Kerne.  Es  soll  auch  zu  Senkungsabscessen 
kommen  können.  Ob  es  möglich  ist,  dem  Rachenmandelabscesse  instrumenteil 
von  der  Nase  oder  dem  Munde  aus  beizukommen,  sei  noch  dahingestellt. 
Jedenfalls  ist  nach  Ablauf  der  Entzündungen,  wie  überhaupt,  die  vergrösserte 
Rachenmandel  zu  entfernen. 

B.  Pharyngitis  chronica. 

1.  Pharyngitis  chronica  catarrhalis. 

Vorkommen.  Dieselbe  ist  ungemein  verbreitet;  kein  Lebensalter  ist 
von  ihr  verschont;  das  Hauptcontingent  stellen  aber  Männer  zwischen  dem 
20.  und  50.  Lebensjahre  und  nur  relativ  häufig  ist  auch  das  Kindesalter  von 
der  folliculären  Form  betroffen.  Ganz  besonders  zahlreich  sollen  die  Nord- 
amerikaner an  chronischem  Rachenkatarrhe  leiden;  neben  der  berüchtigten 
Stärke  der  von  ihnen  genossenen,  geistigen  Getränke  und  Tabake  wird  noch 
der  ungesunden  Beschaffenheit  der  bald  staubreichen,  bald  zu  trocken  er- 
wärmten Luft  die  Schuld  beizumessen  sein.  In  England  ist  entsprechend  der 
besonderen  Häufigkeit  bei  den  Geistlichen  der  Name  ;,clergyman's  sore  throat" 
aufgebracht  worden;  hierzulande  wird  man  dagegen  das  Wirtschaftsgewerbe 
als  besonders  disponirend  erklären  müssen. 

Aetiologie.  Die  Nichtausheilung  eines  acuten  Rachen- 
katarrhes oder  gehäufte  Recidive  desselben  führen  recht  oft  zur  chronischen 
Entzündung;  häufige  und  glücklicherweise  leichter  abzustellende  Veranlassungen 
solcher  wiederkehrender  Anfälle  sind  u.  a.  die  unvorsichtige  und  gewohnheits 
massige  Benetzung  des  Haupthaares,  der  Wechsel  von  verweichlichender,  zu  unge- 
nügender Bekleidung  des  Halses  und  noch  andere  vermeidbare  Erkältungen. 
Meistens  entwickelt  sich  aber  der  chronische  Rachenkatarrh  schleichender. 
Eine  sehr  häufige  cumulative  Wirkung  entfaltet  der  gewohnheitsmässige  Genuss 
heisser,  scharfer  und  kratzender  Speisen  bezw.  Getränke  (nicht  zu  vergessen 
rauhkörniger  Früchte  und  der  Trinkcuren  an  Thermen),  von  grösseren  Mengen 
kalten  Bieres,  wie  auch  sauren  Weines  und  sonstigen  Alkohols  an  sich  sowohl 
als  auch  wegen  der  nebenlaufenden,  anderen  Schädlichkeiten  des  Kneiplebens, 
von  Tabak  in  jeder  Form.  Dass  Anstrengungen  der  Stimme  für  sich  allein 
zu  einem  chronischen  Rachenkatarrhe  führen  könnten,  ist  nicht  wahrscheinlich 
(wir  müssen  damit  nicht  verwechseln,  dass  allerdings  Entzündungen  des 
Rachens  durch  sie  verschlimmert  werden);  es  wird  vielmehr  die  Zuhilfenahme 
der  Mundathmung  infolge  des  höheren  Luftbedürfnisses  und  die  damit 
eintretende  Bestreichung  des  Rachens  durch  nicht  gereinigte,  vorgewärmte 
oder  angefeuchtete  Luft  den  Schaden  anrichten.  Den  ganz  gleichen  Umstand 
finden  wir  auch  sonst  bei  theilweiser  oder  vollständiger  Mundathmung,  durch 
welche  die  Beeinträchtigung  des  freien  Lumens  der  Nase  oder  des  Rachen- 
raumes die  Nasenathmung  ergänzt  oder  ersetzt  wird.  Die  Behauptung,  dass 
die  grosse  Weite  der  Nase  oder  des  Nasenrachenraumes  Anlass  zu  Rachen- 
katarrhen  gibt,    muss  Verfasser    als   jedenfalls  nicht  durchaus  zutreffend  er- 


PHARYNGITIS.  499 

klären.  Ein  Punkt  von  ganz  hervorragender  Wichtigkeit  ist  die  Erkran- 
kung des  Rachens,  zunächst  des  Nasenrachenraumes,  infolge  Weiterleitung 
chronischer  Entzündungen  der  Nase,  und  sodann  jene  des  unteren  Ilachens 
im  Anschlüsse  an  den  Nasenrachenraum;  es  können  diese  secundären  Entzün- 
dungen in  interstitieller  Fortpflanzung  oder  durch  den  verschiedenartigen 
Reiz  der  nach  hinten  und  unten  weiter  geführten  Absonderungen  der  Nase 
und  ihrer  Nebenhöhlen  oder  des  oberen  Rachens  erfolgen.  Wenn  auch  die 
Neigung,  diesen  Zusammenhang  gar  zu  obligat  aufzufassen,  nicht  gerechte 
fertigt  ist,  so  muss  doch  die  Erkenntnis  und  Kenntnis  desselben  als  unge- 
mein wichtig  erklärt  werden.  Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  mit  der  secun- 
dären Entzündung  von  Seite  des  Mundes,  von  wo  schon  die  Zersetzung 
der  nicht  entfernten  Speisereste  fortwährend  reizende  Stoffe  und 
Mikroorganismen  aussendet,  ferner  des  Isthmus  faucium  und  der  subpharyn- 
gealen, secernirenden  Athmungswege;  auf  welche  Weise  Magenerkrankungen 
die  Miterkrankung  des  Halses  bewirken,  ist  weniger  klargelegt.  Wieder  sind  zu 
erwähnen  die  Störungen  im  mechanischen  oder  chemischen  Verhalten  der 
Körperflüssigkeiten  bei  Stauungen  allgemeiner  und  localer  Art  (letztere 
besonders  bei  Enge  der  Hemdkrägen  und  Kropf),  Diabetes,  Gicht  und  Rheu- 
matismus, ferner  die  mechanische  oder  chemische  Schädigung  durch  Silicate, 
Blei,  Zink,  Wismuth,  Antimon,  Chrom,  Jod,  Quecksilber,  Salmiak,  schwefelige 
Säure,  Methylalkohol.  Die  einstmals  moderne  Anschuldigung  des  verlängerten 
Zäpfchens  erlaubt  man  sich  heutzutage  nur  mehr  angesichts  eines  ganz  rie- 
senhaften Exemplares. 

Symptome.  Die  Beschwerden  der  betroffenen  Individuen  stehen  sehr 
häufig  in  ihrer  Geringfügigkeit  umgekehrt  zu  ihrer  Grösse,  letzteres  nament- 
lich bei  Nervösen,  ausser  Verhältnis  zu  der  Schwere  der  objectiven  Verände- 
rungen. Localer  Art  sind  die  durch  das  schleimige  oder  eitrige  und  selbst 
blutgemischte  Secret  hervorgerufenen  Belästigungen,  die  sich  im  unteren 
Rachentheile  als  Fremdkörpergefühl  und  Reiz  zum  Schlucken  oder  Räuspern, 
im  Nasenrachenräume  als  ein  eigenthümliches  kurzes  Ausblasen  oder  Hinab- 
schnauben bemerklich  machen;  ferner  Schluckschmerzen,  besonders  an  der 
Pars  lateralis,  Brennen  und  Kitzeln,  blitzartige  oder  rheumatische  Schmerzen 
zwischen  den  Schulterblättern  oder  Schlüsselbeinen  und  am  Kopfe,  in  den 
Ohren  (besonders  von  den  Tubenwülsten  aus),  im  Hinterhaupte  (von  der  Gegend 
des  Fornix  aus),  ja  bis  in  die  Stirne  und  Schläfen.  Bei  Nasenrachenkatarrh  be- 
bekommt die  Stimme  gerne  einen  näselnden  Ton.  Zersetzte  Secrete  können 
subjective  Geschmacksempfindungen  und,  wie  Verfasser  bestimmt  bei  einem 
Nasenrachenkatarrh  es  fand,  subjectiveKakosmie  hervorrufen.  Motorische 
Reflexneurosen  sind  manchmal  nervöser  Husten  nnd  Asthma,  häufiger  aber 
Würgen;  mit  Recht  wird  heute  bei  Vomitus  matutinus,  Globus  hystericus  und 
Ermüdung  der  Stimme  dem  Zustande  des  Rachens  Aufmerksamkeit  geschenkt. 
Nicht  sehr  häufig  ist  es,  dass  eine  Affection  des  Gehörorganes  und  des  Kehl- 
kopfes ausbleibt.  —  Durch  die  andauernden  Beschwerden  oder  die  in  manchen 
Fällen  eintretenden  leichteren  Blutungen  im  Halse  gelangen  nicht  wenige 
Patienten  zur  Einbildung  andersartiger  Erkrankungen,  wie  Krebs,  Tuberku- 
lose, Syphilis,  Gehirnleiden,  und  gerathen  in  schwermüthige  und  grübelnde 
Stimmung.  Sehr  gerne  bleiben  auf  pharyngitischer  Grundlage  langdauernde 
Parästhesien  nach  Fremdkörpern  zurück. 

Bezüglich  der  Diagnose  bedarf  es  oft  umständlicher  und  gründlicher 
Untersuchungen,  wobei  local  auch  der  Kehlkopf-  und  Nasenrachenspiegel,  die 
Inspection  vom  Nasenloche  aus,  die  Sonde,  die  Cocainprobe  u.  a.  in  An- 
wendung kommen,  um  besonders  den  Schmerz-  und  Reflexpunkten,  den  äti- 
ologischen Momenten  und  Erkrankungsherden  nachzuspüren;  es  ist  dies  für 
die  Therapie    von  grosser  Wichtigkeit.    Nicht  zu  vergessen  ist,    dass  Sensa- 

32* 


500  PHARYNGITIS. 

tionen  wie  beim  Rachenkatarrhe  im  Anfange  der  Lungentuberkulose  und  man- 
cher Psychosen  auftreten  können. 

Formen.  Dieselben  sind  häufig  combinirt;  es  ist  dann  Gelegenheit  ge- 
geben, nach  dem  Vorwalten  der  einzelnen  Charakteristica  die  Einreihung  vor- 
zunehmen. 

a)  Pharyngitis  hypertrophica  oder  simplex:  Die  geröthete  oder  rothbraune 
Schleimhaut  ist  geschwollen  und  sammtartig,  bisweilen  auch  mit  wohl  er- 
kennbaren Zotten  besetzt;  das  Epithel  ist  oft  stellenweise  verdickt;  selten  ver- 
dünnt oder  meist  nur  auf  kleine  Strecken,  abgestossen.  Gewöhnlich  liegen 
Zahlreiche  Rundzellen  in  der  Schleimhaut  bis  sogar  in  die  oberflächlichen 
Muskellagen.  Die  Schleimdrüsen  sind  hypertrophisch,  das  schleimige  oder 
eitrige  Secret  besonders  des  Nasenrachenraumes  ist  oft  sehr  massenhaft.  Der 
schwammige  Turgor  der  Schleimhaut  des  Rachens  und  der  Uvula  hat  Anlass 
zu  dem  nicht  unpassenden  Ausdrucke  „relaxed  throat  and  uvula"  gegeben. 

b)  Pharyngitis  atrojjhica.  Die  Annahme,  dass  sich  diese  Form  aus  der 
hypertrophischen  entwickelt,  bedarf  bei  den  diabetischen  und  consumptiven 
Fällen  noch  der  Prüfung.  Im  Uebrigen  findet  sich  häufig  ein  Neben-  und 
Durcheinander  der  Erscheinungen  von  a)  und  b),  welches  man  neutral  als 
Uebergangsformen  ansprechen  wird.  Die  atrophische  Schleimhaut  ist  meist 
roth,  aber  dünn  und  oftmals  wie  lackirt;  das  Bindegewebe  ist  vermehrt,  oft 
wie  narbig,  die  Drüsen  sind  vielfach  degenerirt.  Sehr  hohe  Grade  finden  sich 
als  Pharyngitis  foetida  zumeist  im  Gefolge  der  Rhinitis  atrophica  foetida 
oder  Ozaena  vera.  Die  STöRK'sche  Blennorrhoe  mit  ihren  Rachenaffec- 
tionen  wird,  so  weit  sie  nicht  dem  Rhinosklerom  entspricht,  von  den  meisten 
Autoren  unter  diese  Form  eingereiht. 

c)  Pharyngitis  granulosa  oder  follicularis  chronica.  Schon  bei  der  hyper- 
trophischen, noch  weit  mehr  aber  bei  der  atrophischen  Rachenentzündung 
können  sich  sogenannte  Granula  finden;  eine  Beherrschung  des  pharyngo- 
skopischen Bildes  durch  sie  gibt  Anlass,  nach  ihnen  den  Gesammtzustand  des 
Rachens  zu  benennen.  Die  Granula  sind  graue  oder  rothe,  rundliche  oder 
längliche  Erhabenheiten  von  Hanfkorn-  bis  Erbsengrösse,  die  an  den  seitlichen 
oder  hinteren  Rachenpartien  sitzen  und  auch  die  Partes  retronasalis  und 
laryngea  nicht  verschonen.  Sie  verdanken  einer  bedeutenderen,  bald  diffusen, 
bald  folliculär  angeordneten  Vermehrung  des  lymphatischen  Gewebes  in  der 
Umgebung  der  erweiterten  Ausführungsgänge  der  Schleimdrüsen  ihre  Ent- 
stehung. Ihre  Kuppen  können  des  Epithels  verlustig  gegangen  sein.  In  der 
Mündung  des  Drüsencanales  können  sich  Concremente  gleich  den  Mandel- 
pfropfen  finden. 

d)  Pharyngitis  lateralis  oder  retroarcualis  '=  chronische  Entzündung  oder 
Hypertrophie  der  Seitenstränge.  Es  ist  dies  eine  nur  durch  ihre 
Localisation,  nicht  aber  durch  eigenartige  Schleimhautveränderungen  aus- 
gezeichnete Form.  Es  handelt  sich  bei  ihr  um  eine  Hypertrophie  der  Schleim- 
hautpartie in  der  Rinne  zwischen  der  hinteren  Rachenwand  und  dem  Isthmus 
faucium,  beziehungsweise  der  oberen  Gaumenfläche,  im  allgemeinen  also  der 
Plica  salpingopharyngea  und  ihrer  Fortsetzung  gegen  den  Kehldeckelrand. 
Man  sieht  ohneweiters  oder  beim  Würgen  und  Abdrängen  des  hinteren 
Gaumenbogens  die  mehr  minder  starken  bis  kleinfingerdicken  blass-  oder 
lebhaftrothen  Wülste  meistens  zu  beiden  Seiten  des  Rachens.  Ihre  Oberfläche 
ist  bald  glatt,  bald  durch  Granula  uneben  gemacht.  Als  Pharyngitis 
granulosa  lateralis  bezeichnete  Heryng  ein  Conglomerat  von  Granula 
an  der  Plica  salpingopharyngea  ohne  Hypertrophie  der  Seitenstränge. 

e)  Als  ^^Bursitis"  wurde  von  Tornvvaldt  die  hypersecretorische  oder 
cystische  Erkrankung  der  „Bursa  pharyngea"  bezeichnet;  die  fernere  Prüfung 
dieser  ungemein  anregenden  Studie  bediente  sich  der  Bezeichnung  „Torn- 
WALDT'sche    Krankheit".     Wenn  auch  später  festgestellt  worden  ist,  dass 


PHARYNGITIS.  501 

eine  eigenartige  Bursa  im  Sinne  Tornwaldt's  nicht  besteht,  sondern  es  sich 
nur  um  eine  Umwandlung  des  Recessus  medius  der  Rachenmandel  zu  einem 
hartnäckigen  Entzündungsherde  handelt,  ferner  dass  auch  die  seitlichen 
Furchen  derselben  sowie  Buchten  an  der  oberen  Tubenwulstgrenze  und  in  den 
RosENMüLLEii'schen  Gruben  oder  Keilbeinempyerae  ganz  ähnliche  Erschei- 
nungen hervorrufen  können,  so  haben  doch  die  TouNWALDx'schen  Unter- 
suchungen eine  höchst  beachtenswerte  Ursache  der  Hartnäckigkeit  vieler 
zumal  atrophischer  Rachenkatarrhe  aufgedeckt.  Die  directen  Erscheinungen 
bestehen  in  einem  nach  abwärts  divergirenden  eintrocknenden  Secretflusse, 
in  Kopfschmerzen  und  Fremdkörpergefühl. 

Der  Name  Pharyngitis  sicca  bezieht  sich  nur  auf  das  oft  zu  beobachtende 
Eintrocknen  der  Rachensecrete;  am  häufigsten,  aber  nicht  ausschliesslich, 
kommt  es  dazu  bei  der  Pharyngitis  atrophica.  Davon  zu  trennen  ist  das 
Eintrocknen  von  Kehlkopf-  und  Lungensecreten  an  der  Rachenwand,  beson- 
ders in  der  letzten  Zeit  der  Schwindsucht. 

Therapie.  Palliativ  und  zugleich  unterstützend  als  Reinigungs- 
mittel dienen  das  Trinken  von  Säuerlingen  und  massig  warmen  Aufgüssen, 
die  kühle  Inhalation  von  l%iger  Kochsalz-  oder  Sodalösung  oder  entsprechen- 
der Mineralwässer,  die  hiemit  ziemlich  gleichartigen  Spülungen  vom  Mund  oder 
der  Nase  aus,  die  Anwendung  von  Mandelöl,  Glycerinlösung  1:3  und  Borsalbe 
direct,  beziehungsweise  von  der  Nase  aus.  Gurgelung  oder  Inhalation  von 
1— 47oiger  Bromkaliumlösung  lindert  die  Schmerzen.  Ebenfalls  nur  palliativ 
anfeuchtend  wirken  die  schleimigen  und  alkalischen  Pastillen. 

Betreffs  der  causalen  Behandlung  ergibt  sich  das  Nähere  aus  der 
Aetiologie  von  selbst.  Anzuführen  wäre  noch,  dass  der  Patient  das  oft  so 
übertriebene  Räuspern  und  Würgen  lassen  muss,  wobei  man  anfangs  durch  ein 
Narcoticum  den  Reiz  abstumpfen  kann.  Anstrengungen  der  Stimme  sind  zu 
verbieten.  Eine  häufige  Ursache  der  Erkältungen  ist  im  Fussschw^eisse  zu 
behandeln.  Bei  unterer  Pharyngitis  ist  Nachdruck  auf  die  auch  sonst  höchst 
empfehlenswerte  Reinigung  des  Mundes  direct  nach  jeder  Mahlzeit  zu  legen. 
Betreffs  der  schädlichen  atmosphärischen  Einflüsse  und  Genussmittel  kann 
man  die  energischeren  Patienten  nach  Belehrung  oft  vielfach  ihrer  eigenen 
Beobachtung  folgen  lassen;  der  Ersatz  des  Bieres  durch  gleichwertige  Mengen 
Weines  ist  beliebt,  aber  nicht  ohneweiters  zu  billigen.  Die  Freimachung 
des  obersten  Luftweges  geschieht  nach  specialistischen  Grundsätzen. 

Von  balneologischen  Curen  ist  direct  gegen  die  Pharyngitis  der 
eigentliche  Bädergebrauch  in  Deutschland  wenig  geübt.  Die  angepriesene 
heilende  Wirkung  kalter  und  vor  allem  heisser  alkalischer  Trinkcuren  bei 
Pharyngitis  jeder  Art  bedarf  einer  ganz  unparteiischen  Prüfung;  jedenfalls 
sind  die  Patienten  zu  veranlassen,  den  Aufenthalt  an  den  durch  die  j\Iilde 
der  Luft  mindestens  ebenso  sehr  wie  durch  die  Bestandtheile  ihrer  Quellen 
ausgezeichneten  Heilplätzen  zu  einer  sachgemässen  localen  Behandlung  zu 
benützen.  Klimatische  Curorte  können  nur  solche  mit  staub-  und  bacterien- 
armer  Luft  sein;  für  hypertrophische  Rachenkatarrhe  eignet  sich  ein  mildes 
Klima,  für  atrophische  der  Aufenthalt  am  Meere  oder  in  milden,  nicht  trockenen 
Gebirgsthälern.  Die  der  populären  Hydrotherapie  anhaftende  Chablonirung 
ist  absolut  zu  verw^erfen. 

Die  medicamentöse  innere  Behandlung  der  Rachenkatarrhe  weist 
directe  Erfolge  wohl  nur  bei  syphilitischer  und  scrophulöser  Grundlage  (für 
letztere  im  Jod  und  Solveol)  auf;  unterstützend  wärkt  sie  durch  Anwendung 
gegen  andere  causale  Leiden.  Local  wählt  man  je  nach  dem  hypertro- 
phischen und  atrophischen  Zustande  des  Rachens  verschiedene  Mittel.  So 
werden  gegen  die  erstere  Form  mit  Vorliebe  Adstringentien  (Argentum  nitri- 
cum  5— lO^/o,  Chlorzink  1— 2'^/o,  Tannin,  welches  leicht  die  Zähne  bräunt, 
und    Alaun   bis    zu  2%  u.  a.)    verschiedentlich   als    Pinselungen,    gurgelnde 


502  PHARYNGITIS. 

Bespülungen  und  Inhalationen  verwendet;  sehr  gerne  bedient  sich  Verfasser 
für  den  Nasenrachenraum  kleiner  Tannin-  und  Jodol-Insufflationen,  des  Sprays 
mit  Argentum  nitricum,  der  leider  über  1— 27o  sehr  empfindlich  werden 
kann,  und  mit  LiGOL'scher  Lösung.  Für  die  atrophische  Form  und  auch  für 
hypertrophische  eignen  sich  Jod-Jodkali-Glycerinlösungen  (0-25— O'S:  1—3:20) 
als  Pinselung  und  die  kleinweise,  aber  täglich  öfters  wiederholte  Benützung 
eines  Gurgelwassers  aus  7  Tropfen  Jodtinctur,  1  Kaffeelöffel  Kochsalz,  2500 
Wasser;  Die  Pinselungen  sind  energisch  und  anfangs  täglich,  später  drei- 
mal wöchentlich  vorzunehmen,  nach  ein  paar  Wochen  aber  zu  unterbrechen; 
für  den  Nasenrachenraum  bedarf  man  gebogener  Instrumente. 

Die  Granula  und  vergrösserten  Seitenstränge  lassen  mitunter  eine  Ope- 
ration mit  schneidenden  Instrumenten  vortheilhaft  erscheinen;  im  allgemeinen 
behandelt  man  sie  aber  mit  Kaustik,  besonders  Galvanokaustik.  Dass 
diese  Operationen  nicht  ohne  volle  Vertrautheit  mit  der  Technik  vorgenommen 
werden  sollen,  beweist  der  buchstäblich  tabaksbeutelförmig  zusammengezogene 
Rachen  eines  auswärts  operirten  Patienten,  zufällig  eines  Sängers. 

Der  Behandlung  des  Nasenrachenraumes  können  verschiedene 
Aufgaben  gestellt  sein;  so  die  Spaltung  der  Verwachsungen  zwischen  der 
Tube  und  dem  Nasenrachendache  oder  im  Gebiete  der  RosENMtJLLER'schen 
Gruben,  die  Auskratzung  und  Abtragung  secernirender  Recessus  beziehungs- 
weise folliculären  Gewebes. 

Fortgeleitete  Entzündungen  sind  zunächst  an  den  primären  Herden  zu 
behandeln. 

Im  ganzen  kann  man  sagen,  dass  die  Behandlung  der  Rachenkatarrhe 
viele  Zeit,  Geduld  und  Erfahrung  zu  erfordern  vermögen,  und  dass  ohne  Aus- 
schaltung der  ätiologischen  Factoren  Rückfälle  nur  selten  vermieden  werden. 

2.  Pliaryngitis  chronica  erythematosa  ist  als  eine  Pharyngitisform  der  Tabakarbeiter 
beschrieben   worden. 

3.  Pharyngitis  chronica  haemorrhagica.  Mit  diesem  Namen  wird  mitunter  auf  die 
nicht  wesentliche  Beimengung  von  Blut  zu  den  Secreten  und  die  freien  oder  interstitiellen 
Hämorrhagien  beim  chronischen  Rachenkatarrh  hingewiesen.  Nur  beim  Scorbut  haben 
diese  Erscheinungen  mehr  Eigenart. 

4.  Pharyngitis  chronica  ulcerosa.  Chronische  Geschwüre  finden  sich  bei  Lupus, 
Tuberkulose,  Syphilis,  Scrophulose,  rasch  heilende,  aber  chronisch  sich  erneuernde  auch 
beim  Pemphigus;  recht  selten  sind  tiefere  Substanzverluste  beim  chronischen  Rachen- 
katarrh, am  häufigsten  wohl  noch  bei  Arbeitern  in  Chromsäurefabriken. 

5.  Pharyngitis  chronica  submucosa.  Es  gibt  zweifellos  chronische  Infil- 
trationen der  Submucosa  des  Rachens,  die  aber  anscheinend  noch  wenig  be- 
achtet sind.     S.  Pharyngitis  acuta  Nr.  8  a. 

6.  Pharyngitis  chronica  exsudativa.  Ueber  den  Herpes  s.  Pharyngitis 
acuta  Nr.  7  c. 

7.  Pharyngitis  desquamativa   oder  cachectica   s.  Pharyngitis  acuta  Nr.  6. 

8.  Pharyngitis  chronica  mycotica.  Abgesehen  davon,  dass  der  Soor  mit- 
unter sehr  hartnäckig  ist,  findet  sich  sehr  selten  auch  an  der  hinteren 
Rachenwand  jene  Affection,  welche  als  Mycosis  benigna  oder  leptothricia 
bezeichnet  wird.  Nach  neuesten  Forschungen  handelt  es  sich  wesentlich  um 
eine  stachelförmige  Epithelwucherung,  während  die  gefundenen  Leptothrix- 
formen  nur  nebensächliche  Ansiedler  sind,  so  dass  Siebenmann  den  Namen 
Hyperkeratosis  lacunaris  vorschlägt.  Die  weissen,  sich  hartnäckig  er- 
neuernden Kornstacheln  haben  nur  durch  die  Erinnerung  an  Diphtherie  eine 
praktische  Bedeutung. 

9.  Pharyngitis  scorhutica.  Sie  soll  durch  eigenthümliche  Schleimhaut- 
excrescenzen  gekennzeichnet  sein. 

10.  Pharyngitis  skleromatosa.  Dieselbe  ist  meist  eine  Fortsetzung  des 
Rhinoskleroms,  kann  aber  auch  primär  und  selbst  ganz  ohne  Betheiligung  der 
äusseren  Nase  auftreten.  S.  „Rhinosklerom". 


PHARYNGOSKOPIE. 


503 


S.  Tuberkulose  des  Rachens. 


11.  Pharyngitis  scrojohulosa.  Sie  wird  heutzutage  viel  seltener  als  früher 
diagnosticirt.  Ihre  Geschwüre  gleichen  spätsyphilitischen  und  sitzen  retro- 
nasal,  wo  sie  mitunter  besser  von  der  Nasenhöhle  her  zu  sehen  fsind,  oder 
in  der  Pars  oralis.  Sie  sind  local  mit  Argentum  nitricum  zu  behandeln;  Ver- 
fasser hat,  nach  vorübergehendem  Erfolge  der  antisyphilitischen  Curen,  dau- 
ernden Erfolg  von  Solveol  gesehen. 

12.  Pharyngitis  tuberculosa. 

13.  Pharyngitis  luposa. 

14.  Pharijngitis  syphilitica.  Während  einzelne  Autoren  das  Vorkommen 
von  Plaques  auf  der  hinteren  Rachenwand  leugnen,  beschreibt  Schuhmacher 
denselben  ganz  ähnliche  Flecke  als  Vorläufer  des  Mercurialismus  im  Munde; 
Verfasser  hat  an  dem  vorderen  Piande  von  Resten  der  Rachentonsille 
nach  Schmiercuren  eine  anscheinend  gleichartige  weissliche  Verfärbung 
gesehen. 

15.  Durch  die  Lepra  scheinen  ebenfalls  Veränderungen  hervorgerufen 
zu  werden. 

16.  Pharyngotonsillitis  chronica.  Dieselbe  ist  an  hypertrophischen  Rachen- 
mandeln häufig  und  kann  zu  recht  lästigen  Schleim-  und  noch  öfter  Eiter- 
entleerungen auch  durch  die  Nase  Anlass  geben.  Auch  Syphilis  und  Tuber- 
kulose der  Rachenmandel  ist  zu  beobachten.  Ob  die  Vergrösserung  der 
Rachenmandel  durchaus  als  Folge  einer  Entzündung  anzusehen  ist,  erscheint 
bei  dem  Mangel  von  Secret  an  vielen  operirten  Exemplaren  und  dem  so  häu- 
figen Fehlen  anderer  Rachenerscheinungen  zweifelhaft.  beegeat. 

Pharyngoskopie.  Für  die  Besichtigung  des  Rachens  ist  eine  gute 
Beleuchtung  desselben  nothwendig;  sie  geschieht  entweder  durch  diffuses 
Tageslicht  oder  directes  Sonnenlicht,  indem  wir  den  Patienten  mit  dem  Ge- 
sicht gegen  das  P'enster  setzen,  oder  aber  wir  benutzen  letzteres  sowohl  wie 
künstliche  Lichtquellen,  um  es  mittels  Reflectors  in  den  Rachen  des  Kranken 
zu  werfen.  (Ueber  den  Gebrauch 
des  Reflectors  sowie  die  Stel- 
lung des  Patienten  zum  Licht 
s.  unter  „Laryngoskopie").  Als 
Lichtquellen  dienen  helle  Petroleum-  oder 
Gaslampen  oder  durch  Batterien  oder  Accumu- 
latoren  erzeugtes  elektrisches  Licht.  Man  ver- 
wende für  letzteren  Zweck  Glühlämpchen  von 
circa  8  Volt  Spannung  und  mit  einem  in  Form 
eines  Hufeisens  oder  einer  Schlinge  gebo- 
genen Kohlenfaden;  sie  geben  bei  einem  Ab- 
stand von  25  cm  eine  Intensität  von  1200 
Meterkerzen.  Bei  Sonnenbeleuchtung  oder 
bei  Benutzung  des  diffusen  Tageslichtes  er- 
scheint die  Schleimhaut  heller,  mehr  zart- 
rosa,  die  anämischen  oder  ulcerirten  Stellen 
sehen  weisslicher  aus  als  bei  künstlichem 
Licht,  das  gewissermaassen  einen  gelblichen 
Schleier    über  die  natürlichen  Farben  deckt. 

Bei  manchen  Menschen,  insbesondere  bei  Sängern,  kann  man,  wenn  sie 
den  Mund  öffnen,  ohne  weitere  Hilfsmittel  den  oralen  Theil  des  Rachens,  ja 
manchmal  sogar  den  laryngealen  übersehen,  weil  sie  die  Zunge  glatt  auf  den 
Mundboden  legen;  gewöhnlich  sind  wir  aber  gezwungen,  die  sich  aulbäumende 
Zunge  aus  dem  Wege  zu  räumen.  Man  benutzt  dazu  improvisirte  Instru- 
mente   —    Löffelstiel,    Zahnbürste,    Federhalter  u.  a.  m,  —  oder  eigens  für 


Fränkers 
Mundspatel. 


Türck's  Mundspatel. 


50  4  PHARYNGOSKOPIE. 

diesen  Zweck  angefertigte.  Am  meisten  zu  empfehlen  sind  der  FEÄNKEL'sche 
und  TüRCK'sche  Mundspatel  (s.  P'ig.) 

Ersteren  nimmt  man  in  die  Faust,  legt  den  Daumen  an  seine  hintere 
Krümmung  und  den  Zeigefinger  unter  das  Kinn  des  Patienten.  Den  Spatel 
lege  man  auf  die  Mitte  der  Zunge,  und  zwar  noch  vor  den  papill.  vallatae, 
und  drücke  sie  nach  unten  und  vorne  von  der  hinteren  Rachenwand  fort, 
so  dass  die  Richtung  der  Kraft  vor  das  Zungenbein  fällt.  Man  setze  den 
Spatel  fest  auf  und  überwinde  mit  Kraft  die  etwa  auftretenden  Widerstands- 
bewegungen der  Zunge. 

Je  näher  man  mit  dem  Spatel  den  Gaumenbögen  kommt,  desto  leichter 
tritt  eine  Würgbewegung  ein;  man  ruft  dieselbe  gelegentlich  absichtlich  her- 
vor, weil  man  dabei  die  seitlichen  und  tieferen  Partien  des  Rachens  besser 
übersehen  kann  Gelangt  der  Spatel  hinter  die  papill.  vallatae,  so  tritt 
ebenfalls  eine  Würgbewegung  ein.  Dieselbe  kann  aber  bei  sensiblen  Patienten 

—  besonders  bei  Potatoren  und  Schwangeren  —  auch  ohnedies  erfolgen,  ja 
manche  Kranke  würgen  schon,  wenn  sie  den  Mund  öffnen  sollen.  Man  stelle 
sich  daher  immer  etwas  seitlich  vom  Patienten,  damit  man  nicht  eventuell 
mit  dem  Erbrochenen  und  bei  etwaigen  Operationen  mit  Blut  beschmutzt 
werde. 

Kinder  wollen  oft  den  Mund  nicht  öffnen,  man  muss  ihnen  dann  die 
Nase  zuhalten,  damit  sie  gezwungen  w^erden,  ihr  respiratorisches  Bedürfnis 
durch  die  Mundathmung  zu  befriedigen.  Oeffnen  sie  dabei  den  Mund  noch 
nicht  in  ausreichender  Weise,  indem  sie  die  Zähne  aufeinanderbeissen,  so 
führt  man  den  Spatel  durch  eine  Zahnlücke  oder  hinter  dem  letzten  Backzahn 
nach  hinten  bis  auf  den  Zungengrund  und  löst  so  eine  Würgbewegung  aus, 
bei  der  dann  der  Mund  in  genügender  Weise  geöffnet  wird. 

Wir  sehen  nun  bei  der  pharyngoskopischen  Untersuchung  den  weichen 
Gaumen  mit  der  Uvula,   jederseits  den  vorderen  und  hinteren  Gaumenbogen 

—  arcus  glosso  —  resp.  pharyngo-palatinus  —  zwischen  ihnen  die  Tonsille 
mit  ihren  lacunären  Oeffnungen;  die  Mandeln  liegen  manchmal  so  tief  in  der 
Nische  zwischen  den  Gaumenbögen,  dass  man,  um  sie  ganz  zu  übersehen,  den 
arcus  glosso-palatinus  bei  Seite  schieben  muss.  Die  hintere  Rachenwand  liegt 
nicht  immer  genau  in  der  frontalen  Ebene,  sondern  weicht  zuweilen  auf  einer 
Seite  schräg  nach  hinten  ab,  so  dass  das  Velum  hier  weiter  von  ihr  ent- 
fernt ist  als  auf  der  anderen  Seite. 

Lässt  man  den  Patienten  „a"  sagen,  so  hebt  sich  das  Gaumensegel, 
und  wir  übersehen  einen  grösseren  Theil  der  hinteren  Rachenwand;  dabei 
strecken  sich  die  Gaumenbögen  und  nähern  sich  der  Mittellinie.  Die  bogen- 
förmig ansteigenden  Gaumenbögen  begrenzen  einen  in  der  Mitte  durch  das 
Zäpfchen  in  zwei  Theile  getheilten  Raum,  den  man  gewöhnlich  mit  gothischen 
Fenstern  vergleicht;  durch  sie  hindurch  sieht  man  die  die  vordere  Wirbel- 
säulenfläche bekleidende  Schleimhaut  der  hinteren  Rachenwand. 

Die  Schleimhaut  des  Velum,  sowie  die  Gaumenbögen,  von  denen  der 
vordere  gewöhnlich  stärker  geröthet  ist,  und  die  hintere  Rachenwand  zeigen 
oft  deutlich  sichtbare  Gefäss Verzweigungen;  in  der  Mittellinie  des  Gaumen- 
segels verläuft  vom  harten  Gaumen  bis  zur  Uvula  ein  circa  1  mm  breiter  weisser 
Streifen,  die  Raphe,  die  einen  von  dünner  Schleimhaut  überzogenen,  fibrösen, 
und  daher  weiss  aussehenden  Streifen  darstellt.  Er  bleibt  unter  normalen 
Bedingungen,  bei  unveränderter  Motilität,  beim  Heben  des  Gaumensegels  in 
der  Mitte.  Der  Abstand  des  letzteren  von  der  hinteren  Rachenwand  beträgt 
bei  ruhiger  Athmung  circa  1 — 2  cm;  bei  Neugeborenen  ist  er  verhältnismässig 
gross.  Auf  der  hinteren  Wand  sieht  man  auch  bei  Gesunden  nicht  selten 
mehrere  etwa  linsengrosse,  rundliche  rothe  Erhabenheiten  (granula),  die, 
ähnlich  den  Zungenbalgdrüsen,  im  Centrum  eine  kleine  Oeffnung  zeigen;  die- 
selbe entspricht  der  Mündung  eines  Drüsenausführungsganges,  um  den  herum 


PHARYNXNEOPLASMEN.  505 

lymphoides  Gewebe  —  das  granulum  —  sich  angehäuft  hat.  Hinter  dem  hin- 
teren Gaumenbogen  sieht  man  jederseits  einen  dünnen  Strang  bis  in  den 
Nasenrachen  verlaufen  —  den  Seitenstrang. 

Um  den  Nasenrachen  zu  inspiciren,  bedient  man  sich  der  lUiinoskopia 
posterior.  (Näheres  siehe  daselbst.)  a.  eosenbekg. 

Pharynxneoplasmen.  Die  gutartigen  Neoplasmen  des  Rachens  (Cy- 
sten, Papillome,  Fibrome,  Angiom  e,  Lipome,  Myxome,  Adenome) 
sind  unter  den  entsprechenden  Stichworten  speciell  behandelt.  Es  erübrigt 
an  dieser  Stelle  nur  von  den  malignen  Geschwülsten  im  Pharynx  zu  sprechen. 
Sarkome  und  Carcinome  kommen  im  Pharynx  überhaupt  selten  zur 
Beobachtung  und  auch  dann  finden  wir  dieselben  häufiger  im  unteren  Ab- 
schnitte desselben,  im  Mundrachen,  als  im  oberen,  im  Nasenrachenräume.  Die 
Sarkome  bilden  missfarbige,  unregelmässig  runde  Geschwülste,  die  mit  breiter 
Basis  vom  Pharynxdache,  von  der  vorderen  Fläche  der  Wirbelkörper  oder  auch 
in  der  Gegend  der  Tubenöffnungen  ihren  Ausgang  nehmen.  In  einem  Falle 
von  Delanx  (cit.  von  Hoppe)  war  ein  kleinzelliges  Sarkom  von  der  Schleim- 
haut des  hinteren  Vomerrandes  ausgegangen;  König  operirte  mit  Erfolg  ein 
bis  zum  Kehlkopf  herabreichendes  Rundzellensarkom,  das  mit  dünnem  Stiele 
vom  Pharynxdach  ausgegangen  war.  Nach  diesem  Autor  gibt  es  bei  älteren 
Leuten  fibrosarkomatöse  Mischgeschwülste  im  oberen  Rachen,  die  -wie  die 
typischen  Nasenrachenpolypen  mit  breiter  Basis  aufsitzen,  die  aber  im  Ge- 
gensatz zu  jenen  die  Neigung  haben,  in  das  benachbarte  Gewebe  hineinzu- 
wuchern.  In  einem  Falle  von  Myxosarkom,  das  mit  dichtem,  langem  Stiele 
vom  Rachendache  entsprang  (ebenfalls  citirt  von  Hoppe)  war  der  Tumor 
durch  die  Choanen  bis  ins  Antrum  Highmori  hineingewachsen. 

Das  Sarkom  zeigt  ungemein  rasches  Wachsthum,  zerfällt  aber  nicht  so 
schnell,  als  wir  dies  beim  Carcinome  sehen;  letzteres  tritt  anfangs  in  der 
Form  von  circumscripten  harten  Knoten  auf,  die  aber  bald  zerfallen  und  in 
eine  grosse  schmutzige  Geschwürsfläche  sich  umwandeln,  deren  Ränder  unregel- 
mässig zerrissen  und  stark  infiltrirt  sind.  Im  Gegensatze  zu  den  Nasen- 
rachenpolypen greifen  diese  beiden  malignen  Geschwiüstformen  bald  auf  das 
benachbarte  Gewebe  über,  wuchern  in  dasselbe  hinein  und  es  entstehen  dann 
besonders  beim  Carcinom  starke  Anschwellungen  der  benachbarten  Lymph- 
drüsen. Neben  der  profusen  und  bald  schon  fötiden  Eiterung,  die  theils  an 
der  hinteren  Pharynxwand  herabfliesst,  theils  aus  der  Nase  entleert  wird, 
verursachen  diese  Geschwülste  sehr  leicht  heftige  Blutungen. 

Die  Diagnose  dieser  Tumoren  hat  in  den  Anfangsstadien  ihre  grossen 
Schwierigkeiten  und  selbst  die  mikroskopische  Untersuchung  kann  uns  zu  der 
Zeit  nicht  immer  vollständig  aufklären;  beobachten  wir  dagegen  eine  rasche 
Zunahme  der  Geschwulst,  entstehen  jauchige  Geschwüre,  so  ist  die  Diagnose 
nicht  mehr  zweifelhaft;  bei  diesen  speckigen,  zerfallenen  Geschwüren  muss 
auch  an  Syphilis  und  Lupus  gedacht  werden,  die  gleichfalls  in  dieser  Gegend 
vorkommen. 

Eine  erfolgreiche  Therapie  kennen  wir  auch  hier  nicht;  immerhin  liegen 
einige  wenige  Fälle  vor,  wo  grössere  mit  der  Schlinge  oder  auch  in  anderer 
Weise  abgetragene  Sarkome  nicht  mehr  recidivirten  (König);  stets  muss  die 
Basis  der  Geschwulst  und  ihre  Umgebung  mit  dem  galvanokaustischen  Brenner 
zerstört  werden.  Galvanische  Aetzungen  oder  elektrolytische  Versuche  können 
an  inoperablen  Geschwülsten  gemacht  werden,  sei  es,  um  dieselben  zu  ver- 
kleinern und  Suffocationserscheinungen  zu  beseitigen  oder  Blutungen  zu  stillen. 
Sonst  beschränkt  sich  unsere  Thätigkeit  auf  Anwendung  symptomatischer 
Mittel  zur  Hebung  der  Kräfte,  Reinigung  der  Geschwüre  und  Linderung  der 
Schmerz-en.  K. 


506  PSEUDOCROUP. 

PS6UdOCrOUp-  Laryngotracheitis  catarrhalis  acuta.  Laryngitis  stridulosa. 
Katarrhalischer  Croup.  Laryngitis  hypoglottica  acuta. 

Eine  acut  verlaufende,  dem  diphtheritischen  Croup  symptomatisch  viel- 
fach ähnliche  Entzündung-  der  Laryngotrachealmucosa,  welche  jedoch  ätiologisch 
und  anatomisch  zu  den  katarrhalischen  oder  katarrhähnlichen'"')  Erkrankungen 
gerechnet  werden  muss.  Sie  ist  dem  kindlichen  Lebensalter  vorzugsweise 
eigen  und  endet  meist  in  Genesung. 

Zeichnen  wir  den  Verlauf  des  Leidens  nach   einigen  selbst  beobachteten  Fällen. 

Die  erste  Beobachtung  (vgl.  Corresp. -Blatt  f.  Schweizer  Aerzte,  IX.  Jahrgang,  1879, 
Nr.  9  T.  1.  Mai)  betrifft  einen  kaum  neunjährigen,  etwas  zart  aussehenden,  sonst  gesunden 
Knaben.  Mehrere  Jahre  nacheinander  je  Ende  Februar  an  bellendem  Husten  erkrankt,  traf 
ihn  am  1.  März  1879  der  gewohnte  Katarrh  wieder,  nachdem  er  am  26.  Februar  sich  beim 
Schlitteln  durchnässt  hatte.  Schon  am  Morgen  des  dritten  Krankheitstages  traten  aber  schwe- 
rere Erscheinungen  auf  als  sonst,  ausgesprochene  Laryngostenose  mit  grosser  Angst,  livide 
"Wangen,  rauher  Husten  mit  bellendem  Charakter  und  Aphonie,  so  dass  nur  bei  erheblicher 
Anstrengung  die  Vocale  laut  tönten.  Rectumtemperatur  39°,  Puls  132,  Respiration  32  in 
der  Minute. 

In  der  nun  folgenden  Nacht  trat  ein  Anfall  gesteigerter  Dyspnoe  hinzu,  der  jedoch 
von  selbst  nach  einer  halben  Stunde  zurückging.  Am  vierten  Krankheitstage  um  10  Uhr  Vorm. 
Rectumtemperatur  39'5,  Puls  116,  Respirationsfrequenz  16  per  Minute.  Weniger  Dyspnoe. 
Abends  5  Uhr  Rectumtemperatur  39  3,  Puls  IIU,  Respiration  26.  Immerhin  tönte  der 
Husten  noch  bellend,  die  Stimme  blieb  lautlos  ausser  bei  forcirter  Ansprache.  Keine  Sputa. 
Abnehmende  Dyspnoe. 

Am  füniten  Krankheitstage  war  die  laryngeale  Athemnoth  vorbei,  kein  Stenosen- 
geräusch mehr  hörbar,  der  Husten  aber  noch  bellend,  die  Stimme  klang  nur  mit  Mühe. 
Morgens  5  Uhr  etwas  Nasenbluten.  Das  Fieber  ist  verschwunden,  Temperatur  37-8,  Puls  92, 
Respiration  22. 

Während  dieser  stürmisch  verlaufenden  Laryngitis  konnte  durch  die  Laryngoskopie, 
mehrmals  unter  Verwendung  des  Sonnenstrahles,  der  anatomische  Befund  erhoben  werden. 
Am  dritten  Tage,  auf  der  Höhe  der  Krankheit,  fa^nd  sich  gegen  meine  Erwartung  ein  fast 
normaler  Pharynx  und  eine  fast  normale  obere  Kehlkopfhöhle,  namentlich  die  Sclileimhaut 
der  Plic.  aryepiglott.,  interarytaenoidea,  auch  der  Seitenwand  kaum  hyperämisch.  Auch 
die  Stimmbänder  erschienen  weiss  und  beweglich,  bei  Intonation  nicht  fest  geschlossen, 
ausgebogen.  Dagegen  trat  am  inneren  Rande  jedes  Stimmbandes  ein  gerötheter 
Saum  zu  Tage,  der  ganzen  Län'ge  nach,  welcher  dergeschwollenen  unteren 
Stimmbandüberkleidung  angehörte.  Darunter  ist  die  Laryngotracheal- 
mucosa stark  geschwollen,  so  dass  das  Lumen  laryngotracheale  in  eine 
schmale,  von  hinten  nach  vorn  laufende  Spalte  umgewandelt  ist.  Kein 
Secret,  aber  graulich  dünner  Belag  auf  der  Mucosa. 

Die  Untersuchung  der  Lunge  ergab  dabei  spärliches  Schleimrasseln  und  Lungen- 
blähung mit  tiefstehendem  Zwerchfell  und  kleiner  Herzdämpfung. 

Am  fünften  Krankheitstage,  als  der  Sturm  vorbei  war,  liess  sich  wenig  mehr  von 
einer  Vorschwellung  der  Mucosa  hypoglottica  erkennen,  dagegen  bestand  noch  ein  rother 
geschwollener  unterer  Saum  längs  den  Stimmbandrändern.  Die  Stimmbänder 
schlössen  besser  und  es  trat  viel  Schleim  aus  der  Trachea  nach  oben. 

Der  rauhe  Husten  verlor  sich  als  das  letzte  Symptom.  Die  Behandlung  bestand 
anfangs  in  kaltnassen  Compressen  auf  den  Hals,  halbstündlich  gewechselt,  warmen 
Dämpfen  aus  Gefässen,  die  am  Bett  standen,  Inhalationen  mit  dem  Dampfapparat  von 
Kochsalzlösung,  innerlich  wurden  warme  Getränke,  heisse  Milch  mit  Selterswasser  gegeben 
und  Chinin,  sulfur.  per  rectum,  später  Calomel  mit  Sulf.  aurant.  antim. 

In  einem  zweiten  Falle  handelte  es  sich  um  einen  siebenjährigen  Knaben,  den  ich  ein  Jahr 
vorher  an  einer  knötchenähnlichen  Anschwellung  am  linken  und  rechten  Stimmbandsaume 
behandelt  hatte.  Nach  zweifelloser  Erkältung,  infolge  raschen  Sinkens  der  Lufttemperatur 
unter  Regengüssen,  erkrankte  der  zu  Katarrh  disponirte  Knabe  am  3.  September  1890 
unter  rauhem  Husten,  leichter  Heiserkeit,  wozu  Abends  Athemnoth  und  etwas  Fieber 
hinzukamen.  Am  folgenden  Tage  constatirte  ich  Abends  4  Uhr  in  der  Sprechstunde  einen 
Puls  von  136,  28  Respirationen  in  der  Minute,  fieberhafte  Appetitlosigkeit.  Die  Stimme 
war  erloschen.  Bei  dem  Worte  „Ernst"  ertönte  der  Vocal  erst  am  Ende  der  Sylbe,  der 
Husten  war  selten,  aber  anhaltend  und  von  bellendem  Charakter,  Dyspnoe  massig. 

Die  Laryngoskopie  ergab  bei  ganz  normalem  Pharynx,  Kehldeckel  und  normalem 
plic.  aryepiglottic.  eine  leichte  Hyperämie  der  mucosa  interaryt.  Die  Stimmbänder 
von  oben  weiss;  ihre  innere  Kante  geht  über  in  einen  gerötheten  und  ge- 
schwollenen Saum,  der  sich  nach  unten  fortsetzt  in  einen  Wulst,  der  von 
der    entzündlich    gerötheten  und  geschwollenen  unteren  Schleimhautaus- 

*)  Katarrhähnlich  sind  die  anatomischen  Schleimhautveränderungen  z.  B.  bei  In- 
fluenza, bei  Keuchhusten,  bei  Masern. 


PSEUDOCROUP.  507 

kleidung  der  Stimmbänder  auszugehen  scheint.  Die  Beweglichkeit  der 
Stimmbänder  ist  vermindert,  bei  Intonation  schliessen  sie  nicht  ganz 
fest,  es  dringt  Sclileim  zwischen  ihnen  herauf,  die  Stimme  tönt  an,  aber 
nur  ruckweise.  Im  Inspirium  öffnen  sich  die  Stimmbänder  wenig  über 
Cadaverweite,  zäher  Schleim  bleibt  zwischen  den  Stimmbändern.  — 
Ordination:  Morph,  c.  infus,  ipecac.  Dämpfe.  Priessnitz. 

Abends  10  Uhr  verschlimmerte  sich  der  Zusland  des  Knaben  durch  Erstickungsanfälle. 
Ich  fand  ihn  hochgelagert,  mit  hörbarer  Anstrengung  athmend,  mit  dunkelgefärbfen  Lippen. 
Die  Stimme  erloschen,  zeitweise  ein  lauter  Ton.  Puls  136,  liespiralion  3G  in  der  Minute. 
Die  Laryngoskopie  ergab  wieder  normalen  Rachen,  nirgends  Exsudate,  die  Stirn  mbän  der 
von  weisser  Oberfläche.  Sie  liegen  auf  den  geschwollenen  gerötheten 
Schleimhautwänden,  die  sich  nach  unten  ziehen,  und  bewegen  sich  kaum 
im  Inspirium.  Die  untere  Kehlkop  flichtung  bildet  einen  sehr  schmalen 
Spalt  von  vorne  nach  hinten.  Die  Mucosa  interary taenoidea  ist  nicht  ge- 
schwollen. Kein  Secret.  Die  jetzt  verordnete  Inhalation  von  Kochsalzlösung  steigert  eher 
die  Dyspnoe,  der  Knabe  steht  verzweifelnd  auf,  schliesslich  trug  ich  ihn  ans  offene 
Fenster  und  fasste  die  Tracheotomie  ins  Auge.  Es  ging  auf  Mitternacht.  Als  ultimum 
refugium  gab  ich  ein  Emeticum,  bestehend  aus  P.  ipecac.  lÜO  mit  Tart.  stibiat.  0-10,  wo- 
von alle  10  Minuten  der  vierte  Theil  genommen  wurde.  Das  nun  eintretende  Erbrechen 
brachte  etwas  Mageninhalt  zu  Tage,  keinen  Tracheaischleim.  Der  Patient  liegt  eimattet 
an  der  äussersten  Grenze  der  Dyspnoe.  Nach  fünf  Minuten  werden  die  Inspirationen 
tiefer.  Ich  vermehrte  die  Zahl  der  dampfenden  Wassereimer  am  Bettrand.  Jetzt  beginnt 
feuchtes  Rasseln  auf  Distanz  hörbar  zu  werden,  Respiration  32,  Puls  1.32.  Dann  kommt 
noch  ein  Anfall  von  Orthopnoe,  das  Rasseln  vermehrt  sich,  wieder  tritt  Erbrechen  ein  von 
reichlichem  Schleim,  und  von  jetzt  an  auffallendes  Wohlbefinden,  der  Knabe  lachte  und 
scherzte  zwischen  1  und  2  Uhr  Nachts. 

Am  dritten  Krankheitstage,  5.  September  Vormittags  9  Uhr,  fand  ich  22  Respirationen, 
82  Pulse  in  der  Minute.  Subjective  Dyspnoe  gering,  die  Stimme  heller.  Die  Laryngoskopie 
ergab  die  subglottische  Spalte  zwischen  den  Schleimhautwänden  etwas  weiter,  ihre  Mucosa 
blasser.   Kein  Schleim  sichtbar.    Ordination  Calomel  c.  Sulfur.  aurant. 

Am  gleichen  Tage,  Abends  7  Uhr,  ist  mehr  Stimmbandbewegung  sichtbar,  die  Spalte 
breiter,  die  subchordalen  Wülste  blasser,  die  Stimme  ist  heller.  Temperatur  372,  Puls  84, 
Respiration  14. 

Am  vierten  Krankheitstage,  6.  September,  Vormittags  9  Uhr:  Keine  Dyspnoe,  die 
Stimme  heller,  die  Nacht  ruhig.  Die  Stimmbänder  weiss,  bewegen  sich  nach  aussen  mehr 
und  schliessen  besser.  Die  subchordale  Wulst  ragt  jederseits  etwa  3  m?»  nach  innen  vom 
Stimmband  vor.  Die  Mucosa  ist  blasser,  grünliche  Krusten  in  der  Tiefe  des  Spaltes. 
Ordination  von  Dampfinhalation,  Morphium  cum  Ipecac. 

Am  10.  September  tritt  ein  leichter  Nasenkatarrh  auf,  auch  leichter  Husten  und  der 
Knabe  bleibt  noch  einige  Zeit  leicht  heiser. 

Eine  dritte  Beobachtung  betrifft  eine  ca.  40-jährige  Dame,  die  nach  Besorgung  von 
Kellergeschäften  von  Heiserkeit,  Beengung  und  rauhem  Husten  befallen  wurde.  Erst  nach 
bald  4  Wochen  sah  ich  die  Kranke  und  constatirte,  dass  die  Stimme  erst  bei  Anstrengung 
laut  antönte,  sonst  war  sie  klanglos.  Der  Husten  war  von  bellendem  Charakter  gewesen, 
setzte  aber  jetzt  wieder  fest  ein  und  tönte  normal.  Dyspnoe  subjectiv  wenig  mehr,  ein 
Stenosengeräusch  nicht  hörbar.  Puls  80,  Respiration  28,  kein  Fieber.  Die  Laryngoskopie 
ergab  weisse  Stimmbänder.  Ihr  innerer  Saum  um  1mm  jöderseits  vor- 
geschwollen, stark  geröthet.  Bei  schiefem  Einblick  erweist  sich  dieser 
Saum  1cm  nach  unten  als  vortretende  Mucosa  fortgesetzt.  Zwischen  den 
Processus  vocales  ist  dicklich  weisses  Secret,  das  den  vollständigen  Stimmbandschluss  und 
die  Schwingungen  erschwert,  nach  seiner  Entfernung  jedoch  tönen  die  Vocale  rein  an.  Die 
Abduction  der  Stimmbänder  ist  prompt  und  complet,  die  Adduction  aber  unvollständig. 
An  der  Mucosa  interarytaenoidea  weder  Entzündung  noch  Secret. 

Fünf  Minuten  später  findet  sich  in  der  Mitte  der  Mucosa  interarytaenoidea  ein  dicker 
Schleimzug,  die  beiden  Stimmbänder  entfernen  sich  schwieriger  in 
inspirio 

Am  folgenden  Tage  besteht  weder  Dyspnoe  noch  Heiserkeit,  aber  mehr  Hustenreiz. 
Der  rothe  Saum  der  Stimmbandkanten  ist  blasser,  die  Stimmbänder  erweitern  sich  rasch 
und  vollständig.  Ein  leichter  Hustenreiz,  welcher  von  der  Patientin  zurückgehalten  wird, 
veranlasst  reflectorisch  Zusammentreten  der  Stimmbänder. 

Zwei  Tage  später  erweist  sich  das  rechte  Stimmband  von  oben  ohne  rothen  Saum; 
seitlich  betrachtet,  mit  schiefer  Stellung  des  Kehlkopfspiegels  ist  noch  Schwellung  der 
Schleimhaut  sub  chorda  erkennbar.  Heute  Morgen  trat  bei  einer  Todesnachricht  ein 
Krampf  im  Halse  ein  mit  ziehendem  geräuschvollem  Athmen,  und  jetzt  noch 
ist  eine  verminderte  Abduction  beider  Stimmbänder  auffallend.  Diese  Reiz- 
barkeit der  Stimmbänder  zum  krampfhaften  Schluss  bei  Schwächung  der  Glottisöffner  Hess 
sich  noch  einige  Tage  später  nachweisen,  schon  beim  Laryngoskopiren  näherten  sich  die 
Stimmbänder  zeitweise  krampfhaft  während  des  Inspiriums. 


508  PSEUDOCROUP. 

Am  15.,  letzten  Tage  der  Beobachtung  fand  sich  kaum  mehr  eine  Spur  von  rother 
Besäumung  der  Stimmbänder.  Es  bestand  noch  grosse  Hustenreizbarkeit.  Der  Husten 
tönte  nicht  mehr  bellend,  unmittelbar  vor  dem  Husten  trat  das  rechte  Stimmband  ganz 
gerade  an  die  Mittellinie  nach  innen. 

Die  Behandlung  der  Patientin  hatte  im  Anfang  in  der  Anlegung  eines  Blasenpflasters 
auf  dem  Pomum  Adami  und  in  Inhalationen  mit  dem  Dampfapparat  (Siegle)  bestanden, 
wobei  eine  Emulsion  mit  Cocain  und  etwas  Menthol  günstig  und  angenehm  wirkte. 

Der  Pseudocroup  beginnt  nach  diesen  eigenen  Beobachtungen,  denen 
aus  der  classischen  Bearbeitung  dieses  Capitels  im  Handbuch  der  Kinder- 
krankheiten, herausg.  v.  Gerhaed  (IIL  Bd.,  2.  Hälfte),  durch  C.  Rauchfuss 
in  Petersburg  (Tübg.  1878),  und  ferner  aus  der  Monographie  von  Dehio 
(Jahrbuch  der  Kinderheilk.  1883,  XX.  Band,  pag.  243  u.  ff.)  eine  ganze  Reihe 
ähnlicher  Krankheitsgeschichten  in  sorgfältigster  Beschreibung  und  mit 
trefflichen  Illustrationen  angereiht  werden  könnten,  meist  als  acute  Steigerung 
eines  unscheinbaren  Schnupfens  und  Halskatarrhes.  Vorzugsweise  sind  es 
Kinder  vom  3.  bis  7.  Jahre  *)  —  doch  sah  ich  auch  ein  einjähriges  daran 
heftig  erkranken,  und  Dehio  beschreibt  unter  zehn  Fällen  nur  einen  mit  vier 
Jahren,  die  anderen  vom  7.  bis  14.  Jahre  —  welche  nach  ruhigem  Schlafe  in  den 
ersten  Nachtstunden  z.  B.  ihre  Angehörigen  mit  lautem  bellenden  Husten, 
ohne  Auswurf,  oft  auch  mit  heiserer  mühsamer  Stimme  und  meist  auch  mit 
erschwerter  Athmung,  wecken  und  ängstigen.  Dabei  besteht  bald  mehr,  bald 
weniger  Fieberhitze,  Durst  und  psychische  Aufregung.  Schon  in  wenigen 
Stunden  kann  nach  diesem  Anfall  das  Krankheitsbild  sehr  gefahrvoll  aus- 
sehen, die  Stimme  ist  erloschen,  nur  Weinen  oder  starke  Anstrengung  bringt 
noch  laute  Töne,  der  Husten  wird  frequent,  schmerzhaft,  von  rauhem,  laut 
bellendem  Klange,  trocken,  die  Dyspnoe  steigt  unter  tönenden,  pfeifenden, 
mühsamen  Athemzügen  zu  zeitweiser  Orthopnoe,  die  Kinder  stehen  ver- 
zweifelnd auf  im  Bette,  verlangen  nach  Luft,  ans  offene  Fenster,  ermattet 
legen  sie  sich  mit  erhitztem,  gedunsenem  Gesicht  nieder  an  der  äussersten 
Grenze  des  Lufthungers.  Selten  kommt  es  zu  letalem  Ausgang  oder  zur 
Tracheotomie,  meist  gelingt  es,  unter  Secretbildung  in  den  Luftwegen  das 
Athemhindernis  zu  vermindern,  und  zauberhaft  rasch  tritt  oft  an  Stelle  der 
drohenden  Suffocation  ein  ruhiges,  fast  behagliches  Befinden,  die  Erschöpfung 
endet  in  ruhigem  Schlafe. 

Nach  der  einmal  erreichten  Akme  sinken  die  Symptome  in  der  Regel 
stetig,  so  dass  an  den  folgenden  Tagen  kaum  mehr  erhebliche  Laryngostenose 
besteht;  der  Husten  wird  lockerer,  weniger  rauh  tönend,  die  Stimme  spricht 
eher  an,  namentlich  wenn  der  Larynx  schleimfrei  gemacht  wurde,  das  Fieber 
sinkt  rasch.  Nach  5 — 15  Tagen  sind  die  jugendlichen  Patienten  meist  ausser 
Behandlung. 

Beim  Erwachsenen  verläuft  die  Erkrankung  lange  nicht  so  stürmisch 
und  gefahrvoll.  Die  Dyspnoe  kann  dem  Patienten  lästig  werden,  sie  steigt 
aber  nie  zu  gefährlicher  Höhe.  Der  Husten  ist  bellend  wie  beim  Kinde,  die 
Stimme  spricht  mühsam  an,  tönt  heiser,  und  es  bleibt  wohl  nach  einem  lang- 
samen Ablauf  der  Beschwerden  noch  längere  Zeit  eine  Reizbarkeit  des  Kehl- 
kopfes zu  Glottiskrampf  oder  zu  Husten  zurück.  Der  Erwachsene  bietet  aber 
einerseits  der  Allgemeinwirkung  des  katarrhalischen  Agens  grösseren  Wider- 
stand, andererseits  scheint  die  Grösse  des  Kehlkopfes  und  die  geringere  Nach- 
giebigkeit seiner  Gewebe  gegenüber  den  localen  Störungen  günstigere  Bedin- 
gungen zu  schaffen  als  im  kindlichen  Alter. 

Aber  auch  beim  Kinde  finden  sich  sowohl  leichtere  als  schwerere  Er- 
krankungen im  Vergleich  zu  den  eingangs  geschilderten  Fällen. 

Analysiren  wir  die  Symptome  des  Pseudocroup  sammt  den  zu 
Grunde  liegenden   anatomischen  Veränderungen,    so  erscheint   die   initiale 


*)  Vgl.  „Aetiologie"  weiter  unten. 


PSEUDOCROUP.  509 

Fieberbewegung  als  ein  ziemlich  schwankendes  und  wenig  dominirendes 
Moment.  In  meinem  ersterwähnten  Falle  war  am  dritten  Krankheitstage 
eine  Rectumtemperatur  von  39*^,  Puls  132,  am  vierten  Tage  Temperatur  3!J"5, 
Puls  110  und  am  fünften  Tage  beinahe  vollständige  Apyrexie  vorhanden.  Im 
zweiten  Falle  war  am  ersten  und  zweiten  Krankheitstage  ausgesprochenes 
Fieber,  Puls  bis  136  nachweisbar,  schon  am  dritten  Tage  aber  completer 
Fiebernachlass.  So  pflegt  in  nicht  complicirten  Fällen  die  Temperatur  am 
zweiten  oder  dritten  Tag  zur  Norm  zurückzukehren.  Der  Puls  überschreitet 
die  Parallele  zur  Temperatur,  vorerst  wegen  der  Heizung  der  Ilespirations- 
schleimhaut,  die  z.  B.  auch  bei  den  Bronchitiden  diesen  Einfluss  aufweist, 
und  zweitens  wegen  der  höheren  nervösen  Empfindlichkeit  der  meist  sehr 
jugendlichen  Kranken.  Behalten  Temperatur  und  Puls  ihre  Höhe  nach  Ablauf 
der  ersten  paar  Tage,  dann  ist  entweder  eine  Fortsetzung  der  Affection  auf 
die  Bronchien  (Bronchitis  capillaris,  Bronchopneumonie)  oder  eine  fieber- 
hafte Allgemeinerkrankung  (z.  B.  Masern,  Influenza)  im  Spiele. 

Eine  der  Temperatur  nicht  adäquate  Störung  des  Allgemeinzustandes, 
die  auf  toxisch-infectiöse  Einflüsse  schliessen  liesse,  ist  in  den  nicht  compli- 
cirten Fällen  nicht  beobachtet  worden. 

Der  Schwerpunkt  der  Krankheitserscheinungen  liegt  in  den  localen 
S  ymptomen,  im  rauhen  bellenden  Husten,  in  der  Dyspnoe  und  in  der  Heiser- 
keit. Darin  sind  alle  Beobachter  einig;  nur  darin  weichen  sie  auseinander, 
welche  anatomischen  Veränderungen  denselben  zu  Grunde  liegen. 

So  beruft  sich  Tkousseau  (Clinique  medicale  de  V  Hotel  Dieu  de  Paris, 
4—  Edition,  Paris  bei  Bailiiere  et  fils  1873),  der  das  klinische  Bild  sehr 
genau  zeichnet  und  von  dem  der  diphtheritischen  Croup  sorgfältig  trennt, 
auf  Keishaber  und  Peter,  welche  die  materielle  Grundlage  des  Pseudocroup 
in  der  „schwachen  Entwicklung  der  glottis  intercartilaginosa,  in  der  engen 
Glottisspalte  beim  Kinde"  finden. 

V.  ZiEMSSEN  (Handb.  d.  spec.  Path.  u.  Ther.  IV.  Bd.  Leipzig  1876,  bei 
Vogel)  weist  auf  die  im  Verhältnis  zur  kleinen  kindlichen  Glottis  zu  starke 
Schwellung  der  Schleimhaut  und  das  im  Schlaf  angetrocknete  Secret  zur  Er- 
klärung der  Stenosensymptome.  Wahrscheinlich  sei  auch,  doch  eher  selten, 
dass  reflectorischer  Glottisspasmus  mit  im  Spiele  sei.  Den  bellenden  Husten 
bezieht  er  auf  Vibrationen  der  geschwollenen  aryepiglottischen  Falten,  nebst 
den  durch  die  erschlafi'ten  Muskeln  nicht  gehörig  fixirten  Giesskannen  mit 
den  SANTORiNi'schen  Knorpeln. 

MoNTi  (Ueber  Croup  und  Diphtheritis  im  Kindesalter,  2.  Auflage,  1884, 
bei  Urban  und  Schwarzenberg,  Wien),  der  an  dem  reichen  Krankenmaterial 
des  St.  Anna  Kinderspitales  und  der  Kinderabtheilung  der  Allgemeinen  Poli- 
klinik in  Wien  die  ausgiebigsten  Erfahrungen  gewinnen  konnte,  bezeichnete 
im  Jahre  1884  die  laryngoskopischen  Erfahrungen  als  noch  zu  vereinzelt, 
um  daraus  allgemein  giltige  Regeln  aufzustellen  (pag.  15).  Nach  den  Be- 
funden von  Gerhard  und  Schnitzler  bestehe  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
Pharyngitis  und  Tonsillenschwellung,  Oedem  der  Uvula,  in  vielen  Fällen  aber 
wieder  ganz  normaler  Pharynx.  Gewöhnlich  seien  Kehldeckel;  aryepiglottische 
Falten  und  die  Taschenbänder  stark  geschwellt  und  dunkelroth.  Die  Stimm- 
bänder bleiben  in  leichten  Fällen  zuweilen  weissgelblich,  in  schwereren  Fällen 
gehe  vom  Stimmfortsatze  eine  fleckig-streifige  Röthung  aus,  untermischt  mit 
Extravasatpunkten.  An  einzelnen  Stellen  sehe  man  streifenförmige  Epithel- 
abschürfungen, die  sich  leicht  zu  seichten  Geschwüren  vertiefen  können.  Bei 
sehr  heftiger  Laryngitis  komme  es  zu  Verdickung  der  aryepiglottischen  Falten, 
der  Taschenbänder  und  der  Falten  der  hinteren  Kehlkopfwand,  mitunter  auch 
des  Kehldeckels,  und  bei  bedeutender  Heiserkeit  und  Laryngostenose  bestehe 
zumeist  hochgradige  Anschwellung  der  ganzen  Larynxschleimhaut,  insbesondere 


510  PSEUDOCROUP. 

der  hinteren  Kehlkopfwand  und  der  Aryknorpel,  die  nach  Schnitzler  oft  zu 
ödematösen  Wülsten  umgewandelt  seien. 

Gottstein  (Die  Krankh.  d.  Kehlkopfes,  4.  Auflage,  pag.  107,  Leipzig 
1893,  bei  F.  Deuticke,  hält  die  Weise,  in  welcher  die  vorübergehende  Stenose 
zu  Stande  komme,  für  nicht  ausreichend  erklärt  und  hat  Bedenken  gegen 
die  von  Dehio  (vgl.  unten)  angegebene  Erklärung  der  Symptome.  Er  be- 
hauptet, im  Widerspruch  zu  unseren  Fällen,  dass  „am  Tage  bekanntlich  die 
dyspnotischen  Anfälle  nicht  auftreten",  konnte  subchordale  Schwellungen  nie 
beobachten,  und  nach  seiner  Meinung  spiele  der  reflectorische  Glottiskrampf 
eine  bedeutendere  Rolle,  als  verschiedene  Autoren  zugeben.  Der  bellende 
Husten  komme  dadurch  zu  Stande,  dass  die  krampfhaft  geschlossene  Glottis 
durch  einen  kurzen  Exspirationsstoss  auseinander  getrieben  werde. 

ScHRöTTER  (Vorl.  Über  d.  Krankh.  d.  Kehlkopfes,  Wien,  1893,  bei  Bräu- 
MtJLLER)  anerkennt  die  subchordale  Laryngitis  als  Ursache  des  Bellhustens, 
aber  hält  die  subchordale  Schwellung  für  zu  unbedeutend,  um  die  Dyspnoe  zu 
bewirken,  sondern  für  deren  Ursache  einen  reflectorischen,  nicht  genug 
erklärten  Glottiskrampf. 

Diesen  Schilderungen  des  laryngoskopischen  Befundes  beim  Pseudocroup, 
welche  meist  mit  dem  der  Laryngitis  catarrhalis  des  Erwachsenen  zusammen- 
fallen, widersprach  zu  meinem  grössten  Erstaunen  das  Verhalten  des  Rachens 
und  Kehlkopfes  in  meiner  eingangs  erwähnten  ersten  Beobachtung  vom 
März  1879.  Dort  fand  ich  vollständige  Unversehrtheit  des  Kehlkopfeinganges 
und  der  oberen  Kehlkopfhöhle,  ja  sogar  der  Stimmbänder  in  ihrer  Farbe, 
dafür  aber  eine  ganz  merkwürdige  Aufschwellung  der  unteren  Larynxhöhle 
bis  zur  unteren  Ueberkleidung  der  Stimmbänder,  wodurch  unterhalb  der 
Stimmbänderglottis  eine  zweite  engere  Glottis,  ein  von  hinten  nach  vorn  ver- 
laufender schmaler  Spalt  zwischen  der  hochentzündeten  Schleimhaut  der  un- 
teren Kehlkopfhöhle  gebildet  wurde.  An  den  Stimmbändern  selber  fand  sich 
blos  ein  rother  Saum  an  der  freien  Kante,  welcher  zu  der  tieferen  Schleim- 
hautanschwellung einen  Uebergang  bildete. 

In  meiner  zweiten  Beobachtung  vom  Jahre  1890  wiederholte  sich  dieser 
Befund  an  einem  anderen  jugendlichen  Patienten,  und  im  Jahre  1894  an 
einem  Erwachsenen.  Gleiche  Erhebungen  mit  dem  Kehlkopfspiegel,  von  denen 
ich  leider  im  Jahre  1879  keine  Kenntnis  hatte,  sind  aber  von  Rauchfuss 
(1.  c.)  schon  im  Jahre  1878  beschrieben  und  dann  im  Jahre  1883  von  seinem 
Assistenzarzt  Dehio  in  ausgiebigster  Weise  bestätigt  und  erweitert  worden. 

Rauchfuss  fand  bei  einem  elfjährigen  Knaben  am  zweiten  Krankheits- 
tage eines  schweren  Pseudocroupanfalles  das  Vestibulum  laryngis  leicht  ge- 
röthet,  nicht  geschw^ollen,  die  Stimmbänder  weiss,  intact,  an  ihrem  scharfen 
Saum  aber  beiderseits  intensiv  rothe,  2—3  mm  breite  Wülste,  welche  die 
Glottis  einengten.  Am  folgenden  Tage  waren  die  subchordalen  Schleimhaut- 
infiltrate noch  mächtiger,  der  von  ihnen  begrenzte  Spalt  sehr  eng.  Erst 
Tags  darauf  wurden  die  Aryknorpel  wieder  beweglich,  die  weissen  Stimm- 
bänder begannen  sich  auf  den  subchordalen  Wülsten  zu  verschieben,  und  zu- 
letzt waren  diese  Wülste  mit  dem  Rückgang  der  Entzündung  und  dem  Ein- 
treten feuchten  Hustens  blos  noch  längs  des  processus  vocales  sichtbar.  In 
einem  zweiten  Falle  bei  einem  vierjährigen  Mädchen  hebt  Rauchfuss  noch- 
mals den  Befund  der  Laryngitis  subchordalis  hervor,  einen  schmalen  Spalt 
zwischen  den  Infiltrationswülsten  unterhalb  der  Stimmbänder. 

C.  Dehio,  der  nach  Beobachtungen  aus  dem  Kinderhospital  des  Prinzen 
von  Oldenburg  in  St.  Petersburg  die  Symptome  des  Pseudocroup  und  ihre 
anatomische  Grundlage  erörtert  (1.  c.)  schildert  zehn  Fälle  bei  sieben  Knaben 
und  drei  Mädchen,  von  4  bis  14  Jahren,  bei  denen  ausnahmslos  die  Vor- 
wulstungen  der  heftig  entzündeten  unteren  Larynxhöhle  als  das  Wesentlichste 
auffielen,  hochrothe  Wände,  welche   sich    von  den  wenig  entzündeten   oberen 


PSEUDOCROUP.  511 

Stimmbandflächen  leicht  unterschieden,  vorne  schon  im  vorderen  Drittheil  der 
Glottis  zusammenstiessen  und  nur  in  der  hinteren  Glottisspaltc  einen  kleinen 
dreieckigen  Kaum  für  die  Athmung  übrig  Hessen.  Solange  die  obere  Larynx- 
höhle  intact  bleibt,  trennt  eine  longitudinale  Kerbe  am  Stimmbandrande  die 
scharfe  Kante  der  Stimmbänder  von  der  subchordalen  Schleimhautwulstung. 
Allerdings  hat  Dehio  in  vier  Fällen  noch  leichtere  und  schwerere  Entzün- 
dungen der  Schleimhaut  im  Pharynx,  am  Kehldeckel,  an  den  Plicae  aryepi- 
glotticae  in  der  regio  interarytaenoidea  starke  Anschwellung  der  Taschen- 
bänder, graurothe  glanzlose  Anschwellung  der  Stimmbänder  mit  seilähnlicher 
entzündlicher  Deformation  neben  der  Laryngitis  hypoglottica  beobachtet, 
in  einem  Falle  von  Masern  bestand  eher  ein  Vorwiegen  der  specifisch  mor- 
billösen  Laryngitis  am  Kehldeckel  und  Kehlkopfeingang  über  die  hypo- 
glottische  Schleimhautentzündung,  doch  Hess  sich  gerade  in  diesen  compli- 
cirten  Fällen  mit  Bestimmtheit  nachweisen,  dass  die  charakteristischen  Sym- 
ptome der  Dyspnoe,  des  bellenden  Hustens  und  der  zeitweise  heiseren  Stimme 
erst  mit  der  Laryngitis  subchordalis  kamen  und  gingen. 

Mit  den  Fällen  von  Rauchfuss,  von  Dehio  und  meinen  Beobachtungen 
stimmt  auch  ein  Fall  von  Roth  vom  Jahre  1882  (Arch.  f.  Kinderheilk.,  Bd.  III, 
pag.  75),  von  Fischer  (Berl.  klin.  Wochenschr.  1884,  Nr.  50),  von  E.  Burow 
(Laryngoskop.  Atlas,  pg.  37,  Stuttgart  1867,  bei  Enke)  und  auch  die  Schilderung 
von  Stoerk  (Klinik  d.  Krankh.  des  Kehlkopfes  etc.  pag.  143,  Stuttgart  1880. 
bei  Enke)  und  die  trefflichen  Abbildungen  von  Krieg  (Atlas  der  Kehlkoptkrankh., 
Stuttgart  1892,  bei  Enke). 

Es  erhellt  somit,  dass  das  schwerste  und  wichtigste  Symptom  des  Pseudo- 
croup, die  Laryngo Stenose,  auf  einer  entzündlichen  Anschwellung  der  un- 
teren Schleimhautauskleidung  beider  Stimmbänder  des  unteren  Larynx  beruht. 
Nach  oben  überschreitet  sie  die  scharfe  Kante  der  Stimmbänder  nicht,  unter 
welcher  gelegentlich  eine  scharfe  Kerbe  die  gesunde  obere  Stimmbandfläche  von 
der  Entzündung  trennt,  nach  unten  reicht  sie  bis  zum  Ringknorpel  und  treibt 
die  ganze  Mucosa  des  unteren  Larynx  als  eine  hochroth  entzündete  Wand 
von  links  und  rechts  über  die  Stimmbandbreite  nach  innen,  dieselbe  um 
2 — 3  mm  überragend  und  einen  schmalen  longitudinalen  Spalt  formirend. 
Anfangs  erscheinen  die  Wände  dieses  Spaltes  graulich  (Epithelabstossung?), 
später  hochroth  und  glänzend,  um  schon  nach  einem  oder  mehreren  Tagen 
einer  gefältelten  blasseren  Färbung  und  weniger  prallen  Spannung  Platz  zu 
machen.  Die  enorme  Schwellungsfähigkeit  der  subchordalen  Kehlkopfschleim- 
haut scheint  dem  Kindesalter  vorzugsweise  eigen  zu  sein,  sie  besteht  aber  auch 
noch  in  geringerem  Grade  bei  Erwachsenen  (vgl.  meine  dritte  Beobachtung), 
nur  folgt  sie  bei  diesen  seltener  schon  den  flüchtigeren  Erregern  von  Katan'h 
als  den  tiefer  wirkenden  Keimen  der  Tuberkulose  und  der  Syphilis.  In  der 
That  gehören  namentlich  tuberkulöse  Infiltrate  der  subchordalen  Larynx- 
mucosa  zu  den  häufigsten  Beobachtungen,  während  die  einfach  katarrhalische 
Laryngitis  der  Erwachsenen  mit  Vorliebe  die  obere  Fläche  der  Stimmbänder, 
die  Region  der  Taschenbänder  und  der  hinteren  Larynxschleimhaut  und  end- 
lich die  Eingangsfalten  mit  der  unteren  Epiglottisfläche  ergreift.  Dehio  be- 
tont die  Lockerheit  und  Verschieblichkeit  des  submucösen  Gewebes  unter  den 
Stimmbändern,  und  es  gelang  ihm  an  der  Leiche,  durch  eine  Inj ection  von 
Carminlösung  von  aussen  durch  den  Ringknorpel  hindurch  die  betreÖende 
Schleimhautstrecke  so  vorzutreiben  und  ähnliche  subchordale  Wulstungen  zu 
erzeugen,  wie  sie  bei  der  Laryngitis  des  Pseudocroup  am  Lebenden  zu  be- 
obachten waren.  Die  straffe  Anhaftung  der  Schleimhaut  an  der  Stimmband- 
kante hinderte  auch  bei  diesem  Experimente  die  Ausbreitung  der  Carmin- 
lösung über  dieselbe  hinauf.  Dass  mit  der  Mutationszeit  auch  die  Disposition 
zu  Pseudocroup  fast  ganz  erlischt,  möchte  ich  darauf  zurückführen,  dass  die 
mächtiger  gewordenen  Muskelzüge  der  Stimmbänder,  namentlich  beim  Manne, 


512  PSEUDOCROUP. 

die  lockere  Anhaftung  der  Tunica  elastica  auf  der  Innenwand  der  Larynx- 
knorpel  vollständiger  ausfüllen  als  beim  Kinde. 

Ob  zeitweiser  Glottisspasmus  in  der  Höhe  des  Pseudocroupanfalles  noch 
zu  dieser  hypoglottischen  Schleimhautschwellung  hinzutrete,  ist  mehr  als 
zweifelhaft.  Sobald  die  subchordalen  Wülste  das  Maximum  ihrer  Anschwel- 
lung erreicht  haben,  nimmt  die  Beweglichkeit  der  so  straffer  fixirten  Stimm- 
bänder erheblich  ab,  ihre  inspiratorische  Abduction  wird  kleiner,  ihre  Schluss- 
fähigkeit schwächer.'  Auch  war  von  einem  krampfhaften  Glottisschluss  nichts 
wahrnehmbar,  z.  B.  in  meinem  zweiten  Falle,  in  welchem  ich  noch  während 
der  höchsten  Dyspnoe  der  Patienten  laryngoskopiren  konnte.  Die  Dyspnoe 
überfällt  den  Kranken  infolge  der  raschen  Schleimhautanschwellung  in  dem 
relativ  engen  unteren  Kehlkopftrichter,  sie  wird  durch  angestrengte  Inspira- 
tionen überwunden,  durch  Hustenstösse,  dann  genügt  die  erzwungene  Luft- 
aufnahme für  einige  Zeit,  bis  die  drohende  Kohlensäureintoxication  wieder 
zu  neuem  Kampfe  anspornt.  Wird  durch  Bewegungen,  durch  Weinen,  durch 
reflectorischen  Husten  das  schwer  erhaltene  Gleichgewicht  zwischen  Einnahme 
und  Ausgabe  des  Sauerstofies  nur  um  ein  Minimum  gestört,  so  beginnt  der 
Kampf  aufs  neue  und  um  so  ängstlicher  und  ungeordneter,  je  erregbarer 
der  Kranke  ist  und  je  weniger  ihm  Zeit  gelassen  blieb,  sich  an  das  Athem- 
hindernis  zu  gewöhnen. 

Auf  diese  Verhältnisse,  die  sich  beim  diphtheritischen  Croup  wieder 
finden,  ist  die  Laryngostenose  zurückzuführen,  nicht  auf  einen  nie  beobach- 
teten, rein  hypothetischen  Spasmus  der  Stimmbänder,  der  ja  auch  zur  Er- 
klärung der  stundenlang  dauernden   Laryngostenose  nicht  hinreichen  würde. 

Auch  nicht  die  Anhäufung  von  compactem  Secrete  in  der  Glottis  ist 
die  wesentliche  Bedingung  der  Dyspnoe  im  Pseudocroup.  In  der  Akme  der- 
selben ist  die  Schleimhautschwellung  unter  den  Stimmbändern  eine  trockene, 
hochrothe,  pralle;  sobald  sich  Secret  einstellt,  nimmt  auch  die  Anschwellung 
ab,  die  Schleimhaut  wird  gerunzelt.  Im  Stadium  der  abnehmenden  Stenose 
kann  immerhin  eine  vorübergehende  Steigerung  der  Athembeschwerden  durch 
Schleimklumpen  entstehen,  welche  sich  auf  der  Glottis  häufen,  bis  sie  ein 
Hustenstoss  entfernt.  Auch  ist  in  meinen  wie  der  anderen  Beobachter  laryn- 
goskopischen Schilderungen  oft  der  Mangel  von  Secret  im  Larynx,  und  zwar 
gerade  zur  Zeit  der  höchsten  Dyspnoe  hervorgehoben,  und  es  ist  wohl  möglich, 
dass  gerade  diese  Trockenheit  der  Mucosa  zu  Hustenbewegungen  und  dadurch 
zur  Steigerung  der  xUhemnoth  führt. 

Das  schnelle  Auftreten  und  baldige  Verschwinden  der  subchordalen 
Schleimhautschwellung,  oft  nach  wenigen  Tagen,  sowie  ihr  Aussehen  im  Spiegel- 
bilde lässt  betreffs  ihres  histologischen  Charakters  schliessen,  dass  eine  pralle 
Schleimhautentzündung  und  dahinter  ein  entzündlich  ödematöses  Infiltrat  der 
lockeren  Submucosa  vorliegt,  ähnlich  wie  bei  einer  heftigen  katarrhalischen 
Conjunctivitis  mit  ödematös  geschwollenen  Lidern. 

Das  zweitwichtigste  Symptom  des  Pseudocroup  ist  der  rauhe  Husten 
von  bellendem  Ton  wie  beim  echten  Croup.  Gewöhnlich  ist  er  die  früheste 
Krankheitserscheinung  und  immer  das  am  meisten  charakteristische  Zeichen 
der  Erkrankung.  Während  der  bronchitische  Husten  bei  normalem  Larynx 
scharf  einsetzt  und  einen  kurzen  explosiven  Ton  erzeugt,  ist  der  Einsatz  des 
Hustens  im  Pseudocroup  unbestimmter,  weniger  scharf,  der  Hustenton  tief 
und  rauh,  schwirrend,  er  dauert  länger  und  ist  anfangs  ohne  Beimischung 
feuchter  Rasselgeräusche.  Er  entsteht  durch  die  acut  entzündliche  Reizung 
der  Endausbreitung  des  Nervus  laryngeus  superior  in  der  Mucosa  laryngis,  die 
ja  besonders  an  der  Hinterwand  des  Kehlkopfes  im  Niveau  der  Stimmbänder 
und  unterhalb  demselben,  sowie  an  der  unteren  Ueberkleidung  der  Stimm- 
bänder besonders  hustenempfindlich  ist.  Je  langsamer  die  Entzündung  ein- 
tritt, wie  bei  tuberkulöser   Laryngitis  hypoglottica   z.  B.,  desto  geringer   ist 


PSEUDOCROUP.  513 

HusteDreiz  und  Dyspnoe.  Den  bellenden  Ton  des  Hustens  erklärt  Dehio 
durch  Vibrationen  der  subchordalen  Wulstungen  beim  Hustenstoss,  die  er 
auch  bei  einem  seiner  Fälle  deutlich  beobachten  konnte.  Solange  als  die 
subchordale  Schleirahautauskleidung  der  unteren  StimmhandÜäche  und  der 
Seitenwände  vor  die  Stimmbänder  nach  innen  gedrängt  ist,  und  die  Stimm- 
bänder darauf  liegen  bleiben,  um  2 — 3  mm  zurücktretend,  kann  der  Husten- 
stoss ausschliesslich  nur  diese  Schleimhautwände  erschüttern  und  den  schwir- 
renden tiefen  Ton  dadurch  erzeugen.  In  ähnlicher  Weise  beobachtete  ich 
einen  „Crouphusten"  bei  strumöser  Compression  der  Trachea  von  beiden 
Seiten,  wo  das  tracheale  Lumen  die  Form  eines  Schlüsselloches  bekam  und 
bei  ganz  normalem  Larynx  jeder  Husten  von  einer  schwirrenden  Vibration 
der  angenäherten  Trachealwände  begleitet  war.  Lässt  jedoch  die  subchor- 
dale Stenose  nach,  durch  Abschwellen  der  Mucosa  hypoglottica;  oder  entwickelt 
sich,  wie  in  leichteren  Fällen,  diese  Anschwellung  weniger  mächtig,  so  bleibt 
zur  Erklärung  des  zurückbleibenden  Crouphustens  der  rothe  Saum  am  Stimm- 
bandrande, der  mit  einer  entzündlichen  Veränderung  des  Stimmbandkörpers 
verbunden  sein  muss.  Wie  wir  nicht  selten  bei  zarten  Mädchen  oder  Frauen 
Bellhusten  bei  anscheinend  normalem  Larynx  beobachten,  auf  Neuroparese 
der  Stimmbandschliesser  und  -Oeffner  beruhend,  so  veranlasst  die  laryngitische 
Musculoparesis  der  Stimmbänder,  dass  dieselben  dem  Hustenstoss  nicht  die 
normale  Kraft  entgegensetzen  und  auch  langsamer  als  in  der  Norm  in  die 
Abductionsstellung  zurücktreten,  sodass  sie  halb  erschlafft  noch  zur  Vibration 
gelangen.  Dadurch  wird  der  Husten  von  lautem  schwirrendem  Ton  und  sein 
Einsatz  schwach,  wie  verzogen. 

Das  dritte  charakteristische  Symptom  des  Pseudocroup  bildet  die 
Störung  der  Sprechstimme.  In  meinem  ersten  Falle  war  auf  der  Höhe 
der  Krankheit  die  Stimme  tonlos,  bei  forcirter  Ansprache  aber  nur  w^enig 
belegt,  in  meinem  zweiten  Falle  die  Stimme  erloschen,  die  Silbe  „Ernst"  er- 
tönte erst  am  Schlüsse  der  zur  Phonation  aufgewendeten  Anstrengung,  in 
meinem  dritten  Falle  tönte  die  Stimme  laut  erst  bei  Anstrengung,  sonst  w'ar 
sie  klanglos.  Der  schliesslich  erreichte  Ton  der  Stimme  ist  aber  ziemlich 
hell,  wenig  rauh  und  heiser  und  contrastirt  dadurch  mit  dem  bellenden 
Husten.  Diese  für  eine  schwere  und  acute  Laryngitis  auffallende  Beobach- 
tung, dass  die  Stimme  kaum  anspricht,  für  die  gewöhnliche  Sprechanstrengung 
sogar  erloschen  ist,  bei  Weinen  oder  erhöhter  Anstrengung  zum  Anlauten 
dagegen  antönt,  und  zwar  viel  heller  als  der  rauhe  Husten  erwarten  lässt, 
ist  durch  den  Befund  der  ziemlich  intacten  Stimmbänder  erklärt.  Ihre  obere 
Fläche  bis  zur  freien  Kante  ist  in  meinen  Fällen,  in  denen  von  Rauchfuss, 
in  der  Mehrzahl  derer  von  Dehio,  in  dem  von  Bueow^,  im  KßiEG'schen  Atlas, 
weiss,  der  rothe  Saum  der  entzündeten  unteren  Stimmbandfläche  hindert  die 
Vibration  nicht  absolut,  wohl  ist  das  Stimmband  ausgebogen  und  seine  Juxta- 
position  erschwert,  aber  sein  innerer  Rand  vibrirt  schliesslich  noch  und  erst, 
wenn  das  Parenchym  des  Stirambandes  mit  erkrankt,  dann  tritt  rauhe  heisere 
Stimme  hinzu.  Die  Heiserkeit  der  Stimme  ist  im  Pseudocroup,  solange 
die  Stimmbänder  nicht  mitentzündet  und  noch  einiger  Bewegung  fähig  sind, 
eine  eigenartige,  eine  erschwerte  und  bisweilen  unmögliche  Anlautung,  die 
aber  bei  forcirter  Ansprache  eine  helle  dünne  Tongebung  gestattet.  Besonders 
MoNTi  (1.  c.)  hebt  diesen  Contrast  als  diagnostisch  wichtig  hervor. 

Verlauf,  Ausgang  und  Prognose  des  Pseudocroup  richten  sich 
nach  der  Intensität  der  localen  Erscheinungen  und  nach  dem  Vorhandensein 
von  Complicationen.  Je  heftiger  sich  die  Laryngostenose  einstellt,  je  jünger 
das  Individuum  ist,  je  mehr  complicirende  Bronchitis  und  Bronchopneumonie 
oder  infectiöse  Allgemeinleiden,  Influenza,  Masern,  auch  Keuchhusten  mit  in 
Frage  kommen,  desto  ungewisser  ist  der  Verlauf:  Complicationen  in  loco  mit 
Entzündung  des  Larynxeinganges,  der  Epiglottis  und   der  Stimmbänder,  und 

Ohren-,  Nasen-,  Eaolien-,  Kehlkopfkrankheiten.  0" 


514  PSEUDOCROUP. 

endlich  die  Möglichkeit,  dass  hinter  dem  Bilde  einer  acuten  Laryngitis  in- 
ferior nur  der  Beginn  einer  echten  perniciösen  Larynxdiphtherie  versteckt 
sei,  können  einen  schleppenden  oder  gefährlichen  Verlauf  bedingen.  Wohl 
ist  ein  rascher  und  glücklicher  Ablauf  der  Erscheinungen  die  Regel,  ja  Monti 
erklärt,  dass  ihm  noch  kein  Todesfall  vorgekommen  sei,  allein  mein  zweiter 
Fall  zeigt  doch,  zu  welchem  bedrohlichen  Grade  die  Suffocation  ansteigen 
kann,  ja  Trousseau.  (1.  c.  pag.  640)  erwähnt  einen  tödtlichen  Ausgang  bei 
einem  13jährigen  Knaben,  der  Morgens  unter  rauhem  Husten  und  erloschener 
Stimme  mit  Laryngostenose  erkrankte  und  in  wenigen  Stunden  starb.  Die 
Autopsie  ergab  eine  bemerkenswerte  Anschwellung  der  Stimmbänder,  weniger 
der  aryepiglottischen  Falten,  mit  Röthung  der  Kehlkopfschleimhaut,  etwas  „mem- 
branöse  Concretion"  auf  einem  Stimmband,  die  aber  keineswegs  den  Charakter 
einer  diphtheritischen  Pseudomembran  trug.  Auch  kann  der  Ablauf  der  Ent- 
zündungserscheinungen, die  Rückbildung  der  Schleimhautanschwellung  sich 
hinausziehen,  und  ich  habe  zwei  Fälle  im  Gedächtnis,  in  denen  wochenlang 
noch  Heiserkeit,  Husten  und  rasselndes  Athemgeräusch  zurückblieb. 

Die  Diagnose  des  katarrhalischen  Croup  stützt  sich  auf  das  fast 
gleichzeitige  Auftreten  des  rauhen  bellenden  Hustens,  der  Heiserkeit  und  der 
mehr  oder  weniger  ausgesprochenen  Laryngostenose,  die  zusammen  auf  eine 
Entzündung  der  Nachbarschaft  der  Glottis  hinweisen.  Wohl  können  Fremd- 
körper, Knochenstücke,  Fragmente  künstlicher  Gebisse  und  ähnliches,  die  über 
den  Stimmbändern  eingekeilt  sind,  sehr  ähnliche  Symptome  veranlassen,  doch 
entscheidet  hier  schon  meist  die  Anamnese.  Am  wichtigsten  ist  die  Unter- 
scheidung vom  diphtheritischen  Croup.  So  sicher  nun  bei  Diphtheritisepi- 
demien  Fälle  constatirt  sind,  in  denen  die  Erkrankung  des  Pharynx  nicht 
über  die  Grenzen  des  Katarrhes  ging  und  doch  die  specifische  Infection  nach- 
weisen liess,  so  sicher  könnte  auch  im  Larynx  bei  blos  katarrhalischem 
Befund  eine  Abortivform  diphtheritischer  Infection  vorliegen,  ein  Fall,  der 
durch  Bacterioskopie  des  Auswurfes  oder  durch  Beobachtung  unzweifelhafter 
secundärer  Erkrankung  entschieden  würde.  (Vgl.  Rauchfuss  pag.  121.) 
Das  Hauptgewicht  liegt  vorerst  im  Nachweis  von  Pseudomembranen  im 
Rachen  oder  Larynx.  Sind  beide  sichtbar  —  und  die  Laryngoskopie  ist  bei 
einiger  Geduld  und  Ruhe  des  Arztes  bei  den  hilfesuchenden  Kindern  oft 
noch  möglich,  wo  es  nicht  zu  erwarten  wäre  —  so  ist  der  bacteriologische 
Nachweis  nicht  mehr  nöthig,  sind  sie  aber  blos  im  Rachen  zu  finden,  dann 
ist  es  wahrscheinlich,  dass  auch  auf  der  katarrhalisch  erkrankten  Schleim- 
haut im  Larynx  bald  die  Beläge  erscheinen  werden,  und  hier  kann  die  bac- 
teriologische Analyse  die  Diagnose  sichern.  Fehlen  charakteristische  Beläge 
im  Rachen,  so  kann  doch  Diphtherie  im  Larynx  vorliegen.  Ich  erinnere  mich 
eines  Falles  bei  einem  sechsjährigen  Mädchen,  wo  sechs  Wochen  nach  Beginn 
der  Krankheit  und  bei  längst  verschwundenen  Rachenbelägen  echter  Larynx- 
croup  auftrat,  zu  Tracheotomie  führte,  und  wo  ich  laryngoskopisch  den  Ent- 
scheid fällen  konnte.  Wo  aber  die  Laryngoskopie  unmöglich  ist  und  auch  keine 
bacteriologische  Untersuchung  aushilft,  da  sind  folgende  Anhaltspunkte  für  eine 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose  vorhanden:  Der  Beginn  der  Diphtheritis  im  Halse 
erfolgt  meist  ohne  rapide  Temperatursteigerung  oder  auffallende  Klagen  der 
Patienten,  schleichend  und  unmerkbar,  und  die  Krankheit  erreicht  ihre  Höhe 
langsam  ansteigend  ohne  wesentliche  Remission  binnen  einigen  Tagen.  Um- 
gekehrt der  Pseudocroup,  der  vielleicht  nach  einem  wenig  beachteten  Schnupfen 
in  wenigen  Stunden  die  drohendsten  Beschwerden  zeitigt,  aber  auch  durch 
eine  Wendung  zu  bleibender  Besserung  überrascht.  Auch  bei  stark  ent- 
wickelten Croupsymptomen  weist  ein  laut  tönendes  Weinen,  ein  scharfer  oder 
heller  Husteneinsatz  oder  ein  heller  Vocal,  wenn  er  auch  nur  mit  Anstren- 
gung antönt,  auf  den  katarrhalischen  Process  hin,  der  ja  in  der  Regel  das 
Stimmband,   selbst   intact  lässt  und   erst   in   der   Phase   höchst   entwickelter 


PSEUDOCROUP. 


515 


hypoglottischer  Schleimhautschwellung  die  Stimmbänder  immobil  macht.  In 
der  Larynxdiphtherie  wird  die  Stimme  stetig  heiserer  und  schliesslich  tonlos, 
in  gleichem  Maasse  der  Husten  rauher,  schliesslich  pfeifend,  wobei  der 
schwirrende  Klang  sich  verliert,  und  auch  das  Weinen  wird  lautlos.  Bei  der 
Larynxdiphtherie  nämlich  zeigt  der  Kehlkopfspiegel  anfangs  vereinzelte  matt- 
weisse  Exsudate  auf  stark  gerötheter  Mucosa,  an  der  unteren  Fläche  der 
Epiglottis,  an  der  seitlichen  und  hinteren  Kehlkopfwand,  die  Stimmbänder 
missfärbig,  mit  weissem  filzähnlichem  Ueberzug.  Dabei  sind  sie  einander 
auf  wenige  Millimeter  angenähert  und  werden  allmählich  unbeweglich,  un- 
fähig zum  genügenden  Schluss  und  zur  Vibration  bei  der  Phonation  und 
auch  im  Inspirium  nicht  mehr  erweiterungsfähig.  Auf  der  Höhe  des  Pro- 
cesses  ist  die  obere  und  die  untere  Larynxhöhle  sammt  den  Stimmbändern 
in  eine  starre  fibrinöse  Decke  eingebettet,  welche  den  Piaum  für  die  Athmung 
verengt  und  jede  Stimmgebung  unmöglich  macht.  Diese  eigenen  Beobach- 
tungen stimmen  überein  mit  den  Schilderungen  von  Rauchfuss  (1.  c.)  und 
von  Dehio  (1.  c).  Auch  Monti  betont  die  ungleichmässige  Entwicklung  der 
Symptome  im  Pseudocroup  gegenüber  derjenigen  der  Diphtherie. 

Schliesslich  deuten  Drüsentumoren  am  Halse  und  erhebliche  Albuminurie 
auf  das  Einwandern  einer  schweren  Infection  in  den  Körper,  auf  Diphtherie. 
Kleinere  Drüsen  am  Halse  kommen  bei  chronischem  Nasenrachenkatarrh  schon 
zu  Stande,  sind  somit  ohne  Beweiskraft. 

Die  Ursachen  des  Pseudocroup,  der  katarrhalischen  Laryngitis 
inferior,  sind  nicht  vollständig  bekannt,  so  wenig  als  die  des  gewöhnlichen 
Schnupfens.  Oft  beginnt  die  Krankheit  als  einfach  katarrhalischer  Process 
in  der  Nase,  wandert  dann,  unter  dem  Einfluss  einer  erneuten  Schädlichkeit 
vielleicht,  hinab  in  Schlund  und  Larynx,  und  nach  Ablauf  der  gefährlichen 
hypoglottischen  Laryngitis  kommt  der  inzwischen  erloschene  Schnupfen  wieder 
zum  Vorschein.  Auf  die  histologische  Prädisposition  der  Regio  hypoglottica 
wurde  oben  hingewiesen,  sowie  auf  die  Thatsache,  dass  dieselbe  mit  der 
Mutation  meist  verschwindet.  Auch  mag  einmaliges  Ueberstehen  des  Leidens 
zu  Recidiven  disponiren,  wie  ja  z.  B.  eine  Blepharoconjunctivitis  catarrhalis 
bei  einem  Individuum  jahrelang  auf  die  geringste  Veranlassung  zurückkehren 
kann.  Im  weiteren  kommen  bei  Kindern,  namentlich  Knaben,  die  viel  schreien 
und  rufen,  nicht  selten  spindelförmige  und  nodose  Anschwellungen  des  Stimm- 
bandsaumes vor,  blasse  Knötchen,  welche  von  der  unteren  Auskleidung  des 
Stimmbandes  als  Entzündungsproducte  oder  fast  miliare  Tumoren  gebildet 
werden  und  sich  gelegentlich  wieder  spontan  zurückbilden  binnen  einigen 
Monaten.  Wie  mein  zweiter  Fall  zeigt,  scheint  hierin  eine  Prädisposition 
für  subchordale,  acute  Laryngitis  zu  liegen.  Auch  dürfte,  wie  bei  Erwachsenen, 
so  beim  Kinde,  infolge  von  chronischer  Entzündung  der  Nasen-  und  Rachen- 
schleimhäute, namentlich  bei  bestehenden  Hypertrophien  der  Mandeln  im 
Gaumen  oder  am  Rachendache,  eine  wesentliche  locale  Disposition  gegeben 
sein.  Ein  rasches  Weiter  wandern  des  katarrhalischen  Entzündungszustandes, 
unter  dem  die  Gewebe  lähmenden  Einfluss  der  Erkältung,  vom  Rachen 
in  den  Larynx  ist  leicht  verständlich.  Beobachtet  man  doch  auch  etwa  bei 
erwachsenen  Individuen,  dass  der  Nasenkatarrh  ganz  regelmässig  in  den 
Kehlkopf  hinabsteigt,  ähnlich  wie  beim  sogenannten  Heuasthma  der  Reiz  zu- 
erst in  der  Nase  beginnt  und  dann  den  Larynx,  die  Trachea  und  Bronchien 
ergreift.  Auch  der  Keuchhusten,  der  in  der  Nase  beginnt  und  als  leichte 
Schleimhautentzündung  der  Athmungswege  mit  specifischer  Reizung  der 
Nerven  der  Mucosa  respiratoria  verläuft,  veranlasst  nicht  selten  Entzündungen 
der  Stimmbänder  und  kann  sich  auch  mit  Laryngitis  hypoglottica  compliciren, 
ebenso  die  Influenza,  wenn  sie  wesentlich  die  Athmungswege  mit  Katarrh 
befällt.    Bei  den  Masern  (vgl.  Dehio  1,  c.)  ist  es  die  specitische  Eruption 

33* 


516  PSEUDOCROUP. 

auf  den  Schleiraliäuten,  welche  eine  Laryngitis  mit  hypoglottischer  Stenosirung 
erzeugen  kann. 

Im  allgemeinen  scheinen  Kinder  mit  zarter  Haut,  empfindlichen  Schleim- 
häuten, besonders  verzärtelte  und  verwöhnte  Kinder  in  den  ersten  Lebens- 
jahren vorzugsweise  disponirt  zu  sein,  in  der  späteren  Kinderzeit  möchte  ich 
die  überfüllten  Schulen  mit  ihrem  Staub,  ihrer  Hitze  und  Zugluft  und  den 
beständigen  katarrhalischen  Ansteckungen  von  Kind  zu  Kind  verantwortlich 
machen.  Immerhin  kommen  Epidemien  von  Pseudocroup  nicht  vor.  Doch  scheint 
die  rauhere  Jahreszeit  und  wieder  plötzlich  eintretende  feuchte  Kälte  in  den 
Sommermonaten  am  häufigsten  den  Anstoss  zu  geben. 

Auch  durch  Einathmen  reizender  Dämpfe  und  Gase  (Rauchgase,  schwe- 
felige Säure)  kann  direct  Laryngitis  verursacht  werden.  (Monti.)  Nach  einer 
Zusammenstellung  von  349  Fällen  von  Laryngitis  catarrhalis,  welche  der 
nämliche  Autor  aus  den  Protokollen  der  Kinderpoliklinik  herausgehoben  hat, 
würden  auf  die  ersten  drei  Lebensjahre  bis  60 7o  fallen;  dann  käme  das  4., 
5.  und  6.  Jahr  mit  zusammen  207o  und  das  7. — 14.  Jahr  mit  ebenfalls  zu- 
sammen 20 "/o  der  Erkrankungen. 

Die  Therapie  des  Pseudocroup  hat  vorerst  den  Krankheitsanfall 
zu  bekämpfen  und  in  zweiter  Linie   die  Krankheitsdisposition  zu   beseitigen. 

Zur  Heilung  des  acuten  Kehlkopfkatarrhes  steht  uns  leider  heute  noch 
kein  Specificum  zu  Gebote,  ein  Antitoxin,  das  wir  auf  kürzestem  Wege,  etwa 
subcutan  wie  das  BEHRiNG'sche  Heilserum  gegen  Diphtheritis,  verwenden 
könnten.  Ob  gerade  schon  in  diesem  biochemischen  Mittel  auch  gleichzeitig 
gegen  acuten  Katarrh  wie  gegen  Diphtheritis  wirksame  Stoffe  enthalten  seien, 
wird  die  Zukunft  lehren.  Immerhin  ging  das  Bestreben  der  Aerzte  auch  dem 
katarrhalischen  Croup  gegenüber  dahin,  Mittel  und  Methoden  zu  seiner  Unter- 
drückung oder  „Coupirung"  zu  finden.  So  erwähnt  Monti  (1.  c),  dass  von 
verschiedenen  Seiten  die  Anwendung  des  Jaborandi  und  seines  Alkaloides 
Pilocarpin  empfohlen  worden  sei.  Unstreitig  führen  ja  beim  Erwachsenen 
subcutane  Dosen  von  20  Milligramm  Pilocarpin,  muriat.  rasch  Diaphorese, 
Salivation  und  reichliche  Bronchialsecretion  herbei,  allein  nach  Monti's  Er- 
fahrungen üben  weder  Jaborandi  noch  Pilocarpin  einen  wesentlichen  Einfluss 
auf  die  Laryngitis  aus.  Auch  zur  raschen  Beseitigung  des  gewöhnlichen  acuten 
Katarrhes  der  Erwachsenen,  sei  er  auf  die  naso-laryngealen  Schleimhäute 
beschränkt  oder  zu  grösserer  Ausdehnung  gelangt,  hat  sich  dieses  Mittel 
keinen  Eingang  erobert. 

Mehr  Berechtigung  scheint  die  Empfehlung  des  Aconit  von  Sidney 
Ringes  (Handbuch  der  Therapeutik,  übers,  von  Dr.  0.  Thamhayn,  5.  Auflage, 
Stuttgart  1877,  bei  Enke,)  zu  besitzen.  Dieser  Autor  rühmt,  wie  die  Wirkung 
in  die  Augen  falle.  Die  quälende  Dyspnoe  sei  nach  einigen  Stunden  ver- 
schwunden, das  Fieber  lasse  bald  nach:  der  sonst  3 — 4  Tage  anhaltende  Zu- 
stand könne  nach  wenigen  Stunden  gänzlich  beseitigt  sein.  Die  Tinctur  (die 
englische  benützt  1-00  Theil  Wurzel  zu  2"013  Alcohol.  rectif.,  die  schweize- 
rische z.  B.  1*00  Wurzel  zu  10*0  Percolatur)  müsse  aber  gleich  im  Beginne 
der  Erkrankung  gegeben  werden,  während  zwei  Stunden  alle  10 — 15  Minuten 
ein  halber  bis  ein  Tropfen,  in  einem  Theelöliel  Wasser,  dann  stündlich,  bei 
schwachem  Pulse  noch  kleinere  Dosen. 

Diese  warme  und  ins  Einzelne  gehende  Empfehlung  des  englischen 
Arztes  verdient  sicherlich  die  eingehendste  klinische  Prüfung,  ist  doch  der 
Aconit  bei  unseren  älteren  Praktikern  ein  beliebtes  Mittel  in  der  Kinder- 
praxis bei  acuten  Anginen,  Bronchitiden  u.  dgl.,  fast  als  ein  Specificum  gegen 
Erkältungskrankheiten  angesehen.  Wohl  ist  der  Pseudocroup  auch  bei  wenig 
eingreifender  Behandlung  von  sehr  günstiger  Prognose,  auch  ist  der  rasche 
Verlauf  desselben  nicht  dafür  geeignet,  dass  viele  Fälle  in  das  Spital  ge- 
bracht  und    einer   methodisch-klinischen   Beobachtung   unterworfen   werden. 


PSEUDOCROUP.  517 

Ferner  ist  die  empfohlene  Pflan/e  selbst  von  variirendem  Werte  und  auch 
das  Alkaloid  noch  so  wenig  zuverlässig,  dass  Flügge  (Die  wichtigsten  Heil- 
mittel etc.  etc.,  Jena  1886,  bei  G.  Fischer)  den  Gebrauch  des  Aconitins  als 
Heilmittel  für  ein  gefährliches  Unternehmen  hält.  Dennoch  konnte  ich,  als 
ich  auf  Empfehlung  eines  befreundeten  Apothekers  anstatt  der  machtlosen 
Tinct.  aconiti  e  foliis  die  Muttertinctur  der  Homöopathen,  die  sogenannte 
Tinct.  aconiti  genevens.,  bei  einer  Erwachsenen  anwandte,  die  an 
acuter  febriler  Tracheobronchitis  litt,  und  wieder  in  einem  Falle  von  acutem 
Rheumatismus  des  Muse,  deltoides,  schon  von  einem  Zehntel  Tropfen,  viertel- 
stündlich gegeben,  eine  prompte  Wirkung  beobachten.  Der  Puls  verlor  nach 
3 — 4  Dosen  an  Frequenz  und  Härte,  die  Ptespiration  wurde  langsamer  und 
tiefer,  der  Husten  wurde  feucht,  es  trat  Schweiss  auf,  und  im  zweiten  Falle 
Hessen  die  rheumatischen  Schmerzen  rasch  nach.  Hätten  wir  ein  sicheres, 
leicht  zu  dosirendes  Aconitpräparat,  so  wäre  dasselbe  im  Begiane  des  acuten 
Larynxkatarrhes  mit  Recht  zu  versuchen. 

Immerhin  besitzen  wir  in  den  modernen  antipyretischen  Mitteln,  Anti- 
pyrin,  Phenacetin,  Malakin,  Antifebrin,  wobei  ich  dem  ersten  den  Vorzug  gebe, 
Stoffe,  deren  Anwendung  weniger  unsicher  und  gefährlich  ist  und  die  durch 
ihre  gleichzeitig  transspiratorische  und  anticongestive  Wirkung  in  den  ersten 
Stadien  des  katarrhalischen  Croup  von  grösstem  Werte  sind.  Erst  in  einem 
der  letzten  Winter  sah  ich  davon  bei  einem  vierjährigen  Mädchen,  das  im 
Keuchhusten  von  stridulösem  Kehlkopfkatarrh  und  nachfolgender  Bronchitis 
befallen  wurde,  prompten,  günstigen  Einfluss,  von  10  Centigraram  Antipyrin 
1 — 2stündlich  in  Lösung. 

Noch  häufiger  geübt  werden  wohl  die  alten,  schweisstreibenden  Methoden, 
um  den  katarrhalischen  Process  zu  unterbrechen:  Warme  Aufgüsse  von  Linden- 
blüthen,  von  Wollblumen,  Holder,  Eibisch,  warme  Milch  mit  Selters-  oder 
Emser- Wasser,  Infus,  ipecac,  Pulv.  Doweri  u.  a.,  bei  gleichzeitigem  Auf- 
enthalt in  warmer  feuchter  Luft,  ferner  die  Anwendung  von  Bettdampf- 
apparaten. Auch  werden  Gefässe  mit  dampfendem  Wasser  an  die  Betten  ge- 
stellt, die  Kinder  sorgfältig  verhindert,  auf  einem  kalten  Boden  zu  sitzen,  im 
Schlafe  geweckt,  um  den  trockenen  Schlund  mit  warmem  Getränk  anzu- 
feuchten u.  dgl. 

Zur  Unterstützung  dieser  Allgemeinbehandlung  w'erden  örtliche  Mittel 
beigezogen,  die  theils  aussen  über  dem  Kehlkopfe,  theils  direct  mit  der  In- 
spirationsluft auf  der  kranken  Schleimhaut  zur  Wirkung  gelangen.  Zu  den 
ersteren  gehört  die  Blutentziehung  auf  der  vorderen  Halsregion  mittelst  Blut- 
egeln, von  denen  wir  am  sichersten  und  schnellsten  eine  Herabsetzung  der 
Schleimhautentzündung  in  dem  nahe  gelegenen  Organ  erwarten  sollten. 
MoNTi  nennt  diesen  Eingriff  jedoch  wirkungslos  nach  seiner  Erfahrung, 
Rauchfuss  unnütz  oder  schädlich,  und  auch  ich  möchte  ihn  für  die  wenigsten 
Fälle  anempfehlen. 

Auch  die  Anwendung  der  Kälte  wird  nicht  von  allen  Autoren  gerühmt. 
Gerhardt  (Lehrb.  der  Kinderkrankh.,  Tübingen  1874,  bei  Laupp)  erörtert, 
dass  kalte  Umschläge  und  Eisgurgelwasser  die  Hyperämie  und  Exsudation  im 
Larynx  am  ehesten  vermindern  werden,  v.  Ziemssen  (1.  c.)  empfiehlt  Eis- 
beutel und  Eisschlucken,  und  in  der  That  wirkt  beim  Erwachsenen  eine  oft 
gewechselte  kaltnasse  Compresse  auf  dem  Halse  sehr  wohlthätig  gegen  Wund- 
gefühl und  Brennen  bei  acuter  Laryngitis,  ohne  dass  damit  der  Process  cou- 
pirt  würde.  Monti  dagegen  hat  von  der  Kälte  entweder  keine  oder  nur 
nachtheilige  Wirkung  beobachtet  und  empfiehlt  ausschliesslich  feuchte  Wärme 
durch  warme  PRiESSNiTz'sche  Einwickelungen  oder  durch  Cataplasmen. 
Trousseau  (1.  c.)  erklärt,  „der  falsche  Croup  heilt  von  sich  aus"  und  em- 
pfiehlt seinen  Schülern  die  Behandlung  von  Grates,  nach  welcher  ein 
Schwamm   in  so  heissem  Wasser,   als   der  Patient   erträgt,  ausgedrückt  und 


518  PSEUDOCROUP. 

dem  Patienten   unter    dem  Kinn    auf   dem    Brustbein   gehalten    wird,    öfter 
wiederholt,  10—15  Minuten  lang. 

Ich  liess  den  Schvamm  durch  Flanellbinden  sorgfältig  zuwickeln  und 
fand  diese  Methode  kürzlich  sehr  angenehm,  einfach  und  wirksam.  Ich  bin 
der  Meinung,  dass  bei  einigermaassen  vorgeschrittenen  Symptomen  die  Kälte 
zu  spät  kommt  und  dass  die  Wärme  bei  den  Kindern  in  der  Regel  den  Vor- 
zug verdient. 

Auch  Sinapisuien  auf  dem  Halse,  ja  selbst  bei  ganz  sicherer  Diagnose 
die  Anwendung  von  Blasenpflastern,  Collodium  cantharidatum  in  sehr  ernsten 
Fällen  sind  berechtigte  Mittel.  Rauchfuss  ist  in  solchen  Fällen  zur  ener- 
gischen Inunctionscur  mit  Unguent.  einer,  merc.  geschritten.  In  meinem 
dritten  Falle,  wo  es  sich  um  eine  Erwachsene  und  um  sehr  langsamen  Ver- 
lauf handelte,  leistete  mir  ein  Vesicans,  das  ich  einige  Tage  unterhalten 
liess,  gute  Dienste. 

Direct  auf  die  erkrankte  Mucosa  laryngea,  auf  Entspannung  der  prall  ent- 
zündeten Schleimhaut,  Verminderung  ihrer  Trockenheit,  vermehrte  Secretion 
derselben  zielen  eine  Reihe  von  Mitteln,  die  bei  älteren  Kindern  vermittelst 
Dampfinhalationsapparaten  nach  Siegele,  oder  mit  Handsprayapparaten  nach 
Schnitzler  angewandt  werden.  Für  die  ersten  Kinderjahre  passen  eher 
Wasserdämpfe  aus  Gefässen,  die  am  Bettrande  stehen.  Für  den  SiEGLE'schen 
Apparat  empfiehlt  Rauchpuss  Lösungen  von  Natr.  bicarb.  V2  7o'  Borax  V2%i 
Glycerin  lO^o,  Carbolsäure  0-25— O'S^o,  Monti  Alaun  l7o,  Acid.  boric  1%, 
Natr.  benzoic.  S^o,  Kali  chloric.  l^o  "^it  Natr.  bicarb.  l^^  oder  Terpentin 
20 — 30  Tropfen  auf  heissem  Wasser  eingeathmet.  Auch  Schrötter  hält  viel 
von  Ol.  pini  pumil,  in  gleicher  Weise  angewendet. 

Ganz  besonders  ist  hier  Cocain  mur.  0*1  bis  0-5  auf  100*0  wegen  seiner 
anämisirenden  und  abschwellenden  Wirkung  zu  erwähnen,  auch  Menthol,  das 
allerdings  schwächer  wirkt,  und,  als  ölige  Emulsion  angewandt,  die  Secrete 
in  der  Glottis  eher  aufweicht.  Bei  älteren,  willigen  Kindern  und  bei 
Erwachsenen  wäre  eine  ö^/oige  Cocainlösung  mit  der  Kehlkopfspritze  direct 
einzubringen. 

Wird  auch  mit  diesen  örtlichen  Mitteln  der  zunehmenden  Laryngostenose 
nicht  Einhalt  gethan,  wie  z.  B  in  meinem  zweiten  Falle,  dann  bleibt  als 
mächtigstes  Expectorans  noch  das  Emeticum  zu  verwenden,  das  mir  auch 
dort  die  grössten  Dienste  geleistet  hat.  Während  dasselbe  im  Beginne  des 
Processes  oft  fruchtlos  und  zum  Nachtheil  der  Kräfte  der  Patienten  ver- 
schrieben wird,  hat  es  in  der  Höhe  der  Krankheit  als  ultimum  refugium  seine 
volle  Berechtigung.  Rasch  treten  Ausscheidungen  in  den  Schleimhäuten  auf 
und  mit  ihrer  gewaltsamen  Entleerung  ein  zauberhafter  Nachlass  der  Laryngo- 
stenose. Ich  verwandte  bei  dem  7jährigen  Knaben  (2.  Fall)  Tart.  stib.  0*1 
mit  P.  ipecac.  l'O  auf  vier  Theile,  wovon  drei  Theile  genommen  wurden. 
MoNTi  empfiehlt  Tart.  stib.  0*1  auf  30-0  Linctus  gummös.,  in  zwei  Theilen 
binnen  15  Minuten  zu  nehmen,  für  einjährige  Kinder;  oder  06 — 1*0  Ipecac. 
auf  50*0  Infus.  Auch  wurde  Apomorphin.  muriat.  verwendet,  nach  v.  Dusch 
für  Kinder  von  drei  Monaten  V2 — ^U  '^''W^  ^on  zwölf  Monaten  ^/g — IV2  '^W-> 
bis  fünf  Jahren  Vj^ — 3  mgr^  bis  zehn  Jahren  3 — 5  mgr,  in  subcutaner  Injec- 
tion.  Doch  hat  Monti  das  Apomorphin  sowohl  als  Brechmittel,  als  auch  als 
Expectorans  aufgegeben,  weil  ihn  seine  Versuche  nicht  befriedigten,  und  dafür 
das  Kalium  jodatum  als  wirksam  erprobt.  In  der  That  sind  die  kleinen 
Dosen  und  die  schweren  Collapsuszustände,  welche  nach  der  Verwendung  von 
Apomorphin  oft  folgen,  sehr  zu  beachten. 

Zur  grössten  Seltenheit  kommt  es  nach  den  Berichten  der  Autoren  zu 
Tracheotomie  im  Pseudocroup.  Trousseau  (1.  c.)  erwähnt  einen  glücklich 
operirten  Fall,  Rauchfuss  den  Fall  von  Scouletten,  der  seine  sechs  Wochen 


PYEME  DER  NASENNEBENHÖHLEN.  519 

alte  Tochter  dadurch  rettete.  Unbedingt  wäre  hier  die  Tubage  nach  O'Dwyer 
von  grösstem  Werte,  da  die  Krankheit  von  sich  aus  zu  raschem  Ablauf  neigt. 
Um  die  Anlage  zu  liecidiven  zu  beseitigen,  müssen  in  relativ  gesunden 
Tagen  die  localen  und  allgemeinen  Dispositionen  beseitigt  werden,  die  Resi- 
duen von  Stimmbandentztindungen,  die  chronischen  Nasenrachenkatarrhe,  die 
Hypertrophien  der  adenoiden  Gebilde  am  Kachendach,  der  Gaumentonsillen 
u.  s.  w.  Durch  viel  Aufenthalt  in  frischer  Luft,  Abwaschungen,  Bäder, 
namentlich  habituelle  Seebäder,  Salzbäder  ist  Abhärtung  und  durch  richtige 
Kleidung  u.  a.  Schutz  vor  überraschenden  Temperaturwechseln  zu  erzielen. 

KUD.    MEYER. 

Pyeme  der  Nasennebenhöhlen.  Die  Pyeme  der  Nasennebenhöhlen 
entstehen  meistentheils  aus  acuter,  katarrhalischer,  eitriger  Entzündung,  nicht 
immer  muss  jedoch  letztere  vorausgegangen  sein,  da  sich  die  Pyeme  auch 
schleichend  entwickeln  können,  und  von  allem  Anfang  an  den  Charakter  einer 
chronischen  Eiterung  zeigen. 

Aetiologie.  Die  acute  Entzündung  der  Nebenhöhlen  tritt  häufig 
als  Complication  der  Pihinitis  acuta  auf  und  die  Secretansammlung  in  den 
Nebenhöhlen  ist  sehr  häufig  die  Ursache  jener  lebhaften  Kopfschmerzen  und 
Neuralgien,  die  die  acute  Coryza  so  häufig  begleiten.  Selbstverständlich  ist 
es  nicht  allein  die  als  Schnupfen  bekannte  Atfection  der  Nasenschleimhaut, 
welche  zu  einer  Nebenhöhlenerkrankung  führen  kann,  sondern  auch  alle  jene 
Entzündungen,  die  im  Gefolge  der  Influenza,  der  acuten  Exantheme  und  der 
übrigen  Infectionskrankheiten  auftreten,  können  zu  einer  secundären  Nasen- 
höhlenerkrankung Veranlassung  geben. 

Welche  Ursache  eine  acute  Nebenhöhlenerkrankung  zu  einer  chro- 
nischen macht,  ist  nicht  vollkommen  klargestellt,  ebensowenig  ist  es  bekannt, 
aus  welchen  Gründen  acute  Entzündungen  der  Schleimhaut  oft  trotz  sorg- 
fältigster Behandlung  chronisch  werden.  Bei  den  Nebenhöhlenerkrankungen 
hat  man  speciell  die  Secretstauung  für  das  „Chronischwerden"  beschuldigt, 
obwohl  mit  viel  mehr  Berechtigung  specielle,  anatomisch-histologische  Ver- 
änderungen der  Schleimhaut  und  das  Wachsthum  von  Mikroorganismen,  die 
oft  accidentell  zur  Entwicklung  gelangen,  eine  wichtige  Rolle  spielen. 

Symptomatologie.  Gewisse  Erscheinungen  sind  sämmtlichen  Neben- 
höhlenempyemen  gemeinsam: 

1.  Die  Pyorrhoea  nasalis  (Eiterausfluss  aus  der  Nase).  Dieselbe 
tritt  periodisch  zu  gewissen  Zeiten  auf,  zuweilen  nur  bei  Rückenlage,  ist 
meist  einseitig,  hat  eine  zuweilen  grüngelbe  {pus  bonum  et  laudabUe),  zu- 
weilen auch  zähschleimige,  klumpige  Eiterballen  mit  sich  führende  Be- 
schaffenheit. 

2.  Das  Auftreten  von  Fibromen  an  den  von  Secret  bedeckten  Stellen, 
das  sind  kleine  gestielte  Tumoren,  die  meist  eine  gelatinöse  Beschaffenheit 
zeigen;  in  dem  Winkel  zwischen  ihren  Oberflächen  mit  der  Schleimhaut  stockt 
der  Eiter. 

3.  Nasenblutungen,  die  theils  spontan,  theils  durch  äussere  Ver- 
anlassung (Schneuzen,  Kratzen,  Instrumente)  eintreten. 

4  Kopfschmerz.  Eines  der  wichtigsten  Symptome  der  Nasenneben- 
höhlenempyeme,  da  diese  Erscheinung  es  oft  ist,  welche  die  Patienten  zum  Aizt 
führt,  so  dass  das  Symptom  Kopfschmerz,  wenn  keine  Ursache  hiefür  auf- 
findbar, immer  den  Verdacht  eines  latenten  Nebenhöhlenempyems  erwecken 
soll.  Der  Kopfschmerz  ist  nicht  immer  derselbe,  d.  h.  er  ist  constant  gleich 
stark,  was  mit  dem  Secretabfluss,  resp.  dem  Füllungszustand  der  Höhle  in 
Zusammenhang  steht. 

5.  Störungen  des  Geruches,  welcher  sich  besonders  in  Form  von 
subjectiven,  üblen  Geruchsempfindungen  äussert. 


520  PYEME  DER  NASENNEBENHÖHLEN. 

Diagnose.  Die  Diagnose  eines  Nebenhöhlenempyemes  kann  nur  durch 
directen  Nachweis  des  Eiters  sichergestellt  werden.  Hiezu  dienen  specielle 
Untersuchungsmethoden. 

Soviel  sei  im  allgemeinen  über  die  Nebenhöhlenempyeme  gesagt.  Einzel- 
heiten werden  im  nachfolgenden,  speciellen  Theil  besprochen  werden. 

A.  Kieferhölileiiempyem. 

Das  Empyem  der  Kieferhöhle  kommt  am  häufigsten  als  Folgezustand  von 
Zahnerkrankungen  vor.  Als  typisches  Symptom  des  Kieferhöhlenempyems 
werden  bezeichnet:  1.  Auftreibung  des  Oberkiefers  und  Verdünnung  seiner 
Wandung.  Die  Palpation  der  Fossa  canina  ergibt  das  Gefühl  des  Pergament- 
knitterns.  2.  Schwellung  der  Wange.  3.  Vermehrter  Eiterausfluss  bei  Lagerung 
auf  der  entgegengesetzten  Seite.  4.  Infraorbitalneuralgie.  Die  beiden  letzt- 
genannten Symptome  können  auch  bei  Empyem  der  Stirnhöhle  und  der  vor- 
deren Siebbeinzellen  bestehen,  aber  auch  die  beiden  erstgenannten  Symptome 
können  nicht  vorhanden  sein  (Ziem).  Das  constanteste  Symptom  des  Kiefer- 
höhlenempyems ist  der  Uebertritt  von  Eiter  in  den  mittleren  Nasengang, 
von  wo  er  einen  weiteren  W>g  zur  unteren  Muschel,  dem  Nasenboden  und  bei 
Rückenlage  in  den  Nasenrachenraum  nimmt.  Die  Eiteransammlung  erkennt 
man  am  besten  durch  Sondirung  des  infundibularen  Ostiuras  der  Kiefer- 
höhle. Man  geht  mit  einer  geknöpften,  an  ihrem  Ende  rechtwinklig  abge- 
bogenen Nasensonde  in  den  mittleren  Nasengang  ein  und  sucht  ins  Infundi- 
bulum  einzudringen.  Gelingt  es  durch  Sondirung  nicht,  den  Eiter  nachzu- 
weisen, so  muss  man  eine  Probeausspülung  mittels  des  von  Hartmann  ange- 
gebenen Apparates  vornehmen.  Eine  weitere  für  die  Punction  der  Kieferhöhle 
geeignete  Gegend  ist  der  Alveolar fortsatz.  Von  den  Alveolen  der  vor- 
deren beiden  Molarzähne  gelangt  man  leicht  in  die  Kieferhöhle.  Sind  die 
Zähne  gesund,  so  geht  man  durch  den  Spalt  zwischen  Praemolaris  II  und 
Molaris  I  mittels  eines  Bohrers  ein.  Ist  einer  der  Molarzähne  cariös,  so  kann 
man  den  Zahn  extrahiren  und  von  dort  aus  in  die  Kieferhöhle  eindringen. 

Therapie.  Um  die  Eiterung  in  der  Kieferhöhle  therapeutisch  durch 
Ausspülungen,  Einblasungen  von  antiseptischen  Pulvern  zu  beeinflussen,  muss 
man  sich  einen  Zugang  zu  derselben  verschaffen. 

Zu  diesem  Zwecke  wählt  man  ein  Verfahren,  welches  die  Kieferhöhle 
möglichst  gut  zugänglich  macht.     Als  solche  sind  in  Gebrauch 

1.  das  Verfahren  von  Krause.  Derselbe  stosst  einen  Troicart  vom  un- 
teren Nasengang  aus  in  die  Kieferhöhle,  entfernt  das  Stilet  und  kann  nun 
durch  die  Kanüle  Ausspülungen,  resp.  Pulvereinblasungen  vornehmen; 

2.  das  Verfahren  von  Cooper.  Bei  demselben  wird  die  Kieferhöhle  vom 
Alveolarfortsatz  aus  angebohrt; 

3.  das  Verfahren  von  Küster.  Ein  Schleimhautperiostlappen,  dessen 
Basis  von  Praemolaris  I  bis  zum  Molaris  I  reicht,  wird  abpräparirt,  nach 
aufwärts  geschlagen  und  die  Höhle  mit  einem  Meissel  eröffnet.  Die  eröffnete 
Höhle  wird  mit  Jodoformgaze  tamponirt  und  die  Tamponirung  alle  3 — 4 
Tage  erneuert. 

B.  Das  Siebbeiiizelleiiempyem. 
Das  Siebbeinzellenempyem  kann  durch  primäre  Nasenschleimhauteite- 
rungen und  durch  Abscesse  innerhalb  der  Schädelkapsel,  der  Kieferhöhle  und 
der  Orbita  veranlasst  werden.  Beim  Empyem  der  Vorderzellen  erscheint 
der  Eiter  im  mittleren,  bei  dem  der  hinteren  im  oberen  Nasengange. 
Der  Kopfschmerz  localisirt  sich  im  wesentlichen  in  der  Stirngegend  und  der 
Nasenwurzel.  Druck  auf  letztere  löst  Schmerzen  aus.  Das  Siebbeinempyem 
ist  häufig  mit  Caries  des  Knochens  combinirt.  Zur  Sicherstellung  der  Dia- 
gnose dringt  man  mit  der  Sonde  in  den  mittleren  Nasengang  und  zwischen 
mittlerer  Muschel  und  Septum   hinauf  ein.     Beim  Siebbeinzellenempyem   ist 


PYORRHOEA.  NASALIS.  521 

man  häufig  gezwungen,  krankhaft  wuchernde  Granulationen  und  fibröse  Gallert- 
geschwülstchen  mit  dem  scharfen  Löffel  auszukratzen,  hieran  schliesst  sich 
die  Ausspülung  des  Operationsfeldes  und  die  Einpul verung  mit  Jodoform- 
pulver. 

C.  Das  Stirnbeiiihöhlenempyem. 

Dasselbe  hat  dieselbe  Ursache  als  das  Empyem  der  Siebbeinzellen.  Der 
Eiter  erscheint  bei  demselben  im  mittleren  Nasengang.  Häufig  ist  die  Nasen- 
wurzelgegend äusserlich  verdickt,  geröthet.  Die  Sondirung  der  Stirnhöhle 
geschieht  entweder  vom  mittleren  Nasengang  oder  durch  eine  künstliche 
Oeffnung  vom  Boden  der  Stirnhöhle  aus.  Schäffer  beschreibt  folgendes  Ver- 
fahren: Will  ich  den  Sinus  frontalis  sondiren,  resp.  suche  den  Sitz  des  Leidens 
in  ihm,  so  gehe  ich  mit  einer  festen,  aber  biegsamen  Messingsonde  von  2  imn 
Dicke  —  Silbersonden  sind  viel  zu  weich  und  biegsam  und  dadurch  unbrauch- 
bar —  nach  vorheriger  Cocainisirung  der  Weichtheile  entlang  dem  Nasenrücken 
zwischen  Septum  und  mittlerer  Muschel  direct  nach  der  Stirn  zu  in  die  Höhe. 
Bald  hört  man  ein  leises  Knistern,  wie  vom  Zerbrechen  feiner  Knochenplättchen, 
fühlt  ab  und  zu  einen  stärkeren  Widerstand,  schiebt  aber  die  Sonde  weiter 
vor  und  hat  zuletzt  das  Gefühl,  in  einen  Hohlraum  gelangt  zu  sein,  dadurch, 
dass  die  Sonde  plötzlich  rascher  vorwärts  schlüpft. 

Die  Therapie  besteht  in  Ausräumung  der  Wucherungen  mit  dem 
scharfen  Löffel  und  Ausschabung.  Zuweilen  ist  jedoch  die  Eröffnung  der 
Höhle  von  aussen  nothwendig.  (Hautschnitt  längs  des  Supraorbitalrandes, 
Abtrennung  des  Periostes,  Durchmeisselung  der  Vorderwand.) 

D.  Das  Keilbeinhöhlenempyem. 

Es  entsteht  nicht  blos  fortgeleitet  von  Nachbareiterherden,  sondern  auch 
metastatisch;  der  Eiter  fliesst  über  die  Vorderfläche  des  Keilbeines  auf 
den  Fornix  pharyngis  und  auf  die  hinteren  Enden  der  oberen  und  mittleren 
Muschel. 

Zur  Sondirung  der  Keilbeinhöhlen  führt  man  eine  Sonde  in  der  Rich- 
tung einer  Linie,  welche  vom  hinteren  Rand  des  Nasenloches  am  Septum 
entlang  zur  Mitte  der  mittleren  Muschel  zieht.  Die  Therapie  ist  gleich 
der  des  Siebbeinzellenempyems. 

Pyorrhoea  nasaiiS.  Bei  zahlreichen  pathologischen  Zuständen  im 
Bereich  der  Nasenhöhlen  und  ihrer  Adnexa  enthält  das  Secret  so  reichlich 
Eiterzellen,  dass  diese  das  makroskopische  Aussehen  des  Secrets  mitbestimmen. 
Es  wird  bei  massigen  Graden  der  Eiterbeimengung  schleimig-eitrig,  bei 
höheren  Graden  tritt  der  Schleimgehalt  in  den  Hintergrund,  und  wir  sprechen 
schlechthin  von  einem  eitrigen  Secret. 

Wird  eitriges  oder  schleimig-eitriges  Secret  in  stark 
vermehrter  Menge  abgesondert,  so  nennen  wir  diese  Erschei- 
nung Pyorrhoea  nasalis.  Sie  bezeichnet,  wie  nochmals  betont  werden 
soll,  keine  selbständige  Erkrankung,  sondern  sie  ist  ein  Symptom  sehr  zahl- 
reicher Erkrankungen. 

Man  wähnte  früher,  dass  Eiterabsonderung  in  der  Nase  immer  durch 
eine  diffuse,  eitrige  Entzündung  der  Nasenschleimhaut  {Bhinitis  pundenta) 
hervorgerufen  werde.  Neuere  Beobachtungen  haben  gelehrt,  dass  diese  An- 
nahme irrig  ist.  Naseneiterungen  beruhen  mit  wenigen  xlus- 
nahmen  immer  auf  circumscripten  Erkrankungen  der  Nasen- 
höhle selbst  oder  der  Nebenhöhlen.  Solche  sind:  1.  ülcerationen 
jeder  Art,  seien  sie  nun  durch  Traumen  oder  durch  Fremdkörper  oder  Nasen- 
steine erzeugt,  oder  seien  sie  durch  Zerfall  von  infectiösen  Granulomen  (tuber- 
kulösen [lupösen],  syphilitischen  [Gummiknoten],  rotzigen,  leprösen)  entstanden 
oder  endlich  durch  localisirte  Einwirkung  von    eiter-    und  fäulniserregenden 


522  EACHEN-MÜNDHÖHLE. 

Mikroorganismen,  wozu  bei  Eiterretention  die  Bedingungen  gegeben  sind; 
2.  Ab  sc  esse,  die  spontan  aufbrechen  oder  künstlich  eröffnet  werden,  3.  die 
Nebenhöhlenempyeme.  Diese  nehmen  unter  allen  Ursachen  der  Nasen- 
eiterung den  ersten  Platz  ein.  (s.  o.) 

Gegen  die  genannten  Processe  treten  die  diffusen,  eitrigen  Erkrankungen 
der  Nasenschleimhaut,  die  wir  im  Artikel  „Rhinitis"  besprechen,  ihrer 
Seltenheit  wegen  ganz  in  den  Hintergrund. 

Ueber  das  Aussehen  des  Secrets,  seine  Menge  und  sonstigen  Eigen- 
schaften, über  die  Art  seiner  Absonderung  und  andere  Einzelheiten  geben  die 
betreffenden  Artikel  näheren  Aufschluss.  zarniko. 

Rachen  -  Mundhöhle.  Der  Eingangstheil  des  Verdauungscanales  wird 
durch  zwei  hinter  einander  gelagerte  Höhlen  und  einen  Canal  gebildet;  die 
Höhlen   sind:  die  Mund-  und  Rachenhöhle;  der   Canal  ist  die  Speiseröhre, 

Mundhöhle.  Die  erste  Höhle  oder  Mundhöhle  (Cavum  oris)  wird  durch 
die  Kiefer  und  Zähne  in  einen  vorderen  Theil  oder  Vorhof  (Vestibulum  oris) 
und  einen  hinteren  Theil  oder  die  eigentliche  Mundhöhle  getrennt. 
Der  Vorhof  ist  der  Empfangstheil  der  Verdauungsorgane;  die  Zähne  mit  den 
Kiefern,  Kiefergelenken  und  Muskeln  bilden  einen  Kauapparat;  die  hier  ge- 
lagerten Drüsen  umgeben,  verdünnen  und  bewirken  eine  Veränderung  der 
Speisen,  die  zur  ihrer  Verdauung  beiträgt;  die  in  der  Mundhöhle  gelagerten 
Theile  nehmen  Antheil  an  der  Bildung  des  Speisebreies  und  Sprache;  endlich 
ist  hier  der  Anfangstheil  des  Geschmackorganes  und  des  Schlingapparates 
gelagert. 

Der  Vorhof  der  Mundhöhle  ist  von  der  inneren  Fläche  der  Backen- 
wände, den  Lippen  und  den  vorderen  Flächen  der  Kiefer  und  Zähne  begrenzt. 
Vorne  führt  zum  Vorhofe  die  Mundöffnung  (Fissura  oris  s.  os),  die  durch 
eine  obere  und  untere  Klappe  oder  Lippe  (Labia)  umgrenzt  ist.  Die  obere 
Klappe  oder  Oberlippe  (Labium  superius)  ist  länger  und  steht  stärker  hervor 
wie  die  untere  Klappe  oder  Unterlippe  (Labium  inferius).  Die  obere  unter- 
scheidet sich  durch  eine  Mittelfurche  {Philtrum)  in  der  Mitte  ihrer  äusseren 
Fläche;  die  Schleimhaut  der  Oberlippe  ist  durch  eine  scharfe  Trennungslinie 
von  der  äusseren  Haut  geschieden.  Diese  Linie  ist  in  verschiedene  Grade 
gebogen  und  scharf  bei  den  verschiedenen  Nationen,  je  nach  der  Zahl  der 
Lippenlaute,  die  in  der  Sprache  enthalten  sind.  Bei  den  südlichen  Völkern, 
wie  Italiener,  Spanier,  Franzosen,  sind  die  kleinen  dünnen  Lippen  durch 
einen  wenig  vorspringenden  und  wenig  gebogenen  Rand  begrenzt,  da  ihre 
Sprache  reich  an  Vocalen  ist  und  wenig  Lippenlaute  enthält;  während  bei 
den  nördlichen  Völkern,  wie  Engländer,  Finnen  u.  s.  w.,  grosse  dicke  Lippen 
mit  gebogenem  und  vorspringendem  Rande  vorherrschen.  Die  Mundöffnung 
bildet  beiderseits  etwas  vertiefte  Winkel  {Anguli  s.  Commissurae  oris). 

Die  Oberlippe  ist  an  der  äusseren  Fläche  mit  Haut  bedeckt;  die  Basis 
dieser  Lippe  ist  durch  die  Oberlippennasenfurche  {Sulcus  nasolabialis)  von 
der  Backe  getrennt,  die  Furche  geht  vom  Seitentheile  der  Nasenflügel  ge- 
bogen nach  aussen  und  unten  bis  zur  Fläche  der  Mundwinkel.  In  der  Mitte 
der  äusseren  Fläche  der  Lippe  ist  eine  verticale  Mittelfurche  —  das  Philtrum, 
die  durch  zwei  Leisten  begrenzt  ist.  Die  Leisten  sind  die  Nahtstellen  der 
fötalen  Spaltung  der  Oberlippe  und  der  beiden  Oberkieferknochen.  Als  Hem- 
mungsbildung kann  eine  einseitige  oder  beiderseitige  Spaltung  der  Lippe  oder 
der  Kieferknochen  beobachtet  werden,  das  sind  die  sogenannte  Hasenscharte 
und  der  Wolfsrachen.  Die  Haut  der  Lippe  ist  von  mehr  und  weniger  starkem 
Haar  bedeckt,  welches  den  Schnur-  oder  Schnauzbart  {Mystax)  bildet. 

Die  Unterlippe  ist  verhältnismässig  weniger  vorspringend,  das  Rothe 
der  Lippe  ist  weniger  scharf  begrenzt.  Sie  ist  durch  eine  quere,  verschieden 
tief  ausgeprägte  Kinnlippenfurche  {Sulcus  mentolabialis)  vom   vorspringenden 


RACHEN-MUNDHÖHLE.  523 

Kinne  getheilt.  Die  Haut  der  Unterlippe  ist  ebenso  wie  die  der  Oberlippe  mit 
Haaren  bedeckt,  die  bei  stärkerem  Wachsthume  den  Kinnbart  {Barha)  bilden. 

Das  Gewebe  der  Lippen  bildet,  von  aussen  nach  innen  betrachtet,  fol- 
gende Schichten:  1.  Haut,  2.  Muskellage,  3.  Schleimdrüsen,  4.  Schleimhaut. 
Die  unter  der  Haut  gelagerte  Muskellage  bildet  einen  Ergreifungs-  und  Schliess- 
apparat  der  Mundöffnung.  Der  Mechanismus  dieses  Apparates  besteht  darin, 
dass  beim  Eröffnen  des  Mundes  die  Unterlippe  etwas  gehoben  bleibt  und  eine 
seichte  Unterlage  bildet,  während  die  Oberlippe  aufgehoben  wird.  Beim  Er- 
greifen der  Speise  drückt  die  herabgezogene  Oberlippe  auf  das  Ergriffene  und 
rückt  letzteres  auf  den  Zahnrand.  Beim  Ausspeien  der  Speise  oder  des 
Inhaltes  der  Mundhöhle  wird  die  Oberlippe  etwas  aufgehoben  und  die  Unter- 
lippe herabgezogen,  so  dass  die  Innenfläche  der  Lippe  eine  schiefe,  nach  unten 
gerichtete  Ebene  bildet;  oder  es  wird  einer  der  Mundwinkel  herabgezogen, 
so  dass  sich  eine  trichterförmige  Furche  als  Abzugscanal  ausbildet,  längs 
der  der  Inhalt  leicht  abfliesst  oder  herausbefördert  wird.  Diese  Muskel- 
apparate wirken  auch  beim  Mechanismus  des  Saugens,  der  nicht  angeboren 
ist,  sondern  erst  vom  Neugeborenen  erlernt  werden  muss.  Dieser  Mechanis- 
mus besteht  darin,  dass  die  Warze  der  Milchdrüse  von  den  Lippen  hermetisch 
dicht  umfasst  wird,  wobei  die  Unterlippe  die  Unterlage  des  umfassten  Theiles 
bildet.  Zu  gleicher  Zeit  wird  durch  die  Contraction  der  Backenmuskel  die 
Luft  aus  dem  Vorhofe  ausgepresst  und  mit  der  ausgeathmeten  Luft  durch 
die  Nasenhöhle  entfernt.  Diese  Drukverhältnisse  bewirken,  dass  durch  Wir- 
kung des  Luftdruckes  auf  die  Milchdrüse  der  Inhalt  dieser  Drüse  in  die 
Mundhöhle  ergossen  wird.  Die  erste  Arbeit  des  Neugeborenen  besteht  in 
gleichzeitiger  Contraction  der  hier  bezüglichen  Muskelapparate,  was  erlernt 
werden  muss. 

Diese  Mechanismen  des  Ergreifens  und  Saugens  werden  von  den  die 
Mundöffnung  umgebenden  Muskeln  und  ihren  Antagonisten  vollführt.  Der 
Schliessmuskel  des  Mundes  {Sphinder  oris)  enthält  keine  Kreisfasern, 
sondern  ist  grösstentheils  eine  Fortsetzung  seiner  Fasern  der  Backenmuskeln 
(ilf.  huccinator).  Dieser  letztere  liegt  in  der  seitlichen  Backenwand;  er  ent- 
springt von  einem  Sehnenstreifen,  der  zwischen  Ober-  und  Unterkiefer  hinter 
dem  letzten  Backenzahne  gelegen  ist.  Nach  hinten  von  diesem  Streifen  gehen 
Bündel  des  oberen  Schlundkopfschnürers,  nach  vorn  Bündel  des  Backen- 
muskels; oben  beginnt  der  Muskel  von  der  Spitze  des  Flügelfortsatzhakens 
und  der  Aussenfläche  des  Zahnfortsatzes  des  Oberkiefers  bis  zum  zweiten 
Backenzahne.  Von  unten  beginnt  der  Backenmuskel  ebenfalls  von  der  Aussen- 
fläche des  Unterkiefers  bis  zum  letzten  Backenzahne.  Alle  diese  Fasern 
richten  sich  zum  Mundwinkel,  wo  sie  sich  mit  Fasern  anderer  Muskeln  ver- 
flechten, die  oberen  Bündel  mit  den  unteren  kreuzen  und  in  die  Lippen 
übergehen.  Hier  kann  man  eine  Kand-  oder  innere  Schicht  und  eine  äussere 
Schicht  unterscheiden;  die  Schichten  sind  nicht  streng  von  einander  geschie- 
den, sondern  können  nur  annähernd  durch  die  Lage  der  Kranzarterien  unter- 
schieden werden.  Dieser  Muskel  ist  nicht  nur  aus  Fasern  der  Backenrauskeln 
gebildet,  sondern,  wie  es  sich  bald  erweist,  noch  aus  Muskelbündel  zusammen- 
gesetzt, die  zu  den  Mundwinkeln  gehen.  Damit  der  Schliessmuskel  wirken 
kann,  müssen  an  den  Mundwinkeln  fixe  Punkte  erzeugt  werden,  die  sich  als 
Stütze  bei  der  Wirkung  des  Muskels  erweisen.  Ein  Punkt  kann  fixirt  werden, 
wenn  drei  Kräfte  auf  diesen  Punkt  wirken,  von  welchen  jede  den  Resultiren- 
den  der  beiden  anderen  Kräfte  gleich  und  direct  entgegengesetzt  wirkt 
(P.  Lesshaft*).  Den  Mundwinkeln  entsprechend  wird  dieser  Punkt  erzeugt 
durch  die  gleichseitigen  äusseren  Schichten,  die  an  den  Kiefern  ansitzen  und 
als  Anzieher  der   Mundwinkel  wirken    {Mm.  incisivi  s.  addudores  angidi  oris), 


*)  Grundlage  der  theoretischen  Anatomie.  I.  Th.  Leipzig,  1892,  p.  239. 


524  RACHEN-MUNDHÖHLE. 

und  durch  die  Backenmuskeln.  Am  Oberkiefer  beginnen  diese  Muskelbündel  in 
einer  Linie  von  der  Wurzel  des  ersten  Backenzahnes  nach  innen  und  unten 
zum  ersten  Schneidezahn.  Am  Unterkiefer  geht  dieses  Bündel  von  der  Wurzel 
des  Eckzahns  und  dem  äusseren  Schneidezahn  bis  zum  Ursprung  des  Kinn- 
hebers. Vom  Ober-  und  Unterkiefer  gehen  diese  Bündel  jederseits  zum 
Mundwinkel,  wo  sie  sich  mit  den  Bündeln  des  Backenmuskels  verflechten  und 
verschmelzen.  Bei  fixirtem  Mundwinkel  wirkt  der  Schliessmuskel  der  Mund- 
öffnung als  Greif-  und  Saugmuskel;  bei  Wirkung  der  Anzieher  werden  die 
Mundwinkel  genähert  und  die  Lippen  in  verschiedenen  Graden  vorgeschoben. 

Ausserdem  wirken  beim  Eröffnen  der  Mundöffnung  und  Ergreifen  der 
Speise:  der  Pyramidenmuskel,  der  Heber  der  Oberlippe,  der  Heber  des  Lippen- 
winkels, der  kleine  und  grosse  Jochbeinmuskel.  Beim  Entleeren  der  Mund- 
höhle und  Ausspeien  wirken:  der  Herabzieher  des  Lippenwinkels,  der  Herab- 
zieher der  Unterlippe,  der  Kinnheber. 

Der  Pyramidenmuskel  {Levator  labü  superioris  alaeque  nasi)  beginnt 
auf  der  Aussenfläche  des  Stirnfortsatzes  des  Oberkiefers,  gibt  ein  Bündel  zur 
Haut  des  Nasenflügels  und  zur  Haut  der  Lippe,  dem  Sulcus  nasolabialis  ent- 
sprechend. 

Nach  aussen  von  ihm  liegt  der  Heber  der  Oberlippe  (Levator  labii 
superioris),  er  beginnt  zwischen  dem  inneren  Theile  des  unteren  Augenhöhlen- 
randes und  dem  Unteraugenhöhlenloche;  er  geht  gleichfalls  zur  Haut  der 
Oberlippe  nach  aussen  nach  dem  Pyramidenmuskel.  Der  Aufheber  des 
Mundwinkels  {Levator  anguli  oris)  beginnt  in  der  Oberkiefergrube  und 
geht  zum  Mundwinkel,  wo  er  sich  mit  den  hier  gelegenen  Muskelfasern  ver- 
flechtet und  theilweise  in  den  Mundschliesser  übergeht.  Vom  Jochbeine  ent- 
springen der  kleine  und  grosse  Jochbeinmuskel  {M.  Zygomaticus  minor  et 
major).]  der  erstere  endigt  nach  aussen  vom  Heber  der  Oberlippe  in  der  Haut 
der  Lippe;  der  letztere  geht  zum  Mundwinkel,  wo  er  sich  verflechtet  und  in 
den  Bündeln  des  Mundschliessers  endigt,  die  in  der  Unterlippe  gelagert  sind. 

Der  Herabzieher  des  Mundwinkels  (M.  depressor  anguli  oris  s. 
Triangularis)  beginnt  vom  Unterkiefer  zwischen  dem  unteren  Rande  und  dem 
Kinnloche,  vom  Kinnhöcker  nach  hinten  bis  zum  vierten  Backenzahn.  Die 
Fasern  gehen  zum  Mundwinkel,  verflechten  sich  hier  und  gehen  theilweise 
zum  Oberlippentheil  des  Mundschliessers.  Der  Herabzieher  der  Unter- 
lippe (M.  depressor  labii  inferioris)  entspringt  unter  dem  Kinnloche  vom 
Eckzahn  bis  zum  dritten  Backenzahn,  geht  zur  Lippe  nach  oben  und  innen, 
verflechtet  sich  theilend  mit  den  Fasern  des  Schliessmuskels  und  geht  bis 
zur  Haut  der  Unterlippe.  Der  Heber  des  Kinnes  {M.  Levator  menti) 
nimmt  seinen  Anfang  zu  beiden  Seiten  der  Erhabenheit  des  Kinnes,  dem 
Eckzahne  und  den  zwei  Schneidezähnen  entsprechend.  Die  Fasern  gehen 
nach  unten  und  innen  und  endigen  in  der  Haut  des  Kinnes.  Durch  die 
Wirkung  dieses  Muskels  kann  der  Inhalt  der  Mitte  des  Vorhofs  entweder  auf 
den  Zahnrand  erhoben  werden  oder  über  den  Lippenrand  ausgespieen  werden. 

Ausser  der  angeführten  physiologischen  Wirkung  haben  diese  Muskel- 
apparate eine  nicht  minder  wichtige,  psychologische  Bedeutung.  Das  Ver- 
hältnis der  Form  zu  ihrer  physiologischen  und  psychologischen  Function, 
d.  h.  die  Beziehung  der  Muskelcontraction  zum  Gesichtsausdrucke,  ist  folgen- 
des: zuerst  erlernt  man,  die  Contractionen  der  die  höheren  Sinnesorgane  um- 
gebenden Muskeln  mit  den  Empfindungen  oder  erhaltenen  Eindrücken  in 
Beziehung  zu  bringen,  um  sodann  dieselben  Contractionen  unter  dem  Einfluss 
von  diesen  Empfindungen  entsprechenden  Gefühlen  auszuführen,  wobei  die 
Anzahl  der  theilnehmenden  Muskelgruppen  und  der  Grade  der  Contraction 
der  Kraft  des  Eindruckes  direct  proportional  ist.  Entsprechend  dieses  Satzes 
erweist  sich,  dass  der  zuerst  erlernte  Saugact  als  Kuss  emblematisch  das 
Liebliche  eines  anderen  einsaugt  und  uns  versöhnt.   Jedes  Freudegefühl  wird 


RACHEN-MUNDHÖHLE,  525 

durch  ein  Eröffnen  der  Mundöffnung,  wobei  die  Oberlippe  gehoben  wird,  wie 
beim  Ergreifen  der  Speise,  ausgedrückt;  im  Gegentheil  wird  Gram  und  Kummer, 
sowie  jedes  Missvergnügen  durch  das  Herabsenken  der  Unterlippe,  P]kel 
durch  ein  Herabsenken  des  Mundwinkels  ausgesprochen,  der  Geiz  durch  die 
Contraction  des  Hebers  der  Oberlippe  und  Neid  durch  den  kleinen  Jochbein- 
muskel ausgedrückt.  Der  grosse  Jochbeinmuskel  ist  der  Muskel  der  Ironie, 
der  Mephistophelmuskel  (P.  Lessiiaft. *) 

Die  Muskeln  der  Mundöffnung  erhalten  ihre  Gefässe  von  den  Aesten 
der  äusseren  Kieferarterie,  von  der  A.  transversi  faciei  aus  der  Arteria  tem- 
poralis  und  Aeste  aus  der  inneren  Kieferarterie.  Die  Venen  sammeln  sich 
zur  V.  facialis  communis  und  der  V.  facialis  posterior. 

Die  Lymphgefässe  gehen  zu  den  Gl.  submaxillares  und  den  Gl.  facia- 
les  profundae,  die  Nerven  gehören  dem  N.  facialis  an. 

Nach  innen  von  der  Muskelschicht  sind  die  acinösen  Schleimdrüsen 
gelagert  {Glandulae  labialis  sup.  et  in/.).  Diese  Schicht  ist  von  einer  Schleim- 
haut bedeckt,  die  mit  einem  geschichtetem  Pflasterepithelium  bedeckt  ist, 
die  um  so  feuchter  und  dünner  ist,  je  weiter  sie  vom  Lippenrande  sich 
entfernt. 

Die  Gestalt  und  Grösse  der  Lippen  variirt  sehr  nach  Gewohnheit  und 
Sprache.  Grosse  Lippen  sind  gewöhnlich  mit  geräumiger  Mundhöhle  und  gut 
erhaltenen  Zähnen  verbunden,  ebenso  wie  mit  Gastronomie  und  Gesprächig- 
keit. Grosse  Oberlippe  kommt  bei  Oedem  und  schlechter  Nährung  vor;  kurze 
kleine  Lippen  bedecken  oft  unvollständig  die  Zähne.  Bei  solcher  Unterlippe 
wird /nicht  rein  ausgesprochen,  bei  kleinen  oder  fehlerhaft  gebildeten  Lippen 
werden  undeutlich  p,  m,  v,  w,  überhaupt  die  sogenannten  Lippenlaute  ge- 
bildet. 

Der  Vorhof  der  Mundhöhle  wird  von  einer  Schleimhaut  austapezirt,  die 
die  Lippen,  Backen  und  Kiefer  bedeckt.  Von  der  Mitte  der  Ober-  und  Unter- 
lippe geht  die  Schleimhaut  als  Falte  zum  Kiefer  über,  die  obere  Falte  (Frenu- 
lum  lahii  superioris)  ist  stärker  ausgeprägt,  die  untere  Falte  (Frenulum 
lahii  inferioris)  ist  gewöhnlich  sehr  schwach  ausgesprochen.  Der  Rand  der 
Kiefer  wird  von  den  Zähnen  eingenommen. 

Die  Zähne  (Dentes)  sind  Gefühlspapillen,  die  von  Horngebilde  oder 
von  mehr  oder  weniger  festem  Gewebe  bedeckt  sind.  Die  äussere  Schicht 
der  festen  Kapsel  der  Papille  kann  so  hart  sein,  dass  sie  die  Härte  des  Dia- 
manten erreicht.  Daher  dienen  die  Zähne  zum  Schneiden,  Zerreissen  oder 
Zerreiben  der  als  Speise  genommenen  Nahrungsmittel.  Die  Zähne  sind  in 
Fächern  der  Kiefer  längs  ihrem  freien  bogenförmigen  Rande  eingekeilt.  Sie 
bilden  als  obere  und  untere  Reihe  die  Grenze  des  Vorhofs  und  der  eigent- 
lichen Mundhöhle. 

An  jedem  Zahne  unterscheidet  man:  1.  die  Krone  (Corona  dentis),  das 
ist  der  Theil,  der  über  dem  Kieferrande  hervorsteht,  2.  den  Hals  {Collum 
dentis),  der  von  der  Schleimhaut  umfasst  wird  und  dem  Rande  der  Gruben 
oder  Fächern  des  Kiefers  entspricht;  und  3.  die  Wurzel  {Radix  dentis),  die  in 
diesen  Gruben  eingelagert  ist.  An  der  Spitze  jeder  Wurzel  befindet  sich 
eine  Oeffnung,  die  in  einen  Canal  führt,  der  in  die  Höhle  der  Zahnenkrone 
endet,  das  ist  die  Zahnhöhle  {Cavum  dentis),  in  der  die  Zahnpapille  oder  der 
Zahnkeim  {Pulpa  dentis)  gelagert  ist.  In  den  Canal  der  Wurzel  gehen  Gefässe 
und  Nerven  zu  und  von  den  Weichtheilen  des  Zahnes. 

Das  Gewebe  des  Zahnes  besteht  aus  einer  festen  Scheide  oder  dem 
Zahnbein  {Dentin)^  die  die  Höhle  der  Krone  und  den  Canal  der  Wurzel 
begrenzt;  die  Höhle  ist  durch  die  Zahnpapille  ausgefüllt,  die  ihre  Fortsätze 
oder  Zahnfasern   in    die  Canälchen  des  Zahnbeines  einbettet.    Das  Zahnbein 


*)  Grundlagen.  I.  Th.,  p.  296-297. 


526  BACHEN-MUNDHÖHLE. 

der  Krone  des  Zahnes  ist  von  einem  harten  Horngebilde  bedeckt  —  dem 
Schmelz  (Suhstanfia  vitrea  s.  adamantina),  welches  noch  von  einer  elasti- 
schen structurlosen  Membran  bedeckt  wird  —  das  Schmelz  ob  er  häutchen. 
Die  Wurzeln  sind  von  echter  Knochensubstanz  —  dem  Cement  {Substantia 
ossea  s.  ostoidea)  bedeckt,  welches  von  dem  Zahnfächer  des  Kiefers  durch  eine 
gefässreiche  Beinhaut  gesondert  ist. 

Das  Zahnbein  ist  gelblich,  wenig  elastisch,  hart,  auf  einen  Bruch 
asbestartig,  faserig,  wobei  die  Fasern  wie  Radien  sich  von  der  Höhle  zur 
Oberfläche  richten.  Das  Zahnbein  besteht  aus  einer  organischen  Substanz, 
die  dem  Ossein  identisch  ist.  beim  Kochen  Leim  gibt  und  von  phosphorsaurem 
und  kohlensaurem  Kalksalze  imprägnirt  ist.  Es  enthält  Knochenknorpel  287o 
und  unorganische  Substanz  72%  (Beezelius).  Nur  ist  diese  Grundsubstanz 
nicht  in  concentrischen  Cylindern  gelagert,  sondern  enthält  feine  Zahncanal- 
chen,  die  scharf  contourirte,  sich  verästelnde  Zahnfasern  enthalten.  Von  der 
Grundsubstanz  werden  noch  die  die  Wände  der  Canäle  bildenden  Scheiden 
unterschieden,  die  isolirt  werden  können,  nachdem  die  Fasern  durch  Maceration 
oder  Kochen  entfernt  sind.  Diese  Zahnscheiden,  begrenzen  wellenförmige  oder 
spiralige  Röhren,  die  sich  stellenweise  gabelig  theilen  und  strahlig  von  der 
Höhle  oder  dem  Canal  des  Zahnes  spitzwinkelig  sich  gegen  die  Oberfläche 
richten.    Das  Zahnbein  bildet  die  feste  Grundlage  des  ganzen  Zahnes. 

Der  Schmelz  ist  die  härteste  Substanz  des  Zahnes,  sie  ist  bläulich- 
weiss,  sehr  spröde  und  gibt  Spalten  bei  bedeutenden  und  schnellen  Temperatur- 
veränderungen. Der  Schmelz  enthält  am  meisten  phosphorsauren  Kalk  (88-5%) 
und  am  wenigsten  organische  Substanz,  Alkali  und  Wasser  (2-0"/(j).  In  grossen 
Sammlungen  von  Zähnen  ist  es  fast  unmöglich,  einen  Zahn  aufzufinden,  an 
dessen  Krone  unter  der  Lupe  nicht  Spalten  zu  bemerken  sind.  Wenn  man 
einen  Zahn  genau  untersucht,  die  hier  existirenden  Spalten  bemerkt,  in  heisses 
Wasser  auf  2—3  Minuten  legt  und  dann  ihn  sogleich  in  kaltes  Wasser  bringt, 
so  findet  man  immer  neue  Spalten,  die  durch  den  Temperaturwechsel  sich 
gebildet  haben.  Daher  müssen  kalte  und  heisse  Speisen,  die  zugleich  oder 
bald  hinter  einander  genommen  werden,  das  Erscheinen  solcher  Spalten  des 
Schmelzes  bewirken.  Sobald  hierauf  Reste  von  Speisen  zwischen  den  Zähnen 
bleiben  und  hier  sich  zersetzen,  so  können  die  Producte  der  Zersetzung 
durch  die  Capillarität  in  diese  Spalten  gelangen  und  sie  durch  weiteres 
Zersetzen  erweitern.  Die  Beobachtung  erweist,  dass  die  Zähne  meist  von  der 
zu  einander  gerichteten  Seite  erkranken.  Daraus  folgt,  dass  bald  nach  ein- 
ander genommene  kalte  und  heisse  Speisen  so  wichtige  Organe,  wie  die  Zähne, 
schädigen  und  dass  beim  Reinigen  der  Zähne  die  Zahnbürste  nicht  horizontal, 
sondern  parallel  den  Zahnzwischenräumen  geführt  werden  muss,  um  die  hier 
möglicherweise  gelagerten  Speisereste  zu  entfernen.  Ausserdem  ist  eine  reine 
Bürste  das  beste  Reinigungsmittel  und  müssen  alle  organische  Substanzen 
durchaus  vermieden  und  nicht  als  Zahnpulver  gebraucht  werden.  Der  Schmelz 
ist  aus  sechsrandigen  prismatischen  Elementen  gebildet,  von  epithelialem 
Charakter.  In  diesen  Elementen  ist  das  Protoplasma  durch  Kalksalze  im- 
prägnirt. Die  Elemente  sind  spiralig,  an  einander  gedrängt,  gelagert  von 
der  Oberfläche  des  Dentins  zur  freien  Fläche.  Unter  der  Einwirkung  der 
Salzsäure  isoliren  sich  die  einzelnen  Prismen,  und  man  bemerkt  in  ihnen 
dunkle  Querstreifen,  die  in  gleichen  Abständen  von  einander  gelagert  sind. 
Die  Lage  des  Schmelzes  ist  auf  der  Kaufläche  am  grössten. 

Das  Schmelzoberhäutchen  ist  eine  verkalkte,  structurlose,  elasti- 
sche Membran,  die  die  Oberfläche  des  Schmelzes  bedeckt. 

Das  Cement  bedeckt  die  Wurzel  des  Zahnes  und  ist  an  der  Spitze 
und  zwischen  den  Wurzeln  am  dicksten  aufgelagert,  es  ist  gewöhnliches 
Knochengewebe  mit  Knochenlücken  und  Knochencanälchen.  Es  ist  gelblicher 
Farbe,  von  Seite  des  Periostes  aufgelagert. 


RACHEN-MUNDHÖHLE.  527 

Die  Zahn  Papille  enthält  ein  feines  Netz  von  Bindegewebe  als  Grund- 
lage, in  den  Maschen  der  Grundlage  ist  an  jungen  Zähnen  adenoides  Gewebe 
gelagert,  das  an  der  Oberfläche  aus  länglichen  Zellen  mit  vielen  Fortsätzen 
besteht,  das  sind  die  Odontoblasten.  Sie  gehen  nach  aussen  in  feine  sich 
verästelnde  Fasern  über,  die  in  den  Canälen  des  Dentins  gelagert  sind. 
Aus  dem  Perioste  dringen  durch  den  Canal  der  Wurzel  Gefässe  ein,  die  in 
der  Zahnpapille  Netze  von  Capillargefässen  bilden  und  als  Venen  wieder  aus- 
treten. Nerven  beginnen  mit  den  Zahnfasern  als  marklose,  äusserst  feine 
Fasern  in  den  Dentincanälen,  sammeln  sich  in  kleine  markhaltige  Bündel 
und  gehen  centripetal  durch  den  Canal  der  Wurzel  zum  Periost. 

Beim  Erwachsenen  sind  in  jedem  Kiefer  sechszehn  Zähne  gelagert,  die  als 
beständige  (Dentes  permanentes)  bezeichnet  werden,  zum  Unterschiede  von 
Milch-  oder  Wechsel  zahnen  {Dentes  lactae  s.  decidni),  die  nur  zu  zehn  in 
jedem  Kiefer  vorhanden  sind.  In  der  Zahnreihe  werden  unterschieden  in 
jedem  Kiefer:  Schneidezähne  (Dentes  insivi)  [4,  Eckzähne  {Dentes 
cuspidati)  2,  Backenzähne  (Dentes  molares)  10;  von  ihnen  sind  jeder- 
seits  zwei  kleine  {Dentes  molares  ant.  s.  minores)  und  drei  grosse 
(Dentes  molares  post.  s.  majores)  zu  unterscheiden.  Der  letzte  Backenzahn  wird 
noch  Weisheitszahn  {Dens  sapientiae)  genannt.  Von  der  Mitte  des  Kiefers 
nach  aussen  sind  gelagert:  Schneidezähne  2  (innere,  äussere),  Eckzahn  1, 
kleine  Backenzähne  (innere,  äussere)  2,  grosse  Backenzähne  (erster,  zweiter, 
dritter)  3. 

Die  Zahnreihe  des  Ober-  und  Unterkiefers  unterscheidet  sich  von  ein- 
ander und  erweisen  sich  die  Zähne  hier  folgendermaassen: 

1.  Die  Zähne  des  Oberkiefers  sind  grösser,  die  Zahnkronen  oval.  Der 
Oberkiefer  ist  der  befestigte  Theil,  hier  ist  die  Hauptstütze  beim  Zerreiben 
und  Zerstückeln  der  Speise,  daher  sind  auch  die  Wurzeln  grösser,  mehr  ge- 
theilt  und  oft  zu  ihrer  Spitze  convergirend.  Die  Zähne  des  Unterkiefers  sind 
kleiner,  die  Zahnkronen  mehr  rundlich;  das  ist  der  bewegliche  Theil,  die 
Wurzeln  sind  hier  kleiner  und  weniger  getheilt,  das  Extrahiren  des  Zahnes 
ist  hier  leichter. 

2.  Die  Zähne  von  rechts  und  links  unterscheiden  sich  dadurch,  dass  der 
äussere  Winkel  der  freien  Fläche  der  Krone  immer  stumpfer  und  mehr  ab- 
geschliffen ist  als  der  innere  Winkel.  Dieses  erklärt  sich  dadurch,  dass  die 
Gewebe  desto  härter  und  fester  werden,  je  grösser  während  der  Entwicklung 
der  auf  sie  wirkende  Druck  oder  Zug  ist.  Die  Mittellinie  des  Oberkiefers 
entspricht  der  Basis  des  Schädels,  hier  ist  der  Widerstand  am  grössten,  die 
von  diesseits  sich  bildenden  Gewebe  sind  daher  fester  und  härter;  die  Gewebe 
der  entgegengesetzten  Seite  sind  lockerer,  sie  bilden  sich  auf  der  Seite  des 
minderen  Widerstandes,  daher  schleifen  sie  sich  leichter  ab  und  sind  über- 
haupt weniger  vorstehend  —  sie  bilden  mehr  abgerundete  Winkel. 

3.  Der  grösste  Zahn  ist  der  erste  grosse  Backenzahn,  gewöhnlich  mit 
5  Höckern,  nach  vorn  sind  die  kleinen  Backenzähne  mit  2  Höckern,  die  sich 
in  der  Richtung  zum  Eckzahn  verkleinern  und  hier  einen  Haupthöcker  bilden, 
nach  hinten  ist  der  zweite  grosse  Backenzahn  mit  4  Höckern  und  der  dritte 
oft  mit  3  Höcker,  variirt  aber  am  meisten,  je  nach  der  Grösse  und  dem 
Grade  der  Entwicklung  des  Kiefers.  Von  den  Schneidezähnen  ist  der 
grösste  der  innere  obere  und  der  kleinste  der  innere  untere.  Sobald  die 
Wurzeln  der  Zähne  in  der  Richtung  ihrer  Spitze  gekrümmt  sind,  so  gewöhn- 
lich nach  aussen  (von  der  Mittellinie)  in  der  Richtung  des  minderen  Wider- 
standes. 

Die  Schneidezähne  (8)  mit  meisselförmiger  Krone,  die  Zungenfläche 
concav,  die  Lippenfläche  etwas  convex,  die  Seitentheile  dreiseitig  mit  zum 
freien  Rande  gerichteter  Spitze.  Der  freie  Rand,  eben  gebildet  mit  mittleren 
grösseren  und  seitlichen  kleineren  Zacken ;  später  nimmt  der  Rand  die  Form 


528  EACHEN-MÜNDHÖHLE. 

einer  Scheide  an.  Am  Halse  des  Zahnes  ist  der  Schmelz  wellenförmig  be- 
grenzt, an  der  Lippen-  und  Zungenfläche  concav  zum  freien  Rande  des  Zahnes. 
Die  grösste  Krone  ist  oben  und  innen,  etwas  quer  gebogen  am  äusseren 
oberen  Zahne;  am  kleinsten  und  seitlich  platt  gedrückt  ist  der  innere  untere 
Zahn.  Die  Wurzel  ist  länglich,  seitlich  flach,  nicht  selten  mit  einer  Längs- 
furche in  der  Mitte.  Diese  Zähne  dienen  zum  Schneiden  und  Nagen  der  Speise. 
Die  Breite  an  der  Schneide  beträgt  für  die  oberen  Zähne  6-5 — Smin,  die  Länge 
der  Krone  am  oberen  inneren  9'5 — 11  mm,  am  oberen  äusseren  8—9  mm, 
am  unteren  8-5 — d'bmm.  Die  ganze  Länge  des  Zahnes  ist  2-1 — 2'5  m. 

Die  Eckzähne  (4)  mit  kegelförmiger  Krone,  dessen  stumpfe  Spitze 
gewöhnlich  etwas  über  den  freien  Zahnrand  hervorragt.  Seine  Lippentiäche 
ist  convex;  die  Zungenfläche  hat  eine  mittlere,  verticale,  lineare  Erhöhung 
und  zu  beiden  Seiten  kleine  Vertiefungen.  Der  Schmelzrand  am  Halse  ist 
wenig  gekrümmt.  Die  Wurzel  ist  dicker  und  länger  als  bei  dem  Schneide- 
zahne, sie  ist  am  oberen  Zahn  doppelt  so  lang  wie  die  Krone;  seitlich  etwas 
platt  und  mit  einer  Längsfurche.  Sie  dienen  zum  Halten  und  Reissen  der 
Speise.  Die  Höhe  der  Krone  ist  9'5 — 10-5mm,  die  grösste  Breite  6-5 — l-6mm, 
die  Totallänge  2'4 — San. 

Die  kleinen  Backenzähne  (8)  des  Oberkiefers  haben  eine  elliptische 
Krone,  die  des  Unterkiefers  eine  runde;  die  Krone  dieser  Zähne  ist  durch 
eine  Querfurche  in  eine  Backenzacke  und  eine  Zungenzacke  getheilt.  Am 
Oberkiefer  ist  am  ersten  Zahne  die  Backenzacke  etwas  stärker  wie  die  Zungen- 
zacke, am  Unterkiefer  ist  am  zweiten  Zahne  die  Backenzacke  grösser.  Am 
Halse  ist  die  Schmelzgrenze  horizontal.  Die  Wurzel  ist  am  Oberkieferzahn, 
besonders  dem  zweiten,  meistens  getheilt,  am  unteren  Zahne  ist  die  Wurzel 
gewöhnlich  flach  und  seitlich  mehr  oder  weniger  tief  gefurcht.  Die  Höhe  der 
Wangenfläche  der  Krone  beträgt  7 — 8mm,  die  Breite  ist  5mm,  der  sagit- 
tale  Durchmesser  8"5— 9  mm  für  die  oberen  Zähne,  7 — 8  mm  für  die  unteren. 
Die  Totallänge  ist  2— 2' Sem. 

Die  grossen  oder  hinteren  Backenzähne  (12)  sind  im  Oberkiefer 
mit  ovalen  Kronen,  im  Unterkiefer  mit  runden;  die  Schmelzgrenze  ist  hori- 
zontal; der  erste  Zahn  hat  2  bis  4  Wurzeltheile,  die  im  Oberkiefer  immer  in 
grösserer  Zahl  sind  und  divergiren.  Im  Unterkiefer  ist  er  meist  zweitheilig. 
Sobald  die  Kiefer  eng  sind,  so  fehlt  gewöhnlich  der  dritte  Backenzahn.  Die 
Backenzähne  dienen  zum  Reiben  und  Zermalmen  der  Speise. 

Die  Zahnreihe  des  Oberkiefers  bildet  einen  grösseren  Bogen  als  die 
Zahnreihe  des  Unterkiefers,  daher  ragen  die  oberen  Zähne  stärker  hervor, 
besonders  die  Schneidezähne,  die  in  der  Mitte  des  Bogens  gelagert  sind.  Die 
Höhe  der  grossen  Backenzähne  ist  7 — 8  m7n  zwischen  Wangen-  und  Zungen- 
fläche, am  Halse  ist  die  Entfernung  an  oberen  10- — 12  mm,  an  unteren 
8*5 — 9'5  mm.     Die  Gesammtlänge  ist   2*0 — 2-3  cm. 

Die  Entwicklung  des  Zahnes  beginnt  zwischen  dem  58.— 65.  Tage, 
am  Ende  des  zweiten  Monats  des  menschlichen  Embryo.  Von  der  den 
Kieferrand  bekleidenden  Hornschicht  bildet  sich  durch  Wucherung  der  Ele- 
mente ein  in  die  Gewebe  der  Kieferanlage  eindringender  Fortsatz,  der 
Schmelzorgan  genannt  wird  und  aus  dem  sich  der  Schmelz  und  das 
Schmelzoberhäutchen  bilden.  Von  Seite  der  Kieferanlage,  welches  aus  Schleim- 
gewebe besteht  und  reich  an  Gelassen  ist,  geht  die  Zahnpapille  aus;  diese 
Papille  dringt  bis  zum  Schmelzorgane  vor  und  bedeckt  sich  von  dem  sie 
überwachsenden  Organe,  wie  eine  Mütze  den  Kopf  deckt.  Aus  dieser  Papille 
bildet  sich  das  Dentin  und  der  Rest  mit  den  Gelassen  und  Nerven  bildet  die 
Weichtheile  des  Zahnes. 

Beim  Differenziren  der  Elemente  des  Schmelzorganes  bilden  sich  an  den 
Schichten,  die  die  Nahrung  unmittelbar  von  dem  umgebenden  Theile  erhalten, 
aussen  Elemente  cubischer  Form,    auf   der   Papille    lange,    sechsseitige 


RACHEN-MUNDHÖHLE. 


529 


Pyramiden;  das  sind  Elemente  epithelialen  Charakters.  Zwischen  diesen 
Elementen  ist  das  Stratum  intermedium  gelagert,  das  ist  Schleimgewebe, 
das  sich  gebildet  hat  aus  Elementen,  die  ihre  Nahrung  nur  mittelbar 
erhalten.  Dieses  beweist,  dass  aus  dem  Hornblatte  (Ectoderm)  sich  verschie- 
denes Gewebe  bilden  könne,  je  nach  der  Nahrung  und  den  mechanischen 
Verhältnissen,  unter  denen  die  Bildungszellen  sich  formiren.  Der  Theil  des 
Bindegewebes,  der  die  Zahnanlage  umgibt,  erweist  sich  als  Zahnsäckchen. 
Von  dem  ausgezogenen  Anfangstheil  oder  Hals  des  Schmelzorganes  bilden 
sich  paarig  die  Keimtheile  der  permanenten  Zähne;  von  diesen  Theilen  ent- 
wickelt sich  nur  der  Keim,  der  nach  aussen  vom  Hals  sich  bildet;  der  innere 
Keim  stösst  auf  grösseren  Widerstand,  er  regressirt  und  verschwindet. 

Beim  Neugeborenen  sind  in  jedem  Kiefer  zehn  solcher  Säckchen  mit 
einfachen  oder  complicirten  Papillen  (Backenzahnkeime).  Die  Papillen  sind 
mit  zarten  Kronen  bedeckt.  Der  Rand  des  Ober-  und  Unterkiefers  ist  mit 
einer  fibrösen  Leiste  bedeckt,  deren  Seitenenden  etwas  verdickt  sind.  Diese 
Leisten  sind  gefässreich,  sie  werden  Zahnfleischleisten  {Cristae  gingivales) 
genannt.  Mittelst  dieser  Leisten  können  die  Brustwarzen  beim  Saugen  sehr 
fest  umfasst  werden  (Robin  und  Magitot). 

Durch  Wachsthum  des  Zahnes  und  die  Bildung  der  Krone  dringt  er  auf 
Seite  des  kleinsten  Widerstandes  nach  aussen.  Bei  normalen  Verhältnissen 
schneidet  sich  der  Zahn  nach  aussen  gradatim  und  consequent,  wobei  die  am 
Rande  des  Kiefers  befindlichen  Gewebe  mit  den  hier  gelegenen  Gefässen  und 
Nerven  sich  so  allmählich  theilen,  dass  durchaus  keine  krankhaften  Erschei- 
nungen hierbei  beobachtet  werden  müssen.  Jede  Beschleunigung  dieses  Pro- 
cesses  mittelst  der  üblichen  Knochen,  Wurzeln,  Knochenringe  u.  s.  w.  ist 
durchaus  schädlich  und  darf  nicht  zugelassen  werden;  es  beweist  nur,  wie 
leicht  man  durch  unnöthiges  Einmischen  krankhafte  Erscheinungen  hervor- 
rufen kann.  Wenn  sich  das  Durchschneiden  des  Zahnes  verspätet,  so  weist  das 
gewöhnlich  nur  auf  ungenügende  Nahrungsverhältnisse  und  damit  verbun- 
denes behindertes  Wachsthum  hin,  fordert  folglich  Reinheit  und  günstige 
hygienische  Bedingungen  und  durchaus  nicht  mechanische  Einwirkungen,  die 
nur  dem  Kinde  schaden  können  und  durchaus  nicht  zugelassen  werden  dürfen. 

Das  Durchschneiden  der  Zähne  geht  gewöhnlich  in  folgender  Ordnung 
in  Monate  und  Mittelzahlen  ausgedrückt,  vor  sich: 


24 


12 


18 


18 


12 


24 


Das  sind  die  Wechsel-  oder  Milchzähne  (Dentes  decidui  s.  lactes), 
20  an  Zahl,  wobei  meistens  zuerst  die  unteren  sich  durchschneiden  und  dann 
die  oberen.  Ueberhaupt  variirt  dieser  Process  sehr,  der  Neugeborene  kann 
mit  durchgebrochenen  Zähnen  zur  Welt  kommen;  die  Zähne  durchbrechen 
den  Kieferrand  in  einzelnen  Fällen  am  Ende  des  ersten  Jahres  und  später, 
meist  hängt  das  mit  den  Nahrungsverhältnissen  des  Kindes  zusammen. 

Die  Wechselzähne  sind  kleiner,  weisser  und  zarter  als  die  bleibenden, 
die  Form  ist  wie  bei  bleibenden,  nur  haben  die  Backenzähne  die  Form  der 
hinteren  oder  grossen  Backenzähne. 

Mit  dem  5.  Jahre  beginnt  der  Wechsel  der  Zähne,  die  Milchzähne 
.werden  durch  die  beständigen  Zähne  ersetzt.  Die  Ursache  dieses  Wechsels 
ist  in  Aenderung  der  Form  des  Kiefers  zu  suchen.  Der  halbkreisförmige 
Oberkiefer  wächst  durch  Uebung  beim  Kauen  mehr  nach  vorn  in  der  Richtung 
des  geringeren  Widerstandes  und  nimmt  daher  eine  elliptische  Form  an;  die 
Alveolen  vergrössern  sich,  die  Zähne  werden  hierbei  schräg  gelagert  und  sind 
weniger  günstige  Schneideapparate.  Bei  diesen  Verhältnissen  entwickelt  sich 
der  in  der  Alveole  gelagerte  Keim  des  beständigen  Zahnes.     Der   wachsende 

Ohren-,  Nasen-,  Kachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  öl 


530  RACHEN-MüNDHÖHLE. 

Keim  des  bleibenden  Zahnes  drückt  auf  die  Wurzel  des  Milchzahnes  und  auch 
auf  die  Gefässe.  Infolge  dieses  Druckes  regressirt  die  Wurzel  dieses  Zahnes 
von  der  Spitze  zum  Halse.  Die  Krone  wird  lose  und  fällt  leicht  aus,  an  der 
Stelle  des  ausgefallenen  Zahnes  ist  immer  die  Spitze  des  beständigen  zu 
sehen.  Die  Reihenfolge  des  Durchbrechens  der  bleibenden  Zähne  entspricht 
gewöhnlich  der  entsprechenden  Ordnung  der  Milchzähne,  nur  beginnt  dieser 
Process  meistens  mit  dem  Durchschneiden  des  ersten  grossen  Backenzahnes, 
nach  dessen  Erscheinen  beginnt  der  Wechsel  der  Schneidezähne.  Die  Ordnung 
des  Wechsels,  in  Jahren  ausgedrückt,  ist  gewöhnlich  folgende: 


18  i  14 


10 


9  i  12  i     8 


12 


10  ! 


14 


18 


Das  Durchschneiden  des  letzten  Backenzahnes  variirt  sehr  von  17 — 25 
Jahre,  bei  schwach  entwickeltem  Kauapparate  und  Kiefer  kann  er  auch  gar 
nicht  existiren.  Zuerst  wechseln  gewöhnlich  die  Zähne  des  Unterkiefers  und 
dann  die  des  Oberkiefers. 

Die  Zähne  fordern  viel  Reinlichkeit  und  Sorgfalt,  um  sich  gut  zu  er- 
halten. Rascher  Temperaturwechsel  und  mechanische  Einwirkungen  sind  wohl 
die  Hauptursachen  der  Leiden  des  Zahnes.  Das  Ausfallen  der  Zähne  im 
höheren  Alter  ist  durchaus  nicht  als  normal  anzusehen,  sondern  immer  eine 
Folge  von  Summirung  ungünstiger  Bedingungen,  die  zu  regressiven  Erschei- 
nungen und  pathologischen  Veränderungen  führen.  Jede  Extraction  des  Zahnes 
oder  einer  Wurzel  führt  zur  Verwachsung  der  Alveole,  in  welcher  der  Zahn 
eingereiht  war.  Bei  dieser  Verwachsung  der  Alveole  verengen  sich  die  nach- 
barlichen Alveolen  und  drängen  die  Zahnwurzeln  aus,  daher  jede  Extraction 
eines  Zahnes  sehr  unvortheilhaft  auf  die  Befestigung  der  Nachbahrzähne  wirkt. 

Die  Gefässe  der  Zähne  stammen  aus  der  Art.  maxillaris  interna;  für 
den  Oberkiefer  erhalten  die  hinteren  Zähne  aus  den  Art.  alveolares  sup. 
post.  und  den  R.  alveolares  sup.  ant ,  Zweige  der  A.  infraorbitalis.  Die 
Zähne  des  Unterkiefers  erhalten  ihre  Zweige  aus  der  A.  alveolares  inf.  Die 
Venen  entsprechen  den  Arterien.  Die  Lymphgefässe  gehen  vom  Oberkiefer 
zu  den  Gl.  faciales  profundae;  von  dem  Unterkiefer  zu  den  Gl.  submaxillares. 

Die  Nerven  sind  Zweige  des  N.  trigeminus.  Von  dem  Oberkiefer  gehen 
die  Nerven  zum  N.  infraorbitalis  vordere  obere  Zähne,  und  zu  dem  N.  alveo- 
laris  s.  dentalis  sup.  post.  von  den  oberen  hinteren  Zähnen.  Das  sind  Aeste 
des  R.  supramaxillaris  N.  trigemini.  Ein  Geflecht  dieser  Nerven  liegt 
zwischen  den  Lamellen  der  Wand  des  Oberkiefers,  entsprechend  der  Spitze 
der  Wurzel  des  Eckzahnes. 

Die  Zähne  des  Unterkiefers  geben  ihre  Aeste  zum  N.  mandibularis  des 
N.  trigeminus. 

Die  sympathischen  Fasern  sind  Aeste  des  Plexus  maxillaris  internus  von 
Plexus  caroticus  externus. 

In  der  Mundhöhle  ist  die  Z  u  n  g  e  gelagert,  das  ist  ein  sehr  bewegliches 
Organ,  das  zum  Kauen  und  Schlingen  dient,  als  Organ  der  Sprache  und  als 
Geschmacksorgan  functionirt. 

An  der  Zunge  unterscheidet  man  ihre  obere  Fläche  oder  den  Rücken, 
ihr  hinteres  Ende  oder  die  Wurzel,  ihr  vorderes  Ende  oder  die  Spitze  und 
ihre  Seitenränder.  Das  Gewicht  der  Zunge  des  Menschen  ist  im  Mittel 
90 — 120^,  im  Verhältnisse  zum  Gesammtgewicht  des  Körpers  wie  1:450 — 600. 
Die  Länge  der  Zunge  ist  8— 9  cm,  im  ausgestreckten  Zustande  11 — 13  cm 
die  Breite  5  cm,  die  Dicke  1*8 — 2-0  cm. 

Die  Zunge  ist  ein  musculöses  Organ,  in  dem,  beim  Menschen,  keine 
Knochenstütze  existirt.  Diese  Knochenstütze  ist  durch  eigene  Muskeln  er- 
.setzt,    deren  Bündel,   um    einen   festen   Kern   zu   bilden,    in   drei   unterein- 


RACHEN-MUNDHÖHLE.  531 

ander  unter  einen  rechten  Winkel  sich  kreuzenden  Richtungen  gelagert  sind. 
Dieser  Kern  wird  in  seiner  Lage  gehalten  durch  Muskeln,  die  von  drei  Seiten 
von  den  Skelettheilen  ihren  Ursprung  nehmen.  Bei  der  Wirkung  der  ein- 
zelnen Theile  dieses  Muskelapparates  wird  die  Zunge  auf  die  bezügliche  Seite 
gezogen.  Die  Skelettheile,  wo  die  äusseren  Zungenmuskeln  ihren  Ursprung 
nehmen,  sind  die  aus  dem  Unterkieferfortsatze  des  ersten  Kiemenbogeris  und 
aus  dem  zweiten  und  dritten  Kiemenbogen  sich  bildenden  Theile.  Der 
Mechanismus  der  Zungenbewegung  und  Zungenfixirung  ist  daher  analog  dem 
Mechanismus  der  Bewegung  und  Fixirung  der  Mundwinkel,  des  Zungenbeines 
oder  des  Schulterblattes;  nur  dass  diese  Knochen  in  der  Zunge  durch  innere 
Muskeln  ersetzt  sind. 

Die  inneren  oder  eigentlichen  Zungenmuskeln  beginnen  und  endigen  im 
Bindegewebsgerüst  der  Zunge;  dieses  Gerüst  wird  gespannt,  kann  daher  als 
Stütze  dienen,  von  den  Muskeln,  die  vom  Unterkiefer,  vom  Griffelfortsatze  des 
Schläfenbeines  und  vom  Zungenbeine  entspringen.  Um  den  Mechanismus  des 
Kauens  und  der  Zunge  zu  verstehen,  muss  man  zuerst  den  Mechanismus  der 
Befestigung  und  Bewegung  des  Zungenbeines  erlernen. 

Das  Zungenbein  (Os  hyoideum)  wird  fixirt  durch  die  summirte  Wir- 
kung der  Muskeln,  die  von  unten,  von  unten  hinten  und  von  oben  hinten  zum 
Zungenbeine  herantreten.  Von  unten  ist  es  der  Brust-Zungenbeinmuskel 
{M.  sterno-hi/oideus),  der  Brust-Schildknorpelmuskel  (M.  sterno  -  thyroideus) 
und  der  Zungenbein-Schildknorpelmuskel  (i¥  hyo-thyreoideus)\  von  hinten 
und  unten  der  Schulter-Zungenbeinmuskel  (if.  omo-Jiyoideus);  von  hinten  und 
oben  der  hintere  Bauch  des  zweibäuchigen  Unterkiefermuskels  {M.  digastricus 
maxillae  inferioris)  und  der  Griffel-Zungenbeinmuskel  {M.  sfylo-hyoideus).  Bei 
der  einzeitigen  Wirkung  aller  dieser  Muskeln  wird  das  Zungenbein  fixirt  und 
äussert  sich  dann  als  Stütze:  1.  für  die  Muskeln,  die  den  Unterkiefer  beim 
Kauen  nach  unten  ziehen,  2.  für  die  von  unten  kommenden  Zungemnuskeln, 
3.  für  die  beim  Schlingen  wirkenden  mittleren  Schlundschnürer  {M.  con- 
strictor  pharynyis  medius  s.  hyo-pharynyeus);  4.  die  gesammten  Zungenbein- 
muskeln mit  den  Muskeln  des  Unterkiefers  wirken  als  Beuger  des  Kopfes. 

Die  beim  Kauact  wirkenden  Muskeln,  die  zugleich  die  untere  Wand  der 
Mundhöhle  bilden,  sind  folgende:  1.  der  vordere  Bauch  des  zweibäuchigen 
Unterkiefermuskels  (M.  digastricus  max.  in/.),  2.  der  Kiefer-Zungenbeinmuskel 
(M.  mylo-hyoideus)  und  3.  der  Kinn-Zungenbeinmuskel  {M.  genio-hyoideus). 
Der  erste  dieser  Muskeln  beginnt  von  der  mittleren  Sehne,  in  die  der  hintere 
Bauch")  übergeht;  die  Fasern  des  Muskels  gehen  fächerförmig  auseinander, 
richten  sich  nach  oben  und  vorn  und  endigen  an  der  inneren  Lippe  des 
Unterkieferrandes  neben  dem  Kinnvorsprung.  Der  zweite  Muskel  nimmt  seinen 
Anfang  am  unteren  Rande  und  unteren  Theile  der  Vorderfläche  des  Zungen- 
beinkörpers und  an  einer  von  der  Mitte  dieses  Körpers  nach  oben  und  vorn  zum 
Kinnvorsprung  gehenden  Linie.  Die  Muskelbündel  gehen  schräg  auseinander 
(nach  aussen,  vorn  und  oben)  zur  schiefen  Linie  {Lineae  hyo-myloideae)  beider 
Hälften  der  Innenfläche  des  Unterkiefers  vom  letzten  Backenzahne  bis  zur  Kinn- 
erhabenheit. Endlich  entspringt  der  dritte  Muskel  von  der  unteren  Hälfte 
der  vorderen  Fläche  des  Zungenbeinkörpers  und  geht  zu  beiden  Seiten  der 
Mittellinie  zum  Höcker  an  der  inneren  Seite  der  Mitte  des  Unterkiefers.  Xur 
nach  genauer  Kenntnis  der  Lage  und  Function  der  eben  beschriebenen  Mus- 


*)  Dieser  hintere  Bauch  des  Unterkiefermuskels  beginnt  von  einem  Zitzenvorsprung 
(Eminentia  digastrica)  des  Schläfenbeines,  seine  Fasern  gehen  nach  unten  und  vorn  zum 
Körper  des  Zungenbeines  in  eine  Sehne  über,  von  der  der  vordere  Bauch  beginnt.  Diese 
Sehne  umgibt  eine  fibröse  Scheide,  die  sich  an  der  vorderen  Fläche  des  Zungenbein- 
körpers  und  zum  Theil  am  grossen  Hörn  des  Zungenbeines  befestigt.  Die  Sehne  dieses 
Muskels  wird  von  den  einander  weichenden  Muskelbündeln  des  M.  stylo-hyoideus  umfasst . 

34* 


532  RACHEN-MUNDHÖHLE. 

kein   kann   man    zur   Analyse    des  Mechanismus    der    Zungenbewegung   und 
Fixirung  übergehen. 

Die  cäusseren  Muskeln  der  Zunge,  die  von  drei  Seiten  von  den 
Skelettheilen  zur  Zunge  gelangen,  sind:  von  vorn  vertical,  fächerförmig  die 
Achse  der  Zunge  kreuzend,  die  Kinn-Zungenmuskeln  (il/.  genio-glossi),  sie 
nehmen  den  mittleren  Theil  der  Zunge  ein;  von  hinten,  aussen,  oben  — 
die  Griffel-Zungenmuskeln  (i¥.  stylo-glossi),  lagern  sich  sagittal  längs  der 
vorderen  Hälfte  des  Zungenrandes,  und  von  hinten,  innen,  unten  —  die 
Zungenbein-Zungenmuskeln  {M.  hyo-glossi),  sie  gehen  auch  sagittal  längs  der 
hinteren  Hälfte  des  Zungenrandes. 

Die  inneren  Muskeln  der  Zunge  beginnen  und  endigen  am  Binde- 
gewebsgerüste  der  Zunge.  In  der  Mitte  der  Zunge  zwischen  den  Mm.  genio- 
glossi  ist  eine  verticale  fibröse  Membran  {Septum  linguae)  gelagert,  die"  als 
Septum  der  Zunge  dient,  die  Form  einer  Sichel  hat,  hinten  breit,  vorn  spitz 
endend.  Von  den  lateralen  Flächen  dieser  Membran  gehen  die  transversalen 
Bündel  des  queren  Zungenmuskels  (m.  transversus  linguae)  ab,  unter  der 
Schleimhaut  des  Zungenrückens  ist  eine  Schicht  sagittaler  Fasern  des  ober- 
flächlichen Längsmuskels  der  Zunge  {M.  Ungualis  superficialis  s.  superior) 
gelagert;  endlich  sind  beiderseits  zwischen  dem  M.  genio-glossus  einerseits 
und  die  Mm.  hyo-glossus  und  stylo-glossus  anderseits  der  untere  Längsmuskel 
der  Zunge  {M.  Ungualis  proprius  s.  inferior)  gelagert. 

Der  Kinn- Zungenmuskel  (M.  genio-glossus)  beginnt  von  der  Spina 
mentalis,  zu  beiden  Seiten  der  Mitte  der  Innenfläche  des  Unterkiefers,  mit 
einem  sehnigen  Theile.  Die  Muskelfasern  gehen  fächerförmig  auseinander, 
die  vorderen  in  der  Richtung  zur  Spitze,  die  hinteren  zur  Wurzel,  die  mitt- 
leren Bündel  zum  Rücken  der  Zunge.  Von  den  hinteren  Fasern  gehen  einige 
zum  oberen  Theil  des  Körpers  des  Zungenbeines  und  von  einigen  Fasern  wird 
angenommen,  dass  sie  bis  zur  Mitte  der  Vorderfläche  des  Kehldeckels  reichen. 
Die  Fasern  gehen  in  elastisches  Gewebe  über,  das  man  bis  zum  Kehldeckel 
verfolgen  kann.  In  der  Zungensubstanz  verflechten  sich  die  Fasern  des 
M.  genio-glossus  mit  den  Fasern  des  M.  transversus  linguae  und  verlieren 
sich  in  dem  hier  gelagerten  Bindegewebe.  Zwischen  den  paarigen  Muskeln 
ist  das  Septum  linguae  gelagert. 

Der  Griffel-Zungenmuskel  (M.  stylo-glossus)  beginnt  an  der  Spitze 
und  der  vorderen  Fläche  des  Griffelfortsatzes,  ausserdem  von  dem  zwischen 
diesen  Fortsatz  und  dem  Unterkiefer  gelagerten  Bande  (Lig.  stylo-maxillare), 
seine  Fasern  gehen  nach  vorn,  unten  und  innen  zum  Rande  der  Zunge  und 
lagern  sich  hier  von  der  Mitte  nach  vorn  bis  zur  Spitze  der  Zunge.  Seine 
Fasern  verflechten  sich  mit  den  Fasern  des  M.  hyo-glossus,  transversus  linguae 
und  lingualis  inferior  und  endigen  im  Bindegewebe  der  Zunge,  theilweise  in 
der  Innenfläche  der  Schleimhaut  des  Zungenrandes. 

Der  Zungenbein-Zungen muskel  (ili.  hyo-glossus)  nimmt  seinen 
Anfang  von  dem  grossen  Hörne,  vom  oberen  Rande  des  Körpers  und  gewöhn- 
lich vom  kleinen  Hörne  des  Zungenbeines.  Der  platte  Muskel  geht  nach  vorn, 
oben  und  aussen  zum  hinteren  Theile  des  Zungenrandes,  verflechtet  sich  hier 
mit  den  Fasern  des  M.  transversus  linguae,  lingualis  proprius  und  stylo- 
glossus  und  endigt  im  Bindegewebe  der  Zunge  in  der  Richtung  des  Seiten- 
theiles  des  Rückens.  Vom  medialen  Theile  des  kleinen  Horns  wird  noch  ein 
Bündel  als  eigener  Muskel  {M.  chondro-glossus)  beschrieben;  das  ist  der  me- 
diale Theil  des  Zungenbein-Zungenmuskels. 

Der  quere  Zungenmuskel  (i¥.  transversus  linguae).  In  der  Mitte 
der  Zunge  ist  das  sichelförmige  Septum  linguae  gelagert,  hinten  reicht  das 
Septum  bis  zur  Mitte  des  Körpers  des  Zungenbeines  und  nach  vorn  endigt 
es  spitz;  dessen  Dicke  ist  0'5 — 0*7 mm.  Nach  vorn  in  der  Richtung  der 
Spitze    d-sr  Zunge    geht   das  Septum    in  Zellgewebe    über,    ebenso    wie  nach 


RACHEN-MUNDHÖHLE.  533 

hinten,  wo  es  bis  zum  Körper  des  Zungenbeines  reicht.  Von  den  Seitenflächen 
dieses  Septum  beginnen  die  Fasern  des  Quermuskels,  sie  gehen  quer,  etwas 
schief  nach  oben,  da  die  am  oberen  Theile  des  Septum  beginnenden  Fasern 
näher  zur  Mittellinie  des  Rückens  der  Zunge  gehen,  während  die  vom  unteren 
Theile  zum  Rande  sich  richten.  Die  Fasern  durchsetzen  und  verflechten 
sich  mit  den  hier  gelagerten  verticalen  und  sagittalen  Muskeln  von  der  Spitze 
bis  zur  Wurzel  der  Zunge.  Von  dem  Theile  des  Randes  der  Zunge,  wo  der 
vordere  Gaumenbogen  (Arcus  palato-glossus)  in  die  Schleimhaut  des  Zungen- 
randes übergeht,  gehen  Fasern  zwischen  den  Schichten  dieses  Bogens  nach 
oben  bis  zur  Mitte  des  Gaumens  {M.  palato  glossus);  weiter  nach  hinten  gehen 
Fasern  zur  Aussenfläche  der  Tonsillen  {M.  amygdalo-glossus),  endlich  gehen  an 
der  Wurzel  Fasern  des  Quermuskels  in  die  Bündel  des  unteren  Theiles  des 
oberen  Schlundkopfschnürers  (M.  glosso-pharyngeus)  über. 

Der  obere  oder  oberflächliche  Längsmuskel  der  Zunge  (iV/. /m- 
gualis  superior  s.  superficialis)  bedeckt  als  1 — Vbmm  dicke  musculöse  Schicht 
den  vorderen  und  mittleren  Theil  der  Zunge,  soweit  auf  der  Zunge  Papillen 
gelagert  sind.  Im  hinteren  Theile  liegt  diese  Muskelschicht  unter  den  Drüsen 
und  kann  bis  zum  oberen  Rande  des  Zungenbeines  verfolgt  werden.  Die 
Fasern  beginnen  hinten  und  endigen  an  der  Innenfläche  der  Schleimhaut  des 
Zungenrückens,  nach  vorn  bis  zur  Spitze.  Daher  kann  hier  die  Schleimhaut 
nicht  als  Falte  erhoben  werden  und  ist  auf  ihrer  Unterlage  nicht  beweglich, 
was  beim  Zerreiben  der  Speise  mittelst  der  Zunge  und  beim  Betasten  Be- 
deutung hat. 

Der  untere  Längsmuskel  der  Zunge  {M.  lingualis  inferior  s.  pro- 
prius)  ist  in  dem  spindelförmigen  Zwischenräume  vom  Kinn-Zungenmuskel 
einerseits,  vom  Zungenbein-Zungen-  und  Griffel-Zungenmuskel  anderseits  ge- 
lagert. Die  Fasern  dieses  Muskels  beginnen  hinten  von  den  Bindegewebs- 
lagerungen,  die  zwischen  den  angeführten  Muskeln  gelegen  sind.  Die  Fasern 
gehen  beiderseits  nach  vorn,  verzweigen  sich  mit  den  Bündeln  des  Griffel- 
Zungenmuskels  und  dringen  theilweise  bis  zur  Innenfläche  der  Schleimhaut 
des  Zungenrandes,  nach  vorn  bis  zur  Spitze  der  Zunge. 

Nach  der  Kenntnis  der  angeführten  Muskeln  kann  man  zum  Studium 
des  Mechanismus  der  Fixirung  der  Zunge  und  der  Bewegung  nach  vorn, 
hinten,  seitlich  rechts  und  links,  nach  oben  und  unten,  wobei  die  Zunge  eine 
verschiedene  Dicke  und  Consistenz  annehmen  kann,  übergehen, 

1.  Die  Bewegung  der  Zunge  nach  vorn  wird  ausgeführt  durch 
die  Muskeln,  die  das  Zungenbein  nach  oben  und  vorn  ziehen  und  den  Muskeln, 
die  die  Zunge  nach  vorn  und  unten  ziehen.  Die  ersten  sind:  der  vordere 
Bauch  des  M.  digastricus,  der  M.  mylo-hyoideus,  der  M.  genio-hyoideus;  nach 
vorn  und  unten  ziehen  die  mittleren  und  hinteren  Theile  des  M.  genio-glossus. 
Der  feste  Kern  wird  erhalten  durch  gleichzeitige  Contraction  der  M.  lingualis 
superior,  inferior  und  transversus  linguae.  Bei  Gegenwirkung  der  Antagonisten 
wird  die  Zunge  als  festes  Organ  nach  vorn  gezogen. 

2.  Die  Bewegung  der  Zunge  nach  hinten  wird  möglich  bei 
Fixirung  des  Zungenbeines  nach  innen  und  unten,  dieses  wird  ausgeführt  durch 
die  Contraction  folgender  Muskeln:  M.  sterno-hyoideus,  sterno-thyreoideus, 
omo-hyoideus,  des  hinteren  Bauches  des  digastricus  und  der  stylo-hyoideus. 
Bei  Fixirung  des  Zungenbeines  ziehen  die  Mm.  hyo-glossi  nach  unten  und  hinten, 
die  Mm.  stylo-glossi  nach  hinten  und  oben,  zusammen  nach  hinten,  wobei 
die  inneren  Muskeln  den  festen  Kern  bilden,  der  bei  Gegenwirkung  der 
Antagonisten  nach  hinten  gezogen  wird. 

3.  Die  Bewegung  der  Zunge  nach  oben  wird  erlangt  durch  Wir- 
kung der  Muskeln  nach  oben  und  vorne,  oben  und  hinten  und  gerade  nach 
oben.  Nach  oben  und  vorn  ziehen:  der  vordere  Bauch  des  digastricus  beider- 
seits, die  Mm.  mylo-hyoidei,  genio-hyoidei,  die  hinteren  Theile  der  Mm.  genio- 


534  RACHEN-MUNDHÖHLE. 

glossi;  nach  oben  und  hinten  wirken:  die  Mm.  stylo-glossi,  der  hintere  Bauch 
des  digastricus  beiderseits,  die  Mm.  stylo-hyoidei.  Gerade  nach  oben  ziehen 
die  Mm.  palato-glossi,  theilweise  die  Mm.  palato-pharyngei  et  stylo-pharyngei. 
Den  festen  Kern  bilden  die  inneren  Muskeln  bei  Gegenwirkung  der  Antago- 
nisten. 

4.  Die  Bewegung  der  Zunge  nach  unten  erfolgt  durch  Fixirung 
des  Zungenbeines  nach  unten  mittelst  der  schon  genannten  Muskeln;  ausser- 
dem ziehen  die  Mm.  hyo-glossi  nach  unten  und  hinten,  die  vorderen  und 
mittleren  Bündel  der  Mm.  genio-glossi  richten  die  Zunge  von  unten  und 
vorn  zusammen  nach  unten,  bei  gleichzeitiger  Wirkung  der  inneren  Muskeln 
und  der  Gegenwirkung  der  Antagonisten. 

5.  Die  Bewegung  der  Zunge  seitwärts  geschieht  bei  gleichzeitiger 
Wirkung  des  M.  stylo-glossus  einerseits  —  der  Zungenrand  wird  gerichtet  seit- 
wärts und  oben  —  des  M.  hyo-glossus  anderseits  —  bei  fixirtem  Zungenbeine,  der 
Band  wird  gezogen  seitwärts  und  unten  —  zusammen  richten  sie  die  Zunge 
seitwärts,  bei  der  Contraction  der  inneren  Muskeln  und  der  Gegenwirkung 
der  Antagonisten.  Beim  Hervorziehen  der  Zunge  aus  der  Mundhöhle  wird 
die  Zungenspitze  seitswärts  gerichtet,  wenn  der  Wurzeltheil  in  einer  entgegen- 
gesetzten Richtung  gezogen  wird.  Dieses  kann  experimentell  controlirt  werden, 
sobald  bei  einem  Hunde  einerseits  der  Bewegungsnerv  der  Zunge  (N.  hypo- 
glossus)  durchschnitten  wird,  besonders  wenn  die  Stelle  der  Section  des  Nerven 
nach  aussen  vom  Abgange  des  Ramus  descendens  hypoglossi  liegt.  Da  dieser 
letzte  Ast  zu  den  Muskeln  geht,  die  von  unten  zum  Zungenbeine  gelangen, 
so  wird  das  Os  hyoideum  und  die  Wurzel  der  Zunge  nach  der  gesunden  Seite 
gezogen  und  die  Spitze  der  Zunge  nach  der  gelähmten  Seite.  Dies  lässt  sich 
gut  demonstriren,  wenn  ein  so  operirter  Hund  in  ein  Sandbad  gesetzt  wird, 
bei  ungefähr  40'^  C,  er  streckt  die  Zunge  hervor,  wobei  die  Spitze  nach  der 
paralysirten  Seite  gerichtet  wird.  Diese  Erscheinung  ist  schon  Schröder- 
VAN  DER  Kolk  bekannt  gewesen. 

Die  übrigen  Bewegungen  der  Zunge  lassen  sich  leicht  bestimmen  auf 
Grund  der  angeführten  Wirkungen  der  hier  thätigen  Muskeln. 

Die  Zunge  ist  mit  einer  Schleimhaut  bedeckt,  die  an  der  unteren 
Wand  der  Mundhöhle  zur  unteren  Fläche  der  Zunge  geht  und  bei  diesem 
Uebergange  in  der  Mitte  eine  Falte  bildet,  das  Zungenbändchen  (Frenulum 
linguae).  Am  Bande,  dem  vorderen  und  mittleren  Theile  des  Rückens  ist  die 
Schleimhaut  der  Zunge  unbeweglich  und  mit  Warzen  {Papulae  linguae)  be- 
deckt. Am  hinteren  Theile  des  Zungenrückens  bedeckt  die  Schleimhaut  eine 
Drüsenschicht  und  ist  hier  locker  mit  dem  unterliegenden  Gewebe  verbunden. 

Auf  dem  mit  Papillen  bedeckten  Rücken  der  Zunge  ist  die  Oberfläche 
sammtartig,  und  hier  sind  drei  Hauptformen  von  Warzen  zu  unterscheiden; 
ausserdem  sind  noch  längs  dem  Rande  der  Zunge,  besonders  der  Mitte  ent- 
sprechend, kammförmige  Hervorragungen  zu  unterscheiden.  Die  grössten  Warzen 
sind  von  Schleimhautfalten  umgeben  und  werden  daher  umwallte  Warzen 
[Papulae  magnae  s.  circumvallatae)  genannt,  sie  sind  gewöhnlich  nur  an  der 
hinteren  Grenze  des  Rückens  gelagert,  so  dass  sie  beiderseits  mit  ihrer  Lage 
einen  nach  vorn  offenen,  nach  hinten  spitzen  Winkel  bilden.  Die  grösste 
dieser  Papillen  ist  entsprechend  der  Spitze  des  Winkels  gelagert.  Hinter 
dieser  Papille  ist  eine  mehr  oder  weniger  tiefe  Grube,  das  blinde  Loch 
{Foramen  coecum  linguae),  in  dessen  Wände  Oeffnungen  von  Ausführungsgängen 
von  Schleimdrüsen  und  folliculären  Drüsen  gelagert  sind.  Die  Grube  ist  mehr 
oder  weniger  tief  mit  dem  blinden  Ende  nach  hinten  gerichtet.  Die  Zahl 
der  umwallten  Papillen  ist  jederseits  von  5 — 6;  je  grösser  der  Umfang,  desto 
kleiner  die  Zahl  und  umgekehrt.  Die  kleinen  Papillen  sind  haar-  und 
kegelförmig  {Papillae  filiformes  et  conicae),  sie  bedecken  die  ganze  Rücken- 
fläche der  Zunge,  nach  vorn  von  den  umwallten  Papillen,  und  geben  diesem 


RACHEN-MUNDHÖHLE.  535 

Theile  ein  sammetartiges  Ansehen.  Die  mittleren  Warzen  sind  pilz-  oder 
keulenförmig  {Papulae  fungiform es),  sind  grösser  als  die  vorigen,  sie  sind 
zwischen  den  kleinen  Papillen  zerstreut,  besonders  in  den  vorderen  und  seit- 
lichen Theilen  der  Zunge;  sie  erheben  sich  mit  ihren  breiten  Enden  über  die 
kleineren  Papillen.  Ausserdem  sind  längs  dem  Ptande,  besonders  gegen  die 
Mitte  schräg  nach  hinten  und  unten  gehende  kammförmige  Hervorragungen 
{Papulae  foliatae). 

Alle  diese  Warzen  und  Hervorragungen  haben  die  Bedeutung  einer 
grossen  Fläche  im  gegebenen  Räume,  die  als  Anfangstheil  für  centripetal 
leitende  Nerven  dienen.  Jede  Papille  besteht  aus  einem  Grundtheile  und 
einer  epithelialen  Auflagerung.  In  dem  Grundtheile  ist  Bindegewebe  mit 
elastischen  Fasern,  hier  sind  Gefässschlingen  und  Netze  und  Nervenfasern  ge- 
lagert. Die  letzteren  beginnen  mit  protoplasmatischen  Anschwellungen,  die 
in  den  epithelialen  Auflagerungen  gelegen  sind  oder  als  feine  Härchen  in  den 
sogenannten  Geschmacksknospen. 

Die  Papillen  variiren  sehr  je  nach  der  Qualität  der  genommenen  Speise 
und  dem  Grade  der  Reizung  der  Oberfläche  der  Zunge,  je  nach  der  Ernährung 
der  oberflächlichen  Schicht  der  Papillen;  bei  gestörter  Ernährung  kann  leicht 
Abschilferung  eintreten  und  die  Oberfläche  der  Zunge  eine  grauweissliche  Fär- 
bung annehmen;  auch  können  hier  sich  mikroskopische  Pilzfäden  entwickeln, 
besonders  auf  den  regressirenden  Theilen  des  Epitheliums,  und  dadurch  die 
sammtartige  Oberfläche  in  eine  mehr  einförmige,  glatte  Fläche  verwandeln. 
Die  Höhe  der  Papillen  wechselt  von  0'4 — 1*5  und  sogar  2mm.  Der  Epithelial- 
stiel  der  Papille  beträgt  von  O'Ol — 0*05  wm. 

Die  fadenförmigen  Papillen  können  eine  haarförmige,  sich  zuspitzende 
feine  Form  haben,  wobei  die  platten  Epithelelemente  sich  als  feine  Fäden 
ausziehen;  oder  die  secundären  Papillen  nehmen  eine  mehr  fingerförmige 
Gestalt  an  und  enden  mit  abgerundeten  freien  Theilen. 

Die  pilzförmigen  Papillen  sind  länger;  zur  Basis  sind  sie  gewöhn- 
lich enger  und  zum  Endtheile  breiter;  sie  sind  gröber  und  verhalten  sich  zu 
den  fadenförmigen  Papillen  wie  Fausthandschuhe  zu  einem  Fingerhandschuhe. 

Die  "wallförmigen  Papillen  sind  gewöhnlich  grösser,  wie  die  pilz- 
förmigen, ausserdem  sind  sie  von  einer  P'alte  der  Schleimhaut  wäe  von  einem 
Walle  umgeben.  Die  Seitentheile,  die  zu  dieser  Falte  gerichtet  sind,  ebenso 
wie  die  innere  Fläche  des  Walles  enthalten  in  ihrer  Epithelialschicht  ovale 
Geschmacksknospen.  Diese  Knospen  sind  äusserlich  von  spindelförmigen  Ele- 
menten umgeben  und  enthalten  Protoplasmafäden  mit  Kernen,  die  auf  der 
freien  Oberfläche  mit  feinen  Fäden  beginnen  und  central  wohl  in  Nervenfäden 
übergehen. 

Die  kammförmigen  Hervorragungen  unterscheiden  sich  nicht 
von  Baue  der  Papillen,  nur  dass  sie  länglich  ausgezogen  sind  und  gewöhnlich 
den  Rand  der  Zunge  schief  kreuzen.  Sie  sind  auch  mit  secundären  Epithelial- 
auflagerungen  bedeckt,  von  wo  aus  die  Nervenanfänge  gehen. 

Je  feiner  die  Papille  endigt,  desto  grösser  muss  der  Grad  der  Differen- 
zirung  der  Wirkung  der  äusseren  Erregung  sein,  während  eine  grössere  Fläche 
der  Papille  das  Betasten  der  Theile  erleichtert. 

In  der  Zunge  verzweigen  sich  zwei  Zungenarterien  [Art.  linguales).^  aus 
der  Art.  carotis  externa  stammend.  Jederseits  dringt  diese  Arterie  über  den 
M.  hyo-glossus,  zwischen  dem  M.  genio-glossus  und  lingualis  inferior  nach 
vorwärts  in  der  Richtung  zur  Zungenspitze.  Einen  Ast  gibt  die  Zungenarterie 
zur  Schleimhaut  des  Rückens  der  Zunge  (Art.  dorsalis  linguae),  nach  hinten 
bis  zur  Epiglottis,  zu  den  längs  den  Seitenrandes  hier  gelegenen  Muskeln  und 
zur  Tonsille.  Weiter  gehen  Aeste  zum  unteren  Theile  der  Zunge,  die  Unter- 
zungenäste {R.  sublinguales)  zur  Unterzungendrüse,  die  unter  ihr  liegenden 
Muskeln    und    zum  Alveolarrand  des  Unterkiefers,    zum  Zungenbein   und  die 


536  RACHEN-MUNDHÖHLE. 

ZU  diesen  Knochen  gehenden  Muskeln.  Endlich  verzweigt  sich  die  Arterie 
als  tiefe  Aeste  (R.  profundi  linguales)  in  allen  die  Zuugensubstanz  bilden- 
den Geweben.  Nur  die  Rücken-  und  Unterzungenäste  verbinden  sich  in 
der  Mittellinie  mit  einander;  die  Verzweigungen  der  tiefen  Aeste  anasto- 
mosiren  gewöhnlich  nicht  in  der  Mittellinie  mit  einander.  Die  Papillen  sind 
so  reich  an  Gefässnetzen,  dass  sie  normal  fast  wie  die  Lippen  roth  gefcärbt 
sind.  Die  Venen  entsprechen  den  Arterien,  sie  sammeln  sich  in  die  Vena 
facialis  communis.  Die  Lymphgefässe  gehen  mit  den  Venen,  sie  sammeln  sich 
in  den  Zungendrüsen,  die  von  2 — 4  unter  dem  Rande  der  Mitte  des  Kiefers 
zur  Seite  des  M.  genio-glossus  und  hyo-glossus  gelagert  sind. 

Die  Nerven  der  Zunge  gehören  dem  5.,  7.,  9.  und  12.  Paare  der 
Kopfnerven  an  und  dem  Geflechte  der  äusseren  Kopfpulsader  (Plexus  caroHcus 
externus).  Zum  Stamm  des  N.  trigeminus  geht  centripetal  der  N.  lingualis, 
mit  den  Fasern  zum  und  vom  Ganglion  lingualis;  vom  Rücken  der  Zunge  und 
namentlich  von  den  hier  gelagerten  Papillen  filiformes,  fungiformes  und  den 
AVarzen  des  Randtheiles  der  Zunge.  Mit  dem  Stamm  des  N.  facialis  ver- 
binden sich  centripetal  und  centrifugal  Fasern  der  Chorda  tympani.  Der 
N.  glosso-pharyngeus  bekommt  Fasern  vom  Wurzeltheile  der  Zunge  und  von 
den  Papulae  circumvallatae.  Die  Muskeln  der  Zunge  erhalten  ihre  Aeste  vom 
N.  hypoglossus;  die  unter  dem  Zungenbein  gelagerten  Muskeln  erhalten  ihre 
Zweige  vom  N.  hypoglossus  und  vom  Halsgefiechte  namentlich  Aeste  des  1., 
2.  und  3.  Halsnerven.  Die  sympathischen  Zweige  gehen  mit  allen  hier  ge- 
legenen Gefässen  vom  Plexus  lingualis,  der  vom  Plexus  caroticus  externus 
abstammt. 

Die  Drüsen  des  Vorhofes  und  der  Mundhöhle,  ebenso  wie  der  Zunge 
sind  gelagert  in  allen  den  Theilen,  wo  die  Schleimhaut  locker  mit  dem  unter- 
liegenden Gewebe  verbunden  ist,  oder  wo  Räume  zwischen  den  benachbarten 
Theilen  und  zwischen  diesen  Theilen  und  der  Zunge  sich  erweisen.  Es  exi- 
stiren  keine  Drüsen  unter  der  Schleimhaut  des  Kiefers,  am  harten  Gaumen, 
auf  dem  Rücken  der  Zunge,  weil  hier  die  Schleimhaut  fest  mit  dem  unter- 
liegenden Gewebe  verbunden  ist.  Im  Gegentheil  sind  Schleimdrüsen  vor- 
handen: an  der  Zahnfläche  der  oberen  und  unteren  Lippe  {Glandulae 
labiales  sup.  et  inf.)^  ander  Wange  (Glandulae  buccales);  hinter  dem  letzten 
Backenzahne  und  der  Crista  buccinatoria  des  Unterkiefers  Backenzahndrüsen 
{Glandulae  molares)^  Gaumendrüsen  {Glandulae  2Mlatinae)  am  hinteren 
Theile  des  harten  und  am  weichen  Gaumen,  endlich  Zungendrüsen 
{Glandulae  linguales),  die  als  Rand-  und  Wurzeldrüsen  unterschieden  werden 
müssen.  Die  Randdrüsen  lagern  an  der  unteren  Fläche  und  dem  Seiten- 
rande der  Zunge  in  einer  unterbrochenen  Reihe  von  der  Spitze  bis  hinter  die 
Mitte  des  Randes.  Die  vordersten  dieser  Drüsen  sind  zwischen  den  Bündeln 
des  M.  genio-glossus  einerseits  und  dem  vorderen  Theile  des  M.  stylo-glossus 
und  lingualis  inferior  andererseits  gelegen.  Das  sind  die  sogenannten  Drüsen 
der  Spitze  der  Zunge  {Glandulae  apicis  linguae);  sie  bilden  eine  längliche 
Gruppe,  die  unter  der  Schleimhaut  hier  leicht  zu  finden  ist.  Ihre  4—5  Aus- 
führungsgänge öffnen  sich  an  der  unteren  Fläche  der  Zungenspitze  vom 
vorderen  Theile  des  Zungenbändchens  nach  hinten  und  aussen  an  einer  kleinen 
Erhabenheit  der  Schleimhaut,  die  Plica  fimbriata  genannt  wird.  Weiter  nach 
hinten  ist  nach  aussen  vom  M.  stylo-glossus  eine  geringe  Zahl  Drüsen  ge- 
lagert, das  ist  die  kleinste,  mittlere,  unbeständige  Gruppe.  Nach  hinten,  wo 
der  Rand  der  Zunge  am  vorderen  Gaumenbogen  grenzt,  ist  die  hintere 
Gruppe  der  Randschleimdrüsen  der  Zunge  gelagert.  Auf  der  Rückenfläche 
der  Wurzel  der  Zunge,  wo  keine  Papillen  sich  befinden  und  wo  die  Schleim- 
haut als  Falte  aufgehoben  werden  kann,  von  den  wallförmigen  Papillen  bis 
zur  Epiglottis  nach   hinten,  ist  eine  ganze  Schicht  von  Schleimdrüsen  unter 


EACHEN-MÜNDHÖIILE.  537 

der  Schleimhaut  gelagert,  das  sind  die  Wurzeldrüsen  (Glandulae  radicis 
linguae).    Diese  Schicht  ist  stellenweise  bis  6  mm  dick. 

Ausser  diesen  Drüsen  unter  der  Schleimhaut  ist  noch  in  den  Zwischen- 
räumen unter  der  Zunge  die  Sublingualdrüse  {GlandiUa  suUingualiH) 
zwischen  der  Innenfläche  des  Unterkiefers,  der  Zunge  und  über  dem  M.  mylo- 
hyoideus gelagert.  Weiter  nach  unten,  unter  dem  M.  mylo-hyoideus,  lateral- 
wärts  von  den  zwischen  dem  Zungenbeine  und  dem  Kinnvorsprunge  ge- 
lagerten Muskeln,  unter  dem  Rande  des  Unterkiefers  ist  die  Unterkiefer- 
drüse  gelegen.  Endlich  ist  die  grösste  der  hier  wirkenden  Drüsen  eine 
Speicheldrüse,  die  Ohrspeicheldrüse  [Glandula  parotis)  in  der  Hinter- 
kiefergrube {Fossa  retromaxillaris)  und  auf  der  Aussenfläche  des  hinteren 
Theiles  des  M.  masseter,  nach  unten  bis  zum  Winkel  des  Unterkiefers  gelagert. 
Alle  diese  Drüsen  sind  acinöse  Drüsen  und  sind  Schleimdrüsen,  nur  die  letzte 
wird  als  Speicheldrüse  unterschieden. 

Die  Unterzungendrüse  [Glandida  subungualis)  liegt  unter  der 
Schleimhaut  der  unteren  Wand  der  Mundhöhle;  sie  ist  die  kleinste  der  drei 
in  der  Umgebung  der  Mundhöhle  gelagerten  Drüsen.  Das  Gewicht  dieser 
Drüse  ist  2 — Sg,  von  dem  Umfange  einer  Mandel,  platt-ovaler  P'^orm.  Die 
Länge  der  Drüse  ist  2— 3  cm,  der  verticale  Durchmesser  1cm,  in  querer 
Richtung  ist  der  Durchmesser  6 — 7  mm.  Am  äusseren  Theil  der  Drüse  ist 
eine  Reihe  von  kleinen  Drüsen  gelagert,  5—7  an  Zahl,  die  mit  ihren  Gängen 
an  der  unteren  Wand  der  Mundhöhle,  dem  Kieferrande  parallel,  sich  öffnen, 
das  sind  die  Glandulae  sublinguales  minores,  ihre  Gänge  werden  Ducti  sublin- 
guales minores  s,  Rivini  genannt.  Die  grosse  Drüse  geht  am  inneren  Rande 
in  einen  mehr  oder  weniger  langen  Gang  über  (Ductus  subungualis  major 
s.  Bartholinianus),  der  gewöhnlich  sich  mit  dem  Ausführungsgang  der  Unter- 
kieferdrüse verbindet  und  zusammen  mit  einer  Oeffnung  sich  am  Boden  der 
Mundhöhle  öffnet. 

Die  Gefässe  der  Unterzungendrüse  stammen  aus  den  Gefässen  der  Zunge; 
auch  erhält  sie  Aeste  aus  der  Art.  submentalis,  ein  Ast  der  Maxillaris  externa. 
Die  Lymphgefässe  öffnen  sich  in  die  tiefen  Halsdrüsen. 

Die  Nerven  sind  Zweige  des  N.  lingualis  und  der  Chorda  tympani. 
Sympathische  Fasern  entsprechen  den  Gefässen. 

Die  Unterkieferdrüse  (Glandula  submaxillaris)  ist  unregelmässig 
prismatischer  Form,  sie  reicht  nicht  bis  zum  Unterkieferrande,  sondern  ist 
von  diesem  Rande  durch  eine  Reihe  von  Lymphdrüsen  (8 — 10)  geschieden. 
Die  Drüse  geht  nach  unten  bis  zur  oberen  Fläche  des  oberen  Halsdreieckes, 
sie  ist  von  den  Blättern  des  oberen  Abschnittes  der  oberflächlichen  Cervical- 
aponeurose  umgeben.  Das  Gewicht  der  Drüse  ist  7 — 8  g,  die  Länge  ist 
1-5— 2  cm.  Von  oben-hinten  wird  die  Unterkieferdrüse  durch  die  Arteria  ma- 
xillaris externa  und  die  Vena  facialis  gekreuzt,  die  der  Drüse  hier  nahe  an- 
liegen und  längs  dem  oberen  Rande  einen  Ast  nach  innen  geben,  die  Vasa 
submentalia.  Vom  oberen  Theile  der  Drüse  geht  über  den  M.  mylo-hyoideus 
der  Ausführungsgang  (Ductus  submaxillaris)  nach  innen,  er  verbindet  sich 
gewöhnlich  mit  dem  Gange  der  Unterzungendrüse  und  öffnet  sich  am  Boden 
der  Mundhöhle,  dicht  neben  dem  Unterzungenbändchen  auf  der  Spitze  der 
Caruncula  salivalis. 

Die  Gefässe  der  Drüse  stammen  von  der  Arteria  submentalis  der  Maxil- 
laris externa  und  Aeste  der  Arteria  subungualis.  Die  Venen  gehen  in  die 
Vena  submentalis,  die  sich  in  die  Vena  facialis  ant.  öffnet  und  die  Vena 
subungualis,  ein  Zweig  der  Vena  lingualis.  Die  Lymphgefässe  gehen  zu  den 
Glandulae  submaxillares. 

Die  Nerven  sind  Aeste  des  Nervus  lingualis  und  des  Gangl.  linguale 
des  Trigeminus,  und  vom  Nervus  mylo-hyoideus;  ebenso  sind  hier  auch  Aeste 


538  RACHEN-MUNDHÖHLE. 

der  Chorda  tympani  vom  Nervus  facialis.  Ausserdem  sind  hier  noch  sym- 
pathische Netze  vom  Plexus  maxillaris  externus. 

Die  Ohrspeicheldrüse  {Glandula  parotis)  ist  in  der  Fossa  retro- 
maxillaris  gelagert,  in  die  die  Drüse  keilförmig  eindringt  und  mit  einem 
Fortsatz  den  Hals  des  Gelenkfortsatzes  des  Unterkiefers  umfasst.  Nach  hinten 
reicht  die  Drüse  bis  zum  knorpeligen  Theile  des  äusseren  Gehörganges  und 
dem  vorderen  Kande  des  M.  sternocleido-mastoideus;  nach  unten  geht  sie  bis 
zum  hinteren  Bauche  des  M.  digastricus  und  dem  Lig.  stylo-maxillare;  nach 
vorne  bedeckt  sie  den  hinteren  Rand,  oder  das  hintere  Drittel  des  M.  mas- 
seter;  nach  oben  ist  sie  bis  zur  Wurzel  des  Jochbogens  gelagert  und  gibt 
hier  gewöhnlich  einen  Fortsatz  nach  vorn,  der  fingerbreit  bis  zum  M.  zygo- 
maticus  major  oder  bis  zum  vorderen  Rande  des  M.  masseter  reichen  kann. 
Längs  dem  unteren  Rande  dieses  Fortsatzes,  auf  eine  Fingerbreite  unter  dem 
unteren  Rande  des  Jochbogens,  geht  ein  Ausführungsgang  nach  vorn,  der 
vor  dem  vorderen  Rande  des  M.  masseter  sich  vertieft,  den  M.  buccinator 
durchbohrt  und  sich  an  der  Aussenwand  des  Vorhofes  öffnet.  Die  Oeffnung 
des  Ausführungsganges  {Ductus  parotideus)  entspricht  der  Lage  des  ersten 
grossen  Backenzahnes  oder  des  hinteren  kleinen  Backenzahnes.  Der  Durch- 
messer der  Oeffnung  ist  O'l mm,  die  Länge  des  Ganges  5-5— 6 cw,  seine  Dicke 
3mm  mit  einem  Lumen  von  l'bmm.  Die  platten  rundlichen  Läppchen  der 
Drüse  sind  locker  mit  einander  verbunden.  Von  aussen  ist  die  Drüse  mit 
einer  starken  Aponeurose  bedeckt,  die  Aponeurosis  parotidea-masseterica.  Diese 
starke  Bindegewebsmembran  geht  nach  hinten  bis  zum  Processus  mastoideus 
und  dem  knorpligen  äusseren  Theil  des  Ohres,  nach  unten  geht  sie  in  die 
Cervicalaponeurose  und  das  Lig.  stylo-maxillare  über,  nach  oben  befestigt 
sich  die  Membran  am  unteren  Rande  des  Jochbogens,  nach  vorn  bedeckt  sie 
den  M.  masseter  und  geht  bis  zur  Backenaponeurose,  mit  der  sie  verschmelzt. 
Von  der  Innenfläche  dieser  Membran  gehen  Fortsätze  zwischen  den  Läppchen 
der  Drüse;  diese  Fortsätze  theilen  sich  hier  und  gehen  endlich  in  das  die 
Läppchen  verbindende  Bindegewebe  über.  Die  Läppchen  sind  somit  wie  von 
Bindegewebskapseln  umfasst,  und  die  die  Drüse  von  aussen  bedeckende  Mem- 
bran ist  hier  so  befestigt,  dass  sie  einen  ebenso  grossen  Widerstand  der 
durch  Reizung  bedingten  Nahrungszufuhr  erweisen  kann,  wie  von  den  übrigen 
Seiten  die  Knochenwände  der  Grube  es  erweisen,  in  die  die  Drüse  gelagert 
ist.  Ausserdem  wird  der  Widerstand  dieser  Aponeurose  noch  bedeutend  ver- 
stärkt durch  einen  queren  Muskel,  der  von  ihm  beginnt  und  zum  Mundwinkel 
geht  und  sich  hier  verflechtet  und  in  den  Bündeln  des  M.  sphincter  oris 
übergeht.  Das  ist  der  Spanner  dieser  Aponeurose  (M.  tensor  aponeurosis 
parotideae-massetericae),  gewöhnlich  als  M.  risorius  bekannt.  In  der  Tiefe 
der  Retromaxillar- Grube  ist  der  Processus  styloideus  und  die  von  ihm  be- 
ginnenden Muskeln  gelagert;  hier  grenzt  an  die  Drüse  die  Arteria  carotis 
externa,  die  im  obersten  Theile  der  Grube  sich  in  die  Arteria  temporalis 
superficialis  und  Arteria  maxillaris  interna  theilt.  Nach  aussen  und  vorn  von 
der  Arteria  carotis  dringt  durch  die  Drüse  der  Nervus  facialis,  der  sich  hier 
in  seine  Zweige  theilt.  Im  oberen  Theile  der  Drüsen  liegen  2—4  Lymphdrüsen 
{Glandulae  auriculares  ant.  s.  facialis  super/.),  die  auch  von  der  Aponeurosis 
parotidea-masseterica  bedeckt  sind. 

Das  Gewicht  der  Parotis  ist  22*5— 30^,  ihr  Volumen  28 — 38  cm^.  In 
senkrechter  Richtung  ist  die  Länge  4 — 5  cm,  von  vorn  nach  hinten  2-8 — 3-5  cm^ 
die  dickste  Stelle  2- 5 cm. 

Die  Gefässe  der  Parotis  gehen  als  Rami  parotidei  von  der  Arteria 
carotica  externa  und  der  Arteria  temporalis  superficialis  ab;  noch  bekommt 
sie  Aeste  aus  der  Arteria  transversa  faciei.  Im  unteren  hinteren  Theile  grenzt 
an  die  Drüse  die  Arteria  auricularis  posterior.  Die  Venen  sammeln  sich  in  die 
Vena  facialis  posterior.  Die  Lymphgefässe  gehen  in  die  Glandulae  submaxillares 


RACHEN-MUNDHÖHLE.  539 

et  cervicales  superficiales  über.  Die  hier  gelagerten  Glandulae  auriculares 
ant.  erhalten  ihre  Gei'ässe  aus  der  Schläienregion,  sie  erkranken  bei  Leiden 
dieser  Gegend  und  von  ihnen  geht  der  Krankheitsprocess  leicht  zur  Parotis 
über,  was  bei  convalescirenden  Kranken  nach  Infectionskrankheiten  be- 
obachtet wird. 

Die  JNerven  gehören  dem  Nervus  facialis  und  dem  Nervus  auriculo- 
temporalis  aus  dem  dritten  Aste  des  Nervus  trigeminus  an.  Ausserdem  sind 
hier  noch  sympathische  Aeste  aus  dem  Plexus  caroticus  externus. 

Die  mit  geschichtetem  Pflasterepithelium  bedeckte  Schleimhaut  geht  von 
dem  Rande  der  oberen  und  unteren  Lippe,  bedeckt  die  Lippen  und  die  Innen- 
wände der  Backen  und  geht  auf  die  Kiefer  über,  hierbei  bildet  sie  ein  oberes 
und  ein  schwach  ausgesprochenes  unteres  Bändchen  {Frenulum  lafni  superioris 
et  lahii  inferioris).  Am  Ptande  des  Kiefers  umfasst  die  Schleimhaut  den  Hals 
der  Zähne  und,  längs  dem  Rande  des  Kiefers,  die  Spalten  zwischen  dem  Hals 
der  benachbarten  Zähne,  wo  die  Schleimhaut  mit  der  Beinhaut  der  Alveolen 
sich  verbindet.  An  den  Kiefern  ist  die  Schleimhaut  fest  mit  dem  Perioste 
verbunden,  sie  ist  hier  reich  an  Gefässpapillen,  verhältnismässig  arm  an 
Nervenfasern.  Hier  ist  die  Schleimhaut  als  Zahnfleisch  (Gingiva)  bekannt. 
Hinter  dem  letzten  Backenzahne,  zwischen  ihm,  dem  vorderen  Rande  des 
Processus  coronoideus,  hauptsächlich  aber  dem  Lig.  pterygo-maxillare,  tapezirt 
die  Schleimhaut  eine  primatische  oder  ovale,  verticale  Spalte  aus,  durch  die 
der  Vorhof  mit  der  eigentlichen  Mundhöhle  communicirt.  Der  quere  Durch- 
messer dieser  Spalte  ist  o—bmm,  die  Höhe  9  — 11  mm.  Von  unten  ist 
diese  Spalte  durch  die  mit  der  Schleimhaut  bedeckte  Glandula  molaris  be- 
grenzt. Das  Ligamentum  pterygo-maxillare  ist  zwischen  dem  Hamulus  des 
Processus  pterygoideus  und  dem  hinteren  Theile  der  Lineae  mylo-hyoideae 
ausgespannt;  von  ihm  entspringen  Fasern  des  M.  buccinator. 

In  der  eigentlichen  Mundhöhle  setzt  die  Schleimhaut  zwischen  und 
hinter  den  Zähnen  auf  die  Innenfläche  des  Kiefers  fort,  bedeckt  oben  die 
Beinhaut  der  Gaumenfortsätze  des  Oberkiefers,  mit  der  sie  eng  verschmolzen 
ist  und  besetzt  im  vorderen  Theile  quere,  mehr  oder  weniger  vorstehende 
Kämme.  Das  ist  der  harte  Gaumen  {Palatiim  durum),  der  ein  Gewölbe 
darstellt,  dessen  Krümmung  der  Krümmung  des  Zungenrückens  entspricht. 
Im  vorderen  Theile  des  harten  Gaumens  bedeckt  die  Schleimhaut  die  Oeff- 
nung  des  Nasengaumencanals.  Nach  hinten  lagert  sich  zwischen  der  Schleim- 
haut und  der  Beinhaut  der  Gaumenknochen  eine  Schicht  Schleimdrüsen,  die 
Schleimhaut  bildet  hier  eine  Falte,  deren  hintere  Lamelle  in  die  Wand  der 
Rachenhöhle  übergeht.  Diese  Falte  mit  denen  in  ihr  enthaltenen  Muscheln 
und  Drüsen  ist  der  weiche  Gaumen  {Palatum  moUe),  das  aus  einem  mitt- 
leren, unpaaren  Fortsatze,  der  nach  unten  gerichtet  ist,  dem  Zäpfchen  (Uvula) 
und  zwei  seitlich  nach  unten  auseinander  gehenden  Bögen  besteht.  Der 
vordere  Bogen  dieser  Falte,  der  Zungen-G  aumenbogen  (J.rcHS  ^:»atoo- 
glossus)  geht  zu  den  Seitenwänden  der  Zunge,  in  deren  Schleimhaut  er  über- 
geht; der  hintere  oder  Schlundgaumenbogen  {Arcus  ;palato-pharijngeus) 
geht  zur  Seite  und  hinterer  Wand  der  Rachenhöhle  über.  Zwischen  diesen 
convergirenden  Bögen  bleibt  ein  mit  der  Basis  nach  unten,  zur  Zungen- 
wurzel, gerichteter,  dreieckiger  Raum,  der  durch  einen  mandelförmigen  Vor- 
sprung ausgefüllt  ist.  In  diesem  Räume  ist  die  sogenannte  Mandeldrüse 
{Tonsilla  s.  Amygdala)  gelagert.  Zwischen  dem  Rande  dieser  Falte  und  der 
Zungenwurzel  ist  die  hintere  Oeffnung  der  Mundhöhle  oder  die 
sogenannte  Rachenenge  {Isthmus  faucium)  gelegen,  die  die  Mundhöhle  mit 
der  Rachenhöhle  verbindet. 

Von  der  Zahnfläche  des  Unterkiefers  geht  die  Schleimhaut  auf  die  untere 
Wand  der  Mundhöhle  über,  bedeckt  hier  die  kleinen  und  die  grossen  Unter- 
zungendrüsen  und   setzt   sich  auf  die   untere  Fläche   der  Zunge  fort.    Beim 


540  RACHEN-MüNDHÖHLE. 

Uebergange    zur   unteren  Fläche    der  Zunge    bildet   die  Schleimhaut    in  der 
Mittellinie  eine  Falte,  das  Zungenbändchen  (Frenulum  linguae). 

Auf  der  Wurzel  der  Zunge,  von  den  Papulae  vallatae  nach  hinten  bis 
zur  hinteren  Grenze  der  oberen  Fläche  der  Zunge  sind  kleine  Gruben  von 
1 — 5wm,  mit  Oetfuungen  von  circa  1mm  Durchmesser  zu  sehen;  je  näher 
nach  vorn,  desto  kleiner  sind  sie,  weiter  nach  hinten  sind  sie  grösser.  Das 
sind  die  Zungenbalgdrüsen.  In  der  Dicke  der  Wände  dieser  Gruben 
sind  folliculäre  Drüsen  und  adenoides  Gewebe  gelagert,  die  ausserdem  auch 
zwischen  diesen  Gruben,  als  tuberk eiförmige  solitäre,  folliculäre  Drüsen 
sich  in  der  Substanz  der  Schleimhaut  erweisen  und  normal  mit  freiem  Auge 
sich  hier  nicht  unterscheiden  lassen.  Die  Schleimhaut  ist  hier  mit  geschich- 
tetem Epithelium  und  Papillen  bedeckt,  nach  hinten  geht  sie  von  der  Zungen- 
wurzel zur  VorderÜäche  des  Kehldeckels,  wobei  sie  zwei  seitliche  und  eine 
mittlere  Falte  (Lig.  glosso-epiglottica  lateralia  et  medium)  bildet;  zwischen 
diesen  Falten  bleiben  zwei  paarige  Gruben  (Fossae  glosso-epglotticae)  liegen. 
Diese  Theile  bilden  schon  Wände  der  Rachenhöhle. 

EacJienhöhle  {Cavum  fauciwn).  Die  Rachenröhre  bildet  sich  aus  dem 
obersten  blinden  Ende  des  primären  Darmcanales,  und  erst  secundär  verbindet 
sie  sich  mit  der  Mundgrube.   Die  Höhle  dieser  Röhre  ist  die  Rachenhöhle. 

In  der  Höhle  dieser  Röhre  kreuzen  sich  das  Nahrungsrohr  mit  dem 
Athmungsorgane,  sobald  die  einen  Organe  geschlossen  sind,  so  sind  die 
anderen  hier  wegbar.  Dieses  Schliessen  und  Oeffnen  der  bezüglichen  Wege 
wird  durch  eine  Klappe  bedingt,  diese  Klappe  bildet  der  weiche  Gaumen.  Ist 
der  Gaumen  gespannt,  zurück  und  nach  oben  gezogen  und  die  Zungenwurzel 
nach  hinten  und  unten  dislocirt,  so  sind  die  Speisewege  geöffnet,  die  Athmungs- 
wege  geschlossen;  ist  dagegen  der  weiche  Gaumen  nach  unten  und  vorn 
herabgelassen,  die  Zunge  nach  vorn  und  oben  gelegen,  so  sind  die  Athmungs- 
organe geöffnet  und  die  Speisewege  getrennt.  Die  Wände  der  Rachenhöhle 
bilden  somit  ein  einfaches  Rohr  mit  verticalen  und  circulären  Muskelfasern, 
das  von  einer  Schleimhaut  austapezirt  ist;  die  Höhle  kann  durch  eine  Klappe 
geschlossen  und  geöffnet  werden.  Nach  oben  ist  diese  Röhre  blind  endend; 
vorn  und  oben  sind  die  Eingangstheile  der  Athmungswege  mit  dem  Geruchs- 
organe gelegen,  die  schon  als  Nasenhöhle  beschrieben  sind,  vorn  und  unten 
ist  die  Eingangshöhle  der  Speisewege  mit  dem  Geschmacksorgane  gelagert; 
unten  theilt  sich  die  Röhre,  nach  vorn  liegt  der  Eingang  zum  Kehlkopf 
(Larynx),  nach  hinten  der  Schlundkopf  (Phari/nx),  der  in  die  Speiseröhre 
führt.  Oben  reicht  die  Rachenhöhle  bis  zu  der  Unterfläche  des  Schädels, 
nach  hinten  ist  der  Halstheil  der  Wirbelsäule  gelagert,  von  der  Schädelbasis 
bis  zur  Fläche  des  unteren  Theiles  des  fünften  Halswirbels.  Entsprechend 
dem  hinteren  Theile  der  Nasenhöhle  und  namentlich  des  unteren  Nasenganges 
ist  an  der  Seitenwand  der  Rachenröhre  schief  die  innere  Oeffnung  der  Pauken- 
röhre (Tuba  ti/mpanica)  gelagert,  mittelst  der  die  Schwingungen,  die  das  Ge- 
hörorgan passiren,  zum  Athmungsausgang  gerichtet  werden.  Die  hintere  Wand 
der  Röhre  ist  durch  lockeres  Bindegewebe  mit  der  vorderen  Fläche  der  Wirbel- 
säule verbunden.  Entsprechend  dieser  Wand  sind  an  der  Wirbelsäule,  nach 
unten  convergirend,  die  beiderseitigen  M.  recti  capitis  antici  majores  und 
die  Mm,  longi  colli  gelagert.  Beim  Beugen  des  Kopfes  und  bei  Contraction 
dieser  Muskeln  kann  die  hintere  Wand  etwas  vorgetrieben  werden. 

Die  äussere  Schicht  der  seitlichen  und  hinteren  Wand  der  Rachenhöhle 
bilden  die  Rachenschnürer  (M.  constricfores  pharyngis)\  aussen  und  seitwärts 
und  nach  innen  von  den  Schnürern  sind  die  Heber  der  Wand  der  Rachen- 
röhre {Mm.  levatores  pharyngis)  gelagert.  Weiter  nach  innen  sind  die  Muskel- 
schichten von  der  Schleimhaut  bedeckt. 

Die  Rachenschnürer  werden  in  obere,  mittlere  und  untere  Bündel 
unterschieden;  die  oberen  nehmen  ihren  Anfang  von  der  Basis  des  Schädels 


RACIIEN-MUNDHÖIILE.  541 

und  der  Gesichtstheile,  der  mittlere  Muskel  beginnt  vom  Zungenbeine,  der 
untere  von  den  Knorpeln  des  Kehlkopfes.  Die  Muskelbündel  bedecken  sich 
von  unten  nach  oben  dachziegelförmig  und  gehen  von  den  .Skelettheilen  nach 
hinten  und  innen,  wo  sie  sich  längs  der  Mittellinie  mit  einander  verflechten 
und  an  einer  oben  etwas  fibrösen  Mittellinie  endigen. 

Der  obere  Rachenschnürer  (M.  constridor  faucis  superior)  beginnt 
mit  dem  obersten  Bündel  vom  Felsenbeine,  nach  aussen  und  hinten  vom 
Anfang  des  Levator  palati.  Unter  ihm  beginnt  das  Bündel  von  Hamulus 
pterygoideus  und  vom  hinteren  Rande  und  der  inneren  Fläche  des  inneren 
Blattes  des  Flügelfortsatzes  des  Keilbeines.  Niedriger  geht  ein  Bündel  vom 
Lig.  pterygo-maxillare,  wo  es  mit  dem  Bündel  des  M.  buccinator  sich  be- 
gegnet. Weiter  geht  ein  Bündel  von  der  Linia  mylo-hyoidea  des  Unter- 
kiefers. Endlich  gehen  Fasern  des  M.  transversus  linguae  in  den  unteren 
Theil  des  oberen  Rachenschnürers  über,  der  noch  vom  Rande  der  Zungen- 
wurzel, zwischen  den  Fasern  des  Zungenbein-Zungenmuskels  einige  Fasern 
erhält.  Alle  diese  Bündel  zusammen  genommen  bilden  den  oberen  Rachen- 
schnürer. 

Der  mittlere  Rachens chnürer  {M.  constridor  faucis  medius)  be- 
ginnt am  Zungenbein,  das  obere  Bündel  vom  kleinen  Zungenbeinhorne,  das 
untere  vom  oberen  Rande  des  grossen  Zungenbeinhornes;  die  oberen  Bündel 
gehen  nach  hinten,  oben  und  innen,  die  mittleren  Bündel  fast  horizontal 
oder  sogar  etwas  nach  hinten,  unten  und  innen,  zur  Mittellinie,  wo  die  Fasern 
sich  verflechten. 

Der  untere  Rachenschnürer  (ilf.  constridor  faucis  inferior)  nimmt 
seinen  Anfang  vom  Höcker  des  Schildknorpels  des  Kehlkopfes  und  der  von 
ihm  nach  unten  gehenden  schiefen  Linie;  vom  unteren  Hörne  und  der  seitlichen 
Umgebung  des  Ringknorpels.  Die  unteren  Bündel  gehen  horizontal  und  grenzen 
nach  unten  an  die  Kreisfasern  der  Speiseröhre.  Alle  verflechten  sich  in  der 
hinteren  Mittellinie. 

Die  Heber  (Levatores)  der  Rachenwand  sind  folgende  Muskeln: 

Der  Griffel-Rachenmuskel  (M.  stylo-pharijngeus)  entspringt  theils 
sehnig  von  der  oberen  inneren  Seite  des  Griffelfortsatzes  des  Schläfenbeines, 
die  Fasern  gehen  nach  innen,  unten  und  etwas  nach  vorn.  Die  Fasern  dieses 
Muskels  gehen  auseinander  und  dringen  zwischen  die  Bündeln  des  oberen 
Rachenschnürers  und  besonders  zwischen  die  oberen  und  mittleren  Schnür- 
muskeln, sie  reichen  bis  an  die  fibröse  Membran  der  hinteren  und  Seiten- 
fläche der  Schleimhaut  der  Rachenröhre,  einige  Fasern  dieses  Muskels  gehen 
bis  zum  oberen  Rande  des  Schildknorpels. 

Der  Gaumen-Rachenmuskel  {M.  palato-pharyngeus).  Die  Bündel 
dieses  Muskels  beginnen  von  der  Bindegewebsstütze  des  weichen  Gaumens 
und  von  dem  fibrösen  Theile,  der  als  Fortsetzung  des  harten  Gaumens  nach 
hinten  und  unten  geht,  weiter  nach  aussen  vom  unteren  Rande  des  Knorpels 
der  Tuba  tympanica  und  vom  Haken  des  Processus  pterygoideus  mit  den 
Fasern  des  von  hier  entspringenden  Bündels  des  oberen  Rachenschnürers. 
Die  Bündel  gehen  nach  unten  und  hinten  zur  hinteren  Wand  der  Rachenröhre 
bis  zur  Medianlinie,  vom  oberen  bis  unteren  Rachenschnürer,  einige  dieser 
Fasern  verflechten  sich  mit  den  Bündeln  des  oberen  Rachenschnürers  und 
endigen  hier  im  Zwischengewebe  der  Muskelbündel.  Die  mittleren  Bündel 
inseriren  sich  von  der  Mittellinie  der  Rachenröhre  nach  vorn  bis  zum  unteren 
Hörn  des  Schildknorpels.  Die  vom  weichen  Gaumen  gehenden  Fasern  gehen 
nach  unten  zum  oberen  Hörn,  dem  oberen  und  hinteren  Rande  des  Schild- 
knorpels. Einige  Fasern  dieses  Muskels  reichen  bis  zur  Schleimhaut,  die  die 
innere  Fläche  des  Schildknorpels  austapezirt. 

Die  Wirkung  aller  Heber  der  Wand  der  Rachenröhre  besteht  darin,  dass 
sie  diese  Röhre  nach  oben  ziehen,   sie  im  oberen  Theile  des  Eingangstheiles 


542  RACHEN-MÜNDHÖHLE. 

des  Darmrohres  befestigen.  Hierbei  wirken  die  zwei  oben,  vorn  und  innen 
gelagerten  Mm.  palato-pharyngei,  und  die  zwei  oben,  hinten  und  aussen  be- 
ginnenden Mm.  stylo-pharyngei.  Die  festen  Punkte  befinden  sich  am  hinteren 
Theile  des  harten  Gaumens  und  an  der  Basis  des  Griffelfortsatzes  des  Schläfen- 
beines, wohin  die  Wände  des  Rachenrohres  und  der  Schildknorpel  gezogen 
werden.  Die  darauf  folgende  Contraction  der  Rachenschnürer  bei  abgezogener 
nach  hinten  und  gespannten  weichen  Gaumen,  drückt  die  aus  der  Mundhöhle 
in  die  Rachenhöhle  gleitende  Speise  in  der  Richtung  des  minderen  Wider- 
standes, d.  h.  in  die  Speiseröhre.  Bei  diesem  Acte  bildet  die  Zunge  eine 
geneigte  Fläche  nach  hinten  und  unten,  zu  gleicher  Zeit  ist  der  Kehlkopf 
mittelst  der  zum  Schildknorpel  gehenden  Muskeln  nach  oben  und  etwas  nach 
vorn  gezogen,  während  der  Kehldeckel  von  der  Zunge  nach  hinten  geschoben 
und  durch  die  Mm.  thyreo-ary-epiglottici  noch  mehr  nach  hinten  gehalten  wird. 
Die  Athmungswege  sind  hierbei  geschlossen  und  die  Speise  geht  auf  der  ge- 
neigten Fläche  der  Zungenwurzel  zur  Speiseröhre.  Das  ist  der  Mechanismus 
des  Schlingactes. 

Wenn  der  Kopf  zwischen  dem  7.  Hals-  und  dem  5.  Brustwirbel  vom 
Cadaver  abgetrennt  wird  und  dann  die  Halswirbelsäule  im  Occipitalgelenk, 
zwischen  dem  ersten  Wirbel  und  den  Gelenksfortsätzen  des  Hinterhaupttheiles 
des  Schädels  articulirt  ist,  die  Halswirbelsäule  mit  den  hier  liegenden  Muskeln 
und  die  Aponeurosis  praevertebralis  weggeschnitten  sind,  so  können  sehr 
demonstrativ  die  eben  beschriebenen  Muskeln  appräparirt  werden,  namentlich 
die  Rachenschnürer  und  die  m.  stylo-pharyngei.  Wird  dann  die  hintere 
Wand  in  der  Mitte  gespalten  und  die  Hälften  zu  beiden  Seiten  zurückgelegt, 
so  übersieht  man  die  Höhle  des  Rachenrohres.  Die  hintere  und  die  Seiten- 
wände gehören  den  beschriebenen  Muskeln  an  und  werden  von  innen  durch 
eine  Schleimhaut  bedeckt,  oben  endigt  diese  Höhle  blind,  das  ist  das  Gewölbe 
des  Rachenrohres  (Fornix  pharyngis),  vorn  sind  von  oben  nach  unten  gelegen 
die  paarigen  hinteren  Oeffnungen  der  Nasenhöhle  (Choanae),  seit- 
lich entsprechen  dem  unteren  Nasengange  jederseits  die  etwas  schräg  ge- 
lagerten Oeffnungen  des  Trommelrohres  {Ostium  phari/ngeum  tubae 
tympanicae).  Unter  den  Nasenöffnungen  ist  der  weiche  Gaumen,  dann  die 
hintere  Oeffnung  der  Mundhöhle  und  die  Wurzel  der  Zunge  gelegen.  Unten 
ist  vorn  der  Eingang  zur  Stimmritze  und  hinten  der  Schlundkopf  {Pharynx) 
gelagert,  der  nach  unten  zur  Speiseröhre  führt,  im  ganzen  sind  hier  sieben 
Oeffnungen.  In  dieser  Höhle  kann  daher  oben  der  Nasentheil  bis  zur 
Basis  des  weichen  Gaumens  unterschieden  werden,  vom  darunter  gelegenen 
Mundtheil  bis  zur  Fläche  des  Zungenbeines.  Von  dieser  Fläche  ist  hinten 
der  Schlundkopf,  der  bis  zur  Fläche  des  unteren  Randes  des  Ringknorpels 
vom  Kehlkopfe  reicht  oder  bis  zur  Fläche  des  unteren  Randes  des  fünften 
Halswirbels  geht. 

Die  Länge  der  Höhle  des  Rachenrohres  ist  14 — 15  cm,  wobei  die  Länge 
des  Nasentheiles  vorn  2-5 — ^  cm  ist,  hinten  5cm;  die  Länge  des  Mund- 
theiles  ist  4  — 5  cm,  die  des  Schlundkopfes  5— 6  cm.  Der  Querdurchmesser 
des  Nasentheiles  hinter  den  Oeffnungen  des  Trommelrohres  beträgt  4' 5 — hcm, 
die  Quere  des  Mundtheiles  3"5 — 4  cm;  der  Pharynx  ist  oben  im  Querdurch- 
messer 4  cm,  unten  2 — 2  5  cm.  Der  sagittale  Durchmesser  ist  in  der  Mitte 
des  Nasentheiles  2  cm,  unter  dem  weichen  Gaumen,  in  der  Mitte  des  Mund- 
theiles ist  er  3 "5— 5cm,  im  Niveau  des  Zungenbeines  4  cm  und  1  —  1-5  cm 
im  unteren  Theile  des  Pharynx. 

Die  Mitte  der  Vorderwand  gehört  dem  weichen  Gaumen  an;  das  ist, 
wie  schon  gesagt,  eine  Klappe,  die  die  sich  in  der  Höhle  des  Rachenrohres 
kreuzenden  Speise-  und  Athmungswege  scheidet.  Diese  Klappe  kann  nach 
hinten  gezogen  und  gespannt  werden,  so  dass  sie  ein  Gewölbe  bildet  und  nach 
vorn   und  unten    herabgelassen   die  hintere  Oeffnung   der  Mundhöhle   deckt. 


RACHEN-MUNDHÖHLE.  543 

Der  hier  wirkende  Mechanismus  hängt  ab  von  den  in  der  Dicke  der  Schleim- 
hautfalte gelegenen  Muskeln,  die  von  unten,  von  oben-vorn-median  und  von 
oben-hinten-lateral  zur  P'alte  treten  und  insgesammt  wirkend  die  Falte  in 
ihrer  Lage  fixiren,  bei  Theilwirkung  sie  in  der  Richtung  von  unten  nach 
oben  und  in  entgegengesetzter  Eichtung  bewegen.  Die  Fortsetzung  der  Bein- 
haut,  die  in  diese  Falte  eindringt  und  zugleich  das  Grundgewebe  der  Schleim- 
haut bildet  und  am  harten  Gaumen  einen  sagittalen  festen  Punkt  hat,  wird 
noch  von  zwei  seitlich  gelegenen  Muskeln  in  querer  Richtung  so  gezogen, 
dass  sie  eine  gespannte  Falte  bildet,  die,  bewegt,  einen  entsprechenden  Wider- 
stand leisten  kann.  Die  Muskeln,  die  hier  wirken,  sind  zwei  hintere  äussere 
Heber,  zwei  vordere  innere  Heber,  vier  Herabzieher  und  zwei  Spanner  des 
weichen  Gaumens. 

Der  hintere  Heber  des  weichen  Gaumens  (M.  levator  palati  posterior 
s.  petrosalpingostaphylinus)  geht  schräg  von  oben,  hinten,  aussen  nach  vorn, 
unten  innen  zum  Zäpfchen  (Uvula)  des  Gaumens.  Der  Muskel  beginnt  schräg 
von  der  äusseren  vorderen  Fläche  der  Pyramide  des  Schläfenbeines,  am  vorderen 
Rande  der  äusseren  Oeffnung  des  carotischen  Canales,  von  angrenzendem 
Theile  der  Knorpelwand  der  Trommelröhre  (Tuba  tympanica).  Der  zuerst 
cylindrische  Muskel  wird  flach,  geht  nach  vorn  und  innen,  verflechtet  sich  am 
weichen  Gaumen  mit  dem  M.  palato-pharyngeus  und  geht  mit  einem  Theile 
in  die  sehnige  Ausbreitung  des  Spanners  über,  der  grösste  Theil  der  Fasern 
des  hinteren  Hebers  geht  fächerförmig  auseinander,  die  oberen  Fasern  gehen 
in  einen  Bindegewebsfortsatz  über,  der  von  der  Spina  nasalis  posterior  sich 
nach  hinten  und  unten  begibt,  weiter  zur  Mitte  und  zur  Spitze  des  Zäpfchens 
gehen  die  Fasern  beiderseits  in  einander   oder  verflechten  sich  in  der  Mitte. 

Der  vordere  Heber  des  weichen  Gaumens  (M.  levator  palati  anterior 
s.  palatostaphylinus)  geht  schief  von  vorn  nach  hinten,  ist  paarig,  zu  beiden 
Seiten  der  Mittellinie  gelegen,  zwischen  der  Spina  nasalis  posterior  und  dem 
stumpfen  Ende  des  Zäpfchens.  Der  platte  Muskel  beginnt  von  der  Spina  und 
der  fibrösen  Fortsetzung  des  harten  Gaumens,  geht  nach  unten  und  hinten 
und  endigt,  indem  er  in  die  Bindegewebsstütze  der  Spitze  des  Zäpfchens 
übergeht. 

Die  Herabzieher  des  weichen  Gaumens  liegen  im  vorderen  und 
hinteren  Gaumenbogen,  im  vorderen  der  M.  palato-glossus,  im  hinteren  der 
M.  palato-pharyngeus.  Der  M.  imlato-glossus  stellt  hauptsächlich  eine  Fort- 
setzung der  Fasern  des  M.  transversus  linguae  dar,  einige  Fasern  entstehen 
augenscheinlich  vom  Zwischengewebe  des  M.  hyo-glossus,  alle  diese  Fasern 
gehen  in  dem  vorderen  Zungengaumenbogen  nach  oben  zur  Basis  des  weichen 
Gaumens,  wo  sie  sich  an  den  Bindegewebsfortsatz  der  Beinhaut  des  harten 
Gaumens  ansetzen  oder  mit  den  entsprechenden  Fasern  der  anderen  Seite  ver- 
flechten. Der  M.  palato-pharyngeus  liegt  im  hinteren  Gaumenbogen,  ist  schon 
oben  beschrieben. 

Der  Spanner  des  weichen  Gaumens  {M.  tensor  palati  s.  spheno- 
staphylinus)  liegt  nach  innen  vom  M.  pterygoideus  internus,  geht  in  eine 
Sehne  über,  die  unter  einem  fast  rechten  Winkel  nach  innen  umbiegt,  unter 
den  Hamulus  pterygoideus  in  die  Seitentheile  des  weichen  Gaumens  aus- 
strahlt. Der  Muskel  beginnt  jederseits  vom  inneren  Theile  der  Spina  angu- 
laris, von  der  hinteren  W^urzel  des  grossen  Flügels  des  Keilbeines  bis  zur 
inneren  Platte  des  Flügelfortsatzes  des  Keilbeines.  Nach  aussen  und  vorn 
ist  der  Ramus  inframaxillaris  N.  trigemini  und  die  Arteria  spinosa  gelegen, 
nach  hinten  und  innen  ist  die  häutige  Wand  des  Trommelrohres  gelagert, 
wie  von  dieser  W^and  so  auch  vom  knorpeligen  Theile  der  Röhre  nehmen 
auch  Fasern  dieses  Muskels  ihren  Ursprung.  Die  Bündel  gehen  nach  unten, 
werden  sehnig  und  richten  sich  nach  innen,  wie  über  eine  Blockrolle  über 
den   überknorpelten  Hamulus   pterygoideus.     Zwischen    der  Sehne    und    dem 


544  RACHEN-MUNDHÖHLE. 

Hamulus  ist  hier  ein  Schleimbeutel  eingeschaltet.  Nach  innen  von  dieser 
Rolle  gehen  die  Sehnenfasern  strahlig  auseinander  und  endigen  in  der  fibrösen 
Schicht  des  Gaumens;  einige  Fasern  gehen  noch  zum  Bindegewebe  des  hin- 
teren Gaumenbogens,  wo  er  zur  Seitenwand  des  Rachenrohres  übergeht. 

Durch  gleichzeitige  Wirkung  aller  Muskeln  des  weichen  Gaumens  wird  die 
Klappe  in  der  angenommenen  Lage  erhalten  und  gespannt.  Wirken  die  vier 
Heber  zugleich  mit  den  beiderseitigen  Spannern,  beim  Antagonismus  der  Herab- 
zieher, so  wird  die  Klappe  nach  hinten  und  oben  gezogen  und  gespannt.  Es 
wird  bei  Wirkung  der  Mm.  levatores  palati  anteriores  zugleich  mit  den  Mm. 
levatores  palati  posteriores  die  Klappe  nicht  gerade  nach  oben  gezogen,  sondern 
nach  oben  und  hinten,  weil  die  hinteren  Heber  stärker  sind  als  die  vorderen, 
und  ihre  Fasern  sich  länger  erweisen,  daher  wird  der  freie  Rand  des  weichen 
Gaumens  nach  hinten  gezogen,  hier  ist  auch  die  Excursion  der  Klappe  grösser. 
Hierbei  ist  der  Schildknorpel  nach  oben  gezogen  durch  die  Wirkung  der  Mm. 
stylopharyngei  und  palato-pharyngei.  Sind  die  Heber  erschlafft,  das  Zungen- 
bein und  der  Kehlkopf  unten  befestigt,  so  wird  die  Klappe  nach  unten  gezogen 
durch  die  Herabzieher  des  weichen  Gaumens  und  namentlich  die  Mm.  palato- 
pharyngei  und  glosso-pharyngei.  Hierbei  wirken  auch  die  Muskelfasern,  die 
als  Fortsetzung  des  M.  transversus  linguae  zur  Aussenfläche  der  Tonsille 
gehen.  Das  ist  der  Mechanismus  der  Klappe,  die  der  weiche  Gaumen  dar- 
stellt. Er  ist  theoretisch  analog  dem  Mechanismus  der  Zunge,  des  Zungen- 
beines, des  Schulterblattes,  nur  dass  hier  der  zu  bewegende  Kern  durch  die 
Spanner  und  die  fibröse  Fortsetzung  des  harten  Gaumens  gebildet  wird. 

Die  gespannte  Klappe  wirkt  nicht  nur  beim  Schlingact,  sondern  hat  auch 
eine  grosse  Bedeutung  bei  der  Bildung  der  Stimme  und  Sprache.  Der  Laut  i 
ist  rein  nur  bei  gut  gespannter  und  in  Form  eines  Gewölbes  nach  hinten 
gezogener  Klappe  möglich.  Ausserdem  wirkt  die  Gaumenklappe  bei  der  Höhe 
der  Töne  durch  die  Erweiterung  oder  Verengerung  der  hinteren  Oeffnung  der 
Mundhöhle. 

Die  Gefässe  des  Gaumens  sind  Aeste  der  äusseren  und  inneren  Kiefer- 
arterien; von  den  äu ss er en  geht  die  Arteria  ^^alatini  ascendens  zum  unteren 
Theile  des  weichen  Gaumens,  zum  Arcus  palato-glossus  und  den  Tonsillen. 
Von  der  inneren  Kieferarterie  geht  die  Arteria  palatina  descendens,  die  ihre 
vordere  Aeste  zum  harten  Gaumen  geben,  diese  Aeste  anastomosiren  mit  der 
Arteria  septi  narium  durch  den  canalis  incisivus;  die  hinteren  Aeste  verzwei- 
gen sich  am  oberen  und  mittleren  Theile  des  weichen  Gaumens,  sie  anasto- 
mosiren mit  den  Aesten  der  Arteria  pharyngea  und  palatina  ascendens. 

Die  Venen  gehen  zur  Vena  facialis  anterior  und  mittelst  des  Plexus 
pterygoideus  richten  sich  die  Venen  zur  Vena  facialis  posterior  und  Vena 
facialis  communis. 

Die  Lymphgefässe  richten  sich  zu  den  Glandulae  facialis  profundae 
und  zu  der  Glandula  lingualis,  die  in  der  Mitte  der  Eminentia  hyo-maxillaris 
gelegen  sind. 

Die  Nerven  des  Gaumens  gehören  den  Aesten  des  Nervus  trigeminus, 
glossopharyngeus  und  facialis  an.  Die  centripetalen  Fasern  gehören  den  Nervi 
palatini,  die  zum  Ganglion  nasale  des  zweiten  Astes  des  Nervus  trigeminus 
gehen,  ebenso  wie  die  Nervi  nasopalatini,  die  durch  den  Canalis  incisivus  zum 
Nasenknoten  verlaufen.  Vom  Nasenknoten  und  Ohrenknoten  gehen  centrifugal 
laufende  Fasern  zu  den  Muskeln  des  Gaumens,  und  namentlich  vom  ersten 
Knoten  gehen  Fasern  zum  M.  levator  anterior  und  dem  M.  levator  posterior; 
das  sind  wohl  Zweige  des  Nervus  facialis,  die  als  Nervus  petrosus  superficialis 
major  zum  Nasenknoten  gelangen  und  dann  weiter  zu  den  angeführten  Muskeln; 
vom  Ohrenknoten  gehen  Zweige  zum  M.  tensor  tympani,  diese  stammen  vom 
Nervus  pterygoideus  internus  des  Nervus  trigeminus.  Zum  Nervus  glosso-pharyn- 
geus  gehen  Zweige   von  der   Schleimhaut   der  Tonsillen,   von   dem  vorderen 


RACHEN-MUNDHÖHLE.  545 

Gaurn enbogen;  ausserdem  sind  hier  sehr  wahrscheinlich  Fasern,  die  zum 
M.  palato-glossus  gehen.  Die  sympathischen  P'asern  gehören  auch  dem  Nasen- 
knoten, so  wie  die  Geflechte  der  Aeste  der  äusseren  und  inneren  Kieferarterien. 

Die  Schleimhaut  der  Wand  der  Rachenröhre  ist  eine  Fortsetzung 
der  Nasenschleimhaut,  der  Schleimhaut  der  Tuba  tympani  und  der  Mundhöhle. 
Die  Propria  dieser  Schleimhaut  ist  eine  feste  Bindegewebshaut  mit  elastischen 
Fasern,  die  oben  fest  mit  der  Beinhaut  des  Körpers  des  Hinterhauptknochens 
verbunden  ist,  nach  hinten  bis  zum  Tuberculum  pharyngeum  und  nach  vorn 
bis  zum  hinteren  Rande  des  Os  vomeris,  so  wie  an  diesen  Knochen  selbst. 
Seitlich  geht  die  Schleimhaut  nach  vorn  bis  zum  hinteren  Rande  der  inneren 
Lamelle  des  Processus  pterygoideus,  dem  Hamulus,  weiter  nach  unten  bis 
zum  Lig.  pterygo-maxillaris,  den  grossen  Fortsatz  des  Zungenbeines  und  den 
Knorpeln  des  Kehlkopfes.  Vom  unteren  Umfange  der  Choane  geht  die 
Schleimhaut  in  die  hintere  Wand  des  weichen  Gaumens  über,  bis  zum 
Zäpfchen  in  der  Mitte  und  dem  Gaumen-Rachenbogen  zu  jeder  Seite.  Wo 
die  Wand  des  Rachengewölbes  zur  hinteren  Wand  übergeht,  ist  an  dieser 
Wand  in  der  Mitte  eine  kleine  Grube,  die  Fossa  oder  Bursa  pharyngea. 
Hinter  der  Oetfnung  der  Tuba  tympanica  ist  auch  eine  längliche  von  oben 
nach  unten  ziehende  Vertiefung,  der  Recessus  infundibuliformis,  wo- 
hin man  leicht  mit  dem  Instrumente  geräth,  statt  es  in  die  Tuba  tympanica 
einzuführen.  Entsprechend  dieser  Vertiefung  ist  in  der  hinteren  Wand  der 
Rachenröhre  eine  Verdickung  der  Schleimhaut,  die  nach  oben  bis  zur  Bursa 
pharyngea  sich  erhebt  und  nach  unten  bis  zur  Fläche  des  unteren  Randes  der 
Choane  reicht.  Diese  Verdickung  ist  mit  tuberkelförmigen  Erhöhungen  und 
kleinen  Balgdrüsen  bedeckt,  sie  besteht  aus  folliculären  Drüsen  und  adenoidem 
Gewebe,  entspricht  daher  der  Structur  des  Würz  eltheiles  der  Zunge  und  der 
Tonsille  und  variirt  in  ihrer  Länge  und  Dicke  ebenso  sehr  wie  die  letztere 
Drüse.  Sie  wird  gewöhnlich  Tonsilla  pharyngea  genannt.  Von  dem  unteren 
Theile  der  Tuba  tympanica  geht  noch  eine  kleine  Falte  nach  unten  bis  zum 
Arcus  palato-pharyngeus,  den  er  durch  seine  Richtung  kreuzt;  unter  dem 
letzten  Bogen  geht  diese  Falte  bis  zum  Seitentheile  des  Kehldeckels,  diese 
Falte  wird  Arcus  pharyngo-epiglotticus  genannt. 

Zwischen  dem  vorderen  und  hinteren  Bogen  des  weichen  Gaumens  bleibt 
zur  Seite  der  Zunge  ein  dreieckiger,  mit  der  Spitze  nach  oben  gerichtete: 
Raum,  der  durch  eine  ovale  Verdickung  der  Schleimhaut  ausgefüllt  ist.  Diese 
Verdickung  bildet  die  sogenannte  Mandeldrüse  {Tonsilla  palatina  s.  Afnijg- 
dala).  Von  aussen  hat  diese  Verdickung  eine  starke  fibröse  Bedeckung,  an 
der  Fortsetzungen  der  Fasern  des  M.  transversus  linguae  sich  befestigen  und 
als  M.  amygdalo-glossus  schon  oben  erwähnt  ist.  Ihre  Innenfläche  ist  unregel- 
mässig kugelig,  mit  mehr  oder  weniger  ausgesprochenen  Gruben  und  Er- 
habenheiten bedeckt.  Normal  ist  diese  Drüse,  wenn  ihre  innere  Fläche  nicht 
vor  dem  vorderen  Bogen  des  Gaumens  vortritt,  wenn  man  bei  geöffneter 
Mundhöhle  gerade  von  vorn  hineinsieht. 

Die  Länge  dieser  Drüse  ist  20— 25  mm,  von  vorn  nach  hinten  ist  ihr 
Durchmesser  10 — 12mm,  ihre  Dicke  6 — lOmm. 

Diese  Drüse  besteht  aus  Follikeln,  die  in  der  Dicke  der  Schleimhaut 
hier  gelagert  sind,  in  den  Wänden  der  Vertiefungen  und  Gruben  und  stellen- 
weise als  tuberkelförmige  Erhabenheiten  vorstehen.  Zwischen  diesen  Follikeln 
ist  adenoides  Gewebe  gelagert. 

Weiter  nach  unten  und  vorn  geht  die  Schleimhaut  auf  die  Innenfläche 
des  Schildknorpels  über,  tapezirt  hier  die  Fossae  pyriformes  zu  beiden  Seiten 
des  trichterförmigen  Einganges  zur  Stimmritze  aus.  Nach  hinten  bedeckt  die 
Schleimhaut  den  Giessbeckentheil  des  Kehlkopfes  und  geht  zugleich  mit  der 
Schleimhaut  der  hinteren  und  Seitenwand  der  Rachenröhre  in  die  Schleim- 
haut des  Schlundkopfes  und  weiter  nach  unten  der  Speiseröhre  über. 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  '^'^ 


546  RACHEN-MUNDHÖHLE. 

Wo  die  Schleimhaut  sich  locker  mit  dem  umgebenden  Gewebe  verbindet, 
sind  Schleimdrüsen  gelagert,  das  ist  auf  der  hinteren  Fläche  des  Anfanges 
theils  des  weichen  Gaumens,  die  hinteren  Gaumendrüsen  {Glandulae 
2)alatinae  posteriores),  auf  der  hinteren  Wand  der  Kachenröhre,  entsprechend  der 
hinteren  Oeffnung  der  Mundhöhle,  nach  oben  bis  zur  Fläche  des  unteren 
Randes  der  Choane,  hier  sind  die  Rachendrüsen  {Glandulae  ijharyngeae) 
gelagert  und  auf  der  hinteren  Fläche  des  Giessbeckenmuskels  die  hinteren 
Giessbeckendrüsen  {Glandulae  arythenoideae  2)osteriores). 

Am  Lebenden  sind  die  Wände  des  mittleren  Theiles  der  Rachenröhre  in 
vollständigem  Contact  mit  einander,  wenn  nicht  Luft  oder  Speise  hier  durch- 
tritt, die  Wände  begrenzen  ein  offenes  Lumen  nur  im  oberen  Theil  dieser 
Röhre  und  am  Eingange  zum  Kehlkopf. 

Die  Gefässe  der  Rachenröhre  sind  Aeste  der  Arteria  carotis  externa 
und  der  Arteria  maxillaris  interna.  Von  dem  ersten  Stamme  geht  vom  oberen 
Theile  des  Halses  aus  die  aufsteigende  B. sl eh. ensirt er i e  {ÄrteriajyJiari/n- 
gea  ascendens),  sie  steigt  längs  der  Seitenwand  der  Rachenröhre  nach  oben 
bis  an  die  Basis  des  Schädels  und  gibt  hier  feine  Aeste  ab,  die  durch  den  Canalis 
caroticus,  Foramen  lacerum,  ovale,  jugulare,  canalis  hypoglossus  in  die  Schädel- 
höhle eindringen  und  in  der  harten  Hirnhaut  sich  verzweigen.  Am  Halse  gibt 
diese  Arterie  Zweige  nach  unten,  die  mit  Aestchen  der  Arteria  thyreoideae 
superior  anastomosiren,  Zweige  nach  innen  zu  den  Wänden  der  Rachenröhre, 
zu  den  hier  gelegenen  Muskeln  und  der  Schleimhaut;  noch  gibt  diese  Arterie 
Aeste  zu  dem  Zellgewebe,  die  die  vorderen  Halsmuskeln  decken  (R.  praeverte- 
bralis)  und  zum  Ganglion  cervicale  superior.  Ausserdem  gehen  zur  Rachen- 
röhre und  anastomosiren  mit  den  eben  beschriebenen  diesen  Aesten  die  Arteria 
Vidiana,  die  Arteria  sphenopalatina  und  die  Arteria  pterygo-palatina  aus  der 
Arteria  maxillaris  interna.  Diese  verästeln  sich  hauptsächlich  im  oberen 
Theile  des  Rachenrohres. 

Die  Venen  bilden  sehr  ausgesprochene  Geflechte  {Plexus  pharyngeus)^ 
deren  Aeste  sich  in  die  Vena  facialis  communis  und  Vena  vertebralis  ergiessen. 

Die  Lymphge fasse  gehen  zu  den  Glandulae  cervicales  profundae. 

Die  Nerven  des  Rachenrohres  sind  Zweige  des  Plexus  ganglioformis  n. 
Vagi,  glosso-pharyngeus  und  des  Ganglion  cervicale  superior.  Alle  diese 
Zweige  bilden  ein  Geflecht  von  centripetalen  und  centrifugalen  Fasern,  in 
welches  Fasern  von  den  Wänden  des  Rachenrohres  und  zu  den  hier  gela- 
gerten Muskeln  gehen.  Hier  sind  auch  feine  Zweige,  die  als  R.  pharyngei 
zu  dem  Nervus  spheno-palatinus  des  Trigeminus  gehen,  sowie  von  Nervus  laryn- 
geus  superior  und  inferior  des  Vagus.  Die  sympathischen  Fasern  gehören  dem 
Ganglion  cervicale  superior  an,  sowie  den  Geflechten  der  sich  hier  verästeln- 
den Gefässe  aus  dem  Plexus  caroticus  externus  und  dem  Plexus  arteriae 
maxillaris  internae. 

Die  Bedeutung  der  hier  besprochenen  Formen  der  Mund-  und  Rachen- 
höhle folgt  aus  dem  Gesagten.  Die  Lippen  ergreifen  beim  Kinde  mittelst  des 
beschriebenen  Mechanismus  die  Brustwarze  beim  Saugen  und  die  in  die  Mund- 
höhle gelangte  Milch  mischt  sich  mit  dem  Schleim  und  Speichel  der  hier  in 
den  Wänden  gelagerten  Drüsen,  wirkt  auf  das  Geschmacksorgan,  ist  folglich 
mit  einer  bestimmten  Empfindung  verbunden  und  wird  durch  den  Schlingact 
durch  die  Rachenhöhle  in  den  Schlundkopf  und  die  Speiseröhre  weiter  be- 
fördert. Oder,  bei  weiterer  Entwicklung,  ergreifen  die  Lippen  die  zur  Mund- 
öffnung gereichte  Speise,  sie  wird  durch  die  Contraction  der  diese  Oeffnung 
umgebenden  Muskelapparate  auf  den  Zahnrand  gelegt,  mit  Hilfe  der  Zunge 
hier  gehalten  und  bewegt  und  mittelst  dem  Kauacte  geschnitten,  zerrissen 
und  zerrieben. 

Ausserdem  wird  die  Speise  mit  dem  durch  Reizung  der  Schleimhaut 
reflectorisch   ausgeschiedenen  Schleim    und  Speichel   vermischt   und  in    eine 


REFLEXNEUROSEN  EX  AURE.  547 

breiige  Masse  verwandelt.  Folglich  wird  hier  die  Speise  nicht  nur  mechanisch 
zertheilt  und  verkleinert,  sondern  auch  verflüssigt  und  chemisch  verändert 
mittelst  der  hier  eingeleiteten  Verdauung.  Das  heisst:  die  eingenommene 
Speise  wird  mittelst  der  hier  gelegenen  Fermente  und  der  darauf  folgenden 
Gährung  aus  einem  unlöslichen  in  einen  löslichen  Zustand  üherführt.  Aber 
ausser  dem  Schleim  und  Speichel  sind  hier  noch  in  dem  Vorhof  und 
der  Mundhöhle  Colonien  mit  Elementarorganismen,  ohne  welche,  wie  die 
Experimente  erweisen,  der  Verdauungsprocess  sehr  langsam  vor  sich  geht 
und  im  Gegentheile  sehr  beschleunigt  wird,  sobald  diese  thierischen  Sub- 
stanzen wirken.  Besonders  soll  hier  die  Verdauung  der  Kohlenhydrate  be- 
ginnen, von  welchen  Maly  meint,  „dass  neuerdings  immer  mehr  bestätigt  wird, 
dass  ein  gewisses  wenn  auch  kleineres  Sacharificationsvermögen  den  ver- 
schiedensten thierischen  Flüssigkeiten,  Geweben,  ja  selbst  rein  dargestellten 
Eiweisskörpern  zukommt".  Folglich  dass  der  hier  eingeleitete  chemische 
Process  der  Verdauung  nicht  ein  specifischer  und  nur  von  Ptyalin  oder 
Speichelstoff  abhängiger  ist,  sondern  von  den  verschiedensten  thierischen 
Flüssigkeiten  und  Geweben  hervorgerufen  werden  kann.  Vielleicht  hat  dieser 
von  Maly  ausgesprochene  Satz  eine  noch  grössere  Bedeutung  und  bezieht 
sich  nicht  nur  auf  die  Kohlenhydrate,  sondern  auch  auf  die  übrigen  Speise- 
substanzen. 

In  der  Rachenröhre  kreuzen  sich  die  Athmungs-  und  Verdauungswege 
und  werden  mittelst  einer  Klappe  alternativ  der  eine  Weg  geschlossen,  der 
andere  geöffnet. 

Die  Mund-,  Nasen-  und  Rachenröhren  sind  noch  Ansatztheile  für  den 
Sprach-  und  Stimmapparat,  und  ihre  Form  und  Structur  hat  eine  sehr  grosse 
Bedeutung  bei  der  Bildung  der  Consonanten,  Vocale,  und  wirkt  auf  den  Klang 
der  Töne. 

Rhachitische  Processe  und  Ernährungsstörungen  bei  der  Entwicklung  der 
Zähne,  des  harten  Gaumens  und  der  Kiefer  bedingen  hier  sehr  verschiedene 
abnormale  Formen,  die  aber  durchaus  nicht  auf  „angeborenes  Verbrechen" 
hinweisen,  sondern  nur  auf  ungünstige  Verhältnisse,  die  auf  die  Ernährung 
der  Theile  bei  der  Entwicklung  wirkten  und  anormale  Formen  bewirkten. 

Hier  ist  auch   das  Geschmacksorgan  gelegen  und  mit  der  Structur  des 
Zungenrückens  verbunden.  p.  lesshaft. 

RefiexneurOSen  exaure.  Die  hervorragende  Stellung  des  Gehör- 
organs im  Haushalte  des  Organismus,  die  nahen  Beziehungen  zwischen  dem- 
selben und  den  verschiedenen  Theilen  des  Organismus  machen  es  verständ- 
lich, dass  dasselbe  unter  physiologischen  und  noch  mehr  unter  pathologischen 
Umständen  den  Ausgangspunkt  zahlreicher  und  verschiedener  Reflexerschei- 
nungen bildet,  die  in  Form  von  Hustenanfällen  mit  besonderen  klinischen 
Kennzeichen,  in  Anfällen  von  Schwindel,  von  Ekel  und  Erbrechen  und  schliess- 
lich in  verschiedenen  allgemeinen  Reactionen  von  zuweilen  beträchtlicher 
Intensität,  bestehen. 

Eine  besondere  Stellung  vindiciren  für  sich  die  Hämorrhagien  aus  dem 
Ohre  bei  gesundem  Trommelfelle,  welche  man  zuweilen  bei  hysterischen  In- 
dividuen '")  als  Ausdruck  einer  Reflexwirkung  auf  den  vasomotorischen  Appa- 
rat antrifft,  und  welche  von  zuweilen  nur  geringfügigen,  organischen  Läsionen 
des  Ohres  selbst  hervorgerufen  werden.  In  den  wenigen  bis  jetzt  beobach- 
teten Fällen  scheint  der  Mechanismus  der  Entstehung  dieser  Hämorrhagien 
immer  der  gleiche  gewesen  zu  sein.  Das  Blut  trat  nämlich  tropfenweise  aus 
den  Ausführungsgängen  der  Ohrenschmalzdrüsen  heraus,  und  zwar  vornehmlich 
an  der  hinteren  oberen  Wand  des  Gehörganges.  geadenigo. 


*)  Vergl    auch  Artikel  „Hi/sterie  des  Ohres''  in  diesem  Bande. 

35* 


548  EETROPHARYNGEALABSCESS. 

RetropharyngealabSCeSS  {Abscessus  retropharyngealis)  wird  diejenige 
circumscripte,  entzündliche  Affection  des  retropharyngealen  Bindegewebes 
benannt,  bei  der  es  zur  Eiterbildung  und  Eiteransammlung  kommt. 

Aetiologie  und  pathologische  Anatomie.  Obwohl  der  Retro- 
pharyngealabscess  vorwiegend  eine  Erkrankung  des  kindlichen  Alters  ist, 
werden  jedoch  auch  Erwachsene  nicht  selten  davon  befallen.  Besondere  Dis- 
position für  diese  Erkrankung  zeigen  lymphatische,   scrophulöse   Individuen. 

Die  Abscesse  sind  ihrer  Entstehung  gemäss  als  idiopathische  (pri- 
märe) und  als  symptomatische  (secundäre)  zu  unterscheiden.  Nach 
Johann  Bokai  sen.,  dem  wir  die  Mittheilung  der  grössten  Zahl  klinisch 
beobachteter  Fälle  bei  Kindern  zu  verdanken  haben,  ist  es  die  durch  ihn  als 
Lymphadenitis  retropharyngealis  benannte  Entzündung  der  retropharyngealen 
Drüsen,  welche  oftmals  als  Anfangsstadium  des  eigentlichen  Retropharyngeal- 
abscesses  zu  betrachten  ist,  da  der  Abscess  sozusagen  als  Folge  der  retro- 
pharyngealen Lymphdrüsenentzündung  entsteht.  Die  Lymphadenitis  retro- 
pharyngealis muss  jedoch  nicht  unbedingt  zur  Abscedirung  führen,  sondern 
in  vielen  Fällen  ist  Rückbildung  möglich,  Den  Ausgangspunkt  der  Absce- 
dirung bilden  die  Lymphdrüsen,  welche  im  oberen  Theil  der  mittleren  Rachen- 
wand, in  der  Höhe  des  zweiten  und  dritten  Halswirbels,  zu  beiden  Seiten  der 
Mittellinie  sitzen  (Henle).  Diese  Drüsen  sind  im  frühen  Kindesalter  am 
grössten,  später,  gewöhnlich  nach  dem  dritten  Lebensjahre,  atrophiren  sie, 
weshalb  bei  älteren  Kindern  und  Erwachsenen  selbe  schwer  aufzufinden  sind. 

Der  idiopathische  Retropharyngealabscess,  eventuell  die  Lymphadenitis 
retropharyngealis  können  ihre  Ursache  in  katarrhalischen  und  phlegmonösen 
Entzündungen  der  Rachen-  und  Nasenhöhle  haben.  „Man  muss  annehmen", 
sagt  ScHECH,  „dass  phlogogene  Stoffe  (Streptococcen)  in  das  submucöse  Binde- 
gewebe und  die  Drüsen  verschleppt  werden  und  dort  ihre  Wirksamkeit  ent- 
falten." Ebenso  können  Ekzeme  des  Gesichtes  und  der  Kopfhaut  zur  Er- 
krankung dieser  Drüsen  führen.  Im  Verlaufe  von  Scarlatina  und  nach  Diph- 
theritis  sind  ebenso  Retropharyngealabscesse  beobachtet  worden.  Traumen, 
Fremdkörper,  chemische  und  thermische  Reize  bilden  selten  Ursache  des 
Abscesses.  Der  symptomatische,  secundäre  Retropharyngealabscess  findet  seine 
Ursache  in  der  Erkrankung  der  Halswirbelsäule  (Spondylitis,  Caries),  tuber- 
kulösen, syphilitischen  oder  traumatischen  Ursprungs.  Hieher  müssen  die 
zwar  vereinzelt  vorkommenden  Fälle  gerechnet  werden,  in  denen,  wie  aus 
den  Berichten  Bokai's  ersichtlich,  die  Eitersenkung  durch  grosse  Eiterherde 
bedingt  war,  welche  durch  Vereiterung  der  äusseren  Halsdrüsen  entstanden 
waren. 

Eine  besondere  Prädisposition  des  einen  oder  anderen  Geschlechtes 
für  diese  Krankheit  ist  nicht  zu  constatiren.  Die  verschiedenen  Jahreszeiten 
üben  auf  die  Entstehung  des  Retropharyngealabscesses  keinen  eigentlichen 
Einfiuss  aus.  Es  scheint  jedoch,  dass  Witterungsverhältnisse,  die  überhaupt 
zu  entzündlichen  Erscheinungen  der  Rachengebilde  Anlass  geben,  auch  auf 
diese  Erkrankung  einwirken.  Nach  Mackenzie  ist  die  Entstehungsursache 
wahrscheinlich  in  dem  eigenartigen  Bau  des  leidenden  Theiles,  theilweise  in 
der  von  Simon  beschriebenen  Anordnung  der  Lymphgefässe  zu  suchen.  Durch 
die  im  lockeren,  retropharyngealen  Zellgewebe  entstandene  Eiterbildung  hebt 
sich  die  hintere  Rachenwand  von  der  Wirbelsäule  ab  und  bildet  die  charak- 
teristische Hervorwölbung.  Die  Abscesse  können  oft  grosse  Dimensionen  an- 
nehmen, so  dass,  je  nachdem  die  Erkrankung  im  oralen  oder  laryngealen 
Theile  des  Pharynx  sitzt,  entweder  der  Nasenrachenraum  fast  obturirt,  oder 
der  Larynxeingang  bedeckt  erscheint.  Gewöhnlich  ist  der  entleerte  Eiter  dick 
und  grünlichgelb,  seltener  dünnflüssig,  oder  von  Hämorrhagien  bräunlich  gefärbt. 
Symptomatologie  und  Verlauf.  Je  nachdem  wir  es  mit  einem 
acut  oder  chronisch   verlaufenden  Abscess  zu  thun  haben,  werden  wir  ver- 


RETROPHARYNGEALABSCESS.  549 

schiedene  Symptome  beobachten  können.  Aus  den  Bindegewebsphlegmonen 
entstehende  Abscesse  entwickeln  sich  rasch,  während  die  aus  »Senkungs- 
abscessen  hervorgehenden  in  ihrer  Entstehung  langsamer  sind. 

Als  erstes  Zeichen  des  primären  Retropharyngealabscesses  muss  das  er- 
schwerte Schlucken  betrachtet  werden,  weiters  sind  massige  Schmerzen  im 
oberen  Theile  des  Halses,  Temperaturerhöhung,  in  sehr  acuten  Fällen  oft 
heftige  Fiebererscheinungen  vorhanden.  Bei  Säuglingen  zeigt  sich  das  Schluck- 
hindernis darin,  dass  sie,  trotzdem  sie  die  Brust  mit  Hast  nehmen,  dieselbe  nach 
einigen  Zügen  wieder  loslassen,  unruhig  werden  und  weinen.  Grössere  Kinder 
und  Erwachsene  klagen  über  Schmerzen,  wenn  sie  feste  und  etwas  grössere 
Bissen  nehmen.  Doch  dürfen  diese  Symptome  nicht  als  absolut  charakte- 
ristische hingestellt  werden,  da  doch  verschiedene  entzündliche  Erkrankungen 
der  Mund-  und  Rachenhöhle  oft  dasselbe  Symptom  bieten.  Mit  dem  Fort- 
schreiten der  Erkrankung  wird  das  Schlucken  mehr  und  mehr  erschwert,  und 
während  es  im  Anfange  allein  durch  den  Schmerz  behindert  ist,  wird  es 
später  durch  das  Anwachsen  des  Abscesses  fast  unmöglich.  Die  Nahrungs- 
aufnahme wird  sowohl  bei  Kindern  wie  bei  Erwachsenen  ausserordentlich 
beschwerlich;  das  Genossene  regurgitirt  durch  Nase  und  Mund.  Hiezu  tritt 
namentlich  im  Schlafe  erschwertes  Athmen,  besonders,  wenn  der  Abscess  in 
der  Höhe  des  Kehlkopfeinganges  sitzt,  was  bei  längerem  Bestehen  sogar  zu 
Suffocation  führen  kann.  Befindet  sich  der  Abscess  im  oberen  Theile  des 
Rachens,  so  wird  die  nasale  Athmung  behindert,  und  athmen  die  Kranken, 
wie  wir  das  besonders  bei  Kindern  zu  beobachten  Gelegenheit  haben,  mit 
w^eit  geöffnetem  Munde.  Bei  ganz  entwickeltem  Abscesse  ist  immer  ein  lautes, 
schnarchendes  Geräusch  vernehmbar,  welch'  letzteres  als  ein  diagnostisches 
Moment  zu  betonen  ist,  selbstverständlich  nur  dann,  wenn,  wie  Bokai  richtig 
erwähnt,  dieses  Symptom  im  Verlaufe  der  Erkrankung  auftritt,  da  eine  ähn- 
liche Erscheinung  auch  durch  hypertrophische  Tonsillen  hervorgebracht  werden 
kann.  Die  Respiration  wird  noch  dadurch  erschwert,  dass  neben  vermehrter 
Schleimabsonderung  der  Mund-  und  Rachenhöhle  die  lEntfernung  der  Schleim- 
massen schwer  bewerkstelligt  werden  kann.  Das  Athmen  geht  mit  auffallen- 
den Rasselgeräuschen  einher.  Die  Stimme  der  Erkrankten  erleidet  auch  eine 
Veränderung;  sie  wird  gedämpft  und  die  Sprache  der  grösseren  Kinder  be- 
kommt einen  näselnden  Ton  (Bokai).  Schmitz  will  diesen  Ton  als  Gaumen- 
ton bezeichnet  wissen. 

Der  Husten  ist  kein  ständiges  Symptom  des  Retropharyngealabscesses. 
Ist  er  aber  vorhanden,  so  wird  er,  abgesehen  von  Complicationen  von  Seite 
des  Kehlkopfes  und  der  Lunge,  durch  die  in  der  Mund-  und  Rachenhöhle  ent- 
standene und  in  den  Kehlkopf  fiiessende  Schleimabsonderung   hervorgerufen. 

Die  Kopfhaltung  ist  ein  äusserst  charakteristisches  Symptom,  besonders 
bei  acut  verlaufenden  Fällen.  Die  Erkrankten  bekommen  eine  gewisse  Nacken- 
steifheit, die  Halsmusculatur  wird  straff,  der  zurückgebeugte  Kopf  fast  un- 
beweglich, und  bekunden  die  Kranken  einen  auffallenden  Schmerz  bei  passiven 
Bewegungen.  Zu  bemerken  wäre,  dass  die  Grösse  des  Abscesses  nicht  immer 
im  Verhältnisse  zu  den  Beschwerden  steht,  denn  wir  können  besonders  bei 
chronischen  Abscessen  beobachten,  dass  oft  bedeutenden  Veränderungen  nur 
geringe  subjective  Beschwerden  entsprechen. 

Aus  den  Fieberbewegungen,  dem  unausbleiblichen  katarrhalischen  Zu- 
stande des  Verdauungstractes  resultiren  Inanitionserscheinungen,  welche,  lang 
andauernd,  leicht  zum  hochgradigen  Verfall  führen  können. 

Dem  secundären  Retropharyngealabscess,  welcher  aus  den  Eiterungs- 
processen  der  Halswirbelsäule  entsteht,  gehen  längst  Symptome  voran,  die 
zweifelsohne  auf  die  Primärerkrankung  hinweisen.  Der  ausgesprochene 
Nackenschmerz  oder  wenigstens  auffallende  Empfindlichkeit  fehlt  nie.  Die 
Bewegungen     des    Kopfes     sind    beeinträchtigt    und    verursachen    ebenfalls 


550  RETROPHARYNGEALABSCESS. 

Schmerzen.  Die  Kranken  beugen  den  Kopf  nach  rückwärts  oder  nach  der 
gesunden  Seite  hin.  Nackensteifheit,  Schmerzhaftigkeit  auf  Druck  der  Hals- 
wirbel sind  wertvolle  Symptome.  Im  allgemeinen  sind  die  Erscheinungen 
dieselben,  wie  die  der  primären,  nur  entwickeln  sie  sich  langsamer. 

Zur  Ergänzung  des  Symptomencomplexes  beim  Retropharyngealabscess 
gehören  die  Befunde,  welche  bei  der  objectiven  Untersuchung  zu  Tage  treten 
(Inspection  und  Digitaluntersuchung).  Leider  ist  bei  kleinen  Kindern  durch 
den  Umstand,  dass  theils  enge,  räumliche  Verhältnisse  des  Rachens  vorhan- 
den sind,  theils,  dass  durch  entzündliche  Veränderungen  der  Mund-  und 
Rachenhöhle  das  Oeffnen  des  Mundes  erschwert  mrd,  die  Inspection  fast  un- 
ausführbar. Wäre  die  Besichtigung  sonst  möglich,  wird  durch  das  Würgen 
und  Erscheinen  des  copiösen  Schleimes  alles  verdeckt. 

Unvergleichlich  vortheilhafter  und  sicherer  ist  die  Digitaluntersuchung, 
Trotzdem  möchte  ich  nicht  empfehlen,  sich  allein  auf  dieselbe  zu  verlassen, 
wenn  auch  vielerseits  betont  wird,  dass  auf  die  Inspection  kein  besonderes 
Gewicht  zu  legen  sei. 

Bei  der  Inspection  sieht  man,  je  nach  dem  Alter  des  Kranken,  an  der 
hinteren  Rachenwand  eine  grössere  oder  kleinere,  mehr  oder  weniger  gespannte 
Geschwulst.  Dem  Verlaufe  entsprechend  erscheint  dieselbe  entweder  intensiv 
geröthet  oder  von  fast  normaler  Schleimhaut  bedeckt.  Bei  der  Digitalunter- 
suchung ist  im  Beginne  die  schmerzhafte  Geschwulst  prall  und  resistent  an- 
zufühlen, später  weicher,  elastischer  und  fluctuirend. 

Durch  Zuhilfenahme  des  Kehlkopfspiegels  ist  es  bei  grösseren  Kindern 
und  Erwachsenen  möglich,  den  Sitz  und  die  Verbreiterung  des  Abscesses  ganz 
präcise  zu  bestimmen. 

Der  Verlauf  des  secundären  Retropharyngealabscesses  ist  im  Gegensatze 
zum  primären  gewöhnlich  ein  chronischer,  da  sein  Ausgang  von  der  Primär- 
erkrankung abhängt.  Auch  die  Prognose  wird  sich  bei  den  primären  anders 
gestalten  als  bei  den  secundären  Abscessen.  Die  primären  Abscesse  geben 
bei  nicht  allzu  grosser  Ausbreitung  und  rechtzeitigem  therapeutischem  Ein- 
griffe keine  schlechte  Prognose  ab.  Im  frühen  kindlichen  Alter  freilich  ist 
auf  einen  günstigen  Ausgang  weniger  zu  rechnen. 

Die  secundären  Abscesse  haben  schon  der  Primärerkrankung  halber  eine 
schlechte  Prognose. 

Grosse  Abscesse  können  den  Kehlkopfeingang  verdecken  und  durch 
spontane  Eröffnung,  was  übrigens  äusserst  selten  vorkommt,  zur  Erstickung 
führen.  Eitersenkung  nach  dem  Larynx  und  Oesophagus  sind  gefahrvolle 
Complicationen. 

Ist  die  Eröffnung  des  Abscesses  geschehen,  so  treten  sämmtliche  gefahr- 
drohenden Symptome  rasch  zurück,  die  Respiration  wird  frei  und  das  Schlucken 
unbehindert. 

Diagnose.  Wird  die  im  Vorstehenden  erwähnte  combinirte  Unter- 
suchungsmethode ausgeführt,  so  ist  eine  Verwechslung  mit  anderen  Erkran- 
kungen nicht  leicht  möglich.  Im  Beginne  der  Erkrankung  können  insoferne 
Zweifel  entstehen,  ob  wir  es  mit  einer  entzündlichen  Pharyngitis  oder  einer 
Lymphadenitis  retropharyngealis  zu  thun  haben.  Eine  Verwechslung  mit  Croup 
kann  nur  durch  eine  oberflächliche  Untersuchung  und  Ausserachtlassung  der 
subjectiven  Beschwerden  möglich  werden.  Die  subjectiven  Beschwerden  und 
der  Befund  der  objectiven  Untersuchung  werden  also  die  Diagnose  sichern. 
Schwieriger  gestaltet  sich  die  Diagnose  nur  dann,  wenn  in  der  Mund- 
Rachenhöhle  anderweitige  entzündliche  Erkrankungen  vorhanden  sind,  oder 
wenn  von  Seite  des  Larynx  Veränderungen  auftreten  (Oedeme),  die  dann 
eventuell  das  Symptom  des  Abscesses  verdecken.  Selbstverständlich  bezieht 
sich  das  nur  auf  die  Erkrankung  bei  Kindern,  da  bei  Erwachsenen  die  leicht 
ausführbare  laryngoskopische  Untersuchung  Klarheit  verschafft. 


RHINITIS.  551 

Vor  Verwechslung  mit  einem  retropharyngealen  Hämatom,  trotzdem  auch 
da  Fluctuation  zu  finden  ist,  schützt  die  Anamnese  und  das  plötzliche  Ent- 
stehen desselben.  Bei  weichen  Tumoren  ist  die  Probepunktion  als  differen- 
tialdiagnostisches Mittel  zu  verwerten. 

Die  Diagnose  der  secundären  Retropharyngealabscesse  verursacht  in  An- 
betracht der  bestehenden  Grunderkrankung  keine  Schwierigkeit. 

Therapie.  Bei  der  Besprechung  der  Prognose  des  Ptetropharyngeal- 
abscesses  wurde  betont,  dass  der  günstige  Ausgang  der  idiopathischen  Ab- 
scesse  unter  anderem  dem  rechtzeitigen  therapeutischen  Eingriffe  zu  ver- 
danken ist.  Wenn  nun  die  Diagnose  des  Abscesses  in  jeder  Ptichtung  ge- 
sichert ist,  so  soll  beim  idiopathischen  Abscesse  nicht  gewartet  werden,  bis 
gefahrdrohende  Symptome  auftreten,  sondern  die  Entleerung  des  Eiters  hat 
je  eher  zu  geschehen,  trotzdem  die  Möglichkeit  einer  spontanen  Eröffnung, 
Avie  aus  mitgetheilten  Fällen  ersichtlich,  nicht  ausgeschlossen  ist. 

Die  Eröffnung  geschieht  am  leichtesten  mittelst  eines  bis  auf  die  Spitze 
mit  Heftpflaster  umwickelten  Spitzbistouri,  indem  bei  herabgedrückter  Zunge 
mit  dem  vorgeschobenen  Messer  eine  Incision  des  Abscesses  vorgenommen 
wird.  (Vorsicht  ist  rücksichtlich  der  Nähe  der  Carotis  interna  geboten,  wes- 
halb nicht  zu  tief  eingestochen  werden  darf.)  Bei  Kindern,  wo  die  Inspection 
nicht  ausführbar  ist,  wird  das  Messer  unter  Leitung  des  linken  Zeigefingers 
bis  an  die  Abscesswand  gebracht  und  so  eingestochen. 

Selten  gelingt  die  Eröffnung  des  Abscesses  mittelst  Druckes  durch  den 
Fingernagel. 

Sofort  nach  der  Incision  muss  der  Kopf  vornüber  gebeugt  werden, 
damit  der  sich  rasch  entleerende  Eiter  nicht  in  den  Larynx  ergiesst  und 
suffocatorische  Erscheinungen  hervorbringt. 

Zur  Eröffnung  der  Abscesse  sind  auch  eigene  Instrumente  empfohlen 
worden,  die  eigentlich  nur  in  solchen  Fällen  zu  verwenden  sind,  wo  der  Ab- 
scess  in  den  tieferen  Theilen  des  Pharynx  gelegen  ist  (u.  a.  Pharyngotom 
von  Stoerk). 

Entleert  sich  nach  Incision  der  Abscess  nicht  gänzlich,  so  genügt 
gewöhnlich  der  Fingerdruck,  den  Eiter  heraus  zu  befördern.  Schliesst  sich 
jedoch  die  Oeftnung,  was  allerdings  selten  zu  beobachten  ist,  so  muss  eine 
zweite  Incision  gemacht  werden. 

Wenn  wir  es  nur  mit  einer  acuten  Lymphadenitis  retropharyngealis  zu 
thun  haben,  so  kann  Antiphlogose  eingeleitet  werden,  u.  zw.  kalte  Umschläge 
um  den  Hals,  bei  Erwachsenen  noch  Eispillen.  Ebenso  sind  Blutentziehungen 
gebraucht  worden,  doch  ohne  besonderen  Erfolg.  Gautier  und  Schmitz  em- 
pfehlen Pinselungen  des  Gaumensegels  und  der  hinteren  Rachenwand  mit 
Jodtinctur  und  Jodkalilösung.  Zeigen  sich  die  Zeichen  der  Abscessbildung, 
so  sind  warme  Breiumschläge  bis  zum  Zeitpunkt  der  Eröffnung  angezeigt. 

Als  Nachbehandlung  sind  Ausspritzungen  mit  3 — i^/oiger  Borsäurelösung, 
bei  Erwachsenen  Gurgelungen  mit  derselben  Lösung  vorzunehmen. 

Die  secundären  Retropharyngealabscesse  sollen  ein  noli  me  tangere  bilden. 
Der  operative  Eingriff,  d.  h.  die  Eröffnung  des  Abscesses,  darf  nur  bei  gefahr- 
drohenden Symptomen  geschehen.  irsai. 

Rhinitis.   Diffuse  Entzündung  der  Nasenschleimhaiif. 

Wir  trennen  die  Rhinitiden  nach  ihrem  Verlauf  in  acute  und  chro- 
nische. 

Zu  den  acuten  gehören :  die  Rhinitis  catarrhalis  acuta,  die  Rhinitis  puru- 
lenta  acuta,  die  Rhinitis  diphtherica  und  fibrinosa;  zu  den  chronischen  kann 
man  ausser  der  Rhinitis  catarrhalis  chronica  noch  die  infectiösen  Granulome  der 
Nasenschleimhaut  (Tuberkulose  [Lupus],  Syphilis,  Rotz,  Lepra,  Sklerom)  zählen, 
obwohl  diese  nur  zum  Theil  regelmässig  in  diffuser  Ausbreitung  vorkommen. 


552  RHINITIS. 

In  diesem  Artikel  sollen  nur  die  Rhinitis  catarrhalis  acuta,  die  Rhinitis 
purulenta  und  die  Rhinitis  catarrhalis  chronica  besprochen  werden.  Die 
übrigen  sind  in  besonderen  Artikeln  einzusehen. 

Rhinitis  catarrhalis  acuta.  Der  acute  Katarrh  der  Nasenschleimhaut 
ist  kein  ätiologisch  einheitlicher  Krankheitsbegriff.  Er  kann  durch  infec- 
tiöse,  mechanische  und  chemische  Ursachen  entstehen. 

Durch  Mikroorganismen  werden,  wie  wir  annehmen  dürfen,  die 
acuten  Nasenkatarrhe  bei  folgenden  Erkrankungen  hervorgerufen:  bei  der 
acuten  Coryza  (dem  Schnupfen),  der  Influenza,  den  Masern,  den 
Röthein,  dem  Flecktyphus,  der  Syphilis. 

Bei  der  Coryza  und  der  Influenza  bildet  die  Rhinitis  eine  der  hervor- 
stechendsten Krankheitserscheinungen,  bei  den  übrigen  eine  entweder  con- 
stante  (Masern,  Röthein)  oder  wenigstens  sehr  häufige  Theilerscheinung. 

Welche  Mikroorganismen  bei  den  fraglichen  Rhinitiden  betheiligt  sind, 
wissen  wir  nicht.  Möglicherweise  sind  es  immer  dieselben,  die  mit  der  Luft  in 
den  Nasenschleim  gelangen  und  hier  warten,  bis  ihnen  eine  Gelegenheits- 
ursache (heftige  Erkältung,  Durchnässung,  Infection  mit  Masern-,  Röteln-  etc. 
Gift)  die  Möglichkeit  gewährt,  activ  zu  werden.  Es  wäre  aber  auch  denkbar, 
dass  unsere  Rhinitiden  trotz  ihrer  klinischen  Uebereinstimmung  ätiologisch 
streng  zu  scheiden  wären,  so  dass  die  Coryza  durch  ein  noch  hypothetisches 
Bacterium  coryzae,  die  Influenzarhinitis  durch  die  Bacillus  influenzae  Pfeiffers 
entständen,  dass  die  Rhinitiden  bei  Masern,  Röthein  etc.  einer  durch  den  Blut- 
strom vermittelten  Localisation  der  betreffenden  specifischen  Krankheitserreger 
ihre  Entstehung  verdankten.  Vorläufig  wird  man  jedenfalls  gut  thun,  die 
verschiedenen  Processe  nicht  miteinander  zu  vermengen.  Wir  empfehlen 
deshalb  auch,  den  Ausdruck  Coryza  nur  auf  den  Schnupfen  an- 
zuwenden, im  übrigen  aber  von  einer  Influenza-,  Masern-  etc. 
Rhinitis  zu  sprechen. 

Durch  mechanische  Reizung  vermögen  die  Blütenpollen  mancher 
Pflanzen,  insbesondere  der  Gräser,  bei  disponirten  Individuen  acuten  Nasen- 
katarrh hervorzurufen.  Gewöhnlich  ist  damit  noch  eine  Reihe  anderer  katar- 
rhalischer und  nervöser  Symptome  verbunden,  die  zusammen  das  Bild  des 
Heufiebers  geben.'") 

Stoffe,  die  auf  chemischem  Wege  unseren  Katarrh  hervorrufen, 
kommen  entweder  mit  der  Inspirationsluft  auf  die  Nasenschleimhaut,  wie 
Pulv.  ipecac,  lycopodii,  Cementstaub,  Kalium  bichromic.  in  feiner  Verthei- 
lung,  Ammoniak-,  Säuredämpfe  u.  a.  m.,  oder  auf  dem  Blutwege,  wie  die  Jod- 
salze. Der  Jodschnupf en  entsteht  durch  die  Einwirkung  von  freiem  Jod,  das 
an  der  Oberfläche  der  Schleimhaut  „durch  die  Massenwirkung  der  Kohlen- 
säure auf  die  in  den  Secreten  ausgeschiedenen  Jodide  und  die  hier  nie  fehlen- 
den salpetrigsauren  Salze  in  Freiheit  gesetzt  wird"  (Schmiedeberg). 

Pathologische  Anatomie.  Die  Schleimhaut  ist  stark  geschwollen, 
ödematös  durchtränkt,  die  Blutgefässe  sind  stark  gefüllt.  Es  besteht  beträcht- 
liche Rundzelleninfiltration  durch  die  ganze  Dicke  der  Schleimhaut,  Austritt 
von  rothen  Blutzellen,  theils  per  rhexin,  theils  per  diapedesin,  häufig  ver- 
mehrte Verschleimung  und  Desquamation  von  Epithelzellen.  Suchannek 
hat  eine  lebhafte  Betheiligung  sowohl  der  acinösen  als  auch  der  BowMAN'schen 
Drüsen  aufgefunden  (vermehrte  Verschleimung  und  verschiedenartige  Degene- 
ration der  Zellen).  Die  geschilderten  Veränderungen  spielen  sich  auf  insel- 
artig zwischen  normalem  Gewebe  sitzenden  Flecken  ab. 

Die  klinischen  Erscheinungen  der  acuten  Rhinitis  sind  bei 
der  Besprechung  der  Coryza  acuta  angeführt.  (Vide  Artikel  „Coryza"  in 
diesem  Bande.) 


*)  Siehe  Artikel  „Catarrlms  aestiv.  Bd.  I.  Int.  Med."  dieses  Werkes. 


.RHINITIS.  553 

Als  Rhinitis  piirulenta  acuta  bezeichnen  wir  eine  Entzündung  der 
Nasenschleimhaut,  bei  der  von  vornherein  ein  eitriges  Secret  abgesondert  wird. 
Bei  oberflächlicher  Entzündung  sprechen  wir  von  einer  Blennorrhoea  na- 
salis.  Ist  die  Entzündung  im  submucösen  Gewebe  localisirt,  so  kann  sie  als 
Phlegmone  nasalis  bezeichnet  werden. 

Die  eitrige  Rhinitis  wird  immer  durch  die  Invasion  pyogener  Bacterien 
hervorgerufen.  Sie  hat  also  ebensowenig  wie  die  acute  katarrhalische  Rhinitis 
eine  einheitliche  Aetiologie,  da  es  eine  ganze  Anzahl  derartiger  Mikroorganis- 
men gibt. 

Sicher  bekannt  ist  uns  als  Erreger  des  Erysipels  der  Nasen- 
schleimhaut der  Fehleisen 'sehen  Streptococcus.  Das  Erysipel  breitet 
sich  in  den  Lymphbahnen  der  oberflächlichen  Schleimhautschichten  aus.  Es 
nimmt  entweder  vom  Rachen  seinen  Ursprung  und  kriecht  durch  die  Nase 
auf  die  äussere  Gesichtshaut,  oder  es  nimmt  den  umgekehrten  Weg. 

Nicht  sicher  kennen  wir  die  Erreger  der  beim  Scharlach  und  der 
Diphtherie  vorkommenden  phlegmonösen  Naseneiterungen.  Wir  dürfen 
aber  wohl  annehmen,  dass  sie  dieselben  pyogenen  Streptococcen  sind,  die  auch 
die  sonstigen  schweren  Complicationen  dieser  Erkrankungen  verursachen.  Bei 
der  Diphtherie  findet  sich  die  eitrige  Entzündung  gewöhnlich  neben  der  spe- 
cifisch  diphtheritischeUj  es  handelt  sich  also  um  eine  Mischinfection. 

Pyogene  Bacterien  (Streptococcus  pyog.,  Staphylococcus  pyog.,  der  FRiEDLÄNDER'.sc/je 
und  der  FRÄNKEL'scAe  Pneumoniecocciis)  sind  von  vielen  üntersuchern  im  Nasenschleim 
Gesunder  und  nicht  an  eitriger  Rhinitis  leidender  Nasenkranker  aufgefunden  worden.  Man 
muss  deshalb  annehmen,  dass  eine  disponirende  Ursache  dazu  nöthig  ist,  um  solchen 
Bacterien  das  Eindringen  und  die  Vermehrung  in  der  Nasenschleimhaut  zu  ermöglichen. 

Zu  der  nicht  allseitig  anerkannten  eitrigen  Infection  der  Nasenschleim- 
haut gehört  die  Rhinitis  gonorrhoica,  deren  Urheber,  der  Gonococcus 
Neisser's,  entweder  während  des  Geburtsactes  oder  durch  inficirte  Taschen- 
tücher, Finger  u.  ä.  oder  endlich  bei  Gelegenheit  geschlechtlicher  Ver- 
irrungen  übertragen  werden  soll  (B.  Feänkel,  Voltolini  u.  a.).  Gegen 
das  Vorkommen  einer  Rhinitis  gonorrhoica  sprechen  sich  viele  erfahrene  Der- 
matologen aus,  wie  Ricord,  Roket,  Diday,  Zeissl,  von  den  Rhinologen 
namentlich  Moldenhauee,  der  sich  auf  das  reiche  Material  der  Leipziger 
geburtshilflichen  Klinik  stützt. 

Symptome.  Das  klinische  Bild  der  eitrigen  Rhinitis  unterscheidet 
sich  von  dem  des  acuten  Katarrhs  nur  durch  die  vermehrte  Heftigkeit  aller 
Symptome  und  durch  das  andersartige  Secret.  Das  Secret  ist  entweder  rein 
eitrig  oder  durch  Blutbeimengung  dunkel  gefärbt  oder  durch  putride  Zersetzung 
übelriechend.  —  In  schweren  Fällen  kann  es  zu  Substanzverlusten  der  Schleim- 
haut und  zur  Nekrose  der  darunter  liegenden  festen  Theile  (Knochen  oder 
Knorpel)  kommen  (Rhinitis  gangraenosa). 

Trotz  alledem  ist  der  Ausgang  in  der  Regel  günstig.  Es  tritt  voll- 
ständige Ausheilung  der  Schleimhaut  ein,  manchmal  natürlich  erst,  nachdem 
die  Substanzverluste  durch  Narbenbildung  gedeckt  sind. 

Diese  günstige  Prognose  bezieht  sich  aber  nur  auf  die  Erkrankung 
der  Nase.  Im  übrigen  wird  der  Complication  mit  eitriger  Rhinitis  sowohl 
beim  Scharlach  wie  bei  der  Diphtherie  eine  sehr  üble  prognostische  Bedeu- 
tung für  den  Ausgang  der  Grunderkrankung  beigemessen. 

In  diagnostischer  Hinsicht  kommt  vorzüglich  die  Dififerenzirung 
der  eitrigen  Rhinitis  von  den  acuten  eitrigen  Herderkrankungen  (Geschwüren, 
Abscessen,  Fremdkörpereiterungen,  Nebenhöhlenempyemen)  in  Betracht.  Unter 
Berücksichtigung  der  begleitenden  Umstände  und  des  Verlaufes  werden  wohl 
Inspection  und  Sondirung  stets  die  Entscheidung  ermöglichen.  Man  bedenke 
auch,  dass  Herderkrankungen  lieber  einseitige,  die  eitrige  Rhinitis  stets  doppel- 
seitige Pyorrhoe  hervorrufen. 


554  RHINITIS. 

Therapie.  Pteinhaltung  der  Nase,  Sorge,  dass  der  Eiter  nicht  zurück- 
gehalten wird  und  sich  anhäuft,  sind  die  nächsten  Aufgaben.  Dazu  spritzt 
man  die  Nase  nach  leichter  Cocainisirung  (Spray  von  Cocain,  mur.  1:100) 
mit  0-75"/oiger,  sterilisirter  Kochsalzlösung  aus,  wozu  man  sich  der  Gummi- 
pumpe (vgl.  den  Artikel  Ozaena)  oder  einer  mit  dünnem  Gummischlauch 
armirten  Wundspritze  bedient.  Will  man  nachträglich,  wie  es  vielfach 
empfohlen  wird,  die  Schleimhaut  mit  Höllensteinlösung  (2:100)  einpinseln  oder 
Höllensteinpulver  (0-l:20-0  Tale.)  authlasen,  so  hat  man  zur  Spülung  statt 
der  Kochsalzlösung  einfaches  gekochtes  Wasser  zu  verwenden. 

Auf  die  symptomatische  Behandlung  ist  ganz  besondere  Sorgfalt  zu  ver- 
wenden.    Sie  ist  dieselbe  wie  bei  der  acuten  Coryza. 

Rhinitis  catarrhalis  chronica. 

Aetiologie.  Als  Ursachen  des  chronischen  Nasenkatarrhs  sind  fort- 
dauernde oder  sich  häufig  wiederholende  kleine  Reize  anzusehen.  Deren  gibt 
es  sehr  viele.  Sie  wirken  auf  chemischem  oder  mechanischem  Wege  oder 
auf  beiden  zugleich.  —  Der  chronische  Nasenkatarrh  ist  keine  Infections- 
krankheit,  d.  h.  er  wird  nicht  durch  Bacterien  erzeugt,  die  in  der  Schleim- 
haut leben.  Er  kann  aber  durch  Bacterien  hervorgerufen  und  unterhalten 
werden,  die  sich  im  Secret  der  Nase  einnisten  und  durch  ihre  Stoffwechsel- 
producte  (d.  h.  also  chemisch)  die  Schleimhaut  reizen. 

Nach  dem  Gesagten  werden  wir  es  verstehen,  dass  Tabakraucher  und 
Schnupfer,  dass  Stammgäste  schlecht  ventilirter,  raucherfüllter  Kneipen  häufig 
an  chronischem  Nasenkatarrh  leiden,  ebenso  wie  Müller,  Tabaksarbeiter, 
Cementarbeiter,  Drechsler,  Schleifer,  Arbeiter  in  chemischen  Fabriken,  die 
mit  Ammoniak,  starken  Säuren,  Kalium  bichromicum  u.  ä.  zu  thun  haben. 
Wir  finden  die  Krankheit  ferner  ganz  gewöhnlich  bei  chronischen  Neben- 
höhlenempyemen,  wo  sie  durch  die  Berieselung  der  Schleimhaut  mit  dem 
Nebenhöhleneiter  erzeugt  wird.  —  Zuweilen  entwickelt  sich  der  chronische 
Katarrh  aus  einem  acuten  dadurch,  dass  dieser  nicht  über  das  zweite  Stadium, 
das  der  schleimig-eiterigen  Secretion,  hinauskommt.  Auch  sollen  häufige 
acute  Katarrhe  einen  chronisch-katarrhalischen  Zustand  der  Nasenschleimhaut 
zuwege  bringen  können. 

Die  Disposition  für  den  chronischen  Nasenkatarrh  ist  sehr  verbreitet, 
aber  individuell  verschieden.  Manche  sind  mit  einer  ererbten  Schwäche  der 
Schleimhäute  behaftet,  die  gewöhnlich  als  Theilerscheinung  der  Scrophulose 
betrachtet  wird.  Aber  in  vielen  Fällen  ist  die  Scrophulose  erst  die  Folge 
von  Nasenleiden  (vgl.  darüber  Zaeniko,  Krankh.  d.  Nase  1894). 

Eine  erhöhte  Disposition  für  unsere  Erkrankung  liefern  ferner  Stauungen 
in  der  Nasenschleimhaut,  mögen  sie  durch  locale  Ursachen  (Tumoren  im 
Nasopharynx,  insbesondere  adenoide  Vegetationen)  oder  durch  allgemeine 
erzeugt  sein  (Herzfehler,  Nierenleiden,  häufige  Anwendung  der  Bauchpresse 
bei  chronischer  Obstipation). 

Symptome  und  Verlauf.  Bei  der  Inspection  bekommen  wir  die 
verschiedenartigsten  Bilder  zu  Gesicht.  Bald  ist  die  Schleimhaut  hochroth, 
sammtartig  aufgelockert,  leicht  blutend;  bald  ist  sie  blass,  weissgrau,  etwas 
uneben.  In  der  Kegel  ist  sie  dicker  als  normal.  Sie  lässt  sich  mit  der  Sonde 
leicht  eindrücken  und  man  hat  dabei  das  Gefühl,  als  ob  man  einen  Gummi- 
ball eindrückte  („Luftkissengefühl").  Nach  Entfernung  der  Sonde  gleicht  sich 
die  Vertiefung  sehr  bald  wieder  aus.  Durch  Cocain  kann  die  Anschwellung 
zum  Verschwinden  gebracht  werden,  sie  ist  also  lediglich  durch  vermehrte 
Blutfülle  hervorgerufen.  —  Die  Schleimhautschwellung  betrifft  hauptsächlich 
die  unteren  Muscheln,  sodann  die  mittleren,  seltener  das  Septum  und  die 
übrigen  Wände. 

Das  Secret  ist  bald  gelblich,  dick,  stellenweise  zu  Klümpchen  und 
Krusten  eingedickt,    bald  ist  es  mehr  schleimig,  weissgrau,  in  langen  Fäden 


RHINITIS.  555 

sich  hühnereiweissähnlich  ausziehend.  —  Dünneres  flüssiges  Secret  jjflegt  sich 
am  Nasenboden  anzusammeln,  dickeres  klebt  an  den  Wänden  und  in  den 
Nasengängen.  Das  Secret  ist  entweder  völlig  geruchlos  oder  es  hat  einen 
kaum  merklichen,  faden  Geruch.  Es  besteht,  wie  die  mikroskopische  Unter- 
suchung lehrt,  aus  einem  schleimigen  Menstruum,  worin  mehr  oder  minder 
zahlreiche  Leucocyten  eingebettet  sind.  Epithelzellen  sind  sehr  selten  darin. 
Ebenso  sind  relativ  wenige  Bacterien  vorhanden  und  diese  in  wenigen  Arten. 
Selten  ist  der  chronische  Katarrh  auf  die  Nasenhöhlen  beschränkt.  Ge- 
wöhnlich sind  auch  die  Schleimhäute  des  gesammten  Pharynx  und  häufig  auch 
des  Kehlkopfes  mitergriffen.  Die  Ursache  liegt  zum  Theil  in  der  Einwirkung 
derselben  Schädlichkeiten,  die  den  Nasenkatarrh  erzeugen,  auf  diese  Schleim- 
häute, zum  Theil  in  der  Nasenverstopfung  und  der  dadurch  bedingten  Mund- 
athmung. 

Die  Klagen  der  Patienten  beziehen  sich  selten  auf  die  Nase  allein.  Ge- 
wöhnlich klagen  sie  zugleich  auch  über  Rachenbeschwerden,  und  manchmal 
führen  diese  allein  sie  zum  Arzte. 

Was  sie  an  ihrer  Nase  nicht  in  Ordnung  finden,  nennen  sie  ^Stock- 
schnupfen'-^  das  ist,  wenn  man  näher  fragt,  Verstopfung  der  Nase  und 
vermehrte  Secretion  {„Verschleimung'').  Die  Verstopfung  schwankt  gewöhnlich 
auf  derselben  Seite  von  leidlicher  oder  vollkommener  Durchgängigkeit  bis  zur 
totalen  Verlegung.  Oft  tritt  dieser  Wechsel  sehr  plötzlich  ein  infolge  einer 
psychischen  Erregung.  So  wird  bei  manchen  Patienten  die  Nase  frei,  sobald 
sie  sich  zum  Arzt  begeben.  Von  Schwellung  ist  dann  nichts  zu  finden,  erst 
beim  zweiten  oder  dritten  Besuche,  wenn  die  anfängliche  Erregung  verschwun- 
den ist,  kann  man  sie  constatiren.  —  Zuweilen  vollzieht  sich  der  Wechsel 
unter  den  Augen  des  Arztes  bei  der  Inspection.  Häufig  ist  bald  die  eine, 
bald  die  andere  Seite  mehr  verstopft,  oft  alternirend.  Beim  Liegen  ist  es 
gewöhnlich  die  untere  Seite,  während  die  obere  frei  ist.  Fast  immer  ist  die 
Verstopfung  Nachts  stärker  als  am  Tage. 

Die  Verschleimung  der  Nase  äussert  sich  in  dem  erhöhten  Verbrauch 
von  Taschentüchern  oder  deren  Surrogaten.  Um  ein  Urtheil  darüber  zu 
gewinnen,  genügt  es  nicht,  dass  man  die  Anzahl  der  täglich  verbrauchten 
Taschentücher  kennt,  sondern  man  muss  sich  auch  die  Taschentücher  zeigen 
lassen,  um  zu  sehen,  wie  viel  Ausgeschnobenes  darin  ist. 

Manche  Kranken  geben  spontan,  die  meisten  erst  auf  Befragen  an,  wie  es 
um  ihr  Geruchsvermögen  bestellt  ist.  Es  ist  gewöhnlich  herabgesetzt 
zuweilen  ganz  aufgehoben. 

Ebenso  lästig,  wie  ihr  Stockschnupfen,  sind  den  meisten  ihre  Hals- 
beschwerden, die  von  dem  consecutiven  Rachenkatarrh  abhängen.  Die 
Verschleimung  des  Halses  und  „hinter  der  Nase"  wird  besonders 
morgens  nach  dem  Aufwachen  unangenehm  empfunden.  Die  Nacht  hat  der 
Patient  grösstentheils  mit  offenem  Munde  schnarchend  verbracht.  Das  Secret 
der  Nase  ist  nicht  aufgeschnoben,  sondern  es  hat  sich  nach  hinten  gesenkt 
und  das  im  Halse  producirte  vermehrt.  Durch  den  trockenen  Luftstrom  ist  es 
zum  Theil  eingedickt  und  bedeckt  die  Wände  des  Pharynx  in  ziemlich  fest  haf- 
tenden Krusten  oder  Ballen.  Nach  dem  Erwachen  stellt  sich  deshalb  neben 
einem  peinigenden  Trockenheitsgefühl  der  Drang  ein,  das  Secret  wegzu- 
bekommen. Was  im  Bereich  des  Exspirationsstromes  liegt,  wird  ausgehustet 
oder  ausgeräuspert.  Das  im  Nasopharynx  festsitzende  Secret  aber  wird  durch 
eine  lebhafte  Inspiration  nach  hinten  durchgezogen  und  dann  ausgespuckt. 
Hierbei  ereignet  es  sich  sehr  häufig,  dass  die  im  Pharynx  gezerrten  und  be- 
wegten Secretmassen  einen  Brechreiz  erzeugen,  der  Würgbewegungen  und 
manchmal  geringes  Erbrechen  von  Mageninhalt  zur  Folge  hat.  Auf  diese 
Weise  erklärt  schon  A.  v.  Tköltsch  den  Vomitus  matutinus  der  Säufer,  die  ja 
alle  an  intensivem  Rachenkatarrh  leiden. 


Ö56 


RHINITIS. 


Neben  dem  erwähnten  Gefühl  von  Trockenheit  oder  statt  dessen  stellen 
sich  häufig  andere  belästigende  Parästhesien  des  Pharynx  ein.  Die  Patienten 
geben  an,  es  sitze  ihnen  irgend  etwas  im  Halse,  was  nicht  dahin  gehöre 
(Fremdkörpergefühl).  Manchmal  können  sie  den  Gegenstand  nicht  be- 
schreiben, nicht  einmal  sagen,  ob  sie  ihn  hart  oder  weich,  eckig  oder  rund 
fühlten.  Manchmal  aber  geben  sie  genau  an,  es  sässe  ihnen  eine  Gräte,  eine 
Borste,  eine  Fruchtschlaube  od.  dgl.  im  Halse  und  sind  dermaassen  von  der 
Wahrheit  des  Gefühlten  überzeugt,  dass  es  einer  grossen  Sicherheit  und 
Festigkeit  bedarf,  um  es  ihnen  auszureden.  Eine  andere,  sehr  gew^öhnliche 
Sensation  ist  die,  dass  der  Hals  geschw^ollen  wäre.  Vielleicht  ist  diese  durch 
eine  Hyperästhesie  der  betreffenden  Gegend  bedingt.  Durch  Cocainisirung  des 
Eachens  kann  man  w^enigstens  jederzeit  eine  ähnliche  Empfindung  hervor- 
rufen. —  Endlich  seien  noch  aus  der  grossen  Zahl  der  Parästhesien  die  Em- 
pfindungen des  Brennens,  Juckens,  Kriebelns  an  gewissen  Stellen  des  Pharynx 
erwähnt,  ohne  dass  dabei  ein  Fremdkörper  gefühlt  wird.  —  Parästhesien  des 
Pharynx  geben  bei  disponirten  Individuen  gern  zu  hypochondrischen  Vor- 
stellungen Anlass.  Sehr  häufig  fürchten  solche  Kranke,  an  Halsschwindsucht 
oder  an  Krebs  zu  leiden. 

Bei  einer  ziemlichen  Zahl  von  Patienten  finden  wir  als  weitere  Folgen 
des  Rachenkatarrhs  chronischenKatarrh  der  Tube  und  derMittel- 
ohr Schleimhaut.  Manche  zeigen  eine  leichte  Bhinolalia  clausa,  einzelne 
leiden  infolge  der  Mundathmung  an  häufig  recidivirenden  Mandelentzün- 
dungen und  nächtlichem  Alpdruck. 

In  sehr  vielen  Fällen  kommt  es  im  Verlauf  und,  wie  man  wohl  annehmen 
darf,  infolge  des  chronischen  Katarrhs  zu  einer  Volumszunahme  der 
Schleimhaut,  besonders  der  der  Muscheln,  durch  Vermehrung 
von  Gewebselementen. 

Das  makroskopische  Aussehen  der  Neubildungen  ist  sehr  verschieden. 
Entweder  finden  wir  die  Muscheln  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  gleichmässig 
verdickt  oder,  und  das  viel  häufiger  an  circumscripten  Stellen,  vorzugsweise 
an  den  vorderen  oder  den  hinteren  Enden.  Die  Oberfläche  der  Verdickungen 
ist  entweder  glatt  oder  durch  seichte  Einkerbungen  gerunzelt  oder  durch  tiefe 
Einschnitte  in  Felder,  Lappen  oder  Beeren  abgetheilt.  Dadurch  kann  ein 
froschlaich-,  himbeer-  (Fig.  1,  Fig.  2"),  trauben-,  blumenkohlkopf-  (Fig.  3) 
oder  hahnenkammähnliches  Aussehen  zu  Stande  kommen. 


Fig.  2. 

Fig.  1.     Polypoide  Verdickung  der  hinteren  Enden  beider  unteren  Muscheln  mit  himbeerförmiger  Oberfläche. 
Verdickungen  zu  beiden  Seiten  des  Septums. 

Kg.  2.     Dasselbe  Object  in  seinen  Umrissen  nach  Cocainisirung  der  unteren  Muscheln. 
(Fig.  1  u.  2  n.  d.  Nat.  gez.  vom  Verf.) 

Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigt,  dass  sich  die  einzelnen  Gewebs- 
arten  in  verschiedenem  Grade  an  der  Volumsvermehrung  betheiligen.  Der 
Schnitt  enthält  bald  reichlich,    bald  spärlich  Gefässe,    bald  viel,    bald   wenig 

*)  Die  Abbildungen  zu  diesem  Artikel  sind  —  mit  Ausnahme  der  Fig.  6.  —  Originale, 
die  ich  mit  liebenswürdiger  Erlaubnis  des  Verlegers,  Herrn  Karger  in  Berlin,  aus  meinem 
S.  554  citirten  Lehrbuche  habe  übernehmen  können. 


RHINITIS. 


557 


Fig.  3.  Linke  Nasenhälfte,  Siebbeinzellen  zum  grossen  Theil  eröffnet, 
insbesondere  auch  eine,  die  sich  weit  in  die  mittlere  Muschel  hin- 
überstreckt. Im  Ductus  nasofrontalis  und  im  Ostium  einer  frontalen 
Siebbeinzelle  liegen  Sonden.  Ciroumscripte  Verdickung  des  hinteren 
Endes  der  unteren  Muschel  mit  blumenkohlähnlicher  Oberfläche. 
Präp.  aus  Dr.  Arth.  Hartmanns  Sammlung. 


Drüsen.  Immer  aber  findet 
sich  im  Vergleich  zur  nor- 
malen Schleimhaut  das  Binde- 
gewebe vermehrt  (vgl.  Fig.  4 
mit  Fig.  5).  Die  frag- 
lichen Verdickungen 
verdienen  daher  den 
Namen  Fibrome,  wobei 
man  einen  besonderen  Reich- 
thum  an  Drüsen  oder  Ge- 
fässen  durch  passende  Zu- 
sätze (Adenofibroma; 
Angiofibroma  und  Fi- 
broma cavernosum)  aus- 
drücken kann. 

Für    gewöhnlich    wird    nach 
Hopmann's  Vorschlag  der  Zustand 
als   Hypertrophie  bezeichnet, 
werden  die  glatten,  circumscripten 
Fibrome  als  polypoide  Hyper- 
trophien, die  mit  sehr  uneben- 
mässiger  Oberfläche  als  (weiche) 
Papillome     oder     Himbeer- 
polypen.    Ich  habe 
mich        an      anderer 
Stelle*)  bemüht,  das 
Nähere       darzulegen, 
weshalb      diese      Be- 
nennungen     für     die 
übergrosse    Mehrzahl 
der  Fälle  unzutreffend 
und     deshalb     wenig 
empfehlenswert    sind. 

Viele  behaupten, 
die  „Hypertrophie" 
der  Schleimhaut  sei 
ein  reguläres  Stadium 
des  chronischen  Na- 
senkatarrhes,  er  gehe 
durch  diese  Etappe 
mit  der  Zeit  in  das 
atrophische  Stadium 
über,  mit  anderen 
Worten,  die  Ehinitis 
chronica  werde  zur 
Rhinitis  hypertrophi- 
cans  und  darauf  zur 
Rhinitis  atrophicans. 
—  Wenn  man  aber 
zahlreiche  Patienten 
kennt,  die  Jahre  und 
Jahrzehnte  lang  ihre 
chronische       Rhinitis 

ohne  „Hypertrophien"  haben,  und  wenn  man  hört,  dass  noch  niemand  aus  einer  hyper- 
trophischen eine  atrophische  Nasenschleimhaut  hat  entstehen  sehen,  so  muss  man  wohl  die 
üeberzeugung  gewinnen,  dass  jene  Behauptungen  lediglich  durch  theoretische  Speculationen 
zu  Stande  gebracht  sind  und  der  thatsächlichen  Begründung  entbehren. 

Diagnose.  Dass  sich  die  Schleimhaut  der  Nase  im  Zustande  des 
chronischen  Katarrhs  befindet,  das  zu  entscheiden  unterliegt  keiner  Schwie- 
rigkeit. —  Aber  über  einzelne  Dinge  können  wir  anfangs  im  Zweifel  sein. 
So  über  die  Beschaffenheit  vorhandener  Schleimhautverdickungen.  Diese 
können  ja  lediglich  durch  Anschoppung  der  Schwellkörper  zu  Stande  kommen, 


Fig.  i.  Schnitt  durch  eine  polypoide  Verdickung  des  hinteren  Endes  einer  unteren 

Nasenmuschel,    "j^.  d  ^  Drüse,  g  =  Gefäss. 

(Nach  einem  Präparat  des  Verf.  gez.  von  P.  Günther.) 


*)  Zarniko,  1.  c.  §  511  ff. 


558 


RHINITIS. 


Fig.  5.     Schnitt  durch  die  untere  Muschel.  Vergr.  ca.  ^i  nach  einem 

Präparate  des  Verf.  gez.  von  P.   Günther. 

d  ^=  Drüse,   g  =  Gefäss.  k  =  Knochen.     Der  untere  Kand  sieht  in  der 

Abbildung  nach  rechts  oben,    die   mediale  Fläche  nach   oben,  die  obere 

Fläche  nach  links.    Bei    der   Herausnahme    haben    sich    die  Weichtheile 

stellenweise  etwas  vom  Knochen  losgelöst. 


sie  können  ferner  durch 
Vermehrung  von  Gewebs- 
elementen,  insbesondere 
des  Bindegewebes  ent- 
stehen, oder  endlich,  es 
können  beide  Verän- 
derungen im  Spiele  sein. 
Manchmal  gibt  uns  allein 
die  Inspection  im  Verein 
mit  der  Sondenunter- 
suchung genügenden  An- 
halt. Die  hyperämische 
Schwellung  betrifft  immer 
grössere  Schleimhautab- 
schnitte, z.  B.  die  Ober- 
fläche einer  ganzen 
Muschel.  Das  Fibrom  ist 
häufiger  circumscript  be- 
grenzt, als  diffus  verbrei- 
tet. Die  hyperämische 
Schwellung  hat  stets  eine 
glatte  Oberfläche,  das 
Fibrom  viel  häufiger  eine  unebene,  durch  Einschnitte  gefelderte.  Die 
hyperämische  Schwellung  hat  stets  eine  hochrothe  Farbe,  das  Fibrom  selten. 
Es  zeigt  vielmehr  in  der  Regel  ein  graurothes  oder  blassgraues,  manchmal 
gelatinöses  Colorit,  Veränderungen,  die  auf  ödematöser  Durchtränkung  des 
sub epithelialen  Stratum  beruhen.  Die  hyperämische  Schwellung  gibt  bei  der 
Sondenberührung  Luftkissengefühl,  das  Fibrom  lässt  sich  wie  ein  Beutel  oder 
Lappen  hin-  und  herschieben. 

In  vielen  Fällen  genügen  die  aufgeführten  Merkmale  zur  sicheren  Ent- 
scheidung nicht.  Dann  führt  uns  das  Cocainexperiment *)  zum  Ziele. 
Was  hyperämisch  ist,  schwillt  danach  ab,  das  Neugebildete  bleibt. 

Nach  der  Cocainisirung  kann  man  gewöhnlich  von  vorn  die  ganze  Nase 
überschauen.  Dazu  ist  es  freilich  —  und  besonders  für  die  Inspection  der 
hinteren  Theile  —  sehr  oft  nothwendig,  mit  der  Sonde  Neubildungen  bei 
Seite  zu  drücken,  um  für  Beleuchtung  und  Blick  die  Bahn  frei  zu  machen. 
Für  die  Erkennung  von  verdickten  hinteren  Muschelenden  achte  man  auf  den 
Levatorwulst.  ")  Die  durch  die  ßhinoscopia  anterior  gewonnenen  Ptesultate  kann 
man,  wo  es  wünschenswert  erscheint,  noch  durch  die  Rhinoscopia  posterior 
controliren  und  ergänzen.  Die  von  Einzelnen  für  den  vorliegenden  Zweck 
empfohlene  Palpation  der  Choanen  ist  immer  zu  umgehen. 

Zweifel  können  ferner  entstehen,  wenn  etwas  reichlicherer  Eiter  vor- 
handen ist.  Wir  müssen  dann  fragen,  ob  der  Eiter  wirklich  nur  von  der 
Nasenschleimhaut  producirt  oder  ob  nicht  vielmehr  eine  locale  Eiterung  vor- 
handen ist  (Ulcus,  Knochencaries,  Fremdkörper,  Nebenhöhlenempyem),  die 
vielleicht  zu  unserem  Katarrh  im  Verhältnis  der  primären  Erkrankung  zur 
consecutiven  steht.  Ueber  diese  Frage  geben  die  Artikel  Pyorrhoea  nasalis 
und  Nebenhöhlenempyeme  Aufschluss. 

Therapie.  Unsere  erste  Aufgabe  ist,  die  Schädlichkeiten  auszuschalten, 
die  den  chronischen  Katarrh  erzeugen  und  unterhalten.  Das  ist  freilich  oft 
sehr  schwer,  manchmal,  wie  bei  den  Berufskatarrhen,  ganz  unmöglich.  Auch 
passionirte  Raucher    und  Wirtshausbesucher  sind    kaum   von    ihren  Gewohn- 


*)  Vgl.  den  Artikel:  „Diagnostik  der  Nasenkrankheiten". 


RHINITIS. 


559 


heiten  abzubringen,  und  sie  ertragen  lieber  die  Bescliwerden  ihres  Katarrhs, 
selbst  Hypochonder,  nachdem  sie  die  Ueberzeugung  von  der  llarnrilosigkeit 
ihres  Leidens  gewonnen  haben.  In  derartigen  Fällen  rauss  man  sich  wohl 
oder  übel  damit  begnügen,  die  Schädigungen  auf  ein  möglichst  geringes  Maass 
zu  reduciren. 

Die  Scrophulose,  allgemeine  Circulationsstörungen  sind  nach  den  giltigen 
Grundsätzen  zu  behandeln,  locale  Stauungsursachen  und  Nebenhöhlen- 
affectionen  nach  den  in  den  betreffenden  Artikeln  dieses  Werkes  gegebenen 
Anweisungen. 

Gewöhnlich  bleibt  der  chronische  Katarrh  auch  nach  Ausschaltung  der 
causalen  Schädlichkeiten  in  vermindertem  Maasse  bestehen.  Es  empfiehlt  sich 
deshalb,  die  erkrankte  Schleimhaut  von  vornherein  einer  localen  Therapie 
zu  unterwerfen,  die  darauf  hinausläuft,  die  gesammten  Circulations-  und  Er- 
nährungsverhältnisse in  einem  für  die  Abtheilung  der  Entzündung  günstigen 
Sinne  zu  beeinflussen,  die  Schleimhaut  „umzustimmen". 

In  vielen  Fällen  genügt  hierfür  die  regelmässige  Application  von 
Pulvern,  die  entweder  einfach  einen  Reiz  auf  die  Schleimhaut  ausüben  oder 
in  verschiedenem  Grade  adstringiren  oder  ätzen.  Zu  den  erstem  gehören 
das  Mentholboraxpulver  ((0"1 :  10,  Hartmann's  Poliklinik),  der  Borax  und  die 
Borsäure  unvermischt;  zu  den  letzteren  Ärgent.  nitric.  (0*05 — 0-.5:10"0), 
Acid.  tannic.  {l'0  —  b'0:10'0),  Bismuth.  subnitric.  (5'0: 10"0);  Alaune  und  Zink- 
sa^se  sind  zu  vermeiden,  weil  sie  die  Riechzelle  n  schädigen. 
Als  Excipientia  für  die  angeführten  Medicamente  werden  Talcum  oder  Amylum 
oder  Sacch.  lad.  benützt. 

Die  Application  der  Pulver  geschieht 
entweder  durch  Aufschnupfenoder  durch 
Einblasen  mit  dem  Pulverbläser 
(Fig.  6).  Es  folgt  darauf  unmittelbar  eine 
Reaction,  die  in  reichlicher,  wässeriger 
Secretion,  brennendem  oder  stechendem,  oft 
nach  Auge  und  Stirn  ausstrahlendem 
Schmerz,  Niesen  und  Thränenfluss  besteht. 
Die  Stärke  der  Reaction  bestimmt  die 
Häufigkeit  der  Application  des  Pulvers.  Im 
allgemeinen  kann  man  die  milderen  Pulver 
2— 3mal   täglich   auf    beiden  Seiten,    die 

stärkeren  ein-  bis  zwei-  täglich  anwenden  lassen  und  dann  immer  nur  auf  einer 
Seite,  abwechselnd  rechts  und  links. 

Statt  der  Pulver  kann  man  die  entsprechenden  Lösungen  in  Wasser 
€der  verdünntem  oder  reinem  Glycerin  oder  Oel  mit  der  watteumwickelten 
Sonde  aufpinseln.  Die  Pinselungen  können  aber  richtig  nur  vom  Arzte  aus- 
geführt werden  und  verbieten  sich  deshalb  für  eine  Reihe  von  Fällen  von 
selber.  Auf  der  anderen  Seite  hat  man  dafür  den  Yortheil,  mit  der  Wirkung 
des  Medicamentes  zugleich  die  Massage  verbinden  zu  können.  Ja  manche 
glauben,  dass  der  Massage  der  Hauptantheil  zukommt  und  betrachten  das 
Medicament  lediglich  als  das  unterstützende  Princip.  Die  Massage  wird  vor- 
zugsweise in  Form  der  Vibrationen  ausgeübt  (M.  Braun,  Verh.  des  X. 
Internat,  medic.  Congr.  in  Berlin  1890,  Abth.  XII.  S.  113  fi'.;  Lakee,  Die  Heil- 
erfolge der  Schleimhautmassage,  Graz  1892;  Garnault,  Le  massage  vibra- 
toire  et  electrique  des  muqueuses  etc.  Paris  1894),  von  Yulpjüs  neuerdings 
auch  in  Form  von  Streichungen  (Arch.  f.  Ohlk.  36,  Heft  3). 

Bei  sehr  hartnäckigen  Katarrhen  erweisen  sich  oft  Aetzungen  mit 
Argen t.  nitric.  in  Substanz  nützlich.     Man   schmilzt  etwas  davon  an  eine 


Fig.  6.     Pulverbläser. 


560 


RHINITIS. 


Sonde  und  zieht  damit  mehrere  parallele  Längsstriche  über  die  erkrankte 
Schleimhaut.  Diese  Aetzungen  sollen  keine  tiefergehenden  Wirkungen  ent- 
falten.    Sie  sollen  nicht  zerstören,  sondern  energisch  umstimmen. 

Nasenbäder  und  Douchen  mit  differenten  Mitteln  sind  zu 
widerrathen.  Sie  können  durch  Zerstörung  des  Riech epithels  unheilbaren 
Schaden  stiften. 

Zur  Beseitigung  der  fibromatösen  Verdickungen  stehen  uns  zwei 
Mittel  zu  Gebote:  die  kalte  schneidende  Schlinge  und  die  galvano- 
kaustische Zerstörung.  Beide  ergänzen  einander.  Die  Schlinge  be- 
nutzen wir  bei  circumscripten,  die  Galvanokaustik  bei  diffusen  Neubildungen; 
die  Schlinge  lieber  bei  Weniger  gefässreichen,  die  Galvanokaustik  bei  tele- 
angiectatischen  Neubildungen.  Oft  müssen  wir  beide  nach  einander  an- 
wenden.    Beide  Operationen  werden  unter  Cocainanästhesie  ausgeführt. 

Die  kalte  schneidende  Schlinge  unterscheidet  sich  von  den 
Schlingen  der  meisten  Operateure  dadurch,  dass  der  Schiingendraht  in  die 
Führungsröhre  hineingezogen  werden  kann.  Der  Draht  ist  aus  Stahl,  er  muss 
federn  und  soll  etwa  0-4  mm  stark  sein.  Wir  benutzen  einen  besonders  her- 
gerichteten Claviersaitendraht.  *)  —  Die  Wirkung  einer  solchen  Schlinge  ist 
die,  dass  sie  schneidet  und  quetscht  zugleich,  aber  mehr  schneidet  als  quetscht. 
Man  kann  deshalb  selbst  derbere  Tumoren  damit  glatt  abtragen,  wie  mit  einem 
Messer,  ohne  zu  reissen  oder  zu  rupfen.  Und  doch  ist  die  Blutung  wegen  der 
quetschenden  Componente  viel  geringer  als  beim  Messerschnitt. 


Zeigefinger 


Mittelfinger 
Fig.  7.     Hartmann'scher  Sehlingenschnüier.  */a. 


Fig.  8. 


Vortreffliche  Schlingenschnürer  sind  die  von  Hartmann  (Fig.  7)  und  von  Krause 
(Fig.  8).  Um  sie  mit  Vortheil  anzuwenden,  muss  man  sie  freilicli  genau  kennen  und  sieb 
mit  ihrer  Armirung  und  Handhabung  vertraut  machen.  Ausführliches  darüber  habe  ich 
an  anderm  Orte  **)  gebracht. 

Um  mit  unserer  Schlinge  einen  Tumor  abzutragen,  formt  man  sie  ein 
klein   wenig  grösser  als  der  grösste  Umfang  des  Tumors  ist.    Sie  lässt  sich 

*)  Erhältlich  bei  H.  Windler  in  Berlin. 
**)  Zarniko,  1.  c. 


RHINITIS.  561 

dann  um  so  leichter  darüber  hinweg  bis  zur  Basis  vorschieben.  Hier  wird 
das  Ende  der  Führungsröhre  gegen  den  Tumor  angedrängt  und  unverrück- 
bar festgehalten,  während  man  den  Schlitten  in  festem  Zuge  gegen  den 
Daumenring  hinzieht.  Nur  der  Schlitten  darf  sich  bewegen  und  mit 
ihm  der  Schiingendraht,  alles  übrige  soll  feststehen.  Oft  wird  man  bei 
derberen  Tumoren,  um  das  zu  erreichen,  die  rechte  Hand  mit  der  anderen 
unterstützen,  nachdem  diese  das  Speculum  weggelegt  hat. 

Auf  diese  Weise  ist  die  Abtragung  von  Verdickungen  an  den  vorderen 
Muschelenden  kinderleicht.  Die  Schwierigkeit  wächst,  je  weiter  nach  hinten 
die  Tumoren  sitzen,  und  die  Abtragung  verdickter  hinterer  Muschelenden  wird 
vielfach  als  eine  sehr  schwere  Operation  ausgegeben.  Sie  ist  es  in  der  That 
nur  für  die,  die  nicht  geübt  sind,  auch  die  hintersten  Theile  der  Nase,  die 
hintere  Rachenwand  und  den  Levatorwulst  in  allen  Fällen  vorn  zu  inspiciren 
(vgl.  d.  Artikel  Allg.  Diagnostik).  Für  uns  bleiben  nur  sehr  wenige  Fälle 
übrig,  in  denen  es  nicht  gelänge,  die  Schlinge  ohneweiteres  von  vorn  her 
auch  um  Tumoren  zu  legen,  die  in  den  hintersten  Theilen  der  Nase  sitzen. 
Die  Ausnahmsfälle  sind  solche,  in  denen  weiter  nach  vorn  sitzende  Geschwülste, 
stärkere  Auswüchse  oder  Verbiegungen  des  Septums  die  Inspection  verhin- 
dern. Gewöhnlich  sind  diese  Hindernisse  derart,  dass  sie  an  und  für  sich 
die  Athmung  beeinträchtigen.  Man  hat  dann  also  ein  gutes  Recht,  sie  zu- 
vörderst zu  beseitigen  und  die  Exstirpation  des  dahinterliegenden  Tumors 
später  folgen  zu  lassen.     Man  wird  so  dem  Patienten  am  meisten  nützen. 

Wenn  die  Bahn  von  vorüber  bis  zu  dem  verdickten  Muschelende  frei 
ist,  so  ist  dessen  Abtragung  mit  unserer  Schlinge  durchaus  nicht  so  schwierig. 
Wir  sehen  ja  den  Tumor  nach  gehöriger  Cocainisirung  der  übrigen  Schleim- 
haut deutlich  vor  uns,  können  ihn  mit  der  Sonde  eindrücken,  bewegen,  auf- 
heben und  uns  dadurch  hintere  Rachenwand  und  Levatorwulst  zn  Gesicht 
bringen!  Der  Schlinge  geben  wir  für  den  vorliegenden  Zweck  am  vorderen 
Ende  der  Führungsröhre  eine  leichte  Abknickung,  für  einen  linksseitigen 
Tumor  nach  der  concaven,  für  einen  rechtsseitigen  nach  der  convexen  Seite 
des  Schlingenschnürers  hin.  Wenn  wir  die  also  präparirte  Schlinge  zwischen 
unterer  Muschel  und  Septum  vorschieben,  so  ist  sie  in  einem  spitzen,  nach 
vorn  offenen  Winkel  zur  Muscheloberfläche  gerichtet.  Sie  streift  über  die 
Oberfläche  hin,  diese  leicht  eindrückend,  wird  wohl  auch  etwas  zurückgebogen. 
Sobald  sie  aber  im  Nasenrachenraum  angelangt  ist,  federt  sie  zurück  und 
legt  sich  von  selbst  hinter  den  Tumor.  Wir  brauchen  sie  jetzt  nur  ein  wenig 
vorzuziehen  und  haben  ihn  gefangen. 

Hat  man  es  mit  einer  grösseren  Anzahl  von  Fibromen  zu  thun,  die  die 
Muschel  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  besetzt  halten,  so  empfiehlt  es  sich,  von 
vorn  nach  hinten  vorzugehen.  Die  Blutung  ist  nach  ausreichender  Cocaini- 
sirung so  gering,  kann  durch  Ausschnauben  und  Tupfen  so  vollkommen  be- 
herrscht werden,  dass  sie  niemals  die  Fortsetzung  der  Operation  verhindert. 
Die  abgetragenen  Stücke  werden  entweder  ausgeschnoben  oder  mit  der  Zange 
herausgeholt.  Tumoren  der  hinteren  Enden  fallen  oft  in  den  Rachen  hinab 
und  werden  ausgespuckt  oder  wohl  auch  einmal  verschluckt. 

Der  Schmerz  bei  der  Operation  ist  nicht  der  Rede  wert.  Ledig- 
lich beim  Zuschnüren  wird  ein  Ziehen  oder  Stechen  empfunden,  das  vorn 
nach  den  Vorderzähnen,  in  der  Mitte  nach  den  Backzähnen,  hinten  nach  dem 
Halse  und  dem  gleichnamigen  Ohre,  von  allen  Stellen  nach  dem  Auge  und 
der  Stirn  ausstrahlen  kann. 

Die  Blutung  während  der  Operation  ist  sehr  gering.  Bei  der  Exstir- 
pation eines  haselnussgrossen,  gefässreicheu  Fibroms  beträgt  sie  vielleicht 
einen  Kaffeelöffel  voll. 

Auf  die  Operation  folgt  die  Säuberung  des  Patienten  von  Blut  und 
Schleim,  die  ihm  auf  Lippe  und  Bart  geflossen  sind.    Er  erhält  ein  Stückchen 

Ohren-,  Nasen-,  Kachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  "" 


562  RHINITIS. 

Watte  in  den  Naseneingang  und  begibt  sich  schleunigst  nach  Hause  mit  fol- 
gender Anweisung:  Er  hat  sich  mit  erhöhtem  Kopfe  niederzulegen  und  einen 
Napf  neben  sich  in  Bereitschaft  zu  stellen.  Sobald  die  Cocainwirkung  auf 
die  Vasoconstrictoren  aufhört  (nach  72 — 1  Stunde,  manchmal  noch  später), 
beginnt  es  etwas  stärker  zu  bluten.  Der  Patient  hat  dann  ruhig  das  Blut 
nach  hinten  laufen  zu  lassen  und  von  Zeit  zu  Zeit  nach  leichtem  Erheben 
und  Seitwärtsdrehen  des  Kopfes  in  den  Napf  auszuspucken.  Er  darf  nicht 
aufstehen,  sich  nicht  über  die  Schüssel  beugen,  nicht  schneuzen  oder  pressen. 
Er  hat  Niesen  thunlichst  zu  vermeiden  und  darf  keine  aufregenden  Getränke 
geniesseu.  Befolgt  er  diese  Regeln,  so  hört  die  Blutung  nach  kurzer  Zeit 
ganz  von  selbst  auf  oder  vermindert  sich  auf  ein  Minimum.  Er  darf  dann 
aufstehen  und  mit  dem  Wattebausch  in  der  Nase  seiner  Beschäftigung  nach- 
gehen, wenn  diese  nicht  Fluxion  noch  dem  Kopfe  mit  sich  bringt. 

Auf  diese  Weise  kann  man  bei  unserer  Operation  unter  allen  Umständen 
die  Tamponade  der  Nase  vermeiden,  was  sehr  erstrebenswert  ist.  Denn 
die  Tamponade  ist  stets  mit  sehr  lebhaften  Belästigungen  für  den  Patienten 
verknüpft. 

Manche  wenden  aus  Furcht  vor  der  Blutung  statt  der  kalten  die  galvanokau- 
stische Schlinge  an.  Wir  halten  diese  P'urcht  für  unbegründet,  wenn  man  die  kalte 
schneidende  Schlinge  richtig  zu  brauchen  versteht.  Dabei  verliert  der  Patient  ins- 
gesammt  selten  mehr  als  2 — 3  Esslöffel  voll  Blut,  ein  Verlust,  den  er  gewiss  ohne  Störung 
ertragen  wird.  Sichere  Garantien  in  Betreff  der  Blutung  gibt  die  Glühschlinge  auch 
nicht.  Sie  ist  aber  viel  complicirter  herzurichten  und  zu  gebrauchen  und  die  Reaction 
(s.  u.)  danach  ist  bedeutend  stärker. 

Bluter  darf  man  überhaupt  nicht  mit  der  Schlinge  operiren. 

Zur  galvanokaustischen  Zerstörung  unserer  Neubildungen  be- 
dienen wir  uns  des  Spitzbrenners,  Wir  wollen  dessen  Anwendung  an  einem 
Beispiel  erläutern,  in  dem  wir  annehmen,  dass  eine  diffuse  Verdickung  einer 
unteren  Muschel  wegzubringen  sei.  Man  legt  dann  nach  gründlicher  Cocaini- 
sirung  des  Operationsgebietes  den  Brenner  kalt  ans  hinterste  Ende  der  Muschel, 
lässt  ihn  erglühen  und  zieht  ihn  langsam  und  stetig  nach  vorn,  während  man 
ihn  fest  ins  Gewebe  drückt,  gleich  als  wollte  man  dieses  durchschneiden. 
Vorn  wird  der  Brenner  noch  glühend  —  sonst  backt  er  fest  und  muss 
unter  Blutung  losgerissen  werden  —  abgehoben,  und  nachdem  der  Contact 
unterbrochen  ist,  schnell  herausgezogen,  ohne  dass  man  den  Introitus  berührt. 
Auf  diese  Art  entsteht  eine  längsverlaufende  tiefe  Furche  auf  der  Muschel. 
Man  fügt  eine  ähnliche  parallel  zur  ersten  oberhalb  und  unterhalb  hinzu  und 
hat  damit  in  der  Regel  die  Operation  beendet. 

Während  des  Brennens  füllt  sich  die  Nase  mit  brenzlich  riechendem  Qualm, 
der  das  Sehen  verhindert.  Man  lässt  ihn  deshalb  in  kurzen  Stössen  ausblasen. 

Der  Schmerz  bei  der  Operation  ist  selten  nennenswert.  Die  meisten 
Patienten  klagen  nur  über  den  unangenehmen  Geruch  des  eigenen  verbrannten 
Fleisches. 

Bei  einer  richtig  ausgeführten  galvanokaustischen  Operation  darf  kein 
Tropfen  Blut  fliessen. 

Ueberlässt  man  nach  der  Operation  den  Patienten  sich  selber,  so  tritt  eine 
recht  heftige  Reaction  ein.  Die  Nase  schwillt  zu,  ein  reichliches  wässeriges 
Secret  quillt  hervor,  starke  Kopf-  und  Gesichtsschmerzen  gesellen  sich  hinzu, 
manchmal  ist  Frösteln  und  leichtes  Fieber  vorhanden.  Am  anderen  Tage 
findet  man  die  operirte  Partie  von  einer  dicken,  weissgelblichen  Croup- 
membran  bedeckt,  die  aus  netzartig  verflochtenen  Fibrinfäden  mit  spär- 
lichen Eiterzellen  besteht.  Die  Membran  lockert  sich  am  4. — 6.  Tage  und 
wird  dann  ausgeschnoben.  Oefters  bildet  sie  sich  noch  ein  oder  noch  meh- 
rere Male  wieder. 

In  manchen  Fällen  entstehen  im  Laufe  der  Zeit  sträng-  oder  brück en- 
förmige  Verwachsungen  zwischen  der  operirten  Muschel  und  dem  Septum, 
dessen  Epithel  durch  strahlende   Wärme   des  Käufers   stellenweise  lädirt  ist. 


RHINOSKLEROM  IN  DER  NASENHÖHLE.  563 

Alle  diese  Dinge  fordern  dringend  dazu  auf,  eine  kaut erisirte 
Nase  nicht  sich  selber  zu  überlassen,  sondern  sie  sorgfältig  nach- 
zusehen und  nachzubehandeln  (Bresgen). 

Wir  können  nämlich  sämmtliche  Heactionserscheinungen  beträchtlich 
vermindern,  wenn  wir  unmittelbar  nach  der  Operation  eine  Lage  Derma  toi 
auf  die  Wunde  blasen  (Aronsoiin).  Man  wiederholt  die  Eini)ulverung  am  1., 
(2.),  3.,  5.  Tage,  später  wöchentlich  zweimal,  immer  nachdem  man  den  Schleim- 
eiter oder  die  Membran,  sobald  sie  gelockert  ist,  weggewischt  hat  oder  durch 
Ausschnauben  hat  entfernen  lassen. 

Um  ein  Ekzem  des  Naseneinganges,  das  durch  ätzendes  Secret  leicht 
eintritt,  zu  verhindern,  lässt  man  die  Nasenlöcher  fleissig  mit  Fett  einsalben, 
genau  so  wie  beim  Schnupfen  (s.  daselbst). 

Bresgen  empfiehlt  statt  der  Pulverbehandlung,  die  Wunde  täglich  mit 
Anilinfarbstoffen  (Pyoctanin,  Hexaäthylviolett,  Methylenblau)  in  wässeriger 
Lösung  (0-3: 10*0)  anzufärben.  Es  sollen  dann  sämmtliche  Reactionserschei- 
nungen  ausfallen,  nach  Application  des  Methylenblaues  auch  die  Membran- 
bildung. Ein  Nachtheil  der  Methode  ist  ihre  öfters  gar  nicht  zu  vermeidende 
Unsauberkeit. 

Bemerkt  man  irgendwo  Neigung  zum  Verkleben  gegenüberliegender 
Theile,  so  durchreisst  man  nach  gründlicher  Cocainisirung  die  suspecten 
Stellen  mit  der  Sonde  und  pulvert  Dermatol  dazwischen.  Das  wird  alle 
1 — 2  Tage  wiederholt.  Man  bemerkt  dann,  dass  die  zur  Verwachsung  ten- 
direnden  Stellen  abschwellen  und  dadurch  weiter  auseinanderrücken,  wonach 
die  Ueberhäutung  ungestört  erfolgt. 

Statt  der  Galvanokaustik  kann  man  zur  Zerstörung  unserer  Tumoren 
auch  die  Aetzung  mit  Chromsäure  oder  mit  Trichloressigsäure 
anwenden.    Sie  stehen  in  ihrer  Wirkung  aber  beide  der  Galvanokaustik  nach. 

ZARNIKO. 

Rhinosklerom  in  der  Nasenhöhle.  Das  skierom  der  oberen 

Luftwege  beginnt,  wie  neuere  Beobachtungen  lehren,  gewöhnlich  im  Nasen- 
rachen, von  wo  es  sich  nach  vorn  über  die  Schleimhaut  und  die  Haut  der 
äusseren  Nase  (Rhinosklerom)  und  nach  unten  über  Rachen,  Larynx  und 
Trachea  ausbreiten  kann. 

Das  Infiltrat  des  Skleroms  unterscheidet  sich  durch  eine  Reihe  von 
Eigenthümlichkeiten  von  den  übrigen  infectiösen  Granulomen.  Es  besitzt  eine 
beträchtliche,  knorpelartige  Härte,  nach  der  die  Erkrankung  benannt  ist.  Es 
entsteht  und  vergeht  aussergewöhnlich  langsam.  Es  hat  gar  keine  Neigung 
-Zum  Zerfall  und  zur  Verschwärung,  sondern  führt  zur  Bildung  von  narben- 
ähnlichem Bindegewebe,  durch  dessen  Schrumpfung  benachbarte  Theile 
nennenswerte  Verziehungen  und  Gestaltveränderungen  erleiden.  Wenn  darin 
Substanzverluste  durch  Traumen  oder  Operationen  entstanden  sind,  so  schliessen 
sie  sich  und  überhäuten  rasch. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  des  Infiltrates  zeigt,  dass  es  aus  Zell- 
haufen zusammengesetzt  ist,  deren  Bau  principiell  mit  dem  der  infectiösen 
Granulome  übereinstimmt.  Eigenthümlich  sind  dem  Skierom  zahlreiche  bläschen- 
förmige Zellen  (MiKULicz'sche  Zellen),  die  wahrscheinlich  durch  hydro- 
pische  Quellung  epithelioider  Zellen  entstehen.  Diese  Degeneration  wird  ver- 
muthlich  durch  die  Thätigkeit  wohlcharakterisirter,  dem  FRiEDLlNDEE'schen 
Kapselcoccus  ähnlicher  Bacillen  hervorgerufen,  die  sich  massenhaft  in  den 
MiKULicz'schen  Zellen  vorfinden.  Diese  sind  es  auch,  die  nach  der  allge- 
meinen Annahme  den  ganzen  Process  des  Skleroms  verursachen  und  sie 
werden  deshalb  als  Sklerombacillen  bezeichnet. 

Das  Skierom  ist  ähnlich  wie  die  Lepra  an  gewisse  geographische  Be- 
zirke gebunden.  In  Europa  sind  seine  Hauptherde  Galizien,  die  Walachei, 
Bessarabien    und   die    daran   grenzenden    Striche.    Ueberall    aber    wird    die 

36* 


564  RHINOSKLEROM  IN  DER  NASENHÖLE. 

ärmere  Volksclasse  vorzugsweise  ergriffen,  die  in  den  aufgeführten  Gegenden 
in  unnennbarem  Schmutz  aufwächst.  Man  ist  deshalb  geneigt,  schlechten  sani- 
tären Verhältnissen  eine  prädisponirende  ßolle  für  das  Sklerom  zuzuschreiben. 

Klinische  Symptome  und  Verlauf.  Die  Krankheit  entwickelt 
sich  schleichend,  ohne  Schmerzen,  ohne  Störung  des  Allgemeinbefindens.  Die 
Kranken  sagen  gewöhnlich  aus,  dass  sie  an  einem  langdauernden  Schnupfen 
litten  und  suchen  die  Hilfe  des  Arztes  nach  wegen  zunehmender  Nasenver- 
stopfung. Die  Rhinoskopie  zeigt  je  nach  dem  Stadium  der  Erkrankung  ver- 
schiedene Bilder.  Im  Beginne  sieht  man  die  Schleimhaut  diifus  oder  knoten- 
förmig verdickt,  anfangs  stark  geröthet  mit  einem  Stich  ins  Bläuliche,  später 
blässer.  Die  knotenförmigen  Infiltrate  können  entweder  mehr  in  der  Schleim- 
haut liegen  oder  sich  über  deren  Niveau  halbkugelig  oder  pilzförmig  erheben. 
Ihr  Lieblingssitz  ist  der  vordere  Abschnitt  der  Nasenhöhle,  besonders  das 
vordere  Ende  der  unteren  Muschel.  Im  zweiten  Stadium  findet  man  die 
Schleimhaut  trocken,  zuweilen  mit  harten  Borken  bedeckt,  die  einen  pene- 
tranten Fötor  von  so  eigenthümlichem  Charakter  verbreiten,  dass  daraus  allein 
die  Diagnose  gestellt  werden  kann  (Juffinger).  Einigermaassen  charakteri- 
stisch ist  die  Veränderung  des  Nasenbodens.  Er  ist  durch  die  Kraft  des 
schrumpfenden  Bindegewebes  in  die  Höhe  gezogen,  seine  Oberfläche  durch 
seichte  transversal  von  der  Muschel  zum  Septum  ziehende  Fältchen  gefeldert. 
Excoriationen  und  oberflächliche  Ulcera  werden  nur  durch  accidentelle  Schäd- 
lichkeiten hervorgerufen.    Sie  heilen  bald  ab,  wenn  solche  ferngehalten  werden. 

Zuweilen  schreitet  der  Process  auf  die  äussere  Haut  der  Nase  und  ihrer 
Umgebung  (Stirn,  Wangen,  Oberlippe)  fort.  Hier  zeigt  sich  in  seltenen  Fällen 
nur  eine  abnorme  Härte  der  im  übrigen  normal  erscheinenden  Haut.  Für 
gewöhnlich  ist  die  Haut  diffus  oder  knotenförmig  verdickt,  braunroth  oder 
blauroth  verfärbt. 

Im  Nasenrachen  kommen  die  Frühstadien  des  Skleroms  selten  zur 
Beobachtung,  weil  ja  hier  die  Erkrankung  zu  beginnen  pflegt,  also  schon  in 
das  Stadium  der  Schrumpfung  getreten  ist,  wenn  die  Kranken  ärztliche 
Hilfe  nachsuchen. 

Man  findet  dann  gewöhnlich  das  Gaumensegel  bis  zur  Horizontalstellung 
in  die  Höhe  gezogen,  wodurch  die  Rhinoskopia  posterior  sehr  erschwert  ist; 
die  Tubenwülste  vorgezogen,  so  dass  die  Tubenmündung  nach  vorn  gerichtet 
ist,  wobei  übrigens  das  Gehör  wenig  leidet;  die  Choanen  concentrisch  einge- 
engt oder  ganz  verschlossen;  an  der  hinteren  Gaumensegelwand  strahlige 
gefältelte  Narben. 

Diagnose.  Die  Anfangsstadien  des  Skleroms  können  mit  analogen 
tuberkulösen  Bildungen,  ferner  mit  fibromatösen  oder  mit  sarkomatösen  Neu- 
bildungen makroskopisch  verwechselt  werden.  Neben  der  Berücksichtigung 
der  übrigen  Schleimhautpartien,  des  Nasenrachenraumes,  des  Gaumensegels, 
an  denen  sich  beim  Sklerom  gewöhnlich  schon  ältere  charakteristische  Ver- 
änderungen finden,  dient  die  mikroskopische  Untersuchung  zur  Feststellung 
der  Diagnose.  —  Im  Stadium  der  Schrumpfung  kommt  die  Differenzirung  von 
syphilitischen  Residuen  in  Betracht.  Dafür  hat  man  folgende  Anhaltspunkte: 
bei  abgelaufener  tertiärer  Lues  findet  man  gewöhnlich  Substanzverluste  des 
Nasengerüstes,  beim  Sklerom  niemals;  das  Sklerom  tritt  stets  symmetrisch 
auf,  die  Lues  tertiaria  selten;  die  Syphilis  ist  immer  mit  Schmerzen  und 
gewöhnlich  mit  Allgemeinstörungen  verknüpft,  das  Sklerom  niemals. 

Therapie.  Weder  Allgemeinbehandlung  (Quecksilber,  Jod,  Arsen,  Tuber- 
kulin), noch  locale  Zerstörung  sind  im  Stande,  den  Process  zu  vernichten. 
Man  muss  sich  deshalb  damit  begnügen,  die  Nase  durchgängig  und  rein  zu 
erhalten.  Dafür  räth  Juffinger,  sich  möglichst  conservativer  Methoden 
(mechanischer  Dilatation  durch  Einlegen  von  Bolzen)  zu  bedienen,  da  bei  der 
Involution  der  Infiltrate  die  Nase  später  spontan  frei  werde.  zarniko. 


RHINOSKLEROM  DES  LARYNX.  565 

RhinOSklerom  des  Larynx.  Die  Ursache  des  Skleroms  ist  der  zu- 
erst von  Fkitsch  (1882)  beschriebene  Rhinosklerombacillus;  es  handelt  sich  um 
kurze  Stäbchen  mit  abgerundeten  Enden,  die  von  einer  Gallerthülle  (Kapsel) 
umgeben  sind,  so  dass  sie  den  FitiEDLÄNDER'schen  Pneumoniecoccen  sehr 
ähnlich  sehen,  unterscheiden  sich  von  ihnen  aber  u.  a.  dadurch,  dass  sie  in 
Milch  wachsen,  ohne  sie  wie  jene  zur  Gerinnung  bringen. 

Es  bilden  sich  unter  der  Einwirkung  dieser  in  die  Schleimhaut  ein- 
gedrungenen Bacillen  circumscripte,  weiche,  rothe,  glatte  oder  drüsige  Tumoren, 
die  allmählich  hart  werden;  ihre  Oberfläche  wird  blasser,  besonders  und  zuerst 
im  Centrum,  die  Umgebung  atrophirt  ebenfalls,  und  es  entsteht  an  Stelle  des 
Knotens  eine  strahlige  Narbe.  Oder  aber  statt  der  Knoten  —  und  das  ist 
das  häufigere  im  Larynx  —  findet  sich  ein  diffuses  Infiltrat,  mit  besonderer 
Vorliebe  in  der  Regio  hypoglottica;  die  befallene  Partie  zeigt  eine  anfänglich 
rothe,  später  blasse  gleichmässige  Verdickung,  die  bis  in  die  Tiefe  auf  den 
Knorpel  dringt. 

Die  Schleimhaut  durchsetzt  sich  mit  Rund-  und  Spindelzellen,  die  später 
sich  in  Bindegewebe  umwandeln  und  zur  Schrumpfung  resp.  Narbenbildung 
führen.  Selten  kommt  es  zur  Bildung  von  Ulcerationen,  und  diese  sind  dann 
nur  sehr  oberflächlich. 

Symptome.  Die  am  häufigsten  beobachtete  Veränderung  im  Kehlkopf 
ist  die  gewöhnlich  doppelseitig  ausgebildete  Geschwulstbildung  unterhalb  der 
Stimmbänder,  so  dass  sich  im  Spiegelbilde  unter  denselben  je  ein  blassrother, 
glatter,  oder  grauweisser,  feinhöckeriger  Wulst  zeigt.  Aus  den  Infiltraten 
bilden  sich  infolge  der  fortschreitenden  bindegewebigen  Schrumpfung  nicht 
selten  membranöse  Narben.  Weiter  oben  findet  man  gewöhnlich  am  Taschen- 
band, und  zwar  an  der  Abgangsstelle  der  aryepiglottischen  Falte,  harte  Infil- 
trate, durch  deren  Schrumpfung  die  Umgebung  verzogen  wird;  in  diesem 
Falle  z.  B.  werden  die  Aryknorpel  gegen  die  Epiglottis  gezogen,  und  die 
aryepiglottischen  Falten  verlaufen  mehr  in  querer  Richtung,  so  dass  der 
Larynxeingang  erheblich  verengt  wird.  Diese  Verengerung  kann  sich  nach 
unten  zu  fortsetzen,  wenn  eben  der  sklerosirende  Process  auch  nach  abwärts 
steigt.  Ausserdem  aber  kann  auch  noch  durch  Circulationsstörungen  ein 
Oedem  in  den  befallenen  Partien  entstehen  und  so  das  Lumen  noch  mehr 
verengern.    Das  Secret  ist  meist  zäh,  borkig  und  hat  einen  faden  Geruch. 

Die  gewöhnlichen  Zeichen  sind  Heiserkeit  und  Husten,  der  wegen  der 
erschwerten  Expectoration  meist  sehr  quälend  ist.  Vor  allen  aber  macht  sich 
fast  regelmässig  infolge  der  Verengerung  des  Lumens  Athemnoth  bemerkbar. 

Die  Diagnose  ist  nicht  immer  leicht,  sie  stützt  sich  auf  die  Beobach- 
tung der  beschriebenen  Knoten  und  Infiltrate.  Immer  untersuche  man  Nase 
und  Rachen,  und  vor  allem  den  Nasenrachen,  in  dem  am  häufigsten  der 
Process  beginnt;  hier  werden  sich  wohl  immer  ähnliche  Verdickungen  finden. 

Gegenüber  der  Syphilis  charakterisirt  sich  der  sklerotische  Process  da- 
durch, dass  seine  Infiltrationen  einen  sehr  langsamen  Verlauf  zeigen,  schmerz- 
los sind  und  fast  nie  zur  Geschwürsbildung  führen. 

Eine  Sicherstellung  der  Diagnose  geschieht  durch  den  Nachweis  von 
Rhinosklerombacillen  in  excidirten  Partien. 

Die  Prognose  ist  getrübt  durch  die  Gefahr  der  Suffocation  infolge 
einer  Laryngostenose. 

Die  Behandlung  ist  gegenüber  dem  eigentlichen  Process  resultatlos. 
ScHRöTTER  empfiehlt  zur  Erleichterung  der  Expectoration  Einathmungen  von 
Hollunderthee,  Terpentindämpfen  u.  a.  ^ 

Die  Stenose  behandle  man  mit  Schrötter' sehen  Bougies;  Lunin  sah 
einmal  nach  der  Intubation  eine  Besserung  derselben  eintreten. 

A.  Rosenberg. 


566 


RHINOSKOPIE. 


RhinOSkopiß.  Die  Besichtigung  der  Nasenhöhle  wird  auf  zwei  Arten 
vorgenommen,  von  den  äusseren  Nasenöönungen  aus  {Rhinoskopia  anterior) 
und  von  hinten  {Rhinosho^pia  posterior).  Beide  Methoden  müssen,  wenn  die 
Untersuchung  der  Nase  eine  vollständige  sein  soll,  angewandt  werden,  da 
sie  sich  erst  gegenseitig  ergänzen.  Für  die  Ausführung  der  Rhinoskopie  ist 
vor  allem  eine  Lichtquelle  nöthig.  Die  beste  aller  Beleuchtungsarten  ist  die 
Sonne,  die  das  hellste  und  weisseste  Licht  liefert,  die  aber  nur  den  grossen 
Nachtheil  hat,  dass  sie  nicht  immer  zur  freien  Verfügung  steht  und  oft 
gerade  dann,  wenn  wir  sie  nöthig  gebrauchen,  nicht  vorhanden  ist.  Das 
Sonnenlicht  lässt  man  entweder  direct  in  die  Nasenhöhle  hineinfallen  oder, 
was  angenehmer  und  besser  ist,  mittelst  eines  Hohlspiegels,  ßetlectors,  der 
mittelst  eines  Stirnbandes  am  Kopfe  des  Untersuchers  befestigt  wird.  Von 
künstlichen  Lichtquellen  kommt  dem  Sonnenlicht  am  nächsten  das  elektrische 
Licht,  die  elektrische  Glühlampe,  für  deren  Speisung  der  Strom  entweder  von 
der  Dynamomaschine  einer  Centralstation  oder  von  den  jetzt  vielgebrauchten 
Accumulatoren  geliefert  wird.  Als  andere  Lichtquellen  dienen  das  ausge- 
zeichnete AuER'sche  Gasglühlicht,  die  einfache  Gasflamme,  die  Petroleum- 
flammen (Mitrailleusenbrenner),  und  schliesslich  ist  im  Nothfalle  auch  eine 
gewöhnliche  Kerze  zu  benutzen.  Wohl  zu  beachten  ist,  dass  nur  das  Sonnen- 
licht die  Theile  der  Nasenschleimhaut  in  ihrem  natürlichen  Colorit  erscheinen 
lässt,  und  dass  nur  die  elektrische  Beleuchtung  auch  hierin  wohl  dem  Sonnen- 
licht am  nächsten  kommt,  dass  sie  die  Schleimhaut  in  ihrer  natürlichen  Farbe 
zeigt,  während  andere  Beleuchtungsarten,  indem  sie  zu  der  eigentlichen  Farbe 
der  Schleimhaut  die  verschiedenen  Farben  ihres  eigenen  Lichtes  hinzufügen, 
dieselbe  immer  etwas  röther  erscheinen  lassen.  Will  man  genau  untersuchen, 
so  ist  stets  eine  intensive  Beleuchtung  erforderlich,  und  dies  gilt  auch  speciell 
für  operative  Eingriffe  in  der  Nasenhöhle.  (Bezüglich  der  Lichtquellen  siehe 
auch  ^.^Pharyngoskopie"- .) 

A.  Rhinoskopia  anterior. 

Einen  Einblick  in  den  vorderen  Theil  der  Nasenhöhle  kann  man  schon 
erhalten,  wenn  man  den  Patienten  einem  hellen  Fenster  gegenübersetzt,  den 
Kopf  desselben  nach  hinten  überbeugt  und  die  Nasenspitze  etwas  nach  oben 
drängt.  Je  nach  der  Intensität  der  Beleuchtung  und  der  Weite  der  Nasen- 
löcher wird  man  im  Stande  sein,  einen  grösseren  oder  kleineren  Theil  des 
Naseninneren  zu  überblicken.  Um  die  Nasenhöhle  aber  vollkommen  übersehen 
zu  können,  ist  es  erforderlich,  den  Naseneingang  zu  erweitern  und 
das  Licht  soviel  wie  möglich  hineinfallen  zu  lassen.  Hierfür  ist  eine 
grosse  Zahl  von  Nasenspecula  angegeben,  wie  das  Nasenspeculum 
von  DuPLAY,  VoLTOLiNi,  Hartmann  u.  s.  w.  (siche  Fig.  1,  2,  3). 
Welches  Speculum  das  beste  ist,  lässt  sich  schwer  sagen,  da 
hierin  Gewohnheit  und  Uebung  des  Untersuchers  zu  sehr  ins 
Gewicht  fallen.  Ein  sehr  practisches  und  einfaches  Speculum  hat 
JuRASz  publicirt.    Es  hat 

gleichzeitig     den     unbe-  '^'^s- 1-  Kg-  2. 

streitbaren  Vorzug,  dass 
es  zu  jeder  Zeit  und  über- 
all und  zwar  mit  Hilfe 
einer  Haarnadel  herzu- 
stellen ist.  Wir  benützen 
mit  Vorliebe  den  von 
B.  Fränkel  construirten 
Nasenspiegel  (siehe  Fig.  4 
und  5)  und  als  Licht- 
quelle    eine     elektrische 


Fig.  3. 


Nasenspeculum 
nach  Duplay. 


Speculum  nach 
Voltolini. 


Speculum  nacli 
Ilartmann. 


RHINOSKOPIE. 


567 


Speculum  nach  B.  Fränkel. 


Glühlampe   (Elektroskop  nach  L.  Jacobson,  ^'»-  *• 

bei  welchem  der  Beleuchtungsapparat  an 
einem  über  den  Kopf  zum  Nacken  reichenden 
Stahlbügel  befestigt  ist).  Bedient  man  sich 
eines  Reflectors,  so  muss  das  Licht  zur  rechten 
Seite  des  Patienten  stehen. 

Die  Ausführung  der  Rhinoskopia  anterior 
geschieht  derartig,  dass  man  erst  mit  dem 
Daumen  die  Nasenspitze  leicht  in  die  Höhe 
hebt,  die  Ränder  der  Nasenlöcher  und  das 
Vestibulum  nasi  genau  besichtigt  und  dann 
das  Speculum  geschlossen  einführt,  aber  nicht 
zu  tief,  und  zwar  nur  so  weit,  dass  die  Spitze 
des  Instrumentes  vor  dem  vorderen  Ende 
der  unteren  Muschel  noch  zu  liegen  kommt, 
worauf  man  die  Branchen  des  Speculums 
durch  langsames  Drehen  an  der  Schraube  (bei  B.  Fränkel)  oder  durch  Druck 
auf  die  Griffe  (Hartmann)  so  weit  als  möglich  von  einander  zu  entfernen  sucht. 
Das  Nasenloch  darf  nicht  zu  weit  gedehnt  werden,  da  man  sonst  dem  Patienten 
grosse  Schmerzen  und  leicht  Einrisse  am  Naseneingang  verursachen  kann.  Eine 
vorsichtige  Einführung  und  behutsame  Erweiterung  des  Nasenspiegels  ist 
namentlich  erforderlich  bei  Kranken,  die  wegen  Nasenblutens  in  Behandlung 
kommen,  weil  gerade  am  vorderen  unteren  Theil  der  Nasenscheidewand  (Kiesel- 
BACH'sche  Stelle)  die  Stelle  sich  befindet,  die  häufig  Ursache  der  Epistaxis 
ist.  Verlegen  Krusten  den  Naseneingang,  so  müssen  dieselben  vor  Einfüh- 
rung des  Speculums  entfernt  werden. 

Will  man  den  unteren  Nasengang,  den  hinteren  Theil  der  unteren 
Muschel,  sowie  den  Nasenboden  untersuchen,  so  neige  man  mit  der  auf  den 
Scheitel  des  Patienten  gelegten  rechten  Hand  den  Kopf  nach  vorn  und  unten. 
Beugt  der  Kranke  den  Kopf  nun  nach  rückwärts,  so  verschwindet  der  Nasen- 
boden und  der  hintere  Theil  der  unteren  Muschel,  und  man  erblickt  nun  die 
mittlere  Muschel,  den  mittleren  Nasengang  und  den  oberen  Theil  der  Nasen- 
scheidewand. Dem  vorderen  Ende  der  mittleren  Muschel  gegenüber  sieht 
man  das  Tuberculum  septi,  zwischen  mittlerer  Muschel  und  Nasenscheide- 
wand befindet  sich  die  Rima  olfactoria,  in  die  man  in  den  seltensten  Fällen 
hineinsehen  kann.  Die  obere  Muschel  kann  man  mittelst  der  Rhinoskopia 
anterior  unter  normalen  Verhältnissen  nicht  sehen  und  ebensowenig  den  oberen 
Nasengang  von  vorn.  Wohl  aber  gelingt  es  in  den  meisten  Fällen,  von  vorn 
die  hintere  Pharynxwand  zu  sehen,  namentlich  dann,  wenn  das  Naseninnere 
nicht  zu  eng  und  das  Septum  keine  starken  Verbiegungen  zeigt.  Die  Er- 
kennung der  Wucherungen  der  Pharynxtonsille  ist  in  vielen  Fällen  schon 
durch  diese  Art  der  Untersuchung  ermöglicht.  Nicht  zu  selten  kann  man 
auch  von  vorne  den  oberen  Choanenrand  als  einen  nach  unten  concaven 
Bogen  erkennen  und  die  Bewegungen  des  Gaumensegels  beim  Anlauten  von 
Vocalen  beobachten.  Oberhalb  dieses  Bogens  liegt  die  vordere  Fläche  der 
Keilbeinhöhle,  unter  demselben  beginnt  die  hintere  Rachenwand.  Zwischen 
mittlerer  und  unterer  Muschel  liegt  der  mittlere  Nasengang  mit  dem  in  seinem 
vorderen  Theile  befindlichen  Hiatus  semilunaris,  in  den  sich  der  grösste 
Theil  der  Nebenhöhlen  der  Nase  eröffnet,  und  zwar  die  Kiefer-,  Stirnhöhle, 
vordere  und  mittlere  Siebbeinzellen.  Deshalb  ist  bei  der  Untersuchung  gerade 
auf  den  mittleren  Nasengang  besonders  Gewicht  zu  legen. 

Die  Untersuchung  der  Nase  von  vorn  ist  eine  leichte  und  kann  schnell 
ausgeführt  werden.  Man  unterlasse  es  nie,  namentlich  beim  weiblichen  Ge- 
schlecht die  betreffende  zu  untersuchende  Person  auf  die  Ungefährlichkeit 
des  Speculums  aufmerksam  zu  machen  und  derselben  zu  erklären,  dass  durch 


568  RHINOSKOPIE. 

das  Dilatiren  des  Nasenloches  keine  Schädigung  in  Betreff  der  Form  der  Nase 
zurückbleibt.  Auch  versäume  man  nicht,  die  Nasenspitze  von  innen  mittelst 
eines  an  den  Naseneingang  gehaltenen,  natürlich  vorher  erwärmten  kleinen 
Kehlkopfspiegels  zu  untersuchen,  da  gerade  in  dieser  Bucht  häufig  kleine 
Schrunden  und  Furunkel  sitzen,  die  Ursache  grosser  Schmerzen  sein  können 
und  wegen  ihres  versteckten  Sitzes  leicht  übersehen  werden.  Zur  Untersuchung 
des  Naseneinganges  und  des  vordersten  Theiles  des  Nasendaches  empfiehlt 
Wagner  neuerdings  das  Einführen  kleiner  Spiegel,  wie  sie  zur  hinteren 
Rhinoskopie  verwandt  werden.  Der  Naseneingang  wird  erst  mittelst  des 
Nasenspeculums  erweitert,  und  dann  der  Spiegel  zwischen  den  Branchen 
desselben  eingeführt  mit  nach  vorn  und  oben  spiegelnder  Fläche. 

Mit  Rhinoskopia  media  bezeichnet  Kilian  eine  Untersuchungs- 
methode, welche  die  Bestimmung  hat,  uns  gewisse  Spalträume  im  Inneren 
der  Nase  sichtbar  zu  machen,  zu  deren  Betrachtung  weder  Rhinoskopia  an- 
terior noch  posterior  ausreichen.  Er  benutzt  dazu  das  verlängerte  Kramer- 
HARTMANN'sche  Naseuspeculum,  dessen  Branchen  nach  vorheriger  Cocainisirung 
der  Theile  zwischen  mittlerer  Muschel  und  Scheidewand,  also  in  die  Rima 
olfactoria,  und  zwischen  mittlerer  und  unterer  Muschel  eingeführt  werden. 
Die  Untersuchung  erfordert  ein  langsames  geduldiges  Vorgehen  und  nimmt 
daher  einige  Zeit  in  Anspruch,  Es  gelingt  auf  diese  Weise,  die  beiden  seit- 
lichen Wände  der  Riechspalte  von  dem  freien  Rande  der  mittleren  Muschel 
bis  zur  Lamina  cribrosa  vollständig  zu  übersehen.  Der  obere  Nasengang  und 
die  obere  Muschel  markiren  sich  oft  nur  wenig.  Man  übersieht  die  vordere 
Keilbeinfläche  und  die  Mündung  zur  Keilbeinhöhle,  den  Eingang  zur  Stirn- 
höhle und  den  mittleren  Siebbeinzellen,  wodurch  die  Diagnose  der  Neben- 
höhlenerkrankungen und  die  Sondirung  derselben  wesentlich  erleichtert  wird. 
j,.^  g  Zu  einer  genauen  Untersuchung 

des  Naseninneren  gehört  unbedingt 
der  Gebrauch  der  Sonde,  ohne 
welche  man  in  den  meisten  Fällen 
keine  sichere  und  vollständige 
Diagnose   stellen   kann  (s.  Fig.  6). 

Biegsame  Sonde  nach  B.  Fränkel.  ^S^  ]y[j|.     ^gj.      gondo      ermitteln     Wlr    die 

Consistenz  der  Schleimhaut,  ob  die 
inspicirten  Gebilde  pathologische  oder  normale  sind,  ob  eine  Schleimhaut- 
schwellung oder  Neubildung  vorliegt,  die  Empfindlichkeit  der  Schleimhaut, 
die  Beschaffenheit  ihrer  Oberfläche,  den  Grad  der  Schleimhautschwellung  durch 
Hineindrücken  mit  der  Sonde;  wir  können  durch  die  Sondirung  die  An- 
wesenheit von  Fremdkörpern  erforschen,  auf  der  Schleimhaut  festliegende 
Borken  entfernen,  und  die  den  Einblick  in  die  Tiefe  störenden  Schwellungen 
der  Mucosa  bei  Seite  schieben,  um  einen  besseren  Einblick  in  die  Tiefe  der 
Nasenhöhle  zu  erhalten.  Letzteres  erreicht  man  auch  durch  Application  von 
Cocain  (5  oder  lO^o),  entweder  mittelst  Spray  oder  kleiner  Wattebäuschchen. 
Ebenso  ist  die  Sonde  erforderlich  zur  Erkennung  der  Ursprungsstelle  von 
Neubildungen,  zur  Bestimmung  der  Beweglichkeit  derselben,  zur  Diagnose 
der  Affection  der  Knorpel  und  Knochen,  zur  Erforschung  der  von  der  Nase 
ausgehenden  Reflexneurosen,  und  schliesslich  zur  Untersuchung  der  ver- 
schiedenen Nebenhöhlen  der  Nase. 

B.  Rhinoskopia  posterior. 
Diese  Untersuchungsmethode  ist  bedeutend  schwieriger  zu  erlernen  wie 
die  erste,  und  erfordert  viel  Ruhe  und  Geduld,  sowohl  von  Seiten  des  Arztes 
wie  seitens  des  Patienten.  Die  Lichtquelle  muss  recht  intensiv  sein.  Zur 
Untersuchung  lasse  man  den  Patienten  den  Mund  so  w^eit  wie  möglich  öffnen. 
Man  befehle  ihm,  ruhig  durch  die  Nase  zu  athmen  und  die  Zunge  am  Boden  der 


RIIINOSKOPIE. 


569 


i-<'ig.  7. 


Fig.  8. 


Zungenhalter 
nach  B.  J;'ränkel. 


Mundhöhle  liegen  zu  lassen,  was  aber  leichter  gesagt  wie  ausgeführt  ist.  Da  nur 
wenige  Menschen  im  Stande  sind,  willkührlich  ihre  Zunge  am  Boden  festzu- 
halten (am  besten  können  dies  Sänger),  so  muss  man  die  Zunge  mittelst  ge- 
eigneter Instrumente  niederdrücken.  Die  Zahl  der  verschiedenen  Zungen- 
spatel ist  eine  grosse  (Tüek,  Hartmann,  Tobold).  Wir  bedienen  uns  des 
von  B.  Fkänkel  angegebenen  (s.  Fig.  7 
und  8).  Man  drücke  mit  demselben  die 
Zunge  leicht  herunter  und  nach  vorn, 
indem  man  ihn  auf  den  Zungenrücken 
aufsetzt  und  nun  langsam,  aber  kräftig 
und  nicht  ruckweise  herunterdrückt.  Die 
Hauptsache  ist  nun,  dass  der  weiche 
Gaumen  schlaff  herunterhängt,  und  die 
Entfernung  zwischen  Gaumensegel  und 
Rachenwand  so  gross  wie  möglich  wird. 
Ist  es  gelungen,  mit  der  linken  Hand  die 
Zunge  ruhig  am  Mundboden  zu  fitxiren, 
und  macht  der  Patient  keine  Würg- 
bewegungen, so  führe  man  mit  der  rechten 
Hand  einen  vorher  angewärmten  Kehlkopf-  nrc'h  ^Tobow. 
Spiegel  schreibfederartig  vom  linken  Mund- 
winkel aus  in  die  Mundhöhle,  die  Spiegel- 
fläche dem  harten  Gaumen  zugekehrt,  und  neben  dem  Zäpfchen  durch  die 
linke  oder  rechte  Arcade  bis  in  den  Rachenraum  hinein.  Man  hüte  sich  aber, 
irgendwo  die  Schleimhaut  mit  dem  Spiegel  zu  berühren,  da  dies  sofort  eine 
Würgbewegung  zur  Folge  haben  würde. 

Wir  benutzen  zur  Untersuchung  einfache  runde  Kehlkopfspiegel,  welche 
in  einem  Winkel  von  etwas  über  90*'  zum  Stiel  gestellt  sind.  Erst  wird  die 
Untersuchung  mit  einem  kleinen  Spiegel  vorgenommen,  um  allmählich,  wenn 
der  Patient  schon  etwas  eingeübt  ist,  zu  grösseren  überzugehen.  Nur  selten 
gebrauchen  wir  die  verstellbaren  Nasenrachenspiegel  (Michel,  B.  Fränkel). 

Um  ein  vollkommenes  Bild  vom  Nasenrachenräume  und  dem  hinteren 
Theil  der  Nasenhöhle  zu  bekommen,  muss  der  Spiegel  nach  allen  Richtungen 
zweckmässig  gedreht  und  gestellt  werden.  Erst  durch  die  Zusammenstellung 
der  verschiedenen  kleinen  Bilder,  die  man  jedes  Mal  sieht,  wird  man  im 
Stande  sein,  sich  das  Gesammtbild  zu  construiren. 

Die  Untersuchung  wird  um  so  leichter  sein,  je  grösser  der  Abstand  des 
weichen  Gaumens  von  der  Rachenwand  ist;  dadurch,  dass  der  Patient  bei  der 
Untersuchung  den  Kopf  etwas  nach  vorn  neigt,  entfernt  sich  das  Gaumen- 
segel mehr  von  der  Rachenwand.  Kinder  lässt  man  bei  der  Untersuchung 
des  Nasenrachenraumes  und  der  hinteren  Nasenhöhle  am  besten  stehen.  In 
den  meisten  Fällen  gelang  es  uns,  auch  bei  Kindern  von  nicht  zu  jugend- 
lichem Alter  bei  etwas  Geduld  die  Rhinoskopia  posterior  auszuführen,  so  dass 
wir  behufs  einfacher  Diagnosenstellung  nur  selten  die  für  die  Kinder  sehr  pein- 
liche digitale  Untersuchung  des  Cavums  ausführen  brauchten.  Wir  geben 
sowohl  bei  Erwachsenen  wie  bei  Kindern  der  postrhinoskopischen  Unter- 
suchung vor  der  Palpation  entschieden  den  Vorzug.  Die  Palpation  kann  man 
in  der  Weise  ausführen,  indem  man  das  Gaumensegel  in  Ruhestellung  zu 
bringen  sucht  und  dann  schnell  ohne  Gewalt  mit  dem  gleichsam  auf  der 
Lauer  liegenden  Zeigefinger  in  den  Nasenrachenraum  eindringt. 

Wenn  trotz  Geheiss,  ruhig  durch  die  Nase  zu  athmen,  das  Gaumensegel 
sich  an  die  hintere  Rachenwand  anlegt  und  dadurch  die  Untersuchung  illu- 
sorisch wird,  so  versuche  man,  eine  Erschlaffung  des  Gaumensegels  dadurch 
herbeizuführen,  dass  man  den  Patienten  schnüffelnde  Inspirationen  mit  der 
Nase  ausführen  oder  einen  nasalen  Ton  (französisches  an,  on)  angeben  lässt. 


570 


RHINOSKOPIE. 


Bei  einzelnen  Patienten  (namentlich  Säufern  und  Rauchern)  ist  die  Reizbarkeit 
des  Rachens  so  gross,  dass  schon  die  Einführung  des  Zungenspatels  und  noch 
mehr  die  des  Kehlkopfspiegels  genügt,  um  eine  Würgbewegung  und  damit 
einen  Verschluss  des  Nasenrachenraumes  herbeizuführen.  Hier  kann  nur 
Ruhe  und  Geduld  zum  Ziele  führen,  indem  schliesslich  der  Patient  selbst 
lernt,  das  Gaumensegel  in  schlaffem  Zustande  zu  erhalten.  Etwas  erleichtern 
kann  man  sich  die  Untersuchung  durch  Einpinselung  der  Schleimhaut  mit 
5°/oigei'  Cocainlösung.  Schliesslich  können  wir  auch,  wenn  wir  auf  andere  Weise 
nicht  zum  Ziele  kommen,  mechanisch  einen  genügenden  Abstand  des  weichen 
Gaumens  von  der  hinteren  Rachenwand  durch  die  von  den  verschiedensten 
Autoren  Hopmann,  Barth  etc.  empfohlenen  Gaumenhaken  erreichen.  Volto- 
LiNi  (s.  Fig.  9)  empfahl,  mit  einem  nach  Art  der  Mundhaken  construirten 
Instrumente  durch  einen  kräftigen  Zug  das  Gaumensegel  nach  vorn  zu  ziehen. 
Die  Uvula  kommt  hiebei  auf  die  Aushöhlung  des  Hakens  zu  liegen.  (Fig.  10 
Gaumenhaken  nach  B.  Fränkel.)  Bequemer  sind  noch  die  feststellbaren 
Gaumenhaken,  die  durch  besondere  Vorrichtungen  sich  selbst  fixiren  (s.  Fig.  11 
nach    Hartmann,    Fig.  12    nach    Moritz  Schmidt,    Fig.  13    nach    Krause.) 


Fig.   10. 


Fig.  12 


Fig.  13. 


Gaumenhaken, 
nach  Voltolini, 
a  mit  Fenster 
b  ohne  Fenster. 


Gaumenhaken 
nach  B.  Fränkel. 


Gaumenhaken 

nach 

Hartmann, 


Gaumenhaken 

nach 
Moriz  Schmidt. 


Gaumenhaken 

nach 

Krause. 


Diese  sind    dem  VoLTOLiNi'schen   deshalb   vorzuziehen,  weil 
nun  die  eine  Hand  frei  ist  und  einem  anderen  Zwecke  dienen 
kann   (operativer  EingrijS,  Sondirung.) 

Das  postrhinoskopische  Bild:  Zuerst  suche  man  sich  stets  die 
Nasenscheidewand  auf,  die  zur  Orientirung  des  Gesammtbildes  dienen  kann. 
Das  Septum  erscheint  genau  in  der  Medianlinie  gelegen  als  eine  gerade  bicon- 
cave  Leiste  von  etwas  blassrother  Färbung,  zu  beiden  Seiten  liegen  die 
Choanen,  zwei  länglich  ovale  Höhlen,  in  denen  zu  jeder  Seite  die  hinteren 
Enden  der  drei  Nasenmuscheln  erscheinen.  Am  deutlichsten  ist  die  mittlere 
Muschel  zu  sehen.  Um  die  unterste  Muschel  zu  inspiciren,  muss  man  den 
Spiegel  mehr  senkrecht  stellen,  das  heisst,  man  muss  den  Spiegelgriif  senken. 
Stellt  man  die  spiegelnde  Fläche  des  Spiegels  mehr  horizontal,  hebt  man  also 
mehr  den  Griff,  so  zeigt  sich  das  Rachendach  (Fornix)  mit  der  Rachentonsille, 
welche  letztere  bei  der  Untersuchung  des  Cavum  nasopharyngeum  eine  wich- 
tige Rolle  spielt.  (Adenoide  Vegetationen.)  Die  obere  Muschel,  welche  die 
kleinste  ist,  liegt  häufig  ganz  versteckt  und  ist  in  vielen  Fällen  nur  undeutlich 
zu  sehen.    Zwischen    den   Muscheln    liegen    die    einzelnen    Nasengänge,   von 


RÖNTGENUNTERSUCHUNG  IN  DER  RHINO-LARYNGOLOGIE.  571 

denen  der  unterste  durch  das  Gaumensegel  meist  verdeckt  ist.  Macht  man 
nun  mit  dem  Spiegel  eine  Rotation  nach  aussen  nach  rechts  oder  links,  so 
sehen  wir  die  Seitenwand  des  Nasenrachenraumes.  Hier  fällt  sofoi't  ein  starker, 
von  aussen  nach  innen  vorspringender,  etwas  rundlicher  Wulst  von  röthlich 
gelber  Farbe  auf,  der  Tubenwulst,  in  dessen  unterem  mittleren  Theil  die 
meist  an  ihrer  gelben  anämischen  Farbe  leicht  erkennbare  trichterförmige 
innere  Ohröffnung,  der  Tubeneingang,  erscheint.  Derselbe  wird  nach  vorn 
zu  von  der  Plica  salpingo-palatina,  nach  hinten  zu  von  der  Plica  salpingo- 
pharyngea  eingeschlossen.  Zwischen  beiden  Falten  erhebt  sich  der  Levatorwulst. 
Mehr  nach  aussen  und  hinter  den  Tubenwülsten  befindet  sich  die  ItOSEX- 
MüLLER'sche  Grube.  scheiek. 

Röntgenuntersuchung   in    der    Rhino  -  Laryngologie.     Nachdem 

Röntgen  am  Ende  des  Jahres  1895  in  der  Würzburger  physikalisch- 
medicinischen  Gesellschaft  zum  ersten  Male  über  eine  neue  Art  von  Strahlen 
berichtet  hatte,  welche,  ohne  der  Re-  und  Infraction  zu  unterliegen,  die 
eigenthümliche  wunderbare  Eigenschaft  besitzen,  eine  Reihe  für  das  gewöhn- 
liche Licht  sonst  undurchdringbarer  Substanzen  zu  durchstrahlen  und  ent- 
sprechend ihrer  Dichte  mehr  oder  weniger  durchsichtig  zu  machen,  und  welche  die 
Fähigkeit  haben,  sowohl  auf  einem  mit  fluorescirenden  Substanzen,  wie  Barium- 
platincyanür,  präparirten  Schirm,  als  auch  auf  der  lichtempfindlichen 
photographischen  Platte  Bilder  zu  erzeugen  —  ist  sofort  eine  rege  wissen- 
schaftliche Thätigkeit  der  Naturforscher  und  Aerzte  hervorgerufen  worden,  die 
epochemachende  Entdeckung  den  Zwecken  der  ärztlichen  Kunst  nutzbar  zu  machen. 
Auch  die  Rhino-  und  Laryngologie  hat  sich  bald  dieses  neuen  Untersuchungs- 
mittels  bemächtigt  und  die  Röntgenstrahlen  für  dieses  Fach  in  Anwendung 
gebracht.  An  der  Hand  der  vorliegenden  Literaturangaben,  wie  eigener  Er- 
fahrungen beabsichtige  ich,  einen  Ueberblick  über  das  bisher  mit  dem  Ver- 
fahren für  das  Gebiet  der  Nasen-  und  Halsleiden  Erreichte  zu  geben  und  den 
Wert  und  die  Verwendbarkeit  der  neuen  Untersuchungsmethode  festzustellen. 
Man  kann  auf  zweierlei  Weise  die  Untersuchung  mittelst  der  X-Strahlen 
vornehmen.  Die  eine  Art  ist  die,  dass  man  in  einem  absolut  dunklen  Räume 
die  eine  Seite  des  Gesichtes  oder  des  Halses  des  zu  Untersuchenden  der 
Röntgenröhre  zukehrt  und  nun  den  Fluorescenzschirm  an  die  andere  Seite  dicht 
heranhält.  Damit  man  nicht  bei  der  Untersuchung  durch  den  über  den  Kopf 
hervorragenden  Theil  des  Schirmes  geblendet  wird,  ist  es  angebracht,  einen 
nicht  zu  grossen  Schirm  zu  nehmen.  Für  die  Besichtigung  des  Kehlkopfes 
eignen  sich  am  besten  ganz  kleine  Schirme  in  der  Grösse  von  9:12.  Die 
andere  Untersuchungsmethode  ist  die,  dass  man  an  die  Stelle  des  Schirmes 
die  photographisch  empfindliche  Platte  setzt,  auf  welcher  gleichfalls  ein 
Schattenbild  von  dem  untersuchten  Organ  zur  Entstehung  kommt,  wenn 
es  in  der  sonst  in  der  Photographie  üblichen  Methode  entwickelt  und  fixirt 
wird.  Beide  Arten  ergänzen  sich  und  können  sich  gegenseitig  theilweise 
vertreten.  Die  photographische  Platte  ist  aber  viel  empfindlicher  als  der 
Schirm;  die  schärfsten  Feinheiten  wird  man  nur  auf  der  Platte  sehen 
können.  Bei  der  photographischen  Aufnahme  ist  nur  das  Unangenehme, 
dass,  wenn  auch  die  Expositionszeit  gegen  früher,  wo  sie  15  Minuten,  ja  noch 
länger  dauerte,  infolge  der  von  Tag  zu  Tag  verbesserten  Technik,  sowohl 
durch  Verbesserung  der  Strahlenquelle,  wie  auch  durch  vollkommenere  und 
bessere  Ausnutzung  der  einmal  gewonnenen  Strahlen  (Levt,  Cowl)  schon 
bedeutend  herabgesetzt  ist,  immerhin  dieselbe  beim  Kopfe  circa  3 — 6  Minuten 
im  allgemeinen  beträgt  (mittelst  Verstärkungsschirms  noch  weniger).  Während 
es  bei  der  Leiche  gelungen  ist,  gute  photographische  Aufnahmen  vom  Kehl- 
kopf zu  bekommen,  auf  denen  die  verschiedenen  Einzelheiten  der  Knorpel, 
und  das  feine  innere  Maschenwerk  des  Knochengewebes  zu  erkennen  sind,  so 
können  die  bisherigen  Aufnahmen  vom  Kehlkopf  beim  Lebenden  nicht  als  ge- 


572  RÖNTGENUNTERSUCHUNG 

lungen  betrachtet  werden.  Es  liegt  dies  eben  daran,  dass  die  Patienten  den  Kehl- 
kopf nicht  längere  Zeit  in  ruhiger  Lage  halten  können.  Wenn  auch  die  Ver- 
schiebungen des  Kehlkopfes  infolge  Athmens,  Schluckens,  Pulsirens  der  benach- 
barten Gefässe  nur  ganz  geringe  sein  mögen,  so  genügen  sie  doch  dazu,  ein 
scharfes  Bild  auf  der  Platte  nicht  zu  Stande  kommen  zu  lassen.  Nur  durch  eine 
Momentaufnahme  würde  man  von  einem  so  beweglichen  Theil,  wie  der  Kehlkopf 
es  ist,  ein  gutes  Bild  erhalten;  doch  dazu  ist  die  Lichtstärke  vorläufig  noch  zu 
gering.  In  letzter  Zeit  sind  uns  massige  Aufnahmen  vom  Kehlkopf  gelungen  bei 
einer  Exposition  von  8 — 12  Secunden,  man  kann  auf  ihnen  die  Schild-  und 
Bingknorpel  sehr  gut  differenziren.  Für  die  Untersuchung  des  Kehlkopfes  ist 
daher  vorläufig  das  Verfahren  der  directen  Beobachtung  auf  dem  Schirm 
anzuwenden  und  allein  für  die  Diagnose  zu  verwerten.  Als  erste  Be- 
dingung für  die  Durchleuchtung  dieser  Organe  muss  man  hierbei"  auf- 
stellen, dass  die  Durchleuchtung  in  einem  vollkommen  verdunkelten  Kaume 
vorgenommen  werden  muss,  damit  das  auf  dem  Fluorescenzschirm  erschei- 
nende Licht  ganz  zur  Ausnutzung  gelangen  kann.  Der  Beobachter  darf  weder 
durch  Tageslicht,  noch  durch  gedämpftes  Lampenlicht  geblendet  werden.  Das 
Licht  der  Röntgenröhre  selbst  stört  auch,  deshalb  verhängt  man  die  Röhre  mit 
einem  dichten  schwarzen  Tuch.  Die  Bilder  werden  auf  dem  Schirm  um  so 
schärfer  hervortreten,  je  intensiver  die  Dunkelheit  in  dem  Räume  hergestellt 
werden  kann.  Auf  die  Gleichmässigkeit  der  Ausstrahlung  der  Röhre,  d.  h. 
darauf,  ob  das  grüne  Licht  zuckt,  flackert  und  ganz  aussetzt  oder  nicht,  ist 
der  Gang  des  Unterbrechers  am  Inductor  von  grösstem  Einfluss.  Das  auf 
dem  fluorescirenden  Schirm  erzeugte  Licht  muss  stets  gleichmässig  sein.  Der 
Unterbrecher  muss  derartig  schnell  aufeinander  folgende  Unterbrechungen 
geben,  dass  die  einzelnen  Lichtstösse  nicht  mehr  als  einzelne  Stösse  wahr- 
genommen werden  können,  sondern  dass  das  Licht  ganz  gleichmässig  erscheint. 
Derartige  Unterbrecher  sind  die  Quecksilberunterbrecher,  die  durch  elektro- 
motorische Kraft  getrieben  werden.  Der  Funkeninductor  muss  für  unsere  Unter- 
suchungen eine  Funkenlänge  von  mindestens  40  cm  haben.  Von  grosser 
Wichtigkeit  ist  auch,  dass  man  den  Fluorescenzschirm  derartig  hält,  dass 
die  Nasenspitze,  die  immer  am  deutlichsten  und  sofort  auf  dem  Schirm  zu 
erkennen  ist,  gerade  nach  vorne  gerichtet  ist.  Wenn  man  nur  um  ein  Ge- 
ringes den  Kopf  des  zu  Untersuchenden  verschiebt,  sei  es  nach  rechts  oder 
links,  so  tritt  sofort  eine  starke  Verzerrung  des  Bildes  ein.  Auch  die  Ent- 
fernung der  Lichtquelle  vom  Object  ist  von  grösster  Bedeutung  für  das  Bild. 
Je  näher  die  Lichtquelle  dem  Object  sich  befindet,  desto  grössere  und  ver- 
zerrtere Bilder  wird  man  natürlich  erhalten.  Die  Bilder  werden  dagegen  kleiner 
und  entsprechen  mehr  den  natürlichen  Verhältnissen,  wenn  man  mehr  von 
der  Röntgenbirne  sich  entfernt.  Die  Röhre  muss  stets  so  gestellt  werden, 
dass  sie  direct  gegenüber  der  Mitte  des  Organes  steht,  das  man  zu  unter- 
suchen hat.  In  jedem  Falle  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die  Lichtquelle,  der 
zu  untersuchende  Gegenstand  und  der  Schirm,  resp.  die  photographische 
Platte  stets  in  bestimmter  Richtung  sich  zu  einander  befinden.  Da  die 
Schattenbilder  vom  Kopf  sehr  complicirt  sind,  weil  einen  je  grösseren  Körper- 
durchmesser die  X-Strahlen  zu  durchdringen  haben,  immer  mehr  Gebilde  in 
ein-  und  derselben  Ebene  in-  und  aufeinander  gezeichnet  werden,  so  bedarf 
es  einer  grossen  Uebung,  diese  Bilder  richtig  zu  deuten. 

Wenn  man  nun  die  Nase  untersucht,  und  zwar  direct  mit  dem  Schirm 
von  der  Seite,  so  sieht  man,  dass  der  vordere  Theil  der  Nase  fast  vollkommen 
durchsichtig  ist.  Er  gibt  nur  einen  ganz  schwachen  Schatten,  so  jedoch,  dass 
man  die  Umrisse  der  Nase  noch  genau  erkennen  kann.  Die  Durchsichtigkeit 
des  vorderen,  d.  h.  knorpeligen  Theiles  der  Nase  erkennt  man  sofort,  wenn 
man  eine  Sonde  in  die  Nasenhöhle  hineinführt.  Bei  vielen  Menschen  kann 
man  auf  diese  Weise  noch  den  feinen  Sondenknopf  auf  dem  Durchleuchtungs- 


IN  DEK  RHINO-LARYNGOLOGIE.  573 

bilde  erkennen,  wenn  man  die  Sonde  5 — 6  cm  tief  hineinschiebt,  ja  wenn  sie 
sich  sogar  im  Nasenrachenraum  befindet.  Natürlich  kommt  es  dabei  ganz 
auf  die  Dicke  der  umgebenden  Knochen  an  und  selbstverständlich  auch  auf 
die  Lichtquelle  selbst.  Die  häutige  Bedeckung  des  Kopfes  ist  als  ein  durch- 
scheinender Saum  zu  erkennen,  darunter  tritt  der  knöcherne  Schädel  todten- 
kopfähnlich  hervor.  Sehr  gut  lässt  sich  die  Stirnhöhle  erkennen,  dieselbe 
erscheint  oft  ganz  durchsichtig.  Die  Oberkieferhöhle  tritt  als  hellerer  Schatten 
aus  der  Umgebung  hervor,  aber  nicht  so  hell,  klar  und  umschrieben  wie  die 
Stirnhöhle.  Während  auf  der  photographischen  Platte  die  Keilbeinhöhle  meist 
zu  erkennen  ist,  wird  sie  bei  der  directen  Durchleuchtung  nicht  so  oft  sicht- 
bar. Einen  etwas  stärkeren  Schatten  als  der  vordere  Theil  der  Nase  geben 
die  Lippen,  die  sich  auf  dem  Bilde  scharf  gegen  den  dunklen  Schatten  des 
Unter-  und  Oberkiefers  abgrenzen.  Auch  sehen  wir  auf  dem  Schirm  die 
Gestalt  und  Lage  der  Zunge  natürlich  stets  im  Profil.  Bei  der  Untersuchung 
der  Zunge  ist  es  wichtig,  vorher  dieselbe  erst  herausstrecken  zu  lassen,  um 
den  Schatten,  den  die  Zunge,  auf  dem  Schirme  bildet,  sich  zur  Wahrnehmung 
zu  bringen.  Am  besten  wird  man  die  Zunge  in  der  Mundhöhle  beobachten 
können  bei  Leuten,  welchen  einzelne  Backenzähne  fehlen.  Stellt  man  nun 
die  Röntgenröhre  direct  gegenüber  dem  W'^arzenfortsatz,  so  sieht  man  den 
Nasenrachenraum  und  Rachen  als  hellen  Schatten  hervortreten,  der  hinten 
von  der  dunkelschwarz  erscheinenden  Halswirbelsäule  abgegrenzt  wird.  Die 
einzelnen  Halswirbel  kann  man  deutlich  differenziren,  sowohl  den  Wirbelkörper 
wie  Wirbelbogen,  Gelenk-,  Quer-  und  den  Dornfortsatz.  Lässt  man  die  zu  unter- 
suchende Person  einen  Vocal  phoniren,  so  sieht  man,  wie  das  Gaumensegel 
sich  hebt,  und  zwar  ganz  verschieden  in  den  Nasenrachenraum  sich  hinein- 
legt, je  nach  dem  Vocal,  den  man  aussprechen  lässt.  Genau  wie  man  auf 
dem  Schirm  beim  ersten  Mal  nicht  immer  sofort  die  Bewegungen  des  Herzens 
wird  sehen  können,  sondern  bei  längerer  Betrachtung  erst  dann,  wenn  sich 
unser  Auge  an  das  dunkle  Bild  gewöhnt  hat,  die  einzelnen  Schattendifferenzen 
allmählich  deutlicher  und  schärfer  hervortreten,  ebenso  ist  es  mit  der  Be- 
wegung des  Gaumensegels.  Am  deutlichsten  sieht  man  die  Bewegungen  des 
weichen  Gaumens  bei  erwachsenen  Leuten,  die  einen  grossen  Nasenrachen- 
raum und  eine  nicht  zu  starke  Halsmusculatur  haben.  Hat  man  jedoch  erst 
einmal  das  Gaumensegel  auf  dem  Schirm  gesehen,  so  erkennt  man  es  leicht 
bei  jedem  anderen  Individuum.  Hält  man  den  Schirm  dicht  an  den  Hals, 
so  sieht  man  den  Kehlkopf  fast  ganz  durchscheinend  als  hellen  Schatten, 
etwas  darüber  als  tiefdunklen  Schatten  das  Zungenbein,  welches  stets  als 
Orientirungslinie  dienen  kann,  und  an  den  Kehlkopf  anschliessend  die  Luft- 
röhre. Dass  der  hellere  Schatten  der  Kehlkopf  ist,  erkennt  man  deutlich, 
wenn  man  eine  Schluckbewegung  ausführen  lässt.  Ist  die  Untersuchungs- 
person schon  über  20  Jahre,  so  hat  meist  schon  die  Verknöcherung  des  bis 
dahin  knorpeligen  Kehlkopfes  begonnen,  und  der  Kehlkopf  erscheint  dann 
nicht  mehr  überall  vollkommen  durchscheinend,  sondern  zeigt  bereits  ver- 
schiedene dunkle  Stellen,  so  dass  man  den  Ringknorpel  vom  Schildknorpel 
oft  sehr  gut  abgrenzen  kann.  Zwischen  den  Zungenbeinhörnern  sieht  man 
auf  dem  Bilde  auch  deutlich  den  Kehldeckel.  Betrachtet  man  den  Kehlkopf 
noch  genauer,  so  sieht  man  am  Schildknorpel  einen  helleren  Schatten  in 
ovaler  oder  vielmehr  elliptischer  Form  von  vorn  nach  hinten  verlaufen.  Er 
entspricht  der  Stelle  des  Ventriculus  Morgagni.  Voraussetzung  ist  hierbei,  dass 
die  Schildknorpelplatten  an  dieser  Stelle  noch  nicht  verknöchert  sind,  da 
hierdurch  der  hellere  Schatten  durch  den  dunklen  Schatten  des  Knochen- 
gewebes verdeckt  wird.  Bei  den  weiblichen  Kehlköpfen  haben  wir  fast  immer 
diese  hellere  Stelle  gesehen.  Die  Stimmbänder  selbst  lassen  sich  bei  der 
Durchleuchtung  nicht  erkennen. 

Anwendung  der  Röntgenstrahlen  als  diagnostisches  Mittel,  a)  Natur- 
gemäss  war  es  das  Gebiet  der  Fremdkörper,  denen  die  neue  Untersuchungs- 


574  RÖNTGENUNTERSUCHUNG 

methode  zuerst  zugute  kam.  Es  handelte  sich  im  wesentlichen  um  die  für 
die  X-Strahlen  fast  völlig  undurchgängigen  Metalle,  welche  wegen  der  grösseren 
Durchlässigkeit  des  Knochens  auch  dann  noch  klare  Bilder  geben,  wenn  sie 
ganz  in  den  Knochen  eingelagert  sind.  Um  zu  erkennen,  ob  Fremdkörper  in 
der  Nasenhöhle  sich  als  solche  auf  dem  Schirm  deutlich  documentiren,  führten 
wir  seinerzeit  die  verschiedensten  Gegenstände,  die  man  in  der  Praxis  im 
Naseninneren  oft  findet,  in  die  Nasenhöhle  und  deren  Nebenhöhlen  hinein. 
Metallische  Körper,  Münzen,  Knöpfe,  Schnallen,  Gegenstände  aus  Hartgummi 
und  Hörn,  Knochenstückchen,  Steine  etc.  konnte  man  deutlich  auf  dem  Schirm 
sich  als  scharfen  Schatten  abgrenzen  sehen,  selbst  dann  noch,  wenn  man  sie  in 
die  vordere  Gegend  des  knöcheren  Theiles  der  Nasenhöhle  hineinbrachte.  Auch 
unechte  Perlen  geben  sich  deutlich  zu  erkennen,  dagegen  sind  Obstkerne  auf 
dem  Schirm  gar  nicht  oder  nur  sehr  schwach  zu  sehen,  da  dieselben  ganz 
oder  fast  ganz  durchlässig  für  die  Röntgenstrahlen  sind.  Man  wird  eben 
natürlich  nur  dann  den  Fremdkörper  erkennen  können,  wenn  er  sich  durch 
Schattenschwärze  aus  dem  helleren  Grundton  des  Durchleuchtungsbildes  ab- 
hebt. Deshalb  können  wiederum  Fremdkörper,  welche  genau  so  durchlässig 
für  die  Strahlen  wie  die  umgebenden  Theile  sind  und  demnach  denselben 
Schatten  wie  letztere  geben,  auf  diese  Weise  nicht  aufgefunden  werden.  Die 
Auffindung  der  Fremdkörper  gelingt  um  so  leichter,  je  grösser  und  dichter 
dieselben  sind,  und  je  dünner  der  Körpertheil  ist,  in  welchem  sie  stecken. 
Selbst  Fremdkörper,  die  in  die  Tonsillen  des  Gaumens  sich  einkeilen,  wird 
man  mittelst  der  X-Strahlen  zur  Darstellung  bringen  können.  Hierbei  muss 
man,  wenn  z.  B.  der  Eisensplitter  oder  die  Stecknadel  in  der  linken  Mandel 
sich  befindet,  den  Kopf  des  Kranken  ganz  auf  die  rechte  Schulter  neigen, 
damit  durch  das  Herauftreten  des  Angulus  mandibulae  die  Mandel  freier  zu 
liegen  kommt. 

Wenn  es  auch  in  den  meisten  Fällen  gelingt,  den  Sitz  des  Fremdkörpers 
in  den  oberen  Respirationsorganen  mit  den  bisherigen  Methoden  zu  localisiren, 
so  dürfte  es  doch  vereinzelte  Fälle  geben,  wo  die  früheren  Methoden  uns  im 
Stiche  lassen,  und  wo  wir  nun  die  X-Strahlen  sehr  gut  zu  Hilfe  ziehen  können. 
Es  ist  schon  eine  grössere  Anzahl  von  derartigen  Fällen  publicirt  worden, 
wo  einzig  und  allein  durch  diese  neue  Methode  die  Ermittlung  des  Fremd- 
körpers ermöglicht  wurde  (Downie-Nadel  im  Kehlkopf).  Zuweilen  ist  eben 
die  Diagnose  eines  Fremdkörpers  nicht  leicht  zu  stellen,  namentlich  dann, 
wenn  keine  anamnestischen  Angaben  vorliegen,  die  den  Schluss  auf  das  Vor- 
handensein eines  Fremdkörpers  ziehen  lassen.  Besonders  bei  kleinen  Kindern, 
bei  denen  die  Untersuchung  mit  dem  Spiegel  und  der  Sonde  oft  infolge  der 
Widerspenstigkeit  derselben  auf  die  grössten  Schwierigkeiten  stösst,  wird  man 
die  Röntgenstrahlen  mit  bestem  Vortheil  für  die  Feststellung  der  An-  resp. 
Abwesenheit  von  schattengebenden  Fremdkörpern  anwenden  können.  Noch 
vor  kurzem  theilte  Gustav  Spiess  einen  Fall  von  Fremdkörper  in  der  Nase 
mit,  in  welchem  mittelst  der  gewöhnlichen  Untersuchung  der  Fremdkörper 
nicht  gefunden  werden  konnte.  Das  Nasenloch  war  in  diesem  Falle  im  unteren 
Umfang  narbig  sehr  verengt,  so  dass  die  Einführung  eines  Nasenspeculums 
nur  schwer  möglich  war.  Als  trotz  eingehenden  Cocainisirens,  genauen  Ab- 
suchens  mit  geraden  und  gebogenen  metallischen  Sonden  weder  ein  härterer 
Körper,  noch  ein  metallisches  Klingen  zu  vernehmen  war,  auch  bei  Per  hin- 
teren Rhinoskopie  nichts  entdeckt  werden  konnte,  so  glaubte  er,  dem  datienten 
die  Versicherung  geben  zu  können,  dass  ein  Fremdkörper  in  der  Nase  skaum 
mehr  sitzen  könne.  Durch  die  Anwendung  der  Röntgenstrahlen  wurde  ofort 
die  Anwesenheit  und  der  genaue  Sitz  des  Fremdkörpers  in  der  Nase  fest- 
gestellt. Der  praktische  Wert  der  X-Strahlen  tritt  auch  besonders  dann 
hervor,  wenn  es  sich  um  den  Nachweis  vielleicht  zurückgelassener  Stücke 
handelt,    oder   wenn   nach  Entfernung   eines  Fremdkörpers  die  Beschwerden 


IN  DER  RHINO-LARYNGOLOGIE.  575 

noch  fortbestehen.  So  ist  mir  gerade  ein  Fall  in  Erinnerung,  wo  der  Patient 
kurze  Zeit,  nachdem  ich  ihm  einen  Knochensplitter  aus  dem  Zungengrunde 
entfernt  hatte,  wiederkam,  mit  der  Behauptung,  es  müsse  ihm  der  Ilammel- 
knochen  noch  im  Halse  stecken  oder  er  müsse  noch  einen  verschluckt  haben. 
Die  genaueste  pharyngo-  und  laryngoskopische  Untersuchung  konnte  nichts 
ergeben.  Trotzdem  blieb  er  bei  seiner  Ansicht  und  war  erst  dann  beruhigt, 
als  auch  die  Durchleuchtung  mit  den  Röntgenstrahlen  einen  Fremdkörper 
nicht  constatiren  konnte. 

Bedeutungsvoll  ist  die  diagnostische  Verwertbarkeit  der  X-Strahlen  für 
den  sichtbaren  Nachweis  von  Fremdkörpern,  wie  Kugeln  bei  Schussverletzungen 
des  Kopfes,  für  die  schnelle  und  leichte  Feststellung  der  Lage  der  Fremd- 
körper, zumal,  ohne  dem  Patienten  Schaden  zufügen  zu  brauchen  und  ohne 
j'ede  schmerzhafte  Empfindung  für  den  Verletzen  der  Sitz  derselben  erkannt 
werden  kann.  So  gelang  es  uns  auf  diese  Weise  Kugeln  im  Antrum  High- 
mori  nachzuweisen,  was  man  ohne  chirurgischen  Eingriff  gar  nicht  hätte  fest- 
stellen können.  Sehr  interessant  ist  ein  Fall  von  Schussverletzung,  dessen 
Betrachtung  uns  so  recht  die  Tragweite  und  den  Wert  der  X-Strahlen  zeigt. 
Infolge  der  Schussverletzung  war  eine  Lähmung  des  rechten  N.  trigem  mit  Aus- 
nahme seines  motorischen  Astes  des  rechten  Olfactorius  und  Opticus  eingetreten. 
Gleich  nach  dem  Unfälle  wurde  versucht,  die  Kugel  aus  dem  Schädel  zu  entfernen, 
aber  ohne  Erfolg.  Den  Sitz  der  Kugel  vermutheten  wir  in  den  Siebbeinzellen, 
möglicherweise  auch  in  der  Stirnhöhle.  Einige  Jahre  nach  dem  Unfall  trat  der 
Patient  mit  einer  starken  Naseneiterung  wieder  in  Behandlung.  Wir  glaubten,  da 
verschiedene  andere  Symptome  dafür  noch  sprachen,  dass  die  Eiterung  auf  die 
Anwesenheit  der  Kugel  in  einer  Nebenhöhle  der  Nase,  höchstwahrscheinlich 
Stirnhöhle,  zurückzuführen  sei.  Bevor  jedoch  zur  Eröffnung  des  Sinus  frontalis 
geschritten  wurde,  um  die  Kugel  zu  entfernen,  nahmen  wir  zur  Sicher- 
stellung der  vermeintlichen  Diagnose  über  den  Sitz  der  Kugel  noch  eine 
Aufnahme  mittels  Röntgenstrahlen  vor.  Bei  der  einfachen  Durchleuchtung 
mit  dem  Schirm  konnte  man  von  einer  Kugel  nichts  wahrnehmen;  die  photo- 
graphische Aufnahme  ergab  aber  das  überraschende  Resultat,  dass  die  Kugel 
gar  nicht  im  vorderen  Theil  des  Kopfes  sich  befand,  sondern  im  hinteren 
Theile  in  der  Gegend  des  rechten  Felsenbeines.  Zur  genaueren  Lagebestim- 
mung des  Fremdkörpers  ist  es  natürlich  nöthig,  die  Lichtquelle  von  ver- 
schiedenen Richtungen  auf  den  Kopf  einwirken  zu  lassen,  einmal  seitlich  und 
das  andere  Mal  von  vorn  nach  hinten.  Durch  die  Vereinigung  beider  photo- 
graphischen Aufnahmen  wird  man  die  Lage  des  Fremdkörpers  meist  fest- 
stellen können.  In  vielen  Fällen  ■  wird  es  nöthig  sein,  die  Aufnahme  des 
Kopfes  nicht  allein  in  sagittaier  und  transversaler  Durchleuchtung  vorzu- 
nehmen, sondern  in  den  verschiedensten  Richtungen,  wobei  zur  Orientirung 
auch  Metallmarken  an  der  Haut  angebracht  werden  können.  So  kommt  es 
vor,  dass  die  Kugel  beim  Hindurchgehen  durch  den  Knochen  und  Wieder- 
aufschlagen auf  einen  anderen  Knochen  zuweilen  ganz  platt  gedrückt  wird. 
Eine  Aufnahme  von  der  Seite  könnte,  falls  die  Kugel  mit  der  grössten  Breite 
parallel  der  Medianebene  des  Kopfes  liegen  würde,  wo  die  Kugel  demnach 
nur  eine  geringe  Dicke  haben  würde,  einen  nur  schwachen  Schatten  von  dem 
Projectil  auf  dem  Bilde  ergeben,  der  vielleicht  gar  nicht  erkennbar  sein  und 
sich  von  dem  Nachbarschatten  für  unser  Auge  gar  nicht  abgrenzen  lassen 
würde.  Dagegen  würde  eine  Aufnahme,  vorgenommen  in  einer  anderen 
Richtung,  wo  also  die  X-Strahlen  in  einem  anderen  Durchmesser  die  Kugel 
durchsetzen,  einen  kräftigeren  leichter  erkennbaren  Schatten  auf  dem  Bilde 
hervorbringen.  So  musste  ich  in  einem  Falle  von  Schussverletzung  des 
Olfactorius  die  Aufnahme  von  den  verschiedensten  Richtungen  aus  machen, 
so  dass  erst  aus  der  Combination  der  einzelnen  Skiagramme  der  Sitz  der  Kugel 
in  den  Siebbeinzellen  festgestellt  werden  konnte.     Um  den  Sitz  eines  Fremd- 


576  RÖNTGENUNTERSUCHUNG 

körpers  noch  genauer  bestimmen  zu  können,  sind  die  mannigfachsten  Vor- 
schläge gemacht  worden;  ich  will  nur  erwähnen,  dass  Exnek  einen  besonderen 
Apparat  beschrieben  hat,  welcher  es  ermöglicht,  allerdings  mit  Hilfe  der 
Rechnung,  verhältnismässig  einfach  auf  dem  Schirm  Lage  und  Form  von 
Fremdkörpern  zu  bestimmen.  Man  muss  aber  wohl  berücksichtigen,  dass 
mittels  der  X-Strahlen  der  Sitz  eines  Fremdkörpers  niemals  ganz  mathematisch 
genau  bestimmt  werden  kann,  sondern  infolge  der  perspectivischen  Verzerrung 
nur  annähernd.  Wir  müssen  deshalb  bei  der  Deutung  des  gewonnenen 
Schattenbildes  niemals  vergessen,  unsere  sonstigen  diagnostischen  Erwägungen 
an  der  Hand  des  klinischen  Befundes  mitzuverwerten. 

Ebenso  wie  man  die  Röntgenstrahlen  zur  Diagnosenstellung  eines  Fremd- 
körpers in  den  oberen  Luftwegen  verwenden  kann,  so  haben  wir  auch  zuweilen 
Gelegenheit  genommen,  den  Fremdkörper  bei  directer  Durchleuchtung  und 
Beobachtung  auf  dem  Schirm  zu  entfernen.  Der  Durchleuchtungsschirm  wird 
hierbei  von  der  einen  Hand  oder  der  des  Assistenten  an  den  Kopf,  resp.  die 
Halsseite  herangehalten,  während  man  mit  der  freien  Hand  mittels  einer 
Zange  den  Fremdkörper  zu  fassen  sucht. 

h)  Schon  auf  dem  Naturforscher-Congress  in  Frankfurt  am  Main    hatte 
ich  mitgetheilt,  dass  wir  in  den   X-Strahlen  ein    Mittel  haben,  uns    auf  ein- 
fache und  schnelle  Weise  von  der  Existenz   der  Nebenhöhlen  der  Nase    und 
deren  Grösse    zu   überzeugen.     Namentlich   tritt  die    Stirnhöhle  als   hellerer 
Schatten  aus   der  dunklen   Umgebung  hervor,    in  einzelnen  Fällen    erscheint 
dieselbe    ganz  hell,  als  ein  grosses,  fast  rechtwinkliges  Dreieck  auf  dem  Durch- 
schnitt   und  grenzt  sich  scharf  gegen  die  Nachbarschaft   ab.    Man   kann  auf 
diese   Weise  genau  erkennen,  ob  bei  dem  betreffenden  Individuum  eine  Stirn- 
höhle vorhanden  ist,  wie  hoch  dieselbe    nach  oben  zieht   und  wie  weit   nach 
hinten,  und  wie  dick  die  vordere  Wand  der  Höhle  ist.     W^ir  hatten  bis  dahin 
keine    Methode,  uns  darüber  zu  vergewissern,  ob  bei  dem  zu  untersuchenden 
Patienten    eine  Stirnhöhle  vorhanden  ist  oder  nicht.    Nicht  selten  wurden  bei 
Eiterungen   der  Nase,  deren  Herkunft  man  aus  dem  Sinus  frontalis  zu  constatiren 
glaubte,    Eröffnungen  desselben  vorgenommen,  wo  sich  alsdann  bei  der  Opera- 
tion   ergab,  dass  gar  keine  Höhle  vorhanden  war.     Schon  hieraus   sehen  wir 
die  Wichtigkeit  der  Durchleuchtung  für  die  Rhinochirurgie.     Bei  der  Unter- 
suchung muss,  wie  wir  schon  vorhin  erwähnten,  darauf  geachtet  werden,  dass 
die  Röhre  stets  so  gestellt  wird,  dass  die  Strahlen  möglichst  durch  die  Mitte 
der  zu  untersuchenden  Höhle  hindurchgehen,  und  die  Entfernung  der  Licht- 
quelle genau  bestimmt  ist.    Die  Schattenligur  wird  sonst  perspectivisch  ver- 
zerrt und  würde  zu  falschen  Schlüssen  und  Fehlern  führen.   Auf  dem  Schirm 
sieht  man  mehr  den  rechten  Sinus,  wenn    die  linke  Seite  des  Gesichtes   der 
Röntgenbirne  und  die  rechte  dem  Schirm  zugewandt  ist,  also  stets  die  Seite, 
die  dem  Schirm  am   nächsten   liegt.     Der   Nachtheil    der    seitlichen    Durch- 
leuchtung ist  natürlich  der,  dass  man  nicht  jede  Höhle  für  sich  allein  sieht, 
sondern  dass  die    Strahlen   durch  beide   Höhlen   gemeinsam   gehen;    deshalb 
kann  man  auch  über  die   seitliche   Ausdehnung   der   Stirnhöhle  durch    diese 
Art  der  Untersuchung  schwer  etwas  aussagen.    Durchleuchtet  man  den  Kopf 
von  hinten  nach  vorne,  so  bekommt   man  wegen  der  Undurchsichtigkeit  der 
Schädelhöhle  nur  ganz  selten  von  der  Stirnhöhle  etwas  zu  sehen.    Wohl  aber 
gelingt  es  bei  der  photographischen   Aufnahme,  wobei    die  Platte  gegenüber 
dem  Gesicht  liegt,    die  Stirnhöhle   jeder   Seite    einzeln   zur   Darstellung   zu 
bringen,  mit  einander  zu   vergleichen    und  so  auch    den   Breitendurchmesser 
der  Höhle  festzustellen.     Selbstverständlich  wird  man  nicht   im  Stande  sein, 
nun    mittelst    der   X-Strahlen  die    Grösse    und   Ausdehnung    der   Stirnhöhle 
mathematisch  genau   anzugeben,  sondern  nur  annähernd,  so  dass  die    Grösse 
des  weissen  Fleckes  nicht  immer  mit  der  Grösse  der  Stirnhöhle  correspondirt. 
Ich  muss  bemerken,  dass  es  Fälle  geben  mag,  wo  durch  ausnahmsweise  starke 


IN  DER  RHINO-LARYNGOLOGIE.  577 

Knochen  der  weisse  Fleck,  den  sonst  die  Stirnhöhle  gibt,  verdeckt  werden 
kann.  Auch  Flatau  ist  der  Meinung,  dass  durch  die  Anwendung  des 
KöNTGEN'schen  Verfahrens  die  Frage  nach  dem  Vorhandensein  und  nach  der 
Ausdehnung  der  Nebenhöhlen  der  Nase  sich  ziemlich  genau  beantworten  lässt. 

Es  ist  sehr  schwierig,  die  Eöntgenstrahlen  für  die  Feststellung  von  Ei- 
terung der  Nebenhöhlen  anzuwenden  und  aus  dem  Befund  allein  ein  Empyem 
zu  diagnosticiren.  Will  man  die  eine  Stirnhöhle  des  Patienten  mit  der  an- 
deren vergleichen  und  nun  einen  Unterschied  in  der  Helligkeit  der  beiden 
Höhlen  wahrnehmen,  so  kann  man  sehr  leicht  hierbei  Täuschungen  ausgesetzt 
sein.  Wenn  man  beim  Umdrehen  des  Kranken  um  einige  Centimeter  mit  dem 
Kopfe  der  Birne  sich  nähert,  so  treten  dadurch  schon  Helligkeitsditferenzen 
ein.  Ferner  ist  es  auch  nicht  leicht,  den  Grad  der  Helligkeit  der  beiden 
Seiten  aus  der  Erinnerung  auf  dem  Schirmbilde  zu  vergleichen.  Hierzu 
tritt  nun  noch  der  Umstand,  dass  die  beiden  Gesichtshälften  nicht  ganz 
symmetrisch  gebaut  sind,  dass  die  Höhlen  verschieden  dicke  Wandungen  haben 
u.  s.  w.  Untersuchten  wir  nämlich  Individuen  mit  gesunden  Oberkieferhöhlen 
resp.  Stirnhöhlen,  natürlich  bei  Beobachtung  aller  Cautelen,  so  kann  man 
in  vielen  Fällen  keinen  Enterschied  in  der  Helligkeit  der  beiden  Kieferhöhlen 
erkennen,  ganz  gleich,  ob  man  die  rechte  oder  linke  Seite  des  Gesichtes  an 
den  Schirm  hält.  Oft  aber  zeigte  sich  doch  eine  augenscheinliche  Differenz 
im  Schattenbilde  in  Fällen,  wo  mit  Sicherheit  eine  Eiterung  ausgeschlossen 
werden  konnte.  Genau  so  wie  die  einfache  Durchleuchtung  der  Oberkiefer- 
höhle mit  dem  elektrischen  Glühlämpchen  nicht  ein  diagnostisches  Mittel  ist, 
auf  Grund  dessen  wir  mit  Sicherheit  entscheiden  können,  ob  die  zu  unter- 
suchende Höhle  gesund  oder  krank  ist,  ebenso  unsicher  und  trügerisch  sind 
auch  die  Schlüsse,  die  man  aus  der  Durchleuchtung  mit  den  X-Strahlen  allein 
ziehen  würde.  Immerhin  ist  die  Beobachtung  auf  dem  Schirm  ein  sehr  wert- 
volles Unterstützungsmittel  für  Feststellung  einer  schon  auf  andere  Weise 
gestellten  Diagnose.  Glauben  wir  mit  Hilfe  der  bisherigen  Methoden  ein 
Empyem  feststellen  zu  können,  und  sehen  wir  nun  an  der  vermuthlich  er- 
krankten Seite  den  Schatten,  den  das  Antrum  gibt,  dunkler  als  auf  der  ge- 
sunden Seite,  so  ist  dieser  Befund  doch  immer  eine  sehr  gute  Bestätigung 
für  unsere  Diagnose.  Auch  A.  Kosenberg  schliesst  sich  dieser  Ansicht 
an,  dass  unsere  Diagnose  durch  die  Durchleuchtung  eben  mit  grösserer  Sicher- 
heit gestellt  werden  kann,  und  dass  die  Bestätigung  einer  auf  anderer  Grund- 
lage ruhenden  Diagnose  durch  den  Gesichtssinn  ein  sehr  wertvolles  Unter- 
stützungsmoment ist.  Fehlen  jedoch  die  für  das  Empyem  sonstigen  charak- 
teristischen Symptome,  so  ist  es  nicht  gestattet,  aus  dem  Resultat  der  Diascopie 
einen  Schluss  zu  ziehen;  höchstens  kann  der  Verdacht  auf  eine  Erkrankung 
erweckt  werden. 

Da  man  auf  dem  Schirmbilde  deutlich  sehen  kann,  wie  die  Zähne  in  die 
Höhle  des  Oberkiefers  hineinragen,  so  kann  man  bei  Eiterungen  des  Antrums 
auf  diese  Weise  eventuell  den  dentalen  Ursprung  der  Eiterung  constatiren 
und  zugleich  auch  feststellen,  welcher  von  den  schlechten  Zähnen  extrahirt 
werden  muss,  damit  dadurch  gleichzeitig  das  Antrum  eröffnet  werden  kann. 
Ebenso  leisten  die  Röntgenstrahlen  gute  Dienste  bei  Feststellung  des  Sitzes 
von  verlagerten  und  überzähligen  Zähnen. 

Um  jede  Höhle  einzeln  zu  durchleuchten,  hat  der  um  das  Röntgenver- 
fahren hochverdiente  Macintyee  empfohlen,  kleine  Schirme  in  den  Mund  ein- 
zuführen. Wohl  zu  gleicher  Zeit  hatten  auch  wir  derartige  Versuche  ange- 
stellt. Ein  Stück  Schirm  von  circa  2  bis  3  cm  Länge  und  Breite  auf  beiden 
Seiten  mit  dünnem  hellen  Celluloid  belegt  und  mit  einer  Fassung  zusammen- 
gehalten, wird  mittelst  eines  Handgriffes  an  den  harten  Gaumen  gelegt,  wäh- 
rend die  Birne  sich  in  der  Stirngegend  befindet.  Mittelst  eines  gewöhnlichen 
Kehlkopfspiegels  kann  man  nun  das  Schirmbild  auffangen.  Praktische  Erfolge 

Ohren-,  Nasen-,  Kachfn-,  Kehlkopfkranklieiten.  ^i 


578  RÖNTGENUNTERSUCHUNG 

haben  wir,  abgesehen  von  Ermittelung  von  Fremdkörpern,  bei  dieser  Art  der 
Untersuchung  nicht  gesehen. 

c)  Die  Durchleuchtung  kann  auch  dazu  herangezogen  werden,  die  Frage 
über  die  Möglichkeit  der  Stirnhöhlensondirung  beim  Lebenden  zu  lösen.  Die  Mei- 
nungen gehen  ja  über  das  Procentverhältnis,  in  dem  die  Sondirung  in  vivo 
möglich  ist,  weit  auseinander.  Während  die  einen  Autoren  behaupten,  dass 
die  Sondirung  per  vias  naturales  in  den  meisten  Fällen  ohne  Schwierigkeit 
zu  erreichen  sei,  ist  nach  Berichten  anderer  die  Sondirung  ohne  vorbereitende 
Operation  sehr  schwierig,  meist  sogar  unmöglich.  Hierzu  kommt  nun  noch 
der  Umstand,  dass  man  es  bis  dahin  beim  Lebenden  niemals  mit  voller  Be- 
stimmtheit sagen  konnte,  ob  die  Sonde  wirklich  in  der  Stirnhöhle  sich  be- 
findet oder  nicht,  vielmehr  in  einer  hoch  hinaufreichenden  Siebbeinzelle.  Wir 
hatten  eben  bis  jetzt  keine  vollkommen  einwandsfreie  und  sichere  Methode,  in 
vivo  die  gelungene  Sondirung  wirklich  zu  beweisen,  abgesehen  von  den 
wenigen  Fällen,  wo  gerade  die  Stirnhöhle  vorn  offen  war.  Erst  die  Durch- 
leuchtung des  Kopfes  mittelst  der  X-Strahlen  setzt  uns  allein  in  den  Stand, 
mit  vollkommener  Bestimmtheit  anzugeben,  ob  die  Sondirung  geglückt  ist 
oder  nicht.  Sie  beweist,  dass  die  Sondirung  in  vielen  Fällen  wohl  gelingt  (in 
40  daraufhin  untersuchten  Fällen,  gelang  sie  uns  5  mal),  ja,  dass  sie  bisweilen 
sogar  leicht  auszuführen  ist. 

d)  Ueber  eine  praktische  Anwendung  der  Röntgenstrahlen  im  Dienste 
der  Rhinochirurgie  hat  Spiess  berichtet.  Er  ist  von  dem  Gedanken  ausge- 
gangen, dass  sich  die  Gefahren,  welche  die  Eröffnung  der  Stirnhöhle  nach 
ScHÄFFER  von  der  jS^ase  aus  mit  sich  bringt,  leicht  vermeiden  lassen,  und 
dass  damit  auch  die  endonasale  Eröffnung  des  Sinus  mit  ihren  grossen  Vor- 
zügen gegen  die  Aufmeiselung  desselben  von  aussen  wieder  in  ihr  Recht 
treten  würde,  sobald  es  nur  gelänge,  das  operirende  Instrument  bei  seinem 
Vordringen  zu  verfolgen.  Die  Unsicherheit  der  ScHÄFFER'schen  Methode,  die 
durch  unser  Unvermögen  bedingt  war,  uns  von  den  anatomischen  Verhältnissen 
der  Stirnhöhle,  der  Schädelbasis  etc.  am  Lebenden  schon  Rechenschaft  zu 
geben,  ist  es,  die  durch  Mitwirkung  der  Röntgenstrahlen  sicher  zu  beseitigen 
ist.  Mit  ihrer  Beseitigung  aber  ist  auch  die  ScHÄFFER'sche  Methode  von 
einem  neuen  Gesichtspunkte  zu  beurtheilen,  sie  kann  wieder  in  ihre  Rechte 
treten,  denn  sie  hat  das  „ihr  anhaftende  Unheimliche"  verloren.  Da  man  nun 
bei  der  Trepanation  des  Sinus  von  der  Nase  aus  das  eingeführte  Instrument 
(einen  von  einem  Elektromotor  getriebenen  Bohrer)  jeden  Moment  in  seinen 
Bewegungen  auf  dem  Schirm  genau  verfolgen  kann,  so  ist  jede  Gefahr  aus- 
geschlossen. Man  kann  zu  jeder  Zeit  sehen,  ob  man  zu  weit  nach  hinten,  ob 
zu  weit  nach  vorne  operirt,  wie  weit  man  von  der  Höhle  entfernt  ist,  oder  ob 
man  schon  in  derselben  sich  befindet.  Spiess  hat  nicht  au  der  von  Schäffer 
angegebenen  Stelle  den  Sinus  perforirt,  sondern  einen  mehr  nach  vorn  gele- 
genen Eröffnungspunkt  gewählt.  Von  dieser  Oeft'nung  aus  kann  man  alsdann 
den  ganzen  Boden  abtragen  und  es  ermöglichen,  ein  gründliches  Abkratzen 
aller  Buchten  vorzunehmen.  Damit  würde  man  im  Stande  sein,  die  Behand- 
lung des  Stirnhöhlenempyems  auch  in  seinen  schweren  Formen  dem  Rhinologen 
wiederzugeben,  nachdem  sie  bereits  dem  Chirurgen  ganz  überlassen  war.  Bei 
dem  Vorhandensein  aller  erforderlichen  Apparate  verbindet  diese  Methode 
Einfachheit  und  Schnelligkeit  mit  grösster  Sicherheit.  Auf  diese  Weise  hat 
Spiess  drei  Fälle  operirt.  Auch  bei  Eröffnung  der  Keilbeinhöhle  leistete  ihm 
diese  Methode  gute  Dienste. 

e)  In  weiterer  Weise  wurde  das  Röntgenverfahren  benutzt,  um  Ge- 
schwülste, deren  Grösse  und  Ausbreitung  zur  Darstellung  zu  bringen  (Büttner 
und  Müller,  Oberkiefersarkom).  Edmund  Meyer  zeigte  in  einer  der  letzten 
Sitzungen  der  medicinischen  Gesellschaft  zu  Berlin  ein  Sciagramm  von  einem 
Sarkom  der  rechten  Oberkieferhöhle,    das    schon    den  Orbitalboden    ergriffen 


IN  DER  RIIINO-LARYNGOLOGIE.  579 

hatte.  GuuNMACii  ist  es  gelungen,  in  drei  Fällen  von  Struma,  in  denen  die 
Kranken  über  grosse  Athemnoth  klagten,  bei  seitlicher  Durchstrahlung  des 
Halses  eine  deutliche  Verengerung  der  Luftröhre  zu  constatiren.  Dieselbe 
zeigte  sich  als  ein  feiner  mattheller  Streifen  im  dunklen  Schattenbildo  des 
Halses,  während  unter  normalen  Verhältnissen  die  Luftröhre  als  ein  finger- 
breiter heller  Streifen  erscheint.  Auch  wir  konnten  in  mehreren  Fällen  die 
zur  Säbelscheide  zusammengepresste  Luftröhre  sehen. 

Schon  unmittelbar  nach  der  Publication  Röntgen's  hatte  Sir  Felix 
Semon  auf  die  praktische  Tragweite  der  grossartigen  Entdeckung  aufmerksam 
gemacht,  und  die  Hoffnung  ausgesprochen,  dass  die  neue  Methode  von  grösster 
Wichtigkeit  für  die  Diagnose  mancher  Kehlkopfkrankheiten,  vor  allem  für  die 
Ditferentialdiagnose  zwischen  gutartigen  und  bösartigen  Neubildungen  des 
Kehlkopfes  werden  dürfte.  Dieser  Anregung  folgend,  haben  wir  diesbezügliche 
Versuche  während  der  ganzen  Zeit  angestellt.  Bis  jetzt  war  es  aber  nicht 
möglich,  gutartige  und  bösartige  Geschwülste  des  Kehlkopfes  mittelst  der 
Köntgenstrahlen  differenziren  zu  können.  Da  eben  die  normalen  Stimmbänder 
im  ganzen  weniger  dichte  Körper  darstellen,  als  die  umgebenden  Knorpel,  so 
wird  die  Hoffnung,  die  Stimmbänder  im  Röntgenbilde  zu  erkennen,  schon  aus 
theoretischen  Gründen  ja  wohl  unmöglich  sein.  Es  müssen  sich  eben  günstige 
Dichtigkeitsdifferenzen  gegenüberstehen,  wohl  aber  gelingt  es  in  den  Fällen, 
wo  der  Ventriculus  Morgagni  durch  einen  helleren  Schatten  auf  dem  Schirm- 
bilde erkenntlich  ist  (es  ist  dies  bei  Leuten,  bei  denen  diese  Stelle  in  der 
Schildknorpelplatte  noch  nicht  verknöchert  ist),  Tumoren  der  Stimmbänder 
von  derber  Consistenz  und  genügender  Grösse  zu  erkennen.  Man  muss  natür- 
lich wiederum  dabei  bedenken,  dass  diese  kleinen  dunklen  Schatten  von  einem 
Kalk-  resp.  Verknöcherungspunkt  der  Schildplatte  herrühren  können.  Aber 
auch  diesen  Einwand  könnte  man  bei  genauerer  Beobachtung  ausschliessen,  da 
die  Verknöcherung  eben  symmetrisch  auf  beiden  Seiten  vor  sich  geht  und  man 
also  den  Kalkfleck  beiderseits  sehen  würde.  Je  dichter  und  fester  die  Ge- 
schwulst ist,  um  so  dunkler  ist  auch  der  Schatten.  Da  jedoch  gutartige  Ge- 
schwülste ebenso  feste  Consistenz  haben  können  als  bösartige,  so  ist  auf 
diesen  Befund  für  die  Differentialdiagnose  demnach  nicht  viel  zu  geben. 

f)  "Wenn  auch  die  Untersuchung  der  intrathoracischen  Geschwülste  nicht 
ganz  m  das  Gebiet  der  Laryngologie  fällt,  so  haben  wir  doch  recht  oft  Ge- 
legenheit, uns  auch  mit  diesen  Tumoren  zu  beschäftigen,  da  dieselben  zu- 
weilen Lähmungen  der  Stimmbänder  herbeiführen  und  Verengerungen  der 
Luftwege  zur  Folge  haben.  Gerade  bei  Erkrankungen  der  im  Mediastinum 
gelegenen  Organe  hat  sich  die  Durchleuchtung  von  hervorragender  Bedeutung 
gezeigt.  Diese  Untersuchungsmethode  hat  sich  sowohl  zur  Bestätigung  einer 
schon  gestellten  Diagnose  bewährt,  als  auch  eine  Erkrankung  im  Mediastinum 
festgestellt,  welche  mittelst  der  bisherigen  Methoden  gar  nicht  gefunden 
werden  konnte.  Die  Literatur  über  Fälle  von  Aneurysmen  des  Arcus  aortae, 
welche  schon  durch  die  gewöhnliche  objective  Untersuchung  diagnosticirt 
wurden,  und  bei  denen  die  Durchleuchtung  nur  zur  Bestätigung  der  Diagnose 
vorgenommen  wurde,  ist  schon  eine  sehr  grosse.  Aber  auch  schon  viele  Fälle 
sind  publicirt,  bei  denen  die  objective  Untersuchung  normale  Verhältnisse 
ergab,  wo  niemals  das  geringste  auscultatorische  oder  sonstige  physikalische 
Zeichen  für  Aneurysma  gefunden  werden  konnte,  während  es  mittelst  der 
X-Strahlen  gelang,  ein  ausgesprochenes  Aortenaneurysma  festzustellen.  Ich 
erinnere  nur  an  Fälle,  wie  Aeon,  Wassermann,  Sendziak,  bei  denen  als  Ur- 
sache für  die  linksseitige  Recurrensparalyse  einzig  und  allein  durch  die 
Durchleuchtung  ein  Aneurysma  festgestellt  wurde.  Sehr  eingehend  berichtet 
an  der  Hand  zahlreicher  Beobachtungen  Albert  Rosexberg  in  dem 
FRÄNKEL'schen  Archiv  für  Laryngologie  über  die  Bedeutung  der  Rönt- 
genstrahlen   für    die    Diagnose    dieser    Geschwülste.      Nach    Rosenberg, 

37* 


580  EÖNTGENÜNTERSUCHUNG 

auf  dessen  Darlegungen  icli  bei  der  grossen  Wichtigkeit  dieses  Gegenstandes 
hier  ausführlicher  eingehen  möchte,  ist  die  Dichtigkeit  des  Schattens,  den 
wir  auf  dem  Schirm  sehen,  sehr  verschieden.  „Sie  ist  natürlich  proportional 
dem  specitischen  Gewichte  derjenigen  Gewebe,  die  die  Strahlen  nicht  hindurch- 
gehen lassen,  so  dass  z.  B.  Lymphome,  die  ein  geringeres  specifisches  Gewicht 
haben,  einen  weniger  intensiven  Schatten  geben  als  z.  B.  ein  Carcinom  von 
gleicher  Grösse.  ,Es  ist  dies  aber  keineswegs  ein  absolut  sicherer  Satz,  der 
keine  Ausnahme  zulässt,  sondern  er  ist  nur  das  combinatorische  Resultat 
aus  den  bisher  bei  dem  Studium  der  Eöntgenstrahlen  gefundenen  Beobach- 
tungen. Natürlich  kann  z.  B.  innerhalb  eines  Lymphomschattens  ein  inten- 
siver Schatten  dadurch  entstehen,  dass  im  Innern  desselben  Verkalkungen 
eintreten.  Auf  diese  und  ähnliche  Weise  können  mannigfache  Nuancirungen 
vorkommen,  die  den  obigen  Satz  modificiren.  Was  nun  die  Form  des  Schattens 
auf  dem  Schirmbilde  betrift't,  so  ist  diese  für  die  Diagnose  schon  von  grösserer 
Bedeutung.  Beim  Aneurysma  finden  wir  eine  charakteristische  Form,  nämlich 
einen  rundlichen,  ungefähr  einem  Theile  der  Peripherie  eines  Kreises  oder 
einer  Ellipse  entsprechend  contourirten  Schatten,  und  zwar  einen  nach  allen 
Seiten  hin  pulsirenden.  Dagegen  sieht  man  bei  soliden  Geschwülsten,  bei 
den  Mediastinaltumoren,  verschiedene  Formen,  gewöhnlich  einen  Schatten, 
der  mehr  geradlinig,  beiderseits  begrenzt  nach  oben  aufsteigt  oder  unregel- 
mässige Figuren  bilden  kann,  jedenfalls  aber  nie  oder  fast  nie  einen  so  runden, 
wie  den  beim  Aneurysma  aortae.  Von  letzterem  unterscheidet  er  sich  ausser- 
dem durch  den  Mangel  einer  allseitigen  Pulsation.  Die  Oesophagustumoren 
sieht  man  meist  substernal,  und  sie  machen  sich  für  gewöhnlich  dadurch 
bemerkbar,  dass  der  Sternalschatten  nach  einer  Seite  oder  nach  beiden  hin  ver- 
breitert ist.  Bei  retrosternalen  Strumen  sieht  man  beim  Schluckact  eine  Be- 
wegung, ein  in  die  Höhe  Steigen  des  Schattens,  so  dass  diese  Geschwülste  von 
den  anderen  auch  actinoskopisch  unterschieden  werden  können."  Koch  vor 
kurzem  untersuchten  wir  einen  Patienten,  der  an  einer  schon  seit  längerer  Zeit 
bestehenden  rechtsseitigen  Recurrenslähmung  litt.  DasEigenthümliche  in  diesem 
Falle  war  noch,  dass  die  heisere  Stimme  vollkommen  versagte,  wenn  der  Patient 
den  Kopf  nach  der  linken  Schulter  neigte.  Eine  Ursache  für  die  Paralyse  konnten 
wir  nicht  finden.  Die  Durchleuchtung  aber  ergab  sofort  an  der  rechten  Seite  der 
Wirbelsäule  einen  stark  ausgesprochenen  circumscripten  Schatten,  der  nicht 
pulsirte.  Die  Annahme  eines  Mediastinaltumors  war  darnach  gerechtfertigt. 
Bei  der  Untersuchung  thut  man  gut,  wie  Rosenberg  sagt,  den  Kranken 
tief  einathmen  und  dann  den  Athem  anhalten  zu  lassen,  weil  man  dabei  ein- 
mal die  respiratorischen  Bewegungen  des  Thorax  ausschaltet  und  andererseits 
bei  aufgeblähten  Lungen  und  der  weiteren  Entfernung  der  Rippen  von  ein- 
ander eine  bessere  und  deutlichere  Uebersicht  gewinnt.  Die  Pulsationen  sieht 
man  natürlich  vollkommener  auf  dem  Schirm  als  auf  der  Photographie,  weil 
auf  letzterer  das  diastolisch  verbreiterte  Gefäss  ja  nicht  so  lange,  sondern 
immer  durch  die  Pause  der  Systole  unterbrochen,  exponirt  wird.  Dement- 
sprechend sieht  man  auf  der  Photographie  die  systolische  Contour  als  Kern- 
schatten, während  die  Diastole  sich  nur  durch  einen  Hauch  von  Schatten 
bemerkbar  macht.  Den  Schatten  eines  Aneurysmas,  das  den  aufsteigenden 
oder  concaven  Theil  dieses  Gefässes  einnimmt,  sieht  man,  wenn  man  von 
vorn  nach  hinten  durchleuchtet,  auf  dem  dem  Rücken  aufgelegten  Schirm 
grösser  und  deutlicher,  weil  es  der  vorderen  Thoraxwand  näher  liegt  als  der 
hinteren.  Man  muss  den  Kranken  von  vorn  und  von  hinten  durchleuchten, 
und  aus  der  Differenz  der  Grösse,  die  man  bei  diesen  beiden  Versuchs- 
anordnungen findet,  wird  man  sich  annähernd  ein  Bild  machen  können  ein- 
mal von  der  wahren  Grösse  der  Geschwulst  und  dann  gleichzeitig  von  dem 
Lageverhältnis  derselben  zur  vorderen  und  hinteren  Wand.  Die  Bestimmung 
der  Lage  einer  Geschwulst  in  dem  Tiefendurchmesser   des  Brustkorbes   kann 


IN  DER  RHINO-LARYNGOLOGIE.  581 

man  auch  durch  eine  quere  Durchstrahlung  genauer  feststellen,  indem  man 
ihr  Verhältnis  zum  Herzschatten  und  zu  dem  der  Wirbelsäule  berücksichtigt. 
Die  Schattenbilder  sind  aber  in  diesem  Falle  bei  weitem  nicht  so  deutlich 
wie  bei  sagittaler  Durchleuchtung."  So  wertvolle  Resultate  uns  auch  diese  Unter- 
suchungsmethode liefert,  so  gibt  sie  uns  nichtsdestoweniger  allein  an  und  für  sich 
durchaus  kein  so  ausreichendes  Material  für  eine  exacte  Diagnose,  vielmehr 
müssen  wir  die  so  gefundenen  Kesultate  combiniren  mit  den  durch  unsere 
bisherigen  Untersuchungsmethoden  festgestellten,  und  erst  aus  der  Summe 
aller  Befunde  werden  wir  uns  ein  klares  Bild  von  der  vorliegenden  Erkran- 
kung machen  können.  Andererseits  kann  unter  Umständen  die  Untersuchung 
mit  den  X-Strahlen  unsere  vorher  auf  Grund  der  üblichen  Methoden  aufgebaute 
Diagnose  umstossen  oder  modificiren.  Man  findet,  dass  die  Dämpfungsfiguren 
keineswegs  immer  genau  mit  den  Schattenfiguren  sich  decken,  und  diese 
Controle  durch  die  Durchstrahlung  kann  vielleicht  manches,  was  uns  in  Bezug 
auf  die  Deutung  einer  Dämpfung  Schwierigkeiten  bereitet,  aufhellen. 

Von  wie  grosser  Wichtigkeit  es  aber  ist,  das  bei  Lebzeiten  gewonnene 
Schirmbild  durch  die  Section  controliren  zu  können,  beweist  ein  Fall  un- 
serer Beobachtungen,  w'o  der  Patient  so  heftige  Schluckbeschwerden  hatte, 
dass  er  schon  seit  Monaten  nichts  Festes  herunterbekommen  konnte.  Die 
Durchleuchtung  ergab  ein  massiges  Aortenaneurysma,  welches  auf  die  gewöhn- 
liche Weise  nicht  nachw^eisbar  war.  Bei  der  Section  erwies  sich  aber  diese 
Annahme  als  trügerisch,  es  zeigte  sich  vielmehr  ein  mächtiges  Carcinom  der 
Cardia,  das  schon  den  oberen  Theil  des  Magens  ergriffen  hatte,  während  die 
Aorta  ganz  normal  befunden  wurde.  Wenn  demnach  auch  thatsächlich  die 
Durchleuchtung  bei  frühzeitiger  Erkennung  von  Aortenaneurysmen  sich  in 
vielen  Fällen  den  sonstigen  physikalischen  Untersuchungsmethoden  überlegen 
gezeigt  hat  und  nicht  bezv/eifelt  werden  kann,  dass  die  X-Strahlenanwendung 
uns  ermöglicht,  die  Diagnose  zu  einer  Zeit  schon  zu  stellen,  wo  die  Aus- 
cultation  und  Percussion  noch  keine  Veränderung  erkennen  und  uns  voll- 
kommen im  Stiche  lässt,  beziehungsweise  ungenügenden  Aufschluss  gibt,  so 
mahnt  uns  doch  die  Betrachtung  dieses  Falles  zu  einer  gewissen  Vorsicht  in 
der  Deutung  des  Röntgenbildes  bei  den  beginnenden  Aneurysmen,  namentlich 
von  solchen,  welche  noch  keine  physikalisch  nachzuweisenden  Erscheinungen 
zeigen.  Sehr  wahr  sagt  Dümsteey,  dass  ein  Röntgenbild  richtig  zu  deuten 
nicht  immer  leicht  sei  und  jemand,  der  mit  der  Untersuchungsmethode  nicht 
ganz  genau  vertraut  ist,  kann  leicht  dazu  kommen,  die  durch  fehlerhafte  Ein- 
stellung der  Lichtquelle  oder  des  Objects  oder  der  Platte  bewirkten  Ver- 
änderungen als  pathologische  Befunde  an  dem  Object  anzusehen.  Man  ist 
zweifellos  nicht  selten  in  der  Gefahr,  aus  dem  Röntgenbilde  falsche  Schlüsse 
zu  ziehen.  Ich  möchte  nur  daran  erinnern,  dass  auf  dem  vorletzten  Con- 
gresse  für  innere  Medicin  Levy-Doen  berichtete,  dass  eine  sehr  grosse  Anzahl 
von  Patienten,  die  wegen  der  verschiedensten  Beschwerden  zur  Untersuchung 
kamen,  ja  Leute,  die  ganz  gesund  waren,  auf  dem  Röntgenbilde  eine  leichte 
Ausbuchtung  der  Aorta  am  Arcus  zeigten.  Er  ist  daher  auch  der  Ansicht, 
dass  es  sich  um  eine  für  den  Träger  desselben  unerhebliche  Eigenthümlich- 
keit  handelt,  und  vermuthet,  dass  bei  der  Section  w^ohl  meist  eine  gesunde 
Intima  gefunden  werden  würde.  Wie  wir  nun  das  bei  Lebzeiten  gewonnene 
Röntgenbild  von  dem  vorher  erwähnten  Patienten  mit  dem  Sectionsbefund  in 
Einklang  zu  bringen  haben,  ist  uns  noch  nicht  recht  klar  geworden.  Auch 
RosENBEEG  citirt  einen  ähnlichen  Fall  und  erklärt  denselben  derartig,  dass, 
wenn  Geschwülste  im  hinteren  Mediastinum  sich  befinden  und  nun  von  hinten 
und  unten  her  die  Aorta  zusammendrücken,  es  zu  einer  Stauung  komme,  zu 
einer  Erweiterung  derselben,  und  diese  Erweiterung  mache  sich  bei  Leb- 
zeiten auf  dem  Schirm  bemerkbar  durch  eine  Verbreiterung  des  Aorten- 
schattens, der  auf  beiden  Seiten  des  Sternums  pulsire. 


582  EÖNTÖENUNTERSUCHÜNG 

g)  Macintyre  hat  die  Anwendung  der  X-Strahlen  noch  empfohlen  bei 
Fracturen  des  Oberkielers,  Jochbeins,  Zungenbeins  etc.  In  einem  Fall  von 
Kehlkopfbruch  haben  wir  zum  Nachweis  der  Difformität,  in  einem  Falle  von 
Unterkiefernekrose  zur  Darstellung  des  Knochendefectes  diese  Methode  erfolg- 
reich angewandt. 

Aiiwendiiiig  der  X-Strahlen  für  die  Physiologie. 

1.  Spracheund  Stimme.  Auf  dem  Schirm,  den  wir  dicht  an  die 
eine  Seite  des  Gesichtes  halten,  ganz  parallel  zur  Medianebene  desselben, 
bekommen  wir  einen  vollkommenen  Idealdurchschnitt  des  Ansatzrohres  zu 
sehen  und  können  nun  auf  directem  Wege  den  Mechanismus  der  menschlichen 
Sprache  studiren.  Eine  photographische  Aufnahme  vom  Kopfe  zu  machen  um 
zu  erkennen,  wie  sich  das  Ansatzrohr  bei  einem  bestimmten  Vocal  verhält, 
ist  uns  bis  jetzt  noch  nicht  gelungen.  Es  ist  eben  dazu  eine  Momentauf- 
nahme des  Kopfes  nöthig,  die  wir  aber  mit  unseren  jetzigen  Instrumenten 
noch  nicht  ausführen  können;  vielleicht  gelingt  es  bei  einer  weiteren  Vervoll- 
kommnung des  Instrumentariums.  Aber  selbst,  wenn  es  einmal  gelingen  sollte 
Momentaufnahmen  zu  machen,  so  sind  dieselben  zum  Studium  der  Sprach- 
physiologie wohl  unnöthig;  sehr  viel  mehr  wie  auf  dem  Schirmbilde  wird  man 
auf  der  photographischen  Platte  wohl  auch  nicht  erkennen.  Das  Schirmbild 
gestattet  auf  diesem  Gebiete  viel  sicherere  und  deutlichere  Schlüsse  wie  ein 
Photogramra,  da  es  sich  ja  gerade  hier  um  Veränderungen  handelt,  die  jeden 
Moment  wechseln,  und  die  sich  daher  auf  dem  Schirmbilde  viel  leichter  mit 
einander  vergleichen  lassen  können,,  als  wenn  man  Sciagramme  von  verschie- 
denen Vocalstellungen  neben  einander  stellen  würde,  zumal  da  das  Sciagramm 
oft  genug  von  zu  vielen  und  schwer  zu  berechnenden  Kleinigkeiten  abhängt. 
Sehr  einfach  kann  man  aber  eine  Art  Momentaufnahme  erreichen,  wenn  man 
das  auf  dem  Schirm  beobachtete  Bild  zugleich  schnell  durch  Aufzeichnen 
fixirt.  Zu  diesem  Zweck  legt  man  auf  die  fluorescirende  Schicht  eine  dünne 
Glasplatte  oder  noch  besser  eine  durchsichtige  Celluloidplatte,  auf  welcher 
Pauspapier  auf  irgend  eine  Weise  befestigt  wird.  Mittels  eines  Bleistiftes 
kann  man  nun  dasjenige  vom  Ansatzrohr,  worauf  es  gerade  ankommt,  nach- 
zeichnen, sei  es,  dass  man  die  Gestalt  der  Lippen  besonders  studiren  will, 
oder  die  der  Zunge  oder  die  des  Gaumensegels.  Man  wird  nicht  sofort  alle 
Einzelheiten  auf  dem  Schirmbilde  erkennen  können;  es  sind  so  feine  Unter- 
schiede in  den  einzelnen  Abstufungen  der  Schatten,  dass  man  erst  durch  viele 
Uebung  und  intensive  Beschäftigung  allmählich  lernen  muss,  die  Schatten- 
ditferenzen  sich  zur  Wahrnehmung  zu  bringen.  Sagt  doch  Benedikt  mit  Recht, 
das  Röntgensehen  müsste  im  Schweisse  des  Angesichtes  erworben  werden.  Die 
Bewegungen  des  Kehldeckels  wird  man  bei  den  meisten  Individuen  leicht 
erkennen.  Viel  schwieriger  gestaltet  sich  die  Bewegung  des  Gaumensegels 
wahrzunehmen.  Wir  sehen  auf  dem  Schirmbild  die  Hebung  der  Zunge,  die 
Wölbung,  Aufrichtung,  Senkung  und  Abflachung  derselben,  kurz  ganz  genau 
die  Gestalt  und  Lage  der  Zunge,  natürlich  stets  im  Profil.  Die  Versuche 
über  die  Stellung  des  Gaumensegels  beim  Sprechen  wurden  bisher  meist  bei 
Patienten  angestellt,  bei  denen  ein  grosser  Defect  im  Gesicht  vorhanden  war, 
sei  es  infolge  von  Lues  oder  einer  bösartigen  Geschwulst  (Hadra),  so  dass 
man  direct  von  oben  auf  das  Gaumensegel  sehen  konnte  (Gentzen,  Gutzmann). 
Aber  man  muss  doch  gegen  alle  diese  Beobachtungen,  wenn  sie  auch  noch  so 
genau  angestellt  sind,  einwenden,  dass  es  doch  sehr  fraglich  erscheint,  ob  der- 
artige Fälle  mit  so  hochgradig  pathologischen  Verhältnissen  eine  ganz  nor- 
male Sprachbildung  zulassen.  Dieser  Einwand  wurde  auch  schon  von  Voltolini 
erhoben,  der  nur  Experimente  bei  ganz  gesunden  Menschen  für  entscheidend 
hält.  Bei  einem  Kranken  mit  einem  grossen  Defect  an  der  Nase  ist  zwar 
kein   Hindernis   für   die    normale    Sprache    vorhanden,    dafür    ist   aber   der 


IN  DER  RHINO-LARYNGOLOGIE.  583 

Mangel  eines  wahrscheinlich  nothwendigen  Hindernisses  da.  Beim  gesunden 
Menschen  erleidet  der  Exspirationsstrom,  also  derjenige,  welcher  die  Töne 
bildet,  eine  gewisse  Stauung  durch  alle  normalen  Wege,  wie  die  Nasenscheide- 
wand und  sämmtliche  Muscheln.  Diese  Stauung  kann  aber  nicht  ganz  ohne 
Einfluss  auf  die  freie  Beweglichkeit  des  Gaumensegels  sein.  Ferner  ist  noch 
zu  bemerken,  dass  bei  Individuen,  bei  denen  eine  derartig  weite  Oetfnung  im 
Gesicht  vorhanden  ist,  wo  das  Gaumensegel  frei  zu  Tage  liegt,  der  Druck  der 
Luft  von  aussen  und  oben  ganz  anders  auf  das  Gaumensegel  wirken  muss, 
wie  bei  Leuten  mit  normal  gebildeter  Nase.  Wir  sehen  deshalb  auch,  dass 
die  verschiedenen  Autoren,  die  an  derartigen  Kranken  ihre  Versuche  ange- 
stellt haben,  eben  über  die  Hebung  des  Gaumensegels  zu  ganz  verschiedenen 
Resultaten  gekommen  sind.  Ausserdem  ist  zu  erwägen,  dass,  wenn  man  auf 
die  Oberfläche  des  Gaumensegels  eine  durch  den  unteren  Nasengang  einge- 
führte Sonde  legt,  an  deren  Bewegungen  vorn  man  die  Bewegungen  des 
Gaumensegels  ablesen  kann,  oder  wenn  man  bei  Leuten  mit  grossem  Defect 
im  Gesicht  einen  Hebelapparat  auf  die  Oberfläche  des  Gaumens  setzt,  ich 
meine,  dass  derartige  in  den  Nasenrachenraum  gebrachte  und  auf  den  weichen 
Gaumen  gesetzte  Fremdkörper  doch  das  Gaumensegel  mehr  oder  weniger  in 
seiner  Bewegung  beschränken.  Auch  die  Methode  anderer  Forscher,  wie 
PiENiACZEK  etc.,  die  mittels  der  Ehinoskopia  posterior  die  Bewegungen  des  Segels 
studirt  haben,  kann  man  nicht  für  einwandsfrei  gelten  lassen.  Denn  erstens 
ist  wieder  ein  Fremdkörper  in  den  Rachen  hineingeführt,  und  zweitens  können 
bei  dieser  Art  der  Experimente  alle  Vocale  nicht  natürlich  ausgesprochen 
werden.  Die  Bildung  der  Vocale  ist  keine  vollkommene.  Der  freie  Einblick 
in  die  Mundhöhle  ist  ja  nur  bei  der  Hervorbringung  des  „A"  dem  Beobachter 
gestattet,  bei  allen  übrigen  Vocalen  bleibt  der  Schlund  dem  Auge  direct  mehr 
oder  weniger  verborgen.  Wir  können  unmöglich  ein  reines  „0"  oder  „U" 
bei  offenem  Munde  aussprechen.  Daher  ist  die  Methode  der  Untersuchung 
die  beste  und  einwandfreieste,  wo  wir  das  Verhalten  des  weichen  Gaumens 
beim  Phoniren  direct  durch  unser  Auge,  welches  doch  den  Sinn  abgibt,  der 
am  sichersten  controlirt,  prüfen  können,  und  zwar  ohne  weitere  Einführung 
von  Instrumenten  in  die  Nase  resp.  Mundhöhle,  und  wo  die  Untersuchungen 
bei  gesunden  Menschen  mit  normal  gebildeten  Organen  bei  natürlicher  Aus- 
sprache angestellt  werden  können.  Eine  derartige  einwandsfreie  Untersuchungs- 
art ist  die  Anwendung  der  Röntgenstrahlen.  Die  Methode  eignet  sich 
auch  sehr  gut,  dazu  den  physiologischen  Vorgang  bei  der  Sprache  zu  Unter- 
richtszwecken zu  demonstriren.  Wir  sehen  auf  dem  Schirmbilde,  wie  sich  das 
Gaumensegel  beim  Phoniren  von  „A"  am  geringsten  hebt,  beim  „E"  etwas 
mehr,  dann  bei  „0",  „U"  und  schliesslich  bei  „1"  am  höchsten  steht.  Während 
das  Gaumensegel  bei  „A"  nicht  die  Ebene  erreicht,  die  man  sich  durch  den 
harten  Gaumen  gezogen  denkt,  steht  es  bei  „I"  weit  über  der  Horizontallinie. 
Auch  die  Form,  die  das  Gaumensegel  bei  der  Phonation  bildet,  sieht 
man  deutlich,  natürlich  stets  im  Profil.  Die  Gestalt  ist  verschieden  je  nach 
dem  Vocal;  wenn  man  „U"  sagen  lässt,  so  sieht  man,  wie  das  Gaumensegel 
mit  einem  convexen  Bogen  in  den  Nasenrachenraum  sich  hineinlegt.  Wir 
können  aber  nicht  erkennen,  ob  auch  ein  vollkommener  Verschluss  des 
Nasenrachenraumes  erfolgt,  da  wir  das  Gaumensegel  ja  nur  von  der  Seite  aus 
sehen.  Diese  Methode  wird  demnach  niemals  die  alten  Untersuchungsmittel 
verdrängen.  Es  würde  zu  weit  führen,  auf  die  ferneren  Ergebnisse  dieser 
Studien  an  dieser  Stelle  einzugehen,  und  kann  ich  nur  auf  die  diesbezügliche 
Arbeit  „Die  Verwertung  der  Röntgenstrahlen  für  die  Physiologie  der  Sprache 
und  Stimme"  im  FßlNKEL'schen  Archiv  verweisen.  Nur  erwähnen  möchten  wir, 
dass  die  Röntgenstrahlen  nicht  allein  über  viele  strittige  Fragen  in  der  Sprach- 
physiologie uns  genaue  Aufschlüsse  geben  können,  sondern  auch  dass  dieselben 
über  das  Verhalten  des  Gaumensegels  beim  Athmen,  Schnarchen,  Bauchreden 


584  RÖNTGENUNTERSUCHUNG 

u.  s.  w.  leicht  orientiren  und  auch  im  Stande  sind  in  pathologischen  Fällen 
der  Sprache  die  betreuenden  Störungen  präciser  festzustellen.  Während  bis 
dahin  von  den  verschiedenen  Forschern  die  Resultate  meist  nur  aus  den  an 
einem  Patienten  angestellten  Beobachtungen  gezogen  wurden,  können  wir 
nun  mittelst  der  X-Strahlen  bei  jedem  Menschen  diese  Beobachtungen  an- 
stellen und  controliren.  Wird  es  gelingen,  das  Verfahren  noch  mehr  zu 
vervollkommnen,  so  wird  es  mit  Sicherheit  noch  besser  für  diese  Studien  sich 
eignen.  In  dankenswerter  Weise  können  die  X-Strahlen  die  bis  dahin  üblichen 
Hilfsmittel  der  Untersuchung  ergänzen.  Die  Versuche  sind  geeignet,  die  alten 
Lehren  einer  Revision  zu  unterwerfen  und  Falsches  dabei  zu  eruiren. 

2.  Physiologie  des  Gesanges.  Auch  für  die  Gesangsphysiologie 
hat  sich  das  Röntgenverfahren  von  grossem  Werte  gezeigt.  Bisher  konnte 
man  die  Versuche  z.  B.  über  die  Stellung  des  Kehldeckels  bei  den  verschie- 
denen Registern  und  der  verschiedenen  Höhe  der  Töne  selbstverständlich  nur 
mit  dem  Kehlkopfspiegel  anstellen.  Da  ein  ganz  natürliches  Singen  jedoch 
bei  einem  in  die  Mundhöhle  eingeführten  Spiegel  und  bei  herausgezogener 
Zunge  nicht  gut  möglich  ist,  so  sind  auch  die  einzelnen  Forscher,  welche 
sich  hiermit  beschäftigt  haben,  zu  den  verschiedensten  Resultaten  gekommen. 
Alle  bisherigen  Untersuchungen  in  gesangsphysiologischer  Beziehung  ent- 
sprechen deshalb  nicht  der  Wirklichkeit.  Nur  eine  völlig  freie  und  zugleich 
dem  Auge  deutlich  erkennbare  Thätigkeit  der  Gesangsorgane  während  der 
Untersuchung  kann  uns  schliesslich  über  viele  wissenschaftliche  Streitfragen 
auf  diesem  Gebiete  Klarheit  verschaffen.  Wir  stehen  ja  erst  im  Beginne  der- 
artiger Untersuchungen.  Was  die  Stellung  des  Gaumensegels  bei  den  hohen 
und  tiefen  Tönen  betriflt,  so  sehen  wir,  dass,  wenn  man  die  Versuchsperson 
„A"  erst  tief  und  dann  recht  hoch  singen  lässt,  ohne  dass  gleichzeitig  lauter 
gesprochen  wird,  das  Gaumensegel  bei  hohen  Tönen  auch  höher  tritt.  Man 
sieht  auf  dem  Schirmbilde,  dass,  je  höher  der  Sänger  singt,  der  helle  Schatten, 
den  der  Nasenrachenraum  giebt,  desto  kleiner  wird.  Wir  sehen  ferner,  wie 
mit  steigender  Tonhöhe  der  Kehldeckel  sich  immer  mehr  aufrichtet,  und  wie 
er  bei  absteigender  Tonleiter  sich  immer  mehr  und  mehr  senkt.  Die  Unter- 
suchungen, die  wir  an  circa  30  Sängern  und  Sängerinnen  seinerzeit  ange- 
stellt haben,  haben  auf  dem  Schirmbilde  ergeben,  dass  bei  der  Falsettstimme 
der  Kehldeckel  sich  steil  aufrichtet,  dass  der  Kehlkopf  in  die  Höhe  gezogen 
und  dem  Zungenbein  stark  genähert  wird.  Um  endgiltige  Schlüsse  über 
diesen  Gegenstand  zu  ziehen,  müsste  man  natürlich  an  einer  noch  grösseren 
Versuchsreihe  diese  Studien  vornehmen.  Mittelst  der  Durchleuchtung  können 
wir  auch  die  Stellung  des  Schild-  zum  Ringknorpel  studiren.  Es  eignen  sich 
zu  diesen  Untersuchungen  natürlich  nicht  alle  Personen,  sondern  nur  solche, 
bei  denen  der  vordere  Theil  des  Schildknorpels  und  auch  der  seitliche  Theil 
des  Ringknorpels  schon  verknöchert  ist,  so  dass  man  die  beiden  Knorpel  und 
namentlich  die  vorderen  Theile  derselben  genügend  differenciren  kann.  Bei 
Frauen  verknöchert  ja  nur  selten  der  mediale  Theil  der  beiden  Knorpel.  Am 
besten  eignen  sich  Männer  über  30  Jahre,  bei  denen  schon  der  untere  Rand, 
sowie  der  mediale  Theil  der  Schildknorpelplatte  deutlich  durch  den  vom 
Knochengewebe  herrührenden  schwarzen  Schatten  von  dem  helleren  Lig.  cric. 
thyr.  med.  sich  abgrenzt,  während  der  seitliche  Theil  des  Ringknorpels 
auch  schon  in  diesem  Alter  in  vielen  Fällen  Knochengew^ebe  zeigt. 

Noch  auf  dem  letzten  internationalen  Congress  zu  Moskau  sagte 
P.  Hellet  in  seinem  Vortrage  zur  Athmungsfrage  beim  Singen,  dass  die 
Athmungsfrage  beim  Gesang  zur  Zeit  noch  recht  verworren  und  die  Rolle 
des  Zwerchfelles  noch  nicht  definitiv  bestimmt  sei.  Die  Untersuchungen  über 
die  respiratorischen  Bewegungen  des  menschlichen  Zwerchfelles  konnten  bis 
dahin  nur  schwer  ausgeführt  werden  und  waren  nicht  im  Stande,  einen  zu- 
verlässigen Wert   über   die    Excursionen    desselben    zu   geben.     Es    ist   nun 


IN  DER  RIIINO-LARYNGOLOGIE.  585 

mittelst  der  X-Strahlendurchleuchtung  sehr  leicht,  bei  jedem  Individuum  den 
Stand  des  Zwerchfelles  genau  und  sicher  zu  bestimmen  und  in  allen  Phasen 
der  Bewegung  zu  verfolgen.  Das  Zwerchfell  ist  überhaupt  eines  der  günstigsten 
Beobachtungsobjecte  für  die  Durchleuchtung,  Man  kann  genau  beobachten, 
wie  bei  dem  Exspirationsvorgange  es  aus  seiner  Contractionsstellung  all- 
mählich wieder  in  die  Ituhestellung  zurückkehrt.  Lässt  man  bei  einer  Ver- 
suchsperson die  verschiedenen  Kespirationstypen  (Zwerchfell-,  P'lanken-, 
Schlüsselbein-  resp.  Schulterathmung)  unter  directer  Beobachtung  auf  dem 
Leuchtschirm  ausführen,  indem  die  Böntgenbirne  in  Höhe  des  Zwerchfelles 
aufgestellt  wird,  so  kann  man  sich  leicht  orientiren,  wie  verschieden  sich  die 
Lungen  bei  den  einzelnen  Arten  der  Athmung  ausdehnen.  Beim  Zwerchfell- 
athmen  sieht  man  vollständige  Ausdehnung  der  Lungen,  bei  der  Schlüssel- 
bein- und  Flankenathmung  unvollständige  Ausdehnung,  und  zwar  ist  bei  er- 
sterer  nur  die  obere,  bei  der  letzteren  die  seitliche  und  untere  Gegend  der 
Lungen  betroffen.  Wir  sehen,  wie  beim  Zwerchfellathmen  das  Diaphragma 
bedeutend  tiefer  herabrückt  als  bei  dem  costalen  Athmen.  Beobachtet  man 
das  Zwerchfell  in  der  Axillarlinie,  so  kann  man  sehen,  wie  bei  der  Zwerch- 
fellathmung  das  Diaphragma  bei  tiefer  Inspiration  um  6 — 8  cm  tief  herunter- 
steigt, ja  häufig  hatten  wir  Gelegenheit,  Sänger  zu  beobachten,  bei  denen  das 
Zwerchfell  bei  forcirter,  tiefster  Einathmung  noch  mehr  sich  senkt.  Lässt 
man  nun  gleich  bei  Beginn  der  Ausathmung  einen  Ton  anstimmen  und  den- 
selben anhaltend  langsam  exspiriren,  so  sieht  man,  dass  das  Zwerchfell  lang- 
sam und  allmählich  nach  oben  zurückkehrt.  Anders  bei  der  tiefen  Einath- 
mung mittelst  der  Schulterathmung.  Das  Zwerchfell  tritt  hierbei  nicht  so 
tief  während  der  Inspiration,  und  bei  langsamer  Exspiration  sieht  man  auf 
dem  Schirm,  dass  dasselbe  viel  schneller  und  ungleichmässig  in  den  Brust- 
raum sich  hinaufwölbt.  Das  Zwerchfell  erschlattt  also  nicht  continuirlich, 
sondern  ruckweise.  Je  langsamer  nun  und  gleichraässiger  das  Zwerchfell 
aus  seiner  Contraction  in  die  ursprüngliche  Lage  zurückkehrt,  desto  lang- 
samer und  gleichmässiger  wird  natürlich  auch  die  Luft  aus  den  Lungen 
herausgetrieben.  Demnach  ist  der  Ton  viel  fester,  gleichmässiger,  dauer- 
hafter und  ergiebiger  als  beim  Schulterathmen.  Abgesehen  davon,  dass  das 
Schlüsselbeinathmen  mit  bedeutend  grösserer  Anstrengung  verknüpft  ist,  dass 
das  Athmen  mittels  Hebens  des  Schlüsselbeines  auch  auf  den  Klang  der 
Stimme  nachtheilig  wirkt,  ist  auch  wegen  der  erwähnten  Erscheinung,  die 
sich  deutlich  mittelst  der  X-Strahlen  erkennen  lässt,  der  Zwerchfellathmung 
beim  Gesang  der  Vorzug  zu  geben  und  die  andere  Art  der  Athmung  für 
unzweckmässig  und  unrichtig  zu  bezeichnen.  So  sind  wir  nun  im  Stande,  die 
Frage  der  richtigen  Athmung  beim  Singen,  der  die  grösste  Bedeutung  zu  allen 
Zeiten  von  Gesanglehrern  und  Sängern  beigelegt  wurde,  mittelst  der  Methode 
der  Anwendung  der  Röntgenstrahlen  direct  physiologisch  zu  lösen.  Auf  diesem 
Wege  können  wir  bei  weiterem  methodischen  Arbeiten  viele  noch  strittige  Punkte 
über  die  Rolle  des  Zwerchfelles  beim  Singen,  die  früher  mit  den  bisherigen  Me- 
thoden gar  nicht  in  Angrifl  genommen  werden  konnten,  jetzt  zur  Lösung  bringen. 
Erwähnen  wollen  wir  noch,  dass  die  Röntgenstrahlen  sich  auch  sehr  gut 
zu  Untersuchungen  bei  den  verschiedensten  Polyphonisten  eignen.  Hierher 
gehören  alle  jene  Stimmenkunststücke,  wie  das  Nachahmen  von  Thierstimmen, 
des  Gesanges  der  Vögel,  Imitiren  musikalischer  Instrumente  und  aller 
möglichen  Geräuscharten,  wie  Hobeln,  Sägen,  Knarren  von  Thüren  u.  s.  w. 
So  konnten  wir  bei  einem  Instrumentalimitator  feststellen,  auf  w^elche  Weise 
der  Mann  die  verschiedenen  Instrumente  so  täuschend  imitiren  konnte,  und 
wie  das  Ansatzrohr  bei  dem  betreffenden  Instrument  beschaffen  sei.  Bei  der 
Anwendung  der  gewöhnlichen  Untersuchungsmethode  Hess  sich  eben  über 
die  Gestalt  des  Ansatzrohres  nur  wenig  aussagen,  da  er  den  Mund  beim 
Singen  fest  verschlossen  hielt. 


586  RÖNTGENUNTERSUCHUNG 

3.  Physiologie  des  Schiin gactes.  Ebenso  wie  man  das  Gaumen- 
segel beim  Sprechen  auf  dem  Schirmbilde  beobachten  kann,  so  kann  man  die 
Bewegungen  desselben  auch  beim  Schlingact  studiren.  Um  bei  der  Versuchs- 
person die  Kau-  und  Schlingbewegungen  zu  beobachten,  muss  man  derartige 
Speisen  verabreichen,  die  einen  so  starken  Schatten  geben,  dass  sie  sich  von 
den  umgebenden  Schatten  abgrenzen.  Weissbrot  z.  B.  gibt  einen  ganz 
schwachen  Schatten,  dagegen  ist  gehacktes  Fleisch  oder  Schinken  schon 
geigneter.  Genauer  sieht  man  natürlich  den  Bissen,  wenn  man  das 
Fleisch  mit  dem  ungiftigen  Wismuthpulver  vermischt  oder  einem  anderen 
ungiftigen  Körper,  der  für  die  Röntgenstrahlen  möglichst  undurchlässig  ist. 
Auf  dem  Schirm  sehen  wir  zunächst,  wie  der  zu  verkleinernde  Gegenstand 
zerkaut  wird,  man  sieht  die  einzelnen  Bewegungen  des  Unterkiefers,  Hebung, 
Senkung  und  transversale  Mahlbewegung,  wie  das  Fleisch  von  aussen  durch 
die  Lippen-  und  Kaumuskeln,  von  innen  durch  die  Zunge  zwischen  die  Kau- 
llächen  der  Zähne  geschoben  wird.  Ist  nun  die  Speise  zu  einem  Bissen  ge- 
formt, und  man  lässt  nun  den  Bissen  herunterschlucken,  so  kann  man  recht 
schön  die  Schlingbewegung  beobachten.  Man  sieht,  wie  die  Zungenspitze, 
der  Zungenrücken  und  die  Zungenwurzel  dem  harten  Gaumen  angepresst 
wird,  und  indem  das  Gaumensegel  sich  hebt  und  den  Nasenrachenraum  ab- 
schliesst,  geht  der  Bissen  mit  Blitzesschnelle  nach  unten  in  die  Speiseröhre. 
Der  ganze  Schluckvorgang  dauert  nur  einen  ganz  kurzen  Moment.  Die  Er- 
hebung des  Gaumensegels  ist  am  stärksten  beim  Leerschlucken.  Der  Kehlkopf 
geht  beim  Schlucken  nach  vorn  und  oben,  um  gleich  darauf  wieder  herunter 
zu  gehen,  indem  der  Kehldeckel  sich  nach  hinten  herüberneigt. 

Anwendung  der  X-Strahlen  für  die  Anatomie.  In  einer  meiner 
ersten  Mittheilungen  hatte  ich  bereits  darauf  hingewiesen,  dass  die  Röntgen- 
bilder, die  wir  von  Kehlkopfpräparaten  aufgenommen  hatten,  aus  dem  Grunde 
auch  grosses  Interesse  erregen,  weil  man  die  Verknöcherungszonen  an  den 
verschiedenen  Stellen  der  Kehlkopfknorpel  durch  die  X-Strahlen  genau  so 
schön  zur  Darstellung  bringen  kann,  wie  es  nur  bei  einer  histologisch-mikro- 
skopischen  Untersuchung  möglich  ist.  Während  früher  das  genaue  Studium 
dieser  Verknöcherungen  nur  auf  dem  Wege  einer  mühsamen  und  langwierigen 
anatomischen  Präparation  und  mikroskopischen  Betrachtung  möglich  war, 
haben  wir  nun  in  den  X-Strahlen  ein  ganz  neues  Untersuchungsmittel,  den 
Uebergang  des  Knorpels  in  Knochen  zu  studiren  und  in  einfacher  und  über- 
sichtlicher, objectiver  Weise  zur  Anschauung  zu  bringen.  Ja  die  Sciagramme 
geben  ein  deutlicheres  und  schöneres  Bild  von  der  zarten  bälkchenartigen 
Anordnung  des  Knochengewebes  und  dessen  innerer  Architectur,  als  es  selbst 
die  feinsten  Knochenschliffe  zu  thun  vermögen.  In  dem  Archiv  „Fort- 
schritte auf  dem  Gebiete  der  Röntgenstrahlen"  bin  ich  auf  diese  Studien 
näher  eingegangen  und  habe  an  dieser  Stelle  auseinandergesetzt,  in  welchem 
Alter  die  Verknöcherung  schon  beginnt,  dass  die  Verknöcherung  regelmässig 
sich  ausbreitet,  Unterschiede  bei  beiden  Geschlechtern  zeigt  u.  s.  w.  Aber  auch 
am  Lebenden  kann  man  bei  der  Durchleuchtung  auf  dem  Schirmbilde  die 
Verknöcherung  des  Kehlkopfes  und  deren  Entwicklungsvorgang  studiren,  durch 
Untersuchungen  in  den  verschiedenen  Altersperioden.  Die  innere  Knochen- 
structur  sieht  man  aber  am  Lebenden  nicht  so  deutlich  wie  an  dem  der 
Leiche  entnommenen  Präparat. 

In  der  Berliner  laryngologischen  Gesellschaft  habe  ich  zum  Studium  der 
Verzweigungen  des  Gefässsystems  einzelne  Diagramme  demonstrirt,  auf  welchen 
die  Gefässe  des  Kehlkopfes  und  der  Zunge  mit  den  feinsten  Aesten  zur  Dar- 
stellung gebracht  waren.  Die  Gefässe  waren  hierzu  mit  einer  für  die  X-Strahlen 
undurchdringlichen  Masse  injicirt  (Mennige,  graue  Salbe  oder  Sublimat).  Man 
bekommt  dadurch  über  den  Verlauf  der  Gefässe  interessante  Aufschlüsse, 
welche  man  durch  das  die  topographischen  Verhältnisse  verändernde  mühsame 


IN  DER  RHINO-LARYNGOLOGIE.  587 

Präpariren  nicht  erzielen  kann.  Sehr  geeignet  sind  diese  Bilder  zur 
Demonstration  für  Unterrichtszwecke.  Destot  und  Bekaim)  bedienten  sich  der- 
selben Methode,  um  Untersuchungen  über  die  Circulation  in  der  Schilddrüse 
anzustellen;  es  zeigte  sich  auf  den  Bildern,  dass  die  Gefässgebiete  der  verschie- 
denen Arteriae  thyreoideae  nicht  unabhängig  von  einander  sind,  sondern 
reichlich  mit  einander  communiciren.  Die  Untersuchungen  von  Glovkut  und 
Reynier  erstreckten  sich  namentlich  auf  die  Topographie  des  Gehirns  in  der 
Schädelhöhle,  auf  die  Verhältnisse  der  venösen  Sinus  des  Schädelinneren, 
sowie  endlich  auf  die  frontalen  und  maxillaren  Knochenhöhlen. 

Mit  gutem  Erfolge  wurden  die  Röntgenstrahlen  in  einem  Falle  von  Lordose 
der  Halswirbelsäule  von  uns  angewandt.  Durch  das  Sciagramm  wurde  die  Diagnose 
schnell  und  anschaulich  klargestellt.  Ebenso  kann  die  Lage  des  Kehlkopfes 
zur  Wirbelsäule  beim  Lebenden  durch  diese?  Verfahren  leicht  festgestellt  werden. 

Eine  therapeutische  Verwendung  haben  die  Röntgenstrahlen  bis  jetzt 
mit  Erfolg  nur  bei  der  Behandlung  des  Lupus  der  Nase  gefunden.  Die  bis- 
herigen Versuche  erscheinen  wirklich  hoffnungsvoll.  Ueber  Besserung,  ja  sogar 
vollständige  Heilung  des  Nasenlupus  berichten  Kümmel,  Gocht,  Schiff, 
Albers- ScHöNBEEG,  so  dass  man  in  den  X-Strahlen  ein  mächtiges  therapeu- 
tisches Hilfsmittel  in  der  Behandlung  des  Lupus  erblicken  kann.  Wie  die 
Wirkung  dieser  Strahlen  auf  das  lupöse  Gewebe  zu  erklären  ist,  kann  mit 
Sicherheit  noch  nicht  gesagt  werden.  Die  heilende  Wirkung  der  Röntgen- 
strahlen auf  den  Lupus  beruht  nach  Kümmel  nicht  auf  einer  Zerstörung  oder 
Verbrennung  der  Haut,  wie  sie  ähnlich  durch  Kauterisation  erzielt  wird.  Eine 
tiefergehende  artificieile  Dermatitis  ist  zur  Erzielung  eines  günstigen  Erfolges 
vielmehr  nicht  notwendig  und  lässt  sich  meistens  bei  genauer  Beobachtung 
und  vorsichtiger  Handhabung  des  Verfahrens  vermeiden.  Nach  Jankau  handelt 
es  sich  vielleicht  um  einen  elektro-chemischen  Process,  nach  Barthelemy 
um  eine  trophoneurotische  Einwirkung.  Möglicherweise  besteht  eine  directe 
Wirkung  der  Strahlen  auf  tuberkulöse  Gewebe,  eine  Wirkung,  die  durch  die 
Hyperämie  unterstützt  wird  (Albers).  Die  Sitzungen  werden  täglich  vorge- 
nommen, 20  Minuten  bis  eine  halbe  Stunde,  oder  auch  täglich  zweimal  eine 
Viertelstunde  bei  nicht  zu  starker  Stromstärke  und  bei  einer  Distanz  von 
circa  40  cm.  Zum  Schutz  der  nicht  zu  bestrahlenden  Partien  wird  das  Gesicht 
durch  eine  mit  Stanniol  oder  Blei  überzogene  Maske,  welche  nur  die  zu  be- 
strahlenden Theile  freilässt,  geschützt;  eine  gleichfalls  mit  Stanniol  belegte 
Pappdecke  bedeckt  den  Kopf.  Die  Bestrahlung  muss  so  eingerichtet  werden, 
dass  es  nicht  zur  acuten  Dermatitis  mit  Eiterung  kommt,  sondern  beim  Ein- 
treten erheblicher  Reactionserscheinungen  muss  die  Behandlung  ausgesetzt 
und  erst  dann  wieder  begonnen  werden,  nachdem  alle  entzündlichen 
Erscheinungen  vollständig  zurückgegangen  sind  (Albees).  Die  Behandlungs- 
weise  des  Lupus  dauert  eine  lange  Zeit,  die  zwischen  Wochen  und  mehreren 
Monaten  schwankt.  Nach  Kümmel  sind  die  durch  die  Anwendung  entstandenen 
Narben  weit  glatter  und  schöner  als  die  durch  andere  Behandlung  entstan- 
denen. Die  Heilung  vollzieht  sich  derartig,  dass  die  Geschwüre  sich  reinigen 
und  vernarben.  Die  Borken  trocknen  ein  und  fallen  ab,  die  Knötchen 
schrumpfen,  die  Haut  schuppt  ab,  die  Röthung  der  Haut  schwindet  allmählich 
und  macht  einer  weissen  Narbe  Platz.  Von  tiefergehen  der  Narbenschrumpfung, 
wie  man  sie  bei  chirurgischen  Methoden  so  häufig  entstehen  sieht,  hat 
Kümmel  niemals  etwas  gesehen.  Die  Heilung  geht  um  so  sicherer  und 
schneller  vonstatten,  je  mehr  die  eine  längere  Unterbrechung  erfordernden 
schweren  Verletzungen  der  Haut  vermieden  werden.  Ob  die  Heilung  bei 
den  publicirten  Fällen  auch  eine  dauernde  bleiben  wird,  ist  natürlich  abzu- 
warten.   Jedenfalls  fordern  derartige  Resultate  zur  allseitigen  Nachprüfung  auf. 

Wir  sehen,  dass  auch  in  der  Laryngologie  und  Rhinologie  das  Röntgen- 
verfahren,   wenn  auch  nicht  so  wie  in  der  Chirurgie,    immerhin  einen  wohl- 


588  ROTZ  DER  NASENSCHLEIMHAÜT. 

berechneten  Platz  unter  den  diagnostischen  Hilfsmitteln  sich  erworben  hat 
und  dass,  wiewohl  speciell  die  direete  Untersuchung  des  Kehlkopfes  in  kli- 
nischer Beziehung  bis  dahin  wenig  durch  diese  Methode  gefördert  worden  ist, 
die  X-Strahlen  sehr  wohl  im  Stande  sind,  uns  über  viele  Dinge  aufzuklären, 
die  bisher  jeder  anderen  Untersuchungsmethode  unzugänglich  waren. 

MAX    SCHEIER. 

Rotz  der  Nasenschleimhaut.  Bei  den  Pferden,  den  hauptsächlichsten 
Trägern  des  Rotzes,  ist  die  Erkrankung  der  Nasenschleimhaut  eines  der 
hervorragendsten  Symptome  der  Krankheit.  Beim  menschlichen  Rotz  ist  sie 
zwar  auch  stets  anatomisch  nachweisbar,  tritt  aber  klinisch  gegenüber  den 
sonstigen  Manifestationen  der  Krankheit  gewöhnlich  in  den  Hintergrund. 

Wir  wollen  zur  Orientirung  bemerken,  dass  der  Rotzbacillus  durch 
kleine  Schrunden  und  Wunden  der  Haut  oder  der  mit  der  Aussenluft  in 
Contact  kommenden  Schleimhäute  in  den  Organismus  eindringt.  Es  ent- 
steht zunächst  eine  locale  Erkrankung,  die  Bacillen  gelangen  aber  sehr 
bald  in  den  Blut-  und  Lymphstrom  und  werden  damit  über  den  ganzen 
Körper  verstreut.  Der  Rotz  localisirt  sich  auf  diese  Weise  in  allen  Organen, 
besonders  in  der  Haut  („Hautwurm"),  in  den  Schleimhäutendes 
Respirationstractes,  in  den  Muskeln  und  Gelenken,  in  den  Nieren, 
den  Hoden,  der  Leber,  der  Milz,  dem  Knochenmark,  indenLymph- 
gefässen  und  Lymphdrüsen.     Der  Darmcanal  bleibt  verschont. 

Die  Nasenschleimhaut  kann  demnach  auf  zwei  Arten  rotzig  er- 
kranken: Primär,  wenn  sich  der  Rotzbacillus  zu  allererst  auf  ihr  ansiedelt, 
und  secundär,  wenn  er  ihr  mit  dem  Blutstrom  zugeführt  wird.  Aber  auch 
im  ersteren  Falle  kommen  die  Kranken  erst  dann  in  die  Beobachtung,  wenn 
schon  andere  Organe  ergriffen  sind.  Wir  haben  es  also  in  praxi  immer 
mit  generalisirtem  Rotz  zu  thun. 

Menschen  acquiriren  den  Rotz  nur  durch  direete  Uebertragung.  Des- 
halb werden  fast  ausnahmslos  Leute  befallen,  die  mit  Pferden  in  ständiger 
Berührung  sind,  wie  Kutscher,  Pferdeknechte,  Reiter  von  Beruf  etc.  Uebrigens 
haftet  der  Rotz  beim  Menschen  nur  schwer.  So  kam  in  Deutschland  im 
Jahre  1888  bei  1182  rotzkranken  Pferden  2mal  Uebertragung  auf  Menschen 
vor,  im  Jahre  1890  bei  1234  Pferden  nur  einmal. 

Symptome  und  Verlauf.  Nach  den  Schilderungen  der  Autoren  ent- 
stehen in  der  Nase  unter  starker  entzündlicher  Schwellung  und  Schleim- 
secretion  zahlreiche  Knötchen,  die  sehr  bald  eitrig  zerfallen,  conÜuiren  und 
zur  Bildung  von  ausgedehnten  tiefen  Geschwüren  mit  trübem,  gelblichem, 
„speckigem"  Grunde  führen.  Die  Geschwüre  können  bis  auf  Knochen  und 
Knorpel  eindringen  und  Nekrose  derselben  herbeiführen.  Die  Erkrankung 
erstreckt  sich  nicht  allein  auf  die  Haupthöhle  der  Nase.  Gewöhnlich  sind 
auch  die  Nebenhöhlen  ergriffen,  oft  ist  das  Septum  in  grossem  Umfange 
zerstört. 

Das  Secret  ist  dick,  schleimig,  eitrig,  zuweilen  jauchig,  gelb,  roth, 
grau  oder  braun  verfärbt.  Es  enthält  neben  den  Rotzbacillen  noch  zahlreiche 
andere  Mikroorganismen. 

Dem  Verlaufe  nach  unterscheidet  man  eine  acute,  in  wenigen  Wochen 
zum  Tode  führende,  und  eine  chronische,  sich  über  Monate  und  Jahre  hin- 
ziehende Form  des  Rotzes. 

Diagnose.  Die  Diagnose  des  Rotzes  lediglich  aus  den  Krankheits- 
erscheinungen ist  sehr  schwierig.  Auch  wo  die  Anamnese  die  Annahme  des 
Rotzes  nahelegte,  sind  Verwechslungen  mit  Pyämie,  Blutfleckenkrankheit, 
Tuberkulose  und  Syphilis  vorgekommen. 

In  zweifelhaften  Fällen  entscheidet  die  bacteriologische  Unter- 
suchung der  Geschwürssecrete  auf  Rotzbacillen.  Da  der  Rotzbacillus  nicht, 
wie  der  Tuberkelbacillus,    tinctorielle  Eigenthümlichkeiten  besitzt,    durch  die 


ROTZ  DES  RACHENS.  SARKOME  IM  KEHLKOPF.  589 

er  von  accidentellen,  morphologisch  gleichen  Bacillen  bacterioskopisch  differen- 
zirbar  wäre,  so  ist  die  Heranziehung  seiner  biologischen  Eigenthümlichkeiten 
für  die  bacteriologische  Diagnose  erforderlich.  Die  Untersuchung  ist  im  vor- 
liegenden P'alle  ziemlich  umständlich.  Das  8ecret  muss,  um  die  Kotzbacillen 
von  den  übrigen  Bacterien  zu  trennen,  auf  Meerschweinchen  verimpft  werden, 
deren  Infiltrate  erst  weiteres  Ausgangsmaterial  für  die  Cultur  auf  künstlichen 
Nährmedien  abgeben.  Diese  Dinge  sind  nur  in  wohleingerichteten  bacterio- 
logischen  Laboratorien  mit  der  nothwendigen  Exactheit  auszuführen  und  es 
empfiehlt  sich  deshalb,  verdächtiges  Geschwürssecret  in  ausgeglühtem  Kölbchen 
unverzüglich  und  auf   dem    schnellsten  Wege    an  ein  solches  zu  übersenden. 

Therapie.  Die  Behandlung  des  Nasenrotzes  hat  sich  auf  lieinhaltung 
der  Nasenhöhlen  und  auf  Schutz  des  Introitus  gegen  die  Aetzwirkung  des 
Secretes  zu  beschränken.  (Vergleiche  darüber  das  bei  der  „Rhinitis  purulenta" 
Gesagte.) 

In  prophylactischer  Hinsicht  empfiehlt  es  sich  für  solche,  die  mit  rotz- 
kranken Thieren  umgehen,  ihre  Nase  durch  ein  Wattefilter  gegen  directe 
Infection  möglichst  zu  schützen.  Gewiss  könnte  dadurch  manche  Infection 
per  nares  vermieden  werden. 

Die  Prognose  ist  bei  der  acuten  Form  des  liotzes  infaust.  Bei  der 
chronischen  sind,  wenn  auch  selten,  Heilungen  beobachtet. 

ZAENIKO. 

Rotz  des  Rachens.  Der  Rotz  localisirt  sich  zuweilen  auch  auf  der 
Rachenschleimhaut  und  bildet  daselbst  Knoten  in  Form  käsiger  Herde,  die 
als  kleine  punktförmige  Erhebungen  beginnen,  sich  vergrössern,  zerfallen  und 
dann  Geschwüre  mit  callösen  Rändern  bilden;  sie  sind  immer  von  Lymph- 
drüsenschwellung begleitet.  Eine  intensive  Phlegmone  des  Rachens  mit 
schweren  Allgemeinerscheinungen  beherrscht  dabei  gewöhnlich  das  Krank- 
heitsbild. R. 

Sarkome  im  Kehlkopf.  Sarkome  sind  im  Kehlkopf  ebenfalls  selten. 
ZiEMSSEN  konnte  1879  etwa  zwei  Dutzend  Fälle  in  der  Literatur  auffinden, 
ScHV^ARTZ  (1886)  27  Beobachtungen;  Wassermann  (1889)  stellte  13  P'älle 
von  Sarkom  zusammen,  wo  man  den  Larynx  ganz  oder  theilweise  exstirpirt 
hatte.  Gewöhnlich  waren  es  Spindelzellensarkome,  seltener  Rundzellensarkome. 
Metastasen  kommen  sehr  selten  vor. 

Im  Larynxbilde  zeigt  sich  entweder  eine  umschriebene  oder  diffuse  Ge- 
schwulst. Die  umschriebenen  sitzen  breit  auf,  sind  hart  und  unbeweglich. 
Mit  Vorliebe  kommen  sie  an  den  Stimmbändern  vor,  selten  an  anderen 
Stellen.  Die  mehr  diffuse  Geschwulst  kann  grosse  Theile  des  Kehlkopfes 
einnehmen  und  dieselben  substituiren.  Ihre  Farbe  ist  bald  blass,  bald  roth. 
Sie  veranlassen  je  nach  ihrem  Sitze  und  ihrer  Grösse  verschieden  starke 
Stimm-  und  Athembeschwerden.  In  späteren  Stadien  können  sie  sich  weit- 
hin ausbreiten,  auch  exulceriren  und  verjauchen,  Drüsen-Metastasen  werden 
nicht  beobachtet.  Sie  sind  also  wegen  ihrer  unbegrenzten  Wucherung 
und  ihrer  Neigung  zu  Zerfall  entschieden  bösartig.  Ihre  Diagnose  ist  sehr 
schwer;  die  umschriebenen  Formen  können  den  Fibromen  ähnlich  sehen,  die 
diffusen  den  entzündlichen  Geschwülsten,  besonders  der  Knorpelentzündung. 
Gewöhnlich  musste  man  erst  lange  beobachten,  um  die  Diagnose  sicherzu- 
stellen; in  zweifelhaften  Fällen  ist  die  Untersuchung  eines  exstirpirten  Stückes 
unerlässlich,  namentlich  oft  zur  Abgrenzung  gegen  Krebs,  wovon  später  mehr 
die  Rede  sein  soll.  Ihre  Therapie  besteht  in  der  Exstirpation.  Solange  sie  klein 
und  umschrieben  sind,  kann  dieselbe  endolaryngeal  mit  Guillotine,  Schlinge, 
Messer  oder  Galvanokauter  vorgenommen  werden.  Sind  sie  aber  gross,  und 
namentlich  bei  diffuser  Ausbreitung,  bleibt  wohl  nichts  übrig,  als  nach  vorher- 
gegangener Tracheotomie  den  Larynx  partiell  oder  total  zu  exstirpiren.  Nach 


590  SARKOM  DER  NASENHÖHLE. 

einer  Zusammenstellung  von  Wassermann  (Heidelberg)  entfallen  auf  sieben 
totale  Exstirpationen  des  Kehlkopfes  wegen  Sarkom  zwei  Heilungen,  die  noch 
nach  vielen  Jahren  constatirt  werden  konnten,  vier  Recidiven  und  ein  Todesfall 
innerhalb  der  ersten  Wochen  nach  der  Operation.  Von  sechs  partiellen  dagegen 
konnte  bei  einem  die  Heilung  länger  als  sieben  Jahre  constatirt  werden,  zwei 
blieben  ein  bis  einundeinhalbes  Jahr  geheilt,  starben  aber  an  Lungenkrank- 
heiten, einer  bekam  Recidive,  einer  starb  in  den  ersten  Wochen  und  einer 
starb  an  einer  anderen  Erkrankung  nach  einigen  Monaten. 

Also  unter  13  Operationen  drei  dauernde  Heilungen,  fünf  Recidiven, 
zwei  Todesfälle  infolge  der  Operation  und  drei  Todesfälle  an  intercurrenten 
Krankheiten.  Diese  23  Procent  Heilungen  nach  radicaler  Exstirpation  sind  sehr 
verlockend  zur  Fortsetzung  der  extralaryngealen  Therapie,  chiaei. 

Sarkom  der  Nasenhöhle.  Strohe  hat  aus  den  letzten  eo  Jahren 
57  Fälle  von  Sarkom  der  Nasenhöhle  zusammengestellt;  es  waren  die 
gleichen  Sarkomformen  wie  an  anderen  Körpertheilen:  meist  Rund-  oder 
Spindelzellen-  oder  Fibrosarkome,  dann  auch  Osteo-,  Myxo-,  selbst  Gliosarkome 
u.  a.;  in  den  allerletzten  Jahren  haben  Katzenstein  über  Spindelzellen- 
Clarke,  Reinbold  (Myxosarkom),  Newmann  (Rundzellen),  Natier,  Cozzolino 
(Melanosarkom)  und  Wygodzinski  (grosszelliges  Sarkom)  berichtet.  Es 
hat  jeder  etwas  beschäftigte  Ohr-  und  Nasenspecialist  nicht  allzu  selten  Ge- 
legenheit, Sarkome  der  Nase  zu  sehen. 

Das  Sarkom  der  Nase  stellt  einen  grau-  oder  auch  blaurothen,  selbst 
schwarzen,  ziemlich  harten,  breit  aufsitzenden  Tumor  dar,  der  meist  vom 
Periost  und  nur  ausnahmsweise  von  der  Schleimhaut  ausgeht,  dann  aber 
bald  auf  den  Knochen  übergreift  und  denselben  zerstört;  die  Geschwulst  ent- 
wickelt sich  vorzugsweise  an  den  oberen  Abschnitten  des  Septum,  perforirt 
dasselbe  sehr  bald,  wächst  in  die  andere  Nasenhälfte  und  füllt  die  ganze 
Nase  aus;  sehr  selten  geht  das  Sarkom  von  den  Muscheln  oder  vom  Nasen- 
boden aus. 

Wir  beobachten  diese  Neubildung  meist  bei  Leuten  im  jüngeren  und 
mittleren  Lebensalter;  sie  verursacht  bald  Nasenstenose,  hebt  den  Geruch  auf; 
bald  wird  die  Nasenscheidewand  perforirt;  schon  früh  stellt  sich  ein  stinkender, 
eitriger  Ausfluss  aus  der  Nase  ein,  der  häufig  mit  Blut  vermengt  ist  und  oft 
treten  auch  stärkere  Blutungen  auf.  Der  Tumor  wächst  sehr  schnell,  zerfällt, 
und  es  entstehen  ziemlich  bald  missfarbige  Geschwüre  am  Septum;  allmählich 
treibt  das  Sarkom  die  Naseuknorpel  und  -knochen  auseinander,  der  Nasenrücken 
verbreitert  sich  (Froschgesicht  wie  beim  Osteom),  die  äussere  Haut  wird  stark 
geröthet  und  kann  sogar  durchbrechen;  oder  auch  die  Geschwulst  wächst 
gegen  die  Orbita  oder  nach  dem  Antrum  Highmori  zu,  und  so  kann  Strabismus 
entstehen,  der  Bulbus  wird  vorgetrieben,  oder  es  kommt  zu  einer  starken  An- 
schwellung der  Wangengegend;  auch,  nach  dem  Schädel  zu  vergrössern  sich 
zuweilen  diese  Geschwülste,  durchbrechen  die  Siebbeinplatte  und  es  kommt 
zu  Meningitis;  hiebei  klagen  die  Kranken  schon  in  frühen  Stadien  über 
heftige  Schmerzen  in  der  Nase,  sowie  in  den  verschiedenen  Quintusbahnen. 
Nur  ausnahmsweise  schwellen  bei  dieser  malignen  Neubildung  die  Lymph- 
drüsen am  Unterkieferwinkel  oder  der  seitlichen  Halsgegend  an. 

Im  Beginn  der  Erkrankung  ist  es  sehr  schwierig,  die  Sarkomgeschwulst 
von  anderen  beweglichen  gutartigen  Nasentumoren  zu  unterscheiden ;  beson- 
ders mit  den  Syphilomen  der  Nasenhöhle  ist  eine  Verwechslung  möglich;  sobald 
es  zu  einer  ülceration  des  Tumors  gekommen,  mit  ihrer  schmierig-eitrigen 
Secretion,  so  ist  die  Diagnose  schon  gesicherter,  dann  auch,  wenn  Veränderungen 
der  äusseren  Nase  vorhanden  sind.  Nasenrachenfibrome,  die  ähnliche  Ver- 
unstaltungen des  Gesichtes  verursachen  können,  wird  man  bei  der  Unter- 
suchung des  Rachens  erkennen;  vor  allem  wird  das  Mikroskop  entscheiden 
müssen,  nicht  allein  ob  es  sich   um  einen    gutartigen   Tumor,  sondern  auch, 


SARKOME  DES  RACHENS.  SCHLUNDKRÄMPFE.  591 

ob  es  sich  um  Sarkom  oder.  Carcinom  handelt.  Iiri  allgemeinen  zerfallen  die 
Carcinome  noch  früher  und  schneller  als  die  Sarkome.  Die  weichen,  zell- 
reichen Sarkomarten,  wie  z.  B.  das  Rundzellen-  und  das  Myxosarkom  wachsen 
viel  schneller  als  die  anderen  Formen  und  geben  deshalb  eine  noch  un- 
günstigere Prognose. 

Selbst  bei  frühzeitiger  Diagnose  und  trotz  der  Wahrscheinlichkeit,  die 
Geschwulst  vollständig  entfernt  zu  haben,  bleiben  die  Recidive  nur  selten 
aus;  immerhin  dürfen  wir  in  diesem  Stadium  nicht  zögern,  mit  der  Schlinge 
und  dem  scharfen  Löffel  alles  Krankhafte  wegzunehmen  und  den  Grund  des 
Tumors  galvanokaustisch  zu  veröden.  Hellat  will  ein  ausgebreitetes  Kund- 
zellensarkom  bei  einer  70jährigen  Frau,  bei  der  die  Submaxillardrüsen  schon 
geschwollen  waren,  durch  die  Schlinge  und  Pyoktanineinspritzungen  in  die 
geschwollenen  Lymphdrüsen  geheilt  haben.  Bei  den  vorgeschrittenen  Fällen 
müssen  wir  immer  noch  versuchen,  nach  Spaltung  der  Nase  oder  partieller 
Resection  der  Nasenknochen  die  Geschwulst  zu  exstirpiren  und  den  Mutter- 
boden mit  scharfem  Löffel  und  dem  Paquelin  so  gründlich  als  möglich  zu 
zerstören.  In  der  Regel  zeigen  sich  schon  wenige  Wochen  nach  der  Opera- 
tion Recidive,  und  es  erwächst  uns  die  Aufgabe,  die  Schmerzen  der  Patienten, 
den  stinkenden  Ausfluss,  die  Nasenstenose  durch  Freimachen  des  Nasen- 
innern  mit  Hilfe  partieller  Exstirpationen  der  voluminösen  Tumormassen  zu 
bekämpfen,  die  Blutungen  durch  galvanokaustische  Aetzungen  zu  verringern, 
bis  nach  einigen  Monaten  der  Tod  durch  Erschöpfung  oder  infolge  von  Ge- 
hirncomplicationen  eintritt.  Kuhn. 

Sarkome  des  Rachens.  Das  Sarkom  des  Rachens  befällt  vorwiegend 
Männer  zwischen  30— 60  Jahren.  Es  geht  am  häufigsten  von  den  Tonsillen 
aus,  seltener  von  jenen  zerstreuten,  im  Rachen  liegenden  lymphoiden  Gewebs- 
partien.  insbesondere  an  der  Zungenbasis.  Histologisch  hat  dieses  Sarkom 
last  durchaus  den  Charakter  des  malignen  Lymphom  (LymjjJiosarkom). 
Die  Sarkome  des  Rachens  bilden  theils  breit  aufsitzende  Geschwülste,  theils 
ulceröse  in  einer  Ebene  fortwachsende  Neugebilde,  welche  schwere  Störungen 
der  Deglutition  der  Sprache  und  der  Athmung  veranlassen. 

Diagnostisch  müssen  sie  vor  allem  vom  Carcinom  unterschieden  werden 
(vergl.  „Carcinom  des  Backens"').  Schwieriger  ist  zuweilen  die  Unterscheidung 
von  Gummata,  die  ja  bekanntlich  sehr  häufig  im  Rachen  sitzen.  Die  einzige 
Entscheidung  bringt  oft  nur  den  Effect  einer  eingeleiteten  antiluetischen 
Therapie. 

Die  Prognose  der  Sarkome  des  Rachens  ist  selbstverständlich  ungün- 
stig, insbesondere  dann,  wenn  durch  das  eigenthümliche  Flächen wachsthum 
derselben  eine  Operation  auch  im  Beginn  Schwierigkeit  macht. 

Die  Behandlung  kann  selbstverständlich  nur  in  Entfernung  des 
Tumor  bestehen  und  wird,  wenn  dieselbe  durchs  Messer  nicht  möglich  ist, 
die  elektrolytische  Zerstörung  der  Neubildung  empfohlen.  Symptomatisch 
müssen  die  Deglutitionsbeschwerdeu  durch  Cocain  und  Mentholpinselungen  ge- 
mildert werden,  zuweilen  ist  man  gezwungen,  die  Ernährung  mittels  der 
Schlundsonde  durchzuführen  und  ad  ultimum  treten  die  Narcotica  in  ihre 
Rechte.  R. 

Schlundkrämpfe.  Aetiologie.  Alle  centralen  Erkrankungen,  die  eine 
Schlundlähmung  (s.  Pares.  veli  pal.)  verursachen  können,  sind  auch  im  Stande, 
solange  noch  keine  Leitungsunterbrechung  eingetreten  ist,  Schlundkrämpfe  zu 
erzeugen.  Diese  werden  weiterhin  beobachtet  bei  Tetanischen,  Hydrophobischen, 
resp.  solchen  Leuten,  die  von  einem  wuthkranken  Hunde  gebissen  zu  sein 
glauben,  oder  bei  Hypochondern,  Hysterischen,  Onanisten,  Tabikern.  Der  Globus 
hystericus  ist  vielleicht  auch  hierher  zu  rechnen,  weil  es  oft  den  Eindruck 
macht,    als    würde    die    eigenthümliche   Empfindung    einer   auf-   und   nieder- 


592  SECÜNDÄRE  SINNESEMPFINDÜNGEN. 

steigenden  Kugel  durch  Contractionen  der  Oesophagus-  und  Schlundmusculatur 
hervorgerufen. 

Gewöhnlich  sind  die  Krämpfe  tonische  und  nicht  selten  setzen  sie  sich  auch 
auf  den  Oesophagus  fort  und  dies  um  so  leichter,  als  der  obere  Theil  des- 
selben vom  Plexus  pharyngeus  versorgt  wird. 

Trigeminusneuralgien  infolge  einer  Wurzelerkrankung  dieses  Nerven, 
oder  periphere  Reizung  desselben,  sowie  Reizzustände  im  Bereiche  des  Accesso- 
rius,  Glossopharytigeus  und  Facialis  können  Krämpfe  des  weichen  Gaumens 
hervorrufen.  Auch  Rhinitis  hyperplastic,  sowie  Pharyngitis  granulosa  et  late- 
ralis sind  in  einigen  Fällen  angeschuldigt  worden. 

Symptome.  Werden  die  Schlingmuskeln  von  dem  Krämpfe  befallen, 
so  tritt  natürlich  eine  Behinderung  des  Schluckactes  ein;  der  Schlund  wird 
eng  und  lässt  den  Bissen  nicht  hindurch,  oder  dieser  wird,  wenn  er  etwas 
weiter  nach  unten  gelangt  ist,  festgehalten,  es  tritt  ein  Erstickungsgefühl  ein, 
und  der  Bissen  wird  entweder  herausgeschleudert  oder  gelangt  auch,  wenn 
der  Krampf  inzwischen  aufgehört,  hinunter  in  den  Magen. 

Bei  dem  Spasmus  des  Velum  zeigen  die  Gaumenbögen  einen  senkrecht 
in  die  Höhe  steigenden  Rand,  das  Gaumensegel  liegt  der  hinteren  Rachen- 
wand fest  an;  infolge  einer  krampfhaften  Eröffnung  des  Tubenostiums  hören 
die  Kranken  zuweilen  ihre  Stimme  verstärkt  (Autophonie).  Beim  klonischen 
Krämpfe  betheiligen  sich  vorzugsweise  der  Levator  und  Tensor  veli  palatini 
und  der  Azygos  uvula.  Es  treten  rhythmische  oder  unregelmässige  Zuckungen 
(20 — 160  in  der  Minute)  auf,  durch  die  der  weiche  Gaumen  nach  oben  und 
hinten  gezogen  wird;  dabei  entsteht  oft  ein  knackendes  Geräusch,  das  wahr- 
scheinlich hervorgebracht  ward  durch  das  gleichzeitig  stattfindende  krampf- 
hafte Oeffnen  und  Schliessen  der  schleimbedeckten  Tubenwände.  Dieses  Ge- 
räusch kann  ein  rein  subjectives  oder  auch  ein  objectives  sein. 

Die  Diagnose  stützt  sich  auf  die  objectiv  wahrnehmbaren  zuckenden 
Bewegungen  der  Gaumenmusculatur,  sowie  auf  den  Umstand,  dass  die  Schlund- 
sonde während  des  Spasmus  absolut  nicht  einführbar  ist,  während  sie  in  der 
anfallsfreien  Zeit  ohne  Schwierigkeiten  passirt.  Ebenso  sind  auch  die  Schluck- 
störungen nur  in  der  spastischen  Periode  vorhanden. 

Die  Prognose,  im  ganzen  günstig  bei  Neurasthenie,  Hypochondrie 
u.  s.  w.,  ist  natürlich  infaust  bei  Hydrophobie  und  gewöhnlich  auch  bei 
centraler  Ursache. 

Die  Behandlung  richtet  sich  nach  der  Grundursache  und  hat  eine 
Herabsetzung  der  Reflexerregbarkeit  durch  Nervina,  Allgemeinbehandlung,  Kalt- 
wassercuren  und  ähnliche  Maassnahmen  zum  Ziele.  A.  eosenberg. 

SeCUndäre  Sinnesempfindungen.  Man  versteht  darunter  die  eigen- 
thümliche  Erscheinung,  dass  einzelne  Personen  auf  einen  einfachen  Sinnes- 
reiz mit  einer  zweifachen  Sinnesempfindung  reagiren.  Obgleich  nach  den 
Untersuchungen  Urbantschitsch's  auch  bei  normal  veranlagten  Individuen 
consensuelle  Erregungen  in  mehreren  Bahnen  von  Sinnesnerven  bei  Reizung 
eines  Sinnesorganes  stattfinden,  muss  man  doch  die  exquisiten  Fälle  wirk- 
licher Doppelempfindung,  bei  welchen  dieselbe  deutlich  zum  Bewusstsein 
kommt,  von  den  eben  erwähnten,  innerhalb  der  physiologischen  Breite  ver- 
laufenden und  meist  unbewussten  Vorgängen  unterscheiden. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  von  Doppelempfindungen  handelt  es  sich  um 
Licht-  und  Farbenempfindungen,  welche  gleichzeitig  mit  der  Wahrnehmung 
musikalischer  Töne  oder  sprachlicher  Laute  auftreten.  Seltener  ist  das  Vor- 
kommen von  Farbenempfindung  bei  Geruchs-  und  Geschmacks-Sensationen, 
bei  Tast-,  Schmerz-  und  Temperatur-Eindrücken;  noch  seltener  findet  sich  das 
umgekehrte  Verhältnis,  dass  optische  Eindrücke  Gehörsempfindungen  zur 
Folge  haben. 


SEKUNDÄRE  SINNESEMPFINDUNGEN.  593 

Man  kaLn  nun  wieder  zwischen  solchen  Personen  unterscheiden,  welche 
bei  einem  akustischen  Eindruck  zugleich  eine  directe,  wirkliche  Farben- 
empfindung haben,  und  solchen,  welche  schon  beim  Denken  an  gewisse  Laute 
oder  Worte  auch  die  Vorstellung  einer  bestimmten  Farbe  damit  verbinden, 
ohne  dass  der  Laut  oder  das  Wort  gesprochen,  respective  gehört  wird.  So 
gibt  es  eine  nicht  geringe  Zahl  von  Individuen,  welche  mit  den  einzelnen 
Vocalen  sehr  entschieden  die  Vorstellung  einer  bestimmten  Farbe  verbinden. 
Ein  constantes  Verhältnis  zwischen  Vocal  und  Farbe  liess  sich  jedoch  bisher 
nicht  nachweisen;  den  Vocalen  a,  e,  i  entsprechen  durchschnittlich  hellere, 
dem  0  und  u  dunklere  Farben,  es  kommen  aber  mehrfache  Ausnahmen  von 
dieser  Regel  vor.  Man  darf  vielleicht  annehmen,  dass  letztere  Personen  in 
frühester  Jugend  wirkliche  Doppelempfindungen  gehabt  haben,  dass  diese 
später  allerdings  erloschen,  jedoch  erst  dann,  als  die  Combinationen  der  sen- 
sorischen Wahrnehmungen  dem  Gedächtnisse  bereits  fest  eingeprägt  waren. 
So  erklärt  es  sich,  dass  später,  bei  d6r  Erinnerung  an  den  Laut  oder  das 
Wort  auch  die  associative  Vorstellung  der  Farbe  zwangsweise  immer  wieder- 
kehrte. 

Von  grösserem  Interesse  sind  die  in  die  erste  Rubrik  gehörenden,  aller- 
dings seltenen  Fälle,  in  welchen  wirkliche  Doppelempfindungen  angegeben 
werden.  Durch  eine  im  Beginne  des  Jahres  1873  in  der  „Wiener  medicinischen 
Wochenschrift"  erschienene  Arbeit  eines  damals  in  Wien  Philologie  Studiren- 
den,  Namens  Nussbäumer,  wurde  zum  ersten  Male  die  allgemeine  Aufmerk- 
samkeit auf  diese  in  physiologischer  Beziehung  ausserordentlich  wichtige 
Frage  hingelenkt.  Unter  dem  Titel  ;;Ueber  subjective  Farbenempfindungen, 
die  durch  objective  Gehörsempfindungen  erzeugt  werden",  beschrieb  Nuss- 
BAUMEE  seine  eigenen,  höchst  überraschenden  Sensationen.  Er  hatte  von 
Kindheit  auf  so  lebhafte  Farbenempfindungen  bei  jeder  Tonwirkung,  z.  B. 
bei  Glockenklängen,  dass  die  Schönheit  der  dabei  empfundenen  Farben  ihn 
schon  als  Knaben  zuweilen  veranlasste,  in  laute  Bewunderung  darüber  aus- 
zubrechen, während  die  Tonempfindung  an  und  für  sich  eine  derartige  Wir- 
kung nicht  erzeugte.  Ein  um  zwei  Jahre  älterer  Bruder  Nussbaumer's  hatte 
dieselben  Doppelempfindungen,  sah  aber  bei  der  Klangwirkung  andere  Farben 
als  der  jüngere  Bruder.  Das  Gehörorgan  des  letzteren  war  sehr  fein;  er 
konnte  ohne  Beihilfe  von  Resonatoren  11  Partialtöne  aus  einem  tieferen 
Klaviertone  heraushören,  und  bei  darauf  gerichteter  Aufmerksamkeit  hatte 
er  bei  jedem  Partialtöne  eine  andere  subjective  Farbenempfindung. 

Im  Jahre  1881  erschien  eine  Broschüre  von  zwei  damals  in  Zürich 
studirenden  Candidaten  der  Medicin,  Namens  Bleuler  und  Lehmann,  unter 
dem  Titel:  „Zwangsmässige  Lichtempfindungen  durch  Schall  und  verwandte 
Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  anderen  Sinnesempfindungen".  Von  den 
Verfassern  war  Bleuler  selbst  mit  entschiedenen  Doppelempfindungen  be- 
haftet. Derselbe  hatte  nicht  nur  Farbenempfindungen  bei  akustischen  Ein- 
wirkungen, sondern  empfand  auch  umgekehrt  Geräusche  beim  Anblick  einer 
Flamme  oder  einer  lebhaften  Farbe;  er  hatte  ferner  Licht-  und  Farbensensa- 
tionen bei  Geruchs-  und  Geschmacksempfindungen.  Die  Verfasser  hielten 
Umfrage  bei  etwa  600  Personen,  wobei  sich  herausstellte,  dass  annähernd 
der  achte  Theil  derselben  mit  der  in  Frage  stehenden  Eigenthümlichkeit  mehr 
oder  weniger  begabt  war.  Häufig  konnte  Erblichkeit  der  Doppelempfindungen 
nachgewiesen  werden,  und  ferner  constatirten  die  Verfasser,  dass  dieselben 
bei  manchen  Personen  nur  in  der  Jugend  auftraten,  später  dagegen  an  Inten- 
sität abnahmen  oder  auch  ganz  verloren  gingen.  Auf  letzterem  Umstände 
beruht  die  oben  erwähnte,  von  mir  zuerst  ausgesprochene  Vermuthung  von 
dem  Uebergange  der  secundären  Sinnesempfindung  in  associirende  V o r- 
stellung,  wie  sie  bei  einigen  Individuen  zeitlebens  bestehen  bleibt. 

Ausser  diesen  beiden  epochemachenden  Publicationen   erschienen  Mit- 

Ohren-,  Nasen-,  Eaclien-,  Kehlkopfkrankheiten.  «'O 


594  SENSIBILITÄTSNEUROSEN  DES  KEHLKOPFES. 

theilungen  einer  grösseren  Anzahl  von  Gelehrten  über  Doppelempfindungen, 
welche  hier  nicht  näher  berücksichtigt  werden  können. 

Es  ist  zur  Zeit  nicht  möglich,  eine  befriedigende  Erklärung  des  uns 
hier  beschäftigenden  Vorganges  zu  geben.  Gibt  man  die  Existenz  centraler 
Sinnesfelder  zu,  so  ist  die  nächstliegende  Vermuthung  berechtigt,  dass  eine 
sensorische  Reizung,  z.  B.  eine  Reizung  des  Hörnerven,  bei  einigen  Menschen 
das  Gehörcentrum,  nachdem  dieselbe  hier  zur  Wirkung  gekommen,  über- 
schreite, und  auf  associirenden  Nervenbahnen  zum  optiscl^en  Centrum  ge- 
langend, auch  die  Zellen  dieses  Sinnesfeldes  zu  einer  Function  anregen  könne, 
und  umgekehrt. 

Die  Richtigkeit  dieser  Annahme  vorausgesetzt,  würde  man  wieder  daraus 
folgern  können,  dass  der  einem  Sinnesnervenepithel  adäquate  Reiz  von  dem- 
selben aufgenommen,  dann  aber  nicht  in  specifischer,  sondern  überall  in 
gleicher  Form  und  in  bestimmten  Nervenfasern  zu  den  centralen  Sinnes- 
feldern geleitet  werde,  und  erst  hier  wieder  die  specifische  Function  be- 
stimmter Ganglienzellen  anrege.  Es  wäre  sonst  unmöglich,  dass  der  mecha- 
nische Impuls  einer  periodischen  Luftbewegung  von  einigen  hundert  oder 
tausend  Schwingungen  in  der  Secunde,  welcher  im  Gehörcentrum  eine  Ton- 
empfindung erzeugt,  auf  das  Farbencentrum  übergehen  und  hier  eine  Wir- 
kung ausüben  sollte,  zu  deren  Zustandekommen  auf  gewöhnlichem  Wege  eine 
ungleich  grössere  Zahl  von  Schwingungen  des  Lichtäthers  in  dem  gleichem 
Zeiträume  erforderlich  ist. 

Hinsichtlich  der  Frage,  ob  die  mit  entschiedenen  Doppelempfindungen 
behafteten  Personen  gesund  seien,  wäre  zu  bemerken,  dass  dieselben  im  all- 
gemeinen körperlich  und  geistig  vollkommen  normal  sein  können,  dass  aber 
doch  ein  gewisser  Grad  erhöhter  cerebraler  Reizbarkeit  im  Bereiche  einiger 
centraler  Sinnesfelder,  oder  das  Fehlen  von  centralen  Hemmungsvorrichtungen 
bei  ihnen  nicht  in  Abrede  gestellt  werden  kann.  Für  diese  Annahme  spricht 
auch  die  nicht  selten  nachgewiesene  Erblichkeit  der  Doppelempfindungen, 
ferner  die  Thatsache,  dass  die  Erscheinung  in  der  Jugend  oft  am  lebhaftesten 
aufgetreten  sei  und  sich  mit  den  Jahren  abgestumpft  habe. 

STEINBRÜGGE. 

Sensibilitätsneurosen  des  Kehlkopfes.  Mit  Sensibilitätsneurosen 
des  Kehlkopfes  bezeichnen  wir  alle  diejenigen  Störungen  der  Empfindung  im 
Kehlkopf,  welche  ohne  eine  sichtbare  pathologisch-anatomische  Veränderung 
des  Organes  selbst  einhergehen  oder  zu  den  etwaigen  vorhandenen  Verände- 
rungen nicht  in  geradem  Verhältnisse  stehen.  Es  handelt  sich  demnach  um 
eine  Erkrankung  der  sensiblen  Nerven  des  Kehlkopfes.  Die  Erkrankungen 
derselben  äussern  sich  entweder  in  einer  Abnahme  oder  Steigerung  oder  Ver- 
änderung des  normalen  Gefühles. 

Anästhesie  und  Hypästhesie.  Unter  Anästhesie,  resp.  Hypästhesie 
des  Kehlkopfes  verstehen  wir  eine  vollkommen  aufgehobene,  resp.  herab- 
gesetzte Empfindlichkeit  der  Kehlkopfschleimhaut.  Eine  Abnahme  der  nor- 
malen Sensibilität,  eine  Herabsetzung  der  Reaction  der  sensiblen  Nerven 
gegenüber  dem  einwirkenden  Reiz  kann  man  bei  vielen  Personen  unter  nor- 
malen Verhältnissen  constatiren,  Fälle,  in  denen  die  Sensibilität  des  Kehl- 
kopfes in  so  geringem  Maasse  entwickelt  ist,  dass  man  schon  bei  der  ersten 
Sitzung  endolaryngeale  Manipulationen  vornehmen  kann.  Diese  Hypästhesie 
ohne  irgend  eine  krankhafte  Grundlage  kann  man  noch  nicht  als  pathologisch 
betrachten  und  nur  als  eine  individuelle  Eigenthümlichkeit  ansehen.  Es  ist 
deshalb  auch  schwer,  in  jedem  Falle  zu  entscheiden,  ob  es  sich  um  eine 
physiologische  oder  pathologische  Hypästhesie  handelt. 

Die  beiden  Erkrankungen  sind  nur  graduell  von  einander  verschieden. 
Sie  können  entweder  durch  centrale  Zustände,  wie  Hysterie,  Epilepsie,  Bulbär- 
paralyse,  cerebrale  Herderkrankungen,  Hemiplegieen,   durch  Tabes,  multiple 


SENSIBILITÄTSNEÜROSEN  DES  KEHLKOPFES.  595 

Sklerose,  verursacht  werden  oder  treten  infolge  von  peripherer  Lähmung  der 
sensiblen  Fasern,  namentlich  des  Nervus  laryngeus  superior  auf.  Am  häufigsten 
tritt  die  Anästhesie  nach  Diphtherie  ein.  Auch  nach  Influenza  hat  man 
sie  beobachtet. 

RoMBEKG  beobachtete  Anästhesie  der  Kehlkopfschleimhaut  im  asphyktischen 
Stadium  der  Cholera  asiatica.  Ott  beschrieb  neuerdings  eine  halbseitige 
Anästhesie  des  Kehlkopfes,  die  durch  eine  Degeneration  der  rechtsseitigen 
Vaguswurzeln  infolge  von  Nervensyphilis  verursacht  war.  Wir  fanden,  dass 
auch  bei  der  traumatischen  Neurose  die  Sensibilität  des  Kehlkopfes  in  den 
meisten  Fällen  abgestumpft,  resp.  vollkommen  erloschen  war,  und  zwar  immer 
nur  einseitig.  Welche  Seite  des  Kehlkopfes  befallen  war,  hing  davon  ab,  auf 
welcher  Seite  der  Kranke  bei  dem  Unfälle  den  Stoss,  resp.  die  Verletzung 
erlitten  hatte.     Stets  correspondirte  beides. 

Eine  künstliche  Anästhesie  können  auch  Arzneimittel  hervorrufen,  wie 
Cocain,  Menthol,  Morphium,  Chloroform-  und  Aethernarkosen. 

Symptome.  Viele  Kranke  haben  in  der  Regel  gar  keine  oder  nur 
wenig  Beschwerden  von  der  Hypästhesie,  resp.  Anästhesie.  Erst  die  objective 
Untersuchung  wird  die  Krankheit  erkennen  lassen.  Wenn  man  mit  irgend 
einem  Gegenstande,  z.  B.  mit  der  Sonde,  das  Innere  des  Kehlkopfes  berührt, 
so  wird,  wenn  die  Schleimhaut  nur  hypästhetisch  ist,  der  Kranke  wohl  diese 
Berührung  fühlen,  aber  die  Reflexe  werden  nicht  in  ihrer  gewöhnlichen  Inten- 
sität ausgelöst.  Bei  dem  vollkommenen  Erloschensein  der  Sensibilität  ist  die 
Schleimhaut  des  Kehlkopfinneren  gegen  Sondenberührung  ganz  unempfindlich. 
Die  Reflexe  sind  vollkommen  aufgehoben.  Ja  das  Stechen  der  Schleimhaut 
mit  einem  spitzen  Instrumente  wird  oft  nicht  empfunden  (Analgesie).  In 
einzelne  nFällen  beschränkt  sich  die  Anästhesie  nur  auf  einige  Stellen  des 
Kehlkopfes,  und  oft  ist  nur  die  eine  Seite  befallen.  Zuweilen  besteht  Hyp- 
ästhesie auf  der  einen  Seite,  während  auf  der  anderen  Seite  Anästhesie  vor- 
handen ist.  Beschränkt  sich  die  Anästhesie  allein  auf  das  Ausbreitungsgebiet 
des  Nervus  laryngeus  superior,  so  ist  die  Kehlkopfschleimhaut  nur  bis  zum  freien 
Rande  der  Stimmbänder  anästhetisch.  Manchmal  setzt  sich  die  Empfindungs- 
losigkeit weit  auf  die  Tracheaischleimhaut  fort.  Besteht  neben  der  Anästhesie 
des  Larynx  eine  erhöhte  Schmerzempfindung  {Hyperalgesie),  so  nennt  man 
nach  Schnitzler  diesen  Zustand  Anaesthesia  dolorosa  laryngis. 

Da  namentlich  bei  Diphtherie  in  den  meisten  Fällen  ausser  dem  sensiblen 
Ast  des  Nervus  laryngeus  superior  auch  der  äussere  motorische  Ast  desselben 
befallen  ist,  so  wird  auch  eine  Lähmung  des  Musculus  cricothyreoideus  und  der 
Musculi  thyreo-  und  aryepiglottici  zu  constatiren  sein.  Die  Epiglottis  steht  mehr 
oder  weniger  aufrecht  und  neigt  sich  beim  Schlingact  nicht  nach  hinten.  Infolge- 
dessen kann  der  Kehlkopfeingang  nicht  verschlossen  werden,  die  Speisetheile 
können  während  des  Schlingen  s  sehr  leicht  in  den  Kehlkopf  gelangen, 
rufen  bei  der  Berührung  mit  der  noch  empfindlichen  Trachealschleimhaut  die 
heftigsten  Hustenanfälle  hervor,  und  können  dadurch  nicht  nur  die  Gefahr 
des  Erstickens  herbeiführen,  sondern  auch  folgenschwere  Erscheinungen,  wie 
Fremdkörperpneumonie,  veranlassen.  Die  Schleimhaut  des  Kehlkopfes  zeigt 
dabei  keine  Veränderung,  in  einzelnen  Fällen  ist  sie  durch  die  häufige  Be- 
rührung mit  den  eingedrungenen  Speisen  etwas  geröthet.  Das  Eintreten  der 
Anästhesie  erfolgt  zuweilen  schon  während  des  entzündlichen  Stadiums  der 
Krankheit,  gewöhnlich  aber  erst,  nachdem  der  diphtheritische  Process  abgeheilt 
ist.  Die  sensible  und  motorische  Lähmung  entwickelt  sich  im  Kehlkopf  am 
intensivsten  auf  der  Seite,  auf  welcher  die  Diphtherie  sich  ausschliesslich 
oder  vorwiegend  localisirte.  Neben  der  diphtheritischen  Anästhesie  der  Kehl- 
kopfschleimhaut findet  sich  auch  in  den  meisten  Fällen  die  Rachenschleim- 
haut empfindungslos. 

38* 


596  SENSIBILITÄTSNEÜROSEN  DES  KEHLKOPFES. 

Die  Anästhesie,  die  nach  Diphtherie  auftritt,  schwindet  meist  spontan 
nach  sechs  bis  sieben  Wochen.  Stets  ist  die  Dauer  und  der  Ausgang  der 
Anästhesie  des  Kehlkopfes  natürlich  von  dem  Verlaufe  des  Grundleidens 
abhängig. 

Das  Leiden  der  vollständigen  Larynxanästhesie  ist  demnach  als  eine 
sehr  ernste  Störung  zu  betrachten,  und  viele  Kinder,  die  schon  die  eigent- 
liche Diphtherie  glücklich  überstanden  haben,  können  noch  an  der  infolge 
der  Anästhesie  auftretenden  Lungenerkrankung  zu  Grunde  gehen. 

Die  Diagnose  lässt  sich  sicher  nur  durch  die  laryngoskopische  Unter- 
suchung mittelst  Sondenberührung  feststellen.  Auch  kann  mit  dem  elektrischen 
Strom  mittelst  feiner  Kehlkopfelektroden  die  Sensibilität  geprüft  werden. 

Bei  der  Hyperästhesie  ist  eine  besondere  Behandlung  nicht  nöthig.  Ge- 
ringe Abnahmen  der  Sensibilität  können  sogar  ohne  irgend  welche  Therapie 
vorübergehen.  Die  Therapie  der  vollständigen  Larynxanästhesie  fällt  zusammen 
mit  der  Behandlung  der  eigentlichen  ursächlichen  Krankheit.  Die  örtliche 
Behandlung  besteht  in  der  Anwendung  des  faradischen  oder  galvanischen 
Stromes  oder  beider  abwechselnd,  indem  man  die  Elektroden,  am  besten  eine 
Doppelelektrode  nach  Ziemssen  in  den  Sinus  pyriformis  einführt,  und  die  Spitzen 
der  Branchen  durch  Heben  des  Elektrodengriffes  gegen  die  vordere  Wand  des 
Sinus  drückt,  um  die  Plica  N.  laryngei  direct  zu  treffen.  Auch  Strychnin- 
injectionen  sind  mit  gutem  Erfolge  empfohlen  worden.  Nach  Ziemssen  be- 
ginne man  mit  kleinen  Dosen,  und  zwar  0-005  in  Lösung,  und  steige  bei 
Erwachsenen  bis  zu  0*01  zweimal  täglich.  Statt  der  Injectionen  kann  man 
auch  innerlich  die  Tinct.  Semin.  Strychni  dreimal  täglich  5  bis  10  Tropfen 
geben.  Besonders  bei  der  nach  diphtheritischer  Halsentzündung  auftretenden 
Anästhesie  konnten  wir  durch  gleichzeitige  Anwendung  der  Elektricität  und 
Strychninbehandlung  den  Verlauf  günstiger  gestalten  und  etwas  abkürzen. 
Das  Wichtigste  bei  der  Behandlung  der  completen  Anästhesie  ist  jedoch  die 
Vermeidung  der  Fremdkörperpneumonie  und  die  Sorge  für  eine  kräftige  Er- 
nährung des  Kranken.  Der  Patient  muss  mittelst  der  Schlundsonde  ernährt 
werden,  bei  deren  Einführung  man  grosse  Vorsicht  üben  muss,  damit  sie 
nicht  in  den  anästhetischen  Kehlkopf  gerathe.  Auch  ernährende  KJystire 
sind  in  vielen  Fällen  unerlässlich. 

Hyperästhesie  und  Neuralgie.  Unter  Hyperaesthesia  laryngis  versteht 
man  eine  gesteigerte  Reizbarkeit  des  Kehlkopfes,  welche  durch  einen  centralen 
oder  peripheren  Reiz  zu  Stande  kommt.  Durch  einen  derartigen  Reiz  wird 
eine  gesteigerte  Sensibilität  herbeigeführt,  die  entweder  als  Schmerz  wahr- 
genommen oder  von  Reflexerscheinungen  begleitet  wird.  Die  Hyperästhesie 
findet  sich  oft  als  regelmässige  Erscheinung  bei  acuten  Entzündungen  des 
Kehlkopfes.  Meist  tritt  sie  auf  infolge  von  Hysterie,  Neurasthenie  und  Hypo- 
chondrie, sehr  häufig  bei  Anaemie  und  Chlorose.  Auch  beobachtet  man  die 
Hyperästhesie  des  Kehlkopfes  zur  Zeit  der  Dentition,  während  der  Menstru- 
ation und  Schwangerschaft.  Bekannt  ist,  dass  Lungenschwindsüchtige  sehr 
reizbar  im  Kehlkopf  sind.  Ja  nicht  selten  kann  eine  Hyperästhesie  des  Kehl- 
kopfes als  Vorläufer  der  Lungenphthisis  gelten,  bevor  noch  an  den  Lungen 
sich  etwas  nachweisen  lässt.  Häufig  wird  sie  auch  durch  krankhafte  Processe 
im  retronasalen  Raum  des  Pharynx  verursacht  oder  geht  reflectorisch  von 
den  Tonsillen  oder  der  Nasenschleimhaut  aus. 

Zu  bemerken  ist,  dass  bei  der  individuellen  Verschiedenheit  der  phy- 
siologischen Reizbarkeit  der  Kehlkopfschleimhaut  ebenso  wie  bei  der  Hyp- 
ästhesie  auch  ein  geringer  Grad  von  Ueberempfindlichkeit  durchaus  nicht 
pathologisch  zu  sein  braucht. 

Die  Symptome,  welche  die  Hyperästhesie  macht,  sind  Hustenreiz,  Kitzel 
und  Brennen,  eine  grosse  Empfindlichkeit  des  Kehlkopfes  gegen  Temperatur- 
unterschiede, gegen  staubige  und  rauchige  Luft.  Die  Reflexerregbarkeit  ist  so 


SENSIBILITÄTSNEÜROSEN  DES  KEHLKOPFES.  597 

gesteigert,  dass  die  Schleimhaut  gegen  die  leiseste  Berührung  abnorm  stark 
reagirt,  und  dass  es  unmöglich  wird,  Eingriffe  in  der  Kehlkopfhöhle  vorzu- 
nehmen. Selbst  nach  kleinen  Reizen  der  Schleimhaut  kann  es  zu  heftigen 
Hustenparoxysmen  und  laryngospastischen  Anfällen  kommen.  Die  Hyper- 
ästhesie ist  oft  so  hochgradig,  dass  nicht  nur  die  Berührung,  sondern  schon  die 
Annäherung  eines  Gegenstandes  an  das  Kehlkopfinnere  die  heftigsten  Reflexe 
hervorruft.  Zuweilen  ist  die  Hyperästhesie  mit  brennenden,  stechenden 
Schmerzen  in  der  Kehlkopfgegend  verbunden  (Hyperalgesie),  ohne  dass  sich 
bei  der  genauesten  laryngoskopischen  Untersuchung  eine  sichtbar  pathologisch 
anatomische  Veränderung  im  Kehlkopfe  als  Ursache  dafür  erkennen  lässt. 
Wenn  auch  die  Hypochondrie  oft  die  Ursache  der  Hyperästhesie,  so  kann 
umgekehrt  die  fortwährend  gesteigerte  Empfindlichkeit  auf  das  Gemüt  der 
Kranken  einen  ungünstigen  Einfluss  über  und  zur  Hypochondrie  führen. 

Eine  besondere  Form  der  Hyperalgesie  ist  die  Neuralgie  des  Kehl- 
kopfes. Sie  kommt  äusserst  selten  vor  und  charakterisirt  sich  durch  anfalls- 
weise auftretende  Schmerzen  im  Halse  oder  unter  dem  Brustbein,  ganz  ent- 
sprechend dem  Verlauf  der  Kehlkopf  nerven.  Mackenzie  beobachtete  auch  inter- 
mittirende  Neuralgie,  welche  er  durch  Chinin  heilte.  Der  Schmerz  kann  nur 
auf  einer  Seite  vorhanden  sein  und  nach  dem  Ohr  der  entsprechenden  Seite 
ausstrahlen.  Mitunter  treten  die  Schmerzen  nur  bei  der  Phonation  auf;  der- 
artige Fälle  sind  von  Krishabek,  Peter,  Gottstein  beobachtet.  Zuweilen 
sind  die  Schmerzen  so  heftig,  dass  die  Kranken  zu  absolutem  Stillschweigen 
verurtheilt  werden  (Phonophobie).  In  dem  von  Gottstein  beobachteten  Falle 
konnte  bei  mehr  als  zweijähriger  Beobachtung  der  Patientin  nie  eine  Ver- 
änderung im  Kehlkopf  nachgewiesen  werden.  Manchmal  gelingt  es,  schmerz- 
hafte Druckpunkte  am  Halse  nachzuweisen,(E.  Fränkel),  die  gegen  die  Appli- 
cation des  Constanten  Stromes  ausserordentlich  empfindlich  sind. 

Wenn  auch  die  Hyperästhesie  für  das  Leben  keine  Gefahr  herbeiführt, 
so  ist  sie  doch  von  grosser  Hartnäckigkeit  und  recidivirt  sehr  leicht. 

Die  Therapie  hat  sich  gegen  die  etwaige  Allgemeinerkrankung  zu  richten. 
Innerlich  sind  zu  empfehlen  Brompräparate,  die  die  abnorm  gesteigerte  Sensi- 
bilität der  Kehlkopfschleimhaut  herabzusetzen  im  Stande  sind.  Häufig  und 
mit  gutem  Erfolge  haben  wir  auch  die  örtliche  Application  einer  Bromkali- 
lösung, sowie  der  vom  Jurasz  empfohlenen  Chloralmorphiumlösung  (Chloral- 
hydrat  4,  Morphin  muriat  O'l,  Aqu,  destill.  lOO'O)  angewandt.  In  anderen 
Fällen  bedienten  wir  uns  des  constanten  Stromes,  indem  wir  die  Anode  auf 
die  vordere  Halsgegend  aufsetzten  und  die  Kathode  auf  die  Halswirbelsäule. 
Gelingt  es,  Schmerzpunkte  zu  finden,  so  wird  die  Anode  auf  dieselben  gesetzt, 
und  man  elektrisire  3 — 5  Minuten.  Gottstein  hat  die  feuchte  Wärme  in 
Gestalt  von  in  heisses  Wasser  getauchten  Compressen  gute  Dienste  geleistet. 
Er  lässt  dieselben  als  handbreite,  6— Sfach  zusammengelegte  Tücher  anwenden, 
welche  in  so  heisses  Wasser  getaucht  werden,  wie  es  die  Kranken  nur  er- 
tragen können,  und  gut  ausgewunden  auf  den  vorderen  Umfang  des  Halses 
gelegt  werden.  Die  Compressen  werden  alle  1 — 2  Minuten  gewechselt,  eine 
halbe  Stunde  lang  (ein-  bis  zweimal  täglich).  Neuerdings  haben  Braun  und 
Lakeb  die  Schleimhautmassage  für  die  Hyperästhesien  empfohlen.  Will  man 
die  Hyperästhesie  behufs  eines  operativen  Eingriffes  beseitigen,  so  ist  natürlich 
am  einfachsten  die  Bepinselung  der  Kehlkopfhöhle  mit  einer  10 böigen 
Cocainlösung. 

Parästhesie.  Unter  Parästhesie  des  Kehlkopfes  versteht  man  eine 
krankhafte  Veränderung  der  Gefühle,  welche  entweder  ohne  eine  sichtbare 
örtliche  Erkrankung  im  Kehlkopf  bestehen  oder  durch  eine  so  leichte  locale 
A^'eränderung  des  Organes  verursacht  werden,  dass  die  perversen  Empfindungen 
mit  der  etwa  vorhandenen  geringfügigen  Affection  qualitativ  und  quantitativ 
in  gar  keinem  Verhältnisse  stehen.    Unter  den  Sensibilitätsneurosen  des  Kehl- 


598  SENSIßlLITÄTSNEUROSEN  DES  RACHENS.   . 

kopfes  ist  wohl  die  Parästhesie  die  häufigste.  Als  Ursache  der  Parästhesie 
sind  Anämie  und  Chlorose,  Hysterie,  Neurasthenie  und  Hypochondrie  anzusehen. 
Namentlich  haben  die  Syphilophoben  furchtbar  unter  den  abnormen  Sensa- 
tionen am  Kehlkopfe  zu  leiden.  Häufig  beobachtet  man  die  Parästhesie  des 
Kehlkopfes  im  Verlauf  von  chronisch  entzündlichen  Zuständen  der  Lunge. 
Manchmal  ist  sie  eine  Begleiterscheinung  der  beginnenden  Lungentuberkulose, 
worauf  JuEASz  zum  ersten  Male  aufmerksam  gemacht  hat,  und  zwar  schon  zu 
einer  Zeit,  wo  nicht  die  geringsten  Zeichen  einer  Lungenaffection  festzu- 
stellen sind. 

Die  abnormen  Empfindungen  äussern  sich  in  Brennen,  Drücken,  Kratzen, 
Kitzeln,  Wundsein  im  Kehlkopf,  namentlich  aber  in  dem  Gefühl  eines  Fremd- 
körpers. Die  fremdartigen  Gefühle  sind  sehr  verschiedener  Natur  und  richten 
sich  in  der  Art,  wie  sie  beschrieben  werden,  gewöhnlich  je  nach  dem  Bildungs- 
grade und  der  Beschäftigung  des  Kranken.  Bald  ist  es  ein  Knochenstück 
oder  eine  Gräte,  bald  eine  Nadel  oder  ein  eiserner  Stift,  bald  eine  Glasscherbe, 
Haar,  "Watte  u.  s.  w.  Die  Sensationen  sind  entweder  beständig  vorhanden 
oder  nur  zeitweise,  so  namentlich  während  des  Sprechens.  Wird  die  Auf- 
merksamkeit des  Kranken  von  seinem  Leiden  abgelenkt,  so  vergisst  er  zu- 
weilen seine  Beschwerden.  Neben  der  Parästhesie  findet  sich  oft  eine  ver- 
minderte Reizbarkeit  oder  auch  eine  Hyperästhesie  der  Kehlkopfschleimhaut. 

Die  Parästhesie  des  Kehlkopfes  ist  ebenso  wie  die  H}Tperästhesie  kein 
gefährliches  Leiden,  aber  von  grosser  Hartnäckigkeit  und  ein  langwieriges 
Leiden,  welches  nicht  nur  den  Kranken,  sondern  auch  den  behandelnden  Arzt 
oft  in  Verzweiflung  bringen  kann. 

Die  Therapie  hat  stets  das  vorhandene  Allgemeinleiden  zu  berücksich- 
tigen. In  allen  Fällen  muss  man  sorgfältig  untersuchen,  ob  die  Parästhesie 
wirklich  eine  rein  nervöse  ist,  oder  ob  dieselbe  nicht  auf  einer,  wenn  auch 
noch  so  geringfügigen  Erkrankung  der  Schleimhäute  beruht.  Selbst  wenn 
die  Empfindung  von  dem  Kranken  in  den  Kehlkopf  verlegt  wird,  so  kann  die 
Parästhesie  ihre  Ursache  in  einer  Erkrankung  der  Zungentonsille,  des  Rachens 
und  namentlich  des  Nasenrachenraums  haben.  Die  Therapie  hat  sich  gegen 
die  etwa  vorgefundenen  nachweisbaren  Veränderungen  zu  richten  und  wird 
oft  die  Sensationen  beseitigen  können.  Von  einer  localen  Anwendung  einer 
2 — 37ogen  Arg.  Nitr.  Lösung  erzielte  Gottstein  zuweilen  selbst  in  solchen 
Fällen  Nutzen,  bei  denen  eine  örtliche  Affection  der  Kehlkopfschleimhaut 
nicht  nachgewiesen  werden  konnte.  scheier. 

Sensibilitätsneurosen  des  Rachens.  Die  Schleimhaut  des  Rachens 
kann  die  Erscheinung  der  Anästhesie,  Hyperästhesie  und  Parästhesie  dar- 
bieten. Anästhesie  findet  sich  bei  Anämien,  Marasmen  und  Kachexien. 
Specifisch  ist  die  Anästhesie,  namentlich  als  Hemanästhesie  bei  der  Hysterie. 
Hyperästhesie  des  Pharynx  findet  sich  bei  Potatoren,  Phthisikern,  Graviden. 
Auch  als  Symptom  von  Gehirn erkrankungen,  Meningitis,  wird  sie  erwähnt. 
Sehr  empfindlich  ist  selbstverständlich  der  Rachen  im  entzündeten  Zustande, 
und  zwar  umso  mehr,  je  acuter  die  Entzündung.  Parästhesie,  eine  abnorme 
Sensation  im  Pharynx,  ist  eine  ungemein  häufige  Störung.  Die  Patienten 
klagen  über  allerhand  fremde,  unangenehme  Empfindungen  im  Halse,  über 
das  Gefühl,  als  hätten  sie  eine  Gräte,  ein  Haar,  einen  Lappen,  eine  Feder^ 
eine  Nadel  u.  s.  w.  im  Rachen  stecken.  Es  gibt  reine  Parästhesien  ohne 
andere  nachweisbare  Veränderung,  als  manchmal  Anämie;  zuweilen  findet  sich 
die  Parästhesie  häufig  als  Frühstadium  von  Lungenphthise.  Diese  gibt  viel- 
leicht durch  trophische  Störungen  an  den  sensiblen  Nervenästchen  durch 
Uebertragung  von  Reizzuständen  im  Centrum  —  also  reflectorisch  —  zu  einer 
Sensibilitätsneurose  Veranlassung.  Selbst  wenn  pathologische  Veränderungen 
vorhanden,  sind  sie  keineswegs  immer  mit  der  Parästhesie  in  causalen  Zu- 
sammenhang zu  bringen.  Sie  ist  centraler,  peripherer  oder  reflectorischer  Natur. 


SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN.  599 

Wenngleich  bei  fast  all  diesen  Patienten  für  ihre  abnormen  Empfindun- 
gen eine  nervöse  Grundlage  nachweisbar  ist,  und  der  grösste  Theil  derselben 
weibliche  Personen  zum  Theil  mit  anderen  ausgesprochenen  hysterischen  Sym- 
ptomen sind,  so  ist  andererseits  doch  in  einer  erklecklichen  Zahl  der  Fälle 
eine  von  der  Norm  abweichende  objective  Veränderung  als  Ursache  für  die 
Parästhesie  nachweisbar,  eine  Veränderung,  die  freilich  bei  sonst  gesunden 
Personen  eine  nur  unbedeutende  und  nicht  beachtete  oder  auch  gar  keine 
besondere  Empfindung  hervorzurufen  braucht. 

Parästhesien  finden  sich  am  häufigsten  bei  Vorhandensein  oder  nach 
Extraction  von  Fremdkörpern,  als  Symptom  der  Uvula  elongata  und  endlich 
bei  Hyperplasie  der  Zungentonsille. 

Neuralgien  des  Pharynx  sind  selten  und  am  häufigsten  auf  hyste- 
rischer Basis,  zuweilen  treten  sie  nur  zur  Zeit  der  Menses  auf.  Die  Behand- 
lung der  Sensibilitätsneurosen  des  Rachens  richtet  sich  durchaus  nach  der 
Aetiologie.  R- 

Simulation  von  Gehörleiden.  Simulation  von  Gehörleiden  kommt 
wohl  am  häufigsten  vor  zum  Zwecke,  sich  einer  lästigen  Dienstverpflichtung, 
insbesondere  dem  Kriegsdienste  zu  entziehen,  oder  um  nach  Misshandlungen, 
beziehungsweise  Verletzungen  am  Kopf,  besonders  am  Ohr  oder  in  der  Nähe 
des  Gehörorganes,  ein  gehöriges  Schmerzensgeld,  beziehungsweise  Versorgungs- 
ansprüche zu  erpressen. 

Ersatzansprüche  unbegründeter  Art  können  ferner  an  Unfallversicherungs- 
gesellschaften, und  zwar  wohl  am  häufigsten  gestellt  werden  von  Fabriks- 
arbeitern, denen  es  bekannt  ist,  dass  Beschäftigungen,  welche  mit  Erschütte- 
rungen des  Gehörorganes  verbunden  sind,  zu  Schwerhörigkeit,  selbst  Taubheit 
führen  können  (z.  B.  Signaltaubheit  bei  Eisenbahnbediensteten),  endlich  sind 
analoge  Anforderungen  an  Eisenbahnverwaltungen  für  angebliche  Gehörs- 
störungen infolge  von  Shock  bei  Eisenbahnkatastrophen  denkbar. 

Um  Mitleid  hervorzurufen,  wie  solches  bei  Simulation  von  Erblindung 
oft  der  Fall  sein  dürfte,  hat  wohl  kaum  jemand  eine  Taubheit  simulirt.  Ist 
ja  doch  bekannt,  dass  Schwerhörige  und  Taube  mehr  eine  lächerliche,  als 
eine  bemitleidete  Rolle  in  der  menschlichen  Gesellschaft  spielen.  Indessen 
wäre  die  Simulation  von  Gehörleiden  bei  Hysterie  aus  ziemlich  verwandten 
Motiven  nicht  ganz  von  der  Hand  zu  weisen. 

In  weitaus  den  meisten  Fällen  ist  die  Simulation  von  Gehörleiden  auf 
Uebertreibung  vorhandener  Gebrechen  zurückzuführen;  also  im  strengsten 
Wortsinne  keine  Simulation.  Gleichwohl  ist  auch  die  Rückführung  solcher 
Uebertreibungen  auf  das  richtige  Maass  Aufgabe  des  den  Zustand  begut- 
achtenden Arztes. 

Was  nun  diejenigen  Simulanten  betrifft,  welche  nicht  von  der  Hand  weg 
als  Schwindler  zu  bezeichnen  sind,  sondern  ein  factisch  bestehendes  Gebrechen 
übertreiben,  so  finden  sich  solche  als  —  sozusagen  verzeihlichere  Sorte  —  vor- 
zugsweise unter  den  Wehrpflichtigen. 

Es  hat  z.  B.  ein  Solcher  in  seiner  Jugend  thatsächlich  ein  Ohrenleiden 
gehabt;  er  weiss  vielleicht,  dass  ein  gewisser  Grad  von  Schwerhörigkeit  oder 
erkennl3are  Zeichen  des  überstandenen  Leidens  (Verkalkungen,  Narben  etc.) 
am  Trommelfell  zurückgeblieben  sind.  Er  weiss  aber  auch,  dass  das  Gesetz 
einen  bedeutenden  Grad  von  Schwerhörigkeit  für  die  Befreiung  von  der  Wehr- 
pflicht fordert;  nun  ist  aber  z.  B.  dieser  Grad  von  Schw^erhörigkeit  nicht  vor- 
handen; begreiflich  —  wenn  auch  nicht  zu  billigen  —  ist,  dass  er  seine  ge- 
ringe oder  allenfalls  sogar  mittelgradige  Schwerhörigkeit  zu  einer  hochgradigen 
emporzuschrauben  versucht. 

Wo  gar  kein  materielles  Suhstrat  am  Gehörorgane,  also  kein  ausge- 
sprochenes oder  noch  bestehendes  Gehörleiden  vorhanden  ist,  und  wie  aus 
der  Luft  gegriifen  ein  solches  behauptet  wird,  da  beliebt  das  Vorgeben  ein- 


600  SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN. 

seitiger  Taubheit,  weil,  so  glauben  diese  Leute,  und  nicht  ganz  mit  Unrecht, 
eine  solche  am  leichtesten  vorzutäuschen  sei. 

Totale  Taubheit  auf  die  Dauer  zu  simuliren,  ist  wohl  kaum  denkbar. 
Welchen  Aufwand  an  stets  gespannter  Aufmerksamkeit  und  Selbstbeherrschung 
mtisste  das  erfordern! 

Unter  den  Individuen,  welche  durch  Yortäuschung  krankhafter  Zustände 
des  Gehörorgänes  Hintergehungen  —  seien  sie  nun  dieser  oder  jener  Art  — 
auszuführen  versuchen,  lassen  sich  folgende  drei  Gruppen  von  einander 
scheiden. 

1.  Die  einen  begnügen  sich  damit,  eine  mehr  oder  weniger  vorhandene 
Schwerhörigkeit  zu  übertreiben  oder  eine  gar  nicht  vorhandene  zu  simuliren, 
ohne  weiteres  darzuthun,  als  nur  bei  Hörprüfungen  keine  Antwort  geben  zu 
wollen. 

2.  Die  zweite  Gruppe  aber  begnügt  sich  damit  nicht;  sie  greift  activ 
ein,  sie  bringt  fremde  Körper  in  das  Ohr,  um  den  zu  untersuchenden  Arzt 
zu  täuschen,  und  zwar,  entweder  um  eine  Gehörerkrankung  vorzutäuschen  oder 
aber,  um  bei  vorgeschützter  Schwerhörigkeit  die  Hörprüfungen  leichter  zu 
bestehen. 

3.  Endlich  scheut  sich  eine  Anzahl  von  Menschen  nicht,  krankhafte  Zu- 
stände (Entzündungen),  vielleicht  selbst  Verletzungen  dem  eigenen  Gehör- 
organe zuzufügen  oder  herbeiführen  zu  lassen,  um  einen  thatsächlichen  krank- 
haften Zustand  produciren  zu  können.  Um  gleich  bei  dieser  letzten  Gruppe 
zu  verweilen,  so  muss  bemerkt  werden,  dass  Verletzungen  und  Beschädi- 
gungen des  Gehörorgänes  in  der  angedeuteten  Art  überhaupt  selten  vor- 
kommen. 

Wie  eine  directe  Verletzung  des  Gehörorgänes  durch  ein  Instrument 
vom  untersuchenden  Arzt  aus  dem  Befunde  allein  aufgeklärt  werden  soll,  ist 
schwer  zu  sagen. 

Vielleicht  könnten  Anhaltspunkte  entnommen  werden  aus  den  dies- 
bezüglichen Versuchen,  welche  Zaufal  (Archiv  für  Ohrenheilkunde,  Band  1 
und  2)  an  Leichen  ausgeführt  hat. 

Er  fand  bei  Verletzungen  des  Trommelfelles  an  der  Leiche,  dass  das 
Werkzeug  eine  Ablenkung  nach  vorne  auf  der  schiefen  Ebene  der  hinteren 
Partie  des  Trommelfelles  erfährt  und  daher  meistens  die  vordere  Hälfte  des 
Trommelfelles  zerstört  wird.  Ebenso  fand  er,  dass  nicht  einfache  Stichöffnun- 
gen, sondern  mehr  ausgebreitete  Zerreissungen  des  Trommelfelles,  selbst 
Bruch  von  Gehörknöchelchen  sich  zeigen. 

Bei  durch  Ohrfeigen  entstandenen  traumatischen  Verletzungen  des 
Trommelfelles  findet  man  in  der  Kegel  die  Ruptur  an  der  hinteren  Partie 
des  Trommelfelles,  und  zwar  meist  einen  einfachen  kleinen  Einriss,  zum 
mindesten  keinen  Bruch  eines  Gehörknöchelchens.  Loslösung  des  Hammer- 
griffendes vom  Trommelfell  nach  einer  Ohrfeige  habe  ich  wiederholt  gesehen. 

Es  könnte  also  dieser  Unterschied  allenfalls  Anhaltspunkte  geben,  die 
angebliche  Ursache  des  Traumas  wenigstens  zu  bezweifeln. 

Leichter  ist  die  Beurtheilung  solcher  Fälle,  wo  durch  Eingiessen  von 
ätzenden  Flüssigkeiten  Entzündungen  im  Ohre  erzeugt  worden  sind;  voraus- 
gesetzt, dass  der  Fall  nicht  zu  spät  zur  Beobachtung  kommt.  Es  ist  nämlich 
eine  Anätzung  der  äusseren  OhröÖnung  oder  wenigstens  des  äusseren  Gehör- 
ganges beim  Eingiessen  von  derlei  Flüssigkeiten  kaum  zu  vermeiden,  und 
hat  eine  auf  derartige  Manipulationen  folgende  Entzündung  des  äusseren 
Gehörganges  unbedingt  ein  anderes  Gepräge,  als  eine  Entzündung  des  äusseren 
Gehörganges  durch  genuines  Ekzem  oder  durch  Arrosion  infolge  eines  chro- 
nischen Eiterungsprocesses  im  Mittelohr. 

Bekannt  sind  Fälle,  wo  durch  Canthariden,  Seidelbast  oder  ähnliche 
reizende  Mittel  künstlich  Ekzeme  erzeugt  wurden. 


SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN.  601 

Durch  Auffinden  der  Reste  von  derlei  Substanzen  im  Gehörgang  oder 
sonst  beim  betreffenden  Individuum,  ferner  durch  die  anstandlose  und  meist 
rasche  Heilung  unter  einem  strengen  Occlusivverband  (z.  B.  Zinkleim  mit 
gestärkter  Binde  darüber)  wird  dieses  Treiben  entweder  direct  entlarvt  oder 
ihm  für  die  Folge  ein  Ende  gemacht. 

Die  zweite  Kategorie  von  Schwindlern,  welche  durch  Einbringen  fremder 
Körper  in  das  Ohr  zu  täuschen  sucht,  kommt  häufiger  vor  als  die  oben  be- 
sprochene. 

So  wurden  von  Pekant  und  Laurent  Fälle  angeführt,  wo  Hoden  von 
jungen  Hühnern,  Nieren  von  Kaninchen  etc.  zur  Production  von  Polypen  be- 
nützt wurden.  Auch  die  abgekappte  Spitze  von  einem  Hühnerherz,  mit  der 
Schnittfläche  gegen  das  Trommelfell  geschoben,  gibt  einen  ziemlich  guten 
Kunstpolypen  ab.  Ohrenflüsse  werden  in  ähnlicher  Weise  erzeugt,  und  zwar 
durch  Eingiessen  von  Eidotter,  Käsemulsion,  Seife  und  dergleichen. 

Alle   derlei  Artefacte   sind  durch    eine  einzige  Ausspritzung  aufgeklärt. 

Einfacher  ist  somit  das  Verfahren  jener,  welche  sich  nicht  die  Mühe 
nehmen  oder  nicht  den  Muth  dazu  haben,  mit  dem  Ohre  solcherlei  Manipu- 
lationen vorzunehmen,  welche  ein  Gehörleiden  vortäuschen  könnten. 

Beständiges  Ohrensausen  oder  hochgradige  Schwerhörigkeit  nach  einer 
angeblichen  Krankheit  oder  einer  Verletzung  am  Kopfe  können  unbekümmert 
um  einen  negativen  Trommelfellbefund  angegeben  werden,  und  ist  es  nicht 
unmöglich,  bei  consequenter  Aufmerksamkeit  die  simulirte  Taubheit  oder 
Schwerhörigkeit  mit  mehr  oder  weniger  Erfolg  zu  behaupten. 

Solche  Fälle  sind  es,  welche  zu  der  ziemlich  bedeutenden  Zahl  von  Ver- 
suchen geführt  haben,  namentlich  einseitige  Taubheit  oder  bedeutende  Schwer- 
hörigkeit zu  entlarven. 

Die  meisten  derselben  beruhen  mehr  oder  weniger  darauf,  die  Simulanten 
zu  überlisten. 

Da  natürlich  bei  einem  Individuum  dieser,  bei  einem  anderen  jener 
Versuch  Erfolg  haben  und  einer  oder  der  andere  fehlschlagen  kann,  so  ist 
es  immerhin  wünschenswert,  alle  die  verschiedenen  Untersuchungsmethoden 
zu  kennen,  um  je  nach  der  Individualität  des  Falles  dieses  oder  jenes  Ver- 
fahren zu  erproben. 

Von  jeher  ist  natürlich  das  Bestreben  des  Arztes  darauf  gerichtet  ge- 
wesen, von  „Ueberlistung"  überhaupt  absehen  zu  können,  und  mit  Versuchen 
zu  arbeiten,  welche  selbst  dem  mit  dem  Vorgang  Vertrauten  die  Simulation 
unmöglich  machen. 

Mit  Recht  sagt  Dewerni,  dass  Ueberraschungs-  und  Ueberlistungs- 
methoden  nur  allzuleicht  im  Falle  des  Misslingens  eine  Schädigung  der  noth- 
wendigen  ärztlichen  Autorität  im  Gefolge  haben  können.  (Deutsche  militär- 
ärztliche Zeitschrift  1883,  Heft  4,  „Ueber  Simulation  von  Gehörleiden  und 
ihre  Entlarvung".) 

Das  Erwecken  aus  dem  Schlafe  durch  Ansprechen  kann  leicht  fehl- 
schlagen, denn  einerseits  gibt  es  normalhörende  Leute,  welche  erst  durch 
sehr  lautes  Anrufen  wach  werden,  so  dass  auch  ein  sehr  Schwerhöriger  wach 
werden  müsste,  andererseits  kann  ein  jeder,  welcher  einen  leichten  Schlaf 
hat  und  rasch  zu  sich  kommt,  trotz  des  Erwachens  ruhig  sich  weiter  schla- 
fend stellen,  beziehungsweise  derart  orientieren,  dass  ihm  nichts  Positives 
bewiesen  werden  könnte. 

Mir  ist  es  ein  einziges  Mal  gelungen,  bei  einem  hochgradige  Schwer- 
hörigkeit Simulirenden  die  Schlaftrunkenheit  auszunützen  und  ihn  zu  über- 
listen. 

Ganz  gewiss  kann  ein  beschämendes  Misslingen  sich  ereignen  bei  dem 
einst  beliebten  Kunststückchen,  den  Betreffenden  nach  Hause  gehen  zu  heissen 
oder  ihm  etwas  Beleidigendes  zu  sagen  und  sein  Mienenspiel  zu   beobachten 


602  SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN. 

(Gaujot,  Gazette  des  hopiteaux,  1877  Nr.  11),  hinter  dem  Simulanten  ein 
Geldstück  fallen  zu  lassen  oder  mit  dem  Stock  auf  den  Boden  zu  klopfen, 
und  aus  dem  Umstand,  ob  der  Mann  sich  umkehrt  oder  nicht,  auf  Simulation 
zu  schliessen. 

Letztere  Finte  ist  merkwürdiger  Weise  in  zwei  ganz  entgegengesetzten 
Richtungen  verwertet  worden. 

Der  wirklich  Taube  soll  nämlich  (Casper's  gerichtliche  Medicin,  p.  370) 
die  Erschütterung  fühlen  und  sich  deshalb  umkehren,  der  Simulant  aber  in 
der  Meinung,  dies  nicht  thun  zu  dürfen,  sich  nicht  umkehren;  nach  der  älteren 
Auffassung  aber  soll  der  Simulant  das  Fallen  und  Stossen  gehört  haben  und 
sich  dadurch,  dass  er  sich  etwa  umkehrt,  verrathen.  Man  sieht,  dass  ein 
solcher  Versuch  sich  deuten  lässt,  wie  man  eben  will. 

Uebrigens  hat  Eehaed  (Deutsche  militärärztliche  Zeitschrift,  1874, 
Nr.  5  und  6,  pag.  358)  gefunden,  dass  bei  dem  in  Rede  stehenden  Versuch 
in  einem  Taubstummeninstitut  sich  einige  umwandten,  andere  nicht,  also 
sicher  dieser  Versuch  von  sehr  zweifelhaftem  Werte  ist. 

Wenn  auch  an  und  für  sich  nicht  genügend,  die  Simulation  von  Taub- 
heit oder  beiderseitiger  Schwerhörigkeit  zu  beweisen,  so  liegt  ein  nicht  zu 
unterschätzender  Behelf  für  die  eigene  Orientirung  und  Wahl  der  Prüfungs- 
methode in  der  „physiognomischen  Diagnostik"  (Dewerni,  Deutsche  militär- 
ärztliche Zeitschrift,  1883,  Heft  4).  Wirklich  Taube  und  Schwerhörige  haben 
in  der  Regel  einen  einfältigen  Gesichtsausdruck;  die  Mühe,  ja  recht  zu  ver- 
stehen, ist  an  den  Mienen  leicht  zu  erkennen,  der  Mund  wird  gewöhnlich 
leicht  geöffnet,  um  Schallwellen  per  tubam  zu  empfangen. 

Auf  einem  Ohre  Schwerhörige  neigen  etwas  das  gesunde  oder  wenig- 
stens bessere  Ohr  dem  Sprechenden  zu  und  werden  oft  sichtlich  verlegen, 
wenn  sie  nichts  oder  falsch  verstehen. 

Simulanten,  welchen  diese  Dinge  etwa  bekannt  sind,  thun  nun  in  der 
Regel  des  Guten  zu  viel. 

Sie  glauben,  nie  auf  die  erste  Frage  Antwort  geben  zu  dürfen,  fragen 
jedesmal  „wie?"  und  antworten  meist  erst  auf  die  zweite  oder  dritte  Frage, 
und  zwar  in  der  Regel  selbst  dann,  wenn  dieselbe  mit  derselben 
Stimmintensität  oder  gar  abfallender  Stimme  gestellt  wird 
wie  die  erste. 

Bei  einseitig  simulirter  Schwerhörigkeit  wird  der  Simulant  oft  das  ge- 
sunde Ohr  demonstrativ  vorstrecken  oder  auch  die  Gewohnheit  nachzuahmen 
suchen,  durch  die  vor  die  Ohrmuschel  gehaltene  Hand,  wie  solches  Schwer- 
hörige zu  thun  pflegen,  um  eine  grössere  Menge  von  Schallwellen  sich  zuzu- 
leiten, den  Anschein  von  Schwerhörigkeit  und  den  guten  Willen,  möglichst 
zu  hören,  vorzutäuschen. 

Möglicherweise  irrt  der  Simulant  sich  auch  und  streckt  das  angeblich 
kranke  Ohr  vor. 

Auch  pflegen  Taube  entweder  ungewöhnlich  leise  oder  laut  zu  antworten, 
was  Simulanten  auf  die  Dauer  nicht  nachahmen,  sondern  gerne  demonstrativ 
laut  sprechen. 

Schwerhörige  lernen  bekanntlich  bald  von  den  Lippen  der  Sprechenden 
abzulesen  und  verstehen  besser,  wenn  sie  den  Sprechenden  fixiren  können; 
auch  dieser  Umstand   ist   bei  Verdacht  auf  Simulation  im  Auge  zu  behalten. 

Simulanten  geben  sich  entweder  diese  Mühe  nicht  oder  copiren  das 
Benehmen  der  Schwerhörigen  in  einer  übertriebenen,  unnatürlichen  und  nicht 
Constanten  oder  consequenten  Weise. 

All  dem  Gesagten  zufolge  ist  es  nothwendig,  das  Benehmen  des  zu 
Prüfenden  gleich  bei  Anfang  der  Untersuchung  zu  prüfen,  während  des  ganzen 
Untersuchungsganges  im  Auge  zu  behalten  und  wiederholte  Untersuchungen 
vorzunehmen. 


SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN.  603 

Es  empfiehlt  sich  vorerst  etwa  bei  verbundenen  Augen  einige  Fragen 
an  den  Betreifenden  zu  stellen,  welche  sich  auf  die  Entstehung,  iJauer  und 
Grad  des  Gehörleidens  beziehen. 

Dabei  wird  mittellaute  Umgangssprache  gewählt,  die  in  der  Nähe  in  der 
Regel  verstanden  wird. 

"Wird  eine  Frage  z.  B.  nicht  verstanden,  so  wird  dieselbe  Frage  mit  der 
gleichen  oder  selbst  mit  geringerer  Intensität  wiederholt. 

Auch  NichtSimulanten  antworten  oft  erst  auf  die  wiederholte  Frage, 
wenn  sie  nicht  etwa  mit  geringerer  Intensität  gestellt  wurde,  weil  sie  ent- 
weder wirklich  irgend  ein  Wort  beim  ersten  Male  nicht  verstanden  haben, 
oder  weil  sie  bei  der  zweiten  Fragestellung  von  den  Lippen  absehen  konnten, 
was  als  Gegenprobe  verwendbar  ist. 

Für  alle  Fälle  gibt  dieses  einleitende  Gespräch  Anhaltspunkte  für  den 
etwa  zu  erwartenden  Grad  von  Schwerhörigkeit  und  ist  namentlich  geeignet, 
Verdacht  auf  Uebertreibung  zu  erwecken  oder  von  vornherein  eine  bedeutende 
Schwerhörigkeit  auszuschliessen. 

Sodann  wird  die  Untersuchung  des  Gehörorganes  mit  Ohrenspiegel  und 
Trichter  vorgenommen. 

Nach  der  Besichtigung  des  Gehörorganes  entfallen  nicht  selten  durch 
Constatirung  eines  Befundes,  der  für  die  Schwerhörigkeit  bedeutenden  Grades 
spricht,  weitere  Bedenken  in  die  Glaubwürdigkeit  des  Mannes  und  würde  es 
allenfalls  nur  noch  um  Einschränkung  der  angegebenen  Functionsstörung  auf 
das  richtige  Maass  handeln. 

Es  empfiehlt  sich  hiebei,  dem  Betreffenden  mitzutheilen,  dass  man  sich 
thatsächlich  vom  Vorhandensein  des  Gehörleidens  überzeugt  habe,  und  es 
werde  nur  noch  sozusagen  pro  forma  die  Hörweite  untersucht. 

Man  wird  bei  solchem  Vorgehen  finden,  dass  sich  der  Untersuchte 
weniger  Mühe  gibt,  zu  übertreiben,  als  wenn  man  sein  Leiden  rundweg  be- 
zweifelt. 

Auch  für  solche  Fälle,  wo  man  nichts  Krankhaftes  am  Gehörorgane  ge- 
funden hat,  ist  die  erwähnte  Mittheilung  passend,  sowohl  aus  dem  oben  ange- 
führten Grunde,  den  Untersuchten  gefügiger  zu  machen,  als  auch  deshalb, 
weil  es  sonst  passiren  könnte,  dass  die  etwa  gefallene  Aeusserung,  es  fehle 
dem  Betreffenden  nichts,  später  zurückgenommen  werden  müsste. 

Bei  negativem  Trommelfellbefund  werden,  um  über  die  Schallleitungs- 
verhältnisse Anhaltspunkte  zu  gewinnen,  Prüfungen  mit  Stimmgabeln,  der 
ÜALTON'schen  Pfeife  etc.  vorgenommen. 

Diese  Prüfung  ist  stets  mit  verbundenen  Augen  und  mit  jedem  Ohre  be- 
sonders vorzunehmen. 

Der  Verschluss  des  abgewendeten  Ohres  kann  nicht  dem  Untersuchten 
selbst  überlassen  werden,  weil  es  wünschenswert  wird,  um  Controlversuche  zu 
machen,  auf  einen  gegebenen  Wink  den  Verschluss  möglichst  unauffällig  und 
unmerklich  zu  unterbrechen.  Um  jedoch  späteren  eventuellen  Recriminationen, 
es  sei  das  gesunde  oder  bessere  Ohr  nicht  gut  verschlossen  worden,  vorzu- 
beugen, ist  eine  Schlussprüfung  auch  bei  durch  den  Untersuchten  selbst  ver- 
schlossenem Ohre  vorzunehmen.  Das  Verbinden  der  Augen  steigert  bei  einem 
Simulanten  wesentlich  die  Unsicherheit  und  führt  manchmal  allein  schon  dazu, 
den  Simulanten  aus  der  Fassung  zu  bringen.  Nicht  selten  wird  schon  aus 
dem  alterirten,  ängstlichen  oder  andererseits  störrigem  Wesen  des  zu  Unter- 
suchenden der  Verdacht  einer  Simulation  oder  Aggravation  rege.  Ein  wirklicher 
Schwerhöriger  oder  Tauber  lässt  im  Bewusstsein  seines  Leidens  die  Unter- 
suchung ruhig,  fast  theilnahmslos  an  sich  vornehmen.  Es  ist  ferner  em- 
pfehlenswert, das  gesunde  oder  besser  hörende  Ohr  zuerst  zu  prüfen,  um 
den  Betreffenden  für  die  Hörprüfung  sozusagen  etwas  einzuüben. 


604  SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN. 

Zur  Prüfung  der  Hörweite  können  mit  Vortheil  verschiedene  Schall- 
quellen benützt  werden.  Umgangssprache,  Flüstersprache,  Politzer's  Hör- 
messer, eine  Taschenuhr  etc.,  und  es  ist  sogar  bei  Verdacht  auf  Irreführung 
sehr  wünschenswert,  verschiedene  derlei  Schallquellen  zu  benützen;  denn  ob- 
gleich keine  absolute  Beziehung  zwischen  diesen  Schallquellen  besteht,  so  ist 
doch  aus  relativen  Ergebnissen  ein  oft  brauchbarer  Schluss  zu  ziehen. 

Anmerkung:  Nach  Hartmann's  Versuchen  (Archiv  für  Ohrenheilkunde, 
Band  XIII)  verhält  sich  die  Schallstärke  des  PoLiTZEii'schen  Hörmessers  und 
der  Flüstersprache,  diejenige  einer  Taschenuhr  =  1  gesetzt,  wie  1  (Uhr) :  5 
(Hörmesser)':  8  (Flüstersprache). 

Als  normale  Hörweite  gelten  für  den  PoLiTZER'schen  Hörmesser  1 5  Meter 
(dessen  Lehrbuch,  III.  Auflage,  pag.  109),  für  die  accentuirte  Flüstersprache 
25  Meter. 

Für  die  Untersuchung  Wehrpflichtiger  soll  die  Flüstersprache  solche 
Intensität  haben,  dass  dieselbe  in  freier,  massig  bewegter  Luft  auf  2  m  bei 
normal  Hörenden  vernommen  werde. 

Nach  Conta's  Versuchen  besteht  ein  gerades  Verhältnis  zwischen  dem 
Sprachverständnis  und  der  Dauer  der  Gehörempfindung  einer  Stimmgabel  vor 
dem  Ohr  (Archiv  für  Ohrenheilkunde,  Bd.  I). 

Was  die  Wahl  der  Worte  betrifft,  so  ist  zu  beachten,  dass  leicht  und 
schwerer  verständliche  Worte  in  passendem  Wechsel  zu  gebrauchen  sind.  Es 
wird  aber  sehr  gravirend  sein,  wenn  der  Untersuchte  allgemein  schwer  ver- 
ständliche Worte  einmal  hört  und  dann  auf  dieselbe  oder  gar  etwas  grössere 
Entfernung  leichter  verständliche  Worte  nicht  nachsprechen  will.  Simulanten 
gefallen  sich  auch  oft,  in  plumper  Weise  ganz  und  gar  verkehrte  Worte  als 
vorgeblich  falsch  verstanden  nachzusprechen.  Diese  Verhältnisse  sind  unter 
Umständen  für  die  Feststellung  simulirter  oder  übertriebener  Schwerhörigkeit 
praktisch  verwertbar.  So  wird  es  beispielsweise  gelingen,  eine  bedeutende 
Hörweite  für  laute  Umgangssprache  zu  gewinnen,  wo  auf  accentuirte  Flüster- 
sprache keine  Antwort  gegeben  ward;  Grund  genug,  um  die  Hintergehung 
augenscheinlich  zu  machen. 

In  allen  Fällen  müssen  die  Distanzen  wiederholt  gewechselt  werden, 
und  zwar  in  einer  Weise,  dass  es  der  Untersuchte  nicht  merkt. 

Es  empfiehlt  sich  auch,  wenn  man  eine  gewisse  Distanz  der  Hörweite 
erreicht  hat,  dem  Untersuchten  die  Binde  von  den  Augen  nehmen  zu  lassen, 
damit  er  sich  überzeuge,  dass  er  nicht  gar  so  schwerhörig  sei,  als  er  angibt. 

Oft  kann  der  Untersuchte  sein  Erstaunen  gar  nicht  verbergen,  wenn 
er  sieht,  dass  er  bereits  auf  einige  Schritte  weit  Antwort  gegeben  hat.  Er 
erkennt  dann  w^ohl  selbst  das  Nutzlose  seiner  Täuschung  und  muss  sich 
schliesslich  bequemen,  seine  wahre  Hörweite  zu  bekennen. 

Die  Hörprüfungen  müssen,  solange  man  nicht  zufriedenstellende  Resul- 
tate erreicht  hat,  so  oft  als  möglich  in  verschiedenster  Weise  wiederholt, 
und  jedesmal  die  Ergebnisse  genau  vorgemerkt  werden,  weil  man  durch  con- 
statirte  Differenzen  einen  Anhaltspunkt  für  die  Beurtheilung  der  richtigen 
Hörweite  gewinnt;  wirklich  Schwerhörige  bieten  nur  geringe  Unterschiede 
bei  verschiedenen  Aufnahmen  der  Hörweite,  während  Simulanten  kaum  stets 
die  gleiche  Distanz  festzuhalten  im  Stande  sind. 

Wenn  angeblich  einseitig  Taube  bei  verschlossenem  gesunden  Ohr  mit 
dem  freigelassenen  angeblich  kranken  Ohr  selbst  in  nächster  Nähe  nicht 
hören  wollen,  so  mache  man  sie  direct  aufmerksam,  dass  sie  sich  eine  Un- 
wahrheit zu  Schulden  kommen  lassen,  da  sie  aus  dieser  Nähe  selbst  mit  dem 
verstopften  Ohre  laute  Sprache  hören  müssten.  (Vergleiche  unten  Erhard's 
Verfahren.) 

Nun  wird  weiter  gegangen;  der  Untersuchte  gibt  jetzt  anfänglich  auf 
nächste  Distanz  Antwort,  kann  aber  bei  allmählich  steigender  Entfernung  die 


SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN.  605 

Hörgrenze  nicht  festhalten,  gibt  bald  auf  grössere  Entfernung  Antwort  und 
ist  damit  entlarvt,  selbst  wenn  er  das  Verfahren  kennt,  oder  sogar  gerade 
deshalb,  weil  er  weiss,  dass  er  durch  die  Kopfknochenleitung  auch  bei  ver- 
schlossenem gesundem  Ohre  doch  etwas  hören  müsse. 

Auf  diese  Art  mit  Geduld  und  Umsicht  durchgeführte  Hörprüfungen 
schlagen  fast  nie  fehl  bei  solchen  Individuen,  welche  sich  nicht  auf  Simulation 
absoluter  Taubheit  oder  so  hochgradiger  Schwerhörigkeit  verlegen,  dass  un- 
mittelbar in  das  Ohr  gesprochen  werden  muss,  wo  dann  der  Untersuchte 
durch  die  Tastempfindung  des  Exspirationsstromes  von  Seite  des  Sprechen- 
den orientirt  wird. 

Sollte  man  jedoch  nach  diesem  Vorgange  nicht  zum  Ziele  gelangt  sein, 
so  sind  die  folgenden  Ueberführungsmethoden  bei  simulirter  einseitiger  Taub- 
heit zu  versuchen. 

Auf  der  Fähigkeit,  durch  die  Kopfknochen  auch  bei  verschlossenem 
gesunden  Ohre  zu  hören,  beruhen  die  von  Erhard  und  Knapp  zur  Constati- 
rung  einseitiger  Taubheit  empfohlenen  Methoden. 

Erhard's  Verfahren  (Das  Gehörorgan  als  Object  der  Kriegsheilkunde, 
Deutsche  militärärztliche  Zeitschr.,  1872  p.  157)  beruht  auf  der  Thatsache,  dass 
wir,  wenn  wir  uns  beide  Gehörgänge  fest  verschliessen,  dennoch,  selbst  wenn 
wir  einseitig  ganz  taub  sind,  eine  Repetiruhr  oder  Spieluhr  bequem  10  Fuss 
weit  hören,  indem  die  dadurch  verursachten  Schwingungen  der  Luft  intensiv 
genug  sind,  um  durch  die  festen  Kopftheile  dem  Hörnerv  zu  seiner  Empfindung 
zugeleitet  zu  werden. 

Erhard  stellt  nun  den  Simulanten  in  die  Mitte  eines  geräumigen 
Zimmers,  lässt  die  Repetiruhr  etwa  6—8  Fuss  vor  dem  gesunden  Ohre  bei 
zugehaltenem,  vorgeblich  taubem  schlagen,  und  die  Schläge  nachzählen.  Dann 
wird  das  gesunde  Ohr  verschlossen  und  das  angeblich  taube  untersucht,  durch 
Schlagenlassen  der  Uhr  in  einer  Entfernung  von  etwa  vier  Fuss,  so  dass 
also  selbst  der  diesseits  Taube  durch  das,  wenn  auch  verstopfte,  gesunde  Ohr 
hören  müsste. 

Der  Simulant  leugnet  indessen  jedes  Hören  in  der  Meinung,  er  höre 
mit  seinem  angeblich  tauben  Ohre  und  schade  sich  durch  eine  bejahende 
Angabe. 

Man  kann,  wie  oben  angeführt,  laute  Stimme  statt  einer  Repetiruhr  bei 
diesem  Verfahren  anwenden. 

Nach  Knapp  (A.  F.  0.  IV.  p.  317)  entsteht,  wenn  eine  schwingende 
Stimmgabel  vor  einem  hörfähigen  Ohr  auf-  und  abbewegt  wird,  eine  Ton- 
verstärkung „gleich  den  Windstössen  eines  Dampfwagens",  sowie  die  Stimm- 
gabel vor  dem  äusseren  Gehörgange  vorübergeht.  Wird  die  Stimmgabel 
hingegen  vor  einem  tauben  Ohre  auf-  und  abbewegt,  so  hört  der  Patient 
den  Ton  zwar  immer  noch,  nämlich  mit  dem  gesunden  Ohr,  indessen  gleich- 
massig,  d.  h.  ohne  periodische  Verstärkung. 

Auf  den  physikalischen  Gesetzen  der  Kopfknochen-  und  Luftleitung  be- 
ruhen die  Methoden  von  Chimani,  Lucae,  J.  Gruber. 

Chimani  (Militärarzt  Nr.  9  vom  Jahr  1869)  hat  nämlich  den  WEBER'schen 
Stimmgabelversuch  in  dieser  Richtung  verwertet.  Man  lässt  den  Untersuchten, 
indem  man  abwechselnd  bald  das  eine,  bald  das  andere  Ohr  mit  dem  Finger 
verschliesst,  die  Angaben  machen,  wann  und  auf  welcher  Seite,  wann  stärker 
und  wann  schwächer  er  die  Stimmgabel  hört.  Ein  Simulant,  welcher  die 
diesbezüglichen  Versuche  nicht  kennt,  wird  sich  bald  in  Widersprüche  ver- 
wickeln. Er  wird  die  auf  dem  Scheitel  oder  auf  den  Schneidezähnen  aufge- 
setzte Stimmgabel  nach  seiner  Meinung  auf  der  angeblich  schwerhörigen  Seite 
schwächer  hören,  was  nur  dann  wahr  wäre,  wenn  eine  Labyrinthaffection  vorläge. 

Als  Gegencontrole  wird  nun  das  gesunde  Ohr  mit  dem  Finger  ver- 
schlossen. 


606  SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN. 

Der  Simulant  glaubt  jetzt,  er  dürfe  die  Stimmgabel  nur  schwächer  oder 
gar  nicht  hören,  und  spricht  damit  eine  positive  Unwahrheit  aus,  denn  er 
müsste,  wenn  seine  ersten  Angaben  richtig  gewesen  wären,  nun  die  Stimm- 
gabel wegen  des  gehinderten  Schallabflusses  auf  der  verstopften  Seite  geradezu 
stärker  hören. 

Zweckdienlich  ist  es  auch,  mit  der  Stimmgabel  die  Stelle  vom  Scheitel 
in  der  Art  zu  wechseln,  dass  man  sich  bald  mehr,  bald  weniger  von  der 
Mittellinie  entfernt;  man   erhält  dann   noch  mehr  widersprechende  Angaben. 

Leider  aber  bekommt  man  auch  bei  Nichtsimulanten  fehlerhafte  An- 
gaben; es  müssen  oft  Individuen,  bei  welchen  gar  kein  Grund  für  die  An- 
nahme einer  Simulation  vorhanden  ist,  förmlich  aufmerksam  gemacht  werden, 
nicht  über  das  zu  calculiren,  was  sie  hören  zu  müssen  glauben,  sondern  un- 
befangen und  richtig  Antwort  zu  geben. 

Dieser  Umstand  macht  aber  die  Untersuchung  von  Simulanten  unsicher 
und  kann  wohl  zum  vollgiltigen  Beweis  nur  dann  führen,  wenn  der  hierbei 
ertappte  und  eingeschüchterte  Simulant  seinen  Betrug  bekennt. 

Derselbe  Autor  (Chimani)  empfiehlt  in  der  obencitirten  Arbeit  einen 
zweiten  Stimmgabelversuch. 

Es  werden  zwei  Arme  eines  dreischenkeligen  Otoskops  gleichmässig  fest 
in  den  äusseren  Gehörgang  des  zu  Untersuchenden  eingepasst;  den  dritten 
Arm  des  Otoskops  steckt  sich  der  Untersuchende  in  eines  seiner  eigenen 
Ohren. 

Hierauf  wird  eine  tönende  Stimmgabel  auf  den  'Scheitel  des  zu  Unter- 
suchenden gestellt  und  nun  abwechselnd  der  zum  gesunden  und  der  zum  an- 
geblich kranken  Ohr  führende  Schenkel  des  Otoskops  zusammengepresst. 

Bei  einem  wirklich  Schwerhörigen  wird  in  der  Regel  (d.  i.  wenn  es 
sich  um  Schallleitungshindernisse  im  Mittelohre  handelt)  beim  Zusammen- 
drücken des  zum  gesunden  Ohre  führenden  Schenkels  der  Ton  schwächer  ge- 
hört, als  wenn  der  andere,  zum  kranken  Ohre  führende  Schenkel  zusammen- 
gedrückt wird. 

Bei  einem  Simulanten  aber  oder  bei  einem  normal  Hörenden  (d.  i.  bei 
einem  solchen,  wo  kein  Schallleitungshindernis  in  einem  Ohre  besteht),  wird 
sich  keine  Differenz  in  der  Tonstärke  beider  Seiten  ergeben,  weil  stets  die 
gleiche  Schallleitung  durch  einen  der  beiden  Schenkel  des  Otoskops  zum  Ohre 
des  zu  Untersuchenden  stattfindet. 

Wie  ersichtlich,  ist  dieser  Versuch  eigentlich  eine  Diagnose  auf  ein 
supponirtes  Schallleitungshindernis;  man  kann  hinzufügen,  auf  eines,  welches 
nicht  ohnehin  durch  den  Spiegelbefund  erkannt  wird.  Auch  ist  wohl  nur 
eine  etwas  stärkere  Differenz  in  der  Schallleitung  praktisch  verwendbar  und 
beweisend. 

Mehrere  diesbezügliche,  bei  Ohrgesunden  und  Gehörkranken  angestellte 
Versuche  ergaben  bisweilen  Abweichungen,  welche  theils  auf  die  Art  des 
Leidens  (z.  B.  Durchlöcherung  des  Trommelfelles),  theils  auf  das  mehr  oder 
weniger  gleichmässige  Einfügen  eines  Otoskopschenkels,  welches  nicht 
sorgfältig  genug  controlirt  werden  kann,  zurückzuführen  sind. 

LuCAE  gibt  ein  auf  die  Interferenz  der  Schallwellen  und  auf  die  That- 
sache,  dass  das  menschliche  Ohr  einen  grossen  Theil  der  zu  ihm  gelangenden 
Schallwellen  reflectirt,  basirtes  Verfahren  an.  (Berliner  klinische  Wochen- 
schrift, 1869,  pag.  89.) 

Er  benützt  dazu  folgenden  Apparat  (nach  Quincke).  An  ein  T-förmiges 
Röhrchen  aus  Glas  oder  Metall  werden  drei  verschieden  lange  Gummiröhren 
angefügt.  Der  eine,  15  Pariser  Zoll  lange  Schenkel  wird  in  das  gesunde,  der 
zweite,  ein  Pariser  Zoll  lange  Schenkel  in  das  angeblich  taube  Ohr  eingefügt, 
und  durch  den  dritten,  etwa  zwei  Fuss  langen  Schenkel  wird  der  durch  eine 
Resonanzröhre  verstärkte  Ton  einer  C-Stimmgabel  geleitet.  Der  wirklich  ein- 


SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN.  607 

seitig  Taube,  dessen  Ohr  den  Ton  nur  reflectirt,  nicht  percipirt,  wird  eine 
deutliche  Tonverstärkung  auf  seinem  gesunden  Ohre  wahrnehmen,  wegen 
gleicher  Phase  der  Schallwellen.  Entfernt  man  das  Rohr  aus  dem  tauben 
Ohr,  wird  der  Ton  wieder  schwächer,  weil  keine  Interferenz  vorkommt, 
sondern  nur  die  Perception  einer  Schallwelle.  Führt  man  ein  elf  Zoll  langes 
Rohr  in  das  taube  Ohr,  so  entsteht  eine  deutliche  Tondämpfung,  weil  die 
reflectirte  Schallwelle  eine  entgegengesetzte  Phase  mit  der  ersten  hat;  entfernt 
man  dieses  Rohr  wieder,  so  wird  der  Ton  wieder  stärker  werden,  weil  die 
Schwächung  von  vorhin  wegfällt.  Will  man  eine  A-Stimmgabel  benützen,  so 
muss  man  statt  des  elf  Zoll  langen  einen  sieben  Zoll  langen  Interferenz- 
schenkel wählen. 

Ein  Simulant,  wenn  er  sich  überhaupt  dazu  bequemt,  auf  derlei  feine 
Unterschiede  einzugehen,  wird  diese  verschiedenen  Tonänderungen  nicht  an- 
geben können,  eben  weil  er  nicht  einseitig  taub  ist,  sein  Ohr  sich  also  reflec- 
tirend  und  percipirend  verhält. 

J.  Gkuber  („Zur  Hörprüfung",  M.  F.  0.  1885,  Nr.  2)  will  folgende  That- 
sache  verwerten. 

Der  Ton  einer  Stimmgabel,  welcher  durch  Luft-  und  Knochenleitung 
nicht  mehr  gehört  wird,  erscheint  wieder,  wenn  man  dieselbe  auf  einen  den 
betreffenden  Gehörgang  lose  verschliessenden  Finger  setzt.  Der  einseitige 
Taubheit  Simulirende  soll  sich  nun  durch  den  Verschluss  des  Ohres  irreleiten 
lassen  und  die  Wahrnehmung  des  Tones  in  das  als  gesund  bezeichnete  Ohr 
verlegen. 

Es  ist  dieser  Versuch  dem  WEBER'schen  Stimmgabelversuche  ähnlich; 
er  unterliegt  aber,  wie  ich  mich  zu  überzeugen  Gelegenheit  gehabt,  denselben 
Fehlerquellen  und  lässt  sich  ebenso  wie  dieser  eher  nur  als  affirmativer  Be- 
helf für  NichtSimulation  verwerten. 

Eine  andere  Reihe  von  Versuchen,  einseitige  Taubheit  Simulirende  zu 
überführen,  sind  von  Voltolini,  Coggin,  Preüsse,  L.  Müller  und  Teuber  an- 
gegeben. 

VoLTOLiNi  (M.  F.  0.  1882,  Nr.  9)  spricht  in  ein  grosses,  trompeten- 
förmiges  Hörrohr  in  das  angeblich  taube  Ohr  mit  gedämpfter,  doch  von 
Normalhörenden  im  ganzen  Zimmer  verständlicher  Stimme,  ohne  das  gesunde 
Ohr  verschliessen  zu  lassen.  Der  Simulant,  im  Glauben,  es  würde  das  taube 
Ohr  geprüft,  soll  verneinen,  dass  er  etwas  gehört  habe,  wo  er  doch  mit  dem 
gesunden  Ohr  alles  hat  verstehen  müssen. 

Coggin  (A.  F.  0.  Bd.  16,  pag.  125)  verschliesst  einen  Schenkel  eines 
CAMMON'schen  binauriculären  Stethoskops  dicht  mit  einem  Holzpfropf,  steckt 
diesen  Schenkel  in  das  gesunde,  den  freien  Schenkel  in  das  angeblich  taube 
Ohr  und  spricht  in  das  Hörrohr. 

Hört  der  Untersuchte  jetzt  gut,  bezw.  spricht  er  W^orte  nach,  so  ist  er 
eigentlich  schon  überführt;  behauptet  er  aber,  wenn  man  das  den  Pfropf  ent- 
haltende Rohr  aus  dem  gesunden  Ohr  entfernt  und  dasselbe  mit  dem  Finger 
verschliesst,  nun  nichts  zu  verstehen,  so  ist  er  durch  diesen  Gegenversuch 
gänzlich  überwiesen. 

Preusse  (A.  f.  Phys.  1879,  pag.  377)  schaltet  zwei  Telephone  in  eine 
galvanische  Kette  ein,  wobei  die  Vorrichtung  getroffen  ist,  dass  der  Strom 
beliebig  je  ein  Telephon  allein  oder  beide  durchfliesst.  Beide  Telephone 
werden  fest  an  die  Ohren  des  zu  Untersuchenden  gelegt.  Fliesst  der  Strom 
durch  beide  Telephone,  so  entsteht  beim  beiderseitig  normal  Hörenden  eine 
Gehörempfindung  im  Hinterkopf;  fliesst  derselbe  nur  durch  eines,  so  wird 
die  Gehörempfindung  auf  der  entsprechenden  Seite  stattfinden. 

Der  einseitige  Taubheit  Simulirende  kann  keine  Gehörempfindung  im 
Hinterhaupt  haben  und  verräth  sich   durch   eine  solche  Angabe,  ebenso    wie 


608  SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN. 

durch  etwaiges  Nachsprechen  von  Worten  bei  Einschaltung  des  dem  angeblich 
tauben  Ohre  entsprechenden  Telephons. 

Allen  bisher  aufgezählten  Untersuchungsmethoden  haften  Fehlerquellen 
an.  Um  dieselben  zusammenzufassen,  so  sind  einfache  Ueberlistungsversuche, 
wie  sie  Eiugangs  erwähnt  wurden,  augenscheinlich  nur  von  der  Unaufmerk- 
samkeit und  Unwissenheit  des  Simulanten,  also  gewissermaassen  vom  Zufalle 
abhängig. 

Alle  Stimmgabelversuche,  welche  die  Prüfung  des  Hörvermögens  durch 
Luftleitung  oder  Kopfknochenleitung  bezwecken,  können  dadurch  vereitelt 
Averden,  dass  der  zu  Untersuchende,  darüber  belehrt,  einfach  auf  der  angeb- 
lich tauben  Seite  gar  nichts  hören  will,  also  eine  Labyrinthaffection  simulirt. 

Endlich  darf  nicht  verschwiegen  werden,  dass  es  wohl  kaum  angeht,  auf 
lediglich  zur  subjectiven  Kenntnis  gelangende  Symptome  hin  den  Unter- 
suchten schon  für  einen  Simulanten  zu  erklären. 

Es  müssen  objectiv  auch  dritten  Personen,  also  Zeugen,  eventuell  Laien, 
erkennbare  Beweise   des  Betruges  oder  der  Uebertreibung  beizubringen  sein. 

Solche  Beweise  sind  blos  jene,  bei  welchen  es  gelingt,  den  Untersuchten 
dahin  zu  bringen,  etwas  nachzusprechen,  was  er  nur  mit  dem  angeblich 
tauben,  beziehungsweise  schwerhörigen  Ohr  gehört  haben  konnte,  respective 
bei  doppelseitiger  Taubheit  oder  Schwerhörigkeit  thatsächlich  nachgewiesenes 
Hörvermögen. 

Auch  unter  diesen  Methoden  sind  die  meisten  solche,  bei  welchen  ge- 
wissermaassen Ueberlistungen  und  Unbekanntsein  des  zu  Untersuchenden  mit 
dem  Verfahren  die  Prämissen  bilden. 

Wenn  der  zu  Untersuchende  z.  B.  das  Experiment  von  Coggin  oder 
Preusse  kennt,  so  wird  er  im  ersten  Falle  thatsächlich  nur  dasjenige  nach- 
sprechen, was  er  deutlich  in  seinem  angeblich  guten  Ohre  empfindet,  was 
ihm  auf  Grund  mehrerer  Versuche,  die  ich  angestellt  habe,  ganz  leicht  wird; 
bei  dem  Versuche  von  Preusse  leugnet  er  einfach  jedesmal  die  Gehörempfin- 
dung, wenn  er  sie  in  dem  Hinterhaupte  wahrnimmt,  und  vereitelt  damit 
ebenfalls  die  Untersuchung. 

Wertvoller  sind  die  Versuche  von  L.  Müller  und  Teuber. 

L.  MtJLLER  (Berlin  kl.  W.  1869,  Nr.  15,  zur  Feststellung  einseitiger 
Taubheit)  geht  folgendermaassen  vor:  Angenommen,  der  zu  Untersuchende 
gibt  an,  auf  dem  linken  Ohre  taub  zu  sein,  so  spreche  man  leise  und  ziemlich 
schnell  durch  einen  Hörtrichter  oder  in  Ermangelung  dessen  durch  ein  be- 
liebiges Bohr,  eine  Papierrolle  und  dgl.,  in  sein  rechtes  Ohr  und  lasse  ihn 
die  gesprochenen  Sätze  laut  wiederholen;  dabei  constatirt  man,  wie  schnell 
und  wie  leise  man  sprechen  kann,  ohne  demselben  unverständlich  zu  werden. 
Nun  lasse  man  durch  einen  zweiten  Beobachter  dasselbe  Experiment  auf  dem 
linken  Ohre  machen.  Gibt  der  zu  Untersuchende  hiebei  an,  die  auf  diese 
Weise  gesprochenen  Worte  nicht  zu  hören,  so  wiederhole  man  des  Experiment 
auf  dem  rechten  Ohre,  worauf  dann  plötzlich  beide  Beobachter  schnell  und 
leise  zugleich  sprechen,  so  dass  verschiedene  Sätze  zu  gleicher  Zeit  in  beide 
Ohren  gelangen. 

Hört  der  Patient  wirklich  auf  dem  linken  Ohre  nicht,  so  wird  er  die  in 
das  rechte  Ohr  gesprochenen  Sätze  nach  wie  vor  ruhig  nachsprechen  können; 
ist  er  aber  ein  Simulant,  so  wird  ihm  dieses  selbst  bei  der  grössten  Uebung 
nicht  gelingen,  und  dem,  der  diese  Methode  kennt,  wird  nichts  übrig  bleiben, 
als  sich  ein  anderes  Leiden  zur  Simulation  zu  suchen. 

Der  Versuch  setzt  einseitige,  vollkommene  oder  nahezu  vollkommene 
Taubheit  voraus,  denn  wenn  ein  Mann  angibt,  auf  einem  Ohre  schlecht,  auf 
dem  anderen  schlechter,  aber  doch  noch  etwas  zu  hören,  so  wird  es  niemand 
verwundern,  wenn  er  sich  bei  obigem  Versuche  verwirren  lässt,  ohne  dass  er 
deshalb  Simulant  wäre. 


SIMULATION  VON  GEHÜRLEIDEN.  609 

Teuber  benutzt  folgendes  von  Lucae  veröffentlichte  Verfahren,  '•)  welches 
gewissermaassen  eine  Verbesserung  des  eben  beschriebenen  ist. 

Durch  zwei  passende  Löcher,  welche,  etwa  eine  Spanne  von  einander 
entfernt,  durch  eine  zwei  Zimmer  verbindende  Thüre  oder  durch  eine  Zwischen- 
wand gehen,  werden  zwei  Blechröhren  von  2-0  bis  2*5  cm  Durchmesser  und 
etwa  2  bis  3  M  Länge  hindurchgesteckt.  In  dem  einen  Zimmer  endigen  die 
Blechröhren  je  in  zwei  kurze  Schenkel,  an  deren  Enden  mitteldicke  Gummi- 
schläuche von  etwa  V2  ''*  Länge  angebracht  werden,  welche  am  freien  Ende 
Otoskop- Oliven  haben,  so  dass  sie  genau  passend  in  einen  Gehörgang  ein- 
geschoben werden  können. 

Man  setzt  nun  den  zu  Untersuchenden  zwischen  diese  beiden  gabel- 
artigen Rohre  und  fügt  die  ihm  zuliegenden  (medialen)  Gummischläuche  in 
die  Ohröffnungen  ein,  beziehungsweise  lässt  sie,  was  sicherer  ist,  durch  eine 
Person  einfügen  und  festhalten.  Von  den  beiden  übrig  bleibenden  (lateralen) 
Gummiröhren  nimmt  je  ein  controlirender  Assistent  eines  in  sein  Ohr. 

Behauptet  beispielsweise  der  zu  Untersuchende,  nur  mit  dem  linken 
Ohre  gewöhnliche  Umgangssprache  zu  verstehen,  so  wird  in  das  rechte  Ohr 
desselben  der  eine  Gummischlauch  der  rechten  Blechröhre,  in  das  linke  Ohr 
der  der  linken  Röhre  gesteckt. 

Wenn  nun  im  anderen  Zimmer  von  einem  dritten  Assistenten  in  die 
rechte  Blechröhre  und  von  einem  vierten  in  die  linke  Blechröhre  abwechselnd 
schnell  hinein  gesprochen  wird,  so  hört  der  erste  Assistent  und  das  rechte  Ohr 
des  zu  Untersuchenden  das  in  die  rechte  Röhre  Gesprochene,  der  zweite 
Assistent  und  das  linke  Ohr  des  zu  Untersuchenden  das  in  die  linke  Röhre 
Gesprochene. 

Der  zu  Untersuchende  ist  vorher  aufgefordert  worden,  dasjenige  nach- 
zusprechen, was  er  hört. 

Ein  auf  dem  rechten  Ohr  wirklich  Tauber  kann  selbstverständlich  nur 
dasjenige  nachsprechen,  was  durch  die  linke  Röhre  gesprochen  oder  ge- 
flüstert wurde.  Der  Simulant  dagegen  soll  sehr  bald  ausser  Stande  sein, 
zu  unterscheiden,  was  durch  die  linke  und  was  durch  die  rechte  Röhre  ge- 
sprochen wird,  und  kann  auch  solche  Silben  nachsprechen,  welche  durch 
die  rechte  Blechröhre  gesprochen  oder  geflüstert  werden.  Sobald  er  diese 
nachspricht,  ist   die  Simulation  erwiesen. 

BuRCHARD  (Praktische  Diagnostik  der  Simulationen,  Berlin  1878) 
empfiehlt,  um  die  Orientirung  durch  die  Tastnerven  der  Haut  des  äusseren 
Gehörganges  zu  vermeiden,  die  Ohrmündung  der  Schläuche  durch  ein  dünnes 
Gummiblättchen  abzuschliessen  und  das  andere  Ende  des  Rohres  mittels 
eines   durchbohrten  Korkpfropfens  zu  verengen. 

Teuber's  und  Müller's  Verfahren  lassen  sich  leicht  combiniren. 

Statt  rasch  abwechselnd  in  beide  Rohre  nach  Teuber  zu  sprechen, 
können  zwei  Personen  so  rasch,  dass  der  Untersuchte  eben  noch  nachsprechen 
kann,  in  beide  Rohre  zugleich  sprechen. 

Indessen  hat  eine  Reihe  von  Versuchen  sowohl  mit  intelligenten,  als 
auch  mindergebildeten,  normalhörenden,  diesbezüglich  instruirten 
Individuen  gezeigt,  dass  bei  festem  Willen,  der  doch  von  Simulanten  voraus- 
zusetzen ist,  man  im  Stande  ist,  die  Aufmerksamkeit  derart  auf  ein  Ohr  zu 
concentriren  und  das  andere,  angeblich  taube  Ohr  derart  auszuschliessen, 
dass  besonders  bei  etwas  Uebung  kein  Wort  aus  dem  angeblich  tauben 
Ohre  nachgesprochen  wird. 

Eher  gelingt  es  bei  folgender  Modification,  den  Untersuchten  zu  ver- 
wirren und  ausser  Stande  zu  bringen,  fliessend  das  Gesprochene  nachzusagen. 

*)  Berlin  klin.  Wochenschrift,  1869,  pag.  89,  desgleichen  beschrieben  in  Burchard's 
praktischer  Diagnostik  der  Simulationen. 

Oiiren-,  Nasen-,  Eachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  o9 


610  SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN. 

Dieselbe  ist  entlehnt  und  übertragen  von  einem  Verfahren  Buuchard's, 
mit  dem  Stereoskop  einseitige  simuli  rte  Blindheit  nachzuweisen  (Buhchard, 
Praktische  Diagnostik  der  Simulationen,  Berlin  1878).  Publicirt  ist  dieselbe 
auf  Grund  mündlicher  Mittheilung  in  Politzer's  Lehrbuch  der  Ohrenheil- 
heilkunde,  bereits  2.  Auflage,  1887,  Seite  531;  ebenso  3.  Auflage,  Seite  577. 

Beide  Sprecher  an  den  Doppelröhren  lesen  flüsternd  in  dem  gleichen 
Tacte  eine  einfache,  kurze,  hiezu  besonders  zusammengestellte  Erzählung  oder 
Beschreibung,  welche  anfänglich  ganz  gleichlautend,  im  weiteren  Verlaufe 
aber  an  einer  passenden  Stelle  etwas  in  der  Silbenfolge  differirt,  dann  wieder 
gleichmässig  fortgeht,  um  später  wieder  zu  wechseln  u.  s.  f.,  dem  zu  Unter- 
suchenden so  schnell  und  laut  vor,  dass  derselbe  den  Tact  noch  nachzu- 
sprechen vermag. 

Durch  dieses  Manöver  gelingt  es,  den  Untersuchten  ausser  Stand  zu 
bringen,  seine  Aufmerksamkeit  auf  ein  Ohr  zu  concentriren,  weil  der  beider- 
seits gleichmässig  gesprochene  und  zusammenhängende  Text  ihn  förmlich 
einlullt,  so  dass  er,  wenn  dann  plötzlich  differente  Silben  in  seine  Ohren  ge- 
langen, nicht  mehr  im  Stande  ist,  rasch  genug  von  dem  angeblich  tauben 
Ohre  zu  abstrahiren. 

Als  Vorgang  beim  Lesen  wurde  als  am  brauchbarsten  der  gefunden, 
wenn  zwei  Assistenten  eine  beliebige  Zeitungsnotiz  rhythmisch  vorlesen,  so 
schnell,  als  der  zu  Untersuchende  es  nachsprechen  konnte;  der  an  dem  zum 
angeblich  schwerhörigen  Ohre  leitenden  Rohre  Sprechende  lässt  an  hiezu  ge- 
eigneten Stellen  ein  oder  einzelne  Worte  aus,  um  dann  wieder  congruent 
mit  dem  andern  Assistenten  einzufallen. 

Wenn  es  auch  bei  diesen  Versuchen  nur  selten  vorkam,  dass  eine  der 
Versuchspersonen  Worte  der  angeblich  tauben  Seite  nachsprach,  so  wurde 
i^och  in  allen  Fällen,  selbst  bei  sehr  intelligenten  und  diesbezüglich  sogar 
eingeübten  Personen  das  erreicht,  dass  der  Nachsprechende  derart  verwirrt 
wurde,  dass  er  es  aufgeben  musste,  zusammenhängend  weiter  zu  sprechen, 
ein  für  den  Ernstfall  (also  bei  der  wirklichen  Simulation)  allerdings  wohl 
genügend  gravirendes  Moment. 

Einen  ähnlichen  Vorgang  hat  Stabsarzt  Dr.  Kern  im  Heft  5  des 
XX.  Jahrganges  der  „Deutschen  militärärztlichen  Zeitschrift"  angegeben: 

Zwei  Assistenten  sprechen  in  die  beiden  Schlauchöfinungen  genau  gleich- 
zeitig denselben  Satz,  von  welchem  der  in  das  gesunde  Ohr  sprechende 
Assistent  ein  vorher  bestimmtes  Wort  unausgesprochen  lässt,  z.  B.: 

für  das  taube  Ohr:  „Vier  mal  fünf  ist  einundzwanzig", 

für  das  gesunde  Ohr:  „Vier  mal  fünf  ist zwanzig",  oder: 

für  das  taube  Ohr:  „Die  preussischen  Farben  sind  schwarz,  roth,  Aveiss", 

für  das  gesunde  Ohr:  „Die  preussischen  Farben  sind  schwarz  ....  weiss". 

Wird  der  volle  Satz,  einschliesslich  des  Stichwortes,  nachgesprochen,  so 
ist  die  Hörfähigkeit  des  angeblich  tauben  Ohres  mit  Ausschluss  jeden  Zweifels 
erwiesen. 

Kern  fügt  noch  einige  Erläuterungen  für  die  Ausführung  dieser  Proben 
hinzu,  darunter  auch,  dass  der  zuständige  Assistent  das  ausfallende  Wort 
durch  ein  unbestimmtes  Gemurmel  ersetzen  solle  und  betont  als  wichtig,  dass 
das  Stichwort  nicht  aus  dem  Sinne  willkürlich  ersetzt  werden  könne  (daher 
in  obigen  Sätzen  der  fehlerhafte  Inhalt). 

In  neuester  Zeit  ist,  auf  gleiche  Grundsätze  basirt,  ein  transportables 
Handtelephon*),  consruirt  von  Karl  Hild  de  Galantha  nach  den  An- 
gaben von  Stabsarzt  Dr.  J.  Kalcic,  demonstrirt  am  internationalen  Congress 
in  Moskau  1897,  zur  Entlarvung  der  Simulation  einseitiger  Taubheit  em- 
pfohlen worden.  Es  lässt  sich  mit  einem  solchen  Apparat  sicherlich  bequemer 
und  exacter  arbeiten,  als  mit  den  TEUBER'schen  Doppelröhren.     Doch  haben 

*)  Preis  des  completen  Apparates  80  fl.  bei  K.    Hild,   Budapest,  Eszterhäzygasse  20. 


SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN.  '611 

(noch  vor  Jahren)  von  Lewandowski  und  mir  ebenfalls  mit  Microphonen  an- 
gestellte Proben  ergeben,  dass  die  Möglichkeit,  richtig  zu  localisiren,  auch 
da  nicht  absolut  ausgeschlossen  sei.  (Siehe  Politzer' s  „Lehrbuch  der  Ohren- 
heilkunde'^ 1.  c.) 

Ich  muss  nun  gestehen,  dass  mir  das  TEUBEu'sche  Verfahren  mit  sammt 
seiner  Modification  gegenüber  einem  anderen  Untersuchungsvorgange  weniger 
praktisch  erscheint,  zum  mindesten  umständlicher  ist  als  das  folgende.  („Der 
Militärarzt",  Wiener  med.  Wochenschrift,  Nr.  12  und  13,  1891.) 

An  Untersuchungsbehelfen  für  dieses  Verfahren  benöthigt  man  blos  vier 
vollkommen  gleich  grosse  und  gleichgeformte  Ohrtrichter,  deren  Spitzen  behufs 
sicherer  Einfügung  in  die  Gehörgänge  mit  einem  entsprechenden  Stück  Drainrohr 
überzogen  sind;  zwei  von  diesen  Trichtern  werden  von  der  Spitze  bis  etwa  zur 
Hälfte  mit  Wachs  ausgegossen,  die  beiden  anderen  bleiben  leer.  Der  angeblich 
auf  einem  Ohr  Schwerhörige  oder  Taube  wird  bei  verbundenen  Augen  mit  dem 
Gesichte  gegen  eine  Wand  gestellt  und  beide  Gehörgänge  mit  den  nicht  mit 
Wachs  ausgegossenen  Trichtern  versehen,  also  offen  gelassen. 

Der  Untersuchende  nimmt  nun  eine  Hörprobe  mit  accentuirter  Flüster- 
sprache vor,  wobei  vorläufig  ganz  ausser  Acht  kommt,  mit  welchem  Ohr  der 
Mann  besser  oder  überhaupt  hört. 

Er  wird  daher  angewiesen,  überhaupt  jedes  Wort,  welches  er  vernimmt, 
nachzusprechen. 

Die  hiebei  gefundene  Hörweite  dient  hauptsächlich  zur  Orientirung  für 
die  späteren  Hörprüfungen. 

Nun  werden  beide  Ohren  mit  den  ausgegossenen  Ohrtrichtern  fest  ge- 
schlossen und  eine  erneuerte  Hörprobe  vorgenommen. 

Es  empfiehlt  sich  hiebei,  nicht  gleich  die  accentuirte  Flüstersprache  zu 
wählen,  sondern  mittellaute  Umgangssprache,  indem  bei  einem  solchen  Vor- 
gange der  Contrast  zwischen  der  vorigen  Hörprobe  und  der  erneuerten  bei 
verstopften  Ohren  für  den  Untersuchten  weniger  auffällig  ist. 

Das  Ergebnis  dieser  Hörprüfung  ist  insoferne  von  Wert,  als  zum  min- 
desten festgestellt  wird,  welches  Perceptionsvermögen  im  Wege  der  Kopf- 
knochenleitung besteht  und  wie  weit  der  Mann  mit  verstopftem  gutem  Ohre 
hört. 

Hierauf  werden  nun  einige  weitere  Hörproben  gemacht,  und  zwar  mit 
abwechselnd  rechterseits  und  linkerseits  eingeführten  ausgegossenen  nebst 
offenen  Trichtern,  also  an  dem  gesunden  und  angeblich  tauben  Ohre  mit  und 
ohne  Verschluss. 

Es  wird  bei  diesem  Vorgänge  dem  Untersuchten  unmöglich,  zu  unter- 
scheiden, mit  welchem  Ohre  er  hört,  beziehungsweise  ob  das  gute  Ohr  aus- 
geschaltet sei  oder  nicht,  da  er  stets  in  beiden  Gehörgängen  Trichter  hat, 
welche  ihm  das  Gefühl  von  Verstopftsein  erhalten,  und  anderseits  das  Sprechen 
von  rückwärts  her  die  Orientirung  weiter  erschwert. 

In  der  Nähe  des  zu  Untersuchenden  muss  volle  Kühe  herrschen;  nichts 
darf  den  Mann  aufmerksam  machen,  ob  dieses  oder  jenes  Ohr  offen  gelassen 
ist.  Auch  beim  Wechseln  der  Trichter  muss  darauf  geachtet  werden,  dass 
stets  beide  Trichter  gleichzeitig  entfernt  und  ebenso  wieder  beiderseits  welche 
eingefügt  werden. 

Der  Mann  ist  anzuweisen,  stets  so  wie  bei  der  ersten  Hörprobe  Alles 
nachzusprechen,  was  er  hört,  unbekümmert,  ob  er  es  mit  dem  guten  oder 
schlechten  Ohre  vernommen  haben  will. 

Es  gelingt  nun  bald,  bei  dem  zu  Untersuchenden  die  wirkliche  Hörweite 
der  angeblich  schwerhörigen  oder  gar  vorgeschützt  tauben  Seite  zu  constatiren, 
sobald  bei  verschlossenem  gesundem  Ohre  Antworten  erfolgen,  welche  jenseits 
der  Linie  fallen,  welche  bei  beiderseits  verstopften  Ohren  erhoben  wurde. 

39* 


612  SIMULATION  VON  GEHÖRLEIDEN. 

Allerdings  ist  diese  Hörweite  nicht  die  eines  zugewandten  Ohres,  ein 
Umstand,  welcher  nicht  die  ,  vollkommene  Hörweite  ergibt,  dieselbe  muss 
nämlich  bei  zugewendetem  Ohre  eine  grössere  sein. 

Auf  Grund  diesbezüglicher  Vergleiche  kann  im  Mittel  die  dreifache 
Entfernung  als  die  wirkliche  Hörweite  angenommen  werden. 

Sobald  man  übrigens  mit  der  beschriebenen  Untersuchungsweise  fest- 
gestellt hat,  dass  der  Mann  auf  dem  angeblich  tauben  Ohre  überhaupt  hört, 
so  kann  man  ihn  von  ferneren  Uebertreibungen  in  der  Regel  schon  dadurch 
abstehen  machen,  dass  man  ihm  nun  die  Ohrtrichter  zeigt  und  ihm  erklärt, 
dass  das  angeblich  taube  Ohr  offen  stand,  während  das  gute  Ohr  verstopft 
gewesen. 

Diese  Aufklärung  wirkt  gewöhnlich  höchst  verblüffend  auf  den  Unter- 
suchten, so  dass  weitere  Hörprüfungen  keinen  weiteren  Schwierigkeiten  mehr 
begegnen. 

Der  erörterte  Untersuch ungs Vorgang  ist  wegen  der  wiederholt  vorzu- 
nehmenden Hörproben  ein  allerdings  etwas  mühsamer  und  zeitraubender; 
doch  bedarf  man  dabei  anderseits  keiner  besonderen  Localitäten,  keiner  um- 
ständlichen Vorbereitungen,  namentlich  keiner  mehrfachen  Assistenz,  wie  beim 
TEUBEü'schen  Verfahren,  und  kann  ziffermässig  der  Grad  der  Schwerhörigkeit 
festgestellt  werden. 

Eine  Fehlerquelle  haftet  auch  diesem  Verfahren  an,  der  Laie  aber  wird 
sie  kaum  entdecken. 

Es  ist  nämlich  die  Möglichkeit,  zu  unterscheiden,  welches  Ohr  verstopft 
sei,  dadurch  gegeben,  dass  bei  Beantwortung  der  gestellten  Fragen  und  Worte 
das  verschlossene  Ohr  sich  bei  Aufmerksamkeit  durch  die  auftretende  Auto- 
phonie  bemerklich  macht. 

Ist  das  Ohr  nicht  vollkommen  verschlossen,  dann  tritt  auch  die  Auto- 
phonie  zurück;  dann  ist  aber  auch  der  Versuch  nicht  exact.  Indessen  habe 
ich  auch  bei  diesbezüglichen  Proben  mit  intelligenten  Individuen  (Aerzten 
und  Medicinern)  gefunden,  dass  Wenige  auf  dieses  Phänomen  aufmerksam 
werden;  übrigens  kann  man  auch  diesen  Uebelstand  vermeiden,  wenn  der  zu 
Untersuchende  angewiesen  wird,  nichts  nachzusprechen,  sondern  das 
Vernommene  nachzuschreiben. 

Um  nicht  lediglich  zu  constatiren,  dass  der  Untersuchte  simulirt,  sondern 
um  auch  festzustellen,  wie  weit  er  hört,  also  über  den  Grad  einer  eventuellen 
Schwerhörigkeit  sich  zu  orientiren,  ist  auch  der  folgende  von  Burchard 
(Praktische  Diagnostik  der  Simulationen,  Berlin  1878)  angegebene  Versuch 
sehr  brauchbar. 

Gewissermaassen  als  Vorübung  hiezu  ist  empfehlenswert,  zu  versuchen, 
ob  der  Betreffende  etwa  durch  einen  Gehörschlauch,  wie  ihn  hochgradige 
Schwerhörige  zu  benützen  pflegen,  noch  hört. 

Es  ist  hiezu  ein  Gummischlauch  nothwendig,  der  ähnlich  dem  Otoskop 
an  dem  einen  Ende  eine  .Olive  zum  Einstecken  in  den  Gehörgang  des  zu 
Untersuchenden,  am  anderen  Ende  einen  Mundansatz  zum  Plineinsprechen 
besitzt. 

Gibt  der  (wirklich  oder  angeblich)  Schwerhörige,  durch  den  Gehör- 
schlauch angesprochen,  Antwort,  so  wird  der  Versuch  gemacht,  durch  Sprechen 
neben  dem  Gehörschlauch,  der  durch  Andrücken  der  Olive  an  die  Innenfläche 
des  Tragus  oder  allmähliches  Herausnehmen  derselben,  ohne  dass  es  der 
Untersuchte  merkt,  denselben  zum  Weitersprechen  zu  verleiten. 

Ist  auf  diese  Weise  ermittelt,  dass  der  Untersuchte  wenigstens  aut 
V2  Wh  Umgangssprache  oder  vielleicht  sogar  Flüstersprache  versteht,  so  nimmt 
man  nach  Burchard  eine  2  bis  5,  selbst  10  m  lange  Röhre,  deren  Ohrenende 
mit  einem  fingerförmigen  Gummipropf,  wie  er  an  Säuglingsflaschen  üblich  ist, 
verschlossen  wird,  und  in  deren  anderem  Ende  ein  durchbohrter  Kork  sich 


SONDIRUNG  DER  TUBA  EUSTACHII.  613 

befindet.  In  diese  Röhre  wird  mit  möglichst  gleichbleibender  Stimmintensität 
hindurch  gesprochen,  wobei  ein  Assistent  den  Gummipfropfen  lose  an  den  Ein- 
gang des  äusseren  Gehörganges  hält.  Der  zu  Untersuchende  wird  angewiesen, 
die  ihm  zugesprochenen  Worte  sofort  zu  wiederholen. 

Wenn  er  hierin  genügend  geübt  ist,  spricht  man,  ohne  die  Stimmstärke  zu 
verändern,  neben  dem  Rohr,  dessen  Oeönung  man  mittels  eines  Fingers  sachte 
schliesst,  vorbei  und  dann  wieder  nach  Freilassung  der  Oeffnung  durch  das 
Rohr.  Wiederholt  der  zu  Untersuchende  die  neben  dem  Rohre  vorbeigespro- 
cheiien  Worte,  so  liefert  er  den  Beweis,  dass  er  diese  Worte  gehört  hat,  und 
ist  überführt. 

Je  nach  der  Länge  des  Rohres  ist  auch  der  Grad  der  Hörweite  zu  er- 
schliessen. 

Es  bliebe  nur  noch  die  Simulation  vollständiger  Taubheit  oder  sogar 
Taubstummheit  zu  erörtern. 

Letztere  Fälle  sind  wohl  ausserordentlich  selten  Gegenstand  einer  Con- 
statirung.  Abgesehen  davon,  dass  eine  totale  Taubheit  ohne  objectiv  nach- 
weisbares Substrat  zum  mindesten  ätiologisch  erklärliche  Momente  bieten 
müsste,  so  scheint  das  Festhalten  an  der  simulirten  Taubheit  auf  die  Dauer 
schier  ein  Ding  der  Unmöglichkeit. 

Welcher  Aufwand  von  stets  gespannter  Aufmerksamkeit  und  Selbst- 
beherrschung müsste  es  erfordern,  Tag  um  Tag  und  selbst  bei  Nacht  auf 
nichts  zu  reagiren,  was  gehört  werden  kann. 

Uebrigens  ist  ein  plötzliches,  vollständiges  Ertauben  ohne  andere  krank- 
hafte Erscheinungen  eine  grosse  Seltenheit,  allenfalls  bei  Hysterie,  dann  als 
Folge  von  Erschütterungen  des  Labyrinthes  vorkommend.  Solche  Fälle  werden 
anamnestisch   allenfalls  durch  Zuhilfenahme    der  Behörden    aufzuklären   sein. 

Eine  erworbene  Taubheit,  ganz  abgesehen  von  einer  angeborenen  oder 
gar  von  Taubstummheit,  ist  der  Umgebung  bekannt,  und  selbst  Laien  können 
aus  dem  Benehmen  solcher  Individuen  richtige  Schlüsse  ziehen  und  brauch- 
bare Angaben  machen. 

Da  muss  dann  eine  eventuell  auf  Monate  hinaus  sich  erstreckende  Beob- 
achtung und  stete  Ueberwachung  platzgreifen. 

Es  ist  naheliegend,  zu  versuchen,  derlei  Fälle  durch  Erwecken  aus  dem 
Schlaf  zu  überführen  und  die  Schlaftrunkenheit  auszunützen,  gewagter,  eine 
Chloroform-  oder  Aethernarkose  anzuwenden,  um  im  Excitationsstadium  den 
Simulanten  zum  Sprechen  zu  bringen,  obwohl  eben  hiefür  keine  förmliche 
Narkose,  sondern  blos  die  Einleitung  einer  solchen  nothwendig  wäre  und  eine 
Schädigung  der  Gesundheit  hiebei  also  undenkbar  ist. 

In  allen  Fällen  erfordert  die  Beurtheilung  der  Simulation  von  Hör- 
störungen, sei  es  einseitiger,  sei  es  beiderseitiger,  vollkommen  simulirter 
oder  blos  übertriebener  Schwerhörigkeit  oder  Taubheit,  grosse  Umsicht, 
längere  Beobachtung  und  wiederholte  Untersuchung. 

Schliesslich  ist  es  vielleicht  nicht  überflüssig  zu  erinnern,  dass  bei  der 
Beurtheilung  von  derlei  Fällen  nicht  etwa  mit  vorgefasster  Meinung  vorge- 
gangen werde:  Vertrauensseligkeit  und  Misstrauen  (Simulantenfängerei)  führen 
in  gleicher  Weise  in  Sackgassen,  welche  bei  streng  objectiver  LTntersuchung 
sich  vermeiden  lassen.  A.  tschüdi. 

Sondirung  der  Tuba  Eustachii.  Die  Sondenuntersuchung  der  Eu- 
stachischen Röhre  gibt  darüber  Aufschluss,  an  welcher  Stelle  und  in  welcher 
Ausdehnung  der  Tube  ein  durch  die  Luftdouche  nachgewiesenes  Hindernis 
sich  befindet. 

Die  Tubensonden  müssen  eine  Länge  von  20 — 25  c;»  und  eine  Dicke 
von  0-5  bis  2  mm  besitzen.  Sie  werden  aus  Darmsaiten,  Fischbein,  Kaut- 
schuk, Laminaria   digitata,    Catgut,    Celluloid  und  anderen  Materialien  her- 


614  SPRACHE. 

gestellt;  besonders  zweckmässig    erweisen    sich    die   von  Politzer  und   Ur- 
BANTSCHiTSCH  empfohlenen  geknöpften  Celluloidbougies. 

Bevor  man  die  Sonde  in  die  Tube  einführt,  schiebt  man  sie  in  den  zur 
Verwendung  bestimmten  Katheter  so  weit  hinein,  bis  gerade  ihre  Spitze  in 
der  Schnabelöönung  erscheint,  und  bringt  an  derjenigen  Stelle,  welche  dann 
am  Rande  der  Trichteröffnung  des  Katheters  liegt,  eine  Marke,  z.  B.  einen  Tinten- 
strich, an.  Dieselbe  zeigt  nachher  an,  in  welchem  Momente  diese  beim  Vor- 
schieben der  Sonde  den  Katheter  verlässt  und  in  die  Tube  eintritt.  Eine  zweite 
und  dritte  Marke,  welche  man  24  7nm  und  1 1  mm  nach  rückwärts  von  der 
ersten  entfernt  anbringt,  können  die  Länge  des  knorpeligen  und  des  knöchernen 
Theiles  des  Tubencanales  vergegenwärtigen. 

Die  so  vorbereitete  Sonde  wird  durch  den  in  das  Tubenostium  ein- 
geführten Katheter  geschoben,  nachdem  man  sich  durch  Luftdouche  und  Aus- 
cultation  von  der  richtigen  Lage  des  letzteren  überzeugt  hat.  Ist  die  erste 
Marke  im  Katheter  verschwunden,  die  Sonde  also  in  die  Tube  eingetreten, 
so  schiebe  man  sie  vorsichtig  unter  Vermeidung  jeglicher  Gewalt,  jedem 
Widerstände  alsbald  nachgebend,  allmählich  weiter  vor,  bis  entweder  ein 
Hindernis  das  weitere  Vordringen  verbietet  oder  die  dritte  Marke  in  den 
Trichter  des  Katheters  eintritt,  die  Sondenspitze  also  ungefähr  das  Ostium 
tympanicum  erreicht  haben  muss.  Weiter  einzugehen  hat  nicht  nur  keinen 
Zweck,  sondern  würde  auch  unstatthaft  sein,  mit  Rücksicht  auf  die  Möglich- 
keit einer  Verletzung  der  Paukenhöhlengebilde  und  des  Trommelfelles.  Die 
Stelle  der  Sonde,  welche  gerade  am  Trichterende  des  Katheters  liegt,  w^enn 
ein  Hindernis  gefühlt  wird,  kann  man  entweder  bis  nach  erfolgter  Ausführung 
fest  zwischen  zwei  Finger  fassen  oder  mit  einer  vierten  Marke  versehen,  um 
nach  der  nun  folgenden  gleichzeitigen  Entfernung  beider  Instrumente  bemessen 
zu  können,  in  welcher  Entfernung  vom  Tubeneingang  der  Sondenknopf  sich 
befunden  hat. 

Die  Sondirung  ist  in  der  Regel  eine  ziemlich  schmerzhafte  Operation, 
und  schon  aus  diesem  Grunde  ist  die  grösste  Vorsicht  geboten.  Da  auch 
leicht  Verletzungen  der  Schleimhaut  durch  die  Sonde  erzeugt  werden  können, 
ist  diese  Untersuchungsmethode  nur  von  geübter  Hand  auszuführen. 

BtJRKNER. 

Sprache.  Die  Sprache  besteht  aus  Geräuschen  und  Klängen,  welche 
von  der  durchströmenden  Luft  im  Ansatzrohre  unseres  Stimmorganes,  haupt- 
sächlich in  der  Mundhöhle,  gebildet  werden,  und  zu  welchen  sich  meist  auch 
die  Kehlkopfstimme  hinzugesellt.  Dass  aber  die  Kehlkopfstimme  zum  Sprechen 
nicht  unbedingt  nothwendig  ist,  dies  beweist  das  Flüstern.  Beim  Flüstern 
ertönt  nämlich  im  Kehlkopfe  kein  Ton,  sondern  ein  Reibegeräusch,  welches 
die  schwach  ausströmende  Luft  an  den  einander  nur  wenig  genäherten  Stimm- 
bändern erzeugt;  dies  Geräusch  wird  zur  Flüstersprache  benützt.  Ja,  man 
kann  flüstern,  während  durch  den  Kehlkopf  überhaupt  keine  Luft  geht. 
Menschen,  deren  Kehlkopf  ganz  verschlossen  ist  und  die  durch  eine  Tracheal- 
fistel  athmen,  können  auch  ganz  verständlich  flüstern;  dieselben  erzeugen  mit 
Hilfe  ihrer  Lippen  und  Gesichtsmuskeln  einen  unbedeutenden  Luftstrom,  und 
dieser  ist  genügend,  um  die  zur  Flüstersprache  nothwendigen  Geräusche  zu 
bilden.  Dies  beweist  zugleich  am  besten;  dass  bei  der  Sprache  die  wich- 
tigste Rolle  dem  Ansatzrohre  zufällt.  Bei  lauter  Sprache  schliessen  sich  der 
Kehlkopfstimme  Töne  an,  welche  die  Mund-  oder  Nasenhöhle  durch  Resonanz 
erzeugen,  sowie  Geräusche,  welche  an  verschiedenen  Stellen  des  Ansatzrohres 
gebildet  werden,  und  eben  diese  sind  für  die  Sprache  charakteristisch. 

Indem  die  Luft  der  Mund-  und  Nasenhöhle  mit  dem  Klang  des  Kehl- 
kopfes mitschwingt,  verstärkt  sie  je  nach  ihrer  Form  einen  oder  zwei  Töne, 
diese  werden  stark  vernehmbar  und  für  den  Laut  der  Art  bezeichnend, 
dass  hiedurch  die  Vocale  entstehen.    Die  Mundhöhle   hat   also   für  jeden 


SPRACHE.  615 

Vocal  eine  andere  und  ganz  bestimmte  Form  und  der  hiediirch  bedingte 
Mundhöhlenton  bestimmt  den  Vocal.  Wenn  man  a  sagt,  dann  ist  die  Mund- 
ötfnung  am  grössten,  die  Zunge  liegt  tief  auf  den  Boden  der  Mundhöhle, 
ihre  Wurzel  ist  stark  nach  rückwärts  gezogen  und  das  ganze  Ansatzrohr  ent- 
spricht einem  nach  vorne  offenen  Trichter.  Das  Gaumensegel  ist  zum  Ab- 
sperren der  Nasenhöhle  massig  gehoben,  wie  auch  der  Kehlkopf  höher  steht 
als  in  der  Ruhelage.  Bei  o  wird  die  Mundöifhung  kleiner,  die  Zunge  nähert 
sich  mit  ihrem  hinteren  Theile  dem  weichen  Gaumen,  das  Ansatzrohr  ent- 
spricht einer  bauchigen,  kurzhalsigen  Flasche.  Das  Gaumensegel  ist  mehr, 
der  Kehlkopf  weniger  gehoben  als  bei  a.  Am  kleinsten  ist  die  Mundöffnung 
bei  u.  Die  Lippen  stülpen  sich  bei  u  nach  vorne,  die  Zunge  nähert  sich 
mit  ihrem  hinteren  Theile  noch  mehr  dem  weichen  Gaumen.  Das  Gaumen- 
segel ist  hoch,  der  Kehlkopf  kaum  etwas  merklich  gehoben.  Das  Ansatzrohr 
gewinnt  hiedurch  die  Form  einer  w^eiten,  kurz-  und  dünnhalsigen  Flasche. 
Bei  e  und  i  ist  die  Mundöfi'nung  etwas  kleiner  als  bei  «,  aber  grösser  wie 
bei  0  und  u.  Am  auffallendsten  verändert  sich  hier  die  Lage  und  Gestalt 
der  Zunge,  indem  dieselbe  bereits  bei  e  und  noch  mehr  bei  i  sich  mitten 
dem  harten  Gaumen  nähert  und  hinten  und  vorne,  an  der  Spitze,  nieder- 
gedrückt erscheint.  Zugleich  berührt  die  Zungenspitze  die  vorderen  Zähne 
der  unteren  Zahnreihe,  während  ihre  Seiten  den  Zähnen  der  oberen  Zahn- 
reihe anliegen.  Das  Gaumensegel  sperrt  die  Nasenhöhle  bei  i  am  besten  ab, 
bei  e  besser  als  bei  a,  aber  weniger  wie  bei  o  oder  u.  Der  Kehlkopf  wird 
bei  e  mehr  gehoben  wie  bei  a  und  bei  i  noch  mehr  als  bei  e\  die  Reihen- 
folge der  Hebung  ist  also:  w,  o,  «,  e,  i.  —  Was  die  Gestalt  des  Resonanz- 
raumes im  Munde  betrifft,  so  hat  derselbe  die  umgekehrte  Form  bei  e  und  i 
wie  bei  o  und  m;  der  Hals  der  bauchigen  Flasche  liegt  nämlich  nach  vorne, 
ao,  ä,  ö,  üf  schliesslich  sind  Zwischenvocale,  dementsprechend  sind  die 
Stellungen  der  einzelnen  bei  der  Sprache  betheiligten  Organe  zwischen  jenen 
der  angrenzenden  Vocale  gelegen.  Bei  den  nasalirenden  Vocalen  ist  die 
Mundhöhle  dadurch,  dass  das  Gaumensegel  an  die  Zungen wurzel  anschliesst, 
mehr  weniger  gesperrt. 

Die  für  die  einzelnen  Vocale  charakteristischen  Mundhöhlentöne,  „Vocal- 
formanten",  werden  auf  verschiedene  W^eise  bestimmt.  So  lassen  sich  die- 
selben mittels  Resonatoren  erkennen,  ja  geübte  Forscher  können  selbt  diePartial- 
töne  heraushören.  Wenn  man  die  Mundhöhle  auf  einen  gewissen  Vocal  ein- 
stellt und  die  Wange  oder  den  Kehlkopf  mit  dem  Finger  percutirt,  so  er- 
schallt der  entsprechende  Mundhöhlenton;  oder  wenn  man  vor  den  Mund 
verschiedene,  tönende  Stimmgabeln  nach  einander  hält,  dann  verstärkt  der- 
selbe den  Ton  der  den  Mundhöhlenton  entsprechenden  Stimmgabel  durch 
Resonanz.  Auf  diese  Weise  fand  Helmholtz  die  folgenden  Töne: 
uoaäeiöü 
f  b^b^  d2,g2  fi,b3  f,d*  f^cis2  f,g3. 

Für  die  Vocale  von  ä  bis  ü  fand  also  Helmholtz  zwei  Töne,  von 
welchen  der  eine  dein  bauchigen,  der  andere  dem  halsförmigen  Theile  der 
einer  Flasche  ähnlichen  Mundhöhle  entspricht.  Auch  Versuche  mit  der  mono- 
metrischen Flamme  im  rotirenden  Spiegel  von  R.  Köxig  und  mit  dem  Ediso^'- 
schen  Phonographen  haben  bewiesen,  dass  die  Vocale  Klänge  sind,  für  welche 
die  Partialtöne  maassgebend  sind.  König  construirte  nämlich  eine  kleine 
Trommel,  deren  Innenraum  eine  feine  Kautschukplatte  in  zwei  Hälften  theilt- 
In  die  eine  Hälfte  der  Trommel  wird  durch  ein  Röhrchen  Leuchtgas  geleitet, 
aus  welcher  dasselbe  durch  einen  feinen  Brenner  wieder  hinausströmt,  und 
angezündet  mit  einer  kleinen  Flamme  brennt.  Die  zweite  Hälfte  der  Trommel 
hat  eine  weite  Oeffnung,  welche  ein  entsprechend  weites  Kautschukrohr 
mit  einem  schallleitenden  Trichter  verbindet.  Wenn  nun  ein  Schall  in  den 
Trichter  gelangt,  so  bringt  derselbe  die  Kautschukplatte  in  Mitschwingungen, 


616  SPRACHE. 

■welche  dieselbe  auf  das  Gas  und  die  kleine  Flamme  überträgt.  Das  hiedurch 
verursachte  Spiel  der  Flamme  geschieht  so  rasch,  dass  man  dasselbe  un- 
mittelbar nicht  sehen  kann,  es  ist  aber  leicht  zu  erkennen,  wenn  man  im 
Dunkelzimmer  vor  der  Flamme  einen  viereckigen  Spiegel  rotirt  und  in  diesem 
das  Flammenbild  beobachtet.  So  lange  nämlich  die  Flamme  ruhig  brennt, 
so  lange  ist  auch  im  Spiegel  eine  gleichförmige  Lichtlinie  zu  sehen,  sobald 
aber  in  den  Trichter  ein  Schall  geräth,  so  lassen  sich  am  Spiegelbild  der 
Flamme  Erhabenheiten  und  Vertiefungen  beobachten.  Diese  Erhabenheiten 
sind  regelmässig,  wenn  ein  einfacher  Ton  oder  ein  musikalischer  Klang  er- 
schallt, und  unregelmässig,  sobald  irgend  ein  Geräusch  die  Flamme  in  Bewe- 
gung versetzt.  Wenn  nun  ein  Vocal  hörbar  wird  und  die  Flamme  erschüttert, 
so  zeigt  das  Flammenbild  ganz  regelmässige  Erhabenheiten  und  Vertiefungen, 
welche  zugleich  für  einen  jeden  Vocal  ganz  charakteristisch  sind.  Der  Edison- 
sche  Phonograph  zeichnet  die  durch  den  Schall  erzeugten  Schwingungen 
seiner  Glasplatte  auf  einen  sich  mit  gleichmässiger  Geschwindigkeit  drehen- 
den Paraffin-Wachscylinder,  und  reproducirt  dieselben  dadurch,  dass  ein  mit 
einem  kugeligen  Köpfchen  versehener  Läufer  den  Eingrabungen  folgt  und 
auf  die  Glasplatte  zurückwirkt.  Wie  Hermann  bewiesen,  gibt  dieser  Phono- 
graph aufgesungene  Vocale  nur  dann  unverändert  wieder,  wenn  sie  mit  gleicher 
Drehgeschwindigkeit,  also  mit  gleicher  Note  reproducirt  werden.  Hermann 
untersuchte  die  Tiefencurven  des  Phonogramms  auch  mittels  Spiegelchen 
photographisch.  Alle  diese  Analysen  ergaben  für  jeden  Vocal  ganz  bestimmte 
Partialtöne.  Nach  Hermann  sind  diese  „Formanten"  für  lange  Vocale  etwas 
tiefer  als  für  kurze.  Pepping  fand  dieselben  für  lange  Vocale  wie  folgt: 
für    U     —  bei  d^  bis  f^ 

.      0     -    „   g^ 

;;      Ao  —    „   e^  und  dis^ 

;,      A     —    „   gis-  „     dis^ 

„      Ae   —    „   g2     „     fis^ 

„      E     —    „    lis«  „     cis^ 

„       Ue  „   a      „     c 

„  I  —  „  dl  „  eis* 
Man  versuchte  auch  künstlich  Vocale  darzustellen.  Schon  die  phono- 
graphische und  grammophonische  Keproduction  gehört  hieher.  Auch  mit 
Zungenpfeifen,  Stimmgabeln,  lassen  sich  den  Vocal en  ähnliche  Klänge  er- 
zeugen, wenn  man  vor  dieselben  den  Mundtönen  entsprechende  Resonatoren 
hält.  Helmholtz  nahm  9  auf  die  Noten  B,  b,  f\  b\  d^,  f^,  gis^  b^  und 
d^  abgestimmte  Stimmgabeln,  welche  durch  Elektromagneten  in  Schwingungen 
erhalten  wurden;  eine,  den  Strom,  ähnlich  wie  der  WAGNER'sche  Hammer 
unterbrechende  B  Gabel  leitete  den  elektrischen  Strom  zu  den  Elektro- 
magneten. Vor  einer  jeden  sonst  unhörbaren  Stimmgabel  befand  sich  der 
entsprechende  Ptesonator,  der  verschlossen  und  geöffnet  werden  konnte.  Sobald 
der  Resonator  einer  Stimmgabel  geöfinet  wurde,  dann  erklang  deren  Ton. 
Wenn  die  dem  Grundton  entsprechende  5-Stimmgabel  allein  erscholl,  so 
hörte  man  ein  dumpfes  u.  —  Das  u  wurde  vollkommener,  wenn  neben  B 
noch  b  und  f  ^  schwach  tönten.  Im  Falle  b  ^  stark  und  zugleich  B,  b,  f 2,  d^, 
schwach  hörbar  wurden,  war  0  rein  hörbar.  Das  Telephon,  ferner  das  Mikro- 
phon reproduciren  auch  die  Vocale.  Wenn  man  bei  aufgehobenem  Dämpfer 
gegen  die  Seiten  des  Klaviers  einen  Vocal  mit  einer  Klaviernote  singt,  so 
klingt  derselbe  nach;  es  gerathen  jene  Saiten  in  Mitschwingungen,  deren  Note 
gesungen  wurde. 

Die  für  die  einzelnen  Vocale  eigenthümlichen  Mundtöne  sind  bei  allen 
Menschen  gleich  und  ändern  sich  auch  mit  dem  Alter  kaum  etwas. 
Inwiefern  also  der  Rauminhalt  der  Mundhöhle   bei   den   einzelnen  Personen 


SPRACHE,  617 

verschieden  ist,  und  demnach  mit  verschiedenen  Tönen  mitschwingen  kann, 
insoweit  wird  während  des  Sprechens  dieselbe  und  die  Mundöff'nung  durch 
Muskelwirkung  verschieden  gross  gemacht  und  die  ansonst  möglichen  Ab- 
weichungen compensirt.  Kinder,  die  eine  kleinere  Mundhöhle  haben,  müssen, 
um  u  deutlich  auszusprechen,  die  Lippen  mehr  vorschieben  als  Erwachsene, 
und  diese  wieder  müssen  den  Kehlkopf  stärker  heben,  wenn  sie  i  scharf 
betonen  wollen. 

Den  Uebergang  von  den  Vocalen  zu  den  Consonanten  bilden  die  Halb- 
vocale,  indem  bei  denselben  ebenso  wie  bei  den  Vocalen  Klänge  ent- 
stehen, welche,  durch  das  Anblasen  der  Mund-  oder  Nasenhöhle,  bei  gewisser 
Stellung  derselben,  hervorgerufen  werden.  Um  n  auszusprechen,  schliessen 
wir  die  Mundhöhle  mit  der  Zunge  ab,  indem  wir  dieselbe  an  die  Schneide- 
zähne oder  den  Alveolarfortsatz  des  Oberkiefers,  ja  selbst  an  den  harten 
Gaumen  stemmen;  derselbe  Verschluss  kann  auch  noch  so  geschehen,  dass 
man  die  Zungenspitze  an  die  Schneidezähne  des  Unterkiefers  stemmt  und  den 
Zungenrücken  an  die  Zähne  des  Oberkiefers  drückt.  Wenn  wir  m,  aussprechen, 
dann  schliessen  die  Lippen  die  Mundhöhle  ab.  Bei  n  nasale  befindet  sich 
der  Verschluss  zwischen  Zungenwurzel  und  harten  oder  weichen  Gaumen. 
Bei  allen  drei  Lauten  kann  die  Luft  blos  durch  die  Nase  entweichen  und 
der  Mundhöhle  fällt  die  Rolle  eines  abgeschlossenen,  resonirenden  Hohl- 
raumes zu. 

Die  eigentlichen  Consonanten  sind  Geräusche,  welche  je  nach  dem 
Consonanten  auf  verschiedene  Weise  entstehen.  Die  Lage  der  Zunge  und 
Weichtheile,  während  des  Aussprechens  von  Consonanten,  untersucht  man 
theils,  indem  man  die  Mundhöhle  bei  offenem  Munde  beobachtet,  theils  indem 
man  durch  den  offenen  Mund  den  Finger  einführt  und  die  Weichtheile  ab- 
tastet. GßüTZNEE  beobachtete  die  Lage  der  Zunge,  indem  er  den  Zungen- 
rücken bei  offenem  Munde  mit  Karminstaub  bestreute  und,  nachdem  er  den 
Consonanten  ausgesprochen,  im  Spiegel  beobachtete,  welche  Stellen  der  Zähne 
und  des  Gaumens  von  Karmin  roth  gefärbt  worden  war.  Verschluss  oder 
Offensein  des  hinteren  Naseneinganges  lassen  sich  erkennen,  indem  man  eine 
weiche  Feder,  eine  brennende  Kerze  oder  aber  einen  Spiegel  vor  die  Nasen- 
löcher hält. 

Je  nach  der  Ursache  des  Geräusches  unterscheidet  man  die  Consonanten 
als  Reibungslaute,  Verschlusslaute  und  Zitterlaute.  Bei  den  Reibungs- 
lauten erzeugt  die  aus  den  Lungen  herausströmende  Luft  an  irgend  einer 
Enge  der  Luftwege  das  dem  Laut  eigenthümliche  Geräusch.  Wenn  man  das 
Stimmorgan  der  Richtung  des  Luftstromes  entsprechend  von  rückwärts  nach 
vorne  beobachtet,  so  lässt  sich  die  erste  solche  Enge,  welche  ein  Reibungs- 
geräusch verursachen  kann,  im  Kehlkopfe  selbst  finden;  dies  Reibungsgeräusch 
ist  für  h  bezeichnend.  Bei  dem  Aussprechen  von  h  findet  man  die  Glottis 
wohl  etwas  verengt,  doch  viel  zu  wenig,  als  dass  die  Stimmbänder  durch  die 
ausströmende  Luft  in  tönende  Schwingungen  versetzt  werden  könnten,  allein 
genug,  damit  bei  der  Exspiration  das  für  /r  charakteristische  Geräusch 
entstehe,  h  ist  immer  lautlos  und  kann  bei  einer  jedem  Vocal  entsprechen- 
den Stellung  der  Weichtheile  des  Mundes  ausgesprochen  werden.  Wenn  zum 
Beispiel  nach  h  ein  Vocal  folgt  oder  dem  h  ein  solcher  vorangeht,  dann 
nehmen  die  Theile  des  Mundes  bereits  die  dem  Vocal  entsprechende  Stellung 
im  vorhinein,  bezüglich  gleich  nachher  ein.  Zahlreich  sind  die  Laute,  deren 
Geräusch  in  einer  durch  die  Zunge  verursachten  Enge  entstehen,  ch  wird 
in  der  Enge  gebildet,  welche  die  Zungenwurzel  mit  dem  weichen  Gaumen 
(hinteres  ch)  oder  der  Zungenrücken  mit  dem  harten  Gaumen  (vorderes  ch)  erzeugt. 
Die  durch  die  Enge  getriebene  Luft  bricht  an  dem  Gaumen  und  erzeugt  das 
Geräusch.  Das  hintere  ch  sprechen  wir  mit  den  tiefen  {a,  o,  u),  das  vor- 
dere mit   den   hohen  (ä,  e,  i)   Vocalen,    denn  so  bilden   wir  die   Enge  dort, 


618  SPRACHE. 

WO  Zunge  und  Gaumen  einander  auch  sonst  schon  genähert  sind,  und  dies 
ist  einlacher,  bequemer.  Wenn  die  Enge  zwischen  Zunge  und  den  Zähnen 
gebildet  wird,  dann  entstehen  die  Laute  seh,  s,  L  Bei  dem  Aussprechen 
von  seh  liegt  die  Zunge  etwa  1  cm  hinter  den  Schneidezähnen  des  Ober- 
kiefers und  lässt  an  ihrem  vorderen  Ende  eine  schmale  Spalte  zurück, 
während  ihre  Seiten  die  Zähne  und  Alveolarfortsätze  des  Oberkiefers,  ihr 
Rücken  zum  Theil  den  harten  Gaumen  berühren.  Bei  s  rückt  die  Zungen- 
spitze weiter  nach  vorne,  legt  sich  an  den  oberen  Alveolarfortsatz  an  und 
lässt  vorne  in  der  Mitte  eine  enge  Lücke  zurück,  indem  sie  sich  daselbst 
etwas  vertieft.  Ansonst  sind  beide  Zahnreihen  einander  bis  auf  eine  geringe 
Entfernung  genähert.  Um  /  auszusprechen,  stemmt  sich  der  Rand  der  Zunge  an 
die  oberen  Vorder-  und  Backenzähne  und  au  den  entsprechenden  Alveolarfortsatz 
in  der  Weise,  dass  zwei  kleine  Spalten  in  der  Gegend  der  ersten  Backenzähne 
ofien  bleiben.  Das  Geräusch,  welches  der  durch  diese  Spalten  nach  aussen 
dringende  Luftstrom  erzeugt,  ist  für  l  bezeichnend.  Schliesslich  lassen  sich 
auch  durch  die  Lippen  Engen  bilden,  so  z.  B.,  wenn  man  die  Unterlippe 
und  Oberzähne  einander  nähert.  Das  in  dieser  Enge  durch  die  Luft  an  den 
Rand  der  Zähne  verursachte  Geräusch  ist  der  /-Laut,  ch,  seh,  s,  /  können 
mit  oder  ohne  Stimme  gesprochen  werden  und  bilden  auf  diese  Weise  zwei 
Consonantenreihen,  von  welchen  die  mit  Stimme  gesprochene  weich  klingt. 
So  gibt  eh  mit  Stimme  gesprochen  das  J,  seh  das  französische  j;  s  wird 
auch  scharf  und  weich  ausgesprochen,  während  /  (v)  mit  Stimme  das  w  gibt. 

Die  Verschlusslaute  werden  durch  Geräusche  erzeugt,  welche  ent- 
stehen, indem  bei  gehobenem  Gaumensegel  entweder  der  Luftstrom  durch 
einen  Verschluss  plötzlich  unterbrochen  wird  oder,  indem  der  Luftstrom  den 
bereits  vorhandenen  Verschluss  durchbricht.  Alle  diese  Laute  können  mit 
oder  ohne  Stimme  gegeben  werden  und  sind  dementsprechend  weich  oder 
hart.  So  kann  ein  Theil  des  Zungenrückens  mit  den  hinteren  Partien  des 
harten  Gaumens  oder  mit  dem  weichen  Gaumen  einen  Verschluss  bilden. 
Wird  dieser  Verschluss  von  der  lautlos  ausströmenden  Luft  durchbrochen,  so 
entsteht  das  k,  und  wenn  zugleich  im  Kehlkopf  die  Stimme  erschallt,  dann 
das  g.  Der  Verschluss  liegt  mehr  nach  vorne,  wenn  vor  oder  nach  Ä-,  be- 
züglich g,  e  oder  i,  und  mehr  nach  rückwärts,  wenn  a,  o  oder  u  folgt. 
Ein  anderes  Geräusch  erhält  man,  wenn  der  durch  die  Zunge  gebildete  Ver- 
schluss mehr  nach  vorne  liegt,  wenn  wir  zum  Beispiel  die  Zunge  an  den 
Alveolarfortsatz  des  Oberkiefers  oder  an  dessen  Vorderzähne  stemmen.  So- 
bald die  Luft  diesen  Verschluss  durchbricht,  entsteht  das  t.  Befindet  sich 
der  Verschluss  zwischen  Zunge  und  Vorderzähne,  so  nennt  man  das  t  ^-den- 
tale, berührt  die  Zunge  ausser  den  Vorderzähnen  auch  den  Alveolarfortsatz, 
so  ist  dies  das  ^-alveolare.  Die  Zungenspitze  kann  auch  mit  dem  harten 
Gaumen  einen  Verschluss  bilden,  auf  diese  Weise  entsteht  das  ^-cerebrale; 
endlich  kann  sich  die  Zunge  mit  der  Spitze  an  die  Vorderzähne  des  Unter- 
kiefers stemmen  und  der  Zungenrücken  bilden  mit  den  Vorderzähnen  des 
Oberkiefers  einen  Verschluss,  welcher  durchbrochen  das  t  ertönen  lässt.  Wenn 
zugleich  die  Stimme  hörbar  wird,  so  gehen  alle  diese  t  in  das  weiche  d 
über.  Einen  starken  Verschluss  können  auch  die  Lippen  bilden.  Bei  plötz- 
lichem Oeflhen  dieses  Verschlusses  hört  man  das  2^,  welches,  sobald  die  Stimme 
mittönt,  zu  h  wird. 

Der  einzige  Zitterlaut  ist  das  r.  Hierbei  bringt  die  ausströmende 
Luft  einen  leicht  beweglichen  Theil  des  Ansatzrohres  wie  eine  Zunge  in 
Schwingungen.  Solche  leicht  bewegliche  Theile  sind  auch  die  Stimmbänder, 
und  es  gibt  Menschen,  welche  das  r  durch  eine  Erschütterung  der  Stimm- 
bänder erzeugen;  es  ist  dies  das  r -gutturale.  Man  findet  dieses  r  oft 
bei  fetten,  dickhalsigen  Personen,  die  mit  der  sogenannten  Gaumenstimme 
sprechen.    Das  r-uvulare  wird  durch  Erzittern  des  weichen  Gaumens  oder 


SPKACHANOMALIEEN.  619 

der  Uvula  erzeugt.  Die  hinteren  Partien  der  Zunge  heben  sich,  lassen  in 
ihrer  Mitte  eine  kleine  Rinne  für  das  Zäpfchen  frei  und  hier  schwirrt  das- 
selbe auf  und  nieder.  Dies  r  ist  schon  mehr  im  Gebrauch,  besonders  bei 
den  Franzosen.  Beim  r  der  Zunge,  r- linguale,  erzittert  der  nach  oben 
gehobene  vordere  Theil  der  Zunge,  wobei  derselbe  an  die  oberen  Zähne  und 
an  den  Alveolarfortsatz  des  Oberkiefers  anschlägt.  Schliesslich  lassen  sich 
auch  die  Lippen  durch  den  Exspirationsstrom  in  Schwingungen  versetzen. 
Doch  wird  dies  r- labiale  in  der  Sprache  nicht  gebraucht;  Kutscher  pflegen 
Pferde  damit  anzuhalten. 

Zusammengesetzte  Consonanten,  wie  ks^  pf,ps,  ts,  z^x  werden  durch 
raschen  Uebergang  von  Verschlusslauten  in  Reibungslaute  erzeugt.  Die 
Sprachlaute  sind,  mit  möglichst  derselben  Intensität  gesprochen,  aus  sehr 
verschiedener  Entfernung  hörbar,  so  werden  die  Zischlaute  seh,  s  aus  weit 
grösserer  Entfernung  gehört  als  die  übrigen;  in  abnehmender  Entfernung 
folgen  auf  diese  ^,  f,  k,  t^  b,  u,  r.  fekd.  klug. 

Sprachanomalieen.  Die  Sprachanomalieen  sollen  hier  besprochen 
werden,  soweit  sie  in  einen  directen  oder  indirecten  Zusammenhang  mit  den 
Ohren-,  Nasen-  und  Kehlkopikrankheiten  gebracht  werden  können.  Es  wird 
deshalb  eine  grosse  Zahl  von  rein  centralen  Sprachstörungen  ausseracht  ge- 
lassen werden  müssen,  und  wir  werden  uns  darauf  beschränken,  folgende 
Sprachstörungen,  dem  Rahmen  dieses  Werkes  entsprechend,  darzustellen: 
1.  Taubstummheit,  2.  Hörstummheit,  3.  Stottern,  4.  functionelles  Stammeln, 
5.  organisches  Stammeln. 

1.  Taubstummheit  besteht,  wie  ihr  Name  sagt,  in  der  Stummheit,  die 
nothgedrungen  einer  angeborenen  oder  auch  bis  zu  einem  gewissen  Alter  er- 
worbenen Taubheit  folgt.  Dabei  ist  es  durchaus  nicht  nothwendig,  dass  die 
Taubheit  eine  absolute  ist;  es  können  sogar  relativ  massige  Grade  von  Schwer- 
hörigkeit zur  gänzlichen  Stummheit  führen. 

Die  Aetiologie  ist  sonach  für  die  Sprachstörung  vollständig  klar.  Auf 
die  Erscheinungen  von  Seiten  des  Gehörorganes  bezüglich  der  Aetiologie 
brauchen  wir  hier,  da  wir  uns  nur  mit  der  Sprachstörung  befassen,  nicht 
näher  einzugehen.  Ebensowenig  haben  wir  hier  zu  zeigen,  inwieweit  die  Erb- 
lichkeit und  die  Blutsverwandten-Ehen  auf  die  Entstehung  Eintluss  haben. 

Die  Diagnose  ist  in  den  allermeisten  Fällen  leicht.  Schwierigkeiten 
kann  sie  bei  denjenigen  Taubstummen  machen,  welche  gleichzeitig  einen 
grösseren  oder  geringeren  Grad  von  Schwachsinn  resp.  Idiotie  zeigen.  Da 
Schwachsinn  und  Idiotie  an  sich  oft  genug  zur  Stummheit  führen,  so  kann 
es  vorkommen  und  kommt  in  "Wirklichkeit  auch  oft  genug  vor,  dass  schwach- 
sinnige Stumme  in  die  Taubstummenanstalt  statt  in  die  Idiotenanstalt  dirigirt 
werden.  Erst  die  Beobachtung  kann  darüber  belehren,  ob  es  sich  um  reine 
Taubstummheit  handelt,  da  die  Höruntersuchungen  bei  diesen  Kindern  un- 
endlich schwierig  sind  und  Täuschungen  selbst  routiuirten  Untersuchern  oft 
genug  vorgekommen  sind. 

Des  weiteren  kann  die  Taubstummheit  verwechselt  w^erden  mit  der 
noch  zu  besprechenden  Hörstummheit.  Auch  hierbei  wird  es  in  denjenigen 
Fällen,  wo  die  hörstummen  Kinder  äusseren  Anregungen  schwier  zugänglich 
sind,  unter  Umständen  einer  längeren  Zeit  der  Beobachtung  bedürfen,  um 
die  Differentialdiagnose  zu  stellen.  In  den  meisten  Fällen  von  Hörstummheit 
allerdings  kann  sofort  durch  einfache  Proben  festgestellt  werden,  ob  das  Ge- 
hör vorhanden  ist  und  ob  es  normal  ist. 

Die  Prognose  der  Taubstummheit  in  Bezug  auf  die  Sprachstörung  ist  in 
denjenigen  Fällen,  wo  die  Kinder  intelligent  sind  oder  höchstens  nur  ge- 
ringe Spuren  von  Schwachsinn  zeigen,  eine  absolut  günstige,  da  sie  sämmtlich 
die  Lautsprache  erwerben  können.    Leider  kommt  aber  neben  der  Taubstumm- 


620  SPRACHANOMALIEEN. 

heit  auch  gleichzeitig  Schwachsinn  vor,  der  die  unterrichtliche  Entwicklung 
des  Taubstummen  ausserordentlich  hindert.  Zum  Theil  ist  ferner  die  Pro- 
gnose in  Bezug  auf  die  Erwerbung  einer  für  den  Verkehr  mit  den  hörenden 
Mitmenschen  ausreichenden  Lautsprache  von  den  Organbefunden  der  Sprache 
abhängig.  Bei  grösseren  Untersuchungen  an  Taubstummen  hat  man  recht 
häufig  Anomalien  der  Sprachwerkzeuge  gefunden,  die  weniger  darin  bestanden, 
dass  sich  Defecte  oder  Missbildungen  nachweisen  Hessen,  als  darin,  dass  die 
Form  und  Beweglichkeit  der  Theile  eine  mangelhafte  war.  So  finden  sich 
schwerfällige  Zungenbewegung,  schwerfällige  Bewegung  des  weichen  Gaumens 
beim  Sprechen,  Inactivitätsatrophien  von  Seiten  der  Stimmbänder,  fehlerhafte 
Athmung  und  anderes.  In  den  meisten  Fällen  lassen  sich  durch  die  allge- 
mein übliche  sprachliche  Behandlung  der  Taubstummen  in  den  Taubstummen- 
anstalten diese  Fehler  durch  Uebung  ausgleichen,  indess  weiss  jeder,  der 
einmal  mit  Taubstummen  gesprochen  hat,  wie  häutig  der  rauhe  abgerissene 
Klang  der  Stimme,  die  eigenthümliche  Verdumpfung  und  schwerfällige  Bildung 
der  Vocale  das  Verständnis  der  Sprache  zu  hindern  im  Stande  ist.  Es  ist 
auch  bekannt,  dass  die  Selbstcontrole  der  eigenen  Sprache  durchaus  nicht 
nur  vom  Ohre  abhängt;  denn  das  Muskelgefühl  gibt  uns  jederzeit  Aufschluss 
über  die  Stellung,  in  welcher  sich  die  einzelnen  Organtheile  der  Sprache 
gegeneinander  befinden.  Nun  ist  aber  gerade  dieses  sprachliche  Muskelgefühl 
bei  den  Taubstummen  im  Unterrichte  direct  ausgebildet,  und  trotzdem  finden 
wir  so  häutig  die  geschilderte  mangelhafte  Sprache. 

Die  Behandlung  der  Taubstummheit  geschieht  seit  dem  Ende  des 
vorigen  Jahrhunderts  (Samuel  Heinecke)  nach  der  deutschen  Methode,  die 
Taubstummen  erlernen  die  Lautsprache  der  Vollsinnigen.  Es  ist  in  früherer 
Zeit,  und  zwar  trotz  der  grossen  Erfolge,  die  sich  diese  Methode  errungen 
hatte,  auch  in  neuester  Zeit  des  öfteren  gegen  die  deutsche  Taubstummen- 
Unterrichtsmethode  der  Vorwurf  erhoben  worden,  sie  sei  nicht  natürlich,  sie 
entspreche  nicht  der  Psychologie  des  Taubstummen;  für  den  Taubstummen 
sei  es  viel  natürlicher,  dass  er  sich  der  Geberdensprache  zum  Ausdruck  seiner 
Gedanken  bedient,  die  ihm  mit  unendlicher  Mühe  beigebrachte  Lautsprache 
sei  eine  Kunstsprache,  ein  Zwang  gegen  seine  Natur,  und  daher  komme  es, 
dass  er  sie  häufig  direct  nach  dem  Verlassen  der  Taubstummenanstalt  ablege 
und  zur  natürlichen  Geberde  zurückkehre.  Um  gleich  auf  einen  Hauptpunkt 
einzugehen,  muss  bemerkt  werden,  dass  die  Geberdensprache  nicht  nur  für  den 
Taubstummen  natürlich  ist,  sondern  dass  auch  alle  vollsinnigen  sich  derselben 
in  principiell  gleicher  Weise  wie  die  Taubstummen  bedienen.  In  der  That 
ist  die  natürliche  Geberdensprache  des  Taubstummen  nichts  weiter  als  eine 
vollständigere  Entwicklung  unserer  natürlichen  Geberde,  mit  der  wir  Mit- 
theilungen und  Darstellungen,  auch  Ausdruck  von  Gefühlen  zu  begleiten  ge- 
wohnt sind.  Die  Zeichen  für  Essen  und  Trinken,  Hunger  und  Durst,  Kämmen, 
Waschen,  Schlafen  und  vieles  andere  sind  in  der  natürlichen  Geberde  der 
Taubstummen  genau  die  gleichen,  die  wir  anzuwenden  gewöhnt  sind.  Wir 
wissen  auch,  dass  manche  Völker  zu  der  Anwendung  der  Geberdensprache 
geneigter  sind,  als  beispielsweise  wir  Deutschen.  Wer  hat  nicht  von  der 
Geberdensprache  der  Neapolitaner  gehört,  die  im  Stande  sind,  lange  Ge- 
spräche von  einem  Haus  zum  andern  quer  über  die  Strasse  hinüber  zu  führen, 
ohne  auch  nur  ein  einziges  Wort  dabei  zu  sprechen.  Es  darf  deshalb  die 
Geberdensprache  nicht  für  den  Taubstummen  allein  als  etwas  Natürliches  in 
Anspruch  genommen  werden,  sondern  die  natürliche  Geberde  ist  allen  Menschen 
gemeinsam.  Daher  kommt  es  auch,  dass  die  Taubstummen  verschiedener 
Länder  sich  ausserordentlich  rasch  in  der  Unterhaltung  verständigen,  wovon 
ich  mich  mehr  als  einmal  persönlich  überzeugt  habe.  Andererseits  muss  man 
daran  festhalten,  dass  die  natürliche  Geberde,  wenn  sie  vollständig  zum  Aus- 
druck aller  Gedanken  angewendet  wird,    doch  bei  Darstellung  der  Abstrac- 


SPRACHANOMALIEEN.  621 

tionen  vollständig  versagt  und  zum  Theil  durch  widersinnige  Zeichen  ein 
Ersatz  geschaffen  werden  muss.  Bei  der  weiteren  Ausbildung  der  natürlichen 
Geberde,  die  zu  diesem  Zwecke  nöthig  ist,  hört  unser  Verständnis,  das  Ver- 
ständnis der  Vollsinnigen  dafür  vollständig  auf,  und  wir  sind  nicht  mehr  im 
Stande,  der  natürlichen  Geberdensprache  des  Taubstummen  zu  folgen.  Damit 
verliert  aber  der  Taubstumme  den  Zusammenhang  mit  der  übrigen  mensch- 
lichen Gesellschaft,  woran  ihm  doch  gerade  unendlich  viel  gelegen  sein  muss, 
und  er  ist  deshalb,  wenn  er  nicht  die  Lautsprache  einigermaassen  erlernt  hat, 
gezwungen,  zur  Schrift  als  Verständigungsmittel  zu  greifen.  Untersuchen  wir 
ferner,  ob  der  Taubstumme,  wenn  er  die  Lautsprache  erlernt,  in  der  That 
von  dem  natürlichen  Gange  der  Entwicklung  abweicht,  so  sehen  wir  sofort, 
dass  das  unmöglich  der  Fall  sein  kann,  da  alle  Menschen  ohne  Ausnahme 
stumm  geboren  sind.  Sie  schreien  zwar,  aber  sie  sprechen  noch  lange  nicht: 
die  Sprache  entwickelt  sich  erst  in  einer  viel  späteren  Altersstufe.  Es  ist 
deshalb  die  Ausbildung  des  motorischen  Sprachcentrums  beim  Taubstummen 
durch  die  Lautsprachmethode  nichts  weiter  als  eine  Nachahmung  des 
natürlichen  Vorganges  des  Sprechenlernens  bei  allen  Menschen.  Das  moto- 
rische Sprachencentrum  fehlt  dem  neugeborenen  Vollsinnigen  ebenso,  wie  es 
dem  Taubstummen  fehlt.  Bei  dem  neugeborenen  Vollsinnigen  entwickelt  es 
sich  unter  dem  Einfluss  der  Umgebung  mittelst  des  Nachahmungstriebes,  beim 
Taubstummen  wird  es  durch  Einübung  der  sprachlichen  Bewegungen  sorgsam 
ausgebildet.  Wenn  der  zweite  Weg  auch  ein  schwierigerer  ist,  so  ist  er  darum 
doch  durchaus  natürlich.  Unsere  eigene  Sprache  controliren  wir  bekanntlich 
nicht  allein  durch  das  Gehör,  sondern  gleichzeitig  auch  durch  das  Gefühl,  und 
so  wie  eine  Abstumpfung  der  sensiblen  Nerven  zu  einer  Ataxie  des  befallenen 
Körpertheiles  führt  (Tabes),  so  führt  auch  ein  Abstumpfen  der  sensiblen 
Nerven  im  Gebiet  der  Sprachorgane  zu  fehlerhafter,  schwerfälliger  Sprech- 
weise. Freilich  ist  das  vorwiegende  Controlmittel  des  Vollsinnigen  das  Ohr. 
Das  kinästhetische  Centrum,  mittelst  dessen  wir  unsere  Sprachbewegungen 
fühlen,  wird  beim  Taubstummen  ganz  besonders  fein  ausgebildet,  weil  an 
Stelle  des  fehlenden  Gehörs  das  Auge  zur  Perception  des  Gesprochenen  ein- 
tritt. Wir  vermögen  die  Sprachbewegungen  mittelst  des  Auges  leicht  und 
fast  ebenso  vollständig  wie  mittelst  des  Gehörs  aufzufassen,  wenn  wir  in 
dieser  Perception  eine  geeignete  erziehliche  Anweisung  gemessen.  Der  Taub- 
stumme hat  demnach  zur  Perception  des  von  anderen  Gesprochenen  das  Auge, 
zur  Controle  seiner  eigenen  Sprache  das  kinästhetische  Centrum. 

Die  sprachliche  Ausbildung  beginnt  mit  dem  sechsten  oder  siebenten 
Lebensjahr  in  geeigneten  Taubstummenanstalten,  und  zwar  mittels  des  Ge- 
fühles und  des  Gesichtes.  Die  an  den  Kehlkopf  gelegte  Hand  fühlt  die 
Stimmbandschwingungen,  und  das  Kind  ahmt  dieselben  ohne  weiteres  nach, 
indem  es  gleichfalls  die  Stimme  anschlägt.  Das  Auge  sieht  die  Bewegungen 
des  Kiefers,  der  Lippen,  der  Zunge,  die  Stellung  der  Zähne  zu  einander,  und 
es  wird  demnach  beispielsweise  der  Laut  a  so  eingeübt,  dass  die  an  den 
Kehlkopf  gelegte  Hand  die  Schwingungen  fühlt  und  das  Auge  das  Herunter- 
gehen des  Unterkiefers  sieht.  Das  Kind  macht  den  Mund  auf  und  spricht 
mehr  oder  weniger  deutlich  und  wohlklingend  den  Laut  a.  Der  Laut  m  wird 
so  aufgenommen,  dass  die  geschlossenen  Lippen  durch  das  Auge  w^ahrgenommen 
werden,  die  an  die  Nasenwand  geführte  Hand  fühlt,  dass  die  Schwingungen 
durch  die  Nase  entweichen.  Verbindet  man  nun  m  und  a  zu  der  Silbe  ma 
und  schliesslich  durch  Wiederholen  zu  dem  Wort  Mama,  so  ist  dadurch  das 
erste  Wort  für  das  taubstumme  Kind  geschaffen.  Das,  was  noch  fehlt,  ist 
die  Verknüpfung  dieser  Lautproduction  mit  dem  dazugehörigen  Begriff.  Die- 
selbe geschieht  durch  Anschauungsbilder.  In  dieser  Weise  wird  der  gesammte 
Sprachschatz  bei  dem  Kinde  aufgebaut.  Leider  ist  in  den  Taubstummen- 
anstalten wenigstens  Deutschlands  die  Hinzuziehung  des  Arztes  bei  der  sprach- 


622  SPRACHANOMALIEEN. 

liehen  Entwicklung  und  Erziehung  gänzlich  zurückgewiesen  w^orden,  während 
in  Frankreich,  wenigstens  in  früherer  Zeit,  die  grossen  Taubstummenanstalten 
unter  Leitung  von  Aerzten  standen.  Es  ist  nun  zw^ar  mit  dem  Gehör  in  den 
allermeisten  Fällen  nichts  Besonderes  mehr  zu  machen,  wenngleich  eine  An- 
zahl von  Taubstummen  durch  geeignete  Hörübungen  grossen  Vortheil  wenig- 
stens für  die  Entwicklung  der  Sprache  haben  können  (die  ersten  Hörübungen 
wurden  15  Jahre  hindurch  mit  grossem  Eifer  von  Itaed  ausgeführt;  in 
neuerer  Zeit  sind  sie  von  Ukbantschitsch  wieder  aufgenommen  worden). 
Die  Untersuchung  der  Stimmorgane  Taubstummer  ergibt,  wie  schon  gesagt, 
öfters  Atrophie,  die  im  wesentlichen  nichts  weiter  als  eine  Folge  der  In- 
activität  ist  und  die  durch  vorsichtige  systematische  Uebungen  ausgeglichen 
wird.  Ich  glaube,  dass  die  Mithilfe  von  Aerzten  bei  der  sprachlichen  Ent- 
wicklung der  Taubstummen  in  gewissen  Fällen  von  schwerfälliger  Stimm- 
entwicklung grossen  Nutzen  schaffen  könnte. 

2.  Hörstummheit.  Dieselbe  besteht  darin,  dass  die  Kinder  stumm  sind, 
obgleich  sie  hören  und  das  zu  ihnen  Gesprochene  verstehen,  und  obgleich  sie 
nicht  idiotisch  sind.  Die  Hörstummheit  kann  erst  dann  angenommen  werden, 
w^enn  das  Kind  älter  als  drei  Jahre  ist,  da,  wie  bekannt,  sämmtliche  Kinder 
im  ersten  Jahre  hörstumm  sind;  denn  sie  verstehen  am  Schluss  des  ersten 
Jahres  beispielsweise  ausserordentlich  viel,  ohne  dass  sie  selbst  zu  sprechen 
vermögen.  Die  Grenze  von  drei  Jahren  ist  angenommen,  um  doch  überhaupt 
eine  Grenze  zwischen  den  physiologischen  und  pathologischen  Erscheinungen 
zu  setzen. 

Die  Aetiologie  ist  in  den  meisten  Fällen  ganz  dunkel,  jedoch  muss 
darauf  hingewiesen  werden,  dass  in  sehr  vielen  Fällen  Erblichkeit  im  Spiele 
ist.  Ich  vermochte  unter  289  Fällen  von  Hörstummheit  die  Vererbung  in 
107  Fällen,  und  zwar  vorwiegend  von  Seiten  des  Vaters,  nachzuweisen,  das 
heisst  in  o7^'o.  Andererseits  ist  ein  sehr  häufiger  Befund  bei  der  Hörstumm- 
heit die  Hyperplasie  der  LuscHKA'schen  Tonsille.  Ich  fand  sie  in  höheren 
Graden  in  152  Fällen,  das  heisst  52"67o-  Beide  Befunde,  die  Erblichkeit 
und  die  Hyperplasie  der  Ptachenmandeln,  weisen  darauf  hin,  dass  die  Ge- 
sammtconstitution  der  kleinen  Patienten  eine  gewisse  Prädisposition  zu  dieser 
Sprachhemmung  darbietet.  In  welcher  Weise  dieselbe  zu  erklären  ist,  dürfte 
mit  Sicherheit  schwier  zu  sagen  sein.  Es  ist  ja  bekannt,  dass  sich  zuerst  das 
Perceptionscentrum  entwickelt  und  dass  das  motorische  Sprachcentrura  erst 
viel  später  in  die  Erscheinung  tritt.  Eine  Verzögerung  in  dieser  Entwicklung 
des  motorischen  Sprachcentrums,  die  ich  als  „Sprachhemmung"  bezeichnet 
habe,  kann  oft  durch  zufällige  Ereignisse  herbeigeführt  werden.  Da  das  Kind 
in  der  Sprachentwicklung  häufig  unter  dem  Missverhältnis  zu  leiden  hat,  dass 
es  sehr  vieles  versteht,  was  es  zwar  schon  sprechen  möchte,  aber  infolge  der 
Ungeübtheit  seiner  Sprachorgane  noch  nicht  sprechen  kann,  dieses  Missver- 
hältnis bringt  oft  Unlust  an  der  Sprachäusserurg  hervor  und  damit  einen 
Zustand,  der  der  Aphrasia  voluntaria  gleichzustellen  ist.  Dass  das  in  der 
That  bei  einer  Anzahl  von  hörstummen  Kindern  der  einzige  Grund  der  Hör- 
stummheit ist,  beweisen  die  praktischen  Beobachtungen.  Wenn  man  derartigen 
Kindern  durch  geeignete  Uebungen  erst  einige  Wörter  beigebracht  hat,  so 
dauert  es  gar  nicht  lange,  bis  bei  ihnen  von  selbst  die  Sprechlust  und  der 
Sprachtrieb  stärker  wird,  und  es  bedarf  nicht  mehr  des  gesammten  Aufbaues 
der  Sprache,  sondern  der  erste  Anstoss  genügt,  um  die  übrige  Entwicklung 
spontan  eintreten  zu  sehen.  Auch  über  den  Zusammenhang  der  hyperplasirten 
Rachenmandeln  mit  dieser  Sprachhemmung  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit 
urtheilen.  Wenn  man  mit  Key  und  Retzius  einen  Zusammenhang  der  Lymph- 
bahnen des  Rachens  mit  denen  des  Gehirns  für  erwiesen  erachtet,  so  könnte 
man  sich  wohl  vorstellen,  dass  eine  vorhandene  Hyperplasie  der  Rachen- 
tonsille  eine  Stauung  in  den  Lymphbahnen  des  Schädelinnern  zu  Stande  bringt. 


SPRACHANOMALIEEN. 


62J 


In  melireren  Fällen  war  die  Herausnahme  der  Rachenmandeln  genügend,  um 
die  bis  dahin  gehemmte  Sprachentwicklung  manchmal  zu  einem  geradezu 
rapiden  Ausbruch  zu  bringen.  Trotzdem  mochte  ich  den  Zusammenhang 
noch  nicht  als  erwiesen  ansehen,  da  bekanntlich  auch  starke  psychische  Ein- 
wirkungen den  gleichen  Erfolg  haben  können  und  die  Operation  der  Adenoi- 
den mehr  als  einmal  als  rein  psychischer  8hock  gewirkt  zu  haben  scheint. 

Die  Behandlung  ist  zum  Theil  aus  dem  eben  Erwähnten  ersichtlich. 
Bestehen  Störungen  von  Seiten  der  Rachenorgane,  so  muss  die  geeignete 
specialistische  Abhilfe  geschaffen  werden.  In  den  meisten  P'ällen  muss  aller- 
dings trotzdem  eine  medicinisch-didaktische  Entwicklung  der  gesammten 
Sprache  eintreten.  Die  Kinder  lernen,  ganz  ähnlich,  wie  es  bei  taubstummen 
Kindern  der  Fall  ist,  zuerst  die  einzelnen  Laute,  dann  Lautverbindungen  und 
später  kleine  Sätzchen,  so  dass  allmählich  der  gesammte  Aufbau  der  Sprache 
vollendet  wird. 

3.  Stottern  ist  eine  spastische  Coordinationsneurose,  die  darin  besteht, 
dass  der  Redefluss  durch  spastische  Erscheinungen  in  den  Sprachorganen 
(Athmungsmusculatur,  Articulationsmusculatur.  Stimmmusculatur)  in  gewissen 
Momenten,  oft  fortwährend,  in  anderen  Fällen  wieder  nur  selten  .unter- 
brochen wird.  Die  Spasmen  sind  in  den  einzelnen  Theilen  leicht  nachzuweisen, 

Fig.  1. 


Fig.  2. 


(Fig.  1  u.  2  sind  entnommen  aus  H.  Gutzmann,  Das  Stottern.     Frankfurt  a.  M.  IS98). 

an  dem  Zwerchfell,  durch  den  MAREY'schen  Pneumographen.  Die  beistehende 
Figur  1  gibt  die  In-  und  Exspirationsbewegung  des  Zwerchfells  in  der  Ruhe  und 
beim  Sprechen  beim  Normalen  an.  Die  Figur  2,  bei  welcher  die  Curve 
von  rechts  nach  links  gelesen  werden  muss,  zeigt  im  Anfang  zwar  oberfläch- 
liche, aber  doch  ruhige  In-  und  Exspirationsbewegungen  und  darauf  beim 
Sprechen  klonische  und  tonische  Zwerchfellkrämpfe.  Bei  der  Stimme  sind 
die  Spasmen  selten  nachweisbar,  weil  beim  Laryngoskopiren  nur  höchst  selten 


624  SPRACHANOMALIEEN. 

gestottert  wird,  jedoch  ist  es  mir  in  nunmehr  7  Fällen  gelungen,  auch  laryn- 
goskopisch den  Nachweis  des  Stimmspasmus  beim  Stotterer  zu  erbringen. 
Dieser  Spasmus  kann  entweder  darin  bestehen,  dass  die  Stimmbänder  fest 
aneinander  gespresst  werden  und  die  Taschenbänder  gleichzeitig  über  der 
Stimmbandebene  zusammengehen:  tonischer  Verschlusskrampf  —  oder  darin, 
dass  die  richtige  Stimme  erst  nach  mehreren  zuckenden  Versuchen  der  Stimm- 
bänder, sich  in  die  zum  Tönen  geeignete  Lage  zu  begeben,  eintritt;  diese 
Zuckungen  können  mit  oder  ohne  Stimmgebung  sein:  klonischer  Verschluss- 
krampf. Ferner  können  die  Stimmbänder,  statt  sich  zum  Tönen  zu  verengen, 
krampfartig  weit  auseinandergehalten  werden:  Krampf  des  Muscularis  cric. 
arytaenvideus  posticus,  und  dieser  Krampf  kann  ebenfalls  entweder  tonisch 
oder  klonisch  sein.  Man  findet  aber  ausser  diesem  directen  laryngoskopischen 
Nachweis  bei  fast  allen  Stotterern  eine  übermässig  harte  und 
rig.  3.  gepresste    Stimmgebung.      Dieselbe   lässt    sich    mit    dem 

Laryngostroboskop  leicht  nachweisen,  und  die  beistehende 
Figur  3,  die  laryngostroboskopisch  von  Muschold  aufge- 
nommen worden  ist,  gibt  ungefähr  das  Bild  wieder,  das  ich 
bis  jetzt  bei  ca.  70  Stotterern  im  Laryngostroboskop  zu 
beobachten  im  Stande  war.  Man  sieht  dabei,  wie  das 
eine  Stimmband  sich  bogenförmig  über  das  andere  etwas 
hinüberschiebt,  so  dass  die  Stimmritze  nicht  eine  gerade 
Linie  bildet,  sondern  einen  nach  links  oder  rechts  convexen 
Bogen,  je  nachdem,  ob  das  rechte  oder  linke  Stimmband  diese  Ueberlagerung 
ausführt.  Endlich  lassen  sich  die  Spasmen  der  Articulationsorgane  sehr  leicht 
erkennen,  so  dass  darüber  eine  nähere  Auseinandersetzung  wohl  erspart  werden 
kann.  Es  ist  klar,  dass  die  gesammten  Erscheinungen  von  dem  Centrum  abhängig 
sind  und  dass  nur  centrale  functionelle  Störungen  sie  erzeugen  können.  Trotz- 
dem finden  wir  bei  den  Stotterern  recht  häufig  auch  in  dem  peripheren  Sprech- 
apparat Abnormitäten,  die  zwar  nicht  ätiologisch  nothwendig  mit  dem  Uebel  ver- 
knüpft sind,  deren  Beseitigung  aber  unter  Umständen  die  Heilung  des  Stotterns 
erst  ermöglicht.  Dazu  gehören  auch  wieder  die  adenoiden  Vegetationen,  ferner 
katarrhalische  Veränderungen  der  Stimme,  die  in  manchen  Fällen  in  der 
That  durch  den  übermässigen  Verschlusskrampf  erzeugt  zu  sein  scheinen. 
Adenoide  Vegetationen  findet  man  ungefähr  in  33^0  aller  Fälle  in  stärkerem 
Maasse.  Sehr  häufig  ist  damit,  wie  das  bei  den  adenoiden  Vegetationen  fast 
regelmässig  der  Fall  ist,  eine  starke  Erhöhung  der  Formveränderung  des 
Gaumens  verknüpft.  Das  angewachsene  Zungenbändchen,  das  so  häufig,  be- 
sonders in  früheren  Jahren,  als  Ursache  des  Stotterns  beschuldigt  wurde, 
findet  man  fast  nie. 

Die  Aetiologie  des  Stotterns  ist  in  den  meisten  Fällen  wohl  auf  die 
Sprachentwicklung  selbst  zurückzuführen.  Bei  den  letzten  569  Fällen  meiner 
Poliklinik  fand  sich,  dass  das  Stottern  in  28*67o  der  Fälle  in  der  Verwandt- 
schaft vorhanden  war  und  dass  fernere  26'7*'/o  sich  ganz  allmählich  erst  ent- 
wickelt hatten.  Von  den  Fällen  in  der  Verwandtschaft  dürfen  jedoch  die 
weitaus  meisten  nicht  als  hereditäre  Belastung  aufgefasst  werden,  sondern 
man  muss  bei  den  meisten  annehmen,  dass  das  stotternde  Beispiel  die 
stotternde  Nachahmung  hervorgerufen  hat,  dass  also  ein  Fehler  in  der  Sprach- 
entwicklung vor  sich  gegangen  ist.  In  den  übrigen  26-7*'/o  muss  man  an- 
nehmen, dass  das  schon  früher  geschilderte  Missverhältnis  zwischen  Sprech- 
lust und  Sprechgeschicklichkeit  die  Ursache  zu  der  Sprachstörung  wurde. 
In  10'27o  waren  Inf ectionskrankheiten  die  Ursache,  in  14-07o  Fall  und 
Schreck,  in  11%  andere  Krankheiten,  in  9"57o  wurde  ausdrücklich  Nach- 
ahmung, und  zwar  Nachahmung  anderer  stotternder  Kinder  als  Ursache  an- 
gegeben. Wir  sehen  deshalb,  dass  das  Stottern  in  einer  fehlerhaften  Sprach- 
entwicklung  selbst   sich  im  ganzen  fand   in  fast  65 "/o,  wovon  allerdings  die 


SPRACHANOMALIEEN.  625 

wenigen  Fälle,  in  denen  reine  hereditäre  Belastung  vorlag,  abgezogen  werden 
müssen.  Das  Verhältnis  zwischen  männlichem  und  weiblichem  (ieschlecht 
war  74  :  26,  wobei  jedoch  bemerkt  werden  muss,  dass  es  sich  vorwiegend 
um  Kinder  handelt;  wenn  man  die  Erwachsenen  allein  betrachtet,  war  das 
Verhältnis  vom  männlichem  zum  weiblichen  Geschlecht  wie  9:1.  Die  Ge- 
sammtzahl  der  Fälle,  bei  denen  Stottern  in  der  Verwandtschaft  vorhanden 
war,  betrug  162;  von  ihnen  waren  nur  29'%  als  solche  anzusehen,  bei  denen 
hereditäre  Belastung  nachweisbar  war,  wobei  ich  mit  Epstein  der  Meinung 
bin,  dass  man  als  hereditär  belastet  nur  derartige  Fälle  ansehen  darf,  bei 
denen  das  stotternde  Kind  den  stotternden  Vorfahr  niemals  hat  stottern  hören. 
Unter  den  569  Fällen  fand  ich  in  30-97o  hochgradige  adenoide  Vegetationen; 
in  der  Hälfte  dieser  Fälle  habe  ich  selbst  die  Geschwülste  entfernt,  die  an- 
dere Hälfte  wurde  von  Khinologen  und  Laryngologen  behandelt. 

Wenn  wir  nun  auf  die  wahre  und  scheinbare  Erblichkeit  beim  Stottern 
noch  etwas  eingehen,  so  finden  wir  die  Gesammtzahl  des  Stotterns  bei  Ver- 
wandten in  der  Höhe  von  237  Personen  (wohlgemerkt  auf  162  Fälle  von 
jenen  569).  Von  diesen  237  Personen  stotterte  der  Vater  in  247o  der  Fälle, 
die  Mutter  in  6*8%,  der  Grossvater  in  4-7%  und  die  Verwandten  von  Seiten- 
linien (Onkel,  Tanten  etc.)  in  16%;  von  Geschwistern  stotterten  48-5%.  Wie 
schon  gesagt,  muss  man  als  nicht  ohne  weiteres  hereditär  diejenige  Zahl  der 
Fälle  ausscheiden,  bei  denen  das  stotternde  Kind  den  stotternden  Vorfahr 
gehört  hat.  So  bleiben  von  den  24*^/0  stotternder  Väter  nur  8-9 7o  übrig, 
von  den  6'87o  stotternder  Mütter  nur  4*7 7o.  Im  ganzen  haben  als  hereditär 
belastend  von  jenen  237  Personen  34-3%  eingewirkt.  Die  Prophylaxe  des 
Stotterns  ist  in  sorgsamer  Ueberwachung  der  Sprachentwicklung  zu  sehen  und 
jedenfalls  im  Stande,  die  grösste  Zahl  der  Fälle  zu  verhüten. 

Die  Behandlung  des  Stotterns  besteht  darin,  dass  man  die  für  das 
Sprechen  normalen  Bewegungen  einübt.  Es  ist  deshalb  ganz  falsch,  irgend 
welche  Athmungsübungen  zu  treiben,  sondern  die  Athmungsübungen,  die  für 
den  Stotterer  von  Wert  sind,  müssen  genau  Nachahmungen  des  Athmens 
beim  Sprechen  sein,  das  heisst,  die  Einathmung  mit  weitgeöffnetem  Munde, 
kurz  und  ohne  Geräusch,  die  Ausathmung  möglichst  langsam,  ebenfalls  durch 
den  Mund.  Je  langsamer  die  Ausathmung  ist,  desto  mehr  können  wir  in 
einem  Athem  sprechen,  und  dieser  geschilderte  Typus  ist  der  Typus  des  für 
das  Sprechen  normalen  Athmens.  Das  Athmen  durch  die  Nase  ist  als 
Uebungsmittel  für  den  Stotterer  direct  falsch,  ebenso  das  Athmen  durch  die 
halbgeschlossenen  Lippen  in  Form  des  Schlürfens  und  vieles  andere  mehr. 
Auch  Widerstände  bei  der  Athmung  einzuschalten  ist  nicht  rationell.  Wenn 
der  Stotterer  die  Athmung  in  der  geschilderten  Weise  genügend  geübt  hat, 
um  sie  zu  beherrschen,  so  kann  man  mit  der  Ausathmung  allmählich  die 
Stimme  verbinden.  Damit  dabei  keine  Spasmen  eintreten,  theilen  wir  die 
stimmgebenden  Factoren  in  die  einzelnen  Componenten,  das  heisst,  wir  lassen 
mit  weit  offenem  Munde  einathmen  und  gehen  dann  in  die  Ausathmung  so 
über,  dass  wir  zuerst  hauchen,  dann  flüstern  und  dann  erst  die  Stimnie  an- 
schlagen. Wie  die  beistehenden  Figuren  4—7  zeigen,  contrahiren  wir  bei 
der  Einathmung,  bei  der  sich  die  Stimmritze  sehr  weit  öffnet,  die  Musculi 
cric.  ar.  post.;  bei  der  Ausathmung  im  Hauchen  contrahiren  wir  die  Mus- 
culi voc,  so  dass  ein  längliches  Dreieck  entsteht;  gehen  wir  zum  Flü- 
stern über,  so  treten  dazu  die  Musculi  cric.  ar.  lat.,  und  gehen  wir 
endlich  vom  Flüstern  in  die  Stimme  über,  so  kommen  die  Arytänoidmuskeln 
in  Thätigkeit.  Wir  setzen  demnach  durch  eine  derartige  Uebung  diejenigen 
Componenten  der  Stimme  nacheinander  in  Thätigkeit,  die  sonst  bei  dem  so- 
fortigen Stimmanschlage  gleichzeitig  wirken  müssen.  Eine  Theilung  aber 
einer  Coordination  höheren  Grades  in  die  einzelnen  Componenten  verhindert 
den  Spasmus.  Hat  man  so  genügend  geübt,  so  kann  man  vom  Hauchen  direct 

Ohren-,  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  *^ 


626  SPRACHANOMALIEEN. 


Einathmung.  Hauchen,  plustern.  Stimme. 

Muscnl.  cric.  aryt.  post.     Miiscul.  thyr.  aiyt.  int.  Muscul.  cric.  aryt.  lat.  Muscul.  aryt. 

(Die  Figuren  sind  direkte  Kehlkopf-Photograpliien  von  Muschold.) 

in  die  Stimme  übergehen,  dann  die  Stimme  direct  anschlagen  und  "vieles 
andere  mehr.  Bei  dem  Beginn  der  Stimmgebung  ist  besonders  darauf  zu 
achten,  dass  der  leise  Vocalansatz  geübt  wird.  Derselbe  besteht  darin,  dass 
die  Stimmbänder  sich  bei  Beginn  des  Tönens  nicht  schliessen  und  dann  erst 
mit  einer  Explosion  in  Thcätigkeit  treten,  wie  das  beim  festen  Stimmenein- 
satz  geschieht,  sondern  dass  die  Stimmbänder  sich  ungefähr  einander  bis 
zum  Tönen  nähern  und  dann  ohne  den  bekannten  coup  de  glotte  zu  schwingen 
beginnen.  Das  laryngoskopische  Bild  gleicht  dem  der  Figur  7.  Dabei 
wird  das  vorher  laryngostroboskopisch  beobachtete  Aneinanderdrängen  der 
Stimmlippen  vollständig  vermieden.  In  genau  derselben  principiellen 
Weise,  d.  h.  fortwährend  den  Normalsprechenden  nachahmend,  geschieht 
die  Einübung  der  gesammten  Articulationsmusculatur,  die  Einübung  aller 
einzelnen  Consonanten,  womöglich  bewusst  physiologisch  mit  Hilfe  des 
Spiegels.  Die  beim  Stotterer  regelmässig  vorhandenen  Mitbewegungen  werden 
gleichfalls  durch  die  Controle  im  Spiegel  sorgsam  unterdrückt.  Die  so 
häufig  beim  Stotterer  vorhandenen  psychischen  Erscheinungen:  Angst  vor 
dem  Sprechen,  deprimirter  Gemüthszustand,  Zweifel  am  Sprechenkönnen  und 
vieles  andere  sind  nichts  weiter  als  Secundärerscheinungen;  sie  fehlen  bei 
den  Kindern  im  ersten  Stadium  des  Stotterns  vollständig  und  treten  meistens 
erst  auf,  wenn  das  Kind  in  die  Schule  kommt,  auch  gibt  es  erwachsene 
Stotterer,  bei  denen  sie  ganz  fehlen,  obgleich  dieser  Fall  immerhin  selten  ist. 
Wo  sie  aber  auch  vorhanden  sein  mögen:  sowie  erst  die  normale  Sprache 
richtig  eingeübt  worden  ist,  verschwinden  sie  ganz  von  selbst,  das  beste 
Zeichen  dafür,  dass  sie  wirklich  secundärer  Natur  sind. 

Auf  die  Einzelheiten  dieser  Art  der  Behandlung  des  Stotterns  kann  dem 
mir  gewährten  Baume  entsprechend  nicht  eingegangen  werden,  es  muss  daher 
auf  das  Uebungsbuch  von  Albert  Gutzmann  verwiesen  werden.  Die  medi- 
cinische  Behandlung  des  Stotterns  muss  sich  auf  die  Beseitigung  der  orga- 
nischen Hindernisse  im  Hals  und  Rachen  beschränken,  obgleich  manchmal 
auch  die  Anwendung  gewisser  Medicamente  wie  des  Brom  und  der  Wasser- 
behandlung von  grossem  Einfluss  auf  den  günstigen  Heilverlauf  sind.  Dass 
gymnastische  Uebungen  an  sich,  sorgsame  Beobachtung  der  Diät,  Behandlung 
etwa  vorhandener  nervöser  Nebenerscheinungen  nothgedrungen  eine  bessere 
Grundlage  für  die  erfolgreiche  Behandlung  geben,  dürfte  klar  sein.  Es  soll 
deshalb  auch  die  Behandlung  des  Stotterns  mindestens  unter  Zuziehung  eines 
Arztes  geschehen.  Wünschenswert  wäre,  wenn  die  Aerzte  im  allgemeinen  sich 
mehr  mit  der  Behandlung  der  Sprachstörungen  befassten. 

Die  Prognose  ist  beim  Stottern  in  den  meisten  Fällen  eine  günstige 
zu  nennen;  nur  sehr  wenige  Fälle  liegen  vor,  bei  denen  die  Prognose  von 
vornherein  zweifelhaft  sein  muss.  Das  sind  l3esonders  diejenigen,  bei  denen 
das  Uebel  schon  sehr  veraltet  ist,  bei  denen  ferner  körperliche  Zustände  die 
Heilung  verzögern,  bei  denen  hochgradige  psychische  Nebenerscheinungen, 
die  schon  zu  einer  selbständigen  Krankheit  geworden  sind,  wie  Melancholie, 


SPRACHANOMALIEEN.  627 

einen  ruhigen  Einfluss  unmöglich  machen,  bei  denen  das  fortwährende  Stottern 
in  der  Umgebung  hemmend  einwirkt.  Es  ist  klar,  dass  ein  stotterndes  Kind, 
das  einen  stotternden  Vater  und  eine  stotternde  Mutter  hat,  fast  unmöglich 
von  seinem  Stottern  durch  Uebung  befreit  werden  kann,  es  sei  denn,  dass 
gleichzeitig  Vater  und  Mutter  ebenfalls  in  Behandlung  kommen. 

4.  Fuiictionelles  Stammeln.  Unter  Stammeln  versteht  man  im  all- 
gemeinen die  fehlerhafte  Aussprache  einzelner  Laute.  Es  gibt  demnach  so 
viele  Arten  des  Stammeins,  wie  es  Arten  von  Lauten  gibt:  es  gibt  ein  Stammeln 
bei  Vocalen,  es  gibt  ein  Stammeln  bei  Consonanten,  es  gibt  R-Stammeln 
(Rhotacismus),L-Stammeln(Lambdacismus),  S-Stammeln  (Lispeln,  Sigmatismus) 
u.  s.  w.  Die  Erwerbung  der  einzelnen  Laute  in  der  Entwicklung  der  Sprache 
des  Kindes  geschieht  nach  dem  Grade  der  physiologischen  Schwierigkeit, 
welche  diese  Laute  bieten.  Wenn  wir  für  diesen  Grad  auch  keinen  Mess- 
apparat haben,  so  müssen  wir  doch  annehmen,  dass  diejenigen  Laute  am 
ersten  und  leichtesten  gebildet  werden,  welche  mit  den  vom  Saugen  bereits 
geübten  Muskeln  articulirt  werden,  das  sind  also  die  Laute  des  ersten  und 
zweiten  Articulationssystems,  und  zwar  zunächst  die  Verschlusslaute  und 
Nasallaute.  Erst  später  kommen  die  Reibelaute  hinzu  und  meistens  am 
spätesten  die  Laute  des  dritten  Articulationsgebietes,  das  g  und  l\  Es  kommt 
oft  genug  vor,  dass  Kinder  im  Alter  von  5  und  6  Jahren  diese  Laute  noch 
nicht  zu  sprechen  vermögen  und  statt  dessen  die  Verschlusslaute  des  zweiten 
Articulationsgebietes  einsetzen,  also  d  und  t,  dass  sie  also  statt:  „Komm  her- : 
„Tomm  her",  statt  „Lieber  Gott":  „Lieber  Dott"  und  anderes  mehr  sagen. 
Es  würde  zu  weit  führen,  alle  einzelnen  Fehler,  die  unter  dem  Gesammt- 
namen  des  Stammeins  zusammengefasst  werden,  hier  zu  beschreiben.  Wir  wollen 
uns  begnügen,  die  wichtigsten  und  am  häufigsten  vorkommenden  heraus- 
zuheben. 

a)  Paragammacismus,  der,  wie  schon  geschildert,  darin  besteht, 
dass  die  Kinder  statt  g  —  d,  statt  k  —  t  sprechen. 

Die  Aetiologie  liegt,  wie  bei  allen  Fehlern  der  Aussprache,  die  rein 
functioneller  Natur  sind,  darin,  dass  die  Articulationsmusculatur  im  all- 
gemeinen eine  gewisse  Ungeschicklichkeit  und  Schwerfälligkeit  zeigt.  Be- 
sonders die  letztere  ist  oft  so  gross,  dass  man  in  manchen  Fällen  geneigt 
ist,  die  Articulationsmuskeln  für  leicht  paretisch  zu  halten. 

Die  Prognose  des  Fehlers  ist  fast  stets  absolut  günstig. 

Die  Behandlung  geschieht  einfach  so,  dass  man  den  vordersten  Theil 
der  Zunge  mittelst  des  eingeführten  Zeigefingers  festhält  und  den  Zeigefinger 
zwischen  Zungenrücken  und  Gaumen  nach  hinten  schiebt.  Auf  diese  Weise 
verlegt  man  die  Verschlussstelle  vom  zweiten  Articulationsgebiet  in  das  dritte, 
und  es  kommt  fast  sofort  beim  ersten  Versuch  das  richtige  h  und  g  zum 
Vorschein. 

h)  Sigmatismus,  die  fehlerhafte  Aussprache  des  ö' und  der  verwandten 
Laute,  also  vor  allem  der  mit  s  zusammengesetzten  Laute  sowie  des  Zisch- 
lautes seh  und  der  Reibelaute  ch  und  ;.  Obgleich  letztere  nicht  direct  zum 
Sigmatismus  gehören,  sind  sie  in  vielen  Fällen  doch  gleichzeitig  fehlerhaft 
gebildet.  Die  fehlerhafte  Bildung  des  s  kann  so  vor  sich  gehen,  dass  die 
Zunge  zwischen  die  beiden  Zahnreihen  geschoben  wird  und  statt  des  scharfen 
zischenden  Lautes  ein  sanftes  Lispeln  entsteht  (Blaesitas)  —  das  ist  der  bei 
weitem  häufigste  Fehler  —  oder  so,  dass  die  Zungenspitze  statt,  wie  beim 
normalen  s,  unter  der  unteren  Zahnreihe  zu  liegen,  in  einer  gewissen  Ent- 
fernung hinter  der  oberen  Zahnreihe  schwebt  und  nun  der  Luftstrom  in  über- 
mässig zischender  Kraft  gegen  die  Zahnreihe  geschleudert  wird.  Dadurch 
entsteht  ein  zu  scharfes  Sprechen  des  s:  Sigmatismus  stridans.  Der  Sigma- 
tismus lateralis  oder  lambdoides  besteht  darin,  dass  die  Zunge  mit  ihrer 
Spitze  fest  hinter  der  oberen  Zahnreihe  anliegt   und  der  Luftstrom  seitwärts 

40* 


628  SPRACHANOMALIEEN. 

aus  dem  Munde  heraustritt,  und  zwar  entweder  nach  einer  oder  auch  nach 
beiden  Seiten.  Endlich  gibt  es  einen  im  Verhältnis  selten  vorkommenden 
Sigmatismus  nasalis,  bei  dem  die  Patienten  das  s  genau  in  derselben  Form 
durch  die  Nase  entweichen  lassen,  während  die  Zungenspitze  in  der  Lage 
des  n  ruht,  wie  wir  dies  beim  Gaumendefect  regelmässig  vorfinden. 

Die  Aetiologie  des  Lispeins  ist  in  den  meisten  Fällen  wohl  auf  die 
Sprachentwicklung  zurückzuführen.  Nur  wenige  Anhaltspunkte  deuten  manch- 
mal darauf  hin,  dass  auch  organische  Veränderungen  den  Sigmatismus  her- 
vorgerufen haben.  Sehr  selten  oder  fast  nie  ist  die  Form  oder  Beweglich- 
keit der  Zunge  daran  Schuld,  dagegen  wird  der  Sigmatismus  stridans  durch 
Zahnlücken  öfter  verursacht,  und  den  Sigmatismus  lateralis  vermochte  ich  in 
der  Mehrzahl  aller  Fälle  auf  eigenthümliche  Veränderungen  des  Kiefers,  die 
die  Zahnreihen  in  Bögen  anordneten,  statt  dass  sie  auf  einer  Ebene  ruhen, 
zurückzuführen.  Man  findet,  wenn  man  die  Patienten  untersucht,  oft,  dass 
bei  aufeinander  gesetzter  oberer  und  unterer  Zahnreihe  sich  an  der  Seite, 
nach  welcher  der  Patient  das  s  herausstösst,  die  Zahnreihen  nicht  schliessen, 
sondern  eine  mehr  oder  minder  grosse  ovale  Lücke  zwischen  den  beiden 
Zahnreihen  klafft.  Es  muss  hervorgehoben  werden,  dass  dieser  organische 
Befund  nicht  die  directe  Ursache  des  Fehlers  ist,  sondern  aus  verschiedenen 
Gründen  nur  die  Prädisposition  zur  Erwerbung  desselben  sein  kann. 

Die  Aetiologie  des  Sigmatismus  nasalis  ist  in  den  meisten  Fällen  eine 
Verengerung  des  Nasendurchganges  durch  adenoide  Vegetationen  oder  durch 
Nasenverengerungen  selbst.  Wenn  man  die  Adenoiden  auch  meist  nicht  mehr 
nachweisen  kann,  so  lässt  der  häufig  sehr  hohe  Gaumen  oft  genug  auf  ein 
früheres  Bestehen  derselben  schliessen.  Auch  hier  ist  der  ätiologische  Zu- 
sammenhang durchaus  nicht  so  zu  verstehen,  dass  eine  Beseitigung  der  Ver- 
engerung den  Sprachfehler  ohne  weiteres  beseitigt,  sondern  nur  so,  dass  die 
organische  Veränderung  die  Erwerbung  des  Sprachfehlers  disponirte. 

Die  Behandlung  aller  Arten  von  Sigmatismus  ist  sehr  einfach.  Es  be- 
darf nur  der  Rückführung  der  Zungenlage  und  der  Kieferstellung  zur  Norm. 
Dies  lässt  sich  verhältnismässig  leicht  erreichen;  wenn  man  mittelst  geeignet 
gebogener  Sonden  die  Zungenspitze  hinter  der  unteren  Zahnreihe  sich  zu 
lagern  zwingt  und  jene  physiologische  mediane  Rille  der  Zunge,  die  beim 
Annähern  an  den  Gaumen  ein  medianes  Rohr  bildet,  das  den  Luftstrom  auf 
die  Mitte  der  unteren  Zahnreihe  zwingt,  hervorzurufen  sucht.  Die  Einzel- 
heiten dieser  Sondenbehandlung  lassen  sich  in  kurzem  nicht  schildern,  und 
ich  verweise  auf  die  ausführliche  und  mit  Abbildungen  versehene  Darstellung 
in  meinen  Vorlesungen  über  die  Störungen  der  Sprache  (Berlin  1893).  Sehr 
einfach  ist  der  Sigmatismus  nasalis  zu  beseitigen.  Man  halte  dem  Patienten 
mit  Daumen  und  Zeigefinger  die  Nase  zu,  lasse  ihn  die  Zahnreihen  zusammen- 
setzen und  nun  kräftig  auf  die  Mitte  der  Zahnreihen  zischen.  Er  wird  fast 
sofort  das  normale  s  bilden.  Dann  verbinde  man  diesen  Zischlaut  mit  Vo- 
calen  und  übe  ihn  zunächst  mit  zugehaltener  Nase  in  einzelnen  Worten  ein. 

5.  Organisches  Stammeln.  Hier  möchte  ich  mich  auf  die  Darstellung 
der  Sprachstörung  bei  angeborenen  Gaumendefecten  beschränken.  Bei  erwor- 
benen Gaumendefecten  wird  die  Sprache  sofort  von  selbst  gut,  sowie  eine 
Prothese  angelegt  ist  oder  der  Defect  durch  Operation  geschlossen  wurde. 
Die  eigenthümliche  Sprache  bei  angeborenen  Gaumendefecten  besteht  einmal 
in  dem  ausserordentlichen  Nasaliren  des  Sprachklanges  und  andererseits  darin, 
dass  eine  grosse  Anzahl  von  Lauten  fehlen  und  eine  andere  Zahl  falsch  ge- 
sprochen werden.  Ausserdem  bestehen  sehr  starke  Mitbewegungen  im  Gesicht, 
die  durch  die  Bemühung,  dem  Zuhörer  möglichst  verständlich  zu  werden, 
hervorgerufen  sind.  Von  den  Vocalen  werden  diejenigen  am  stärksten  nasa- 
lirt,  welche  normaler  Weise  den  stärksten  Abschluss  erfordern  und  bei  deren 


SPRACHANOMALIEEN.  629 

Bildung  infolgedessen  naturgemäss  der  Defect  am  intensivsten  einwirken  muss, 
das  sind  die  Yocale  i  und  u\  a  wird  noch  am  besten  gesprochen,  o  und  e 
klingen  schon  nasaler.  Die  Verschlusslaute  p,  t,  k  und  h,  d,  (j  werden 
meistens  so  gemacht,  dass  das  Explosionsgeräusch  nicht  an  der  Articulations- 
stelle  entsteht,  sondern  durch  eine  Stimmbandexplosion  vorgetäuscht  wird. 
Statt  h  und  d  wird  oft  m  und  n  eingesetzt;  h  und  ^  werden  fast  regelmässig 
so  gebildet,  dass  der  Zungengrund  sich  nicht  gegen  den  Gaumen  oder  die 
Gaumenspalte  erhebt,  sondern  sich  horizontal  nach  hinten  gegen  die  hintere 
Rachenwand  anlegt.  Es  ist  klar,  dass  auf  diese  Weise  ein  ]c  und  g  in  dem 
sogenannten  vierten  Articulationssystem  ganz  gut  gebildet  werden  kann.  Voll- 
ständig falsch  und  durch  die  Nase  werden  sämmtliche  Reibelaute  gebildet, 
besonders  auffallend  schlecht  das  s,  während  das  8ch  manchmal  scheinbar 
vorhanden  ist.  Am  wenigsten  Veränderungen  erleidet  das  l,  und  normal 
klingen  m  und  n,  während  bei  einigermaassen  grosser  Spalte  das  ng  nicht  ge- 
bildet werden  kann. 

Ausser  diesen  functionellen  Erscheinungen  der  angeborenen  Gaumen- 
defecte  sind  von  grosser  Wichtigkeit  besonders  die  objectiven  Befunde 
im  Rachen,  Nase  und  Kehlkopf.  Der  lang  bestehende  angeborene 
Gaumendefect  muss  nothwendig  jedesmal  zu  einem  mehr  oder  minder  starken 
Rachenkatarrh  führen.  Wir  linden  deshalb  in  den  meisten  Fällen  grössere 
Anschwellungen  der  Nasenmuscheln,  sehr  oft  enorme  Verdickungen  der 
hinteren  Enden  der  unteren  Muscheln,  in  den  allermeisten  Fällen  mehr  oder 
minder  grosse  adenoide  Vegetationen,  häufig  Verdickung  der  gesammten 
Rachenschleimhaut,  wobei  manchmal  beim  Intoniren  die  ganz  abnorme  Grösse 
des  PASSAVANT'schen  Wulstes  in  die  Augen  springt,  der  unter  Umständen 
kleinfingerstark  werden  kann.  Der  fortgepflanzte  Rachenkatarrh  bringt  in 
vielen  Fällen  einen  Kehlkopfkatarrh  hervor,  der  zu  abnorm  leiser  oder  chro- 
nisch heiserer  Stimme  führt,  und  es  ist  klar,  dass  ein  derartiges  Verhältnis 
das  Resultat  einer  noch  so  guten  Operation  und  einer  noch  so  andauernden 
sprachlichen  Uebung  sehr  beeinträchtigen  kann.  Ebenso  führt  es  zur  Schädi- 
gung des  sprachlichen  Resultates,  wenn  der  Rachenkatarrh  atrophirend  wird, 
und  statt  der  beweglichen  und  dicken  Rachenschleimhaut  uns  die  glanzleder- 
artige,  trockene  und  ganz  unbewegliche  Rachenwand  entgegenleuchtet.  Anderer- 
seits haben  die  Veränderungen  auch  Vortheile  im  Gefolge.  Es  kann  vorkommen, 
dass  die  hinteren  Enden  der  unteren  Muscheln  gerade  so  geschwollen  sind, 
dass  sie  wie  ein  natürlicher  Obturator  wirken,  und  ich  selbst  habe  zwei  Fälle 
gesehen,  bei  denen  die  Sprache  ohne  jede  Operation  nach  einer  gewissen 
Uebungszeit  recht  gut  wurde.  In  einem  Fall  war  ein  lappenartiger  Auswuchs 
der  Rachenmandeln  so  befestigt,  dass  die  Contractionen  des  Musculus  pterygo- 
pharyngeus,  der  die  Grundlage  des  PASSAVANx'schen  Wulstes  darstellt,  den 
Lappen  von  unten  her  wie  eine  Klappe  in  den  Gaumenspalt  bei  der  jedes- 
maligen Intonation  hineinlegten.  Eine  gewisse  Verengerung  des  Nasendurch- 
ganges ist  im  allgemeinen  sicherlich  von  Vortheil,  auch  nach  der  Anlegung 
des  Obturators  oder  der  Operation,  jedoch  darf  diese  Verengerung  nicht  all- 
zugross  werden.  Wenn  Julius  Wolff  beschreibt,  wie  ein  Patient  mit  an- 
geborenem Gaumenspalt  von  selbst  eine  normale  Sprache  erworben  habe,  ohne 
jegliche  Sprachübungen,  so  ist  das  in  dem  einen  Fall,  den  ich  selbst  gesehen 
habe,  vorzugsweise  auf  Kosten  des  Nasendurchganges  geschehen.  Der  Betreffende 
hatte  eine  derartige  Verlegung  des  Nasenganges,  dass  er  nicht  eine  Spur  von 
Luft  durch  die  Nase  bekam  und  die  Sprache  sich  zwar  nicht  anhörte  wie  die 
Sprache  des  Gaumendefectes,  aber  das  sogenannte  geschlossene  Näseln  {Bhino- 
lalia  clausa)  in  unangenehmer  Weise  auffiel.  Die  verhältnismässig  gute 
Sprache  war  also  hier  nicht  durch  die  Operation,  sondern  durch  die  secun- 
dären  anatomischen  Veränderungen  bewirkt.  Es  wird  deshalb  in  gewissen 
Fällen  nach  der  Operation  sogar   nöthig  werden,    den  Nasengang   etwas  frei 


630 


SPRACHANOMALIEEN. 


ZU  maclien,  jedoch  warne  ich  ausdrücklich  davor,    hierbei   zu   radical  vorzu- 
gehen, da  sonst  das  gesammte  Resultat  in  Frage  gestellt  wird. 

Die  Aetiologie  des  angeborenen  Gaumendefectes  ist  vollständig  dunkel. 
Wir  wissen,  dass  der  normale  Gaumen  beim  Embryo  im  dritten  Monat  der 
Entwicklung  geschlossen  ist.  Für  die  Hemmung  dieses  normalen  Schlusses 
werden  von  König  amniotische  Stränge  verantwortlich  gemacht.  Eine  ge- 
wisse Rolle,  wenn  auch  eine  sehr  geringe,  spielt  wohl  auch  die  Vererbung; 
wenigstens  fand  ich  unter  den  von  mir  behandelten  287  Fällen  von  angeborenen 
Gaumendefecten  nur  15,  bei  denen  ich  eine  hereditäre  Belastung  nachweisen 
konnte,  d.  h.  5"27o-  Die  Prognose  in  Bezug  auf  die  Sprache  wird  abhängig 
gemacht  zunächst  von  dem  Verschluss  des  Defectes,  der  durch  Operation 
oder  Obturator  geschehen  kann,  ferner  aber  hängt  sie  ab  von  den  anatomischen 
Verhältnissen,  die  vorher  geschildert  wurden.  Wenn  das  durch  die  Operation 
neu  gebildete  Gaumensegel  genügend  gross  und  beweglich  ist  und  die  Rachen- 
wand gleichfalls  sich  gut  bewegt,  so  ist  mit  ziemlicher  Sicherheit  nach  ge- 
eigneten Sprach  Übungen  eine  normale  Sprache  zu  erwarten. 

Die  Therapie  besteht  zunächst  in  der  Operation  oder,  wenn  diese  ver- 
weigert wird,  in  der  Anlegung  des  Obturators.  Die  Operation  ist  von 
L  AN  GENBECK  zuorst  iu  der  Weise  ausgeführt  worden,  dass  er  nach  seitlichen, 
parallel  zur  Zahnreihe  geführten  tiefen  Einschnitten  des  Involucrum  des  Ober- 
kiefers mittelst  des  Raspatoriums  den  mucös-periostalen  Ueberzug  des  harten 
Gaumens  vom  Knochen  loslöste.  Nach  Anfrischung  der  Ränder  wurde  dann 
in  der  Mitte  vernäht,  und  die  seitlich  entstehenden  Lücken  wurden  austam- 
ponirt.  Julius  Wolff  macht  diese  Operation  bei  hängendem  Kopf  und  hat 
eine  Reihe  von  Modificationen  derselben  angegeben,  deren  Darstellung  im 
einzelnen  jedoch  zu  weit  führen  würde.  Einen  wichtigen  Fortschritt  hat 
BiLLBOTH  dadurch  eingeführt,  dass  er  den  Hamulus  pterygoideus  abmeisselte 

und  somit  unter  Schonung  des  gesamm- 
ten  Zusammenhanges  der  Musculatur 
die  Lappen  beweglich  machte  und  die  Be- 
weglichkeit des  neugebildeten  Gaumens 
sofort  erreichte.  Ich  habe  mich  in  den 
von  BiLLßOTH  operirten  Fällen  von 
der  enorm  leichten  Beweglichkeit  des 
neu  gebildeten  Gaumens  mehrere  Male 
überzeugen  können,  während  dieser  Er- 
folg nicht  immer  vorhanden  ist.  Die 
weitere  Behandlung  muss  dahin  streben, 
die  Beweglichkeit  des  neugewonnenen 
Gaumens  zu  erhöhen  oder,  wo  sie  nach 
der  Operation  noch  nicht  oder  nur 
wenig  vorhanden  ist,  zu  erwecken.  Diese 
geschieht  in  physiologisch  rationeller 
Art  dadurch,  dass  man  den  neuge- 
bildeten Gaumen  mittelst  eines  kleinen 
Instrumentes  während  der  Sprachübun- 
gen anhebt,  in  der  Weise,  wie  es  die 
Fig.  8  zeigt.  Hierdurch  wird  das 
Gaumensegel  constant  massirt,  und  die 
Narbe  hat  nicht  Zeit,  das  sie  umge- 
bende Gewebe  in  die  starre  Retraction 
einzuziehen.    Mittelst  sorgfältiger  Mes- 


Das  Instrument  besteht  aus  einem  glatten  Nickelin- 
draht,  der  in  der  Weise  gelogen  ist,  dass  der  Draht 
der  Ganmenwülbung  eng  anliegt.  An  seinem  einen 
Ende  ist  er  in  einem  Handgriff  befestigt,  an  dem  an- 
deren trägt  er  einen  Pflock  aus  rotber  Guttapercha 
(Oder  auch  einfach  aus  Siegellack).  Diückt  man  den 
Handgriff  in  der  am  Pfeil  unten  angegebenen  Sichtung, 
BD  hebelt  man  das  Instrument  um  den  an  den  Schneide- 
zähnen befindlichen  Drehpunkt  und  drückt  nun  den 
Pflock  in  der  am  zweiten  oberen  Pfeil  bezeichneten 
Richtung  direct  nach  oben.  Der  weiche  Gaumen 
wird  also  nicht  nur  gehoben,  Eondetn  auch  um  den 
harten  Gaumen  herum  gereckt.  Ebenso  wird  hier 
die  hintere  Bachenwand  massirt. 


sungen  vermochte  ich 
dass  unter  Umständen 
des   Gaumensegels   um 


nachzuweisen, 
eine  Dehnung 
7  mm    zu   er- 


STIMME.  631 

reichen  war.  Die  Sprachübungen  stützten  sich  auf  folgende  Principien.  Unser 
Gaumensegel  bewegt  sich  bei  allen  Lauten  mit  Ausnahme  der  Nasallaute  so, 
dass  sich  eine  etwas  über  dem  Grunde  der  Uvula  befindliche  Stelle  an  die 
hintere  Rachen  wand  anlegt,  und  zwar  ungefähr  da,  wo  die  Fasern  des  Mus- 
culus pterygo-pharyngeus  den  PASSAVANx'schen  Wulst  bei  ihrer  Contraction 
hervorrufen.  Die  Erhebung  des  Gaumensegels  ist  beim  Vocal  a  am  geringsten 
und  kann  hier  sogar  so  gering  sein,  ohne  dass  aber  der  Klangcharakter  des 
Vocals  leidet,  dass  kein  vollständiger  Abschluss  an  jener  Stelle  entsteht. 
Stärker  wird  der  Abschluss  bei  den  Vocalen  o  und  e,  am  stärksten  bei  den 
Vocalen  u  und  «',  ebenso  stark  bei  allen  übrigen  Consonanten,  am  festesten 
wohl  bei  den  Reibelauten.  Die  physiologische  Sprach  Übung  muss  nun  dahin 
streben,  diesen  Abschluss  entweder  so,  wie  es  im  normalen  Zustande  der 
Fall  ist,  oder  doch  wenigstens  annähernd  zu  erreichen.  Es  ist  ferner  be- 
kannt, dass  bei  sehr  starker  Intonation  die  Beweglichkeit  der  Theile  eine  stär- 
kere wird,  dass  z.  B.  ein  leise  gesprochenes  a  unter  Umständen  keinen  voll- 
ständigen Abschluss  der  Gaumenklappe  mit  dem  Rachen  herbeiführt,  dass 
dagegen  ein  sehr  laut  und  stark  gesprochenes  a  das  Gaumensegel  bis  zur 
stärksten  Erhebung  zu  treiben  im  Stande  ist.  Denselben  Einfluss  hat  die 
Höhe  des  Gesprochenen  auf  die  Bewegung.  Je  höher  und  lauter  ich  demnach 
die  Vocale  hervorstossen  lasse,  desto  höher  wird  sich  das  Gaumensegel  heben, 
desto  stärker  die  Bewegungen  sein.  Unterstützt  wird  diese  Bewegung  durch 
das  oben  abgebildete  kleine  Instrument.  Sollte  die  Neigung  des  Patienten 
zu  stark  dahin  gehen,  trotz  des  angewendeten  Instrumentes  die  Luft  nach 
der  Nase  hin  zu  dirigiren,  so  muss  man  bei  den  ersten  Uebungen  die  Nase 
mit  Daumen  und  Zeigefinger  schliessen  lassen.  Die  Einzelheiten  dieser  sprach- 
physiologischen Behandlung  lassen  sich  hier  in  dem  gegebenen  Rahmen  eben- 
falls nicht  schildern,  und  ich  muss  daher  auf  die  bei  Gustav  Fischer  in 
Jena  erscheinende  Monographie  über  diesen  Gegenstand  verweisen. 

HERMANN   GUTZMANN. 

Stimme.  Während  die  Luft  durch  den  Kehlkopf,  die  Rachenhöhle  und 
den  Mund  streicht,  bringt  sie  die  Stimmbänder  in  Mitschwingungen  und  er- 
zeugt jene  Klänge,  welche  wir  Stimme  nennen.  Das  Stimmorgan  kann  als 
Blaseinstrument  mit  einer  Orgel,  oder  besser  mit  einem  Harmonium  (Phys- 
harmonika)  verglichen  werden.  Dem  Blasebalg  entsprechen  die  beiden  Lungen, 
dem  Windrohr  die  Bronchien  und  die  Trachea,  den  Zungenpfeifen  der  Larynx, 
während  die  Rachen-,  Mund-  und  Nasenhöhle  das  Ansatzrohr  vertreten. 
Allein,  während  das  Harmonium  so  viel  Zungen  enthält,  als  aus  demselben 
Klänge  erhalten  werden  können,  gelangt  die  Luft  der  Lungen  in  die  durch  die 
wahren  Stimmbänder  gebildete  einzige  Zungenpfeife.  Alle  die  vielen  Klänge, 
welche  in  der  einen  menschlichen  Stimme  überhaupt  vorkommen,  werden  durch 
Schwingungen  der  membranösen  Zungenpfeife  im  Kehlkopf  erzeugt.  Dies 
wird  möglich,  theils  durch  den  Bau  des  Kehlkopfes,  demzufolge  Muskel- 
wirkung die  Grösse  und  Elasticität  jener  Zunge  verändert  und  auf  diese 
Weise  die  eine  Pfeife  nach  einander  in  so  viel  Pfeifen  umändern  kann,  als 
wie  viel  verschieden  hohen  Klänge  die  menschliche  Stimme  enthält,  theils 
durch  jene  Fähigkeit  der  Hirnrinde,  mittelst  welcher  dieselbe  die  Muskeln 
des  Kehlkopfes  stets  im  entsprechenden  Maasse  zu  innerviren  vermag. 

Unter  Zungen  im  acustischen  Sinne  versteht  man  solche,  grössten- 
theils  länglich  viereckige,  elastische  Platten,  welche  eine  zur  Luftströmung 
dienende  Oeffnung  nahezu  ganz  verschliessen.  Die  Zungen  sind  an  das  Luft- 
leitungsrohr nur  mit  einer  Kante  befestigt,  während  die  drei  übrigen  Kanten 
frei  bleiben;  bei  membranösen  Pfeifen  pflegt  nur  die  eine  lange  Seite  frei  zu 
sein.  Der  geblasene  Luftstrom  spannt  die  Zunge  und  bringt  sie  bei  genügender 
Intensität,  aus  der  Ruhelage,  hiedurch  wird  Luft  frei,  daher  sinkt  der  Luft- 
druck und  die  Zunge  schnellt  ihrer  Elasticität  zufolge  zurück,  verschliesst  von 


632  STIMME. 

neuem  den  Weg  des  Luftstromes  und  das  Spiel  beginnt  wieder.  Durch 
diese  Scliwingungen  der  Zunge  entstellen  Verdichtungs-  und  Verdünnungs- 
wellen der  Luft,  und  diese  erzeugen  den  Klang.  Die  Höhe  des  Klanges  starrer 
Zungen,  also  die  Schwingungszahl,  hängt  ab  von  der  Dicke,  der  Länge, 
dem  specifischen  Gewicht  der  Platte,  ihrem  Elasticitätsmodulus  und  der  Be- 
schleunigung des  Falles.  Solche  Zungen  enthalten  die  Kindertrompeten,  die 
Maultrommel,  das  Harmonium,  ferner  die  Orgel,  das  Fagott,  die  Clarinette, 
Oboe.  Die  Höhe  des  Klanges  membranöser  Zungen  folgt  nahe  dem- 
selben Gesetze  wie  die  der  Saiten;  steht  im  umgekehrten  Verhältnisse  zur 
Länge  der  Zunge  und  ist  direct  proportional  mit  der  Wurzel  der  Spannung. 
Bei  membranösen  Zungen  ändert  die  Stärke  des  Anblasens  auch  die  Spannung 
der  Zungen,  beeinflusst  demnach  nicht  nur  die  Stärke,  sondern  auch  die  Höhe 
des  Klanges.  Bei  Zungenpfeifen  verstärkt  das  Ansatzrohr  durch  Resonanz  den 
Grundton  oder  irgend  einen  Oberton  der  Zunge,  auch  kann  dasselbe  durch 
Schallinterferenz  den  Ton  der  Pfeife  vertiefen.  Die  Höhe  der  menschlichen 
Stimme  ward  durch  das  von  der  Bachen-,  Mund-  und  Nasenhöhle  gebildete 
Ansatzrohr  nicht  verändert,  da  dessen  Wandung  nachgiebig,  weich  und  von 
ungleicher  Form  ist,  doch  hat  das  Ansatzrohr  hier  Einfluss  auf  die  Klang- 
farbe. Eine  solche  membranöse  Zunge  bilden  die  Stimmbänder  im  Kehlkopf, 
die  Lippen  bei  unseren  Blasinstrumenten.  Auch  kann  man  sich  sehr  leicht 
eine  membranöse  Zunge  machen,  indem  man  über  das  Ende  eines  Bohres 
zwei  Kautschukplatten  auf  die  Weise  spannt,  dass  dieselben  über  der  Mitte 
des  Bohres  zusammen  kommend  dort  eine  enge  Spalte  bilden.  Auch  die 
wahren  Stimmbänder  lassen  zwischen  ihren  scharfen  Bändern  eine 
Spalte,  die  Stimmritze  (Glottis),  frei.  Da  die  Stimmbänder  vorne  dicht  neben 
einander,  an  der  hinteren  Fläche  des  Schildknorpels,  hinten  aber  getrennt  am 
Processus  vocalis  je  eines  Giessbeckenknorpels  befestigt  sind,  so  entspricht 
die  Form  der  Stimmritze,  bei  ruhigem  Athmen,  der  eines  V  und  erhält  bei 
tiefer  Inspiration,  durch  Divergenz  der  Processus  vocales,  eine  rhomboidale 
Form.  Sobald  im  Kehlkopf  ein  Klang  erzeugt  werden  soll,  werden  die  Stimm- 
bänder in  eine  parallele  Lage  zu  einander  gebracht  und  dadurch  die  Stimm- 
ritze verengt,  ja  ganz  geschlossen.  Hiedurch  wird  die  aus  den  Lungen  ge- 
presste  Luft  gezwungen,  durch  die  Glottis  hervorzubrechen  und  die  Stimm- 
bänder in  Schwingungen  zu  versetzen,  wodurch  die  der  Brust  entströmende 
Luft  selbst,  in  Schwingungen  geräth. 

Die  Giessbeckenknorpel  sitzen  dem  abschüssigen  Theile  des  oberen  Randes 
der  Bingknorpelplatte  auf  und  machen  in  dem  Charniergelenk  eine  Bewegung, 
durch  welche  die  Schliessung  und  Oeflfnung  der  Stimmritze  erfolgt.  Auch 
vermag  der  Giessbeckenknorpel,  da  seine  Gelenkfläche  in  der  Richtung  der 
Axe  des  Charniergelenks  kürzer  ist  als  die  des  Ringknorpels,  etwas  zu  gleiten 
und  eine  rotatorische  Bewegung  um  seine  Längsaxe  zu  machen,  wodurch  der 
Processus  vocalis  des  Giessbeckenknorpels  wirksam  ab-  und  adducirt  werden 
kann.  Gespannt  und  verlängert,  sowie  entspannt  und  verkürzt  werden  die 
Stimmbänder  hauptsächlich  durch  die  Bewegung  im  Gelenk  des  Schildknorpels 
am  Ringknorpel,  indem  der  Ringknorpel  durch  Muskelverkürzung  herauf- 
gezogen, oder  nach  einigen  der  Schildknorpel  herabgezogen  wird.  Die  Drehung 
geschieht   um  eine  durch  das  Gelenk  am  Ringknorpel  gehende  frontale  Axe. 

Diese  Verengerung  und  Erweiterung  der  Glottis,  sowie  Anspannung  und 
Erschlaffung  der  Stimmbänder  ist  die  natürliche  Folge  der  Wirkung  der 
Kehlkopfmuskeln.  Als  V  e  r  e  n  g  er  der  Glottis  dient  der  Thyreo-aryepiglotticus, 
der  Thyreo-arytaenoideus  externus,  der  Thyreo-arytaenoideus  internus  und  die 
Interarytaenoidei.  Alle  diese  Muskeln  verengern  die  Glottis,  wenn  sie  zusammen- 
wirken, auch  hat  jeder  von  ihnen  allein  denselben  Effect.  Die  Interarytae- 
noidei spannen  die  Stimmbänder  in  gewissem  Grade  auch  an.  Der  Crico- 
arytaenoideus   lateralis    schiebt   durch   Vorwärtsziehen   des  Aryknorpels   den 


STIMME.  633 

Stimmfortsatz  nach  innen  und  verengt  hiediirch  die  Stimmritze  ebenfalls. 
Erweiterung  der  Glottis  verursacht  vor  allem  der  Crico-arytaenoideus  pos- 
ticus,  auch  zusammen  mit  dem  lateralis.  Die  Anspannung  imd  damit  auch 
die  Verlängerung  der  Stimmbänder  ist  eine  Folge  der  Contraction  des 
Crico-thyreoideus  und  der  Interarytaenoidei.  Erschlaffend  und  verkür- 
zend wirken  die  Thyreo-arytaenoidei  externi  und  interni.  Wenn  alle  Muskeln 
erschlafien,  wie  in  der  Leiche,  so  bewirkt  die  blosse  Elasticität  der  Bänder 
und  Knorpel  ein  massiges  Offenstehen  der  Glottis.  Dem  entsprechend  ist 
auch  das  einfache  Offenhalten  derselben  beim  Athmen  nicht  die  Folge  einer 
Muskelwirkung. 

Die  motorische  Innervation  des  Kehlkopfes  betreffend  innervirt 
der  äussere  Zweig  des  oberen  Kehlkopfnerven  (Ramus  extr.  nervi  laryngei 
superioris),  als  bestimmt  auch  motorischer  Nerv,  beim  Menschen  den  M.  crico- 
thyreoideus  allein.  Der  untere  Kehlkopfnerv  (Nervus  laryngeus  inferiorj  ver- 
sieht mit  Ausnahme  des  M.  crico-thyreoideus  sämmtliche  Kehlkopfmuskeln. 
Auch  wurde  nachgewiesen  (Onodi),  dass  in  den  Bahnen  der  Anastomosen 
zwischen  Plexus  brachialis  und  Sympathicus,  ferner  zwischen  dem  unteren 
sympathischen  Halsganglion  und  dem  ersten  Brustganglion  sich  Fasern  be- 
finden, welche  an  der  Innervation  der  Kehlkopfmuskeln  theilnehmen. 

Was  die  centrale  Innervation  betrifft,  so  gibt  es  sowohl  ein  subcorticales,  wie 
auch  ein  Rindencentrum.  Beim  Hund  befindet  sich  das  von  Onodi  entdeckte  subcorticale 
Centrum  in  den  hinteren  Hügeln  und  dem  entsprechenden  Theile  des  Bodens  des  vierten 
Ventrikels,  während  das  von  Krause  bestimmte  Rindencentrum  im  Gyrus  praefrontalis 
liegt.  —  Beim  Menschen  sind  die  einwandsfreien  klinischen  Beobachtungen  in  so  geringer 
Zahl,  und  die  Läsionen  des  Gehirns  so  verschieden,  dass  ein  Phonationscentrum  in  der 
Rinde  nicht  festgestellt  werden  kann ;  auch  können  die  Beobachtungen  mit  den  experimen- 
tellen Ergebnissen  nicht  in  Einklang  gebracht  werden.  Ansonst  lehren  pathologische  Er- 
fahrungen, dass  Erkrankung  oder  Zerstörung  der  Rinde  der  dritten  Stirn-  und  der  ersten 
Schläfenwindung,  sowie  der  in  der  Tiefe  der  Fossa  Sylvii  liegenden  Insel  und  Vormauer 
mit  Sprachstörung  einhergeht.  Die  Störung  ist  mehr  motorisch,  wenn  die  Zerstörung  die 
Stirnwindung,  und  mehr  sensibel,  wenn  dieselbe  die  Schläfenwindung  betrifft.  Höchst  in- 
teressant ist  auch  die  Erfahrung,  dass  Aphasie  gewöhnlich  nur  auf  Läsionen  der  linken 
Hemisphäre  folgt,  während  Defecte  der  rechten  nur  bei  Linkshändern  von  Störung  der 
Sprache  oder  Worttaubheit  begleitet  werden.  Die  Aesserung  bestimmter  Töne  ist  vor- 
erst die  Folge  eines  Willensactes,  bei  welchem  jedoch  auch  centripetalen  Erregungen  eine 
grosse  Rolle  zufällt.  Gehörsempfindungen  sind  ebenfalls  von  grosser  Bedeutung  für  einen 
correcten  Gebrauch  der  Stimme,  daher  fällt  hier  auch  dem  Gehörorgan  und  dessen  Rinden- 
centrum eine  wichtige  Rolle  zu. 

In  den  über  den  wahren  Stimmbändern  liegenden  MoEGAGNi'schen 
Taschen  können  die  Stimmbänder  ihre  Schwingungen  frei  verrichten.  Bei 
manchen  Thieren  fällt  diesen  Taschen  zugleich  die  Rolle  von  Resonanzräumen 
zu.  Das  Secret  der  zahlreichen  Schleimdrüsen,  welche  in  der,  den  Morgagmi- 
schen  Taschen  zugekehrten  Seite  der  falschen  oder  oberen  Stimm- 
bänder, wie  auch  in  der  diese  Taschen  auskleidenden  Schleimhaut  enthalten 
sind,  befeuchtet  die  einem  beständigen  Luftstrom  ausgesetzten  wahren  Stimm- 
bänder und  schützt  dieselben  auf  solche  Weise  gegen  das  Austrocknen.  An- 
sonst kennt  man  den  Zweck  der  falschen  Stimmbänder  nicht  genau;  einige 
Forscher  waren  geneigt  anzunehmen,  dass  sie  bei  der  Falsettstimme  die 
wahren  Stimmbänder  berühren,  was  sich  aber  nicht  als  richtig  erwies. 

Die  Veränderungen,  welche  bei  der  Stimmbildung  im  Kehlkopfe  vor  sich 
gehen,  beobachtete  man  vorerst  an  solchen  Individuen,  welche,  in  der  Absicht 
einen  Selbstmord  zu  begehen,  ihren  Larynx  oberhalb  der  Stimmbänder  durch- 
schnitten hatten.  Gegenwärtig  dient  dazu  der  von  Garcia  entdeckte  Kehl- 
kopfspiegel. 

Die  Kehlköpfe  der  Menschen  weichen  stets  etwas  von  einander  ab. 
Die  Abweichungen  sind  theil weise  die  Ursache  jener  charakteristischen  Ver- 
schiedenheiten, durch  welche  man  die  Stimmen  bekannter  Personen  erkennt. 
Am  auffallendsten  ist  dieser  Unterschied  zwischen  dem  Kehlkopf  des  Kindes, 
der  Frau  und  des  Mannes.  Der  Kehlkopf  des  Kindes  und  der  Frau  ist  kleiner 


634 


STIMME. 


als  der  des  Mannes,  ihre  Stimmbänder  sind  dünner  und  kürzer.  Im  Mittel 
beträgt  die  Länge  der  Stimmbänder  von  Kindern  6  —  8,  der  von  Frauen  im 
schlaffen  Zustande  10 — 15,  im  gespannten  15  —  20  mm,  während  Männer  Stimm- 
bänder von  15—20,  bezüglich  20 — 25  mm  Länge  besitzen.  Dementsprechend 
beträgt  die  Länge  der  Glottis  im  schlaffen  Zustande  der  Stimmbänder  bei 
Frauen  17,  bei  Männer  23,  im  gespannten  aber  bei  Frauen  20  und  bei  Männern 
27'5  mm. 

Wie  an  dem  Klange  eines  jeden  Instrumentes,  so  unterscheidet  man  auch 
an  der  Stimme  des  Menschen  die  Höhe,  Intensität  und  Klangfarbe.  Die  Höhe 
der  Stimme  befindet  sich  zwischen  E  und  c^,  erstreckt  sich  demnach  auf 
nahezu  4  Octaven.  Tiefer,  etwa  bis  F^  (42  Schwingungen  per  Secunde)  und  höher 
etwa  bis  ß  (1708  Schwingungen)  erstrecken  sich  nur  Stimmen  weniger 
Sänger.  Der  Umfang  gewöhnlicher  Singstimmen  einzelner  Personen  beträgt 
nicht  über  2—2^2  Octaven,     Die  Lagen  der  Singstimmen  sind  die  folgenden: 


80  128  256 

EFGAHcdefgahcidieifi 


512 

a^    h^    c'    d^    e^ 


1024 


P   s'   a'   h^ 


Bass 


Bariton 


Tenor 


Alt 


Mezzosopran 


Sopran 


Natürlich  kann  der  Umfang  der  Stimme  einzelner  Personen  die  Grenzen 
der  Lage,  zu  welchen  dieselbe  gehört,  sowohl  übertreten,  wie  auch  nicht  er- 
reichen. So  ist  zum  Beispiel  der  Umfang  der  Singstimme  von  Kindern  rela- 
tiv klein  und  erstreckt  sich  bei  Knaben  im  8. — 14.  Jahre  nur  auf  7 — 9  Töne, 
bei  Mädchen  umfasst  die  Singstimme  bereits  im  6.  Lebensjahr  9,  im  8. — 10. 
13  und  im  13.  Lebensjahre  bereits  16  Töne.  Später  wächst  der  Kehlkopf, 
insbesondere  zur  Zeit  der  Pubertät  (Mutation)  beim  Manne,  wo  der  kielförmig 
vorstehende  Schildknorpel  lange  Stimmbänder  bedingt,  der  Stimmumfang 
nimmt  zu  und  die  Stimme  selbst  wird  tiefer.  Im  mittleren  Lebensalter  ist 
der  Umfang  der  Stimme  am  grössten.  Später  nimmt  der  Umfang  wie  auch 
die  Intensität  der  Stimme,  infolge  der  Veränderungen,  welche  das  Alter  be- 
dingt, wieder  ab;  die  Elasticität  der  Knorpel  sinkt  und  wegen  der  Abnahme 
der  Muskelkraft  ist  auch  die  Spannung  der  Stimmbänder  nicht  mehr  die- 
selbe als  früher.  Wie  ungemein  geübt  die  Kehlkopfmuskeln  der  Sänger  im 
Einsetzen  des  richtigen  Tones  sind,  erhellt  daraus,  dass  der  mittlere  Fehler, 
beim  Nachsingen  eines  nachgegebenen  Tones,  kaum  ±  0-3577o  der  Schwin- 
gungszahl beträgt.  Die  Tonhöhe  hängt  ab  von  der  Zahl  der  Schwingungen, 
welche  die  Stimmbänder  in  einer  Secunde  verrichten,  und  diese  Zahl  wieder 
ist  bedingt  von  der  Länge,  Dicke  und  Spannung  der  Stimmbänder.  Lange 
Stimmbänder  geben  daher  tiefe,  kurze  hohe  Töne.  Daher  ist  die  Stimme 
der  Männer  allgemein  tiefer  als  die  der  Frauen,  und  die  Stimme  der  Kinder 
höher  wie  die  erwachsener  Personen.  Dass  dicke  Stimmbänder  tiefe  Töne 
geben,  lehrt  die  Erfahrung,  welche  man  an  mit  Kehlkopfkatarrh  behaf- 
teten Personen  machen  kann,  bei  welchen  die  geschwollenen  Stimmbänder 
die  Stimme  vertiefen.  Der  M.  thyreo-arytaenoideus  internus  kann  durch 
seine  Contraction  die  innere  Kante  der  schwingenden  Stimmbänder  je  nach 
Bedarf  dicker  oder  dünner  machen.    Den  Einfluss  der  Spannung  der  Stimm- 


STIMME.  635 

bänder  auf  die  Höhe  der  Stimme  hat  insbesondere  Johannes  Mülleij  an  aus- 
geschnittenen Kehlköpfen  eingehend  untersucht.  Mülleu  befestigte  den  lling- 
knorpel,  nähte  die  Giessbeckenknorpel  vollkommen  aneinander  und  band 
das  eine  Ende  eines  Fadens  an  die  obere  P]cke  des  Schildknorpels,  dann 
wurde  der  Faden  um  eine  Rolle  geführt  und  konnte  an  seinem  zweiten  freien 
Ende  beliebig  belastet  werden,  wodurch  die  Stimmbänder,  je  nach  der  Grösse 
der  Gewichte,  verschieden  stark  gespannt  wurden.  Die  Höhe  des  Tones, 
welchen  die  mittelst  Blasebalg  durch  den  Kehlkopf  gleichmässig  getriebene 
Luft  erzeugte,  war  also  nur  von  der  Grösse  des  spannenden  Gewichtes  ab- 
hängig. Auf  diese  Weise  gelang  es  an  einem  einzigen  Kehlkopf,  nur  durch 
das  Aendern  des  spannenden  Gewichtes,  die  ganze  Reihe  der  Töne  von  ais 
bis  dis^  zu  erhalten.  Vor  allem  werden  die  Stimmbänder  natürlich  durch 
die  entsprechenden  Muskeln  gespannt,  es  kann  aber  auch  deren  Spannung  durch 
den  Druck  der  aus  den  Lungen  strömenden  Luft  erhöht  werden;  denn,  wäh- 
rend die  Luft  die  Stimmbänder  drückt,  spannt  sie  auch  dieselben.  Daher 
steigern  Sänger  den  Lungenluftdruck,  wenn  sie  hoch  singen  wollen  und  die 
Stimmbänder  nicht  weiter  spannen  können.  Doch  durch  diesen  gesteigerten 
Luftdruck,  welcher  bei  hohen  Tönen  nöthig  ist,  entweicht  die  Luft  rascher 
aus  den  Lungen,  als  wenn  man  tiefe  Töne  singt,  daher  tiefe  Töne  länger 
ausgehalten  werden  können  als  hohe. 

Die  Intensität  der  Stimme  hängt  von  der  Amplitude  der  Schwingungen 
ab.  Daher  die  Stimme  umso  stärker  ist,  mit  je  grösserer  Kraft  die  Luft 
gegen  die  Stimmbänder  gepresst  wird.  Nach  von  Johannes  Müller  an  aus- 
geschnittenen Kehlköpfen  gemachten  Versuchen  ist  zur  Ergänzung  der  Stimme, 
je  nach  der  Intensität  der  Töne,  ein  Luftdruck  von  13 — 135  mm  Wasser 
nöthig.  An  Menschen  mit  Luftröhrenfisteln  fand  Cagniard-Latour,  dass  der 
Luftdruck  beim  Singen  eines  mittelhohen  Tones  160  und  beim  starken 
Schreien  945  mi?i  Wasserdruck  entspricht.  Auch  mit  dem  Kehlkopfspiegel 
kann  man  sehen,  dass  die  Stimmbänder  bei  starken  Tönen  ausgiebiger  schwin- 
gen. Der  gesteigerte  Luftdruck  spannt  die  Stimmbänder  und  erhöht  also  nicht 
nur  die  Stimme,  sondern  steigert  auch  die  Intensität  derselben.  Sobald  dem- 
nach ein  Ton  von  piano  auf  forte  getrieben  werden  soll,  müssen,  damit  seine 
Höhe  nicht  zunehme,  die  Stimmbänder  entsprechend  abgespannt  werden.  Müller 
konnte  bei  seinen  oben  angegebenen  Versuchen,  indem  er  mit  dem  Kehlkopf 
denselben  Ton  piano,  crescendo  und  forte  ertönen  lassen  wollte,  das  spannende 
Gewicht  bedeutend  verringern.  An  unseren  musikalischen  Instrumenten  wird 
die  Intensität  der  Töne  noch  durch  Resonanz  gesteigert.  Bei  der  Stimme 
kommt  diese  Resonanz  viel  weniger  in  Betracht,  und  Vestibulum  laryngis, 
Cavum  pharyngonasale,  Mund-  und  Nasenhöhle  üben  auf  die  Höhe  der  Stimme 
keinen  Einfluss  aus.  Doch  modificirt  dies  Ansatzrohr  durch  Verstärkung  einzelner 
Partialtöne  des  Kehlkopfklanges  die  Farbe  der  Stimme.  Daher  klingt  oft  ein 
und  dieselbe  Note  bei  verschiedenen  Sängern  verschieden,  ja  dieselbe  Person 
kann  die  Farbe  ihrer  Stimme,  durch  absichtliche  Veränderung  im  Ansatzrohr, 
wechseln.  Das  Singenlernen  besteht  zum  grossen  Theil  auch  darin,  dass  man 
die  zweckmässigste  Stellung  des  Ansatzrohres  leicht  zu  finden  erlernt. 

Beim  Singen  unterscheidet  man  gewöhnlich  drei  Stimmarten  oder 
Register,  welche  durch,  die  Productionsweise  und  Klang,  insbesondere  aber 
auch  durch  die  Höhenlage  bedingt  sind,  und  zwar:  die  Brust-,  Mittel-  und 
Fistel-  oder  Falsettstimme.  Das  Wesen  ihrer  Entstehung  betreffend,  gehört 
die  Mittelstimme  auch  zum  Falsettregister  und  es  ist  genügend,  die  Brust- 
und  Falsettstimme  zu  unterscheiden.  Diesen  beiden  entsprechende  Unter- 
abtheilungen werden  auch  unterschieden,  nämlich  ein  tiefes  und  hohes  Brust- 
register und  ein  tiefes  und  hohes  Falsettregister.  Männer  benützen  gewöhn- 
lich die  unteren,  Frauen  die  oberen  zwei  Register.  Die  Bruststimme  ist 
die  normale  Stimmart.     Hier  geräth  eine   breite  Zone  der  Stimmbänder  als 


636  STIMME. 

Ganzes  in  Schwingungen.  Die  freien  Kanten  der  Stimmbänder  scliwingen 
nach  auf-  und  abwärts,  dem  entsprechend  erfolgt  eine  abwechselnde  Erwei- 
terung und  Verengerung  der  Glottis.  Die  Bruststimme  ist  stärker  und  tiefer 
als  die  Falsettstimme.  Wäiirend  das  Singen  oder  Sprechen  mit  Bruststimme 
sozusagen  gar  keine  Mühe  kostet,  ist  die  Falsettstimme  mit  einem  Gefühl  der 
Spannung  und  Anstrengung  im  Kehlkopf  verbunden.  Mit  der  Bruststimme 
resonirt  die  Luft  der  Brust  stark  mit,  daher  das  fühlbare  Schwirren  der 
Brustwand,  der  Fremitus  pectoralis.  Die  Falsettstimme  betreffend  fand 
Oertel,  bei  Untersuchungen  mit  der  stroboskopischen  Scheibe,  dass  die 
Stimmbänder  bei  dieser  Stimme  eine  dem  freien  Rande  parallele  sagittale 
Knotenlinie  bilden,  von  der  nach  innen  und  nach  aussen  eine  Bewegung  in 
entgegengesetzter  Richtung  stattfindet.  Nach  Lehfeld  schwingen  die  wahren 
Stimmbänder  nur  mit  ihrem  innersten  Rande,  während  Rethi  fand,  „dass 
überhaupt  nur  eine,  wenige  Millimeter  breite  Strecke  am  freien  Rande  des 
Stimmbandes  schwingt,  und  dass  jede  Schwingung  des  freien  Randes  sich  als 
allmählich  abklingende  Welle  über  die  Oberfläche  eine  kurze  Strecke  weit  fort- 
setzt". Bei  der  Fistelstimme  ist  die  Resonanz  im  Ansatzrohr  am  stärksten, 
man  gewinnt  den  Eindruck,  als  wäre  ihr  Ort  im  Kopfe,  daher  sie  auch  Kopf- 
stimme heisst.  Der  Kehlkopf  steht  tiefer,  wenn  die  Bruststimme,  als  wenn 
die  Falsettstimme  erschallt.  Bei  der  Bruststimme  stehen  die  Stimmbänder 
sehr  nahe  an  einander,  bilden  einen  langelliptischen  und  haarfeinen  Spalt, 
wobei  die  gesammten  Massen  der  Stimmbänder,  durch  die  Contraction  des 
M,  erico-arytaenoideus  lateralis,  thyreo-arytaenoideus  externus  und  internus, 
nach  der  Mitte  zu  gedrängt  und  die  Kanten  der  Stimmbänder  relativ  dick  und 
breit  werden.  Bei  Personen,  die  mit  der  Falsettstimme  singen,  sind  die  Stimm- 
bänder dünner  und  stehen  mehr  ab  von  einander,  so  dass  eine  relativ  weite 
elliptische  Spalte  zwischen  ihnen  offen  bleibt.  Man  nimmt  an,  dass  beim 
Falsett  der  M.  crico-arytaenoideus  lateralis,  thyreo-arytaenoideus  externus  und 
internus  schwach,  der  M.  crico-thyreoideus  stark  contrahirt  sind,  und  dies  macht 
die  Stimmbänder  so  dünn.  Die  Klänge  der  Stimme  sind  den  Registern  ent- 
sprechend für  den  Mann  folgende: 

E     F     G     A     H     c     d     e     f    e     a     h     ci     dl     ei     fi     gl    a^     hl     c^     d'^^     e^       ' 


Bruststimme 


Falsettstimme 

und  für  Frauen:  ' 

d     e     f    g     a     h     ci     dl     ei     fi     gl    ai     hi     c"     d-     e^     f-     s'    a^     h''^ 


Braststimme 


Fistelstimme 


Die  Stimmen  einzelner  Menschen  haben  auch  noch  persönliche 
Eigenschaften,  wodurch  man  dieselben  von  einander  unterscheiden  kann, 
und  in  der  Lage  ist,  bekannte  Menschen  bereits  nach  ihrer  Stimme  er- 
kennen zu  können.  Diese  charakteristischen  Eigenschaften  der  Stimmen 
sind  Folgen  genau  derselben  Ursachen,  welche  auch  die  charakteristische 
Klangfarbe  der  musikalischen  Klänge  bedingen.  Die  menschliche  Stimme  wird 
nämlich  von  zahlreichen  Obertönen  begleitet,  welche  je  nach  der  Intensität 
des  Grundtones  in  verschiedener  Menge  und  Stärke  erscheinen,  und  theilweise 
auch  darnach  verschieden  sind,  ob  die  Lult  durch  Mund-  und  Nasenhöhle, 
oder   nur  durch  eine  von  beiden  durchstreicht.    Auch  begleiten  die  mensch- 


STOMATITIS.  637 

liehe  Stimme  zahlreiche  Geräusche,  welche  je  nach  der  Form  der  Theile  des 
Stimmorganes  von  einander  abweichen  und  das  Unterscheiden  der  Stimme 
erleichtern. 

Was  die  Thierstimme  betrifft,  so  ist  dieselbe  bei  den  Säugethieren 
viel  einförmiger,  obgleich  das  Stimmorgan  dem  des  Menschen  gleich  gebaut 
ist.  Bei  den  Vögeln  befindet  sich  meist  unten  an  der  Theilungsstelle  der 
Luftröhre  ein  Kehlkopf  mit  medianen  und  lateralen  Membranen,  welcher  die 
Stimme  der  Vögel  bedingt,  während  der  obere  Kehlkopf  an  der  Stimmbildung 
gar  nicht  theilnimmt.  Die  Frösche  besitzen  wahre  Stimmbänder,  ja  die 
Männchen  haben  auch  noch  mitresonirende  Schallblasen.  Die  Töne  schliess- 
lich, welche  einzelne  Fische,  so  wie  die  übrigen  Thiere  und  besonders  die 
Insecten,  geben,  entstehen  auf  ganz  andere  Weise  als  die  menschliche  Stimme. 

FERDINAND   KLUG. 

Stomatitis.  Die  Mundhöhle,  das  Cavum  oris,  welches  nach  unten  von 
der  Zunge,  nach  oben  und  bieten  vom  harten  und  weichen  Gaumen  begrenzt 
wird,  ist  häufig  Sitz  von  Entzündungen.  Dieselben  sind  acut  oder  chronisch, 
primär  oder  secundär,  einfach  katarrhalisch  oder  specifisch. 

Die  genuine  Form  der  Stomatitis  lässt  sich  zurückführen  auf  allerlei 
mechanische,  chemische  und  thermische  Reize;  Dentition,  Zahncaries,  Zahn- 
kanten, Genuss  zu  kalter  und  zu  heisser  Speisen,  zu  sauerer  oder  harter 
Stoffe,  Abusus  des  Tabaks  und  Alkohols;  ferner  spielen  reizende  Medicamente  : 
Quecksilber,  Wismut,  Arsen,  Phosphor,  Jod  u.  a.  eine  ätiologische  Rolle, 
man  könnte  dann  von  einer  Stomatitis  toxica  sprechen.  —  Für  die  secundäre 
Form  finden  sich  Ursachen  in  Verunreinigungen  der  Mundhöhle  bei  Säuglingen 
durch  unsaubere  Gummipfröpfe  u.  a.,  ulcerativen  Processen  irgendwelcher  Art 
in  Mund-  und  Rachenhöhle,  verschiedenen  Infectionskrankheiten :  Masern, 
Scharlach,  Typhus,  Erysipel  u.  a.  —  Die  chronische  Stomatitis  findet  sich 
häufig  bei  Potatoren. 

Symptome.  Die  Schleimhaut  des  Zahnfleisches,  der  Wange,  der 
Zunge  und  des  weichen  Gaumens,  —  fast  nie  des  harten,  weil  die  Schleimhaut 
hier  fest  angeheftet  —  ist  geschwollen  und  geröthet.  An  der  Zunge  finden 
sich  Zahnabdrücke,  ebensolche  an  der  der  Berührungsfläche  der  Zähne  ent- 
sprechenden strichförmigen,  gewöhnlich  erhabenen  Partie  der  Wangenschleim- 
haut, die  hier  wegen  der  Verdickung  des  Epithels  eine  weissliche  Farbe  zeigt. 
Die  Schleimdrüsen  sind  geschwollen  und  oft  deutlich  sichtbar.  Vermehrte 
Absonderung  von  Speichel  und  Schleim,  der  wegen  seines  reicheren  Gehalts 
an  Zellen  dicker  ist  und  auf  der  Zunge  als  weisser  Belag  erscheint.  Das 
Zahnfleisch  ist  lebhaft  roth,  überragt  die  Zähne  stärker  als  gewöhnlich  und 
blutet  leicht. 

Subjective  Beschwerden  sind  Schmerzen  beim  Kauen  und  Schlingen, 
besonders  beim  Essen  reizender  Speisen  etc.,  Säuglinge  lassen  deswegen  häufig 
die  Flasche  los;  der  Geschmack  wird  wegen  des  erwähnten  Zungenbelags  pappig 
oder  bitter,  und  die  genossenen  Speisen  machen  oft  einen  T^iderlicheu 
Eindruck. 

Nach  Beseitigung  der  Schädlichkeiten  schwindet  sowohl  die  primäre  als 
die  secundäre  Stomatitis  bald. 

Die  Behandlung  besteht  in  der  Entfernung  der  Ursache  und  in 
sorgfältiger  Pflege  des  Mundes,  reizloser  Diät  und  Mundspülungen  mit  Kali- 
chloricum  1— 27o,  Borax,  Alaun,  Myrrhentinctur  (15  Tropfen  auf  1  Glas 
W^asser),  Pinselungen  mit  Tanninglycerin  10%,  Tinct.  Catechu  u.  a.  m. 

Bei  chronischer  Stomatitis  empfehlen  sich  Pinselungen  mit  Arg.  nitr.- 
Lösungen,  alkalische  Wässer. 

Als  specifische  Stomatitiden  gelten: 


638  SYPHILOME  DER  NASENHÖHLE. 

1.  Die  Stomatitis  [jonorrhoica ; 

2.  „  „  aphthosa; 

3.  „  „  mercur/alis; 

4.  „  „  scorbutica; 

5.  „  „  phlegmonosa; 

6.  „  „  herpetiea; 

7.  „  „  hei  Klauenseuche; 

8.  „  ,,  diphtheritica. 

Die  specifischen  Symptome  dieser  Stomatiden  sind  dieselben  wie  die  der 
entsprechenden  Anginen  (vide  Artikel  „Angina''),  resp.  jener  der  ent- 
sprechenden Pharyngitiden  (vide  Artikel  ^^Pharyngitis'').  e. 

Syphilome  der  Nasenhöhle.  Bei  den  Syphilomen  handelt  es  sich 
nicht  um  echte  Tumoren,  sondern  um  infectiöse  Reactionserscheinungen  in 
Form  von  Granulomen,  die  mit  der  Heilung  der  Infection  von  selbst  ver- 
schwinden. 

Ich  habe  in  den  letzten  Jahren  diese  gutartigen  Nasengeschwülste  bei 
drei  Patienten  beobachtet.  Der  erste  Fall  betraf  eine  40jährige  li'rau,  Mutter 
von  vier  gesunden  Kindern,  die  wegen  fötider  Nasensecretion  und  doppel- 
seitiger Stenose  in  die  Klinik  aufgenommen  wurde;  in  beiden  Nasenhöhlen 
lagen  am  vorderen  Septumdrittel  je  eine  weiche,  leicht  blutende,  schmutzig- 
graue, stark  haselnussgrosse  Geschwulst,  die  durch  das  durchbrochene  Septum 
hindurch  in  Zusammenhang  standen.  Jede  specifische  Erkrankung  war  von 
der  Frau  sowohl  wie  vom  Manne  in  Abrede  gestellt  worden,  und  wir  glaubten 
an  ein  Sarkom,  welches  die  Scheidewand  zerstört  hatte.  Bei  der  mikroskopischen 
Untersuchung  der  mit  der  Glühschlinge  abgetragenen  Tumoren  fanden  wir  die 
beiden  Geschwülste  aus  einem  sehr  zellreichen  Gewebe  zusammengesetzt,  mit 
massigem  Gefässreichthum;  die  Zellen  sind  der  Hauptsache  nach  Rundzellen, 
dazwischen  jugendliche  Bindegewebszellen  in  ziemlich  grosser  Zahl;  derbere 
Bindegewebszüge  finden  sich  nur  ganz  vereinzelt;  fernerhin  sah  man  eine 
grosse  Anzahl  von  Riesenzellen,  die  ohne  bestimmte  Anordnung  im  Gewebe 
zerstreut  lagen;  sie  waren  von  verschiedener  Grösse  und  Form,  bald  rund, 
bald  länglich,  bald  ganz  unregelmässig  mit  zahlreichen  Ausläufern  und  mit 
wandständigen  Kernen  wie  die  LANGHANs'schen  Riesenzellen.  Circumscripte 
Lymphome  fehlten  vollständig,  auch  waren  keine  Degenerations Vorgänge 
nachzuweisen,  ebensowenig  Tuberkelbacillen.  Wir  hatten  demnach  kein  Sarkom 
vor  uns,  es  war  auch  kein  Tuberkulom,  weder  ein  scrophulöses  Lymphom 
oder  ein  einfaches  Wundgranulom ;  wir  mussten  an  ein  Syphilom  denken;  es 
handelte  sich  jedoch  nicht  um  das  in  der  Nase  häufige  syphilitische  Gumma, 
das  stets  eine  Einlagerung  in  das  Gewebe  darstellt,  sich  auch  zuweilen  leicht 
über  die  Umgebung  erhebt,  sondern  um  eine  stark  aus  dem  Gewebe  heraus- 
gewachsene syphilitische  Granulationsgeschwulst.  Der  hier  einzig  und  allein 
entscheidende  therapeutische  Erfolg  (Jodkali  in  starken  Dosen)  rechtfertigte 
diese  Annahme;  die  schon  wenige  Tage  nach  der  scheinbar  radicalen  Exstir- 
pation  der  Geschwulst  wieder  nachgewachsenen  Granulationen  giengen  auf 
den  Gebrauch  des  Jodkali  zurück  und  nach  mehreren  Wochen  war  auch  die 
V2  Markstück  grosse  Septumperforation  vollständig  geschlossen  und  glatt 
vernarbt.  —  Einen  gleichen  Fall  sahen  wir  einige  Monate  später  bei  einer 
30jährigen  Fabriksarbeiterin,  die  ebenfalls  jede  Infection  in  Abrede  stellte  und 
bei  welcher  ein  nussgrosser  Tumor,  der  breit  dem  Septum  aufsass,  die  rechte 
Nase  verstopfte;  die  exstirpirte  Geschwulst  hatte  Aussehen  und  die  Consistenz 
eines  Sarkoms,  ergab  aber  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  die  ganz 
gleiche  Zusammensetzung,  wie  im  obigen  Falle,  und  auch  hier  trat  durch  den 
Gebrauch  von  Jodkali  prompte  und  vollständige  Heilung  ein.  Bis  heute,  fast 
zwei  Jahre  seit  diesen  Beobachtungen,  scheint  kein  Recidiv  eingetreten  zu 
sein.    Während  wir   es   in   beiden  Fällen  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  mit 


THYREOIDEA.LGESCI-IWÜLSTE.  639 

erworbener  Syphilis  zu  thun  hatten,  lag  in  unserem  dritten  Falle,  l)ei  einem 
12jährigen  Mädchen,  eine  hereditäre  Infection  vor;  bei  dieser  Kranken  waren 
die  beiden  Nasenhöhlen  von  einer  grossen  Zahl  (10 — 12)  schmutzig  grauer, 
länglicher  und  durchschnittlich  bohnen-  bis  haselnussgrosser  Tumoren  so  voll- 
ständig ausgefüllt,  dass  die  Kranke  selbst  bei  offenem  Munde  grosse  Mühe 
hatte  zu  athmen.  Das  Mikroskop  sowohl,  wie  auch  der  günstige  Verlauf 
unter  antisyphilitischer  Behandlung  erwiesen  die  luetische  Natur  aller  dieser 
Bildungen,  von  denen  sogar  einige,  experimenti  causa,  nicht  entfernt  worden 
waren,  aber  dennoch  im  Verlaufe  der  Jodkalicur  gänzlich  zurückgiengen;  es 
blieben  jedoch  bei  dieser  Kranken  im  Inneren  der  Nase  alte  knöcherne  Ver- 
wachsuDgen  zwischen  den  hinteren  Septumtheilen  und  der  mittleren  Muschel 
zurück,  welche  die  Durchgängigkeit  der  Nase  immer  noch  erschwerten  und 
weitere  chirurgische  Maassnahmen  nothwendig  machten. 

Diese  Syphilome  sind  in  ihrer  Structur  wesentlich  verschieden  von  den 
von  Schuster  und  Sänger  u.  a.  beschriebenen  syphilitischen  polypoiden 
Excrescenzen,  von  denen  diese  Autoren  selbst  sagen,  dass  es  sich  um  eine 
primäre  Hypertrophie  der  Schleirahautgefässe  und  Drüsen  gehandelt  habe,  der 
dann  secundär  eine  Rundzelleninfiltration  gefolgt  war;  noch  andere  Male 
haben  dieselben  eine  ähnliche  Zelleninfiltration  in  die  Schleimhaut,  aber  ohne 
eigentliche  Hypertrophie  der  Mucosa  gesehen,  und  noch  in  anderen  Fällen 
fanden  sie  echte  syphilitische  Neubildungen  (Condylome),  bei  denen  die 
Schleimhaut  in  ihrer  Structur  völlig   verändert   war   und   das  Epithel  fehlte. 

KUHN. 

ThyreoidealgeSChwÜiste.  Die  meisten  Aufschlüsse  darüber  verdanken 
wir  R.  Paltauf,  welcher  sieben  Fälle  dieser  seltenen  Erkrankung  zusammen- 
stellte und  einige  genau  untersuchte.  Es  sind  nicht  vielleicht  accessorische 
Schilddrüsen,  die  zufällig  im  Kehlkopfinnern  vorkommen,  sondern  es  wächst 
die  Schilddrüse  von  aussen  her  in  das  Lumen  der  Luftwege  hinein.  Paltauf 
hat  in  mehreren  solchen  Fällen  den  Nachweis  erbracht,  dass  die  Schilddrüse 
ohne  Kapsel  direct  dem  Kehlkopf  und  der  Luftröhre  anliegt  und  an  den 
Knorpel  angewachsen  ist.  Diese  Anwachsung  ist  nicht  durch  Entzündung  be- 
dingt, sondern  hat  ihren  Grund  darin,  dass  bereits  die  fötale  Drüse  mit  der 
Knorpelhaut  und  den  Interstitialmembranen  verwachsen  ist.  Vergrössert  sie 
sich  später  in  Form  einer  parenchymatösen  Struma,  so  dringt  die  Schild- 
drüsenmasse zwischen  den  Knorpelringen  in  das  Lumen  des  Larynx  oder  der 
Trachea  ein  und  wächst  dort  weiter.  Man  beobachtet  dann  in  diesen  Lumen 
breit  aufsitzende,  walzenförmige,  manchmal  auch  leicht  höckerige  Tumoren, 
die  von  unveränderter  Schleimhaut  überkleidet  sind.  Sie  sitzen  entweder  an 
der  seitlichen,  seltener  an  der  hinteren  Wand  des  Kehlkopfes,  unterhalb  der 
Stimmbänder  oder  im  obersten  Theile  der  Luftröhre.  Gewöhnlich  sind  Athem- 
beschwerden  das  hervorstechendste  Symptom,  die  Stimmbänder  sind  nur  selten 
betheiligt.  Das  Leiden  tritt  meist  bei  jüngeren  Individuen  auf  oder  beginnt 
doch  wenigstens  in  der  Jugend.  Solange  das  Schilddrüsengewebe  nur  die 
Interstitialmembran  durchdrungen  hat,  aber  nicht  weiter  wächst,  dürfte  es 
keine  Beschwerden  machen.  Wenn  aber  das  Schilddrüsengewebe  in  der  Wand 
der  Luftwege  strumös  zu  wachsen  anfängt,  so  schiebt  es  die  Schleimhaut  vor 
sich  her,  und  verengt  das  Lumen.  Erst  zu  dieser  Zeit  kommen  die  Patienten 
zum  Arzte.  Natürlich  kann  dieser  Zustand  lange  Zeit  andauern,  bis  es  zu 
gefährlichen  Athembeschwerden  kommt,  wie  in  dem  Falle  Bonns,  wo  die 
Athembeschwerden  schon  15  Jahre  dauerten,  bevor  sie  erst  kurz  vor  der 
Untersuchung  so  heftig  geworden  waren,  dass  die  Tracheotomie  nothwendig 
wurde.  Die  Therapie  hat  zu  bestehen  in  der  Bekämpfung  der  Athemnoth. 
Dieselbe  kann  wohl  nur  durch  den  Luftröhrenschnitt  beseitigt  werden,  da 
Erweiterungsversuche  mit  Röhren  leicht  Entzündungen  des  Schilddrüsen- 
gewebes mit  Ausgang  in  Verjauchung  herbeiführen  können.  (Schrötter).  Die 


640  TONSILL  ARHY  PERPLÄSIE-TONSILLOTOMIE. 

Prognose  ist  eine  ungünstige,  da  die  meisten  der  erwähnten  Fälle  an  den 
Folgen  ihres  Leidens  starben.  Eine  Verwechslung  könnte  stattfinden  mit 
Sarkomen,  welche  ebenfalls  in  ähnlicher  Form  im  Larynx  auftreten  und  auch 
die  Schleimhaut  lange  Zeit  unverändert  lassen.  Endlich  könnten  auch  ent- 
zündliche Infiltrate  ein  ähnliches  Bild  darbieten.  Die  Differentialdiagnose 
wäre  begreiflicher  Weise  eine  sehr  schwierige,  wenn  man  nicht  Stücke  der 
Neubildung  exstirpiren  und  histologisch  untersuchen  würde.  chiari. 

Tonsillarhyperplasie-Tonsillotomie.  Aetiologie.  Die  Hyperplasie 
der  Gaumenmandel  ist  vorwiegend  eine  Krankheit  des  Kindesalters  und  wird 
nicht  allzu  selten  in  den  ersten  Lebensjahren  beobachtet.  Dass  Kinder  schon 
mit  vergrösserten  Tonsillen  zur  Welt  kommen  können,  ist  bekannt.  Häufig 
macht  man  die  Beobachtung,  dass  mehrere  Geschwister  mit  Tonsillarhyper- 
plasie  behaftet  sind,  ja  dass  auch  die  Eltern  daran  gelitten  haben,  so  dass 
man  an  eine  Vererbung  der  Disposition  denken  muss.  Nach  dem  vierzigsten 
Lebensjahre  wird  die  Mandelvergrösserung  nur  selten  und  über  das  fünfzigste 
hinaus  nur  ganz  ausnahmsweise  angetroffen. 

Die  Tonsillarhyperplasie  kann  bedingt  sein  durch  wiederholt  auftretende 
Halsentzündungen  (habituelle  Angina  lacunaris  und  abscedirende  Tonsillitis), 
indem  nach  jedem  acuten  Anfall  die  entzündlichen  Veränderungen  an  den 
Mandeln  sich  nicht  wieder  vollkommen  zurückbilden,  und  die  Hyperplasie  all- 
mählich grösser  wird.  In  vielen  Fällen  entwickelt  sie  sich  im  Gefolge  von 
Diphtherie,  Scharlach,  Masern.  Oft  wird  Scrophulose  als  Ursache  der  Krank- 
heit angesehen.  Möglich  ist  aber,  dass  die  meisten  Erscheinungen,  die  auf 
Scrophulose  hinweisen,  erst  Folgezustände  der  Tonsillarhyperplasie  sind, 
dass  also  die  Scrophulose  häufig  die  Folge  der  Erkrankung,  nicht  die  Ursache 
derselben  ist.  Nur  selten  wird  die  Hyperplasie  veranlasst  durch  Syphilis, 
Lyssa  (Viechov^),  lymphatische  Leucämie  und  Pseudoleucämie.  In  vielen 
Fällen  lässt  sich  schliesslich  gar  kein  ätiologisches  Moment  finden.  Von 
Einigen  wird  neben  dem  Kindesalter  die  Pubertätszeit  als  ein  prädisponirendes 
Moment  für  die  Tonsillarhyperplasie  angeführt,  und  soll  das  vermehrte  Auf- 
treten der  Krankheit  in  diesem  Alter  auf  einen  sympathischen  Zusammen- 
hang mit  den  Geschlechtsorganen  zurückzuführen  sein.  Wir  müssen  darin 
der  Ansicht  B.  Feänkels  beistimmen,  dass  das  zur  Zeit  der  Pubertät  öftere 
Auftreten  der  Tonsillarhyperplasie  nicht  durch  einen  Zusammenhang  zwischen 
Genitalien  und  Tonsillen  vermittelt  wird,  und  dass,  wenn  auch  beim  weib- 
lichen Geschlecht  zur  Zeit  der  Menstruation  eine  gewisse  Fluxion  gegen  die 
Mandeln  eintreten  kann,  die  Schw^ellung  nie  so  stark  wird,  dass  sie  zur  Hyper- 
plasie führen  könnte.  Vielmehr  ist  anzunehmen,  dass  mit  dem  Aufhören  des 
Wachsthums  eine  physiologische  Involution  der  Gaumentonsille  eintritt,  die 
häufig  sogar  eine  Verkleinerung  hypertrophischer  Tonsillen  herbeiführen  kann. 
Die  zur  Pubertätszeit  vermehrte  Häufigkeit  der  Mandelvergrösserung  lässt 
sich  wohl  dadurch  nach  B.  Feänkel  erklären,  dass  durch  den  Aufenthalt 
in  hygienisch  schlecht  eingerichteten  Pensionen  und  durch  den  Schulbesuch 
die  acuten  Mandelentzündungen  häufiger  herbeigeführt  werden,  wodurch  wieder 
indirect  die  Fälle  von  Hyperplasie  vermehrt  werden  können. 

Symptome.  Die  Störungen,  weiche  durch  die  Tonsillarhyperplasie 
hervorgerufen  werden,  machen  sich  zunächst  in  der  Sprache  und  Athmung 
geltend.  Die  Sprache  bekommt  einen  klossigen  Charakter,  so  als  ob  ein  Kloss 
im  Rachen  stecken  geblieben  wäre.  Namentlich  die  Gaumenlaute  werden 
undeutlich  ausgesprochen.  Die  Kranken  klagen  darüber,  dass  sie  schlecht 
verstanden  werden,  und  dass  es  ihnen  schwer  fällt,  längere  Zeit  zu  sprechen. 
Die  Mandelschwellung  ist  daher  besonders  so  unangenehm  für  Sänger,  weil 
sie  sowohl  den  Wohlklang  der  Stimme  stört  als  auch  einen  beständigen  E,eiz- 
zustand  für  frische  Entzündungen  abgiebt.     Ist  die  Rachentonsille   ebenfalls 


TONSILLARHYPERPLASIE-TONSILLOTOMIE.  641 

hypertrophisch,  was  sehr  häufig  der  Fall  sein  wird,  so  finden  wir  die  bekannte 
klanglose  todte  Sprache,  die  Folge  der  adenoiden  Vegetationen. 

Von  grösserer  Wichtigkeit  ist  jedoch  der  schädliche  Einfluss  auf  die 
Respiration.  Namentlich  im  Schlafe  ist  die  Athmung  sehr  behindert,  indem 
bei  der  horizontalen  Lage  des  Körpers  die  vergrösserten  Tonsillen  sich  an 
die  hintere  Pharynxwand  anlehnen  und  den  Durchtritt  der  Luft  durch  den 
Nasenrachenraum  verhindern.  Daher  schnarchen  die  Kinder  stark,  der  Schlaf 
ist  unruhig,  häufig  unterbrochen  von  beängstigenden  Erstickungsanfällen  und 
nicht  erfrischend.  Am  Tage  ist  nur  bei  grösseren  Körperanstrengungen  eine 
geringe  Athemnoth  zu  bemerken.  Besteht  die  Hyperplasie  schon  längere  Zeit 
und  sind  die  Tonsillen  so  gross,  dass  sie  den  Weg  nach  dem  Nasenrachen- 
raum verlegen  und  auf  diese  Weise  die  Nasenathmung  aufheben,  so  können 
auch  die  vielfachen  Störungen  der  Mundathmung  eintreten.  Es  kann  schliesslich 
auch  bei  Nichtbetheiligung  der  Rachentonsille  die  bekannte  Deformität  der 
Brust  sich  einstellen,  wobei  dadurch,  dass  in  Folge  der  erschwerten  Athmung 
die  accessorischen  Athemmuskeln  zu  arbeiten  anfangen,  der  obere  Theil  der 
Brust  erweitert  wird,  während  in  dem  unteren  Theil  derselben  eine  Ver- 
engerung eintritt.  Die  prädisponirende  Ursache  für  diese  Veränderung  der 
Thoraxform  ist  natürlich  die  Rhachitis,  indem  sie  die  Knochen  biegsam  macht 
und  erweicht,  während  die  Schwierigkeit  der  Athmung  erst  die  Gelegenheits- 
ursache zur  Deformirung  bereits  erweichter  Knochen  und  zur  Localisirung 
derselben  an  der  Brust  abgibt.  Schliesslich  leidet  das  Allgemeinbefinden.  Die 
Kinder  werden  anämisch,  matt  und  elend. 

Stets  ist  bei  sehr  grossen  Tonsillen  die  Gefahr  vorhanden,  dass  die- 
selben bei  acuten  Entzündungen  so  anschwellen  können,  dass  sie  auch  im 
wachen  Zustande  ganz  bedeutende  Athemstörungen  machen  können.  Ja  in 
einzelnen  Fällen  (Schäfper,  Donalies)  war  man  sogar  genöthigt,  deshalb 
den  Luftröhienschnitt  auszuführen.  Schluckbeschwerden  sind  nur  bei  grösseren 
Hyperplasien  vorhanden.  Die  Kranken  haben  ein  Hindernis  beim  Schlucken 
und  das  Gefühl  eines  Fremdkörpers  im  Halse.  Nur  selten  konnten  wir  die 
Beobachtung  machen,  dass  das  Gehörvermögen  durch  die  Mandelvergrösserung 
litt.  Meist  war  die  eigentliche  Ursache  noch  die  Anwesenheit  von  adenoiden 
Vegetationen. 

Sehr  nachtheilig  wirken  die  Mandelhypertrophien  dadurch,  dass  sie  eine 
Prädisposition  für  die  verschiedensten  Infectionen  schaffen,  sowohl  für  die 
lacunären  und  phlegmonösen  Anginen  wie  für  Diphtherie.  Moeiz  Schmidt 
konnte  bei  einem  Erwachsenen  einen  lange  dauernden  Reizhusten  beobachten, 
der  durch  die  Entfernung  der  hypertrophischen  Mandeln  beseitigt  wurde.  Auch 
andere  Reflexneurosen,  wie  Asthma,  Heufieber  können  durch  eine  Mandel- 
vergrösserung hervorgerufen  werden  und  sind  durch  Exstirpation  derselben 
beseitigt  worden. 

Die  Untersuchung  des  Kranken  ergibt,  dass  meist  beide  Tonsillen  an 
Volumen  zugenommen  haben.  Entweder  sitzen  sie  breit  auf,  wie  man  es 
häufiger  bei  Erwachsenen  findet,  oder  sie  sind  mehr  gestielt,  wie  bei  Kindern. 
In  vielen  Fällen  sind  die  Tonsillen  nur  im  sagittalen  Durchmesser  vergrössert 
und  drängen  die  beiden  Gaumenbögen  weit  auseinander,  so  dass  die  Tonsillen 
medianwärts  gar  nicht  über  den  vorderen  Gaumenbogen  hervorragen.  Die 
Grösse  der  Tonsillen  ist  sehr  verschieden,  bald  ist  die  eine  grösser  wie  die 
andere,  bald  haben  sie  beide  dieselbe  Grösse.  Bei  höherem  Grade  können 
sie  sich  vollkommen  berühren,  der  Eingang  in  den  Pharynx  erscheint  fast 
gänzlich  geschlossen,  und  die  häufig  hypertrophisch  gewordene  Uvula  wird 
nach  hinten  und  oben  gedrängt.  Grosse  Tonsillen  ragen  zuweilen  bis  auf 
den  Zungengrund  herunter,  ja  manchmal  reichen  sie  bis  an  den  Kehlkopfein- 
gang. Meist  haben  die  hypertrophischen  Mandeln  etwa  den  Umfang  einer  Wal- 
nusS;  zuweilen  erreichen  sie  die  Grösse  eines  Taubeneies  oder  sogar  noch  einen 

Ohren-,  Nasen-,  Eachen-,  Keblkopfkrankheiten.  41 


642  TONSILLARHYPERPLASIE-TONSILLOTOMIE. 

grösseren  Umfang,  wie  wir  es  vor  Kurzem  bei  einem  circa  30  Jahre  alten 
Collegen  beobachten  konnten,  bei  dem  an  der  entfernten  Tonsille  die  grösste 
Länge  AOmm,  Breite  31  mm  und  grösste  Dicke  Id  mm  betrug. 

Selbst  wenn  die  Tonsille  noch  so  sehr  geschwollen  ist,  so  ist  man  doch 
nicht  im  Stande,  dieselbe  von  aussen  zu  fühlen.  Was  man  zuweilen  in  der 
Submaxillargegend  fühlt,  sind  nur  geschwollene  Lymphdrüsen  oder  Binde- 
gewebsinfiltrate. 

Die  Oberfläche  der  Tonsillen  ist  selten  ganz  glatt,  meist  uneben  bucklig 
mit  vielen  Vertiefungen,  in  denen  sich  oft  weiche  Pfropfe  oder  harte  Kalk- 
concremente  (sogenannte  Mandelsteine)  vorfinden.  Die  Schleimhaut  ist  in 
einzelnen  Fällen  geröthet,  in  anderen  mehr  blass. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  hypertrophischen  Tonsillen  ergibt, 
dass  die  Vergrösserung  der  Tonsillen  auf  einer  Hyperplasie  sowohl  des  ade- 
noiden Gewebes  wie  des  interstitiellen  Bindegewebes  beruht.  Je  nachdem 
das  eine  oder  andere  Gewebe  mehr  befallen  ist,  ist  die  Consistenz  der  Ton- 
sillen verschieden.  Ist  das  adenoide  Gew^ebe  stärker  gewuchert,  was  meist 
bei  Kindern  der  Fall  ist,  so  hat  die  Tonsille  eine  weiche  Consistenz  und  ist 
leicht  zerreissbar.  Hat  aber  das  Bindegewebe  mehr  zugenommen,  so  be- 
kommen die  Tonsillen  mehr  eine  harte,  derbe  Beschaffenheit,  ja  sie  werden 
ganz  sklerotisch  und  können  beim  Schneiden  knirschen. 

Eine  sehr  häufige  Complication  der  Tonsillenhyperplasie  bilden  die  ade- 
noiden Vegetationen,  die  Pharyngitis  granulosa  und  die  Hypertrophie  der 
Seitenstränge,  Katarrhe  der  Nase,  des  Rachens,  Kehlkopfs  und  der  tieferen 
Respirationsorgane. 

Die  Diagnose  der  Tonsillarhyperplasie  ist  bei  einfacher  Inspection 
leicht  zu  stellen.  Verwechselt  könnte  dieselbe  werden  höchstens  mit  einer  acuten 
Schwellung  der  Tonsille  oder  mit  einem  Tonsillarabscess.  Bei  der  ersteren 
Erkrankung  ist  aber  meist  Temperaturerhöhung,  starke  Röthung  der  Schleim- 
haut vorhanden,  und  die  Schwellung  verschwindet  schon  binnen  Kurzem.  Beim 
Tonsillarabscess  kommt  es  bald  zur  Fluctuation  und  Eiterentleerung,  sei  es 
spontan  oder  nach  Incision.  Neubildungen,  die  eine  Hyperplasie  der  Mandel 
vortäuschen  könnten,  sind  meist  Sarkome  oder  Carcinome.  Diese  werden  sich 
bald  durch  ihr  rapides  Wachsthum  und  ihr  Uebergreifen  auf  die  Umgebung 
erkennen  lassen. 

Therapie.  Eine  bedeutende  Verkleinerung  vergrösserter  Tonsillen 
werden  weder  innere  Medicamente,  ausgenommen  bei  syphilitischen  Hyper- 
plasien, zu  erzielen  im  Stande  sein,  noch  werden  Pinselungen  mit  Höllenstein- 
lösung, Jodglycerin,  Tannin,  noch  parenchymatöse  Injectionen  von  Jod  von 
einem  nennenswerthen  Erfolge  gekrönt  sein.  Helfen  antiscrophulöse  und 
antisyphilitische  Mittel  nichts,  und  sind  die  Tonsillen  so  gross,  dass  sie  eine 
Verengerung  des  Pharynxeinganges  herbeigeführt  haben,  oder  wenn  die  ver- 
grösserten  Tonsillen  die  Disposition  zu  immer  wiederkehrenden  Halsentzün- 
dungen abgeben,  so  müssen  die  Tonsillen  entfernt  werden.  Wenn  auch  wieder 
und  wieder  Versuche  gemacht  werden,  die  Abtragung  der  Mandel  mit  dem 
Messer  durch  andere  Mittel,  wie  Aetzmittel,  Londoner  Aetzpaste,  Chlorzink, 
Chromsäure  zu  ersetzen,  so  ist  doch  das  zweckmässigste  Mittel  für  die  Ent- 
fernung der  vergrösserten  Mandeln  die  blutige  Entfernung  mit  schneidenden 
Instrumenten,  die  Tonsillotomie.  Bei  geringen  Graden  von  Hypertrophie  und 
bei  Neigung  zur  Secretverhaltung  haben  wir  oft  mit  Erfolg  die  Mandel- 
schlitzung  angewandt. 

Die  Tonsillotomie  kann  vorgenommen  werden: 

a)  mit  dem  Messer.  Wir  bedienen  uns  eines  Knopfmessers,  das  einen 
langen  Stiel  und  eine  etwa  5  cm  lange  Schneide  hat.  Da  man  gewöhnlich 
bei  kleineren  Kindern  die  Operation  ohne  Cocainanästhesie  und  ohne  Narkose 
ausführen  wird,  so  muss  ein  Wärter  das  Kind  auf  den  Schooss  nehmen,  setzt 


TONSILLARHYPERPLASIE-TONSILLOTOMIE. 


648 


-Fig.  1.     ITakeiizange  nach  Kosor. 


es  auf  seinen  linken  Oberschenkel,  schlägt  sein  rechtes  Bein  über  die  Beinchen 
des  Kindes,  umschlingt  mit  der  rechten  Hand  die  beiden  Unterarme  des  Kindes 
oberhalb  des  Handgelenkes,  während  er  mit  seiner  linken  Hand  den  Kopf  gegen 
seine  linke  Schulter  drückt.  Vor  der  Operation  forsche  man,  ob  der  Kranke  an 
hämorrhagischer  Diathese  lei- 
det, und  fühle  mit  dem  Finger, 
ob  in  der  Tonsille  Pulsation  zu 
fühlen  ist.  Bei  weit  geöffnetem 
Munde  des  Patienten,  so  dass 
das  Tages-  oder  künstliche  Licht 
gut  hineinfallen  kann,  ziehe 
man  mit  einer  KosER'schen  Hakenzange  (siehe  Fig.  1)  oder  einem  Doppelhaken 
nach  MuzEux  die  Tonsille  etwas  hervor,  während  man  in  etwas  gebeugter 
Stellung  vor  dem  Kranken  steht.  Zur  Entfernung  der  linken  Mandel  führe 
man  das  Messer  mit  der  rechten  Hand  am  besten  von  unten  nach  oben,  zur 
Exstirpation  der  rechten  Tonsille  mit  der  linken  Hand.  Ist  man  nicht  geübt, 
mit  der  linken  Hand  zu  operiren,  so  stelle  man  sich  hinter  den  Patienten, 
der  seinen  Kopf  stark  nach  rückwärts  neigen  muss,  fasse  mit  der  linken 
Hand  die  Hakenzange  und  das  Messer  mit  der  rechten. 

Gewöhnlich  ist  die  Blutung  bei  dieser  einfachen  Operation  eine  sehr 
geringe.  Man  ziehe  jedoch  die  Tonsille  nicht  zu  stark  hervor  und  gehe  auch 
nicht  zu  tief  mit  dem  Messer  nach  aussen,  um  nicht  zu  nahe  den  grossen 
Gefässen  zu  kommen.  Bleiben  grössere  Reste  zurück,  so  müssen  dieselben 
nachträglich  entfernt  werden. 


Fig.  3.    Tonsillotom  nach  Baginskj-.  Fig.  4.    Tonsillotom  nach  Mackenzie. 

%  h)  Mit    dem   Tonsillotom.     Dieses  Verfahren   ist   be- 

deutend bequemer  und  schneller  als  das  mit  dem  Messer, 
und  verdient  deshalb  namentlich  bei  Kindern  den  Vorzug. 
,,,.,.  Handlicher   und  leichter  zu  reinigen,  wie  das  von 

Ke.  2.  Tonsillotom  nach  Mathieu.  _,  i  nr  i     „  •  „i.     J„r, 

Fahnenstock  oder  Mathieu  angegebene,  ist  das 
Tonsillotom  von  Baginsky  und  von  Mackenzie  (siehe  Fig.  2,  3,  4).  Wir  ge- 
brauchen stets  das  letztere.   Man  drücke  mit  der  einen  Hand  mittelst  eines 

41* 


644  TONSILLARHYPERPLASIE-TONSILLOTOMIE. 

ZuDgenspatels  oder  mit  dem  linken  Zeigefinger  die  Zunge  herunter,  nehme 
den  Gritt'  des  Tousillotoms  in  die  andere  Hand,  lege  den  Daumen  an  das 
hintere  Ende  des  Messers,  und  nachdem  der  Ring  des  Messers  über  die 
Tonsille  geschoben  ist,  ohne  das  Zäpfchen  und  die  Gaumenbögen  mitzufassen,, 
schneide  man  die  Tonsille  durch  schnelles  Hinüberschieben  des  Messers  über 
den  Ring  ab.  Die  Tonsillotome  kommen  in  drei  verschiedenen  Grössen  vor, 
und  man  wird  je  nach  der  Grösse  der  Tonsille  den  entsprechenden  Ring 
herauswählen.  Es  genügt,  nur  den  über  den  vorderen  Gaumenbogen  nach 
innen  hervortretenden  Theil  der  Tonsille  zu  entfernen,  zumal  sich  in  den 
meisten  Fällen  der  zurückgebliebene  Theil  von  selbst  zurückbildet.  Man  hüte 
sich  auch,  von  aussen  mit  der  Hand  die  Mandel  in  den  Ring  des  Tousillotoms 
sich  besser  hineindrücken  zu  wollen,  da  man  damit  gerade  grössere  G.efässe 
und  benachbarte  Schleimhautfalten  mit  hineindrücken  könnte.  In  der  Regel 
ist  die  Blutung  eine  geringe,  die  nach  Gurgeln  mit  Eiswasser  bald  zum  Stehen 
kommt.  Eine  Portion  Fruchteis  wirkt  auf  die  kleinen  Gemüther  sehr  wohl- 
thuend.  Es  ist  nicht  nöthig,  das  Kind  ins  Bett  zu  legen,  es  genügt  der  Auf- 
enthalt im  Zimmer  für  mehrere  Tage.  Das  Kind  erhalte  zuerst  nur  kühle 
Getränke,  weiche  Speisen,  vermeide  die  scharf  gesalzene  und  bittere  Kost^ 
und  gurgele  anfangs  zweistündlich  mit  Myrrhentinctur  (10  Tropfen  auf  ein 
Glas  Wasser).  Auf  der  Stelle,  wo  die  Tonsille  gesessen  hat,  bildet  sich  schon 
einige  Stunden  nach  der  Operation  in  den  meisten  Fällen  ein  weisser  fibrinöser 
Belag,  der  leicht  mit  Diphtherie  verwechselt  werden  kann  und  die  Eltern  des 
Kindes  in  die  grösste  Angst  versetzt,  wenn  man  dies  ihnen  nicht  vorher  mit- 
getheilt  hat.  Nach  mehreren  Tagen  stösst  sich  der  Schorf  spontan  los,  und 
in  2  bis  3  Wochen  ist  die  Wunde  vollkommen  geheilt.  Sind  beide  Tonsillen 
hyperplastisch,  so  entferne  man  beide  am  besten  in  einer  Sitzung.  Sind  auch 
adenoide  Vegetationen  vorhanden,  so  ist  es  wohl  richtiger,  dieselben  nicht 
in  derselben  Sitzung  zu  entfernen,  sondern  erst  dann,  wenn  die  Wunden  an 
den  Tonsillen  geheilt  sind. 

Schon  in  der  ersten  Nacht  nach  der  Operation  schnarchen  die  Kinder 
nicht  mehr  und  schlafen  ganz  ruhig.  Binnen  einigen  Monaten  hat  auch  das  All- 
gemeinbefinden sowohl  in  körperlicher,  wie  geistiger  Beziehung  sich  bedeutend 
gebessert.  Mit  Recht  sagt  Moriz  Schmidt  daher,  dass  die  Entfernung  hj^per- 
plastischer  Tonsillen  eine  der  segensreichsten  Operationen  für  die  ganze  Ent- 
wicklung der  Kinder  sei. 

Das  einzige  unangenehme  Ereignis,  welches  in  einer  Anzahl  von  Tonsillo- 
tomien sich  eingestellt  hat,  ist  das  Auftreten  von  stärkeren  Blutungen,  ja  es 
sind  sogar  tödtliche  Blutungen  vorgekommen,  in  Folge  angeblicher  Verletzung 
der  carotis  interna.  Sieht  man  sich  die  topographische  Lage  der  carotis 
interna  zur  Tonsille  an,  so  sollte  man  eine  Verletzung  der  Carotis  kaum  für 
möglich  halten,  da  die  carotis  int.  ziemlich  w'eit  nach  hinten  und  aussen  von  der 
Mandel  liegt  (l'^l^  cm  von  der  Tonsille)  und  durch  die  Bindegewebskapsel 
und  die  constrictores  pharyngis  von  ihr  getrennt  ist;  es  müsste  denn  schon, 
eine  grosse  Ungeschicklichkeit  dazu  gehören,  oder  auch  ein  abnormer  Ver- 
lauf der  carotis  interna  vorliegen.  Ist  wirklich  eine  grosse  Arterie  verletzt, 
so  ist  es  nach  Zuckerkandl  die  Tonsillararterie.  Wird  dieselbe  in  der  Ebene 
der  Tonsillarkapsel  oder  gar  noch  seitwärts  von  derselben  durchschnitten,  so 
kann  sie  sich  nicht  leicht  retrahiren,  und  eine  spontane  Stillung  der  Blutung  durch 
Thrombosirung  wird  zur  Unmöglichkeit.  Daraus  folgert  Zuckerkandl,  dass, 
abgesehen  von  der  Hämophilie,  eine  stärkere  Blutung  bei  der  Entfernung  der 
Tonsillen  vermieden  werden  könne,  wenn  man  eben  mit  dem  Messer,  resp. 
Tonsillotom  nicht  zu  weit  nach  aussen  geht,  sondern  nur  den  über  den  vor- 
deren Gaumenbogen  vorspringenden  Theil  entfernt.  Noch  besonders  warnt 
B.  Feänkel  davor,  unten  an  der  Tonsille,  wo  dieTonsillararterie  in  die  Mandel 
eintritt,  bis  zur  Kapsel  einzuschneiden. 


TONSILLARHYPERPLASIE-TONSILLOTOMIE.  645 

Zu  einer  sehr  schweren  Blutung  kann  es  auch  kommen,  wenn  eine  ab- 
Borme  Gel'ässanordnung  vorliegt,  die  Vertretung  der  arteria  maxillaris  int. 
nämlich  durch  die  palat.  ascendens.  (IIyrtl),  welche  letztere  in  diesem  Falle 
als  dickes  Gefäss  gleich  hinter  der  Tonsille  an  der  starken  Pulsation  sich  erkennen 
lässt.  Häufiger  stammt  die  Blutung  überhaupt  aus  keinem  grösseren  Gefäss, 
sondern  aus  kleinen  innerhalb  der  Mandel  liegenden  Gelassen,  was  nament- 
lich bei  den  festen  fibrös-degenerirten  Tonsillen  (Schede)  beobachtet  wurde, 
indem  die  Gefässe  innerhalb  des  starren  Gewebes  klaffend  bleiben.  Bei  jugend- 
lichen Personen  stammen  die  Blutungen  meist  aus  erweiterten  Venen  oder 
aus  der  im  Arcus  palato-gloss.  verlaufenden  Arterie.  Die  Blutungen  erfolgen 
entweder  unmittelbar  nach  der  Operation  oder  auch  einige  Stunden,  zu- 
weilen erst  einige  Tage  später.  Zuweilen  treten  Nachblutungen  auf,  nament- 
lich dann,  wenn  die  Operation  mit  Cocain  vorgenommen  wird.  Durch  die  Cocain- 
anästhesie  tritt  bekanntlich  eine  Contraction  der  Gefässe  auf,  welcher  nach 
Aufhören  der  Wirkung  des  Cocains  eine  Erschlaffung  der  Gefässe  folgt.  Des- 
halb ist  dringend  anzurathen,  den  Patienten  nach  der  Operation,  im  Falle 
Cocain  angewandt  ist,  mindestens  eine  Stunde  noch  im  Wartezimmer  unter 
Beobachtung  zu  halten.  Scheck  glaubt,  dass  Ursache  der  Verblutungen 
atheromatöse  und  sonstige  Veränderungen  der  Gefässe  sind. 

Massige  Blutungen  stehen  meist  nach  wenigen  Minuten.  Heftigere  Blu- 
tungen werden  am  besten  mittelst  der  Compression  behandelt,  indem  man 
mit  dem  Zeigefinger  die  blutende  Stelle  comprimirt  und  mit  der  anderen 
Hand  von  aussen  entgegendrückt,  so  lange,  bis  die  Blutung  steht.  Es 
sind  auch  statt  der  schwierigen  Digitalcompression  besondere  Compressionsinstru- 
mente  angegeben  worden,  wie  das  Compressorium  von  Mikulicz-Störk.  Ge- 
nügt die  Compression  nicht,  so  kann  die  Blutung,  wenn  man  das  blutende 
Gefäss  nicht  direct  fassen  kann,  auch  durch  Umstechung,  durch  Anwendung 
des  Galvanokauters  gestillt  werden.  Ist  die  Carotis  eröffnet,  oder  steht  die 
Blutung  nicht  auf  andere  Weise,  so  bleibt  natürlich  kein  anderer  Weg  frei, 
als  die  Carotis  schleunigst  zu  unterbinden. 

Um  die  Blutung  sicherer  vermeiden  zu  können,  entfernt  Moeiz  Schmidt 
die  hyperplastischen  Tonsillen  mit  der  galvanokaustischen  Schlinge.  Er  legt 
die  Schlinge  um  die  Tonsille,  sucht  dabei  vor  allem  das  untere  Ende  der- 
selben in  die  Schlinge  zu  bekommen  und  drückt  das  Ende  der  Röhren  oben 
in  die  Nische  zwischen  beide  Gaumenbögen.  Ist  die  Mandel  gestielt,  so  zieht 
er  die  Schlinge  kalt  zu  und  lässt  dann  erst  den  Strom,  der  nicht  zu  stark 
sein  darf,  durchgehen.  Sitzt  die  Tonsille  aber  breitbasig  auf,  so  lässt  er  die 
Schlinge  erst  erglühen  und  zieht  dann  langsam  zu.  Wir  haben  in  den  letzten 
Jahren  eine  ganze  Reihe  von  Tonsillarhyperplasien  mit  der  heissen  Schlinge 
zu  unserer  grössten  Zufriedenheit  entfernt. 

Eine  directe  Contraindication  für  die  Wegnahme  der  Tonsillen  mittelst 
des  Messers  bildet  natürlich  die  Hämophilie.  Sollte  bei  Hämophilie  eine  Be- 
handlung durchaus  erforderlich  sein,  so  wird  man  sich  damit  begnügen  müssen, 
die  Tonsillen  durch  galvanokaustische  Aetzung,  eine  etwas  umständliche,  aber 
.gefahrlosere  Weise,  allmählich  zu  verkleinern.  Auch  dann,  wenn  man  deut- 
lich eine  Gefässanomalie  erkennen  kann,  oder  auf  der  Oberfläche  der  Tonsille 
sich  grössere  Blutgefässe  vorfinden,  wird  man  Glühhitze  anzuwenden  haben. 
Während  einer  Diphtheritisepidemie  soll  man  die  Tonsillotomie  überhaupt 
nicht  vornehmen,  da  die  Gefahr  der  Infection  der  Wunde  durch  die  Diph- 
theriebacillen  eine  grosse  ist. 

Der  galvanokaustischen  Aetzung  wird  man  auch  in  den  Fällen  sich  be- 
dienen, in  welchen  die  Tonsillen  mehr  nach  aussen  geschwollen  sind  und 
hinter  dem  vorderen  Gaumenbogen  vollkommen  versteckt  liegen,  so  dass  sie 
sich  gar  nicht  in  das  Tonsillotom  hineinbringen  lassen,  ohne  eine  Verletzung 
der  Gaumenbögen  zu  bewirken.     Auch   verdient    diese  Methode    den  Vorzug, 


646  TRACHEALSTENOSEN. 

wenn  mehr  die  Neigung  zur  habituellen  Angina  als  eine  starke  Hyperplasie 
die  Indication  zur  Beseitigung  der  Mandel  gib,t.  Den  Galvanokauter  wende 
man  schliesslich  auch  in  den  Fällen  an,  wenn  der  Patient  sich  absolut  gegen 
jedes  schneidende  Instrument  sträubt,  was  ja  nicht  zu  selten  sogar  bei  sonst 
verständigen  Personen  vorkommt.  Der  Galvanokauter  muss  glühend  auf- 
gesetzt und  auch  glühend  abgenommen  werden.  Wir  bedienen  uns  eines 
Galvanokauters  mit  starker  (2  mm  im  Durchmesser  messender),  im  rechten 
Winkel  abgebogener  Spitze,  führen  die  Spitze  erst  in  das  Centrum  der  Ton- 
sille hinein,  dann  daneben  u.  s.  w,,  so  dass  die  ganze  Oberfläche  ein  sieb- 
förmiges  Aussehen  bekommt.  Man  sehe  sich  vor,  nicht  das  Zäpfchen  oder  die 
Gaumenbögen  zu  berühren.  Damit  die  entzündliche  Reaction  nicht  eine  zu 
starke  werde,  ätze  man  nicht  gleich  beim  ersten  Male  die  ganze  Oberfläche, 
sondern  vertheile  es  auf  mehrere  Sitzungen,  bis  allmählich  eine  genügende 
Verkleinerung  eingetreten.  Ist  die  eine  Seite  geheilt,  so  beginnt  mau  mit 
der  andern  Seite. 

Statt  der  Galvanokaustik  kann  man  auch  die  Chromsäure,  Trichloressig- 
säure  und  den  Argentum  nitr.-Stift  benützen.  Diese  Behandlung  erfordert 
aber  bedeutend  mehr  Sitzungen  und  viel  längere  Zeit,  bis  eine  irgendwie  sicht- 
bare Verkleinerung  der  hyperplastischen  Tonsille  nachweisbar  ist. 

MAX    SCHEIBE. 

Trachecllstenosen.  Die  Trachealstenosen  können  vom  ätiologischen 
Gesichtspunkte  aus  in  zwei  Hauptgruppen  eingetheilt  werden,  in  extratracheale 
Stenosen,  bei  denen  die  Verengerung  der  Luftröhre  durch  den  äusseren  Druck 
in  der  Umgebung  der  Trachea  gelegener  Organe  und  Gewebe  entsteht,  und 
in  intratracheale,  bei  welchen  die  Stenose  durch  eine  Erkrankung  der  Luft- 
röhre selbst  oder  durch  Fremdkörper  herbeigeführt  wird. 

Die  extratrachealenStenosen,  die  man  auch  Compressionsstenosen 
nennt,  werden  viel  häufiger  als  die  intratrachealen  beobachtet. 

Die  Ursachen  der  extratrachealen  Stenosen  können  sein: 

a)  Geschwülste  der  Schilddrüse,  Wohl  am  häufigsten  sind  es  die 
Strumen,  deren  seitliche  Lappen  die  Luftröhre  so  comprimiren  können,  dass 
die  Trachea  keinen  kreisförmigen  Querschnitt  mehr  besitzt,  sondern  einen 
spaltförmigen,  und  schliesslich  die  Form  einer  Säbelscheide  bekommt.  Bei  Er- 
wachsenen sind  es  namentlich  die  substernalen  Kröpfe,  die  schon  früh  die  Luft- 
röhre, welche  hier  nicht  ausweichen  kann,  gegen  die  Wirbelsäule  abplatten 
können.  Auch  acute  Entzündungen  der  glandula  thyr.,  die  höchst  selten, 
besonders  aber  bei  Erwachsenen,  und  zwar  mehr  bei  Frauen  beobachtet 
werden,  können  zur  Compression  der  Luftröhre  führen. 

ß)  Aortenaneurysmen,  und  zwar  sind  es  besonders  die  von  der  Concavität 
und  dem  hinteren  Umfange  des  Aortenbogens  ausgehenden,  die  die  Luftröhren- 
wand nach  innen  vorwölben. 

7)  Lymphdrüsengeschwülste  des  Halses  (malignes  Lymphom)  und  ver- 
grösserte  Lymphdrüsen,  die  an  der  Bifurcation  der  Luftröhre  liegen. 

0)  Geschwülste  des  Oesophagus,  Mediastinums,  der  Thymusdrüse  (Jurasz, 
Fritz  König),  des  Brustbeines,  Schlüsselbeines  und  der  Wirbelsäule,  hoch- 
gradige Exsudate  im  Pericardium,  Dilatationen  des  linken  Vorhofs. 

s)  Entzündliche  Processe  am  Halse,  Phlegmonen,  Angina  Ludovici  u.  s.  w. 
Wie  die  Beobachtungen  von  Penzold  und  Weight  beweisen,  können  Stenosen 
der  Luftröhre  mit  oder  ohne  Erkrankung  der  Schleimhaut  dadurch  entstehen, 
dass  die  Trachealwand  durch  syphilitische  Affection  des  peritrachealen  Gewebes 
besonders  der  Drüsen  nach  innen  eingedrängt  wird. 

Die  intratrachealen  Stenosen  können  zu  Stande  kommen: 

a)  Durch  Narbenbildungen  der  Trachealschleimhaut.  Die  häufigste  Ur- 
sache derselben  sind  syphilitische  Ulcerationsprocesse.  Die  diff'use  gummöse 
Infiltration  führt  zu  grossen  Substanzverlusten  und  durch  Vernarbung  zu  den: 


TRACHEALSTENOSEN.  647 

verschiedenartigsten  Difforraitäten.  Es  bildet  sich  ein  Narbengewebe,  das 
Verengerungen  in  verschiedener  Kichtung  herbeiführt.  Macht  sich  die 
Stenose  horizontal  geltend,  so  wird  das  Caliber  der  Luftröhre  beengt.  Es 
entstehen  ringförmige  Stricturen  in  Form  von  diaphragmaartigen  Membranen. 
Die  Stenosen  sind  zuweilen  so  hochgradig,  dass  nur  ein  Bleistift  oder  P^eder- 
kiel  durchdringen  kann.  Sitzen  aber  die  Verengerungen  mehr  in  verticaler 
Richtung,  so  zeigen  sie  sich  als  Wülste  an  den  Wänden  der  Luftröhre.  Meist 
haben  die  syphilitischen  Stricturen  ihren  Sitz  im  oberen  Theil  der  Luftröhre 
oder  etwas  oberhalb  der  Bifurcation. 

Seltener  entstehen  die  Narben  nach  Geschwüren,  die  bei  Tuberculose, 
Diphtherie  oder  Typhus  sich  entwickeln.  Demakquay  beobachtete  einen  P'all, 
in  welchem  eine   Strictur  durch  ein  chronisches  Rotzgeschwür  entstanden  war. 

h)  Durch  Neubildungen  der  Trachea.  Die  primären  gehören  zu  den 
grössten  Seltenheiten.  In  der  Literatur  finden  sich  nur  wenige  Fälle  von  Adeno- 
men (Scheuer),  Enchondromen,  Osteomen,  Syphilomen  (Zeissl),  nur  einige 
Fälle  von  Carcinom  (Pick,  Oestreich)  und  von  Sarkom  (Angiosarkom  Jurasz). 
Cysten  können  sich  aus  den  Schleimdrüsen  entwickeln,  sitzen  meist  an  der 
hinteren  Wand  und  können  Haselnuss-  bis  Walnussgrösse  erreichen.  Noch 
am  häufigsten  kommen  Papillome  vor.  Häufiger  aber  kommen  secundäre 
Geschwülstbildungen  vor.  Maligne  Geschwülste  der  umgebenden  Organe  durch- 
brechen die  Trachealwand  und  wachsen  in  das  Lumen  der  Luftröhre  hinein, 
besonders  der  Krebs  der  Speiseröhre,  des  Kehlkopfes  und  der  Schilddrüse. 

Auch  gewöhnliche  Strumen  von  gutartiger  Beschaffenheit  können  zwischen 
Ringknorpel  und  dem  ersten  Trachealring,  zwischen  den  obersten  Tracheai- 
ringen durch  die  Interstitialmembranen  der  Luftröhre  selbst  in  die  Trachea 
hineinwuchern  und  eine  Stenose  herbeiführen.    (Ed.  Meyer,  Paltauf.) 

c)  Durch  entzündliche  Zustände  der  Luftröhre  selbst,  Diphtherie,  Croup, 
Erysipel,  Tracheitis  sicca,  Störk'sche  Blennorrhoe,  Nekrose  der  Knorpel,  durch 
ülcerationen  und  Granulationen.  Hierher  gehören  die  Granulationswucherungen, 
welche  sich  namentlich  bei  Kindern  entwickeln,  die  wegen  Diphtheritis  tra- 
cheotomirt  wurden  und  kürzere  oder  längere  Zeit  die  Canüle  tragen  mussten. 
Die  Granulome  wachsen  bald  vom  Rande  der  Tracheotomiewunde,  und  zwar 
gewöhnlich  vom  oberen  Winkel  derselben,  bald  von  der  Stelle,  wo  die 
Trachealcanüle  die  Schleimhaut  berührt,  hervor.  Dieselben  kommen  durchaus 
nicht  so  selten  zur  Beobachtung,  wie  man  früher  annahm.  Unter  200  tracheoto- 
mirten  Fällen  konnten  wir  fünfmal  derartige  Granulationsbildungen  beobachten. 
In  einem  Falle  war  die  Tracheotomie  wegen  einer  Kehlkopffractur  ausgeführt 
worden,  der  Kranke  war  genöthigt,  längere  Zeit  die  Canüle  zu  tragen.  In 
den  anderen  vier  Fällen  war  Diphtherie  des  Larynx  die  Ursache  des  Luft- 
röhrenschnittes. 

Die  Granulome  sind  von  verschiedener  Grösse  und  Consistenz,  Zuweilen 
sitzen  sie  pilzförmig  auf,  zuweilen  werden  sie  durch  den  mechanischen  Einfluss 
des  inspiratorischen  Luftstromes  ganz  langgestielt.  Durch  Hineinschleudern 
der  Geschwulst  zwischen  die  Stimmritze  kann  plötzliche  Erstickung  herbei- 
geführt werden.  Liegt  die  Canüle  und  hat  dieselbe  kein  Fenster,  in  welches 
eventuell  die  Granulome  aspirirt  werden  können,  so  ist  von  der  Anwesenheit 
der  Granulationen  nichts  zu  bemerken,  weil  dieselben  durch  die  Canüle  seitlich 
gehalten  werden.  Entfernt  man  aber  die  Canüle,  so  tritt  sofort  Athemstörung 
ein.  Jedoch  brauchen  nicht  immer  gleich  nach  dem  Decanülement  die  Stenosen- 
erscheinungen einzutreten,  sondern  es  kann  Anfangs  die  Athmung  ganz  geregelt 
sein,  bis  auf  einmal  die  heftigste  Athemnoth  eintritt.  Dies  kann  dadurch 
entstehen,  dass  die  kleinen  Granulome  plötzlich  durch  Füllung  der  Gefässe 
derartig  anschwellen,  dass  sie  das  ganze  Tracheallumen  ausfüllen.  Es  wird 
Asphyxie  erfolgen,  wenn  nicht  sofort  die  Canüle  wieder  eingeführt  wird. 


648  TRACHEALSTENOSEN. 

Wiewohl  die  Granulationsgeschwulst  zur  Zeit,  in  welcher  man  die 
Trachealcanüle  entfernen  will,  in  den  meisten  Fällen  bereits  entwickelt  ist 
und  ein  Hindernis  für  das  Decanülement  abgibt,  so  macht  man  doch  zuweilen 
die  Beobachtung,  dass  ihre  Entwicklung  zu  der  gefährlichen  Grösse  erst  dann 
erfolgt,  wenn  die  Canüle  schon  längst  entfernt  ist,  und  die  Trachealwunde 
sich  geschlossen  hat.  Dies  beobachteten  wir  auch  bei  einem  zehnjährigen 
Knaben,  bei  welchem  vier  Wochen  nach  der  wegen  Diphtherie  ausgeführten 
Tracheotomie  zur  Zeit,  wo  die  Trachealwunde  schon  bis  auf  eine  minimale 
Fistel  geschlossen  war,  plötzlich  die  heftigste  Athemnoth  eintrat.  Die  schnell 
vorgenommene  laryngoskopische  Untersuchung  ergab,  dass  circa  2  cm  unter- 
halb der  Stimmbänder  an  der  vorderen  Wand  der  Luftröhre  eine  grauröthliche 
Geschwulst  sass,  die  fast  das  ganze  Lumen  der  Trachea  ausfüllte.  Die  An- 
wendung der  0'  DwYER'schen  Intubation  beseitigte  sofort  die  Athemnoth. 

Ein  anderer  Grund  für  das  erschwerte  Decanülement  liegt  zuweilen  in 
der  zu  engen  Trachealwunde.  Ist  nämlich  der  Eröönungsschnitt  der  Luft- 
röhre zu  klein  angelegt,  so  entsteht  bei  der  gewaltsamen  Hineinschiebung  der 
Trachealcanüle  im  oberen  Wundwinkel  eine  Einbiegung  der  Luftröhrenränder 
nach  innen.  Wird  nun  die  Canüle  später  entfernt,  so  sieht  man  mit  Hilfe 
der  Tracheoskopie  zuw^eilen  den  Stimmbändern  parallel  verlaufende  dicke 
Leisten,  so  dass  man  glaubt,  eine  zweite  Glottis  zu  sehen. 

d)  Durch  Fremdkörper,  welche  in  verschiedenster  Art  in  der  Trachea 
gefunden  w^erden,  wie  Knochen,  Fleischstückchen,  Blutegel,  Canülenstücke, 
falsche  Zähne  u.  s.  w. 

e)  Durch  Hysterie.  Landgraf,  Ilberg,  Lublinski  haben  Trachealstenosen 
auf  hysterischer  Basis  beobachtet.  Die  Verengerung  des  Tracheallumens  entsteht 
durch  Zusammenziehung  der  in  der  hinteren  Trachealwand  gelegenen  dünnen 
Muskelzüge  und  lässt  sich  im  Hervortreten  wulstartiger  Schleimhautfalten  an  der 
hinteren  Wand  erkennen.  Einen  hierher  gehörigen  Fall  sahen  wir  vor 
Kurzem  in  unserer  Poliklinik  bei  einer  40jährigen  Frau,  w^o  die  Dyspnoe 
so  stark  war,  dass  man  daran  dachte,  die  Tracheotomie  zu  machen. 

Symptome.  Die  Erscheinungen,  die  die  Stenosen  der  Luftröhren 
verursachen,  beziehen  sich  zum  Theil  auf  die  Verengerung  selbst,  zum  Theil 
gehören  sie  der  Grundkrankheit  an,  die  die  Trachealstenose  veranlasste.  Unter 
den  subjectiven  Beschwerden  ist  die  Störung  der  Ptespiration  das  wichtigste 
Symptom.  Die  Intensität  der  Dyspnoe  schwankt  je  nach  dem  Grade  der  Ver- 
engerung. Hat  die  Stenose  nur  einen  geringen  Grad,  so  stellen  sich  die 
Athembeschwerden  nur  bei  grösseren  Körperanstrengungen  ein,  wie  Treppen- 
steigen u.  s.  w.j  und  sind  sonst  gar  nicht  vorhanden.  In  ganz  schlimmen 
Fällen  können  die  heftigsten  und  gefahrdrohendsten  Erstickungsanfälle  auf- 
treten. Zuweilen  kann  die  Stenose  ziemlich  hochgradig  sein,  ohne  Störungen 
der  Respiration  hervorzurufen.  In  vielen  Fällen  tritt  der  stenotische  Anfall 
ohne  alle  Vorläufer  ganz  acut  auf  und  überrascht  den  Kranken  und  den  Arzt. 
In  anderen  Fällen  haben  schon  geringe  Athemstörungen  bestanden,  die  sich 
ganz  allmählich  zu  der  gefährlichen  Höhe  des  Luftmangels  steigern.  Ein- 
tretende Katarrhe  mit  Schwellung  der  Mucosa  werden  natürlich  eine  Ver- 
schlimmerung der  Respirationsstörung  herbeiführen.  Bekannt  ist  der  Kropftod, 
worunter  die  Form  der  Athemnoth  zu  verstehen  ist,  welche  ganz  unerwartet,  oft 
mitten  im  Schlaf  den  Patienten  überfällt  und  dem  Leben  ein  jähes  Ende  bereitet. 
Krönlein  ist  der  Ansicht,  dass  diese  acuten  Erstickungsanfälle  nicht 
eine  durch  den  Kropf  bedingte  Innervationsstörung  der  Glottismuskeln 
sind,  sondern  dass  der  zur  Erstickung  führende  Luftabschluss  bedingt  ist 
durch  den  directen  Druck  des  Kropfes  gegen  die  nachgiebige  weiche  Trachea . 
Die  plötzliche  Steigerung  des  Kropfdruckes  werde  verursacht,  abgesehen  von 
plötzlicher  Druckzunahme  durch  Hämorrhagieen  im  Kropf,  in  der  überwiegenden 
Mehrzahl  durch  plötzlich  forcirte  Athemmechanik  (in  Folge  Schleimansammlung 


TRACHEALSTENOSEN.  649 

in  der  Luftröhre  u.  s.  w.),  woran  namentlich  die  bei  Kropfleidenden  gewöhnlich 
bedeutend  hypertrophischen  musc.  sternohyoid.  und  -thyroid.  theilnehraen. 
Diese  Muskeln  drücken  dabei  die  von  ihnen  überbrückte  Kropfgeschwulst 
fest  gegen  die  Luftröhre,  so  dass  deren  Lumen  verlegt  wird. 

Die  Dyspnoe  ist  stets  eine  gemischte,  sie  bezieht  sich  sowohl  auf  die 
In-,  wie  die  Exspiration.  Die  Inspiration  ist  aber  meist  mehr  behindert,  ver- 
längert und  von  einem  weithin  hörbaren,  laut  tönenden  jjfeifenden,  keuchen- 
den Geräusche  begleitet,  was  namentlich  bei  den  Kropfstenosen  der  P'all  ist. 
Die  auf  die  Luftröhre  aufgelegten  Fingerspitzen  fühlen  deutlich  das  Schwirren 
beim  Durchtreten  des  Luftstromes  durch  die  verengte  Stelle,  sobald  die  Stenose 
genügend  hoch  in  der  Luftröhre  sitzt. 

Auf  ein  sehr  wichtiges  Zeichen  machte  Gerhaiidt  aufmerksam,  wonach 
bei  Trachealstenosen  der  Kehlkopf  beim  Athraen  gar  nicht  oder  sehr  wenig 
auf-  und  abwärts  steigt,  während  derselbe  bei  Larynxstenosen  sehr  starke 
respiratorische  Excursionen  macht.  (Ausgenommen  Strumen,  welche  mit  der 
Trachea  fest  verwachsen  sind.)  Während  bei  Larynxstenosen  der  Kopf 
meist  nach  rückwärts  geneigt  ist,  strecken  bei  der  reinen  Trachealstenose  die 
Patienten  den  Kopf  nach  vorn  und  senken  das  Kinn.  Bei  der  Auscultation 
hört  man  den  Stridor  am  deutlichsten  hinten  zwischen  den  Schulterblättern 
über  den  Dornfortsätzen  der  oberen  Rückenwirbeln,  während  bei  Larynx- 
stenosen das  an  der  verengten  Stelle  entstandene  Geräusch  am  besten  über 
den  mittleren  Halswirbeln  zu  hören  ist.  Bei  sehr  hochgradigen  Stricturen  ist 
das  vesiculäre  Athmungsgeräusch  bedeutend  abgeschwächt  oder  überhaupt 
nicht  zu  hören  und  wird  durch  das  keuchende  Athmungsgeräusch  vollkommen 
Itbertönt. 

Die  Stimme  ist,  solange  der  Kehlkopf  selbst  nicht  afficirt  ist,  natürlich 
unverändert,  sie  bekommt  aber  einen  eigenthümlich  matten  Klang.  Häufig 
stellen  sich  im  Verlauf  der  extratrachealen  Stenosen  Stimmbandlähmungen  ein, 
herbeigeführt  meist  durch  den  Druck  der  Geschwulst  auf  den  musc.  recurrens. 

Sehr  wichtig  ist  die  Untersuchung  mittelst  des  Kehlkopfspiegels.  Erst 
hierdurch  können  wir  meist  den  genauen  Sitz,  die  Natur  des  Hindernisses  und 
den  Grad  der  Stenose  feststellen.  Ist  schon  der  Luftröhrenschnitt  gemacht, 
so  untersuche  man  die  Luftröhre  durch  die  Trachealfistel  mittelst  ganz  kleiner 
Spiegel. 

Ganz  erstaunlich  ist  zuweilen  die  Toleranz  der  Luftröhre  gegen  einge- 
drungene Fremdkörper.  So  berichtet  Moriz  Schmidt  von  einem  Patienten, 
der  angab,  19  Monate  vorher  einen  Knochen  verschluckt  zu  haben,  sich  aber 
sonst  so  wohl  fühlte,  dass  er  die  ganze  Zeit  über  ein  thätiges  Mitglied  eines 
Gesangvereines  gewesen  sei.  Er  fand  bei  ihm  einen  in  sagittaler  Richtung 
etwa  in  der  Mitte  der  Luftröhre  festsitzenden  Knochen,  an  seinem  vorderen 
und  hinteren  Ende  auf  der  Schleimhaut  reichliche  Granulationen,  welch 
letztere  nun  erst  das  Lumen  der  Luftröhre  stenosirt  zu  haben  schienen. 
Meist  ist  jedoch  die  Gefahr  bei  eingedrungenen  Fremdkörpern  eine  so  grosse, 
dass  die  laryngoskopische  Untersuchung  unterbleiben  und  sofort  ein  operativer 
Eingriff  gemacht  werden  muss.  Wenn  der  Fremdkörper  lose  in  der  Trachea 
sitzt,  so  wird  er  mit  einem  eigenthümlichen  Geräusch  gegen  die  Stimmbänder 
geschleudert. 

Der  weitere  Verlauf  bei  den  Trachealstenosen  wird,  sobald  der  Tod 
nicht  plötzlich  durch  Asphyxie  bedingt  wird,  von  der  eigentlichen  LTsache 
der  Stenose,  von  dem  Charakter  der  Grundkrankheit  abhängen. 

Diagnose.  In  einzelnen  Fällen  wird  man  schon  aus  den  äusseren 
Erscheinungen  zur  Diagnose  einer  Trachealstenose  kommen,  ohne  dass  die 
Spiegeluntersuchung  etwas  Positives  ergibt.  Dabei  ist  auch  die  Stimme  von 
grosser  Wichtigkeit.  Bei  der  reinen  Trachealstenose  ist  natürlich  keine 
Stimmstörung  vorhanden. 


650  TRACHEALSTENOSEN. 

Durch  sorgfältige  Untersuchung  der  Mund-,  Rachen-  und  Kehlkopfhöhle 
muss  eine  Verengerung  dieser  Organe  ausgeschlossen  werden.  In  vielen  Fällen 
wird  es  gelingen,  die  Trachealstenose  zu  sehen.  Wird  die  Stenose  durch  Com- 
pression  von  Nachbarorganen  hervorgebracht,  so  sieht  man  bei  der  Tracheo- 
skopie  mehr  runde  und  gewölbt  aussehende  Vorbuckelungen  der  Tracheal- 
wand,  während  man  die  Narben  an  ihrem  scharfen  weissen  Rande  erkennt. 
Ungemein  schwierig  ist  die  Diagnose  bei  multiplen  Verengerungen  der  Luft- 
röhre. Hier  kann  die  obere  Strictur  die  untere  vollkommen  verdecken.  Gerade 
die  syphilitischen  Stenosen,  die  meist  sehr  tief  liegen,  sind  schwer  zu  sehen. 
Sehr  empfehlenswerth  ist,  um  die  Luftröhre  ganz  überblicken  zu  können,  die 
Untersuchung  mittelst  KiLLiAN'scher  Methode. 

Zuweilen  bekommt  man  bei  der  laryngoskopischen  Untersuchung  zuerst 
den  Eindruck,  dass  eine  Trachealstenose  vorliegt.  Eine  genaue  Untersuchung 
aber  ergibt,  dass  es  sich  um  keine  Stenose  handelt,  sondern  um  eine  Achsen- 
drehung der  Luftröhre,  die  wahrscheinlich  angeboren  oder  sonstwie  erworben 
ist,  die  aber  keine  Symptome  macht.  (B.  Fränkel.) 

Ist  die  Stenose  diagnosticirt,  so  wird  in  vielen  Fällen  schon  die  Kranken- 
geschichte Aufschluss  über  die  eigentliche  Ursache  ergeben.  Bei  den  Com- 
pressionsstenosen  werden  wir  häufig  den  Tumor  sofort  wahrnehmen,  der  den 
Druck  auf  die  Luftröhre  ausübt.  Zu  bemerken  ist,  dass,  selbst  wenn  der  Tumor 
äusserlich  sehr  klein  erscheint  (Struma),  doch  eine  bedeutende  Fortsetzung 
desselben  bestehen  kann,  die  hinter  das  Sternum  herabzieht  und  sich  durch 
Percussion  erkennen  lässt.  Für  die  Differentialdiagnose  zwischen  Aorten- 
aneurysma mit  Geschwulst  des  Mediastiums,  sowie  auch  bei  Anwesenheit  von 
Fremdkörpern  wird  man  mit  grossem  Vortheil  die  Röntgenstrahlen  anwenden 
können.  (Siehe  Artikel  „Böntgenuntersuchimg  in  der  Rhino-Laryngolie'-^ .) 

Wird  ein  Kind  von  plötzlicher  Dyspnoe  befallen  ohne  nachweisbare  Ur- 
sache und  ohne  erkennbare  physikalische  Veränderung,  so  muss  man  stets 
in  erster  Linie  an  einen  Fremdkörper  denken.  Falls  dieser  ausgeschlossen 
werden  kann,  so  muss  man  bei  Kindern  eventuell  an  eine  Compression  der 
Trachea  durch  eine  oberhalb  der  Bifurcation  liegende  geschwollene,  verkäste 
Bronchialdrüse  denken. 

In  einzelnen  Fällen  wird  erst  die  Stenose  erkannt  werden,  wenn  dieselbe 
so  heftige  Athemnot  hervorgebracht  hat,  dass  der  Luftröhrenschnitt  gemacht 
werden  muss. 

Die  Diagnose  des  Grundleidens  wird  ausschlaggebend  sein  für  den  Er- 
folg des  chirurgischen  Eingriffes  sowie  für  die  Prognose  überhaupt. 

Die  Therapie  der  Trachealstenosen  hat  in  erster  Linie  die  eigent- 
liche Ursache  zu  beseitigen.  In  dem  einen  Falle  wird  eine  Struma  entfernt 
werden  müssen,  in  einem  anderen  Falle  die  Entfernung  einer  Neubildung 
der  Luftröhre  zu  erzielen  sein,  in  einem  anderen  Falle  schliesslich,  wo  wirk- 
liche Ulcerationen  oder  gummöse  Neubildungen  vorhanden  sind,  wird  man 
eine  antisyphilitische  Behandlung  vorzunehmen  haben.  Sind  aber  schon  voll- 
kommen narbige  Stenosen  eingetreten,  so  kann  nur  ein  chirurgischer  Eingriff 
eine  Beseitigung  derselben  herbeiführen.  Sitzen  die  Narben  sehr  hoch,  so 
dilatire  man  mittelst  der  O'DwYER'schen  Intubation  dieselben.  Die  Intu- 
bation leistete  uns  —  ausser  zwei  Fällen  von  syphilitischer  Trachealstenose  — 
auch  gute  Dienste  bei  den  nach  der  Tracheotomie  auftretenden  Granulations- 
geschwülsten. Haben  die  Granulome  eine  bedeutende  Grösse,  und  ist  die 
Tracheotomiewunde  noch  nicht  zugeheilt,  so  kann  man  von  der  Wunde  aus 
die  Wucherungen  mit  Argentum  nitricum  ätzen,  oder  bei  hängendem  Kopfe 
mit  dem  scharfen  Löffel  auskratzen  oder  auf  galvanokaustischem  Wege  ent- 
fernen. 

Sitzen  die  Narben  sehr  tief,  so  mache  man  den  Luftröhrenschnitt  und 
versuche  von  der  Tracheotomiewunde   aus   die  Stenose  mittelst   Hartgummi- 


TROMMELFELLERSATZ. 


651 


röhren  oder  Zinnbolzen  zu  dilatiren.  Piniaczek  verwendet  zur  Dilatation 
abgeschnittene  Oesophagus-  oder  Urethralkatheterstücke  je  nach  dem  Alter 
des  Patienten. 

In  den  meisten  Fällen  wird  bei  ausgesprochenen  Stenosenerscheinungen 
als  indicatio  vitalis  die  Tracheotomie  ausgeführt  werden  müssen.  Dieselbe 
muss  so  tief  als  möglich  gemacht  werden,  damit  die  Verengerung  noch  ober- 
halb der  Trachealöffnung  zu  liegen  kommt,  oder  falls  die  »Stenose  tiefer  liegt, 
damit  die  Trachealcanüle  wirklich  das  Athmungs- 
hindernis  umgeht.  Für  die  Fälle,  in  welchen  die 
Strictur  in  der  Luftröhre  so  tief  liegt,  dass  eine  ge- 
wöhnliche Trachealcanüle  über  die  verengte  Stelle 
gar  nicht  hinabreicht,  empfahl  König  eine  Canüle 
(Fig.  1),  die  aus  einem  circa  8  cm  langen  Mittelstück  h. 
besteht,  das  sehr  biegsam  und  analog  angefertigt  ist 
wie  die  elastischen  Pfeifenschläuche  durch  schrauben- 
förmiges Aufwinden  eines  derben  Silberdrahtes.  An 
dem  einen  Ende  ist  der  der  gewöhnlichen  Canüle 
entsprechende  Theil  a,  während  das  andere  Endstück 
c  ein  katheterknopfförmiges  Ende  besitzt.  Man  beginne 
nicht  sofort  mit  der  Erweiterung  der  Stenose, 
sondern  warte  erst  einige  Wochen,  bis  der  meist 
durch  die  lange  Dauer  der  Ptespirationsstörungen 
erschöpfte  Patient  sich  wieder  etwas  erholt  hat.  Dass 
es  möglich  ist,  auch  bei  ganz  tief  liegenden  Stric- 
turen  einen  Erfolg  zu  erzielen,  beweist  der  Fall  von 
Landgraf,  in  dem  es  sogar  gelang,  eine  Stenose  des 
Bronchus  durch  das  Einführen  seitlich  abgekrümmter 
Bougies  für  längere  Zeit  zu  dilatiren. 

Die  sogenannten  Compressionsstenosen  sind 
natürlich  für  das  Dilatationsverfahren  nicht  geeignet. 
Hier  kann  nur  der  Luftröhrenschnitt  gegen  die  asphyktischen  Erscheinungen 
angewandt  werden.  Immerhin  wird  es  auch  hier  Fälle  geben,  in  denen  die 
Compression  so  stark  ist,  dass  auch  durch  Einführung  der  KöNiG'schen 
Canüle  dieselbe  sich  nicht  beseitigen  lässt. 

Ist  die  Trachealstenose  durch  einen  Fremdkörper  bedingt,  so  versuche 
man  erst  auf  endolaryugealem  Wege  denselben  zu  entfernen.  Gelingt  es 
nicht,  oder  ist  höchste  Erstickungsgefahr  im  Verzuge,  so  führe  man  schleunigst 
die  Tracheotomie  aus.  Hierbei  werden  sofort  lose  Körper  spontan  heraus- 
geschleudert. Sitzen  dieselben  fest,  so  kann  man  sie  vorsichtig  mit  einer 
gebogenen  Zange  fassen.  max  scheier. 

Trommelfellersatz,  im  Gefolge  der  eitrigen  Entzündungen  des  Mittel- 
ohres, der  acuten,  wie  insbesondere  der  chronischen,  entstehen  am  Trommel- 
fell Lücken  von  der  Kleinheit,  dass  man  sie  nur  mit  Mühe  nachweisen  kann,  bis 
zu  dem  Umfang,  dass  sie  fast  die  ganze  Fläche  der  Membran  einnehmen.  Bei 
rechtzeitiger  und  sachgemässer  Behandlung  ist  es  Regel,  dass  die  acuten  uncom- 
plicirten  Formen  der  eitrigen  Mittelohrentzündung  mit  Verschluss  der  Trommel- 
felllücke und  Wiederkehr  der  alten  Hörschärfe  ausheilen.  Nur  bei  den  Fällen, 
deren  Behandlung  in  den  ersten  Wochen  vernachlässigt  wurde,  oder  bei  schwe- 
reren Infectionskrankheiten,  oder  bei  marastischen  Individuen  werden  die  Lücken 
im  Trommelfell  grösser,  Stecknadelkopf-,  hanfkorn-  und  linsengross,  verkleinern 
sich  nach  dem  Ablaufen  der  Entzündung  nur  wenig  oder  gar  nicht  und  persi- 
stiren  dann  fürs  ganze  Leben.  Noch  grösser  werden  die  Löcher  bei  den  chro- 
nischen Mittelohreiterungen,  auf  deren  Conto  die  meisten  und  umfangreichsten 
persistirenden  Lücken  zu  schreiben  sind. 


Fig.  1.     Canüle  nach 


652  TROMMELFELLERSATZ. 

Die  Durchlöcherung  des  Trommelfelles  allein  setzt  nun  die  Hörweite  in 
verschiedenem  Maasse  herab,  je  nach  dem  Sitz  und  der  Grösse  der  Lücke. 
Je  grösser  diese  wurde,  desto  auffallender  ist  gewöhnlich  die  Hörstörung,  und 
wenngleich  die  freie  Schwingbarkeit  des  Steigbügels  bei  intactem  schallempfin- 
denden Apparat,  auch  bei  vollständiger  Zerstörung  des  Trommelfelles,  ja 
sogar  bei  Fehlen  des  Hammers  und  Ambosses,  noch  ein  Hörvermögen  für  die 
Flüstersprache  von  10  m  ermöglicht,  so  gehen  doch  viele  Details,  die  von 
einem  unversehrten  Organ  leicht  wahrgenommen  werden,  ganz  verloren,  wenn 
auch  nur  kleine  Continuitätsstörungen  die  Membran  betroffen  haben.  Bei 
grösseren  Lücken  ist  der  Hördefect  schon  recht  störend,  und  wenn  noch  andere 
Schalleitungshindernisse  im  Bereich  des  Paukenhöhlenapparates,  Verkalkungen, 
Verwachsungen,  Bindegewebsverdickungen  oder  Continuitätsstörungen  an  der 
Kette  der  Gehörknöchelchen  zurückgeblieben  sind,  oder  gar  Erkrankungen  des 
nervösen  Apparates,  dann  sind  schwere  Defecte  an  der  Function  des  Ohres 
unausbleiblich. 

Sind,  die  Lücken  im  Trommelfell  noch  mit  Eiterung  aus  der  Pauken- 
höhle complicirt,  so  steht  die  Sorge  um  die  Beseitigung  der  Entzündung  im 
Vordergrunde;  in  der  Mehrzahl  dieser  Fälle  werden  die  hiezu  getroffenen 
Maassnahmen  auch  der  Besserung  des  Hörvermögens  dienen.  Hat  die  Eiterung 
sistirt,  dann  ist  es  unsere  wichtigste  Aufgabe,  das  Hörvermögen  so  weit  als 
nur  möglich  zu  heben. 

Solange  die  Lücken  klein  sind,  die  Schallleitung  durch  eine  intacte 
Gehörknöchelchenkette  möglich  ist,  besitzen  wir  in  der  Luftdouche  mit  dem 
PoLiTZER'schen  Verfahren  oder  durch  den  Katheter,  dann  in  der  vom  Gehör- 
gang aus  geübten  Luftverdünnung  und  Luftverdichtung  treffliche  Methoden, 
um  die  Hörweite  zu  heben;  sowie  aber  die  Lücken  grösser  sind,  nimmt  die 
Wirkung  dieser  Behandlungsmethoden  ab;  die  in  die  Paukenhöhle  geblasene 
Luft  streicht  bei  der  Lücke  durch,  ohne  am  Trommelfell  Angriffspunkte  zu 
finden;  noch  weniger  Effect  bezüglich  der  Stellung  der  Gehörknöchelchen  wird 
der  Luftstrom  erzielen  können,  wenn  Verwachsungen  oder  Continuitäts- 
trennungen  derselben  bestehen,  wenn  z.  B.  der  lange  Ambossschenkel  zerstört 
ist,  wo  dann  die  Stellung  des  Trommelfelles  mit  dem  Hammer,  nicht  aber  die 
des  Steigbügels  beeinflusst  wird. 

In  allen  diesen  Fällen  werden  die  Methoden  heranzuziehen  sein,  welche 
den  Ersatz  der  fehlenden  Theile  bewerkstelligen  wollen,  theils  durch  die  An- 
regung des  dem  Trommelfell  eigenen  Regenerationstriebes,  theils  durch  künst- 
liche Prothesen. 

Als  der  idealste  Ersatz  zu  Grunde  gegangenen  Trommelfellgewebes  ist 
die  Neubildung  desselben  durch  Auswachsen  von  den  Rändern  des  Substanz- 
verlustes her  anzustreben.  Thatsächlich  erfolgt  dieser  Process  kraft  der  be- 
deutenden Regenerationsfähigkeit  der  Membran  ohne  weiteres  Hinzuthun  in 
unzähligen  Fällen  so  tadellos,  dass  auch  nicht  die  leiseste  Spur  auf  den  Sitz 
der  dagewesenen  Lücke  hindeutet  und  kein  Zweifel  darüber  bestehen  kann, 
dass  sich  hiebei  sämmtliche  Schichten  des  Trommelfelles  betheiligen. 

Die  künstliche  Anregung  dieser  Regenerationsfähigkeit  ist  auch  schon 
seit  der  Zeit,  wo  unsere  Disciplin  noch  in  den  Kinderschuhen  steckte,  viel- 
fach versucht  und  ebenso  oft  wieder  aufgegeben  worden,  aber  die  Ansichten 
der  erfahrensten  Ohrenärzte  über  die  Möglichkeit,  alte  Trommelfelllücken  zum 
Verschluss  zu  bringen,  lauteten  bis  in  die  letzte  Zeit  so  skeptisch,  dass  wir 
Jüngeren  wenig  Lust  hatten,  diese  mühevollen  zeitraubenden  Versuche  wieder 
aufzunehmen  und  den  Patienten  eine  längere,  mit  Schmerzen  verbundene  Be- 
handlung vorzuschlagen,  ohne  ihnen  viel  Aussicht  auf  Erfolg  verheissen  zu 
können. 

Am  günstigsten  äusserten  sich  noch  Gruber  und  Politzer  über  die  Chancen  solcher 
Versuche.     Politzer    erwähnt    als  einfachste  Methode,    um    das  Auswachsen    von  Narben- 


TROMMELFELLERSATZ.  653 

gewebe  anzuregen,  die  schon  von  Wildk  geübte  Auffrischung  der  Ränder  durch  leichte 
Touchirung  mit  einem  auf  die  Sondenspitze  aufgeschmolzenen  Lapiskügelchen.  Der  Epi- 
dermistiberzug  des  Perforationsrandes  wird  durch  die  Aetzung  zerstört  und  eine  Reaction 
hervorgerufen,  welche  nicht  selten  zur  Anlagerung  neuen  Gewebes  führt. 

Auf  diese  Weise  sah  Politzer  Lücken  von  3— 4:  mm  Durchmesser  auf  1mm  und 
darunter  sich  verkleinern.  In  einem  Falle  wurde  eine  linsengrosse  Oeffnung  bis  zur  Grösse 
eines  Nadelstiches  verengt,  ohne  dass  durch  fortgesetzte  Touchirung  der  vollständige  Ver- 
schluss herbeigeführt  werden  konnte. 

Bei  diesem  Verfahren,  sagt  Politzer,  entsteht  indes  öfter  eine  reactive  Entzündung 
am  Trommelfell,  welche  sich  auf  die  Schleimhaut  der  Paukenhöhle  fortpflanzt  und  die 
Rückkehr  längst  abgelaufener  Mittelohrentzündungen  veranlasst. 

„Gelingt  es  in  solchen  Fällen,  die  Secretion  wieder  zu  beseitigen,  so  findet  man  die 
Oeffnung  in  Folge  der  neuen  Eiterung  meist  noch  grösser  als  vorher." 

Sehr  eingehend  hat  sich  Gruber  mit  diesem  Capitel  beschäftigt.  Er  schlägt  vor,  den 
Perforationsrand  zu  ätzen,  oder  auch  nur  anzufrischen,  wozu  ihm  namentlich  die  aus 
englischem  Pflaster  angefertigten  künstlichen  Trommelfelle  dienen,  welche  er  für  24  Stunden 
oder  länger  aufklebt;  es  entstehe  hiedurch  eine  Hyperämie,  welche  sich  leicht  zur  Ent- 
zündung steigert,  der  Perforationsrand  stösst  die  Epidermis  ab  und  eine  derartige,  künst- 
lich herbeigeführte  Entzündung  könne  schliesslich  mit  Heilung  der  Perforation  enden. 

Zu  dem  gleichen  Zwecke  verwendete  Gruber  sein  Leinentrommelfell,  mit  Kali-, 
Natron-  oder  Höllensteinsalbe  bestrichen. 

Bei  kleineren  Substanzverlusten  hatte  Gruber  mitunter  Erfolg,  wenn  er  zahlreiche 
kleine  Schnitte  in  der  Länge  von  ^j^mm  ganz  nahe  nebeneinander  senkrecht  auf  den 
Lückenrand  führte.  Bei  sehr  grossen  oder  ungünstig  situirten  Substanzverlusten  lässt  das 
Verfahren  meist  im  Stich;  es  erfolgt  keine  Gewebsneubildung  darnach.  —  Auch  die  Ab- 
tragung des  den  Substanzverlust  zunächst  begrenzenden  Trommelfellgewebes  in  der  Breite 
von  ^l^mm  hat  Gruber  theils  mit  schneidenden  Instrumenten,  theils  mit  dem  galvano- 
kaustischen Brenner  versucht  und  mitunter  einen  befriedigenden  Erfolg  erzielt;  dabei  ver- 
schweigt aber  Gruber  nicht,  dass  der  Wiederersatz  eines  grösseren  Substanzverlustes  im 
Trommelfell  durch  eine  membranöse  Narbe  nur  sehr  schwer  erreicht  werden  kann,  und 
empfiehlt  den  Ohrenärzten,  diesen  Umstand  im  Auge  zu  behalten,  um  nicht  nach  langen 
Mühen  und  vielfachen  —  durch  schmerzhafte  Eingriffe  verursachten  —  Leiden  des  Kranken 
schliesslich  bedauern  zu  müssen,  eine  solche  Behandlung  unternommen  zu  haben;  er  hält 
es  für  rathsam,  vor  Allem  die  Anwendung  des  künstlichen  Trommelfells  zu  versuchen. 

Viel  absprechender  ist  das  Urtheil  Schwartze's:  Nach  ihm  bleibt  das  Aetzen  der 
Ränder  mit  Lapis  gewöhnlich  erfolglos  und  hält  er  es  oft  für  schädlich,  weil  sich  nach 
Ablauf  der  entzündlichen  Reaction  und  Eiterung  der  Defect  oft  vergrössert  zeigt. 

Wie  Politzer  sah  auch  er  keinen  Erfolg  von  den  multiplen  Scarificationen  der  Per- 
forationsränder. 

Mehr  Aussicht,  wenn  der  Defect  nicht  zu  gross  ist,  sieht  Schwartze  in  der  Aetzung 
mit  dem  Galvanokauter,  oder  in  der  Abtragung  der  callösen  oder  verkalkten  Ränder  mit 
dem  Messer. 

Doch  gibt  auch  er  zu  bedenken,  dass  durch  derartige  Eingriffe  die  vielleicht  mit 
vieler  Mühe  geheilte  Eiterung  wieder  hervorgerufen  wird,  dieselben  daher  nur  bei  der 
Möglichkeit  einer  längeren,  sorgsamen  Nachbehandlung  zulässig  sind. 

1895  th eilte  nun  Dr.  Okuneff  in  Petersburg  mit,  dass  er  eine  Anzalil 
chronischer  eitriger  Mittelohrenentzündungen  mit  Trichloressigsäure 
behandelt  und  durch  consequent  durchgeführte  Curen  mit  Aetzungen  der  Per- 
forationsränder sehr  häufig  die  Vernarbung  alter  Lücken  erreicht  habe. 

Die  Richtigkeit  dieser  überraschenden  Mittheilung  konnte  ich  auf  Grund 
meiner  Versuche  vollinhaltlich  bestätigen,  und  seither  wird  die  Zuverlässig- 
keit der  Methode  allgemein  anerkannt. 

Die  Anwendung  der  Trichloressigsäure  im  Mittelohr  ist  eine 
sehr  einfache,  und  wenngleich  ziemlich  schmerzhaft,  so  doch  vollkommen 
ungefährlich. 

Die  Bepinselung  mit  10 — 207oiger  Cocainlösung,  oder  noch  besser  das 
Andrücken  eines  mit  dieser  Lösung  getränkten  Wattebäuschchens,  worauf 
nach  5,  besser  nach  10  Minuten  geätzt  werden  kann,  setzt  die  Schmerzhaftig- 
keit  des  Verfahrens  sehr  herab,  ohne  sie  aber  immer  ganz  aufzuheben. 

Die  Application  der  Säure  geschieht  am  einfachsten  in  der  Art,  dass 
man  das  Ende  einer  dünnen  Sonde  mit  einigen  Wattefäden  umwickelt  und 
diese  mit  der  zerflossenen  Säure  tränkt;  mit  diesem  Sondenende  bestreicht 
man  den  vorher  durch  Reinigung  des  Ohres  und  gute  Beleuchtung  deutlich 
eingestellten  Perforationsrand. 


654  TßOMMELFELLERSATZ. 

Eine  Dachträgliche  Ausspülung  des  Gehörganges  mit  lauwarmer  physio- 
logischer Kochsalzlösung  ist  nur  bei  extremer  Schmerzhaftigkeit  nothwendig, 
eine  solche  dauert  übrigens  selten  länger  als  10  Minuten.  Nach  dem  Aetzen 
bedeckt  sich  der  Lückenrand  sowie  die  etwa  mitgetroffene  Schleimhaut  der 
Paukenhöhle  mit  einem  schneeweissen  Schorf.  Die  Reaction  ist  meistens  sehr 
gering;  nur  selten  tritt  Eiterung  ein,  die  übrigens  die  Vernarbung  zu  be- 
schleunigen scheint  und  immer  gutartigen  Charakters  ist;  sie  sistirt  nach 
wenigen  Ausspülungen  und  Borsäureeinblasungen.  Die  Verkleinerung  der 
Lücke  erfolgt  manchesmal  rapid,  besonders  in  den  Fällen,  wo  die  Aetzung 
von  stärkerer  Entzündung  gefolgt  ist,  häufiger  erst  nach  mehreren,  nach  fünf 
bis  zehn  in  wöchentlichen  Intervallen  vorgenommenen  Aetzungen. 

Oefters  bildet  sich  eine  concentrische  Kruste,  die  man  bei  den  Aetzungen 
nicht  abheben  darf;  sie  breitet  sich  immer  mehr  aus,  verschliesst  endlich  die 
Lücke  und  wenn  man  sie  dann  vorsichtig  entfernt,  ist  die  Perforation  ver- 
wachsen oder  sehr  verkleinert. 

Die  Aetzungen  sind  bei  allen  alten  Trommelfelllücken  indicirt,  da  weder 
Lage,  noch  Grösse  derselben,  ebensowenig  wie  das  Alter  der  Patienten  dem 
Erfolge  entgegenstehen.  Es  vernarben,  auch  bei  Personen  über  die  Fünfzig 
hinaus,  grosse  Lücken  oft  ziemlich  rasch,  während  manchmal  kleine  Löcher 
nicht  zum  Verschluss  zu  bringen  sind;  man  darf  auch  daher  dem  Patienten 
die  Vernarbung  nie  als  sicher  in  Aussicht  stellen.  Das  Auswachsen  des 
neuen  Gewebes  scheint  mir  besonders  von  der  oberen  Trommelfellhälfte  herab 
stattzufinden. 

Oefters  sieht  man  nach  einigen  Aetzungen  einen  Stillstand,  der  dann 
nach  einer  weiteren  Aetzung  in  ein  rapides  Tempo  der  Vernarbung  übergeht, 
besonders  wenn  mit  dem  Aetzmittel  gewechselt  wird.  Verf.  hat  schon  in 
seiner  ersten  Publication  über  dieses  Thema  der  Vermuthung  Ausdruck  ge- 
geben, dass  auch  andere  Aetzmittel  dem  gleichen  Zwecke  dienen  könnten,  und 
hat  den  Liquor  ferri  sesquichlorati  als  sehr  verwendbar  hiezu  befunden. 
Schwer  reagiren  verkalkte  Trommelfelle,  bei  atrophischen  muss  man  auf 
Vergrösserung  der  Lücke  durch  die  Aetzung  gefasst  sein,  doch  kann  selbst 
da  wieder  Verkleinerung  und  Vernarbung  erreicht  werden,  Verf.  ist  es  ge- 
lungen, die  Vernarbung  auch  bei  fast  vollständiger  Zerstörung  des  Trommel- 
felles zu  erreichen;  es  fällt  dabei  wenig  ins  Gewicht,  ob  der  Hammergrifi 
ganz  oder  nur  zum  Theil  erhalten  ist.  Interessant  ist  das  Aussehen  des 
Trommelfelles  nach  der  Vernarbung;  an  Stelle  der  Perforation  sieht  man 
meistens  eine  mehr  weniger  derbe,  graue,  getrübte  Membran,  welche  ohne 
deutliche  Grenze  in  das  übrige  Trommelfell  übergeht,  erst  nach  längerer  Zeit 
differenzirt  sich  das  bekannte  Bild  der  Narbe,  die  von  der  Umgebung  sich 
abgrenzt.  ■ 

Die  Dauer  der  Behandlung  ist  eine  ziemlich  lange,  da  die  Aetzungen 
nur  in  Intervallen  von  acht  Tagen  vorgenommen  werden  sollen;  öfters  dürften 
sie  kaum  gut  thun.  So  kann  es  bis  zur  Vernarbung  vier  Wochen  bis  einige 
Monate  dauern;  da  aber  die  Untersuchung  in  den  Intervallen  nur  selten  er- 
forderlich ist,  beansprucht  eine  solche  Behandlung  trotzdem  nur  eine  geringe 
Visitenanzahl. 

Wird  die  angestrebte  Vernarbung  erreicht,  was  sicher  in  mehr  als  der 
Hälfte  der  Fälle  möglich  ist,  dann  werden  die  Patienten  für  die  überstandenen 
Schmerzen  reichlich  durch  das  gebesserte  Gehör,  oft  durch  das  Sistiren  der 
subjectiven  Geräusche  entschädigt.  Geradezu  glänzende  Hörverbesserungen 
habe  ich  an  Fällen  erzielt,  wo  Adhäsionen  der  Perforationsränder  mit  der  inneren 
Paukenhöhlenwand  bestanden;  dieselben  wurden  mit  dem  Synechotom  frei 
gemacht,  erst  dann  wurde  geätzt,  und  bei  der  raschen  Verkleinerung  der  Lücke 
war  die  Wiederverwachsung  der  Synechien  leicht  zu  verhindern. 


TROMMELFELLERSATZ. 


655 


Geringeren  Werth  für  das  Hörvermögen  wird  der  Verschluss  der  Lücke  haben, 
wenn  die  Continuität  der  Kette  der  Gehörlinöchelchen  unterbrochen  ist;  doch 


Fig.  1. 


51  jähr.  Jt'rau,  eitörmige 
Oestruction  der  vorderen 
Trommelfellhälfte  mit 
Adhäsion  des  Hammers. 
Laute  Sprache  nur  beim 
Hineinschreien. Nach  Bil- 
dung einer  frei  beweg- 
lichen Narbe  Flüster- 
eprache  14  m. 


FiK 


26jähr.  Mädchen.  Per- 
foration nach  Otitis - 
media  supp.  chron.  Nar- 
biger Verschluss  nach  .5 
Aetzungen.  Hörverbes- 
serung von  15  auf  Zi  cm 
f.  d.  Uhr. 


29jähr.  Musiker,  grosse 
Perforation  nach  Ma- 
sern-Otitis.  Vernarbung 
nach  8  Aetzungen.  Hör- 
verbesserung von  a.  c. 
auf  3  cm  f.  d.  Uhr. 


Fig.  5. 


28jähr.  Mann  Perforation 
nach  Masern-Otitis.  Ver- 
narbung nach  9  Aetzun- 
gen. Hörverbesserung 
von  13  cm  auf  51  cm  f. 
d.  Uhr. 


Gjähr.  Knabe,  Destruc- 
tion  des  linken  Trommel- 
felles seit  dem  1  Lebens- 
jahre nach  Grippe- Otitis. 
Vollständ  ige  Vernarbung 
nach  7  Aetzungen  inner- 
halb 4  Monaten.  Hör- 
verbesserung von  2  cm 
auf  45  cm  f.  d.  Uhr. 


kann  die  Vernarbung  auch  in  solchen  Fällen  angestrebt  werden,  da  hiedurch 
das  Mittelohr  vor  Infectionen  und  dem  neuerlichen  Entstehen  von  Entzün- 
dungen bewahrt  wird  und  dieser  Abschluss  der  Paukenhöhle  gegen  äussere 
Schädlichkeiten  immerhin  eine  werthvolle  therapeutische  Leistung  darstellt. 
Unter  Umständen  kann  der  narbige  Verschluss  einer  grossen  Lücke,  auch 
beim  Fortbestehen  von  Adhaesionen,  dadurch  Vortheil  bringen,  dass  die  To- 
leranz gegen  künstliche  Trommelfelle  erhöht  wird. 

Weniger  Erfolge  können  der  sogenannten  Myringoplastik  nachgerühmt 
werden,  einer  Methode,  bei  welcher  lebendes  Gewebe  behufs  Anheilung  an 
den  Trommelfelldefect  gebracht  wird.  Berthold  empfahl,  nach  dem  Versiegen 
der  Eiterung  den  Perforationsrand  durch  Aufkleben  eines  Stückchens  Englisch- 
Pjflaster  und  späteres  (nach  drei  Tagen)  Herunterreissen  desselben  den  Per- 
forationsrand wund  zu  machen  und  darüber  ein  frisch  ausgeschnittenes  Stück 
Haut  vom  Oberarm  zu  adaptiren. 

Später  empfahl  er  statt  der  menschlichen  Dermis  die  Schalenhaut  vom 
frischgelegten  Hühnerei,  die,  wie  Haug  angab,  mit  der  Schalenseite  dem 
Trommelfell  aufgepflanzt  werden  muss,  wenn  Verwachsung  erzielt  werden  soll. 
Hier  macht  Beethold  den  Perforationsrand  durch  Abschaben  des  Epithels 
mittelst  eines  feinen  Messerchens  wund;  das  mit  der  Pincette  an  Ort  und 
Stelle  gebrachte  Eihautstück  kann  mit  Hilfe  der  Sonde  genau  über  die  Lücke 
geschoben  werden. 


656  TROMMELFELLEESATZ. 

Berthold  glaubt,  dass  die  Eihaut  als  Gruudmembran  für  die  in  sie 
einwandernden  Zellen  und  Blutgefässe  dient  und  vollständig  resorbirt  wird, 
nachdem  sie  diese  ihre  Schuldigkeit  gethan  hat. 

Da  Beethold  von  der  Eihaut  nur  bei  kleinen  und  mittelgrossen  Per- 
forationen Erfolg  sah,  empfahl  er  für  grössere  Lücken,  oder  für  solche  mit 
ungünstig  beschaffenen  Bändern  die  Transplantation  von  Haut  auf  die  granu- 
lirende  Schleimhaut  der  Paukenhöhle.  Dagegen  ist  jedoch  einzuwenden,  dass 
die  Implantation  von  Epidermis  in  die  Paukenhöhle,  wenn  sie  gelingt,  durch 
die  Gefahr  der  Cholesteatombildung  bedenklich  werden  könnte. 

Die  Methoden  von  Berthold  haben  übrigens,  wie  es  scheint,  wenig 
Anklang  bei  den  Ohrenärzten  gefunden,  und  es  ist  noch  immer  das  künst- 
liche Trommelfell  als  Mittel  zur  Hörverbesserung  bei  persistenten  Lücken 
favorisirt;  es  wird  die  Trichloressigsäurebehandlung  dazu  berufen  sein,  den 
Gebrauch  des  künstlichen  Trommelfelles  einzuschränken  und  für  die 
Fälle  aufzusparen,  bei  denen  es  das  souveräne  Mittel  zur  Hörverbesserung 
darstellt. 

Ursprünglich  als  Häutchen  gedacht,  welches  die  Trommelfelllücke  ver- 
schliessen  sollte,  hat  diese  Prothese  im  Laufe  der  Zeit  die  verschiedensten 
Formen  —  ganz  abgesehen  von  dem  immer  wechselnden  Materiale  —  ange- 
nommen. Plättchen,  Kügelchen,  stumpf  konische,  ja  flach  prismatische  Pro- 
thesen, theils  für  sich,  theils  in  Verbindung  mit  Röhrchen,  Drähten  und 
Zängelchen,  ferner  Aufschichtungen  dicklicher  Flüssigkeiten  sowie  pulver- 
förmiger  Medicamente  wurden  gewählt. 

Die  Idee,  Lücken  des  Trommelfelles  durch  Prothesen  zu  schliessen, 
datirt  schon  ins  17.  Jahrhundert  zurück,  wo  Banzer  dazu  ein  Eöhrchen  aus 
Elenklau  empfahl,  das  er  an  einem  Ende  mit  thierischer  Blase  überzog. 

1763  machte  Leschevin  den  gleichen  Vorschlag  und  im  Beginne  unseres 
Jahrhunderts  lenkte  Auteneieth  wieder  die  Aufmerksamkeit  auf  dieses 
Thema,  ohne  mit  seinem  künstlichen  Trommelfelle  etwas  Neuartiges  zu 
bieten.  Wenn  auch  Lincke,  der  die  Röhrchen  aus  dünnem  Silber  oder  Gold- 
blech herstellen  Hess,  angibt,  gute  Erfolge  davon  gesehen  zu  haben,  so  dürfte 
das  Tragen  dieser  Prothesen  im  Grossen  und  Ganzen  doch  recht  beschwerlich 
gewesen  sein. 

Ein  grosser  Fortschritt  war  zu  verzeichnen,  als  der  Londoner  Ohrenarzt 
James  Yeaesley  die  Einführung  einer  Wattekugel  bis  an  die  Trommelfell- 
lücke empfahl,  eine  Form  des  künstlichen  Trommelfelles,  die  noch  heute  zu 
den  wirkungsvollsten  gehört. 

Auf  diese  Idee  ward  Yearslet  durch  einen  Patienten  gebracht,  der  an 
beiden  Ohren  Zerstörungen  der  Trommelfelle  aufwies  und  sich  das  Gehör 
durch  einen  Papierpropf  bessern  konnte,  welchen  er  an  einem  Ende  mit 
Speichel  befeuchtete  und  in  den  Grund  des  äusseren  Gehörganges  einschob« 
Yearsley  ersetzte  das  Papier  durch  eine  befeuchtete  Wattekugel,  die  er  mit 
Hilfe  einer  Sonde,  oder  eines  Zängelchens  bis  an  das  Loch  im  Trommelfell 
brachte.  Es  ist  sehr  anziehend,  die  einfache  Schilderung  nachzulesen,  welche 
dieser  Autor  von  seinen  Erfolgen  bringt,  und  seine  Freude  zu  sehen,  einer 
ganzen  Reihe  von  Menschen  den  lang  entbehrten  Genuss  wieder  gegeben  zu 
haben,  in  Gesellschaft  verkehren  zu  können;  es  muss  ihm  auch  die  Mühe 
nachgerühmt  werden,  mit  der  er  seine  Patienten  in  der  Fertigkeit  unterwies, 
sich  das  Trommelfell  selbst  einzuführen. 

Vier  Jahre  später  empfahl  Toynbee  sein  künstliches  Trommelfell;  eine 
kreisrunde,  etwa  1  cm  Durchmesser  haltende  dünne  Scheibe  aus  vulkanisirtem 
Kautschuk,  im  Centrum  mittelst  zweier  feiner  Silberplättchen  von  2  mm  Durch- 
messer an  einem  etwa  3  cm  laogen  dünnen  Silberdraht  fest  genietet,  der  am 


TßOMMELFELLERSATZ. 


657 


Fig.  «. 


Fig.  c. 


Fig.  d. 


anderen  Ende  zu  einem  Ringe  gedreht  ist  (Fig.  a).  An  diesem  Ringe  wird  das 
Instrument  gefasst  und  in  den  Gehörgang  geschoben,  bis  es  die  Trommelfell- 
lücke verschliesst;  vorher  muss  der  breite  Rand  so  zugeschnitten  werden,  dass 
die  Membran  die  Gestalt  bekommt,  welche  im  Hinblick  auf  die  Grosse  der 
Trommelfelllücke  wünschenswerth  erscheint. 

Durch  die  handliche  Form  des  Instrumentes,  wie  durch  die 
Autorität  seines  Erfinders,  nicht  zum  Geringsten  durch  eine  grosse 
Zahl  schöner  Erfolge  fand  die  Entdeckung  rasch  allgemeine  Ver- 
breitung. 

Das  ToYNBEE'sche  Trommelfell  hatte  jedoch  einige  in  die 
Augen  springende  Nachtheile;  es  erregte  durch  die  Verbindung  mit 
dem  Stift  scharrende  Geräusche  beim  Sprechen  und  Kauen,  reizte 
durch  die  Niete  Trommelfell  und  Paukenwand,  musste  vorsichts- 
halber vor  der   Schlafenszeit    entfernt  werden  und  verdarb  rasch. 

Den  letzteren  Nachtheil  behob  theilweise  die  Verbesserung 
von   LocHNEE,   die  ersteren   versuchten    Lucae  und    Burckhard 
Merian  zu  beseitigen,   Ersterer,  indem   er   die  Gummiplatte   an 
einem    dünnen  Drain  befestigte,    wobei  die  Einführung   mit  Hilfe    Künstliches 
eines   abgerundeten    Metallstiftes    vorgenommen    wird,    Letzterer,  ^'^^"^^^^^^J^ 
indem  er   die  Membran  an  einem  soliden  Gummistreifen  anbrin-  ''°''   °^  ^®' 
gen  liess. 

Im  Hinblicke  darauf,  dass  Unbemittelten  die  öftere  Beschaffung  eines 
ToYNBEE'schen  Trommelfelles  des  hohen  Preises  wegen  unmöglich  ist,  con- 
struirte  Politzer  sein  Trommelfell  für  die  Armenpraxis,  bestehend  aus  einem 
prismatischen  Stückchen  eines  starken  Gummischlauches,  das  an  einem  Draht 
fixirt  ist  (Fig.  ö),  und  konnte  demselben  schöne  Erfolge  nachrühmen. 

Eine  Reihe  sehr  zweckmässiger 
Formen  des  künstlichen  Trommel-       Kg.  b. 
feiles  wurde   construirt,  als   man 
den  Draht  wegliess  und  die  Gummi- 
platte  an  einem  Faden  befestigte, 
Formen,  die  sich  ganz  besonders 
zur      Selbstbehandlung      eignen. 
Toynbee   hatte  bei  seinen  ersten 
Versuchen  die   Platte   an   einem 
dünnen    Draht    befestigt,    diesen 
durch  ein  enges  Röhrchen  gezogen 
und  damit   ans    Trommelfell   ge- 
bracht; beim  vorsichtigen  Heraus- 
ziehen dieses  Röhrchens  blieb  das 
künstliche    Trommelfell    in    der 
richtigen  Lage  zurück.  Hinton  (Fig.  c)  ersetzte 
den  Draht  durch   einen  Faden  und  führte  das 
Trommelfell   mit   Hilfe   eines   Röhrchens  oder 
eines  Leitungsstäbchens   ein,  das  von  Gruber 
in  sehr  zweckmässiger  Weise  modificirt  wurde 
(Fig.  d).   ^ 

Der  Faden  wird  durch  die  Oese  0  gezogen,  am 
Einge  R  fixirt,  bis  das  Trommelfell  richtig  sitzt;  dann 
lässt  man  den  Faden  bei  R  los  und  zieht  das  Stäbchen 
aus  dem  Gehörgang. 

Gruber  machte  es  ferner  dadurch,  dass  er  die  Gummischeibe  durch 
Leinwand  ersetzte,  möglich,  gleichzeitig  medicamentöse  Flüssigkeiten,  Salben  etc. 
an  die  krankhaft  veränderte  Schleimhaut  der  Paukenhöhle  zu  bringen;  ferner 
construirte  er  eine  sehr  handliche  Pincette  zum  Einführen  der  Faden- 
Trommelfelle  (Fig.  e). 

Ohren-,  Nasen-,  Eaclien-,  EehlkopQcrankheiten.  *- 


Politzer's    künstl. 

Trommelfell  f.  d. 

Armenpraxis. 


Hinton's 
Trommelfell- 
röhrchen. 


:l 


Grnber's 

lieitungsstäbchen 

f.  künstl. 

Trommelfelle. 


658 


TROMMELFELLERSATZ. 


Zängelchen 


Hassenstein. 


Zu  erwähnen  ist  noch  der  Apparat,  den  Gruber  seinen  Kranken  zur  Selbstbehand- 
Inno-  in  die  Hand  gibt.  Er  besteht  aus  einer  Hartgummikapsel,  die  das  Führungsstäbchen, 
Seide  und  Gummiplatten,  sowie  Nähnadeln  enthält;  am  Deckel  ist  ein  Locheisen  L  zum 
Ausstanzen  der  künstlichen  Trommelfelle  angebracht  (Fig.  /). 

Die  Platten  aus  Papier  (Blake),  Protective  Silk  (Czarda),  die  Gummi- 
platten  mit  Stalilrand  (Turnbull)  waren  wohl  recht  überflüssige  Erfindungen. 
Sehr  zweckmässig  im  Hinblick  auf  die  damals  bestandene  Anschauung, 
der  Druck  erzeuge  die  Hörverbesserung,   waren   die  Vorrichtungen,   um  das 

YEARSLEY'sche  Wattekügelchen 
Fig.  e.  Fig.  /.  Fig.  g.       leicht  ans  Trommelfell  bringen 

und  wieder  entfernen  zu  können. 
Hassenstein  construirte  dazu 
ein  sehr  zart  gebautes  -  Zän- 
gelchen (Fig.  g)  aus  Hörn  oder 
Edelmetall,  das  mit  Watte  ar- 
mirt  eingeführt  wurde,  um  im 
Gehörgange  liegen  zu  bleiben. 
Hartmann  empfahl  eine  mit 
Baumwolle  umwickelte  Schlinge, 
hergestellt  aus  einem  1  bis  2m')n 
breiten  papierdünnen,  Fischbein- 
stäbchen, Delstanche  einen 
weichen,  oben  umgebogenen 
und  mit  Watte  umsponnenen  Draht. 

Eine  originelle  Idee  hatte  Michael. 
Im  Hinblicke  auf  die  Hörverbesserung,  die 
bei  Perforationen  öfters  beobachtet  wird, 
wenn  ein  Tröpfchen  Wasser  beim  Aus- 
spritzen des  Ohres  zurück  bleibt,  goss  er 
tropfenweise  Glycerin  ins  Ohr,  bis  die 
weiteste  Hördistanz  erreicht  war;  dann 
träufelte  er  etwas  Collodium  nach  und 
liess  den  Patienten  eine  Viertelstunde 
ruhig  liegen.  Das  Collodium  bildete  jetzt 
ein  Häutchen,  das  vier  bis  acht  Tage  hielt;  so  lange  soll  auch  die  Hörver- 
besserung angehalten  haben.  Diese  Methode  ist  übrigens  von  keiner  Seite 
weiter  empfohlen  worden. 

Noch  hübscher  liest  sich  das  Verfahren  von  Guranowski,  der  mit  einer 
lO^/oigen  Photoxylinlösung  die  Ränder  der  Lücke  bestreicht,  wartet,  bis  der 
Anstrich  trocken  ist,  und  ihn  dann  wiederholt,  bis  die  Lücke  von  einer  Mem- 
bran verschlossen  ist.  Guranowski  fand,  dass  dieselbe  nicht  reizt,  fast  haftet 
und  Monate  lang  unverändert  und  resistent  bleibt. 

Im  Jahre  1884  machte  Kosegarten  Mittheilung  von  ganz  ausge- 
zeichneten Hörverbesserungen,  die  er  nach  dem  Aufblasen  von  Alaunpulver 
dann  erhielt,  wenn  das  Pulver  eine  Platte  bildete,  welche  die  Lücke  abschloss; 
thatsächlich  können  diese  seine  Angaben  vollinhaltlich  bestätigt  werden,  da  m  an 
bei  keinem  anderen  künstlichen  Trommelfelle  so  bedeutende 
Hörverbesserungen  zu  erzielen  und  auch  k einanderes  künst- 
liches Trommelfell  so  leicht  zu  adaptiren  vermag.  Nur  ver- 
wende ich  jetzt  mit  Vorliebe  dazu  die  Borsäure,  nachdem  ich  Jodoform, 
Jodol,  Dermatol  etc.  etc.  statt  des  Alauns  versucht  und  wieder  aufgegeben 
hatte. 

Das  Pulver  wird  nach  Einführung  eines  möglichst  weiten  Ohrtrichters, 
unter  Beleuchtung  des  Gesichtsfeldes  mit  dem  Stirnbindenreflector,  mittelst 
eines  GERsuNY'schen  Stäubers  so  aufgeblasen,  dass  die  Oberfläche  der  Pulver- 
schichte womöglich  in  eine  Flucht  mit  der  Oberfläche  des   Trommelfelles  zu 


Gruber' s 

Pinoette  zur 

Einführung 

künstlicher 

Trommelfelle. 


Gruber's  Apparat 

zur  Anfertigung 

künstlicher 

Trommelfelle. 

Bei  D  ist  der  Deckel 

umgekehrt  ein- 
geschraubt,   so    dass 
das  Locheisen  frei- 
steht. 


TROMMELFELLERSATZ.  •  659 

liegen  kömmt;  durch  Ausblasen  oder  Ausspritzen  kann  das  Pulver  jederzeit 
leicht  entfernt  werden. 

Auch  das  Marktschreierthum  hat  sich  der  Erfindung  des  künstlichen  Trommelfelles 
lt)emächtigt;  die  in  den  letzten  Jahren  mit  aufdringlicher  Reclame  angepriesene  „NicnoLSON'sche 
Öhrtrommel"  ist  ein  durch  Verdickung  und  Verkürzung  des  Leitungsdrahtes  sowie  An- 
fügung einer  zweiten  Gummiplatte  verschlechtertes  ToYNßEE'sches  Trommelfell.] 

Wie  wirkt  nun  das  künstliche  Trommelfell?  Yearsley,  der  dasselbe  in 
ausgedehntem  Maasse  verwendet  hat,  wagte  es  selbst  nach  siebenjähriger  Be- 
obachtung nicht,  eine  Erklärung  der  Wirkung  zu  versuchen.  Totnüee  fl.  c.) 
stellte  die  Theorie  auf,  dass  durch  den  Verschluss  der  Lücke  beim  Auflegen 
des  künstlichen  Trommelfelles  die  Resonanz  der  Paukenhöhle  wieder  her- 
gestellt werde.  Er  meinte,  dass  die  zum  Trommelfell  gelangenden  Schall- 
wellen nicht  nur  auf  dem  Wege  der  Gehörknöchelchen,  sondern  auch  durch 
directe  Uebertragung  auf  die  Luft  der  Trommelhöhle  und  von  da  auf  die 
Membran  des  runden  Fensters  zum  Labyrinthe  gelangen.  Bei  Perforationen 
könnten  viele  Schallwellen  in  den  Gehörgang  entweichen,  was  nach  dem  A''er- 
schluss  durch  das  künstliche  Trommelfell  verhütet  werde.  Es  hat  sich  aber 
gezeigt,  dass  die  Hörverbesserung  auch  erzielt  wurde,  wenn  die  Lücke  im 
Trommelfell  nicht  vollständig  verschlossen  war,  dass  also  eine  andere  Er- 
klärung gefunden  werden  müsse. 

Nun  kam  Erhard  mit  seiner  Drucktheorie.  Er  hatte  manchmal  Dis- 
locationen  der  Gehörknöchelchen  vorgefunden,  wo  intra  vitam  Schwerhörigkeit 
bestanden  hatte,  und  verfocht  die  Anschauung,  das  künstliche  Trommelfell 
wirke  einzig  und  allein  durch  Druck  auf  die  gelockerte  Kette  der  Gehör- 
knöchelchen, deren  einzelne  Theile  wieder  fester  an  einander  gepresst  würden; 
Politzer  und  Hassenstein  schlössen  sich  dieser  Meinung  auch  theilweise  an, 
Politzer  betonte  ferner,  dass  die  Besserung  beim  Anlegen  des  künstlichen 
Trommelfelles  auch  dadurch  entstehen  könne,  dass  die  durch  die  Perforation 
ausfallende  Trommelfellfläche  wiederersetzt  wird  und  so  wieder  mehr  Schall- 
wellen zugeführt  werden,  dann  dadurch,  dass  die  unregelmässigen  Schwin- 
gungsknoten, die  an  perforirten  Membranen  entstehen,  beseitigt  werden.  Frei- 
lich kann  man  diesen  letzteren  Grund  dort,  wo  Destruction  des  Trommel- 
felles bestand,  nicht  gut  ins  Treffen  führen.  Sehr  bemerkenswerth  ist  aber 
das  Argument  Politzer's,  das  auf  exactem  Experiment  beruht,  dass  das  künst- 
liche Trommelfell  von  Toynbee  als  schwingende  Platte  eine  erhebliche  Menge 
von  Vibrationen  auf  eines  der  Gehörknöchelchen  übertragen  und  so  die  Hör- 
verbesserung erzeugen  könne. 

Diesen  Theorien  fügte  noch  Lucae  auf  Grund  eines  Leichenexperimentes 
die  hinzu,  dass  es  die  Drucksteigerung  im  Labyrinthe  sei,  welche  beim  An- 
legen des  künstlichen  Trommelfelles  die  Hörverbesserung  bedinge;  eine  Theorie, 
der  auch  Moos  zustimmte. 

Damit  sollte  die  physiologische  Erklärung  für  Erhard's  Drucktheorie 
erbracht  sein;  aber  schon  Knapp  sprach  die  von  Politzer  mitgetheilte  und 
als  treffend  gekennzeichnete  Vermuthung  aus,  dass  durch  den  Druck  des 
künstlichen  Trommelfelles  auf  den  processus  brevis  die  nach  innen  gedrängte 
Kette  der  Gehörknöchelchen  in  eine  normalere  Stellung  gebracht  wird,  was 
der  Theorie  Lucae's  direct  widerspricht.  Dieselbe  ist  übrigens  auch  von 
anderer  autoritativer  Seite  (Politzer)  derzeit  noch  nicht  anerkannt. 

Wenn  wir  Anfangs  die  Indication  für  den  Gebi'auch  des  künstlichen 
Trommelfelles  in  weiterem  Sinne  besprachen,  so  können  wir  jetzt,  nach  Dar- 
legung des  Wesens  und  der  Wirkung  des  künstlichen  Trommelfelles,  auf  die 
speciellenlndicationen  seiner  Anwendung  eingehen.  Der  Enthusiasmus,  welcher 
jahrelang  die  Arbeiten  über  das  künstliche  Trommelfell  begleitete,  ist  längst 
verflogen  und  man  kann  ruhig  behaupten,  dass  das  künstliche  Trommelfell 
jetzt  nicht  mehr  in  dem  ausgedehnten  Maasse  verwendet  wird,  wie  in  den 
ersten  Jahrzehnten  nach  der  Popularisirung  durch  Yearslet. 

42* 


660  •  TROMMELFELLERSATZ. 

Sicher  spielt  hiebei  der  Umstand  eine  grosse  Rolle,  dass  in  den  letzten 
Jahren  die  Bedeutung  der  Ohrenkrankheiten  von  den  praktischen  Aerzten 
immer  mehr  gewürdigt  wurde  und  Dank  den  vervollkommten  Behandlungs- 
methoden der  acuten  Mittelohrentzündung  die  Zahl  der  Heilungen  ohne  per- 
manente Lückenbildung  immer  mehr  zunimmt.  Andererseits  hat  es  sich  auch 
hier  gezeigt,  wie  sehr  die  segensreichsten  Erfindungen  durch  die  Misserfolge 
bei  ungenügender  Indicationsstellung  an  Ansehen  verlieren  können.  Dies  wird 
begreiflicher,  wenn  man  erwägt,  dass  das  künstliche  Trommelfell  auch  schaden 
kann.  Ganz  abgesehen  von  lästigen  Geräuschen  oder  Schmerzen  kann  das 
künstliche  Trommelfell  oft  Wiederauftreten  der  schon  versiegten,  oder  aber 
Vermehrung  einer  noch  bestehenden  Eiterung  hervorrufen.  Es  muss  als 
Regel  aufgestellt  werden,  dass  kein  künstliches  Trommelfell 
von  der  Mucosa  tympani,  sofern  dieselbe  ihren  schleimhaut- 
artigen Charakter  bewahrt  hat,  auf  die  Dauer  vertragen  wird. 
Darin,  dass  dieser  Thatsache  bisher  zu  wenig  Beachtung  geschenkt  wurde, 
liegen  die  vielen  Misserfolge.  Bei  der  Ausheilung  der  mit  Perforation  einher- 
gehenden Mittelohreiterungen  verhält  sich  die  Auskleidung  der  Paukenhöhle 
in  zweifacher  Weise. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  bewahrt  dieselbe  ihren  Charakter  als  Schleim- 
haut; nach  dem  Versiegen  der  Eiterung  verliert  sich  die  Röthung  und 
Schwellung,  die  Mucosa  wird  blass  und  überzieht  als  ein  feucht  glänzender, 
zarter  und  durchsichtiger  Ueberzug  die  knöchernen  Wände  der  Paukenhöhle, 
deren  Contouren  unter  ihr  scharf  vortreten.  In  diesen  Fällen  wird  jedes 
künstliche  Trommelfell  die  Eiterung  wieder  anfachen,  sobald 
es  mit  der  Mucosa  in  Berührung  kommt.  Nur  dort,  wo  die  Perfora- 
tionsstelle so  weit  von  der  inneren  Paukenwand  absteht,  dass  das  künstliche 
Trommelfell  diese  nicht  berührt,  darf  ein  Versuch  damit  gemacht  werden. 
Andererseits  kann  die  Auskleidung  der  Paukenhöhle  ihren  Charakter  als 
Schleimhaut  verlieren,  wenn  sich  das  Epithel  der  Gehörgangs-  oder  Trommel- 
fell-Cutis  in  die  Paukenhöhle  hineinzieht,  ein  Ereignis,  das  besonders 
bei  den  Totalperforationen,  ferner  bei  den  Lücken  vorkommt,  welche 
bis  an  den  Rand  des  Trommelfelles  reichen.  Bei  diesen,  gar  nicht  seltenen 
Fällen  präsentirt  sich  die  Auskleidung  der  Paukenhöhle  nach  der  Heilung 
als  eine  derbere,  sehnig  graue,  trocken  glänzende  Membran,  die  meistens  die 
verschiedenen  Arten  der  künstlichen  Trommelfelle  vorzüglich  verträgt. 

Glücklicherweise  ist  nun  diese  Epidermisirung  der  Paukenschleimhaut 
ein  begleitendes  Symptom  gerade  dort,  wo  das  künstliche  Trommelfell  am 
ehesten  nothwendig  ist,  und  hiemit  gelangen  wir  zur  Bezeichnung  der  Fälle,  in 
denen  die  Anwendung  des  künstlichen  Trommelfelles  indicirt  ist. 

Schon  Moos  hat  darauf  hingewiesen,  dass  sich  der  Streit  über  die  Wirk- 
samkeit des  künstlichen  Trommelfelles  am  besten  an  solchen  Fällen  entscheiden 
lasse,  wo  der  grösste  Theil  des  Trommelfelles  zerstört  wurde  und  der  Steig- 
bügel isolirt  ist  und  wo,  wie  Helmholtz  bemerkte,  das  künstliche  Trommel- 
fell wie  ein  natürliches  wirke. 

Dann  theilte  Hinton  mit,  dass  Toynbee  den  meisten  Nutzen  der  künst- 
lichen Trommelfelle  dort  sah,  wo  Trennung  des  Steigbügels  vom  Amboss 
(Erhard  1.  c),  ferner  partieller  oder  totaler  Verlust  des  langen  Amboss- 
schenkels vorhanden  war,  und  Gruber  sah  besonders  günstige  Resultate  bei 
Lücken  im  hinteren  oberen  Quadranten. 

Die  Beobachtung  meiner  Fälle  lehrte  mich  nun,  dass  es  gerade  nur 
eine  bestimmte  Gruppe  von  Perforationen  ist,  bei  der  eclatante,  auffallende 
Wirkungen  vom  künstlichen  Trommelfell  erzielt  werden.  Ich  habe  gefunden, 
dass  bei  den  meisten  Perforationen,  welche  kleiner  sind  als  ein  Viertel  des 
Trommelfelles  —  und  es   ist   bei   diesen   die   Kette   der   Gehörknöchelchen 


TROMMELFELLERSATZ.  661 

meistens  intact  —  das  künstliche  Trommelfell  in  keiner  Form  wesentlichen 
Nutzen  für  das  Gehör  bringt. 

Dagegen  konnte  ich  mehrfach  bei  Patienten,  die  in  Folge  von  derartiger 
Durchlöcherung  des  Trommelfelles  übersubjective  Geräusche  und  Eingenommen- 
heit des  Kopfes  klagten,  die  Beschwerden  mit  einem  Schlage  beseitigen,  wenn 
ich  die  Lücke  mit  der  Wattekugel  oder  dem  Hühnereihäutchen  schloss. 

In  einer  Reihe  von  Fällen  der  erwähnten  Gruppe,  wo  die  Prothese 
nützt,  war  das  Trommelfell  bis  auf  einen  schmalen  Saum  an  der  Peripherie 
zerstört,  der  Hammergriff  aber  noch  zum  Theil  oder  vollständig  erhalten, 
und  dann  dem  Promontorium  adhärent.  In  einer  anderen,  grösseren  Picihe 
sass  die  Perforation  im  hinteren  oberen  Quadranten,  oder  nahm  die  ganze 
hintere  Hälfte  der  Membran  ein.  Fast  immer  waren  der  Hammergriff  und 
bei  den  Lücken  in  der  hinteren  Hälfte  auch  der  in  der  Fortsetzung  des 
Hammergriffes  liegende  vordere  Perforationsrand  der  inneren  Paukenhöhlen- 
wand adhärent;  in  allen  diesen  Fällen  war  die  Nische  zum  ovalen  Fenster 
frei  zugänglich.  Selten  hatte  die  Schleimhaut  der  Paukenhöhle  an  den  frei- 
liegenden Partien  ihren  Charakter  bewahrt,  war  blass,  zart  oder  geröthet 
und  gewulstet;  meist  war  sie  epidermisirt  oder  in  Narbengewebe  umgewandelt. 
Ferner  war  in  den  meisten  Fällen  der  lange  Ambossschenkel  zerstört,  dem- 
nach die  Schallübertragung  vom  Hammer  zum  Steigbügel  aufgehoben;  nur  in 
der  Minderzahl  der  Fälle  war  die  Gehörknöchelchen-Kette  complet.  In  einer 
Anzahl  der  Fälle,  in  denen  sich  die  Hörweite  sehr  bedeutend  bessern  Hess, 
waren  auch  schon  die  Steigbügelschenkel  zerstört  und  nur  mehr  die  Fussplatte 
vorhanden. 

Immer  war  ein  ziemlich  stark  in  die  Augen  springender  Abstand  zwischen 
der  hinteren  oberen  Umrandung  der  Perforation  und  dem  ovalen  Fenster 
vorhanden,  so  dass  dort  eine  tiefe  Nische  hinter  dem  Hammergriffe  bestand. 
Dabei  konnte  ich  Folgendes  beobachten.  Die  geringste,  aber  immerhin  noch 
wesentliche  Hörverbesserung  erzielten  plattenförmige  Trommelfelle;  viel 
besser  wirkten  Wattekügelchen,  die,  mit  Oel  getränkt,  in  die  oben  erwähnten 
Nischen  eingedrückt  wurden;  die  auffallendsten  Hörverbesserungen  konnte  ich 
nach  der  Einblasung  von  Borsäure-Pulver  in  diese  Nische  erzielen.  Bei  diesen 
Borsäureeinblasungen  konnte  ich  nun  constatiren,  dass  das  Aufblasen  des 
Pulvers  auf  die  Nische  zum  runden  Fenster  keinen  Erfolg  hatte;  dass  ein 
solcher  aber  sofort  kam,  wenn  das  Pulver  in  die  Nische  zum  ovalen  Fenster 
geblasen  wurde,  und  zwar  schon  wenn  eine  etwa  4  mm  breite  Pulverschichte 
auflag,  deren  Oberfläche  weder  mit  der  Trommelfellperipherie,  noch  mit  dem 
Hammergriffe  in  Berührung  stehen  musste.  Hier  wirkte  also  die  künstliche 
Verbreiterung  der  schallauffangenden  Stapesplatte. 

Erhöht  wurde  der  Effect,  wenn  noch  mehr  Pulver  nachgeblasen  wurde, 
bis  zur  Ausfüllung  der  vom  Hammergriff  einerseits  und  vom  hinteren  und 
oberen  Perforationsrande  anderseits  begrenzten  Nische,  so  dass  eine  Platte 
gebildet  wurde,  die  an  Stelle  der  fehlenden  Trommelfellpartie  kam. 

Jedesfalls  werden  auf  diese  Platte,  die  nach  innen  zu  die  Nische  zur 
fenestra  ovalis  erfüllt,  auch  Schallwellen  übertragen,  welche  die  erhaltenen 
Trommelfelltheile  aufgefangen  haben. 

Dazu  kommt  noch  ein  Punkt;  wir  wissen,  dass  dort,  wo  wir  eine  Zer- 
störung des  langen  Ambossschenkels  gefunden  haben,  oft  der  Körper  des  Am- 
bosses noch  erhalten  sein  kann,  wie  zahlreiche  Befunde  bei  der  Hammeramboss- 
extraction  gelehrt  haben. 

Hier  kann  die  Superiorität  der  Wattekugel  über  die  Gummiplatte  und 
des  Pulvers  über  die  Wattekugel  daher  kommen,  dass  durch  Ausfüllung  des 
Raumes  zwischen  Ambossstumpf  und  Stapesplatte  durch  das  Pulver  ein  lei- 
tender Contact  für  Schallwellen  hergestellt  wird,  die  sich  sonst  nur  auf  dem 
Wege   vom    Hammer   zum    Amboss    und   von   diesem    zum    Steigbügel   fort- 


662  TROMMELFELLOPERATIONEN. 

pflanzten.  So  manche  dieser  Fälle  waren  solche,  welche  später  der  Radical- 
operation  —  der  Freilegung  sämmtlicher  Mittelohrräumen  —  unterworfen 
werden  mussten ;  doch  leisteten  auch  dann  noch  Pulveraufblasungen  glänzende 
Dienste  für  die  Hebung  des  Hörvermögens. 

Schliesslich  kommt  noch  der  Zustand  des  anderen  Gehörorganes  in  Be- 
tracht. Ist  dasselbe  intact,  und  das  Hörvermögen  gut,  so  wird  das  künst- 
liche Trommelfell  nur  dann  anzuwenden  sein,  wenn  seine  Nachtheile  hinter 
dem  Nutzen  für  die  Hörweite  zurückbleiben. 

Bei  dem  Umstände,  dass  die  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde  immer 
mehr  Gemeingut  der  praktischen  Aerzte  und  die  Behandlungsmethoden  der 
acuten  Otitis  immer  mehr  vereinfacht  werden,  ist  es  zu  erhoffen,  dass  die 
Fälle  immer  seltener  vorkommen  werden,  welche  die  Anwendung  künstlicher 
Prothesen  erfordern.  b.  gomperz. 

Trommelfelloperationen.  Indicationen.  Die  Paracentese  der 
Paukenhöhle  (des  Trommelfelles)  ist  in  erster  Linie  indicirt  bei  Secretan- 
sammlungen  im  Mittelohre,  und  zwar  beim  einfachen  Mittelohrkatarrh, 
wenn  die  Behandlung  mit  der  Luftdouche  und  anderen  nicht  operativen 
Methoden  nicht  binnen  kurzer  Zeit  zur  Beseitigung  des  Exsudates  führt,  oder 
wenn  das  letztere  in  so  grossen  Massen  vorhanden  ist,  dass  seine  Resorption 
unwahrscheinlich  ist,  nicht  minder  auch  bei  höheren  Fiebertemperaturen  und 
bei  heftigen  subjectiven  Beschwerden;  bei  der  acuten  eiterigen  Mittelohr- 
entzündung hingegen,  sobald  die  Untersuchung  das  Vorhandensein  von 
Eiter  in  der  Paukenhöhle  festgestellt  hat.  Ebenso  muss  die  Paracentese  zur 
Herstellung  einer  Gegenöffnung  angelegt  werden,  wenn  bei  acuter  oder 
chronischer  Otitis  media  suppurativa  die  spontan  eingetretene  Perforation 
eng  und  hochgelegen  ist.  Auch  bei  hochgradiger  Schwellung  und  Schmerz- 
haftigkeit  in  Folge  von  Myringitis  erscheint  die  Operation  zuweilen 
angezeigt. 

Der  Trommelfellschnitt  kann  ferner  indicirt  sein  bei  übermässig  stark 
gespanntem  Trommelfelle  in  Folge  von  abnormer  Belastung  und  bei  Schlaff- 
heit des  intacten  oder  vernarbten  Trommelfelles  mit  irregulärer  Beweglichkeit 
der  Membran.  Ausserdem  dient  die  Myringotomie  als  vorbereitende  Operation 
bei  verschiedenen  Eingriffen  in  die  Paukenhöhle.  Das  Nähere  über  die  Indi- 
cationen für  die  Operation  ist  bei  den  betreffenden  Sammlungen  nachzu- 
lesen. 

Ausführung  der  Operation.  Nachdem  der  Gehörgang  von  stören- 
den Fremdkörpern,  wie  Cerumen-  und  Epidermistheilchen,  mit  Hilfe  der  Pin- 
cette  oder  im  Nothfalle  mittelst  einer  aseptischen  Spritze  befreit  und  die 
Ohrmuschel  nebst  ihrer  Umgebung  gründlich  gereinigt  worden  ist,  wird  ein 
unmittelbar  vorher  ausgekochter  metallener  Ohrtrichter  eingeführt  und  das 
Trommelfell  mit  dem  Stirnspiegel  bei  diffusem  Tageslicht  oder  bei  Lampen- 
licht möglichst  hell  beleuchtet.  Der  Kopf  des  Patienten  muss  durch  einen 
Gehilfen  sehr  sicher  fixirt  sein  (eine  Hand  an  die  Stirn,  die  andere  an  den 
Hinterkopf),  weil  sonst  bei  dem  zwar  rasch  vorübergehenden  aber  lebhaften 
Schmerz,  welchen  die  Operation  verursacht,  ein  Zucken  nicht  ausbleiben  würde. 
Narkose  kann  nur  in  Ausnahmsfällen  bei  sehr  ängstlichen  Patienten  in  Frage 
kommen,  die  locale  Anästhesie  mit  Cocain  ist  selbst  bei  Anwendung  einer 
20^/oig6ii  Lösung  ganz  unzuverlässig,  Aetheranaesthesie  ist  nicht  zu  em- 
pfehlen. 

Die  Paracentesennadel  muss  gründlich  sterilisirt  sein,  was  am 
sichersten  durch  Eintauchen  in  kochendes  Wasser,  in  Ermangelung  desselben 
durch  mehrmaliges  Durchziehen  durch  die  Flamme  eines  Streichholzes  geschieht. 
Auch  Eintauchen  in  absoluten  Alkohol  oder  in  Wasserstoffsuperoxyd  bewirkt 
vollkommene  Asepsis.  In  jedem  Falle  ist  das  Instrument  vor  dem  Einschneiden 
abzukühlen,  beziehungsweise  mit  steriler  Wolle  abzutrocknen. 


TROMMELFELLOPERATIONEN.  663 

Als  Einschnittsstelle  für  die  dem  Trommelfelle  unter  sehr  genauer 
Leitung  des  Auges  langsam  genäherte  Spitze  des  Instrumentes  ist  der  hintere 
untere  Quadrant  als  der  am  bequemsten  gelegene  und  aus  anatomischen 
Gründen  zweckmässigste  zu  empfehlen.  Man  sticht  nahe  dem  hinteren  Ilande 
der  Membran  etwas  unterhalb  der  Mitte  desselben,  keinesfalls  aber  höher, 
ein  und  schneidet,  um  ein  möglichst  ausgiebiges  Klaffen  zu  erzielen,  in  einer 
die  Radiärfasern  senkrecht  kreuzenden  llichtung  bis  gegen  die  tiefste  Stelle 
des  Trommelfelles  (Fig.  1).  Hierbei  darf  man  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass 
das  Trommelfell  sehr  schräg  in  den  Gehörgang  eingespannt  ist,  dass  also  das 
Instrument,  wenn  es  nicht  die  Membran  nach  der  Incision  alsbald  wieder 
verlassen  soll,  beim  weiteren  Schneiden  nicht  nur  nach  vorn  und  unten, 
sondern  auch  gleichzeitig  medianwärts  bewegt  werden  muss  (Fig.  2).  Vor 
einer  möglichen  aber  leicht  zu  vermeidenden  Anritzung  der  inneren  Pauken- 
höhlenwand braucht  man  sich  nicht  zu  scheuen,  da  dieselbe  ausser  einer 
etwas  stärkeren  Blutung  keine  üblen  Folgen  nach  sich  zu  ziehen  pflegt. 


Fig.  1.  Fig.  2. 

Die  Länge  des  Schnittes  soll  2 — imw  betragen  und  umso  beträcht- 
licher sein,  je  dicklicher  das  Exsudat  ist.  Nur  bei  serösem  Secrete  kann 
allenfalls  eine  kleinere  Oeffnung,  ein  blosser  Einstich,  genügen.  Die  Para- 
centesennadel  nach  erfolgtem  Einstechen  mit  dem  vorn  abgestumpften  Trommel- 
fellmesser zu  vertauschen,  wie  es  Schvv^artze  vorzieht,  ist  bei  einiger  Uebung 
nicht  erforderlich,  da  man  mit  der  Lanzennadel  den  Schnitt  ebenso  gut  ver- 
längern kann. 

Zu  vermeiden  ist  der  hintere  obere  Quadrant,  weil  hinter  ihm  der  Am- 
boss  und  Steigbügel  und  die  chorda  tympani  liegen,  deren  Verletzung  schwere 
Folgeerscheinungen  nach  sich  ziehen  könnte.  Nur  bei  starker  Auswärts- 
wölbung dieser  Trommelfellgegend  durch  Exsudat  wird  man  vorziehen,  hier 
möglichst  tief  unten  zu  incidiren;  doch  genügt  auch  in  solchen  Fällen  vielfach 
ein  Schnitt  an  der  typischen  Stelle  im  hinteren  unteren  Quadranten. 

Der  durch  den  Einschnitt  hervorgerufene  Schmerz  pflegt  sehr  intensiv, 
aber  nur  von  kurzer  Dauer  zu  sein.  Er  fehlt  oder  ist  gering  bei  atrophischen 
Trommelfellen  und  bei  blasenartigen  Vorwölbungen  der  Membran  durch  Ex- 
sudat. Wurde  die  innere  Paukenhöhlenwand  verletzt,  so  kann  der  Schmerz 
einige  Stunden  andauern;  noch  länger  wird  er  empfunden,  wenn  aus  Unacht- 
samkeit die  äussere  Gehörgangswand  angeritzt  worden  ist.  Nicht  selten  treten 
unmittelbar  nach  der  Paracentese  Schwindel,  Uebelkeit  und  Ohnmacht 
ein,  Symptome,  welche  durch  Schmerzen  schon  vorher  geschwächte  Patienten 
zuweilen  stundenlang  in  einer  horizontalen  Lage  festhalten.  Im  Uebrigen 
hat  der  Kranke  fast  regelmässig  das  willkommene  Gefühl  einer  beträchtlichen 
Erleichterung,  sobald  der  Schnitt  angelegt  ist. 

Das  Exsudat  fliesst,  wenn  es  dünn,  vorwiegend  serös  oder  eiterig  ist, 
von  selbst  aus  einer  nicht  allzu  kleinen  Oefinung  aus,  so  dass  sich  weitere 
Maassregeln  zu  seiner  Entfernung  nicht  als  nothwendig  erweisen  und  der 
Gehörgang,  nachdem  er  ausgetrocknet  worden  ist,  sofort  verstopft  werden 
kann.  Hingegen  kommt  zähes,  glasiges  Exsudat  oft  gar  nicht  zum  Vorschein 
und  es  bedarf  dann  der  Lufteinblasung  durch  den  Katheter  oder  mit  Hilfe 


664  .TROMMELFELLOPERATIONEN. 

des  PoLiTZER'schen  Verfahrens,  um  es  zu  lockern  und  soweit  möglich  aus 
der  Paukenhöhle  herauszuschleudern.  Doch  genügt  auch  dieses  Vorgehen 
oft  nicht,  und  es  müssen  dann  Durchspülungen  mit  warmer  ^l^^l^iger  Kochsalz- 
lösung durch  die  Tube  und  vom  Gehörgange  aus  vorgenommen  werden,  ja 
zuweilen  bleibt  nichts  übrig,  als  die  fadenziehenden,  klebrigen  Schleimmassen 
mit  einer  Pincette  geradezu  herauszupräpariren. 

Durchspülungen  der  Paukenhöhle  auch  bei  serös-schleimigem  Exsudate 
vorzunehmen,  ist  nicht  zweckmässig,  weil  sonst  leicht  in  P'olge  des  mecha- 
nischen Reizes  und  vielleicht  durch  Infection  Entzündungen  eintreten;  wie 
denn  überhaupt  nach  vollzogener  Operation  möglichst  wenig  an  dem  Ohre 
manipulirt  werden  sollte.  Aus  diesem  Grunde  sind  auch  alle  Vorrichtungen, 
welche  das  Aussaugen  des  Secretes  aus  der  Oeffnung  bezwecken,  gefährlich, 
und  man  wird  sie  umso  weniger  anzuwenden  geneigt  sein,  als  sie  nur  in  den 
Fällen,  in  welchen  das  Exsudat  ohnehin  leicht  aus  der  Paukenhöhle  entweicht, 
wirksam  sein  könnten. 

Die  Blutung  ist  in  der  Regel  ganz  unbedeutend,  und  oft  sammelt  sich 
kaum  ein  Tropfen  am  Trommelfelle  an,  um  dann  einzutrocknen.  Besteht  eine 
beträchtliche  Hyperämie,  wie  es  bei  der  eitrigen  Mittelohrentzündung  nicht 
selten  ist,  so  kann  das  Blut  den  Gehörgang  immerhin  anfüllen  und  selbst 
etwas  abtropfen.  Starke  Hämorrhagien  sind  nur  in  vereinzelten  Fällen  beob- 
achtet worden,  die  stärksten  in  Fällen,  bei  welchen  in  Folge  einer  Lücken- 
haftigkeit des  Paukenhöhlenbodens  der  bulbus  venae  jugularis  verletzt  wor- 
den war. 

Die  Nachbehandlung  wird  bei  serös-schleimigem  und  nicht  copiösem, 
eitrigem  Exsudate  am  besten  in  der  Weise  gehandhabt,  dass,  nachdem  un- 
mittelbar nach  der  Operation  das  aus  der  Oeffnung  ausgetretene  Secret  durch 
Wattebäusche  aufgetupft  und  das  Trommelfell  genau  besichtigt  wurde,  ein 
etwa  10  cm  langer  und  1  cm  breiter  Streifen  von  sterilisirter  Gaze  bis  an  das 
Trommelfell  eingeführt  wird.  Derselbe  ist  nach  12  oder  24  Stunden  zu  er- 
neuern, je  nachdem  er  in  grosser  oder  geringer  Ausdehnung  mit  Flüssigkeit 
durchtränkt  erscheint.  Bei  zäherem  Exsudate  kann  es  nothwendig  sein, 
zunächst  einmal  am  Tage  die  Luftdouche  anzuwenden,  damit  der  Schleim 
besser  gelockert  wird ;  jedoch  sollte  man  mit  diesem  Verfahren  mit  Rücksicht 
auf  die  Möglichkeit  einer  Infection  äusserst  sparsam  sein.  Grundsätzlich  die 
Luftdouche  zu  perhorresciren,  ist  andrerseits  nicht  am  Platze,  weil  sie  gegen- 
über dem  ohne  ihr  Hinzutreten  leicht  möglichen  Zurückbleiben  des  Exsudates 
in  der  Paukenhöhle  oft  das  kleinere  Uebel  bedeutet.  Ausspritzungen  sind 
bei  nicht  eitrigem  Secrete  streng  zu  vermeiden,  womöglich  auch  zu  unter- 
lassen, wenn  es  sich  um  eine  Otitis  media  suppurativa  mit  reichlichem  Exsudate 
handelt.  In  jedem  Falle  ist  das  Ohr  mit  Watte  oder  Gaze  zu  verschliessen, 
und  der  Patient  sollte  in  den  ersten  drei  Tagen  nach  der  Operation  das  Bett 
nicht  verlassen. 

Sollte  es  zu  einer  abermaligen  Exsudation  kommen,  nachdem  die  In- 
cision  bereits  geheilt  war,  so  muss  die  Operation  unter  Umständen  wieder- 
holt werden.  Leider  gelingt  es  nämlich  sehr  selten,  wofern  nicht  eine  eitrige 
Entzündung  besteht,  den  Schnitt  längere  Zeit  offen  zu  halten;  alle  zu  diesem 
Zwecke  empfohlenen  Maassregeln,  wie  Einlegung  von  Fremdkörpern,  können 
es  nicht  verhindern,  dass  binnen  wenigen  Tagen  die  Ränder  bereits  verklebt 
sind.  Etwas  länger  hält  sich  die  Paracentesenstelle  offen,  wenn  die  Operation 
auf  galvanokaustischem  Wege  ausgeführt  wird,  was  grosse  Sicherheit 
und  sehr  gute,  rasch  zur  Weissgluth  kommende  Brenner  erfordert  und  nur 
bei  dicklichen  Exsudatmassen  geschehen  darf. 

Trotz  sorgsamer  Beachtung  aller  auf  ein  aseptisches  Vorgehen  gerich- 
teter Maassregeln  ereignet  es  sich  zuweilen,  dass  eine  Paracentese  von  einer 
reactiven  Entzündung  gefolgt  wird.  Dieselbe  tritt  meist  am  dritten  Tage 


TROMMELFELLOPERATIONEN.  665 

unter  erneuten  Schmerzen  und  unter  Temperatursteigerung  ein  und  hält 
mehrere  Tage,  bei  unzweckmässiger  oder  fehlender  Behandlung  aber  länger 
an.  Ihre  Entstehung  dürfte  meist  auf  eine  eingetrete  Jnfection  zurückzuführen 
sein,  welche  vom  Gehörgange  oder  von  der  Tube  her  stattfinden  kann,  und  es 
werden  besonders  diejenigen  Fälle  von  der  Entzündung  befallen,  in  welchen 
Injectionen  per  tubam  vorgenommen  werden.  Offenbar  handelt  es  sich  um 
die  Verschleppung  von  Mikroorganismen  aus  der  Tuba  in  die  Paukenhöhle. 
Dieselbe  kann  auch  beim  Gebrauche  der  Luftdouche  erfolgen,  obwohl  sie  hier 
nicht  häufiger  ist  als  in  den  ganz  ohne  Lufteinblasungen  behandelten  Fällen. 

IL  Mehrfache  Diirchschiieiduiig  des  Trommelfelles.  {Myrinfjotomia 
multiplex).  Indicationen:  Die  mehrfache  Durchschneidung  des  Trommel- 
felles wurde  namentlich  von  Grüber  empfohlen  bei  übermässiger  Spannung 
des  Trommelfelles;  sie  kann  auch  bei  abnormer  Erschlaffung  versucht  werden. 

Ausführung  der  Operation.  Die  Operation  wird  analog  der  Para- 
centese  ausgeführt,  indem  in  der  unteren  Hälfte  der  Membran  4—5  oder 
mehr  Schnitte  neben  einander  oder  in  sich  kreuzenden  Richtungen  '^nach 
Geuber  auch  in  Form  eines  H)  angelegt  werden.  Die  Blutung  ist  meist 
gering,  der  Schmerz  oft  recht  lebhaft. 

Zur  Nachbehandlung  ist  ausser  der  Verstopfung  des  Ohres  mit  Gaze 
nichts  erforderlich.  Der  Kranke  soll  sich  einige  Tage  ruhig  halten,  braucht 
aber  nicht  unbedingt  im  Bette  zu  liegen. 

Der  Erfolg  der  multiplen  Myringotomie  ist  leider  in  den  meisten  Fällen 
ein  wenig  befriedigender  und  vor  der  Ausführung  der  Operation  niemals  auch 
nur  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  zu  bestimmen.  Die  Fälle  von 
Erschlaffung  des  Trommelfelles  bieten  etwas  bessere  Aussichten  als  jene  von 
abnormer  Spannung  der  Membran. 

III.  Durchschneidimg  der  hinteren  Trommelfellfalte  (Plicotomia; 
Ptychotomia).  Indicationen:  Die  von  Lucae  zuerst  ausgeführte  Operation 
soll  die  Beweglichkeit  des  Hammers,  welche  durch  eine  starke  Anspannung 
der  hinteren  Falte,  nicht  aber  durch  Adhäsivprocesse  herabgesetzt  ist,  wieder 
herstellen,  ist  also  indicirt  bei  chronischem  Mittelohrkatarrh  und  seinen  Folge- 
zuständen, wenn  die  hintere  Falte  sehr  stark  hervorspringt  und  der  Hammer 
bei  beweglichem  Trommelfelle  verkürzt  erscheint. 

Ausführung  der  Operation:  Der  Schnitt  wird  dicht  hinter  dem 
kurzen  Fortsatze  in  der  Pachtung  von  oben  nach  unten  mit  der  Paracentesen- 
nadel  ausgeführt,  die  ganze  Höhe  der  Falte  durchziehend.  Anstatt  der  Nadel 
kann  man  auch  ein  spitzes  Trommelfellmesser  verwenden.  Die  Verlegung 
der  Incision  nach  Politzer's  Vorschlage  auf  den  hinteren  Theil  der  Falte 
erscheint  mit  Rücksicht  auf  die  Möglichkeit  einer  Verletzung  des  Ambosses, 
des  Steigbügels  oder  der  chorda  tympani  nicht  zweckmässig. 

Der  Erfolg  stellt  sich  in  Form  einer  subjectiven  Erleichterung,  wenn  er 
überhaupt  eintritt,  sofort  nach  der  Operation  ein,  ist  aber  niemals  von  Dauer. 

IV.  Durchschneidmig  des  Ligamentum  mallei  anterius.  Indica- 
tionen: Die  von  Politzer  angegebene  Operation  hat  dieselbe  Indication  wie 
die  Plicotomie,  wird  also  bei  retrahirtem,  aber  nicht  mit  der  inneren  Pauken- 
höhlenwand verwachsenem  Hammergriffe  ausgeführt. 

Ausführung  der  Operation:  Es  wird  die  vordere  Trommelfellfalte 
dicht  vor  dem  kurzen  Fortsatze  mit  der  Paracentesennadel  von  oben  nach 
unten  durchschnitten  und  ein  vorn  abgestumpftes  Trommelfellmesser  durch 
die  Incisionsstelle  2  mm  tief  in  die  Paukenhöhle  eingeführt,  um  unter  sägen- 
den Bewegungen  in  der  Richtung  von  unten  nach  oben  das  Band  zu  durch- 
trennen. 

Die  Resultate  der  Operation  sind  nicht  günstiger  als  die  der  Plicotomie, 
und  auch  die  Combination  beider  Eingriffe  erweist  sich  als  wirkungslos  auf 
längere  Dauer. 


666  TROMMELFELLVEKLETZUNGEN. 

V.  Aussclmeiduiig  eines  Tlieiles  des  Trommelfelles  (Myringedomie). 

Indication:  Gruber,  welcher  diese  Operation  neuerdings  wieder  aufgenommen 
hat,  hält  sie  für  angezeigt  bei  unheilbarer  Atresie  der  Eustachischen  Röhre, 
bei  Verdickung  und  Verkalkung  und  bei  schlaöen  Narben  des  Trommelfelles. 
Ausserdem  wird  zu  diagnostischen  Zwecken  der  hintre-obere  Quadrant  excidirt, 
wenn  die  Beweglichkeit  des  Steigbügels  direct  geprüft  werden  soll. 

Ausführung  der  Operation.  Die  Operation  kann  nach  Anlegung 
einer  einfachen  Incision  mit  Hilfe  eines  abgerundeten  Trommelfellmessers  aus- 
geführt werden,  und  diese  Methode  dürfte  bei  der  zuletzt  erwähnten  Indica- 
tion den  Vorzug  verdienen.  Gruber  emptiehlt  ausschliesslich  die  Anwendung 
des  Galvanokauters,  dessen  Glühende  er  je  nach  Grösse  und  Form  des  zu  ent- 
fernenden Stückes  zurechtbiegt.  Während  des  Erglühens  des  kalt  gegen  das 
Trommelfell  eingeführten  Brenners  soll  der  Patient  den  VALSALVA'schen"  Ver- 
such machen  oder  ein  Assistent  die  Luftdouche  ausführen,  damit  das  Trommel- 
fell möglichst  weit  von  der  inneren  Paukenhöhlenwand  abgehoben  wird.  Der 
Schmerz  ist  heftig,  aber  meist  rasch  vorübergehend;  Blutung  erfolgt  nicht. 

Der  Erfolg  der  Operation  ist  zuweilen  momentan  sehr  wohl  nachweisbar, 
schwindet  aber  in  der  Regel  bald,  meist  in  14  Tagen,  mit  der  Wieder- 
verwachsung der  geschaffenen  Lücke. 

Aehnlich  ist  der  Effect  der  Umschneidung  des  Hammergriffes, 
welche  nach  Anlegung  einer  Incision  dicht  vor  dem  Manubrium,  etwa  in 
dessen  Mitte,  mittelst  eines  Trommelfellmessers  ausgeführt  wird  und  bis  etwas 
über  das  schaufeiförmige  Ende  des  Griffes  hinaufreichen  soll.  Der  Erfolg 
bleibt  natürlich  aus,  wenn  der  Umbo  mit  der  Promontoriumwand  ver- 
wachsen ist. 

Ueber  die  weiteren  Eingriffe,  welche  zur  Vorbereitung  einer  intratym- 
panalen  Operation  dienen,  ist  in  den  einschlägigen  Capiteln  nachzulesen. 

BtJRKNER. 

Trommelfellverletzungen.  Das  Trommelfell,  welches  den  äusseren 
Gehörgang  gegen  die  Trommelhöhle  hin  abschliesst,  ist  nicht  eine  straff  ge- 
spannte Membran,  sondern  hat  eine  gewisse  Latitude  zur  Lageveränderung, 
welche  unter  normalen  Verhältnissen  zum  guten  Hören,  zur  vollkommenen 
Function  des  Gehörorgans  unentbehrlich  ist;  diese  Fähigkeit  zur  Lageverän- 
derung wird  durch  den  musculus  tensor  tympani  unter  dem  Einflüsse  unseres 
Willens  bei  gewissen  Toneindrücken  hervorgerufen,  wir  sind  im  Stande,  beim 
Lauschen  oder  bei  der  Perception  feinerer  Töne  unser  Trommelfell  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  in  straffere  Spannung  zu  versetzen  und  ebenso  können 
wir  durch  das  Erschlaffen  des  musculus  tensor  tympani  eine  gewisse  Er- 
schlaffung des  Trommelfelles  hervorbringen,  was  immer  bei  Einwirkung  grösserer 
Schallwellen  geschieht.  Aber  auch  abgesehen  von  der  Function  des  Trommel- 
fellspanners, können  wir  das  Ausweichen  des  Trommelfells  bei  mechanischer 
Einwirkung  constatiren;  das  Trommelfell  kann  gegen  die  Trommelhöhle  sich 
eimvärts  wölben,  wenn  die  atmosphärische  Luft,  die  wir  durch  die  Tuba  bei 
jedem  Athemzug  in  die  Trommelhöhle  befördern,  in  Folge  Unwegsamkeit  der 
Tuba  sich  nicht  in  der  Trommelhöhle  erneuern  kann,  und  in  Folge  dessen  der 
Luftdruck  von  aussen  her,  ohne  Widerstand  von  der  Trommelhöhle  her  zu 
finden,  das  Trommelfell  aus  seiner  Lage  verdrängt  und  nach  der  Trommel- 
höhle hin  wölbt. 

Diese  Beweglichkeit  des  Trommelfells  ist  nicht  nur  für  das  normale 
Hören  erforderlich,  sie  ist  auch  eine  Schutzvorrichtung  gegen  Verletzungen 
des  Trommelfells,  welche  ohne  Zweifel  bei  grösseren  Schalleindrücken  ohne 
dieselbe  eintreten  würden,  ebenso  würden  Menschen,  die  sich  in  Räumlich-^ 
keiten  begeben,  in  welchen  mehrere  Atmosphären  Luftdruck  sich  vorfinden, 
ohne  diese  Accommodationsfähigkeit  des  Trommelfells  an  demselben  Ver- 
letzungen erleiden. 


TROMMELFELLVERLETZUNGEN.  667 

Die  Trommelfellverletzungen  können  nach  dem  Vorangesagten  durch 
abnorme  Luftdruckschwankungen  oder  durch  Einwirkung  mechanischer  Noces 
entstehen. 

Verletzungen  des  Trommelfells  durch  Luftdruckschwankungen  entstehen 
vor  allem  sehr  häufig  von  aussen  her,  und  zwar  immer,  wenn  die  Luftsäule, 
Avelche  den  äusseren  Gehörgang  ausfüllt,  durch  mechanische  Einwirkung  un- 
erw^arteter  Weise  zusammengepresst  unter  grösserem  Drucke  das  Trommelfell 
aus  seiner  Lage  drängt;  dies  geschieht,  wenn  die  flache  Hand  plötzlich  in 
heftiger  Weise  das  Ohr,  das  heisst  die  Ohröffnung  trifft;  wir  sehen  Ver- 
letzungen des  Trommelfells  auf  diese  Weise  entstanden  durch  Ohrfeigen, 
beim  Abfeuern  von  Schiessgewehren  in  unmittelbarer  Nähe  des  Ohres,  auch 
kann  ein  derartiges  Zusammenpressen  der  Luftsäule  durch  einen  Kuss  auf  die 
Ohröffnung  erfolgen  und  hiedurch  eine  Trommelfellverletzung  entstehen. 

Verletzungen  des  Trommelfells  können  auch  entstehen,  wenn  ein  grösserer 
Luftdruck  durch  die  Tuba  in  die  Trommelhöhle  eindringt;  so  kann  durch 
Schneuzen  der  Nase  das  Trommelfell  verletzt  werden,  bei  tussis  convulsiva 
treten  oft  Blutungen  aus  dem  Ohre  auf,  welche  ebenfalls  auf  diese  Weise 
ihre  Erklärung  finden.  Bei  Anwendung  der  Luftdouche,  gebrauche  man  nun 
das  PoLiTZEE'sche  und  GRUBEß'sche  Verfahren  oder  verwende  man  zu  diesem 
Zwecke  den  Katheter,  kann  es  bei  gewissen  krankhaften  Veränderungen 
geschehen,  dass  das  Trommelfell  verletzt  wird. 

Die  Verletzungen,  welche  durch  Luftdruckschwankungen  im  Trommelfell 
entstehen,  sind  gewöhnlich  lineare  senkrechte  Risse,  parallel  mit  dem  hinteren 
Rande  des  Hammergriffes  am  hintern  obern  Quadranten  des  Trommelfells,  in- 
dessen kann  es  geschehen,  w^enn  die  Einwirkung  sehr  vehement  ist  oder  wenn 
ein  schon  krankhaft  verändertes  Trommelfell  getroffen  wird,  dass  runde  eckige 
Risse  in  grösserer  Ausdehnung  erfolgen. 

Die  Verletzung  des  Trommelfells  dringt  durch  alle  Schichten  desselben, 
es  entsteht  eine  lineare  oder  runde  Oeffnung,  welche  von  aussen  her  in  die 
Trommelhöhle  führt,  es  werden  auch  die  Gefässe  des  Trommelfells  entzwei 
gerissen,  wodurch  mehr  minder  namhafte  Blutungen  entstehen,  die  sowohl 
gegen  die  Oliröffnung  als  auch  gegen  die  Trommelhöhle  sich  ergiessen.  Nach 
Verlauf  von  einigen  Tagen,  besonders  bei  Verletzungen  in  grösserer  Form, 
tritt  auch  Eiterung  auf,  die  Entzündung  setzt  sich  in  die  Schleimhaut  der 
Trommelhöhle  fort  und  es  kann  auf  diese  Weise  Otitis  media  purulenta  ent- 
stehen. 

In  forensischer  Beziehung  sind  die  Verletzungen  des  Trommelfells  sehr 
häufig  Gegenstand  ärztlicher  Begutachtung.  Durch  Ohrfeigen  sind  häufig  sehr 
ernste  Folgen  im  Gehörorgan  aufgetreten,  insbesonders  kann  dies  bei  kleinen 
Kindern  geschehen,  dass  nicht  nur  das  Trommelfell  einreisst  und  Blutung  in 
die  Trommelhöhle  erfolgt,  es  kann  auch  eine  Luxation  in  den  Gelenken  der 
Gehörknöchelchen  entstehen,  es  kann  die  Steigbügelplatte  brechen  und  es 
kann  Entzündung  im  Labyrinthe  oder  Blutung  in  demselben  erfolgen,  das 
sind  Zustände  von  sehr  ernster  Natur,  indem  totale  Taubheit  sich  einstellen 
oder  derartige  Erkrankungen  des  Gehörorganes  auftreten,  welche  zu  Caries  des 
Felsenbeins,  Gehirnerkrankung  und  zum  letalen  Ausgange  führen. 

Andererseits  kommt  es  sehr  häufig  vor,  dass  Verletzungen  des  Trommel- 
fells in  einigen  Tagen  heilen  und  das  Gehörvermögen  entweder  gar  nicht 
leidet  oder  in  kurzer  Zeit  wieder  das  normale  Maass  erreicht. 

Die  Erscheinungen,  worüber  die  Betreflenden  klagen,  sind  Schwindel, 
Summen  im  Ohre  und  Schwerhörigkeit,  auch  führen  sie  gewöhnlich  an,  dass 
Blut  sich  in  der  Ohröffnung  zeigte. 

Bei  der  Untersuchung  finden  wir  im  äusseren  Gehörgange  eingetrock- 
netes oder  flüssiges  Blut,  in  manchen  Fällen  Eiter,  nach  Reinigung  des  Gehör- 
ganges sehen  wir  das  Trommelfell  geröthet,  mehr  nach  der  Trommelhöhle  zu 


668  TUBERCULOSIS  LARYNGIS. 

gesunken,  wir  finden  entweder  den  linearen  Riss  oder  Perforationen  von  der 
Grösse  eines  Hirsekorns  oder  Hanfkorns  mit  zackigen  Rändern.  In  den  leich- 
teren Fällen  ist  das  Gehörvermögen  entweder  gar  nicht  oder  nur  im  geringen 
Grade  vermindert,  bei  den  tiefer  dringenden  Verletzungen  kann  das  Gehör- 
vermögen gänzlich  fehlen,  die  Kranken  hören  weder  die  Uhr  noch  den 
PoLiTZEn'schen  Akumeter,  sie  hören  nicht  die  Sprache,  selbst  ins  Ohr  ge- 
sprochen, und  von  besonderer  Wichtigkeit  für  Diagnose  und  Prognose  die 
Knochenleitung  für  jede  Tonquelle  ist  negativ,  ein  Zeichen,  dass  in  solchen 
Fällen  Zerstörungen  im  Labyrinthe  erfolgt  sind.  Wir  müssen  zwar  sehr  vor- 
sichtig mit  unserem  Urtheil  einhalten,  indem  sehr  häufig  Simulation  mit  im 
Spiele  ist,  indem  gewöhnlich  der  Processweg  eingeschlagen  wird,  und  in 
solchen  Fällen  spielt  Rachsucht  und  noch  häufiger  das  Trachten  nach  Ent- 
schädigung eine  wichtige  Rolle;  es  ist  gerathen,  einige  Tage  genaue  Beobach- 
tung vorangehen  zu  lassen,  bevor  wir  unser  Gutachten  abgeben. 

Was  die  Behandlung  der  Trommelfellverletzungen  anbelangt,  so  müssen 
wir  dieselben  nach  dem  Grade  der  Verletzung  handhaben;  bei  leichteren  linearen 
Verletzungen  genügt  es,  wenn  wir  den  äusseren  Gehörgang  luftdicht  ver- 
schliessen,  kalte  Umschläge  auf  den  Processus  mastoideus  appliciren  lassen 
und  für  einige  Tage  vollkommene  Ruhe  und  Meiden  jeder  lärmenden  Umge- 
bung empfehlen.  Bei  tiefer  dringenden  Verletzungen  müssen  wir  streng  anti- 
phlogistisch vorgehen.  Blutegel  am  Processus  mastoideus  ansetzen,  kalte  Um- 
schläge auf  Ohr  und  Kopf  anwenden,  und  wenn  nöthig,  Calomel  innerlich  ver- 
ordnen. Ist  schon  Eiterung  aufgetreten,  so  ist  diese  mit  grösster  Sorgfalt  zu 
behandeln. 

Die  Verletzungen  des  Trommelfells,  welche  durch  mechanische  Schädlich- 
keiten entstehen,  können  die  verschiedensten  Grade  und  Formen  annehmen. 
Das  Trommelfell  kann  durch  Einführen  einer  Stricknadel  im  äusseren  Gehör- 
gang durchlöchert  werden;  sehr  häufig  wird  das  Trommelfell  durch  unge- 
schickte und  unzweckmässige  Extractionsversuche  fremder  Körper  in  mehr 
minder  ernster  Weise  verletzt,  und  ich  habe  schon  Fälle  gesehen,  wo  bei  der- 
artigem Vorgehen  das  Trommelfell  zerstört  und  der  fremde  Körper  in  die 
Trommelhöhle  geschoben  wurde. 

Trommelfellverletzungen  erfolgen,  wenn  ätzende  Flüssigkeiten  in  den 
äusseren  Gehörgang  gegossen  werden,  in  solchen  Fällen  kann  eine  gänzliche 
Zerstörung  des  Trommelfells  Platz  greifen  und  eine  hochgradige  Panotitis  sich 
einstellen.  Ich  habe  einen  Fall  beobachtet,  wo  geschmolzenes  Blei  in  den 
Gehörgang  einer  Frau  durch  ihren  Mann  gegossen  wurde,  merkwürdigerweise 
konnte  ich  den  Bleiabguss  des  äusseren  Gehörganges  entfernen  und  fand  das 
Trommelfell  wohl  von  Epidermis  entblösst,  lebhaft  roth,  aber  in  seiner  Con- 
tinuität  intact.  jül.  böke. 

Tuberculosis  laryngis.  Obwohl  schon  im  Jahre  1819  Laennec  die 
Kehlkopfschwindsucht  genau  beschrieben  und  ihre  tuberkulöse  Natur  erkannt 
hatte,  und  auch  später  VmcHOw,  Eppinger,  Scheck  u.  A.  dieser  Ansicht  bei- 
stimmten, schwankten  die  Begriffe  zwischen  Tuberkulose  und  Entzündung  bis 
zum  Jahre  1879,  in  welchem  Heinze  stricte  Beweise  ihrer  tuberkulösen  Natur 
erbrachte  und  durch  Sectionsbefunde  und  genaue  mikroskopische  Untersuchungen 
bestätigte. 

Als  Ausgangspunkt  und  alleinige  Ursache  aller  bei  der  Kehlkopfphthise 
vorkommenden  Veränderungen  muss  die  tuberkulöse  Infiltration  der  Schleim- 
haut betrachtet  werden. 

Die  tuberkulöse  Infiltration  wird  durch  Anwesenheit  von 
Tuberkeln  im  degenerirten  Gewebe,  resp.  im  Boden  oder  den  Rändern  der 
Geschwüre  gekennzeichnet.  Indessen  müssen  wir  auch  solche  Geschwüre  als 
tuberkulöse  betrachten,  die  obwohl  frei  von  typischen  Tuberkeln,  im   Boden 


TUBERCULOSIS  LARYNGIS.  669 

und  in  den  Rändern  isolirte  oder  im  adenoiden  Gewebe  eingebettete  Riesen- 
zellen enthalten. 

Die  tuberkulöse  Erkrankung  tritt  auf  entweder  in  der  Form  von 
miliaren  Knötchen,  die  durch  Zusammenfliessen  eine  diffuse  Infiltration  bilden 
und  durch  Zerfall  Geschwüre  veranlassen,  oder  als  tuberkulöse   Tumoren. 

Gewöhnlich  ist  bei  chronischer   Tuberkulose    die  Infiltration    auf   einen 
kleinen  Raum  begrenzt.     Seltener  tritt  sie  an  mehreren  Stellen  zugleich  auf, 
am  seltensten  wird  der  ganze  Larynx  auf  ein  Mal  ergriffen,  wie  m 
acuten  Fällen  manchmal  beobachtet. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  eines  frischen  tuberkulösen  Infiltrates 
zeigt  uns  unter  dem  zumeist  wohlerhaltenen  Epithel  eine  Zone,  die  aus 
kleinen  Rundzellen  besteht,  am  dichtesten  an  der  Grenze  des  Epithels  auf- 
tritt und  in  den  tieferen  Schichten  der  Schleimhaut  immer  spärlicher  wird. 
Im  Bereiche  dieser  kleinzelligen  Wucherung  findet  man  öfters  in  den  oberen 
Schichten,  seltener  in  den  tieferen  Lagen  bald  mehr,  bald  weniger  zahlreiche, 
circumscripte,  rundliche  oder  ovale  Herde,  die  theilweise  ganz  aus  Kernen 
bestehen,  manchmal  im  Centrum  oder  an  der  Peripherie  einen  feinkörnigen 
Detritus  und  Riesenzellen  enthalten. 

Die  reticuläre  Beschaffenheit  und  kugelartige  Abgrenzung  ist  nur  der 
jüngeren  Form  der  Tuberkeln  eigen. 

Die  Riesenzellen  sind  gewöhnlich  vielästig,  mit  deutlichen,  wandständigen 
Kernen.  In  den  älteren  Tuberkeln  sind  diese  Einzelheiten  kaum  mehr  zu 
erkennen.  Die  lymphoiden  Zellen  atrophiren  meist  im  Centrum  und  zerfallen 
in  einen  feinkörnigen  Detritus  mit  grösseren  Myelin-  und  epithelioiden  Zellen, 
der  allmählich  das  ganze  Knötchen  occupirt. 

Bei  weiterer  Entwickelung  des  Processes  nimmt  die  tuberkulös  infiltrirte 
Mucosa  an  Dicke  zu,  wird  hypertrophisch  und  in  Folge  des  auf  den  Gefässen 
lastenden  Druckes  kommt  es  zu  Oedemen,  die  an  der  Epiglottis  und  an  den 
Ligam.  aryepiglott.  am  stärksten  auftreten. 

Die  Schwellungen  sind  bedingt  durch  reactive  Entzündung  und  durch 
Eiterung.  Sie  tragen  also  einen  entzündlichen  Charakter  und  entwickeln  sich 
am  häufigsten  in  der  unmittelbaren  Nähe  der  Ulceration. 

Obwohl  der  tuberkulöse  Process  eine  Tendenz  zur  Vernarbung  besitzt, 
die  auf  dem  Wege  der  Elimination  oder  durch  einen  entzündlichen  Demar- 
cationsprocess  eingeleitet  wird,  so  gibt  es  dennoch  Formen  von  bösartigem 
Charakter,  die  immer  Zerfall,  Ulcerationen  und  Zerstörung  des  ganzen  Organes 
nach  sich  ziehen.  Der  Zerfall  beginnt  an  der  Oberfläche.  Seine  Verbreitung 
und  Schnelligkeit  hängen  ab  nicht  nur  von  seiner  Localisation,  von  der  Wider- 
standsfähigkeit des  Organismus,  vom  Kräftezustande  oder  zutretendem  Fieber, 
sondern  vor  Allem  von  der  Complication  des  tuberkulösen  Virus  mit  anderen 
secundären,  eitrigen,  zuweilen  selbst  ichorösen  Infectionen. 

Damit  erklärt  sich  die  Vielfältigkeit  des  klinischen,  wie  auch  anatomisch 
pathologischen  Bildes  der  Kehlkopfschwindsucht,  die  von  sehr  verschiedenen 
Bedingungen  beeinflusst  wird. 

Ueberhaupt  erweisen  sich  bei  Larynxphthise  die  Veränderungen  und  Zer- 
störungen viel  hochgradiger  am  Secirtisch  als  bei  der  laiyngoskopischen 
Untersuchung.  Die  Larynxphthise  muss  daher  nicht  nur  mit  dem  Spiegel, 
sondern  auch  mit  dem  Scalpell  in  der  Hand  studirt  werden. 

Die  tuberkulösen  Geschwüre  können  eingetheilt  werden  in  ober- 
flächliche und  in  tiefe  Substanz  Verluste.  Zu  den  ersten  rechnen  wir  die  tuber- 
kulösen Erosionen  und  die  lenticulären  Geschwüre,  zu  den  letzteren  die  tieferen 
und  kraterförmigen  Ulcerationen  der  Mucosa. 

Die  tuberkulösen  Geschwüre  entwickeln  sich  in  mannigfachen  Formen 
und  verschiedener  Anzahl.  Zuweilen  ist  ihre  Zahl  sehr  beschränkt,  sie  sind 
bald  begrenzt,  bald  confiuiren  sie   miteinander.     Charakteristisch  werden   sie 


670  TUBERCULOSIS  LARYNGIS. 

nach  dem  jetzigen  Stande  der  Wissenschaft  nur  durch  den  Nachweis  von 
KocH'schen  Bacillen,  im  Grunde  oder  an  den  Kändern   des  Geschwüres. 

Eigene  Untersuchungen  belehrten  mich,  dass  in  allen  tuberkulösen 
Larynxulcerationen,  von  der  kleinsten,  kaum  bemerkbaren  Erosion  bis  zum 
tief  dringenden,  kraterförmigen  Substanz  Verluste  sich  immer  Kocn'sche  Ba- 
cillen nachweisen  lassen.  Manchmal  finden  sich  Bacillen  unter  dem  Epithel, 
im  submucösen  Gewebe  schichtenweise  gelagert. 

Je  reicher  sich  Riesenzellen  vorfanden,  desto  ärmer  war  das  umgebende 
Gewebe  an  Kocn'schen  Bacillen,  die  alsdann  in  geringer  Quantität  in  den 
Riesenzellen  selbst  eingeschlossen  waren.  Ebenso  gering  erwies  sich  ihre  Zahl 
in  Geschwüren,  die  in  Vernarbung  übergingen. 

Lenticuläre  Geschwüre  finden  sich  am  häufigsten  auf  der  inneren 
Fläche  der  Epiglottis  oder  auf  den  wahren  Stimmbändern.  Sie  sind  gewöhn- 
lich rundlich,  ihr  Boden  ist  blass,  obwohl  auch  solche  mit  hellrothen  Rändern 
und  röthlichem  Boden  vorkommen.  Durch  Confluiren  bekommen  sie  eine  un- 
regelmässige traubenartige  Gestalt.  Ihre  Entwickelung  aus  zerfallenden  Tu- 
berkeln geht  sehr  schnell  vor  sich,  zuweilen  während  24  Stunden. 

Die  kraterförmigen  Geschwüre  entstehen  gewöhnlich  aus  den 
tiefer  im  submucösen  Gewebe  gelegenen  und  zerfallenen  Tuberkeln,  zu  denen 
sich  später  Eiterung  und  Zerfall  der  Schleimdrüsen  hinzugesellen.  Ihre  Ränder 
sind  unregelmässig,  wie  angefressen,  ihr  Boden  ungleich,  härtlich  infiltrirt, 
granulös  und  mit  schleimig  eitrigem  Secret  bedeckt.  Solche  Geschwüre  rufen, 
falls  sie  in  die  Nähe  des  Perichondriums  dringen,  eine  Perichondritis  hervor, 
die  aber  selten  einen  eitrigen  Charakter  annimmt.  Manchmal  endet  der  Pro- 
cess  mit  partieller  Zerstörung  und  Ausstossung  des  Processus  vocalis,  ohne 
das  Gelenk  des  Aryknorpels  zu  schädigen. 

Verkalkt  oder  ossiticirt  der  Knorpel,  so  kommt  es  bei  günstigem  Aus- 
gange zu  einer  echten  oder  falschen  Anchylose  des  Gelenkes. 

Die  Perichondritis  des  Schildknorpels  dringt  öfters  von  innen  nach 
aussen  durch  und  führt  zu  einer  diffusen  Anschwellung,  die  manchmal  ein- 
seitig bleibt.  Der  Eiterherd  kann  ebensowohl  nach  aussen,  wie  nach  innen 
durchbrechen.  Derselbe  Vorgang  befällt  auch  den  Ringknorpel,  speciell  seine 
plattenförmige  Fläche. 

Nicht  gerade  häufig  tritt  die  Larynxtuberkulose  in  der  Form  von 
Geschwülsten  auf.  Sie  entwickeln  sich  entweder  solitär,  scharf  umschrie- 
ben, oder  zu  Zweien  oder  Mehreren.  Sie  sind  gewöhnlich  rundlich,  glatt,  von 
der  Grösse  einer  Erbse  bis  zu  Haselnussgrösse  und  bestehen  aus  derbem, 
fibrösem  Gewebe  mit  eingelagerten  Tuberkelherden,  die  öfters  Riesenzellen 
mit  spärlichen  Bacillen  enthalten  und  zur  Fistelbildung  führen,  wird  aber  sehr 
selten  beobachiet. 

Die  grösseren  Tumoren  sitzen  vorwiegend  an  den  Taschenbändern, 
seltener  an  den  Stimmbändern  oder  entspringen  aus  den  Morgagnischen  Ven- 
trikeln. An  der  hinteren  Wand  treten  gewöhnlich  nur  secundäre  Tumoren  auf, 
die  von  den  hypertrophischen  Rändern  in  Heilung  befindlicher  Geschwüre  ihren 
Ursprung  nehmen  und  daher  nach  Schech  dieser  Gruppe  nicht  zugezählt 
werden  sollen. 

Diese  Geschwülste  können  im  Kehlkopf  auch  ohne  nachweisbare  Lungen- 
erkrankung primär  auftreten,  und  zwar  vorwiegend  im  jugendlichem  Alter. 
Sie  sind  fast  nie  ulcerirt,  wachsen  sehr  langsam  und  sind  von  Aeiza  als 
selbstständige  Erkrankung  beschrieben  worden.  Schech  bezeichnet  als  tuber- 
culöse  Tumoren  nur  solche  Gebilde,  bei  welchen  die  frühere  Anwesenheit 
eines  Geschwüres  an  der  ergriffenen  Stelle  mit  aller  Sicherheit  ausgeschlossen 
werden  kann. 

Wir  wollen  noch  auf  eine  seltene  und  wenig  bekannte  Frühform  der 
Larynxtuberkulose  aufmerksam  machen,  die  in  der  Gestalt  halbkugliger,  glänzend 


TUBERCULOSIS  LARYNGIS.  671 

weisser,  linsengrosser  Knoten  in  der  Gegend  der  Processus  vocales, 
am  Taschenbande  gewöhnlich  einseitig  aultritt.  Diese  Knötchen  können  län- 
gere Zeit  bestehen,  ohne  zu  ulceriren. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  exstirpirten  Knöt(;hen  (HKJtYNfi) 
zeigte  Granulationsgewebe,  das  mit  verdicktem  Epithel  bedeckt  war  und 
typische  Tuberkelconglomerate  mit  Riesenzellen  enthielt. 

Die  kleineren  Tuberkeltumoren  sitzen  häufiger  an  den  wahren  Stimm- 
bändern, sind  halbkuglig,  von  weisslicher  Farbe  und  können  im  Anfang  ihrer 
Entwickelung,  wenn  sie  noch  sehr  klein  sind,  mit  Sängerknötchen  verwechselt 
werden. 

Zur  Differential-Diagnose  mögen  folgende  von  Castex  hervorgehobene 
Punkte  dienen.  Die  Sängerknötchen  haben  eine  konische  Form,  sind  öfters 
Symmetrisch,  sitzen  am  Ptande  des  Stimmbandes,  gewöhnlich  solitär,  die  Stimm- 
bänder sind  fast  immer  normal,  weiss,  die  Aryknorpeln  sind  unverändert.  Sie 
entstehen  durch  Ueberanstrengung  der  Stimme. 

Die  Tuberkelknötchen  sind  halbrundlich,  selten  symmetrisch,  sitzen  an 
verschiedenen  Stellen  dQS  Stimmbandes,  manchmal  mehrfach  auf  einem  Stimm- 
bande, das  gewöhnlich  etwas  verdickt  und  geröthet  ist.  Die  Aryknorpel  sind 
congestionirt,  in  den  Lungen  finden  wir  gewöhnlich  Symptome  der  Tuberkulose. 

Die  Tuberkelknötchen  sind  von  der  Grösse  eines  Stecknadelkopfes  bis 
zu  der  einer  Linse.  Die  Stimmbänder  sind  gewöhnlich  grauröthlich,  mit 
geschlängelten,  hyperämischen  Gefässen,  die  sich  öfters  in 
der  Nähe  des  Knötchens  pinselförmig  ausbreiten.  Bemerkenswerth 
ist  die  Reizbarkeit  solcher  Stimmbänder  gegen  die  geringsten  localen  Ein- 
griffe. Auch  die  leichteste  Touchirung  mit  dem  Pinsel,  sogar  mit  indifferenten 
Mitteln,  ruft  eine  manchmal  tagelang  andauernde  Congestion  und  Schwellung 
der  Stimmbänder  hervor. 

Nicht  selten  tritt  nach  solchen  Eingriffen  eine  reactive  Entzündungszone 
um  die  Knötchen  herum,  die  in  sehr  kurzer  Zeit  in  lenticuläre  Geschwüre 
zerfallen. 

Die  miliare  Form  der  Tuberkulose  wird  überhaupt  am  Lebenden 
seltener  constatirt.  Laryngoskopisch  finden  wir  zuweilen  kleine,  weiss- 
liche  Knötchen  unter  dem  Epithel  oder  unter  der  Schleimhaut  sitzen.  Am 
häufigsten  sind  sie  an  den  Rändern  mancher  Geschwüre  sichtbar. 

Verstopfte  Schleimdrüsen-Ausführungsgänge  können  aber  manchmal 
Tuberkelknötchen  simuliren,  ebenso  wie  inselförmige  Epithelverdickungen  und 
nekrotische  epitheliale  Herde. 

Die  Tuberkelbacillen  gelangen  in  den  Larynx  am  häufigsten  aus  der  zu- 
erst befallenen  Lunge,  und  zwar  durch  das  Secret,  welches  an  der  hinteren 
Larynxwand  in  den  Schleimhautfalten  und  -Buchten  längere  Zeit  sich  aufhält 
und  inficirend  wirken  kann.  Die  Ausführungsgänge  der  Schleimdrüsen,  in 
denen  Tuberkelbacillen  aufgefunden  worden  sind  (Heryng),  bilden  einen  we- 
niger bekannten  und  wahrscheinlich  sehr  seltenen  Weg  der  Infection.  Die- 
selbe wird  natürlich  an  Stellen,  die  vom  Epithel  entblösst  sind,  erleichtert,  aber 
auch  intactes  Epithel  stellt  dem  Eindringen  der  Tuberkelbacillen  keine  un- 
überwindlichen Hindernisse  (E.  Fränkel). 

Eine  directe  Uebertragung  von  ulcerirten  Stellen  ist  von  Fischer  an 
den  Stimmbandfortsätzen  angenommen  worden. 

Das  infectiöse  Material  kann  und  wird  sehr  häufig  mit  dem  Blut-  und 
Lymphstrom  verschleppt  werden,  und  zwar  von  degenerirten,  käsig  zerfallenen, 
längere  Zeit  bestehenden  tuberkulösen  Herden.  Auch  ältere,  fibröse  entartete 
tuberkulöse  Herde  können  wieder  aufbrechen  und  frisches  Impfmaterial 
liefern.  Hierher  gehören  vor  allem  Erkrankungen  der  Hals-  und  Bronchial- 
drüsen. Tuberkulöse  Tumoren  in  der  Nase,  tuberkulös  entartete  adenoide 
Vegetationen  können  längere  Zeit  fast  symptomlos  verlaufen. 


672  TUBERCULOSIS  LARYNGIS. 

Tuberkulöse  Knochen-  und  Gelenkaffectionen  bieten  ebenfalls  Ursache 
zur  Verschleppung  der  Tuberkelbacillen. 

Gewöhnliche  chronische  Larynxkatarrhe  führen  ohne  bestehende  Prädis- 
position nicht  zur  Larynxphthise.  Die  Laringitis  tuberculosa  muss  von  dem 
bei  tuberkulösen  Personen  auftretenden  Katarrh  getrennt  werden.  Katarrhe 
führen  manchmal  zu  Erosionen,  aber  nicht  zu  Ulcerationen. 

Dass  bei  bestehender  Lungenphthise  Erkältung,  Ueberanstrengung  der 
Stimme,  Syphilis,  Abusus  von  Tabak  und  Alkohol  zu  Larynxkatarrhen  dis- 
poniren  und  dadurch  eine  tuberkulöse  Erkrankung  dieses  Organs  begünstigen 
können,  ist  durch  vielfache  Beobachtung  bestätigt. 

Nach  ScHECH  erkranken  ungefähr  30%  von  Lungenphthisikern  an  Larynx- 
phthise. Ihres  Berufes  wegen  sind  Männer  mehr  als  Frauen  disponirt,,  und 
zwar  im  Verhältnis  von  3  auf  1.  Kinder  unter  12  Jahren  erkranken  sehr 
selten. 

Die  Krankheit  entwickelt  sich  am  häufigsten  zwischen  dem  20.  und  30. 
Lebensjahre.  Das  Greisenalter  bleibt  auch  nicht  verschont,  der  Verlauf  ist 
aber  günstiger  als  bei  jüngeren  Individuen.  Ich  habe  bei  einem  65jährigen 
Collegen  eine  typische  Larynx-  und  Lungenphthise  beobachtet,  operativ  be- 
handelt und  geheilt.  Die  Heilung  dauert  seit  4  Jahren.  Der  allgemeine 
Zustand  ist  vortrefflich. 

Larynxtuberkulose  kann  auch  bei  wohlgenährten,  corpulenten,  mit  dickem 
Fettpolster  ausgestatteten  Individuen  vorkommen.  Sie  verläuft  chronisch,  ohne 
bedeutendes  Fieber,  wird  aber  öfters  durch  Lungenblutung  complicirt.  Sie  tritt 
gewöhnlich  secundär  auf. 

Die  primäre  Larynxtuberkulose,  welche  früher  als  besondere 
Seltenheit  betrachtet  und  von  vielen  Autoren  sogar  gänzlich  negirt  wurde, 
ist  nun  sowohl  klinisch  als  am  Secirtisch  nachgewiesen  worden.  Obgleich 
im  Anfangsstadium  der  Larynxerkrankung,  trotz  der  sorgfältigsten  Unter- 
suchung, öfters  gar  keine  Spuren  eines  localen  Processes  aufzufiinden  sind, 
entwickelt  sich  immer  in  ihrem  Gefolge  eine  tuberkulöse  Lungenerkrankung. 
Die  anatomischen  Beweise  für  die  Existenz  einer  primären  Larynxtuberkulose 
wurden  erst  in  den  letzten  Jahren  von  Orth,  E.  Feänkel  und  Pogeebinski 
geliefert. 

Bei  der  Diagnose  der  primären  Larynxphthise  dürfen  wir  aber  nicht  ver- 
gessen, dass  trotz  des  negativen  Befundes  der  Lunge  bei  der  physikalischen 
Untersuchung  im  Lungenparenchym  kleine,  käsige  Herde  in  der  Tiefe  ver- 
steckt sein  können,  die  durch  kein  Symptom  ihre  Anwesenheit  verrathen. 

Die  secundäre  Infection  des  Kehlkopfes  bei  Lungentuberkulose  durch 
infectiöses  Sputum,  welche  schon  Louis  angenommen  hat,  ist  heute  durch 
Koch's  Entdeckung  gewissermaassen  bestätigt. 

Unter  den  objectiven  Symptomen  ist  manchmal  die  bedeutende 
Anämie  des  weichen  Gaumens,  bei  stärkerer  Röthung  der  Arcus  palato- 
glossi   von  diagnostischer  Bedeutung. 

Einseitige  Erkrankung  der  Stimmbänder  mit  Röthung  und  Schwellung 
ist  immer  verdächtig  und  ist  gewöhnlich  durch  Lues  oder  Tuberkulose 
bedingt. 

Die  subjectiven  Erscheinungen  der  Larynxphthise  sind,  da 
derselben  fast  ausnahmslos  eine  tuberkulöse  Lungenaffection  vorhergeht,  ge- 
wöhnlich mit  Symptomen  der  Lungenerkrankung  vereint. 

Zu  der  Abmagerung,  der  Anämie,  dem  Kräfte  verfall,  dem  Fieber,  den 
profusen  Schweissen,  dem  Husten  gesellen  sich  noch  Erscheinungen  seitens 
des  Kehlkopfes  hinzu,  und  zwar  vor  allem  Heiserkeit,  sodann  Dysphagie,  end- 
lich auch  Respirationsstörungen. 

Trockenheit  und  Reiz  im  Halse,  öfteres  Hüsteln,  unterbrochen  von 
quälenden  HustenparoxysmeU;  profuser  Auswurf,  Schmerzen  und  Völle  im  Ohr 


TUBERCULOSIS  LARYNGIS.  673 

sind  fast  immer  vorhanden  und  gestalten  den  Verlauf  der  Erkrankung,  falls 
Dysphagie  hinzutritt,  zu  einer  der  peinlichsten,  das  Leben  zu  einer  wahren 
Qual  gestaltenden  Affection. 

Das  Käuspern  und  Hüsteln  wird  verursacht  ebensowohl  durch  Pharyn- 
gitis sicca,  wie  durch  die  so  häufig  auftretende  Aöection  der  hinteren  Kehl- 
kopfwand. Und  diese  bildet  den  Sitz  der  Frühformen  der  Larynxtuberkulose. 
Sie  manifestirt  sich  in  einer  ganz  frühen  Periode  durch  charakteristische  Ver- 
änderungen, obwohl  eine  Untersuchung  der  Lunge  nicht  immer  deutliche 
Erscheinungen    der  Lungentuberkulose  nachzuweisen  vermag. 

Die  eben  besprocheneu  Veränderungen  treten  in  der  Rimula  auf,  bald 
als  Trübungen,  Verdickungen,  zackige  Unebenheiten,  oder  als  halbkuglige, 
resp.  pilzartige  Infiltrationen,  die  längere  Zeit  ohne  in  Zerfall  und  Uiceration 
überzugehen,  bestehen  können. 

Die  Trübung  und  Schwellung  der  hinteren  Wand,  die  Auflockerung  des 
Epithels,  der  sogenannte  „Etat  velvetique",  kann  aber  auch  bei  chro- 
nischen Katarrhen,  besonders  bei  Stauungskatarrhen,  vorkommen. 

Die  hypertrophischen  Fältchen,  in  welche  die  Schleimhaut  sich  bei 
chronischen  Katarrhen  zusammenlegt,  verschwinden  bei  tiefer  Inspiration,  und 
die  Mucosa  wird  wieder  glatt.  Bei  beginnenden,  tuberkulösen  Erkrankungen 
der  Pars  interarytaenoidea  bleiben  solche  hypertrophische  Zacken  und  Ver- 
dickungen unverändert.  Der  Sitz  der  Zacken  ist  prognostisch  wichtig.  Finden 
wir  eine  zackige  Prominenz,  die  bei  tiefer  Inspiration  sich  nicht  glättet  und 
die  Mitte  der  Pars  interarytänoidea  einnimmt,  so  kann  dies  auf  chronischen 
Katarrh  bezogen  werden.  Sitzt  die  Zacke  lateral  näher  den  Processus  vo- 
cales,  ist  sie  röthlich,  einige  Millimeter  hoch,  so  spricht  dies  mit  grösster 
Wahrscheinlichkeit  für  ihre  tuberkulöse  Natur. 

Die  weiteren  Veränderungen,  die  sich  dort  abspielen,  bestehen  in  einer 
tuberkulösen  Infiltration,  die  entweder  in  Zerfall  übergeht,  oder  zu  einer 
Hypertrophie  der  Mucosa  führt  und  verschiedenartige  Wucherungsproducte 
liefert.  Bald  überwiegt  die  Verdickung  des  Epithels,  bald  der  Papillen  und 
des  Bindegewebes,  resp.  die  Wucherung  des  Granulationsgewebes,  welches 
vom  Boden  und  von  den  Rändern  der  Geschwüre  hervorspriesst. 

Je  nach  der  Ausdehnung  und  der  Localisation  des  tuberkulösen  Infil- 
trates hängt  es  ab,  ob  die  Stimmproduction  oder  die  Schlingfunctionen  mehr 
alterirt  werden. 

Erkrankungen  der  Epiglottis  und  der  hinteren  Larynxwand  rufen,  ebenso 
wie  das  Befallensein  der  Aryfalten,  starke  Dysphagie  hervor.  Localisirt  sich 
der  Process  vorwiegend  auf  den  Stimm-  und  Taschenbändern,  so  wird  je  nach 
der  Art  und  Intensität  der  Erkrankung  die  Stimme  mehr  oder  weniger  alterirt. 
Combiniren  sich  diese  beiden  Affectionen,  so  tritt  neben  Heiserkeit  auch 
Dysphagie  auf. 

Infiltrate  in  der  Gegend  der  Cricoarytänoidalgelenke,  Knorpelhautent- 
zündungen an  den  Processus  vocales  mit  Schwellungen  und  Wucherungen 
der  hinteren  Larynxwand  und  der  Knorpel  führen  allmählich  zur  Stenose 
des  Larynx  und  zur  Anchylose  der  Gelenke. 

Die  heftigsten  Schmerzen  verursachen  Erkrankungen  der  Epiglottis,  der 
ösophagealen  Fläche  der  hinteren  Larynxwand  und  der  Aryfalten,  also  das 
Befallensein  der  äusseren  Umrandung  des  Kehlkopfes. 

Die  Epiglottis  bietet  einige  Variäteten  in  der  Erkrankung,  ent- 
sprechend dem  Charakter  und  Verlauf  des  Leidens.  Das  Infiltrat  ist  ent- 
weder diffus  oder  einseitig.  Begrenzte  Infiltrate,  die  eine  glatte  Oberfläche 
besitzen  und  hart  sind,  ohne  bedeutende  Entzündung  auftreten,  können  län- 
gere Zeit  bestehen,  ohne  zu  zerfallen. 

Wird  der  ganze  Kehldeckel  befallen,  so  nimmt  er  die  bekannte  Turban- 
form an  und  verdeckt  gewöhnlich  das  Innere  des  Kehlkopfes.  Die  Geschwüre 

Ohren-,  Nasen-,  Eachen-,  Kehlkopfkranklieiten.  4o 


674  TUBERCULOSIS  LARYNGIS. 

sitzen  entweder  am  fielen  Kande  oder  an  der  laryngealen  Fläche  des  Kehl- 
deckels. Sie  besitzen  eine  Neigung  zum  Confluiren  und  bedingen  im  späteren 
Stadium  Nekrose  des  Knorpels,  Einschmelzung  desselben  bis  zur  vollkommenen 
Destruction  der  Epiglottis. 

Infiltrate  am  Petiolus  führen  zu  Ulcerationen,  die  wegen  des  Befallen - 
seins  der  zahlreichen  Schleimdrüsen  zu  krat erförmigen,  manchmal  perforiren- 
den  Geschwüren  Veranlassung  geben  und  von  dort  gerne  auf  die  Taschen- 
bänder und  den  Yentriculus  Morgagni  übergreifen.  Der  Knorpel  erkrankt 
seltener  als  die  Weichtheile.  Ist  dies  der  Fall,  so  bleibt  die  Epiglottis  stark 
verdickt,  starr  und  unbeweglich. 

Die  lenticulären  Geschwüre  der  laryngealen  Fläche  der  Epiglottis  sitzen 
manchmal  vereinzelt  auf  der  gerötheten,  geschwollenen,  aber  wenig  infiltrirten 
Mucosa.  Diese  Formen  sind  der  localen  Behandlung  vollkommen  zugänglich 
und  geben  eine  relativ  gute  Prognose. 

Die  tuberkulösen  Veränderungen  der  hinteren  Larynx- 
wand  bilden  im  Stadium  der  Infiltration  zwei  blassgelbe,  kissenartige  An- 
schwellungen von  verschiedener  Consistenz  und  Grösse. 

Ist  das  Infiltrat  sehr  zellenreich,  sind  die  Gefässe  comprimirt  und 
degenerirt,  so  treten  Oedeme  hinzu,  die  beim  Zerfall  der  Geschwüre,  bei  Zu- 
tritt von  eitererregenden  Coccen,  resp.  bei  Reizzuständen,  sich  sehr  schnell 
auf  die  angrenzenden  Theile  ausbreiten  und  gefahrdrohende  Stenose  bedingen 
können. 

Infiltrationen  der  Seitensiränge  (Lig.  ary-epigl.)  können  bis 
zur  Epiglottis  reichen.  Sie  bilden  dann  zusammen  mit  dem  kugelartig  ge- 
schwollenen Santorinischen  Knorpel  birnenförmige  Tumoren. 

Ein  Punkt  verdient  noch  hier  besondere  Erwähnung,  nämlich  die  un- 
richtige Angabe,  dass  eine  tuberkulöse  Infiltration  der  hinteren  Wand  immer 
mit  Perichondritis  des  Cricoarytänoidalgelenkes  verbunden  ist.  Im  Anfangs- 
stadium ist  die  Unbeweglichkeit  eines  oder  beider  Stimmbänder  durch 
mechanische  Behinderung  der  Muskeln  und  Fixation  der  Gelenke  bedingt. 
(Falsche  Anchylose.)  Erst  in  späteren  Stadien  wird  auch  das  Cricoarytä- 
noidalgelenk  befallen.  Die  Symptome  dieser  Affection  bestehen  vor  Allem 
im  Schmerz  beim  Sprechen  und  schmerzlicher  Empfindung  bei  Annäherung 
der  Aryknorpel,  wenn  der  Kehlkopf  von  beiden  Seiten,  in  der  Gegend  des 
oberen  Hornes,  mit  zwei  Fingern  zusammengedrückt  wird. 

Die  Perichondritis  arytaenoidea,  mit  vorwiegendem  Befallensein  des  Stimm- 
bandfortsatzes kommt  relativ  häufig  vor  und  führt  öfters  zur  Caries  oder 
Nekrose  des  Knorpels.  Tritt  Eiterung  hinzu,  so  schwillt  die  Umgebung  stark 
an,  die  Schmerzen  steigern  sich  ganz  excessiv  und  lassen  erst  nach  Durch- 
bruch des  Eiters  nach.  Manchmal  entsteht  ein  Fistelgang,  der  zum  nekrotischen 
Knorpel  führt.  Viel  häufiger  bilden  sich  Granulationen  um  das  nekrotische 
Knorpelstück  herum  und  füllen  die  Höhle  aus.  Der  Knorpel  selbst  fällt  der 
regressiven  Fettmetamorphose  an,  kann  verkalken  und  wird  nur  in  den  sel- 
tensten Fällen  ausgestossen. 

Infiltrate  der  Aryfalten  gehen  seltener  als  die  an  anderen  Stellen  in 
Ulceration  über.  Der  Zerfall  tritt  oft  von  der  Epiglottis  oder  vom  Taschen- 
band erst  secundär  auf  die  Aryfalten  über. 

Die  tuberkulösen  Erkrankungen  der  Taschenbänder  nehmen 
ihren  Ursprung  am  häufigsten  aus  der  tuberkulösen  Erkrankung  des  Sinus 
Morgagni.  Dieser  Process  kann  entweder  primär  auftreten  oder  vom  Stimm- 
band fortgeleitet  werden. 

Bei  chronischen  Geschwüren  sehen  wir  öfters  einen  länglichen  Granu- 
lationswulst aus  dem  Ventrikel  hervorragen.  Die  geschwollenen  und  infil- 
trirten Taschenbänder  bedecken  gewöhnlich  die  Stimmbänder  vollkommen  oder 
theilweise.    Manchmal  bilden   sie  rundliche,   unregelmässige,   höckrige   Pro- 


TUBERCULOSIS  LARYNGIS.  675 

minenzen  von  gelblichrother  Farbe.  Kommt  es  zum  Zerfall,  so  sehen  wir 
Geschwüre  in  verschiedener  Form  und  Zahl  auftreten.  Wegen  lieichthums  an 
Schleimdrüsen  entstehen  in  dieser  Gegend  durch  Confiuiren  tiefe,  krater- 
förmige  Substanzverluste,  die  nicht  selten  auf  die  laryngeale  Fläche  der  Epi- 
glottis  oder  auf  die  hintere  Larynxwand  übergreifen.  In  solchen  Fällen  ist 
auch  gewöhnlich  der  Processus  vocalis  nekrotisch  und  das  Cricoarytänoidal- 
gelenk  tuberkulös  entartet.  Wir  finden  alsdann  öfters  das  Stinimband  un- 
beweglich und  der  Medianlinie  genähert.  Ist  Tendenz  zur  Heilung  vorhanden, 
so  reinigen  sich  die  Geschwüre,  Granulationen  schiessen  auf,  manchmal  in 
solcher  Ueppigkeit  und  Fülle,  dass  wahre  Tumoren  nnd  Wülste  entstehen,  die 
das  Lumen  des  Kehlkopfs  verengern  können. 

Die  tuberkulöse  Infiltration  der  Stimmbänder  tritt  sehr  oft 
nur  einseitig  auf,  häufiger  auf  derselben  Seite,  wie  die  tuberkulöse  Lungener- 
krankung, aber  nicht  häufiger  links  als  rechts.  (Krieg.) 

Die  Chorditis  tuberculosa  kann  längere  Zeit  in  der  Form  eines  rund- 
lichen, dicken  Wulstes  von  glatter  Oberfläche  und  gerötheter  Farbe  bestehen. 
Natürlich  geht  der  scharfe  Rand  des  Stimmbandes  verloren,  ebenso  wie  das 
glänzende,  sehnige  Aussehen  desselben. 

Der  innere  Rand  wird  zuweilen  auseinander  gedrängt,  gleichsam  ge- 
spalten. Am  deutlichsten  ist  die  Furche  in  der  Nähe  des  Processus  vocalis. 
Trotzdem  kommt  es  in  diesem  Stadium  nicht  immer  zur  Ulceration.  Greift 
die  Infiltration  auf  die  untere  Fläche  des  Stimmbandes  über,  kommt  es  zur 
Bildung  eines  länglichen  Wulstes  {Laryngitis  hypoglottica),  so  können  da- 
durch, falls  der  Process  doppelseitig  auftritt,  stenotische  Symptome  hervor- 
gerufen werden. 

Die  geschwürigen  Processe  der  Stimmbänder  sind  entweder  circumscript 
oder  diffus,  im  letzten  Falle  öfters  länglich  oder  serpiginös,  parallel  mit  den 
elastischen  Fasern  verlaufend.  Am  Processus  vocalis  bilden  sie  manchmal 
dellenartige  oder  napfartige  Vertiefungen.  Oefters  beginnt  die  Ulceration  am 
freien  Rande,  der  ein  zackiges  ilussehen  annimmt.  Die  oberflächlichen  Ero- 
sionen und  .Substanzverluste  treten  häufiger  auf  im  vorderen  Drittel  der 
Stimmbänder,  Anfangs  als  Epitheltrübungen  und  oberflächliche  nekrotische 
Epithelherde. 

Von  der  Diagnose  der  Larynxphthise  kann  man  dasselbe  sagen, 
was  Cazaux  von  der  Entbindung:  „Quand  c'est  facile,  c'est  tres  facile, 
quand  c'est  difficile,  c'est  tres  difficile." 

Die  Hauptschwierigkeit  der  Diagnose  bilden  Fälle,  wo  bei  allgemeiner 
guter  Ernährung,  bei  tieberlosen  Zuständen  in  den  Lungen  minimale  oder 
gar  keine  tuberkulösen  Veränderungen  zu  finden  sind,  während  der  Larynx 
das  Bild  einer  beginnenden  oder   schon  entwickelten  Larynxphthise  darstellt. 

Zwei  Formen  der  Erkrankung  fordern  specielle  Berücksichtigung:  die 
Syphilis  und  der  Lupus. 

Der  Lupus  tritt  gewöhnlich  auf  in  Verbindung  mit  einer  lupösen  Haut- 
affection  oder  einer  Erkrankung  der  Nasenschleimhaut.  Der  Larynx  wird 
manchmal  vor,  manchmal  nach  der  Erkrankung  der  Haut  befallen,  und  zwar 
vorwiegend  bei  Weibern  zwischen  dem  9.  und  20.  Jahr.  Am  häufigsten  wird 
der  Kehldeckel  afficirt,  sodann  die  Taschenbänder  und  die  Stimmbänder. 
Wir  sehen  Knoten  und  Knötchen,  papillomatöse  Wucherungen,  neben  weichen, 
schwammigen,  leicht  blutenden  Granulationen  ohne  entzündliche  Symptome 
auftreten,  und  während  eine  Partie  zerfällt  und  ulcerirt,  tritt  an  anderen 
Narbenbildung  oder  neue  Hyperplasie  hinzu. 

Durch  Zerfall  und  Narbenbildung  entstehen  bedeutende  Difformitäten 
der  befallenen  Theile,  und  was  eigenthümlich  ist,  ohne  besondere  Beschwerden 
hervorzurufen.  Dieser  Punkt  ist  diagnostisch  sehr  wichtig.  Die  Stimme  wird 
gewöhnlich  mehr  alterirt  als  das   Schlingvermögen   und  die  Respiration,    die 

43* 


676  TUBERCULOSIS  LARYNGIS. 

erst  in  vorgeschrittenen  Fällen  beeinträchtigt  wird.  Der  langsame  Verlauf, 
das  gleichzeitige  Auftreten  der  Hautaffection,  die  Prävalenz  der  Hyperplasie 
und  Knötchenbildung  bei  langsamem  Zerfall  sichern  die  Diagnose  besser,  als 
die  mikroskopische  Untersuchung  ad  hoc  excidirter  kleiner  Partikel,  die 
manchmal  trügerische  Bilder  liefert. 

S yp h il i s  d e s  Kehlkopfes  wird  öfters  mit  Larynxphthise  verwechselt. 
M.  Schmidt  gibt  einige  Zeit  probeweise  Jodkali  und  hat  damit  in  manchen 
Fällen  die  Diagnose  gesichert.     Solche  Fälle  sind  aber  nicht  häufig. 

Jodkali  allein,  selbst  in  grossen  Dosen,  ist  nicht  immer  im  Stande,  die 
Diagnose  zu  sichern.  Manchmal  sieht  man  nach  längerer  erfolgloser  Jod-Dar- 
reichung einen  exquisiten  Erfolg  erst  nach  Inunctionscuren  eintreten. 

Aus  der  Localisation  der  Geschwüre  können  stricte  Schlüsse  nicht  ge- 
zogen werden,  da  beide  Krankheiten  dieselben  Prädilectionsstellen  besitzen. 
Folgende  Punkte  sind  bei  der  Differential-Diagnose  wichtig. 

Syphilitische  Geschwüre  besitzen  gewöhnlich  scharfe,  unterminirte  Ränder 
mit  sehr  spärlichem  Secret.  Ihre  Umgebung  ist  öfters  geschwollen  und  ge- 
röthet. 

Tuberkulöse  Geschwüre  gehen  auf  hie  Umgebung  über,  sind  gewöhnlich 
mit  schleimigeitrigem  Secret  bedeckt  und  öfters  von  "Wucherungsproducten 
umgeben. 

Finden  wir  im  Secret  der  Geschwüre  zahlreichere  Bacillen  oder  typische 
Tuberkeln  in  den  Wucherungsproducten,  so  ist  damit  die  Diagnose  gesichert, 
natürlich  bei  specieller  Berücksichtigung  und  Untersuchung  des  allgemeinen 
Zustandes.    Auf  die  Aussage  der  Kranken  selber  ist  weniger  Werth  zu  legen. 

Das  gleichzeitige  Auftreten  von  unregelmässigen  Geschwüren  mit  starren, 
zackigen  Rändern,  wachsartigem,  gelblichem  Grunde  neben  Narbenbildung 
spricht  meistens  für  Syphilis,  während  kleinere,  weisse  Knötchen  in  den 
Rändern  der  Geschwüre  nicht  immer  tuberkulösen  Einlagerungen  ihre  Ent- 
stehung verdanken, 

Krebs  neben  Tuberkulose  (im  Larynx)  sind  bei  einem  Patienten  von 
Zenker  beobachtet  worden. 

Schmidt  sah  einen  Fall,  wo  zuerst  Larynxtuberkulose,  dann  Syphilis 
und  endlich  Larynxkrebs  bei  einem  Kranken  auftrat. 

Zu  luetischen  Geschwüren  kann  sich  bei  entsprechenden  Bedingungnn 
Larynxtuberkulose  hinzugesellen. 

Die  Larynxtuberkulose,  resp.  die  durch  sie  bedingte 
Larynxphthise,  kann  spontan,  ohne  specielle  Behandlung 
ausheilen.  Am  häufigsten  vernarben  die  geschwürigen  Processe  an  den 
Stimmbändern  und  der  hinteren  Larynxwand,  ungemein  selten  die  schweren, 
mit  Ulcerationen  und  Wucherungsproducten,  mit  tiefen  Geschwüren  und 
Knorpelaffectionen  auftretenden  Fälle,  welche  von  Aphonie  und  hochgradiger 
Dysphagie  begleitet  sind  und  rasch  zur  Denutrition  und  zur  Ausbreitung  des 
Processes  in  den  Lungen  führen. 

Die  besten  Chancen  zur  Ausheilung  geben  diejenigen  Fälle,  in  welchen 
die  Erkrankung  als  Infiltration  oder  als  tumorartige  Excrescenz  an  der  hin- 
teren Larynxwand  auftritt,  chronisch  verläuft  und  in  welcher  der  Kehldeckel 
und  die  Santorinischen  Knorpel  wenig  oder  gar  nicht  afficirt  sind. 

Relative  Erfolge  sind  noch  in  manchen  Fällen  von  chronisch  verlaufen- 
der, mit  Infiltrationen  einhergehender  einseitiger  Erkrankung,  die  nicht  zum 
Zerfall  neigt,  zu  erreichen,  oder  bei  Anwesenheit  sogenannter  tuberkulöser 
Tumoren  der  Stimmbänder  oder  der  Taschenbänder. 

Die  schlechtesten  Prognosen  geben  die  diffus  auftretenden  Infiltrationen 
des  Larynx  mit  raschem  Zerfall,  die  tiefen  Geschwüre  der  Epiglottis  und 
am    Kehldeckelwulste,    welche    auf    die    Ventrikel    übergehen,    ferner    die 


TUBERCULOSIS  LARYNGIS.  677 

nekrotischen  Processe  der  Aryknorpel,  Formen,  die  mit  Stenosenerscheinungen 
auftreten,  endlich  die  Miliartuberkulose. 

Die  Möglichkeit  einer  Ausheilung  ist  in  erster  Linie  abhängig  von  der  Con- 
stitution und  der  Kesistenzfähigkeit  der  Kranken,  sodann  von  dem  anatomischen 
Charakter  der  Lungenerkrankung  und  ihrer  Ausbreitung,  ferner  vom  Alter 
des  Patienten,  zum  Theil  von  seinen  materiellen  Verhältnissen.  Ausschlag- 
gebend ist  der  Zustand  der  Lungenaffection  und  der  Ernährung. 

Tumorartige  Infiltrate  der  pars  interarytaenoidea  führen  durch  Zerfall 
zu  Geschwürsbildung  und  allgemeiner  Infection.  Sie  scheinen  in  manchen 
Fällen  primär  aufzutreten,  bilden  aber  öfters  das  Anzeichen  einer  latenten 
Lungentuberkulose. 

Bei  der  Heilung  tuberkulöser  Geschwüre  bleiben  in  der  Narbe  Tuberkel 
eingeschlossen,  die  obwohl  fibrös  entartet,  dennoch  lebensfähige  Keime  ent- 
halten können,  gerade    wie    dies   in  der  Lungenspitze  beobachtet  worden  ist. 

Die  locale  Behandlung  der  Kehlkopf phthise  war  lange  Zeit 
eine  palliative  in  Folge  einer  von  gewissen  Seiten  mit  grösster  Obstinenz 
negirten  Möglichkeit  einer  Ausheilung  des  tuberkulösen  Larynxprocesses. 

Diese  schädliche  Doctrin  ist  heute  als  absolut  überwunden  zu  be- 
trachten. 

Von  den  verschiedensten,  bei  dieser  Affection  angewandten  und  an- 
empfohlenen Mitteln,  wie  Kreosotglycerin,  Phenol,  Balsam,  peruvianum,  Sublimat, 
Jodoform,  Jodol,  Menthol  hat  sich  nur  die  von  Krause  eingeführte  Milch- 
säure eine  dauernde  Stellung  in  der  Therapie  dieser  Affection  erworben. 

Die  Milchsäure  lässt  sich  nicht  bei  allen  Kranken  anwenden,  da  sie 
manchmal  starke  Entzündungserscheinungen  hervorruft.  Sie  ist  indicirt  bei 
hypertrophischen  Geschwüren,  bei  Granulationsbildung,  ebenfalls  zur  Reini- 
gung des  Geschwürsbodens.  Gegen  harte  Infiltrate  erweist  sich  die  Milch- 
säure von  geringer  Wirkung. 

Menthol  und  Jodol  stehen  in  ihrer  Wirkung  weit  hinter  diesem  Mittel 
zurück.  Jodoform  ist  bei  gewissen  Formen  von  Geschwüren  zur  Reinigung 
und  Anregung  der  Granulationsbildung  nützlich. 

Das  Phenolum  sulforicinicum  ist  erst  in  letzter  Zeit  von  Ruault 
und  Beelioz  in  die  Praxis  eingeführt  und  speciell  bei  Larynxphthise  empfohlen 
worden.  Es  übt  manchmal  einen  günstigen  Einfluss  auf  tuberkulöse  Infiltrate 
aus,  fordert  aber  bei  der  Anwendung  gewisse  Vorsichtsmaassregeln. 

30°/oige  Lösung  hat  sich  am  meisten  bewährt.  Die  Pinselungen  rufen 
öfters  reactive  Entzündungserscheinungen  hervor  und  sollen  daher  erst 
nach  Ablauf  derselben  wiederholt  werden. 

Von  den  kaustischen  Mitteln  ist  noch  die  Chrom  säure  zu  erwähnen,  die 
an  Silbersonden  angeschmolzen,  zur  Anwendung  gelangt.  Die  übertriebene 
Furcht  vor  Vergiftungserscheinungen  hat  trotz  Rethi's  gründlichen  auf 
tausenden  von  Fällen  geprüften  und  die  Gefahrlosigkeit  der  Chromsäure  be- 
stätigende Beobachtungen  dieses  nützliche  Mittel  in  den  Hintergrund  geschoben. 

Von  den  ad stringir enden  Mitteln,  wie  Alaun,  Tannin  ist  wenig  zu  hoffen. 
In  Verbindung  mit  Morphium,  wirkt  es  durch  den  Zusatz  der  Narkotica 
mehr  als  durch  ihre  adstringirenden  Eigenschaften. 

Bismuthum  nitricura  und  Bismuthum  salycilicum,  mit  Zusatz  von  Eucain 
und  Antipyrin,  leisten  sie  Einblasungen  bei  Dysphagie  ganz  vorzügliche 
Dienste. 

Rp.  Mag.  bismuthi     .     .     .     .     6'0 

Antipyrini 4*0 

Eucaini 2'0 

M.  F.  pulver  subtiliss.  pulv.  sie. 

Bei  starken  Schlingbeschwerden  muss  Cocain  oder  Eucain  örtlich  an- 
gewandt werden.    Zum  Bepinseln  genügen  lO^oige  Lösungen. 


678  TUBERCULOSIS  LARYNGIS. 

Spray  soll  mittelst  einer  entsprechend  nach  unten  abgebogenen  Köhre 
nur  in  warmen,  Steigen  Lösungen  Anwendung  finden,  und  um  Vergiftungser- 
scheinungen zu  vermeiden,  nur  während  der  Phonation  applicirt  werden. 

Die  submucösen  Injectionen  von  Cocain  mit  Zusatz  von  2%  Carbol- 
säure  sind  nur  bei  Erfolglosigkeit  aller  anderen  Mitteln  indicirt.  Die  HERYNG'sche 
Spritze  fasst  0-25  Cocain.  Ein  Tropfen  enthält  0-03  Cocain.  Die  Formel 
lautet:  Cocaini  mur.  0-25,  Sol.  Acid.  Carbol.  (2%)  2-5.  S.  zur  submucösen 
Injection. 

Eucain  besitzt  dieselben  anästhetischen  Eigenschaften  wie  Cocain,  wirkt 
aber  nicht  zusammenziehend  auf  die  Blutgefässe  und  tritt  seine  Wirkung 
etwas  später  als  bei  Benutzung  von  Cocainlösung  ein.  Sein  Geschmack  ist 
unangenehmer,  schärfer  als  der  des  Cocains.  Es  ruft  aber  sehr  selten  Ver- 
giftungserscheinungen hervor.  Gewöhnlich  genügen  vollkommen  9"/oige  warme 
Lösungen,  um  die  Dysphagie  zu  lindern. 

Antipyrin  als  Zusatz  zu  Cocain  oder  Eucain  verlängert  ihre  anästhesirende 
Wirkung.  In  letzter  Zeit  hat  sich  das  von  Einhorn  und  Heinz  eingeführte 
Orthoform  auch  bei  Larynxphthise,  gegen  die  Dysphagie  gut  bewährt.  Es 
wirkt  jedoch  nur  auf  ulcerirte,  epithellose  Flächen,  versagt  bei  Infiltraten 
vollständig.  Die  Wirkung  ist  eine  nachhaltige,  dauert  6 — 10  Stunden  je 
nach  der  Application  des  Mittels.  Es  ist  vortheilhaft,  dasselbe  ää  mit  Talk 
zu  verordnen,  mit  einem  Zusatz  von  l'O  Cocain  (oder  Eucain)  auf  4*0  Ortho- 
form. Die  Insufflationen  müssen  zweimal  täglich  wiederholt  werden.  Ein 
Nachtrinken  oder  Gurgeln  ist  zu  verbieten. 

Manche  Kranke  finden  eine  Erleichterung  beim  Schlingen,  wenn  sie 
Flüssigkeiten  mittelst  Glasröhren  schlürfen.  Bei  Fehlschlucken  und  dadurch 
bedingten  quälenden  Hustenparoxysmen  werden  dieselben  manchmal  dadurch 
gelindert,  dass  die  Patienten  sitzend,  mit  stark  nach  vorne  geneigtem  Ober- 
körper, trinken. 

Die  Behandlung  der  Larynxphthise  zerfällt  nach  der  Natur  des 
Leidens  in  zwei  Gruppen,  d.  h.  in  die  Behandlung  des  Kehlkopfleidens  und 
des  dasselbe  fast  immer  complicirenden  Lungenleidens. 

Bei  einer  Erkrankung,  welche  manchmal  Jahre  lang  dauert,  ist  es  noth- 
wendig,  dass  der  Kranke  verstehen  lerne,  dass  die  Besserung,  eventuell  Heilung 
durch  Vermeidung  derjenigen  Schädlichkeiten,  welche  sie  hervorgerufen  haben^ 
bedingt  ist. 

Es  ist  zu  bedauern,  dass  bis  jetzt  noch  keine  speciellen  Anstalten  für 
Kranke  mit  Kehlkopfphthise  an  der  Riviera  existiren,  die  den  Anforderungen 
der  Hygiene  entsprechen,  d.  h.  dem  Kranken  die  grösste  Quantität  möglichst 
reiner,  den  Stoöwechsel  anregender  Luft  geben  und  von  gewissenhaften, 
fachmännisch  ausgebildeten  Aerzten  geleitet  werden. 

Die  am  Mittelmeere  gelegenen  Localitäten  der  Riviera  di  Ponente 
oder  Levante,  obgleich  sie  kalkigen  Boden  besitzen,  haben  sich  dennoch  in 
vielen  Fällen  als  wirksame  Heilstätten  erwiesen  (Mentone,  Nizza,  San-Remo, 
Cannes,  Nervi,  Pegli).  Günstige  Erfolge  sind  auch  durch  Aufenthalt  in  Meran,^ 
Arco,  Palanza,  im  Sommer  in  Reichenhall,  Gleichenberg  erzielt  worden. 

Entscheidend  für  ihre  Wahl  ist  für  mich  weniger  der  Ort,  als  der  be- 
handelnde Arzt.  Kraftlose  Kranke  mit  hohen  Temperaturen,  mit  starker  Dys- 
phagie und  ausgebreitetem  Lungenprocess,  welche  unbemittelt  sind,  sollten  gar 
nicht  in  entfernte  Curorte  geschickt  werden. 

Die  erste  Hauptbedingung  für  die  Besserung  dieser  Kranken  besteht  in 
einer  reichlichen  Zufuhr  von  reiner,  frischer  Luft. 

Fiebernde  Kranke  werden,  solange  es  ihr  Kräftezustand  erlaubt,  statt 
im  Bett  auf  der  Chaiselongue  gelagert,  um  ihre  Energie  zu  erhalten  und 
ihnen  die  Trostlosigkeit  ihres  Zustandes  und  ihre  Hinfälligkeit  länger  zu 
verbergen. 


TUBERCULOSIS  LARYNGIS.  679 

Die  von  einigen  Aerzten  empfohlene  Lungengymnastik  ist  nur  dann 
nützlich,  wenn  dieselbe  mit  Maass  ausgeführt  wird  (Bergsteigen),  kein  Aus- 
trocknen des  Halses  und  keine  Hyperämien  zu  den  Lungen  und  dem  Kehl- 
kopf hervorruft.  Alle  Excesse  in  dieser  Kichtung  verursachen  Reizung  der 
hinteren  Larynxwand,  vergrössern  die  Schwellung,  rufen  manchmal  Husten 
hervor  und  verschlimmern  die  Heiserkeit. 

Schädlich  wirken:  Staub,  Tabakrauch,  starke  alkoholische  Getränke,  stark 
gesalzene,  scharfe,  gepfeHerte,  zu  heisse  und  zu  kalte  Speisen. 

Das  Sprechen  verbiete  man  vollständig  für  längere  Zeit  bei  Ulcerationen 
der  hinteren  Wand,  gestatte  aber  den  Kranken  mit  halblauter  Stimme  oder 
mit  Flüstersprache,  bei  geringer  Affection  der  Stimmbänder  zu  sprechen,  wenn 
sie  nach  dem  Sprechen  keine  Schmerzen  und  keine  stärkere  Ermüdung 
empfinden. 

Die  diätetische  Behandlung  spielt  bei  der  Larynxtuberkulose  eine  sehr 
grosse  Rolle.  Im  Sommer  und  Winter  verordne  man  den  Kranken  Milch  in 
grossen  Quantitäten  (1 — 2  Quart  täglich).  Gewöhnlich  wird  dazu  Cognae 
(1  Kaffeelöffel  bis  zu  1  Esslöffel)  hinzugefügt.  Bei  Personen,  welche  Neigung 
zum  Durchfall  zeigen,  wird  statt  Cognae  ein  Löffel  Aquae  Calcis  auf  ein 
Glas  zugefügt.  Wird  denselben  die  Milch  überdrüssig,  so  lasse  man  einen 
Zusatz  von  Malzextract  (Link)  oder  guten  Bieres  hinzufügen. 

Systematisch  ausgeführte  Gurgelungen  des  Halses  mit  kaltem  Wasser, 
besser  mit  Sodawasser,  einige  Mal  des  Tages,  mit  Zusatz  von  Borax  oder 
einigen  Tropfen  Milchsäure,  lindern  das  Trockenheitsgefühl  im  Halse  und 
entfernen  den  Schleim  aus  dem  Pharynx,  Entsprechend  ausgeführt  (Glougou- 
risme),  gelangen  sie  bis  in  den  Kehlkopf  und  kommen  mit  der  Schleimhaut 
der  hinteren  Wand  und  der  falschen  Stimmbänder  in  Berührung. 

Es  erübrigt  noch  mit  einigen  Worten  die  Inhalationen  zu  erwähnen. 

Dieselben  werden  entweder  kalt  (Spray)  oder  warm,  d.  h.  mittelst  heisser 
Wasserdämpfe,  verordnet.  Für  die  Anwendung  derselben  haben  wir  zwei 
Indicationen:  entweder  wollen  wir  durch  das  Einführen  zerstäubter  Mittel 
oder  des  Wasserdampfes  das  Aushusten  der  den  Kehlkopf  und  die  Bronchien 
verlegenden  Sputa  erleichtern,  oder  wir  trachten  auf  die  Schleimhaut  mittelst 
gewisser  Medicamente  therapeutisch  einzuwirken. 

Wir  können  dieselben  nach  Schech  eintheilen  in  Resolventia:  Natr. 
chloratum,  Natr.  bicarbonicum,  Ammonium  muriaticum  (V2 — l%ige  Lösungen) 
und  Adstringentia:  Alaun,  Tannin,  Tr.  Ratanhiae  in  1 — 27oigen  Lösungen. 
Die  wichtigste  Rolle  spielen  aber  die  Antiseptica.  Hierher  gehören:  Borsäure 
<1— 47o),  Carbolsäure  (V2— -27o)5  Thymol  (0-6  :  180)  Menthol,  Natr.  benzoicum 
(2 — 57o),  Natr.  salicyl.  (1 — S^o)-  2u  dieser  Gruppe  müssen  wir  noch  hinzu- 
zählen: Kreosot,  Reichenhaller  Fichtenöl,  Ol.  pini  pumilion.  Ol.  terebinthinae 
depur.,  Aqua  picea  in  verschiedenen  Lösungen,  je  nach  der  Toleranz  des 
Kranken. 

Was  die  inneren  Mittel  anbetrifft,  so  sind  Expectorantia  dann  indicirt, 
wenn  sie  wirklich  eine  Wirkung  zeigen,  was  durch  die  Untersuchung  der 
täglichen  Quantität  und  Qualität  des  Sputum  leicht  nachgewiesen  werden  kann. 

Narkotica  müssen,  trotzdem  man  ihnen  eine  Begünstigung  des  Ver- 
bleibens der  Bacillen  in  den  Luftwegen  durch  Beschränkung  der  Exspectora- 
tion  nachsagt,  in  Fällen,  wo  durch  quälenden  Husten  der  Schlaf  der  Patienten 
gestört  wird,  oder  nach  dem  Essen  Erbrechen  eintritt,  am  besten  als  Pulv. 
Doveri  gereicht  werden.  Opium  oder  Codein  ist  dem  Morphium,  welches 
dennoch  in  manchen  Fällen  nicht  zu  entbehren  ist,  vorzuziehen. 

Da  in  den  meisten  Fällen  von  Larynxphthise  hochgradige  Dysphagie  auf- 
tritt, so  folgt  daraus,  dass  als  erste  und  wichtigste  Indication  der 
Behandlung,  die  Beseitigung  der  Dysphagie  zu  betrachten  ist. 


(580  Tuberculosis  laryngis. 

Die  zweite,  ebenso  wichtige  Indication  betrifft  die  speciellen 
Fälle,  in  welchen  durch  tuberkulöse  Infiltrate  und  ihre  Wucherungsproducte 
die  Athmung  erschwert  wird  und  stenotische  Erscheinungen  auftreten. 

Die  dritte  Indication  wird  ihr  Ziel  darin  zu  sehen  haben,  die 
alterirte  oder  gänzlich  geschwundene  Stimme  wieder  herzustellen. 

Um  die  Dysphagie  erfolgreich  zu  bekämpfen,  muss  man  trachten,  ihre 
Ursachen  zu  beseitigen. 

Die  Dysphagie  wird  bedingt: 

a)  Durch  tuberkulöse  Infiltration  der  Epiglottis,  der  hinteren  Larynx- 
wand  und  der  Santorinischen  Knorpel. 

h)  Durch  tuberkulöse,  aus  Zerfall  der  Infiltrationen  entstehende,  an  den- 
selben Stellen  sitzende  Geschwüre. 

c)  Durch  entzündliche,  gewöhnlich  secundär  auftretende,  manchmal  zur 
Knorpelentzündung  und  Nekrose  führende  Processe. 

Als  Grundsatz  der  allgemeinen  Behandlung  der  Dysphagie  muss  die 
Schonung  des  erkrankten  Organs  betrachtet  werden,  also  Schonung  der  Stimme 
und  Entfernung  aller  die  erkrankte  Mucosa  reizenden  Momente. 

Die  Heilung  der  tieferen,  auf  infiltrirtem  Grunde  sitzenden,  von  Wuche- 
rungsproducten  umgebenen  Larynxgeschwüre  bei  gewissen  Formen  localisirter, 
chronisch  verlaufender  Larynxtuberkulose  ist  am  schnellsten  durch  Auslötfelung, 
resp.  Ausschneidung  der  tuberkulösen  Gewebe  zu  erreichen. 

Zu  dieser  Methode,  deren  Grundsätze  ich  im  Jahre  1887  veröffentlicht 
habe,  gehören  auch  die  Galvanokaustik  und  die  Elektrolyse. 

Die  chirurgische  Behandlung  ist  indicirt: 

a)  Bei  tuberkulösen  Tumoren  des  Kehlkopfes. 

h)  Bei  circum Scripten,  chronischen,  tumorartigen  Infiltraten  der  hinteren 
Larynxwand,  die  wenig  Neigung  zum  Zerfall  zeigen. 

c)  Bei  chronischen,  auf  infiltrirtem  Grunde  sitzenden,  von  Wucherungs- 
producten  umgebenen  Geschwüren,  die  einer  anderen  Behandlungsmethode 
widerstehen. 

d)  Bei  einseitiger  Erkrankung  des  Kehlkopfes,  auch  wenn  Epiglottis, 
Taschenband  und  Seitenstrang  afficirt  sind. 

Sie  ist  contraindicirt: 

a)  Bei  hochgradiger  Lungenphthise,  die  mit  Hexis  und  starker  Denutrition 
einhergeht. 

h)  Bei  diffuser  Miliartuberkulose  des  Kehlkopfes,  resp.  des  Kehlkopfes 
und  des  Rachens. 

c)  Bei  allen  kachektischen  Zuständen. 

d)  Bei  hochgradiger  Larynxstenose,  die  durch  entzündliche  Schwellung 
der  afficirten  Partien  bedingt  ist  (hier  tritt  die  baldigst  auszuführende  Tracheo- 
tomie  in  ihre  Rechte). 

e)  Bei  furchtsamen,  nervösen,  reizbaren,  misstrauischen,  den  Arzt  öfters 
wechselnden,  energielosen  Kranken,  überhaupt  bei  Personen,  deren  allgemeiner 
Zustand  wenig  Hoffnung  auf  Genesung  verspricht. 

Die  chirurgische  Behandlung  fordert  vom  Arzte  Hingabe  für  den  Kranken, 
Geduld,  grosse  Ausdauer,  vollkommenste  Beherrschung  der  Technik, 
präcis  gearbeitete,  scharfe  Instrumente.  Sie  soll,  wo  möglich,  nicht  am- 
bulant ausgeführt  werden.  Die  grösste  Aufmerksamkeit  ist  der  Nachbehand- 
lung zuzuwenden  und  müssen  die  Patienten  Monate,  manchmal  Jahre  lang  in 
Beobachtung  bleiben. 

Die  Operation  selber  ist  bei  richtiger  Anwendung  des  Cocains  wenig 
schmerzhaft. 

Die  Angehörigen  der  Patienten,  ebenso  wie  die  Kranken  selbst,  müssen 
vor  der  Operation  aufgeklärt  werden,  dass  die  Schlingbeschwerden  durch  den 
chirurgischen  Eingriff  nicht   sofort  beseitigt  werden  können,  dass  sie  sich 


TUBERCULOSIS  LARYNGIS.  681 

manchmal  während  einiger  Tage  verschlimmern,  ferner  dass  die  Ausführung 
der  Operation  in  den  seltensten  Fällen  eine  radicale  Heilung  des  Kehlkopfes 
herbeiführt.  Ebenso  gut  wird  man  thun,  sie  zu  avisiren,  dass  in  einer  Sitzung 
die  Entfernung  der  Infiltrate  nur  selten  gelingt,  dass  trotz  gelungener  Opera- 
tion Kecidive  im  Kehlkopf  sich  später  einstellen  können,  und  dass  der  Arzt 
keinerlei  Garantie  für  die  eventuell  erlangte  Heilung  bieten  kann. 

Bei  harten  Tumoren  der  Taschenbänder,  bei  sklerösen  Infiltrationen  der 
Epiglottis,  bei  Granulationsbildung  in  den  Morgagnischen  Ventrikeln  ist  die 
galvanokaustische  Behandlung  manchmal  von  Nutzen.  Bei  sehr  geduldigen 
Patienten,  die  vollkommen  an  die  locale  Behandlung  des  Larynx  gewöhnt  sind, 
kann,  bei  genauer  Kenntnis  der  Technik  und  bei  Benutzung  präciser,  mit 
Rheostat  und  Galvanometer  versehenen  Batterien,  eine  elektrolytische  Behand- 
lung versucht  werden.  Ihre  Nachtheile  sind:  Schmerzhaftigkeit  und  längere 
Dauer. 

Zur  Nachbehandlung  der  operirten  Theile  hat  sich  das  Pyoctanin  (in 
l_2°/oiger  Lösung)  ebenso  Grübler's  Malachitgrün  als  ein  sehr  gutes, 
entzündungswidriges  Mittel  erwiesen,  das  ein  bis  zweimal  täglich  auf  die 
wunden  Flächen  applicirt  werden  muss. 

Stärkere  Blutungen  gehören  nach  der  Operation  zu  den  grössten  Selten- 
heiten. Sie  können  durch  Application  eines  Gemisches  von  Milchsäure  und 
Liq.  ferri  sesquichl.  (ää)  gestillt  werden. 

Eine  Generalisation  der  Tuberkulose  nach  chirurgischen  Eingriffen,  so^^^e 
eine  Verschlimmerung  der  Lungenaffection  soll  in  einigen  Fällen  beobachtet 
worden  sein.  Dieses  Ereignis  ist  ein  äusserst  seltenes,  kann  aber  vorkommen, 
besonders  bei  solchen  Kranken,  die  sich  nach  der  Operation  einer  Nach- 
behandlung entziehen  und  verschiedenen  Schädlichkeiten,  als  Erkältung  u.  s.  w. 
aussetzen. 

Die  Heilung  der  operirten  Theile  erfolgt  bei  richtiger  Nachbehandlung 
in  3 — 6  Wochen. 

Der  chirurgischen  Behandlung  sind  fast  alle  Stellen  des  Larynx  bis 
zur  unteren  Stimmbandfläche  bei  Benutzung  entsprechender  Instrumente 
zugänglich. 

Als  Princip  der  chirurgischen  Behandlung  soll  gelten,  so  viel  wie  möglich 
die  afficirten  Theile  zu  excidiren.  Der  Doppelcurette  gebührt  in  vielen 
Fällen  der  Vorzug  vor  der  einfachen  Curette. 

Die  Recidive  entstehen  manchmal  an  der  Stelle  der  früher  vollführten 
Operation,  manchmal  an  etwas  entfernteren  Orten.  Sie  finden  ihre  Erklärung 
nicht  nur  in  der  Unzugänglichkeit  gewisser  Larynxtheile  für  unsere  Instru- 
mente, sondern  auch  in  der  mangelhaften  Ausführung  der  Operation  selber. 
Am  häufigsten  ist  aber  die  Schuld  dem  Fortschreiten  des  Processes  in  den 
Lungen  und  der  ungenügenden  Resistenzfähigkeit  des  Organismus  der  In- 
fection  gegenüber  zuzurechnen. 

Die  Erfolglosigkeit  ebenso  der  chirurgischen  Behandlung  der  Larynx- 
phthise,  wie  auch  anderer  therapeutischer  Methoden  hat  oft  ihren  Grund  darin, 
dass  die  Erkrankung  zu  spät  erkannt,  die  Cur  zu  spät  begonnen  worden  ist. 

Schwere  Fälle  von  Larynxphthise  sollen  am  besten  in  speciellen,  für 
Lungenphthisiker  bestimmten  klimatischen  Anstalten  behandelt  werden.  Es 
wäre  zu  wünschen,  dass  die  in  diesen  Anstalten  ordinirenden  Aerzte  sich  die 
Ausführung  der  Technik  der  operativen  Behandlung  aneignen  möchten,  so- 
lange wir  nicht  über  Mittel  verfügen,  welche  uns  die  für  manche  Fälle  noth- 
wendige  chirurgische  Behandlung  der  Larynxphthise  zu    ersetzen   vermögen. 

Bei  hochgradiger  Dysphagie,  die  durch  entzündliche  Schwellung  und 
exulcerirte  Infiltrate  bedingt  wird,  kann  manchmal  trotz  fieberhaften  Zustandes 
und  Denutrition  b ei  völliger  Erfolglosigkeit  aller  anderen  Mittel 
die  chirurgische  Methode  mit  Curettement  der  hinteren  Larynxwand  indicirt 


682  TUBERCULOSIS  NARIÜM. 

sein  und  hat  sich  dieselbe  in  vielen  Fällen  als  wirksam  erwiesen.  Die  Dys- 
phagie wird  damit  auf  eine  gewisse  Zeit  beseitigt,  trotzdem  der  Process  an 
anderen  Stellen  sich  manchmal  weiter  entwickelt,  an  anderen  wieder  sich 
auffallend  verbessert. 

Bei  combinirter  Larynx-  und  Lungenphthise  kann  durch  chirurgische  Be- 
handlung der  Kehlkopf  in  den  seltensten  Fällen  zur  völligen  Ausheilung  ge- 
langen und  seine  Functionen  wieder  erlangen.  In  anderen,  häufigeren  Fällen 
ist  eine  bedeutende,  Monate  und  Jahre  lang  anhaltende  Besserung  zu  erzielen. 
Trotzdem  wird  aber  dadurch  Recidiven  nicht  immer  vorgebeugt,  der  w^eiteren 
Entwicklung  von  Destructionen  in  den  Lungen  durch  sie  allein  nicht  ent- 
gegengewirkt und  muss  die  Allgemeinbehandlung  als  das  wichtigste  Moment 
der  Therapie  angesehen  werden.  t.  heryng. 

Tuberculosis  narium  (Tuberkulose  der  Nase).  Die  tuberkulöse  Er- 
krankung der  Nasenschleimhaut  ist  keineswegs  so  äusserst  selten,  wie  man 
dies  bis  in  die  jüngste  Zeit  aus  den  spärlichen  literarischen  Aufzeichnungen 
anzunehmen  berechtigt  war. 

Aus  der  von  Schmalfuss  zusammengestellten  Statistik  der  Würzburger 
chirurgischen  Klinik  (Zeitraum  von  10  Jahren)  ist  ersichtlich,  dass  unter  1287 
tuberkulösen  Kranken  kein  einziger  Fall  von  Tuberkulose  der  Nasenschleimhaut 
vorkam.  Willigk  hat  unter  476  tuberkulösen  Leichen  einmal  Tuberkulose 
des  Septum  gefunden,  Weichselbaum  konnte  unter  146  Leichen  zweimal 
tuberkulöse  Veränderungen  der  Nasenschleimhaut  beobachten. 

In  den  letzten  Jahren  sind  jedoch  die  auf  diese  Erkrankung  bezüglichen 
Mittheilungen  rasch  auf  einander  gefolgt,  wodurch  die  Literatur  der  tuber- 
kulösen Erkrankung  der  Nasenschleimhaut  erheblich  angewachsen  ist,  was 
gewiss  seinen  Grund  darin  findet,  dass  bei  ulcerativen  Processen  der  Nase 
behufs  Feststellung  der  Diagnose  histologische  und  bacteriologische  Unter- 
suchungen gemacht  wurden.  Schon  R.  Volkmann  erwähnt,  dass  Fälle  von 
scrophulöser  Ozäna,  die  leicht  für  Lues  gehalten  werden  konnten,  sich  auf 
Grund  histologischer  Befunde  als  tuberkulös  erwiesen  haben. 

Trotzdem  muss  zugestanden  werden,  dass  die  Tuberkulose  der  Nase  im 
Vergleiche  zu  den  übrigen  krankhaften  Veränderungen  der  Nase  selten  zur 
Beobachtung  gelangt. 

Aetiologie.  Pathologische  Anatomie.  Das  männliche  Geschlecht 
scheint  von  dieser  Erkrankung  mehr  befallen  zu  w^erden,  während  das  Alter 
keinen  besonderen  Einfluss  auf  die  Entstehung  der  Affection  ausübt. 

In  den  meisten  Fällen  sehen  wir  die  Erkrankung  secundär  auftreten, 
also  wo  tuberkulöse  Affection  anderer  Organe  der  Nasentuberkulose  voran- 
geht. Doch  ist  es,  wie  nicht  zu  bezweifelnde  Beobachtungen  zeigen  (Tokn- 
WALDT,  Riedel,  Demme),  erwiesen,  dass  die  Nasenschleimhaut  primär  er- 
kranken kann.  Scheck  erwähnt  eines  Falles  von  primärer  Nasentuberkulose, 
wo  die  Affection  durch  Gebrauch  eines  mit  tuberkulösem  Sputum  verunreinigten 
Taschentuches  entstand. 

So  wie  bei  allen  übrigen  tuberkulösen  Erkrankungen  muss  auch  hier  als 
das  ursächliche  Moment  der  Tuberkelbacillus  betrachtet  werden. 

Trotzdem  fast  allgemein  angenommen  wird,  dass  die  tuberkulöse  Infec- 
tion  durch  das  Eindringen  der  Tuberkelbacillen  mit  der  Athmungsluft  zu 
Stande  kommt,  ist  es  auffallend,  dass  die  obersten  Luftwege  —  Nasen-,  Rachen- 
höhle —  selten  tuberkulös  erkranken. 

Nach  Michelson  kann  die  Ursache  darin  liegen,  dass  das  Einwandern 
der  Bacillen  in  die  betreffenden  Schleimhäute  durch  besondere  Verhältnisse 
erschwert  wird  oder  dass  die  locale  Infection  ohne  ausgesprochene  Symptome 
verläuft. 

Nach  Koch  sollen  durch  die  Flimmerbewegung  des  Epithels  die  Tuber- 
kelbacillen aus  den  Respirationswegen  wieder  hinausbefördert  werden,   bevor 


TUBERCULOSIS  NARIUM.  688 

sie  noch  eine  eigentliche  Entwicklung  erreichen.  Nachdem  die  Schleimhaut 
des  obersten  Respirationstractes  jedoch  nicht  überall  Flimmerepithel  hat, 
nimmt  Michelson  an,  dass  das  besonders  stark  geschichtete  Plattenepithel 
der  Einwanderung  von  Mikroorganismen  einen  ebenso  erheblichen  Widerstand 
leistet.  Weiters  bildet  die  Schleimdecke,  welche  das  Epithel  überall  überzieht, 
einen  schlechten  Nährboden  für  den  Bacillus. 

„Auf  den  physiologischen  Eigenschaften  der  die  Nasen-  und  die  Mund- 
rachenhöhle auskleidenden  Membranen  beruht  es,"  sagt  Michklson,  „dass  der 
langsam  wachsende  Tuberkelbacillus  geeignete  Angriffspunkte  an  diesen  Loca- 
litäten  nicht  leicht  findet;  eine  Infectionsmöglichkeit  scheint  nur  dann  vor- 
handen zu  sein,  wenn  die  specifischen  Bacillen  der  Tuberkulose  entweder  in 
ungewöhnlich  grossen  Massen  in  die  betreffenden  Cavitäten  gelangen  oder 
aber,  wenn  deren  Schleimhäute,  sei  es  mechanisch,  sei  es  durch  einen  prä- 
existirenden  krankhaften  Process  lädirt  sind." 

Die  Tuberkulose  der  Nasenschleimhaut  kann  sowohl  in  Form  von  Ge- 
schwülsten als  in  Form  von  Geschwüren  auftreten  (auch  beide  Formen 
nebeneinander).  Die  Erkrankung  bietet  meistens  ein  charakteristisches  Bild. 
Sie  beginnt  fast  immer  am  Septum  cartilagineum  in  Form  einzelner  Knoten, 
welche  Hirsekorn-  bis  Walnussgrösse  haben.  Diese  Tumoren  sehen  röthlich 
oder  gelblichgrau  aus  und  sind  meist  mit  eitrigem  Secret  bedeckt.  Ihre  Ober- 
fläche ist  uneben,  zuweilen  körnig,  ihre  Consistenz  weich  und  brüchig  (Zunesha- 
BUEO  KiKuzi).  Nicht  selten  sind  in  der  Umgebung  von  Ulcerationen  grau- 
weisse  Knötchen  (miliare  Tuberkel)  wahrgenommen  worden,  die  durch  ihr  Zer- 
fallen zur  Vergrösserung  des  Geschwüres  beitragen  (Hajek). 

Durch  grosse  Aehnlichkeit  der  Tuberkelnötchen  mit  Lymphknötchen  können  jedoch 
bei  oberflächhcher  Untersuchung  leicht  Verwechslungen  entstehen. 

Die  tuberkulösen  Tumoren  neigen  auffallend  zu  ulcerösem  Zerfall.  Nach 
KiKUzi  bildet  sich  ein  flaches  Geschwür  mit  weichen,  wallartigen  Rändern, 
welches  einen  schmutzig-graugelben  Grund  besitzt.  Indem  der  geschwürige 
Zerfall  in  die  Tiefe  dringt,  greift  er  auf  das  Septum  über  und  führt  zur 
Perforation  desselben. 

Trotzdem  im  Beginne  der  Erkrankung  die  Veränderungen  nur  auf  der 
einen  Seite  auftreten,  erkrankt  nach  Perforation  des  Knorpels  gewöhnlich  auch 
die  andere  Seite. 

Der  Lieblingssitz  der  Tuberkulose  ist,  wie  schon  erwähnt,  das  Septum 
cartilagineum,  dem  der  Naseneingang  nachfolgt.  Seltener  tritt  sie  auf  den 
Muscheln  auf.  (Die  pars  cartilaginea  septi  ist  Insulten  durch  den  bohrenden 
Finger  am  meisten  ausgesetzt,  dann  berührt  der  Inspirationsstrom  mit  seinen 
Infectionsstoffen  eben  diese  Stelle  am  ehesten.) 

Localisirt  sich  die  Tuberkulose  auf  den  Nasenflügeln,  dann  sind  dieselben 
verdickt,  hart  und  uneben,  mit  bräunlichen  Borken  und  Geschwüren  besetzt 

(SCHECH). 

Durch  die  mikroskopische  Untersuchung  kann  man  fast  immer  den 
tuberkulösen  Charakter  des  Processes  erkennen.  Das  histologische  Bild  ist 
nach  Meetens  im  Wesentlichen  folgendes:  „Die  Tumoren  wie  die  Piänder  der 
Geschwüre  bestehen  in  der  Regel  aus  einem  zellen-  und  gefässreichen  Granu- 
lationsgewebe, welches  von  fibrösen  Bindegewebszügen  durchsetzt  ist.  An  ver- 
schiedenen Stellen  dieses  Granulationsgewebes  sind  knotenförmige  Herde  ein- 
gelagert, welche  ganz  das  Aussehen  von  Tuberkeln  haben,  wie  man  sie  nament- 
lich in  tuberkulösen  Lymphdrüsen  und  fungösen  Granulationen  findet.  Sie 
bestehen  aus  lymphatischen  Elementen  und  epitheloiden  Zellen  und  etwas 
faseriger  Grundsubstanz.  Typische  Riesenzellen  sind  in  geringer  Anzahl  vor- 
handen. Die  Tuberkel  sind  theils  zerstreut,  theils  in  Gruppen  gelagert. 
Tuberkelbacillen  sind  in  den  Präparaten  gewöhnlich  nur  in  geringer  Anzahl 
oder  gar  nicht  nachzmveisen.  An  den  tieferen  Stellen  der  Geschwüre  häufen 
sie  sich  jedoch  oft  in  grosser  Anzahl  an." 


684  TUBERCULOSIS  NARIüM. 

Audi  Hajek  und  Michelson  behaupten,  dass  mau  oft  keine  oder  nur 
vereinzelte  Bacillen  findet,  sicherer  in  den  tieferen  Theilen  der  Geschwülste 
oder  auf  dem  Grunde  der  Geschwüre. 

In  seltenen  Fällen  weist  der  histologische  Befund  nur  auf  einfaches 
Granulationsgewebe  hin,  und  es  fehlen  die  charakteristischen  Veränderungen 
der  Schleimhaut. 

Symptome  und  Diagnose.  Im  Beginne  der  Erkrankung  sind  nur 
ausnahmsweise  erhebliche  Beschwerden  u.  a.  Schmerzen  vorhanden.  Die 
Erscheinungen  können  leicht  eine  Rhinitis  vortäuschen,  da  der  Process  ge- 
wöhnlich mit  einer  erhöhten  Secretion  der  Nasenschleimhaut  einhergeht. 
Anfangs  ist  das  Secret  wasserhell,  später  eitrig,  schmutziggrün  oder  gelblich 
und  nicht  selten  übelriechend.  Wachsen  die  Tumoren  an,  so  stellt  sich  theil- 
weise  oder  vollständige  Nasenstenose  ein  und  die  Kranken  werden  durch-  die 
behinderte  Nasenathmung  auf  ihren  krankhaften  Zustand  aufmerksam.  Bei 
ülcerationen  sind  es  der  übelriechende  Nasenfluss,  die  Borkenbildung  und 
manchmal  das  Nasenbluten,  welche  auf  die  Erkrankung  hinweisen. 

Das  Allgemeinbefinden  wird  eigentlich  nur  dann  ungünstig  beeinflusst, 
wenn  tuberkulöse  Erkrankung  anderer  Organe  vorhanden  ist. 

Nach  Scheck  findet  sich  in  den  Fällen,  wo  zugleich  die  Lunge  afficirt  ist,  die  Tuber- 
kulose der  Nase  öfter  auf  der  der  erkrankten  Lunge  entsprechenden  Seite. 

Bei  der  rhinoskopischen  Untersuchung  sieht  man  die  Eingangs  erwähnten 
Tumoren  und  Geschwüre,  die  ihren  Ausgangspunkt  meist  am  Septum  haben. 
Die  erkrankten  Stellen  sind  fast  immer  mit  blutigbraunen  Krusten  bedeckt. 
Nach  Entfernung  der  Krusten  werden  die  grauen  oder  grauröthlichen,  leicht 
blutenden  Geschwülste  bemerkbar.  Die  Tumoren  zeigen  auf  ihrer  Höhe  ge- 
wöhnlich ulcerösen  Zerfall.  Der  Grund  der  Geschwüre,  meist  graugelblich,  ist 
mit  Eiter  und  Blut  bedeckt.  Die  Erkenntnis  der  tuberkulösen  Erkrankung 
der  Nasenschleimhaut  ist  oft  keine  leichte,  da,  wie  wir  wissen,  die  Möglichkeit 
einer  Verwechslung  mit  verschiedenen  Krankheitsprocessen  nicht  ausge- 
schlossen erscheint. 

Eben  deswegen  erfordern  bei  Sicherstellung  der  Diagnose,  abgesehen 
von  der  Verwerthung  der  jeweiligen  anamnestischen  Daten,  ausser  den  klinischen 
Erscheinungen  die  histologischen  und  bacteriologischen  Befunde  besondere 
Berücksichtigung.  Selbstverständlich  muss  sich  die  Diagnose  der  tuberkulösen 
Erkrankung  der  Nase  vor  allem  auf  die  klinischen  Erscheinungen  (Symptome) 
aufbauen.  Daran  reiht  sich  dann  der  mikroskopische  Befund,  welcher  in  den 
afficirten  Partien  die  Anwesenheit  von  Tuberkeln,  Riesenzellen  und  Tuberkel- 
bacillen  erweist. 

Hajek  betont,  dass  man  bei  mikroskopischer  Untersuchung  sehr  gründlich  das 
Präparat  durchprüfen  soll,  da  nach  eifrigem  Suchen  oft  auch  isolirt  stehende  Bacillen  auf- 
zufinden sind,  ferner  müssen  nach  seinen  Erfahrungen  immer  tiefer  liegende  Gewebsstücke 
zur  Untersuchung  entnommen  werden. 

Die  Erkenntnis  der  Natur  der  localen  Veränderung  wird  in  solchen 
Fällen,  wo  in  anderen  Organen  tuberkulöse  Processe  zu  constatiren  sind, 
leicht  geschehen  können.  Ist  jedoch  die  krankhafte  Veränderung  nur  in  der 
Nase  zu  finden  und  keine  anderweitige  tuberkulöse  Erkrankung  nachzuweisen, 
so  wird  die  Feststellung  der  Diagnose  Schwierigkeiten  bereiten,  besonders 
dann,  wenn  man,  wie  das  aus  mitgetheilten  Fällen  ersichtlich  ist,  weder  am 
Geschwürsgrunde  noch  in  der  Tiefe  des  erkrankten  Gewebes  Bacillen  zu  finden 
im  Stande  ist.  Hier  wird  dann  ausser  dem  klinischen  Verlauf  der  histologische 
Befund  ausschlaggebend  sein,  da  der  negative  Befund  von  Bacillen  nicht  zu 
dem  Schlüsse  berechtigt,  dass  keine  tuberkulöse  Erkrankung  vorliegt. 

Die  tuberkulöse  Erkrankung  der  Nasenschleimhaut  ist  von  bösartigen 
Neubildungen  nicht  schwer  zu  unterscheiden. 

Die  Sarkome  sind  viel  grösser  als  die  tuberkulösen  Geschwülste.  Wäh- 
rend die  letzteren  höckerig,  uneben  und  von  grauweisser,  bis  graugelber  Farbe 


TUBERCULOSIS  NAPJUM.  685 

sind,  haben  die  Sarkome  eine  glatte  Oberfläche  und  sind  gewöhnlich  von 
rother,  seltener  dunkelbrauner  Farbe.  Weiters  ist  bei  den  Sarkomen  das 
rasche  Wachsthum  charakteristisch,  wohingegen  die  tuberkulöse  Nasenaffection 
Jahre  lang  bestehen  kann,  ohne  erhebliche  tJeschwerden  zu  verursachen. 

Mit  carcinomatüsen  Veränderungen  ist  eine  Verwechslung  schon  deshalb 
nicht  leicht  möglich,  da  bei  derselben  der  Zerfall  rapid  entsteht,  die  Zerstö- 
rungen rasch  um  sich  greifen,  Anschwellungen  der  benachbarten  Lymphdrüsen 
und  frühzeitige  Kachexie  eintritt. 

Unstreitig  schwieriger  gestaltet  sich  oft  die  Differential-Diagnose  zwischen 
Tuberkulose  und  Lues.  Der  tuberkulöse  Tumor  kann  den  Eindruck  eines 
Syphiloms  machen,  das  tuberkulöse  Geschwür  kann  eventuell  ein  luetisches 
vortäuschen.  Es  gibt  jedoch  auch  da  Anhaltspunkte,  die  gut  verwerthet  werden 
können.  So  sehen  wir,  dass  luetische  Neubildungen  sich  gewöhnlich  viel 
rascher  entwickeln  und  verlaufen,  ihre  Consistenz  ist  härter  und  die  Geschwürs- 
ränder sind  derber.  Tuberkulöse  Processe  haben  ihren  Lieblingssitz  am  knor- 
peligen, syphilitische  hingegen  am  knöchernen  Nasengerüst.  Bei  Syphilis  ist 
die  Ozäna  eine  häufigere  Begleiterscheinung.  Bei  der  ulcerösen  Nasen- 
syphilis sind  diffuser  Kopfschmerz  und  Neuralgien  im  Gebiete  der  Trigeminus- 
äste  zu  beobachten,  bei  Tuberkulose  fehlen  diese  Erscheinungen. 

Eine  genaue  Anamnese  nebst  Fehlen  von  Symptomen  und  Residuen  einer 
syphilitischen  Infection  werden  dazu  beitragen,  die  Diagnose  auf  tuberkulöse 
Affection  stellen  zu  können. 

Der  Unterschied  zwischen  Tuberkulose  und  Lupus  der  Nasenschleimhaut 
ist  nicht  in  dem  histologischen  Bilde  zu  suchen,  da  doch  der  mikroskopische 
Befund  fast  genau  derselbe  ist  und  der  Lupus  wie  die  Tuberkulose  den 
Tuberkelbacillus  gemein  haben,  sondern  in  der  Verschiedenheit  der  Erschei- 
nung und  des  klinischen  Verlaufes.  „Immerhin  muss  man  vom  klinischen 
Standpunkte  aus,"  sagt  Scheck,  ,;im  Auge  behalten,  dass  Lupus  des  Nasen- 
innern  meist  erst  auftritt,  wenn  die  Haut  der  Nase  oder  des  Gesichtes  in 
charakteristischer  Weise  bereits  befallen  ist." 

In  den  Fällen,  bei  welchen  es  nach  einer  erwiesenen  tuberkulösen  Schleim- 
hautaffection  zur  Eruption  von  Lupusknötchen  an  der  Haut  kommt,  geht  die 
richtige  Meinuug  Hajek's  dahin,  dass  die  genannte  Erscheinung  gerade  als 
Beweis  dafür  dient,  dass  das  tuberkulöse  Virus  sich  gleichzeitig  auf  der 
Schleimhaut  und  Haut  in  verschiedener  Form  kundmachen  kann. 

Verlauf,  Prognose.  Der  Verlauf  der  Tuberkulose  der  Nase  ist  ein 
chronischer.  Gewöhnlich  dauert  die  Erkrankung  Jahre  lang,  in  den  wenigsten 
Fällen  währt  sie  nur  wenige  Monate.  In  der  Literatur  sind  Fälle  verzeichnet, 
wo  der  Process  20,  selbst  27  Jahre  (Tornwaldt,  Riedel)  bestanden  hatte. 

Die  Prognose  ist  durchaus  ungünstig,  da  bisher  in  keinem  einzigen 
Falle  dauernde  Heilung  erzielt  wurde.  Es  treten  nämlich,  wenn  schon  Heilung 
beobachtet  wird,  nach  kürzerem  oder  längerem  Zeitraum  (Fall  Seifert  2  Jahre) 
wieder  Recidiven  auf.  Eine  Spontanheilung  ist  bis  jetzt  nicht  beschrieben 
worden.  Der  Exitus  wird  durch  die  tuberkulöse  Erkrankung  anderer  Organe 
beschleunigt. 

Therapie.  Die  Behandlung  der  Tuberkulose  der  Nase  soll  nicht  nur 
eine  locale,  sondern  auch  eine  allgemeine  sein.  Durch  letztere  wird  bei 
zweckmässiger  Ernährung  die  Kräftigung  des  Gesammtorganismus  bezweckt, 
was  eher  eine  Möglichkeit  zur  Hintanhaltung  der  Recidive  bieten  kann. 

Die  locale  Behandlung  muss  darin  bestehen,  dass  alles  Krankhafte  ent- 
fernt wird.  Geschwüre  müssen  ausgekratzt,  Tumoren  mit  der  Glüh-  oder 
kalten  Schlinge  abgetragen  werden.  Die  restlichen  krankhaften  Partien  sind 
mit  Aetzmitteln  und  Galvanokauter  zu  zerstören.  Nach  Entfernung  des  krank- 
haften Gewebes  sind  energische  Einpinselungen,  eigentlich  Einreibungen  mit 
concentrirter  Milchsäurelösung   (50 — 80%)   zu   machen.    Vor  jedem  Eingriff 


686  TUBERCULOSIS  PHARYNGIS. 

ist  CocainisiruDg  des  krankhaften  Gewebes  vorzunehmen,  da  die  am  häufigsten 
ergriffene  Partie  der  Nase  äusserst  empfindlich  ist. 

Tritt  die  zeitweise  Heilung  ein,  so  bildet  sich  an  den  früher  erkrankten 
Stellen  ein  Narbengewebe.  irsai. 

Tuberculosis  pharyngiS.  Bei  Tuberkulose  der  Lungen  und  anderer 
Körpertheile  linden  sich  als  P'olgen  der  Dyskrasie  und  der  Reizung  durch  die 
zersetzten  Sputa  häufig  Anämie,  einfacher  und  atrophischer  Katarrh,  Hyper- 
ästhesie des  Rachens  ohne  speci fischen  Charakter. 

Specifische  Erkrankungen  des  Pharynx  im  engeren  Sinne  finden 
sich  dagegen  recht  selten;  nur  in  der  Aera  der  Tuberkulinbehandlung  sind  sie 
häufiger  zur  Beobachtung  gekommen  und  haben  dazu  beigetragen,  das  Miss- 
trauen gegen  dieselbe  zu  erwecken. 

Es  sind  folgende  Formen  zu  unterscheiden: 

1.  Die  Miliartuberkulose  mit  Geschwürsbildung. 

Verschiedene  Beobachtungen  zwingen  dazu,  auch  ein  primäres  Auf- 
treten der  Rachen  tuberkulöse  anzuerkennen;  der  Regel  nach  ist  es  aber 
secundär,  und  zwar  insbesondere  bei  Tuberkulose  der  Lungen  (ein  directes 
Uebergreifen  findet  manchmal  vom  Kehlkopfe  auf  die  pars  laryngea  statt). 
Betroffen  ist  hauptsächlich  das  Mannes-,  nur  sehr  selten  das  Kindesalter. 

Die  Geschwüre  entstehen  durch  Zerfall  von  Tuberkeln  oder  Infiltraten 
der  Schleimhaut  und  sind  ursprünglich  lenticulär,  d.  h.  flach,  mit  ent- 
zündlichem Hofe,  speckigem  Grunde  und  dickeitriger  Secretion.  Durch  immer 
neuen  Zerfall  von  Tuberkeln  in  der  Umgebung  und  Vereinigung  der  Substanz- 
verluste entstehen  grössere,  flache,  atonische  Geschwüre  mit  einem  buchtigen 
Rande,  welcher  mit  rothen  oder  grauen  Granulationen  besetzt  ist.  Die  Lymph- 
drüsen betheiligen  sich  mit  Schwellung  oder  Vereiterung.  Wiederholt  ist 
isolirte  Tuberkulose  der  Rachenmandel  mit  Verschwärung  bis  auf  den  Knochen 
beobachtet  worden. 

Die  subjectiven  Beschwerden  sind  grosse  Schmerzen,  besonders  beim 
Schlucken,  zu  welchem  in  Folge  der  Schleimabsonderung  des  Rachens  ein  er- 
höhtes Bedürfnis  besteht,  ferner  ins  Ohr  ausstrahlende  Schmerzen.  Der  Ver- 
lauf pflegt  in  Folge  der  Dysphagie  und  der  Ausbreitung  auf  den  Kehlkopf,  die 
Lungen  oder  auch  die  Meningen  ein  rascher  zu  sein. 

Die  Diagnose  gegenüber  Lupus  oder  Syphilis  wird  beziehungsweise 
durch  die  viel  lebhaftere  Schmerzhaftigkeit,  das  Fehlen  der  Narbenbildung, 
das  Vorhandensein  mikroskopischer  Kennzeichen  und  das  Ausbleiben  der 
bekannten  Heilerfolge  bei  Lues  gesichert. 

Die  Therapie  ist  nicht  aussichtslos,  muss  aber  besonders  angesichts  einer 
primär  scheinenden  Affection  ganz  energisch  sein.  Heilungen  sind  durch 
Curettement  und  Milchsäure,  207oiges  Carbolglycerin  und  Mentholöl  erzielt 
worden.  Zur  Deckung  der  Geschwüre  dient  Jodolpulver.  Gegen  die  Schmerzen 
ist  Orthof orm  oder  10 böiges  Carbolglycerin  und  Cocain  besonders  vor  dem 
Essen   anzuwenden. 

2.  Geschvülste.  Solche  sind  an  der  oberen  Seite  des  Velum  in  beträcht- 
licher Grösse  gesehen  und  mikroskopisch  von  bösartigen  Geschwülsten  unter- 
schieden worden. 

3.  Lupus.  Obwohl  meist  secundär,  besonders  von  der  Nase  her 
eingewandert,  ist  er  doch  auch  primär  an  der  Pharynxwand  beobachtet 
w^orden.  Er  unterscheidet  sich  von  der  Miliartuberkulose  durch  seine  kleineren 
Knoten  und  weniger  buchtigen  Geschwüre,  seine  Tendenz  zur  narbigen  Heilung 
und  besonders  seine  auffällige  Schmerzlosigkeit,  von  der  Syphilis  durch  seine 
geringere  Starrheit,  Ausdehnung,  Tiefe  und  Röthe.  Bei  eventueller  Mitbe- 
theiligung  der  Gaumenbögen  kommt  es  zu  Verwachsungen.  Therapeutisch 
wird  man  Jod  nicht  unversucht  lassen,  wegen  des  häufigen  Zusammenhanges 


UNTERSUCHUNG  DER  NASE.  687 

mit  Syphilis;  local  bedient  man  sich  des  scharfen  Löffels  und  möglichst  con- 
centrirter  Milchsäure. 

4.  Fisteln  tuberkulöser  retropharyngealer  Wirbel-  und  Drüsenabscesse. 

Noch  ist,  um  verschiedenen  Anschauungen  gerecht  zu  werden,  die  Pha- 
ryngitis scrophulosa  (s.  unter  Pharyngitis  chronica)  zu  erwähnen,  sowie 
dass  man  auch  die  adenoiden  Wucherungen  wegen  der  Fieberreaction 
und  des  Zurückgehens  auf  Tuberkulin  für  ein  tuberkulöses  Product  gehalten 
hat;  thatsächlich  sind  in  ihnen  Riesenzellen,  aber  keine  Tuberkelbacillen 
gefunden  worden.  bkhoeat. 

Untersuchung  der  Nase.  Bevor  wir  auf  unser  eigentliches  Thema 
eingehen,  müssen  wir  hervorheben,  dass  Krankheiten  der  Nase  sehr  häufig 
Störungen  in  andern  Organen  verursachen  und  dass  umgekehrt  die  Nase  bei 
Erkrankungen  entfernter  Organe  in  Mitleidenschaft  gerathen  kann.  Es  wäre 
deshalb  sehr  verkehrt,  wenn  der  Nasenarzt  seine  Untersuchung  auf  die  Nase 
beschränken  wollte,  anstatt  den  angedeuteten  Verknüpfungen  eifrig  nachzu- 
spüren. Denn  oftmals  gelangt  er  erst  auf  diesem  Wege  zur  Aufstellung  eines 
vernünftigen  Heilplanes. 

Die  vorliegende  Darstellung  hat  sich  auf  die  Untersuchungsme- 
thoden der  Nase  selbst  zu  beschränken.  Wir  wollen  diese  der  Pteihe 
nach  durchgehen.  Im  Artikel  ^^ Diagnostik  der  Nasenkrankheiten^  (vgl. 
pag.  96  dieses  Bd.)  ist  angegeben,  wie  und  in  welcher  Vereinigung  sie 
beim  einzelnen  Falle  zweckmässig  angewandt  werden. 

1.  Anamnese.  Das  Krankenexamen  hat  die  Beschwerden  des  Patienten, 
ihre  Dauer  und  muthmassliche  Ursache  (Beschäftigung,  Lebensweise,  Infections- 
gelegenheit,  hereditäre  Verhältnisse)  zu  erforschen. 

Eine  der  häufigsten  Klagen  unserer  Kranken  bezieht  sich  auf  die  Ein- 
schränkung oder  Verlegung  des  Nasenluftweges  mit  der  Folge, 
dass  die  ganze  Athemluft  oder  ein  Theil  davon  durch  den  Mund  strömt 
(Mundathmung) . 

Diese  Störung  kann  einseitig  oder  doppelseitig,  sie  kann  beständig  oder 
veränderlich  sein,  veränderlich  nach  Zeit  und  Stärke.  Die  genaue  Erfor- 
schung dieser  Verhältnisse  bietet  uns  für  die  Beurtheilung  des  Leidens  oft 
brauchbaren  Anhalt.  Constante  Nasenverstopfung  wird  erzeugt  durch  stabile 
Veränderungen,  wie  Diff'ormitäten  des  Nasengerüstes,  Verwachsungen,  massen- 
hafte und  derbere  Neubildungen.  Eine  Nasenverstopfung,  die  häufig  wechselt, 
oft  in  wenigen  Minuten  kommt  und  geht,  die  von  einer  Nasenseite  auf  die 
andere  überspringt  —  bei  Seitenlage  gern  auf  die  tieferliegende  Seite  —  oder 
die  nur  bei  Rückenlage,  also  vorzugsweise  Nachts,  auftritt,  diese  Art  der  Ver- 
stopfung ist  gewöhnlich  Folge  von  cavernösen  Tumoren  an  den  untern  Nasen- 
muscheln, oft  auch  nur  von  pathologisch  gesteigerter  hyperlabiler  Schwell- 
körperfüllung. Die  ödematösen  Fibrome  (^ Schleimpolypen''-)  endlich  pflegen 
bei  feuchter  Witterung  grösser  zu  werden,  so  dass  die  Verstopfung  dann 
stärker  ist  als  bei  trockener  Luft. 

Eine  andere,  sehr  häufige  Klage  hat  es  mit  Veränderungen  in  der 
Quantität  und  Qualität  des  Nasensecrets  zu  thun.  Ist  die  Abson- 
derung gesteigert,  so  geben  viele  Patienten  „ Verschleim ung"  der  Nase  an, 
derentwegen  sie  mehr  Taschentücher  verbrauchten  als  Gesunde.  Vermehrte 
Secretion,  verbunden  mit  Nasenverstopfung,  bildet  den  Complex,  den  sie  „Stock- 
schnupfen" nennen.  Das  Aussehen  des  Secrets  wird  als  wässrig,  schleimig  und 
fadenziehend  (ähnlich  rohem  Hühnereiweiss),  als  schleimig-eitrig,  als  rein 
eiterig  oder  endlich  als  dick,  klumpig,  stückig  und  dunkelfarbig  geschildert. 
Zuweilen  ist  es  übelriechend  in  den  verschiedensten  Graden  und  Qualitäten. 
Es  wird  entweder  in  gleichbleibender  Menge  abgesondert  oder  es  tritt  periodisch 
zu  Tage   und   in  diesem  Falle   gewöhnlich   bei   bestimmten  Kopflagen   oder 


688  UNTERSUCHUNG  DER  NASE. 

Morgens  nach  dem  Erwachen.  Rein  eiteriges,  fötides  Secret,  das  periodisch 
abgesondert  wird,  stammt  in  der  Regel  aus  erkrankten  Nebenhöhlen.  Dicke, 
dunkelgefärbte  Stücke  und  Borken,  die  einen  ganz  besonderen,  höchst  penetranten 
Gestank  verbreiten,  werden  bei  der  üzäna  producirt. 

Im  Gegensatz  zu  dem  soeben  Erwähnten  beschweren  sich  manche 
Patienten  über  Trockenheit  in  der  Nase.  Und  sie  schauen  häufig  un- 
gläubig darein,  wenn  man  ihnen  versichert,  dass  dieser  Zustand  der  eigentlich 
normale  ist.  „Nur  ein  krankhaftes  Uebermaass  von  Schleimabsonderung  ver- 
anlasst das  den  Thieren  und  Wilden  unbekannte,  ekelerregende  Schnäuzen, 
welches  weit  mehr  üble  Gewohnheit  als  wirkliches  Bedürfnis  ist"  (Hyrtl). 

Wenn  man  bedenkt,  dass  der  Geruch  einer  unserer  feinsten  Sinne  ist, 
dass  auf  ihm  der  aromatische  Geschmack,  d.  h.  also  der  Wohlgeschmack  über- 
haupt beruht,  dass  er  wie  wenige  andere  Sinne  auf  unser  Wohlbefinden  ein- 
wirkt, so  muss  man  sich  wundern,  dass  so  wenige  dem  Arzte  die  Ab- 
stumpfung oder  den  Verlust  ihres  Geruches  klagen.  Ursache  zur 
Consultation  wird  dieser  Defect  gewöhnlich  nur  für  solche,  deren  Existenz  auf 
ihrem  Geruchsvermögen  beruht;  z.  B.  Küfer,  Köche  und  Conditoren,  Cigarren- 
händler,  Parfumeure,  Moschusriecher  u.  dgl.  m.  Von  den  übrigen  erfährt  man 
in  der  Regel  erst  durch  specielles  Zufragen  etwas  über  ihren  Geruch. 

Aeusserst  selten  auch  werden  Schmerzen  in  der  Nase  angegeben. 
Sie  treten  vorzugsweise  bei  syphilitischer  Knochenerkrankung  auf,  ferner  bei 
Verhaltung  und  Stauung  von  Secreten  und  Exsudaten,  endlich  bei  den  sehr 
seltenen  Erkrankungen  durch  thierische  Parasiten.  Die  Schmerzen  können  die 
verschiedensten  Qualitäten  und  Grade  annehmen.  Sie  werden  sehr  selten  am 
Ort  ihrer  Entstehung  allein  wahrgenommen,  strahlen  vielmehr  gern  auf  andere 
Gebiete  (Zähne,  Ohren,  KopiO  aus,  ja  sehr  oft  werden  sie  nur  hier  empfunden. 
So  viel  sei  hier  über  die  hauptsächlichsten  Klagen  Nasenkranker  gesagt. 
Einige  andere,  wie  die  über  Blutungen,  subjective  Gerüche,  werden  in  den 
speciellen  Capiteln  zusammenfassend  behandelt. 

Zur  objectiven  Untersuchung  dienen  Inspection,  Durchleuchtung, 
Palpation,  Cocain  isirungderNasen  seh  leimhau  t,  Auscultation, 
Prüfung  mit  dem  Gerüche,  Probepunction,  mikroskopische 
Untersuchung,  bacteriologische  Untersuchung  und  endlich 
Prüfung  der  Function. 

2.  Die  Inspection  hat  sich  zunächst  auf  die  äussere  Nase  zu  erstrecken. 
Wir  besehen  bei  Tagesbeleuchtung  ihre  Form,  Farbe,  ihr  Verhältnis  zum  übrigen 
Gesicht.  Sehr  häufig  können  wir  aus  der  äusseren  Inspection  schon  Schlüsse 
auf  die  Veränderungen  machen,  die  wir  im  Innern  antreffen  werden.  So 
pflegen  adenoide  Vegetationen,  bösartige  Neoplasmen,  pflegt  häufig  auch  die 
Ozäna  Nase  und  Gesicht  in  typischer  Weise  zu  verändern.  Bei  andern 
Krankheiten,  wie  beim  Lupus,  der  Lepra,  dem  Sklerom  ist  häufig  die  Nasen- 
naut  ebenso  erkrankt,  wie  die  Schleimhaut. 

Nachdem  wir  die  ruhende  äussere  Nase  betrachtet  haben,  lassen  wir 
den  Patienten  ein  paar  kräftige  Inspirationen  machen,  um  zu  sehen,  ob  dabei 
die  Nasenflügel  angesogen  werden.  Das  Ansaugen  der  Nasenflügel  gibt,  wie 
neuerdings  noch  M.  Schmidt  hervorgehoben  hat,  auch  bei  sonst  Gesunden 
Veranlassung  zu  beträchtlichen  Respirationsstörungen. 

Die  Besichtigung  des  Naseninnern  (Rhinoskopie)  ist  eine  Kunst, 
die  nur  mit  Hilfe  eines  besondern,  freilich  sehr  simpeln  Instrumentariums,  und 
nur  nach  gehöriger  und  gewissenhafter  Schulung  vollendet  ausgeübt  werden 
kann.  Lichtquellen,  Instrumentarium  und  Methodik  der  Rhino- 
scopia  anterior  et  posterior  sind  ausführlich  im  Artikel  „RhinosJcopie"  pag.  566 
u.  ff.  ds.  Bds.  behandelt. 

Eine  besondere  Form  der  Inspection  ist  die  Durchleuchtung.  Bei 
ihr  prüfen  wir  die  Transparenz  gewisser  Theile  für  intensives  Licht,  um  dar- 


UNTERSUCHUNGt  DER  NASE.  689 

aus  auf  ihre  Eigenschaften  Schlüsse  zu  ziehen.  In  der  Ehinologic  wird  diese 
Methode  ausschliesslich  für  die  Diagnostik  der  Nebenhöhlenerkrankungen,  ins- 
besondere der  Empyeme  angewandt  und  sie  wird  deshalb  zweckmässig  dort 
besprochen  werden.  Hiezu  ist  in  neuester  Zeit  die  Untersuchung  mittelst  Könt- 
GEN-Strahlen  gekommen,  wovon  in  dem  Artikel  ^Jiöntfjcnuntersuchung  in  der 
Rhino-Laryngologie'^  ausführlich  die  liede  ist  (vgl.  pag.  571  (h.  Bd.). 

3.  Palpatioii.  Die  Untersuchung  mit  dem  Tastgefühl  wird  auf  zwei 
Arten  angewandt,  entweder  als  directe  mit  dem  blossen  Finger  oder  als 
indirecte,  wobei  die  Sonde  eine  Verlängerung  des  Fingers  darstellt. 

In  der  Nasenhöhle  selbst  sind  dem  palpirenden  Finger  nur  die  vordersten 
Theile  zugänglich,  über  deren  Consistenz,  Festigkeit  oder  Yerschieblichkeit 
wir  uns  damit  unterrichten  können.  Ferner  können  wir  in  den  seltenen  Fällen, 
in  denen  krankhafte  Processe  des  Naseninnern  sich  bis  zur  Oberfläche  er- 
strecken (z.  B.  bei  syphilitischen  Erweichungen  und  Nekrosen),  die  Finger- 
palpation  mit  Nutzen  verwenden. 

Das  eigentliche  Gebiet  für  die  directe  Palpation  ist  der  Nasenrachen- 
raum. Sie  gibt  uns  hier  Aufschluss  über  die  Anwesenheit  pathologischer  Bil- 
dungen, über  ihre  Anheftungsstelle,  über  die  Resistenz  und  Verschieblichkeit 
der  Theile  u.  dgl.  m.  In  den  seltenen  Fällen,  wo  die  Rhinoscopia  post.  un- 
ausführbar ist,  bildet  die  Palpation  das  einzige  Untersuchungsmittel. 

Für  die  Palpation  des  Nasenrachenraumes  benutzt  man  den  dünnern 
Zeigefinger,  also  gewöhnlich  den  der  linken  Hand.  Der  Nagel  dieses  Fingers 
wird  gehörig  gekürzt  und  geglättet,  die  ganze  Hand  gründlich  gereinigt. 
Pharynx,  Velum  und  Nasenrachenraum  werden  mit  Cocainlösung  bestrichen. 
Nach  diesen  Vorbereitungen  tritt  der  Arzt  an  die  linke  Seite  des  zu  Unter- 
suchenden, heisst  ihn,  den  Mund  zu  öffnen  und  ruhig  und  tief  zu  athmen,  und 
fährt,  während  die  Rechte  den  Kopf  stützt,  mit  dem  linken  Zeigefinger  in  den 
Mund  bis  an  die  hintere  Rachenwand.  Die  übrigen  Finger  sind  eingeschlagen, 
die  Dorsalseite  der  Hand  schaut  nach  unten.  Sobald  die  Kuppe  des  palpirenden 
Fingers  die  Rachenwand  fühlt,  biegt  er  sich  in  den  Endphalangen  hakenförmig 
in  die  Höhe  und  schlüpft  hinter  das  Gaumensegel.  Er  fühlt  jetzt  deutlich  an 
der  Fingerbeere  das  Septum,  an  der  Nagelseite  das  schwammige  Gewebe  der 
Rachentonsille.  Er  tastet  weiter  bei  kleinen  seitlichen  Bewegungen  und  Rota- 
tionen die  Choanen  mit  den  Enden  der  mittlem  und  untern  Muscheln,  an  der 
Seitenwand  Tubenmündung,  Tubenwulst  und  RosENMtJLLER'sche  Grube.  Alle 
diese  Theile  werden  im  Fluge  palpirt  und  sogleich  nach  beendeter  Prüfung 
wird  der  Finger  entfernt.  Denn  die  ganze  Untersuchung,  auch  wenn  sie  noch 
so  geschickt  und  schonend  ausgeführt  wird,  ist  für  den  Untersuchten  ausser- 
ordentlich unangenehm.  „Das  Cavum  retronasale  und  der  Gaumen  sind  un- 
gemein nervenreiche  Gebilde,  weswegen  bei  ihrer  Betastung  ;, augenblicklich 
heftiger  Schmerz  im  Hinterkopfe,  seltener  in  den  Schläfen  oder  am  Scheitel 
erzeugt  wird."  (v.  Tröltsch.) 

Wollen  widerspänstige  Kinder  den  Mund  nicht  öffnen,  so  halte  man 
ihnen  die  Nase  zu.  Manche  öffnen  ihn  dann,  um  Luft  zu  holen.  Andere, 
gewitztere  machen  nur  die  Lippen  auseinander  und  respiriren  durch  die 
seitlich  zwischen  den  Zahnreihen  freibleibenden  Zwischenräume.  Solchen  muss 
man  die  Kiefer  gewaltsam  von  einander  bringen. 

Um  nicht  auf  den  Finger  gebissen  zu  werden,  kann  man  ihn  mit  einer 
passenden  Metallhülse  („Fingerschützer")  umgeben  oder  besser  sich  folgenden, 
von  B.  Fränkel  angegebenen  Handgriffes  bedienen:  Man  krempt  die  Unter- 
lippe des  Patienten  mit  dem  Daumen  der  rechten  Hand  über  die  untere  Zahn- 
reihe und  hält  sie  dort  fest,  während  sich  der  rechte  Arm  um  das  Hinter- 
haupt schlingt  und  dieses  stützt.  Will  das  Kind  jetzt  zubeissen,  so  beisst  es 
sich  zu  allererst  auf  die  eigene  Lippe  und  hört  dann  schon  von  selber  auf. 
Wird  das  Gaumensegel  krampfhaft  hochgezogen,  so  dass  der  palpirende  Finger 

Ohren-,  Nasen-,  Eachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  -±4 


690  UNTERSUCHUNG  DER  NASE. 

nicht  dahinschlüpfen  kann,  so  ist  es  nicht  räthlich,  den  Verschluss  gewaltsam 
zu  sprengen.  Man  suche  vielmehr  das  Gaumensegel  zu  erschlaffen,  indem  man 
0  nasale  angeben  lässt,  oder  indem  man,  während  der  Finger  im  Munde  ver- 
weilt, diesen  etwas  schliessen,  darauf  „ein  paar  Mal  schlucken  lässt  und  so- 
wie abgeschluckt  und  das  Gaumensegel  hierbei  heruntergefallen  ist,  behende 
in  den  Nasopharynx  eingeht".  (Ziem.) 

Die  Palpation  des  Nasenrachenraumes  ist  durchaus  nicht  so  einfach.  Sie 
muss  schnell  und  elegant  ausgeführt  werden,  weil  sie  dem  Patienten  stets 
sehr  unangenehm  ist,  und  doch  soll  das  Gefühl  unserer  Fingerspitze  uns  ein 
detaillirtes  Bild  der  Höhle  übermitteln.  Dazu  verhilft  nur  oftmalige  und 
sorgsame  Uebung.  Der  Finger  muss  ähnlich  wie  der  des  Gynäkologen  auf 
seine  besondere  Aufgabe  einexercirt  werden,  damit  er  schnell  und  sicher  das 
Wesentliche  erkenne. 

Zur  indirecten  Palpation  bedienen  wir  uns  der  Nasensonde.  Für 
die  Palpation  der  Nasenhöhle  und  der  des  Nasenrachenraumes  von  vorn,  hat 
diese  die  Gestalt  einer  Knopfsonde,  deren  myrthenblatt-  oder  schleifenähnlicher 
Handgriff  12  cm  vom  Knopfe  stumpfwinklich  abgebogen  ist.  Um  für  alle 
Zwecke  gerüstet  zu  sein,  müssen  wir  weiche  und  biegsame  Sonden  (aus  ge- 
glühtem Kupfer  mit  Nickelüberzug),  sowie  festere  (aus  ungeglühtem  Silber 
oder  Neusilber)  in  grösserer  Anzahl  vorräthig  haben. 

Mit  der  Sonde  ermitteln  wir  die  Resistenz,  die  Verschieblichkeit  der 
Theile,  die  Beschaffenheit  ihrer  Oberfläche,  ob  sie  glatt  oder  rauh,  fest  oder 
leicht  verletzlich  ist.  Zugleich  controliren  wir  mit  dem  Auge  die  Formver- 
änderungen, die  durch  die  Sondirung  erzeugt  werden.  Die  Sonde  gibt  uns 
ferner  über  Gegenden  Aufschluss,  in  die  wir  mit  dem  Blick  nicht  eindringen 
können,  über  enge  Canäle,  Nischen  und  Buchten.  Wir  erkennen  so  deren 
Ausdehnung,  die  Beschaffenheit  ihrer  Oberfläche,  wir  fördern  durch  die  Son- 
dirung häufig  pathologische  Secrete  zu  Tage,  die  wir  zu  weiteren  Unter- 
suchungen benutzen  können. 

Ueber  die  Ausführung  der  Sondirung  ist  nichts  weiter  zu  sagen. 

Zur  Sondirung  des  Nasenrachenraums  per  os  bedient  man  sich  einer 
längeren  Sonde,  die  3  bis  4  cm  vom  Knopfe  nahezu  im  rechten  Winkel  kurz 
abgebogen  ist.  Der  Spitze  können  entsprechend  der  Lage  der  zu  palpirenden 
Theile,  noch  besondere  Abbiegungen  gegeben  werden.  Die  Untersuchung  wird 
mit  Vortheil  nur  unter  Controle  des  Kachenspiegels  vorgenommen.  Dazu  muss 
man  den  Zangenspatel  dem  Patienten  oder  einem  Assistenten  übergeben. 
Man  führt  selbst  mit  der  linken  Hand  den  Rachenspiegel,  mit  der  rechten 
die  Sonde. 

4.  Cocaiuisiruiig.  Das  Cocainum  muriaticum  übt  auf  die  Schleim- 
häute zweierlei  Wirkung  aus.  Erstens  stumpft  es  die  Sensibilität  und  Reflex- 
empfindlichkeit bis  zur  Aufhebung  ab,  und  zweitens  erzeugt  es  Gefässver- 
engerung  und  dadurch  Blutleere.  Die  Anästhesie  pflegt  etwa  15  Minuten, 
die  Anämie  etwa  doppelt  so  lange  anzuhalten.  Auf  die  Anämie  folgt  eine 
kräftige  Hyperämie. 

Beide  Wirkungen  des  Cocains  benutzen  wir  in  geeigneten  Fällen  zur 
rhinologischen  Diagnose. 

Oft  erblicken  wir  an  einer  Muschel  eine  diffuse  oder  circumscripte  Ver- 
dickung, von  der  wir  nicht  sogleich  sagen  können,  ob  sie  auf  übermässige 
Füllung  des  Schwellgewebes  oder  auf  Neubildung  von  Gewebselementen  be- 
ruht. Zwar  bietet  die  Hyperämie  bei  der  Sondenbetastung  mehr  die  Resistenz 
eines  Luftkissens  dar,  während  sich  Neubildungen  mehr  wie  Lappen  im 
Ganzen  hin  und  her  schieben  lassen.  Aber  diese  Merkmale  sind  nur  für 
reine  Fälle  verwerthbar.  Bei  gefässreichen,  hyperämischen  Neubildungen  lassen 
sie  uns  im  Stich. 


UNTERSUCHUNG  DER  NASE.  691 

Appliciren  wir  aber  auf  ein  solches  fragliches  Gebilde  eine  geeignete 
Cocainlösung,  so  tritt  innerhalb  einer  Minute  Anämie  ein  und  wir  können 
jetzt  aus  der  Differenz  gegen  früher  ermessen,  was  an  der  Schwellung  neu- 
gebildetes Gewebe,  was  Auftreibung  durch  Gefässinjection  gewesen  ist. 

Für  den  geschilderten  Versuch  reichen  schwache  Lösungen  (0*5 — 1:100) 
meist  vollkommen  aus.  Die  dem  Patienten  angenehmste  Application  ist  die 
als  Spray,  wofür  Hartmann  einen  besonderen  Zerstäuber  angegeben  hat. 

Für  den  sogleich  zu  erwähnenden  Versuch,  bei  dem  eine  Anästhesie 
gewisser  Schleimhautbezirke  hervorgerufen  werden  soll,  muss  eine  stärkere 
Lösung  (10: 100)  verwandt  werden.  Von  dieser  dürfen  wir  nur  geringe  Mengen 
auftragen,  um  keine  Intoxication  zu  erhalten.  Wir  drehen  dazu  ein  kleines 
WatteÜöckchen  an  die  Spitze  einer  ungeknöpften,  mit  einer  Feile  leicht  an- 
gerauhten Sonde  derart,  dass  ein  kleines  Büschelchen  pinselartig  die  Spitze 
überragt.  Diesen  etwa  5  Tropfen  fassenden  Pinsel  tauchen  wir  in  die  Lösung 
und  bestreichen  damit  die  zu  explorirende  Schleimhautstelle. 

Die  Anästhesirung  eines  Schleimhautbezirks  kommt  für  die  Diagnose  da 
in  Betracht,  wo  wir  den  Verdacht  hegen,  dass  von  ihm  aus  pathologische 
Nasenreflexe  ihren  Ausgang  nehmen.  Gelingt  es,  durch  Cocainisirung  einen 
bereits  vorhandenen  oder  künstlich  erzeugten  pathologischen  Nasenreflex  zu 
coupiren,  so  ist  damit  die  Diagnose  gesichert  (vgl.  über  das  Nähere  den 
Artikel  ^^'Nasenigolypen'-'- ,  pag.  354). 

5.  Auscultatioii.  In  manchen  Fällen  entstehen  bei  der  Athmung  blasende 
oder  pfeifende  Stenosengeräusche  in  der  Nase,  und  wir  können  daraus  sofort 
auf  ein  Athmungshindernis  in  derselben  schliessen. 

Viel  häufiger  benützen  wir  unser  Gehör  zur  Beurtheilung  der  durch 
manche  Nasenerkrankungen  erzeugten  oder  begünstigten  Sprachanomalien. 

Ein  Verständnis  derselben  ist  nur  möglich,  wenn  man  die  wichtige  Ptolle 
kennt,  die  Nase  und  Nasenrachenraum  bei  der  Production  unserer  Sprach- 
laute spielen. 

Ein  näheres  Eingehen  auf  diese  Materie  würde  uns  hier  zu  w^eit  führen.  -) 
Wir  müssen  uns  damit  begnügen  festzustellen,  dass  die  freie  Passage  des 
Nasenluftweges  für  die  Bildung  der  Nasenlaute  (w,  m,  ng^  franz.  an,  on,  in, 
un)  ebenso  wichtig  ist,  wie  sein  Abschluss  für  die  Bildung  der  übrigen 
Laute,  und  dass  während  der  fortlaufenden  Rede  zwischen  den  einzelnen 
Worten  ein  etwaiger  Ueberschuss  der  Exspirationsluft  fortwährend  unmerklich 
durch  die  Nase  abströmt. 

Deshalb  kommt,  wenn  aus  irgend  einem  Grunde  (Lähmung,  Defecte  des 
Velums)  der  Nasenrachenraum  gegen  den  Schlund  nicht  abgeschlossen  werden 
kann,  die  offene  Nasensprache  {Rhinolalia  aperta)  zu  Stande.  Sie  ist 
dadurch  charakterisirt,  dass  alle  Vocale  nasalirt  werden  und  dass  die  Ver- 
schlusslaute undeutlich  sind,  weil  dabei  ein  Theil  der  Exspirationsluft,  dem 
feineren  Ohre  deutlich  vernehmbar,  durch  die  Nase  entweicht. 

Bei  verstopfter  Nase  erhalten  wir  die  gestopfte  Nasensprache 
{Rhinolalia  clausa).   Sie  ist  charakterisirt: 

1.  Durch  veränderte  Resonanz  der  Nase  beim  Anlauten  der  Nasenlaute. 
Sitzt  das  Hindernis  im  Nasopharynx,  so  ist  die  Resonanz  abgeschwächt  oder 
aufgehoben,  es  entsteht  die  von  Wilhelm  Meyer  so  genannte  todte  Sprache. 
Sitzt  das  Hindernis  im  vorderen  Theile  der  Nasenhöhle,  so  ist  die  Resonanz 
verstärkt,  es  entsteht  ein  näselnder  Beiklang. 

2.  Die  Luft,  die  bei  den  Nasallauten  ausschliesslich  durch  die  Nase 
entweicht,  kann  dort  nicht  hinaus  und  ist  gezwungen,  sich  durch  den  Mund 
ihren  Ausweg  zu  suchen.  Das  geschieht  bei  den  Resonanten  unter  Sprengung 
von  Verschlüssen,  und  zwar  beim  m  des  Lippen-,  beim  n  des  vordem  Zungen-, 
beim  ng  des  hintern  Zungenverschlusses.  Es  entstehen  auf  diese  Weise  statt 

'•'•■)  Ausführliclie  Belehrung  hierüber  findet  man  in  meinem  bereits  cit.  Lehrbnche. 

44* 


692  UNTERSUCHUNG  DER  NASE. 

der  Eesonaten  die  Explosivlaute:  m  wird  zu  h,  n  zu  d,  ng  zu  g. 
Statt  Amanda  wird  Abbadda,  statt  Amtmann  Abtbadd,  statt  Engel  Eggel  ge- 
sprochen. 

3.  Die  verstopfende  Ursache  verwehrt  der  überschüssigen  Exspirations- 
luft  (s.  0.)  den  Ausweg  durch  die  Nase.  Daher  kommt  es  während  der  fort- 
laufenden Rede  zu  häufigen  Unterbrechungen  und  Stockungen. 

Der  Yolksmund  nennt  die  gestopfte  Nasensprache  merkwürdigerweise  ^Sprechen 
durch  die  Nase":  Lucus  a  non  lucendo! 

Auf  die  von  der  Mundathmung  abhängigen,  durch  fehlerhafte  Ent- 
wicklung der  Sprechmuskeln  bedingten  Dyslalien  {D.  labialis,  dentalis^ 
lingualis,  palatina),  auf  die  mit  gewissen  Nasenleiden  zusammenhängen- 
den functionellen  Dyslalien,  auf  den  Zusammenhang  zwischen 
Stottern  und  Nasenleiden  kann  hier  nicht  näher  eingegangen  werden. 

6.  Prüfung  mit  dem  Geriiclie.  Manchen  Nasensecreten,  wie  dem  der 
Ozäna,  des  Khinoskleroms  haftet  ein  specifischer,  mit  nichts  vergleichbarer 
Fötor  an,  der  allein  hinreicht,  um  die  Erkrankung  zu  diagnosticiren.  Andere 
Secrete,  wie  zuweilen  das  des  chronischen  Katarrhs  oder  der  Nasentuberkulose, 
zeigen  einen  wenig  auffälligen,  faden  Geruch,  während  bei  manchen  Neben- 
höhlenempyemen,  bei  der  Knochensyphilis  und  beim  Zerfall  maligner  Neu- 
bildungen ein  aashafter,  aber  nicht  gerade  charakteristischer  Gestank  zu 
Stande  kommt. 

Die  genannten  Gerüche  entstehen  sämmtlich  durch  bacterielle  Zer- 
setzungen von  Nasensecreten  oder  nekrotischen  Gewebstheilen.  Ihr  Charakter 
ist  abhängig  von  den  wirksamen  Bacterienarten  und  von  den  in  Zersetzung 
gerathenden  Substanzen.  Bei  den  specifischen  Gerüchen  haben  sehr  wahr- 
scheinlich beide  Factoren  specifische  Eigenschaften. 

7.  Probepmiction.  Sie  kommt  bei  Abscessen  oder  Hämatomen 
unter  der  Nasenschleimhaut,  wie  sie  sich  zuweilen  am  Septum  einstellen,  und 
für  die  Diagnostik  von  Kieferhöhleneiterungen  in  Anwendung. 

Ueber  die  mikroskopische  und  bacteriologische  Untersuchung 
von  Secreten  und  excidirten  Gewebsstücken  geben  die  Lehrbücher  der  klini- 
schen Mikroskopie,  der  histiologischen  und  bacteriologischen  Technik  Auf- 
schluss. 

8.  Fuiictionelle  Prüfung.  Von  den  zahlreichen  Functionen  der  Nase 
unterwerfen  wir  nur  ihre  Durchgängigkeit  für  die  Athmungsluft  und  ihre 
Fähigkeit  zu  riechen  einer  besonderen  Prüfung.  Alles  andere  suchen  wir  aus 
der  Anamnese  und  dem  sonstigen  Befunde  zu  erschliessen. 

Um  die  Durchgängigkeit  der  Nase  zu  prüfen,  halten  wir  dem 
Patienten  ein  Nasenloch  zu  und  lassen  ihn  durchs  andere  respiriren.  Der  Grad 
der  Anstrengung,  der  dazu  nolhwendig  ist,  etwaige  dabei  entstehende  Ge- 
räusche, die  Kraft  des  Exspirationsstromes  liefern  uns  brauchbare  Anhalts- 
punkte. Um  die  Durchgängigkeit  beider  Nasenhälften  mit  einander  zu  ver- 
gleichen, halten  wir  einen  nicht  zu  warmen  Toilettenspiegel  wagrecht  unter 
die  Nase  des  zu  Untersuchenden.  Darauf  zeichnen  sich  bei  der  Exspiration 
durch  den  Athembeschlag  zwei  Figuren  ab,  die  allmählich  kleiner  werden  und 
endlich  verschwinden.  Ihre  Grösse  ist  annähernd  proportional  der  in  der 
Zeiteinheit  durch  jede  Nasenhälfte  strömenden   Luftmenge  (Zwaaedemakee). 

Prüfung  des  Geruchs.  Zur  qualitativen  Prüfung  des  Geruchs 
fordern  wir  den  Patienten  auf,  eine  Reihe  von  bekannten  Riechstoffen  zu  be- 
stimmen. Bedingung  ist,  dass  diese  nicht  den  Trigeminus,  sondern  aus- 
schliesslich den  Olfactorius  reizen.  Von  solchen  seien  folgende  genannt: 
Tinet.  moschi,  Ol.  cinnamom.,  Tinct.  asae  foetid.,  Ol.  menth.  pip.,  Ol.  vale- 
rian.,  Ol.  terebinth.,  Spirit.  Coloniens.,  Jodoform.  Mit  solchen  Stoffen,  die 
der  Patient  nicht  kennt,  muss  er  vorher  gut  bekannt  gemacht  werden. 

Für  die  quantitative  Prüfung  ein  brauchbares  Instrument  ange- 
geben zu  haben,  ist  das  Verdienst  Zwaaedemakers.    Dieses  Instrument,  der 


UNTERSUCHUNG  DES  OHRES.  693 

Riechmesser   (Olfactom  eter),   besteht    aus  einem  Glascylinder,  dessen 
eines  Ende  aufgebogen  ist,  um  es  bequem  ins  Nasenloch  einzufügen. 

Ueber  diesen  GLiscylinder  ist  ein  anderer  Cylinder,  wir  wollen  ihn  den 
Testcylinder  nennen,  gestreift,  der  aus  der  riechenden  Substanz  besteht  oder 
mit  ihr  imprägnirt  ist.  Es  ist  dafür  gesorgt,  dass  nach  der  freien  Oberfläche 
keine  Gerüche  abströmen  können.  Ist  der  Testcylinder  vollkommen  über  den 
andern  hinübergestreift,  so  wird  man  beim  Riechen  an  diesem  keine  Empfin- 
dung haben.  Wird  aber  der  Testcylinder  vorgezogen,  so  muss  die  Inspirations- 
luft, bevor  sie  in  den  Cylinder  tritt,  zunächst  über  ein  Stück  riechender 
Fläche  streichen,  von  dessen  Grösse  die  Stärke  der  Geruchsempündung  ab- 
hängt. Die  Grösse  der  riechenden  Fläche  ist  wiederum  abhängig  von  der 
Entfernung,  um  die  das  Testrohr  vorgeschoben  wird  und  die  auf  einer  dem 
Cylinder  eingeritzten  Scala  abgelesen  werden  kann. 

Für  jeden  einzelnen  Testcylinder  ist  zunächst  durch  mehrfache  Prü- 
fungen normaler  Geruchsorgane  der  Schwellenwerth  zu  ermitteln,  bei  dem 
die  erste  Geruchsempfindung  auftritt.  Diesen  Werth  nennt  Zwaakdemakek 
1  Olfactie. 

In  der  Olfactie  haben  wir  ein  einheitliches  Maass,  auf  das  andere  Mes- 
sungen bezogen  werden  können.  Wir  können  jetzt,  ähnlich  wie  es  in  der 
Augenheilkunde  geschieht,  die  Geruchsschärfe  einer  Person,  bezogen  auf  eine 
bestimmte  Substanz,  in  Form  eines  Bruches  ausdrücken.  Jemand  hat  z.  B. 
Riechschärfen  Vs  für  Kautschuk,  w^enn  das  Testrohr  aus  Kautschuk  um  den 
dreifachen  Werth  der  Olfactie  vorgeschoben  werden  muss,  um  eine  Geruchs- 
empfindung zu  erzeugen. 

Als  Teststoffe  benutzt  Zwaardemaker  für  klinische  Zwecke  rothen 
Kautschuk  (Siegellackgeruch),  eine  Mischung  von  Gutta  percha  und 
Gummi  ammoniacum  ää  (Lakritzengeruch),  Resina  benzoes  (Vanille- 
geruch) und  Radix  sumbuli  (Moschusgeruch).  Zu  feineren  Messungen 
dienen  poröse  Thonröhren,  die  mit  den  zu  prüfenden  wässerigen  Lösungen 
(z.  B-  Aq.  amygd.  amar.  1:100,  schwacher  Lösung  von  Acid.  valerianic.)  ge- 
tränkt werden.  Sie  sind  nach  jedem  Gebrauch  auszukochen  und  jedesmal  neu 
zu  tränken. 

Zum  Beginne  der  Untersuchung  wird  dem  Patienten  der  zu  benutzende 
Testcylinder  vorgehalten,  damit  er  dessen  Geruch  kennen  lernt.  Darauf  wird 
der  Cylinder  über  das  sorgfältig  gereinigte  Innenröhrchen  geschoben,  und 
während  der  Patient  das  Instrument  vorne  ins  Nasenloch  einführt  und  ruhig 
daran  riecht,  so  lange  vorgeschoben,  bis  er  die  erste  Geruchsempfindung  an- 
gibt. Man  erhält  dabei  gewöhnlich  einen  etw^as  zu  hohen  Werth,  weil  im 
Verlaufe  der  Untersuchung  an  der  Innenfläche  des  Glasröhrchens  Riech- 
partikelchen hängen  bleiben  und  so  die  Riechfläche  vergrössern.  Durch  Con- 
trolversuche  mit  frischen  Innenröhrchen  corrigirt  man  den  Fehler.  Man  muss 
sich  auch  hüten,  zu  lange  dieselbe  Qualität  zu  prüfen,  weil  der  Geruchsinn 
sehr  leicht  ermüdet.  Endlich  darf  die  Temperatur  des  Testcylinders  nicht 
vernachlässigt  werden,  denn  ein  warmer  Körper  duftet  stärker  als  ein  kalter. 

ZARNIKO. 

Untersuchung  des  Ohres.  Zu  einer  vollständigen  Untersuchung  des 
Ohres  gehört  das  K r  an k  en  e xa m  en ,  die  0 1  o s k  op  i  e,  der  K  a t h  e  t  er  i s  m  u  s 
der  Eustachischen  Röhre  in  Verbindung  mit  der  Auscultation  und 
eventuell  mit  der  Sondirung  der  Tube,  die  Functionsprüfung  und 
für  manche  Fälle  die  elektrische  Untersuchung  des  Hörnerven. 
Auch  die  Rhino  skopie  ist  bei  vielen  Ohraffectionen  unentbehrlich. 

Die  Hauptaufgabe  der  Anamnese  ist  es,  ausser  den  Personalien  des 
Kranken  Ursache,  Dauer  und  Symptome  der  Ohrenkrankheit  festzu- 
stellen. Bezüglich  der  Ursachen  werden  oft  und  besonders  in  chronischen 
Fällen  ganz  willkürliche  Angaben  gemacht,  und  es  genügt  daher  selten,  sich 


694  UNTERSÜCHimG  DES  OHRES. 

auf  die  spontanen  Mittheiliingen  des  Patienten  zu  verlassen,  sondern  ist  er- 
forderlich, sich  nach  dem  Vorhandengewesensein  oder  Bestehen  bestimmter 
Krankheiten,  welche  erfahrungsgemäss  das  Ohr  häufig  in  Mitleidenschaft  ziehen, 
zu  erkundigen.  Es  gehören  dahin  zunächst  die  sogenannten  Constitutionsanomalien, 
insbesondere  Rhachitis,  Scrophulose,  Anämie;  ferner  die  acuten  und  chronischen 
Infectionskrankheiten:  Masern,  Scharlach,  Diphtherie,  Influenza,  Typhus, 
Keuchhusten,  Mumps,  Syphilis,  Tuberkulose;  die  Erkrankungen  des  Respirations- 
apparates, wie  Bronchitis,  Pneumonie,  die  Circulationsanomalien  u.  s.  w. 
Auch  nach  Erkrankungen  der  Nase  und  des  Rachens  muss  man  eingehend 
forschen,  obwohl  hierüber  oft  erst  die  Aufnahme  des  Status  Aufschluss  ver- 
schaffen wird.  Ganz  besondere  Beachtung  verdient  die  Frage,  ob  Ohrkrank- 
heiten in  der  Verwandtschaft  des  Patienten  mehrfach  vorgekommen  sind  und 
ob  der  Kranke  selbst  etwa  früher  schon  am  Ohre  gelitten  hat. 

lieber  die  Dauer  des  Leidens  wird  man  nur  in  acuten  Fällen  be- 
stimmtere Angaben  erlangen;  in  chronischen  Fällen  haben  sich  die  Be- 
schwerden meist  so  allmählich  eingestellt,  dass  die  Kranken,  zumal  bei  ein- 
seitigen Affectionen,  sich  über  die  Zeit  ihres  Eintrittes  nicht  Rechenschaft  zu 
geben  vermögen.  Auch  hier  werden  oft  ganz  vage  Behauptungen  aufgestellt, 
und  es  ereignet  sich  nicht  selten,  dass  ein  Patient,  welcher  als  Dauer  seiner 
Beschwerden  einige  Monate  angeführt  hat,  auf  die  Frage,  ob  er  vor  fünf  Jahren 
noch  gut  gehört  habe,  mit  nein  antwortet.  Der  Arzt  ist  daher  sehr  oft  ge- 
nöthigt,  ein  förmliches  Kreuzverhör  mit  seinem  Patienten  vorzunehmen. 

Selbst  über  die  Symptome  muss  man,  zumal  weniger  gebildete  Kranke, 
zuweilen  mühsam  ausforschen.  Mancher  gibt  an,  dass  er  Schmerzen  habe, 
will  aber  von  Schwerhörigkeit  nichts  bemerkt  haben,  und  sogar  der  eiterige 
Ausfluss  wird  mitunter  verschwiegen.  Unter  „Ausfluss"  wird  übrigens  von 
vielen  Menschen  nicht  die  pathologische  Absonderung,  die  Otorrhöe,  sondern  die 
Secretion  von  weichem  Cerumen  verstanden,  so  dass  bei  ungenügend  eingehender 
Examination  Missverständnisse  vorkommen  können.  Ueber  den  Schwindel,  ein 
besonders  wichtiges  Symptom,  wird  sehr  selten  spontan  berichtet,  weil  an  die 
Möglichkeit  seines  Zusammenhanges  mit  dem  Ohre  vom  Laien  —  und  leider 
auch  vom  Arzte  —  meist  nicht  gedacht  wird.  Ueberhaupt  sollte  man  es  nie 
unterlassen,  auch  auf  Krankheitserscheinungen  bei  der  Anamnese  einzugehen, 
welche  vielleicht  mit  der  Ohraffection  direct  nichts  zu  thun  haben,  denn  man 
kann  niemals  vorher  beurtheilen,  ob  scheinbar  nebensächliche  Umstände  nicht 
doch  eine  ganz  entschiedene  Bedeutung  gewinnen  können. 

So  weit  möglich,  muss  man  nicht  allein  über  die  Art  der  Beschwerden, 
sondern  auch  über  den  Gang  ihrer  Entwickelung  Näheres  zu  erfahren  suchen, 
da  es  z.  B.  nicht  ohne  Wichtigkeit  ist  zu  wissen,  ob  Schmerzen,  Schwer- 
hörigkeit oder  subjective  Geräusche  Schwankungen  unterliegen,  in  welcher 
Reihenfolge  die  Symptome  eingetreten  sind,  ob  namentlich  ein  eitriger  Aus- 
fluss von  Schmerzen  eingeleitet  oder  gefolgt  wurde,  ob  Fieber  im  Anfang  oder 
erst  im  Verlaufe  der  Krankheit  bestand;  ferner  ob  die  Beschwerden  sich  schnell 
oder  langsam,  gleichmässig  oder  sprungweise  eingestellt  haben. 

Schliesslich  unterlasse  man  nicht,  über  die  bisherige  Therapie  sowohl 
der  Ohraffection  als  etwa  vorhandener  Allgemeinerkrankungen  Erkundigungen 
einzuziehen,  da  man  daraus  zuweilen  wichtige  Schlüsse  auf  Verlauf  und  Ent- 
stehung des  Leidens  gewinnen  kann. 

Es  ist  eine  bekannte  Thatsache,  dass  gerade  Schwerhörige,  da  sie  in 
Folge  ihres  Gebrechens  mehr  oder  weniger  vom  Verkehre  abgeschlossen  sind, 
in  ihren  Berichten  ungemein  umständlich  und  weitschweifig  sind.  Die  Ge- 
duld des  Arztes  wird  dadurch  zuweilen  auf  harte  Proben  gestellt;  dennoch 
möchte  es  sich  empfehlen,  dem  Redeflusse  des  zu  Untersuchenden  so  weit 
wie  möglich  freien  Lauf  zu  lassen,  weil  unter  zahlreichen  vollkommen  gleich- 


VARICES  IM  KEHLKOPF.  VERTIGO  LARYNGEA.  695 

giltigen   Mittheilungen  doch  in  der  Regel  manche    Einzelheiten    unterlaufen, 
welche  für  die  Würdigung  des  Falles  von  Bedeutung  sind. 

Die  obengenannten  manuellen  Untersuchungsmethoden  sind  in  den  Ar- 
tikeln ,,Auscultation  des  Ohres  (pag.  30),  Eleläro-Oto-Diu(jnostik  (pag.  113), 
Hörprüfung  (pag.  198),  Katheterismus  tubae  (pag.  242),  Otoskopie  (pag.  4G0)" 
einzeln  behandelt.  Bezüglich  der  gebräuchlichsten  Instrumente,  deren  der 
Ohrenarzt  zur  Ausführung  dieser  Untersuchungen  bedarf,  sei  auf  den  Artikel 
^^Instrumentarium  des  Ohrenarztes  {pag.  219)  verwiesen.  jjüiiKNEii. 

YariceS  im  Kehlkopf.  Varices  sind  verhältnismässig  häufig  in  der  Form 
von  Ausdehnung  der  Venen,  welche  an  der  oberen  Fläche  der  Epiglottis  bemerkbar 
sind.  Meistens  sind  dabei  auch  die  Venen  des  Zungengrundes  hochgradig 
ausgedehnt.  Diese  Form,  welche  zuerst  Mackenzie  beschrieben  hat,  findet 
sich  nicht  selten  als  Begleiterscheinung  von  allgemeinen  Stauungen  in  den 
oberen  Theilen  der  Luft-  und  Verdauungswege;  macht  gewöhnlich  keine  Be- 
schwerden, bedarf  daher  keiner  besonderen  Behandlung.  Varices  dagegen, 
welche  zur  Bildung  von  wirklichen  Geschwülsten  führen,  sind  ausserordentlich 
selten.  So  beschrieb  Juefingee  einen  erbsengrossen,  kugeligen,  blauen  Tumor 
auf  dem  einen  Aryknorpel,  welcher  sich  nach  aussen  in  eine  Vene  fortsetzte, 
die  in  den  sinus  pyriformis  herablief.  Der  Tumor  wurde  mit  der  galvano- 
kaustischen Schlinge  abgetragen  und  zeigte  auf  dem  Durchschnitte  deutlich, 
dass  es  sich  um  eine  hochgradig  dilatirte  venöse  Gefässschlinge  handelte.  Ich 
selbst  beobachtete  als  zufälligen  Befund  an  dem  Stimmbande  einer  Leiche  ein 
1  mm  im  Durchmesser  haltendes,  halbkugeliges,  bläuliches  Knötchen.  Das- 
selbe zeigte  sich  auf  Serienschnitten  als  Convolut  von  ausgedehnten,  venösen 
Gefässen,  deren  Wände  theilweise  mit  einander  verwachsen,  an  anderen  Stellen 
aber  vollständig  von  einander  getrennt  waren,  so  dass  hier  eine  deutliche 
Abgrenzung  gegen  Tumor  cavernosus  möglich  war.  Chiaki. 

Vertigo  laryngea.  (Kehlkopf schwindet,  latus  laryngis).  Diese  sehr 
seltene  Neurose  hat  grosse  Aehnlichkeit  mit  den  Larynxkrisen  der  Tabetiker, 
doch  tritt  die  Sensoriumstörung  nur  in  den  schweren  Fällen  der  letzteren  und 
zwar  anscheinend  infolge  des  gestörten  Gaswechsels  ein,  während  sie  beim 
Ictus  typisch  vorhanden  ist  und  wegen  ihres  zu  raschen  Erscheinens  auf 
andere  Umstände  bezogen  werden  muss.  Chaecot,  der  erste  Beobachter  der 
Affection,  betrachtet  sie  als  ein  Analogon  des  MENiEEE'schen  Schwindels,  her- 
vorgerufen durch  Reizung  der  sensiblen  Kehlkopf  nerven;  Andere  glauben,  dass 
es  sich  um  einen  Laryngospasmus  handle,  während  dessen  der  intrathoracische 
Druck  die  Synkope  veranlasse. 

Aetiologisch  ist  festzustellen,  dass  die  Patienten  fast  ausschliesslich 
Männer  von  35—70  Jahren  waren  und  dass  Heilungen  durch  die  Entfernung 
eines  Kehlkopfpolypen  oder  der  Zungentonsille  bewirkt  wurden. 

Der  Anfall  beginnt  mit  einem  kitzelnden  oder  reizenden  Gefühle  im 
Kehlkopfe,  welchem  ein  leichter  bis  sehr  schwerer,  meist  mit  Stridor  einher- 
gehender Hustenanfall  folgt,  in  welchem  der  Kranke  betäubt  oder  völlig  be- 
wusstlos  zusammenbricht;  er  erholt  sich  aber  augenblicklich  wieder  und  be- 
hält höchstens  eine  kurzdauernde  Sinnesverwirrung  zurück. 

Bisher  sind  alle  Patienten  geheilt  worden. 

Die  Therapie  hat  etwaige  Kehlkopfreizungen  zu  beseitigen  und  ver- 
wendet mit  Vortheil  die  Brom  salze.  beegeat. 

Vibrationsmassage.  Die  Vibrationsmassage  der  Schleim- 
haut der  oberen  Luftwege  mittelst  Sonden  wurde  von  Dr. 
Michael  Beaun  in  Triest  erdacht,  eingeführt  und  ausgebildet.  Zum  ersten- 
male  vorgetragen  und  demonstrirt  im  Jahre  1890  am  X.  internationalen 
Congress   in   Berlin,    später   in  Paris,   in  Rom   und   im  Jahre  1897   in  der 


696  VIBRATIONSMASSAGE. 

69.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Braunschweig.  Die 
ersten  Versuche  wurden  mittelst  Kupfersonden,  deren  geköpftes  und  geripptes 
Ende  mit  einem  Wattabäuschchen  umwickelt  waren,  in  Form  der  Effleurage 
und  des  Tapottements,  einen  geringeren  oder  stärkeren  Druck  ausübend,  vor- 
genommen. Später  jedoch  wurde  die  Dr.  Arvid  KELLGEEN'sche  Erschütterung, 
welche  Druck  und  Tapottement  in  einer  einzigen  Bewegung  in  sich  vereinigt, 
mit  der  Effleurage  combinirt. 

Beschreibung  der  Technik.  Der  Ausgangspunkt  der  Bewegung  ist 
das  gebeugte  Ellenbogengelenk,  welches  je  nach  Bedarf,  massig  gestreckt, 
gehoben,  gesenkt,  vor-  oder  rückwärts  bewegt  werden  kann.  Die  Dimensionen 
der  zur  Verwendung  kommenden  Sonden  sind  verschieden,  je  nachdem  sie 
zur  Massage  der  Nase,  des  Rachens,  des  Kehlkopfes  gebraucht  werden.  Die 
kürzeste  ist  21  cm  lang  und  an  ihrem  Fussende  2  mm  dick,  die  längste 
circa  50  cm  lang  und  4 — 5  mm  am  Fussende  stark.  Das  Wattabäuschchen 
muss  um  den  gerippten  Hals  festgedreht  werden  und  den  Kopf  um  2 — 3  cm 
stets  überragen.  Die  ausgeglühten  elastischen  Sonden  lassen  sich  den  ana- 
tomischen Verhältnissen  entsprechend  leicht  biegen,  werden  schreibfederartig 
vom  Daumen  und  Zeigefinger  gehalten  und  sind  vorzüglich  geeignet,  die 
wellenförmigen  Bewegungen  der  Armmuskulatur  der  Schleimhaut  mitzutheilen, 
ebenso  einen  beliebigen  Druck  auf  die?elbe  auszuüben.  Die  Sonden  werden 
vor  ihrer  neuerlichen  Verwendung  ausgeglüht.  Das  aseptische  Wattabäuschchen 
muss  an  Festigkeit  und  Elasticität  der  Endphalanx  des  Zeigefingers  nahezu 
gleichkommen  und  so  gewissermaassen  dessen  Verlängerung  bilden.  Die  ar- 
mirte  Sonde  wird  in  jenes  Medicament  getaucht,  das  der  behandelnde  Arzt, 
abgesehen  von  den  Erschütterungen  der  Schleimhaut,  dieser  einzuverleiben 
gedenkt.  Bei  besonders  empfindlichen  Individuen  ist  es  rathsam,  im  Beginne 
eine  lO^oige  oder  20°/oige  Cocainlösung  zur  Anästhesirung  zu  verwenden. 
Die  gebräuchlichen  Mittel  sind  10%ige  Menthol- Vaselinsalbe  oder  10%iges 
Jod-,  Jodkali-Glycerin,  Peruvianischer  Balsam,  oder  5°/oige  Lysollösung,  oder 
Sublimat  l^/oo^  Lanolin  und  Vaselin. 

Behandlung  der  Nase  und  Nasenrachenraumes.  Als  Charak 
teristicum  der  Behandlung  der  Nase  und  des  Nasenrachenraumes  führen  wir 
hier  die  Heilung  einer  fortgeschrittenen  Ozäna  an.  Wenn  Krusten,  Borken 
und  Schleim  durch  die  Cocainvibration  gründlich  entfernt  sind,  werden  mit 
geraden  und  den  dünnsten  Sonden,  deren  Wattabäuschchen  in  Alkohol  oder 
peruvianischcn  Balsam  oder  lO^oiges  Jod-,  Jodkali-Glycerin  oder  in  ein  anderes 
entsprechendes  Medicament  getaucht  sind,  der  Nasenboden,  der  untere  Gang,  die 
untere  Muschel,  der  mittlere  Gang,  die  mittlere  Muschel,  das  Septum,  die 
oberen  Partien  und  schliesslich  die  Schleimhaut  in  ihrer  Ausdehnung  vibrirt. 
Zu  Beginn  werden  für  je  eine  Nasenhälfte  etwa  10  Sonden,  später  bei  er- 
höhter Toleranz  2—3  Sonden  gebraucht,  die  Berührungsdauer  zwischen  Sonde 
und  Schleimhaut  soll  durch  die  Uhr  controlirt  werden  und  Anfangs  V2  >  später 
5—6  Minuten  betragen.  Der  Nasenrachenraum  soll  stets  mitbehandelt  werden, 
und  zwar  soll  das  Wattabäuschen  um  den  ganzen  aufsteigenden  Theil  der 
gekrümmten  Sonde  derart  befestigt  werden,  dass  mit  demselben  die  hintere 
Wand  des  Nasenrachenraumes  in  einem  Zuge  vibrirt  werden  könne. 

Schmerzempfindungen  oder  Blutungen  während  der 
Sitzung  oder  auch  nachträglich  sind  stets  Beweise  einer  un- 
geschickten oder  rohen,  eher  schädlich  en  als  nützlichen  Hand- 
habung der  Vibrationssonden. 

Uebler  Geruch,  Krusten  oder  Borken  werden  gewöhnlich  nach  6—8 
Wochen  sistirt,  um  einer  profusen  Schleimabsonderung  Baum  zu  geben.  Die 
Dauer  und  Art  der  Behandlung  sowohl  bei  der  Ozäna  als  auch  bei  sonstigen 
katarrhalischen  Erkrankungen  hängt  stets  vom  Individuum  und  der  Hart- 
näckigkeit seines  Falles  ab. 


WARZENFORTSATZERKRANKÜNGEN.  697 

Die  Indication  der  Vibrationsmassage  der  Nasenschleimhaut  zum  Heil- 
zwecke ist  nicht  nur  bei  Ozäna,  sondern  auch  bei  allen  acuten  und  chro- 
nischen katarrhalischen  Erkrankungen,  ebenso  bei  Ileflexneurosen  aller 
Art,  ferner  gegen  Gesichts-  und  Kopfschmerz,  Ohrensausen  mit 
Schwindelanfällen  und  Asthma  angezeigt,  gegen  diese  letzteren  Er- 
krankungen nur  in  dem  Falle,  wenn  durch  die  während  des  Anfalles  geübte 
Probemassage  entweder  ein  gänzlicher  Nachlass  oder  eine  bedeutende  Ver- 
minderung der  krankhaften  Erscheinungen  eintritt. 

Bachen.  Zur  Behandlung  desselben  werden  die  stärksten  Sonden  ge- 
wählt. Da  die  meisten  Kranken  zu  Beginn  keinen  längern  Contact  vertragen, 
so  wird  derselbe  auf  ein  Minimum  beschränkt,  desto  häufiger  jedoch  wird  er 
wiederholt,  so  dass  in  einer  Sitzung  oft  10 — 12  Sonden  gebraucht  werden. 
Bei  niedergedrückter  Zunge  soll  der  Rachen  in  seiner  Totalität  und  der 
Nasenrachenraum  mitbehandelt  werden.  Perubalsam,  Jodglycerin,  Zinklanolin 
und  Mentholvaseline  sind  die  gebräuchlichsten  Mittel  bei  chronisch-katar- 
rhalischen Erkrankungen  des  Rachens. 

Kehlkopf  und  oberer  Theil  der  Luftröhre.  Die  Technik  der 
Massage  im  Kehlkopf  und  Luftröhre  ist  die  schwierigste  und  erfordert  die 
meiste  Uebung.  Die  einzelnen  Eingriffe  müssen  mit  der  äusserst  sorgfältig 
armirten  und  entsprechend  gebogenen  Sonde  Anfangs  kurz  und  rasch  vorge- 
nommen werden.  Die  Stimmbänder  müssen  in  ihrer  Gesammtheit  gleichmässig 
erschüttert  werden.  Indicirt  ist  die  Behandlung  bei  allen  acuten  und  chro- 
nischen Katarrhen  des  Kehlkopfes  und  der  Luftröhre,  ebenso  bei  katarrhalischen 
und  nervösen  Lähmungen  der  Stimmbänder. 

Tuba  Eustachii.  Die  gekrümmte,  armirte  Sonde  wird  auf  die  Weise 
der  Itardi' sehen  Röhre  in  das  Ostium  geführt  und  die  Vibration  steigernd 
von  V2  bis  5  Minuten  vorgenommen.  Bei  exacter  Technik  wird  das  Gefühl 
einer  wellenförmigen  Bewegung  hervorgerufen,  welche  sich  biss  auf  das  Tym- 
panum  erstreckt.  Indicirt  ist  die  Behandlung  bei  chronischen  Katarrhen.  Ge- 
wöhnlich werden  beide  Nasenhälften  und  der  Nasenrachenraum  mitbehandelt. 

Die  Vibrationsmassage  bietet  die  Möglichkeit,  den  erkrankten  Theil  isolirt 
zu  behandeln  und  ihm  ein   beliebiges  Medicament  vollständig  einzuverleiben. 

Sie  wirkt  erregend  und  erzielt  infolge  der  Umstimmung  der  noch  vor- 
handenen Gewebselemente,  der  chronisch-katarrhalisch  erkrankten  Schleim- 
haut eine  Umwandlung  derselben. 

Sie  ist  auch  ein  Hilfsmittel  zu  diagnostischen  Zwecken,  hauptsächlich  bei 
engen  Nasenhälften,  indem  durch  Retraction  der  Schleimhaut  die  Nasen- 
hälften erweitert  werden  und  die  vorhandenen  pathologischen  Producte  isolirter 
zur  Anschauung  kommen. 

Bis  jetzt  sind  etwa  50—60  fachliche  Publicationen  erschienen,  die  in  der 
Semana  Medica  vom  October  1897  angeführt  sind.  m.  braux. 

Warzenfortsatzerkrankungen.  Von  den  Erkrankungen  des  Warzen- 
theiles  sind  es  zunächst  die  entzündlichen  Processe  dieser  Region,  die 
wir  in  efster  Linie  ins  Auge  zu  fassen  haben. 

Absichtlich  sage  ich  „Entzündungen  des  Warzentheiles",  weil  es  ana- 
tomisch unrichtig  ist,  von  einer  Entzündung  des  Warzenfortsatzes  allein 
zu  reden. 

Der  Warzenfortsatz  selbst  bildet  nur  einen  Theil  des  Systemes, 
als  dessen  Mittelpunkt  wir  die  basale  Haupthöhle,  das  Antrum,  ansehen,  das 
ja  mit  der  Paukenhöhle  durch  eine  allerdings  ziemlich  hochgelegene  Communi- 
cationsöffnung,  den  Aditus  ad  antrum,  in  Verbindung  steht.  Mit  dieser 
Haupthöhle  stehen,  gewissermaassen  in  radiärer  Anordnung,  die  übrigen  pneu- 
matischen Zellräume  der  Pars  mastoidea  in  Communication. 

Wir  werden  also  in  der  Schilderung  die  Entzündungen  der  „Pars 
mastoidea"  ins  Auge  fassen.  Gleich  wie  bei  anderen  Knochensystemen  müssen 


698  WARZENFORTSATZERKRANKÜNGEN. 

wir  die  Entzündung  des  Knochens  differenziren  in  eine  Periostitis,  bei 
welcher  das  Periost  und  die  den  Knochen  nach  aussen  zu  bedeckenden  Weich- 
theile  den  Sitz  der  Affection  bilden,  und  in  eine  Ostitis,  bei  der  die  cen- 
tralen Partien  ergriffen  sind.  Nun  kommt  es  aber  im  Ganzen  sehr  selten 
vor,  dass  der  eine  oder  andere  Knochenabschnitt  ganz  allein  erkrankt;  sie 
ziehen  sich  immer  mehr  oder  weniger  gegenseitig  in  Mitleidenschaft,  so  dass 
bei  einer  centralen  Entzündung  sehr  häufig  nach  einiger  Zeit  auch  die  peri- 
pheren Lager  und  umgekehrt  bei  Periostitis  schliesslich  auch  die  oberen  Lagen  der 
inneren  Partien  sich  ergriffen  zeigen  werden.  Wenigstens  finden  wir  in  acuten 
Processen  sehr  häufig  dieses  Verhalten.  Eine  Ausnahme  jedoch  beobachten 
wir,  wie  wir  später  ausführlicher  sehen  werden,  bei  der  condensirenden 
zur  Hyperostose  führenden  Ostitis:  hier  bleibt  die  äussere  Decke  voll- 
ständig intact,  obschon  in  der  Tiefe  oft  gewaltige  Veränderungen  vorhanden 
sein  können.  Auch  sonst  finden  wir  oft  genug  bei  chronischen  Eiterungen 
ein  Freibleiben  der  periostalen  Bekleidung  bei  verschiedenster  Ausdehnung 
der  Erkrankung  im  Innern  des  Eachens. 

Diese  Periostitis  und  Ostitis  mastoidea  kann  nun  ihrerseits  wieder  auf- 
treten als  primäre  oder  als  secundäre.  Ehe  wir  die  Periostitis  und 
Ostitis  betrachten,  haben  wir  vorher  noch  zu  gedenken 

1.  der  Entzündung  der  über  dem  Perioste  gelegenen  Weichtheile,  der 
phlegmonösen  Entzündung.  Sie  soll  sich  nach  Erkältungen  einstellen 
und  dann  auch  beide  Hinterohrgegenden  zugleich  befallen  können.  Die  ge- 
wöhnlichere Veranlassung  hiezu  geben  jedenfalls  Traumen  oder  kleine  Haut- 
verletzungen am  Orte  selbst  oder  in  dessen  Nachbarschaft,  durch  welche  die 
Infectionskeime  eindringen  können. 

Und  verhältnismässig  oft  pflanzt  sich  auch  eine  Entzündung  der 
Gehörgangswandungen  nach  hinten  auf  die  Regio  mastoidea  fort,  so  dass 
gerade  Schwellung  der  Mastoidealregion  auf  die  Weichtheile  und  eventuell 
das  Periost  beschränkt,  bei  Otitis  externa  durchaus  nicht  zu  den  Seltenheiten 
gehört. 

Zunächst  kommt  es  innerhalb  kurzer  Zeit  zu  einer  mehr  weniger  hoch- 
gradigen Verschwellung  der  Hinterohrgegend,  so  dass  in  exquisiten  Fällen  die 
Ohrmuschel  ganz  vom  Kopfe  abgedrängt  erscheint;  daneben  macht  sich  eine 
hell-  bis  blaurothe  Verfärbungen  der  geschwollenen  Theile  bei  sehr  erhöhter 
localer  Temperatur  bemerkbar.  Dazu  gesellen  sich  intensive  Schmerzen, 
die  nicht  selten  über  die  ganze  Gesicht-  und  Kopfhälfte,  ja  zuweilen  auf  die 
gleichseitige  Extremität  und  obere  Thoraxparthie  ausstrahlen.  Die  Schmerzen 
sind  spontan  constant  vorhanden,  exacerbiren  des  Abends  von  selbst  und  er- 
reichen bei  Druck  oder  beim  Beklopfen  eine  sehr  grosse  Höhe. 

Auch  kann  sich  zuweilen,  insbesondere  in  Fällen,  in  welchen  die  An- 
satzpartien des  M.  sternocleidomastoides  in  Mitleidenschaft  gezogen  sind, 
ein  ganz  ausgesprochenes  Caput  obstipum  herausbilden.  Fieber,  das  zuweilen 
mit  einem  Schüttelfrost  sich  einstellt,  pflegt  gewöhnlich  dabei  vorhanden  zu 
sein  und  sich  erst  im  Ablaufe  zu  verlieren.  Häufig  bildet  sich,  deutlich  das 
Gefühl  der  Fluctuation  gebend,  ein  subcutaner  oder  periostaler  Abscess,  der 
entweder  nach  aussen  aufbricht,  oder  aber,  wenn  er  nicht  rechtzeitig  eröffnet 
wird  und  wenn  er  sich  in  den  tieferen  Bindegewebslagern  entwickelt  hat,  sehr 
folgeschwere  Senkungen  in  die  tieferen  Partien  der  seitlichen  Halsregion, 
bis  gegen  die  Claviculargegend  oder  nach  innen  hinein  hervorrufen  kann. 
Gerne  bilden  sich  bei  nicht  rechtzeitigem  Eingreifen  Fistelgänge.  Ein  beson- 
ders beliebter  Durchbruchsort  für  die  spontane  Oeffnung  ist  die  hintere 
Gehörgangswand  und  man  wird  bei  manchem  scheinbaren  Furunkel  dieser 
Partie  durch  die  Einführung  der  Sonde  und  durch  die  relativ  grosse  Eiter- 
menge, abgesehen  von  der  Ausdehnung  der  Schwellung  und  Infiltration,  be- 
lehrt werden,  dass  die  Ursache  eine  Abscessbildung  der  Bindegewebsschichten 


WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN.  699 

des  Processus  mastoides  ist.  Phlegmonöse  Schwellungen  der  Tempero-Masto- 
idealregion  entleeren  bei  Abscedirung  auch  oft  ihr  Secret  durch  die  vordere 
oder  obere  Gehörgangswandung.  Die  Schwellung  und  Infiltration  ist  zuweilen 
bei  derartigen  Phlegmonon  so  gross,  dass  sie  die  ganze  Scheitelbeingegend 
und  Occipitalregion  bis  auf  den  Hals  hinunter  einnimmt.  Wie  die  Bewegungen 
des  Halses,  so  sind  auch  die  des  Kiefergelenkes  hier  sehr  alterirt. 

Ausnahmsweise  kommt  es  vor,  dass  sich  ohne  Ptöthung  und  Schmerz 
eine  acute  Schwellung  mit  Vorbuchtung  der  hinteren  Wand  bildet,  aus  der 
sich  profuses,  rein  seröses  Secret  entleert  (ürbäntschitscii). 

Ebenso  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  bei  Frauen  hie  und  da  im 
Zusammenhange  mit  den  Menses  eine  Entzündung  der  Decke  des  Warzenfort- 
satzes auftreten  kann;  sie  verliert  sich  mit  dem  Ablaufe  der  Menses,  um  sich 
dann  durch  einen  längeren  oder  kürzeren  Zeitraum  hindurch  stabil  in  diesem 
Tempo  zu  wiederholen. 

Leicht  dürfen  diese  phlegmonösen,  abscedirenden  Entzündungen  nie  ge- 
nommen werden,  da  sich,  bei  nicht  rechtzeitigem  Eingreifen,  ganz  gut  schwere 
pyämische  und  septische  Allgemeinerscheinungen  einstellen  und  der  Patient 
marantisch  zu  Grunde  gehen  kann. 

Die  Therapie  dieser  Affection  fällt  im  Ganzen  vollständig  mit  der  der 
Periostitis  zusammen.  Ganz  im  Anfange  wird  es  sich  noch  empfehlen,  die 
Entzündung  zu  coupiren  zu  versuchen.  Dem  gemäss  zwei  bis  drei  künstliche 
oder  natürliche  Blutegel  in  die  Hinterohrgegend,  jedoch  kann  bei  den  letzteren, 
wie  ich  es  einmal  erlebt  habe,  zu  der  Phlegmone  noch  ein  richtiges  Erysipel 
sich  entwickeln  in  Folge  einer  Infection  der  Blutegelwunden;  also  grösste 
Vorsicht.  Weiterhin  ein  energischer  Austrieb  mit  Tinctura  Jodi  und  die 
Application  von  Kälte  in  Form  des  Eisbeutels  (nur  die  kleinen  Augeneisbeutel 
hier)  oder  des  LEiTER'schen  Kühlapparates.  In  neuester  Zeit  sind  für  diese 
phlegmonösen  Entzündungen  sowohl  des  Meatus  als  auch  der  Pars  mastoidea 
die  Alkohol  verbände,  wie  sie  bei  derlei  Infectionen  in  der  Chirurgie  auch 
gehandhabt  werden,  mit  sehr  günstigem  Erfolge  verwendet  worden  und  Ver- 
fasser kann  sie  nach  seinen  eigenen  Erfahrungen  nur  wärmstens  empfehlen. 
Sieht  man  aber,  dass  eine  Rückbildung  unmöglich  oder  sehr  unwahrscheinlich 
ist,  so  eignen  sich  jetzt  Umschläge  von  essigsaurer  Thonerde  (87o  1  Esslöffel 
auf  2  Esslöffel  Wasser)  mit  nachfolgender  Bedeckung  vermittelst  eines  inper- 
meablen Stoffes.  Auf  jeden  Fall  müssen  dann  da  möglichst  ausgiebige  In- 
cisionen  (der  sogenannte  WiLDE'sche  Schnitt)  ausgeführt  werden,  sowohl  um 
durch  das  Debridement  und  die  Blutung  zu  entlasten,  als  insbesondere  um  dem 
Eiter  Abfluss  zu  verschaffen.  Je  nach  Lage  der  Dinge  natürlich  auch  gut 
situirte  Contraincisionen  und  am  besten  Drainagirung  mittelst  längerer  Jodo- 
formgazestreifen. 

2.  Periostitis  kommt  nur  sehr  selten  primär  zur  Beobachtung  und 
dann  gewöhnlich  nur  im  Anschlüsse  an  Traumen  oder  auch  ohne  jede  nach- 
weisbare Ursache. 

Umso  häufiger  jedoch  sehen  wir  sie  als  secundäre  auftreten,  und  zwar 
kann  das  zufolge  der  anatomischen  Verhältnisse  entweder  in  der  Weise  ge- 
schehen, dass  sich  eine  Entzündung  der  Gehörgangswandungen  ohne 
oder  mit  gleichzeitiger  Affection  des  Mittelohres  auf  das  Periost  fort- 
pflanzt, eine  Fortleitung,  die  sich  durch  das  Uebergehen  der  periostalen 
Lagen  des  Meatus  in  die  des  Processus  mastoides  leicht  erklären  lässt,  oder 
derart,  dass  sich  ein  entzündlicher  Process  innerhalb  der  pneumatischen 
Räume  des  Warzenfortsatzes  längs  der  Vasa  perforantia  oder  der  beinahe 
constant  vorhandenen  bindegewebigen  Stränge  auf  die  Periostlage  fortpflanzt; 
es  kann  dabei  die  Corticalis  natürlich  sehr  leicht  in  Mitleidenschaft  gezogen 
werden,  jedoch  kann  sie  auch  zuweilen  frei  bleiben.  In  entgegengesetzter 
Weise  wie  die  Hyperostose  —  wir  werden  das  später  sehen  —  den  Durchbruch 


700  WARZENFORTSATZERKRANKÜNGEN. 

nach  aussen  erschwert,  ja  unmöglich  macht,  leisten  hier  die  nicht  so  sehr 
selten  vorhandenen  congenitalen  Dehiscenzen  der  Corticalis  oder  die  im  frühen 
Kindesalter  noch  nicht  geschlossene  Fissura  mastoideo-squamosa  der  Fort- 
setzung einer  Entzündung  geradezu  Vorschub. 

Die  subjectiven  und  objectiven  Erscheinungen  decken  sich  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  so  ziemlich  mit  denen  der  gerade  geschilderten  phlegmonösen 
Entzündung,  bloss  dass,  aber  auch  nicht  in  allen  Fällen,  die  Entzündungsröthe 
keine  so  tief  dunkle  oder  bläuliche  ist,  wie  bei  der  Phlegmone.  Es  fühlt  sich 
die  Decke  sehr  derb  an,  später  mehr  teigig  und  es  kann  das  Gefühl  der 
deutlichen  Fluctuation,  obschon  thatsächlich  ein  Eitererguss  von  vielleicht 
nicht  unbeträchtlichem  Umfange  vorhanden  ist,  fehlen;  oft  genug  ist  sie 
indess  auch  deutlich  nachweisbar,  insbesondere  dann,  wenn  subperiostale 
Abscesse  sich  nach  Durchbruch  des  Periostes  in  das  Unterhautzellgewebe  er- 
gossen haben.  Die  Ohrmuschel  drängt  sich  bei  höheren  Graden  constant  vom 
Kopfe  ab,  so  dass,  durch  Verstrichensein  des  Warzenwinkels  in  Folge  .der 
Schwellung,  die  Muschel  ganz  oder  nahezu  ganz  senkrecht  auf  die  Kopfebene 
steht.  Manchmal  wird  man  die  Diagnose  ob  Periostitis  oder  Phlegmone 
erst  rectificiren  können  bei  der  Operation,  indem  wir  bei  der  Periostitis, 
speciell  dem  subperiostalen  Abscess,  das  Periost  in  mehr  weniger  weitem  Um- 
fange vom  Knochen  abgehoben  und  verfärbt  finden,  was  bei  der  Phlegmone 
nicht  der  Fall  ist.  Auch  der  subperiostale  Abscess  kann  sich  in  den  Gehör- 
gang spontan  entleeren.  In  selteneren  Fällen  kann  Röthung  und  Schwellung 
der  bedeckenden  Theile  vollständig  fehlen,  sogar  der  Schmerz,  und  doch  findet 
sich  subperiostal  Eiter.  Regionäre  Drüsenschwellungen  können  unter  Um- 
ständen bei  beiden  Formen  der  Periostitis  angetroffen  werden.  Ebenso  kann 
bei  den  Periostitiden,  die  die  unteren  Partien,  die  Spitze  des  Warzenfort- 
satzes mitergriften  haben  und  die  zu  Senkungen  tendiren,  eine  ausgesprochene 
Torticollis  vorhanden  sein. 

Was  den  Verlauf  der  Periostitiden  anbelangt,  so  gelangt  die  primäre 
entweder  noch  zur  Resorption  oder  sie  heilt,  nach  gehöriger  Spaltung  und 
Entleerung  des  Abscessinhaltes,  bald  ad  integrum  aus.  Zu  lange  warten  sollte 
man  mit  den  tiefen  und  grossen  Incisionen  nie,  da,  je  länger  der  Eiter  unter 
dem  Perioste  verweilt,  umso  leichter  eine  Schädigung  des  Knochens  wiegen 
des  Fehlens  seiner  Schutzdecke  etc.  sich  ausbilden  kann  und  der  natürlichen 
Wiederanlagerung  der  Knochenhaut  geradezu  entgegengearbeitet  wird.  Sich 
selbst  überlassen  heilen  sie  nur  in  einem  kleinen  Theile  der  Fälle  nach  dem 
Spontandurchbruch;  viel  eher  dagegen  geben  sie  zur  Fistelbildung  und  con- 
secutiver  Caries  des  Knochens,  sowie  zu  Senkungsabscessen  Veranlassung 
und  ziehen  sich  so  auf  lange  Zeit  hinaus.  Allerdings  kommt  es  noch  viel 
häufiger  umgekehrt  vor,  dass  der  Eiter  eines  Empyems  etc.  von  innen  nach 
aussen  sich  Bahn  bricht  und  zum  Periostabscess  mit  Fistelbildung  führt.  (Caries, 
in  der  Tiefe.) 

Der  Verlauf  der  secundären  Periostitis  wird  sich  im  Wesentlichen  nach 
der  Erkrankung  des  Knochens  richten.  Differentialdiagnostisch  wäre  noch 
zu  bemerken,  dass  unter  Umständen  eine  Verwechslung  mit  einem  Neoplasma 
der  Pars  mastoidea  statt  haben  kann;  insbesondere  Sarkome  der  Mastoid- 
region  verlaufen  zuweilen  unter  einem  Bilde,  das  dem  der  Periostitis  sehr 
ähnlich  ist,  wenn  auch  die  Schmerzen,  Röthung  und  Fluctuation  nicht  so 
sehr  in  den  Vordergrund  treten  wie  bei  dieser;  zudem  sichert  auch  der  Verlauf 
der  Neubildung  meistens  die  Diagnose.  (Langsameres  Auftreten  im  Verhältnis 
zur  Periostitis.  Siehe  weiter  unten  „Neubildungen  des  Warzentheiles".) 
Die  auf  dem  Warzenfortsatze  befindlichen  Lymphdrüsen  geben  weniger  leicht 
hiezu  Veranlassung,  da  man  sie  meist  noch  palpiren,  umgreifen  und  ver- 
schieben kann,  ähnlich  verhält  es  sich  bei  Atheromen.  Die  Behandlung  ist 
die  nämliche,  rein  chirurgische,  wie  die  der  Phlegmone. 


WAßZENFORTSATZERKRANKUNGEN.  701 

3.  Empyem  und  centrale  Ostitis.  Wenn  es  auch  keinem  Zweifel 
unterworfen  sein  kann,  dass  die  primäre  Ostitis  und  Empyem  des  Warzen- 
theiles  ein  seltenes  Vorkommnis  ist,  so  dürfen  wir  uns  doch  keineswegs,  wie 
dies  von  einer  Reihe  von  Autoren  urgirt  zu  werden  pflegt,  der  Annahme 
verschliessen,  dass  sie  überhaupt  vorkommt.  Wir  dürfen  und  können  aber 
bloss  dann  von  einer  primären  Erkrankung  der  Knochenlager  sprechen,  wenn 
wir  den  localen  Knochenprocess  mit  Sicherheit  als  zeitlich  einer  Tauken- 
höhlenalfection  vorausgehend  constatiren  oder  feststellen  können,  dass  inner- 
halb des  Paukenraumes  überhaupt  keine  Veränderungen  vorhanden  sind,  die 
in  ursächlichen  Zusammenhang  mit  der  Warzentheilerkrankung  gebracht 
werden  können.  Immer  aber  müssen  wir  im  Auge  behalten,  dass  entzünd- 
liche Processe  in  der  Paukenhöhle  möglicherweise  schon  längst  abgelaufen 
und  ohne  sichtbare  Spur  geheilt  sein  können,  und  erst  nach  geraumer  Zeit 
machen  sich  dann  doch  noch  secundär  Erscheinungen  von  Seite  des  Processus 
bemerkbar.  Erst  seit  Küster  die  keineswegs  glatt  von  der  Hand  zu  weisende 
Behauptung  aufgestellt,  dass  ein  grosser  Theil  der  tuberkulösen  Ostitiden  des 
Warzenfortsatzes  primäre,  dort  entstandene  seien,  ist  man  der  Sache  Avieder 
näher  gegangen.  Einen  Fall  von  primärer  centraler  Tuberkulose  habe  ich 
früher  schon  beschrieben;  es  hatte  sich  hier  bei  völligem  Freisein  der  Trommel- 
höhle ein  kleiner  centraler  Granulationsherd  gebildet,  der  nach  aussen  beinahe 
gar  keine  Erscheinungen  hervorgerufen  hatte  und  sich  nur  durch  die  geschwollene 
Lymphdrüse  auf  dem  Warzenfortsatz  verrieth;  anfänglich  war  die  Sache  für 
eine  Neuralgie  oder  eine  Mastoiditis  interna  scleroticans  angesehen  worden. 
Und  erst  neuerdings  habe  ich  wieder  einen  Fall  operirt,  der  sich  nicht  gut 
anders  deuten  lässt,  als  primäres  Empyem  der  Warzenzellen:  es  fand  sich  bei 
vollständigem  Intactsein  des  Mittelohres  (früher  nie  ohrenkrank,  wie  auch 
nachher  und  zur  Zeit  der  Operation  die  Function  vollständig  normal  sich 
verhielt)  in  ziemlicher  Tiefe  ein  kleiner  Knochenabscess  im  Antrum;  die 
Hohlräume  waren  alle  schwarzroth  succulent,  das  Periost  bleigrau  verfärbt, 
die  Weichtheile  sulzig  infiltrirt.  Eingeleitet  war  die  Erkrankung  durch  einen 
initialen  Schüttelfrost  und  immer  sich  wiederholendes  tägliches  sehr  hohes 
Fieber,  hochgradige  Schmerzen  und  hatte  in  etwas  über  zehn  Tagen  den 
Umfang  erreicht,  den  wir  bei  der  Operation  feststellen  konnten.  Beobachtet 
war  der  Fall  vom  ersten  Tage  an,  so  dass  eine  gleichzeitige  Erkrankung  der 
Paukenhöhle  mit  Sicherheit  ausgeschlossen  werden  konnte.  Kurz  es  war  ein 
Bild,  das,  hätten  wir  einen  langen  Röhrenknochen  einer  Extremität  vor  uns 
gehabt,  zu  der  Diagnose  einer  acuten  Osteomyelitis  gezwungen  hätte.  Und 
warum  soll  das  beim  Warzenfortsatze  nicht  auch  einmal  vorkommen  können  ? 

Wir  können  somit  sagen,  dass  in  seltenen  Fällen  sowohl  ein  primäres 
Empyem  der  Zellen  des  Warzenfortsatzes  als  auch  wohl  eine  primäre  Ostitis 
vorkommen  kann. 

Wir  müssen  uns  da  vor  Augen  halten,  dass  der  Verlauf  der  Erkrankung 
ein  dem  gewöhnlichen  entgegengesetzter  sein  wird,  wenigstens  in  mancher 
Hinsicht.  Auch  hier  wird  der  Eiter  an  der  Decke  des  Warzenfortsatzes,  — 
begleitet  von  Caries  oder  ohne  sie  —  oder  an  der  hinteren  Wand  des  Gehör- 
ganges austreten  können,  aber  in  einer  Anzahl  der  Fälle  wird  sich  die  Sache 
auch  so  modificiren,  dass  der  Eiter  secundär  in  die  Paukenhöhle  gelangt  und 
das  Trommelfell  somit  ebenfalls  secundär  durchbrochen  wird.  Und  zwar  ge- 
schieht dies  dann  in  der  Regel  in  der  Weise,  dass  die  Trommelfelllücke  sich 
nicht  wie  bei  der  gewöhnlichen  primären  Paukenentzündung  in  dem  unteren 
Abschnitte  der  Membran  bildet,  sondern  dass  die  obere  Partie,  speciell 
gerne  der  hintere  obere  Quadrant  perforirt  wird,  und  es  ist  dann  neben  dieser 
eigentlich  nicht  gewöhnlichen  Lage  der  Perforationsötfnung  die  auffallend 
grosse,  nicht  im  Verhältnis  zur  Paukenentzündung  stehende  Menge  des 
secernirten  Eiters  immer  ein  Umstand,   der  den  Verdacht  auf  eine  primäre 


702  WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN. 

ossale  Erkrankung  des  Warzentheiles  nicht  zur  Ruhe  kommen  lässt.  Auf 
diese  Weise  kann  es  kommen,  dass  eine  primäre  Paukenaffection  vorgetäuscht 
wird,  besonders  dann,  wenn  man  die  oft  nicht  sehr  lange,  bis  zum  Trommel- 
felldurchbruch dauernden  Begleitsymptome  von  Seite  des  Warzenfortsatzes 
nicht  von  Anfang  an  scharf  im  Auge  behalten  hat. 

Derlei  Fälle  sind  es  auch,  die  einen  ausserordentlich  langwierigen  pro- 
trahirten  Verlauf  nehmen,  während  sonst  bei  dem  Spontandurchbruch  nach 
aussen  oder  der  Kunster  Öffnung  die  primären  Empyeme  und  Ostitiden  in 
relativ  kürzerer  Zeit  (in  drei  bis  fünf  Wochen)  als  die  secundären  zur  defini- 
tiven Heilung,  oft  zur  Restitutio  ad  integrum  zu  gelangen  pflegen.  Immer 
aber  muss,  falls  irgendwie  die  Diagnose  auf  eine  primäre  Affection  mit  Sicher- 
heit aufrecht  erhalten  werden  soll,  eine  Beobachtung  des  Falles  von  Anfang 
an,  vom  allerersten  Beginne  an,  durchgeführt  werden  können;  in  späterer"  Zeit 
lässt  sich  die  Diagnose  nie  mehr  als  absolut  sichere,  höchstens  als  wahr- 
scheinliche gewinnen.  Auch  dürfen  wir  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  gemäss 
der  neueren  Untersuchungen  es  sich  bei  einer  sehr  grossen  Anzahl  insbe- 
sondere der  acuten  eitrigen  Mittelohrprocesse  um  eine  gleichzeitige  Er- 
krankung der  Paukenhöhle  und  des  Warzentheils  handelt. 

Nicht  vergessen  dürfen  wir,  eine  Reihe  von  Allgemeinerkrankungen  zu 
erwähnen,  unter  deren  directem  Einflüsse  es  unter  Umständen  zu  einer 
sowohl  primären  als  secundären  Erkrankung  der  Warzenlager  kommen 
kann.  So  haben  wir  zunächst  die  diabetische  Ostitis  am  Warzenfortsatze, 
bei  der  sich  in  Folge  der  Allgemeinerkrankung  eine  derartige  Störung  in  der 
Ernährung  des  Knochens  entwickelt,  dass  die  Widerstandskraft,  wie  sie  dem 
normalen  Knochengewebe  zukommt,  völlig  ausgeschaltet  ist,  und  es  wird  hier- 
durch jeder  Versuch  des  Organismus,  sich  spontan  der  erkrankten  Partien 
zu  entledigen,  durch  Reaction  gegen  ein  völlig  widerstandsloses  Gewebe,  ein- 
fach von  Seite  des  Knochens  mit  sofortigem  Weiterschreiten  des  Zerfalls  be- 
antwortet. Deshalb  erhalten  wir  auch  beim  Diabetes  innerhalb  so  kurzer  Zeit 
so  erschreckend  grosse  Zerstörungen  an  den  Knochenlagen. 

Weiterhin  gehören  hieher  noch  die  Tuberkulose  und  Syphilis. 
Während  wir  aber  bei  der  ersteren  ebenfalls  einen  mehr  weniger  raschen, 
oft  aber  auch  sehr  langsamen  Zerfall  der  Knochensubstanz  bekommen,  ändert 
sich  das  Verhalten  bei  Syphilis  in  der  Weise,  dass  es  zu  einer  Verdickung 
der  Knochensubstanz,  zu  einer  übermässigen  Knochenwucherung  kommt,  die 
schliesslich  in  die  reine  Hyperostose  mit  ihren  Folgen  übergehen  kann. 

Fraglos  aber  ist  es,  dass  die  Ostitis  entweder  als  Empyem  oder,  wie 
wir  nun  bald  sehen  werden,  als  Caries  mit  oder  ohne  Nekrose  secundär 
ausserordentlich  häufig  zur  Beobachtung  gelangt,  dass  die  secundäre  Er- 
krankung der  Warzentheillager  das  Gewöhnliche  zu  sein  pflegt.  Und  das 
kann  ja  auch  nach  Lage  der  anatomischen  Verhältnisse  nicht  anders  sein. 
Gleichwie  vom  Gehörgange  aus,  wie  wir  oben  bereits  gesehen  haben,  eine 
Fortsetzung  auf  die  Pars  mastoidea  statt  haben  kann,  gerade  so,  nur  noch  um 
vieles  leichter  wird  dies  der  Fall  sein  müssen  bei  den  Erkrankungen  des 
Paukenraumes  selbst,  der  ja  durch  den  Aditus  ad  antrum  mit  dem  Zellen- 
system des  Warzentheils  direct  in  Verbindung  steht  und  der  die  gleiche 
Schleimhautauskleidung  besitzt  wie  die  pneumatischen  Hohlräume.  Und 
thatsächlich  finden  wir,  wie  dies  durch  zahlreiche  Sectionsergebnisse  von  ver- 
schiedenen Autoren  ebenfalls  bestätigt  ist,  bei  allen  Arten  der  entzündlichen 
Processe,  die  mit  Bildung  eines  plastischen  Exsudates  einhergehen,  sehr  häufig 
ein  gleichzeitiges  Mitergriffensein  des  Warzenfortsatzes. 

Schon  bei  der  einfachen  acuten  katarrhalischen  Mittelohrentzündung 
treffen  wir  die  Mucosa  des  Antrums  in  demselben  Schwellungszustand  wie 
die  der  Paukenhöhle,  und  es  liegt  auf  der  Hand,  dass  sich  mit  der  Steigerung 


WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN.  703 

der  Intensität  des  Processes  innerhalb  der  Trommelhöhle  auch  der  im  Warzen- 
abschnitte steigern  wird. 

Selbstverständlich  wird  das  Hauptcontingent  aller  secundären  Warzen- 
theilatfectionen  gestellt  durch  die  Paukeneiterungen,  sowohl  die  acuten  als 
auch  die  chronischen,  und  es  ist  durch  die  Sectionergebnisse  zur  Genüge  er- 
härtet, dass  nur  in  seltenen  Fällen  die  Warzenzellen  wirklich  völlig  normal 
bleiben. 

Dass  Eiteransammlungen  so  leicht  in  den  Warzenzellen,  hauptsächlich 
im  Antrum  sich  etabliren  und  dort  deletär  wirken  können,  beruht  nicht  allein 
auf  dem  directem  Zusammenhange  zwischen  Pauke  und  Warzenhöhlen,  sondern 
mehr  noch  in  den  eigenthümlich  ungünstigen  Abüussverhältnissen  für  eine  im 
Antrum  angesammelte  Eitermenge,  denn  bekanntlich  liegt  ja  der  Zugang 
zu  den  Warzenzellen  sehr  hoch,  er  mündet  in  den  oberen  Paukenraum,  in 
den  Recessus  epitympanicus 

Ausserdem  sind  die  Abflussbedingungen  im  oberen  Paukenraume  an  und 
für  sich,  ganz  abgesehen  vom  Antrum,  im  Ganzen  sehr  schlechte  wegen  der 
vielen  dort  befindlichen  Nischen  und  Schleimhautfalten,  so  dass  es  hier,  bei 
einmal  eingeleiteter  Eiter-  und  Secretproduction,  mit  grösster  Leichtigkeit  zur 
Stauung  kommen  muss  und  ganz  die  gleiche  Secretstauung  und  Pietention 
spricht  sich  dann  folgerichtig  am  Antrum  und  eventuell  den  übrigen  Hohl- 
räumen aus.  So  kommt  es,  dass  bei  Perforationsbildung  in  der  oberen  Hälfte 
der  Membran,  insbesondere  bei  Durchlöcherung  der  Membrana  Shrapnelli  be- 
sonders gerne  secundäre  Warzenfortsatzerkrankungen  zur  Beobachtung  ge- 
langen; es  sind  das  die  Eiterungen  des  Atticus  (Recessus  epitympanicus). 

Aber  wir  dürfen  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  nicht  jeder  Warzenfort- 
satz gleich  leicht  erkrankt;  es  sind  gewisse  Verbindungen  nöthig,  um  diese 
Prädisposition  zur  Mitaffection  zu  schaffen,  und  diese  ihrerseits  wird  gegeben 
sein  bei  Warzenfortsätzen,  die  eine  starke  Ausbildung  der  pneumatischen 
Hohlräume  aufweisen,  sie  erkranken  am  leichtesten  insbesondere  bei  acuten 
Processen.  Umgekehrt  erkranken  die  wenige  und  kleine,  lufthaltige  Räume 
enthaltenden  Warzenfortsätze  relativ  weniger  oft. 

Haben  wir  so  zunächst  die  allgemeinen  local-anatomischen  Ursachen  kurz 
betrachtet,  so  müssen  wir  ebenfalls  noch  die  häufigeren,  weiteren,  ätiologischen 
Momente  eines  Streifblickes  würdigen.  Sowohl  im  Verlauf  einer  acuten  eitrigen 
Paukenentzündung,  die  ihrerseits  wieder  ihre  Grundursache  haben  mag  in 
einer  einfachen  acuten  Coryza,  Angina  oder  insbesondere  in  einer  morbillösen, 
scarlatinösen,  diphtheritischen,  diabetischen  Allgemeinerkrankung,  als  auch  dem 
einer  chronischen,  aus  der  acuten  durch  Vernachlässigung  hervorgegangenen 
Mittelohreiterung  können  sich  jederzeit  Symptome  von  Seite  des  Warzen- 
fortsatzes einstellen. 

Während  wir  bei  den  acuten  Processen  ein  directes  Fortwuchern  der  im 
Virulenzstadium  befindlichen,  specifischen,  pathogenen  Organismen  vorfinden, 
haben  wir  bei  dem  Zustandekommen  eines  Knochenprocesses  bei  chronischen 
Eiterungen  ein  Wiederaufwachen  derselben  aus  dem  Latenzstadium,  eine 
erneute  Virulenz  gewissermaassen  als  einleitendes  Moment.  Und  dies  wiederum 
wird  gemeiniglich  häufig  ausgelöst  durch  die  Aufweichung,  Quellung  und 
Lockerung  der  alten,  käsigen,  eingetrockneten,  im  Mittelohr  scheinbar  reactions- 
los  liegenden  Massen.  Im  Allgemeinen  können  mr  sagen,  dass  Empyeme 
häufiger  bei  und  nach  acuten  Mittelohreiterungen  und  relativ  gesunden, 
widerstandsfähigen  Organismen  zur  Beobachtung  gelangen,  während  Caries 
und  Nekrose  mehr  bei  chronischen  Processen  und  mehr  oder  weniger  herab- 
gekommenen Individuen  vorzukommen  pflegt.  Indes  gibt  es  auch  ganz  acut 
sich  entwickelnde  cariöse  Processe,  aber  dann  nur  unter  der  Einwirkung  einer 
schweren  Allgemeinerkrankung  (Morbillen,  Scarlatina,  Diabetes,  Typhus  etc.). 


704  WARZENFORTSATZERKRANKÜNGEN. 

Was  nun  die  Symptome  der  Eiteransammlung  in  den  Zellen  der  Warzen- 
theile,  das  Empyem  des  Antrum  mastoideum  anbelangt  —  sie  sind 
selbstverständlich  für  primäre  und  secundäre  so  ziemlich  die  gleichen,  abge- 
sehen von  der  zeitlichen  Differenz  des  Eintretens  der  Symptome  am  Warzen- 
theile  selbst  —  so  haben  wir  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  als  ein  frühes  Zeichen 
einen  verschieden  hochgradigen  Schmerz  in  der  Warzengegend.  In  Fällen 
von  Empyem,  die  sich  im  Verlaufe  acuter  Eiterungen  einstellen,  'macht  sich 
das  etwa  um  das  Ende  der  zweiten  oder  Anfangs  der  dritten  Woche  nach 
Beginn  der  primären  Media  bemerkbar.  Gleichzeitig  pflegt  zuweilen  die 
Menge  des  secernirten  Eiters  eine  sehr  geringe  zu  werden  oder  es  sistirt  die 
Eiterung  ganz;  oft  aber  bleibt  sie  auch  von  Beginne  an  gleich  stark  copiös, 
in  Fällen,  in  welchen  sich  die  Eiterung  gleichzeitig  oder  nahezu  gleichzeitig 
in  der  Pauke  und  dem  Warzenfortsatz e  entwickelt  hat.  Intercurrente  Fieber- 
erscheinungen gesellen  sich  weiter  häufig,  aber  nicht  immer  dazu,  daneben 
Kopfschmerz  auf  der  erkrankten  Seite  ausstrahlend,  ein  dumpfes  Gefühl  des 
Druckes  im  Ohre  oder  selbst  Schmerzen  darin,  oft  auch  starkes  Sausen  und 
Pulsiren,  auch  Schwindel,  stärkere  meningeale  Beizungen  sind  durchaus  nicht 
selten.  Der  Warzentheil,  der  schon  spontan  und  auf  Druck  die  ganze  Zeit  über 
empfindlich  war,  fängt  nun  an,  auf  seiner  Oberfläche  allmählich  oder  ganz 
schnell  die  Zeichen  des  Uebergreifens  auf  das  Periost  zu  documentiren,  er 
schwillt  an  bei  Verfärbung  der  Hautdecken,  der  Warzenwinkel  hinter  dem 
Ohre  verstreicht,  die  Ohrmuschel  steht  mehr  weniger  senkrecht  zur  Schädel- 
fläche und  Caput  obstipum  ist  in  Fällen  hochgradiger  Schwellung  durchaus 
nicht  selten.  Gerne  zeigt  hier  beim  Empyem  die  Spitze  des  Warzenfortsatzes 
die  frühesten  Entzündungserscheinungen.  Jedoch  kann  bei  dickerer  Corticalis 
auch  jegliche  Schwellung  und  Infiltration  der  Decklagen  fehlen,  oder  nur  in  Form 
einer  geringen  teigigen  Schwellung  auftreten.  Als  charakteristisch  kann  gelten 
einmal  der  Druckschmerz  an  der  Spitze  des  Warzenfortsatzes  (beim  Druck  von 
unten  innen  nach  oben  zu  und  beim  Drucke  von  hinten  nach  vorne  zu)  sowie 
der  an  der  Basis  des  Warzenfortsatzes  hart  unterhalb  der  Linea  temporalis 
ausgeübte  (über  dem  Antrum.)  Es  sind  diese  Drucksymptome  insbesondere 
werthvoll  in  Fällen  von  Abwesenheit  der  Schwellung.  Beim  Beklopfen,  Per- 
cutiren  der  Warzengegend  erhält  man,  abgesehen  von  der  prompten  Schmerz- 
reaction  nicht  selten  eine  deutliche  Abdämpfung  des  Percussionsschalles  als 
Zeichen,  dass  die  lufthaltigen  Räume  aufgehoben,  von  Secret  erfüllt  sind. 

Hier  wäre  noch  zu  bemerken,  dass  es  bei  Spondylitis  cervicalis  unter 
Umständen  zu  einer  dem  Empyem  sehr  ähnlichen  Schwellung  der  Mastoid- 
gegend  und  auch  zur  Torticollis  kommen  kann,  so  dass  in  solch  seltenen 
Fällen  eine  Verwechslung  nicht  absolut  ausgeschlossen  werden  kann  a  priori. 
Häufiger  sind  aber  zweifellos  die  nach  unten  und  hinten  greifenden  Schwel- 
lungen in  Folge  von  Otitis,  bei  welchen  auch  die  ausgeprägte  Tendenz  zu 
Senkungen  nach  abwärts  vorkommt.  Uebrigens  lässt  sich  die  Spondylitis 
durch  den  Ohrbefund  in  fast  allen  Fällen  ausschliessen;  das  Zusammentreffen 
von  Otitis  und  Spondylitis  dürfte  wohl  sehr  selten  sein. 

In  anderen  Fällen  jedoch  bieten  die  äusseren  Decken  nur  sehr  geringe 
oder  gar  keine  Erscheinungen  der  entzündlichen  Mitbetheiligung  dar;  es  trifft 
dies  hauptsächlich  gerne  zu  bei  sklerotischer  Beschaffenheit  der  Corticalis 
oder  bei  Hyperostose  des  ganzen  Warzenfortsatzes;  hier  fehlt  gemeiniglich 
jede  Schwellung,  während  die  Schmerzen,  sowie  die  Allgemeinsymptome  sehr 
hochgradig  sein  können. 

Sehr  selten  endlich  kommt  es  vor,  dass  die  Entzündung  der  Warzen- 
zellen völlig  symptomlos  verlauft. 

Eines  Merkmales  müssen  wir  hier  gedenken,  das  in  einer  sehr  grossen 
Anzahl  der  Fälle,  mögen  sie  nun  mit  oder  ohne  Schwellung  einhergehen,  zu 
bemerken  und  deshalb  als  ein  werthvolles  diagnostisches  Symptom  anzusehen 


WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN.  705 

ist:  es  ist  das  die  Vorwölbung  und  Senkung  der  hinteren  oberen  Ge- 
hörgangswand in  den  Meatus  hinein,  so  dass  die  Gehörgangslichtung  be- 
trächtlich verengt  erscheint.  Diese  Erscheinung  wird  nicht  selten  von  Un- 
geübten als  Furunkel  gedeutet  und  man  muss  sich  in  Acht  nehmen  vor  einer 
solchen  vielleicht  verhängnisvollen  diagnostischen  Verwechslung. 

Die  Auscultation  des  Warzentheiles  bietet  absolut  keine  verlässlichen 
Anhaltspunkte;  die  elektrische  Durchleuchtung  wird  unter  Umständen  als 
brauchbares  Adjuvans  ins  Recht  treten  können. 

Der  Verlauf  des  Empyems  wird  sich  in  verschiedener  Weise  gestalten 
können.  Einmal  wird  der  Eiter  sich  selbst  überlassen,  bei  normaler,  nicht  zu 
dicker  Corticalis  und  bei  gehöriger  Pneuraacität  des  Knochens,  die  Ober- 
flächenschichte des  Knochens  direct  oder  längs  der  Vasa  durchsetzen  und  so 
als  subperiostaler  Abscess  unter  die  Hautdecken  gelangen,  oder  es  bricht  der 
Knochenabscess  an  der  hinteren  Gehörgangswand  durch  oder  aber  er  entleert 
sich  durch  eine  Trommelfelllücke,  vermöge  der  Communication  des  Antrums 
mit  der  Pauke,  in  den  Gehörgang,  (oder  auch  eventuell  bei  Kindern, 
zum  Theil  durch  die  Tuba).  Eine  durchaus  nicht  zu  unterschätzende 
Rolle  spielen  beim  Spontandurchbruch  übrigens  auch  die  in  solchen  Fällen 
neben  dem  Eiter  vorhandenen,  die  pneumatischen  Zellen  mehr  oder  weniger 
ausfüllenden  Granulationsmassen,  die  die  Knochensepten  und  -Decken  aufheben 
und  so  den  Durchtritt  nach  aussen  erleichtern  helfen.  Sind  die  Knochen- 
decken nach  aussen  nicht  gut  entwickelt,  besonders  in  der  unteren  Partie, 
und  befinden  sich  gegen  die  Spitze  des  Warzenfortsatzes  eine  oder  mehrere 
grössere  pneumatische  Zellen,  die  allerdings  zuerst  als  solche  natürlich  schon 
präformirt  gewesen,  aber  erst  secundär  durch  die  Entzündung  excentrisch 
erweitert  sind,  so  kann  es  sehr  leicht,  insbesondere  wenn  noch  Dehiscenzen 
in  der  Gegend  bestehen,  zu  einem  Durchbruch  nach  unten,  also  entlang  der 
Incisura  mastoidea,  oder  nach  unten  und  innen  kommen.  Es  bildet  sich  dann 
unterhalb  des  Warzenfortsatzes  eine  brettharte,  rothe,  verschieden  schmerz- 
hafte Geschwulst,  die  sich  von  der  Spitze  des  Warzenfortsatzes  bis  weit 
hinunter  erstrecken  kann  in  Form  eines  Dreieckes.  Der  Eiter  hat  sich  unter- 
halb der  Musculi  sternocleidomastoideus,  splenius  und  longissimus  capit. 
etablirt  und  wird  nun,  da  er  da  nach  aussen  nicht  durchbrechen  kann,  sich 
längs  der  Fascien  nach  abwärts  ziehen.  (Bezold'sche  Mastoiditis.)  Werden  diese 
Senkungen  nicht  rechtzeitig  erkannt  und  operirt,  so  kann  der  Tod  erfolgen  durch 
eitrige  Mediastinitis.  Aber  auch  bei  Fällen,  die  in  Heilung  übergehen,  dauert  es 
oft  monatelang,  bis  dieses  Ziel  erreicht  wird.  Zuweilen  kommt  es  jedoch  auch 
hier  vor,  dass  der  Eiter  spontan  seinen  Ausweg  nimmt  durch  die  hintere 
Gehörgangswand.  Diese  Form  stellt  sich  meist  als  ein  an  eine  acute 
Mittelohreiterung  anschliessendes  Empyem  dar.  Nicht  zu  vergessen  ist,  dass 
sich  auch  in  allerdings  seltenen  Fällen  der  Eiter  des  Paukenwarzenabschnittes 
nach  innen  gegen  das  Cavum  nasopharyngeum  zu  ziehen  kann  längs  des 
Gewebes  und  so  zu  einem  wahren  Retropharyngealabscess  Veranlassung  geben 
kann.     (Knapp,  Haug.) 

Den  allerungünstigsten  Verlauf  aber  können  die  Fälle  unter  Umständen 
aufweisen,  bei  welchen  die  Knochenlager  der  Pars  mastoidea  verdickt  geworden 
sind,  wo  also  die  Corticalis  eburneisirt  und  diese  Eburneisation  sich  noch 
weit  hinein  in  den  Knochen  erstreckt  und  gleichzeitig  die  zelligen  Hohlräume 
verringert  oder  ganz  aufgehoben  sind  durch  Hyperostose.  Der  Naturhilfe 
werden  hier  beinahe  oder  wirklich  unüberwindliche  Hindernisse  entgegen- 
gestellt und  so  wird,  wenn  nicht  rechtzeitig  die  Kunsthilfe  einsetzt,  der 
eingeschlossene  Eiter  nach  dem  Orte  des  geringsten  Widerstandes  hin  auszu- 
brechen suchen,  er  wird  gegen  die  Schädelhöhle  zu  kriechen,  und  Meningitis, 
Sinusthrombose,  Phlebitis  bringen  die  Sache  zum  Abschluss.  Dabei  machen 
sich  äusserlich  gar  keine  Veränderungen  bemerkbar,  die  Warzendecken  bleiben 

Ohren-,  Nasen-,  Kachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  *0 


706  WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN. 

ohne  jede  Schwellung  und  Röthung,  bloss  der  Schmerz  ist  beinahe  constant 
als  starker,  bohrender  continuirlich  vorhanden  und  die  weiteren  objectiven 
Symptome  des  Kopfschmerzes,  Brechreizes,  Schwindels,  Fiebers  sind  mehr 
weniger  ausgesprochen.  Es  ist  also  die  Gefahr,  die  durch  die  Hyperostose 
geschalten  wird,  immer  als  eine  grosse  anzusehen. 

Selbstverständlich  ist  es,  dass  auch  bei  den  anderen  Formen  des  Em- 
pyems die  intracraniellen  Complicationen  als  Folge-  und  Theilerscheinungen 
sich  jederzeit  zeigen  können;  insbesondere  wird  das  um  so  leichter  geschehen 
können  in  Fällen,  in  welchen  congenitale  Dehiscenzen  am  Paukendache,  ab- 
norme Dünnheit  derselben  oder  der  die  Paukenhöhle  vom  Facialiscanal  tren- 
nenden,   an  und  für  sich  schon    sehr  zarten  Knochenlamelle  vorhanden  sind. 

Therapie  siehe  „Warzenfortsatzeröffnung".  Im  Beginne  der 
Erkrankung  w^ie  bei  Phlegmone. 

4,  Caries  und  Nekrose  der  Pars  mastoidea.  Es  unterliegt  keinem 
Zweifel,  dass  die  pars  mastoidea  der  Theil  des  Schläfebeines  ist,  der  verhältniss- 
mässig  oft  den  cariös-nekrotischen  Processen  anheimfällt,  und  zwar  ist  es  auch 
hier  das  bei  weitem  seltenere  Vorkommnis,  dass  sich  die  Nekrose  oder  Caries 
als  primäre  etablirt;  bei  weitem  am  häufigsten  geschieht  dies  secundär  im 
Anschluss  an  eine  acute  oder  chronische  Mittelohreiterung. 

Caries  kann  ohne  Nekrose  vorkommen,  sehr  häufig  jedoch  combiniren 
sie  sich  gerne  in  der  Weise,  dass  die  Septen  der  pneumatischen  Hohlräume 
cariös  werden,  während  die  Deckknochen  der  Corticalis  nekrotisiren.  Es 
können  sich  diese  Processe  in  jedem  Lebensalter  einstellen  als  Folgeerschei- 
nungen der  purulenten  Media,  aber  doch  ist  es  auffallend,  dass  die  Zeit  des 
jugendlichen  Alters,  der  Entwicklung  und  insbesondere  das  Kindesalter  relativ 
am  häufigsten  betrofifen  wird.  Im  mittleren  und  höheren  Lebensalter  kommen 
sie  bei  weitem  nicht  mehr  so  häufig  zur  Beobachtung,  und  oft  müssen  wir  als 
Grund  für  das  Zustandekommen  hier  eine  der  chronischen  Allgemeinerkran- 
kungen annehmen,  durch  die  die  Widerstandsfähigkeit  des  Organismus  herab- 
gesetzt oder  die  vitale  Energie  der  Zellen  gemindert  oder  völlig  aufgehoben 
ist.  Insbesondere  beim  Diabetes  und  der  Tuberkulose  sprechen  diese  Momente 
mit.  Im  kindlichen  Alter  sind  es  dagegen  am  häufigsten  die  acuten  Infec- 
tionen,  speciell  Morbillen,  Scarlatina,  Diphtherie,  die  zu  einer  oft  peracuten 
Caries  führen  und  um  so  leichter  wird  das  geschehen,  wenn  der  kindliche 
Organismus  noch  dazu  die  Stigmata  einer  hereditären  Belastung  mit  bringt. 
Auch  die  exsudative  Paukenentzündung  der  Neugeborenen  und  Säuglinge, 
deren  Ursache  ja  bekanntlich  in  einem  Theil  der  Fälle  in  einer  blennor- 
rhoischen  Infection  zu  suchen  ist,  stellt  ein  geringes  Contingent  zu  unserer 
Caries. 

Im  frühen  Kindesalter  bei  irgend  solcher  Gelegenheit  zuerst  erworbene  und 
später  durch  Vernachlässigung  chronisch  gewordene  Mittelohreiterungen  sind 
es  auch,  die  dann  in  späteren  Jahren  durch  das  Fortdauern  der  Eiterung, 
durch  Stagnirung  des  Secretes  in  den  Hohlräumen  und  consecutive  Zersetzung 
die  weitere  normale  Existenz  des  Knochens  aufheben  und  zum  Knochentod 
führen. 

Die  Ausdehnung  der  Caries  und  Nekrose  kann  eine  ausserordentlich 
verschiedene  sein.  Entweder  bildet  sich  eine  mehr  weniger  flächenhafte 
Arrosion  an  der  Oberfläche  der  Corticalis;  dies  ist  besonders  gerne  der  Fall, 
wenn  durch  einen  subperiostalen  Abscess,  wie  sie  im  Kindesalter  so  häufig 
vorkommen^  das  Periost  längere  Zeit  vom  Knochen  abgehoben  und  derselbe 
so  seiner  Schutz-  und  theilweise  auch  Nährdecke  entblösst  gewesen  ist. 

Oder  es  beginnt  der  Process  im  Innern,  in  der  Tiefe  des  Knochens, 
woselbst  ihm  durch  die  Stagnation  und  consecutive  Zersetzung  geradezu 
Vorschub  geleistet  wird,  und  schreitet  schnell  oder  langsam  in  der  Weise 
fort,  dass  die  knöchernen  Septen  zwischen  den  einzelnen  Zellen  durch  Granu- 


WARZENFORTSATZEKKRANKUNGEN.  707 

lationsbildung  cariös  eingeschmolzen  und  die  Hohlräume  excentrisch  erweitert 
werden;  dabei  kommt  es  häufig  vor,  dass  grössere  oder  kleinere  Knochen- 
fragmente in  die  Granulationen  eingebettet  oder  vom  Eiter  umspült  erscheinen. 
Auf  diese  Weise  können  sehr  umfängliche  Substanzverluste  zu  Stande  kommen, 
denen  der  ganze  Warzenfortsatz  und  noch  darüber  hinaus  zum  Opfer  fallen; 
es  ist  schon  die  Exfoliation  des  ganzen  Warzenfortsatzes  nebst  Stücken 
der  anliegenden  Sinuswand,  des  Gehörganges,  der  Paukenhöhle  mehrfach 
beobachtet  werden.  In  einem  diesbezüglichen  Falle  meiner  Beobachtung 
(sechsjähriger  Knabe)  erstreckte  sich  die  Caries  nicht  bloss  auf  die  beiden 
Felsenbeine,  deren  ganzer  Warzenfortsatz  beiderseits  eliminirt  wurde,  sondern 
sie  griff  auch  noch  weiter  um  sich  derart,  dass  grosse  Theile  des  Hinter- 
hauptsbeines, des  linken  Seitenwandbeines  entfernt  werden  mussten.  Der 
arme  Knabe  besass  schliesslich  an  seinem  Hinterkopfe  und  an  der  Seite  bei- 
nahe handtellergrosse,  bloss  von  Haut  überzogene  Partien,  unter  denen  das 
Gehirn  ohne  weiteren  Schutz  lag;  schliesslich  bildete  sich  auch  eine  Meningo- 
encephalocele  an  einer  sehr  wenig  resistenten  Stelle  aus.  Begonnen  hatte 
diese  Caries  als  peracute  beiderseitige  nach  Morbillenotitis. 

Was  die  Symptomatologie,  sowie  den  Verlauf  der  Caries  und  Nekrose 
betrifft,  so  sind  die  subjectiven  Klagen  des  Patienten  oft  in  ähnlicher  Weise 
gelagert  wie  beim  Empyem  und  bei  der  Periostitis;  sehr  häufig  jedoch  machen 
sich  hier  nur  geringe  und  insbesondere  bei  indolenten  nachlässigen  Patienten, 
die  ein  grosses  Contingent  stellen,  gar  keine  subjectiven  Erscheinungen  be- 
merkbar. 

Aeusserlich  können  wir  in  einem  Theil  der  Fälle  eine  periostale  Schw^el- 
lung  nachweisen  und  oft  gesellt  sich  zu  ihr  ein  fistulöser  Durchbruch  der 
Haut,  der  an  einer  oder  mehreren  Stellen  der  Warzendecke  erfolgen  kann 
und  gemeiniglich  sich  gerne  an  der  Durchbruchsstelle  in  der  Haut  mit  knopf- 
förmigen  Granulationen  besetzt. 

Derartige  P'isteln  mit  Granulationen,  unterhalb  welcher  sich  manchmal 
von  Zeit  zu  Zeit  recidivirende  verschieden  grosse,  subperiostale  Eiteransamm- 
lungen noch  dazu  etabliren  können,  sind  ein  fast  sicheres  Zeichen  der  Caries 
und  es  kommt  die  eingeführte  Sonde  auch  ziemlich  regelmässig,  oft  in  be- 
deutender Tiefe,  auf  rauhen  Knochen.  Erfolgt  der  fistulöse  Durchbruch,  was 
ebenfalls  nicht  selten  vorkommt,  an  der  hinteren,  oberen  Gehörgangswand, 
welche  dann  wieder  die  ominöse  Schwellung  und  Einwärtssenkung  mit  Ver- 
engerung des  Lumens  aufweist,  so  bildet  sich  hier  auch  ein  einem  Furunkel 
ähnlicher  Granulationshöcker,  dessen  Granulationen  schon  dadurch,  dass  sie 
jedem  therapeutischen  Versuche  durch  die  sonst  wirksamen  Aetzungen  con- 
stant  widerstehen  und  auch  nach  jeder  oberflächlichen  Abtragung  sofort  wieder 
aufs  Neue  aufschiessen,  den  stärksten  Verdacht  auf  Caries  erwecken  müssen; 
das  Eingehen  mit  der  gebogenen  Sonde  wird  umgehend  völlige  Klarheit  in 
die  Situation  bringen;  Hier  wie  oben  dringt  die  Sonde  oft  bis  ans  Antrum 
vor.  In  anderen  Fällen  wiederum  können  die  Decklager  vollständig  frei  von 
äusserlichen  Veränderungen  bleiben,  während  in  der  Tiefe  oft  schon  weit- 
gehende Zerstörung  um  sich  gegriffen  hat;  insbesondere  ist  dies  der  Fall, 
wenn  die  Corticalis  eburneisirt  und  auch  weitere  Partien  des  Warzenfort- 
satzes sich  sklerosirt  zeigen.  Ist  die  Corticalis  fest  und  noch  nicht  fistulös 
durchsetzt,  so  kann  es  zuweilen  zu  sich  von  Zeit  zu  Zeit  wiederholenden, 
aber  auch  wieder  spontan  sich  involvirenden,  periostalen  Schwellungserschei- 
nungen am  Processus  kommen.  Geschwellte  Drüsen  auf  und  in  der  Nähe 
des  Warzenfortsatzes  sind  dann  und  wann  zu  finden. 

Sehr  zu  beachten  ist  auch  unter  allen  Umständen  der  jeweilige  Trommel- 
fellbefund, denn  es  wird  sich  das  Trommelfell  bei  vorhandener  Caries  am 
Warzentheil  beinahe  ausnahmslos  in  mehr  oder  weniger  grossem  Umfange 
durchlöchert    erweisen.    Insbesondere    sind    die   grossen   nieren-    oder   herz- 

45* 


708  WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN. 

lormigen  Perforationen,  in  denen  der  Hammergriff  wie  ein  rostiger  Drahtstift 
liegt,  und  die  Lückenbildungen  im  oberen  Theile  der  Membran,  speciell  der 
Membrana  flaccida  sehr  suspect.  Auch  der  Charakter  des  Eiters  lässt  einen 
Schluss  ziehen,  er  ist  immer  sehr  stark  stinkend  und  die  Quantität  häufig 
keine  grosse. 

Der  Verlauf  und  seine  Zeitdauer  wird  sich  wieder  verschieden  gestalten 
können.  Im  Kindesalter  kommt  es  nicht  so  gar  selten  vor,  dass  sich  im 
Laufe  einer  langwierigen  Eiterung  spontan  grössere  oder  kleinere  Stücke 
sequestrirt  abstossen  und  darnach  tritt  zuweilen  völlige  Naturheilung  ein. 
Häufiger  aber  muss  durch  Kunsthilfe  der  nekrotisch- cariöse  Herd  freigelegt 
werden  und  es  heilt  die  Sache  dann  immer  ziemlich  langsam.  Sehr  beeinflusst 
werden  natürlich  gerade  diese  cariös  nekrotischen  Processe  durch  das  Vor- 
handensein schwerer  Allgemeinstörungeu,  die  ja  überhaupt,  theilweise  wenig- 
stens, die  Ursache  derselben  mitzubilden  pflegen.  Insbesondere  ist  es  der  Dia- 
betes, unter  dessen  Einwirkung  ganz  kolossale  Zerstörungen  zu  Stande  kommen, 
und  die  Tuberkulose. 

Während  im  Kindesalter  und  beim  Spontandurchbruch  oder  der  recht- 
zeitigen Entfernung  der  todten  Massen  die  Prognose  im  Allgemeinen  keine 
ganz  ungünstige  ist,  wenn  auch  die  Heilungsdauer  gemeiniglich  eine  ziemlich 
protrahirte  ist,  kann  sie  in  späteren  Jahren  und  bei  Sklerose  der  oberen 
Partien  als  nicht  so  günstig  erachtet  werden.  Wird  die  Sache  nicht  zur 
rechten  Zeit  erkannt  und  werden  die  Herde  nicht  gründlich  freigelegt  und 
weggeschafft,  so  können  sich  Senkungsabscesse  unterhalb  des  Warzenfort- 
satzes (siehe  oben)  in  den  Retropharyngealraum  bilden  oder  es  erfolgt  unter 
Umständen  der  Durchbruch  gegen  die  Schädelhöhle  zu  mit  Erstehung  von 
epi-  oder  subduralen  Abscessen,  Hirnabscessen,  Meningitis,  Sinusthrombose, 
Phlebitis  und  Thrombose  der  Vena  jugularis,  Pyämie.  Uebrigens  können  diese 
Consequenzen  natürlich  auch  bei  jeder  Art  und  zu  jeder  Zeit  des  Bestehens 
der  cariös-nekrotischen  Processe  in  Scene  treten.  Es  ist  also  sonst  die  Pro- 
gnose immer  reservirt  zu  stellen,  so  lange  als  der  Process  nicht  als  völlig 
erloschen  betrachtet  werden  kann. 

Therapie  siehe  „Warzenfortsatz  er  Öffnung". 

5.  Hyperostose  der  Pars  mastoidea.  Wir  haben  schon  zu 
wiederholten  Malen  Gelegenheit  gehabt,  auf  die  Hyperostose  hinzuweisen,  jene 
eigenthümliche  Affection  der  Pars  mastoidea,  ja  des  ganzen  Felsenbeines,  bei 
der  wir  eine  Verkleinerung  oder  ein  mehr  weniger  vollständiges  Fehlen  der 
pneumatischen  Hohlräume  Hand  in  Hand  gehend  mit  einer  übermässigen 
Bildung  von  Knochensubstanz  antrefien.  Gewöhnlich  zeigt  sie  sich  in  der 
Weise,  dass  sich  zunächst  eine  Verdichtung  der  Corticalis,  die  sogenannte 
Eburneisation  derselben,  bis  auf  verschiedene  Tiefe  repräsentirt,  während  die 
mit  der  Haupthöhle,  dem  Antrum,  communicirenden  Zellen  beinahe  oder  ganz 
aufgehoben,  das  Antrum  selbst  sehr  verkleinert,  selten  vollständig  obliterirt 
gefunden  wird, 

Obschon  es  nun  keinem  Zweifel  unterliegen  kann,  dass  wir  schon  unter 
normalen  Verhältnissen  einem  Fehlen  der  pneumatischen  Hohlräume  begegnen 
können,  —  so  hat  Zuckerkandl  in  20^0  der  untersuchten  Schläfebeine  das 
Fehlen  der  pneumatischen  Räume  constatiren  können,  —  so  fallen  uns  doch 
unter  pathologischen  Verhältnissen  diese  Anomalien  relativ  so  häufig  auf,  dass 
wir  hier  nicht  mehr  an  normale  Contiguration  denken  dürfen  oder  auf  ein 
bloss  zufälliges  Zusammentreffen  recurriren  können.  Und  zwar  ist  es  in  erster 
Linie  die  chronische  Mittelohreiterung,  in  deren  Gefolge  uns  diese  Anomalie 
als  Complication  entgegentritt;  viel  seltener  sind  es  Allgemeinerkrankungen 
wie  Lues,  Arthritis,  die  sich  eventuell  auch  in  der  Weise  aussprechen. 

Früher  schon  wurde  sie  als  das  Product  einer  Mastoiditis  interna  be- 
zeichnet und  wir  können  sie  füglich  mit  vollem  Ptecht  als  das  Resultat  einer 
condensirenden  Ostitis  betrachten. 


WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN.  709 

Es  wurde  und  wird  nun  theilweise  von  einigen  Autoren  angenommen, 
dass  diese  Sklerose  als  ein  Schutzwall  gegen  das  Vordringen  der  Eiterung 
anzusehen  sei,  thatsächlich  aber  bildet  sie,  wie  durch  eine  Reihe  neuerer 
Untersuchungen  klar  dargelegt  worden  ist,  nicht  nur  keinen  Schutz,  sondern 
sie  vermag  sogar  dem  Zustandekommen  der  schweren  intracraniellen  Com- 
plicationen  direct  Vorschub  zu  leisten.  Dass  sie  nicht  als  Schutzwall  dienen 
kann,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  wir  bei  der  anatomischen  Untersuchung 
immer  nur  eine  Verdickung  des  Knochens  in  der  Peripherie  finden,  während 
die  nach  innen,  gegen  die  Schädelhöhle  zu  liegenden  Partien  oft  nicht 
nur  nicht  verdichtet,  sondern  sogar  meist  usurirt,  cariös  sind.  Dem- 
zufolge wird  der  angesammelte,  alte  Eiter  im  Antrum  oder  Processus  bei 
Gelegenheit  einer  Wiederentfachung  der  Entzündung,  da  er,  einem  einfachen 
physikalischen  Gesetze  zu  Folge  immer  nach  dem  Orte  des  geringsten  Wider- 
standes hin  sich  ausbreiten  muss,  gegen  die  Schädelhöhle  zu  vorzudringen 
bestrebt  sein  und  dies  umso  mehr,  als  ihm  durch  die  abnorme  Dicke  der 
peripheren  Knochenlager  am  Warzenfortsatz e  und  im  Gehörgange  der  Durch- 
bruch nach  aussen  einfach  abgeschlossen  ist.  Ist  also  somit  der  Naturhilfe 
des  Spontandurchbruches  ein  beinahe  unüberwindlicher  Riegel  vorgeschoben, 
so  wird  auch  die  Kunsthilfe  durch  diese  Verhältnisse  in  gewisser  Weise  etwas 
erschwert,  da  wir,  um  zu  dem  Krankheitsherde  gelangen  zu  können,  meist 
sehr  tief  und  durch  lauter  feste  Knochen  vordringen  müssen. 

Es  geht  hiemit  aus  diesen  kurzen  Betrachtungen,  die,  wie  ich  andern- 
orts in  extenso  dargelegt  habe  (Arch.  f.  Ohr.  XXXVII.  p.  161),  dem  Befunde 
an  der  Leiche  und  am  Operationstische  entnommen  sind  und  die  ich  hier 
nicht  weiter  ausführen  kann,  ohne  den  mir  gesteckten  Rahmen  zu  über- 
schreiten, zur  Genüge  hervor,  dass  die  Sklerose  als  eine  geradezu  deletäre 
Complication,  nicht  als  Schutzmoment  zu  betrachten  ist. 

Was  nun  die  Symptomatologie  der  Hyperostose  der  Pars  mastoidea  an- 
belangt, so  haben  wir  eine  Reihe  von  Erscheinungen  subjectiver  und  objectiver 
Natur,  die  in  Verbindung  mit  einander  uns  die  Prognose  einer  durch  Hyper- 
ostose veranlassten  intramastoidealen,  intratympanalen  und  pericerebralen 
Erkrankung  des  Schläfebeines  beinahe  zur  Gewissheit  wahrscheinlich  machen. 

Wir  finden  bei  derartigen  Patienten  ausnahmslos,  dass  sie  seit  sehr 
langer  Zeit,  meist  vielen  Jahren,  ja  Jahrzehnten  an  einer  chronischen  Mittel- 
ohreiterung leiden,  deren  Secretion  durchaus  keine  massenhafte  sein  muss, 
die  aber  durchschnittlicli  einen  recht  üblen  Geruch  verbreitet. 

Während  sie  nun  in  früherer  Zeit  wenig  Molesten  von  ihrer  Eiterung 
•hatten  und  deshalb  auch  meist  nichts  dagegen  zu  thun  sich  bemühten,  fängt 
ganz  allmählich  langsam,  hie  und  da  eingeleitet  durch  etwas  subacutere  Ex- 
acerbationen, an  sich,  ein  dumpfer  Kopfschmerz  auf  der  kranken  Seite  zu 
zeigen,  der  sich  mehr  und  mehr  zu  einem  bleibenden,  oft  ziemlich  intensiven 
umwandelt.  Dazu  gesellen  sich  sehr  häufig  verschieden  stark  ausgeprägte 
Schwindelerscheinungen  und  Coordinationsstörungen  und  weiterhin  eine  gewisse 
geistige  und  psychische  Alteration.  Die  Patienten  werden  entweder  voll- 
ständig theilnahmslos,  apathisch  gegen  Eindrücke,  auf  die  sie  früher  lebhaft 
reagirt  hatten,  oder  aber  sie  werden  im  Gegentheil  durch  Kleinigkeiten,  die 
sie  bisher  nicht  im  Geringsten  irritirt  hatten,  unverhältnismässig  aufgeregt; 
meist  ist  eine  morose  Stimmung  vorhanden  und  die  Fähigkeit  und  Lust  zu 
geistigen  Arbeiten  und  überkaupt  zu  Arbeiten,  auch  körperlichen  tritt  mehr 
und  mehr  in  den  Hintergrund.  Weiterhin  treten  dann  und  wann  auch  Schmerzen 
vorübergehend  oder  bleibend,  in  der  Tiefe  des  Ohres  und  häufig  wird  über 
einen  in  der  Tiefe  des  Warzenfortsatzes  gefühlten,  bohrenden,  seltener  klo- 
pfenden Schmerz  geklagt.  So  zieht  sich  der  Zustand  monatelang  herum  bis 
auf  einmal,  vielleicht  eingeleitet  durch  einen  äusseren  Anstoss  (Katarrh,  Ein- 
dringen von  Wasser  ins  Ohr  etc.),  sich  Fieberbewegungen,  einsetzend  mit  mehr 


710-  WAEZENFORTSATZERKRANKUNGEN. 

weniger  ausgesprochenen  Schüttelfrösten,  besonders  gegen  Abend  bemerkbar 
machen,  denen  dann  in  rascher  Reihenfolge  stcärkere,  meningeale  Reizerschei- 
nungen aller  Art,  sowie  oft  genug  pyämische  Symptome  sich  anschliessen. 
Es  besteht,  kurz  gesagt,  das  klinische  Symptomenbild,  wie  es  sich  so  häufig 
bei  allen  vernachlässigten  Mittelohreiterungen  von  langer  Dauer  zeigt. 

Vollständig  im  Gegensatz  dazu  steht  das  Fehlen  bedeutenderer  sichtbarer 
Veränderungen,  insbesondere  von  erheblichen  Schwellungen  oder  Entzündungs- 
erscheinungen am  Ohrapparate.  Der  Warzenfortsatz  und  seine  Umgebung, 
insbesondere  auch  die  Temporal-  und  Occipitalgegend,  zeigt  sich  wohl  spontan 
und  vielleicht  auch  auf  Druck  (etwas)  schmerzhaft,  jedoch  ist  nirgends  auch 
nur  eine  Spur  einer  Schwellung  nachzuweisen  und  bei  der  Percussion  er- 
halten wir  beinahe  durchgehends  einen  hellen  Schall.  Beinahe  constant  zeigt 
die  hintere  obere  Gehörgangswand  die  ominöse  buckelige  Vorwölbung  ins 
Lumen  herein,  auf  die  wir  schon  früher  aufmerksam  gemacht  haben,  aller- 
dings hier  meist  ohne  jede  Schwellungsröthe;  das  Trommelfell  ist  so  ziemlich 
ausnahmslos  perforirt  und  es  sitzt  die  Lücke  gerne  in  der  hinteren  oberen 
Partie  des  Trommelfells,  ebenso  wie  sich  sehr  häufig  die  Membrana  Shrap- 
nelli  als  Sitz  der  Lücke  erweist.  Polypenbildung,  Caries  der  Gehörknöchel- 
chen und  der  Paukenwandungen,  cholesteatomatöse  Ablagerungen  finden  sich 
ebenfalls  nicht  selten.  Entzündungserscheinungen  im  Gehörgange  und  an 
der  Trommelhöhle  sind  meist  nur  da  vorhanden,  wo  Cholesteatome  durch 
irgend  welche  Ursache  acut  ins  Quellen  gekommen  sind;  sonst  fehlen  sie 
beinahe  durchgehends  und  die  Paukenschleimhaut  ist  oft  blass,  mit  schlaffem, 
torpidem  Gewebe  ausgekleidet,  selten  frischer,  hyperämisch. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  die  Prognose  einer  derartigen  Erkrankung 
immer  eine  etwas  zweifelhafte  sein  wird,  so  lange  als  nicht  der  centrale  Herd 
gut  aufgedeckt,  die  kranken  Massen  entfernt  und  der  Gefahr  eines  Durch- 
bruches gegen  das  Schädelinnere  vorgebeugt  ist.  Sich  selbst  überlassen,  nicht 
rechtzeitig  erkannt  und  operativ  beeinflusst,  wird  diese  Art  der  Mastoideal- 
erkrankung mit  ziemlicher  Sicherheit  über  kurz  oder  lang  bei  Gelegenheit 
einer  subacuten  Attaque  zum  Tode  des  Befallenen  führen;  eine  Spontanheilung 
einer  unter  diesen  Umständen  aufgetretenen  Hyperostose,  respective  der  durch 
sie  gesetzten  Retentions-  und  peri-cerebralen  Reizerscheinungen  gibt  es  nicht. 

6.  Das  Cholesteatom  (siehe  auch  „Neubildungen  des  Ohres"  und 
den  selbstständigen  Artikel  „Cholesteatom")  der  Warzentheile  kann  hier  nur 
andeutungsweise  erörtert  werden,  da  dasselbe  unter  die  Erkrankungen  der 
Paukenhöhle  zu  subsumiren  ist.  Wir  verstehen  bekanntlich  seit  neuerer  Zeit 
unter  Cholesteatom  eine  Ansammlung  epidermoider  Lamellen,  die  sich  inner- 
halb des  Gehörganges,  der  Paukenhöhle,  speciell  des  oberen  Paukenraumes 
und  im  Antrum  mastoideum  zwiebelschalenähnlich  concentrisch  zusammen- 
geschachtelt haben,  eine  weisslichgelbe  bis  bräunlichweisse,  durch  Beimischung 
von  Cholestearin  opalescirende,  schillernde  Farbe  aufweisen  und  in  der  Grösse 
von  Hanfkorn-  bis  zu  Walnussgrösse  und  noch  darüber  wechseln;  sie  er- 
zeugen eine  allmähliche  Usurirung  der  Knochenwandungen.  Sie  entstehen 
durch  das  Hineinwachsen  der  Epidermis  in  die  Paukenhöhlenräume. 

Einer  ihrer  Lieblingssitze  ist  das  Antrum  mastoideum  und  der  Recessus 
epitympanicus,  der  ja  direct  in  den  Aditus  ad  antrum  führt.  Demgemäss 
sind  es  auch  sehr  oft  Perforationen  der  hinteren  oberen  Partie  des  Trommel- 
fells, die  im  Knochenfalze  oder  an  ihm  sitzen,  oder  solche  der  Membrana 
flaccida,  bei  welchen  wir  das  Cholesteatom  vorfinden.  Caries  des  Hammers  und 
Ambos,  sowie  der  Trommelhöhlenwände  und  der  zunächst  liegenden  Schichten 
des  Warzentheils  sind  sehr  häufig  damit  verbunden. 

Dass  im  Processus  mastoides  ein  Cholesteatom  ist,  lässt  sich  a  priori 
nur  dann  sicher  diagnosticiren,  wenn  wir  entweder  durch  den  Substanzverlust 


.  WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN.  711 

des  Trommelfells  aus  dem  nach  hinten  und  oben  gelegenen  Recessus  und 
Aditus  ad  antrum  die  Massen  herausbefördern  oder  wenigstens  dort  nach- 
weisen können  (durch  Ausspülung  mit  der  Paukenröhre),  oder  wenn  wir  durch 
Fistelöffnungen  in  der  Tiefe  des  Processus  die  Ansammlungen  erkennen  können. 
Sonst  wird  uns  die  sichere  Diagnose  gewöhnlich  erst  bei  der  Operation.  Der 
das  Cholesteatom  deckende  Knochen  des  Warzentheils  ist  nach  aussen 
häufig  sklerosirt. 

Von  Zeit  zu  Zeit  stossen  sich  spontan  oder  gelegentlich  einer  äusseren 
Irritation  (Eindringen  von  Spritzwasser)  verschieden  grosse  Cholesteatom- 
pfröpfe  ab;  dieser  Spontanauslösung  geht  gemeiniglich  eine  stärkere  Schwellung 
der  Gehörgangswandungen  (Gomperz)  voraus,  die  man  nicht  mit  einer  diffusen 
Externa  verwechseln  darf.  Die  Secretion  ist  meist  eine  recht  geringe,  aber 
ausserordentlich  stinkende.  An  der  hinteren  Gehörgangswand  auf  der  Ueber- 
gangspartie  zum  Trommelfell  finden  sich  nicht  selten  verschieden  grosse 
cariöse  Arrosionen,  die  direct  ins  Antrum  führen  können. 

7.  Mycotische  Erkrankungen  des  Warzentheils. 
Anhangsweise  möchte  ich  bei  den  Entzündungen  nicht  unerwähnt  lassen, 

dass  in  sehr  seltenen  Fällen  Pilzbildungen  innerhalb  des  Warzenfortsatz- 
gebietes  gefunden  worden  sind.  Bis  jetzt  sind  nur  zwei  derartige  Fälle  be- 
kannt. Zaufal  konnte  in  grossen  Abscessen  der  Warzengegend,  die  auf  den 
Knochen  übergegriffen  hatten,  deutliche  Actinomyceskörner  constatiren, 
und  Verfasser  war  in  der  Lage,  bei  einer  Frau,  die  an  einem  Empyem  des 
Warzenfortsatzes  litt,  in  dem  eröffneten  Antrum  den  Aspergillus  nigrus 
nachweisen  zu  können;  er  war  vom  Gehörgange  aus,  durch  Vermittlung 
einer  grossen  Trommelfelllücke  bei  sehr  geringer  Secretion  in  die  Warzenhöhle 
gerathen  (veröffentlicht  in  Ziegler  und  Nauv^erck,  Beiträge  zur  pathologischen 
Anatomie  1894). 

8.  Luftgeschwulst  und  Emphysem. 

Die  Pneumatocele  supramastoidea  sowohl  als  das  Emphysem 
der  Pars  mastoidea  kommen  nur  selten  zur  Beobachtung.  Die  erstere  ent- 
Avickelte  sich  nach  den  bisherigen  Beobachtungen  (Wernher,  Sonnenberg) 
als  kleine  circumscripte  Erhabenheit,  etwas  an  der  Wurzel  des  Warzenfort- 
satzes beginnend,  und  nahm  langsam  aber  stetig  zu,  so  dass  die  ganze  be- 
treffende Kopfhälfte  beinahe  von  der  Geschwulst  eingenommen  wurde.  Dabei 
war  sie  von  einem  Knochenwall  umgeben,  ähnlich  wie  bei  den  Dermoidcysten. 
Beim  Percutiren  gab  sie  einen  tympanitischen  Schall,  beim  Palpiren  jedoch 
fehlte  das  Emphysem-Knistern;  die  Auscultation  ergab  Blasebalggeräusch  und 
bei  Druck  auf  die  Geschwulst  bekam  der  Patient,  der  die  Geschwulst  durch 
Niesen  acquirirt  hatte,  Athemnoth.  Heilung  geschah  durch  wiederholte  Jod- 
injectionen;  sonst  wäre  die  Spaltung  angezeigt. 

Für  das  Zustandekommen  dieser  Pneumatocele  müssen  wir  congenitale 
Dehiscenzen  an  der  Corticalis  des  Warzenfortsatzes  verantworlich  machen. 

Emphyseme  stellen  sich  gelegentlich  eines  Traumas  dann  und  wann 
ein,  können  sich  jedoch,  auch  ohne  dass  eine  Verletzung  vorausgegangen  war,  in 
Folge  von  stärkerer  Luftverdichtung  im  Nasenrachenräume  zeigen.  Derartige 
Fälle  sind  von  Schmidt  früher  und  dem  Verfasser  (Münch.  med.  Wochensch, 
1894,  Nr.  36)  beobachtet  worden.  Im  letzteren  Falle  kam  es  gelegentlich  der 
Ausübung  des  PoLiTZER'schen  Verfahrens  mit  dem  LucAE'schen  Doppellballon 
zunächst  zu  einer  Ekchymosirung  beider  sehr  atrophischen  Trommelfelle,  weiter 
zur  Emphysembildung  am  linken  Trommelfelle  und  zur  Abhebung  der  Haut 
an  der  Basis  des  Warzenfortsatzes.  Die  emphysematöse  Geschwulst  an  der 
Warzengegend  erreichte  sofort  Pflaumengrösse  und  w^uchs  in  kurzer  Zeit  bis 
auf  Eigrösse,  immer  das  typische  Luftknistern  beim  Palpiren,  sowie  beim 
Percutiren  einen  tympanitischen  Klang  gebend.  Bei  Druck  auf  die  Geschwulst 
wurde  Patient  schwindelig. 


712  .WARZENFORTSATZERKRANKUNGEN. 

Heilung  iiacli  zehn  Tagen  durch  Massage  und  eine  einmalige  Injection 
von  Aether. 

Hier  ist  dies  der  vierte  Fall  von  Emphysem  der  Pars  mastoidea  und 
der  zweite  der  durch  Luftverdichtung  verursachten. 

9.  Neubildungen. 

Polypöse  Neubildungen  (Fibrome)  können  vom  Antrum  ausgehen  und 
entweder  durch  das  perforirte  Trommelfell  oder  durch  eine  Usur  des  knöcher- 
nen Falzes  in  den  Meatus  gelangen  und  dort  Gehörgangspolypen  vortäuschen; 
die  Sonde  wird  Klarheit  in  die  Sachlage  bringen.  Bei  Gelegenheit  der  Er- 
öfinung  des  Warzenfortsatzes  findet  man  hie  und  da  auch  im  Antrum  Polypen. 

Von  benignen  Neoplasmen  sind  es,  abgesehen  von  der  bereits  erörterten 
Hyperostose,  Exostosen,  die  in  einzelnen  Fällen  den  Warzenfortsatz  als 
Basis  haben.  Dermoid  Cysten  mit  ihrem  typischen  Inhalte  sind  innerhalb 
des  Warzenfortsatzes  selten  gefunden  worden.  Atherome  etabliren  sich 
nicht  zu  selten  auf  der  Höhe  des  Warzentheiles,  die  Ohrmuschel  stark  ab- 
drängend, Neuro  me  (Verfasser)  können  vom  Lobulus  aus  auf  die  Pars  mastoi- 
dea sich  ausbreiten.  Von  den  Misch-  und  malignen  Geschwülsten  können 
Chondrosarkome  secundär  auf  den  Warzenfortsatz  übergreifen;  Osteo- 
sarkome können  primär  oder  secundär  sich  entwickeln.  Eundzellen-  und 
Myxosarkome  können  von  der  Paukenhöhle  aus  durch  die  Warzenzellen 
bis  unter  das  Periost  vordringen  und  so  dort  eine  subperiostale  Schwellung 
mit  Eiter  oder  ein  Durchbrechen  des  Empyem  vortäuschen;  haben  sie  die  Cor- 
ticalis,  das  Periost  und  die  Haut  bereits  durchbrochen,  so  zeigen  sich  ver- 
schieden grosse,  weiche,  schwammige,  blaurothe,  leicht  blutende  Geschwulst- 
massen hinter  dem  Ohre;  dabei  kann  zu  gleicher  Zeit  (Verfasser)  das  Sarkom 
zum  Gehörgange  herausgewuchert  sein.  Auch  primär  können  sich  derartige 
Sarkome  entwickeln,  aber  selten.  Ebenso  ergreifen  Carcinome  des  Gehör- 
ganges, der  Paukenhöhle  oder  der  Temporalgegend  die  Pars  mastoidea  meist 
secundär,  selten  kommen  sie  primär  vor.  Es  mag  hier  auch  bemerkt  sein, 
dass  die  Chlorome  zuweilen  auch  die  pars  mastoidea  mitergreifen. 

Von  infectiösen  Granulomen  sind  primäre  Schanker  am  Warzenfort- 
satze  beobachtet  worden;  ferner  Gummata;  diese  können,  so  lange  sie  noch 
nicht  zerfallen  sind,  Veranlassung  zur  Verwechslung  mit  subperiostalen  Processen 
geben,  und  wenn  sie  vereitert  sind  und  sinuöse  Geschwüre  gebildet  haben, 
mit  Carcinom-  oder  Tuberkulose-  Geschwüren  zusammengeworfen  werden.  Die 
Diagnose  wird  bald  durch  den  Einfiuss  einer  specitischen  Therapie  gewonnen. 
Betrefis  der  primären  Tuberkulose  des  Warzentheils  gehen  die  Anschauungen 
der  Autoren  noch  auseinander.  In  einem  diesbezüglichen  Falle  des  Ver- 
fassers waren  als  charakteristisch  die  auf  dem  Warzenfortsatz  liegende  kleine 
Lymphdrüse  tuberkulös  entartet  und  ganz  in  der  Tiefe  des  sklerosirten 
Warzenfortsatzes  fanden  sich  tuberkulöse,  bacillenhaltige  Granulationen. 

10.  Neurosen.  Neuralgie  der  Pars  mastoidea  kommt  zuweilen  vor.  Es 
bestehen  dabei  intensive  Schmerzen  bei  Fehlen  jeglicher  Entzündungserschei- 
nungen und  Schwellung.  Die  häufigste  Ursache  dieser  bohrenden  oder 
stechenden  Schmerzen  ist  Syphilis.  Auch  Malaria  kann  sich  als  Intermittens 
larvata  in  Form  einer  in  typischen  Intervallen  auftretenden  Neuralgie  am 
Warzentheile  zeigen. 

Beide  Arten  weichen  nur  der  jeweiligen  passenden  Jod-,  respective  Chinin- 
medication.  Besteht  gleichzeitig  Eiterung  im  Mittelohre,  so  kann  eventuell 
eine  Verwechslung  einer  Neuralgie  mit  einer  durch  Hyperostose  geschaffenen 
tiefen  intraossalen  Eiterretention  statthaben;  übrigens  darf  man  bei  Eiterung 
eine  Neuralgie  meist  ruhig  von  vorneherein  ausschliessen. 

Bei  einfachen  wirklichen  Neuralgien,  auf  nicht  luetischer  oder  Wechsel- 
fieberbasis, thut  unter  Umständen  der  constante  Strom  recht  gut;  sonst  auch 
Antipyrin,  Migränin  etc. 


WARZENFORTSATZOPERATIONEN.  713 

11.  Fremdkörper  kommen  zuweilen  vom  Gehörgange  aus,  vermöge  un- 
geschickter Extractions versuche  in  die  Paukenhöhle  und  von  da  ins  Antrum 
mastoideum,  woselbst  sie  sich  so  sehr  festkeilen  können,  dass  ihre  Entfernung 
auch  auf  operativem  Wege  nur  schwer  gelingt;  solche  Fälle  liegen  von  vorne- 
herein prognostisch  nicht  günstig. 

Von  sonstigen  Fremdkörpern  wäre  noch  zu  erwähnen,  dass  einmal 
Oestruslarven  in  einem  subperiostalen  Abscess  gefunden  wurden,  ferner  in 
dem  eröffneten  Warzenfortsatze  ein  steckengebliebenes  Drainrohr;  ich  habe 
bei  einer  Hysterischen,  welcher  der  Warzenfortsatz  aufgemeisselt  worden  war, 
mehrere  Male  Nadeln,  die  sie  sich  in  den  Wundcanal  hineinprakticirt  hatte, 
herausgezogen. 

12.  Schussverletzungen  geben  nicht  selten  Veranlsssung  zum  Ein- 
dringen der  Projectile  in  den  Warzenfortsatz,  da  der  Schuss  meist  in  den  Gehör- 
gang abgefeuert  wird  und  die  Kugel  dann  durch  die  hintere  Wand  in  den  Warzen- 
theil  dringt,  meist  dort  steckenbleibend.  Deshalb  sind  auch  derartige  Schuss- 
verletzungen relativ  prognostisch  nicht  so  sehr  ungünstig.  Taubheit  folgt 
beinahe  constant,  Facialislähmung  sehr  häufig.  Gefährlicher  werden  die 
Schüsse,  wenn  sie  Splitterungen  des  Paukendaches  herbeiführen  mit  gleich- 
zeitiger Eröffnung  des  Subarachnoidealraumes. 

Heilung  durch  Entfernung,  Ausmeisselung  der  Kugel  ist  in  einer  ziem- 
lichen Anzahl  der  Fälle  beobachtet  worden.  Eine  Zimmerstutzenkugel,  die 
Jahre  lang  am  Warzenfortsatz  eingekapselt  gelegen  war,  habe  ich  durch 
Meissein  entfernt,  als  sie  neuralgische  Erscheinungen  verursachte;  sie  hatte 
das  Periost  durchschlagen  und  war  in  der  Corticalis  sitzen  geblieben,  die 
Hautwunde  war  beinahe  spurlos  vernarbt.  In  den  ersten  zwei  Jahren  nach 
der  Verletzung  sollen  gar  keine  Symptome  von  dem  Fremdkörper  ausgegan- 
gen sein. 

Sonstige  Verletzungen  des  Warzentheils  kommen  noch  gelegentlich 
durch  Stich,  Hieb,  Quetschung  vor. 

Fracturen  können  die  Pars  mastoidea  allein  betreffen,  oder  von  der  Um- 
gebung sich  auf  sie  fortsetzen;  es  kommt  dabei  entweder  bloss  zu  einer  ein- 
fachen Infraction  der  Aussenschichte  oder  zur  Absprengung  grösserer  Stücke; 
auch  der  ganze  Warzenfortsatz  kann  totaliter  von  der  Basis  aus  abgesprengt 
werden.  Fissuren  können  durch  den  Gehörgang  auf  das  Trommelfell  über- 
treten. 

In  jüngster  Zeit  habe  ich  einen  Fall  beobachtet,  in  welchem  es  durch 
Einwirkung  einer  starken  stumpfen  Gewalt  in  der  Folgezeit  zu  einer  Seques- 
trirung  beinahe  des  ganzen  Fortsatzes  kam. 

Bei  den  durch  Schlag,  Stöss  (beim  Boxen  z.  B.)  etc.  hervorgerufenen, 
hochgradigen  Contusionen  der  Knochenlager  des  Warzenfortsatzes  kommt 
es  sehr  häufig  zur  Bildung  eines  Blutergusses  nicht  bloss  im  Inneren  der 
Warzenhohlräume  selbst,  sondern  auch  in  die  Paukenhöhlen  hinein  (Hämo- 
tympanum).  Der  intratympanale  Bluterguss,  der  dem  Patienten  damit  hoch- 
gradige Schwerhörigkeit  mit  oder  ohne  subjective  Geräusche  verursacht  und 
der  objectiv  an  der  bläulichen  Verfärbung  des  vorgewölbten  Trommelfells 
erkenntlich  ist,  gelangt  zumeist  spontan  langsam  zur  Resorption  und  mit  ihr 
verlieren  sich  die  Symptome.  Zuweilen  ist  es  nothw^endig,  deshalb  die  Para- 
centese  zur  Entlastung  und  Heilung  vorzunehmen.  In  seltenen  Fällen  tritt 
consecutive  Vereiterung  des  Hämotympanums  ein.  haug. 

WarzenfortsatZOperationen.  {Mastoidopemtion.)  wir  können  bezüg- 
lich der  am  Warzentheil  vorzunehmenden  operativen  Eingriffe  eine  gewisser- 
maassen  graduelle,  abstufende  Unterscheidung  treffen  zwischen  der  sogenannten 
WiLDE'schen  Incision,  der  eigentlichen  Eröffnung  des  Warzenfort- 
satzes mit  Freilegung  des  Antrum  mastoideum  (Schwahtze's  Ope- 


714  WARZENFORTSATZOPERATIONEN. 

ration)  und  dem  grossen  Eingriff  der  Wegnahme  der  hintern  Gehör- 
gangswand unter  gleichzeitiger  Abtragung  des  Warzenfort- 
satzes und  Freilegung  der  Paukenhöhlenräume  (Radicaloperation). 
Die  WiLDE'sche  Incision  besteht  lediglich  in  einem  die  Weichtheile  auf  der 
Höhe  des  Warzenfortsatzes  von  der  Basis  bis  zur  Spitze,  bis  auf  oder  durch 
das  Periost  dringenden  Schnitte.  Sie  bezweckt  bei  einfach  geschwollenen 
Weichtheilen  eine  Entlastung  durch  die  reichliche  Blutung  oder  bei  nach- 
weisbarer oberflächlicher  oder  tiefer  Fluctuation  die  Eröffnung  eines  subcu- 
tanen, epi-  oder  subperiostalen  Eiterherdes.  Sie  wird  gemeiniglich  deshalb  ange- 
wandt bei  Phlegmonen  des  Warzen  theils  und  primären  oder  secundären 
Periostitiden  mit  Abscedirung.  Nur  in  ganz  einfachen  Fällen,  in  welchen 
der  Knochen  sich  nicht  krank  erweist,  genügt  dieser  kleine  operative  Eingriff. 
Unter  Umständen  kann  er  als  Hautschnitt  bei  der  Eröffnung  des  Warzenfort- 
satzes provisorisch  oder  präparatorisch  dienen,  provisorisch  dann,  wenn  die  Er- 
öffnung des  Warzenfortsatzes  nicht  gleich  sich  anschliessen  soll,  wenn  man 
also  warten  will,  ob  sich  die  Erscheinungen  eventuell  nicht  durch  ihn  allein 
beheben  lassen.  Anzuempfehlen  ist  aber  diese  Art  der  Verwendung  des 
Schnittes  im  Allgemeinen  nicht,  ebenso  nicht  als  präparatorischer  Haut- 
schnitt, da  Ort  und  Ausdehnung  des  Schnittes  oft  nicht  völlig  passen  für  die 
günstige  Fortsetzung  der  Operation. 

Ehe  wir  die  eigentliche  typische  Warzenfortsatzeröffnung  des 
Näheren  besprechen,  müssen  wir  die  Indicationen,  wie  sie  von  Schwaetze 
für  die  nach  ihm  benannte  Operationsmethode  muster-  und  allgemein  giltig 
angegeben  worden  sind,  erörtern. 

Diese  Indicationen  sind  nach   Schwaetze: 

1.  „Acute  Entzündung  des  Warzenfortsatzes  (Empyemoder 
Mastoiditis),  welche  einer  symptomatischen  bisherigen  Behandlung,  Eis- 
application,  Blutentziehung,  Jod,  nicht  innerhalb  6  bis  längstens  8  Tagen 
gewichen  ist,  wenn  also  Schwellung,  Röthung,  Fieber  und  Schmerz  zugenommen 
haben."  Antipyretica  sollen  nach  Verfassers  Ansicht  nie  gegeben  werden,  weil 
wir  am  Fieber  auch  hier  einen  oft  ausserordentlich  verlässlichen  Gradmesser 
für  den  Stand  der  Erkrankung  haben.  Ueber  8  Tage  lang  zu  warten  bei  aus- 
gesprochenen Symptomen,  Messe  leichtsinnig  das  Leben  des  Patienten  in  die 
Wagschale  werfen,  um  so  mehr  als  die  Operation  unter  den  heutigen  anti- 
und  aseptischen  Bedingungen  als  eine  gefahrlose  angesehen  werden  muss. 
Uebrigens  würde  auch  schliesslich,  wenn  wirklich  gar  kein  Eiter  gefunden 
würde,  die  Operation  also  umsonst  gemacht  worden  wäre,  der  Eingriff  gar 
nichts  auf  sich  haben.  Im  Gegentheil  aber  würden  wir  uns  einer  gewaltigen 
Nachlässigkeit,  eines  sträflichen  Leichtsinnes  zeihen  müssen,  wenn  wir  bei 
Vorhandensein  der  objectiven  Symptome  die  günstige  Zeit  und  den  Ort  der 
Wahl  verpassten  und  den  Patienten  einer    Lebensgefahr  preisgeben    würden. 

2.  Chronische  Entzündung  des  Warzenfortsatzgebietes,  die  sich  als 
Caries  oder  Nekrose  bemerkbar  gemacht  hat  durch  Fistelbildungen 
entweder  auf  der  Oberfläche  des  Warzenfortsatzes  oder  an  der  hintern  und 
hintern  obern  Gehörgangswand  (Granulationen  sind  häufig  damit  ver- 
gesellschaftet) oder  durch  Se n kungs ab scesse  in  die  seitlichen  Halspartien 
in  den  Meatus  und  gegen  den  Schlund  zu.  Oefters  wiederkehrende  und 
wieder  sich  involvirende  Schwellungen  der  Warzenfortsatzdecken  bei  ge- 
wöhnlich bestehender  Mittelohreiterung.  Unter  solchen  Voraussetzungen  sollte 
die  Operation  immer  gemacht  werden,  auch  wenn  zur  Zeit  keine  das  Leben 
bedrohenden  Symptome  bestehen."  (Siehe  Ptadial Operation).  Gerade  hier 
wird  oft  unendlich  viel  gefehlt  und  geschadet  dadurch,  dass  man  nicht  zu  einer 
vielleicht  noch  relativ  günstigen  Zeit  eingreift  und  somit  dem  Process  Ge- 
legenheit gibt,  sich  weiter  auszudehnen,  bis  es  eben  dann  zu  spät  wird. 


WARZENFORTBATZOPERATIONEN.  715 

3.  „Chronische  Eiterung  des  Mittelohre  söhne  äussere  Zeichen 
von  Entzündung  des  Warzenfortsatzes,  sobald  sich  Symptome  ein- 
stellen, die  das  Hinzutreten  einer  lebensgefährlichen  Complication  in  Folge 
von  Eiterretention  oder  Cholesteatombildung  wahrscheinlich  machen." 

4.  „Sonst  unheilbare  Neuralgie  des  Warzenfortsatzes." 

5.  „Als  prophylaktische  Operation  gegen  letale  Folgezustände  un- 
heilbarer fötider  Mittelohreiterungen  ohne  Entzündungserscheinungen  am 
Warzenfortsatze  und  ohne  Zeichen  von  Eiterretention,  sobald  durch  die  ge- 
naue otoskopische  Untersuchung  festgestellt  ist,  dass  der  Sitz  der  Eiterung 
nicht  auf  die  Paukenhöhle  beschränkt  ist."  Alle  die  Indicationen  von  2 — 5 
gelten  speciell  für  die  am  Ende  geschilderte  liadicaloperation. 

Zu  diesen  fünf  von  Schwartze  aufgestellten  und  nach  ihm  angeführten 
Indicationen  möchte  Verfasser  noch  eine  auch  anderweitig  urgirte  zufügen: 

6.  Zur  Entfernung  von  in  der  Paukenhöhle  oder  im  Aditus 
ad.  antrum  eingekeilten  Fremdkörpern,  die  sich  rascher,  durch 
Ablösung  der  Ohrmuschel  mit  partieller  Abtragung  des  Gehörganges,  auch 
nicht  haben  entfernen  lassen  und  gefahrdrohende  Erscheinungen  bereits  hervor- 
gerufen haben. 

Die  Eröffnung  muss  unter  allen  Bedingungen  gemacht  werden,  wenn  bei 
der  opthalmoskopischen  Untersuchung  eine  beginnende  Stauungs- 
papille sich  kundgibt;  ist  die  Stauungspapille  schon  sehr  stark  ausgesjjrochen 
confirmirt,  so  kommt  die  Operation  oft  schon  zu  spät.  Selbstverständlich 
müssen  die  allgemeinen  und  localen  Symptome  des  Schmerzes  an  oder  im 
oder  hinter  dem  Ohre,  Fieber,  Schwindelerscheinungen,  Sehstörungen,  Brech- 
neigung in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ebenfalls  vorhanden  sein;  dass  Schwellung, 
Röthung  und  Schmerz  nicht  allein  maassgebend  sind,  wurde  bereits  früher  er- 
wähnt, und  wir  finden  gar  nicht  selten  in  Warzenfortsätzen,  deren  Haut- 
bedeckungen absolut  keine  Abnormität  aufweisen,  nach  Wegnahme  der  völlig 
gesunden  oder  eburneisirten  oberen  Partien  ganz  ausgedehnte  Zerstörungen. 
Die  Mitbetheiligung  des  Warzenfortsatzgebietes  war  vielleicht  ausser  mehr 
oder  weniger  ausgesprochenem  Druckschmerz  nur  an  der  typischen  Senkung 
der  hintern  oberen  Gehörgangswand  zu  erkennen  gewesen  (siehe  Erkrankungen 
des  Warzentheils).  Als  relative  Indication  zur  Eröffnung  des  Antrum  kann 
übrigens  (Rich.  Müller)  jede  acute  Mittelohreiterung  aufgefasst  werden,  bei 
welcher  es  trotz  vorausgegangener  sachgemässer  Behandlung  (Trockenbe- 
handlung) im  Laufe  der  ersten  14  Tage  bis  zur  dritten  Woche  nicht  zur 
Heilung  oder  ausgesprochenen  Besserung  (Sistirung  der  Secretion  und  Besserung 
des  Hörvermögens)  gekommen  ist.  Für  die  chronische  Mittelohreiterung 
schiebt  sich  die  Zeitgrenze  auf  ca  2  Monate  erfolgloser  Behandlung  hinaus. 
(Müller  und  v.  Trautmann.) 

Kein  Erfolg  mehr  zu  erwarten  ist  von  der  Operation  bei  bereits  aus- 
gesprochener Meningitis,  oder  wenn  diese  schon  gar  ins  Stadium  des 
Comas  übergetreten  ist.  Nicht  zu  vergessen  ist,  dass  wir  in  zweifelhaften 
Fällen  in  der  Lumbalpunction  eine  eminente,  differential-diagnostisch 
unterstützende  wirkende  Probe  haben,  deren  negativer  Ausfall  (Fehlen  von 
Leukocyten  oder  Mikroorganismen  im  Liquor)  uns  das  Nichtergriffensein 
der  Meningen  andeutet.  Es  wird  uns  da  oft  noch  ermöglicht  sein,  mit  Er- 
folg zu  operiren,  wo  wir  sonst  es  nicht  mehr  für  rathsam  hätten  halten 
müssen.  Dass  aber  der  Lumbalpunction  selbst  an  und  für  sich  auch  bei  der 
subtilsten  Ausführung  gewisse  Gefahren  innewohnen,  dürfen  wir  nicht  ver- 
schweigen. Bei  Diabetes  hat  man  bis  vor  nicht  langer  Zeit  wie  vor  allen 
operativen  Eingriffen,  so  auch  von  unserem  absehen  zu  müssen  geglaubt,  indes 
hat  die  Erfahrung  gelehrt,  dass  auch  Diabetiker,  und  zwar  ausgesprochen 
hochgradige,  mit  vollem  Nutzeftect  ohne  Gefahr  wegen  ihrer  Allgemeinerki'an- 
kung  sich  operiren  lassen.  Ausgesprochene  Pyämie  ist  kein  Grund  zur  Nicht- 


716  WARZENFORTSATZOPERATIONEN. 

ausfübrung  der  Operation,  da  sie  gerade  durch  diesen  localen  Eingriff  allein 
oder  durch  ihn  in  Verbindung  mit  Ausräumung  des  thrombosirten  Sinus  oder 
eventuell  der  Ligatur  der  Vena  jugularis  zur  Heilung  gelangen  kann. 

Instrumentarium.  Ausser  den  bei  jeder  grösseren  Operation  zu 
handhabenden  Instrumenten  (Messer,  Sonden,  gerade  und  CooPER'sche  Scheeren, 
Pincetten)  sind  behufs  Blutstillung  sehr  zu  empfehlen  die  grossen  gezähnten, 
scharfen  BERGMANN'schen  Schieber  und  die  PiiAN'sche  Klammer;  ferner  sind 
nothwendig  zwei  bis  drei  mehrzinkige  scharfe  Hacken,  ein  schmales  spitzes  und 
ein  etwas  breiteres  Elevatorium,  Ptaspatorium,  ein  Hammer  vier,  gerade  Hohl- 
meissel  von  1-2;  0-9,  0-6,  0-3  cm  Breite,  zwei  gebogene  Hohlmeissel  und  gerade 
Meissel,  sowie  nach  rückwärts  gebogene  Hohlmeissel,  einige  kleinere  scharfe 
Löffel,  gerade  und  gekrümmt,  eine  besonders  construirte  schmale  LuER'sche 
Hohlmeisselzange  (eventuell  noch  STACKE'scher  Schützer)  Ohrspiegel  (Reflector), 
eventuell  elektrische  Beleuchtungsapparate  und  auch  statt  der  Meissel  in 
neuester  Zeit  elektromotorisch  getriebene  rotierende  Fraisen,  die  besonders 
in  grösseren  Tiefen  nach  Anbahnung  des  Operationscanales  mit  den  Meissein 
ihre  Verwendung  finden.  (Dieses  vollständige  Instrumentarium  kommt  aber 
bloss  bei  der  Radicaloperation  in  Betracht;  bei  der  einfachen  Eröffnung  kommen 
wir  mit  den  Eingangs  genannten  Instrumenten  aus). 

Es  wird  seit  neuerer  Zeit,  und  mit  vollem  Rechte,  die  Operation  nur 
mehr  mit  Meissel  und  Hammer,  Hohlmeisselzange  und  scharfem  Löffel  ausgeführt, 
Avährend  man  früher  sehr  gefährliche,  weit  uncontrolirbare  Bohrerei  geübt 
hatte;  noch  jetzt  wird  diese  von  einigen  amerikanischen  Aerzten  unglaublicher- 
weise protegirt. 

Sterilisation  und  Einlegen  der  Instrumente  in  antiseptische  Lösungen 
(5%  Carbol)  selbstverständlich. 

Ich  schildere  nun  des  Weiteren  die  Operation,  so  wie  ich  sie  an  einer 
schon  sehr  grossen  Anzahl  von  Fällen  ausgeführt  habe.  Sie  deckt  sich  im 
Ganzen  mit  der  ScHWARTZE'schen  sogenannten  typischen  Mastoidoperation, 
abgesehen  von  kleinen  Abweichungen. 

Zunächst  gehörige  Entfernung  der  Haare  durch  Rasiren  bis  mindestens 
auf  3 — 4  Querfinger  breit,  besser  noch  handbreit,  über  dem  Ohre;  Schonung 
in  dieser  Beziehung,  besonders  bei  Frauen  ist  absolut  zu  widerrathen,  da 
sonst  das  Operationsterrain  nie  ordentlich  freibleibt.  Umwickeln  des  ausser 
dem  Operationsfelde  liegenden  behaarten  Kopfes  mit  einer  in  Sublimat  ein- 
getauchten Mullbinde.  Reinigung  und  Desinfection  der  Hinterohrgegend  in 
weitem  Umfange  durch  Abreiben  mit  Alkohol  oder  Aether  sulfuricus,  Abspü- 
lung  mit  Sublimat  1-0  :  lOOO'O  etc. 

Die  Ohrmuschel  *)  wird  durch  einen  Assistenten  abgebogen,  und  nun  der 
Hautschnitt  in  einer  Länge  von  4:  —  b'^j^cm  längs  und  parallel  der  Insertions- 
linie  der  Muschel,  ^4  bis  Vs  ^''^  "^on  derselben  entfernt,  geführt;  er  muss 
über  der  bei  Fehlen  von  Schwellung  fast  immer  palpabeln  Linea  temporalis 
anfangen  und  nach  unten  bis  unter  die  Spitze  des  Warzenfortsatzes  reichen. 
Kleiner  als  4  cm  sollte  der  Hautschnitt  nie  genommen  werden,  weil  sonst  die 
absolut  nothwendige  leichte  Uebersehbarkeit  des  Feldes  mangelt.  Die  Blu- 
tung ist  zuweilen  eine  recht  erhebliche,  insbesondere  da  bei  dieser 
Schnittführung  die  A.  auricularis  posterior  sehr  häufig  in  die  Linie  kommt, 
was  übrigens  durchaus  nichts  auf  sich  hat,  das  sie  immer  gefasst  werden 
kann.  Sind  aber,  wie  dies  bei  periostalen  Affectionen  oft  der  Fall  ist,  die 
Weichtheile  sehr  stark  geschwollen,  infiltrirt,  bis  manchmal  auf  mehrere  cm 
verdickt,  so  ist  insbesondere  die  parenchymatöse  Blutung  eine  recht  unan- 
genehme, sie  steht  aber  gewöhnlich  bald  durch  das  im  Verlaufe   nothwendig 


■")  Die  Schilderung  lehnt  sich  theil weise   an  die  von  mir  in  der  „Wiener  Klinik" 
1893,  Nr.  11,  12,  bereits  gegebene  dieses  Operationsverfahrens. 


WARZENFORTSATZOPEUATIONEN.  717 

werdende  Einsetzen    der  Haken,  die  die  blutenden  lliinder  comprirairen.  Der 
Schnitt  soll  womöglich  sofort  bis  auf  das  Teriost  selbst  geführt  werden. 

Manchmal  ist  es  zweckmässig,  bei  starkem  Infiltrate,  das  sich  nach  hinten 
zu  ausbreitet,  zu  dem  einfachen  Schnitte  noch  einen  zweiten,  senkrecht  auf 
die  Mitte  des  ersteren,  nach  hinten  verlaufenden  Schnitt  zu  setzen  in  der 
Länge  von  circa  3  cm;  wir  bekommen  so  durch  Abpräpariren  der  llautlappen 
bis  zur  Basis  dann  den  Warzenfortsatz  und  seine  ganze  Umgekung  frei. 
Politzer  und  Zaüfal  benutzen  grundsätzlich  nur  eine  Lappenbildung.  Ist 
die  Schwellung  der  Weichtheile  eine  sehr  beträchtliche,  so  dass  man  keine 
Linea  temporalis  und  keine  Spitze  am  Warzenfortsatz e  palpiren  kann,  so  thut 
man  gut,  den  Schnitt  etwas  weiter  nach  hinten  als  Y2  «-'^^  "von  der  Insertions- 
linie  ab  zu  legen,  etwa  da,  wo  die  Projectionslinie  des  Anthelix  (bei  an- 
gedrücktem Ohre)  auf  die  Warzenfortsatzregion  auftreffen  würde  feit,  nach 
Kreschmann). 

Bei  stärkerer,  insbesondere  speckiger  Infiltration  haben  wir  oft  eine 
2 — 3  cm  dicke  Schwarte  zu  durchtrennen  und  zurück  zu  schieben.  In  die 
nach  beiden  Seiten  so  durchpräparirten  Weichtheile  werden  je  ein  drei-  bis 
vierzinkiger  scharfer  Wundhaken  eingesetzt  und  stark  angezogen,  so  dass 
jetzt  das  Periost  in  der  ganzen  Ausdehnung  freizuliegen  kommt.  Dasselbe 
kann  seine  normale  weissliche  Farbe  und  fibröse  derbe  Beschaffenheit  be- 
halten haben  oder  mehr  oder  weniger  infitrirt,  verfärbt  und  unter  Umständen 
zugleich  abgehoben  erscheinen.  Letzteres  ist  der  Fall  bei  subperiostalen 
Eiteransammlungen  und  es  erweist  sich  hier  oft  in  weitem  Umfange  vom 
Knochen  abgelöst. 

'  Jetzt  wird  das  Periost  in  der  gleichen  Länge,  wie  der  Hautschnitt, 
durchtrennt  und  nach  beiden  Seiten  mit  dem  Elevatorium  und  Piaspatorium 
zurückgehebelt,  was  da,  wo  es  gelockert  oder  abgehoben  ist,  natürlich  sehr 
leicht  geschehen  kann;  ist  aber  der  unterliegende  Knochen  oberflächlich  noch 
gesund,  so  adhärirt  es  sehr  fest.  Das  Periost  muss  nun  unter  allen  Bedingungen 
nach  beiden  Seiten  überall  so  weit  zurückgeschoben  werden,  dass  nicht  bloss 
der  obere  Theil  des  Warzenfortsatzes,  sondern  der  ganze  Processus,  von 
der  Linea  temporalis  oder  wenigsten  der  Basis  ab  bis  zu  seiner  Spitze,  dem 
Ansätze  des  M.  Sternocleidomastoides,  dessen  nun  frei  zu  Tage  liegenden  sehnigen 
Ansatzfasern  praeparando  mit  dem  Messer  gegen  den  Knochen  zu  abgetragen 
werden,  völlig  freiliegt,  so  dass  man  also  die  ganze  Partie  übersehen  und 
umgreifen  kann;  nach  vorne  insbesondere  nach  oben  vorne  muss  das  Periost 
soweit  zurückgehebelt  werden,  dass  die  hintere  Circumferenz  der  knöchernen 
Meatuslichtung  mit  der  Spina  supra  meatum  zum  Vorschein  kommt.  Das  so  ab- 
gelöste Periost  wird  ebenfalls  in  die  Haken  gegeben  und  somit  aus  dem  Ge- 
sichtsfelde geschafft.  Bei  nicht  starker  Infiltration  der  Decke  wird  am  besten 
der  Hautschnitt  sofort  in  continuo  bis  auf  den  Knochen  geführt,  so  dass  also 
das  Periost  mit  durchtrennt  wird;  es  wird  hierdurch  nicht  unwesentlich  an 
Zeit  gespart. 

Von  jetzt  ab  richtet  sich  die  Art  und  Weise,  wie  wir  vorzugehen  haben, 
nach  der  jeweiligen  Beschaffenheit  der  Knochenoberfläche.  Finden  wir  die- 
selbe verfärbt,  graublau  oder  gelbbraun,  mit  einem  oder  (selten)  mehreren 
Fistelgängen  durchsetzt,  die  Corticalis  in  der  Oberfläche  arrodirt  oder  durch- 
brochen, so  sind  uns  zunächst  die  Wege  zum  Eingriff  schon  von  der  Xatur 
aus  vorgeebnet  und  vorgezeichnet.  Es  wird  die  Sonde  zur  Leitung  in  den 
Fistelcanal  eingeführt,  die  bereits  morsche  Knochendecke  mit  einigen  flachen 
Hohlmeisselschlägen  abgehoben,  und  es  werden  nun  zunächst  alle  Granula- 
tionen, die  hier  meist  sehr  üppig  als  röthlich  graue  oder  gelbliclu'othe  weiche 
Massen  den  Knochen  und  die  Hohlräume  in  der  verschiedensten  Ausdehnung 
durchsetzt  haben,  sowie  die  nekrotischen  Knochenstückchen  fest  und  energisch, 
und  doch  dabei  vorsichtig  mit  dem  scharfen  Löffel  ausgeschabt,  bis  der  Löffel 


718  WAEZENFORTSATZOPERATIONEN. 

Überall  den  Ton  des  harten  gesunden  Knochens  erkennen  lässt  und  das  Weiter- 
kratzen an  dem  Widerstände  des  gesunden  Knochens  scheitert.  Eiter  entleert  sich 
häufig  zu  gleicher  Zeit  mit  den  Granulationen,  oft  folgt  er  ihnen  erst  aus  der 
Tiefe,  dem  Antrum,  her  nach.  Zuweilen  finden  sich  aber  auch  lediglich  Granula- 
tionen in  deu  Zellräumen,  die  übrigens,  wie  wir  bald  sehen  werden,  durchaus 
nicht  verwechselt  werden  dürfen  mit  der  geschwollenen  Schleimhautausklei- 
dung der  W^arzenzellen.  Dass  natürlich  auch  hier,  besonders  wenn  man  ein- 
mal über  1 V2  cm  weit  vorgedrungen  ist,  immer  grösste  Vorsicht  bei  Führung 
des  Instrumentes  geboten  ist,  versteht  sich  von  selbst,  sonst  kann  es  Einem 
bei  morschen  Knochen  passiren,  dass  man  bei  starkem  Drucke,  ehe  man  sich's 
versieht,  in  der  mittleren  Schädelgrube  sitzt  oder  in  den  Sinus  transversus 
hineingeräth.  Insbesondere  ist  bei  Operationen  an  kindlichen  Schädeln  (bis 
zum  fünften  Jahre)  hier  grosse  Vorsicht  nöthig  und  jedes  gewaltsame,  rohe 
Vordringen,  wie  überhaupt,  dringendst  zu  widerrathen.  Ausser  dem  Löfiel 
ist  dann  noch  als  zweites  Instrument  die  Hohlmeisselzange,  die  zweckmässig 
für  diese  Operation  eine  passende  Modification  erfährt,  indem  sie  schlanker 
und  schmäler  gebaut  ist  als  die  sonst  üblichen,  in  Anwendung  zu  ziehen; 
durch  sie  werden  alle  Kanten  und  Ecken  fortgenommen,  so  dass  eine  gleich- 
massig  breite,  grosse  leicht  zugängliche  Höhle  geschaffen  ist.  Sehr  häufig 
hat  der  so  geschaffene  Hohlraum  die  Grösse  eines  ganzen  Daumengliedes  bei 
einer  Tiefe  von  Tö — 1"8  bis  2*0  cw;  zuweilen  muss  auch  der  Substanzverlust 
noch  bedeutend  grösser  gemacht  werden,  wenn  z.  B.  der  ganze  Warzen- 
fortsatz von  der  Spitze  bis  zur  Basis  und  darüber  hinaus  sich  nicht  gesund 
erweist. 

Unter  allen  Umständen  soll  womöglich  der  die  Circnmferenz  des  Opera- 
tionscanales bildende  Knochen  absolut  gesund  sein,  es  muss  also,  wo  es  nur 
immer  angeht,  etwa  ein  mm  weit  noch  die  g  e  s  u  n  d  e  Knochensubstanz  überall 
mit  abgetragen  werden. 

Sehr  wichtig  ist  es  nun,  auch  sich  über  den  Zustand  des  Antrums  und 
des  Aditus  ad  antrum,  des  Ganges  vom  Antrum  in  die  Paukenhöhle  zu  über- 
zeugen; sie  müssen  für  die  meisten  Fälle  offen  sein,  weil  die  offene  Com- 
munication  der  Warzenhöhle  mit  dem  Paukenraum  und  durch  diesen  wieder 
vermittelst  des  perforirten  Trommelfells  mit  dem  Meatus  von  absoluter  Be- 
deutung für  einen  günstigen  Heilverlauf  ist  und  weil  das  Antrum  fast  regel- 
mässig gleichzeitig  mit  dem  Cavum  tympani  und  dem  Recessus  epitympani(?us 
erkrankt  erscheint  und  gerade  durch  dieses  der  Uebergang  auf  die  anderen 
Warzenzellen  erfolgt.  Es  ist  auf  jeden  Fall  nothwendig,  das  Antrum  und 
seinen  Aditus  mit  kleineren  Meissein  und  scharfen  Löffeln  gehörig  frei  zu 
legen. 

Früher  spülte  man  mit  einer  lauwarmen  antiseptischen  Lösung 
unter  leichtem  Drucke  von  hinten  nach  vorne  durch,  so  dass  das  Spritz- 
wasser zum  Gehörgange  abfloss;  das  ist  das  absolut  sichere  Zeichen  der  com- 
pleten  Communication.  Seit  neuerer  Zeit  sind  aber  diese  Spülungen  grund- 
sätzlich so  ziemlich  allgemein  aufgegeben,  weil  erfahrungsgemäss  durch  sie 
sehr  häufig  geschadet  werden  kann. 

Jetzt  geht  man  einfach  mit  der  gebogenen  Sonde  von  dem  eröffneten 
Antrum  aus  in  den  Gang  und  erweitert  ihn,  wo  er  zu  schmal  ist,  mit  Löffel, 
Meissel  und  Zange. 

Ist  die  Corticalis  an  einer  oder  mehreren  Stellen  von  Fisteln  durch- 
brochen, so  müssen  auch  diese  natürlich  gehörig  erweitert  und  ausgelöffelt 
werden.  Häufig  führen  solche  Fistelgänge  nach  hinten  oder  hinter  und 
ober  dem  Warzenfortsatze  zu  einem  extraduralen  Abscess;  in  diesen  Fällen 
macht  sich  bei  der  Dilatation  der  Fistel  meist  eine  verhältnismässig  sehr 
grosse  Menge  Eiters  bemerkbar,  der  oft  unter  stärkerem  Drucke  herausläuft. 
Sobald  sich  etwa  ein  Kaffeelöffel  voll  Eiter  oder  mehr  entleert  aus  der  Tiefe, 


WARZENFORTSATZOPERATIONEN.  719 

ist  der  Verdacht  auf  einen  epiduralen  Abscess  sehr  gross  und  es  muss  in 
diesen  Fällen  sorgfältig  dem  Fistelcanal  nachgegangen  und  das  Abscessgebiet 
längs  der  eingeführten  Sonde  mit  Meissel  und  Zange  möglichst  breit  in  Form 
einer  länglichen  Knochenrinne  eröffnet  werden. 

Somit  ist  diese  Art  des  operativen  Eingriffes  nach  genügender  Ausscha- 
bung der  Höhle  beendet  und  es  erübrigt  nur  noch  eine  sehr  sorgfältige 
gründliche,  bis  in  die  letzte  Fuge  des  Aditus  ad  antrum  hinein  ausgeführte, 
Toilette  und  Glättung  des  ;  Knochendefectes  mittelst  scharfen  Löffels  und 
Zange.  Nachbehandlung  folgt  bei  der  zweiten,  jetzt  zu  erörternden  Operations- 
methode. 

Finden  wir  nach  Abhebung  des  Periostes  den  Knochen  dagegen  nur 
wenig  verändert  oder  von  vorläufig  normalem  Aussehen,  gelblichweiss  und 
von  gewöhnlich  derber  Consistenz,  oder  ist  die  Corticalis  besonders  hart, 
sklerosirt,  so  tritt  jetzt  die  Aufgabe  an  uns  heran,  einen  Weg  in  den  Knochen 
zu  bahnen,  die  typische  Aufmeisselung  des  Antruras  vorzunehmen. 
Der  Ort  hiefür  ist  an  der  Basis  des  Warzenfortsatzes.  Bedingung  ist  natür- 
lich das  völlige  Freipräparirtsein  des  ganzen  Warzenfortsatzes  —  zu  suchen, 
etw^a  wenn  wir  den  Warzenfortsatz  durch  eine  senkrechte  und  durch  eine 
wagrechte,  gerade  die  Basis  in  der  Mitte  durchquerende  Linie  in  4  Segmente 
getheilt  denken,  an  der  Kreuzungsstelle  des  vorderen  obern  und  vordem 
untern  Quadranten;  es  entspricht  das  den  bereits  früher  angegebenen  Marka- 
tionslinien. 

Als  Orientirungspunkte  können  uns  weiter  da,  wo  sie  ausgesprochen 
sind,  die  Linea  temporalis  und  die  Spina  supra  meatum  dienen,  da 
sich  das  Antrum  fast  durchgehends  etwas  über  der  Höhe  der  hinteren  oberen 
Gehörgangswand  oder  in  gleicher  Flucht  mit  ihr,  aber  ungefähr  3—8  mm, 
durchschnittlich  4—5  mm  weit  nach  rückwärts  von  dem  Rande  der  hinteren 
oberen  Meatuspartie  findet. 

Ausserdem  haben  wir  in  einer  sehr  grossen  Anzahl  der  Fälle  auch  noch 
einen  Anhaltspunkt  an  den  sogenannten  Gefässlöchern;  es  sind  das  etwa 
2 — 5  haarfeine,  den  Knochen  durchsetzende  Lücken,  die  sich  eben  gerade  an 
der  Basis,  an  der  fraglichen  Stelle,  sichtbar  machen.  Sie  fehlen  gemeiniglich 
nur  bei  hochgradiger  sklerotischer  Verdickung  der  Corticalis  oder  bei  totaler 
Hyperostose  des  Processus. 

An  dieser  Stelle  nun,  hart  unterhalb  der  Linea  temporalis  und  4  mm  von 
Gehörgange  nach  rückwärts,  muss  der  Canal  in  den  Knochen  geführt  w^erden, 
und  zwar  wird  zunächst  die  Basis  desselben  angelegt,  indem  wir  mit  dem 
grössten  Hohlmeissel  eine  rundliche  oder  ovale  Grube  von  mindestens  V2  bis 
1"6  cm  in  der  Corticalis  aushöhlen.  Immer  ist  eine  möglichst  grosse  Eingangs- 
und Anfangsöffnung  fertigzustellen.  Der  Meissel  wdrd  dabei  immer  ziemlich 
schief,  aber  immer  so,  dass  er  gut  noch  eingreifen  kann,  eingesetzt  und  nun 
werden  durch  kurze  Hammerschläge  die  Knochenschalen  ausgehoben.  Dabei 
muss  aber  vom  ersten  Anfang  auf  die  künftige  Richtung  des  Knochencanales. 
resp.  Kegels  genauestens  geachtet  werden;  er  muss  immer  beinahe  pa- 
rallel der  Gehörgangsachse  mit  einerkleinen  Neigung  zuihr 
hin  verlaufen,  so  dass  der  Meissel  von  aussen,  hinten  und  oben 
nach  vorne,  unten  und  innen  wirken  soll.  Da  ist  die  einzig  sichere 
und  ungefährliche  Richtungslinie,  denn  wenn  der  Meisselschlag  nach  hinten 
gerichtet  wäre,  so  könnte  in  der  Tiefe  sehr  leicht  der  Sinus  transversus  er- 
öffnet werden,  oder  wenn  er  gerade,  wagrecht  nach  innen  ginge,  so  würde 
die  mittlere  Schädelgrube  freigelegt  unabsichtlich  werden  können. 

Wenn  die  Mulde  so  ungefähr  auf  V2 — Vi  <^^'^  Tiefe  mit  dem  breiten 
Meissel  angelegt  ist,  w^erden  die  schmäleren  Meissel  zur  Hand  genommen  und 
successive  langsam  Knochenschale  für  Knochenschale  abgetragen,  so  dass 
ein  trichterförmiges  Loch  im  Knochen  entsteht,  dessen  Spitze  in  dem  Antrum 
liegen  muss. 


720  WARZENFORTSATZOPERATIONEN. 

Gewöhnlich  treffen  wir  auf  dieses  in  einer  Tiefe  von  1"0  bis  1"5  cm^  und 
zwar  kommen  wir  entweder  unmittelbar  plötzlich,  nachdem  der  Knochen 
vorher  noch  fest  gewesen  war,  in  die  Höhle,  oder  es  wird  der  Knochen  mehr 
und  mehr  morsch  verfärbt,  bis  wir  allmählich  eintreten.  Ist  das  Antrum  er- 
öffnet, so  ergiesst  sich  jetzt  z.  B.  bei  reinen  Empyemen  eine  Quantität  Eiters 
oder  bei  Caries  stossen  wir  auf  Granulationen  neben  Eiter  oder  sequestrirten 
Knochenstückchen. 

Diese  werden  mit  dem  scharfen  Löffel  gehörig  entfernt  und  nun  weiter 
die  Höhle  mit  Hohlmeisselzange  und  Meissel  womöglich  allseitig  bis  in  die 
Tiefe  so  erweitert,  dass  zwischen  der  Circumferenz  der  oberen  Oettnung  und 
der  im  Antrum,  resp.  dessen  Aditus  entstandenen  keine  zu  grosse  Differenz  mehr 
sein  soll,  dass  also  mithin  der  erstere  gelegte  Knochentrichter  in  einen  breiten 
stumpfen  Kegel  oder  besser  noch  beinahe  in  einen  Cylinder  umgearbeitet  er- 
scheint. Selbstverständlich  muss  auch  hier  die  Operationsgrenze  überall  im 
gesunden  Knochen  liegen,  sowie  der  Aditus  ad  antrum  in  der  früher  be- 
schriebenen Weise  womöglich  breit  zugänglich  gemacht  wird. 

Finden  sich  bei  näherem  Zusehen  ausser  dem  Antrum  auch  noch  die 
anderen  Zellen  erkrankt  —  und  gar  nicht  so  selten  sehen  wir  sämmtliche  Hohl- 
räume ausgefüllt  mit  wohl  charakterisirtem  Eiter,  auch  ohne  dass  zugleich 
cariöse  Einschmelzung  der  Septen  zu  bestehen  braucht,  ja  sogar  die  pneuma- 
tischen Räume  nach  oben  und  nach  vorne  bis  in  die  regio  zygomatica  können 
von  Eiter  erfüllt  sein  —  so  müssen  sie  selbstverständlich  ebenfalls  mit  herein- 
gezogen werden.  Zuweilen  ist  dies  auch  der  Fall  da,  wo  sich  eine  Eiterung  in 
den  an  der  Spitze  des  Warzenfortsatzes  gelegenen  Hohlräumen  zunächst  etablirt 
hat.  Hier  kann  man,  wenn  man  den  Eiterherd  gleich  zuerst  an  der  Spitze 
bemerkt  hat,  auch  zunächst  von  der  Spitze  aus  eindringen  bis  nach  oben,  im 
Allgemeinen  aber  ist  es  immer  räthlich,  den  Warzenfortsatz  von  oben  nach  unten, 
dann  aber  in  toto,  abzutragen.  Die  Spitzenzellen  allein  aufzumachen,  ohne 
das  Antrum  freizulegen,  ist  nicht  anzurathen,  da  dasselbe  doch  meist  mit- 
erkrankt ist  und  dann  später  eine  Secundär-Operation  nothwendig  w^erden 
würde. 

Es  ist  nicht  lange  vorher  des  Umstandes  Erw^ähnung  gethan  worden, 
dass  die  Schleimhaut  der  Warzenzellräume  oft  hochgradig  geschwellt  er- 
scheint und  dem  ungeübten  Auge  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  Granulationen 
imputirt.  Wir  finden  so  in  Fällen,  in  welchen  noch  durchaus  keine  cariöse 
Einschmelzung  der  Knochensepten  stattgefunden  hat,  die  luftleer  gewordenen 
Hohlräume  ausgefüllt  mit  einer  braunrothen  oder  rothen,  gequollenen,  sehr 
hyperämischen  Mucosa  bei  weichem,  blutreichem  Knochen.  Bei  härteren, 
blassen  Knochen,  ebenfalls  oft  noch  ohne  Zeichen  cariöser  Arrosion  sieht  sich 
die  Schleimhaut  der  luftleeren  Zellräume  mehr  grauweiss  oder  leicht  grauroth  an. 

Bei  sklerotischem  Knochen  wird  die  Operation  oft  erschwert,  einmal 
durch  die  elfenbeinharte  Consistenz  des  Knochens  selbst,  dessen  früher  luft- 
haltige Hohlräume  entweder  ganz  oder  nahezu  gänzlich  aufgehoben  und  durch 
Knochen,  elfenbeinharte  eburneisirte  Knochen  ersetzt  worden  sind,  weiter- 
hin durch  das  Fehlen  der  als  Anhaltspunkte  dienenden  Gefässlöcher  und  end- 
lich durch  die  meist  sehr  tiefe  Lage  des  Antrum,  das  noch  dazu  hier  oft 
ziemlich  verengert  und  kleiner  gew^orden  ist;  bei  Hyperostose  der  Pars  ma- 
stoidea  treffen  wir  die  Haupthöhle  oft  erst  bei  TS  bis  2-0  cm  an  und  über 
2*25  cm  vorzugehen,  —  ausgenommen  bei  der  Radicaloperation  —  ist  eine 
ziemlich  missliche  Sache  wegen  der  jetzt  möglicherweise  leicht  eintretenden 
schweren  Nebenverletzungen.  Ist  in  der  Tiefe  die  Höhle  noch  nicht  zum  Vor- 
schein gekommen,  vorausgesetzt  die  richtige  Richtung  des  Operationscanales, 
so  ist  sie  eben  wahrscheinlich  obliterirt. 

Eventuell  vorhandene  Fistelgänge  müssen  in  der  früher  angegebenen 
Weise  ausgearbeitet  werden. 


WARZENFORTSATZOPERATIONEN.  721 

Ist  nun  so  alles  Krankhafte  aus  dem  Knochen  entfernt,  so  erübrigt  jetzt 
noch  in  geeigneten  Fällen  weiter  die  relative  Deckung  des  im  Gesunden 
liegenden  Substanzverlustes.  Zu  diesem  Zwecke  ziehen  wir  das  zurückge- 
schobene Periost  wieder  hervor,  spalten  es  eventuell  noch  auf  beiden  Seiten 
in  der  Quere  und  tamponiren  es  dann  in  den  Kuochenkegel  hinein.  Von  der 
äusseren  Haut  nebst  Weichtheilen  wird  ebenfalls,  wenigstens  ist  dies  in  manchen 
Fällen  rathsam,  noch  ein  Stück  in  derselben  Weise  über  das  Periost,  Avenigstens 
auf  eine  gewisse  Strecke  der  Höhlung  hin,  hineingeschlagen,  so  dass  also 
die  im  Gesunden  liegende  Höhle  zum  wenigsten  in  ihrer  directen  Umgebung 
möglichst  mit  gesundem  Periost  und  gesunder  Oberhaut  austapezirt  ist.  Selbst- 
verständlich lässt  sich  diese  Implantation  nur  dann  anwenden,  wenn  alles 
Kranke  entfernt  ist.  Hiedurch  wird  der  Heilverlauf  sehr  günstig  beeinäusst, 
insbesondere  die  oft  lange,  sich  hinausziehende  Nachbehandlung  wesentlich 
abgekürzt,  ohne  dass  jedoch  zu  irgend  einer  Zeit  dem  nothwendigen  even- 
tuellen Secretabfluss  ein  Hindernis  entgegenstehen  würde.  Es  gilt  dies  na- 
türlich nur  für  gesundes  Periost  und  nicht  infiltrirte   Weich th eile  mit  Haut. 

Es  ist  also,  wenn  irgend  möglich,  schon  hier  bei  der  einfachen  breiten  Auf- 
meisselung,  die  Implantirung  der  Haut-Periostlappen  dringendst  und  wärmstens 
anzuempfehlen.  Eine  Vernähung  der  Hautwunde  erfolgt  hier  natürlich  nicht,  nur 
wenn  Secundärschnitte  ausgeführt  worden  sind,  werden  diese  durch  die  Naht 
vereinigt.  Indes  dürfen  wir  uns  durchaus  nicht  engherzig  in  dieser  Frage  der 
Deckung  verhalten;  sehr  häufig  erreichen  wir  das  gleiche  Resultat  ohne  Im- 
plantirung, resp.  Inversion,  durch  die  einfache  Granulationsbildung  bei  breit 
aufbleibender  Wundöffnung. 

Der  Verband  der  Wunde  folgt,  nachdem  der  Kegel  im  Knochen  noch 
gut  mit  Gaze  austamponirt  ist,  in  gewöhnlicher  Weise,  a-  oder  antiseptisch;  es 
bleibt  der  erste  Verband  womöglich  6  —  8  Tage  liegen.  Selbstverständlich  muss 
auch  der  Meatus  mit  einem  Gazestreifen  bis  in  die  Pauke  hinein  ausgefüllt 
werden.  Bezüglich  der  Nachbehandlung  ist  zu  bemerken,  dass  die  Tamponade 
des  Canales  immer  sehr  sorgfältig  zu  geschehen  hat.  Spülungen  nehme  ich 
seit  neuerer  Zeit  nie  mehr  vor,  ebenso  wie  ich  auch  nach  Beendigung  der 
Operation  im  Allgemeinen  keine  Durchspülung  mehr  vornehme.  Es  kommt 
die  Knochenhöhle  entschieden  früher  und  schöner  zur  Ausheilung  als  bei  dem 
Spritzverfahren  und  ist  ein  zu  frühzeitiger  Schluss  bei  vollständiger  Inne- 
haltung aller  obgenannten  Punkte  keineswegs  zu  befürchten.  Das  Haupt- 
gewicht ist  zu  legen  auf  die  Ueberwachung  der  Granulationsbildungen,  die 
bald  sehr  üppig  emporzuschiessen  pffegen;  sie  müssen  am  besten  durch  wieder- 
holte Aetzungen  mit  Chromsäure  im  Schach  gehalten  werden.  Später,  etwa 
von  der  dritten  Woche  ab,  ist  es  nicht  unzweckmässig,  Einblasungen  von  Acid. 
boric.  und  Acid.  salicyl.  ää  in  den  Wundcanal  hinein  auszuführen;  immer  aber 
ist  eine  gute  Tamponade  unerlässlich,  und  der  Wundcanal  darf  sich  erst 
schliessen,  wenn  aus  dem  Meatus  auch  bei  genauester  Untersuchung  kein 
Secret  mehr  entfernt  werden  kann. 

Früher  legte  ich  entweder  gleich  nach  der  Operation,  oder  wenn  der 
Canal  zu  granuliren  anfing,  Dauercanülen  von  der  Form  modificirter  Ohr- 
trichter,  wie  ich  sie  früher  angab,  ein  oder  benützte  auch  den  ScHWARTZE"schen 
conischen  Bleinagel.  Das  musste  schon  der  immer  wieder  vorzunehmenden 
Durchspülungen  vom  Antrum  in  den  Gehörgang  und  vice  versa  wegen  ge- 
schehen. 

So  kommt  die  Erkrankung  gewöhnlich,  nachdem  vorher  schon  die 
Secretion  aus  dem  Mittelohre,  respective  der  Paukenhöhle,  eventuell  noch 
durch  locale  Nachhilfe  (Pulvereinblasungen  bei  grosser  Lücke,  Tamponade  bis 
in  die  Trommelhöhle  hinein  etc.)  zum  Sistiren  gebracht  worden  ist,  schon 
nach  2,  4,  zuweilen  allerdings  erst  in  6 — 10  Wochen  zur  Ausheilung;  früher 
brauchten  wir  manchmal  ebenso  viel  Monate. 

Ohren-,  Nasen-,  Kachen-,  Kehlkopfkrankheiten.  "Ao 


722  WARZENFORTSATZOPERATIONEN. 

Die  acuten  Fälle  gelangen  meist  relativ  früh  zur  Heilung,  während  die 
chronischen  durchschnittlich  immer  einen  erheblich  längeren  Zeitraum  in  An- 
spruch nehmen.     Hier   tritt  dann  auch  die    Radicaloperation  in  ihre   Rechte. 

In  sehr  seltenen  Fällen  kommt  es  vor,  dass  man  sich  während  der  Ope- 
ration überzeugen  muss,  dass  der  Sinus  transversus  sehr  tief  gegen  den  Pro- 
cessus vorgebaucht  ist.  Es  kann  hier  das  Terrain  dadurch  so  schmal  werden, 
dass  es  fast  unmöglich  scheint,  ohne  Verletzung  des  Sinus  von  der  Corticalis 
her  ins  Antrum  zu  dringen.  Für  solche  Fälle  ist  der  Vorschlag  gemacht  worden, 
die  Eröffnung  des  Antrums  von  der  hinteren  Gehörs gangs wand 
aus  vorzunehmen.  Es  darf  dieses  Verfahren  immer  nur  als  Ausnahme  gelten, 
nie  soll  die  Eröffnung  grundsätzlich  allein  vom  Gehörgange  aus  vorge- 
nommen werden,  erstens  weil  die  Methode  durchaus  nicht  s  o  sicher  ist  wie  die 
andere,  dann  wegen  des  leichteren  Eintretens  von  Nebenverletzungen,  und 
schliesslich  kommt  es  oft  vor,  dass  die  Oeffnung  im  Gehörgange  nicht  genügt, 
und  dann  doch  noch  die  Aufmeisselung  von  aussen  gemacht  werden  muss. 
Also  bloss  für  die  rubricirten  Fälle  von  abnormer  anatomatischer  Lagerung 
könnte  sie  Geltung  haben.  Im  Allgemeinen  werden  wir  dieses  Verfahren  aber 
trotz  der  jeweiligen  Sachlage  der  regulären  Eröffnung  nachsetzen,  weil  wir 
bei  einiger  Vorsicht,  doch  meist  zum  Ziele  kommen  können  und  dann  eben 
nicht  bloss  die  Garantie  der  richtigen  Eröffnung,  sondern  auch  die  absolute 
objective  Uebersicht  über  das  Krankheitsgebiet  haben. 

Zum  Schlüsse  dieser  oben  geschilderten  typischen  Eröffnung  des  Warzen- 
fortsatzes nach  ScHWARTZE  haben  wir  nur  noch  der  eventuellen  üblen  Zu- 
fälle zu  gedenken,  die  während  der  Operation  eintreten  können.  Uebrigens 
setzt  uns  nun  das  STACKE'sche  Verfahren  völlig  über  die  Eventualität  der 
Vornahme  dieser  Methode  weg. 

Die  Verletzungen  der  A.  auricularis  posterior  hat,  wie  bereits  gesagt, 
nicht  viel  zu  bedeuten;  sie  kann  immer  gefasst  oder  umstochen  werden, 
jedoch  ist  einmal  die  Bildung  eines  Aneurysmas  auf  die  Durchschneidung 
gefolgt. 

Uangenehmer  ist  schon  die  unfreiwillige  Eröffnung  des  Sinus  trans- 
versus, die  besonders  dann  leicht  passirt,  wenn  der  Meissel  nach  hinten 
wirkt,  ausgleitet  oder  wenn  man  mit  dem  scharfen  Löffel  auf  ein  etwas 
morsches  Knochenstück,  das  noch  die  letzte  Decke  bildet,  zu  stark  und  un- 
vorsichtig drückt.  Uebrigens  geht  auch  dieser  Zufall  meist  ohne  weitere 
Folgen  ab.  Man  darf  sich  nur  nicht  in  dem  Augenblicke,  in  dem  der  finger- 
dicke lange  Strahl  dunkeln,  schwarzen  Blutes  Einem  entgegenspritzt,  ver- 
blüffen lassen;  ruhigen  Blutes  sofort  den  Finger  auf  die  Oeffnung  gesetzt  und 
rasch  einen  Gazestreifen  fest  in  die  Lücke  hinein  tamponirt,  dann  ist  die 
Gefahr  meist  schon  beseitigt.  Mir  ist  es  vor  etlichen  Jahren  passirt,  dass  ich  den 
Sinus  unfreiwillig  mit  dem  Löffel  einriss,  aber  die  Blutung  stand  sofort 
und  auf  die  Dauer.  Heilung  in  acht  Tagen.  Dass  natürlich  die  Operation, 
wenn  sie  noch  nicht  beendet  ist,  nicht  mehr  weiter  geführt  werden  kann  pro 
momento,  versteht  sich  von  selbst.  Nach  zehn  Tagen  wird  der  Tampon  abge- 
nommen, die  Sinuswunde  ist  dann  meist  geheilt  und  die  Operation  kann, 
wenn  nöthig,  jetzt  fortgesetzt  werden.  Jedenfalls  hat  die  einfache  Verletzung 
nicht  so  sehr  viel  Bedeutung,  wenn  ihr  rechtzeitig  zu  Leibe  gegangen  wird; 
anders  liegen  die  Verhältnisse,  wenn  durch  die  Eröffnung  eventuell  septische 
Keime  mit  eingeschleppt  wurden.  Es  mag  aber  hier  bemerkt  sein,  dass  in 
allerdings  seltenen  Fällen  durch  Aspiration  von  Luft  und  daraus  entstehende 
Luftembolie  der  sofortige  Exitus  herbeigeführt  werden  kann,  wie  z.  B.  ein 
Fall  von  Kuhn  lehrt. 

Auch  stärker  entAvickelte  Emissarien  können  zu  unangenehmen 
venösen  Blutungen  Veranlassung  geben;  auch  sie  stehen  auf  Einstopfen  eines 
sehr  feinen  Streifens. 


WARZENFORTSATZOPERATIONEN.  723 

Auch  die  Eröffnung  der  Schädelgrube  hat  so  lange  keine  tiefere 
Bedeutung  als  die  Dura  und  das  Gehirn  nicht  verletzt  worden  ist.  Nur  muss 
beim  Verbandwechsel  gut  Acht  gegeben  werden  wegen  der  Verklebungen,  und 
dürfen  keine  Knochensplitter  im  Wundcanale  sich  befinden. 

Der  Facialis  kann  unter  Umständen  nicht  selten  Gefahr  laufen,  ver- 
letzt zu  werden.  In  dieser  Beziehung  ist  besonders  gefährlich  die  Gegend  des 
Foramen  stylomastoideum  in  Fällen,  wo  man  so  weit  vordringen  muss  nach 
unten,  und  in  der  oberen  Partie  die  Region  der  lateralen  Antrumwandung. 
Es  macht  sich  die  leiseste  Berührung  des  Nerven  sofort  bemerkbar  durch  das 
sichtbare  Facialiszucken,  und  es  kann,  falls  man  Acht  hat,  so  eine  Verletzung 
noch  im  letzten  Momente  vermieden  werden.  Ist  der  Nerv  bloss  lädirt  worden, 
so  kann  sich  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  der  Dauer  der  Parese  die 
Leitung  wieder  herstellen;  ist  er  aber  ganz  durchschnitten,  so  bleibt  im  An- 
schlüsse an  die  starke  rissartige  Zuckung  die  Lähmung  oft  eine  dauernde,  com- 
plete,  muss  es  aber  nicht  immer  bleiben;  so  erinnere  ich  mich  eines 
Falles,  in  welchem  ein  Stück  von  nahezu  ^/4  cm  Länge  aus  dem  Facialis  aus- 
geschnitten wurde  und  trotzdem  war  nach  etlichen  Monaten  die  normale 
complete  Lähmung  nahezu  vollständig  zurückgegangen.  Uebrigens  braucht 
sich  die  Parese  nicht  sofort  einzustellen,  sie  kann  sich  manchmal  erst  nach 
Tagen  oder,  wie  Schwartze  sah,  nach  einigen  Wochen  bemerkbar  machen. 
Die  letzte  der  Eventualitäten  ist  die  beim  tiefen  Vordringen  nach  innen  ent- 
stehende Labyrinthverletzungen,  speciell  des  äusseren  Halbzirkel- 
€  anal  es.  Die  Folgen  sind  sehr  bald  in  die  Augen  fallende:  hochgradige 
Coordinationsstörungen,  Abfluss  von  Liquor,  sehr  starker  Schwindel  und  Taub- 
heit. Eiterige  Labyrinthentzündung  kann  sich  daran  schliessen  und  durch 
Consecutivraeningitis  den  Exitus  herbeiführen. 

Als  letzte  Art  der  operativen  Eröffnung  haben  wir  nun  die  sogenannte 
Radicaloperation,  bei  welcher  aus  Paukenhöhle,  inbegriffen  insbesondere 
den  oberen  Paukenraum,  {Recessus  epitympanicus),  aber  auch  den  unteren 
Paukenraum  {Recessus  hypotympanicus),  Antrum  mastoideum  und  Gehörgang 
eine  gemeinsame  Kunsthöhle  geschaffen  wird.  Zu  diesem  Zwecke  ist  es  noth- 
wendig,  nicht  bloss  den  Warzenfortsatz  sammt  Antrum  breit  zu  eröffnen, 
sondern  auch  die  hintere  Gehörgangswand,  sowie  auch  die  den  Recessus  epi- 
tympanicus und  hypotympanicus  deckenden  Partien  der  oberen  und  unteren 
Gehörgangswand,  meist  natürlich  mit  sammt  dem  Trommelfell  zu   entfernen. 

Es  kommt  diese  Operationsmethode  lediglich  bei  den  chronischen  Mittel- 
ohreiterungen zur  Verwendung,  gerne  bei  den  mit  Cholesteatombildung  ein- 
hergegangenen, aber  auch  bei  allen  andern,  die  sich  durch  systematische  und 
medicamentöse  Behandlung  und  kleinere  locale  Eingriffe  (Extraction  der 
Gehörknöchelchen  etc.)  nicht  heilbar  erwiesen  haben,  eventuell  nach  früherem 
Vorausgange  der  einfachen  Eröffnung. 

Die  Anfänge  dieser  Operationsmethode  basiren  auf  den  Arbeiten  von 
WoLFF  und  KtJSTER  über  die  Behandlung  von  Eiterungen  in  starrwandigen 
Höhlen,  wurden  von  Küster  selbst  und  dann  von  Zaufal  in  erster  Linie  auf 
die  Behandlung  der  chronischen  Mittelohreiterung  übertragen.  Lucae  und 
sein  Schüler  Jansen  arbeiteten  w^eiter  an  ihr,  aber  Stacke,  einem  Schüler 
Schv^artze's  blieb  es  vorbehalten,  die  Methode  in  die  Bahnen  zu  lenken,  die 
wir  in  der  Neuzeit  bei  der  operativen  Behandlung  der  alten  Ohreiterungen 
zu  betreten  haben. 

Die  Ausführung  der  Operation  geht  in  folgender  Weise  vor  sich: 

Der  Hautschnitt  verläuft,  unterhalb  der  Spitze  des  Warzenfortsatzes  ein- 
setzend, sich  längs  der  Insertionslinie  der  Ohrmuschel  hinziehend,  hart  neben 
derselben  haltend,  bis  über  die  obere  Ansatzpartie  der  Muschel  in  die  Tem- 
poralgegend,   umzieht    also     die    ganze    Ohrmuschel    von     hinten     her    im 

46* 


24  WARZENFORTSATZOPERATIONEN. 

BogeDSchnitte.  Unten  geht  der  Schnitt  womöglich  gleich  durch  Haut  und 
Periost,  oben  kann  man  die  Fasern  des  M.  temporalis  und  die  A.  tem- 
poralis  oft  schonen,  wenn  man  den  Schnitt  bloss  auf  die  Fascie  laufen  lässt 
oft  aber  ist  es,  da  sich  anders  die  absolut  nothwendige  Beweglichkeit  sonst 
nicht  herstellen  lässt,  unumgänglich,  die  Fasern  des  Muskels  auch  noch  zu 
durchtrennen,  eventuell  kann  die  Temporalis,  wenn  sie  in  den  Schnitt  kommt, 
vorher  ligirt  und  dann  durchschnitten  werden. 

Nun  werden  mit  Rasparatorium  und  Elevatorium  die  Weichtheile  sammt 
dem  Periost  nach  vorne  zunächst  so  weit  vorgeschoben  und  abgehebelt,  bis 
die  ganze  hintere  und  obere  Circumferenz  des  knöchernen  Gehörganges  frei 
zu  Tage  liegt.  Jetzt  geht  man  mit  einem  schmalen  Gehörgangselevatorium, 
die  ganze  Muschelpartie  während  der  ganzen  Zeit  immer  stark  nach  vorne 
und  abwärts  drängend,  in  den  Meatus  und  schält  so,  sich  immer  gegen  den 
Knochen  haltend,  den  knorpeligen  Gehörgang  von  unten  her  beginnend  im 
Kreis  heraus,  bis  er  bloss  mehr  an  der  vorderen  und  unteren  Wand  hängt. 
Während  dieses  Abhebeins  reisst  die  innerste  Partie  der  Gehörgangsausklei- 
dung gewöhnlich  von  selbst  ein;  geschieht  es,  was  sehr  selten  der  Fall  ist, 
nicht,  so  muss  sie  direct  vor  dem  Trommelfell  abgeschnitten  werden  mit 
einem  kleinen  geknöpften  Messer.  Nun  ist  der  ganze,  häutig-knorpelige  Ge- 
hörgangstrichter ausgelöst  und  kann  die  Ohrmuschel  auf  die  Wange  hinüber- 
geklappt werden.  Es  erübrigt  nur  noch,  damit  der  Einblick  in  die  Tiefe 
nicht  gestört  ist,  die  Gehörgangswand  zu  spalten,  und  zwar  in  einer  Weise, 
dass  die  durch  die  Spaltung  sich  ergebenden  Weichtheillappen  zweckmässig 
zur  späteren  plastischen  Deckung  sich  gut  verwenden  lassen;  zugleich  muss 
durch  die  Lappenbildung  die  Möglichkeit  der  Nachbehandlung  nach  der 
Operation  durch  den  Gehörgang  allein  nach  Thunlichkeit  angestrebt  werden. 
Es  kann  dies  auf  verschiedenem  Wege  erreicht  werden:  die  einfachste  Methode 
besteht  in  einem  die  sämmtlichen  Weichtheile  (und  den  knorpeligen  Meatus) 
durchtrennenden,  längs  der  Richtung  der  hinteren  Gehörgangswaod  laufenden, 
bis  an  die  Muschel  selbst  reichenden  Schnitt.  Oder  man  führt  einen  Winkel- 
schnitt, indem  man  den  Schnitt  zwischen  der  hinteren  und  oberen  W^and  bis 
nach  vorne  laufen  lässt  und  dann,  je  nach  Belieben,  entweder  nach  oben  oder 
besser  nach  unten  zu,  in  nahezu  rechtem  Winkel  mit  einem  zweiten  Schnitte 
abzweigt  (Stacke).  Oder  aber  man  bildet  mittelst  zweier  parallel  laufender 
Schnitte  aus  der  oberen  und  hinteren  Gehörgangswand  einen  schmalen,  band- 
artigen, circa  6 — 7  mm  breiten  Hautknorpellappen  (Panse,  Köenee).  Im 
ersten  Falle  hat  man  zwei  dreieckige  Lappen,  im  zweiten  einen  je  entweder 
nach  oben  oder  unten  zu  aufzurollenden  grossen  breitbasigen  dreieckigen,  im 
dritten,  wie  gesagt,  einen  bandartigen  Streifen.  Ich  für  meine  Person  bevor- 
zuge gewöhnlich  die  ZAveite  Art  der  Lappenbildung,  weil  sie  eine  gute  Deckung 
gibt  und  leicht  die  Nachbehandlung  ermöglicht.  Es  ist  von  manchen 
Seiten  davor  gewarnt  worden,  die  Schnitte  bis  in  die  Knorpel  der  Muschel 
selbst  verlaufen  zu  lassen  wegen  der  Gefahr  einer  Perichondritis  der  Ohr- 
muschelpartien. Es  ist  diese  Warnung  gewiss  nicht  unberechtigt,  ob  schon 
ich  bis  jetzt  trotz  fast  regelmässiger  Führung  der  Schnittlinien  in  die 
knorpeligen  Partien  erst  einmal  chordeale  Reizung  gesehen  habe. 

Die  Schnitte  selbst  werden  entweder  mittelst  gerader  Scheere  oder 
Messer,  nachdem  eine  leicht  geöffnete  anatomische  Pincette  durch  den  Gehör- 
gang durchgeführt  ist  in  der  betreffenden  Längsrichtung,  oder  mittelst  einer 
starken,  in  Winkel  knieförmig  gebogenen  Scheere  ausgeführt. 

Die  gebildeten  Lappen  werden  nun  entweder  mit  Seidenfäden  oder 
Schieberpincetten  zurückgehalten,  nach  vorne  ein  grosser  mehrzinkiger  Wund- 
haken eingesetzt,  so  dass  die  Tiefe  des  Meatus  nach  sorgfältiger  Blut- 
stillung frei  übersichtlich  ist.  Falls  das  Periost  von  den  hinteren  W^arzenfort- 
satzpartien  noch  nicht   entfernt    ist,   wird    das   nun   noch    nachträglich   jetzt 


WARZENFORTSATZOPERATIONEN.  725 

gethan,  so  dass  das  ganze  Warzenfortsatzgebiet  nach  hinten  und  vorne  voll- 
ständig frei  liegt. 

Nachdem  nun  auch  die  hintere  Weichtheilpartie  in  den  Wundhaken 
«iügefasst  und  zurückgezogen  ist,  steht  jetzt  dem  Operateur  die  Wahl  der 
weiteren  Methode  zur  Radicaloperation  frei;  entweder  wird  nach  Stacke  von 
innen  nach  aussen,  oder  nach  Zaufal-Küsteii  von  aussen  nach  innen  die 
Bildung  der  gemeinsamen  Höhle,  aus  Pauke,  Meatus  und  Warzenfortsatz  be- 
stehend, vorgenommen.  Geht  man  nach  Stacke  vor,  so  wird  zunächst  der 
Rest  des  Trommelfells  entfernt,  sodann  die  vordere  Wand  des  Recessus  epitym- 
panicus,  in  welchen  Stacke  zum  Schutze  gegen  die  Verletzung  des  Steig- 
bügels seinen  Schützer  einführt,  mit  dem  Meissel  weggebrochen,  Hammer  und 
Amboss  ausgelöst,  eine  starke  gebogene  Sonde  in  den  Aditus  ad  antrum  ein- 
gelegt und  nun,  die  Sonde  als  Stützpunkt,  die  hintere  Gehörgangswand  in 
Form  eines  mit  der  Basis  nach  aussen  zu  sehenden  ungefähr  dreieckigen  Keiles 
successive  von  unten  nach  aussen  abgetragen,  bis  schliesslich  Antrum  masto- 
ideum,  Gehörgang  und  Pauke  eine  Höhlenmulde  bilden.  Dass  dabei  und  dar- 
nach alles  Krankhafte,  insbesondere  bei  den  cholesteatomatösen  Processen 
mit  scharfen  Löffeln  noch  entfernt  wird,  ist  ebenso  selbstverständlich,  wie  die 
sorgfältige  Glättung  der  Höhlenwandungen  und  das  vorsichtige  Abtragen  aller 
noch  eventuell  störenden  spitzigen  Kanten  und  Ecken. 

Das  gleiche  Resultat,  aber  auf  umgekehrtem  Wege,  also  von  aussen  nach 
innen,  erreichen  wir  nach  der  KtiSTER-ZAUFAL'schen  Methode.  Es  wird 
zunächst  wie  bei  der  einfachen  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  nach  Schwartze 
vorgegangen,  die  Corticalis  über  dem  Antrum  breit  abgetragen  und  das  An- 
trum selbst  freigelegt.  Nun  wird  eine  starke  gebogene  Sonde  durch  das 
Antrum  in  den  Aditus  und  die  Pauke  vorgeschoben  oder  es  wird  in  den 
Fällen,  in  welchen  sich  das  Antrum  mit  seinem  Aditus  von  aussen  her  noch 
nicht  leicht  feststellen  lässt,  der  Aditus  vom  Gehörgange  her  mit  der  Sonde 
aufgesucht,  indem  die  Sonde  von  innen  nach  aussen  eingreift.  Sodann  wird 
langsam  successive  die  Verbindungsbrücke  der  hinteren  Gehörgangsw^and  von 
aussen  nach  innen  mit  dem  Meissel  abgetragen,  ebenfalls  wieder  in  Form 
eines  mit  der  Basis  nach  aussen  zu  liegenden  dreieckigen  Keiles;  dabei  dient 
ebenfalls  wieder  die  vorher  durch  das  Antrum  eingeführte  Sonde  als  Stütze 
und  besonders  als  Schutz  für  die  unmittelbar  hinter  ihr  liegende  Facial- 
und  Bogenganggegend.  Bei  der  Wegnahme  der  unteren  Theile  der  hinteren 
Gehörgangswand  soll  die  innerste  Partie  der  Wand  in  Form  einer  leicht 
devierten  Leiste  geschont  werden  wegen  des  Nerv,  facialis.  Ist  so  durch 
W^egfall  der  hinteren  Gehörgangswand  die  breite  Communication  der  Warzen- 
höhle mit  der  Pauke  geschaffen,  so  erübrigt  noch  die  Abmeisselung  der  vor- 
deren, den  Atticus  deckenden,  Knochenwand  der  Trommelhöhle,  hinter  welcher 
Hammerkopf  und  Ambos  liegen.  Dieselbe  wird  von  hinten  nach  vorne  abge- 
tragen bis  Paukendach  und  obere  Gehörgangsw^and  einen  gleichmässig  ge- 
glätteten Canal  bilden;  Hammer  und  Amboss,  sowie  die  Reste  des  Trommelfells 
sind  entweder  vorher  excidirt  oder  werden  es  jetzt. 

Weiter  ist  dann  noch  Acht  zu  geben  auf  die  Beschaffenheit  des  Recessus 
hypotympanicus,  dessen  Ausräumung  nie  unterlassen  werden  sollte,  da  gerade 
hier  oft  genug  localisirte  kleine  Herde  sonst  die  Heilung  in  Frage  stellen 
können.  Acht  zu  geben  ist  an  dem  Boden  der  Paukenhöhle  auf  den  Bulbus 
der  Vena  jugularis  und  wieder  auf  den  Facialis.  Wenn  nun  noch  nach- 
gesehen ist,  dass  sämmtliche  störenden  Leistchen  und  Kanten,  soweit  sie  nicht 
nothwendig  stehen  bleiben  müssen,  beseitigt  mit  Meissel  und  Löffel,  die 
Höhle  allerseits  geglättet  und  der  Toilette  sorgfältig  unterzogen  ist,  was  ins- 
besondere bei  den  Cholesteatomen  mit  peinlichster  Accuratesse  zu  geschehen 
hat  (hier  müssen  alle  die  Theile,  wo  das  Cholesteatom  gesessen  war,  energisch 
ausgeschabt  werden,  damit  die  Matrix  möglichst  gründlich  ausgeschaltet  ist), 


726  WARZENFORTS  ATZOPEBATIONEN. 

SO  ist  die  Operation  beendet  und  es  erübrigt  nur  noch,  die  Muschel  wieder 
zurückzulagern  und  die  Anfangs  gebildeten  Lappen  zur  plastischen  Deckung 
des  oft  sehr  umfänglichen  Substanzverlustes  zu  verwenden. 

Es  werden  da  die  nach  den  einzelnen  Methoden  vorgebildeten  Lappen 
entweder  einfach  durch  in  den  Meatus  eingeführte  Gazetampons  in  der  ge- 
wünschten Lage  in  die  Knochenhöhle  hineintapezirt,  oder  indem  man  den 
äusseren  Rand  auf  das  Periost  des  Warzenfortsatzes  aufnäht.  Der  erste  Verband 
muss  hier,  damit  eine  möglichst  primäre  Agglutination  sich  bilden  kann^ 
wenigstens  8—10  Tage  liegen  bleiben. 

Ausser  diesen  Plastiken  aus  dem  Gehörgange  heraus  werden  dann  noch 
zur  Deckung  des  Substanzverlustes  eine  Reihe  von  Lappenbildungen  aus  der 
Haut  der  Umgebung  verwendet,  aus  der  Halshaut,  aus  der  Haut  der  Rücken- 
fläche der  Ohrenmuschel  u.  s.  w.;  es  handelt  sich  meist  um  Hautweichtheil- 
lappen  ohne  Periost,  die  leicht  beweglich  und  gestielt  sein  sollen.  Stacke 
nimmt  zuerst  einen  Periostlappen  und  setzt  erst  später  einen  Hautlappen 
darauf.  Eine  detaillirte  Schilderung  dieser  Methoden  (Kretschmann,  Stacke, 
Passow,  Siebenmann,  Jansen,  Af  Foeselles,  Reinhard  u.  m.  A.)  würde 
zu  weit  führen. 

Die  Nachbehandlung  erfordert  die  äusserste  Sorgfalt  und  es  kann, 
wenn  diese  nicht  vollständig  kunstgerecht  ausgeübt  wird,  der  Effect  der  ganzen 
zuerst  gut  ausgeführten  Operation  in  Frage  gestellt  werden;  es  muss  die  erste 
Zeit  (bei  der  Verwendung  des  Gehörganges  zur  Plastik)  immer  noch  sehr  fest 
tamponirt  werden  bis  tief  in  die  grosse  Wundhöhle  hinein,  und  besonders  Acht 
gegeben  werden,  dass  der  Meatus  seine  nach  der  Operation  erlangte  weite 
Trichterform  möglichst  lange  beibehält,  weil  nur  hiebei  ein  guter  Ueberblick 
nach  innen  ermöglicht  ist.  Die  Granulationen  erfordern  die  peinlichste  Auf- 
merksamkeit, und  müssen  immer  wieder  mit  Chromsäure  und  eventuell  dem 
Löffel  in  Schach  gehalten  werden;  später  können  günstig  Einblasungen  von 
Acid.  boric.  pulver.  und  Acid.  salicyl.  äa  gemacht  werden. 

Die  mittlere  Heilungsdauer  beträgt  3^2  bis  4  Monate,  und  ist  die  Heilung 
erst  dann  als  definitiv  zu  erachten,  wenn  nicht  bloss  die  Secretion  allseitig 
vollständig  erloschen  ist,  sondern  wenn  auch  die  sämmtlichen  Hohlräume 
theils  epidermoisirt,  theils  mit  einer  Art  Narbenmembran  ausgekleidet  sind. 
Spülungen  werden  während  der  ganzen  Zeitdauer  weder  während  der  Opera- 
tion noch  nachher  vorgenommen;  es  wird  am  zweckmässigsten  immer  bloss 
trocken  behandelt. 

Zu  dieser  im  Vorhergehenden  berührten  primären  Deckung  des  grossen 
Substanz  Verlustes  im  directen  Anschluss  an  die  Operation  eignen  sich  aber 
blos  die  chronischen  Mittelohreiterungen  jeglicher  Ausdehnung  ohne  Cho- 
lesteatom; ist  Cholesteatom  vorhanden,  so  erweist  es  sich  viel  zweck- 
mässiger, den  Substanzverlust  vorläufig  nicht  zu  schliessen,  weil  durch  die 
grosse  retroauriculäre  Oeffnung  die  Nachcontrole  beim  Cholesteatom  eine  viel 
sicherere  ist  und  eventuellen  Recidiven  bei  Zeiten  Einhalt  geboten  werden 
kann;  auch  ist  der  günstige  Einfluss  der  freien  Luft  auf  die  Trockenlegung 
und  Epidermisirung  gerade  der  Cholesteatomhöhlen  durchaus  nicht  zu  unter- 
schätzen (Schv\^artze). 

Vergleichen  wir  nun  noch  zum  Schlüsse  die  beiden  Verfahren  der  Radical- 
operation,  so  sehen  wir,  wie  bereits  bemerkt,  dass  das  Endresultat  bei  beiden 
das  gleiche  ist.  Technisch  leichter  auszuführen  ist  im  Allgemeinen  die  Oper- 
ation von  aussen  nach  innen,  dagegen  wohnt  ihr  der  Nachtheil  inne,  dass 
man  hier  fast  immer  die  Operation  alle  Phasen  durchmachen  lassen  muss, 
weil  der  Herd  zu  innerst  sitzt,  während  vielleicht  manche  nach  aussen  gele- 
gene Partien  sich  noch  vollständig  gesund  erwiesen.  Bei  der  STACKE'schen 
Methode  von  innen  heraus  kann  die  Operation  sofort  abgebrochen  werden,. 
wenn  der  Krankheitsherd  freigelegt  und  ausgeräumt  ist.  haug. 


ZUNGENKRÄMPFE.  ZUNGENLÄHMUNG.  727 

Zungenkrämpfe.  Sie  treten  selten  isolirt  auf,  sind  vielmehr  Theil- 
erscheinungen  des  Gesichtskrampfes,  der  Chorea,  der  Epilepsie,  Hysterie  und 
können  sowohl  klonisch  als  tonisch  sein.  Auf  die  ganze  oder  auf  eine  Hälfte 
der  Zunge  beschränkte  idiopathische  Krämpfe  sind  von  einigen  Autoren  beob- 
achtet worden;  es  handelte  sich  dabei  um  anämische,  geschwächte  oder  neur- 
asthenische  Individuen. 

Ist  der  Krampf  ein  k  1  o  n  i  s  c  h  e  r,  so  wird  die  Zunge  nach  vorne  gestossen, 
zurückgeschlagen,  nach  der  einen  oder  der  anderen  Seite  geworfen  oder  bäumt 
sich  auf;  die  Musculatur  contrahirt  sich  heftig,  und  gewöhnlich  ungleichmässig. 
Beim  tonischen  Krampf  wird  sie  steif  gegen  den  harten  Gaumen  ange- 
presst. 

Durch  diese  krampfhaften  Bewegungen  wird  natürlich  die  Articulation 
sowohl  als  auch  der  Schlingact  beeinträchtigt.  a.  ROSENBERfi. 

Zungenlähmung.  Aetiologie.  Die  Zungenlähmung  ist  meistens  nur 
eine  Theilerscheinung  centraler  Störungen;  insbesondere  ist  sie  beobachtet 
worden  bei  Gehirntumoren,  progressiver  Muskelatrophie,  Lateralsklerose,  Extra- 
vasaten, Embolien,  Entzündungsherden,  Bulbärparalyse.  Zu  den  im  Ganzen 
recht  seltenen  peripheren  Ursachen  zählen  Syphilis,  Lymphdrüsen,  Bleiintoxi- 
cationen  u.  a. 

Symptome.  Bei  einseitiger  Lähmung  weicht  die  Spitze  der  heraus- 
gestreckten Zunge  nach  der  gelähmten  (nicht  nach  der  gesunden)  Seite 
ab.  Die  M.  genioglossi  inseriren  einerseits  an  dem  Grunde  der  Zunge, 
andererseits  an  der  Innenseite  des  Unterkiefers;  contrahiren  sie  sich,  so 
nähern  sie  den  Zungengrund  den  Lippen,  wobei  natürlich  die  Zungenspitze 
vorangeht.  Ist  nun  der  eine  jener  Muskeln  gelähmt,  so  bleibt  die  dieser 
Seite  entsprechende  Hälfte  der  Zunge  zurück,  und  zwar  einschliesslich  der 
Spitze,  die  dann  also  dem  Mundwinkel  derselben  Seite  näher  liegt. 

Bei  doppelseitiger  Lähmung  kann  die  Zunge  nicht  vorgestreckt  werden, 
sie  liegt  unbeweglich  auf  dem  Mundboden;  ist  die  Lähmung  eine  unvollstän- 
dige, so  geschieht  das  Hervorstrecken  langsam  und  ungenügend,  und  ebenso 
sind  alle  anderen  Bewegungen  eingeschränkt  und  verlangsamt. 

Da  die  Zunge  sowohl  masticatorische  als  auch  articulatorische  Bewe- 
gungen auszuführen  hat,  se  wird  durch  ihre  Lähmung  einerseits  der  Kau-, 
respective  Schluckact  und  andererseits  die  Sprache  gestört;  ersterer  insofern, 
als  die  Zunge  nicht  mehr  in  ausreichender  Weise  im  Stande  ist,  den  Bissen 
zwischen  die  Zahnreihen  zu  werfen,  den  Inhalt  der  Mundhöhle  zu  sammeln  und 
nach  hinten  zu  schieben.  Die  Articulationsstörung  macht  sich  bei  ein- 
seitiger Lähmung  bemerkbar,  durch  undeutliche  Aussprache  besonders  der 
Zungenbuchstaben  (D,  T,  N,  L,  R,  S),  bei  doppelseitiger  durch  eine  lallende, 
schwer  verständliche  Sprache;  man  merkt  ihr  an,  dass  die  Patienten  die 
Herrschaft  über  ihre  Zunge  verloren  haben. 

Die  Diagnose  ist  nach  dem  Gesagten  ohne  weiteres  zu  stellen;  nur 
ist  im  Anfange  der  Erkrankung  die  Grundursache  oft  schwer  zu  ermitteln;  in 
zweifelhaften  Fällen  denke  man  immer  an  die  Möglichkeit  einer  beginnenden 
Bulbärparalyse. 

Die  Prognose  hängt  von  der  Ursache  ab;  bei  peripherer  Erkrankung 
ist  sie  nicht  ganz  so  ungünstig,  wie  bei  centraler. 

Die  Behandlung  richtet  sich  gegen  das  Grundleiden;  immerhin  wird 
man  den  N.  hypoglossus  und  die  gelähmten  Muskeln  durch  den  elektrischen 
Strom  reizen  und  zu  einer  Funktionsäusserung  anzuregen  suchen. 

A.   EOSEXBERG. 


Sachregister. 


A. 

Abscessus  retropliaryngealis 

548. 
Absteigender  Ambosssclien- 

kel  463. 
Acaphora  elegans  456. 
Acces  larynges  168. 
Acheilie  322. 
Acne  pharyngis  496. 
Acusticus- Atrophie    1 . 
Adenoide    Vegetationen    1, 

642. 
Adenoitis  497. 
Adenome  der  Larynx  16. 
Aditus  ad  antrum  697. 

—  ad  cellulas  mastoideas 
150. 

—  ad  scalam  vestibuli  155. 
Adlernase  339. 
Aerotympanale  Prüfung  196. 
Aeste  der  Augengefässe  344. 

—  der  Flügel-Gaumenar- 
terie 344. 

—  der  Keilbein- Gaumen- 
gefässe  344. 

Ageusie  17. 

—  centrale  17. 

—  periphere  17. 
Agiossie  322. 
Aktinomykose    des   Mundes 

335. 

—  des  Eachens  17,  335. 
Aktinomykosis  laryngis  17. 

—  oris  17. 

—  pharyngis   17,   335. 
Alae  nasi  338. 

Algosis  faucium  leptothricia 
333. 

Alkoholismus  241. 

Amboss  145,   150.  ■ 

Ambossschenkel,  absteigen- 
der 463. 

Ampullen  der  Bogengänge 
189. 


Amygdala  539,  545. 

Anämie,  perniciöse  238, 

Anaesthesia  dolorosa  laryn- 
gis 595. 

Anaesthesia  gustatoria  17. 

Anästhesie  des  Kehlkopfes 
594. 

Anästhesie  des  Rachens  598. 

Angina   17. 

—  aphthosa   17,   24. 

—  catarrhalis   18. 

—  catarrhalis    simplex  17. 

—  diphtherica  17. 

—  epiglottica  271. 

—  erysipelatosa  17,   20. 

—  fibrinosa  20. 

—  follicularis  17,  20. 

—  herpetica  17,  23,  183. 

—  lacunaris  20. 

—  leptothricea  17,  24. 

—  Ludovici  26. 

—  membranacea  264. 

—  —   benigna  17,  20. 

—  parenchymatosa  19. 

—  phlegmonosa  17,  21. 
• —  streptococcica  17. 

—  syphilitica  25. 

—  tonsillaris  simplex  19. 

—  toxica  17,  25. 

—  tuberculosa  17,  25. 

—  ulcerosa  17,   26. 

Angiome,  des  Larynx  28. 

—  der  Nase  28. 

Angioneurotisches       Oedem 

172. 
Anguli  oris  522. 
Ankyloglosson  546. 
Ankylose    des    Cricoarj-tae- 

noidalgelenkes  492. 

—  des  Steigbügels   430. 
Anlegen      des      Schiingen- 
schnürers  356. 

Annulus  cartilagineus    463. 1 

—  tendineus  463.  I 


Annulus  tympaiiicus  76. 
Anoralrespirator  15. 
Anosmie  29. 
Anosmie,  centrale  29. 

—  periphere  29. 
Anschlagegeräusch  30. 
Anthelix   145. 
Antifebrinwirkung    auf    das 

Gehörorgan  241. 
Antipyrinwirkung    auf    das 

Gehörorgan  241. 
Antitragus  145. 
Antrum  697. 

—  mastoideum,      Empyem 
des  804. 

Apertura     interna     canalis 
chordae  tympani  151. 

—  spuria     canalis    facialis 
144. 

Aperturaenasiexternae  338. 
Aphoüia  spastica  169. 
Aphthongia   spastica   laryn- 

gealis   169. 
Apoueurosis  parotideo- 

masseterica  538. 
Apoplexie  238. 
Aprosexie  8. 
Aquaeductus  Cochleae  145. 

—  vestibuli  145. 

Arcus  palato-  glossus    539. 

—  —  pharyngeus  539. 

—  pharj'ngo-     epiglotticus 
545. 

Arsenwirkung   auf  das   Ge- 
hörorgan 242. 
Arteria  auditiva  interna  164. 

—  basilaris,  Aneurysma  der. 
238. 

—  Cochleae  164. 

—  crico-th}-reoidea  253. 

—  ethmoidalis    ant.,    post. 
345. 

—  lar^Tigea  inferior,   supe- 
rior  253. 


730 


SACHREGISTER. 


Arteriä  linguales  535. 

—  maxillaris  interna    344. 

—  maxillaris  superior,  an- 
terior 344. 

—  meningea  anterior  345. 

—  palatina  ascendens,  des- 
cendens  544. 

—  pharyngeaascendehs546. 

—  ptyergo-palatina  344. 

—  pterygoidea  344. 

—  septi  narium  344, 

—  vestibuli  164. 

—  vidiaua  344. 
Arteriae  nasales  post.  344. 
— ■  nasofrontalis  344. 

—  ophthalmicae  344. 
Arterielle  Geräusche  238. 
Arthritis  urica  im  Ohre  237. 

—  der  Gehörknöchelchen 
237. 

Articulatio    crico-thyreoidea 

249. 
Ascococcus  buccalis  35. 
Aspergillus  fumigatus    335, 

456. 

—  nidulans  335,  456 

—  uiger  Havescens  456. 
Asthma  nasale  353. 
Asthma-  Krystalle  von  Char- 

cot-Neumaun,    347,  353. 

Athmungstheil  der  Nasen- 
höhle 343. 

Atrophie  des  Nervus  acu- 
sticus  268. 

Atropinwirkung  auf  das  Ge- 
hörorgan 241. 

Äusserer    Gehörgang     186. 

Äusserer  Steigbügel  schenke! 
463. 

Augengefässe.Aesteder  344. 

Auricularanhänge  44. 

Ausbauchungsgeräusch  30. 

Auscultation  zur  Unter- 
suchung der  Nase  691. 

—  des  Ohres  30,  693. 
Auscultationsschlauch  223. 
Autolaryngoskopie  288. 
Autophonie  227,   592. 
Autoskopie  290. 

B. 

Bacilli  acustici  162. 

—  h  38. 

—  Nr.  7   38. 

—  acidi  lactici  32. 


Bacilli  aerogenes  32. 

—  buccalis  masimus  35. 

—  buccalis  minutus  30. 

—  buccalis  muciferens  38. 

—  buccalis  septicus  38. 

—  dentalis  viridens   38. 

—  diphtheriae  37. 

—  fluorescens  liquefaciens 
38. 

—  foetidus  ozaenae  39,  40, 
41. 

—  fuscus  33. 

—  gingivitidis  38. 

—  griseo-rtavus  33. 

—  mesentericusvulgatus35. 

—  mucosus  capsulatus  39. 

—  ozaenae  foetidus  465. 

—  Proteus  vulgaris  38. 

—  pseudodiphthericus  37. 

—  pulpae  pyogenes  38. 

—  pyogenes  foetidus  39. 

—  riscosus  ochraceus  33. 

—  salivae  minutissimus  38. 

—  salivarius  septicus  38. 

—  saprogenes  38. 

—  sputigenes  crassus  38. 

—  sputigenes  tenuis  38. 

—  der  Sputum-Septikämie 
38. 

—  subtilis  35. 

—  tuberculosis   37. 
Backenzähne  527. 
Bacteridium  aurantiacum  33. 
Bacteridium  luteum  33. 
Bacterien  der  Nasenhöhle  3  8 . 
Bacterium  ß  38. 

—  r^   37. 

—  cerosinum  33. 

—  coli  commune  37,  39. 

—  gingivae  pyogenes  34. 

—  lactis  aerogenes  32. 

—  mallei.  37. 

—  pneumoniae  37. 
— -  termo  38. 
Bacterien  der  Mundhöhle  3 1 . 
Barba  523. 

Bechica  205. 

Behaarte  Rachenpolypen 
366. 

Bensch's  Doppelmeissel  363. 

Bezold'sche  Mastoiditis  705. 

Bildungsanomalien  des  Ge- 
höi-organes   41. 

Bildungsdefecte  des  Gehör- 
organe s  41. 


Bildungsdefecte  im  Laby- 
rinth 43. 

—  im  Mittelohre   43, 

—  der  Ohrmuschel  42. 

—  des  Trommelfelles  43. 
Bing'scher  Versuch  201. 
Blaesitas  627. 
Blasegeräusch   30. 
Bleivergiftung  292. 
Blennoi-rhoea  nasalis  553. 
Blennorrhoe  von  Störk  500, 
Blutungen    aus    dem   Kehl- 
kopfe  45. 

—  aus  dem  Ohre   47. 

—  aus  dem  Rachen  46. 
Bockshaare  146. 
Bogengänge  143,  156,  190. 
Bogengänge,    Ampullen  der 

189. 

—  häutige  158. 
Bowmann'sche  Drüsen  344. 
Brachycheilie   322, 
Bräune,  häutige   255. 
Bruit  de  drapeau  352. 
Bruststimme  635. 

Brust  -  Schildknorpelmuskel 

531. 

Zungenbeinmuskel  531. 

Bulbärparalyse  241. 
Bursa    mucosa   hyo-thyreo- 

idea  250. 

—  pharyngea  545. 
Bursitis  500. 

C. 

Cadaverstellung  der  Stimm- 
bänder 480. 

Canales  semicirculares  143, 
156. 

—  semicirculares  membra- 
nacei  158. 

—  centralis  modioli  157. 

—  musculo-tubarius  144. 

—  nervi  facialis  144. 

—  reuniens  159,  190. 

—  spiralis  modioli  156. 

—  tensoris  tympani  150. 
Canüle  von   König  651. 
Carcinom    des     Kehlliopfes 

180. 
Carcinom  der  Nase  74,  378. 
Carcinoma  laryngis  56,  374. 
Caries  des  Schläfebeines  75. 
Caries  der  Zähne   32. 


SACHREGISTER. 


731 


Cartilagines  alares  inferiores 
339. 

—  arytaenoideae  248. 

—  corniculatae  249. 

—  cuneiformes  249. 

—  sesamoideae   249. 
Cartilago  cricoidea  248. 

—  epiglottica  249. 

—  septi  nasi  s.  quadran- 
gularis  339. 

—  thyreoidea   248. 
Catarrhus    laryngis    acutus 

268. 

—  laryngis  chronicus  275. 
Cavitas  conchae  145. 

—  glenoidalis  151. 
Cavum  dentis  525. 

—  faucium   540. 

—  nasi  340, 

—  oris  522. 

—  tympani  143,  341,  149. 
Cement  526. 

Cerumen  80. 

Ceruminalpropf  80. 

Charcot  -  Neumann  -Leyden- 
sche  Asthmakrystalle  347, 
353. 

Clieiloscliisis  321. 

Chenopodium   241. 

Chimani's  Methode  605. 

Chininwirkung  auf  das  Ge- 
hörorgan 241. 

Chloroformwirkung  auf  das 
Gehörorgan  241. 

Chlorose,  Erkrankungen  des 
Gehörorganes  bei  237. 

Choanae  542. 

Choanenfibrome    358. 

Cholesteatom  86,  710. 

Chorda  tympani  150,  463. 

Chordae  vocales   253. 

Chorditis  tuberosa  472. 

—  vocalis  inferior  hyper- 
trophica  278. 

Chorea  240. 

—  laryngis  170. 
Clergymans  sore  throat  498. 
Cocainisirung  des  Kehlkopfes 

213. 

—  des  Nasenrachenraumes 
690. 

Coccus    salivarius     septicus 

36. 
Cochlea  143,    156. 
Coggin's  Methode  607. 


Collum  dentis  525. 
Commissurae  oris   522. 
Commotion    des    Labyrinth 

265. 
Compressorium    von    Miku- 

licz-Störk    645. 
Concha  auris  145. 
Conchotom    von    Hartmann  i 

333. 
Consonantcn  617. 
Consonanz  195. 
Constricteur  363. 
Continuirliche  Tonreihe  198. 
Contrarespiratoren  1 5 . 
Corona  dentis  525. 
Corradi'scher  A^ersuch  201. 
Corti'sches  Organ  189. 
Corti'sche  Zellen  163. 
Coryza   93,  227,  552. 
Craniotympanale       Leitung 

199. 
Crico-arytaenoidalgelenk, 

Ankylose  des  492. 
Crista  ampullaris  158. 

—  gingivalis  529,   158. 

—  semilunaris   157. 

—  stapedis  151. 

—  vestibuli  155. 
Cristae  der  Nase  331. 
Croup  232. 

—  dyspnoe  258. 

—  husten  257,    508. 
Crus  anterius  151. 

—  curvilineum  151. 

—  posterius  151. 

—  rectilineum  151. 
Cupula  158. 

Curschmann'sche  Spiralen. 
Curetten  12. 

Cymba  ronchae  145. 
Cynanche  cellularis  maligna 

26. 
Cysten  im  Kehlkopfe  95. 

—  der  Nasenmuscheln  379. 
Cysterna  perilymphatical  5  9 . 

D. 

Dalton'sche   Pfeife  222. 
Darmhusten  205. 
Deckzellen  63. 
Deiter'sche  Zellen  163, 191. 
Dens  sapientiae    527. 
Dendrit  344. 
Dentes   525. 

—  cuspidati  527. 


Dentes  decidui    527. 

—  incisivi   527. 

—  molares  527. 

—  permanentes  527. 
Dentin  525. 
Desinfectionskapsel  von  Zau- 

fal   244. 

Deviatio  septi  narium  324. 

Diabetes  237. 

Diagnostik  der  Nasenkrank- 
heiten 96 

—  der      Ohrenkrankheiten 
97. 

Diphtherie  der  Nase  104. 

—  des  Ohres  104,  231. 
Diplococcus    capsulatus  36. 

—  citreus   liiiuefaciens  33. 

—  coryzae  39. 

—  Hauseri  33. 

—  lanceolatus  36. 

—  pneumoniae  36,  39. 
Disharmonische    Töne    195. 
Doppelballon  von  Lucae  244. 
Doppelcurette  von  Landgraf, 

Krause   215. 
Doppelmeissel    von    Bensch 

363. 
Doppelnase  322. 
Dreieckiger  Lichtfleck  462. 
Drucksonde,  federnde  435. 
Ductus  Bartholianus   537. 

—  cochlearis  156,  160. 

—  parotideus  538. 

—  subungualis   537. 
Dyslalia  dentalis 

—  labialis 

—  lingualis 

—  palatina  692. 

E. 

Ecchondrosen  im  Kehlkopfe 
107,   114. 

—  der  Nase  331. 
Ecraseur    von    Chassaignac 

—  363. 

Eckzähne  527. 
Eingangstheil     der     Nasen- 
höhle 343. 

Eitelberg"scher  Versuch  202. 
Eitrige  jMittelohrentzündung 

436. 
Eitriger      Mittelohrkatarrh 

436. 
Ekzema  auriculae  108. 

—  iutroitus  uarium  109. 


732 


SACHREGISTER. 


Ekzema  pbaryngis  496* 
Elektro-Laryngotherapie 

111. 
Elektrolyse  112,    218. 
Elektro-Oto-Diagnostik  113. 
Emineiitia  digastrica  531. 

—  pyramidalis  15U. 
Emphysem  der  Pars  mastoi- 

dea  711. 

—  traumatisches  245. 
Empyem    des   Antrum   ma- 

stoideum  704. 

—  des  Warzentheiles  701. 
Enchondrome  in  der  Nasen- 
höhle 115. 

—  des  Nasenrachenraumes 
116. 

Endocarditis  238. 
Endolaryngeale  Exstirpation 
62. 

—  Operation  375. 
Endolympha  128. 
Entotische  Geräusche    238. 
Epiglottis,  kindliche  321. 

—  acuta  271. 
Epilepsie  240. 
Erhard's,  Methode  zur  Con- 
statirung    einseitiger   Taub- 
heit 605. 

Ersatzzellen  343. 

[  primäre 
Erregbarkeit  jsecundärel  14. 

[  tertiäre 
Erytheme  des  Rachens  120. 
Erysipelas  laryngis   116. 

—  pbaryngis  117. 
Erythema  syphiliticum   veli 

25. 
Etat  velvetique  673. 
Eucain  678. 
Eurotium  raalignum  456. 

—  repens  456. 
Exostosen  der  Nase  331. 
Exstirpation,  endolaryngeale 

62. 
Exstirpatio  laryngis  378. 
Exsudativer  Ohrkatarrh  228. 
Extraction  der  Polypen  399. 
Extralaryngeale  Operation 

378. 

F. 

Falsettstimme  636. 
Falten     des    Trommelfelles 
462. 


Farbe  des  Trommelfelles 

462. 
Fäulnisbacillus  38. 
Faunsohr  42. 
Febris  recurrens  233. 
Federnde  Drucksonde   435. 
Fenestra  149. 

—  Cochleae  149. 

—  ovalis  149. 

—  rotunda  149. 
Fenster,  ovales  149,   188. 

—  rundes  149,   188. 
Fibrome  378,  399. 

—  des  Kehlkopfes  122. 

—  der  Nase  351,  365. 

■ —  der  Ohrmuschel  379. 
Fila  olfactoria  395. 
Fistula  auris  congenita  42. 
Fissura   meatus  cartilaginei 
major  s.  externa  146. 

—  minor  s.  interna  147. 

—  oris   522. 
Flecktyphus,  Erkrankungen 

des  Gehörorganes  bei  233. 
Flüstern  614. 
Flüstersprache  198. 
Foramen   centrale    Cochleae 

157. 

—  coecum  linguae  534. 

—  Rivini  147^ 

—  spheno-palatinum  342. 

—  stylo-mastoideum  144. 
Fortsatz,  löffeiförmiger  150. 
Fossa  cocblearis  157. 

—  glosso-epiglotticae    540. 

—  pharyngea  545. 

—  pyriformis  242. 

—  scaphoidea    145. 

—  triangularis  145. 
Fossae  glosso-epiglotticae 

252. 

Foveae  laminae  248. 

Fracturen  des  Kehlkopfes 
126. 

Fränkel's  Mundspatel    503. 

Fremdkörper  im  Gehör- 
gange 130. 

—  im  Kehlkopfe  133. 

—  in  der  Nase   135. 

—  im  Rachen  138. 

—  des  Warzentheiles  713. 
Frenulum    labii  525,    539. 
Froschgesicht  401. 
Fruchtfäden  456. 
Fruchtkopf  456. 


Fruchtlager  456. 
Functionelles  Stammeln  627. 
Furunculose  des  Gehörganges 

230. 
Furunkelmesser  223. 

G. 

Galtou'scbe  Pfeifchen    198. 
Galvanokaustik  112. 
Galvanokaustische      Instru- 
mente 217. 

—  Schlinge  356. 
Gangrän     der     Ohrmuschel 

231. 
Gargarismen  141. 
Gaumen,  harter  539. 

—  weicher  539. 
Gaumendrüsen  546. 
Gaumengefässe  544. 
Gaumenhaken  nachFränkel, 

Hartmann,  Krause, 
Schmidt,  Yoltolini  570. 

Gaumennerven  544. 

Gaumen -Rachenmuskel  541. 

Gaumenton  549. 

Gefässe  des  Kehlkopfes  253. 

—  der  Nasenhöhle  344. 

—  des  Oberkiefers  344. 
Gegenspiegel  von  Noltenius 

288. 
Gehöraffectionen,  nervöse 

367. 
Gehörgang,    äusserer    146, 

180. 

—  Bildungsdefecte  im  äusse- 
ren 42. 

—  Fremdkörper  im  130. 

—  Furunculose  des  230. 

—  innerer  157. 

—  Knochenneubildung    des 
383. 

—  Luftverdünnung  im  äusse- 
ren 434. 

Gehörknöchelchen  187. 
Gehörlabyrinth  154. 
Gehörleiden,  Simulation  von 

599. 
Gehörorgan  142. 

—  Bildungsanomalieu      des 
41. 

—  Bildungsdefecte  des  41. 

—  Neubildungen   im    379, 
382. 

—  Physiologie  des  184. 


SACHREGISTER. 


733 


Gehörsinn,    Ermüdung    des 

431. 
Gehörstäbchen  162. 
Geräusche,  arterielle  | 

—  entotischej-  238. 

—  venöse      ) 

—  ff  1369. 

—  hohe ) 

Geruchsinn,  Verlust  des  29. 
Geruchsprüfung  692. 
Geschwüre,  tuberkulöse  des 
Kehlkopfes  668. 

—  der  Nase  683. 

—  des  Eachens  686. 
Giessbeckendrüsen  546. 
Giessbeckenknorpel  248. 
Giessbeckenknorpelmuskel, 

querer  257. 
Gingiva  539, 
Glandula  parotis  538. 
Glandulae  apicis  linguae  536. 

—  arytaenoideae  posteriores 
546. 

—  auriculares  538. 

—  buccales   536. 

—  ceruminales  80,  549. 

—  labiales  536,   525. 

—  linguales  536. 

—  molares  536. 

—  palatinae  536,  546, 

—  pharyngeae  547. 

—  radicis  linguae  537. 

—  sublinguales  537, 

—  submaxillares  537, 
Globus  hystericus  59], 
Glottis  630, 

krämpfe  166, 

—  -ödem  171, 
Gonidien  457. 
Gottstein'sche    Tamponade 

468,  469. 
Granula  500. 
Granulome  176,  394. 

—  der  Trachea  647. 
Gravidität  239, 
Griifel-Rachenmuskel  541. 

—  Zungenbeinmuskel   531. 
Grube  der  Ohrmuschel,» 

dreieckige  L^^_ 

—  kahnförmige  j 

—  muschelförmige       ) 
Grubengas  241. 
Gruber's  Methode  607. 
Grundmembran  162. 
Guillotine  nach  Störk  217, 


Gummata  im  Kohlkopfe  174. 
Gumraiballon  222, 
Gurgelwässer  141. 

H. 

Haarzellen  163,  191, 
Ilabenula  perforata  190. 

—  sulcata   190, 
Haematotympanum  49,  238. 
Haemophilie  238. 
Haemorrhoidalvenen  239, 
Häutige  Bogengänge  158. 
Häutiges  Labyrinth  157. 
Hahn-Michael'sche 

Schwammcanüle  69. 
Hakenzange  nach  Roser  643. 
Halbvocale  617. 
Hammer  145,   150. 

—  kurzer  Fortsatz  des  462. 
Hammergriff,  Umschneidung 

des  666. 
Hammerhandgriff  462, 
Hamulus  156. 
Harmonie    195. 
Harmonische  Töne  195. 
Hartmann 'sches    Conchotom 

333. 
Hasenscharte  321,  522. 
Hauthusten  205. 
Hautwurm  588. 
Heber  des  Mundwinkels  524. 

—  der  Oberlippe  524. 
Heiserkeit  181. 
Helicotrema   156,   190, 
Helix  145. 
Hemicranie  240. 

Herpes  des  Kehlkopfes  182. 

—  laryngis  182. 

—  der  Mundhöhle   182. 

—  oris   182, 

—  pharyngis   183,  496. 

—  des  Rachens  183. 
Hervorragungen,    kammför- 

mige  535. 
Heryng'sche  Spritze  213, 
Heubacillus  35. 
Heuschnupfen  228, 
Hirci  barbulae  146. 
Hirntumoren  240. 
Hodenhusten  205, 
Höllenstein  242. 
Hören   184. 

Hörmesser  von  Politzer  222, 
Hörner   249. 
Hörprüfung  196. 


Hörprüfung  nach  Burchard 
610. 

—  Chimani  605. 

—  Coggin  607. 

—  Erhardt  605. 

—  Gruber  607. 

—  Knapp   605. 

—  Lucae  606. 

—  L.  Müller  608. 

—  Preusse  607. 

—  Teuber  609. 

—  Voltolini  607, 
Hörschlauch   30. 
Hörstummheit  622. 
Husten  204. 

—  nervöser  196. 
Hustencentrum  204. 
Hydrocephalus      congenitus 

240. 
Hyperacusis  227,  367, 

—  schmerzhafte  367. 
Hyperämie  des  Labyrinthes 

306. 

Hyperaesthesia  gustatoria 
206. 

Hyperästhesie  des  Kehl- 
kopfes 594,  596. 

—  des  Rachens  598. 

—  schmerzhafte  367. 
Hyperalgesie  des  Kehlkopfes. 

595. 
Hypergeusie  206, 
Hyperkeratosis        lacunaris 

"^334,  502. 
Hyperostose  der  Pars  mastoi- 

dea  708. 
Hyperplasie  der  Rachenton- 

sille  2. 
Hypertrophie,  polypoide  der 

Nase  556. 

—  der    Seitenstränge    500. 
Hyphen  456. 
Hypoglottilis  acuta  269. 
Hj-popharjngealdivertikel 

'^333. 
Hysterie,  Erkrankungen  des 
^ Ohres  bei  239. 

—  des  Ohres  208. 


Ictus  laryngis  67,  171,  695. 
Ileotyphus,      Erkrankungen 

des  Ohres  bei  233. 
Incisura    cart.    thyreoideae 


278. 


734 


SACHREGISTER. 


Incus   145,   150. 
Infiltration,  tuberkulöse  des 

Kehlkopfes  668. 
Influenza,  Erkrankungen  des 

Ohres  bei  229. 
Inhalationen  679. 
Inhalationsmittel  211. 
Inhalationstherapie  209. 
Innerer  Gehörgang  157. 
Inneres  Ohr  154,   189. 
Insolatio  240. 
Inspection  der  Nase  688. 
Inspiratorischer  Stimmritzen- 

krampf  169. 
Instrumentarium  des  Laryn- 

gologen  213. 

—  des  Ohrenarztes  219. 
Insufflation  224. 
Intensität  des  Klanges  194. 
Interferenz  -  Otoskop      von 

Lucae  202. 

Intermittirende  Kopfkno- 
chenleitung 199. 

Interne  Krankheiten  und 
Ohraffe ctionen   225. 

Intoxicationen  241. 

Intubation  262. 

—  nach  0'  Dwyer  284. 
Intumescentia  ganglioformis 

165. 
Isthmus  faucium  539. 


Jod  213,  241. 

Jodlösung  Mandel 'sehe  213. 

Jodococcus  magnus  35. 

—  parvus  35. 

—  vaginatus  35. 
Jodödem  172. 

K. 

Kakosmie,  subjective  499. 
Kalte  Schlinge  356. 
Kartoffelbacillus  35. 
Katamenien   239. 
Katarrhalischer  Croup  506, 
Katheterismus  tubae  Eusta- 
chiae   242. 

—  nach   Frank-Löwenberg 
243. 

—  —  Kramer  242. 

Kuh-Politzer  243. 

Lucae  243. 

Katzenohr  42. 
Kehldeckelknorpel  249. 


Kehldeckelrand,  Auszackung 

des  320. 
Kehldeckel,     Vergrösserung 

des  320. 
Kehlkopf  247,    540. 

—  -asymmetrien  320. 

—  -Croup  255. 
diphtherie  264, 

—  -erysipel  116. 

—  -gefässe  253. 

—  -geschwülste   370. 

—  -husten,   nervöser  167. 

—  -krebs  56, 

—  -mangel   320. 

—  -muskel  250. 

muskellähmungen  477. 

—  -nerven  254,  633, 

—  -pulverbläser   225, 

—  -Sarkome  589. 

—  -Schleimhaut  252. 

—  -Schwindel   17,  695, 

—  -Skoliose  320. 

—  -Spiegel  285. 

—  -tasche   252. 

—  -Zangen  215. 

—  Anaesthesie  des  594. 

—  Blutungen  aus  dem  45. 
■ —  Cysten  im  95. 

—  Ecchondrosen  im  107. 

—  Enchondrome  im  114, 

—  Fibrome  des  122. 

—  Fracturen  des  126. 

—  Fremdkörper  im  133. 

—  Gummen  im  174. 

—  Herpes  des  182, 

—  Hyperalgesie  595. 

—  Hyperästhesie  594,  596, 

—  Katarrh  des  280, 

—  künstlicher  72, 

—  Lupus  des  675, 

—  Luxation  des  299. 

—  Missbildungen  des  328. 

—  Neuralgien  des  597. 

—  Neurosen  des  392, 

—  Parästhesie  des  597. 

—  Polyp  des  124. 

—  Rhinosklerom   280, 

—  Sensibilitätsneurosen  des 
594. 

—  -Skoliose  320. 

—  Syphilis   676. 

—  Tuberkulose  281. 
Keilbein-Gaumengefässe, 

Aeste  der  344. 

—  -höhlenempyem  521. 


Keratosis  292,  420. 
Kieferhöhlenempyem  520, 

—  -Zungenbeinmuskel  531. 
Kilian'sche  Methode  288. 
Kinder,    Nasenuntersuchung 

der  97. 
Kindliche  Epiglottis  321, 
Kinnlippenfurche  522. 

—  -Zungenbeinmuskel  531. 

—  -Zungenmuskel  532. 
Klangfarbe  194, 
Klangstäbe  498. 
Klebs-Löffler'scher    Bacillus 

256. 

Knacken  30. 

Knochenneubildung  des  Ge- 
hörganges 383. 

Knöcherner  Vorhof  155, 

Knotentuberkulose  des  Lo- 
bulus  auriculae  234, 

König'sche  Trachealstenosen 
651, 

Kohlenoxydwirkung  auf  das 
Gehörorgan  241. 

Kopfknochenleitung,  inter- 
mittirende 199. 

Krankheiten,  interne  und 
Ohraffectionen   225. 

Krause'sche  Pincette   213. 

Krone  des  Zahnes   525. 

Kropftod  648. 

Künstlicher  Kehlkopf  von 
Gussenbauer  72, 

KünstlichesTrommelfell  656. 

Küster-Z  auf al' sehe  Methode 
725, 

Kuhn'sche  Zange  14. 

Kynanche  17. 


Labia  522, 

Labyrinth,         Bildungsano- 
malien des  43. 

—  häutiges  157, 
Labyrinth-Erkrankungen 

265, 
Labyrinthgefässe  164,  165, 

—  Neubildungen   im    268, 
Labyrinthverletzuug  265. 
Lähmung  der  M.  arytaenoi- 

dei  479. 
Lähmung  der  M.  arytaenoi- 
dei  interni  479. 

—  der  M.  crico-arytaenoi- 
dei  postici  479. 


SACHREGISTER. 


735 


Lähmung  der  M.  crico-thy- 
roiclei  491. 

—  der  M.  thyreo-  arytaenoi- 
dei  lat.  480. 

Lähmung  des  ganzen  Nervus 

recurrens  480. 
Lamina  reticularis  163. 

—  spiralis  156. 

—  spiralis  membranaceal  90. 

—  spiralis  ossea  190. 
spiralis    secundaria    157, 

Laryngitis  acuta  268. 

—  acuta    subglottica    272. 

—  atrophica  279. 

—  chronica  275. 

—  diphtherica  264. 

—  fibrinosa  255. 

—  hypoglottica  acuta  506. 

—  phlyctaenularis  272. 

—  postica  271. 

—  pseudomembranacea255. 

—  sicca  271,  464. 

—  stridulosa  506. 

—  submucosa  chronica  284. 
Laryngocele  ventricularis 

321. 

Laryngofissur  69. 

Laryngologe,  Instrumenta- 
riums des  213. 

Laryngoskopie  284. 

Laryngotomia  subhyoidea 
63. 

—  transversa  66. 
Laryngotracheitis  catarrhalis 

acuta  506. 
Larynx  247,  546. 
• —  -carcinom  56. 

katarrh  281. 

krisen  166,   168,  290. 

—  -resection  67. 

—  -lepra  291. 
lipom  299. 

—  -lymphosarkom  300. 

—  -myom  335. 
— -  -myxome  338. 

—  -rhinosklerom  281. 

—  -Stenose,  acute  255. 

—  -Syphilis  281. 

—  -tuberkulöse  281. 
Larynxwand,  hintere  288. 
Leitung,  aerotympanale  196. 

—  craniotympanale   199. 

—  osteotympanale  199. 
Leopardenfellzeichnung  229. 
Lepra  laryngis  179. 


Lepra  laryngis  291. 

—  narium  292. 

—  oris  293. 

—  pharyngis  293. 
Leptothrix  buccalis  35. 

—  buccalis  maxima  35. 

—  innominata  35. 
Leukoma  oris  294. 
Leukoplakia  oris  294, 
Levator  anguli  oris  524. 

—  labii  superioris    524. 

—  labii  super,  alaeque  nasi 
524. 

Liehen  oris  297. 
Lichtfleck,  dreieckiger  462. 
Lichtkegel  462. 
Lichtquelle,  künstliche  461. 
Ligamentum  annulare  baseos 
stapedis  151. 

—  crico-corniculatum   252. 

—  crico-thyreoideum    me- 
dium 250. 

—  glosso-epiglotticum  590. 

—  hyo-epiglotticum  250. 

—  Spirale   190. 

Limbus  laminae  spiralis  160. 

Linea  eminens  laryngis  248. 

Lineae   hyo-myloideae  531. 

Lipome    des    Larynx    299. 

Lippe  522. 

Lispeln  627. 

Lobulus  auriculae  146, 

—  auriculae,   Knotentuber- 
kulose  234. 

Loch,  blindes  534, 
Lucae's  Methode  606. 
Luftdouche   101, 
Luftkissengefühl  554, 
Luftverdünnung  im  äusseren 

Gehörgang  434. 
Lupus  der  Ohrmuschel  287. 

—  erythematodes  234. 

—  exfoliativus  381. 

—  laryngis    179. 

—  maculosus  381. 

—  vulgaris   381, 
Luxation     des     Kehlkopfes 

299, 
Lymphangioma  laryngis  299. 
Lymi3homatose,multiple2  3  8 . 
Lymphosarkome  des  Larynx 

300. 

M. 
Macacusohr  42. 
Macula  acustica  sacculi  160. 


Macula  cribrosa  inferior, 
media,  suporior  15(). 

Magenhusten  2(J4, 

Makroglossie  322. 

Makrostom io  322. 

Malaria,  Erkrankungen  de» 
Ohres  l)ei  236. 

Mallous   145,   156. 

Mandeldrüse  539,  545. 

Manubrium  150. 

Margo  tympanicus  147. 

Masern,  Erkranlungen  des 
Ohres  bei  230. 

—  Rachenaffection  bei  121. 
Massage  410. 
Mastoiditis  409,  714. 
Mastoidoperation  713, 
Materia  alba  35. 
Meatus,  Furunkulose  des  — 

237. 

—  auditorius  externus  146. 

—  internus  143, 
157. 

Membrana  basilaris  162, 
190. 

—  flaccida  147,  462. 

—  limitans  olfactoria  344. 

—  obturatoria  stapedis  151. 

—  reticularis  191. 

—  vestibularis  160. 
Meniere'sche  Symptome 265, 

301. 

Meningitis  epidemica,  Er- 
krankungen des  Ohres  bei 
232, 

Mephistophelmuskel  525. 

Mikrocheilie  322. 

Mikrococcus  agilis  33.. 

—  aurantiacus  33. 

—  carneus  33. 

—  citreus    granulatus    33. 

—  cremoides  33. 

—  gingivae   pyogenes    36. 

—  luteus  33. 

—  nexifer  35. 

—  Reesii  35. 

—  tetragenus  36, 

Mikrognathie  322. 
Mikrosporon  furfur  456. 
Mkrostomie  322. 
Mikrotie  42. 

jMikuücz'sche    Zellen     563. 
Milchzähne  527,  529. 

—  thyreo-arytaenoidei  lat , 
Lähmuns  der  480. 


736 


SACHREGISTER. 


Miliaria  crj-stallina  496. 
Miliartuberkulose,  acute  235. 
JMilzhusten  20-i. 
Mineralwässer  211. 
Missbildungeu     des      Kehl- 
kopfes 320. 

—  der  Nase  322. 

—  der  Mundhöhle  32 1, 

—  des  Rachens  333. 
Mittelohr,     Bildungsanoma- 
lien des  43. 

—  Neubildungen   des  386. 
Mittelohrentzündung      102, 

103. 

—  eitrige  436. 

—  Folgezustände  der  452. 
Mittelohrkatarrh,       eitriger 

436. 
Mobilisirung  des  Steigbügels 

436. 
Modiolus  156,   190. 
Morbillen  230. 
Morphin  212. 
Motionsneuroseu  204. 
Mucor  corymbifer  456. 
Mucor  septatus  456. 
Müller's  Methode  608. 
Mundhöhle  522. 

—  Bacterien  der  31. 

—  Herpes  der  182. 

—  Missbildungen  der  321. 

—  Neurosen  der  393. 
Mundpilze  35. 
Mundspatel    von     Fränkel, 

von  Türk  507. 
Mundwässer  141. 
Mundwinkel,   Aufheber  des 

524. 
Muschelgrube  145. 
Musculi    adductores    anguli 

oris  523. 

—  amygdalo-glossus    533. 

—  arytaenoidei,    Lähmung 
der  479. 

interni,  Lähmung  der 

479. 

—  crico-arytaenoidei  postici, 
Lähmung  der  479. 

—  incisivi  523. 

—  thyreo-aryepiglottici, 
Lähmung  der  481. 

—  constrictores   pharyngis 
540. 

—  tensores     lig.     vocalis 
veri  252. 


Musculi  thj^reoidei,  Lähmung 

der  481. 
Musculus   antitragicus  146. 

—  buccinator  523. 

—  chondro-glossus  532. 

—  constrictor  faucis  inferior 
541. 

—  —  —  medius  531. 
— ■  —  —  superior  541. 

—  depressor    anguli    oris 
524. 

—  —  labii  inferioris  524. 

—  depressor  septi   mobilis 
340. 

—  digastricus   maxillae  in- 
ferioris 531. 

—  fissurae  meatus  cartila- 
ginei  147. 

—  genio-glossi  532. 
hyoideus  531. 

—  glosso-pharyngeus  533. 

—  helicis  minor  148, 

—  hyo-glossi  532. 

—  pharyngeus  531. 

—  thyreoideus  531. 

—  levator      labii     super, 
alaeque  nasi  340. 

—  —   menti  524. 

— .  —  palati  posterior  543. 

—  —  pharyngis  540. 

—  lingualis  inferior  532. 

—  —  proprius  532. 

—  —  superior  532. 

—  —    superficialis  532. 

—  mylo-hyoideus  531. 

—  obliquus    conchae    146. 

—  omo-hyoideus  531. 

—  palato-glossus  533,  543. 

—  —  pharyngeus  541, 

—  —  staphylinus  543. 

—  petro-salpingostaphylinus 
543. 

—  spheno-palatinus  543. 

—  sterno- hyoideus  531. 

—  —  thyreoideus    531. 

—  stylo-glossi  532, 

—  —  hyoideus  531. 

—  —  pharyngeus  544. 

—  tensor  palati  543. 

—  —  tympani   188. 

—  tragicus  146. 

—  transversusauriculael46, 

—  transversus  linguae  533. 

—  transversus  nasi  348. 

—  triangularis    524. 


Musculus  zygomaticus  major 

et  minor  524. 
Muskeln  des  Kehlkopfes  250. 
Mycelien  456. 
Mj'cosis  benigna  502. 

—  leptothricia  502. 
Mykosen  des  Kachens  333. 
Myom  des  Larvnx  335. 
Myringectomie  666, 
Myringitis  97,  234,  335. 

—  acuta  101, 

—  chronica  201. 

—  externa  336. 

—  interna  336. 
Myringomycosis  336. 

—  aspergillina  457. 
Myringotomia  multiplex  665. 
Myringotomie  662. 
Mystax  522. 

Myxome    des    Larj'nx  338. 

N. 

Nase  338. 

—  Angiome  der  28. 

—  Carcinom  der  74. 

—  Cristae  331. 

—  Diphtherie  der  104, 

—  eingedrückte,   vorsprin- 
gende 338. 

—  Exostosen  331. 

—  Fibrome  in  der  351,  365. 

—  Fremdkörper  in  der  135. 

—  Inspection  der  688. 

—  Lues  der  685. 

—  Lupus  der  685. 

—  Missbildungen  der  322. 

—  Kotz  der  588. 

—  Sarkome  der  684. 

—  Schleimpolypen  der  365. 

—  Spinae  331. 

—  Tuberkulose  der  682. 

—  Untersuchung    der  687. 
Nasenarterien,  hintere  344. 
Nasenflügel  338. 
Nasenflügelknorpel  339. 
Nasengang,  mittlerer,  oberer, 

unterer  342. 
Nasenhöhle  340. 
Nasenhöhle  ,Bacterien  der  3  8 . 

—  Enchondrome  in  der  115. 

—  Gefässe  der  344. 

—  Lymphgefässe  der  345, 

—  Neoplasmen  378, 

—  Nerven  der  345. 

—  Osteom  401. 


SACHREGISTER. 


737 


Nasenhöhle,  Papillome  474. 

—  Sarkome  590. 

—  Schleimhaut  der  343. 

—  Syphilome  638. 

—  Venen  der  345. 
Nasenhusten  204. 
Nasenkatarrhe,  acute  6. 
Nasenknorpel  339. 
Nasenkrankheiten,  Dia- 
gnostik der  96. 

Nasenlcpra  292. 

Nasenloch  338. 

Nasenmuscheln,  mittlere, 
obere,  untere  341. 

Nasenmuscheln,  Missbildun- 
gen der  332. 

Nasenmuschelpolypen     358. 

Nasennebenhöhlen  341. 

Nasenöft'nungen,  congeni- 
taler Verschluss  der  322. 

—  Occlusion  der  322. 
Nasenpolypen  346. 
Nasenpolypen,  Zangenextrac- 

tion  der  355. 

Nasenpumpe  468. 

Nasenrachenpolypen,  nicht- 
typische, typische  358. 

Nasenrachenraum,  Auscul- 
tatton  des  691. 

—  Cocainisirung    des    690. 

—  En Chondrome  des    116. 

—  Palpation  der  Neoplasmen 
des  379,  689. 

—  Sondirung  des  696. 
Nasenrücken  338. 
Nasenscheidewaud,     Verbie- 

gung  der  324. 

Nascnscheidewandpolyp,  blu- 
tender 28. 

Nasensonde   696. 

Nasenspeculum  nach  Duplay, 

—  —  Fraenkel, 

—  —  Hartmann, 

Voltolini  566. 

Neoplasmata   laryngis    370. 

—  narium  378. 
Nasenspitze  338. 
Naseusprache,        gestopfte, 

offene  691 

Nasenspüler  358. 

Nasenuntersuchuug  der  Kin- 
der 97. 

Nasenwurzel  338. 

Nebenhöhlen  der  Nase  341. 

Nebentrommelfell  150. 


Neoplasmen  des  379. 
Neoplasmen  des  Kehlkopfes 
370. 

—  der  Nasenhöhle.  378. 

—  im     Nasenrachenräume 
339. 

Nephritis    scarlatinosa  239. 
Nerven  des  Kehlkopfes  254, 
633. 

—  der  Nasenhöhle  345. 
Nervöse       Gehöraffectionen 

367. 
Nervöser  Husten  169. 

—  Kehlkopfhusten  167. 
Nervöse  Taubheit  367. 
Nervus  Cochleae  155,    190. 

—  larj^ngeus  254. 

—  olfactorius  345. 

—  recurrens  478. 

—  vestibuli  155. 
Neubildungen     des    Gehör- 

organes  379,   382. 
Neubildungen,      heterologe, 
homologe  378. 

—  des  inneren  Ohres  392. 

—  im  Labj^rinthe  268. 

—  des  Mittelohres   385. 

—  des     Ohres,    der    Ohr- 
muschel 379. 

—  des  Trommelfelles  384. 

—  der  Tuba  385. 

- —  des  Warzenfortsatzes  391. 

—  des  Warzentheiles   712. 

Neuralgie     des    Kehlkopfes 

598. 
Neuralgien  des  Pharynx  598. 
Neurit  344. 
Neurosen    des     Kehlkopfes 

392. 

—  der  Mundhöhle  393. 

—  des  Rachens  393. 

—  des  Warzentheiles   712. 
Noltenius'scher  Gegenspiegel 

288. 

0. 

Oberkiefergefässe  344. 
Oberlippe  522. 

—  Heber  der  524. 
Oberlippennasenfurche   522. 
Occlusionen     der     hinteren 

Nasenöffnungen  322. 
Oedema  glottidis  171. 


}172. 


Ohren-,  Nasen-,  Bachen-,  Kehlkopfkrankheiten. 


Oodem,    angioneu- 
rotischcs, 

—  chronisches, 

—  (einfaches, 

—  cntzüii(|[i(;lics   | 
dos  Larynx  j 

Ohr,  äusseres  145. 

—  Blutungen  aus  dem  47. 

—  Cholesteatom  des  87. 

—  Diphtherie  des  105. 

—  Gcfässe  des  148. 

—  Hysterie  des  206. 

—  inneres  154,   189. 

—  Neoplasmen  des  329. 

—  Neubildungen   des   379. 

—  Untersuchung   des   693. 
Ohraftectionen,     interne 

Krankheiten   und  225. 
Ohrblutungen,     vicariirende 

239. 
Ohrenarzt,   Instrumentarium 

des  219. 
Ohrgeräusche,  subjective367. 
Ohrhusten  204. 
Ohrkatheter  212. 
Ohrkiemenfistel  42. 
Ohrklappe  hintere,    vordere 

145. 
Ohrkrankheiteu,   Diagnostik 

der  97. 
Ohrläppchen  146. 
Ohrleiste  145. 
Ohrlöflel  222. 
Ohrmuschel  98,  145. 

—  Bildungsanomalien  43. 

—  Ekzem  der  108. 

—  Fibrome  der  379. 

—  Lupus  der  381. 

—  Neubildungen  der 

—  Syphilis  der   382. 

—  Tuberkulose  der  c 
Ohrpolypen  393. 
Ohrspeicheldrüse  538. 
Ohrspiegel  219,  461. 
Ohrtrichter  219,  461. 

—  pneumatischer,  von  Siegle 
221,  462. 

Oleum  Eucalypti  212. 

—  pini  pumilionis  212. 

—  terebinthinae  212. 
Onanie  239. 

Operation,  endolaryugeale 
375. 

Opiumvrirkung  auf  das  Ge- 
hörorgan 212. 

47 


379. 


181. 


738 


SACHREGISTER. 


Organisches  Stammeln  628. 
Organon  Corti  162. 
Os  hyoideum  531. 
Osteom  der  Nasenhöhle  101. 
Osteophyteu  383. 
Ostitis  mastoidea  701. 

—  tuberculosa  235., 
Ostium    pharyngeum    tubae 

tynipauicae  542. 
Othaematom  98, 
Otholithen  159. 
Otholithensäcke  189. 
Otitis  externa  402. 

—  ■ —  acuta  402. 

—  —   chronica  417. 

—  externa  acuta  diffusa  412. 

—  —   diphtheritica  415. 

—  —  chronica  415. 

—  —  circumscripta  407. 
circumscripta  chronica 

418. 

—  —    circumscripta    sub- 
acuta 418. 

—  —  crouposa  412. 

—  —  diffusa  desquamativa 
420. 

—  —  diffusa  Simplex  chro- 
nica 419. 

—  —  ex  infectione  407. 
follicularis   407. 

—  —  furunculosa  407. 

—  —  haemorrhagica  416. 

—  —  phlegmonosa  412. 

—  —  Simplex    407,    412. 

—  interna  97. 

—  intima  266. 

—  media  97. 

—  media  catarrhalis  425. 

—  —  perforativa  436. 

—  —  plastica  429. 

—  —  sclerotica  429. 

—  —  siippurativa  436. 

—  —    —   acuta  437. 

—  —  —  chronica  444. 
Otoblennorrhoe  228. 
Otomyces  Hageni  456. 
Otomycosis  456. 

—  aspergillina  456. 
Otoskopie  219,  460. 
Ovales  Fenster  149. 
Ovarialhyperästhesie    239. 
Oxyecoia  367. 

Ozäna  463. 

—  Bacterien  bei  der  40. 

—  retronasale  464. 


Ozaeuacoccus  40,  467. 


Pachydermia  diffusa   laryn- 
gis 60,  470. 

—  oris   294. 

—  verrucosa  470. 

Pachymeningitis  haemorrha- 
gica 241. 
Palatum  durum  539. 

—  molle  539. 
Palpation  des  Nasenrachen- 
raumes 689. 

PanOtitis  76. 

—  scarlatinöse  231. 
Papilla  spiralis  Hensen  162. 
Papulae  circumvallatae  534. 

—  conicae  534. 

—  filiformes  534. 

—  foliatae  535. 

—  fungiformes  535. 

—  linguae  534. 

—  magnae  534. 
Papillen,  fadenförmige  535. 

—  pilzförmige  535. 

—  wallförmige  535. 
Papillome    des    Kehlkopfes 

371,  472. 

Paracentese  442,  662. 

Paracentesennadel223,  662. 

Paradoxe,    elektrische    Re- 
action  113. 

Parästhesie  des  Kehlkopfes 
597. 

Parästhesie  des  Rachens  598. 

Paragammacismus  627. 

Paralysis  musculorum  laryn- 
gis 477. 

Parapharyngealdivertikel 
333. 

Parasynanche  17. 

Parese     der     Gefässnerven 
des  Plexus  cervicalis  239. 

—  des  Sympathicus  239. 

—  veli  palatini  482. 
Parotisgefässe  238. 

—  -nerven  538. 
Parotitis  epidemica  232. 
Pars    respiratoria    glottidis 

253. 

—  vocalis  253. 

—  mastoidea,   Caries,    der 
708. 

—  Emphysem,  der  711. 


Pars  Emphysem,  Mykotische 
Erkrankungen    der    711. 

—  — Hyperostose  der  708. 

—  ostea  tubae  tympanicae 
150. 

Passavant'scher  "Wulst  629. 
Paukenhöhle   149. 

—  Polyp  der  385. 
Paukenhöhlenkatarrh,     tro- 
ckener 429. 

Paukenröhrchen    224,   540. 
Paukensaite  150. 
Paukentreppe  156. 
Pemphigus  laryngis  483. 

—  oris  483. 

—  pharyngis  483. 
Penicillium  minimum  450. 
Perceptionsdaucr  201. 
Percussion  des  Warzenfort- 
satzes  3 1 . 

Perforation    des   Trommel- 
fells 438,  440,  446. 
Perforationsgeräusch   30. 
Perichondritis  auriculae  99, 
234,  486. 

—  arytaenoidea  490. 

—  cricoidea  491. 

—  epiglottidis  491. 

—  laryngea  488. 
Perilymphe  158,  189. 
Periostitis    mastoidea    408, 

699. 
Pertussis  228. 
Petiolus    epiglotticus,    Ver- 

grösserung  des  326. 
Pfeife  von  Dalton  222. 
Pharyngitis  acuta  494. 

—  —  catarrhalis  494. 
exsudative  496. 

—  —  follicularis  494. 

—  —  haemorrhagica  495 

—  —  lateralis  494. 

—  —  mycotica  495. 

—  —  ödematöse    496. 

—  —  submucosa  496. 

—  —  ulcerosa  497. 

—  atrophica  500. 

—  cachectica  496,  502. 

—  chronica  498. 

—  —  catarrhalis  498. 

—  —  erythematosa  502. 

—  —  exsudativa  502. 

—  —  haemorrhagica  502. 

—  —  mycotica  502. 

—  —  submucosa  502. 


SACHREGISTER. 


739 


Pharyngitis  chronica  ulcerosa 
502. 

—  crouposa   benigna    495. 

—  clesquamativa  496,  502. 

—  diphtheritica  495, 

—  erysipelatosa  496. 

—  fibrinosa  495. 

—  foetida  500. 

—  follicularis  chronica  500. 

—  gangraenosa  497. 

—  gichtische  497. 

—  granulosa  385,  500. 

—  —  lateralis  500. 

—  hypertrophica  500. 

—  inferior  493. 

—  lateralis  500. 

—  luposa  503. 

—  phlegmonosa  497. 
• —  pustulosa  496. 

—  retroarcualis  500. 

—  rheumatische   494. 

—  scrophulosa  503, 
681. 

—  sicca  46,  465. 
chronica   271,  501. 

—  scleromatosa  502. 

—  Simplex  500. 

—  superior  493. 

—  syphilitica  503. 

—  toxische  494. 

—  tuberculosa  503. 
Pharyngomycosis       benigna 

333. 
Pharyngoskopie  503. 
Pharyngotomia  lateralis  378. 
Pharyngotomia     subhyoidea 

63,  378. 
Pharyngotonsillitis  acuta  ca- 

tarrhalis  497. 
■ follicularis  498. 

—  —  parenchj'^matosa  498. 

—  —  phlegmonosa  498. 

—  chronica  498. 
Pharynx  540. 

—  Neuralgien  des  599. 
Pharynxhusteu  204. 
Pharynxlepra  293. 
Pharynxneoplasmen  505. 
Pharynxtonsille,     Hypertro- 
phie der  6. 

Pharynxtuberkulose  686. 
Phenolum        sulforicinicum 

677. 
Philtrum  522. 
Phlegmone  coli  profunda  26. 


Phlegmone  nasalis  553. 

—  des  Kachens,  acute  in- 
fectiöse  497. 

Physiologie  des  Gesanges 
585. 

—  der  Sprache  583. 

—  Stimme  583. 
Pilzsporen  457. 
Pincetten  214. 
Pityriasis  alba  460. 

—  —  versicolor  459. 
Plätschnase  339. 
Planum  semilunatum  158. 
Plexus    caroticus     externus 

536. 
Plexus    maxillaris    internus 

345. 
Plexus  ophthalmicus  345. 
Plica    ary-epiglottica    249, 

252. 

—  glosso-epiglotticae  late- 
rales, mediae  252. 

Plicae  thyreo-arytaenoideae 
249. 

Plicotomia  665. 

Pneumatischer  Ohrtrichter 
von  Siegle   .221,   462. 

Pneumatocele  supramastoi- 
dea  711. 

Pneumonie,  Ohrerkrank- 
ungen nach  232. 

Pueumoniebacillus  39. 

Politzer' s  Hörmesser  222. 

Politzers  Pulverbläser  223. 

—  Zange  223. 
Politzer'sches         Verfahren 

246. 
Polyarthritis        rheumatica 

237. 
Polyotie   43. 
Polyp  370,  378. 

—  des  Kehlkopfes  124. 

—  der  Paukenhöhle  .385. 
Polypen,  Extraction  der  399. 
Polypenschnürer  von  Wilde 

224,   399. 
Polypenzange    nach    Mandl 

216. 
Polypöse  Hypertrophien  der 

unteren      Nasenmuschelu 

365,  557. 
Pressions  centripetes  202. 
Preusse's  Methode  607. 
Processus    anterior     mallei 

150. 


Processus  brevis  raallei  150. 

—  cocliloaris  150. 

—  lenticularis  151. 

—  muscularis  249. 

—  vocalis  248,   289. 
Prolapsus    ventriculi    Moi'- 

gagni   124. 
Promontorium  144,  463. 
Prüfung,     functionelle     der 

Nase  692. 

—  mit  der  Sprache  197. 

—  mit  der  Taschenuhr  196. 

—  mit  Tönen   198. 
Pseudocrou])  506. 
Pseudoherpes  496. 
Pseudoleukämie,       Ohrer- 
krankungen bei  238. 

Pseudo-M^niere'sche  Anfälle 
301. 

Pseudomumps  231. 

Pseudo-  Nasenrachenpolypen 
358,  365. 

Psoriasis  460. 

Ptychotomia  665. 

Puerperium,  Ohrerkrankun- 
gen im  239. 

Pulpa  dentis  525. 

Pulverbläser  von  Politzer 
223. 

Purpura  haemorrhagica  238. 

Punaisie  463. 

Pyämie  234. 

Pyeme  der  Nasenneben- 
höhlen 519. 

Pyorrhoea  nasalis  519. 

Pyramidenmuskel  524. 

Pyramis  vestibuli  155. 

Q. 

Quecksilbervergiftung    2 42. 
Quetscher  214. 
Quintusneuralgien  240. 

R. 

Rachen,  Anästhesie  des  598. 

—  Blutungen   aus  dem  47. 

—  -Drüsen  546. 

—  Fremdkörper    im    138. 

—  Herpes  des  183. 

—  Hyperästhesie   des  598. 

—  Missbildungen  des  333. 

—  Mykosen  des  333. 

—  Neurosen  des  393. 

—  Parästhesien  des  598. 

—  Phlegmone  des  497. 

47* 


740 


SACHREGISTER. 


Rachen,  Rotz  des  589. 

—  Sarkom  des  591. 

—  Sensibilitätsneuroseu  des 

—  -enge  539. 

—  -ervsipel  117. 

—  -gefässe  546. 
höhle  523,  540, 

—  -katarrh  acuter  6. 

—  -nerven  546. 

—  -polypen,  behaarte  366. 

—  -schnürer  540. 

tonsille,  Hyperplasie  der 

2. 
Eadix  dentis  525. 

—  nasi  338. 
Raphe  158. 
Rasselgeräusch  30. 
Raucedo  181. 
Raucitas   181. 
Reaction,  paradoxe   112. 
Receptaculum  457. 
Recessus  cochlearis  155. 

—  ellipticus  155. 

—  infundibuloformis    545. 

—  sphaericus  155. 
Reflector  219,  285. 
Reflex  462. 

—  -neurosen,   nasale  327. 

—  —  ex  aure  547. 
Regio  respiratoria  343. 
Reibegeräusch,  dünnes,  | 

—  fadenförmiges,  i  30. 

—  saccadirtes        J 
Reibungslaute  255,  617. 
Reichert'scher       Epiglottis- 

heber  290. 

Reissner'sche  Membran  190. 

Relaxed  throat    and    uvula 
500. 

Respiratoren  210. 

Respiratorischer         Stimm- 
ritzenkrampf 167. 

Retronasale  Ozäna  464. 

Retropharyngealabscess  228, 
548. 

Retropharyngeal-Divertikel 
333. 

Rhachitis  237. 

Rhinitis  551. 

—  atrophicans  foetida  463. 

—  catarrhalis    acuta    551. 

—  —  chronica  554. 

—  diphtheritica  545. 

—  fibrinosa  227,   551. 

—  gangraenosa  553. 


Rhinitis  gonorrhoica  553. 

—  purulenta  521,  551. 

—  sicca  chronica  271. 
Rhinolalia  aperta  482,  691. 

—  clausa  556,  629,    691. 
Rhinosklerom    des    Larynx 

565, 

—  der  Nasenhöhle  563. 
Rhinoscopia    anterior    566. 

—  media  568. 

—  posterior  568. 
Rhotacismus  627. 
Richardson'scher  Zerstäuber 

210. 

Riechmesser  693. 

Riechtheil  der  Nasenhöhle 
343. 

Riechzellen  343. 

Rigidität  der  Paukenhöhlen- 
schleimhaut 429. 

Rima  vocalis  252. 

Ring-  Giessbeckenmuskel, 
hinterer,  251. 

—  vorderer  251. 

—  -knorpel  248. 

—  -messer  12,  224. 

Schildkuorpelgelenk249. 

—  —  muskel  251. 
Rinne'scher  Versuch  200. 
Roentgenuntersuchung  571. 
Rosahefe  33. 

Roser'sche  Hakenzange  643. 
Rotz  der  Nase  588. 
Rundes  Fenster   149,   188. 
Ruptur  des  Trommelfells  5 1 . 

S. 

Sacculus  189. 

—  hemiellipticus  189. 

—  hemisphaericus  189. 

—  oblongus  158. 

—  rotundus  159. 

—  utiiculi  158. 

Saccus  endolymphaticus  159. 

Sängerknötchen  123,  371, 
456. 

Saitenschichte   190. 

Salicyl,  Wirkung  auf  das 
Gehör  241. 

Santoi'ini'sche  Knorpel,  Ver- 
grösser ung  der  320. 

Sarcina  aurantiaca  33 

—  flava  33. 

—  lutea  33. 

—  viridis  flavescens  33. 


Sarcine  335. 

Sarkome     des     Kehlkopfes 
589. 

—  der  Nase  590,  684. 
Sarkom  des    Rachens   591. 
Scala  media  189,  190. 

—  tympani  158,  190. 

—  vestibuli  156,  190. 
Scalae  156. 

Scapha   145. 

Scarlatinöse    Panotitis  231. 
Schaltknorpel  340. 
Scharfer  Löffel  12. 
Schild-Giessbecken-Knorpel- 
falte,  obere,  untere  252. 

—  —  -muskel,   äussere 
251. 

—  —  —    innere  252. 
Schildknorpel  248. 
Schimmelmykose  335. 
Schistoglossie  322. 
Schläfebein,  Caries  des  75. 
Schlangengift  242. 
Schleimhaut  des  Kehlkopfes 

252. 

—  der  Nasenhöhle  343. 
Schleirahautriss  von  Stoerck 

279. 
Schleimpolypen     der    Nase 

346,  365,  687. 
Schlinge,    galvanokaustische 

356,  562. 
Schlingenschnürer,   Anlegen 

des  356. 

—  von  Wilde  356. 
Schlundgaumenbogen  539. 
Schlundkopf  540. 
Schlundkrämpfe  591. 
Schlundschnürer  531. 
Schmelz  526. 

—  -oberhäutchen  526. 

—  -organ  528. 
Schmerzhafte     Hyperästhe- 
sie 367. 

Schnecke  156,  189. 
Schneckengang    159,    160. 
Schneckennerv  155. 
Schneider'sche    Haut    342. 
Schneideschlinge  356. 

—  -Zähne  527. 
Schneuzen  ä  la  paysan  94. 
Schnupfen  90. 

—  acuter  227. 
Schulter-  Zungenbeinmuskel 

531. 


SACHREGISTER 


741 


Schwabach'scher       Versuch 

208. 
Schwämme,  giftige  242. 
Schwammcanüle  von  Ifalm- 

Michael  69. 

—  -methode  377. 
Schwartze's  Operation  713. 
Schwartze,    Tretballon    von 

244. 
Schwebungen  195. 
Schwefelsäureverbrennung 

240. 
Scie  pince  363. 
Scorbut,  Ohraffectionen    bei 

238. 
Secundäre        Sinnesempfin- 
dungen 592, 
Seitenstränge,  Hypertrophie 

der  500. 
Semeleder's       Sichelmesser 

217. 
Sensibilitätsneurosen        des 

Kehlkopfes  594, 

—  Rachens  598. 
Septum  nasi  linguae  532. 

—  membranaceum  338, 

—  "Perforationen,      conge- 
nitale 322, 

Sexualaffectionen,    Ohraffec- 

bei  239. 
Sichelmesser  von  Semeleder 

217. 
Siebbeinzellenempyem   520. 
Siegle's  pneumatischer  Olir- 

trichter  221,  462. 
Sigmatismus    lateralis   oder 

lambdoides  627. 

—  stridans  627. 
Simulirte  Taubheit  202. 
Simulation  von  Gehörleiden 

599. 

Sinnesempfindungen,    secun- 
däre 542. 

Sinus  frontalis  341, 

—  laryngis  252, 

—  mastoideus  341. 

—  maxillaris  341, 

—  perilymphaticus  vestibuli 
158. 

—  sphenoidalis  341. 

—  sulciformis   155. 
Sklerombacillen  563. 
Skoliose      des     Kehlkopfes 

320. 


Sondirung  des  Nasenrachen- 
raumes 690. 

—  der  Tuba  613. 
Soor  334. 

Specula,  für  die  Nase  219. 
Sphincter  oris  523. 
S])ina  helicis  145. 
Spinae  der  Nase  331. 
Spiralen    von     Curschmann 

353. 
Spirillumsputigenum35,  38. 
Spirochaete    denticola    sive 

dentium  35. 
Spondylitis  cervicalis  704. 
Sporangium  456. 
Sprachanomalien  691. 
Sprache  614. 
Sprache,  todte  691. 
Spritze     von    Fränkel    und 

Heryng  213. 
Stacke'sche  Operation  721. 
Stäbchen     äussere,     innere 

163. 
Stahlhebel  von  Zaufal  223. 
Stammeln,  functionelles  627. 

—  organisches  628. 
Stapes  145. 
Staphylococcus       pyogenes 

albus  36. 
aureus  33,  36,  39. 

—  —  citreus  36. 

—  —  flavus  36. 

—  —  viridis  flavescens  33. 
Status  Meniericus  301. 
Steigbügel  145,   156. 

—  Mobilisierung  des  436. 
Steigbügelankylose  103,430. 
Stenosen,  intra-  und   extra- 

tracheale  646. 
Stenosenbehandlung  493. 
Sterigmen  457. 
Stimme  631. 
Stimmarten  635, 
Stimmbänder,     Cadaverstel- 

luug  480. 

—  untere  633. 

—  wahre  253,  630. 

Stimmbildungscentrum  478. 

Stimmritze  253,  630. 

Stimmritzenkrarapf,  inspi- 
ratorischer, phonischer 
169. 

—  respiratorischer  167. 
Stinknase  468. 


638. 


Stirnbeinhöhlenempyem 

521. 
Störk'sche  Guillotine  217. 
Stockschnupfen  555,  687. 
Störk'sche  Blennorrhoe  50. 
Störk'scher  Schleirahautriss 

279. 
Stomatitis  637. 
Stomatitis  aphthosa, 

—  diphtheritica, 

—  gonorrhoica, 

—  herpetica, 

—  bei  Klauenseuche, 

—  mercurialis, 

—  phlegmonosa, 

—  scorbutica 
Stottern  623. 

Streptococcen-Diphtherie  20. 
Streptococcus  brevis    37. 

—  erysipelatis  39. 

—  pathogenes    longus    37. 

—  pyogenes  36,  39. 
StreptothrixActinomyces  38. 
Stria  vascularis  165, 
Stützzellen  343. 
Stumpfnase  339. 
Subjective        Ohrgeräusche 

367. 
Sublingualdrüse  537. 
Substantia  adamantina  525. 

—  ossea  s.    ostoidea  526, 
367. 

—  vitrea  526. 
SufFocatio  stridula  255. 
Sulcus  mentolabialis    522. 

—  nasolabialis  522. 
— ■  spiralis  190. 
Sumpfgas  241. 
Superficies    articularis    thj'- 

reoidea  248. 
Sycosis  coccogenes  110, 
Sycosis  vulgaris  110. 
Synanche  17. 
Syncheilie  322. 
Sj'ndesmosis  arj-corniculata 

250. 

—  ary-cuniforrais  250. 

—  thyreo-epiglottica  250. 
Synechien  im  Naseninneren 

323. 
Synechotom  224. 
Syphilis  acquisita  235. 

—  hereditaria  236. 

—  lamigis   676. 


742 


SACHREGISTER. 


Syphilis  der  Nase  685. 
Sypliilome    der  Nasenhöhle 
'  638. 

T. 

Tabakmissbrauch  241. 

Tabes  dorsaliSjOhraffectioneu 
bei  240. 

Taraponade  von  Gottstein 
468,  469. 

Tamponcanüle  von  Tren- 
delenburg 69. 

Tasche  von  Tröltsch  463. 

Taschenuhr,  Prüfung  mit 
der  196. 

Taubheit,  nervöse  367. 

—  simulirte  202. 
Taubstummheit  619. 
Tegmen  tympani  149. 
Tenotom  224. 
Teubers  Methode  609. 
Thallus  456. 
Thierstimme  637. 
Thyreodealgeschwülste  639. 
Thyreotomie  64. 

Töne,  disharmonische  195. 

—  einfache  195. 

—  harmonische  195. 
Tölihöhe  194. 
Tonreihe,  continuirliche  198. 
Tonsilla  539. 

—  pharyngea   545. 
Tonsillarhyperplasie  640. 
Tonsillitis  follicularis  17,20. 

—  lacunaris  20. 

—  Simplex  17. 
Tonsillotom  von  Ba 

ginsky, 

—  Mackenzie, 

—  Mathieu 
Tonsillotomie  640. 
Tornwaldt'sche      Krankheit 

500. 
Toynbee'scher  Versuch  246. 
Trachea,     Granulome     der 

647. 
Trachealstenosen  646. 
Tracheotomie  262. 
Tractus  spiralis  foraminosus 

157. 
Tragi  barbulae  146. 
Tragus  145. 
Traumatisches      Emphysem 

245. 
.Traumendes  Labyrinth  265. 


643. 


Trendelenburg'sche  Tam- 
poncanüle 69. 

Tretballon  von  Schwartz  244. 

Trichloressigsäure    bei 
Mittelohrentzündung  653. 

Trockener  Paukenhöhlen- 
katarrh 429. 

Trommelfell  147,   186. 

—  Ausschneidung  eines 
Theiles  des  666. 

—  Bildungsdefecte  des  43. 

—  Duplicität  des  44. 

—  Excision  des  480. 

—  Falten  des  462. 

—  Farbe  des  462. 

—  künstliches  656. 

—  mehrfache  Durchschnei- 
dung des  665. 

—  Neubildungen  384,  665. 

—  Paracentese  des  442. 

—  Perforation  des  440. 
446. 

—  Ruptur  des  51. 

Trommelfellersatz  651. 

Trommelfellfalte,  Durch- 
schneidung der  hinteren 
665. 

Trommelfelllücken  652. 
Trommelfellmesser  223. 
Trommelfelloperationen 

662. 
Trommelfellverletzungen 

666. 
Trommelhöhle   188. 
Tuba  Eustachii    144,    540. 

—  —  Neubildungen  in  der 
385. 

—  —  Sondiruug  der  613. 

—  tympanica  144,341,543. 
Tubenschnupfen  227. 
Tubensonden  613. 
Tuberkulose  der  Nase  682. 

—  der  Ohrmuschel  381. 
Tuberculosis  laryngis  668. 

—  —  narium  682. 

—  —  pharyngis  686. 
Tuberculum    cart.    thyreoi- 

deae  248. 
Türk's  Mundspatel  503. 
Tussis  204. 
Tylosis  oris  292. 

U. 

Ueberkreuzung  der  Giess- 
beckenknorijel  320. 


Ulcus  Syriacum  264. 

Umbo  membranae  tympani 
147,  462. 

Untere  Nasenmuschel,  poly- 
pöse Hypertrophien  der 
365. 

Unterkieferdrüse  537. 

Unterkiefermuskel  531. 

Unterlippe  522. 

Untersuchung  der  Nase  687. 

—  des  Ohres  693. 
Uranoschisma  333. 
Uterushusten  205. 
Utriculus  189. 
Uvula  539. 

V. 

Valsalva'scher  Versuch  245. 
Valsalva'scher  Versuch,  ne- 
gativer 246. 
Varices  im   Kehlkopf    695. 
Variola  233. 
Vasa  infraorbitalia  344. 

—  maxillaria  344. 
med.,  post.,  sup.  344. 

—  ophthalmica  344. 
Vas  Spirale  195. 
Vegetationen,    adenoide    1, 

642. 
Vena  facialis  345. 

—  maxillaris  externa  345. 
Venen  der  Nasenhöhle  345. 

—  des  Ohres  149,  153, 
165. 

Venae  ophthalmicae  344. 

Venöse  Geräusche  238. 

Ventilculus  laryngis  252. 

Verfahren  von  Politzer  246. 

Verkalkungen  des  Trommel- 
felles 384. 

Verletzungen  des  Labyrin- 
thes 265. 

—  des  Warzentheiles  713. 
Verschluss,  congeuitaler  der 

Nasenöffnungen  322. 
Verschlusslaute    255,    618. 
Versuch  von  Bing  201. 

—  von  Corradi  201. 

—  von  Eitelberg  202. 

—  von  Gelle  202. 

—  von  Rinne  201. 

—  von  Schwabach  208. 

—  von  Weber  200,  208. 

—  von  Toynbee  246. 
Verticillium  Graphi  456. 


SACHREGISTER. 


743 


Vertigo  laryngea  171,  695. 
Vestibulum  oris  522. 

—  osseum  155. 
Vibrationsmassage  435,  095. 
Vibrio  rugula  35. 

—  viridans  35. 
Vibrissae  340,  343. 
Vicariirende     Obrblutungen 

239. 
Vocale  619, 
Vocalformanten  615. 
Voltoliui's  Methode  607. 
Vomitus  matutiiras  555. 
Vorhof  522. 

—  knöcherner  155. 
Vorhofsnerv  155. 
Vorhofstreppe  156. 

W. 

Warzenfortsatz;  697. 

—  Neubildungen   des  391. 

—  Percussion  des  31. 
Warzenfortsatzerlvrankung 

697. 

—  -Operationen  713. 
Warzentheil,     Fremdkörper 

im  713. 

—  Neubildungen  der    710. 


Warzonthoil,   Neurosen    des 
712. 

—  Verletzungen    des    713. 
Wasserleitung  155. 
Wasserstrahlgebläse     von 

Lucae  244. 
Watte  träger  213. 
Weber' scher   Versuch    200, 

208. 
Wcchselzähne  527,  529. 
Weisheitszähne  527. 
Wilde'sche  Incision  713. 
Wildo's       Polypenschnürer 

224,   399. 

—  Schlingenschnürer    556. 
Wolfsrachen  522. 
Wrisberg'sche  Knorpel  289. 

—  Knorpel,  Vergrösserung 
des  320. 

Wurzel  525. 

Z. 

Zähne  525. 
Zähne,  Caries  der  32. 
Zäpfchen  539. 
Zahnbein  525. 
Zahnbeinkeim  525. 

—  fleisch  539. 


Zahnhöhle   525. 

—  leisten  529. 

—  Papille  525,  527. 
Zange  nach  Politzer  223. 
Zangonextraction  der  Nasen- 
polypen 355. 

Zaufal's  Stahlhebel  223. 
Zerstäuber  von    ilichardson 

210. 
Zischlaute  255. 
Zitterlaut  618. 
Zitzenvorsprung  531. 
Zungen  631. 
Zungenaktinomykoso   17. 
Zungenbai gdrüsen  540. 
Zungenbein  531. 

—  -Schildknorpelmuskeln 
531. 

—  -Zungenmuskel  532. 
Zungengaumenbögen  539. 
Zungenhalter  nach   Fränkel 

569. 

—  nach  Tobold  569. 
Zungenkehldeckelgrube  252. 
Zungenkrämpfe  727. 
Zungenmuskel  532. 
Zungenlähmung  728. 
Zungennerven  536. 


&,  und  k.  HofbucbdrucUerei  Karl  Frocbaska  in  TeEcheni 


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