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I
/
^^
ACTA GERMANICA
ORGAN FÜR DEUTSCHE PHILOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
rjLTit
VON
RUDOLF HENNING und JULIUS HOFFORY.
Band Y.
Berlin.
Mayer & Müller.
1898.
i
ACTA GERMANICA
ORGAN FÜR DEUTSCHE PHILOLOGIE
HERAÜSOEOEBEN
VON
RUDOLF HENNING und JULIUS HOFFORY.
BAND y, HEFT 1.
DER DEUTSCHE S. CHRISTOPH.
VON
EONBAD BICHTEB.
BERLIN.
MAYER & MÜLLER.
1896.
Der deutsche S. Christoph.
Eine historisch-kritische Untersuchung.
Von
Eonrad Richter.
Berlin.
Mayer & Müller.
1896.
Dnek tob A. Hopter la Burg b. ML
Vorwort
Die Anregung zu der folgenden Untersuchung und mannig-
fache Förderung bei derselben ward mir von meinem verehrten
Lehrer, Herrn Geheimrat Prof. Dr. Weinhold, dem ich auch
hier noch einmal herzlich und ehrerbietig danken möchte.
Als es sich entschied, dass die als Dissertation nur zu
einem geringen Teile zur Veröfifentlichung bestimmte Arbeit
ganz gedruckt werden sollte, habe ich mich bemüht, eine
grosse Mannigfaltigkeit zu möglichster Vollständigkeit zu
bringen. Es blieb aber immer ein Zwiespalt zwischen dem
Streben, das bisher hier und da Geleistete durch eine Zu-
sammen&ssung zu ersetzen, und der doppelten Unfähigkeit,
jede vorhandene Anregung bis zu selbständigem Resultat zu
fördern und in allen Stücken aus eigener Kompetenz zu ur-
teilen. Wenn also der zufällig Wissende gar leicht an diesem
oder jenem Punkte etwas zu ergänzen und berichtigen haben
wird, so hoffe ich doch, dass der Fortschritt gegenüber im
Kleinen befangenen Vorgängern eben in dem liegt, was sich
nur aus umfassender Betrachtung alles dessen ergeben konnte,
was den hl. Christoph angeht.
Das Gewonnene aber verdanke ich, wie ich gern anerkenne,
nicht zum mindesten dem vielfachen freundlichen Entgegen-
kommen der Bibliothek des Stiftes S. Florian in Ober-Oster-
reich, der kgl. Bibliothek und der Bibliothek der kgl. Museen,
des kgl. Kupferstichkabinetts zu Berlin ; der Hof- und Staats-
bibliothek zu München, des Germanischen Museums zu Nürn-
berg, der kgl. Universitätsbibliothek zu Göttingen, der Bats-
schulbibliothek zu Zwickau; femer den liebenswürdigen
Bemühungen und Auskünften der Herren Prof. Dr. Heinrich
Brockhaus in Leipzig, Prof. Dr. Dobbert in Charlottenburg,
IV
Prof. Dr. Heosler in Berlin, Prof. Dr. Schott in Stattgart
[kgl. Öffentliche Bibliothek], Prof. Dr. Strzygowski in G-raz,
Studiendirektor Ph. Meyer in Markoldendorf, Pr. Hannover,
Dr. Hoppe, Dr. Kämmerer, Dr. Plath in Berlin, cand. phil.
Friesland in Göttingen, cand. phil. Keibel in Steglitz, vor
allem auch der uneigennützigen Liberalität und andauernden
Aufmerksamkeit des Herrn cand. phil. Haseloff in Friedenau.
Diesen Instituten und Herren sowie dem Herausgeber der
Acta Germanica, Herrn Prof. Dr. Henning in fitrassburg,
spreche ich meinen tie&ten und ergebensten Dank aus.
Berlin, im Juli 1896.
Konrad B.ichter.
Inhalt.
8«it«
I. Die Vorgesohichte der OhristopUegende . . 1 — 61
Walthers von Speier Christophoruewerk 1. Inhalt der
poetischen Fassung 8. Verhältnis der persönlichen Ein-
leitungen zu einander 7. Charakter des Mannes und
Werkes 10. Verhältnis zu den ältesten martyrologischen
Zeugnissen 17. Hotive der vorauszusetzenden Passio:
angeblich historische 84, fabulistische S7.
Die erweiterten Fassungen 84. Beweise ftir ihre Poste-
riorität 86. Inhaltsvergleichung 48. Tendenz und
Wesen S6. Abgeleitetes 69.
II. Die Ausbildung der Christoplüegeiide in Deutach-
land 62—149
Zur Textkritik des ältesten und eigentlichen deutschen
Ghristophgediohtes [A] 62: Berichtigungen 68| Ver-
mutungen 66, Fraglichkeit des geltenden Resultats 72.
Notwendigkeit weiteren Versuches 74. Differenzen der
Hss. 76. Metrische Wahrnehmung 79. Schema einer
Scheidung von Älterem und Jüngerem 86. Bestätigung
aus dem volkstümlichen Charakter 89. Verhältnis zur
alten Passio : Name, Grösse 92, Vorgeschichte 94, Kar-
tyrium 98. Tendenzen der Überarbeitung 108.
Jüngeres Gedicht [B] 106. Verhältnis zu A als der
Quelle für die Vorgeschichte 106, zur alten Passio als
der für das Martyrium 116.
Legenda aurea 180. Abhängigkeit von A in der Vorge-
schichte 181. Verhältnis zu den Passioversionen im Mar-
tyrium 188. Verbreitung 141. Passional 144. Abge-
leitetes 146. Bomanisohes 148. Bearbeitungen des
19. Jhs. 148.
in. Die Darstellung der Legende 161 — 205
Bedeutung 161. Vorfrage 162. Zustand der alten Passio
VI
Seit«
entsprechend: hundskÖpfig 163, menschlich 168. Ent-
stehung und Ausbüdung des ersten nichtnAtionalen
Typus 160. Der deutsche Typus 168. Einzelheiten:
^ Positur des Kindes 170, Stimbinde 172, Stab 178,
Kleidung 176, Oürtel, Tasche 177, Schwert 180. Um-
/ gebung: Wasserwesen 183, Fluss, Meer 186, Landschaft
/ 186, Einsiedler 187, Kapelle 189. Allgemeiner Charakter
190. Künstlerische Läuterung : Memling 192, Dürer 193,
Vaillant 196. Gknrehafte Scenen 196. Der nicht
deutsche Christoph : der italienische 199, spanische 203,
französische 203, englische 204. Versuche des 19. Jhs. 206.
lY. Niederschlag der Legende in Yolksbrauch und
Yolksmeinung 206—243
Spuren erster Verehrung 206. Einfluss der Kreuzzüge
208. Ausbildung einzelner Funktionen 209. Schatz-
gräberaberglaube 217. Wirkung der Reformation 221,
allegorische ümdeutung 226, [Andreas Schonwaldt 228].
Beaktion 283. Ausdeutungen des 19. Jhs. 234. Ver-
suche mythologischer Anknüpfung 226.
L
Die Vorgeschichte der Christophlegende.
Die erste poetische Darstellung der Christophlegende
ist in Deutschland entstanden. ^Cum primum regno successit
Tertius Otto", im Jahre 983, schrieb sie ein deutscher Geist-
licher in lateinischer Sprache: Walther von Speier.
Wir haben nur eine Hs. seines Werkes, heut auf der
Münchener Hof- und Staatsbibliothek befindlich. Sauber und
sorgfaltig geschrieben hatte sie lange unbeachtet in S. Emmeram
zu Regensburg gelegen, als Jean Mabillon im Iter Germanicum^;
auf sie hinwies. Durch seine Notiz aufmerksam gemacht hat
sein Ordensbruder Bernhard Pez das Gedicht in würdiger
Weise im Thesaurus anecd. nov. ^) herausgegeben, den einzelnen
Kapiteln der nachfolgenden Prosa fägte er Überschriften hin-
zu und handelte kurz über das Ganze in der Dissertatio
isagogica^. Selten störte es da einer in seinem Dasein.
Wattenbach*) und Prantl*) erwähnten es, die Litteratur-
geschichte kannte es nicht. Da hat sich denn schliesslich
ein Sohn Speiers, W. Harster, des Yorfahrs erbarmt und ihm
eine Auferstehung bereitet für weitere Kreise durch eine mit
wertvollen Anmerkungen versehene Ausgabe: Vualtheri Spi-
rensis Vita et Passio Sancti Christophori Martyris, und eine
Abhandlung: Walther von Speier, ein Dichter des X. Jhs.*).
So viel Harster auch zur Erklärung des Textes durch
Belegstellen aus klassischen und mittelalterlichen Autoren
gethan hatte, so konnten doch die Rezensionen von Pannen-
^) Vetera analecta IV, 59.
*) II, 27—122.
•) P. L, LI.
^) Deutschlands QeschichtsqaeDen im Mittelalter ^1886 I, 808.
^) Geschichte der Logik n, 62.
*) Beigaben za den Jahresberichten 1876/7 und 1877/8 der kgl.
Studienanstalt Speier.
1
2 K. Eiohter 2
borg^), A. Schönbacli *), C. Boraian'), im Litt. Centralblatt
f. Deutschland^), und von Nolte^) manche Ergänzung, mehr
oder minder wichtig, erbringen. Der letztere f&hlte sich auch
trotz Harsters Warnung, dass die Sorgfalt der Hs. für Konjek-
turalkritik wenig Anlass biete, bewogen, mit einer unglaub-
lichen Willkür eine Reihe von sog. Yerbesserungsvorschlägen
für den Text zu machen, deren Voraussetzung, dass der
Münchener Codex „wie die^ Mehrzahl der Torhandenen Mss".
kopiert wurde aus einem andern, „der durch Alter, Gebrauch,
Feuchtigkeit abgenutzt, vielleicht hie und da durchlöchert,
ziemlich unleserlich geworden war^, und dass darum die Ab-
schreiber das Unleserlichgewordene oder Verlorengegangene
ergänzten, so gut sie es vermochten, denn doch nur ein Aus-
fluss des persönlichen Konjekturalbedürfiiisses ist. Gleichzeitig
mit Harster nahm übrigens K. Werner % ohne irgend etwas Neues
zu geben, und nach ihm Ebert^, im wesentlichen einen trockenen
Auszug des Inhalts bietend, von Walther von Speier Kenntnis.
Während wir Harsters Verdienst als Herausgeber gern
anerkennen, dürfen wir seiner Abhandlung den Vorwurf einer
landsmännisch befangenen Beschränktheit nicht ersparen. Er
überschätzt seines Autors Einfluss auf die Legende, weil er
ihn als Dichter und als Persönlichkeit überschätzt. Einzig von
einer Würdigung dieser Persönlichkeit aus kann ein Verständnis
seines Werkes und seiner Stellung in der Geschichte der
Legende gewonnen werden. Da wir aber zu solchem Zwecke
öfterer Bezugnahme auf den Inhalt der Legende selbst be-
dürfen, so ist es rätlich, eine kurze Nacherzählung derselben.
^) Gott. gel. Anz. 1879 no. 20.
•) Afda. VI, 166—172.
*) Jahresber. üb. d. Fortechr. d. class. Alterthumswiss. XI, 66/7
XV, 104/6.
*) 1878 no. 40, col. 1826—27.
«) Zs. f. oest Gymnasien 1879, XXX, 617—629.
*) Gerbert von Anrillac, die Kirche und WiBsenschaft seiner Zeit,
Wien 1878.
^ Allgem. G^ich. der Litt, des Mittelalters im Abendlande UI
338—389.
3 Vorgeschichte. 3
wie sie sich bei Walther darstellt , wenn auch unvermittelt^
vorausgehen zu lassen als eine Yergegenwärtigung des ersten
Legendenzustandes überhaupt.
Inhalt der poetischen Passio S. Ohristophori, Walthers
von Speier Buch II bis VI umfassend.
Es war einmal ein mächtiger König, der sass in seiner
Hauptstadt Samos und herrschte über die Syrer. Aber er
war seiner Gewalt unwürdig, denn er barg ein Wolfsherz
unter erheuchelter Lammesmiene.
Zu derselben Zeit lebte in Kanaan ein tugendreicher,
aber armer Mann, dessen Eltern nicht unbekannt waren in
ihrem Lande. Reprobus, „der Verworfene^, war er genannt,
nicht zum Zeichen verderbten Charakters, sondern wie's Brauch
war in seiner Verwandtschaft ; auch sagen sie, er habe das
Gesicht eines Hundes gehabt. Der ging nun früh schon miss-
achtend vorbei an den Altären der Heiden. Er war wie der
Eckstein, von dem die Schrift redet, dass die Bauleute ihn
verwarfen, und da der Prophet in seinem Lande nichts gilt,
so zog er mit leichtem Quersack in die Feme und kam ins
Gebiet der Syrer. Einmal lag er in kühlem Schatten, um die
glühendste Sonnenhitze vorübergehen zu lassen, sein Gewand
hatte er abgelegt, und er weinte leise vor sich hin, dass er
keinen Führer im Glauben finde. Da plötzlich vernahm er eine
englische Stimme, die ihn liebreich tröstete: der Herr habe
Grosses mit ihm vor, er solle in die Stadt, die er vor sich
sehe, hineingehen und standhaft dulden, was ihm auch ge-
schehe, bis die himmlische Barmherzigkeit sich seiner annehmen
werde. Dass er auf der schweren Bahn nicht strauchle, werde
ihm aus heiliger Wolke die Stärkung der Taufe zu teil werden.
Und der Himmel verfinsterte sich. Regen schauerte auf ihn nieder,
und wieder sprach die Stimme des Engels: „Ohristophorus
sollst du heissen von heut an, weil der Vater dich berufen hat,
seines Sohnes Namen in das Volk der Heiden zu tragen^. ^)
') n, 140: „Te qaoque Christophorum matato nomine dici
CensnimaBy qaia sancta Übi praeconia Christi
Missa Samonitifl ininnzit adoptio pairis."
1*
4 K. Biokter 4
Die göttliche Botscliaft im Sinn eilte der Begnadete yorwärts
und gelangte unter die Manem nnd Thore der Stadt Das»
der Herr ihm den süBsen Floss der Bede verleiben mSge^
die Einwohner zvl ftthren zum Quell alles Lebens, flehte er
und trat in einen Tempel des Jupiter, den jene hier aussen
in einem kleinen Haine erbaut hatten.
Es war Mittag, und gerade wollte, bald nach ihm, eine
Frau in das Heiligtum, um ihr Opfer zu bringen. Aber wie
sie kaum das Angesicht des Fremden erblickte, da erschrak
sie so, dass sie laut schreiend hinauslief und nicht eher auf-
hörte, als bis sie zu den nächsten Häusern gekommen war
und atemlos erzählte, was sie gesehen hatte. Nun versam-
melten sich die Leute von allen Seiten um den Heiligen. Der
war wieder vor den Tempel getreten und stand, in Gebet
versunken, ruhig da. und als er die anwachsende Menge
gewahr wurde, flehte er zum Herrn, seinen Stecken erblühen
zu lassen, auf dass das Volk seiner Bede glaube , und der
Herr erhörte sein Gebet. Da Hessen sich viele taufen.
Aber das Gerücht drang zum König, ein Fremder sei
gekommen und veridindige, nur ein Ghott herrsche im Himmel
imd auf Erden ; und er sandte zweihundert EÜeger aus, jenen
heimlich vor sein Angesicht zu bringen. Sie trafen ihn im
G^ebet, doch von seinem Antlitz erschreckt wichen sie zurück,
wie ein Enabe^ wenn ihm eine scheussliche Schlange entgegen-
züngelt. Da sandte der König andere zweihundert, aber auch
sie fielen wehrlos vor dem Heiligen nieder. Als Ohristophorus
sein Gebet beendigt hatte, sprach er zu ihnen : „Keine Königs-
macht der Erde kann mich zwingen, mit euch zu gehen, wenn
ich nicht will. Nur um euretwillen will ich euch folgen.*^
Sie kamen durch die Thore der Stadt, und furchtlos trat der
Heilige in die Halle des Königs vor diesen hin, die strahlenden
Augen auf ihn heftend, dass er entsetzt vom Throne herab-
stürzte. Und als er wieder zu sich gekommen war und schel-
tend und drohend den wunderbaren Mann nach Namen und
Heimat fragte, antwortete der ihm so ruhig, bdsannte so treu
und fest, dass Dagnus — denn so hiess der König — ihn
5 Voi^0Mohio]|te. 5
ntlos in dM Kerker wedeia liessi et hatte keine «ndere Macht
über ihn. Die yierhundert Krieger aber, die er nach dem
Heiligen geschickt hatte, kamen herbei, auch sie glaubten an
Ohristas und duldeten standhaft den Iftärtyrertod, nachdem
der Tyrann yergeblich yersncht hatte, sie durch Ehren und
Silber und Gold zu sich zurücksussiehen.
Es lebten aber in der Stadt zwei Mädchen, Nicaea und
Aquilina, welche sehr schön, doch ToUer ünkeusehheit und
jedem Manne feil waren. Die nun liess der König vor sich
rufen und versprach ihnen reichen Lohn und Dank und sandte
sie in den Kerker zum heiligen Christophorus, auf dass sie
ihn mit sich sündigen machten. So kämpften denn die Königin
Wollust und die Jungfrau Zucht miteinander, aber die Zucht
siegte, und die beiden Yerftthrerinnen stürzten Tor dem An*
geeichte des Heiligen zu Boden und wagten lange Stunden
nicht, ihr Auge zu ihm zu erheben. Endlich yemahmen sie
«eine freundlichen Worte^ wie er ihnen zusprach und nach
ihrer Absicht und ihrem Leben sie befragte, und sie faasten
eich ein Herz und bekannten ihm alle ihre Sünden, und in
tröstender Belehrung und Bekehrung verbrachte Christophorus
mit ihnen die Nacht
Als sie aber am nächsten Morgen vor den König gef&hrt
worden» da begrüsste sie der mit freudigem und ehrendem
Grusse, weil er den nächtlichen Aufenthalt in anderm Sinne
sich auslegte. Um so heftiger entbrannte sein Zorn, als die
Antwort der Schwestern ihn die Wahrheit erkennen liess. Es
blieb diesen nichts weiter übrig, als sich scheinbar seinem
Befehle, den Göttern zu opfern, zu fügen, nur bedangen sie
sich aus, dass die Strassen, durch die sie zum Tempel gehen
mfisstm, festlich geschmückt und alle Bürger dorthin zu-
eammengerufen würden. Dann aber, als sie vor den Götzen«-
bildem standen und vergebUch Antwort und Zeichen des
Gehörs von ihnen heischten, da höhnten sie sie laut im An-
geeichte des Volkes, und mit vereinten Kräften rissen sie
Jupiter und die andern von ihren Marmorsäulen herab und
zertraten sie im Staube. Geduldig liessen sie nun über sich
6 K. Eiohter 6
ergehen, was Dagnns, auf die Kunde Ton ihrer kühnen That^
über sie an grausamen Martern verhängte: und so würde
Aquilina mit einem grossen Mühlsteine an den Füssen auf-
gehängt, der ihre zarten Glieder grausam auseinanderriss^
und Nicaea, nachdem ihr einzeln die Zähne ausgebrochen
waren, um ihr Frohlocken zum Schweigen zu bringen, und
nachdem ein Engel die Gluten des Scheiterhaufens mit thauiger
Hand gelöscht hatte, enthauptet. Sie starben froh im Ange-
sichte des heiligen Lehrers, der vom Fenster seines G-efäng-
nisses aus ihren standhaften Tod sah, und viele des Volkes^
die 2ieugen so yieler Wunder, bekehrten sich zu dem starken
Glauben der Schwestern.
Da beschloss der König, Hand zu legen an die Wurzel
solches Abfalls, an den hl. Christophorus selbst. Als der
nächste Morgen anbrach, Hess er ihn yor sich bringen und^
da er ihn ungebrochenen Mutes und trotz der drohenden
Martern willens fand, den einen Gott in Wort und That zu
bekennen, mit eisernen Ruten stäupen und einen glühenden
Helm ihm aufs Haupt setzen. Umsonst erhoben drei hohe
Würdenträger in seinem Gefolge ihre warnende und tadelnde
Stimme gegen diese Grausamkeit: sie wurden auf der Stelle
hingerichtet, und ein Best von zwölf Ellen Länge angefertigt^
auf den man den Märtyrer band. Als ob ein Meerdelphin
zu rösten wäre, so zündete man ein grosses Feuer darunter
an und nährte es mit Ol, aber wie weiches Wachs schmolz
das Gestell, die Flammen sanken zusammen, und frei und
frohlockend schritt der Streiter des Höchsten hervor, mit
lauter Stimme weissagend, dass die Macht seines Gottes
auch den König selbst noch zum rechten Glauben erwecken
werde. Am folgenden Tage wurde die Marter fortgesetzt:
drei Bogenschützen mussten von der ersten Stunde bis zuni
Sonnenuntergang auf den an eine Säule Tor dem Palast ge*
bundenen Heiligen schiessen. Aber die göttliche Barmherzig-
keit hielt die Pfeile von seinem Körper ab, sodass sie rechts
und links in der Luft schwebten, und als am andern Morgen
Bagnus selbst den Bogen ergriff, da drang der entsendete
'7 Vorgeeohiohte. .7
Pfeil in sein eigenes Auge^ nnd halb erblindet stürzte er za
Boden. Doch der mitleidige Märtyrer rerhiess dem Bethörten
Heilung, wenn er nach seinem Tode ein Weniges von seinem
Blute mit Erde mischen und im Namen Ohristi auf die
Wunde legen würde. Und wie er weiter prophezeit, ward
er am nächsten Tage um die achte Stunde auf des Königs
Befehl enthauptet, es war der fünfundzwanzigste Juli. Vorher
hatte er noch zu Gott gebetet, dass das Land, in dem sein
Leichnam ruhte, bewahrt sein möge vor Hagel und Hungers-
not, vor Flut und Pest, und welcher Besessene ihn anrufe, dass
der geheilt werde; imd eine Stimme von oben yerkündete ihm
die Gewährung solcher Bitte. Auch dem König Dagnus ge-
schah, wie er yorausgesagt, und der Geheilte Hess einen
Befehl ausgehen in seine Lande, dass jedermann getaufet würde.
Das etwa ist es, was man als thatsächlichen Kern der
Darstellung Walthers yon Speier entnehmen kann, es ist nicht
ganz leicht, ihn herauszuschälen. Einzehies, besonders die
Jugend, treten in der prosaischen Bearbeitung, mit welcher
er sein Werk schliesst, deutlicher heryor, im ganzen läuft
der Inhalt ihrer neunundzwanzig Abschnitte durchaus dem
der paraphrasierten fEbf Bücher, deren jedes ungeßthr 260
Verse zählt, parallel. Mancherlei Nebenwerk aber hängt um
diese beiden Hauptteile seiner Arbeit, das nicht uninteressant
für uns ist. Voran geht eine prosaische „Epistula Vualtheii
Subdiaconi ad CoUegas ürbis Salinarum directa'' ; ein poetischer
„Prologus in Scholasticum Vualtheri Spirensis Ecclesiae Sub-
diaconi'', eine „Praefatio ad inyitandum lectorem idonea*
schliessen sich an. Und wie diese Stücke gilt auch noch der
„Libellus primus de studio poetae, qui et scholasticus'' aus-
schliesslich der Person des Dichters selbst, seinem Leben und
seinem Werke, und ebenso die Prosa-„Epistula ad Hazecham
Sanctimonialem, ürbis Quidilinae Kimiliarchen" xmd ein
„Prologus de Vita Sancti Christophori'', die den Übergang
zur Prosadarstellung yermitteln.
Die Schwierigkeiten, welche die Angaben all dieser sub-
jektiyen Ergüsse einem Gesamtyerstehen bieten, sind doch
8 K. Biohtar 8
kaum gewürdigt worden yon denen, die bisher über die Ent-
stehung des Werkes sich eine Meinung zu bilden Anlass
hatten. Von der Nonne Hazecha ist nur in der Zuschrift
an sie die Rede. Welche Bedeutung hatte ihr nUbellus de
yirtutibus s. Christophori'', den sie einst mit einer |,inaudita in
id yersuum genus dulcedo" beim Austritt aus Balderichs
Schule yerfasst haben soll, für Waltber? Wie kommt diese
Epistel an den Schluss der poetischen Passio, vor welcher
nicht nur die Widmungsepistel des Ghmzen an denselben
JBischof Balderich yon Speier, Walthers Lehrer, sondern
auch der Oeleitsbrief an die Kollegen in Salzburg, die domini
Idutfredus, Benzo et Friderichus, steht?
Im Jahre 983 yerfasste Walther sein Gedicht, er über-
gab es Balderioh mit der poetischen Widmung des Prologus
in Scholasticum. Dieser teilte es in sechs Bücher, ordnete
und yerbesserte einiges daran: es ist zu bemerken, dass in
besagtem Prolog noch keine Andeutung dayon sich findet,
nur die Bitte um solche Hilfe. Ihm entspricht zu Beginn
des Über prosaicus der Prologus de Vita S. Ohristophori,
gleichfalls ersterbend im G-efÜhl unbegrenzter Dankbarkeit
gegen den yäterlichen Freund und Gk>nner. „A panris adhuc
lactentis infantiae cunis ubi me iam septennis gratiae puerum
ludus imbuit litterarum, dirina caelitus annuente dementia te
non solum omnis yigilantiae in grege pastorem, quin immo
totius, ut fit in filiis, suscepi patemitatis auctorem**. ttber
die kurz berührte Schulzeit berichtet Walther dann ausführlich
in dem Ubellus de studio poetae. Dem Bischof dankt er
auch den Anlass zu seinem Unterfangen, yon ihm hat er
einen „Ubellus historiarum S. Christophori^ erhalten mit der
Weisung: „hunc libeUum, quem quorundam neglegentium
deprayayit incuria scriptorum, tibi emendandum yel potins
iuxta Maronis in yersibus disdplinam, siye Ciceronis in prosa,
prout yaleas, industriam iterata stili acie e yestigio ezaran-
dum iniungo^. Die in zwei Monaten zusammengeschriebene
Arbeit blieb nun einige Jahre ruhig in Balderichs Verwahrsam.
Da kam etwa 986 Hazecha nach Speier; wie es nach Walthers
9 VorgeBohichte. 9
Brief an sie scheint^ der sie „talis potentia^ neimty j^speculum
meritorum et generis non obscurae'', eine einflassreiche und
Yomehme Nonne; nnd er erinnert sie daran, wie sie einst krank
in der Stadt darniederlag nnd dann wohl ihn, den klein^i
Knaben, der damals kaum in die Schule gekommen war, zu
sich rufen liess und, wenn er den bischöflichen Segen aus-
gerichtet hatte, mit Weintrauben und Geflügel beschenkt und
gläcklich wieder fortschickte. Jetzt hofft der Erwachsene im
Einverständnis mit Balderich, durch ihre Vermittlung irgend
eine Förderung und Gunst zu erlangen: darauf möchte ich
den Ausdruck, „sub futura muneris specie^ habe ihn jener
in ihren Dienst gestellt, deuten. Um sich der Gönnerin zu
•empfehlen, bringt er ihr das bereitliegende Werk mit der
Phrase, nur für sie habe er es so lange aufgehoben, und um
einen Anknüpfungspunkt zu haben, benutzt er die von dem
Bischof ihm berichtete zufallige Thatsache, dass auch Hazecha
zum Abschlüsse des Unterrichts, den sie einmal in Speier
erhalten hat, ein Büchlein über den hl. Christophorus
schreiben musste. Indem er fingiert, es sei durch die Un-
achtsamkeit eines Untergebenen verloren gegangen und seine
ganze Arbeit nur ein Ersatz dafür, der erst durch ihre Gunst
sein Licht erhalten würde, erhöht er in feiner Schmeichelei
sowohl den Wert ihres eigenen Opus als auch setzt er das
seinige in enge Verbindung damit» was ihm eine geneigte
Beachtung zu sichern im Stande war. Ob er den praktischen
Zweck, den er bei Hazecha erstrebte, erreicht hat, wissen
wir nicht, aber wir dürfen schliessen, dass sein Gedicht ihr
gefiedlen hat: sie mag dazu beigetragen haben, dass es nun
öffentlich verbreitet wurde, neu versehen mit der Praefatio
ad lectorem. Der Buf davon verbreitet sich, und drei ihm
bekannte Salzburger Geistliche bitten den Verfasser, bald
nach Balderichs 987 erfolgtem Tode, um Hitteilung. Der
gefallige Mann — imd das charakterisiert ihn — lässt ihnen
ein Exemplar zugehen, in denen alle die Vorreden, die er in
verschiedener Absicht zu seinem Werke verfasst hat, hinter
dem letztgeschriebenen Geleitsbriefe aufrücken müssen. Es
10 K. Eiohter 16
ist ein Zufall, dass uns dieses Exemplar oder vielmehr eine
Abschrift davon erhalten ist: ein älteres würde weniger, ein
jüngeres vielleicht noch mehr derartiger Anhängsel überliefern.
Zu dem ganzen Bilde, das wir uns von Walther von
Speier machen müssen, stimmt diese Deutung der Verhältnisse
gar wohl. Es ist mir unzweifelhaft, dass er seiner Zeit sich
dargestellt hat als das Prototyp eines fähigen und ehrgeizigen
Hofgeistlichen, eines Weltmannes, der die Karriere, die Er-
ziehung und Konnexion ihn zu machen in den Augen der
Welt berechtigten, auch wirklich machte, soweit sich ver-
folgen lässt. Über seine Eltern erfahren wir nichts : vielleicht
waren sie früh gestorben, vielleicht nicht recht präsentabeL
Von früher Kindheit an ist ein vornehmer KirchenfÜrst sein
hoher G-önner, als sein Hausgenoss steht er mit ihm in ver-
trautem Umgang. Er ist Liebling einer vornehmen Dame
geistlichen Standes, der er in den langweiligen Stunden einer
Krankheit die Zeit vertreibt, die ihn mit Näschereien füttert.
Er empfängt eine ausgezeichnete Bildung, Unterricht in allen
Wissenschaften der Zeit unter beständiger persönlicher Auf-
sicht des Bischofs; dem wohlgelehrten, höfischgewandten
Jüngling steht eine glänzende Laufbahn offen, deren nächstes
Ziel, das Subdiaconat, auch dieses schon lange zu den höheren
geistlichen Würden gehörig, er bereits „sub puerilibus annis'^
erreicht hatte. Ein Weiteres war die Passio S. Christophori,
eine grosse Probearbeit, durch die er bewies, dass er auf der
Höhe der Bildung seiner Zeit stand. Nicht nur der Brief
an Hazecha, sondern jeder Vers, jede Zeile, in denen er von
seiner Person spricht, sind Ausfluss solcher Lebensstellung
des Verfassers. Er erstirbt in Demut und Dankbarkeit gegen
Lehrer und G-önnerin, er kann nicht genug Ausdrücke finden,
sein eigenes Werk, seine eigene Person herabzusetzen, und
doch liebt er dieses Werk sehr zärtlicli und diese Person
noch mehr, diese seine „parvitatem**. Was Harster verteidigt,
dass unser Walther es sei, der im Jahre 1004 als zweiter
Nachfolger Balderichs den Bischofsstuhl von Speier bestieg,
würde die Wahrscheinlichkeit unserer Charakteristik des
11 Vorgescilichte. 11
Hannes um einen Grad erhöhen. Denn dieser Bischof Walther
war einer der vertrautesten Grossen der beiden Kaiser
Heinrichs ü. und Konrads des Saliers, vom ersteren mit
Bing und Stab belehnt, sein Gesandter an Papst Benedikt Vlll.
inbetreff der Kaiserkrönung, sein Begleiter nach Born, der
Schützer der kaiserlichen Gemahlin auf der Bflckreise.
Vielleicht war er von Konrad ausersehen, über den Bau des
Limburger Domes zu wachen wie über den des Speierer.
Er starb 1031, ein vollendeter Prälat.
Alles das, was über Walthers Persönlichkeit gesagt wurde,
sollte nicht den geringsten menschlichen Tadel in sich schliessen.
Auch der vornehme Hofgeistliche braucht an persönlicher
Würde und Ehrenhaftigkeit nichts eingebüsst zu haben auf
seiner glatten, nicht gefahrlosen Bahn. Aber in jener auf-
strebenden Zeit der Ottonen, die dem Betrachter manche
interessanten Charaktere bietet, verdient auch ein Typus wie
der Walthers Beachtung, menschlisch wie litterarisch. Er
steht äusserlich in Beziehung zu Ekkehard I. von S. Gallen,
in Beziehung durch den vierten Ekkehard, der beiden ihre
Grabschrift geschrieben hat. Man könnte Ekkehard I. auch
wohl Walthers litterarischen Oheim nennen, der alte Geraldus
von S. Gallen war sein wie Balderichs Lehrer. Beide haben
sie ihre Werke als Schularbeiten, sogenannte dictamina, ge-
fertigt, auch Gerald wird wie Balderich die Arbeit seines
Schülers gefeilt und gestutzt haben. Und nun vergleiche
man sie. Auf der einen Seite eine Fülle von plastisch hin-
gestellten, lebendigen Charakteren, ein breiter Strom epischen
DetaUs, eine tiefinnerliche Anteilnahme am Geschehen —
und bei Walther? Weiss und schwarz, Christ und Heide,
das sind die Gegensätze, in denen sich seine Charakterisierungs-
kunst erschöpft. Die Ungläubigen, die Schlechten werden
repräsentiert durch den heidnischen König, fUr dessen Ver-
worfenheit keine Worte zu stark sind, die Getauften, die
Ghiten durch Christophorus. Eigentlich nur auf seiner Seite
finden wir die wenigen Nebenfiguren, Ableger des Haupttypus,
den er darstellt. Es ist charakteristisch, dass Nicaea und
12 K. Biohter 12
Aquilioa, die Tomehmen Hof huren, in eines Hinüedlens Spanne
Tom Stande des Lasters in den der Tugend umgeweisst
werden; hier eine seelische Umwandlung auch nur ahnen za
lassen, bemüht sich Walther nicht. Diese beiden reden dann
genau so wie Christophorus selbst redet, genau so wie der
Chor der vierhundert redet, und genau so, wie Walther von
Speier geredet haben würde, wenn er in Versen gepredigt
hätte, und die monotone Bedesucht seiner Personen erstickt
jegliche Realistik der Darstellung des Ausseren, die gerade
für das Epos so wesentlich ist. Nicht das, was geschieht,
ist für Walther die Hauptsache, sondern einmal, was sich
darüber reflektieren, und sodann, was sich von solcher Be-
flexion etwa den Beteiligten in den Mund legen lässt. Das
geht soweit, dass stellenweise das wirkliche Geschehen, so
einfach und grobzügig es eigentlich ist, besonders in der
poetischen Darstellung nicht recht zur Klarheit kommt. Eine
deutliche Vorstellung der Ortsverhältnisse kann Walther selbst
so wenig gehabt haben wie wir sie aus ihm gewinnen können.
Wie verschleiert und vag erscheint uns die ganze Jugend des
Heiligen, das, was vor seinem Eintreffen in der Stadt des
Dagnus liegt, wie trocken und dürftig ein Auszug des That-
sächlichen des darauf folgenden Erbaulichen.
Freilichi man mag einwenden, dass alle die poetischen
Hagiologieen der Zeit Walthers von Speier ohne Ausnahme
das Bestreben vermissen lassen, den Forderungen epischer
Kunsttechnik gerecht zu werden. Das ist richtig. Aber man
denke daran, dass andere Keime eines Fortschritts sich auch
in jener litteraturgattung damals leise regten, ein gewisses
historisches Interesse, eine zweifelnde Mönchskritik gegenüber
den Quellen, eine Neigung zu psycholpgischer Vertiefung, man
denke etwa an Odo von Cluny, an eine Frau wie Hrotswith.
Solchen Persönlichkeiten, die in seinem Jahrhundert
wohl begegnen, steht Walther gegenüber als ein unpersönlicher,
geistesschmiegsamer Gelehrter, oder besser Gebildeter. Er
reicht den grössten BUdungsdünklem aller Litteraturen das
Wasser. Er schwelgt in der Freude an seinem Wissen, jeder
13 ' Vorgesofaichte. 13
Vers, jedes Wort ist solcher Frende yoU. Es ist das nicht
za verwechseln mit der Naivität, in der Ekkehard etwa ganze
Yerse aus lateinischen Klassikern und Klassizisten entlehnt.
Walther hat das, was er gelesen hat, wirklich verarbeitet,
ans den Fetzen fremder Gewänder sich einen bunten Mantel
zusammengestückt und die Nähte, das wollen wir ihm zu-
geben, gut vernäht. Sein Werk ist eine grosse Mosaik aus
den Metaphern, Gleichnissen und allen Stilmitteln des Alter-
tums. Es macht ihm keine Mühe, sie zu suchen^ wie es dem
Dichter wohl Mühe kostet, bis ein Bild sauber, ein Vergleich
deutlich und rein heraustritt, er hat alle seine Trümpfe in
jedem Augenblick bequem zur Hand, er denkt den deutschen
Begriff und schreibt — nicht das lateinische Wort — sondern
die lateinische Umschreibung, eine einfache Metapher, ein
ausgedehnteres Gleichnis, wie sie ihm aus diesem oder jenem
Elassiker ins Gedächtnis treten, ohne Anstoss hin. Dass er
so in zwei Monaten sein ganzes Werk zu Stande brachte,
zeugt von der Gründlichkeit seiner Schullektüre, wie es das
Verzeichnis der Schriftsteller und Dichter, das er selbst im
Ubellus de studio poetae giebt, und das Harsters Untersuchung
ergänzt hat» von ihrem Umfange thut.
Aber solche Anerkennung des Könnens darf uns nicht
verleiten, mit Harster Walther von Speier wirklich dichterische
Beföhigung zuzugestehen. Wenn sie in dem „hohen Schwünge
seiner Begeisterung, mit der er die Gnmdwahrheiten des
Christentumes vorträgt'', gefunden wird, nun ja, so soll in
den Beden seiner christlichen Personen eine gewisse feierliche
Kraft der Worte, ein andringendes Pathos nicht geleugnet
werden. Wo er nichts weiter ist als der christliche Prediger,
wo er sich, übrigens in weit massvollerer Weise als der an-
tiken, der biblischen und altecclesiastischen Phrasen, Bilder,
Geschichten bedient, da ist er am geniessbarsten. Eine gründ-
liche Kenntnis der Schrift» eine Beherrschung der kirchlichen
Tradition, ihrer Argumente, Grübeleien, Fabeleien, wie denn
etwa selbst die Stellvertretungslehre der Ejrche versificiert
erscheint, erweist zur Genüge, dass Walther auch an dem
14 K Richter 14
zweiten Bildangsfaktor seiner Kultorepoche, die Antike und
Christentum so unbefangen zu einer SSinheit zu machen wusste,
seinen gemessenen Anteil hat. Aber zuletzt ist doch auch
das nur ein äusseres Anbringen Yon Erlerntem mit einiger
Geschicklichkeit, und nur, weil eine Verbrämung dieser Art
dem Stoffe gemässer war als der antike Aufputz, trägt sie
weniger offen den Charakter des Schwulstes an sich, der
diesem aufs unerträglichste eignet«
,,Qespreizt, mit Gelehrsamkeit überladen*^, dieses urteil
Wattenbachs hat trotz Harsters Verwahrung in allerschär&tem
Grade von Walthers Stil zu gelten ; innere Leere bei ausser-
liebem Prunk, jene unangenehmste Art poetischer Mache, die
man eben mit dem technischen Ausdruck „ Schwulst '^ zu be-
zeichnen pflegt, ist im grossen und im einzelnen unverkennbar.
Nur nicht das sagen, was man meint, sondern es ins schönste,
erglänzendste, erhabenste potenzieren, das ist das Bestreben
solcher Stilabsicht. Man nehme einmal die ganze Gruppe der
Ausdrücke für loqui, z. B. II, 152 plectoria tacitae linguae
solrere, II, 164 talia mellito modulari carmina plectro, femer
II, 217, m, 67, V, 94, VI, 225, wie seltsam kontrastiert ihr
Bombast mit dem doch simplen Stoffe, und wie macht es uns
lächern, wenn nach der Bekehrung auch der König noch ge-
würdigt wird: tacto canere haec modulamina plectro, VI, 253.
Jawohl, auch seine Zeitgenossen brauchen solche Phrasen,
ohne ihr Sinnliches noch zu empfinden; dass aber Walther
mit an erster Stelle in allem derartigen üngeschmack steht
und wohl in manchem an allererster, das erkennt, wer sich
die Mühe ninmit, auf einzelne Gruppen von Phrasen, Bildern,
Gleichnissen grundsätzlich zu achten. So ist mir ein auf*
fälliges Zeugnis f&r die vermuteten persönlichen Verhältnisse
die Vorliebe für die höfischen Umschreibungen der königlichen
„potestas" und der eigenen „humilitas^, wie sie etwa in wenigen
Versen UI, 81 — 85, der Bede des Heiligen an die abgesandten
Krieger, sich häufen : „regalis praesentia honoris'', „trutinatio
nostrae librae'', „archia'', „milestalisregni'', „tantaexcellentia''.
Dahin gehört auch die Übertreibung seiner Vergleiche, seiner
15 Vorgeeohichte. 15
Bflder, wenn z. B. er, der Knabe, wie die Gemse, die furchtsam
über die Hügel springt, oder wie der Gladiator, der die blut-
triefende Arena hält, sich mit Mut gürtet, um — Grammatik
zu treiben, I, 37 — 40; die Uberschwänglichkeit der Dankbarkeit
gegen Balderich, der kaum „illud beati Hieronymi torrens
eloquium'' Ausdruck zu verleihen im Stande wäre, prol. pros.,
oder die Sucht, von seinem Werke nur in den bescheidensten,
servilsten Wendungen zu reden: so dass er, der versichert,
dass er nur durch die Gnade Christi, beileibe nicht durch
eigenes Verdienst Subdiakon geworden ist, praef. 76, sich
freuen will, wenn sein Werkchen in Balderichs Bibliothek
beigeseUt würde ^genuis vel in imo margine biblis«", prol
in schol. 20. Wie rein äusserlich in Wahrheit diese Be-
scheidenheit ist, das bezeugt die prunkende Anmassung des-
selben Mannes in seinen ausgeführten historischen Vergleichen,
wenn er sich etwa mit Begulus misst, dessen Starrsinn Leid
imd Verderben über viele gebracht habe, wie nun auch er,
trotz des warnenden Zurufs der Freunde, eine Last, der er
nicht gewachsen, auf sich nehmen und den abschüssigen Berg-
pfad hinabeilen werde, bis er unter ihr zusammenbreche,
praef. 1 — 68; in der pomphaften Verwendung mythologischer
Kenntnisse^ wie z. B. Mulciber und Pyracmon aufmarschieren
müssen, um den Bost für Christophorus zu verfertigen,
VI, 117 — 121; vor allem aber in der Freude an AUegorieen,
besonders in jenem Ungetüm einer solchen, das im ersten
Buch die Verse 114 — 223 einnimmt, xmd dessen Wert fär
unsere Kenntnis des mittelalterlichen Schulwesens hervorzu-
heben jeder sich beeilt, der einmal in seine EZlauen geriet.
Statt der Versinnlichung eines Ideellen, die die Aufgabe einer
Allegorie ist, bietet dieses Lektionsverzeichnis eines Schul-
unterrichts fortlaufende Bätsei, zu deren Lösung selbst die
peinlichste Fachbildung nicht völlig ausreicht. Das schlimmste
aber ist, dass Walther aus dem Bereiche der Bildlichkeit fort-
während in das Beich der Wirklichkeit hinüberschwankt, und
auch seine Vergleiche mit einander ins Einvernehmen zu setzen,
nicht im mindesten bedacht ist. Ganz besonders treten solche
16 K Eichter 16
Dissonanzen uns in den umständlichen, gequälten Einleitungen
entgegen, die der Dichter fast jedem Buche, jeder Epistel
vorausgesetzt hat. Nehmen vir etwa den einfachen AnfSeuigs-
gedanken des prol. in schol. : „Mein Werk bedarf deiner
Hilfe, Balderich**, imd sehen wir, wie unsäglich yerklausuliert
er herauskommt. Da heisst es erst: „Wer wirbt um neue
Huld, der löse erst die Schuld, so sagt eine alte RegeF.
„Deshalb soll jeder den Zehnten seines Ackers als Entgelt
fUr seine Früchte der Eirche darbringen, damit der, der nichts
zu geben hat, am Tage des letzten Berichts um seiner blossen
Gesinnung willen Gnade erhalte, weil da mehr gilt das Scherf-
lein der Witwe als aufgehäufte Reichtümer. Darum, dass
nicht die Kalte der Felsen die zarten Erstlinge verderbe oder
die mitaufgegangenen Domen sie ersticken oder das frohe
Ergebnis der Ernte die Neider errege, übergebe ich deiner
Hut, Balderich, die G-erste^ u. s. w. : unnatürlich geschraubt
klingt dieses Ubermass der Rede zum Ausdruck des dürftigsten
Gedankens.
Das ist Schwulst Und selten gelingt es Walther, sich
aus ihm zu einiger Anschaulichkeit, zu günstigeren Wirkungen
zu erheben. Wenn er sich des Oxymorons [TT, 44], des Wort-
spiels [111,73, n, 18], der rhetorischen Frage, der Apostrophe
an irgend eine musische Abstraktion [V, 90, 178, VI, 31]
und besonders der Ironie [praef. 50. VI, 166, 171] als an-
tiker Stilmittel bisweilen geschickt bedient, so ist auch das
nur ein technisches Können. Eine klargeschaute Situation,
wie sie IV, 183 — 89 geboten wird in der Versammlung der
Räte des Königs: wie sie kommen imd jeder seinen Platz
einnimmt, wie der König auftritt, auf erhöhtem Sitz sich
niederlässt und alles ruhig wird, bis die beiden Mädchen
vorgeführt werden, ist vielleicht das episch Gelungenste
des ganzen Gedichtes, und auch hier wieder kennzeichet
sich der vornehme Hofgeistliche, der solche Scenen kannte,
und wenn er in seiner Prosadarstellung ein wenig klarer ist,
wenn er den Bilderschmuck, das Mythologische darin sehr
beschränkt imd auch den Dialog einfacher und lebendiger
17 Vorg^aohichte, 17
giebt, 80 ist daran oicht eine grössere Kraft in der pcosaisdiiNi
Bede an sich Sobald« sondern nur ein überwiegen des christ-
lichen Elemenjbes über das aatike, wie solche Unterscheidung
der StUartai in der gebundenen und der ungebundenen Form
der Erzählung durchaus im Geschmacke der Zeit war, und
dem entspricht es, dass in der Prosa die biblischen An-
spielungen und Cütate beträchtlich yermehrt und wörtlich treuer
erscheinen. Im Grunde ist es dieselbe Unpersönlichkeit, die
diese Prosa wie die leoninischen Hexameter geschrieben hai'^
bisweilen lässt sie sich an, als hätten mr einen sermo de
yita unseres Heiligen Tor uns, wie sie deanals wohl gehaltoa
wurden, und Ausrufe roller Pathos und Unbedeutendheit : «0
inexstinguibUis lucemae fulgorem ! o inaestimabilis flagrantiae
florem! o beatum tanti pignoris uterum et taUs tantaeque
prolis ineffabUe sacramentum!'« neben solchen voll weinerlicher
SüssUchkeit : „0 salutaxinm rimulas genarum! o quam dulees
gemmulas lacrimarum!^ sind Ausfluss * einer vornehm-seichten
JBrbaulichkeit. Wie sich aber seine Leoniner, nach Harsters
Berechnung zu ^/^^ ganz rein, besonders wenn man die Fülle
und mannigfache Gliederung seiner Konstruktionen und Perioden
in Betracht zieht — der Leoniner hat naturgomäss eine Tendenz
zur monotonen Zweigliedrigkeit der Yerse — , als eine ganz
einzig dastehende Leistung in einem so umföngliohen Gedichte
erweisen, so zeichnet sich auch Walthers Prosa durch ihre
grössere stilistische und rhetorische Gewandtheit vor andern
Heiligenleben der Zeit aus, vielleicht auch durch eine feinere
Eleganz.
Es war geboten, durch diese ausführliche Betrachtung eine
lebendige Vorstellung von Waltber von Speier, einen Massstab für
seine dichterische Pot^iz zu gewinnen, um von hieraus sein
Verhältnis zu seinem Stoffe formulieren zu können. Es ist
von Harster behauptet worden, dass er die „dürftigen um-
risse der Sage^, wie er sie vorfand, „mit dichterisch aus-
schmückender Phantasie zu einem abgerundeten Gemälde **
ausführte und dass sein Werk die Quelle war, „aus der mit
immer grösser werdenden, aus der Unkenntnis der handwerk-
2
18 K. Bichter IS
massigen Legendenschreiber entstandenen Verderbnissen ver-
mutlich alle folgenden Darstellungen der Legende bis auf
Jacob von Oenua geflossen sind.** Dagegen ist von anderer
Seite [Schönbach] Einspruch erhoben worden. Eine Gesamt-
darstellung der Legende hat sich selbständig zu entscheiden.
Wir sehen uns zu dem Zweck zunächst die „dürftigen um-
risse^ etwas näher an.
Man sagt, wohl meist auf die Bürgschaft der Acta
Sanctorum hin, dass bereits die ältesten Martyrologien den
hl. Christophorus unter dem 95. Juli erwähnen. Das ist etwas
zu rektifizieren; wobei es darauf ankommt, was man unter
dem vieldeutigen Begriffe eines Martyrologiums versteht. Jeden-
falls ist zu erinnern, dass viele alte Kaiendarien — und sie
treten ja auch unter dem Namen von Martyrologien auf —
den Heiligen noch nicht vermerken, und es ist, in anbetracht^
dass er nach der gewöhnlichen Überlieferung aus Syrien
stammen soll, nicht ohne Bedeutung, dass er in dem Mar-
tyrologium vom Ende des 4. Jhs., das W. Wright als An ancient
Syrian martyrology im Journal of sacred litterature and biblical
record 1866/6 in London nach einer 412 geschriebenen syrischen
Handschrift herausgegeben hat, noch nicht sich findet Bei
andern, die ich nennen könnte^), wäre immer zu erwägen,,
wie weit sie überhaupt die Absicht haben, die Tage aller
Heiligen anzugeben, da lokale Kultverhältnisse eine schriftliche
Überlieferung zu beeinträchtigen imstande waren, wie ich das
Fehlen des Hl. z. B. in dem sächsischen Kalendariüm in
Hickes Linguarum vet septentrion. ^, gegen das Jahr 1000, in
dem King Athelstans Eal. bei B. T. Hampson Medii aevi
kal. London 1841, ja selbst noch in dem Yet. kal. Oallice
scriptum ebenda aus dem 14. Jh. mir zu erklären geneigt
bin. Ich fühle mich jedoch auf diesem Gebiete zu wenig
*) Wie das Kal. antiquissimam eocleaiae CarthafäniensiB in MabiU
lone Yetera analecta Paris 1728 p. 108, das sog. Hart, poetioam de»
Beda Yenerabilis, das Aniiqaam cal. s. Bomanae eod. in Martenes und
Durands Thesaurus nov. anecdotorum, Paris 1717, V, 68 ff. u. s. w.
•) Oxford 1708 I, 803.
19 Yorgesohichte. 19
kompetent y um inbezug auf einen Heiligen ausführen zu
wollen^ was f&r die Gesamtheit solcher Verzeichnisse noch
fehlt: den genealogischen Zusammenhang der verschiedenen
Überlieferungen, der Gfmppenzust&nde und der einzelnen Ver-
treter; das gilt auch für das Folgende. Wann der Name
unseres Heiligen zuerst auftaucht, lässt sich nicht genau
fixieren, und es bleibt eine relative Kenntnis, wenn man die
ältesten Zeugnisse seiner Verehrung im Mart. S. Hieronymi
presbyteri nomine insignitum — * dieser Titel ^) sagt genug —
und im Hart, fiomanum parvum sive yetus') unter dem
25. Juli findet. Letzteres gehört vielleicht dem Beginne des
5. Jhs. an^. Eine abweichende Datierung des Heiligen auf
den 38. April begegnet merkwürdigerweise in dem prosaischen
Martyrologium des Beda^), das möglicherweise jenes angeb-
liche des Hieronymus benutzt hat, und dem Mart Ottobonianum
aus dem 10. Jh., wohl gleichfalls zur Hieronymianischen Qruppe
gehörig '^). Hrabans Martyrologium und das Mart. eccl.
Oermanicae pervetustum, das Matth. Fridr. Beckius, Augs-
burg 1687, herausgab und ins 10. Jh., sowie in Verwandt-
schaft mit dem Beda genuinus stellte, geben den 28. April
und den 26. Juli gleicherweise. Beda starb 735. Seine Da-
tierung verschwand neben der einflussreicheren Wirkung der
beiden älteren Martyrologien.
W2Uirend Beda nur den Namen des Heiligen giebt, lautet
die Angabe des mart. Bom. vet. : „Oivitate Samo, Ohristophori
martyris**, die des mart. Hieron. : „In Sicilia, civitate Samon,
Christofori, Martyris'' ^). Alle späteren Martyrologien, die in
ihrem Gesamtinhalt im allgemeinen auf diese drei Quellen
zurückzumhren sind, Uessen sich äusserUch dementsprechend
') D'Acherys Spioilegiom 1728 U, 15.
*) Patr. lat. CXXIII, 148.
*) f. Hampson 1. c. I, 889.
*) Patr. lat. XCOT, 89».
*) Mart Adonis ed. Dom. Georgias, Born 1746, p. 676.
*) Patr. lat. XXX, 488 Andere Lesart: In Licia civitate Salmon
nataliB Sancti Xristofari, im YetostiaB oocidentaÜB ecolesiae martyro-
logiom D. Hieronymo tribatnm ed. Florentinius, Lncae 1668, p. 681.
2*
90 ^ Richter 90
sdieidea in solche, die nur den Namen yerzeiclmen — vie
z. B. das poetische des Waadelbert y. 940, mit dem hL CuenfiM
zasammen^), ebenso das KsiL Mozarabicam, femer das Mart.
Foldense aus dem 10. Jh.^ — und andere, die mit mehr oder
weniger starken Abweichungen genauere Bestimmung«! des
Ortes und der Art des Martyruuns geben. Von den letzteren
sind uns drei Fassungen von besonderer Wichtigkeit. Im
Mart7r<4ogium des Ado, Bischofs Toa Yienne, 858 vollendet,
heisst es^: «In Licia, civitate Samo, s. (äristophori, qui
virgis fSaorreis attritus, et a flaaimis aestuantiB inoendü Christi
virtute ealvatas, ad ultimum sagittarum ictibus confassms,
marlyriun capitis obtruncatione complevit.'' Ihm folgt, bis auf
die Namensform Samon, ganz genau sein Landsmann üsuardus,
der sein Werk 876/7 dem König Karl dem Kahlen widmete %
femw Notker Balbulus, der sein Martyrolog auf Ghrund des
870 von Ado dem Kloster 8. Gallen geschenkten Exemplars
verfasste. ^). Anders Hrabanus Manrus 846*): „Eodem -die
(S&. JuU) passio est sancti Ohristophori marfyriG^ qui in Samo
civitate a Dagno rege martyrizatus esL Nam per varia tormenta
rex illum cmdare jussit. Sed vir sanctus impetravit a Domino,
ut multi crederent per ipsum in Christo, nee non et ipsum
regem, qui sagittae ictu ocolum peididit, sanguinis sui gutta
post passionem suam sanavit, siout ei ipse ante praedixil^ et
ad fidem Christi convertit.^ Sehr interessant ist dann die
Bearbeitung des prosaischen Martyrologs des Beda, die Florus
als Diakon zu Lyon um 860 erweiternd ausführte''). Es ist
schwer zu sagen, was in den verschiedenen Hss. derselben
auf Florus selbst zurückgeht, was etwa von Späteren hinzugefilgt
1) Patr. lat. CXXI, 606.
') Analecta BoUandiana 1882, I, 88; 66 hat auch, p. 28, unter dem
28. April: In Affrica Niceae virginis, was vielleicht einen Anhaltspunkt
für jene Datierungsverschiedenheit gieht.
>) ed. Georgius; auch Patr. lat. CXXIII. 806.
«) Act Sanct. Junii tom. YII p. 886.
*) Henr. Canisius Antiquae lectiones, Ingolstadt 1604, VI, 888.
«) ibid, oder Patr. lat CX, 1121.
") Act Sanct Mart H, XXV. Patr. lat XCIV, 986/6.
81 Vorgewhiokfce. 31
ist. Da aber die Mas. Tornacense und AtrebateiiBe — neben
I^aetiense die beiden Mss« Belgica, letzteres und die S. Cyriaci
und Yaticanum enthalten nur den Namen — sowie das Ms.
Barberinianum darin übereinstimmen, so könnte man yielleicbt
ihren bescheidenen Zusatz: „Eodem die in Lyoia ciyitate
Samon natiJe S. Ohristophori^ dem Florus zuschieben,
während die Fortsetzung des Tomacense, ihm allein eigen-
tümlich, später sein mag oder der zweiten Bearbeitung des
Floms, Ton der üsuardus berichtet, angehört. Sie lautet:
„qui jussu Dagni regia in carcere redusus, Niceam et Aqui-
linam, quas ipse tyrannus ad seducendum eum miserat, ita
convertit, ut idola Joris et ApoUinis, quae ante colebant, fide
Christi ferventes, zonis suis ligata ad terram prostemerent.
Unde, praecipiente Dagno, altera est membris disrupta, altera
stipiti suspensa, et igni apposita, ac deinde gladio trucidata«
Sanctus vero Christophorus, ligatis manibus et pedibus, virgis
ferreis caesus, deinde in scamno ferreo, et in igne olei liquore
superfuso positus; hinc stipiti appensus, et a militibus sagit-
tarum ictibus pulsatns est. Sed sagittis a dextris ejus et a
sinistris suspensis, unaex eis velut venti flamine retorta, in oculum
Dagni penetrarit, sicque data sententia isdem athleta Ohxisti
capite plexus est. Post cujus decoUationem ipse Dagnus ad
sepulcrum ejus altera die Teniens, secundum praemissionem ipsius
martyris et oculi sui sanitatem recepit, et magnifioe Deum S.
Ohristophori glorificarit." Es fragt sich nun, ob wir das inhalt-
lich Neue dieses Zusatzes gegenfiber Ado und Hraban als wesent-
lich jünger zu betrachten haben, und da ist es von Wichtigkeit,
dass zuerst bei Wandalbert Aquila und Niceta, ebenso bei Ado,
dann bei üsuard Aquilina und Niceta unter dem 24. Juli, also
einen Tag vor unserm Heiligen, auftreten. Den beiden letzteren
war ihr Zusammenhang mit der Geschichte dee hl. Ohristo-
phoTUs durchaus bekannt, wie aus den beigefügten Worten : n4^i&®
ad praedicationem 8. Christophori martyris, ad Christum conver-
saef martyrii palmam capitis abscisiones^pserunt« hervorgeht.
Nun leuchtet ein, dass die drei erwähnten Berichte des
Ado, Hraban und Florus von einander unabhängige Auszüge
28 K Richter 22
aus einer offenbar bereits yorhandenen ausführlicheren Passions*
geschichte des hl. Christophoms darstellen, und sie gruppieren
sich alle um das Jahr 860. Aus dem Jahre 866 aber haben
wir ein unanfechtbares Zeugnis für die Existenz eines libellus
de martyrio sancti Christophori editus in dem Briefe des
Satramnus, den dieser, einer der kritischsten Köpfe, Mönch
des Klosters Oonrey, an den Presbyter Bimbert, späteren
Erzbischof von Bremen, über die cynocephali richtete. „Quem-
admodum"", heisst es dazu, „in eo legitur, hoc de genere homi-
num fuisse cognoscituri ci\jus vita atque martyrium claris ad-
modum virtutibus commendatur. Nam et baptismi sacramentnm
divinitus illum consecutum fuisse, nubis ministerio eum per-
fundente, sicut libellus ipse testatur, creditur"^). Mit Zuhilfe-
nahme dieser letzten Anspielung lässt sich aus den Angaben
jener drei Mariyrologen ein Ganzes herstellen, das sich deut-
lich als das Skelett der von den Bollandisten in den Acta
Sanctorum zum 26. Juli Bd. VI dieses Monats p. 146 heraus-
gegebenen Passio des hl. Christophoms erweist, und es er-
scheint der Schluss unvermeidlich, dass sie selbständig aus
dieser Passio geflossen sind, welche also um 860 bereits, in
allem Wesentlichen genau der Fassung der Bollandisten ent-
sprechend, vorhanden gewesen sein muss und mit dem libellus
des Batramnus zu identifizieren ist. Da nun femer eine
Yergleichung die genaue Übereinstimmung der Erzählung
Walthers von Speier mit dem Inhalt der Passio im ganzen
und einzelnen ergiebt, so ist klar, dass Harsters Ansicht, als
habe Walther irgend einen Einfluss auf die Entwicklung der
Legende vom hl. Chiistophorus geübt, gerade in ihr Gegen-
teil zu verkehren ist: Walther von Speier war nichts weiter
als der schwülstige Yersifikator einer fest- und längstvor-
handenen LegendenÜEkssung. Ergänzend tritt zu solchem Be-
weise schliesslich noch die Nachricht Schönbachs *) von einer
Hs. der Passio aus dem Anfang des zehnten Jhs.
>) Fair. kt. CXXT, 1156.
•) Afda. VI, ISO.
23 YoxgeBohiohte. 23
Dieses Besaltat kann nach dem, was über Walthers per-
sönlichen und litterarischen Oharakter ausgeführt wurde, nicht
verwunderlich erscheinen. Ein Mann wie er, der geborene Yor-
nehme Hofstreber (in allerbestem Sinne), dessen litterarisches
Wesen aus zwei Quellen floss und sich in ihrer Durchmengung
erschöpfte: Antike und Christentum, ohne dass er das Ge-
ringste aus Eigenem hinzuthat, der war unfähig, „dürftigen
umrissen einer Sage^ Inhalt, einem dürren Eoxochengerüst
Fleisch, Blut und Leben zu verleihen wie ein aus freier
Phantasie schöpferischer , aus eigenem Becht formender Poet.
Lehnt er doch gleichsam öfter mit einem „ut aiunt^, „ut per-
hibent^ ängstlich die Verantwortung für das Erzählte ab^).
Sein Einfluss auf das ihm Überlieferte konnte sich einzig
in der Art der Wiedergabe äussern, die die Thatsachen zwar
peinlich berücksichtigte, aber doch in imbestimmterem Lichte
erscheinen liess und die ihnen eingeflochtenen Beden zu
grossen prunkhaften Deklamationen aufbauschte.
Da wir den Lihalt des Gedichtes Walthers von Speier
ausgezogen haben, können wir uns für die Passio darauf zu-
rückberufen. Denn nur in einem Ponkte weicht diese von
jenem ab, indem sie gleich zu An£Emg, etwas unklar, von der
Taufe des Heiligen aus himmlischer Wolke berichtet. Hier
hat Walther einige allgemeinere Motive angedeutet: des Heiligen
Eltern sind Heiden und darum verlässt er die Heimat, um in
der Fremde einen ihm gemässeren Wirkungskreis zu finden.
Es ist mir zweifelhaft, ob selbst in dieser Kleinigkeit die
leicht zu begreifende originale Absicht zu erkennen ist, den
Ohristophorus schon in frühester Jugend in möglichster Tugend-
haftigkeit erscheinen zu lassen, oder ob hier eine uns verlorene
Fassung der Passio durchblickt. Für Letzteres spräche, dass
der Anfang der gedruckten Fassung der Bollandisten offenbar
verderbt ist, femer dass Walther eine zwischen dieser und der
in Mombritius' Sanctuarium C!CV mitgeteilten stehende benutzt
haben muss, die auch sonst noch mannig£&ch zu erschliessen
0 Lib. pros. 2. 17. 91. S4. S6.
24; 3Bl. Baehter 2^4
ist^ und ^or allem die arweite Strophe ei&ee Hymnus des Bre-
Yiarittm Gtoihiciim^) : „Spreta qnoqne vir deyotus generis
fiagiti% nt teritfttis seqneretor promptior vestigia^, wie denn
aaoh die weitere EntwicUnng der Legende in dieser Bichtang
geht. Nfiher auf das Verhältnis Watthers zum Texte der
Passio einzugehen, die einzelnen AnldSngey die Verteilung
des Dialogs unter die Personen u. s. w., zu verfolgeD, ver-
meide ich, da sich wenig dabei ergeben würde. Ebensowenig
achte ich im Zusammenhang auf die textlichen Differenzen
der Terschiedenen Passiohss., weil ich zu einem Resultate
darin nicht zu kommen hoffen kann bei dem mangelhaften
Zustande, m dem dieselben gedruckt sind ^. Hat mich doch
nicht einmal der Versuch SchÖnbachs, die Fassung bei Mombritius
älter zu erweisen als die der BoUandisten, zu überzeugen Ter*
mocht Und so bemerke ich nur im allgemeinen, dass ein
gewisser naiv-epischer Ton die Erzählung der Passio als
solche weit über die Walthers von Speier hebt, klare plas-
tische Anschaulichkeit, lebendige Folge der Ereignisse sowie
kurze und schwungvolle Dialogfassung zeichnen sie vor andern
derartigen Akten von Heiligenmartyrien — und als solche
geliert sie sich — aus, wenn auch das Latein, in dem sie
geschrieben, gerade kein klassisches ist. Das aber wie die
Mannigfaltigkeit des Inhalts sind wohl der Anlass gewesen zu
der weiten Verbreitung, die sie in dem zehnten und besonders
den folgenden Jahrhunderten gefunden haben muss, wie die
vielen erhaltenen Abschriften oder Bearbeitungen, Auszüge
bezeugen.
Gedenken wir noch einmal der, wenn auch nur ungefähren,
Daten unserer Legendengeschichte, so erwächst uns die Auf-
gabe, lär die Zeit vom ersten Auftauchen des Namens Christo-
phoms — sagen wir im fünften Jh. — bis zur Konsolidierung
des um ihn erwachsenden Stoffes in der ersten Hälfte des
neunte» Bechenschaft abzulegen. Es ist uns nichts aus dieser
») Patr. lat. LXDCVI, 1166.
*) Die Wiedergabe der Acta Sanctoram ist kläglich. Altere Sammel*
werke sind später zu nennen.
35 Yorgesefaicbte. 3&
langen Periode erhalten, das nns positiven Anhalt gäbe;
dennoch haben wir in ihr ein allmähliches Znsammenschiessen
der endlich vorhandenen Motive anzunehmen. Wenn wir sie
uns vorsichtig auszulösen versuchen, so dürfen wir nicht
vergessen, dass wir auf einem äusserst schlüpfrigen Boden
stehen. Üb ist sehr schwer, Motivpsychologie zu treiben.
Zwar d&e grosse Daseinsfrage der Bollandisten — es ist
Joannes Pinius gewesen, dem sie ihre Beantwortung anver-
trauten, in dem VI. Bande des Juli der heutigen Acta Sanc-
torum, Bd. XXXTTT der ganzen Beihe, p. 195 sqq. — ob
der hl. Christophorus wirklieh gelebt, wirklich gelitten
hat, unter wem und wann, nehmen wir leichter. Freilich,
es lässt sich nicht beweisen, dass er nie existiert hat, aber
das Gegenteil noch weniger, und die historischen Anhalts«
punkte, die man zu finden sich bemüht hat, sind eitel Trug«
werk. Da ist zunächst der König Dagnus, unter dem der
Heilige gemartert wird, wie ihn Hraban, Florus und einige
Fassungen der Passio nennen. In andern schwankt die Namens-
form: Danus, Dagnete begegnen. Auch imperator wird er
genannt. Aber weder ein rex noch ein imperator dieses Namens
ist uns und war Früheren bekannt: so substituierte man
kühnlich den all- und übelbekannten Kaiser Decius [s. u.] ;
mit dessen kurzer Begierungszeit war zugleich ein erwünschtes
festes Datum gewonnen. Andere machten ähnliche Versuche
mit weniger Geschick und Glück : ein slavisch-russisches Meno«
logium berichtet, Christophorus habe 355 unter Oonstantius
geKtten, Maurolycus in seinem Martyrolog riet auf Diocletian,
Genebrardus auf Julian und das Jahr 354, ja ein Pater
Oombefisius kam auf den Gedanken, dass Dagnus nur ein
üliterkönig oder Toparch des Decius gewesen zu sein brauche
und alles reime sich prächtig: dergleichen Datierungen, von
denen die Act. Sanct. Kunde geben, begegnen auch heute
noch. Freilich glaube ich, dass die Vermutungen unserer Zeit
über den Namen nicht haltbarer sind. Schönbach ^) dachte
an die Nationalgottheit der Philister im alten Testament:
>) Afda. VI, 166.
36 K. Biohter 26
Dagon, und Zöckler^) an Daza, den Beinamen Maziminsy in
dessen Herrschaftsgebiet Syrien der Ort des Martyriums bis-
weilen yerlegt erscheint : solche Hypothesen lassen sich weder
beweisen noch widerlegen. Mit gleichem Sechte könnte man
auf Dacianus raten, unter welchem der hl. Georg gelitten
haben soll. Die Umwandlung der Namensform wäre nicht
so gar gross, und manche Berührungspunkte der Legenden
liessen sich wohl hervorheben. Nun findet sich in der Passio
eine merkwürdige Stelle, in der man eine etymologisierende
Deutung des Namens sehen zu müssen gemeint hat. Christo-
phorus antwortet auf die wütige Frage des Königs: „Canine
et fax mala, non sacrificas diis meis magnis?^ die Worte:
„Yere bene vocatus es Dagnus, quia tu es pars mortis et
conjux patris tui diaboli^. Während die Act. Sanct. darauf
verzichten^ den Zusammenhang zwischen dem Namen und dem
Tode aufzudecken, versucht es Schönbach, aber auf eine höchst
merkwürdige Art. Er hält — wir erinnern uns — des
Mombritius Fassung [M] für älter als die der Act. Sanct [P].
M liest „Danus^. Dennoch aber meint er wiederum, die
Form Dagnus des jüngeren F für ursprünglicher annehmen
zu müssen, und geht trotzdem von Danus für seine Deutung
aus, die auf Zusammenhang mit Gdvaroq hinausläuft. Schliessen
wir so weiter, so haben wir im Plutarch den schlagendsten
Beweis, dass zum mindesten M in Macedonien entstanden ist
bdvov Tdp MaK€?)6ve^ töv Gdvarov xaXouai *). Ich meine, wir
haben gar keinen Qrund, die Worte als „etymologische Spielerei"
aufzufassen, und Walthers von Speier Umschreibung scheint
mir durchaus nicht „missverstanden und verwischt", sondern
in diesem Falle ganz sachgemäss, wenn er sagt: „Quid me
vocabulo mortis incusas, cum tibi iam perpetuae mortis ianua
pateat? Ist es doch gerade nach dem leidenschaftlichen Aus-
bruche des Königs verständlich, wenn der Heilige ihm ruhig
entgegnet: „Ja nun sehe ich, du bist wirklich Dagnus, des
Todes Sohn und Genosse des Teufels".
^) Bealenoydop. f. prot. Theol. u. Kirche IH, 216.
*) TTüD^ bei TÖV v€6v irotT)fidTU)v äkoOciv 23 0.
27 Vorgesohiohte. 87
Eine andere, schon den ältesten Martjrologieni wie wir
sahen, eigentümliche Angabe ist die über den Ort des Mar-
tyriumsy die sogenannte „palaestra^. überliefert ist — die
Formen mögen in Kleinigkeiten schwanken — „in Licia'' oder
„in Sicilia civitate Samo [Samon, Salmon, Solomon]". Da
sich nun weder Lycien noch Sicilien irgend zn Samos schicken
wollen, so war auch hier wieder Anlass zu yerschiedenen,
wenn auch ebensowenig förderlichen Vermutungen. Am ein-
fachsten half sich Pinius^): er strich „civitate Samon^.
Ein geistreicher Einfall ist die in Smith- Wace Dictionary of
Christian biography ^) ausgesprochene Hypothese, dass in dem
fraglichen Namen eine Spur des alten Solymi für die Einwohner
von Lycien fortlebe ^. Es war natürlich, dass man auch an die
Insel Samos dachte. M liest „in provincia Syria^, auf eine
Kürzung Ton Samos aus Samosata ist man noch nicht verfallen.
Die Legende entschlüpft dem Versucht sie historisch fest-
zuhalten. Darum dürfen wir mit ihr schalten als mit einer
freien Ausgeburt gläubiger Phantasie.
Das Erstüberlieferte ist der Name des Heiligen : Xpicrro-
<pöpoc. Man hat früh seinen appellativischen Ursprung erkannt.
So spricht Phileas, der Märtyrer, in einem Briefe bei Eusebius
Hist. eccl. lib. VIII cap. 10 *) von den xpicrroqpöpot fidprupec.
Das Bild, das in dem Worte liegt, ist neutestamentlich ^).
Henricus Stephanus^, Suioer^, Augusti^), Smith -Wace
Diction. xl s. w. geben reichlidbie Belege für das häufige
Vorkommen in appellativischem Sinne, es besagte im Grunde
dasselbe wie das noch gebräuchlichere Oeoqpöpoq [G€Ö90po^].
Ignatius von Antiochien, der ganz besonders als Träger
letzteren Beinamens erscheint, heisst im Martyrologium des
^) Act Sanct. Jalii tom. VI, 189.
^1,496 not. a.
>) Homer löXu^oi D. 6, 180 etc.
*) Patr. graec. XX, 764.
») Matth. XI, 29, 30. L CJor. UI, 16. n. Cor. IV, 10. 16.
^ Thesanros Graec ling. * Vm, 1690.
^ Thes. eccl. II, 1660.
*) Handbach der christlichen Archäologie, Lpz. 1836, 1,190/1.
2» K. Richter 3B
Rmnart cap. B auch xpi<^TO(p6po^ ^). In dem ihm zugeschriebenen
Arief an cHe Epheser 9 ermahnt er diese, xpi^o<PÖpoi ^^ sein
wie OcoqwSpoi und vacxpöpoi. XpiorcKpöpog klang voller, poetischer
als das einfache xP^^'^ccvö^, um dieses gehaltToüen Klanges
wiHen ward es zum Eigennamen, und als es eine Zeit lang^
als solcher im Umlauf gewesen, setzt der Prozess in der
Überlieferung einen bestimmten Träger des Namens ab, eine
Art Muster « Xpi(TToq)öpo^. So heisst es bezeichnend in einem
liturgischen griechischen Stück : AeöTc ttävtc^ cniMcpov xpitTTO-
q>öpoi, ToO Xpi(TTo(p6pou -nVv ^vViiuiiiv dvu|üivifj(Tuj|üi€V. Früh mag^
das geschehen sein, in der Zeit, da es noch Charakter und
Mut erforderte, Christ zu sein. Jenes Musterbild erschien
darum im Lichte der beiden Züge, die dem bedrängten
Christenherzen, seinem Bedürfnis nach Aktivität und Passivität,
besonders wohlthaten, der XptoTocpöpog musste ein Held des
Leidens und des Wirkens sein, ein Bekenner wie Bekehrer.
um diesen Kern, dürfen wir nun annehmen, gruppierten
sich im Laufe der Zeit ganz nach den Gesetzen volkstümlicher
Bildung und Entstehung immer weitere und weitere Züge
oder eigentlich nur bestimmter gefasste Variationen der beiden
Grundmotive. Das Streben nach konkreter Greifbarkeit, wie
es aller Mythenbildung — und eine Art Mythenbildung ist
ja auch die Legendenproduktion — eigen ist, trat in Wirk-
samkeit. Nach der erfolgten Personifikation eines Christo-
phorus, der den Glaubenstod erlitten habe, ward die nähere
Angabe der Todesart abgestossen. Mit Ruten, und das war
nicht genug, mit eisernen Buten gestäupt, verbrannt und durch
Jesus Christus gerettet, mit Pfeilen umsonst beschossen, endUdi
enthauptet Es sind die üblichen Mittel des Entsetzlichen,
origineller ist eigentlich nur der glühende Helm, kaum noch
der Einspruch einiger aus der Omgebung des Tyrannen.
Eine Anhäufung solcher in derselben Richtung wirkenden
Motive entsprach dem Geschmack der Zeiten und dem prak-
tischen Bedürfnis, sollte dem neuen Heiligen eine mehr als
ephemere Existenz beschieden sein.
>) Patr. apost. opp. ed. Zahn, Lips. 1876, IL, 804.
29 Vorgeschichte. 99
Das rechte Leben empfing diese etwas blasse Ideaikon-
sfaroldiion eines MärtyrerB erst durch die Srweitemngea, die
nach zvei Seiten hin einsetzten, einmal fiir die Vorgeschichte;
dacn fär das Martyrium. Dort kommen der frühere Name
des Heiligen, seine Körperbeschaffenheity seine Taufe, das
Stabwunder, hier die beiden Buhleriimen Nicaea und Aquilina
hinzu. Womit ich nicht etwa eine historische Folge behauptet
haben will; es handelt sich jetzt um einen inneren Aufbau»
nicht um ein äusseres VerfolgeUi welches bei dem Maagel an
Material unmöglich ist. Schon darum halte ich es auch £ELr
aussichtslos, nach der lokalen Herkunft der Legende zu fragen.
Denn da nimmt man sie als geschlossene Masse, ohne zu
echeiden, was aus ganz verschiedenen Quellen znsammen-
geflossen sein kann. Die Acta Sanctorum sind in dieser
Hinsicht konfus, aber Harster hat lateinische Ausbildung
behaupten zu können geglaubt, während Schönbach sich mehr
zu Gunsten griechischer hinzuneigen scheint, ihre Gilinde sind
beiderseitig nicht überzeugend. Dass aus den Namen sich
^ar nichts in dieser Bezi^ung gewinnen lässt, hat Schönbach
wohl richtig betont. Der Name B^oprobus, den Christophorus
i^er der Taufe trägt, weist zu o£Fen den Charakter absichtlich
deutender Erfindung auf, um nicht leicht für eine einzelne,
vielleicht letztredaktionelle Znthat g^alten zu werden, wie
wir im Verlaufe noch andere heidnische Namen des Heiligen
werden auftauchen sehen. Warum aber Sehönbach wül, dass
die Namen der Mädchen aus den Olementinisdien Bekognitionen
entlehnt sein sollen, ist mir nicht recht erfindlich. Dort sind
Nieeta und Aquila im Anfang Sehüier des Magiers Simon
und werden dann durch Zacchaeus zum rechten Glauben be-
kehrt, lib. n ; Söhne des Faustinianus und Brüder des Clemens,
lib. IX cap. 36, mit ihren früheren Namen Faustus und
Faustinus geheissen, werden sie von ihrer Mutter auf wunder-
bare Weise getrennt und wieder mit ihr vereinigt, VII, 27 ff.
Ihr Thun und Beden bietet nicht den geringsten Anknüpfungs-
punkt mit unsem beiden meretrices. Nun aber sind die ge-
bräuchlichen Formen der Namen Nicaea und Aquilina, als
30 £• Richter 30
Nebenformen treten u. a. auf Niceta und Aquila, Kallinike,
Aqniliay Aqnilinia. Schon diese Willkür könnte lehren, wie
wenig es auf peinliche Treue der Überlieferung abgesehen
war, sicher haben aber all diese Abweichungen nichts mit
den beiden männlichen Eigennamen bei Clemens zu thun.
Die Namen sind vielmehr ganz gebräuchliche und herkömm-
liche gewesen, die irgendwoher zu entlehnen gar nicht not
that. Als Femininum scheint Aquila freilich nicht vorzu-
kommen, über das Masculinum s. De Yit Onomasticon I, 398/9,
es erscheint mit Priscilla zusammen schon Acta 18, 2. Ich
halte deshalb Aquilina oder Aquilia für ursprünglicher,
Belege für Beide De Vit 1. c. p. 400/1, sowie in fast jedem
Bande der Inscriptiones, auch der griechischen. Wie leicht
bei der mittelalterlichen Schreibung die Formen in einander
übergehen konnten, lehrt der Druck des Mombritius, wo neben
einander stehen Aquilina und A^lla, Ebenso, meine ich, ist
Nicaea die ursprünglichere Gestalt des Namens, dafOr trat
das volltönendere, sonst gleichbedeutende Kallinike ein, ja
sogar Gallonica, wie für das mesopotamische Callinicum Ni-
cephorium und G-allinicum '). Niceta, das nur Mannesname
ist, betrachte ich als singulare Entstellung, De Vit lY, 682,
wie ein gerade umgekehrter Fall sich findet bei Gennadius
De viris illustribus 22, der Niceas für Niceta setzt, ibid.
Die Aquilina iunior, welche am 7. April mit dem Diakon
Bufinus Thaumaturgos verehrt wird und nach Bekehrung von
200 Soldaten unter Maximin ca. 310 gelitten haben soU^,
hat wohl ursprünglich mit unserer Legende nichts zu thun,
die Verbindung in dem Menäencodex zu Turin ist sichtlich
eine irrige, veranlasst durch das Motiv der Aquilina mit 200
Soldaten, erleichtert durch die sonstige ünbekanntheit des
^) De Vit IV, 678. 11, 71a. KaXXivdcr) als Frauenname soheint feiten
zu sein, cf. Pape Wb. d. griech. Eigennam. I, 609 b. Insoript Graea
ed. Boeckh. tom. lY no. 6945. Henr. Stephanus IV, 883.
*) 8. Jo. Kartmov, Annas ecclesiasticas G-raeco-Slavicus, Brüssel 1863,
p. 126. Wo, beiläufig bemerkt, auch eine Aufzählung der den Heiligen
verzeichnenden griechisch-slavischen Kaiendarien zu finden ist.
31 Vorgeschichte* 31
Bufinus. Ich berichtige das gegen Schönbach ^). Ferner
scheint es nach ihm, als ob unsere Nicea und Aqnilina am
7. April verehrt würden, woran keineswegs zu denken ist.
Eine dritte Aquilina endlich, deren Tag der 13. Juni, bietet
gar keine Berührungspunkte mit unserer*). Dass eine ähnliche
Verwechslung in jenem Falle der Niceta möglicherweise statt-
gefunden hat, darauf deutet des Bosweyd notatio zur Vita
S. Pauli des Hieronymus^. Wenn Schönbach schliesslich
meint, dass die Versuchung des Heiligen durch die beiden
Buhlerinnen ein „ganz später, d. h. etwa im 6. Jh. vollzogener^
Zusatz ist, in welcher Zeit in eine Beihe von Legenden ein
solches Motiv der Überwindung böser Sinnenlockung einge-
schaltet worden sei, so kann ich nur sagen, dass ich mich
vergeblich um eine derartige Kenntnis positiver Ziffern bemüht
habe, aus welcher sich die Konsolidierung unserer Legende
in der Passio noch um ein paar Jahrhunderte zurückdatieren
würde. Was dem endlichen Bedaktor der Passio aber an
der Episode der meretrices augenscheinlich das Interessanteste
war, die Zerstörung der Götzenbilder imd der Martertod da-
für, konnte vor und nach dem 6. Jh. in die Legende hinein-
kommen. Nur lässt die Lebendigkeit, die gerade in der
Ausfährung dieser Partie sich geltend macht, wenigstens in
der jetzigen Gestalt mehr das Letztere vermuten.
Darin aber hat Schönbach gegen Harster vollkommen
Becht, dass er dessen Annahme, die Vorstellungen der Über-
grösse und der Hundsköpfigkeit des Heiligen seien aus Miss-
verständnissen entstanden, nicht gelten lässt. Im Gegenteil.
Wer da meint, dass sich aus einem „magnus'' im Fortgange
der Überlieferung ein Biese an Gestalt und Wesen und aus
einem „Cananaeus^ ein „canineus^ entwickeln kann, trotzdem
daneben ruhig „Cananaeus" weiter fortläuft, der hat den
tiefsten Grund unserer Legende so wenig ersehen wie Pinius,
^) Wie anoh die Angabe einet Tonmayer ManuBkripts and den aus den
Act. Sanct. übernommenen Druckfehler die VJi. Aprih's p. 662 f. statt 669 f.
*) Act. Sanct Jonii tom. IH, p. 166 — 171.
^ Patr. lat TiXXTTT, 109.
aS K. Bichter Si
d^ nach laogem Kopfzerbrechen auch auf den Ausweg gßAt,
«8 mag wähl einmal in einem verlorenen Kalendar „psooe-
rissimae staturae^ gestanden haben, woraus denn der Sieae
erwachsen sei, und der glücklich ist, wirklich in einem Bre-
Tiarium Slesvicense, gedruckt 15 1 2, diese Worte zu entdecken,
das ihm natürlich nun die alte richtige Lesart bietet. Nichts
gewöhnlicher als das Beiwort ^magnus'^ für diesen oder jenen
Heiligen, so mttsste jeder Ton ihnen ein Sieae sein.
Nein, und hiermit komm' ich zum Positiven metner
Motivzerlegung : der Eiese und der Hundskopf, das Nugend-
heim und der Ninunerkönig^ die Taufe und das Stabwunder
sind mythen- und märchenhafte Elemente unserer Legende
und weisen sich leicht als sobhe aus. Was in der Feme
geschieht, das kann nicht kontroliert, das muss geglaubt
werden. Darum versetzt die schaffende Volksphantasie ihre
Ereignisse und Helden gern in ferne Länder, in den Osten
besonders, in ihre eigene Heimat, dabin sie sich immer und
immer zurückzusehnen scheint Und diese Versetzung be*
günstigt dann wieder das Wachstum des Wunderbaren, 4er
Osten war auch von je d^ Aufenthalt der Wunderwesen.
In Lyden in der Stadt Samos — ja davon hatte man schon
gehört, das lag weit im Osten, da lebte ein König Dagnus. —
Vielleicht darf ich vorsichtig eine Möglichkeit andeuten, auf
welche Weise der Heilige zum Hundskopf wurde — eine
Möglichkeit, ich behaupte nichts — : am 24. oder am 25. Juli
beginnen die Hundstage, die dies caniculares ^), das Zusammen-
treffen ist immerhin wunderlich. Doch müssten sich Analogieen
finden, sonst könnte die Übertragung der altmythischen Vor-
stellung auf einen christlichen Heiligen auch schon eine Folge
der Lokalisierung in einem fernen^ östlichen Lande sein*
War doch das Bewusstsein der alten Unwesen ün Volke trotg
alles Christentums noch so lebendig, dass die Eirche selbst
mit ihm zu paktieren genötigt war, da sie feindlich ihm nicht
beikommen konnte: so galten denn in der scheingelehrten
christlichen Tradition die Kynokephalen als Kinder Adams,
') Horeri Grand dictionnaire bist. Park 1760 HL, 64, Art. Caleodrier
33 Vorgeschichte. 33
und mit allem Apparat geistlicher Kritik über ihr Verhältnis
zu Menschen und Gott gewichtig zu diskutieren, hielten ernste
Männer der Mühe für wert, wie Batramnus in jener erwähnten
Epistola de Cynocephalis. Kein Zweifel kommt dem ge-
scheuten Thoren, ob diese Wesen „contra legem naturae^
wirklich existieren, er parallelisiert mit Isidorus, wie es unter
den Menschen einzelne Missgeburten giebt, so unter den Völkern
Stämme der Giganten, Kynokephalen , Kyklopen u. s. w.
Sondern darum handelt es sich für ihn allein, „utrum de Adae
sint stirpe progeniti, an bestiarum habent animas", und er
ist liberal genug, zum mindesten den Giganten und Kyno-
kephalen Seelen und damit menschlichen Ursprung zuzuge-
stehen, für letztere sich stützend vor allem auf den uns so
wichtigen „libellus de martyrio s. Christophori editus.^ — Sollte
der Heilige aber einmal einen Hundskopf tragen, so bedurfte er
notwendig dazu auch der ungeheuren Leiblichkeit, und wenn
der Herr des Himmels den Wilden in seinen Dienst stellen
wollte, so war das erste, dass er mit der Taufe ihm mensch-
liche Sprache verleihen musste. Denn Biesen sind in jeder
Mythologie, in der Anschauung jedes Volkes stets auch die
Träger von weiteren körperlichen imd geistigen Eigentümlich-
keiten gewesen, sie übertreffen die Menschen an Gestalt und
Kraft und Dummheit, wie diese wieder die Zwerge. Daher
also die bisher unverstanden hingenommenen Worte des eben
Getauften, der, man bemerke das wohl! sonst noch nichts
gesprochen hat: „Gloria tibi Dens, qui convertis ignorantes
et adducis in viam veritatis; mutas linguas ferarum et das
eis linguam humanam.^ Daher das Entsetzen der opfernden
Frau, die Furcht der Soldaten, die Schimpfreden des Königs :
„Canine!^ „Fera mala"! etc. Daher auch der Bost von
12 Ellen, auf dem das heilige Ungetüm gemartert wird.
„Solus quippe Og rez Basan restiterat de stirpe gigantum.
Monstratur lectus ejus ferreus, qui est in Babbath filiorum
Ammon, novem cubitos habens longitudinis, et quatuor lati-
tudinis ad mensuram cubiti virilis manus'', also heisst es
Deuteron. III, 11, und dem Christophorus , der allein ge-
3
34 ^- Richter 34
blieben war vom Stamme der Kynokephalen, will man sein
scamnum ferrenm secundum mensuram ejus, quae erat cubi-
torom duodecim, missgönnen ! — Zu diesen Besten des Heidnisch-
wunderbaren traten dann als christlich gleichartige Elemente die
romantische Taufe aus himmlischer Wolke, nach Analogie der
Taufe Ohristi, und das Stabwunder, das, altbiblisch, im Mittel-
alter ja zu einem der tiefsten Symbole und einem der abge-
nutztesten Mirakel sich auswuchs, in unsere Passio aber vor-
läufig recht äusserUch und ohne notwendige organische Ver-
knüpfung eingeschaltet wurde.
Ich vermag und versuche nicht zu entscheiden, wo und
in welcher zeitlichen Folge die verschiedenen Motive sich an-
einanderschlossen. Nur das wollte ich feststellen: die Legende
vom hl. Christophorus, wie sie uns zuerst in fester Form in
der Passio entgegentritt und gleichen Inhalts in der lateinischen
Dichtung eines deutschen G-eistlichen umschrieben vorliegt,
ist deutlich erkennbar ein Niederschlag volkstümlicher Phan-
tasie, die darin christliche wie ererbte heidnische, gleichsam
unterbewusste Elemente der Yolksseele, zusammenthat zu
einem ihr zusagenden Bilde eines volkstümlichen G-laubens-
helden. Ich könnte mir denken, dass in früherer Zeit der
mythisch-fabulose Ofaarakter noch mehr überwog und erst in
der uns überlieferten Redaktion eine stärkere Herausarbeitnng
des specifisch Christlichen, besonders durch eine dramatische
Pointierung des biblisch gefärbten Dialogs, der recht frisch
und kräftig anmutet, erfolgte.
Sprach ich bisher von der Passio S. Ohristophori kot*
iSoxi^v, so habe ich jetzt diese Ausdrucksweise zu berichtigen
und zu begründen. Es giebt eine andere G-estalt der Ohristo-
phoruslegende, die, zu Walthers von Speier Zeit schon vor-
handen, ihm doch unbekannt war, uns aber zu den schwierigsten
Fragen drängt, von deren Beantwortung eventuell die Richtig-
keit alles bisher Gesagten abhängt; deswegen habe ich sie
gesonderter Betrachtung vorbehalten.
35 Vorgeschichte. 35
In gewissem Sinne ist die Bezeichnung, mit der Mussafia
diese Fassung oder diese Gruppe von Fassungen als die
orientalische der bisher besprochenen als der occidentaUschen,
oder als die Decins- der Dagnus -Version gegentberstdlt,
äusserlich begründet. Aber über das Verhältnis beider zu
einander kann ich nicht umhin, meine eigene Meinung zu
hegen, für die freüich einen pontiven Beweis zu erbringen
schwer halten wird wegen des Mangels zahlreicher Zwischen-
glieder der handschriftlichen Kette. Als Schlussringe aber kann
man ansehen die bisher allein berücksichtigte lateinische
Fassio der Act Sanct. [P] oder eine im wesenÜichen ihr
schon ähnliche Vorform und die in den Analecta Bollandiana^)
veröffentlicht^i Acta Ghraeca antiqua aus einer Leyden^ Hs.
des XI. Jhs. [Ge]. Denn in griechischer Sprache scheint jene
andere Gestalt der Christopbpassion ihr eigentilidistes Dasein
gehabt zu haben, da ausser einem von dem Mönch Agapios in
der BfßXo^ icaXou|Li£vTi KaXoxatptvr) ^ benutzten Teste [Gd]
H. Usener') nooh zwei andere, einen voHständig aus einem
Kodex der Pariser Nationalbibi., der im Jahre 890 vollendet
wurde, einen nur zum geringen Teil nach einem Pariser Kodex
des XI. Jhs. publiciert hat [Ga und Gc], und gerade die
griechischen Menologien Auszüge im Sinoe dieser Versionen
bieten, worüber nooh kurz zu sprechen sein wird. Ein paar
Sätze eines anderen griechischen Manudodpts der Vaticana
sind nach Papebrochius in den Act. Sanct. p. 143 b mitgeteilt,
die zu Ga, wie es scheint, in Beziehung stehend, manche
Abweichungen im dnzelnen yermuten lassen [Gb]. Was ich
nun aber behaupten möchte, das ist, dass die lat. Texte, wie
sie in den Analecta Bollandiana^) [Lb] aus einer Pariser
Hs. des XL Jhs. und aus einer ebensolchen des XTT. von
Mussafia in den Wiener Sitzungsberichten^) [Lc] mitgeteilt
0 1882 I, 122—148.
«) Venedig 1667 Kb'-Xr'.
B) Acta S. Marinae et S. Christophori, eput. gratulatoriae a rect.
et Benata anivers. Bonnensis ad univers. Heidelbergensem, Bonnae 1886.
*) 1891 X, 394—405.
») CXXX, 1893: Zur Christophlegende, p. 67—78.
8*
36 K. Richter 36
vorliegen, wie auch der altfranzösische [F], den Mussafia ebda. ^)
nach einer Pariser Hs. des XTTT. Jhs. giebt, Ubergangs-
staffeln yon der alten Form P = La zu den griechischen Ge-
staltungen sind, und dass also, wenn Lc diesen sehr nahe
steht, es nicht aus ihnen oder einem ihnen Gemässen über-
setzt, sondern umgekehrt sie aus Lc oder einem ihm Gemässen
geflossen sind. Ich trete damit in Gegensatz zu einer Reihe
so scharfsinniger als waghalsiger Vermutungen, die, obwohl
sie noch nicht zu einer bestimmten Formel geführt haben,
doch insgemein darauf hinauslaufen, je nach dem Berufs-
standpunkt ihrer Vertreter, dass Christophorus im Orient
wirklich gelebt und gelitten habe, oder, dass seine Geschichte
aus dem Orient gekommen sei, yieUeicht aus dem Syrischen
oder einer verwandten Sprachgegend. Es sei erlaubt, zu-
nächst die thatsächlichen Grundlagen dieser Vermutungen zu
untersuchen.
Man liebt es also etwa, mit den Namen zu spielen, die
in den verzeichneten Fassungen von denen in P z. T. sehr
verschieden sind. Heisst also, wir erinnern uns, der Heilige
in P vor der Taufe Beprobus und erscheint dieser Name
in Gacde als P^npeßo^, so lässt sich Usener von Gilde-
meister aufmerksam machen, dass im aramäischen rabrab,
syrischen raurab oder raverreb der Begriff grandis liege^ und
die edd. BoU. X, 396 frohlocken, in Lc ein noch passenderes
Brobrebus zu entdecken. Darin würde aber der vermeintlich
aus dem griechischen abgeleitete lat. Text ein Wort gemässcr
dem ursprünglichen syrischen oder aramäischen Original geben
als seine griech. Vorlage? Und wenn der Name: „der Grosse"
denkbar ist als Vorgänger des späteren „Christophorus'S so
ist immerhin zu beachten, dass durch die völlig bedeutungs-
lose Mittelstufe des griech. 'P^Tipeßo^ hindurch plötzlich im Lat.
ein weit .bedeutsameres Beprobus entstanden wäre. Ferner
ersieht man nicht, warum der griechische Übersetzer, der doch
Xpi(TToq)öpo^ gab, rabrab, das er ja wohl verstehen musste, in
einen noch dazu sinnlosen Eigennamen umsetzte. Endlich
>) p. 41-61.
37 Vorgeschichte. 37
stellt in Fy welches Lc am nächsten steht, Beprobus, und
eine wirkliche syrische Version, die im British museum liegt^),
hat Deprebus. Dass man es in dieser mit einer XTbersetzung
aus dem Griechischen zu thun habe, erkennen sogar die edd.
BoU. an; will nun, wer mit rabrab operiert, ausser dieser
Übersetzung, die dem griechischen Zustande ziemlich frei
gegenübersteht, indem sie z. B. die Noamen der beiden
Buhlerinnen in Amania und Amanida verkehrt, einen origi-
nalen altehrwürdigen syrischen Ahnherrn des letzteren an-
nehmen?
Nicht besser steht es um anderes, was die Neigung zur
Syrifizierung der Christophoruspassion aufgegriffen hat. G-ilde-
meister selbst trägt Bedenken, Bax6io0^, den Namen dessen^
der sich als erster thätlich an dem Heiligen vergreift, neben
Bakhtischü* Boktjeschü zu stellen^), und wie gezwungen sind
die Versuche, Attalia in Pamphylien zum Schauplatz des
Martyriums machen zu wollen. Lc 28 redet von einem epis-
copus civitatis Atanasius Italiae, quae juncta est terminis
Persidis, hie venit in Antiochiam. Wenn das so einfach
korrumpiert wäre, wie die edd. BoU., um die Brücke zu der
Lesart Gc diTaXctag zu schlagen, behaupten: wie kämen denn
Ga, dieser älteste griechische Text, dazu, iraXeia^ zu lesen
wie Gb, und Gde draXia^? Und wird das lat. Persis nicht
vierfach bestätigt durch Ga auvoöa oöancr ncpcriöoa, Gc
auvopoa Tf]q TtepoiöocT, Ge 28 auvopouari tQ 'Avnoxefqi TTepaiöo^,
Gb Italia Persarum civitas? so dass man nicht versteht, wie
IJsener (JuvopoOaiic TTtcribiqi konjizieren kann, obschon letztere
Landschaft in keinem von diesen Texten erwähnt wird, ob-
schon Ga p. 63,2 direkt von einem 'Avrioxcia rfl? Zupia? die
Bede ist. Dazu erscheint noch TTeptri Ga p. 63,4. Die Kon-
fusion ist gross, das ist richtig; aber die Annahme, dass ein
lat. Text durch lat Schreiber und dann vollends durch
^) 8. Wright Catal. of tlie Syriac manuscripU in the Br. m. TTT,
1138, 1152.
') Usener 1. c. p. 77; der Auszug der grossen Henäen giebt
Bdxxioq, s. u.
38 K. Bichier 38
griechische Übersetzer yerderbt wurde, ist doch vielleicht
natürlicher als die, dass ein syrisches oder dgl. Original, in
dem einmal alles in lokaler Ordnung hätte sein mitesen, dorch
eben diese griechischen Übersetzer so völlig in lat. Fahrwasser
gebracht worden sei? Eine Hs. zu Montpellier, die sonst
genau zu Le stimmt, Kest statt Pcfrsidis praesidis, und durch
das blosse de la cita F erh< diese Lesart einige Bedeutung.
Weiter: auch aus den historischen Personennamen dieser
Versionen lässt sich nicdits gewinnen. ''Etou^ rerdprou rfiq
ßaaiXefa^ Aexiou beginnen Gace, ähnlich 6d: man soUte
meisaeOf solch historischer Fehler wäre eher d^n vermeintlich
abgeleiteten lat als dem originalen grieeh. resp. einem syrischen,
gewissermassen als Augenzeuge berichtenden Texte zuzutrauen.
Aber P nennt den König Dagnus ; wie hätte das aus dem all-
bekannten A^Kioc werden sollen, da ein wohl einmal möglicher
mechanischer Schreibfehler nicht ausreichte? Während sich
die oberflächliche Umänderung eines unkekannten Dagnus
in einen leidlich ähnlich klingenden AIkk)^ aus einem leicht-
fertigen Streben nach Historizität des Elrzählten begreift^
wie wir ähnliche spätere Versuche schon berührten. Der Un-
sinn geht aheac erkenntlich weiter. Mit A4kio^ kam aufs
natürlichste auch sein bekanntes Opfer, der Patriarch von
Antiochia in Syrien, BaßuXa^ der jenem den Eintritt in eine
christliche Kirche persönlich verweigert haben sollte ^), in die
Erzählung hinein. Er ist es, der Christophorus tauft, Ge 7,
und da er, 937 — 60 regierend, in letzterem Jahr der Dedschen
Verfolgung zum Opfer fiel, so wäre freilich auch für unseren
Heiligen ein bequemes Datum erreicht. Nun aber wird
Christophorus unter persönlicher Leitung des A^xto^ gemartert,
der nie nach Antiochien gekommen ist. In Lc 7 femer wirdi^'
er von einem Presbyter des Ortes, Petrus, F Peres, getauft,
den die Soldaten herbeiholen; dass dieser harmlose und an
^) cf. Baronius Annales eccl. ed. Theiner TTT, 26 ad annum 253;
seine Acta hingegen bringen ihn mit dem Kaiser Numerianus in Ver-
bindung, Act Sanct Jan. tom. III dies 24, auch Henr. Noris Annas et
epochae Syromacedonum Lips. 1696, p S49.
39 Vorgeschichte. 39
sich schon Vertrauen erweckende Mann nicht fälschlich an
Stelle des griechischen BaßuXa^ getreten sei — welches Interesse
sollte auch nur ein lat. Ubeisetaer an derartigen Anderongen
haben? — beweist der TT^Tpo^i der Gae 28 und Gbd als
^iriaKoiro^ dxaXiac resp. (ToXeia^ auftaitt» an dessen statt nun
freilich wieder, um die Verwirrung auf den GKpfel zu treiben,
in Lc 28 ein episcopus civitatis Atanasius Italiae steht.
Letzteren aber siag num sich dodbi bei der sonstigen ün-
bekanntschaft mit einem seines Namens als eine sekundäre
Entstellung erklären, ersterer scheint mehr eine übel ver-
mittelnde Reminiscenz des griech. Übersetzers an das lat
Original zu sein. Freüich bleiben zunächst, das sei nicht
verhehlt, die Namen AtanasiuSi Decius und die an Stelle der
griechischen KaXXivfxn stehende Gallenice in Lc au£bllend,
und zum mindesten ist zu bemerken, was sich auch aus andern
Wahrnehmungen ergiebt, dass Lc nicht etwa selbst die xm-
mittelbare Vorlage der griechischen Texte sein kann, sondern
Zwischenglieder gesetzt werden müssen.
Es waren das bisher negative Beweise, die nur ergeben,
dass die Gründe, die man für die Priorität der griech. oder
gar eines vermuteten syrischen vor den lat. Texten ins Feld
führt, absolut nicht zwingend sind und sich an und für sich
teilweise auch in entgegengesetzter Tendenz verwenden lassen.
Dazu treten nun aber positive Momente, die, wenigstens dem
heutigen Stande der Sache nach, diese entgegengesetzte
Meinung als die begründetere erscheinen lassen müssen, um
das Äussere vorher abzuthun, so dürfte man — ich bin hier
kein kompetenter Beurteiler — die Lehnworte aus dem
Lateinischen, wie sie die griech. Texte in reicher Fülle ent-*
halten : KÖ)üiiiT€C oder K6)itT€q 1, Iv jCjt vov^ipn) 1, aTpdrtup 10,
0oubdpiov 16, (ToOßXa 18, dfpjLia 20, 26, ävvuivai ß^ona 21,
(Tuvii^XXiov 22, iKaOileTo ihq iiA (TKdfivou 23, toO aexp^rou 24,
naXd-nov 26, xapdKaXo^ 26, arceKovXajw 21 j nicht allzu hoch
anschlagen, wenn nicht sich mehrere gerade an der be-
treffenden Stelle in Lc wiederfänden: comites, in numero,
sudarium, subula, arma, annonae, vestis, scamnum, spiculator,
40 K. Richter 40
während sich für chlamys in Lc 2 im Griechischen nichts
Entsprechendes bietet, und Gd sie zam Teil in echtgriechische
Worte umgesetzt hätte. Dazu treten dann solche Stellen,
deren griechische Fassung sich aus einem Missverständnis des
Lat. erklären lässt. Heisst es in Lc 4 von dem Heiligen, er
sei in eine Kirche eingetreten [ingressum domum Domini]
und wird dann von einer Frau erzählt, die, consuetudinem
habens, ingressa est ad colligendas rosas, so muss man freilich,
wenn man wie Mussafia es seltsam findet, dass die Frau in
eine Ejrche eintritt, um Bösen zu pflücken [F coillir], das
Griechische, welches Christophorus Jjbnrpoaeev toO vaoO sitzen
und KOpTiv Tivd auv^Geiav Ixovaav auXXf y^iv i>6ba ei^ töv rra-
paöeicTov treten lässt, für einfacher, vernünftiger und ursprüng-
licher halten. Es ist aber diese griech. Lesung erst aus dem-
selben irrtümlichen Verstehen der lat. Worte, dem Mussafia
nicht entgangen ist, entstanden, indem man das colligere, das
auf ein Niederlegen yon Rosen vor dem Altar oder ein Mit-
nehmen einiger geweihten von demselben zu beziehen ist, in
viel zu prägnantem Sinne fasste und diesen durch die Ein-
fügung des dq TÖV 7TapdÖ€io*ov, das in der ältesten griech.
Gestalt Ga noch fehlt, zum Ausdruck brachte, um die
Sache nun aber in ein neues Gefüge zu setzen, musste im
Laufe der Entwicklung ein zweites Missverständnis sich ein-
stellen. Die Frau eilt, als sie den grossen betenden Heiligen
erblickt, in Lc 5 erschreckt zurück und ruft den Nachbarn
zu : „Quidam homo Dei est hie", ein Mann Gottes ist da, „aber
ach, schon werden sie ihm Martern bereiten", ein schöner Zug
für diese Christin, die sie als Bittgängerin in eine domum
Domini doch sein muss, zur Zeit allgemeiner Verfolgung.
Diesen Ausruf hat nun die Vorlage von Ga übersetzt: vdo^
0€oö ianv, woraus in Ga der verlesene Unsinn entstand:
vaö? 0€oO dariv, den Gc und Ge wieder glücklich in die
Richte bringen durch ihr durchgreifendes ?|iTrpocy6ev toO vaoö
ToO 9eou eiöov dfvbpa und aufs unbefangenste mit der Rosen
pflückenden Frau verbanden. Gegen dieses klare Verhältnis
versuche man umgekehrt etwa aus dem Griech. das Lat. zu
41 Vorgeschichte. 41
erklären, um die Richtigkeit der entwickelten Folge zu ver-
stehen. Man nehme femer Gce 5. Die Soldaten fragen den
Heiligen, warum er weine, und er antwortet: „Ja weil ich
bisher, da ich den Herrn nicht kannte, in Ehren und unbe-
scholten lebte, nun aber, da er sich mir o£fenbart hat^ ver-
folgt werde". Ol bi. dKoucravTC^ yjcrxövovTo In XaXeiv ^erauToö.
*0 Ydp 6€Ö^ tt62a(y€v töv iraiöa aöxoö. EIttov bk -rrpö^ töv jia-
xdpiov ol (TTpaTiüüTai- 'H|li€T^ irpö^ (Tfe dTreordXfmcv. Grad mögen
in Erkenntnis des widerspruchsvollen Charakters dieser Satz-
folge das Störende fortgelassen haben. Lc aber giebt die
Auflösung, und eine Verstellung ist an dem Ganzen Schuld,
denn da folgt auf die Anrede der Soldaten erst die stolze
Antwort des Heiligen: „Si non voluntarie venero, vos non
potestis me vinctum ducere, Christus enim mens adest" etc.:
haec audientes, confundebantur amplius loqui ei. Dens autem
glorificavit suum servum. und dann — man denke sich eine
Pause — die scheu unterwürfige Gegenrede: „Si non vis
venire nobiscum, . . . perge quocumque volueris". So ist alles
in bester Ordnung und bedingt sich gegenseitig. Ein ander-
mal, Lc 17, geht eine berechnete "Wortspielerei durch die
griech. Übersetzung verloren. Rex: „Nonne consensisti mihi,
mala mulier, immolare diis?'' Et dicit ei: „0 rex, sicut
oportuit, immolavi. Si autem vis, permitte me, ut ceteris
immolem'*. Dagegen halte man die aufgeschwellten griech.
Reden ^). Gae 22 wundert man sich über das dx^Xeucrev ö
ßa0iX€iyq TTpöcraxOfivai Xpiotoqpöpov, der vor dem König
schon dastand» als die Soldaten ankamen, und von dessen
Entfernung während des Dialogs zwischen diesen und jenem
nichts gesagt ist; wohl aber hat das Lateinische eine solche
Anmerkung Lc 21: Tunc rex jubet secedere servum dei et
illis secrete coepit dicere*).^ Ebenso bietet Lc 24 Verstän-
0 Usener p. Ö8, 14—20.
^) Gd sucht durch den Einschub: '0 im^v oOv 6biK0^ b^Kioq ^q)uXdr
Kwae irdXiv töv fidprupo. Kai jicrd nvd^ fm^pa^, töv fjqpcpav £{<; t6
KptT/|piov etc. nicht nur den augenblicklichen Zusammenhang, sondern
auch die im Griechischen so sprunghaften Daten zu vermitteln.
42 K- Biohter 42
digeres gegen den gleichen Abschnitt in Ge. Das Volk
triumphiert über den unverletzt im Scheiterhaufen stehenden
Heiligen, es droht dem König, der heimlich in seinen FaLaat
entweicht. Da kommt der Teufel in Menschengestalt zu ihm
imd klagt: ^Ja mit unserer Herrschaft ist's nun wohl zu
Ende, so viele glauben jenem schon, xai dKrpcoa aöruiv axen-
TOfA^vuiv dveXciv ae'. Und gemUtlich geht es weit^: TTpuiia^
öi T^vo^£vT)^, iK^Xeixrev 6 A4kk>^ 6uaiav y^v^crOai Tot^ €iö«iiXoi^,
als sei nichts geschehen. Weit wirkungsvoller in Lc. 10000
Menschen jubeln dem Märtyrer zu und werden getauft. Der
Satanas percussus dolore naht dem Könige: „Besiegt bist
du und des Todes, wenn du nicht fliehst« 10000 sind abge-
fallen und wollen dich töten« Ego igitur sie audivi eos di-
centes, et festinavi renuntiare tibi^. Cum autem audisset rex
haec fugiit Dann wird verständlich, wie am andern Morgen,
nachdem sich der Sturm gelegt, der König von neuem als
Verfolger auftreten kann. SoU man nun annehmen, dass
sokhen guten Sinn eine Ubersetaung hineingebracht habe in
Vorgänge, die im Original so renrorren waren, dass ein
direkter Ausläufer desselben, Gd, sie durch Streichung der
ganzen Teufelsepisode zu vereinfachen suchte? Schliesslich
noch ein deutlichster Grund gleich darauf. Am andern
Morgen also befiehlt der König neue Götzenopfer, und Herolde
durchziehen die Stadt und rufen die Menge zusammen. Da
kommt der be&eite Heilige mit seinen Scharen ad locum, ubi
erant incensa, d. h. an die Weihrauch- oder Opferstätte.
Der Grieche aber nimmt das Wort fäkchlich im Sinne von
incen'dium, bezieht es auf das vorangegangene feurige Martyrium
und schreibt: öttou f) Kdfir)vo^ yixovtv.
Mit einer weit grösseren Deutlichkeit, als in diesen
Ausserlichkeiten, mit denen an erster Stelle zu operieren man
heute freilich immer gedrungen ist, stellt sich in dem inneren
Charakter der verschiedenen Versionen ihr genetisches Ver-
hältnis zu einander dar. Wenn nichts in den lat. Fassungen
Lbc [F] fehlt, was, in den griech. Gacde vorhanden, sich
nicht leicht als deren weitere Zuthat erklären liesse, wenn
43 Vorgeschiolite. 43
Lbc F überhaupt ein einfacheres und schlichteres Gepräge
in Inhalt und Form zeigen als Gku^e und dennoch in nichts
sich etwa als beabsichtigte Anszäge verraten, wenn endlick
libc F näher P stehen und in sich wieder Sporen einer
Entwicklung von P zu Gacde hin erkennen lassen, so ist
der Schluss ja unvermeidlich, dass Lb F Lc Etappen waren
auf dem Wege von P zu Gacde Un, nur müssen wir an-
nehmen, dass vidie Zwisch^o^ und £lreuaung8stationen uns
nicht mehr bekannt sind« Die folgende Inhaltsvergleichung
hat nun den dreifachen Zwecke diese Ansicht zu begründen,
einen deutlicheren Begriff des Inhaltes aller Passionen des
Ghnstophorus zu Hefem und iCateriaL aa£iuspeichem. Da
es sieh im wesentlichen um Lc und Ga als die geschlossensten
ErscheiBungen handeln wird, so dürfen wir die von den edd.
Boll. getroffene Einteilung derselben in 38 Abschnitte benutzen.
[1] Wie hätte — um hier wieder anzuknüpfen — der
lat. Übersetzer dazu kommen sollen, die bestimmte chrono-
logische Angabe des Gbiechischen : ''Etou^ Terdpxou Tf\^ ßoai-
Xeia^ ^k(ou, da er doch Decius g^iau bq gut oder schlecht
kennen nrasste wie der Grieche, und seine sonstigen faktischen
Angaben nidit die Mutmasenng aufkommen lassen, er habe
an dem vierten Bqjpierungsjahr eines nur zwei und ein halb
Jahre Begierenden Anstoss genommen, in ein unbestimmtes
Temporibus iUis umwandeln sollen ? In tempore illoy regnante
Dagno in civitate Samo, homo venit de insula etc. beginnt P|
diese kurzen Worte und die auf sie folgenden vagen An-
deutungen von einer himmlischen Erwählung und Taufe des
Heiligen drängten zu {»rägnanterer Ausführung. So beginnt
denn F : El tens que li empereor de Borna perseguiont sainti
egleisi mist son ban li emperere de Boma que tuit eil qui no
voudriont sacrifier a lors ydoles fiisant tormenta de divers
tormenz. Auch das ist noch unbestimmt: eine jener Ver-
folgungen, wie man wusste, dass sie von Born ausgegangen
waren. Dass im Verlaufe Decius als rez und an ganz anderem
Orte als in Born erscheint, zeugt nur von der Leichtfertigkeit,
mit welcher solche Thatsächlichkeiten in die Erzählung ge-
44 ^- Riobter 44
bracht wurden: hatte Lb noch allgemeiner gesagt: Tempore
quo nequissimo errore gentilium simulachra demonum cole-
bantur, exiit edictum a principibus, so fabelte F, wie ja auch
M [Mombritius] den Dagnus rex in einen Danus imperator
umsetzte, von einem emperere de Roma, der ihm aus jener
Zeit des heidnischen Irrtums auftauchte. Während nun
beide noch die alten Ortsangaben bieten, Samon in Lycien,
hat F den alten Dagnus bereits mit Decius vertauscht, Lb
ihn bewahrt. Wie es geschab, dass an der betr. Stelle in
E gerade der Baum für den Namen li rois de cele cite
estoit appellez . . . freigeblieben ist, weiss ich nicht; eine ESr-
klärung wie Mussafias, der Übersetzer aus dem Lateinischen
habe in Erinnerung an P diese Bemerkung eingeschaltet, sei
aber dann an der Verschiedenheit der Namen Dagnus und
Decius irre geworden, hat keine Stützen in irgend ent-
sprechenden Wahrnehmungen. Jedenfalls sind alle derartigen
Beminiszenzen in Lc geschwimden. Es berichtet in ge-
hörigem Zusammenhange, wie der Befehl, dass alle, die sich
den heidnischen Opferbräuchen widersetzten, durch Martern
zur Teilnahme gezwungen würden, zu den judices gelangt und
diese die Kirche Gottes zu verfolgen beginnen. Ungefähr
zur selben Zeit hatten die comites, königliche Beamte, einen
fremden Mann im Kriege gefangen genommen, der aus dem
Lande der Menschenfresser stammte, schrecklichen Antlitzes
und gleichsam hundsköpfig war, und der König hatte ihn in
die Schar der armarianorum, seiner persönlichen G-efolgs-
leute, eingestellt. Auch dieses Wort hat den Herausgebern
Anlass zu einer gelehrten Vermutung gegeben, indem sie in
den Akten S. Theodori tironis eine legio Marmaritarum in
regione Orientis und in der Notitia dignitatum et admin. or.
et occ. ed. Böcking I, 88 eine cohors Marmantarum entdeckten
imd diese nun für unsere Stelle anrücken Hessen, um aber
auch wieder die Verbindung höchst gewagt zu finden, hat
man nur die verschiedenen Formen der Texte anzusehen.
Gace jLiap^apiTÜJV, F Marmorians, eine Lesart eines Lc nahe*
stehenden Manuskriptes zu Montpellier Marmanianorum
45 Vorgeschichte. 45
[Mossafia] ^)j wo man denn teils hier-^ teils daher aus dem
Griech. and dem Lat. fiuchstaben nehmen müsste^ um zu dem
gewünschten Worte zu gelangen, über das auch Böcking an
seiner Stelle seufzt p. 394: sed incerta sunt omnia. Mit
demselben Schein des Rechten könnte ich, gestützt auf Lc,
verlangen, dass man die Möglichkeit eines Schreibfehlers fär
armarariorum ') und einer allmählichen weiteren Entstellung
als Lösung gelten Hesse.
Dieser merkwürdige Mann, so wird weiter berichtet, war
nicht im Stande, das erlassene Edikt zu verstehen, weil er
der Landessprache unmächtig war. [2] Betrübt darüber geht
er aus dem Palaste, wirft sich auf die Erde und fleht zum
Herrn, ihm die Kenntnis derselben zu eröffnen. Also dieselbe
unbewusste und doch wichtige Änderung gegenüber P, die
auch Walther von Speier vorgenommen hatte: das ursprüng-
liche Heidentum des Beprobus wird verwischt und so das Plus
des menschenfresserischen Charakters, wie er dem Biesen in
diesen Versionen anhaftet, durch ein Minus mehr als wett
gemacht. Gott, in der Gestalt eines herrlichen Mannes, tritt
zu ihm, ergreift seine Hände und bläst ihm den Geist des
Verständnisses ein. „Confortare et viriliter age, multi enim
habent credere in me per te^, sagt er zu ihm; in P hiess es:
„Multae generationes per te credere habent^. „Ich bin bei
dir, fürchte dich nicht, was du dem Könige antwortest.^ Froh
eilt der also Begnadete zu dem Orte, wo die Christen ge-
peinigt werden, schilt die Schergen und bekennt: „Auch ich
bin Christ und werde nicht opfern'*. — Während Ge dieses
Sprachwunder im Wesentlichen ebenso giebt, nur dass Christo-
pborus, statt aus dem Palaste, aus der Stadt geht und nicht
gesagt wird, dass Gott selbst ihm im Gewände des strahlen-
den Mannes erscheint, auch die Beden wohl ein wenig voller
geworden sind, und Gd merkwürdigerweise liest: iireibfj bkv
tbvyero vd auvr^xT) ^^ ävdpumo^, ganz allgemein, hat Lb
einen abweichenden Bericht. Darnach wird Christophoms
^) Gd hat das Motiv nicht.
*) Du Gange I, 889 b.
4j6 K- Richter 46
nicht im Kriege, sondern unter den widerspenstigen Ohristen
eingebracht, aber als man ihm das Edikt vorlegt, yersteht er
nichts davon. Während er zu Gott nm die fremde brache
betet, lassen ihn die indiees, die mit der AnsfÜhrang des Edüctes
Betrauten, insanire illmn ezistimantes liegen und begeben sich
zum Marterplatz der Oluisten. Da erscheint plötzlich der
Heilige, der durch eine himmlische Stimme inzwisdien ge-
stärkt worden ist [divina vox, P. 1 vox de caelo]. ESrsichtlich
einfacher.
Dann gehen die yerschiedenen Fassungen eine Zeit lang
leidlich Hand tn Hand. Einer der umstehenden [unus ex
judicibus Lb, in Oac heisst er BaxOioG^, in Grd ßax0i6^]
schlägt Ohristophorus, der in Lbc und F eine Chiamys über
dem Haupte trägt, ins Gesicht, welcher den Schimpf duldet,
weil Christus es so geboten hat. [3] Die im Griech. fehlende
Ohlamys erweist sich als ein wohlbegründetes Eigentum der
lat. Gruppe, indem nun der Angreifer, als der Heilige sein
Gesicht enthüllt, erschreckt durch den furchtbaren Anblick
zum König eilt, welche Motivierung Gacde abgeht, und diesem
das Vorgefallene berichtet. Wobei Lb mehr auf die politische
und religiöse Gefahr, die andern mehr auf das entsetzliche
Äussere des Ankömmlings ausgehen. • Der König sendet 800
Soldaten aus, ihm das Wunder, lebendig oder tot, vorzuführen.
In Lb wird der Befehl später ohne Zahlangabe und ohne
die Alternative gegeben. Wenn P von einer zweimaligen
Aussendung von 200 Soldaten wmss, so erweist sich das gegen-
über dem übereinstimmenden Zeugnis der erweiterten Fassungen
und der Hb. M als eine sekundäre Verdoppelung, die freilich
Walther von Speier und andere Bearbeiter übernahmen.
[4] unterdessen ist Kebrebus in eine Kirdhe eingetreten,
hat seine Rute vor dem Altar in die Erde gesteckt, und
auf sein Gebet erblüht sie, dass die Kräfte der Gläubigen
im Anblick des Wunders gestärkt werden. Mit dieser
Schlichtheit nimmt Lc eine Mittelstellung ein zwischen Lb, das
den Heiligen inmitten der anströmenden Heidenschaft predigen
und auf einiger Zuhörer Einspruch, wie er die Wahrheit seiner
47 VorgesoHiohte. 47
Rede beweisen möge, ein zufallig daliegendes Sütlein er-
blickend und aufhebend das Wunder bewirken lässt, worauf
yiele den Herrn preisen und sieb von dem vorüber kommen-
den Presbyter Petrus taufen lass^i — an der entsprechenden
Stelle in P werden 18000, in M 8000 gläubig, der Name
aber fehlt — und Gkioe, die besonders im Punkte d^ frommen
Beredsamkeit aneschweifen und den Heiligen vor der Kirchen-
thür sitzen lassen. [6] Hier findet ihn auch jene Frau, welche
Bösen einsammeln wül, wie er in sich versunken vor sich
hinweint, und wie sie als vor eines Dradien Angesicht fort-
läuft und die Nachbarn zusammenschreit, kommen die vom
König ausgesandten Soldaten des Weges, und sie muss ihnen
den Ort zeigen, wo der Heilige ist. Dieses Motiv mit der
Frau fehlt Lb völlig, wie es in P vor dem Stabwunder,
einfacher und nicht in Yerquickung mit den Soldaten, stand;
aus sekundären G-ründen hat es wohl Gd fortgelassen. Nun
schieben G-cde gegen Ga und Lc F den Zug ein, dass die
Soldaten dem Fremden zuerst nicht zu nahen wagen, welcher
Furcht auch Lb gedenkt, aber als sie sich auf Umwegen
heranschleichen und ihn waffenlos sehen, sich gegenseitig er-
mutigend an ihn machen, während Lb die Schweigenden
durch eine erste Frage des Heiligen selbst zu sich bringt.
Sie richten ihren Auftrag aus, aber er erwidert stolz« dass
ihn niemand mder seinen Willen zu fesseln und fortzuführen
vermöge [P: „Si voluntatis meae est, veniam, si non, non
veniam'^]. [6] „So wollen wir dem Könige sagen: wir
fanden dich nicht; du aber magst gehen, wohin du willst.^
„Nicht also, sondern ich will mit euch gehen [P: „Tamen
venio vobiscum'^, wie drängt dieses tamen auf den Einschub
hinl], nur wartet ein wenige, fordert der Heilige. Da klagen
sie, dass ihre Yonitte zu Ende seien, sodass sie nicht harren
könnten; Christophorus aber heisst sie die Beste zusammen-
tragen und bekehrt sie durch ein dem neutestamentlichen
analoges Speisungswunder [7], zu dem in Gce der Engel
Baphaöl in eigener Person erscheinen muss. Wundem wir uns
nun, wie denn in Gacde Lc der lokale Zusammenhang gedacht
48 K. Richter 48
wird, dass die Ausgesandten einen so weiten Marsch zurück-
zulegen haben, auf dem ihre Nahrungsmittel verzehrt werden,
so lehrt Lb, in welchem die Bekehrung nur durch die Worte
des Heiligen bewirkt wird, in Verbindung mit P, das von
solcher Bekehrung an dieser Stelle ja ganz schweigt, dass
wir es hier mit einer immer weiter gehenden Erweiterung zu
thun haben, deren erster Anlass in dem späteren Wieder-
auftreten der Soldaten als Christen liegen muss. In Lc F
Gacde folgt dann die Taufe, über BaßüXa^ resp. Petrus ist
gesprochen worden. Bebrebus 'Pdirpeßoq erhält den Namen
XpicTToqpöpog. Lb dagegen sagt hier nur: fecit eos baptizari,
den Presbyter Petrus hat es ja bereits an passenderer Stelle
verbraucht. [8] Ebenso einfach erzählt es weiter: der Heilige
lässt sich von den Bekehrten binden und vor den König
fähren. Was Ga durch eine thörichte Bestimmung, dass sie
nach TT^pin gehen, und mit Lc durch den Grund der Fesselung
vermehrt: keiner soll gegen die Abgesandten Verdacht
schöpfen, dass sie nicht um seinetwillen ins Unglück kommen.
Da diese Motivierung dem Folgenden, in dem sich die Soldaten
ganz unvermittelt darbieten und aufopfern, einigermassen
widerspricht, so darf man annehmen, dass Lb „Begem festinetis
adgredi, ut per supplicia ad gaudia valeamus pervenire celestia^
näher an eine ursprüngliche Weisung des Heiligen ankommt.
Lc und Gde haben in gleicher Tendenz, aber doch ver-
schieden, diese Weisung zu längerem Dialog benutzt, der
während des Marsches zum König katechetisch hin- und her-
geht. [9] Sie erscheinen vor diesem, der, wie in P, erschreckt
vom Stuhle sinkt, Lb nur: exterritus. Lc und Gacde
schieben eine Anrede des Heiligen ein: „Wenn du mich,
seinen Kneoht, so fürchtest, wie willst du vor Gott bestehen?^'
Es folgt die Frage nach Glauben [religio, Lb fälschlich regio],
Herkunft und Namen, und die Antwort, die in P nur auf
letzteren Punkt erging, wird ausführlich gegeben, mit der
sicher nicht ursprünglichen Wendung, die alle diese Fassimgen
aber schon gleicherweise geben: „G^nus meum mens vultus
indicat", wozu Lb noch fügt: „ex regione Cananitida''. [Gc
49 Vorgeschichte. 49
fallt von hieran fort.] j^Vanum nomen'', spottet der König, sein
Christus werde ihm nicht helfen. Aber wenn er den Göttern
opfern wolle, solle er in grossen Ehren bei ihm stehen. Der
Weigerung Christophori ist in Ga ein Satz eigen, der den
irgendwelchen festen Zusammenhang zwischen P und dieser
Erweiterungsgruppe auch einmal im einzelnen beweisen und
zugleich zeigen mag, wem die Priorität zukommt. P lässt
gleich nach dieser Szene und einigem pathetischen Hin- und
Herreden die Soldaten vortreten [venerunt ante conspectum
Dagni] und sich zu ihrem Gefangenen bekennen. Der König
bietet ihnen aurum et argentum immensurabile, sie weisen
ihn kräftigst ab : „Aurum. et argentum tecum sit in perditione'^
Dieser Satz rettete sich nun rein äusserlich ungefähr an der-
selben Stelle, die aber jetzt etwas ganz anders Meinendes
enthielt, indem Decius den eben sich nennenden Heiligen durch
das Anerbieten der Priesterwürde verlocken will, in Ga hin-
über, wo es nun ganz sinnlos heisst: yjb dpyijpiöv aou Kai t6
Xpuaiov aou cruv aoi ein dq dTruiXeiav", [Gd verwischt: „Movov ?x€
Td dTOiOd aov £(Tu."] Lbc sind dem entgangen durch eigene rheto-
rische Ausfuhrung, und die so hervortretende Divergenz steigert
sich im Weiteren. [10] Doch scheint auch darin das Lateinische,
in dem der Heilige aufgehängt und grausam zerfleischt wird,
in dieser seiner Eohheit einfacher als das Griechische, das den
an den Haupthaaren Aufgehängten und mit einem grossen Stein
an den Füssen Belasteten mit Schwertspitzen ritzen und
durch drei Fackeln anbrenzeln lässt [Gd: eiq rai^ fiacrxdXatg].
Beidemal interveniert die Umgebung: dort dem Gequälten
zuredend: „Was schadet 's dir denn, wenn du nun wirklich
opferst?^ hier den König abhaltend, ihn ganz zu töten, da er des
längeren zur Ergötzung dienen oder in Kriegen Hilfe leisten
soll [Gd]. Gade allein eigen ist das darauf erneute Angebot
des Königs, ihn zu seinem Wagenlenker machen zu wollen.
[11] Dann wird der Übergang ins Geleise von P zu-
rück derart vermittelt, dass eben diese Umgebung dem
König den Bat giebt, den Heiligen durch die Buhlerinnen zu
verführen, währ^d in P Dagnus aus eigener Initiative sie
4
50 K- Hichter 50
besandte, wie Qtd wohl zufällig wieder herstellt. Sie werden
in ein kleines Gemach zu Christophorus geschlossen und machen
sich mit plausu manuum etc. an ihn. Als sich der Betende
endlich umwendet, yerstummen sie furchtsam vor der Macht
seines Blickes. [13] Die sehr einfachen Fragen und Ant-
worten, die in Lbc darauf folgen, sind namentlich in Ge
au& unschönste erweitert durch die Überlegung der Mädchen :
ein Diakon habe ihnen einmal gesagt, Christus lohne auch
noch im Himmel, so wollen sie lieber ihm folgen und dem
Zorne des £önigs trotzen als dem des Heiligen; ein niedrig-
ungeschicktes Motiv. [13] Sie bekennen sich also zu seinem
Glauben, gestehen auch auf die dumm-komische Frage, welches
denn ihre Sünden seien, Mord oder Zauberei? ihr liebege-
falliges Gewerbe. Der Gefängnisaufseher ruft sie zum König, und
in Ge, wo er sie mit Christophorus zusammen in frommem Gebet
gefunden hat, meldet er seinem Herrn scherzhaft: „T6ixoij ib^
uTToXajißdvuj, Jtreiaav töv dvftpa". Dieses Detail fehlt Gd. Es
folgt die Enttäuschung: „Auch wir glauben an den einen Gott^.
Das Genrehafte dieser Szene hat Lb nicht, es schliesst sich
im Femeren enger an P an, wie sich gleich darauf offenbart
[14] Denn da treffen Lc und Gade eine prinzipielle
Teilung der in P durchaus als eine Einheit auftretenden,
handelnden, redenden Frauen, Lb aber hat diese Teilung noch
nicht In Lc also wird Gallinice [Gade *AKuX(vr)^ an den
Haaren aufgehängt und mit zwei Mühlsteinen an ihren
Füssen beschwert, eine weitere Marter, ein Einschrauben ihrer
Brüste, fehlt in Gude. Als ihr so die Glieder auseinander-
gerissen sind und die Haut in Fetzen vom Körper hängt
wird ihr auf des Heiligen Gebet in lieblichem Schlafe Er-
lösung. Wie Gde hinzufügen: am ersten April. [16] Jetzt
soll Aquilina [Gade KaXXiviKTi] opfern, Standbilder und gött-
liche Ehren werden ihr verheissen, wenn sie es thue. „Quibus
diis?" fragt sie. „Herculi, Jovi et Apollini". „Deinen Ver-
sprechungen trauend will ich es thun^'. Linteamina werden
vom Palast bis zum Tempel gebreitet, und Herolde ziehen
verkündend durch die Stadt. — Die Übereinstimmung zwischen
51 Vorgeschichte. 51
Lby Lc und Ga in diesen Fragen, Antworten, Einzelheiten,
die in P nicht derart ausgefilhrt waren, beweist mir aufs
deutlichste, dass Lb hier eine Zwischenstufe von P zu Lc
Gra darstellt. Denn vermag man sich auch bei einigem
guten Wülen einen Bearbeiter zu denken, der, zwischen zwei
Yerschiedenen Texten stehend, in der ersten Hälfte mehr dem
einen, in der zweiten mehr dem andern Folge schenkt, so ist
doch eine derartige Verschmelzung im Kleinsten, wie sie in
dieser Szene Yorliegen würde, etwas mir unglaubliches, da
auch jeweilig ein Orund der Wahl dieses Hotives daher, jenes
dorther unerfindlich wäre« Stellt man sich aber die dritte
Möglichkeit vor, eine Mittelstellung von Lb in der umge-
kehrten Reihenfolge von G-a Lc zu P, so wäre wiederum
durchaus nicht zu yerstehen, warum Lb die in Lc von vorn-
herein getrennten Frauen hätte vereinigen sollen, da sie im
Martyrium schliesslich audi in P getcennt erscheinen. Da-
gegen stimmt zu unserer Ordnung des Textverhältnisses der
Verlauf der Opferszene aufs beste, insofern Ge wieder am
reichsten an Detailzügen ist. Die Priester z. B«, die in P
und Lb gar keine Bolle spielen, raten in Lc der ungehört
zu den Götzen Bufenden zur Busse, in Gde müssen sie noch
über das Bangverhältnis ihrer Gottheiten Auskunft geben,
[16] sie geraten in Verlegenheit, als ihre Vermittlung in
Anspruch genommen wird, und dgl. Der Vorgang selbst ist
im Ganzen derselbe wie in P, nur lebendiger und gesteigert,
wie also noch Herkules als dritter Götze hinzutritt und Aus-
rufe wie „Vocate medicos, et curent deos vestros^', „ZuXXiiSaTe
Td öotd toxi ^Xaiuj Kod dXon KarabifKrare ToOra" den Dialog
mannigfacher und heftiger machen. [17] Die Priester sind es
denn auch, die die Basende vor den E[önig führen, auf dessen
Vorwürfe sie in Gade und Lb mit einem aus P erhaltenen
Motiv antwortet, das in Lc verloren gegangen ist : „Tales sunt
dii tui, ut a mnUeribus conliderentur^. Eine Marterzurüstung
in Gde, das £uXov Terpdtovov, das in Gb Lbc fehlt, ist
wohl irrtümlich aus der Marter der Gallenice in Lc 14 hier-
her geraten und wird künstlich mit dem Folgenden verknüpft.
52 K. Richter 52
[18] Die wirkliche Marter giebt Lb für beide Frauen ganz kurz
nach P mit dem Zusatz : nono kal. aug. ; Lc Gade lassen sie
ziemlich übereinstimmend auf das Grausamste leiden: ein langer
Pfiiem wird ihr von der Ferse bis zur Schulter gebohrt, und die
80 mit Steinen an Füssen und Hals Aufgerichtete entschläft
wieder auf das Gebet des Heiligen, am 8. April, wie Gde
meinen^ octavo kal. jul., wie Lc angiebt.
[19] Christophorus selbst wird vor den König geführt. Man
holt Verschiedenes nach, was in F der Episode von den beiden
Buhlerinnen voranging. Da erscheint z. B. in Ge[d] das berufene
Wortspiel und sieht hier fast wirklich als ein solches sich an,
wenn es heisst : , AtKa(u)^ ^KXrjOr)^ A^Kioq - Ö6ktik6^ fäp ei ifjq
dvepyeiag toO biaßöXou". Aber offenbar ist die Übersetzung
des älteren Textes Ga genauer: Aoxög yäp ei toO öiaßöXou,
<yüvb€(T|io^ ei Tou iraTpöq aou toO Zaravä etc., die denn freilich
wohl erweist, dass man damals schon nach einem Wortspiel
suchte und es durch Veränderung von Dagnus in Alxio^ in
zweifacher Gestalt herzustellen verstand. Lc giebt davon
nichts. [20] Weit wichtiger ist, dass an dieser Stelle die
Szene der bekennenden Soldaten nachträglich erscheint. Die
Verbindung ist eine ganz thörichte: Christophorus erblickt sie
plötzlich sicut ex longa peregrinatione venientes und ruft sie
herbei. Sie werfen dem Könige ihre Waffen vor die Füsse
und begrüssen den Heiligen, der die Furcht jenes vor poli-
tischem Aufstande — „'AvrdpTTi^ jliou Y^jova?" — beruhigt.
[21] Die versuchte Überredung ist sodann aus den kurzen
Worten in P zu einem umfänglicheren Dialog erwachsen,
zu einer heimlichen Zwiesprach. Aber die Soldaten sind
standhaft und leiden den Schwertestod. Nach Gde am
7. April, auch lassen sie mit Ga die Leichen verbrennen,
die dann in Gd von den eöcreßei^ geraubt werden [cf. Lc 26].
— Lb erkannte die lockere Einfügung dieser Episode und
suchte nach einer besseren, die nicht übel geriet. Christo-
phorus begegnet, als er aus dem Gefängnis geholt wird, einer
Menge Volkes und darunter jenen Soldaten, die er bekehrt
hat, sie^ umringen ihn und fragen: „Was sollen wir thun.
53 Vorgeschichte. 53
Meister, wenn du in den Tod gehst?^' Seines Zuspruchs ermutigt^
ziehen sie mit ihm zum König und sterben für ihr Bekenntnis.
[22] Es folgen in Lbc Gade ziemlich gleicherweise die
Vorbereitungen zur Marterung des Heiligen. Das Stäupen
mit eisernen Buten, das Lb aus P noch übernahm, ist in
Lc und Gade zwar als unerheblich fortgefallen, aber die
Aufstellung des eisernen Rostes [Gd x<^^köv irrroKdfiiaov?],
die Aufhäufung von Holz etc. sind geblieben. Nur dass Lb
und Ga keinerlei Zahlenangaben haben, woraus man vielleicht
auf einen älteren zahlenlosen Zustand von P schliessen könnte,
aus welchem sich die ganz verschiedenartigen Zahlen in P
Gde Lc als eine naheliegende Ergänzung entwickelten.
[23] Lb erzählt dann einfach P entsprechend weiter, dass
der Scheiterhaufen schmilzt velut liquens cera und der Heilige
unversehrt und leuchtenden Antlitzes mitten in den Flammen
steht. Lc und Ge, nachdem ersteres offenbar ganz sekundär
noch ausgeführt hat, wie ein Feuerstrom vom Scheiterhaufen
herabrinnend sich ausbreitet, die Flamme dreissig Häuser
ergreift und viele der zuschauenden Heiden unikommen, geben
dazu eine Vision des so wunderbar Bewahrten, die, als den
Höhepunkt dieser erweiterten Fassungen, Gd unbegreiflicher-
weise unterschlagen hat. Ghristophorus schaut, vom Scheiter-
haufen aus, mitten auf dem Marktplatz der Stadt einen grossen,
herrlich gestalteten Mann. Sein Antlitz strahlt wie die Sonne,
seine Kleider leuchten wie Schnee, und ihn umgeben wenige
glänzende Krieger. Da kommt ein anderer, schwarz ist sein
Ansehen, dunkle Scharen begleiten ihn, sie starren von Waffen,
und ihre Haare ringeln sich wie Ketten. Sie stürzen sich auf
das Gefolge des Herrlichen und schlagen es in die Flucht,
der Fürst der Schwarzen erhebt sich triumphierend auf den
eroberten Thron. Kurze Zeit vergeht. Da wendet sich der
Fürst des Lichtes, zerschmettert die Heere des Gegners,
schmiedet ihn mit feurigen Ketten an und zerstört seine Sitze.
[24] Von der Gewalt dieses Gesichtes getroffen, jauchzt das
Yolk dem Heiligen zu und befreit ihn, zehntausend Menschen
bekehren sich, und der König muss fliehen. [25] Erst am
54 K:. Richter 54
andern Morgen rafft er sich zu neuem Entschlüsse auf: grosse
Götzenopfer sollen yeranstaltet werden. Christophorus mit
seinen Gläubigen kommt dazu^ und sie ziehen durch ihren
Gesang die Aufinerksamkeit der Heiden auf sich. Als dem
König davon Meldung gemacht wird, lässt er sie umzingeln
und alle ausser dem Heiligen erbarmungslos niedermetzeln,
am 9. Juliy setzen Gae diesmal hinzu, Gkd konsequenter am
9. April, und es waren 10303, sagt G-a. [86] Eine Erweiterung,
die in der Klarheit ihrer Absicht uns erwttnschter ist, schliesst
sich statt dessen in Lc an : die Körper der Getöteten werden
in einem grossen Ofen yerbrannt und ihre Asche in Säcke
gethan, dass kein Christ sich ihrer bemächtigen könne. Da
erhebt sich auf Ohristophori Ghebet ein grosses Erdbeben,
der Sitz des Königs stürzt zusammen, und alle flüchten ent-
setzt. Ein Archidiakon des Bischofs Atanasius kann nun
mit seinen Brüdern die G-ebeine der Märtyrer sammeln und
in seine Stadt bringen.
Auch im Weiteren kommen dann Lc und Gade nicht
mehr recht zusammen. Gemeinsam mit Lb zwar haben sie
noch den grossen Stein: Lc und Gade sagen, 30 Männer
konnten ihn nicht tragen. Während er aber in Gade an
Christophori Hals gekettet und dieser so belastet in einen
Brunnen geworfen wird, aus welchem ihn englische Hilfe er*
hebt, wird in Lb der Heilige mit ihm durch die Strassen
geschleift, Lc jedoch erweitert den Zug zu einer wunderbaren
Geschichte, wie ihm der Stein die Brust in Stücke reibt und
die Schergen ihn schliesslich für tot darunter liegen lassen.
Gott aber bdebt ihn wieder, er nimmt den Stein auf und
tritt vor den König mit den spasshaften Worten: „Vis ut
percutiam te de hoc?'' Dieser Erguss der eigenen Phantasie
hat denn Lc auch so erschöpft, dass es auf alle weiteren
Martern verzichtet und am folgenden Morgen den König die
Sentenz über Christophorus fiLllen lässt. Dagegen bieten Gade
noch eine kurze Notiz über einen glühenden ehernen Umhang,
der an Stelle des feurigen Helmes in P getreten ist und
den Heiligen nicht zu verletzen vermag. Weit wichtiger ist
55 Vorgeschichte. 56
hier Lb, das berichtet, wie derselbe an einen Stamm ge-
bunden und vergebUch mit Pfeilen beschossen wird, obwohl
der König und sein Gefolge ihn getroffen glauben. F be<
wahrt gleichfalls die Erinnerung an dieses Ffeilwunder yon
Py aber mit dem yerkümmerten Schluss, dass die Pfeile
zurückspringen und den König und seine Bitter verwunden.
Die Abweichung oder üngenauigkeit zeigt, wie hier ein einst
hauptsächliches Motiv im Absterben begriffen ist; unmöglich
kann ich darin einen ersten Keim für eine spätere Aus-
weitung in P sehen, wie Mussafia [p, 7] offen lässt. Dieses
Mehr in F gegenüber Lc ist auch für die Beurteilung jener
ersten überschüssigen Ortsangabe in F von Bedeutung. Dar-
nach endlich das Todesurteil in Lb imd F.
[27] In dem frommen Bedewerk, das zu dessen Ausführung
nötig ist, steht dann wieder Lc voran. Ja es giebt gar eine
neue Vision des Heiligen, in der sich ihm die Herrlichkeit
Gottes offenbart und besonders seine Beliquien gesegnet werden.
Das Schlussgebet wird in all diesen abgeleiteten Fassungen
gegen P mehr oder minder aufgeschwellt. Lb vergisst die
ira flammae, gegen die Ohristophori Gedenken schützen soll,
die mortalitas erscheint als pestifer morbus. Lc und Gae
dagegen hegen mehr agrarische Wünsche inbetreff der Wein-
berge, Gd bewahrt in ireTva die alte fiEunes. Gegen Ende
fliesst schliesslich alles auseinander. [28] Ge redet von vielen
Wundem des hL Leichnams, von dem Fieber, das den König
ergreift und verzehrt, bis er ins ewige Feuer muss, Gad führen
des weiteren seine Klagen aus und lassen auch sein Weib ein-
stimmen, eine dunkle Beminiszeuz an die Heilung des Auges in
P klingt leise an, indem seine Diener dem Sterbenden auf sein
heftiges Verlangen nach irgend etwas von dem Heüigen Be-
rührtes Erde vom Orte des Martyriums in Wasser gelöst zu
trinken geben. Lc aber berichtet, wie der Bischof Atanasius
den Körper des überwinders den königlichen Schergen abkauft
und in seine Stadt bringt. Da steigt der Fluss, an dem sie liegt,
und überschwemmt. Der Bischof baut eine Basilika und stellt
die hl. Überbleibsel hinein : und die Wasser fliessen zurück.
56 K. Richter 56
So, sehen wir, gehen die Fäden hin und her, von einem
Text zum andern, fast unentwirrbar. Nur einige Vermutungen
wage ich anzudeuten. Was an Lc so auffallig sein muss,
ist das Verhältnis des Schlusses zum Anfang. Erst klar,
einfach, kurz, dem griech. Bival gegenüber sichtlich ursprüng-
licher, dann plötzlich diese aufgeschwellten Gebete und Wunder,
dieses Hervordrängen der Reliquien. Eine bewusste Tendenz
in dieser Richtung ist unyerkennbar. und darum glaube ich:
Lc ist in seinem letzten Teile zu bestimmtem Zwecke ge-
arbeitet worden. Irgend eine Stadt — das zweimalige Italia
superior wäre zu beachten — mochte angebliche Reliquien
des Heiligen besitzen, deren Echtheit darzuthun galt: so wurde
die vorhandene Fassio aufs roheste um einige dahin zielende
Thatsachen erweitert. Lb hat noch die alten Namen, im
ersten Teil aber schon manches Veränderte gegenüber P; es
ist nur sehr vorsichtig zu benutzen, weil es aus Freude an
rhetorischem Aufputz das Hinundher der Ereignisse minder
achtet und in einen pathetisch glänzenden Stil eingeglättet
hat, was sich ursprünglich rauher und charakteristischer wird
ausgenommen haben, wie Lc im ersten Teile zeigt Dennoch
kann es gute Dienste leisten zur Kontrole. F beweist, dass
wir in Lc nur eine schon wieder abgeleitete Gestalt der zu
partikulärem Zwecke verfertigten Bearbeitung haben, bei all-
gemeiner grosser Treue der Übersetzung enthält es einiges
Ursprünglichere. Zu einer weiteren Denkbarkeit, wenn ich
so sagen darf, verhilft üsener durch seine Einleitung zu den
Acta S. Marinae, die mit Ga zusammen in einem Dritteil
eines Martyrologs enthalten sind. Der Schreiber dieser Acta
nämlich erklärt für seine Quelle das Martyrologium, welches
Methodius, der spätere Patriarch von Konstantinopel und sein
ganzes Leben hindurch ein Hauptfeind der Bilderstürmer,
während seines durch deren zeitweiligen Sieg veranlassten
Aufenthaltes in Rom, 815 — 21, verfasst hatte; und üsener
hat bemerkt, dass dieses Werk sehr wohl noch die Quelle
anderer Stücke des Kodex sein möge, da es vor Symeon
Metaphrastes sich des grössten Ansehens erfreute. Man dürfte
57 Vorgeschichte. 67
sich also Yorstellen, dass Methodius in Rom einen Lc nahe-
stehenden Text fand und mit einigen Umänderungen über-
setzte. Dedus fand er bereits vor, Babjlas kam durch ihn hinein,
indem er dadurch die hauptsächlichsten lokalen Erweiterungen
hinausredigierte. Diese Bearbeitimg fand in Griechenland
eifrige Verbreitung, die z. T. dem interessanten Charakter,
z. T. dem Mangel an einer Tradition über den Heiligen, wie
ihn negativ auch Symeon Metaphrastes bezeugt, zuzuschreiben
ist, mannigfache Erweiterungen im einzelnen traten aus-
schmückend hinzu, imd in Ge haben wir diejenige Gestalt,
die von den bisher zu Tage gekommenen die Tendenz am
ausgeprägtesten zur Erscheinung bringt. In den östlichen
Ländern dagegen gewann die erweiterte Fassung gegen die
ältere einfachere, und doch, namentlich gegen den Schluss
hin, auch interessante Passio keinen rechten Boden. Dass
die yerschiedenen Texte sich schliesslich fast alle in Paris
zusammenfanden, war ein Spiel des Zufalls. Was, wenn es
so oder iUinlich war, freilich hinfällig wird, ist das Bestreben
üseners, aus den griechischen Texten etwas für den griechi-
schen Dialekt, wie er um das pisidische Antiochien um die
Wende des vierten zum fünften Jh. gesprochen wurde, zu
gewinnen; ich enthalte mich des Urteils darüber. Eine für
uns wichtigere Folge wäre, dass wir die Fassung P resp.
einen ihr schon ungefähr entsprechenden Alterzustand von
der Mitte des neunten Jahrhunderts auf seinen Beginn zurück«
zudatieren hätten.
Aber es sei darum. Denn auch das bestätigt mir die
Richtigkeit meiner Ansicht von dem genetischen Verhältnis
der Texte, dass in den erweiterten nichts hinzugekommen ist,
was als Charakteristikum gerade der Christophoruslegende
zu gelten hätte. Die wunderbare Heimat, die übermensch-
liche Grösse, der Hundskopf u. s. w. finden sich naiver und
ursprünglicher in P; dass die Stammesgenossen des Heiligen
auch noch Menschenfresser sind, ist eine sekundäre Folge
ihrer Hundsköpfigkeit. Die Begabung mit der Landessprache
ist aus einer Andeutung ausgeführt, und das Stabwunder
58 K- Biohter 58
fester eingefugt worden. Im Martyrium selbst bemerken wir
nur ein raffiniertes Zuspitzen des in F Geschehenden. Setzt
dieses seine Fakta hart und unvermittelt nebeneinander, so
tritt in den Erweiterungen, Ton Lb bis zu Qte hin, das Be-
streben zu Tage, sie durch Ubeigänge zu verbinden, dem
Ganzen zu einer leichteren, gefälligeren Einheit zu verhelfen:
man denke an die Vorgeschichte, die Soldaten und das
Speisungswunder, BaxOioOc etc. Zum Zweck der Steigerung
löst man die Szenen der beiden Buhlerinnen auf, erfindet man
singulärere Martern, die man mit geheimer Lust häuft. Ein
nicht unbegabtes Ersahlertalent muss das Hauptsächliche
gethan haben, dass selbst uns noch ein Gefühl grausiger
Spannung sich aufdrängt. Die bessere Motivierung der List
durch den vorhergehenden grausamen Tod der Schwester, die
anschaulich lebhafte Zerstörung der Götzenbilder mit dem
zerrissenen, höhnischen Dialog, der Apostrophe an die rat-
losen Priester, die schliessliohe Fesselung der patvofi^vn und
ihr fürchterliches, aber schnell und kurz berichtetes Ende
erheben die Erweiterung über den Muttertezt, was ihren Wert
als Erzählung anlangt; und auch die Vision des Christophorus
auf dem Scheiterhaufen, der £ampf der himmlischen und
höllischen Heerscharen, ist wirkungsvoll an der richtigen Stelle
eingefugt und bietet einen exfreulichen Gegensatz zu dem
vielen gleichmässig Krassen, was dem Stoffe seiner Natur
nach anhaftet: dem rohen Geschehen wird darin die geistige
Formel ausgesprochen. Aus allem aber müssen wir endlich
den Eindruck einer bewusst und berechnet künstlerisch
Legendenerzählung erhalten, die als ein höchst Potenziertes
dem derberen, nur mit jenem unbewussten volkstümlichen Reiz
der Kraft ausgestatteten F sich zur Seite stellte. Das hätte,
meine ich, von vom herein davon abhalten sollen, hier etwas
ursprüngliches finden zu wollen. Eine solche Herausarbeitung
des Bomantisch -wunderbaren in der Ferson des Heiligen:
'Avftp vcavia^, q)oßepö? tijj e!Ö€i, Kai imfep ^€T^Gt}^ rif» a\i)\ioui
KQi T(|i irdxci ' oi bk öcpOaX^oi aÖTOu dj^ dari^p ö irpun dvaT^XXujv,
Kai oi öbövre^ aÖToO uj^ (XiidTpou iSdxovrec ist für eine auf
59 Vorgeachichte. 59
das Ursprüngliche ausgeheDde SIritik gerade so verwerflich
wie die späteren deutschen Erdichtungen, denen wir, wie sie
Tielfai^ in gleicher Tendenz sich äussern, begegnen werden.
Aber während die edd. BoU. den Nachrichten der Menaea
magna emst sehr kühl gegenüberstanden, sind ihre Nachfolger
überzeugt: die griechischen acta, „quamquam naevo non carent,
iabnlosa non sunf^.
Was aber die Menaea tnagna bieten, ist lediglich ein
Auszog aus der erweiterten Fassung. Bereits das Sjnazarium
Basilianum, das in die Zeit zu setzen ist, da Walther von
Speier sein Gedicht Yerfasste^), giebt unter dem 9. Mai eine
dürftige 'AOXikti^ toö dyiou iidprupo^ Xpi(rroq)öpouy die auf sie
zurückgeht. Ja, der Geist der Yemeinung regt sich schon:
A^TOvrat nva iropd nvuiv TCpaTdj&ii Kui irapdbo^a, &n t€ icuvo-
iTpöaumo^ fiv TTp^Tcpov Kai dvOpUmouc i^aOicv, Ootcpov bi Herd
TÖ mareCaat vIp Xpiav^ MCTC^op^pdiOi). und nicht übel: Ouk
{an b^ toOto * dXXd nve^ ainbv ourui^ ötT6vöii0av, b\ä t6 ^Oviköv
€ivai Kui dTptov Kul cpoßepöv. Es heisst dann direkt, Ohristo-
phorus konnte nicht XaXfiaai fpalKKTTu Sonst nur ein dürftiger
Extrakt Noch weniger bietet das Menologium, das Henr.
Oanisius herausgab*), Oallinice und Aquilia heissen die mere-
trices. Die Menaea magna — mir war nur zugänglich das
MiivaTov ToO Maiou, Venedig 1843 — entlehnen die einleitende
kritische Befiexion wörtlich dem Synaxarium Basilianum, so-
dass der Wert einer Stelle, die statt des \ii\ buvd^evoc XaXfi-
aat rpoiKiari einüftcher giebt (pO^rr^aOoi ^f| buvdfievoc, wobei
uns die Lesart von Gd einfällt, gering anzuschlagen ist.
Es folgt ein längerer Auszug, der, an sich nicht gerade sehr ge-
schickt, in der ausgeführteren Charakteristik der beiden Frauen
und der Nacherzählung der Vision des Heiligen das Bestreben
zeigt, zu interessieren. Die benutzte Version stand vielleicht
dem Text Ge nahe. Inhaltlich entspricht genau, was der
Zirva£apiOT/i^ des Nik6öt]M0^ 'ÄTiopefTri^ •) mit durchgehends
*) Baronii Ann. eocl. ed. Tbeiner XV, 898.
*) Lect antiqoae, Antyerp. 1725, Hl, 409 ff.
>) Zakynth 1868, IH, 27/28.
60 K- Biohter 60
veränderten Worten unter Berufung auf zwei Passiohss. in
den Athosklöstem Laura und Iwiron giebt, die den mit-
geteilten Anfangsworten nach jene griechisclie Fassung
enthalten.
Als ein lateinischer Auszug derselben Art etwa stellt
sich dar, was Yincentius Bellovacensis ^) über den Heiligen
sagt. Vorlage war^ wörtlich benutzt, Mussafias lat. Text Lb.
Die andern grossen Heiligenencyklopädien folgen, soweit ich
sehe, der kurzen lateinischen Passio mit geringen Abweichungen,
je nach der betr. Bedaktion derselben^.
Einiges textgeschichtliche Literesse bietet noch der
Hymnus des Breviarium gothicum^), weil er die Geschichte
des HeiUgen in grossen Zügen, anscheinend auf Grund einer
der Becension Lc nahestehenden Fassung, versificiert. S. auch
0. Wichtiger ist hier nur, dass die eine Dirne Gallenia genannt
wird; denn da man wohl den Ursprung des Brev. goth. aus
dem Orient herleitet und vor seinem Inhalt als etwas Altem
Ehrfurcht zu haben pflegt, so könnte hier die Anknüpfung
an die griech. Fassungen gesucht werden, wenn nicht eben
Gallenia von KaXXiviKr) weiter entfernt wäre als Gallinice in
^) Speculum historiale, Norimb. 1483, üb. XIV, 24.
*) Ich erwähne, was mir unter die Hände gekommen und etwa
dabei aufgefallen ist: Surius Historiae seu vitae sanctorum 1570 — 75
[neue Turiner Ausg. tom. YH 1877 p. 506 sqq.] lieferte einen abscheulich
faden Extrakt. Im wesentlichen stimmt mit ihm überein Thoma de
Trugillo im n. Band col. 1871 — 73 der Thesauri condonatorum, Venetüs
1584, doch ist der Stil etwas erträglicher, ebenso Franc. Heraeus Yitae
sanctorum, Antverp. 1598, 560/1. Auch Pedro de Kibadeneyra in seinem
Flos sanctorum, de las yidas de los santos, Madrid 1599 — 1610, zugänglich
war mir die Ausg. Barcelona 1705, II, 295/6, schöpft aus Surius, wie es
scheint, doch weicht die Erzählung z. B. darin ab, dass nicht der Konig von
einem Pfeile des Auges beraubt wird, sondern einer der Schergen; ausser-
dem, was aber möglicherweise ein Druckfehler jener Ausg. ist, heisst die
eine Buhlerin Aniceta, in der lat. Übersetzung des Jacob Nioeta, Göln 1659,
steht richtiger Niceta. Lippelous Vitae Sanot., Göln 1616, HI, 264 — 67,
und Tamayus Salazar Martyrologium. Hispanum, Lugduni 1656, IV, 240 ff.,
giebt einen gekürzten Bericht nach Bibadeneyra.
») Patr. lat. LXXXYI, 1166 [Liturgia Mozarabica].
61 Vorgeschichte. 61
Lc. Ich halte den Hymnus für einen ziemlich späten Zusatz^
wie das Breviar manche enthält^). — — —
Von Walther von Speier gingen wir aus, eine Geschichte
des ihm überlieferten Stoffes wurde dann über ihn hinaus
gefuhrt. Die Arbeit, die oft nicht zu unbedingten Resultaten
fährte^ h&tte unterbleiben können, wenn es sich nur um
Walther, nur um diesen Stoff handelte. Aber aus ihm erwuchs
im Laufe der Zeit, vielleicht etwa zwei Jahrhunderte nach
Walther, eine der schönsten und tie&ten christlichen Legenden.
Ihre Geschichte scheint nach Deutschland als ihrem Ent-
stehungsorte zu weisen.
^) 8. die Anm. zum Missale mixtum Fatr. lat. LXXXV, 795/6.
n.
Die Ausbildung der Christophiegende in Deutschland.
Wir haben zwei selbständige poetische Oestaltongen der
Christophlegende in deutscher Sprache. Die eine ist in jedem
Betracht, in Äusserem und Innerem, die eigentümlichere.
Wir nennen sie A. Sie ist von A. Schönbach^) heraus-
gegeben worden, nach den beiden Hss. a und b [Seh. A und B],
deren erste, in der Bibliothek zu S. Florian bei Linz, im
14. Jh., deren zweite, in der Wiener Hofbiblioth. befindlich,
im 15. Jh. geschrieben worden. Schönbach behauptet, dass
„das Gedicht, wie es uns vorliegt, ins 14. Jh. gesetzt werden
muss, dass aber ein Gedicht des 12. Jhs. ihm zu Grunde
gelegen hat und darin tiberarbeitet worden ist'^ Etwas un-
bestimmt hat er später^) eingeschränkt, dass er es „nicht
mehr fär so alt ausgebe wie früheres ^^^ Piper^ nimmt eine
Vorlage aus dem 13. Jh. an. Wir können nicht umhin, zu
diesen Ansichten Stellung zu nehmen.
Zunächst aber eine Klage, die unvermerkt zu Positivem
ftihren soll. Scbönbachs Ausgabe ist nicht zuverlässig in der
Wiedergabe der handschriftlichen Zustände und oft willkürlich
im Konjekturalkritischen.
Der damalige Bibliothekar des Stiftes S. Florian, Joseph
Chmel, hat 1827 die Hs. a abgeschrieben. Seine Abschrift
kopierte vom 21. bis zum 23. Januar 1832 Wilhelm Grimm
in Göttingen, dessen wieder Müllenho£F. Letztere hat Schön-
bach benutzt. Ob er ausserdem noch die Hs. selbst eingesehen
0 Zfda. XVn, 86—186.
«) Zfda. XXVI, 83.
') Geistl. Dichtung des Mittelalters, Deutsche Nat. -Litt, ed«
Kürschner III, 71.
63 Ausbildung der Legende. 63
hat, darüber wäre eine Äusserung nicht unnütz gewesen.
Denn ich habe den Eindruck, dass seine Kenntnis des Textes a
allein auf Grimm beruhe. Zu Y. 918 bemerkt sein Apparat,
dass er in a fehle; in Grimms Blättern fehlt er aber noch
nicht. Wilhelm Grimms Schriftzüge in ihrer bescheidenen
Keinlichkeit konnten nicht gut verlesen werden, Müllenhoff
schrieb weniger deutlich. Ich wage es, a und das Grimmsche
Heft als ein für Schönbach Identisches zu betrachten und
danach ein paar Ergänzungen oder Besserungen des Apparates
zu bieten, nur die augenfälligsten. Dabei sei auch für
mich a xmd jenes Heft dasselbe, bis auf die Stellen, wo es
anders bemerkt ist, weil die Chmel-Giimmsche Abschrift, ab-
gesehen von orthographischen Elleinigkeiten [c cz ▼ u ü etc.]
bei einer Yergleichung mit dem Original sich als ganz aus-
gezeichnet herausgestellt hat.
y. 93 Chmel liess hinter cynd do di menschait» ans
«gar» und ein unleserliches, mit «ver-» beginnendes und mit
<-t» schliessendes Wort. V. 24 Seh. «durch Christemm»,
a «durich christezum». Y. 26 Seh. «Marian ir herz», a «Mariaz
ir herz». Y. 203 Ohmel liess hinter «daz man peruft ein»
aus «vareys», cf. b. Y. 224 Er verlas «maaz» aus «maraz»,
cf. b «moraz», Y. 292 «chamereu» aus «chamerem», cf. b.
Y. 304 sagt Offorus zu seinem Yater «„ich chan weder weis
noch tugent^», Seh. giebt ein sinnloses «was» statt «weis».
Y. 366 W. Grimm hat nicht «geschrart», sondern «geschrazt»,
wie auch seine Konjektur zum nächsten Yerse beweist: «ge-
bluotet Taste» für handschrifUiches «vast geplüttet», so dass
8ch.'8 Bemerkung, seine Konjektur «harte» — denn auch b
hat «yast» — fehle in a, überflüssig erscheint. In Wahrheit
liest ai>er a «gechraczt», und «schratzen» ist aus Lezers
Mhd. Wb. II, 789 zu streichen. Y. 377 a «sein mol ze
nacht waz im rnchund», Seh. «mol er nacht war». Y. 448
a «vechen». Seh. «regen». Y. 626 «daz daz zaichen ist des
chrewzes genist» hat a ganz deutlich, nicht «gerust», wie Seh.
meint, auch konjiziert W. Grimm nicht «geriet?» Y. 661
a «zu yerr», Seh. «do ist hin ew verr». Y. 866 Seh. «unz
64 K- Richter. 64
ir wert sein under lan, a cundertan». V. 915 Seh. cmesnez»^
a cmesney», wie bisher cmagsney». Y. 917 Seh. clat en
sein nicht verdriezzen», a <ew>. Y. 919 Seh. «sprachen die
do er het getragen», a «die de». Y. 991 Seh. «daz ieh
nmbsust nu wnelte gar», a «wuette». Freilieh ist der Quer-
strich des zweiten t in Grimms Abschrift nicht mehr durch
das erste hindurchgezogen, wie man es öfter finden kann,
z. B. Y. 383, 477, 654 seiner Zählung. Y. 992 Seh. «ich
wil noch ainsten noch die zwar», a «noch dir». Wozu nun
solchen Kleinrat? Y. 996 Seh. «des chindes er aber er nicht
sach», a «er aber nicht». Y. 1006 Chmel verlas «nach irm
loch» aus «Yö irm loch». Y. 1012 «het» fehlt in a allerdings,
dafür steht aber «biet» da. Y. 1050 Seh. «ir», auf Offorus
bezüglich! a «in». Y. 1077 Seh. «straubn», a «stranbn».
Y. 1159 Seh. «dvr nach», a «dor nach». Y. 1170 Seh. «chom»,
a «chomen». Y. 1180 Seh. «die [sc. Christen] baist er
[sc. der beiden] toten als die rind», a «haist». Y. 1221
Seh. «waz er ruecht», a «gerueeht». Y. 1255 Seh. «tet»,
a «ret» ; so sehwindet das Yerdienst einer Konjektur. Y. 1257
Seh. «augenplieht», a «äugen plichk», wie im folgenden Y.
«strichk». Wichtiger wäre gewesen, anzuführen, dass a «in
einer äugen plichk» liest. Y. 1286 Seh. «geban»b, aber auch
a hat «geban», wozu W. Grimm fragt «gewan?» Y. 1359
Seh. «[daz er] lieplieh wart anzesehen», «wart» fehle in ab.
a aber hat «er waz» im vorangehenden Yerse. Y. 1377 «auf»
fehlt auch in a. Y. 1384 Christus erscheint dem Heiligen,
und der meint, von der Glorie erschreckt, die Sonne fiille
auf ihn. Seh. traut a den Unsinn zu «des wart der ellent
ein gast», a «des want der ellent aine gast». Y. 1402 Seh.
«pringt», a «pringst». Y. 1411 Seh. «es», a «er [der haiden]».
Y. 1415 ScL «gerueeht», a «gerächt». Y. 1471 Seh. «were»,
a «wäre». Y. 1529 Seh. «vnd [«hiez»b] sand Ohristoffen
gevingen», a «pringen». Y. 1558 Seh. «unz sich zu possent
seineu glider», b habe «zerstozzent». a hat aber gleichfalls
«czu stossent». Und dieses «zebözen» ist Seh. ein Grund für
das Alter des Gedichtes ! Y. 1566 «die tauff» hat auch a. —
65 Aasbildong der Legende. 66
Auch die Angaben W. Grimm nnd J. Grimm sind nicht zuver-
lässig, zu y. 1045/6 z. B. rührt die Anmerkung cl. ruot wuot>
nicht von Wilhehn, sondern yon Jakob her. Femer, was hat
es für einen Sinn, zu V. 179 die fragende Bandbemerkung
Wilhelms mitzuteilen cfnor?», die ohne die genaue Lesart
von a «[got mit dem jimglinch] so fru daz er erzaign wolt»
ganz himgespinstisch erscheinen muss.
Man sieht, a kommt nicht zum besten fort bei dieser
Art der Wiedergabe, und der nicht Nachprüfende muss eine
geringe Meinung von der Intelligenz des Schreibers sich bilden«
Wie nun, wenn b mit gleicher Sorgfalt behandelt ist? Dann
ist ersichtlich, dass eine weitere Textkritik auf unterhöhltem
Boden sich bewegt. Das lehrt ein Fall, in dem eine eigene
Konjektur Schönbachs hinfällig sich erweist bei sicherer
Kenntnis von a. In V. 1198
vnd uaig im mit dem haup nach,
1198 dar vmb daz er so *
geliten het durch Jesu Christ
setzt Schönbach einen ratlosen Stern und giebt imten als
Lesung von a die Worte cso sprach> und die Konjektur
«solhe smäch?» b hat die Verse nicht, und wer wollte also
die Vermutung des Herausgebers nicht gern annehmen ? a aber
liest in Wirklichkeit cso swach», und cswache» =» cünehre» ist
aus Marienlegenden und Passional belegt, sodass Zweifel und
Konjektur erübrigen.
So kleinlich scheinbare Lesarten yon a wir oben an-
gegeben fanden, so peinlich yermissen wir wirkliche an anderen
Stellen. V. 1368 wird Christoph in einen Kerker geführt,
«daz er durch in schult leiden swer». Keine Lesart, obwohl
a <dor in» entschieden besser passt und vorzuziehen wäre,
böte selbst b «durch in». V. 609 steht in a chant swein»,
und «hauptswein» ist eine Vermutung W, G-rimms, wenn ich
nicht irre. Bestätigt b sie? Die Frage ist lexikographisch
wichtig, indem das Wort sonst nicht alt zu sein brauchte,
wie das Ghrimmsche Wb. FV, 2, 629 nur einen Beleg aus dem
18. Jh. giebt. Zu V. 984 macht Schönbach ein Fragezeichen,
6
66 K:. Richter. 66
weil der Beim deben» nicht stimmen will zu V. 983 «man»,
a aber hat in bester Ordnung cdegen : leben», was selbst zu
konjizieren nicht schwer gewesen wäre.
Wir haben damit bereits das Feld des zweiten Vorwurfs
betreten, der Teztherstellung, der Koiigekturen. Ich gebe
auch da nur Einiges, um zu begründen.
y. 1 fehlt «hat» in a und b, es ist Zusatz von Seh. Aber
in anbetracht der ganzen langen Periode scheint es sehr wohl
möglich, dass «got mit seiner goüeich macht» gleichsam als
ein wundernder Ausruf absolut einem frommen Gewäsche Yor-
gestellt wurde. Der Beim «macht : getät» ist so gut und
schlecht wie andere auch. Mit Kraus ^) für «hantgetat» «hant-
gescaft» einzusetzen und diese Änderung dann gar für einen
zu Grunde liegenden alten Zustand auszubeuten, geht doch
nicht an. Y. 9/10 Seh. hat die Adjektiv- und Adverbial-
endung «-leich, -leych», so stets überliefert, konsequent in
«-lieh» geändert, „weil die Beime -lieh : mich 685 : dich 609 :
sich 487. 1501 dazu zu zwingen schienen^. Diese Konsequenz
ist Inkonsequenz, da durchaus «ey» für altes «i» geschrieben
ist, und also z. B. auch in unserm Vers ein Substantiv wie
«himelreych» sich die Beduktion gefallen lassen muss. Das
Bewusstsein der mangelhaften Beimkunst unseres Gedichts und
die Überzeugung, die ja auch Seh. haben will, dass yerschiedene
Zustände zu scheiden sind, hätte davor bewahren sollen. Y. 252
Christoph will keinem dienen «der vor im hat chain varicht
geschieh» a, «der vor im hat vorcht geschieht» b. Die Über-
einstimmung der Hss. muss wünschen lassen, ein Ahnliches
gegen die W. Grimm-Schönbachsche Änderung «chain vorhte
biet» zu retten, für welches ich «cheiner vorhte geschiht» als
möglich erachten möchte, wie denn «geschiht» einer jener
Schattenbegriffe ist, die gern pleonastisch mit Abstrakten ver-
bunden werden. Y. 253 ist Schönbachs Änderung des hand-
schriftlichen [ab] «weit» in «melt»: «ich wil ainem dienen
den man weit» hervorgegangen aus einem durch das Nhd.
0 Deutsche Gedichte des 12. Jhs. p. 138.
67 AuBbildting der Legende. 67
beeinflussten irrigen Verstehen des Folgenden cdaz er zu dem
höchsten ist gezelt» — gleicher Yerkennung des mlat. dici
kann man ja leicht begegnen. cZem höchsten gezalt dn»
heisst im Mhd. nichts weiter als cder Höchste sein», und
ceiner, den man wählt, dass oder sodass er der Höchste ist»,
dünkt mich in Yolkstümlichem Stile eine sehr natürliche Be-
zeichnung des Königs, aus der man, an die Wandlung der
deutschen WahlTcrhaltnisse denkend, sogar ein ansprechendes
Zeichen — ich sage nicht: einen Grund — für das Alter der
Stelle entnehmen könnte. Y. 292 Offorus ist von schweren
Gredanken benommen und isst wenig: cdaz stumpt den chamerem
an der maz» a, cdaz frumpt chainen chamerem an der maz» b.
Eine Vereinbarung, die nicht gerade das Charakteristische beider
Lesarten beseitigt wie Seh« es thut: cdaz Tmmt den chamerem
an der maz», ist: cdaz stumbt chainen chamerem an der maz».
V. 313 eich wen» [der Vater zu Offorus] cer nicht lieb zu
mir hat der dich also haist Ton mir» a, craczt Yon mir» b.
cHaist» ist offenbare Verlegenheitsausflucht, craizt», was Seh.
▼ermutet, wäre doch zu wenig missverständlich gewesen. Wäre
es zu kühn, an cratzen» im Sinne eines gewaltsamen Los-
klaubens zu denken? Die dialektische Vielbedeutung der zu
den Naturlauten cratz, ratsch» gebildeten Verben scheint doch
auch früher schon Torgebildet gewesen zu sein, und eine edlere
Verwendimg ist wohl nicht von vornherein auszuschliessen.
Ahnliche Annahmen würden auch sonst in unserm Text helfen,
eine Vorliebe für solche Worte wäre zu beachten. V. 480
Offorus trägt des Fürsten einen Jäger über den Bach, cdes
nam den herren wunder daz se gemain hetten wesunder» a.
b hat die Stelle fedsch verstanden und ändert cdaz se chain
hetten wesunder». Seh. sucht beides zu vereinigen und giebt
ein dem Sinne nach völlig imvemünftiges und triviales: cdaz
se gemaine teten vnd wesunder». a aber hat das allein Sich-
tige. Alles Gefolge ist um den Fürsten, nur den einen hat
sich Offorus aus der fliehenden Schar herausgegriffen, und nun
wundert den rückschauenden Herrn, was die beiden zusanmien
so für sich zu thun haben. cBesunder» ist Adverb und steht
6»
68 K. Richter. 68
in rein sinnlicher Bedeutung: abgesondert von den andern.
Im vorangehenden Verse ist dann mit a auch besser cden
heiren» zu schreiben. Y. 616 Dass Seh. in den Belegen
filr starke Apokope den Vers zaghaft einklammert, ermutigt
mich zu dem Geständnis, dass ich ihm ziemlich ratlos gegen-
überstehe. cBaus, paus», das um die Zeit, da die Hss. ge-
schrieben sein mögen, aufzukommen beginnt, kann ich mir in
der gewöhnlichen Bedeutung cFülle» wohl leidlich mit der
Lesart von b «trueg ez mit ganz* paus» zurechtlegen, aber die
Lesart von a cganz vnd gar als mit der paus» mutet ursprüng-
licher an [besonders wenn man die ausdrückliche Korrektur
des erst yerschriebenen cmit als mit der paus» beachten will]
und ist doch auf keine Weise aus jenem Sinne des letzten
Wortes heraus verständlich. Jedenfalls, sobald man überhaupt
an dieses Wort denkt, gehört -die Stelle dem 14. Jh. an. Der
Ausdruck müsste dem natürlichen Zusammenhange nach in
die Bichtung der burlesken Kraftübertreibungen fallen; OfEbrus
nimmt die ganze Jagdbeute, die ein Wagen nicht zu tragen
yennag, auf seinen Bücken und trägt sie frohgemut nach Haus
cganz imd gar als mit der paus», man sollte meinen: ganz
und gar als wär's ihm ein Nichts. Nun finde ich bei Schmeller
im Bair. Wb.^ I, 409 eine Stelle aus Görres' Altteutschen
Volks- und Meisterliedem p. 146:
mein holz das kauf ich nach der paasz,
ich lauf in eines wagners hausz
und trag umb einen phenning rausz,
und Schmeller fragt: im Kleinen? Man denke femer an die
Phrase ein die pausz schlagen» «== ein den Wind schlagen»
und überhaupt an die eigentliche Unbestimmtheit des Wortes,
das sich nur in adverbialen Wendungen findet, so mag die
Urbedeutung eines Luftigen, Windigen nicht allzu erdacht er-
scheinen, um daraus einerseits die Bedeutung eines Nichtigen,
Leichten, andererseits die des Schwellenden und Vag-Unge-
heuren herzuleiten, deren erstere unserer Stelle als einer för
die Geschichte des Wortes relativ alten zu Grunde lag und
von der schon späteren Hs. b in die zweite mittlerweile kräftiger
69 Aosbildung der Legende. 69
gewordene Bedeutung cFülle, Last» umgemodelt wurde. Auch
für das Kompositum cPausbacke» giebt die yersuchte Er-
klärung die zwanglose Deutung einer Windbacke, während
der Yon Grimm zu Grunde gelegte Begriff cabundantia, tumor»
daran scheitert, dass man eine krankhaft geschwollene Backe
keineswegs oder höchstens scherzhaft yergleichsweise eine cPaus-
backe» nennen würde. Also wäre denn auch für die abge-
leiteten Zeitworte hausen, pausen und eine ganze Wortgruppe
[pausten, hausten, pusten, bauschen etc.] eine von der bisher
geltenden etwas verschiedene Bedeutangsgrundlage gewonnen,
y. 543 €[Offorus in do tet chund] seinen sogen mit allen» a,
b und danach Seh. nur c allen». Und dennoch halte ich <mit
allen» fiir das zweifellos Ursprünglichere, wie sollte a dazu
gekommen sein, ein cmit» einzuschieben? Schon am Ende
des 13. Jhs. hat man die Verbindung nicht mehr sicher ver-
standen, wie Lexer Mhd. Wb. I, 37 durch das cmit betalle»
der Nabburger Bruchstücke des Bennewart beweist; vgl. u.
y. 664 fehlt b, a hat cden wil ich suchen mit liebs genist»,
das heisst entweder ist die Abkürzung der Endung c-er» ein
wenig zu tief gesetzt und zu s verlesen worden, oder man
könnte auch denken: cmit Ubes genist». Seh. aber kennt ein
Maskulinum oder Neutrum genist, er schreibt cmit liebem ge-
uist». Er benutzt also unsere Stelle, imi altes Unrecht durch
kühnliche Wiederholung in Becht zu verkehren^), y. 813
Der Einsiedel betet um Offorus' Erleuchtung zu Gott:
„80 sterch in mit deiner chraft
daz er 1er tragn den sohaft
daz der hymel van an swebent iBt**.
Der letzte yers fehlt in b, und Seh. hat versucht, ihn zu
verbessern: cda der himel ane sweben ist». Was ein Schaft,
an dem der Himmel schwebt, ist, weiss ich allerdings nicht.
Schon W. Grimm, meine ich, hat den yers ganz richtig ver-
standen, wenn er am Bande für cdaz» cda» setzte, ich erkläre
jedenfalls :
«dar der himelvane ane Bwebent ist».
^) Afda. V, 34; Beilage zur Germ. XXyi, p. US.
70 ^' Richter. 70
Ein Gläubiger, ein Märtyrer ist der Fahnenträger des Himmels,
eine der Jdrchlicben Kunst ganz geläufige Vorstellung; vgl. z. B.
Schönbachs Altd. Pred. II, 19, 27. Y. 616 würde ich hinter
€ seiner seil» keine Interpunktion setzen, yielmehr die Worte
yerbinden mit den folgenden czu trost Tor daz hell fewr»,
indem ich meine, dass in cdor nach sprach er sein tagzeit
ze stewr» sehr wohl cze stewr» absolut stehen kann, etwa:
czum Guten, zu seinem Besten», wie man tautologisch sagen
konnte cnoch ratt noch hilf noch stewr geben», Deutsche
Chron. I, 81, 8. Y. 826 twil ich an dich gemechen» [ab],
cdaz» [b]; Seh. cichs» ist unnötig, cwand si wol geruchten,
daz si die iuncfrowen gut erten durch ir demut» Pass.
K. 184, 33. Y. 844 cwes man mit namen an euch müt» a,
ScIl cbenamen». Dass cmit namen» gerade so gut ist, be-
legen die Städtechroniken: Lexer. Y. 910 a €[er nam] vnd
arm die vir ane wen», b can alle wenn». Die Änderung in
«under» mit b ist nicht geboten. Aber die Schwierigkeit
liegt in den Schlussworten, mit denen wohl schon b nicht
recht etwas anzufangen wusste, noch weniger Seh., der can
allez wenken» einsetzt. cAne wewen», das in geringen Ya-
riationen ja mannigfaches Leben führt ^), zeigt in den Deutschen
Mystikern ed. Ffei£Eer I. 842, 24 genau unsere Form cfine
[allen] wgn» und bietet die einzige Lösung. Also: es war
ihm ein Yergnügen, die Leute überzutragen. Y. 986 cdaz
dir der muoz wider vam den Maria hat getragn». Hier
erwartete man die Änderung cgebom» wenigstens mit einigem
Becht. Y. 1009/10 würden die Beime ccham:hon» [ab]
bairischer erscheinen als Sch.'s Änderung cchem [a]: hoen».
Y. 1077/8 cstreben [oder a cstranbn]: gächen» geben keinen
Beim. Eine Möglichkeit wäre, aus Y. 1079 das cgegen im»
heraufzuziehen als cim engegen», wodurch auch der Bhythmus
gebessert würde. Y. 1133 cniden» a möchte ich vorziehen
vor cnider». Y. 1163 cgot wegund des ruechen, daz sich der
phlaum verswilht gar» ist des Tempus wegen unmöglich.
>) Benecke III, ß48a. Lexer III, 812.
71 Ausbildazig der Legende. 71
a fversacht» ist freilich nicht zu brauchen, warum aber nicht
cyerschütt» b? Y. 1228 cmit in sterben oder genesen» setzt
8ch. gegen cund» in a und b. Aus welchem Grunde? Y. 758
hat b gleichfalls cmit sterben vnd mit genesen», Pass. K. 347,
16 cbeide sterben unde genesen», Barlaam 121, 6 csterben
unde genesen», weitere Beispiele bei Benecke, und ist ja doch
csterben oder genesen» in unserm Falle ein Unsinn. Y. 1253
cvngefu^ geprauchn» ab, Seh. «gebrechen». Man kann sehr
wohl Abstrakta «brouchen», «diu höhste vreude sich ze j&mer
brüchet» Frauenlob 292, 16, und «ir gemüte ist gebrouch-
lich» Tod. gehüg. 870. Unser Gedicht hat das Wort noch
Y. 1279. Y. 1282 a «zeprachst», b «er zeprach», Seh.
«zeprest»? «zeprast» natürlich. Y. 1424 «christofforum»
reimt in a auf «rvm», in b auf «rüm». Sch.'s Koigektur
«rumor» vergeht sich gegen den Willen dieser Überein-
stimmung, die sich bestätigend Y. 1622 wiederholt. Weit
einfacher erscheint mir, an «ruom» zu denken, das seiner
ursprünglichen Bedeutung des irgend beschaffenen Lärmens
nahe geblieben ist^ nur nicht in dem geläuterten Sinne Freuden-
geschrei, wie es noch in der späteren Bibelsprache gilt,
sondern affiziert von dem unedleren dialektischen Hauch des
Stammes in «rummeln» u. s. w. In einem Texte wie der
unsrige, der reich ist an derartigen gewöhnlichen Worten,
darf man solche Yerbindung, die beiden Stellen ihre eigen-
tümlich kräftige Färbung rettet, wohl wagen. Y. 1437 fällt
es schwer, zwischen «ymbraib» b und «verrayd» a zu entscheiden,
vielleicht aber kann man ersteres doch als älter und bairischer
in Anspruch nehmen, cf. Schmeller Bair. Wb.' II, 7/8. Y. 1468
Christoph ist vergeblich gemartert, der Fürst wird verwundet
fortgetragen, und der Heilige soll wieder in den Kerker ge-
bracht werden, da rufen ihm die Heiden zu:
„wie wir erwinden
80 mttttu doch daz leben lazzen".
alio worden se in hazzen [a].
G-anz einfach: «„Wenn wir heut auch aufhören müssen, dir
soll's doch noch ans Leben gehen !^ so hassten sie ihn». Seh.
72 £• Eichter. 78
aber schreibt cwie wir ervinden»! wodurch die Verse an G-eist
sicherlich nicht gewinnen. V. 1496 Im Monde der Ver-
führerin ist «solich man junger» b jedenfalls eine bessere An-
rede an den Märtyrer als cselich man junger» a. V. 1499.
Der Seim ist in a «phlege : swere». Wenn Seh. cswaere»
herstellt, warum nicht auch cphlaege», das dem irreal-konse-
kutivem Sinne des Belativsatzes durchaus entsprechen würde
und den Beim in jedem Betracht besserte. Für die folgenden
Verse 1500 — 1504, welche in a:
„es ist mir ein swere und b: „
Bchol dein junger leyb enliezzen sieh . . . vleizzen sich
daz er so minichleich daz du nicht minniohleicheB
80 an liebs arm scholt an weibes ordn
nicht yrewntleich erwarm'' macht freuntleich wordn**
lauten, schlage ich Yor:
„ez ist mir ein swaere
wilt du dich versiechen,
daz du minnichHohen
8olt an liebes armen
nicht vriuntliche erwarmen''.
Im Einzelnen mag man, je nach der Ansicht von Alter und
Metrum der Stelle, das Handschriftliche vorziehen. V. 1573
ab cwer mich in deinem namen ert». Seh. ändert grundlos
cdich in meinem». Die Lesart der Hss. ist dem Sinne der
Phrase nach natürlicher, auch verweise ich für frühere Zeit
auf Schades Barbaren passie v. 344/5 cof ieman in dem namen
din gedenke minre martelpin», und andere Stellen und erinnere,
dass P las : si propter nomen tuum nominant nomen meum in
suis orationibus. V. 1597 cwer in grozzen gelt sey» a, Seh.
schreibt, ob mit bP cgrozzer». Nehmen wir an: mit b.
Nach dieser Prüfimg des Schönbachschen Textes, die,
ohne erschöpfend sein zu woUen, doch an einer ganzen Beihe
von Stellen seine Besserungsfahigkeit erwies, werden wir den
allgemeinen Ausführungen über das Gedicht keine allzu grosse
Meinung entgegenbringen. Und so bequem mir deren Besul-
tat wäre, wenn ich es als ein festgesichertes in Bausch und
Bogen annehmen dürfte, so bin ich in der That auf anderem
73 Ausbildang der Legende. 73
Wege zu einem Ergebnis gekommen, das, wenn auch im hand-
greiflichen Effekt yielleicht gleichbedeutend, für das innerste
Verstehen eine bessere Grundlage giebt; wenigstens ist das
meine Hofihung. Schönbachs Gründe sind schematisch ange-
ordnete Ausserlichkeiten, mit denen einer wirklichen Dichtung
beizukommen niemals möglich ist. Ist es doch nicht angängig,
die ungenauen Reime in ihrer Masse ohne Unterschied für das
12. Jh. in Anspruch zu nehmen; wer behauptet, dass «haben
:Terzagen> oder «genäden: wären» etc. im 14. Jh. nicht im
Einzelfiedle einmal einen Beim geben konnten? Wohl mag
aber, wenn andere Anzeichen zu Grunde liegen, in ein paar
oder in einer Partie von Versen ein solches Äussere zu Hilfe
kommen, nie beweisend, nur ermutigend. Und was beweisen
die Apokopen anders, als dass der Schreiber des Textes dem
14. Jh. angehörte, während im Einzelfalle ein Ileim ¥rie «arm :
erparm» 1689/90 sowohl im 12. Jh. denkbar wäre als auch
trotzdem in Verbindung mit den Yorangehenden Beimen «gabst :
Terlast», dem Metrum und Habitus des folgenden Verses, der
moderneren Bedeutung von «ellent», mir ein Indizium späteren
Ursprungs oder zum wenigsten späterer Formung dieser Verse
sein kann? Die zahlreichen Beime, die auf „groben Eigen-
heiten der oesterreichisch-bairischen Mundart^ beruhen, soUen
weiter für das 14. Jh. sprechen. Jawohl, unter der Voraus-
setzung, dass die supponierte Vorlage einem anderen als dem
bair.-oest. Dialekte angehört habe, was doch Seh. selbst un-
entschieden lassen muss! Oder meint man, im 14. Jh. hätten
die Dichter weniger in dialektischen Sonderheiten gereimt?
Es lässt sich wirklich damit ebenso wenig anfangen wie mit
der „Fülle alter zum Teil dem Volksepos eigentümlicher Aus-
drücke^, deren Zusammenstellung höchst angreifbar ist. Vor
aüen Dingen darf man das nicht anführen, was überhaupt nur
Singular in dem in Frage stehenden Texte Yorkommt wie:
teines vinger ort», «hauptswein», «ascherzelte», oder erst durch
Konjektur gewoimen wurde: «yerswilhen», «zebözen» ; man sollte
nicht verwirren, dass, was volkstümlich ist oder wenigstens einer
gewissen derben Sprachsphaere angehört, deshalb auch alt sei.
74 K. Richter. 74
wie cgumpelspil» [dessen cgumpeh-gesippte erst recht eigent-
lich im 14. Jh. ihr Wesen zu treiben beginnen], €krempel>y
€ stock stain nnd mos» [wo b und die metrische Notwendig*
keit cstain» noch zu beseitigen raten], «rSren als ein chalp»
[creren als ein schaf» im Apollonius Ton Tyrland]. und für
viele andere liesse sich bequem ihr Dasein im 14. Jh. be-
weisen, ohne dass der Umstand, dass sie vielleicht im Aus^
sterben begriffen waren, gegen den Einwand eines individuell
altertiimelnden Wortgebrauchs ins Treffen geführt werden
könnte, also etwa für chompoge», cdrum», cdegen», cunde»,
«goum», coffenung», cdiet», cglitz», cglast», tjehen». End-
lich aber war nicht zu vergessen, dass es zwischen dem 14.
und dem 12. Jh. doch auch noch ein 13. gab, und wollte
jemand den Durchschnittsgebrauch der von Seh. angeführten
Worte berechnen, so würde er vielleicht mit einiger Sicher-
heit auf dieses geführt werden als auf die Qeburtszeit der
Vorlage unseres Textes.
Ich bin mir bewusst, dass es schwer sein wird, anstelle
der bisher leidlich geltenden nun unterhöhlten Beweisführung
eine neue zu setzen. Und doch muss es versucht werden.
Schönbach hat noch zwei Grründe [no. 3 und 4] für das
Alter der Vorlage, die ich bisher verschwiegen habe, weil ich
mich ihrer in einem neuen Sinne bemächtigen und bedienen
möchte zum Ausgangspunkt der Betrachtung : das sind Metrum
und „die ganze Behandlungsweise des Stoffes". Jenes ver-
mochte er nicht recht auszunutzen wegen des falschen Lichtes,
in dem ihm das Ebjidschrifbenverhaltnis erschien, diese nicht
zu erfassen, weil das überhaupt nur auf dem Boden einer
weitgreifendsten Behandlung der ganzen Legende völlig mög-
lich ist.
Der Schreiber von a, entlastet der „mehreren greulichen
Misverständnisse'' zu Schönbachs Ungunsten, ist nicht ein „be-
sonders beschränkter Kopf" gewesen, vielmehr begegnet er sich
mit dem von b auf einer gewissen Anstandshöhe der Schreiber-
bildung und hat an Sorgfalt und demnach auch Treue sogar
Einiges vor diesem voraus, von dem wir seltener etwas als
75 * Ausbildung der Legende. 75
das ursprünglichere übernehmen werden nnd dessen Flüchtig*
keit sich besonders in wiederholten Auslassungen einzelner
nnd mehrerer Verse dokumentiert, z. B. kurz nacheinander
y. 1182, 1196—1200, 1205, 1216. Dass sie von einander
unabhängig sind, ergiebt die erste Betrachtung, und wir ge-
wionen also von dem allgemeinen urteil aus die Möglichkeit,
ihre einzelnen Differenzen psychologisch zu yerwerten. Wenn
wir in b die Schlussverse finden:
daz vnB auch daz widervar
dez helff vne dew Christom gepar,
80 dürfen wir getrost dem Schreiber das Eigentumsrecht daran
überlassen; wenn aber die Y. 61 — 74 in b fehlen, so ergiebt
die allgemeinere Beobachtung, dass solche Auslassungen öfter
mit gleichem Zeilenanüeing oder auch Beimschluss zusammen-
treffen [z. B. 1205, 786—797], auch für diesen Einzelfall die Ver-
mutung, dass das cda» in V. 60 undV. 74 den Lapsus veranlasste.
Ich behaupte nun zunächst nichts weiter, als dass sich
aus den Abweichungen der Hss. die Thatsache einer Zusammen-
arbeitnng eines Alteren und eines Jüngeren beweisen lässt,
die Notwendigkeit eines Scheidungsversuches zwischen ihnen.
V. 151 hat b ein cerist» der Vorlage richtig in cerst» um-
gesetzt, a hat es falsch verstanden als cer ist» ; die zweisilbige
Form müsste auch uns in einem origioaliter im 14. Jh. ent-
standenen Texte auffallend anmuten. V. 163 a cdaz chind trug
man wider dan», b cvon dann», und thatsächlich mochte cdau»
zum Ausdruck der Bichtung von woher nicht mehr genügen.
a setzt V. 264 und weiter bis auf V. 915 dem modernisierten
«mässnei» von b ein steif merkwürdiges «magsney» entgegen,
und ich argwöhne fast, dass er in seiner Ratlosigkeit schliesslich
an Zusammenhang mit <m&c», cmäcschaft» gedacht hat, da
sich die Schreibung sonst nicht findet. V. 372 hat a «wo
ein her grozzer wer», b «wo der grozz herr gewessn war»,
die Umformung eines älter empfundenenen Zustandes ist
sichtlich. V. 543 a «Offorus in do tet chund seinen sogen
mit allen», b «allen» ; V. 1462 a «se schuzzen mit all» b «mit
im all auf christofForo». S. oben. Es liesse sich wohl meinen.
76 K. Richter. 76
dass a, der ältere Schreiber, den wirklich volksmässigen Aas-
drücken näher stand als b, der etwas gebildeter scheint. Man
achte z. B. auf Y. 581, wo cvraizleich» a durch ein thörichtes
c&äueleich» von b ersetzt wird, was nicht hinfällig wird da-
durch, dass b umgekehrt einmal cfraizzleich» hat, wo es a
nicht bietet: V. 650. Lehrreich ist V. 604: cvnd was der
red hart vro» muss in der Vorlage gestanden haben, aber
so, dass cred» und chart» sich sehr näherten und das er»
in letzterem nicht ganz deutlich war. «Harte» war nun beiden
Schreibern in der älteren Verwendung als reines Adverb des
Masses nicht mehr geläufig, wie denn die späteren Belege
auch immer in Verbindung mit Verben und Ausdrücken er-
scheinen, die eine prägnantere Bedeutung des Unangenehmen
nicht verleugnen können, wovon also «vro» das Q^genteil
darstellte: da ist a grob und schreibt, wie er liest «rethait»,
b aber fühlt den Sinn der Worte und sucht ihm gerecht zu
werden, indem er ein «gar» einschiebt: «harte gar vro».
V. 658 beginnt a das Wort «we [vilt]», schreibt es aber nicht
aus, und gegen die reichen Belege aus firtlheren Jahrhunderten
bezeugen die wenigen späten doch nur einen Todeskampf
Doch könnte hier der Zufall wohl hineinspielen, und ich
schlage dies Argument nicht hoch an. Aber wohl die V. 675/6,
in denen beiden in der Vorlage ein «venir» als Komparatiy
von «verr» gestanden haben muss. Daraus hat a beidemal
den Begriff des Irrens sich entlesen und widergegeben: «vn-
lang er ver irr aber gie, daz mer in nicht ver irr lie», wie
durch die Schreibung des «ver-» als Abkürzung bestätigt
wird; b einmal den Stamm gerettet, aber die Endung miss-
deutend getrennt: «verr er do ab gie», und im zweiten Fall
mit «lie» verwickelt: «in doch nicht verlie». V. 694 das Adv.
« drat [ssdräte] » war b nicht mehr bequem, und er scheut sich nicht,
also gie er mit seinem rat
den selben weg zeitleioh drat
völlig zu ändern in:
also gie er nach des mers gestat
den selben weg sittleich tratt.
77 Ausbildung der Legende. 77
Denn so kurzsichtig die ümgestaltang ist, so mnss sie doch
wohl derart begriffen werden, da die richtigere Lesart von a
czeitleich drot> die Annahme einer etwaigen Unleserlichkeit
der Vorlage aosschliesst. Y. 732 a cvnd gab im rat, daz er
ezz>, b cwie er ge&zz». Man missverstehe nicht, dass ich
meinte, <rät> in seiner materiellen Bedeutang sei im 14./16. Jh.
nicht mehr zu yerstehen gewesen, aber man hat eben für
solche Begriffsnoancen, die schliesslich verschwinden, eine Zeit
allmählichen Altwerdens anzunehmen, das in einem Falle wie
dem Torliegenden sich unwillkürlich offenbart. Y. 800 a cer
▼iel auf pare chnie», b cauf seine chnie». Y. 860 a ein
nerchleich», b cminnichleich». Y. 896 a cdie este er pald
abstrauft», b tabstraif». Die Entscheidung in diesem Zwie-
spalt ist höchst wichtig und giebt eine Präzedenz. Fasst man
«abstraif» als nachlässige Schreibung fttr €abstraift>, so dürfte
dieses dem cabstrauft» gegenüber ein Jüngeres repräsentieren;
ich gebe aber Lexer durchaus recht, wenn er im Mhd. Wb. ü,
1838 aus unserer Differenz ein eigenes st. Yb. «striefen» ent-
nimmt. Dann ist also cstraif» ein verlegener Ausdruck für
ein im 14. Jh. schon ganz und gar nicht mehr mögliches
«strouf», während a sich roher durch die sw. Form cstrouft»
zu helfen wusste. Keines bot eigentlich einen Beim auf cauf»,
wahrend bei der Annahme von cstrouf» ein solcher auch für
einen ziemlich alten Zustand yorhanden wäre, da ja gerade
im Bairischen die Diphthongisierung von cü» zu cou» bereits
im 18. Jh., namentlich auch vor cf», einsetzt.^) Ich freue
mich der Lezerschen Autorität für diesen Beweisgrund.
Y. 1136 a coffnvm», b «hoffiiuug», W. Grimm toffenunge».
Y. 1882 a czeprachst», b czeprach», Yorlage wohl czebrast».
Y. 1367 a €geward>, b cgewärr» «> cgewar» schadete. Y. 1396
a «vnd gab im seinen heylign leychnam», b «sein selber
leichnam». «stn selbes» mochte zu beidem Anlass sein. Y. 1406
a «daz er chaines presten enphant, den im hetten getan der
haiden haut». Das sw. Mask. im Simplex aber reicht kaum
>) Weinhold Bair. Gramm. § 100.
78 K. Bichter. 78
noch in die erste Zeit des 14. Jhs. hinein, und b ändert
cdaz er chain yorcht het auf dew marter dew im der haidn
tet>. y. 1415 a cherr ny habt nvr den sin ynd in gerächt
auf pindn» ; ich vermute, es ist an das part. von crecken»
gedacht b clat in hoch auf pinden». Zum mindesten war
es im 14./16. Jh. üblich, den Infinitiv bei cgeruochen» von
einem cze» abhängen zu lassen. Y. 1463 ab cselig wer»;
y. 1471 a cseligen wäre» b «säligen enpär». Es ist merk-
würdig, wie ein Wort, das in der Kunstdichtung des 14. Jhs.
noch vorkommt, «saeldenbaere», in einer gewissen Bildung»-
Schicht schon so unbekannt sein konnte, als es danach doch
den Anschein hat. y. 1683 a «die mich rueffent», b «ruefFen».
So ist es möglich, meine ich, nicht aus allgemeinen Prinzi-
pien, sondern aus dem Zeugnis einzelner bestimmter Fälle
heraus das yorhandensein zweier verschiedener Formzustände
in unserem Gedichte rein äusserlich zu beweisen. Weiter,
dass deren jüngerer dem 14. Jh. angehört, zeigen einige Seime
mit wünschenswertester Sicherheit^ die in den reduzierten Formen
des 13. oder 13. Jhs. keine Beime wären. Ich greife heraus:
y. 695/6 «schrit : werit [= schreit : werte]», y. 655/6 «erhart :
trat [erhörte: trat]», y. 936/6 «verleyt : widerstreyt [verläzit,
verlset : strit» ; es ist mir nicht zweifelhaft, dass die Kontraktion
«leit» also aufzulösen ist, wenn ich auch einen Beleg der Form
nicht aufweisen kann], y. 1319/20 «ftirt:tut [fiiorte : tuot]».
y. 1687/8 «gabst : verlast [gaebe, gäbest : verläzest, verlaest,
verlast]». Dann freilich darf man auch manche derjenigen
Eteime, die durch starke Apokopen oder durch Nichtachtung
der QuantitätsdifiPerenz in den ersten Silben zweisilbiger Worte
gewonnen sind, hier heranziehen, aber doch nur eine Auswahl
der Schönbachschen, da infolge des frühen Eintritts der Apo*
kope im Bairischen ein Unterschied zu machen ist z. B. zwischen
y. 166/6 «jam : bewam», 965/6 «jam : tagen», über die ich
etwas Bestimmtes nicht von vornherein behaupten möchte, und
etwa y. 296/6 «vater : zarter», 1266/7 «wazzer : mer [= maere]»,
die ich sicher für späteres Entstehen in Anschlag bringen
würde.
79 Aasbildung der Legende. 79
Ein solches induktives, Ton Fall zu Fall entscheidendes
Verfahren yerdient darum den Vorzug vor der deduktiven Btr
nutzung allgemeiner Reimbegriffe, weil man einzig auf diese
Weise zu der, wie ich glaube, notwendigen Einsicht gelangen
kann, dass unser Gedicht gerade in den Teilen, die dem 14. JL
ihr Dasein verdanken, eine höchst singulare Seim&eiheit be-
kundet. Welche denn wohl auch zusammenhängt mit einer
rhythmischen Sorglosigkeit und einer syntaktischen Gleichgiltig-
keit, die unverkennbare Charakteristika dieser Partieen sind
und unserem Texte eine ganz eigenartige, nicht unbedeutsame
Stellung in der äusseren Geschichte der Volksdichtung zu-
weisen dürften. Dass auch Schönbach etwas derartiges ge-
fühlt hat, zeigt seine Bemerkung über die metrische Begel-
mässigkeit der V. 61 — 74; aber ein weiteres Beachten jener
Elemente hätte ihn von der Vermutung einer Interpolation an
dieser Stelle überfuhren müssen zu der überraschenden Wahr-
nehmung, dass gerade die für das Fortschreiten der Erzählung
wichtigsten Abschnitte in formaler Beziehung den retardieren-
den überlegen sind und sich häufig bequemst auf den Sprach-
zustand, wie er etwa gegen Ausgang des 12. Jhs. als ein un-
gefähr normaler angesehen werden dar^ reduzieren liessen.
Die Sache eines Herausgebers wäre es, im Einzelnen stets
darauf hinzuweisen, von meiner Seite muss es genügen, die
Thatsächlichkeit meiner Wahrnehmung an einigen Stellen auf-
zuzeigen. Und man wird zugeben, dass, wenn ich die erste
vermeinte Interpolation des Gedichtes, die gar nicht unnatür-
lich mit seinem Anfang überhaupt zusammenfallt, und die für
die Erzählung unbedingt wichtigste und unentbehrlichste Partie,
als welche doch nur der Kern der Christusträgerlegende, eben
das Christustragen, betrachtet werden kann, zu einem Ver-
gleiche heraushebe, die Wahl so unbefangen und sachent-
sprechend wie möglich ist. Das heisst: V. 1 — 46 und V. 944—
1126. Es folgt also eine Nebeneinanderstellung des hand-
schriftlichen [a] und eines hergestellten Textes dieser Stellen,
hergestellt in den ungefähren Zustand der sog. mhd. Schrift-
sprache mit massiger Beschränkung im Rhythmischen und
80 K- Biohter. 80
möglichster Toleranz gegen die Torhandenen Beime. Das Terümn
comparationis liegt dann im Verhältnis zum Handschriftlichen.
Got mit seiner gotleich macht Got mit gotlioher mäht,
Der cze pild maniger hant getat der ze bilde manio hantgetat
Dem menschen gegeben cse dem menschen gab ze erkennen,
chennen
Dar ymb daz scholl wenden darmnbe daz er sol wenden
Sein sin sein gedanch auf die spür [5] sin gedanc uf diu spor,
Daz iz den rechten weg für daz iz den rehten wec var,
Den er so wol gerayt hat den er so wol gereitet hat
Mit dem wart daz er do pat mit dem worte daz er dö bat
Seinen yater von hymelreych sinen vater von himelrich,
Ob is macht gesein pilleich [10] ob iz mohte gesin billich,
Daz er der marter würd vber habt daz er der marter wurde überhebt :
Vil pald ym daz ward wider sagt tu balde ihm daz wart widersagt
Auf dem perig olynet üf dem berge Olivete,
Damach er vil pald tet da nach er vil balde tete
Waz ym der engel von hymel sayt [15] waz im der engel von himel seit*
Wie grozzleich ward der menschen wie grozlich wart der menschen leit ,
layt
Ob er nicht snel an sich nem ob er niht snelle an sich nam,
Da von Adam ans notten chem d& von Adam nz noeten kam
Ynd alles sein gesiechte unde allez sin gesiebte.
Dazmaohtdengotessun an machte [20] daz machte in &ne mähte
Von der menschleichn natür von der menschlichen natür,
Die von mariam sein gothait din von Mjariam in darchvuor;
durich für
Ynd do die menschait gar ver ... dö er an dem krinze sie verkert,
Darich christezom ain swert durch Christum iren son ein swert
Mariaz ir hercz vil dichk durich [25] Marien herze dicke durchstach
stach
Ynd mit der gothait die hell auf und mit der gotheit die helle
prach üfbrach
Ynd nam her aus die dar in warn und nam herüz die wären
Gebesen vor manich tavsent iam drinne tüsent järe,
Adam vnd euam daz gesiecht Adam und sin gesiebte.
Do von manig grozz geprecht [30] da von manic gröz geprehte
Cze hymel vor gocz anplich ist ze himel vor gotes anblicke ist.
Dor nach mit got leicher list da nach mit gotlioher list
Der spart er do die hell versparte er dö die helle
Daz dar in nyemant chumpt den daz nieman wan er welle
er wel
81 Aasbildnng der Legende. 81
Mit rechtem ganczen willen dar in [85] mit rehtem willen knmt dar in.
Dar ymb hat er die fvmf sin darmnbe hat er die fünf sin
Einen igleichen menschen gebfi eim ieglichen menschen geben,
Daz es er chen an seinen lebfi daz iz erkenne an sinem leben
Was pös oder gut sey getan waz boesliche oder wol get&n,
Dax gät er tne vnd daz pözz lan [40] daz goote er tuo und daz boese 1&.
Tuet er daz endichleich tuot er daz endediche,
So vert er in daz fron hymelreich vert er in daz himelriche,
Tat er aber daz nicht tuot er daz aber niht,
So vert er ain jar merchleich ge- vert er in j&mers geschiht
schiebt
Cze tall in der hell gmnd [45] ze tal in der helle gmnt,
Daz im wirt grozzer iamer chond daz grozer jdmer ihm wirt knnt.
Nun erwäge man^ welcher rein äusserlichen Umgestaltung
der Text unterzogen werden musste, um in diese unter den
gewollten Voraussetzungen leidlich lesbare Form gebracht zu
werden. Die Y. 1. 6. 20. 22. 23. 26. 27. 28. 29. 34. 35.
42. 44 sind grundsätzlich gekürzt worden, ohne dennoch alle
Härten zu ersparen [V. 11 dreisilbiger Auftakt^ Y. 86. 26
schwere doppelte Senkung]. An fünf Stellen waren die härte-
sten Apokopen zu wahren: Y. 9. 16. 21. 23. 36; um sie zu ver-
meiden, musste in einem Falle der bessere irreale Sinn ins
Positive umgesetzt werden: Y. 17/18. Dazu erwies sich nötig,
auch einzelne Worte zu ändern: Y. 39, wodurch eine beab-
sichtigte wörtliche Weiterftthrung zerrissen ward. Und was
ist durch all diese Mittelchen gewonnen? Jede Zeit hat ihren
eigenen Sprachgeist, und was im Gewände des 14. Jhs. auch
seinem lehrhaften, moralspintisierenden Bedürfiois äusserlich
und innerlich recht wohl angemessen sein mochte, das wird,
äusserlich um fast zwei Jahrhunderte zurückgeschraubt, inner-
lich um so fremder dem Wesen der älteren Epoche anmuten.
Man nehme diese Anüangsperiode, von Gedanken zu Gedanken
fortspinnend, elf Yerse hindurch, diese Schlussperiode mit ihren
Antithesen: ist das der Stil des 12. Jhs.? Freilich, wenn
man in seine früheren Jahrzehnte zurückgreifen wollte, auf
Heinrich von Melk etwa und kleinere geistliche Denkmäler,
so mag man manches, was ich als Kennzeichen des Späteren
ansehen will, wie die unregelmässige Bhythmik mit oft über-
6
82 K- Bichter. 82
ladenen Versen, den langen Periodenbau, darin zu finden
meinen: aber einmal ist es denn doch sprachlich unmöglich,
an diese Zeit fiir unser Gedicht zu denken, und dann bleibt
immer ein unauflösbarer Kest des Stilgegensatzes zwischen den
beiden in mancher Beziehimg ja thatsächlich yergleichbaren
litterarischen Perioden, der sich hier in Kürze nicht definieren
lässt, ein Hauch des Aristokratischen gegen demokratischen
Geruch. Auch vertraue ich, dass das Probestück der epischeren
Partieen über das zeitliche Verhältnis zu dem erstmitgeteilten
keinen Zweifel lassen kann.
Got wolt in versuchen mer got wolte in versnochen mer
Ynd macht an den stunden [945] und machte an den standen
Daz des marges vnden daz des wazzers unden
Wurden slachen vast wurden slahen vaste.
Offorus lag ynd rast Offer lac und raste
Ynder einen grozzen paum under einem grozen boum,
Do er do het sein gaym [950] dö er hete sme goum,
Ob yemant chem in gedult ob ieman komen wolte,
Den er do vber tragn sohoU den er übertragen solte.
Also lag er vnd enczlief also lac er und entslief.
Ein stim im do vil süzzleich ruft ein stimme im do \il suoze rief:
Offer seliger junger man [955] „Offer, saelic junger man !
Durich den dem du pist ynder tan durch den dem du bist undertan
Gewesen mit dinst manigen tag mitdiensteundwaeremanigentac,
Durich des wiUen mich vber trag durch des willen mich über trac
Ynd durich seiner müter maria und durch sine muoter Mariam!"^
Wie pald er czu im selber da [960] wie balde er zuo im selben kam,
Cham do er die stim erhört do er die stimme erhörte,
Auf den elpogfi er sich chert uf den elienbogen er kerte
Ynd lügt wer do were und luogte wer do wtere.
Do sach er in solicher pere do sach er solicher baere
Ein chlaines chind pey sybxl iäm [965] ein kleinez kint bi siben järn,
In daucht wie er pey seinen tagfl in duhte wie er bi sinen tagen
So liepleichs nie gesechen hiet üeplichers niht gesehen Met.
Ob mich niem dor vmb weriet ob mich nieman ouch beriet,
So wolt ich dir helffen czwar so wolte ich dir helfen awÄr!
Also hueb er sich dar [970] alsus huop er sich dar,
Ynd do er hin vber cham und do er hin über kam
Ynd des chindleins war nam und des kindlins war nam:
Do waz es verswunden do was ez yerswunden,
Dos er sein nicht sechen chunden daz er sm niht sehen künde.
83 Aasbildang der Legende. g^
£r gedacht wo pista bin [^75] er dahte: „wo bista bin?
Wie hat mich do wetragtk mein sin wie betrouc mich doch mSn sin?*'
Alain er her yber wüt eine er her nber wuot,
Ynd leyt sich in den schad gut und aber in den sehnten gnot
Do er gelegft waz do er e gelegen was
Lait er sich nider in daz graz [980] leite er sich nider in das gras.
Cze hant encslief er aber do ze hant entslief er aber dd.
Die stim er aber bort also die stim er aber horte also:
Offer rainer seliger degen n Offer, reiner saelic degen!
Daz dir wehüt wert dein leben daz dir behnotet si din leben,
Ynd daz dir der mfiz wider varli [985] nnd daz dir muoze widervam
Den maria hat getragli den Maria hat geborn!
Hilf mir vber rainer man hilf mir aber, reiner man;
Daz dir sein got ymmer Ion des si dir iemer gotes Ion".
Offorus aber auf sach Offer aber af sach,
Wider sich selber er do sprach [990] wider sich selben er do sprach:
Daz ich ymb syst nv wuette gar „daz ich umbsust nu wnote gar,
Ich wil noch ainsten noch dir czwar ich wil noch einest n&ch dir zwftr".
Aber er sich anf swang aber er sich üfswanc,
In die hant nam er sein stang er nam die ruote in sine hant
Ynd wüt aber vber den pach [996] nnd wnot aber über den bach:
Des chindes er aber nicht sach des kindes dannoch er niht sach.
Er sprach ist daz nicht ein wunder er sprach : „ist daz ein wunder,
Daz ich czwir wesunder daz ich zwir besunder
Do her vber gewatfi han do her über gewaten hän
Ynd siech nv niemant hie stan [1000] und sihe hie nu nieman stan?''
Er ruft rast wo sint se nv er rief vaste: „wä sint nu
Die ich schol tragfi vber den phlvm die ich sol tragen über den phlüm ?**
u. s. w. u. s. w., ich will nicht ermüden; nnr der Höhepunkt
sei noch gegeben.
Do offorus auf daz wazzer en do Offer üf daz wazzer kam,
mitten cham
Oot sich an nam [1090] got sich sin do annam
Daz er aioh versinnen wolt und sich versinnen wolte,
Ynd daz er offorü wer holt wie er werte in siner hulde.
Got layt im sein hant auf sein haup die hant leite er im üf daz houbt
Ynd macht offorü betäubt und machte Offorum betoubt.
Offorus der seEg werd [1096] do sprach der saelic werde:
Sprach vnd trüg ich hymel vnd erd „und trÜege ich himel und erde
Anf mir ich trüg so swer nicht üf mir, s6 swaere truege ich niht,
Als mir heint von dir geschieh [b4Y.]al8mir hinahtyondirge8ohilit*<. —
6*
84 K. Richter. 84
An der stet tet got ein czaichü an der stat tet got ein zeichen,
Des meres gnind wegnnd waichfi der grant begnnde wichen
Wider den snezzen offoro [1105]0fi[ro under den faozen,
Do sprach iesns also do sprach Jesus der snoze:
£ wastu genant offoms |,genant wastu Offoms,
Na Bcholta haizzen christofforus na heizest du Christofforus ;
Dor ymb daz ich christus pin danunbe daz ich Christus bin
Gib ich dir meinen nam czu de [1110] gib ich dir minen namen hin,
deinen hin
[b] daz du solt gewaltiglioh [b] daz du gewaltecliche
Mit mir besiezen daz hymebeich mit mir besitzest daz riche''.
Also gab im got selb die tauf alsus gap im got selp den touf,
Des meres Tnde mit dem lauf des meres unde mit dem louf
Yber guzzen in do an der stet [1115]uberguzzen in an der stete.
Got aber ein czaichen mit im tet got aber ein zeichen an im tete :
Die ruettfi die er do trüg die ruote die er do truoc,
Die waz grozz ynd vngefug die was groz und ungevuoc,
Die ward im grünnd in der haut die wart im gruonend in der haut.
Do tet im got mit bechant [1120] d& tete got im mit bekant,
Daz er der wäre got waz daz er gelouben solte daz,
Daz er gelauben scholt daz daz er der wäre got was
Ynd tun macht waz er wolt und tete waz er wolte,
Daz er daz gelaubfi scholt daz er daz gelouben solte.
Gze hant verswand Jesus [1126] ze haut verswant Jesus
Von dem heyligQ christofforus von dem heiligen Christofforus.
Ich behaupte nicht, das Gedicht habe je so gelautet oder
laute so besser als es überliefert ist. Denn erstens ist es
natürlich, dass der Interpolator einen unmöglich mit Sicher-
heit zu bestimmenden Einfluss auch auf die Gestalt des Ori-
ginals ausgeübt hat, und diesem würde ich gern die wenigen
Stellen, deren Änderung , nicht in einer blossen Verschiebung
der Wortstellung oder in der Auslassung entbehrlicher Partikeln
u. s. w. besteht, zuschieben, z. B. die apolsopierten V. 994.
1091 — es ist zu bemerken, dass alle diese Falle nie unbe-
dingt Unentbehrliches betreffen — dann aber ist die Bicht-
schnur für die Beurteilung dessen, was in metrischer Beziehung
in einem Denkmal erlaubt war und nichts sobald dasselbe ein-
mal eine Überarbeitung erfeJiren hat, so wenig straff anzieh-
bar, dass auf ein gewisses Mehr oder Minder nie gedrungen
werden kann. Nur das war die Behauptung, und das leuchtet
86 Ausbildiing der Legende. 86
nach allem wohl auch ein, dass die für die Erzählung wichtig-
sten Partieen bei geringen Änderungen, wie sie jedem Heraus-
geber ohne weiteres zustehen würden, einen sozusagen reineren
Text, in metrischer und stilistischer Hinsicht, ergeben, der sich
anderen Teilen des überlieferten Ganzen, die am Kern des
Gheschehens nur locker haften und eine grössere unvollkommen-
heit der fonnalen Existenz erkennen lassen, als das Ursprüng-
lichere und Altere gegenüberstellt. Die Wahrnehmung, dass
sich dieses doch Tielfeich intakt und erkeimbar erhalten hat,
und dass das offenbar Hinzugekommene seinerseits wieder einen
wenn auch üeurbloseren übereinstimmenden Charakter trägt, be^
rechtigt uns zu der Annahme, dass das Wesentliche der Über-
arbeitung von einem einzigen TJberarbeiter herrührt. Es ist,
wie wir schon yerschiedentlich zu bemerken Gelegenheit hatten,
kein Zweifel, dass seine Thätigkeit ins 14. Jh. gesetzt werden
muss. Sehen wir dagegen auf den Zustand der Vorlage, soweit
wir ihn als bewahrt ansehen dürfen, so bemerken wir, dass er
formal noch nicht auf der Höhe steht, die um und nach 1200,
in der Blütezeit, wohl die durchgängige war. Unvollkommene
Beime mit vokalischer Unreinheit^ wie etwa in Y. 987/8 cman :
16n», 1103/4 czeichen : wtchen», mit konsonantischem Uber-
Bchuss in einem Wort wie Y. 978/4 cverswunden : künde»
u. 8. w., die an Zahl und Schwere zwar hinter denen des
Interpolators zurückbleiben, aber doch immer da sind, lassen
bei dem sonstigen unleugbaren metrischen Wohlbestreben auf
eine Abfassungszeit schliessen, die der allgemeinen Anerkennung
absoluter Beimreinheit als einer formalen Forderung voranging.
Für die volksmässige Dichtung mag man diesen Übergang
vielleicht zwischen 1170 und 1200 setzen, ich bin zufrieden,
wenn man mir die Zeit um die Wende des Jahrhunderts vor-
läufig zugiebt.
Es muss sich des Weiteren darun handeln, nach den ge-
wonnenen Prinzipien das ganze Gedicht einmal durchzugehen;
nicht in dem Sinne, als Hesse sich eine absolute Trennung
zwischen Jüngerem und Älterem durchführen, aber um zu
sehen, wie das Letztere nach rein äusseren Kennzeichen zu
e« K. Richter. 8«
urteilen ungefähr sich dargestdüft haben mag« Das Inter*
fclüette steht in eckigen Klawmeni, ^las m Vermittelnde, an-
«<äkeinend tirfer Tom Interpolator Uafestaltete, in runden.
{V. 1—46] Einleitende Beflenm.
(V. 47 — 52) Hierin könnte eine Art An£uig stecken; wenn nicht
\y. 63 — 60] dagegen etwas «xnatraniscli machten. Ein altes
Gleiduüs mdht sehr geistv^eh und übel ^bautich
anf den Heidenvater tibertragen.
V. 61 — 72. Derart mag das, was im alten Text nicfat episcb
war, besdiaffen gewesen sein: ein sehlichter frischer
Eingang. Wollten wir lunstelien, so liessen mdb.
die (V. 47 — £2) dahintw «ehr gut anbringen.
jy. 73—78] wären dann natürlich fortanidenkai.
(V. 79 — 1-62) In dieser Gebort^esdiiehte macht znm mindesten
Tieles den Eindruck leerer Wortvariation. Man
könnte sieh folgeiider Verse entscfalagen bei leiditer
YemuttelnngderLücken: [61— 8S,95— 96,99— 110].
[V. 163—182] halte ich im Wesentiichen fibr interpoliert. Eb
lässt sich wahrnehmen, 4lass die meisten übertreibeDfi-
den Züge, besonders die fasorlesk gefiLrbten, in formaler
Hinsicht sum Gepräge des Späteren neigen, was
aas der Gesddchte der yolksttimlichen Poesie Er*
Uärang und Bestätigung fände.
(V. 183 — 334) Aus demselben Oesiditspankt ist auch diese
Partie zu beurteäen. Die ritterliche Erziehung darf
man nicht antasten, Offen Kraftthaten halten sich
in den Grenzen reckrechafter Auszeichnung. Aber
dass er nachher der «massenfe» zu Fuss entgegen
gehen muss, weil kein Eoss ihn tragen kann, dass
seine unbefiriedigte Stimmung den Kämmerern wegen
der ersparten Speise sehr willkommen ist, das fiQlt
aus einem gehaltvolleren Tone in einen gemütlich
niederen.
y. 336—552. Die Staffel der Wanderung Offori: König,
Teufel, Christus, ist so einfisu^h, dass sie wohl ur-
sprünglich dünken muss. Die Wiederholungen des
ßj Ausbildnng der Legende. igf
HnngermatiYS, das unbegründete Herbeiziehen der
Heidengöttor [U3-^B^ 877— 7d] sind zu be-
anstanden, veiter [406—6, 439—40] (486—90,
496 — ^99); das HeimtEagen der Jagdbeute, das
G«Bpräch jxdt ^em Serm dürften ebenfalls ziemlich
modifiziert urocdesi scm (605—2%) [689—40, 648
—62]. JDie unedlecsn Ausdrttoke sollten immer
bedralüch machen.
V. 663—780. Die Motmeruixg 4es fik^oheinens des Teufels
stört, und im ältaren Stil fa)mmen die Leute besser
ohne Anmeldung [659—64]. [679/80]. Der Bede
des Teufels ist leicht «in einfaches GtefÜge zu
geben {664 — 94), das Ghesprikji überhaupt abzu-
kürzen (599 — 610) und Üiberflttssiges im Interesse
des Fortgangs zu beseitigen [616—18, 623—97]
(668—66) [«69— fiO, 669—70, 679—80]. Dann
aber miiss sioh die sohvierige SVage erheben,
-welche Bolle der fiinsiedel im aiten Zustand spielte.
Die ganz hübsche Erzählung setnes anfänglichen
Schreckes [€83 — 710] nmss ich v«an formalem Stand-
pimkt als jmg aosehan, und sie reiht sich auch
dem übertreibend Oenr^aftesi an. Femer im
irateren Yedanf, abgesehen vom Einzelnem, die
breite Aosfiihnmg des Mahles [735—46], und es
lässt sich nicht leugnen, dass bei jener nächtlichen
Bcene im Flusse das wiederholte Eingreifen des
Einsiedleis sioh mnsem kunstteelBuschen Begriffen
nach sehr störend erweist Aber die Handlung
scdireitet dabei doch» iraon auch in zwei erst all-
mählich kouTergierenden Bicfatangen, Torwarts, das
Äussere bietet keine unabwenlichen Anhaltspunkte,
^ und die naive Art der Wiederaufnahme, wie sie
dem Tolkstämlichen Stile zu Gebote steht, verbürgt
gleichsam, wie wenig das Streben auf absolut ein-
heitliches Fortlaafen des Geschehens gerichtet war.
Dazu macht das darauf folgende Gespräch zwischen
88 K. Richter. 88
Offer und dem Einsiedler einen einfachen Eindruck,
und schliesslich ist doch sein Dasein und sein
Wesen zu erfreulich, als dass man nicht gern, ihn
möglichst wenig zu beschränken, wünschen sollte.
y. 781 — 1158. So wage ich für diesen ganzen Hauptabschnitt
nur folgende kleineren Ausscheidungen abgesehen
von einzelnen Versen: das überflüssige Gtebet des
Einsiedlers an Maria [807—816], das Morgen-
frühstück [873 — 76], die moralische Ergiessung
[936 — 44]; gebe Veränderungen anheim für (1027
—34, 1072—88, 1099—1102). Nach dem Ver-
schwinden Jesu mögen vielleicht das Gespräch mit
dem Einsiedler und die Bückkehr in die Hütte
etwas breiter geraten sein als sie ursprünglich
waren.
V. 1169—1200. Auch in dem Thatsächlichen dieser Verse
ist nichts zu erinnern, einige Elleinigkeiten in Ent-
behrlichem sind etwa zu beanstanden: [1167/8]
(1187—90, 1198—1200).
V. 1201 — 1680. Die Wanderung nach der Stadt mag passieren.
Dann aber: was ist von dem Martyrium des
Heiligen älter und jünger? Im allgemeinen darf
wohl gelten, dass eine Freude an derartigen Gräss-
lichkeiten, wie sie hier in Beime gebracht sind,
eher dem 14. als dem 12. Jh. zuzumuten ist. Doch
lässt sich im Gegensatze zu so manchen andern
Märtyrererzählungen eine gewisse dramatische Be-
lebung teilweise nicht verkennen. Wir würden
begreiflich finden, dass das sachliche Interesse des
Interpolators hier einen stärker yerändemden Ein-
fluss auf seine Vorlage üben konnte, sodass wohl
Altes und Neues wirrer und unentwirrbarer sich
verschlingen möchte. Ich wäre geneigt, als jung
anzusehen: [1251—66, 1270—80] (1288—1808)
[1319—22, 1375—78, 1395—1408]; was aber
etwa an Stelle der V. (1409—26) gestanden, müsste
89 Ansbildimg der Legende. 89
man raten. Weiter: [1441—48, 1473—82, 1617
— 22]. (1637 — 62) mag ein naiverer BöBtungsakt
zu Omnde liegen, wenn man anch gerade diesen
gern ganz entbehren wollte. Was endlich im
SchluBSgebet ursprünglich ist, entscheide ich nicht;
vielleicht sehr wenig. Zusätze konnten sich hier
von Hand zu Hand einschleichen, etwas notwendig
Festes ist aus so Schwankendem nicht gewinnbar.
Der Konsequenz halber sei ausgeschieden [1685
— 1624]. Den so erlangten weit epischeren Schluss
meine ich dem ursprünglichen Gedicht wohl zu-
schreiben zu dürfen.
Zum Ausgang all dieses o Formalen sei noch kurz der
Frage gedacht, welchem Dialekt das Gedicht in seiner alten
Gestalt angehörte. Schönbach lässt sie o£Fen, er finde keine
Indizien der Entscheidung. Wir haben aber den Eindruck
gewonnen, als ob in unserm Texte wesentliche Stücke des
Alten leidlich unversehrt bewahrt seien ; wenn wir nun ferner-
hin zwischen ihnen und den interpolierten Versen keine
dialektische Differenz bemerken, so ist dieses negative Er-
gebnis eine sehr wohl genügende Grundlage der positiven
Meinung, dass die alte Vorlage ebensowohl in Baiem-Osterreich
entstanden sei wie die beiden Handschriften der späteren
Überarbeitung dort entstanden sind. In diesen deutschesten
der deutschen Landschaften [litterarisch geschätzt], in dieser
Heimat des deutschen Volksepos.
und wie sollte es anders sein?
Haben wir im Grossen und Ganzen mit der Scheidung
eines Alteren und eines Jüngeren in unserem Texte recht,
80 erleuchtet uns nun erst die rechte Erkenntnis unseres
Gedichtes und seiner Geschichte. Die Wahrnehmung, die so
oft bei einem volkstümlichen Dichtungsgebilde entgegen trat,
dass ein unendlich schöneres Älteres aus ahnungsvollem Dunkel
schliesslich hervorstrahlt — die Ahnung übertrifft sicherlich
90 £• Bichter. 90
immer die ^erBtmkeBüe Wkldichkeit — sie bestätigt sich auch
in imBeim Falle «nd modi&dert sißh zagleich. Eine Legende
neaont man imser Gedicht. Mit demselben Recht nnd Unrecht
wie man den Orendel so neoamen mag. Aber doch, wenn wir
den Vergleicäi ein wenig ausdenken, ist es ein anderes um
Onendel und Cttuistoph. Im Orradel stedct du alter Kern,
gleicfagältig "Vfifi beschaffiBOy dem eine chriaflichey geistliche^
legendadsche Tendenz eist eingeimpft worden ist, dem Christoph-
steffe ist dieses Gepräge Ton Toraiierein eigentümlich. Der
die Iiegeude erfand, Tielteüdit war er aus <bm Kloster ent-
sprungen und hatte eine nnbestinmite firimierong an eine
Geschichte, die er einmal hatte schreiben oder lesen müssen,
▼on CEhristophoms, tooi deei Christasträger; jetet fahr er im
Lande «mher als «em Glied der grossen cdiet», die jener Zeft
das poetiicfafi Bewusstsem des Volkes darsteDte. Er saes
gerade recht warm mid mochte noch nicht ^weiter, da sann
er nach, was er den Abend denn singen und sagen auiofate^
das Wirt und Gesinde noch nicht Temommen hätten. Und
der Abend kam, und er sang von (Mer, deai Biesen, der das
Christkind durdi das Wasser getza^n hätte. Von Biesem
hörten die Leute gern, und aoeh der Pfaff konnte gegen dea
cfaiistliQhen Biesen, der dem Herrn diente in Demütigkeiifc
und Troue, zu sterben und zu genesen, nicht recht etwas
haben; es war ein geschickter Zug des Erzählers, durch die
im neuen romantisch -ritterlichen Gteiste erfundene Jugend-
geschichte die Herrschaft sich günstig zu stimmen. Er führte
die Phantasie in ferne Gegenden, in ein wunderbares Land,
davon die Zeit träumte und fabelte, das Ziel der Sehnsucht
jedes einzelnen. Er musste thuu, als hätte er's selbst gesehen,
so war es halb die Hemiat .und halb mi fremdes, fremd wie
die Leute, die es bewohnten, von denen furchtbaie Vor-
stellungen im Schwange gingen, als wollte man sich im rwaos
das Verdienst eines S[reuzzugs erhöhen, indem man £e
Grausamkrät der Gegner ins rechte Licht setete. Hier konnte
der Fahrende brauchen, was ihm noch geblieben war ¥aa
dem alten Martyriiun 8. Christophori, aber auch damit schaltete
91 AoBbildong der Legende. 91
«r frei, wie es der Geechmaok seiner ZühSrer forderte, und
80y iBdem er wedbsefaid die ganze Skala des Zeithiteresses
durddief^ migendB langweöte, aDen genugthat, da hatte er
M&eii Zmedk erreicht und durfte rrichlicben Lohnes gewiss sein.
Jedenfalls ist das sicber: die Yoiiage unseres QedichteB
grfit in ihrem oigentUchsten Inhalt nicht auf litterarische
fkiadition ararftek, der Dichter war der firfioder semes StofiEee.
Hat er danmi bewuest gdogen?
Man vnterschätee seine Konst nicht. Er erz&hlt, wie das
alte Yolksepos überhaupt, einfisteh, ohne angenfSliige Mittel,
«tne Berecfarang. Die Wiederholung, das E(»melhafte sind
•eiliem Stfle eigen, die Verse fliessen gleidimäsng Tieihebig
dahin, die Beime sind vielfach die geläi^en. Nur das un-
mittelbar Yoigefaende wird plastisch lebendig, die weitere 5rt-
Kdie und ertliche Folge bleibt im Unklaren. Diese naive
Alt wild eihoben durch ein höchst intensives und individuelles
Natorgeföhl, aus wachem schone, tie^poetische Anschauungen
entspringen, besonders eigenartig fBr das Hereinbrechen der
Nacht Die Nadht legt sich über den Wald, und der Vog-
lern Schall wild still [V. S«6/7j. Das könnte noch über-
kommen sein. Aber. Es wird spat, dass der Tag sich unter
das Gebirge legt und die Nacht aus ärem Loch hervoikriecht
und wki langsam über die Erde senkt [V. 1003 — 7]. Ich
kenne keine ähnlich grauenhafte VorsteUung der Nacht als
einer Art lebenentsaugenden Vampyrs im BerMche unserer
ilteroin Sprache und Poesie, nur Wolframs Tag, der seine
Klauen durch die Wolken schlagt, oder auch durch die Nacht,
und mit grosse Kraft emporsteigt, stellt sich dem an die Seite,
und erst bei GoeÜie dringt die Nacht aus allen Winkeln und
Ecken hervor. In unserem Gedichte aber hängt diese Tiefe
der Natarempfindung, die, im Legendenhaften, in dem Pilatus-
fragment vielleicht ebenbürtig hervortritt [V. 216 ff.], unver-
kennbar zusammen mit dem novdlistiscfa-idyllischen Oharakter
des Ganzen. Das ist wohl der wesentlichste unterschied vom
eagentlichen Volksepos: die Darstellungsart ist dieselbe, aber
der Gregenstand und sein innerster Gehalt ein anderer. Das
92 ^ Richter. 98
Interesse des Epos sind Kämpfe, und Hochzeiten im alten und
in unserm engeren Sinne des Wortes verstanden. Ganz anders
in unserem Christophgedicht. Ein ein£acher Grundgedanke
wird in verschiedenen Scenen behaglich ausgeführt, auf seinen
Höhepunkt gebracht und schliesslich die notwendige Konse-
quenz gezogen. Im Grunde keine starke Spannung, nur ein
angenehmes HinjBiessen des Geschehenden. Was bestimmteren
Charakter erfordert hätte, Vorgeschichte und Martyrium« stehen
bei weitem nicht auf der poetischen Höhe, die der Mittelteil,
vom Auszug Offers bis zur Taufe im Muss, der dem Dichter
das Wichtig-Liebste war, inne hat Geburt und Tod waren
der notwendige Bahmen, der dem Idyll gegeben werden musste,
teilweise dem Zeitgeschmack zu GeÜGillen, teilweise um eben
Anfang und Ende zu haben, und weil gerade in diesem
Hauptteil Absicht und Form am reinsten, unmittelbarsten zur
Erscheinung kommen und so vöUig zu einander stimmen, schon
darum möchte ich glauben, dass der Dichter hier durchaus
selbständig ist, Erfinder der Christophlegende.
Das wird deutlicher, wenn wir die Fäden aufweisen, die
ihn mit der alten lateinischen Christophoruslegende verbinden,
die er abschnitt, die er fortknüpfte.
Das Wichtigste, was er überkam, war der Name. Christo-
phorus, der Christusträger. Aus dem Namen Christophorus
erwuchs seine Legende, sein Kult, seine Macht und Herrlich-
keit. Ein Name ist dem Volke, ein Symbol, Symbole aber
vergegenwärtigt man sich. Die Legende des hl. Ignatius in
der Legenda aurea, auf die Molanus De sacris picturis cap. Lx
hinweist, bietet die genaueste Analogie zu dem, was im Laufe
der Jahrhunderte mit dem hl. Christophorus geschah^). Es
wird erzählt, wie Ignatius unter den Händen seiner Peiniger
beständig Christi Namen anruft, und als sie ihn neugierig
fragen, was er damit wolle, antwortet : „Hoc nomen cordi meo
inscriptum habeo, et ideo ab eins invocatione cessare non valeo''.
Und nach seinem Tode reissen sie ihm das Herz aus der Brust,
') 8. Max Müller Leotures on the science of language, sec. ser.,
London 1864, p. 558.
93 Ansbildong der Legende. 93
und als sie es aofschneiden, da leuchtet in goldenen Buch-
staben der Name Jesus Christus ihnen entgegen: so stellen
ihn die Maler seitdem dar, ein Herz in der Hand, worauf die
strahlenden Züge des IHS — wir behalten das iq einem feinen,
gläubigen Gemüte für unsem S. Christoph. „Yidetur autem
mihi erroris causam praebuisse cognomen eins'', sagt Molanus.
„Nam tituli epistolamm eins habent Ignatius, qui et Theo-
phoms, et Simeon Metaphrastes dicit Trajanum dixisse: tune
es qui diceris Deifer? et quid sibi yult illud Deifer? Cui
martyr : qui Christum, inquit, circumfert in anima . Imperator
autem : tu ergo, inquit, Christum in teipso circumfers? Corte
inquit . Scriptum est enim : habitabo in eis et inambulabo^.
Solche Yeräusserlichung eines Geistigen ist eine ürkraft und
XJrfreude menschlicher Phantasie.
Schon lange ehe sie ihn ersah, war der hl. Christoph ein
Biese. Für den deutschen Erzähler musste gerade dieser Zug
den grössten Beiz haben. Denn kein Kulturvolk, auch die
Griechen nicht, hatte eine so innige Neigung und Liebe ftir
übermenschliche grosse Wesen wie die Deutschen und ihre
Gesippen im hohen Norden. Und wie firoh musste wieder ein
solcher alter heidnischer Unhold sein, in christlichem Kleide,
gefeit gegen Argwohn und Feindschaft strengkirchlichen Geistes,
sein Dasein geruhig forttreiben zu köimen. Man hat die Legende
yon S. Christoph aufgefasst als einen Versuch, an Stelle der
alten den Seelen der Menschen immer noch Terderblichen
Mächte einen christlichen Ersatz zu stellen: solche jetzt im
Schwange gehende Deutung verkennt, dass eine Dichtung wie
unsre nicht aus theoretischem Wollen entspringt. Ihre schöne
Poesie, ihr schlichter und doch so tiefer Gedanke schlummerte,
sein selbst imbewusst, im Stoffe; er brauchte nicht hinein-
gelegt, nein, nur herausgehoben zu werden, um in natürlicher
Beinheit seine strahlende Kraft zu offenbaren. Christoph ein
Biese der Märtyrer des höchsten Gottes, um diesen Kern
musste sich notwendig allmählich die Legende kristallisieren,
wie sie es that Die frühen Ansätze sahen wir : aus den armen,
aber angesehenen Eltern Walthers mochte der reiche Heiden-
94 K. Bichter. 94
könig werden, aua Kanaan Arabien, auch bei Walther schon
zog Chiiatc^horus fort aus der heidnischen Heimat, und wa»
die altere Passio andeutete Ton einer englischen Yerkfindigang
und Berufung, yon einer Taufe und Erleuchtung aus hxaiDi*
lisdier Wolke, yon räiem Stabwunder, wir fühlten es wstairken
bei Walther, in den späteren Erweiterungen. Es ist nicht zu
denken an einen direkten Eiafluss you ihrer Seite auf dien
jüngeren deutschen Dichter, dazu sind die übereiBstunmenden
Züge zu unbestimmt, sie mussten sich aus dem YorhandeneA
heraus in einiger Parallelität unaUiängig entwickeln. Aber
diese allgemeine Tendenz wurde nun gegenüber den tastend^i
Versuchen der älteren Bearbeitungen erst in der deutschrai
G^taltung in eine bestimmte und innerst ihr gemässe Bicbtung
des Wirkens geleitet.
Die Erzählung spielte im Orient, und Christoph war ur-
sprünglich ein Heide: das genügte, ihn zum Sohne eines
heidnischen £önigs werden zu lassen. Man war zu der Zeit,
da unsere Legende entstand, gross in der Produktion solcher
Vorgeschichten^), und wie sich darin Geistliches, Höfisches
und Volkspoetisches gern aufs merkwürdigste yereinte, so in
unserem Ealle in der für den Fortgang des Geschehens yölüg
unwesentlichen E^sode der ünfruchtbairkeit d^ Königin und
der schliessUchen Geburt eines Sohnes unter dem Beistand
der Mutter Gottes *)• Gegeben war der Zug, dase der Held
bis zur Taufe einen andern Namen trägt, aber es ist charak-
teristisch, dass der deutsche Spielmann den Namen der Passio
cBeprobus» entweder yergessen hatte oder nicht bcauchen'
konnte und auf sehr mechanische Weise äusserlicheter Wort-
teilung, wie man damals naiy zu yerfahren pflegte, ein bequem
zu handhabendes «OiFer, Offorus, Offiro [Nominfdii^!] sich
bUdete, charakteristisch insofern, als es zeigt, wie weit er
dayon entfernt war, auf eine moralische Wirkung auszugehen.
Viel wichtiger war ihm die ritterliche Erziehung des jungen
') Man denke etwa an die wunderbare Erzeugung des PUatus.
') Vgl. z. B. das M&rchen von dem Machandelboom.
96 Ausbildnng der Legende. 96
Beidenknabeiu Dabei erscheint die übermässige Grosse des-
selbesL als eise persönliche Wirkung im Sinne adten heimischen
SeckentnnB, alles Unschöne der Uberüeferang ist gemieden,
BJrgends tritt in der deutschen Gestaltung die Hundsköpfigkeit
des HeiHgen herror. Dieses poetisdi zarte Empfinden, das
cinea unnötigen und dem deutschen Bewusstsein unangenehmen
Zug tilgte^), führte dann weiter zur Einführung da^ so
gehmgenen wie echt deutschen Motivierung: warum zieht der
Knabe auf die Fahrt aus^ die ihn schliessUeh zu Ghcistns
bringt? Man beachte^ wie den Walther von Speier schon diese
Yerlegenheit gequält hat: der IVophet gilt nichts in seinem
Taterlande, sagt er mit verzweiflungsvollenft Zirkri. Daf&z
fiihrt unser Fahrender ein, was ihm und seinen Zuhörern
begreiflich war: Wanderlust und Thatendrang treiben den
jungen Helden hinaus, er hört auf dem grossen' Feste, das
Aat Yater um seinetwillen giebt, ihn in die höfische Welt
einzuführen, erzählen von fernen Ländern, von dem und jenem,
da erwadit auch in ihm die Begier,, Land und Leute kennen zu
lernen, und als der Yater ihn zurückhalten will, läafb er ihm fort
und jetzt erst setzt die grosse eigentliche Erfindungskonst
des Dichters ein. An Stelle jener in den Fäfisionen an-
gedeuteten Taufe Unterweges tritt eine längere Wanderung,
deien 2äel und Yollendung ein feierlich-bedeutsam gehobener
Taufakt ist. Wie das Märchen seine Ejnder ansziehen lässt
und zu dem einen und andern kommen, wie die alten Becken
durch die Lande fuhren und Dienste nahm^ wie auch die
Bitter nim ausritten und Abenteuer suehten, so streicht Offin*,
einige Jahre vielleicht vor dem ctnmben t6ren» Pandval,
aufi geratewohl in die Welt, die Sonne brennt vom Himmel,
die Domen halten ihn und reisBen ihn wund, die wegmüden
Füsse kühlt er im klaren Bronnen, unter dem schattigen Dadie
des Waldes. Aber die Sonne geht unter, hungrig und er-
schöpft schleicht er fort. Doch wie die zwölf Brüder, wie
HSnsd und Gretel, so steht auch Offier auf einmal vor einer
1) 8. Weinhold Wiener Süasangsberichte XXVI, 292.
96 K- Bdohter. 96
Htttte, in die ein Waldmann, der Schüssel und Becher machen
konnte, Käse nnd Brot hineingelegt hat: als war's f&r ihn
bestimmt, greift der Hungrige zu, dann übermannt ihn der
Schlaf, er sinkt um und träumt im Schutze der Nacht, das
müde Kind des Märchens. Am andern Morgen kommt der
liebe Tag mit seinem Schein, es wecken den sorglos Ruhenden
die schreienden Vögel zu neuem Wandern, zu neuem Irren
und Finden. Der König, der im Märchen so immer gerade
zur rechten Stunde jagen muss, naht mit Hall und Schall,
und Offer hat seinen ersten Herrn gefanden.
Es ist zu bemerken, dass in dieser ältesten deutschen
Fassung Offer noch nicht yon vornherein ausgesprochen dem
grössten Herren dienen wiU, sondern dass dieser abstrakte
Gedanke mehr naiv zu G-runde liegt, treibt und sich so mittel-
bar viel natürlicher und schöner zur Geltung bringt, als wenn
er später direkt in schärfster Formulierung dem Geschehenden
vorangestellt wird^). Offer ist der Dienstmann eines Königs
geworden. Aber wie es zu des Dichters Zeiten ehrenvoller
und dem Tüchtigen erstrebenswerter dünkte, des Königs oder
Kaisers Mann zu sein als des reichsten von ihm abhängigen
Fürsten oder Prälaten, so will auch Offer nur dem dienen,
„bei dem er nicht . Scham leidet und der niemand sonst
fürchtet", nicht der Dienst an sich gilt als erniedrigend und
ehrenkränkend, aber ein selbeigener Herr soU es sein, dem
er sich ergiebt. Darum als er hört, dass sein König sich
vor einem fürchtet, der der Teufel heisst, da duldet's Offem
nicht länger an seinem Tisch, aufs neue zieht er aus, einen
Gebieter zu suchen, des er sich nicht zu schämen brauche,
den Teufel. Ganz unvergleichlich prächtig ist nun diese Ver-
einigung von germanischem Heldenstolz und Heldentrotz mit
riesischer Naivität und Dummheit: wie der Teufel ihm be-
gegnet, seine Gewalt rühmt über alle Lande imd Leute, und
Offer findet, dass es der rechte Teufel ist und sich ihm ver-
pflichtet. Aber der rechte Herr ist es noch nicht, denn auch
er fürchtet sich vor eines andern Zeichen, dem Kreuz am
^) Vgl. zu dem Motive Parziyal 18,9 ff.
^ Ausbildung der Legende. 97
Wege. Und sogleich lässt ihn Offer, er zieht weiter^ wieder
hinein in den Wald, und gegen Abend kommt er zu einem
Einsiedel. Während die Pfaffen im Allgemeinen der Volks-
poede meist in komischem und verächtlichem Lichte erschienen,
während sie gern als zage Feiglinge im E[ampf der Männer
und später als betrogene Betrüger in bedenklichen Liebes-
und Ehehändeln ausgebeutet wurden, war der Einsiedler dem
VoUrabewusstsein der ehrwürdige, entsagende und heilige Alte,
und seine Einführung an dieser Stelle von höchstem technischen
und poetischen Werte, indem er zugleich ein angenehm
retardierendes und ein sehr notwendiges und förderndes
Moment der Erzählung darstellt. Ein häuslich frommes Dasein
ent<et sich, dem ungestümen Drange des Jungen stellt sich
die bedächtig-weise Ruhe des Alten überlegen entgegen; der
sich einem Könige und einem Teufel nicht fügte, ist wie ein
Lamm gefügig dem Willen eines schwachen Greises. Ja, der
Königssohn lässt sich jetzt überreden, demütig Knechtesdienste
zu thun, arm und bloss, für einen Herrn, den er nicht kennt,
von dem ihm jener erzählt. Aber doch, als Dienst eines
G-efolgsmannes wird sein Thun auch jetzt aufgefasst, grossen
Lohn verspricht ihm der Alte, Ehre unter den Mannen des
Gebieters [Y. 913 — 15] : so klingt die altgermanische Auffassung
Christi als des callaro kuningo bezton» in dieser verhältnis-
mässig so späten Volksdichtung noch durch, und wie fein
ist es, dass auch dieser dritte Versuch, einen Herrn zu finden,
in der äusseren Einleitung und Vorbereitung so naiv und
unbewusst sich giebt wie die vorhergehenden: um so über-
raschender musste dann die Offenbarung des Kindes als des
Heilandes und Herrn der Welt wirken. Auft herrlichste ist
das entwickelt, gesteigert. Man beachte: dreimal giebt sich
Christoph in Dienst, dreimal ruft ihn das Kind, es ist die
altheilige Zahl. In der Nacht gewinnen die Mächte dies Bösen
Gewalt über den Menschen, der Einsiedler sorgt, wo Offorus
bleibt. Li der. Nacht aber verlangt der Herr seinen Dienst,
zur ungewohntesten und unheimlichsten Zeit, da alle Wesen
schlafen. Aach Offer ruht, müde von der Arbeit des Tages,
7
98 K. Richter. 98
unter einem Baum am Ufer, da ruft ihn eine zarte Stimme,
Er richtet sich auf und sieht drüben ein lieblich schönes
Kind. Wie von sieben Jahren, sagt der Dichter. Er watet
hinüber, aber das Kind ist fort. Wundernd, dass sein Sinn
ihn so betrog, geht er zurück und legt sich wieder zur Ruh'.
Wieder ruft ihn die Stimme, wieder dasselbe Spiel, nirgend
ein Kind zu sehen, er schreit vergebens in die Finsternis
hinein. Und immer dunkler wird es. Dem Einsiedler wird's
ängstlich, er zündet eine Kerze an und macht sich auf den
Weg, nach Offer zu schauen. Der aber ¥dll jetzt auch heim-
gehen, man kann doch nichts mehr sehen, sagt er sicL Da
— zum drittenmal — er überlegt — aber er kehrt doch um.
und nun die reizendste Scene zwischen dem dreimal genarrten
Riesen und dem Bübchen. Keine Klage, kein Arger, nur
die Mahnung zur Eile und der rührende Vorwurf des grossen
Kindes, dass die Mutter den Kleinen so allein in Nacht und
Wildnis lasse. Wie er ihn auf den Arm nimmt, ergreift ihn
selbst das Komische des Gegensatzes: „Hundert solche wie
dich trüg' ich gern''. Aber mitten im Fluss, da wird die
kleine Last so schwer und schwerer, die Wasser rauschen
und steigen, und der Boden sinkt und schwindet unter den
Füssen. „Offorus hiessest du, nun heisse Ohristofforus!'' Die
Wogen überfluten ihn, Christus verschwindet, und der Wort-
lose steht da, den grünenden Stab in der Hand. Aber der
Einsiedler hat alles gesehen, weinend wirft er sich auf die
Knie und umfängt die Füsse des ans Ufer Steigenden: „Edler
Fürst, werter Heldl'' nennt er ihn, „Jesus Christus war es,
der Rechte, gegen den niemand etwas vermag''. So wird bis
zum Letzten die Yorstellung des dienstsuchenden Recken
gewahrt.
Ich meine, diese Scene kann sich zum Besten gesellen,
was deutsche Yolkspoesie geschaffen hat. Daftbr konnte es
keine Quelle geben, das ist selbständig grosse und freie Er-
findung, so unabhängig wie schön und deutsch.
Was dann folgt, das muss man freilich wieder aus der
Zeit seiner Entstehung heraus zu begreifen suchen. Der Fluss
99 Ausbildung der Legende. 99
trocknet aus, und die Leute können trockenen Fusses durch
sein leeres Bett gehen, Christoph ist seines Dienstes entlassen.
Er überlegt mit dem Einsiedler, was er in Zukunft thun könne
für seinen Herrn. Und indem der ihm rät, sich in einer be-
nachbarten Stadt zum Kämpen der Christen au&uwerfen gegen
die Unterdrückung und Verfolgung ihres heidnischen Herrschers,
wird wenigstens äusserlich ein leidlicher Übergang zu dem
Martyrium gewonnen. Aber er bedingt schon die eine Ab-
weichung yon der lateinischen Fassio, deren Stadt Samos
anscheinend nur Heiden enthielt, dass Christoph weniger als
Bekehrer, als in Beschützers Eigenschaft auftritt. Auch hierin
also die Tendenz des Auswachsens in gleicher Bichtung wie
in den Erweiterungen der alten Passioform [P]. Christoph
ist thatsächlich der Eigengefolge eines grossen Herren ge-
worden, für den er in den Tod geht. Die Idee der Treue,
dieses vomehmste Motiy deutscher Volksepik, mag man darin
finden, und sie ist darin gefonden worden^), aber man darf
nicht verkennen, dass das passive Leiden, das allmähliche Er-
sterben unter den rohesten Martern, wie es ästhetisch etwas
äusserst Unerfreuliches, ja Abstossendes hat, sehr wenig deutsch
ist und man sich hüten muss, in einer notwendigen Eolge einen
tiefen Gedanken erkennen zu wollen: die Kunst des Dichters
war der Au%abe, einen befriedigenden Zusammenklang des
durch die Überlieferung gebotenen und seinem ganzen Ge-
dichte den Verwand gebenden Schlusses mit dem frei er-
fundenen idyUisch märchenhaften Haupttefl zu erreichen, nicht
durchaus gewachsen. Denn ob es auch zu den Vorzügen der
Volkspoesie gehört, bisweilen furchtbar grausam sein zu können,
wie etwa E[riemhilt dem Hagen selbst das BLaupt abschlägt
oder die Tauben den Schwestern Aschenputtels beide Augen
auspicken, so ist das zugleich so herzerquickend und befriedi-
gend, weil es der Ausdruck des höchsten, naivsten poetischen
und moralischen Gerechtigkeitsgefiilüs ist^ imd vor allem wirkt
es darum nie verletzend, weil es stets nur einen kurzen kräf-
tigen Stoss, nie ein langes bewusstes Quälen gilt. Gerade
') Grimm Myth> p. 438 a. 4 tmr sum trodlir.
100 K. Richter. 100
aber bestand die Ereude der Martyrienschilderungen,
und ihr christlich propagandistischer Gewinn war niemals so
gcoss als die Verderbnis des fromm)»! Gteschmacks bedauer-
lich, imser Chricftophgedicht liefert d»n deutlichsten Beweis.
Der Dichter hat im G-egensatz zu späterer Legendenflut
das sichtliche Bestreben gehabt, eine gewisse Abwechslung
und Belebung der Vorgänge zu eireichen. Er konnte sich
dazu nicht der geistlich erbaulichen Bhetorik bedienen, durch
welche die lateinischen und griechischen Passionen wirkten,
die biblischen Zitate hatten keinen Ort in seinem Gedichte.
Dennoch reden seine Personen, aber dramatischer, lebendiger:
Befehl und Weigerung, SVage und Antwort gehen realiter hin
und her, wo in der Passio spiritaüter doziert ward. Dass
dabei geringe Ähnlichkeiten mit unterlaufen, wie etwa die Ver-
sicherung des Heiligen, dass alle Martern ihm leichtes Spiel
schienen und auch die stärksten ihn nie Ton seinem Glauben
abbringen würden, ist völlig zufällig und bedeutungslos. Darum
ist eine genaue Au&ählung der Verschiedenheiten und Ähn-
lichkeiten unnötig, und nur das Wichtigste sei herausgehoben.
Vor der Stadt betet Christoph. Aber er ist in der deut-
schen Erzählung ein weit menschlicheres Wesen, er ist egoisti-
scher als jenes christliche Abstractum der Passio, das nur das
irrende Volk auf den rechten Weg leiten will, er wünscht bald-
möglichst in das herrliche Reich seines Herrn zu kommen.
Qbxiz deutsch ist es auch, dass dieses Volk durchaus auf
Seiten seines heidnischen Königs steht^ nicht werden im Hand-
umdrehen Tausende und Tausende bekehrt, sondern sie fliehen
TOT ihm, höhnen den Gefesselten und hetzen den Fürsten zu
seiner Verfolgung. Über der Ereude daran werden die Christen,
die in der Stadt sein sollen, wird das Stabwunder und die
ganze Scene vor dem Tempel ausseiiialb der Stadt^ vergessen,
der König kann «ich dafiir mit seinem Gefolge beraten; und
so wenig propagandasüchtig ist der Dichter, dass er die Heilung
des Königs und seine schliessliche Bekehrung Yöllig fallen lässt,
ein Zeichen, wie Torurteilsfrei und ledig jeder bewusst geist-
lichen Tendenz der Mann war. An die Stolle alles Auf-
201 Ausbildung der Legende. 101
gegebenen tritt eine Fiillnng im Geiste des märchenhafteoi Ifittel-
teüs der Legende. Das Thatsächliche resp. das^ was den
Eindraok des ThateäeUicben machen soUte, weicht in allem
dem Poetischen, dem 211m StunmnBgaausdrack ErhndeDen.
Wo ist der Name der Stadt? des Königs? der Heidengötter?
Das Gerficht Yon dem grossen Mamie ikommt zu dem Heiden,
er lasst nachfragen «nd ^äümt die feindliche Absicht: der
fremde will zu den Ohiisten. Die zweimalige Sendmig yon
800 Kriegern, die persönliche Vorfiihmng, die ziige^)itzte Ans-
«inandersetznng, alles das bleibt forL Aach mochte dem Er-
zähler die geduldige Ergebenheit des Heiligen, wie er mit den
Abgesandten geiht nnd alles mhig aber sich eigefaen läsrt,
nicht passen, sein Held schreitet nnbekünmert nm das Ab!&
sehen, das er erregt, dahin, die Nacht kommt, er legt sich
imter ein Scheunendacäi schlafen, imd so, wehrlos, wird er ge-
fesselt. Als er erwacht nnd anfifäfart, da reisst wohl manches
Seil, und mehr als viensig Heiden sterben von dem Schreck,
aber die Bande sind doch zu stark, und er kann sich nidit
befreien.
Am nächsten Tag beginst die Marter. Einzelnes ist aus
der Pasaio übernommen, aber yerändert, umgestellt, enmtert.
Der glühende Hebn ist da, aber die Episode des nengieEig
ihn lüftenden und tot niederstürzenden Schergen hinzugekommen,
an Stelle des cscamnum fenenm» sind heisse Singe getreten,
die Glutscherben werden späterer Einschab sein. Ist der Tag
darüber Torgangen, so wird der Heilige in den Kerker ge-
bracht: das ist gebl]d:>en. Am bedeutsamsten ist die Umge-
staltung des Motiys der Yersudinng: nicht mehr Nicaea und
Aqnihna, sondern der Teufel in Ghestalt eines schöfnen jungen
Weibes will den Biesen verfiihren. Auch das ist einmal
charakteristisch für das yeränderto Interesse: dem Gestalter
wie den Erweiterem der Passio kam sehr viel auf zwei zu
marternde nnd volkbekehreade Heilige mehr an, wie die
Wollust, mit der sie sich in den Leiden der beiden Sünde-
rinnen ergehen, empfinden lässt, dem deutschen Spielmann gar
nichts. Dann aber war die Änderung ihm nahe gelegt durch
102 . K. Richter. 102
das Aufkommen und die Ausbildung des Teufelkultus, wenn
man so sagen darf, indem der Böse mehr und mehr zu einer
burlesk-komischen Figur im Yolksbewusstsein und in der Volks-
poesie wurde, gern gefoppt und betrogen, uns Heutigen meist
zu willkommener Erfrischung inmitten geistlich -poetischer
Wüstenei, wie denn die Jungfirau Maria und der Teufel die
Kosten des wirklich Poetischen in der geistlichen Dichtung
des Mittelalters wesentlich zu tragen hatten. Sie treten sich
auch in unserem Falle gegenüber, der Teufel, der listige
Versucher, so schön, cdaz nie mannes äugen so minnichlichez
hetteh gesehen», muss heulend entweichen vor der Anrufung
der reinen Mutter Gottes: ein ganz volkstümlicher Zug. und
es lässt sich nicht leugnen, dass diese Kerkerscene weit
wirkungsvoller und natürlicher anmutet als jene so plötzlich
aus dunkel- in lichtfarbige verwandelte Märtyrerinnen, wie auch
der technische Vorteü gewonnen wurde, sogleich im Martyrium
Christophs fortfahren zu können und also eine Zersplitterung
des Interesses zu vermeiden. Was dann in der alten Passio
das schliessliche Ende des Heiligen herbeiführt, ist im deut-
schen Gedicht, obschon in der Stärke verdoppelt, doch weniger
entscheidend, um zu rekapitulieren: die Passio lässt den
ganzen dritten Tag mit Pfeilen auf den Gefesselten schiessen,
dass sie am Abend wie ein steifer Mantel, durch göttliche
Kraft aufgehalten, um ihn herumstehen, am andern Morgen
fliegt dem höhnenden Dagnus, als er selbst den Bogen in die
Hand nimmt und abdrückt, der Pfeil ins Auge, dass er er-
blindet. Der wunderbare Vorgang hat dem deutschen Er-
zähler doch so im Bewusstsein gelegen und gefallen, dass er
einmal mit Speeren, ein zweites Mal mit Armbrüsten schiessen
lässt, aber erstens schiesst beidemal der König selbst als erster,
von dem rückspringenden Speere wird ihm das Bein, von dem
Pfeile das Auge getro£fen, und dann erst wird von allen ein
Angriff eröffnet, ohne dass überhaupt von dem Wundermantel
die Rede ist : vor allem aber ist das Ganze ohne weitere Folge,
der Heide wird verbunden und Christoph in seinen Kerker
zurückgeführt. Hinzugekommen sind dagegen das Zerreissen des
•• •! ••• -• • •
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103 Aasbildnng der Legende. 103
Fleisches mit Haken, das Zersägen der Beine, das Schleifen
mit Bossen und die himmlischen Erscheinungen im Kerker,
fireiUch Züge, die man am ehesten Grund hat, dem Inter-
polator zn^teüen, man könnte wieder in den erweiterten
Passionen leise ankhngende Ahnhchkeiten finden, ohne jeden
Zusammenhang. Das ganze Martyrium dauert in der alten
Passio wie im deutschen Gedicht vier Tage, nur dass in jener
Christoph erst am Morgen des fünften stirht, in beiden wird
er schliesslich enthauptet. Das Gebet, das er vor dem Tode
nach der Legendenschablone zu sprechen hat, hat äusserlich in
beiden wenig gemein, so wenig wie die himmlische Gewahrung.
Wir haben für die Motivvergleichung dieses letzten Teiles
der Legende, des Martyriums, keinen Unterschied mehr zu
machen gesucht, im Allgemeinen wenigstens, zwischen Dichter
und Interpolator, weil sichere Scheidung im Einzelnen nicht
möglich dünkte. Aber die Tendenz des yermutlich Liter-
polierten ist im Grossen doch erkennbar. Wir werden be-
rechtigt sein, das, was unser Gefühl in dem Martyrium des
Heiligen am meisten beleidigt^ auf des späteren Bearbeiters
Rechnung zu setzen, die Lust am Boh-Grausamen, die ohne
poetische Belebung gehäuften Martern, wie einige zusanmien-
gesteilt wurden. Li dem Anschwellen der rohen Martyrien-
reimereien in späterer Zeit mögen kirchlicher Einfluss und eine
plebejische Reaktion gegen die Hypertrophie der höfischen
Produktion sich begegnen. Hand in Hand damit ging das
Wachstum der YorUebe für geistlich moralische Reflexion, wie
auch in unserer Legende. Gegen alles Derartige, gegen das
lange Endgebet, gegen die zweite himmUsche Erscheinung im
Kerker, und so hinauf bis zur Einleitung darf man zuerst
misstrauisch sein, ein Lidizium für die Entscheidung kann die
Wiederholung desselben Gedankens geben wie z. B. im Gebet
des Einsiedlers an Maria Y. 807 ff.
Der zweite Hauptzug aber, der die sinkende Yolksdicbtung
späterer Zeiten und ihre Yertreter charakterisiert, ist die
Neigung zur burlesken Übertreibung. Im Keime vorgedeutet
durch den naturwüchsigen, herzlichen und vor allem naiven
104 K- Richter. 104
Humor der älteren Spielleate entwickelte eie sicli in engster
Verbindung mit der fbrtschreitendeiL materialistischen G«müt&-
fichtungy in Lyrik und Epik zeitigte sie dieselben Erschei«-
nungen und musste YornehmliGh im MaterMlen des Lebens
nach dieser Ursache ihren Ausdruck finden. So ringen denn
in unserem Gedichte die beiden Arten des Heiteren um den
y<M-rang, eme laute derbe Lustigkeit des Enkels überschaut
die ruhige Freude des alten Sängers. Aber um dem jihigeren
Manne Gerechtigkeit wid^ahren zu lassen: dieses Sireben
seiner Überarbeitung wirkt weniger störend als ihre fromme
Tendenz, indem die Betonung gerade des Komischen, über-
haupt die stärkste £raft der apäteren mittelalterlichen Poesie,
in unserem Falle nur als die Ausbeutung einer im Stoff
liegenden Fähigkeit erscheint. Der Biese, seiner dämonischen
Furchtbarkeit entkleidet, hat immer eine ea^ötzlicdie Figur
jm Yolksbewusstsein geqxielt; liess der Dichter das meifar in
«einem Gegensatz zu don Kinde herT<»treten, in dem gemüt^
liehen Verhältnis des körperlich Ungeheure zum geistigen
Herrn der Welt in jugendlichster Lieblichkeit, so machte der
Uberarbeiter den angehenden Heäigen nun zum Kraft-
renommisten und Fresser, bei welchem Yerfiahren auch als
Motiye im Einzelnen durchaus die der späteren Volksdichtung
eigentümlichen verwendet wurden. In «iaem Jahr ist das
Kind Offer so gross wie ein dreisBigj ähriger Mami, zehn
Anmien und mehr müssen ihn nähren und doch noch weint
er vor Hunger'), wie den Aspriän im König Bather kann
ihn kein Boss tragen, kdn Heide, auch hoch zu Boss, reicht
ihm nur bis zum Gürtel, und darüber ist er noch zwölf Klafter
gross; der Vorrat des Waldmanns ist ihm als ein «rüeb-
«cheiben», des Wildbrets trägt er mehr als eine Wagenladung
auf seiner Sdiulter ¥on danaen, und die Buben seines ersten
Herrn sind firoh, als sie ihn los sind: ^Der hätte uns zuletzt
doch noch einmal über die Mauer geworfen''. Als er zu dem
Einsiedler gelangt, da lässt der, wie er ihn sieht, vor Schreck
seinen Wasserkrug fallen, dass er in Stücke bricht, läuft in
«) Grimm Myth. * p. 449.
106 Aasbildimg der Legende. 105
Beine Elause und schlägt den Siegel vor die Thür, denim er
Bieinty der Teufel stehe davor, und einen höUificben Appetit
hsA der Ankömmling auch mitgebracht, dass dem armen Alten
achier um seine Existenz bange wird. — Mit dieser niederen,
Aber nicht unwiiksaanen Komik geht eine ent^rechende Ans-
drucksweise fiand in Hand, die DarsteUuiig ist ungefKgec,
die Verse sind übler, und ia den reflektieraidfin Partieen
kommen die Gedanken nur mühsam zum Ansdrwk. 'Ohacak-
teristisch die An&ngsperiode. Bann aber bemerkt man wohl
eine Neigung zu onomatopoietisehen Worten: craczen» Y. 313,
crensens Y. 518, und der Wortschatz im Allgemeinen zeichnet
sich durch geringen Adel aus.
So sind wir schliesslich wieder zu einem höheren Begreifen
des Ausseren zurückgelangt, das uns als blosses Material zu
einem neuen und tieferen Yerständnis des Innersten zu ver-
helfen im Staude war. Nur ein solches ist eigentlich unsere
Aufgabe, aber mich dünkt, das Ergebnis lohnt einigermassen
des mühseligen Weges, den wir zurücklegen mussten. In
unserem Gedichte, wie wir es in reinerer ürsprünglichkeit
andeutungsweise erschliessen durften, hat die Legende des
U. Christoph ihren eigentlichen und höchsten dichterischen
Ausdruck gefanden, und selbst in der Überarbeitung ist der
alte Beiz und die alte Schönheit keineswegs durchaus ver-
loren gegangen. Der Christoph des 12. Jhs., als wirklich
deutsches Eigentum, ist die schönste deutsche Legende. Ein
Yergleich mit späteren Gestaltungen des Stoffes kann nur
dazu dienen, das noch in besseres Licht zu setzen.
Yon zwei selbständigen deutschen Fassungen sprachen
wir. Die zweite, B, ist es nur insofern, als man einen, der
zwen Herren dient, vielleicht in gewissem Sinne selbständig
nennen kann.
..
Einiges Äussere. B ist ebenfalls von Schönbach heraus-
gegeben^) nach einer Prager Hs. des 15. Jhs., nachdem Hoff-
') Zfda. XXVI, 20—81.
106 K. Richter. 106
mann wie auch von A Anfang und Schluss schon mitgetheilt
hatte ^). Schönbach hat den Text in die Sprache des 13. Jhs.
hergestellt^ eine genauere Eingrenzung der Entstehnngszeit
durch die Jahre 1230 — 39 nehmen wir zu Kenntnis. Dass
auch dieses Gedicht nicht völlig intakt geblieben ist, ab-
gesehen Yon der blossen Umwandlung der Sprachformen,
darauf ' könnte man vielleicht schliessen aus der Erwähnung
der Christophbilder Y. 696 :
alB man in noch gemalten siht
der wärheit zeiner Urkunde,
solch yergen man nü selten vünde,
die ich kaum dem 13. Jh. zuschreiben möchte, wenn ich erst
Bpäter zn begründende Überzeugungen hier im voraus be-
nutzen darf. Aber im Ganzen macht es einen einheitlichen
Eindruck.
Ist unsere Behauptung, dass in dem alten deutschen
Christophgedichte, in der Vorlage von A, die erste G-estalt
der Christusträgerlegende überhaupt zu sehen sei, begründet,
so ist die notwendige Folge, dass wir alle folgenden Fixierungen
dieser Legende mittelbar oder unmittelbar auf diesen Ur-
zustand zurückzuführen im stände sein müssen, und that-
sächlich glaube ich, dass der Verfasser von B mit dem ganzen
ersten Teil seines G-edichtes bis zum Beginne des Martyriums
direkt auf A beruht, wenn wir mit A fortan die erschlossene
Vorlage des ersten deutschen Textes bezeichnen wollen. Wir
haben, wie mir scheint, den interessanten Fall vor uns, das
bewusste Arbeiten eines Kunstdichters an einer oder auf
Grund einer volkstümlichen Schöpfung verfolgen zu können.
Er war, wie seine Sprache ausweist, ein Baier, das erklärt,
wie er zu dem bairischen Original kam. Dazu war er ein
Geistlicher, und als er das alte Gedicht las, da Hess ihn
sein geistliches Bewusstsein bedenklich den Kopf schütteln,
hatte doch die eitle Lust zur weltlichen Unterhaltung sich
nicht gescheut, das Heiligste hier in ihren Bereich zu ziehen.
Doch konnte er nicht verkennen, dass der Gedanke an sich
0 Altdeutsche Blätter 11, 94/5.
107 AoBbildiing der Legende. 107
gross und tiefreligiös war, schade um den Stoff, dass er durch
das Drum und Dran so verdorben war. Da tauchte in ihm
der Vorsatz auf, der überall als eins der wichtigsten Agentien
litterarischer Produktion im Mittelalter begegnet, dem volks-
tümlich Sohen das geistlich Geläuterte entgegenzusetzen. So
griff er das Thema heraus wie einen Edelstein, den er neu
schleifen und fassen wollte.
Denn von vornherein : in bestimmter geistlicher Tendenz
ist die Fassung B entstanden. Geistlicher Anfang, geistliches
Ende. Ein Lob des Höchsten beginnt, eine Bitte an ihn
schliesst Wir erinnern uns, dass der XJberarbeiter von A in
demselben Sinne vorging, und man muss der Versuchung
widerstehen, die beiderseitigen Anfänge als Ausflüsse eines
ursprünglich Vorhandenen ansehen zu wollen. Es liesse sich
sagen : sie laufen beide auf eine Kontrastierung von gut und
böse hinaus, es kommt in beiden das Wort «hantgetät» vor,
die V. B 31/33 cdie si tuont den wirt er iemer holt und
git in jamerlichen solt» klingen an an A 43/44 ctuet er aber
daz nicht, so vert er in ein jamerclich geschieht». Aber einige
Vertrautheit mit der geistlichen Litteratur lehrt, dass das
zufällige unbedeutende Übereinstimmungen sind, die in der
Natur der Sache begründet erscheinen. Der Beginn mit
Gott ist hergebracht, der Gegensatz des Teufels stellt sich
80 leicht ein wie der des Bösen zum Guten, stereotype Wen-
dungen, Worte, Beime werden als Gemeingut erachtet: da
bedürfte es schon einer wörtlich weit grösseren Einhelligkeit,
wenn wir für eine gemeinsame Quelle uns entscheiden wollten.
Dazu kommt der Unterschied in der Durchführung des Themas :
während B in dem Kontrast zwischen Gott und Teufel auf-
geht, windet sich der Interpolator von A durch den Erlösungs-
gedanken und endet nur aus Not in jenen moralischen Gegen-
satz des Guten und Bösen, um aus dem Abstrakten nur
wieder auf festen Boden und zu seinem Helden zu gelangen.
Wie uns also hier ein leiser Zusammenklang nicht von
dem Vorhandensein einer gemeinsamen Grundlage überzeugen
kann, so wenig ist das Fehlen der Jugendgeschichte in B ein
108 K. Richter. 106
Beweis^ dftss sie «ich in A fehlte, weil eben die Tendenz tob
J3 eine genügende ErUänmg dafiir bietet Was Bottte der
geistliche Dichter mit dieser romautasch-ritterlichfiii Gebmt
und EüziehuBgy diesem trotzigen DaTonlanfen Yon ttntker nd
Vater fadnein in die weite Welt? Die wilden Schössfinge einer
heiter fafoulierendein Fhantaeie, sie nmsste er zu allererst un-
barmherzig fortschneiden, sollte etwas Rechtes in seinem Smie
gewonnen werden, nnd so iiiut er's, nnbekihnmert, ob man
xmn wosste, wo? mid woher? oder nidit. Also beginnt er
denn Y. 56:
fiz wnoiia von arte ein edel heiden
des libes ienge unbescheiden,
nnd was gevüege üf manic tugent.
des YÜrgedanc was in der jagent,
er wolt ze Herren niemen h&n,
wacn den man nante den tiursten man.
Wir sehen: nackt wird das Problem herausgestellt, in 'die
schärfste Fonnel gefasst: ein edler grosser Heide will nur dem
Würdigsten dienen, den man den Würdigsten nennt, dem
Höchsten auf der Welt, liegt, mit einer Steigenmg ins
Moralische hinein, in den Worten; weit kräftiger drängen sie
sich hervor als der Vorsatz Offers in A. Dass die immanente
innerlichste Wirkung des Gredankens dadurch zerstört wuzde,
dass eiQ Gedachtes an stelle des Poetischen trat, das empfand
der Umarbeiter nicht So bleibt er denn auch nicht bei der
einfachen grossen F<%e des alten Dichters, der Offer Tom
König zum Teufel, vom Teufel zum Christkind fortschrmten
lässt, er will den Gedazdoen eindringlicher geben und wA
stärkste ausnutaen, die ganae Staffel weltlicher Würdenträger
muss durchlaufen werden: Bitter, Qrsif König, Kaiser, und
von diesem, dem Vogt, kommt 0£Eer dann höchstbezeidmender-
weise zum Papst, dem Vater, dem Herrn des Elaisers [V. 179,
184], dessen Worte man über das römische Beich hin förchton
muss hier und dort [V. 166]. Das kennzeichnet den Mann
und sein Wollen. Ihm ist der Papst die höchste Macht auf
Erden, die Spitze aller weltlichen Herrlichkeit, zugleich der
Nachfolger Petri und also auch der An£a.ng der geistigen G«*
109 Ausbildung der Legende. 109
^walten, denen Offoms dienen moss: mit dem Teufel und Christus
YoDendet sich die Beihe.
Diese Ausgestaltung des abstrakten Gredankens ist mit
bewusster Konsequenz im Einzelnen rollzogen. Denn unser
ümdichter weiss, was er will, er weiss, diass er nicht die "Wahr-
heit erzählt, sondern ein poetisches G-ebüde zu einem neuen
umgestaltet, darum hat er keine Achtung Tor dem Über-
lieferten und schaltet frei damit, wie es seinen Absichten zu
pass kommt. Er ist nicht ungeschickt, auch nicht ganz un-
poetisch. Man beachte, wie er die Übergänge von einem Herrn
zum andern yamert und gesteigert hat: zuerst erzählt man
dem Ofierus von eniem gefurchteten und lobesamen Bitter, er
tritt in seinen Dienst; dann sieht er einen Grafen und trägt
dessen Schild; als der König Ton ihm hört, bittet er jenen,
ihm den Gefolgen abzutreten, dem er nun seiue Heergesell-
schaft anbietet ; er zieht mit ihm auf einen Hoftag des Kaisers,
und als Offer da merkt, wie sich alle vor diesem einen neigen,
und seinen Herrn fragt, wie es darum stehe, wendet ihn die
Antwort dem Höheren zu; der Kaiser aber nimmt ihn mit
nach Rom, um vom Papst Ablass zu empfringen, „in welcher
Höhe ist der Papst ?^ kateclnsiert ihn der Grosse und kündigt
ihm den Dienst nach dem demütigen Bescheide auf, da wird
er el% eine Art Prachtexemplar an Leiblichkeit dem Bjrchen-
haupte gesandt; das cvingerzeigen» des päpstlichen Ablass-
segens sticht ihm in die Augen: so erfährt er vom Teufel.
Man sieht, eine gewisse Mannigfaltigkeit ist erreicht worden
wie sie erstrebt wurde, aber etwas Kahles und AusserUches
bleibt doch, ja es tritt eigentiich um so mehr hervor, je ge-
schickter der Yerfasser sich wenden muss, um dieselbe Sache
in neuen Ausdrücken und Beimen noch einmal zu bringen.
Wie im Grunde doch durchaus fremd er der Poesie des älteren
Sichters gegenübersteht, das lehrt inmitten aller Geschicklich-
keit der eine kleine Zug, dass sein Papst auf Offers Auf-
kündigung moralisch vor dem Teufel warnen kann:
y. 241 „swer im dient, des Ion wlrt sür,
er ist gnoter tagende ein hütgebnr^.
110 .K. Richter. HO
Wie denn der Aufenthalt Offers beim Herrn der Christenheit
vor seiner Fahrt zum Teufel überhaupt eine Geschmacklosig-
keit und ein Widerspruch ist, so wird die köstliche «tumpheit»,
mit welcher Offer einst den König am Morgen yerliess und
au& neue ins Weite lief, cden rechten tiefel» zu suchen, damit
gründlich zerstört^ wir wundem uns nicht mehr, dass B von
dem Auszug in den Wald, von der Jagd, von allem und allem,
was den Reiz des Urgedichtes ausmachte, so rein gar nichts
gebrauchen konnte. Das einzige Ausserliche, das er beibe-
hielt, ist die riesische Grösse des Helden. Aber wieder be-
merken wir den Grund in der Verwandtschaft mit dem Uber-
arbeiter Yon A: an stelle der lursprünglichen, tiefinnersten,
heimlichen Heiterkeit will er einer gesuchten Komik zur
Geltung verhelfen; in den immer wiederholten Fragen, be-
sonders in dem Dialog mit dem Teufel, in dem steten Auf-
sehen, das sein Erscheinen erregt, in der ganzen Vorstellung
einer Art Wundertiers, das zum Ergötzen hoher Herrschaften
hin und her getauscht wird imd trotz ausdrücklicher Belehrung
doch in seiner Dummheit zum Teufel läuft, ja, darin liegt wohl
eine lebhafte und lustige Wirkung, aber gegen Schönbach, der
das Gedicht recht angenehm lesbar und seinen Humor sehr
unterschieden von der gröberen Komik in A findet, stellt sich
mir darin der Gegensatz wirklicher Poesie zu gelehrtem Können
und Wollen dar.
Denn geistliche Gelehrsamkeit ist des jüngeren Dichters
schlimmster Fehler. Sie yerföhrt ihn, als er in der Begeg-
nung Offers mit dem Teufel den Anschluss an die Vorlage
erreicht hat und Tor dem Kreuz des Erschlagenen ihre junge
Freundschaft in die Krisis kommt, die wenigen Andeutungen
von A zu einem umftLnglichen didaktischen Dialog von 200 Versen
auszuweiten. Zwar die Führung des Gesprächs, das muss man
ihm lassen, ist technisch so übel nicht. Was in A leise yor-
gebildet war, die Abneigung des Teufels, auf Bede und Ant-
wort einzugehen, das Drängen des Begleiters, wird zum hin-
und hergehenden Gegensatz herausgearbeitet; sagte in A
der Teufel beiläufig V. 584: „als chlain ein har ist mir
111 Ausbildung der Legende. Hl
bechant^y so ist das in B zum bindenden Yersprecben ge-
worden V. 265/6;
„ich tuon dir allez daz bekant
daz ie mit namen was benant",
daraufhin loben sie Freundschaft und dann heisst es Y. 288:
do mante ern siner Sicherheit:
i^alsö verhiez mir din munt
swes ich dich vrägt, du taetst mirz kunt''.
Dazu kommt noch das Motiv, dass den stockenden und zaudern-
den Teufel eine göttUche Gewalt zwingt, auf jeden Einwurf und
jede Frage nach der Gottheit u. s. w. wahre und ausführliche
Antwort zu geben. Aber diese leidige Ausführlichkeit! Von
Himmel und Erde und den vier Elementen, yom VerhältniB
der Trinität zur ünität^ yon Gottes Allgegenwart und des
Teufels Stellimg im Universum ist die Bede, und nicht des
Teufels Grimm, sondern des Reimenden Freude an den schönen
Gleichnissen vom dreigeiältelten Mantel, der dreigefügten Scheere
und dem dreimal zerbrochenen Spiegel zur Erläuterung der Drei-
und Einheit oflfenbart sich dem Leser. Denn zum Lesen, nicht
zum lebendigen Vortrag ist diese geistliche Bedseligkeit bestimmt,
und aus diesem Grund allein hat B den Einsiedel bei-
behalten, weil auch er eine Latte des Stakets abgeben konnte,
an welchem sich das Füllwerk der erbaulichen Reflexion auf-
ziehen sollte. Denn nachdem Offer sich vom Teufel gekehrt
hat, fällt die Ausführung der Wanderung wieder fort und er
kommt im Handumdrehen zu einem clgraere der ein guoter
einsidel was und an der wisheit buochen las». Der Ausdruck
ist charakteristisch. Und beiläufig enthüllt sich aufs deutlichste,
was für ein Interesse B an der Biesengestalt Offers hat. Die
Naivetät des ersten und das Komisch-Genrehafte des späteren
A sind gleicherweise geschwunden, dafür giebt dem er-
schreckenden cwisen» der Biese die so erbauliche als pedan-
tische Beruhigung Y. 493:
„^ot man, du solt dir vorhten niht.
Bwie lanc gewahsen man mich sÜLt,
ich bin ein mensche sunder spot
und wU nach rate dienen got".
lia E. Bichter. 113
D& hat denn freilich der Alte leichtes Spiel, wenn er dent
moralischen Langen einen gründlichen Vortrag halt über die
zehn Gebote, über die Erbsünde und die Erlösung von ihr,
wie sie auf fiitten der acht Tugenden - - und es folgen die
Kamen — der menschgewordene Gbtt seinen Frommen
gewann, und dieser Exkurs liegt dem Verftusser so am Herzen,
dass er nach glücklicher Beendigung noch selbst das Wort
nimmt, um zu yersichem, dass keiner je im Preise der G-ottheit
«gar zende kaeme», er am wenigsten. Aber Donau und Rhein
tragen grosse und kleine Wasser hinweg und alle sind den.
Menschen nutze: so will auch er an seinem schwachen Teile
fortfahren, kommen doch auch kleine Brunnen schliesslich ins
Meer. Wir denken an Walther von Speier, der in seiner
Sprache auch immer so etwas wie ein kleiner Brunnen zu
sein vorgab, in Wahrheit aber anmassend dahinrauschte, als
wären Donau und Khein zusammengeflossen.
Der Einsiedler hat seinen Dienst gethan, er hat Offer
zum Christen gemacht Der dankt ihm für die «guote lere»,
den grössten Herren, nach dem sein Verlangen war, hat er
eigentlich schon gefunden, mit frommen Batschlägen reichlich
bepackt zieht er weiter. Das ist die wichtigste und zugleich
böiseste Änderung des ümarbeiters, dass der direkte Zusammen-
hang zwischen dem Einsiedler und dem Kern der Erzählung,
den Vorgängen am Flusse, so völlig durchschnitten wird.
Gerade die innere Tiefe des Gedankens, den einen mächtigen
weltlichen Herrn Suchenden in den leiblichen Dienst des
geistigsten Gebieters der Welt zu stellen und dann das Geistige
in leiblicher Gestalt sich ihm offenbaren zu lassen, ging dem
späteren Berufsvertreter jenes geistigen Herren nicht auf.
Sein Offerus geht als ein gläubiger Christ weiter und aus
vorbedachter christlicher Tugendsamkeit macht er sich zum
Fergen der armen Leute. Auch das ist bezeichnend: in A
hat die cschiffung» gerade cabganch», als Offer einen Dienst
finden soll, und als er ihn gethan hat, muss der Fluss aus-
trocknen, B ersetzt diese unbefemgene volksepische Art der
Motivierung durch den moralischen Zug, dass die reichen
113 Ausbildang der Legende. 113
Schifferleute die Armen nicht überfahren wollen, Offer verjagt
sie: €8118 wart er armer liute brücke». Die Kunde dringt
ins Land, und viele kommen, c durch schouwen und durch
übertragen», sagt der Dichter. Und dass solche Neugier
nicht unberechtigt, des zum Zeichen bringt er in dem wunder-
lichsten Sermon seinen Prachtheiligen mit den vier Elementen
in Verbindung, dass «herinc» und cdornöliän», cbiber» und
cvledermüs», cKeii» und cArtüs» um ihn fliegen, schwimmen,
reiten.
Durch solche Abschweifungen und Anmerkungen verdirbt
sich B auch die Elussscene. V. 856 «arbeit durch got ist
guot vür Sünde» und derartige Gemeinplätze in ihrer Auf-
dringlichkeit stören die lebendige Realität des Geschehenden,
die in A gerade erreicht war. Das Genrehafte ist auch hier
verkümmert, durch das völlige Fehlen des Einsiedlers hat die
dreimalige Wiederholung etwas Monotones bekommen, die
Betonung des armen £[indes, eine Klage wie „nü wilt du
ruon und last mich hie" giebt eine sentimentale Färbung, die
dem frischeren A zu seinem Vorteil durchaus mangelte.
Elndlich die Lächerlichkeit, an stelle der schönen Worte
Offers in A
„und trueg ich himel nnd erd
auf mir, ich tmeg so swer mcht,
als mir heint von dir geschieht^
den Offer klagen zu lassen:
„swaerer denne ein boom
bist du, liebez kint, üf mir".
So haben wir aus dem Charakter des Ganzen die inhalt-
lichen Abweichungen der Fassung B von A zu begreifen ver-
sucht. Es ist nichts in B fortgefallen, nichts in B hinzu-
gekommen gegenüber A, wofür nicht die Tendenz des Verfassers
genügende Erklärung gäbe.
Es würde das ausreichen, um, in Ermangelung anderer
möglicher Quellen, die Benutzung von A durch B festzustellen.
Wenn wir dazu noch die hauptsächlichsten wörtlichen Anklänge
ausheben, so soll das nicht sowohl diese Meinung bestärken,
als vielmehr den Beweis liefern^ dass B direkt den Text von
8
114
K. Richter.
114
A Yor sich hatte und nicht etwa bloss aas der Erinnerung
ihm folgte ;• was auch fiir die Art, wie B seinem Stoffe gegen-
überstand, wie er arbeitete, bezeichnender ist. Es begegnet
ihm freilich selten, dass er Ausdrücke von A beibehält, die
m seinem Gedichte nicht mehr recht angebracht sind, so
wenn, obschon Bitter, Ghraf, Kinig, Kaiser, Papst stets amr
rechten Zeit da sind, wenn sie gebraucht werden, und von
einem Suchen Offers ihnen gegenüber eigentlich nicht die
Bede sein kann, es dennoch heisst Y. 64: «den [ritter] be-
gunde er suochen willeclich». Weit mehr sind manche Worte
und Wendungen, auch Beime, die zwar vereinzelt in beiden
Teirten gar nichts Auffalliges hätten, in ihrer Masse Zeugen
eines direkten Zusammenhanges. Also eine Auswahl:
B
g'evüege üf manic tagent 67
masseme 81
jungelinc 108
da lao ein toter man begraben. 267
ob des grabe was erhaben
ein kriuze nach der marter site,
da bezeichent man die Christen mite.
mich vorhtent ouch die linte
hart, 300
beidiu wip onde man.
ez was aber dem tiuvel leit, S27
wand er gnote wärheit selten seit,
niemen mac sich min erwern 445
nü hat ein tinvel mir geseit 512
ein phlüm tief unde breit 693
Offerus der lange man 644
von des guoten mannes lere
begonde vröttwen sich vU sere.
nü seit man in dem lande
maere 729
daz M dem selben waazer waere
ein man . . .
an tagenden was niemant sein ge-
nozz 82
massenei 264
den edeln junglinch 171
da het ein Schacher einen ver-
sniten, 620
da sazte man ein chreuz i^ man
noch tut,
daz-zaichen ist des Christen geniat.
freien und grafen furchtent
mich 585
der tiefel ward grimig gar, 667,
daz er het gesagt so war.
niendert so lebt mein geUeh 586
daz ez der rechte tiefelwas 596
des meres phlum, ist tief und
weit 830
Offorus der vreut sich do 859
und was innereliche vro,
das im dervil gut maa
so recht het chund getan,
also erschallen die mer 925
daz ein man chomen wer,
der trug über wer dar chem
und chain miet dar umb nem.
IIB
Ausbildung der Legende.
115
und waere des muotes so gevnegey
daz er durch got über trnege
arme liut, swaz im der kaeme,
und doch von in niht zinses naeme.
ditztreiperalsomanege stunde 744
er huop sich über an stn ge-
mach 888
und do er da hin über kam, 837
rehte alse er ez vernam,
do enkunde er sin niht vinden.
er huop sich an die kalten ünde 855
do er kam in mitten des meres
phlüm 911
da hieze vor Offerus, 921
nft heizest du Ghristofferus.
du hast Christ üf diner ahsl ge-
tragen,
daz mäht du der heidenschefte
sagen,
wand ich binz Jesus Christ, din got.
daz traib er so lange dar 938
[0. sich] hueb her wider über den
paoh. 1025
er gedacht, „ich wil zu gemach . , .^
und do er hin über cham 971
und des chindleins war nam,
do was ez verswunden,
daz er sein nicht sehen chunde.
dem iezt erchuelt waren die
pain 942
von dem waten hin und her . . .
do 0. auf daz wazzer enmitten
Cham 1089
e wastu genant Offorus, 1107
nu soltu haizzen Christofforus,
dar umb daz ich Christus pin
gib ich dir meinen nam zu dem
deinen hin.
Dazu gesellen sich einige Stellen, in denen eigentlich
unterdrückte Motive doch noch leiae anklingen, an ursprüng-
lich ihnen fremdem Orte verwundert aufbauchend:
er enhete doch helfandes niht, 157
ich waen ze gän im dar geschlht;
in enmoht kein ros getragen,
weder olbeht noch der wagen,
er dühte den keiser wandel-
baere, 193
er aht daz er sin kempfe waere
in Sturme und in striten:
swä man vinde solte biten,
d& mohte er Roemisch er wol
zieren
und ein her ensohumphieren.
Unwillkürlich erhebt sich
Frage, inwieweit wir etwa aus
der was so grozz an seiner
chraft, 215
daz in chain ros getragen macht,
gegen den gestenchert er ze fuzzen.
die vreuten sich der mer, 269
daz ir junger her so starch wer
und sprachen „wer sol nu wider
uns?
mein herre, der jung Offorus
bestet ein ein ganzes her,
wan er ze jarn chumt, mit ritters
wer".
aus solchen Vergleichen die
B noch Gewinn für die Er-
8*
116 K. Richter. 116
Schliessung Yon A^ oder yielmehr seiner Vorlage, ziehen könn-
ten, und es wäre ja denkbar, dass aus beiden Gestalten mit
einiger Sicherheit eine ürgestalt sich eruieren liesse. So meine
ich in der That, dass zum Beispiel jenes Motiv, welches Offer,
weil kein Eoss, ihn zu tragen, stark oder gross genug ist, zu
Fuss gehen lässt, gegen unsere Zweifel durch die Koinzidenz
Yon B und A als ursprünglich erwiesen wird. Andererseits dürfte
man sich den Glauben, dass gewisse niedere Ausdrücke und
burleskere Scenen in A von dem späteren Interpolator her-
rühren, bestätigen lassen durch eine Zusammenstellung etwa
der Verse
B 470 sin sohoene gunde er dö A 669 daz feur wegund von im
verkeren : prechen,
er wart swarz ab ein kol das gestanch ward von im
rechen,
femer der ersten Begegnung Offers und des Einsiedlers. Aber
in dem letzteren Falle schon könnte man die Abweichung auch
durchaus aus dem genrefeindlichen Charakter des Umdichters
begreifen, und so liegt bei derartigen Bestituierungsversuchen
inmier die Gefahr nahe, dass man schliesslich in eine yage
imd oberflächliche Verschönerung verfallt, weil die Grenzen,
die dem Charakteristischen zu stecken sind, unmöglich mit
Sicherheit sich berechnen lassen. Auch aus dieser Erwägung
werden wir gut thun, die beiden Hauptabweichungen in B,
das Fehlen der romantischen Jugendgeschichte und die be-
deutungslosere Stellimg des Einsiedlers, rein aus den allge-
meinen Tendenzen der Bearbeitung des in A Überlieferten
herzuleiten, wie wir es gethan haben.
Um so eher haben wir die Pflicht einer solchen Be-
schränkung, als sich für das untergeordnetere Gehaben des
Alten in B noch eine fernere Erklärung aus dem Fortgange
ergiebt. Im weiteren Verlaufe, für das eigentliche Martyrium
des Heiligen, und das ist die zweite wichtige Thatsache für
unser Gedicht, folgt der Verfasser in engem Anschlüsse der
älteren lateinischen Passio.
Es wirft das ein neues Licht auf sein Verhalten gegen-
117 Aasbildung der Legende. 117
über der deutschen Überlieferung in A. In A sah er eine
wüste Fabely aus der er willkürlich herausriss, was er in
edlerem Sinne benutzen zu können yermeinte, die Passio [yor-
läofig P] ist ihm der authentische Bericht von des Heiligen
Leben und Sterben, den er in deutsche Verse umsetzt. Wir
werden betrachten, wie weit er Eigenes zu geben oder Über-
liefertes anzutasten wagt: das Ergebnis kann nur unerheblich
für den auffallenden Kontrast der Benutzung Ton A und P
sein, und alles erhärtet nur den überall wirkenden geistlichen
Berufscharakter des Mannes, der dem älteren Kollegen mit
Achtung, dem Spielmann, yielleicht gar dem klosterflüchtigen
Spielmann mit Verachtung begegnete, jenen neukleidete, diesen
bestahl.
Der Gegensatz kommt hart zur Erscheinung in dem Über-
gang Ton einem Teil zum andern, Ton A zu P. In A hatte
der Einsiedel, nach dem Austrocknen des Flusses, Ton der
nahen Stadt und dem Heidenkönig, der die Christen yerfolge,
erzählt, und Christoph machte sich dann dahin auf den Weg.
P aber beginnt mit der Angabe der Namen Samos imd Dagnus
und der Erwähnung, dass der Herr dem fremden Manne seine
Taufe und die Erweckung vieler zum Glauben durch ihn an-
zeigte. Die in der bekannten Fassung von P yielleicht etwas
yerderbten Worte mögen B den Mut gegeben haben, die Er-
zählung von der Taufe des Heiligen im Flusse, wie sie in A
einmal vorlag, dem weiteren Berichte von P vorzufugen. Dieser
bringt weiter die angekündigte Taufe aus himmlischer Wolke,
die über dem Begnadeten erleuchtet, und eine hinmilische
Stimme erklärt ihm die Bedeutung: „Ecce accepisti baptis-
mum in nomine domini et s. trinitatis^. Darauf betritt Christo-
phorus den Boden Syriens. Welche ofi&ziellen Züge B nicht
unterschlagen zu dürfen meint und derart mit dem aus A
Übernommenen vereinigt, dass bereits der taufende Christus
selbst seinen Täufling in die Heidenschaft sendet und ihm den
Martertod befiehlt, V. 934; er dingt sich ihn zum «schilt-
geseUen» und verschwindet. So kann jene cnebula de caelo
descendens» von P nur noch als ein Umhang der englischen
118
K. Richter.
118
Offenbarung des heiligen Gastes erscheinen, die dem ans
Land Gestiegenen die genauere IMrektiTe giebt: „yar zuo
dem künec Dagnus"" [Y. 960. 965. 968].
Auf diese Weise hat B in der Person Christi ^e Höhe
des Ganzen und in seinen Worten einen Gipfelpunkt erreicht,
zu welchem die Vorgeschichte hinaufläuft, Ton dem das Marty-
rium abrollt. War die ungezwungene Art, in der A die Er-
zählung einfach weitergehen liess, Yolksepischer und poetischer,
so hat B in jener langen Bede Ohristi im Wasser, obschon
sie poetisch so unerfreulich wie möglich ist, doch eine ge-
schickte ionere Verbindung seiner beiden Quellen hergestellt,
und wenn man sich sämtliche anderen Überlieferungen der
Christophlegende einmal verloren denken will, so würde
kaum jemand auf den Gedanken kommen können, in B hinter
V. 925 einen tiefen Einschnitt für die Herkunft des Stoffes zu
machen.
Eine grundsätzliche Freiheit, die sich B im Weiteren
gegenüber P erlaubt, ist eine solche, wie sie jeder Versifikator
eines Prosatextes haben muss : mit dem Dialog freier zu schalten,
Direktes in Indirektes umzuschreiben, Bede und Geschehen in
ihrer Folge zu yertauschen. Ein Beispiel:
y. 1060 nu yiel er dicke üf siniu
knie
und bat sinen schephaere
daz er im da genaedec waere
und ein zeichen von im liese
geschehen
daz alle die da möhten sehen.
V. 1075 er nam ein holz unmäzen
groz,
ein domenstap, der rinden
bloz,
der himels wise, gotes werde,
und stiez in vür sich in die
erde,
do truoc er blnomen loup und
este.
P 2 respiciens ad illoiji populum ora-
bat dicens: domine deus omni-
potens, da mihi, ut credant per
me nomini sancto tuo. Et tenens
virgam ferream in manu sua,
fizit eam in terram et dizit:
domine, deus mens, fac virgaji^
meam fiorere et ramos bonos
habere et folia formosa, quo-
modo mutasti in Cana Galilaeae
aquam in vinum.
119 Ansbildung der Legende. 119
Überhaupt kommt es B auf eine genaue Wiedergabe dee Diar
loges am wenigsten an, und wie er zwar manche Heden fast
wörtlich übersetzt, z. B. :
14S8 d6 sprach der edel wise P 5 sanctus dei Ghristophorus . . .
schone: dixit ad illaa: Levate vo8, filiaa
„stat üf, ir tohter, gotes kkit, meae, nolite timere; stare aatem
als diu yon im gesegent sint, habet ante Judicium dei, qui vos
and Torht iu niht, daz ist min transmisit ad me,
rät.
der iuch d& her gesendet h6t,
der mnos vor gotes gerihte
stän^.
SO lässt er ein andermal jene höhnischen Invektiven der Nicaea
und Aquilma gegen die Götzenbilder, die eine der bestea
Wiikimgen in P sind, einütch fallen, um wiederum nftch Be-
lieben die iSi^^n Bekehrungsreden Christophs einschieben zu
können, der in diesem zweiten Teile etwa die Bolle eines ge-
fangenen obstinaten Wanderpredigers spielt. Z. B. Y. 1066 — 74.
1126—32. 1181—1214. 1236—49. EBerbei kommt der Sucht
des Dichters, eigene allgemeinmoralische Exkurse einzuschieben
oder doch wenigstens ein paar kleine Erbaulichkeiten anzu-
bringen, der unterschied im innem Habitus der beiden Sprachen
und Zeitperioden zu gute. Die Sprache von P ist kurz und
.dramatisch, sie hegleitet ein überhastetes Oeschehen mit zuge-
spitzten k<Hiiprimierten Reden, in denen grosse Gegensätze
ballspielartig immer wieder hin- und hergeworfen werden, nur
durch diese aufdringliche Leidenschaftlichkeit wird ein Inter-
esse an den sonst nicht gerade poetischen oder eigentümlichen
Vorgängen erregt Dazu tritt die Wucht eines in sich halb
versteinerten Idioms und seiner altüberlieferten, ehrwürdigen
Worte und Phrasen. Der deutschen Sprache aber war zu
der Zeit, da B entstand, schon die höchste Leichtigkeit und
Ausdrucksfähigkeit wieder Terloren gegangen, die eine neue
Leichtigkeit des Lebens ihr vor kurzem verliehen hatte; was
ihr geblieben war, eine grössere Geschmeidigkeit und Bequem-
lichkeit, diente nur, dem innerlich ruhigeren Gemütsleben der
Menschen zu einem behaglichen Ausdruck zu yerhelfen. Es
120 ^- Richter. 120
bliilite die Moral, und ein didaktischer Strom war in stetem
Wachsen begriffen, um in kurzem weithin die litterarischen
Auen zu überfluten. Die Kraft der Yolksepik war längst
vorbei, wie denn A und B als charakteristische Zeiterschei-
nungen durchaus gelten können. Auffallig: Schönbach hat
B mannigfache Entlehnungen und Anklänge aus und an Frei-
dank aufgewiesen, und wenn man sich etwa das Gedicht vom
König Oswalt ansieht, so bemerkt man, wie eng sich die Art
der Ausdrucksweise von A an Stellen, wo sachlich Ahnliches
gesagt werden soll, mit der seinigen deckt. Auch sonst könnte
man die beiden, A und Oswalt, in eine artige Parallele stellen :
Speisescenen, Jagdscenen und vor allem der immanente Ge-
danke der weltlichen Entsagung eines Höchsten hier wie dort :
volkstümliche Heiligengeschichten. Die Unterschiede der Kompo-
sition verkenne ich nicht, die aus der Verschiedenheit des Stoffes
sich ergeben; aber man erlaube den flüchtigen Vergleich, der
zeigen mag, wie sich Empfinden und Denken in derselben
Richtung den Ausdruck suchen:
A Oswalt
1111 Christus zu Christoph: 2909 Oswalt zu Aaron:
daz du solt gewaltiglich undgeloubestdüaninkreftecliche,
mit mir besitzen daz himelrich. so besitzest du daz ewige himel-
• riche.
1107 e wastu genant Offorus, 3032 vor hieze du, richer künic, Aaron,
nu soltu haizzen Christofibrus. nü solt düZentimus werden genant.
1627 do Cham manich engel schar 3097 got sante ein engelische schar,
undnamenderhailigen sei war die nämen dö der seien war;
und fürten si alle gelich
mit gesanch in daz vron unde vuorten wirdecliche
himelrich. si in daz ewige himelriche.
944 got wolt in versuchen mer 3163 sant Oswalt den vürsten here,
den wolte got der herre aber ver-
suochen mere.
549 bueben 3320 hofbuoben
1125 ze hant verswant Jesus 3429 da mit der himeÜsche heilant
vondemhailigenChristoffoms. üf sant Oswaldes hove verswant.
Man vergleiche die entsprechenden Stellen von B: da ver-
schwindet das Kind nicht eher als bedeutungsvoll auf den
grossen Sinn des Ereignisses hingewiesen ist, Y. 936/7:
121 Ausbildung der Legende. 121
BUS wart er Jesus scliiltgeaelle ;
da mite ez sä von im verswant; u. s. w.
Den inneren Widerspruch zwischen der Gestalt seines Christoph
und all dem frommen und gelehrten Gepränge empfand der
Verfasser nicht.
Es ist nicht leicht^ im Einzelnen für die Worte von B
eine motivierende Vergleichung mit P durchzufuhren, weil
seine Vorlage offenbar zwischen P und M [Mombritius] in
der Mitte stand. Einige Belege genügen, von welchen
für P sprechen:
V. 1086 der selben diet er do bekerte ahzehen tüsent über al.
F 2 crediderunt in eum millia hominium decem et octo.
M ad octo milia.
y. 1099 der hohe künec Dagnus. P Dagnus rex. H Danus imperator.
V. 1595 si bran alsam ein rose rot, der tou nach sunne ir helfe bot.
F 9 facta est flamma iUa tamquam ros qui de caelo descendit.
M facta est quasi nebula.
V. 1860 schür, viwers brunst, gaeher tot, hungers zadel.
F 15 grando, ira flammae, fames, mortalitas.
M fames, captivitas, mortalitas.
Für M sprechen:
V. 1075 er nam ein holz unmäzen groz, ein dornenstap, der rinden bloz.
F 2 tenens virgam ferream in manu sua, ferream fehlt in M.
V. 1079 do truoc er bluomen loup und este.
M virga floruit et ramos misit et folia protulit.
F 2 quoniam virga illa floruit.
V. 1315 si jähen an der selben stunde alle mit gemeinem munde.
M at illi una voce respondentes. F 5 dixerunt milites ad illum.
V. 1703 „wilt du mit zouber mich bekem«?
M „et me vis lucrari per tuas magicas artes^?
F 12 „numquid et me vis in tub maleficiis adducere"?
V. 1816 „gan wir und sehen den zouberaere".
M „eamus et yideamus magum illum^.
F 14 „ ... illum maleficum''.
V. 1801 daz understuont sin engel snel.
M divina virtute. Fehlt in F 13.
V. 1919 der künec die naht mit kumber ranc.
M incidit in tedium. Fehlt in F 16.
Weder für P noch für M spricht:
V. 1519 Kiceä strihte ein tiuren gürtel ab der siten. dem abgote umb
den hals sin swanc daz da Jovis was genant. Aquilina ouoh
12S E. lUchter. 132
zehant tete dem fuadem da alsam. sns zuhten eis die hoehe
nider.
P 7 Kicaea aolTit oinctorium soomi et posuit in ooUo Jovis, et
traxemnt ambae. Similiter fecerunt et Apollini.
M Nicea et Aquilina solverunt zonas suas posuemntqae eas ia
ooUo Jovis.
Eiinuem wir uns, dass auch Walther von Speier eine von P
und M gleicherweise entfernte G-estalt der Passio benutzte,
80 gewinnen einige Anklänge an seinen Prosatext trotz ihrer
leichteren Natur erhöhte Bedeutung und sind doch ins Auge
zu fassen. Wenn es B Y. 1047 von der Frau, die in die
Kapelle vor die Stadt treten will, um zu beten^ heisst:
si bete oucb dar ir opber brftbt;
des si den goten bete gedäbt,
daz lie si gar da ander wegen,
SO denken wir an W [Walthers Prosa] vin «quae ex voto
paravit, in manibus portans», aber M «ut sacrificaret idolis>
genügte auch zur Erklärung^ während P 2 «ut adoraret idola»
am fernsten steht. Y. 1218 «aus gie er vroelich mit in dan
ze hove üf den palas», W xi «palatii fores audacter intrabat».
Y. 1750 «süle», W. xxv «lignea statua»^ P 13 «lignum magnum», M
«trabs magna». Es ist wohl manchmal ein Mangel der Yor-
lage, der zu kleijien Auswüchsen an derselben Stelle führte,
zu bemerken. W xyi fühlt das Bedürfnis, den plötzlichen
Entschluss der beiden gläubig gewordenen Buhlerinnen, den
OCttem zu opfern, wozu die ganze Stadt feierlich eingeladen
werden soll, besser zu motivieren: «ut in conspectu omnium
celebrius diis holocaustum possit offerri»; B aber lässt den
König glauben, sie stellten dieses Yerlangen, «daz man si
desto Werder biete, da von groezer wurde ir miete», Y. 1489/90.
W xxrv nach der Marter des «scamnum ferreum» und der
Todesandrohung des Königs: «sed quia iam paratam cenam
Vesper serus admonuit, eo in custodia relicto confusus abscesait
[rex]»; B 1721 «er hiez in balde vallen an und ziehen als
ein lewen dan und legen in 4ie prisün. der künec vuor npi
den sinen dan». P 12 giebt nur den Anbruch des folg^ideji
Tages: «alia autem die jussit adduci», den aber W und B
123 AuBbildang der Legende. 1^3
auch markieren, umgekehrt kami bisweüen die üiddarheit
der YcM'lage zu grossen Differenzen ftfaren. So wird es nicht
durchaus deutlich, ob bei dr Beschimpfung der Götzenbilder
im T^npel durch Nicaea und Aquilina der König zugegen
-ist oder nicht, wenn auch die Ausdrücke P 7 «audiens» und
«▼eniens» für das Letztere zu sprechen scheinen. W bestimmt
ausdrücklich xvn «unus circumstantium exivit, qui rem gestam
apud regem diffiunaret» und «invitatis ante se per intemuntium
eororibus» ; B hingegen lässt sie auf die gestürzten treten, «daz
ez der künec selbe sach» und zu den Seinen ganz verdutzt
Unfragt „herr, waz ist d^?«* [V. 1531. 34.] Schwierig-
keiten machte ferner sdion W d^ Satz in P 13 : «et yenientes
soilites secundum <Nrdkiationem regis temas sagittas sagitta-
Tenmt super eum», und er suchte zu bessern xxy: «dispositis
quoque tribus in ordinem sagittarüs, qui in eum jaoula
mitterent», B aJber lässt die Zahlangabe ganz auf sich be-
ruhen: «dd wart er ir alier zil, die üf in schuzzen der was
vil» V. 1786.
Es ist ersichtüeh: zu einem positiven Behaupten kann
dieses alles nidiit berechtigen. Dazu kommt ausserdem, dass,
wenn man solche geringen Aiddftnge als Beweise eines Zu-
sammenhangs gelten lassen zu müssen m^nte, wir noch
grosseren Anlass hätten, an die lateinisch-griechischen Er-
weiterungrai der alten Passio zurückzudenken, indem diese
und B einige Ähnlichkeit in der Episode der ausgesandten
Soldaten zeigen. Wir erinnern uns, in welcher Weise sie
durch Einfügung eines Speisewunders und langer Bekehrungs-
reden ausgeführt worden wio*, um das unvermittelte Bekennt-
nis der Zwei- resp. Vierhundert in M resp. P mit den übrigen
Ehreignissen zu verknüpfen. B weiss wie P von einer zwei-
maligen Abordnung von je 200 Mann zu berichten ; während
aber die erste Schar in P vor dem Anblicke des Heiligen
forchtsun umkehrte und er sich der zweiten freiwillig ergiebt,
um mit ihnen vor den König zu gehen, be&ehrt B beide
gleicherweise durch einige wohlfeile Beredsamkeit des von
ihn^i Gesuditen. Es weicht aber von den bisher bekannten
124 K. Richter. 124
erweiterten Texten dadurch ab, dass diese einmal mit M nur
von einem einzigen Haufen abtrünniger «milites» Kenntnis
haben und dann auch im Verlaufe diesen auf andere Weise
planmässiger benutzen. B erzählt von einer ausgreifendeu
Umfrage des Königs unter seinem Gefolge, und ganz im
Allgemeinen heisst es, dass wohl achthundert Ritter auf ihr
Bekenntnis zu der neuen Irrlehre ihr Leben verlieren [V. 1336]:
von jenen bestimmten Vierhundert ist dabei nicht die B^de.
Man vergleiche weiter V. 1413/16 «si zierten wol ir klären
lip an kleidern so mit Muocheit», Lb «iube eas vestibus
preciosis indui variisque unguentibus deliniri», auch Lc 6ae.
Wie aber diese letzte leise Berührung doch wohl leichtlich
aus der Sache heraus in B selbständig sich eingestellt haben
könnte, so mag ich auch jene erste Beziehung nicht für so
zwingend erachten, dass sie uns nötigte, in der unbekannten
Vorlage von B genau Entsprechendes anzunehmen. Denn ee
wäre in anbetracht der im allgemeinen etwas propagandisti-
schen Färbung sehr wohl möglich, dass auch diese Doppel-
bekehrung sich in B eigentümlich herausgebildet hätte, zumal
sie doch von den verwandten Ausgestaltungen des Motives
nicht unerheblich sich imterscheidet.
Diese Erwägungen liessen sich eher zum Austrag bringen,
wenn nicht B, so treu es anscheinend und im Grossen und
Ganzen auch wirklich seiner etwa P entsprechenden Vorlage
folgt, doch einige Auslassungen und Abweichungen zu ofiFen-
barer eigener Verantwortung trüge. Es unterschlägt den
grossen Stein, der der hängenden Aquilina an den Füssen
befestigt wird: P 8, es giebt der Nicaea nur einen Schlag
auf den Mund, anstatt ihr einzeln die Zähne ausstossen zu
lassen V. 1563 *» P 9, es stäupt Christoph nicht mit eisernen
Buten P 10, sondern nur mit Gerten und Stecken, und wie
wir in diesen Fällen doch vielleicht ein halb menschliches,
halb ästhetisches Missbehagen als Ursache des sichtenden
Verhaltens vermuten dürfen, so war ihm die Marter des
glühenden Helmes P 10 etwas unbequem Fremdes und vollends
die Intervention der drei «consules» musste unbedingt geändert
125 Ausbildimg der Legende. 125
werden, und so änderte er denn gleich resolut. A hatte
gerade aus dem charakteristischen Helm Gewinn ziehen können:
ein neugieriger Scherge will sehen, was der Heilige wohl drunter
mache, er hebt ihn ab, da schlägt ihm die Glut unter die
Augen, dass er kein Wort mehr spricht [V. 1347 ff.]. Zu
Derartigem war B zu erfindungsarm : er behalf sich mit einem
altüberkommenen Motiv, halb deutsch, halb biblisch und darum
ihm doppelt recht, «ditz was des küneges ¥nirmgarte». Drachen,
Nattern und Erröten hausen darin, und wenn der König einen
töten wül, lässt er ihn hineinwerfen : «der seite niht her wider
maere». Da sperrt man auch den hl. Christoph ein. Y. 1641 ff.
Das hat sicher nicht in X gestanden.
und auch die Abweichungen im Kleinen und Kleinsten
sind geeignet, uns in der Meinung, dass wir B einen be-
scheidenen Einfluss auf die Wiedergabe der Vorlage zutrauen
dürfen, zu bestätigen, weil auch sie als charakteristisch gelten
können. Ausserlich teilt B mit der Spielmannspoesie die Vor-
liebe für reale Zahlenangaben, und er häuft oder modifiziert
die, welche ihm P überlief ert. Werden in P 2 18000 Menschen
bekehrt und getauft, so lässt B nur 2300 von ihnen sofort
der Taufe teilhaft werden [Y. 1089], und ein andermal hat
er ganz genau 1052 Konvertiten gezählt [V. 1881/2]. An-
statt der «millia hominum quadraginta et octo et animae
centum undecim» sind bei ihm der neuen Christen schliess-
lich 60000 [V. 1985]. — Grundsätzlich, und das ist doch
überaus bemerkenswert, hat auch B die Hundsköpfigkeit des
Heiligen ignoriert : der deutsche Christoph durfte einmal nichts
Abstossendes haben. Alle die Anreden: „Canine et fax
mala**, etc. fallen demzufolge fort, das Erschrecken der Leute
vor ihm erscheint gemildert, und dem 'Namen der Passio
«Seprobus» ist doch der freierfundene von A «Offerus» in be-
wusster Änderung vorgezogen. Vielleicht in oberflächlichem
Anklang an das «genus Canineorum» P 1 giebt B V. 1237
«Galiläa» als Geburtsland des Heiligen. Auch etwas von dem
Hiesischen, wie es in A ausgebildet war, behielt B als ein
Hos P gegenüber bei, ohne sich freilich die Poesie desselben
136 £• Biohter. 126^
tiefer anzueignen und zu nutze zu madien, ja man könnte
hierin sogar in diesem: voiä A sonst unabhängigen zweiten
Teile einen wörtliehfen iänftuss bemerken, etwa
y. 1093 innen des seit man dem A 1215 do ersohollen vor dem
künege maere haiden diemer,
daz ein risenmaezec man da wie ein grozzer man chomen
waere wer
y. 1055 ein man der ist so un- A 215 der was so grozz an seiner
gevaege, chraft
daz in ein helfant niht ge- daz in chain ros getragen
trüege. macht.
Den «helfant» liebt nun B einmal [vgl. Y. 157]. Übersetzt
und übergesetzt wird eine Bede des Dagnus aus P 4r:
^Quomodo possum istum, qui inter feras nutritus est Tincere,
si non inveniam diversa tormenta?" als V. 1396/6 „wand
er ist ein wilder man, erzogen bi tieren in dem tan^; und
aus Eigenem erzeugt B ein Bild: Christoph wird «als ein
lewe in die prisün» gebracht Y. 1722, und einen Scherz: wa
dem langen Prediger die Pforte Terschlossen wird, «da luogte
er ebene zuo in übr die wer von der zinnen» Y. 972. Aber
weit selbständiger als in diesem fabulistisch Märchenhaften
bewegt sich B im höfischen Element. Die Beschränktheit
und Freiherrlichkeit unserer Yorfahren, um die man sie
wieder und wieder beneiden muss: Begebenheiten und Zu«
stände der Yergangenheit in Äusserem und Innerem aktuell
darzustellen, kommt selbst ^em B noch zu gute. Christoph
ist der «gotes kemphe» Y. 1124, seine Gegner sind sarra-
zenische Bitter Y. 1109/10, sie werden «gewäpent» Y. 111*
und «vam zorsen» Y. 1146, „wilkumen, ir edel ritterschaft!*
ruft der Heilige ihnen entgegen Y. 1171, und gemeinsam
ziehen sie «ze hove üf den palas» Y. 1219. Für «kleider
phärit Silber golt und ander manegen rtchen solt» stehen die
Sarrazeneii im Dienst; als sie ihrem Herrn aufsagen, werfen
sie ihm den Lohn «smählieh» zu Füssen [Y. 1313. 14. 26].
An drei Stellen heisst Christoph «sarjant» [Y. 93. 709. 1787],
und ein bezeichnendes Intermezzo ist eingeschoben Y. 1755 — 88:
ein Sarrazen schmäht den Starken, der «ein her enschumphiern»
127 Ansbildnng der Legende. 127
köoBte, daas er sich «äne wer» martern lasse, und Christoph
verweist auf Jesus:
„sich enwolt niht wem der sterkste mBn
der menschlich bilde ie gewan,
do man im wirs tete denne mir''.
Auch ist das Lokal deutsch und zeitgemäss. Zwar will Schön-
bach einen ^Ungeheuern Sprung'' in dieser Beziehimg vom
ersten zum zweiten Teile wahrnehmen: mit Y. 1001 werde
man „nach Samos in Syrien zum König Dagnus in altheidnisehe
Zustände versetzt'' ; aber wenn man das Becht hat, auf den
intensiven Charakter des Heimatlichen im ersten Teile von A
binzuweisen, so ist bei der Gleichgiltigkeit, mit welcher B der
Natur und der Umgebung überall gegenübersteht, ein Unter-
schied zwischen Vorgeschichte und Martyrium sicherlich nur
insoweit zu machen, als eben jene den in ihr mitwirkenden
Personen nach in Deutschland-Italien, dieses ebenso den Namen
nach im Orient spielt, so jedoch, d^s die wenigen greifbaren
Yorstellungen auch für das Martyrium nicht bewusst fremde
geblieben sind. „Jube mundah plateas totas" heisst es in
PM 6, das lässt B völlig beiseite; an stelle der «quadraginta
orcae olei» P 11 giebt er «zwene soumaere mit ole» Y. 1688.
cJove Apolle Triniant Amor Machmete» Y. 1883/6 werden in
einem Atem genannt, ist das ein „altheidnischer" orientalischer
Kalikreis oder der unklar fabulose eines biederen Deutschen
des 13. Jhs.? «Keiner guotes niene tete» [Y. 1886]: das
wuBste er, sie stehen auf Säulen, reichgesohmtickt mit «safifir»
und anderen edlen Steinen, «phelle» und «siglät» darum und
daiunter, auch das, aber wahrlich stammte diese Kenntnis nicht
aas seiner Yorlage. Auch die Sitte, dass der König sich bei
den Seinen Bates erholt und seine Weisen fragt, brauchte er
nicht aus P zu schöpfen und konnte es nicht: ma^ vergleiche
nur B 1726 ff. mit A 1410 ff. [In B findet sich der König
die Antwort selbst.]
Nein, sondern all diese Kleinigkeiten sind Ausflüsse einer
bereits in langen Jahrzehnten ausgebildeten litterarischen und
gewissermctssen auch kulturellen Tradition. Ihr gehört gleich-
128 K- Richter. 128
falls der letzte Zug an, den wir als merkwürdig zu erwähnen
haben, die Neigung, der Königin eine Bolle in den Gre-
schehnissen zuzuweisen, wie sie, natürlich ausser jedem Zu-
sanmienhang mit B, in schwachem Ansatz in einer der er-
weiterten Fassungen [Ga] uns auffiel und in B jetzt die wichtigste
Folge der etwas weltlich-höfischen Färbung der Legende dar-
stellt. Besonders den Frauen die Martern zu mildem erkannten
wir schon als ein Bestreben in B, aber noch in anderer Weise
werden sie geschont. «Zwo schoene frouwen» heissen Nicaea
und Aquilina, ihr Hurengewerbe wird verschwiegen, „opera
autem nostra meretricum est^ nicht übersetzt. Diese Scheu
überwindet das Bedenken, eine moralische Hauptwirkung der
Überlieferung zu opfern, die gerade in dem erstaunlichen Ein-
druck des Heiligen auf das Gemeinste bestand, wie sie A
wenigstens durch die yerfiihrerische Bede seines Teufels zu
bewahren versuchte. Aber auch der gute Christoph, so gross
er ist, muss sich solcher Prüderie beugen : «man schiet in blöz
von stme gewande, wan diu schäm was ime bedecket», und
dass die Meinung der Stelle wirklich auf die Bewahrung
höfischen Anstandes ging, lehrt Christophs Verhalten gegen-
über den «frouwen»; während er in P betend liegt, als sie
eintreten, und unbekümmert um ihren Schreck und ihre Be-
täubung sein G^bet ruhig vollendet, heisst es in B 1419: «er
stuont üf, dö ers ersach, guoten wiben zeren daz geschach».
und in Verfolg dieser «hövescheit» wird also die Königin in
die Handlung eingeführt. Sie ist es, die dem König den Bat
giebt: „heiz an in versuochen mit minne: ob im dehein wtp
gibt guoten muot, vil lihte er dinen willen tuot^, und nach
einer höchst geistvollen Auslassung des Dichters über den
Einfluss der Frauen auf die Weltgeschichte mit besonderer
Berücksichtigung des alten Testaments folgt Dagnus der weib-
lichen Einflüsterung. Und weiter, nach des Heiligen Tode,
als der König umsonst von Juppiter und seinen andern Götzen
Heüung des getroffenen Auges erfleht nnd der Königin ver-
zweifelnd von der Prophezeiung des Getöteten erzählt, muntert
sie ihn auf, ihr zu folgen: „des wolte ich gote und im ge-
129 Ausbildang der Legende. 129
troiin" V. 1940. Das Wunder geschieht, und die also" aufs
praktischste Bekehrten pflegen fortan «der alten e und der
niuwen» so treu, das's Gott auch ihnen seine «himelkröne» nicht
Yorenthälty. 1981. Als höchster Ausfluss der höfischen Frauen-
yerehrung klingt leise der Mariendienst an, wenn dem Heiligen
das brennende Ol wie ein «lüflec wint» ist und es heisst: «daz
schuof der hoehsten meide kint» V. 1694. So dürfen wir auch
das geringe Weltliche, was dem geistlichen Dichter anhaftet,
za geistlichem Ende fuhren.
Es ist B in gewisser Hinsicht gelungen, aus A und der
alten Passio ein einheitlicheres Ganze herzustellen als es etwa
A selbst war. Bei nicht unbedeutender formaler Gewandt-
heit und bei grossem Geschick der Motivbenutzung hat er es
yermochty ein frommes, teilweise auch inhaltlich interessantes
Gedicht zusammenzuschweissen, das ein dafür empfängliches
G}«müt für eine gute deutsche Legende halten darf und das
sich von der Masse anderer Legenden nicht nur durch den
Kern eines tieferen geistigen Gehaltes, sondern auch in künst-
lerischer Qualität leidlich vorteilhaft unterscheidet. Von einer
höheren Warte aus, vom Standpimkte einer allgemeineren
ästhetischen Kritik, können wir freilich nicht umhin, das
ältere Gedicht A als das schönere und tiefere anzuerkennen,
der Kunstpoet konnte den Yolksdichter nicht überholen, der
Aneigner den Schöpfer nicht erreichen. Schuf dieser unbe-
wusst, so arbeitete jener bewusst, und war die höchste Schön-
heit bei diesem die intuitive Verkörperung einer im Keim
Yorhandenen grossen Idee im Realen, so war der schwerste
Fehler bei jenem die beabsichtigte Läuterung der Idee vom
zufalligen Realen. Kann er es sich doch nicht versagen,
nach dem Tode des Heiligen die Christophorusidee, wie er
sie in seiner geistlich-moralischen Sprache zu sagen vermag,
dem Leser noch einmal aufzudringen:
y. 1909 der tinvel ist ein boesewiht.
mit dem het sant Chriatoffer phliht
als lange unz er wart gewar
daz er was triuwe und ere bar
nnd niemen niht enmohte geben
9
130 K. Richter. 130
wan wemde not üf iemerleben.
do kerte er an den tiursten man
der mannes namen ie gewan,
der was got der in gewerte,
des helfe er von herzen gerte.
Uns Bagte die einfach menschliche Wiedergabe des alten
Dichters in ihrer lenzesfrischen Unausgesprochenheit mehr.
Weder A noch B haben für die Verbreitung der Christoph-
legende in Deutschland wohl eine äusserlich gleiche Bedeutung
gehabt wie die dritte poetische deutsche Fassung. Sie ist ent-
halten im Passionaly jener Sammlung von Heiligengeschichten,
in der in ansprechender Form bequem zu finden war, was
man gerade über diesen oder jenen Heiligen wissen wollte ^).
Das Prädikat f^selbständig*^ ist dieser Version der Legende
ganz und gar abzustreiten. Die Hauptquelle des Passionais
ist auch durchaus und einzige Grundlage der gegen 800 Verse
über den hl. Christoph, es ist die bekannte Legenda aurea
des Jacobus a Voragine. Wie sich Original und XJbersetzung
in unserem speziellen Stück zu einander verhalten, ist von
untergeordneter Bedeutung gegenüber der Frage, woher jenes
den Stoff genommen und wie es ihn etwa affiziert hat.
So verlassen wir den deutschen Boden. Jacobus a Vora-
gine war Italiener, seine Gestaltung der Christophoruslegende
aber rührt die interessantesten allgemeinen Zweifel, Bedenken,
Antworten auf. Wir nennen den Text V*).
Jacobus a Voragine ist viel geschmäht worden, auch um
seiner Christophlegende willen. Man mag ihm vom kirch-
lichen Standpunkte Kritiklosigkeit vorwerfen, ihm verübeln,
dass er die Vorgeschichte gläubig aufgenommen hat : das Lob,
das mir in dem Vorwurf der Erfindung zu liegen scheint, ver-
dient er nicht. Auch er geht, wie der deutsche Verfasser
von B, auf A zurück und folgt ihm treuer als jener, seine
Gesichtspunkte sind im wesentlichen aber dieselben, er ist
*) ed. Köpke no. 43, p. 845—53.
^) ed. Th. Graesse 1846, Kap. G, p. 430~-34.
2.31 Ausbildung der Legende. 131
Geistlicher und schreibt als solcher. Sofern man die Legenden
als eine Art novellistischer Kunstwerke ansehen will, so kam
ihm in ästhetischer Hinsicht gegen B zu gute, dass er in
Prosa schrieb und, weil er ausser unserem Christoph noch
mnige andere Heilige zu behandeln hatte, sich grösserer Hürze
und Thatsächlichkeit zu befleissigen genötigt war. Keine
Sprache aber ist mehr zum Ausdruck des Thatsächlichen
geeignet als die lateinische, und Jacobus ist in seiner Art
ein Meister in ihrem Q-ebrauch: kurze Satze, ein&che Kon-
struktionen und lebendige Wortstellung machen die Stärke
seines Stiles aus. Wirkte er im Allgemeinen hierdurch und
durch Toleranz gegen die fabulistischen Elemente der Legen-
denpoesie auf seine und auf eine lange Folgezeit, so musste
im Besonderen eine nicht unbedeutende Erzählung entstehen,
wenn jene Weise einer dramatisch^epischen Technik einem
tiefempfundenen und einheitlich grossgedachten Stoffe die
Form gab. und wirklich halte ich des Jacobus Ohristoph-
legende für ein Musterstuck mittelalterlicher erzählender Prosa,
und möchte die internationale Beliebtheit des grossen Ohristus-
trägers wesentlich seinem Verdienste zuschreiben.
Über den Weg, auf welchem Jacobus Kenntnis Ton A
erlangt hat, Uesse sich leicht gar manches vermuten. Ein
Werk wie das seinige übernimmt man nicht ohne weitver-
zweigte Yerbindimgen, eigene Sprachkenntnisse, kundige Helfer,
und wenn er nicht selbst nach Deutschland gekommen oder
der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen sein sollte, so
kann bei den lebhaften Yerkehrsverhaltnissen des 13. Jhs.
sehr wohl durch dritte Hand eine Übersetzung ihm vermittelt
worden sein. Noch andere Möglichkeiten könnte man plau-
sibel machen: es kommt nur darauf an, dass man an diesem
irrationalen Faktor des Ausseren keinen Anstoss nehme.
Wiederum haben wir in des Jacobus Erzählung die be-
wusste Bearbeitung eines als volkstümlich empfundenen, und
zwar nüssbilligend empfundenen Gedichtes vor uns, und da
B und y auf keine Weise zusammenhängen können, wie der
Yerlauf ohne Weiteres zeigen wird, so ist es höchst inter-
9*
132 K. Richter. 132
essanty zu sehen, wie die gleiche Tendenz der Bearbeiter zum
Teil ganz gleiche Wirkungen hervorbringt, welche Wahr-
nehmung wechselseitig die Sicherheit der Betrachtungsweise
erhöhen muss. Überraschend ist es, dass V wie B der alten
Legende nur bis zum Beginne des Martyriums folgt. Aber
den Schluss, den Schönbach*) daraus zieht: dass nämlich die
Vorgeschichte durch einige Zeit eine selbständige Existenz
gehabt habe und dann in B dem alten Texte der Christoph-
legende, in A und Y einer aus diesem entstandenen dürftigen
Fassung vorgeheftet sei, halte ich für unrichtig. Von der
dürftigen Fassung des Martyriums in Y werden wir noch zu
reden haben, und war unsere Charakteristik der Gestalt A
auch nur einigermaassen begründet, so wäre eine Trennung
der Yorgeschichte und des Martyriums darin als zweier zu-
sammengeflickter Teile völlig unmöglich. Welches Endes und
Zweckes stellt sich Schönbach diese Yorgeschichte vor, die
in der That recht eigentlich eine Yorgeschichte sein würde
ohne Nachgeschichte, ein Fluss ohne Mündimg ? Auch gehen
nicht A und Y auf eine gemeinsame Form der Yorgeschichte
zurück, B auf eine künstlerisch ausgebildete: die zwei Unbe-
kannten, die damit gesetzt werden, sind überflüssig.
Jacobus arbeitete nach schriftlicher Yorlage, nicht etwa
nach nur mündlicher Tradition. Darauf deuten eine Reihe
von Einzelheiten, die sich gerade an den entsprechenden Stellen
übereinstimmend finden, darauf mehrere Gbdankenkomplexe,
deren getrennte Einheiten vollständig aus den Situationen er-
wachsen sein könnten, deren GhesammtgefiLge schriftliche Yer-
mitÜung erschliessen lässt. Z. B.
V A
gavisQS Chrütophorns se dyabolo V. 697 er sprach : ich bin ze seiden
in servmn perpetnmn obligavit chomen.
qnidain homo, qui dicitur Christus V. 038 da weilent ist geschehen
ein geschieht,
quemcomque dyaholum nominari V. 520 ein chrenz wegund er
audiebat, protinns in faciem suam schrenchen
») Zfda. XXVI, 88 f.
133
Ausbildung der Legende.
133
cracia dgnaculum ünpriinebst,quod
ridens Christophorus plurimum
admirabatur, cur hoc rex ageret et
qaidnam hninsmodi signum sibi
Teilet.
nosti talem fluvinm, in quo multi
transeuntes pericütantur et per-
eunt? cum procerae staturae sis
et fortifl viribus, si juxta fluvium
iUum resideres et cunctos tra-
dnoeres, regi Christo, cui servire
desideras, plurimum gratnm esset
et spero, qnod ibidem se mani-
festaret.
mit der hand TÜr seinen mund.
Offorus daz merchen begund
und Tragt den herren, war zu
erz tet,
daz er ein ohreuz gemacht het
TÜr sich, des nam in wunder.
y. 884 nu seit ir starch und auch
lanch:
dar hin solt ir eilen
und enthalt euch da enweilen,
und wer euch rufif durch Hebe
des got,
den tragt über an allen spot.
wan er wirt dan gewar,
daz ir im dient ane Tar
und in seinem namen über-
tragt,
so werdent im die mer gesagt,
daz ir in seinem dienst tut,
wes man benamen an euch mut.
so solt ir endlich da TÜr haben,
daz ir wert gen hof geladen
mit grozzer hocher wurdichait.
Beweisender noch ist die Möglichkeit, die Abweichungen bei
grundsätzlicher Gleichheit des Grefiiges aus Absicht und Charakter
des Bearbeiters genügend erklären zu können.
Aus zwei Grundprinzipien lassen sich alle Divergenzen
zwischen Y und A begreifen. Einmal will Y ein Auszug des
Thatsächlichen aus einer poetischen Darstellung sein, zweitens
will er den Gedanken dieses Thatsächlichen in Tollster Klarheit
hervortreten machen. Diese beiden Grundsätze, die gleicher-
weise das Yerhältnis von B zu A beherrschten, aber durch
die überquellende geistlich moralische Didaktik mehr verdeckt
wurden, wirken in Y in aller Schärfe und Deutlichkeit. Es
fällt auch in Y also die Geburtsgeschichte fort, ebenso jegliche
Ausfuhrung der Wanderungen des Helden von einem Herrn
zum andern. Y behält nicht wie B den früheren Namen des
Heiligen als «Offorus» bei, sondern nimmt aus den alten
Passionen den bezeichnenderen «Beprobus»; Beprobus ist ein
»Cananaeus» und nicht nur «procerissimae staturae», sondern
134 ^ Bichter. 134
auch «Yultu terribili» und hat «xn cubitos in longitudine».
Das Nationale also wird der zuverlässigen Quelle entnommen,
aber deren «canineus» vorsichtig mit Hülfe des «Cananaeus^»
vermittelt. Als ein Zeichen, dass die Jugendgeschichte in der
Vorlage wohl nicht fehlte, mag man den sonst ganz unver-
ständlichen Ausdruck «cum staret cum quodam rege Cana^
naeorum» ansehen. Denn ein «haidnischer man, dem ein
chunichrich undertan», ist ja Oflfers Vater in A V. 47, und
so gut es gehen will, wird er mit der anderswohergeholten
Heimatsangabe in Verbindung gebracht. Dass V gerade in
diesem Augenblick im Begriff steht, einer andern Quelle zu
folgen, deutet der vorgesetzte Satz an «ut in quibusdam gestis
suis legitur», wie B einmal sagt V. 694 «als uns diu materje
seit». Wenn dennoch V im Folgenden den angehenden Heiligen
schon immer «Christophorus» nennt, so ist das ein Zeichen,
wie imbequem «Beprobus» für die Vorgeschichte sein mochte
und wie A dazu kam, ihn durch «Offorus» zu ersetzen.
Dann erfolgt sofort die Abstraktion aus dem zu Er-
zählenden: «venit sibi in mente, ut majorem principem, qui in
mundo esset^ quaereret». Aber darin hält sich V treuer an
A, dass die einfache Steigerung: König, Teufel, Christus bei-
behalten wird. Eine bemerkenswerte Änderung ist der «gocu-
lator», der dem Könige Gelegenheit giebt, sich zu bekreuzen,
indem er in seiner «cantio» öfter den Teufel nennt. Die geist-
liehe Hand des Uberarbeiters kann sich nicht besser offenbaren,
sie musste dieses naive fürstliche Gähnen von A beseitigen,
und es sollte der gemgehasste Spielmann die alte urkräftige
Unbefangenheit büssen. Als Christoph nach der Bedeutung
des Kreuzeszeichens fragt, wird wieder ein Motiv voraus-
genommen, das A erst beim Teufel und auch da nur andeutend
gab, dessen sich aber, wie wir uns erinnern, auch B au&
stärkste bedient hatte. Es entwickelt sich also aus den un-
scheinbaren und durch nichts Voraufgehendes vermittelten
Versen von A:
V. 632 „loh mag nicht lenger gebeiten^
du ensagcst mir die wsrhait rechf^
136 Ausbildimg der Legende. X36
in y das Zaudern des Königs imd des Teufels und jedesmal
die gleiche Drohung Christophs : „Nisi hoc mihi dixeris, tecum
ulterius non manebo^. Auf die Auskunft folgt an beiden
Stellen das ausdrückliche Resultat : „Ergo ille msgor et potentior
te est, frustratus sum, in yacuum laboravi, ipsum dyabolumi
ipsum Christum quaerere yolo^. Wir erkennen: die Weise
des Volksdichters war es^ vieles erraten zu lassen, das Bestreben
Ton y ist es, die Logik der Thatsachen prägnant heraus-*
zuarbeiten. Dagegen für die in A so bezeichnende Frage
„hast iendert vorcht an dir ?^ hat y gar kein yerständnis.
Zu einer entsprechenden genauen Deutlichkeit wird auch das
reine Geschehen gefördert. Aus den yersen A 670 f. «also
wegund der tiefel stieben vest her mit grozzem schall» ent*
nimmt y den Begriff einer «magna multitudo militum», aus
welcher sich der Teufel, «quidam miles ferus et terribilis», ab-
sondert, um Christoph entgegenzureiten. Der «versnitene^
dessen Gedächtniskreuz sie dann in A begegnen, ist un*
wesentlich und fallt in y fort, das Kreuz steht einfach «in
quadam via communi». Während A aber nur bemerkt y. 628
der tiefel ward an sich haben
und macht daz chreuz nicht sehen an
und sogleich Offem fragen lässt
„war zu hast du daz getan,
daz du den weg nicht wUt reiten?^
giebt y in aUer wünschenswerten Klarheit die notwendigen
yorgänge: «territus fiigit et viam deserens per asperam soli*
tudinem Christophomm duxit et postmodum ipsum ad viam
reduxit. Quod videns Christophorus et admirans interrogavit
illum, cur in tantum timens viam planam reliquerit et tantum
deyians per tam asperam soUtudinem ierit». Die Möglichkeit
zu solcher Peinlichkeit, ohne die Erzählung ins Weite auf-
zuschwellen, erhält y eben durch seine absolute Negatioi)
dessen, was für den Fortgang entbehrlich ist, also all des
Idyllischen, Beizenden, Heimlichen in A; und im Gegensatz
zu B tritt nur an einer Stelle eine Neigung zum erklügelnden
Erweitem hervor, yon dem Erschrecken des Einsiedlers, dem
136 K. Richter. 136
häuBÜchen Leben der beiden und ihrem gemütlichen Verkehr
ist nichts bewahrt worden, ganz kalt wird referiert: «ad quendam
eremitam devenit, qui sibi Christom praedicayit et in ejus fide
ipsum düigenter instnudt». Hatte aber B wenigstens äusserlich
Einiges von dem riesischen Charakter des Heiligen gerettet»
so hat der Italiener Jacobus gar keine Empfindung dafür, ja
es wirkte auf ihn gar im entgegengesetzten Sinne, und ein
Ausdruck des rohen und ungeschlachten Eindrucks, den ihm
der Christoph von A machte, ist jenes Motiv, dass der Ein-
Siedler dem Christussuchenden zwei rein geistige Dienste Yor-
schlägt, in deren Ausübung er das Wohlgefallen des begehrten
höchsten Herrn erlangen möge: „Frequenter jejuna". „Aliud a
me requirat obsequiimi, quia istam rem nequaquam agere
yaleo^. „Multas orationes £eic^. „Nescio, quid sit hoc, nee
hujusmodi obsequium perficere possum". und erst der dritte
Dienst, das Einsetzen seiner rohen Ejraft in dem Fergenamte
am Flusse, behagt dem Grewaltigen. Damit ist berechnete
Dummheit und Kraftsamkeit an die Stelle des alten naiven
riesischen Humors getreten, nicht unwirksam, aber wenn man
in die Tiefe des Empfindens hinabdringt: nicht deutsch. Und
jedenfalls kann sich solch bewusstes Kontrastieren des Geistigen
und Körperlichen dem unbefangenen Blicke nur als ein
Sekundäres gegenüber der Unmittelbarkeit und Frische der
deutschen Version darstellen. Darum dürfen wir auch im
Weiteren festhalten an der Überzeugung, dass der Einsiedler
in A eine ursprüngliche Stellung in den Flussscenen einnahm,
obschon sie ihm Y, wie B, verweigert. Könnte man sich doch
wahrUch schwer vorsteUen, wie Y in seiner kurzextrahierenden
Art dieses Hin und Her der Erzählung zwischen Christoph
und Einsiedler hätte wiedergeben sollen, ohne eben in einen
ganz andern Stil zu verfallen, als ihm bisher eigen gewesen.
Nimmt er sich doch nicht einmal die Zeit, ausdrücklich zu
sagen, dass es Nacht ist. Christoph kommt an den Fluss und
trägt alle hinüber: gleich schliesst sich daran das Abenteuer
mit dem Kinde, das sich ereignet «evolutis multis diebus».
Dagegen wird wohl angegeben, dass der Heilige sich eine
137 Ausbildung der Legende. 137
Hütte am Ufer erbaute, und da die erstmalige visionäre Er-
scheinung des Eondes [A Y. 964] als untergeordnet beiseite
bleibt und es also vom diesseitigen Ufer an das jenseitige
getragen werden kann, so braucht — eine grosse Vereinfachung
der Erzahlungsdata! — Christoph immer nur Tergeblich aus
dieser Hütte zu treten, nicht aber durch den Fluss zu waten
[«foras cucurrit, exiit et puerum juzta ripam fluminis invenit,
„cum pertransieris^»]. Auch wird Wert darauf gelegt, die
Grefahrlichkeit der Situation im Flusse, die in A mehr aus
geringen yerstreuten Andeutungen sich unbemerkt addierte
[V. 947. 1030. 1060. 1082. 1104. 1115], lebendigst an der
richtigen Stelle auszusprechen. «Et ecce aqua flumims paulatim
intnmescebat et puer instar plumbi gravissime ponderabat,
quantoque magis procedebat, tanto amplius imda crescebat et
pner magis ac magis Christophori humeros pondere intolerabili
deprimebat, adeo ut Christophorus in angustia multa positus
esset et se periclitari formidaret». Das bedingt, dass Christoph
erst^ nachdem er das Ufer mit letzter Anstrengung erreicht
und den Knaben niedergelassen hat, ihm sagen kann: «In
magno periculo, puer, me posuisti et adeo ponderasti, quod,
ei totum mundum super me habuissem, vix majora pondera
praesensissem'*. Ad quem puer respondit: „Ne mireris, Christo-
phore, quia non solum super te totum mundum habuisti, sed
etiam illum, qui creavit mundum, tuis humeris bajulasti^. Wir
sahen, auch B setzte dem „du treist himel nü und erde'*
hinzu „und Jesum, nach dem stuont din gerde" [Y. 916].
Und dennoch wird durch die ünahnlichkeit des Ausdrucks
sowohl als durch die A entsprechende Situation in B, in welchem
dieser Dialog im Wasser statt hat, die ürsprünglichkeit des
einfachen Gedankens von A und ein Auswachsen in derselben
Sichtung in B und Y bewiesen. Ein weiteres höchst wichtiges
Zeugnis f&r die Bichtigkeit unserer Kritik ist die «pertica» in V .
B unterschlug sie aus Rücksicht auf das in der Passio Tor-
kommende Stabwunder, Y bequemt sie diesem an. In A er-
grnnte sie unmittelbar nach den Taufw^orten Jesu, «da tet im
got mit bechant», heisst es Y. 1120, «daz er gelauben solt daz,
138 K. Richter. 138
daz er der wäre got was, und tun macht waz er wolt» ; Y legt
diese Worte dem Christkind selbst in den Mund: er möge
seinen Stab neben die Hütte pflanzen, wenn er hinübergekommen
sei, zum Zeugnis der Wahrheit werde der am andern Morgen
blühen und Erucht tragen. Das geschieht Und dann, mit
einem klassischen «post hoc autem»^ wird Christoph nach Samos
geschickt, keines Einsiedeis, keines Befehles Christi braucht
es dazu, und es ist gut so. Stellte B die Verbindung zwischen
den beiden Teilen durch jene Bede des Heilands im Wasser
her, so hat Y von vornherein das Seinige gethan durch die
Übernahme des Nationales der Passio, und im übrigen besitzt
Jacobus a Yoragine stets die grösste Unbefangenheit, von
einem Gegenstande, von einem Momente der Erzählung mit
der Tollendetsten Leichtigkeit zu einem neuen überzugehen.
Stellen wir uns aber umgekehrt vor: A hätte eine etwan Y-
ähnliche Yorlage benutzt und ursprünglich auch so unmittelbar
den Ubersprung von der „Yorgeschichte^ zum Martyrium er-
folgen lassen : wie közmten wir wohl dem späteren an poetischem
Grenie so inferioren Uberarbeiter diese höchst künstlerische
Wiederaufiiahme einer im vorhergehenden schon abgethanen
Figur, des Einsiedlers, zur feinsten YermitÜung mit der folgenden
Handlung zutrauen, während die Annahme, dass der ursprüng-
liche Dichter, Erdichter der ganzen Christusträgerlegende die
bei ihm von Anfang an bedeutsam angelegte Bolle des Alten
zu diesem Ende fortspielen Hess, gar nichts Gewagtes hat,
sobald der Fortfall derselben in den abgeleiteten Yersionen B und
Y aus deren specifischem Charakter verstanden werden kann.
«Post hoc autem» kommt Christoph nach Samos, und
kommen wir zu der „dürftigen Fassung^ des Martyriums.
Freilich, was Schönbach dürftig nennt, könnte man in gewissem
Sinne reich nennen. Denn so viel Texte der Christophorus-
passion wir auch schon kennen gelernt haben, so mannigfeu^h
die Fäden und Beziehungen unter ihnen hin und hergingen:
Jacobus a Yoragine übertrifft, man könnte sagen an Univer-
salität der Anklänge, sie alle, auf Lc und Lb, auf P und M
muss man zurückgreifen, um seine Motive und die Ausdrücke,
139 Ansbildmig der Legende. 139
in welche er sie kleidet^ belegen zu können. Und es ist eine
Frage, die ich nicht mit Sicherheit zu entscheiden mich ge-
traue: ob er verschiedene Vorlagen mit einander verarbeitet
hat oder etwa einen bisher nicht bekanntgewordenen Zwischen-
text benutzte. Auch könnte sich beides vereinigen, indem Lc
und M zu selten anklingen, um direkt notwendig zu sein, Lb
und P aber in Versionen, die eben einige Binneigung zu Lc
und M hatten, mit einander verschmolzen sein mögen. Es
würde darauf schliessen lassen, dass die Annäherungen an den
einen oder den andern Text in grösseren Komplexen sich dar-
stellen, die allerdings hier und da durch Einzelbeziehungen
unterbrochen werden. So setzt V durchaus mit Lb ein:
Christoph kommt nach Samos in Lycien und erlangt auf sein
Gebet die Kenntnis der Landessprache. Die «judices», die
in V ganz unvermittelt und unverständlich erscheinen, «insanum
enm putante8> [Lb «iudices nequissimi insanire iQum existi-
mantes»] lassen ihn liegen. Er folgt ihnen nach zum Bicht-
platz — alles in V höchst erstaunlich! — und ermutigt die
gemarterten Christen. Einer der Bichter schlägt ihn. Während
derselbe aber in Lb nach der selbstbewusst demutsvollen Ant-
wort des Heiligen zum König läuft und von dem Vorgefallenen
berichtet, setzt M in V ein: Christoph steckt «virgam suam»
in die Erde, und auf ihr wunderbares Erblühen werden 8000
Menschen [nach P wären es 18000] gläubig. An der Wieder-
holung des schon dem deutschen Gredichte A an kurz voran-
gegangener Stelle nacherzählten Motives nahm V also keinen
Anstand. Dann lässt er wie P den König zweimal je 200
«milites» nach dem HeiUgen senden, M und Lb begnügten
sich mit einem solchen Trupp. Ihr Gespräch mit ihm, ihre
Bekehrung wieder nach Lb, er lässt sich gebunden von ihnen
vor den König filhren. Von da an herrscht P, was ich nicht
im Einzelnen verfolgen will, nur die seinen Weg durchkreuzenden
Zwischenschritte der anderen seien der Beihe nach bemerkt.
Der König sagt, als Christoph seinen Namen nennt „Stultum
tibi nomen imposuisti, scilicet Christi crucifixi, qui nee sibi
profiiit nee tibi prodesse potent". Lb „quam vanum cog-
140 K. Richter. 140
nomen tibi imposuisti, Christi scilicet crucifixi! non enim,
sicnt nee sibi, tibi prodesse potent". Er fragt ;,Caiiaxiaee
malefice, quare non aacrificas diis nostris?" M „Caput cana-
naemn, sacrifica diis meis". P „Canine et fax mala". Der
Name des Königs, weiterer Dialog nach P. «Nicaea» und
«Aquilina» heissen die beiden «puellae formosae» [Lb «Niceta»],
aber die «plausus manuum et amplexus», mit denen sie des
Heiligen Tugend kampflich angehen, liefert Lb. t^Quid
quaeritis?" fragt der Bedrängte wie in Lc, in Lb ruft er
„Quid Yultis?" Bekehrt werden sie vor den König geführt
und bekennen. „Ergo et vos seductae estis?" zürnt er
[P M «maleficatae», Lb «recessistis»], Lc „Et yos seductae
estis per illius magicis artibus?" List^ Tempelscene. Der Hohn
„Yocate medicos" aus Lc oder Lb, wie denn manches hier
oder daher sein könnte. Im Ganzen aber der Ausgang nach
P, wie schon die ausdrückliche Zahlangabe der «CCCC milites»
beweist. Auch schliesslich das Pfeilwunder, die Heilung des
Königs und sein Befehl gegen die Gottesverächter.
Des Jacobus a Yoragine Erzählung stellt sich also dar
als eine Verarbeitung mehrerer Berichte, die vielfach von
einander abwichen, aber zu einer äusserlichen Einheit des
G-eschehens zusammengeschweisst wurden. Wie er aus dem
deutschen G-edichte nahm, was ihm zusagte, forüiess, was ihm
nicht zusagte, so ist seine Auswahl aus den lateinischen
Passionen, besonders was die die Thatsachen umrankenden
Reden betrifft, man kann nicht recht sagen: rein zufallig,
denn ein zusammenhängender Fortschritt resultiert schliess-
lich, aber rücksichtslos. Auch er schenkte, wie B, den autori-
tativen lateinischen Darstellungen mehr Glauben als dem
deutschen Gedicht, das er ja schon für den ersten TeU nicht
ganz unverändert anerkannte, aber, vielleicht eben, weil er
zwei von einander abweichende Passioversionen vor sich hatte,
stellte er sich auch diesen freier gegenüber, im Gttnzen ge-
nommen, als B that.
Was er selbst hinzugethan, ist, abgesehen von den ge-
ringen Änderungen der deutschen Überlief erimg, nur die
141 Aasbildang der Legende. 141
etymologische Spielerei mit dem Namen, me er sie liebt und
auch seiner Erzählung vom Christophorus Toransetzt. Darum
erhielt der Heilige diesen Namen, meint er, weil er den Herrn
auf viererlei Art trug: auf den Schultern, als er ihn über-
setzte, im Leibe, den er fär ihn hingab [«in corpore per
macerationem» oder«mortificationem»],imHerzen, denn er glaubte
an ihn, im Munde, da er ihn bekannte und seine Herrlichkeit
verbreitete. Manche streiten dem Jacobus auch diese Namens-
einleitungen ab. — Zum Schlüsse giebt er angebliche Worte
des hL Ambrosius, die, da sie einen Auszug aus der alten
Passio darstellen, die Kenntnis der Legende, wie sie in dieser
vorliegt, für das 4. Jh. bereits unleugbar beweisen würden,
falls sie wirklich von dem grossen Mailänder Erzbischof her-
rührten. Übrigens finden sie sich gleicherweise in den oben
einmal erwähnten Sammelwerken des Surius, Thoma de
Trugillo, Bibadeneyra, und so mag eine Version der Passio
ursprüngliche Quelle sein, obwohl es auch nicht ausgeschlossen
ist, dass jene, bei grundsätzlicher Verwerfung der fabelhaften
Erzählung der Legenda aurea, doch den Zusatz aus ihr ent-
nahmen. Jedenfalls ist die betreffende Stelle in den Werken
des hl. Ambrosius nicht zu finden, und der Gang unserer
Darstellung schliesst die Möglichkeit seiner Verfasserschaft
von vornherein aus. Nach den Worten des Bibadeneyra
«San Ambrosio haze mencion de san Christoval en la prefacion
de la Missa, que pone para la fiesta deste glorioso Martir»
ist anzunehmen, dass es sich um einen ziemlich späten Zusatz
zur sogenannten Ambrosianischen Messe handelt, doch enthält
ihn das Missale S. Patrum Latinorum, Cöln 1610, tom. I
p. 461, das den Anspruch erhebt, die möglicherweise echten
Worte des Ambrosius aus jener Liturgie zu geben, sicherlich
nicht, ebensowenig der Libro delle littanie secondo l'ordine
di Santo Ambrosio, Mailand 1646. Einem Theologen gelänge
es wohl leichter, die Spur zu verfolgen, als mir bei leidlicher
Bemühung.
So wie ihn Jacobus a Voragine zusammensetzte, kam
der Christoph zu den einzelnen Völkern. In alle europäischen
142 K- Richter. 14S
Sprachen, könnte man mit einiger üngenauigkeit sagen, wurde
die Legenda aurea übersetzt und trug den Christusträger über
Ströme und Gebirge in die Weite. Es wäre möglich, dass
sich aus einer Spezialuntersuchung und Yergleichung der
verschiedenen Texte der Legenda aurea und ihrer Über-
Setzungen noch Einiges für die Überlieferung gewinnen liesse,
einiges Wenige. So giebt z. B. Petrus de Natalibus/) der
inhaltlich und vielfach wörtlich die Erzählung der Leg. aur.
aushebt, nur dass einzelne direkte Keden fortgefallen, andere
indirekt gemacht sind, und dass rein äusserlich die Passion
der beiden Mädchen von der des Heiligen unter gegenseitigem
Hinweis getrennt ist, die Namen Niceta und AquiUna wie Lb,
was um so auffälliger erscheint als jene in Y aus Lb zum
Unverständnis übernommenen «judices» sich hier nicht finden.
Die Zahl der Bekehrten ist in Übereinstimmung mit P 18000,
der Ort heisst Amos. Völlig fehlt die etymologische Nameos-
deutimg zu Anfang, was die oben angeführte Meinung viel-
leicht bekräftigen könnte. Wie sie denn auch in der italienischen
Übersetzung, die Luigi Maini^) herausgegeben, ferner in der
altschwedischen des Fom-svenskt legendarium, ') bei ver-
schiedenem Verhalten zu den pseudo- Ambrosianischen Worten,
sich nicht findet. In der Viola sanctorum^) heissen der König
Dagon, die Mädchen Nicra imd Aquila. In der im Jahre 1610
in Leipzig erschienenen „G-loriosissimi martyris Christophori
cananaei vita ab Joanne Garzone elegantissime conscripta^,
deren pomphafte Vorreden etwas anderes vermuten liessen
als eine dürftige Überarbeitung von V^ werden nur ein-
mal zweihundert Soldaten nach dem Heiligen ausgesandt;
und so könnte man aus den vielen Sammlungen von
Heiligenleben, die die Legende genau nach Jacobus geben,
^) Gatalogiu sanct. et gest. eorum, Vicensa 1498, üb. vi cap. Oxxxi
und Gxxxv.
') Leggenda di san Cristoforo, Modena 1854.
') ed. George Stephens in den Samlingar utgifna af svenska forn-
skriftsällskapet, Stockholm 1847, I, 497—502.
«) Nürnberg 1486.
143 Ausbildung der Legende. 143
eine Unzahl kleiner Abweichungen gewinnen, ich verzichte
darauf.
Das Fom-svenskt legendarium ist vielleicht noch im
13. Jh. entstanden. ^) Es übersetzt unsere Legende im Granzen
treu, einiges kürzend. In den Niederlanden scheint die Leg.
aur. zuerst im Anfang des 15. Jhs. übersetzt worden zu sein,
und diese Übersetzung, Passionaelof gülden legende, wurde 1478
gedruckt. ^ Aus einer Ausgabe von 1499, ebenfalls zu Delft
erschienen, teilte Henkelum^ das Christophkapitel mit, die
Stadt heisst darin Saloen, der König Dagarijs, die Buhlerinnen
Nicena und Aquila, und Beprobus, das im nordischen un-
übersetzt blieb, wird durch «verstoten» wiedergegeben.
Auch in den ältesten englischen Kaiendarien findet sich
regelmässig ein Christoph, wie aus den Verzeichnissen Horst-
manns^) erhellt. Übersetzungen der alten Passio sind es
vermutlich, die Hickes ^) erwähnt als Mss. der Cottonianischen
Bibliothek ; ich bin dem nicht weiter nachgegangen. Aus dem
Ms. Laud 108, erste Hälfte des 14. Jhs., hat Horstmann*)
eine poetische XJbersetzung der Vita des Heiligen in der Leg.
aur. bekannt gegeben, die den schnellen epischen G-ang zwar
bewahrt hat, aber im Einzelnen nicht sklavisch abhängig von
der Vorlage ist. Z. B. ist Christoph 24 Fuss gross und
bekehrt 7000 Menschen, er gilt als Saracen, der Teufel nennt
Christus nicht, sodass er im Folgenden nicht sowohl diesen
als noch immer den höchsten Herrn sucht, und er muss auf
jeden Ruf des Eandes durch den Fluss hindurchwaten: Bück-
falle in den älteren Zustand von A. Humoristische Lichtchen :
*) Paul, Grundriss der germ. Phil. II, 1, 147.
•) Jonckbloet Geschiedenis, Middeleeuwen 'II, 387.
•) Van sunte Cristoffela beeiden, Utrecht 1865.
*) Altengl. Legenden, Paderborn 1875.
») Thesaurus 11, 191a, 218 b.
^ Jahrb, f. rom. u. engl. Spr. u. Litt, xiv, 35 ff.; auch in dem
Early South-Englith legendary, Early English text soc., London 1887,
p. 271 — 78; andere Fassung aus Harl. Ms. 2277 in Fumivalls Early engl,
poems and lires of saints, Berlin 1862, p. 59 — 65.,
144 K. Richter. 144
der Einsiedler schlägt ihm Tor, des Freitags zu fasten und
in die Kirche zu gehen etc., werden lebhafter angeblasen.
Gaston Paris ^) schliesst aus einem Prosaleben des Heiligen
im Patois der Haute-Bourgogne auf ein früher vorhandenes
Reimgedicht. Es sei erlaubt, das hier zu erwähnen.
Dem englischen Qedicht dürfen wir die Fassung des
deutschen Passionais als eine in poetischer Hinsicht doch
wohl überlegene gegenüberstellen, auf deren Verhältnis zum
lateinischen Texte des Jacobus wir abschliessend noch einen
kurzen Blick. werfen. Hatten wir an jenem die Bewahrung
des epischen Charakters bemerken können, so ist das für den
deutschen Eindichter zum mindesten zu modifizieren. Zwar
war natürlich, dass er bei dem ungeheuren Umfang seiner
Aufgabe grundsätzliche Erweiterungen wie in allen andern
Legenden so auch in der des hl. Christoph meiden musste,
und da er doch alles Thatsächliche zu geben pflegt, so liesse
sich ein prägnanter Stil der Darstellung am ehesten erwarten.
per aber lag nicht im Wesen der deutschen Sprache zur Zeit
der Entstehung des Passionais. Vielmehr: eine etwas haus-
backene Behaglichkeit ruht über diesem bequemen Vortrag,
der sich aus einem nicht sehr tiefen Gedanken in den andern
hinüberhebt, von einem Gewohnheitsreime zum andern gleitet
— man hat den Eindruck, als sei der Christoph jetzt wieder
nach Hause gekommen und hätte sich den Schlafrock an-
gezogen und schlurfte nun einher, ganz achtbar, ganz gravi-
tätisch, ein zünftiger heiliger Herr. Es war im Grunde ein
deutscher Stoff, und wie tief dieses deutsche Wesen im
Christoph steckte, kann man ermessen, wenn man es hier
sich regen fühlt. Das war wieder der dumme liebe Kerl:
«sin houbt wegete er und sprach» 349, 76:
^eya, kint, eya, kint,
wie swere dine gelit sint!"
Und ist die Komik auch ein wenig plumper geworden, sie ist
es doch, die dem Christoph seinen Beiz giebt. Da fragt der
Grosse etwa den sich bekreuzenden König 346, 36:
^) La litt. firanQ. au moyen age, Paris 1890| p. 213.
145 Aasbildimg der Legende. 146
^herre min, wu meinet daz,
daz do die hant hebest enpor
nnd dir damite machest vor
zwene striche, als ich han gesen?**
[-hüjusmodi signiiiii« V], oder antwortet auf seines Einsiedeis
dritten YorseUag fibeneagt 348, 88:
„die Sterke han ich wol an mir",
oder mit dem Heiden, der ihn schl>i zu 860, 72:
„BQ sehowe, ob ich han
solche kraft, das ich dich
mnge treten nnder mich**,
davon im lateinischen Texte nichts steht. Solche bezeichnenden
Zusätze oder Färbungen des Ausdrucks stellten sich un-
Tennerkt ein, denn im Allgemeinen ist Geschehen und Beden
in Folge und Absicht ziemlich genau wiedei^egeben, und wo
eine Stelle breiter gerät, ist es mehr die stille Wii^ng des
bemerkten Stiles als ein Wille, Bedeutenderscheinendes aus-
führlicher und eindringlicher auszunutzen. Binmal resultiert
aus dem Umstand, dass ein Reim, der seine Ergänzung forderte,
irgend ein Weiteres nötig machte, sogar ein Anklang an
einige Verse des alten deutschen Gedichtes A [«omnes sine
cessatione transferebat», «do quamen vil lute zu, die er durch
got über truc»] 349, S:
die Inte wanderte gennc,
waz in da wolde beschem
den gi'oauu md den guten vem^
doch lobeten si wol den gewin. [cf. A 918 ff.]
Bemerkenswert ist die ausdrftckliche Betonung 849, 20 «diz
was in einer traben nacht, do er gewonlichen slie£», Yor der
Scene im Flusse, woraus wir, da unser Übersetzer sicher keine
andere Vorlage b^tzt hat, entnehmen müssen, dass man
sich ans den lateinischen Worten «cum in domuncula sua
quiesceret» und dem späteren Vorkommen von «mane» diese
ThatBacfae leichtlich abstrahieren konnte« Die Namen des
Königs, der Stadt und der Buhlerinnen werden nicht genannt
— eine Namenscheu wie in A! — Beprobus wird Übersetzt
«daz sprichet ungeneme» 345,7 und ist «von Kananeenlande»
345,9, die etymologische Tüftelei zum An&ng und der Am-
10
146 K- Bichter. 146
brosianiscbe Schluss bleiben anübersetzt oder fehlten in der
Vorlage. Derartiges Einzelne liesse sich noch Hehreres bei-
bringen.
So war non der grosse Christoph da, jeder hörte Ton
ihm und kannte ihn, jedem war er lieb und vertraut. Wir
vermeinten, einigen Gmnd zu der Annahme zu haben, dass
der Christusträger eine Ausgeburt deutscher Phantasie und
deutschen Greistes war. Man kann vielleicht von allgemeinerem
Standpunkte sagen, dass nur deutsches religiöses Empfinden
den Christoph erfinden konnte. Man fühle das einmal dem
alten deutschen G-edichte nach: da ist recht eigentlich aus
dem alten Hundskopf, aus dem kaltbltltigen Heiligen der Idee
ein Heiliger für Herz und Gemüt geworden, ein Riese, und
der Riese, selbst ein Kind, trägt den Herrn der Welt in
Kindsgestalt durch das Wasser. Auch dieser Christusknabe
ist nicht der bambino der Italiener, nein, das deutsche
Weihnachtskindlein, das Christkindlein der Kinder, und das
Kindlich-Grosse, Gross-Eandliche der Legende ist ihr höchstes,
innerstes Wesen, ihre glücklichste Schönheit. Hätten wir die
ursprünglichste Fassung, vielleicht, ich glaube es, läge das
noch mehr zu Tage. In den Ausläufern ist viel davon ver-
loren gegangen oder verhüllt worden, dennoch waren sie im
Stande, die Geschichte vom grossen Christoph den letzten
Jahrhunderten des Mittelalters, und der Neuzeit als ein Ver-
trautes und Liebes zu vermitteln und zu erhalten.
Ich gebe zum Schlüsse noch einiges Material, das, zu-
fällig zusammengelesen, keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit
erheben, sondern nur andeuten soll, woher etwa die späteren
Zeiten ihre Kenntnis vom hl. Christoph nahmen. Ich ver-
zeichne also die prosaischen Erzählungen, die sich in Der
heyligen leben, Augsburg 1472, Ci/n, Nürnberg 1476, 84/5,
dann 1488, Lxxx/i,^) im Passional van allen hilligen 1487,
Cxn [xCn], im Lübecker von 1493, Lxxxi— m, und von 1507,
') Wieder gedruckt von Ferd. Hauthal Der grosse Christoph,
Berlin 1843, p. 35-^8.
147 Ausbildung der Legende. 147
lizzxvin/ix, im Baseler von 1517 Ci — m und im Strassburger
Ton 1617^) finden mid sich genau an die Leg. aurea an-
scUiessen. Doch geben die ersteren den Namen Offerus und
die Taufe im Fluss mehr wie A, die späteren fieprobus, die
Namensspielerei und ein Schlussgebet, und alle bildliche Dar«
Stellungen meist der Flussscene, das Ganze ist httbsch lesbar.
Andere wie die Strassburger von 1610 habe ich nicht ein-
gesehen, unzugänglich war mir auch ein Druck der Legende
aus Landshut von 16S0 mit 31 Holzschnitten^ sowie der
^S. Christophorus Johannis Mathesij, verdeutscht Nürnberg
d. Job. Y. Berg vnd ülr. Neuber" 1561,4®; wie Graesse an-
giebt: die Übersetzung eines lateinischen Gedichts des Mathesius;
die Bibliothek der Batshefren in Zwickau soll zeitweilig ein
Exemplar davon besitzen. Der Chorus sanctorum omnium
des G^orgius Wicelius, Oöln 1663, bietet p. 4S3 cap. Lzn
nur den Bericht der alten Passio, dadurch aber interessant,
dass er den «Lisulaner aus Kananea» zuerst «Adocimus das
ist Terworffen» heissen lässt und Schönbachs oben angeführte
Vermutung über den Namen Dagnus anspruchsloser vorweg-
nimmt «Christophorus liess Dagon den meerdrachen so sehr
zürnen als er wolt». „Hülff in der Noth, Dass ist Leben
Jesu, Mariae, Joseph Sambt Marter, Todt vnd Wunderthaten
Der HH: 14 Noth-Helffer"«, Glatz 1693, p. 265—286: „Das
Grosse Welt-Wunder, Oder der wunderseltzame Grosse Mann,
Hertzhaffte Kämpfer, Heldenmüthige Obsieger, und Buhm-
weithe Martyr Christophorus^ etc. giebt die sehr ergötzlich
moralisch aufgeputzte Legende, ein nichtssagendes Gebet und
eine scheussliche Beimerei in 24 sechszeiligen Strophen mit
einer nicht besseren Melodie. Die „Verbesserte Legend der
Heiligen^ durch Dionysius von Lützenburg und Martin von
Cochem, OoLi und Frankfurt 1726 p. 690—92 beruft sich auf
Petrus de Natalibus und Surius, nennt den Heiligen gleichfalls
«Adocimus, das ist gottloss» und beginnt mit dem Einsiedler
^) Wiederholt in F. Xorks Festkalender, Stuttg. 1847, p. 314 ff. und
in Siobers Alsatia 1851, p. 5ff.
*) Otte, Hdb. d. kirchl. Kunst-Arch. <^I, 565.
10*
I
i
III.
Die Darstellung der Legende.
Wenn wir einen Beleg suchten für die Meinung, dass zu
anderen Zeiten auch andere Künste Ausdrucksmittel der Volks-
seele sein können und waren, dürften wir ihn aus der Ge-
schichte des hl. Christoph entnehmen. Denn das Wort allein
wäre nicht im stände gewesen, S. Christoph zu einer derartigen
Volkstümlichkeit zu verhelfen, wie er sich ihrer besonders im
15./16. Jh. in Deutschland zu erfreuen hatte, das vermochte
einzig die bildende Kunst. Erst aus einer Betrachtung des
von ihr Geleisteten kann verstanden werden, welche Rolle er
im geistigen Leben unseres Volkes gespielt hat, wie sie
werdend ihm zuwuchs, wie sie ausgespielt ihn in den Schatten
gotischer Dome zurücktreten liess, wo er von da an stand
als ein spinnumwobenes Stück verblassten Volksglaubens.
Bis die neugierige Hand unserer Zeit die grauen Fäden
wieder zu entfernen begann. Mancher hat dabei geholfen
und auch sein Stäubchen fortgeputzt. Was viele dazu ver-
anlasste, war ein vorwiegend frommes, weniger ein kunst-
historisches Interesse. So darf ein zusammenfassendes und
ergänzendes Bemühen das Gewonnene noch einmal objektiv
zu betrachten und Neues hinzuzufügen suchen. Was dabei
vor allem wichtig erscheinen muss, ist die Stellung des Heiligen
im Denken und Empfinden unserer Vorfahren, eine eigentlich
kunstgeschichtliche Betrachtung will und kann auch ich nicht
unternehmen. Was ich gebe, bitte ich nur im Vergleich mit
dem vor mir Geleisteten zu beurteilen, welches wesentlich
in wohlgemeinten, aber wenig fordernden Verherrlichungen
und Schilderungen einzelner Bilder, Stiche etc. besteht^).
^) Ferd. Haathal Der grosse Christoph, Berlin 1843. G. W. van
Henkelam Van sunte Cristoffela beeiden, Utrecht 1665. Sinemns Die
11
152 K. Richter. 152
Wir werden gut thun, eine Vorfrage zu entscheiden. Wir
haben gesehen: die Christophlegende ist im Lauf der Zeiten
allmählich herangereift, aber es kommt vor allem an auf das
eine grosse Hauptmoment in ihrer Entwicklung, dass der ab-
strakte Name des Heiligen sich umsetzt in eine konkrete
Anschauung. Wäre es denkbar, dass eines bildenden Künstlers
Werk den Anstoss dazu gegeben hätte? dass der Dichter erst
der Nachschaffende gewesen wäre, der in Worte gefasst, durch
Worte gedeutet hätte, was eines andern Phantasie erträumte?
Man hat so gemeint^).
Zunächst, was wir an chronologischen Nachrichten haben,
scheint nicht zu Gunsten der Priorität der bildenden Kunst
zu sprechen. Die zweite Hälfte oder den Ausgang des 12. Jhs.
durften wir mit einigem Grunde als Geburtszeit des eigent-
lichen Christophgedankens ansetzen. Aus dem 13. Jh. sind
uns die ersten sicher datierbaren Darstellungen erhalten.
Wenigstens sind mir keine fiiiheren zu Gesicht noch Nach-
richten von ihnen unter die Hände gekommen. — Denn auch
das sei entschuldigend sogleich hervorgehoben und wird ge-
rechtem Erwägen verständlich erscheinen: wer auf die Suche
auszieht auf solchem Gebiet, muss mehr oder minder dem
Spiele des Zufalls ausgesetzt sein^). So könnte es ja wohl
sein, dass noch irgendwo, etwa in Miniaturen, ältere Christoph-
Legeude vom hl. Christoph in der Plastik und Malerei, 1868. Was
Giemen iu den Hittheilungen der k. k. Central-Commission z. Erforsch,
und Erhalt, d. Baudenkmale XV, 16 veriangte, eine Untersachang der
Ausbildung des Christophtypus in den einzelnen Landschaften, halte ich
für unmöglich.
^) Cahier Charact^ristiques des saints dans Tart populaire, Paris
1867, n, 447/8.
*) Kein Billiger, wenn er hört, dass eine wichtige Grundlage für
die folgenden Bemerkungen die Bestände des kgl. Kupferstichkabinetts
zu Berlin bilden mussten, unter i^elchen allein gegen hundert Darstellungen
des hl. Christoph sich befinden, kein Billiger wird verlangen, dass alle
irgend vorhandenen hatten in betracht gezogen werden sollen. Das
Wagnis des ürteilens von einem solchen Ausschnitt auf das Ganze muss
eben gewagt werden.
153 Darstellung der Legende. 153
darstellungen sich befinden, die der Beachtung lohnten. Aber
es ist doch von vornherein anzunehmen, dass auch sie auf
Utterarischer Grundlage beruhten. Denn pflegt schon im
Allgemeinen bei einem Verhältnis zwischen bildender und
redender Kunst diese mehr die befruchtende, jene mehr die
empfangende Bolle zu spielen, so fallt es in unserem Falle
besonders schwer, zu denken, dass nach einem Bilde oder
einer Statue, einen Mann mit einem Kinde auf der ßchulter
durchs Wasser schreitend, darstellend, selbst wenn daneben
oder darunter zu lesen stand <S. Christophorus», ein em«-
pfindender Beschauer die Legende in ihren Einzelzügen in
Worten hätte ausfähren sollen.
■
Ein Weiteres dürfen wir im voraus berührend abthun.
Man erinnert sich des Zuges der alten , Legende, der den
Heiligen als Kynokephalen ausgab und den wir als; rein
wunderbar märrchenhaft aufzufassen übereinkamen, ohne be-
stimmte Folgerungen daran knüpfen zu woUen. Es gewänne
diese Frage aber doch ein ander,es Ansehen, falls gewisse
Nachrichten über Wandmalereien in syrischen oder griechischen
EHöstem zu einer greifbaren Gewissheit führten. So findet
man in Stieglitz' Geschichte der Baukunst') und mannigfach
daraus abgeschrieben die Angabe, dass schon um den Altar
der Kirche des anter Kaiser Justinian auf dem Berge Sinai
erbauten Klosters sich ein Christophbild mit einem Hunds-
kopfe befand. Didron sah in den Athosklöstern Vatopedi
und Karakallu den hundsköpfigen Heiligen unter mehreren
andern hl. Kriegern dargestellt [mit der Unterschrift <ö äyioq
Xpi(rro<p6poc ö ^Trpcßo^»],. ebenso in der Vorhalle der Portaitissa
des gleichfalls auf dem Berge Athps gelegenen Klosters H^gia
Laura ^). Eine weitere ähnliche Darstellung soll ein anderer
Beisender auf Cypem gefunden haben. Wie nun? Giebt es
eine orientalisch - griechische .Kmnsttradition, die,, verhältnis-
mässig alt, demHeiligeh dieses entscheidende Charakteristikum
der früheren, nicht deutschen Legende anschaulich erhielt?
>) Neue Ausg. 1837 p. 482. \
*) Annales arch6olog:ique8 ed. Didron V, 151, XX, Ö79, XXI, 3ä.
11*
154 K. Richter. 164
So wäre die Frage nach der Herkunft der Legende ent-
schieden, neue wichtige Fragen tauchten aaf : sollte der Hunds-
köpf nur der Erbe einer fernen alten G-ottheit, einer mythischen
Person sein*)?
Zunächst will ich bemerken : was ich im ersten Abschnitt
über das Verhältnis der griechischen zu den lateinischen
Texten zu begründen mich bemühte, könnte richtig sein, ohne
dass es eine entgegengesetzte Meinung von der bildenden
Kunst aus zu gewinnen hinderte. Es ist kein Widerspruch,
wenn ich jenes aufrecht erhalte und diese nicht ausschliesse.
Ich kann sie nur beschränken, nur Bedenken gegen sie vor-
bringen.
Ich bestreite, dass es abendländische geprägte Dar-
stellungen mit dem Hundskopf giebt.^) Da auf diesen auch
das Kind, auch der Einsiedler schon sich fände, welche Per-
spektive würde sich eröffnen. Man könnte die ganze spätere
Christophoruslegende als eine orientalische Allegorie für das
zum Christentum bekehrte Heidentum ausdeuten. *) Der
Heilige war ursprünglich ein Heide: der symbolische Name
Beprobus ist unschwer als ein aus diesem Zuge abgeleiteter
zu erkennen. cCircumdederunt me canes multi: consihum
malignantium obsedit me» klagt der Psalter 21,17, und die
Psalterien des Mittelaltets stellen das gern als Scene dar:
Christus mit der Glorie in der Mitte und ihm zu Seiten rechts
und links dürre Menschengestalten mit langen wolfsähnlicfaen
Hundsköpfen, aus denen die roten Zungen nach dem Heiland
züngeln ; so waren ' Heiden und Juden die Hundsköpfe der
Kunst. Durch die ganze religiöse Kunst des Mittelalters geht
eine tiefe Symbolik: warum sollte man nicht im Bilde des
ein liebliches Kind auf den Schultern tragenden Hündischen
^) Une divinum ^gyptienne, Didron Manuel d'icoiiographie clir^tienne
grecque et latine, Paris 1845, p. 825.
*) vroraof Ndtes Hinweis zu Welther von Speier 11, 19 fainaosläuft.
Vgl. oben p. 9 Anm. 5.
') Bulletin monumental Lu, 47: image mystique de la puUsante
civilisation paienne oblig^e de ceder au Cbristianisme, fälble aux yeux
des Gentils, mais fort par sa divinite.
15S DnratelluDg der Legende. 156
die Annahme des cbriBtUehen Glaubens durch einen Heiden
zur Anschauung haben bringen wollen i* Und dann erst kam
der deutende Betrachter ond erfand eine ideelle Vision materiell
um in eine nair - gläubige, gescbehnisfreudige Legende?
Ich beetreite, dass es solche Barstellangen giebt. Das
Siegel der fruitiers in Paris ') ist ein sehr rohes und dazu
durch Abnutzung undeutlich gewordenes Stück, nichts weiter.
Über die, jedenfalls kaum unter Justiuian mögliche Sinai-
därstelluog weiss ich nichts Näheres, nicht, woher Stieglitz
seine Nachricht haben
könnte. Aber aus dem
Schweigen Bidrons ent-
nehme ich, daas der
Heilige in den Athos-
klöstem das Kind nicht
trägt. Anf der einzigen
abendländischen Dar-
stellung, die den Hunds-
kopf giebt, gleichfalls
nicht.
Sie befindet sich
anf Blatt 60 des Cod.
hiat. fol. 415 der kgl.
öffentl. Bibliothek in
Stuttgart, der, mit dem
sogenannten Chronicon
Zwifaltense minus be-
ginnend, auf Bl. 19'-87
das Martyrologium des
üsuard enthält. Vor
dem Monat Juli, zu dessen 26. Tage Usuards Worte bis
auf unwesentliche Abweichungen wie bekannt lauten, nimmt
sie die volle Seite ein. Der Heilige steht in Vorderansicht
aufrecht zwischen zwei schlanken mehrstockigen Türmen, er legt
<) FomeBit CoUectioa de plombs hittori^s, Pari« (1863) I, 6S, i.
weiter IV (L866), 157—161.
156 K. Richter. 166
die rechte Hand auf eine Zinnenbrücke, die sie, ihm in Brust*
höhe, verbindet, die linke auf das eine spitze Turmdach ;
seine beiden Füsse hat er durch zwei Thoröffnungen in der
Mauer gesetzt, deren Zinnen ihm gerade bis zur Hälfte des
Unterschenkels reichen; sein Kopf ragt noch über die Höhe
der Türme hinaus. Von der Strasse, aus den Fenstern der
Turmwohnungen schauen Männer und Frauen mit staunenden,
weisenden Handbewegungen zu ihm hinauf.
In zwei Richtungen ist diese Miniatur interessant In
dem deutschen Gedicht B hiess es, als der von Christus ge-
taufte Heilige auf dem Wege zum König Dagnus predigend
seine Strasse zieht» Y. 969 ff. :
8W& man sin 1er niht gerne hdrte
und im verslozzen wa« diu porte,
da er doch wolte vür sich hin,
da luogte er obene zuo in
übr die wer von der zinnen
und sprach also „ist iemen hinnen
der gerne hoere gotes lere,
dem rate ich daz er zuo mir kere''.
[V. 985] er endurfte ouch predigstuoles niht,
als man noch von siner lenge gibt,
er leint sich aber übr ein mür,
herre koufman und gebür
muosten sine rede hoeren.
Von Heyd^) setzte den Teil des Kodex, der die Miniatur
enthält, noch ins 12. Jh., Waagen^ wollte das 13. Jh. fixieren.
Eine lange anbekannte Vermittlung hätten wir vorauszusetzen
zwischen der Darstellung und der angeführten Stelle, wenn
wir die frappante Übereinstimmung nicht für zufallig halten
können.
Weist das Blatt in dieser Hinsicht vorwärts, in die deutsche
Zukunft, so schaut es andrerseits mit dem Gesicht des Heiligen
zurück, in die Vergangenheit, vielleicht in die ferne Heimat
der Legende. Waagen nannte dieses Gesicht ungeschlacht,
wie man sich im Mittelalter die Biesen dachte, aber er war
') Die bist. Hss. der kgl. öff. Bibl. zu Stuttgart I, 189.
*') Kunstwerke und Künstler in Deutschland, Lpz. 1845, II, 190.
157 Darstellung der Legende. 157
anf falscher Fährte. Unzweifelhaft, hier haben wir den Hunds-
kopf. Wenn man sich die im Halbkreis stilisierten Bartzipfel
des Kinnes bedeckt, so verschwindet das Löwenähnliche des
ersten Eindrucks : Nase und Maul, die obere Breite der Form,
das spitze Zulaufen nach unten, die niedrige Stirn, die kleinen
Ohren hoch oben zu beiden Seiten geben den ccaniueus».
Die Augen sind gross aufgerissen, der Ausdruck verstärkt
durch die breiten eckigen Linien der Brauen.
Wie kommt dieser s. Cristoforus chananeus — als
solchen weist ihn eine kleine Inschrift der Mauer aus — in
diese Handschrift? Von byzantinischem Einfluss ist in unserer
Darstellung so wenig die Bede wie in anderen desselben
Kodex. Der Heilige trägt ein Gewand, das ihm bis auf die
Knie herabreicht und um den Halsausschnitt mit einem Streifen
verziert ist ; ein Gürtel, dessen Enden vom lang niederhängen,
liegt über den Hüften. Falten und Mauerwerk zeigen nichts
Fremdes. Es bliebe die Möglichkeit, dass eine östliche Vor-
Stellung inhaltlich übernommen, aber von allem Ausseren be-
freit weitergetragen wurde. Aber ebensogut kann aus dem
Legendenwort sich selbständig im Osten und Westen hier
und da eine Hundskopfdarstellung entwickelt haben. Mir
scheint gegen eine festbegründete griechische Tradition der-
selben zu sprechen, dass die griechische Kirche sich gegen
sie von je ablehnend verhielt und verhält. Sollte sich das
€T€paTU}bri Kai irapdboSa» der alten Menologien noch erst auf
die Vorstellung überhaupt beziehen, so heisst es z. B. heut
im ZuvaEapiairj^ des NiKOÖn^og 'ATiopeixTi? *) : KuvoTrpocTujTro^
ibo) irp^Trei rd V0Ti9f|, öxi 6 "Atio^ t^tov ddxnMO? Kai d[|iopq)o^
Kard TÖ TTpoaumov, öxi hk Kai öti €ix€ (JkuXou iLiop<pr|V jiife xeXei-
ÖTirra, KaOuj^ ou KaXoi^ loiopoöaiv autöv tiv^^ dMaOet^ ZiwTpdqpoi.
'Avöpuimvov öfc irpöcTumov €ix€, KaOuj^ Kai oi Xonroi dvöpumoi.
Aber die *Ep)iriv€ia tüüv 2^WTpdq>u)v ^) kannte diese cerreur des
peintres», wie ein junger Mönch zu Hagia Laura auf Didrons
0 Zakynth 1868, III, 27 Anra. 2.
2) «Athen 1885, p. 194.
158 K- Richter. 158
Erkundigung antwortete, noch nicht, was aus ihrer lakonischen
Vorschrift cXpiotöqiopo^ vio^ dx^veio^» hervorgeht, und in
zwei der einzig beglaubigten Fälle eines griechischen Hunds-
kopfes, die Didron gerade aus den Athosklöstem aufspürte,
handelt es sich um Arbeiten eines Malers Damaskynos aus
der ersten Hälfte des 18. Jhs. Scheint es also nicht nach
allem, als ob auch im Orient diese Darstellungen erst spät
hier und da entstanden seien wie sie im Kloster Zwiefalten
Singular im 1 2. Jh. aus wörtlichem Verständnis des Legenden-
textes sich erzeugte? Ostlich und westlich mag uns freilich
noch yiel verloren gegangen oder bis jetzt unbekannt ge-
blieben sein, und die Neigung, die Spur des Fremdartig-
Rätselhaften im Osten zu suchen, braucht sich meinen
Gründen nicht zu unterwerfen, gern gebe ich das zu, anderer-
seits aber werden sie mich berechtigen, immer wieder, auch
von den bildlichen Darstellungen aus, zu betonen, dass irgend
ein Beweis für östliche Herkunft noch nicht erbracht ist.
Denn auch das scheint mir gegen eine solche zu sprechen,
dass wir mehrere derselben haben, die, aus der älteren Legende
hervorgewachsen, diesen wichtigen Zug der Hundsköpfigkeit
nicht bieten. Durand ^) berichtet, er habe in den Ruinen der
Kirche San Vincenzo-in-Galliano auf der Innenmauer unter
Gemälden des 12. Jhs. eine lange Figur des Heiligen gesehen,
die als solche nur ausgewiesen wurde durch den lotrecht da-
neben geschriebenen Namen. Auch in einem Fenster der
Kirche von Chartres findet sich ein Christoph ohne Kind,
wie die horizontale Nebenschrift erkennen lässt.^) und ver-
mag ich aus Deutschland auch keine solche Porträtdarstellung
anzuführen, so doch eine Art Illustration zur alten Passio,
die Miniaturscenen des Cod. lat. 13074 c. pict. 72 der Münchener
Staatsbibliothek, einer Hs. des 12. Jhs., zur Prosa Walthers
von Speier. Auf der Vorderseite von Blatt 66 sehen mi oben
zwei Männer und drei Frauen aus dem Stadtthor treten und
1) Annales archSol. XXI, 121 ff.
^) Revue de Fart chretien 1888, p. 417.
159 Darstellung der Legende. 159
auf den einen Kopf grösseren Heiligen weisen, der wie be-
teuernd eine Hand auf die Brust legt, unten links zwei Leute
ihn vor den König führen, der Tom Stuhl zu sinken im Be-
griff ist, rechts ihn gebückt in eine niedrige Klause, wohl
den Kerker, eingeben, hinter ihm zwei Frauen und der
grinsende Kerkermeister (?). Auf der Bückseite oben links
hat eins der beiden Mädchen einem kleinen Stierbild auf einer
Säule ihren Gürtel umgelegt und beide stehen, als ob sie nun
ziehen wollten, rechts knieen beide, der Kopf der einen liegt
schon am Boden, der andern packt der Henker ins Haar und
hebt das Schwert. Unten liegt Christoph auf schräg auf-
gerichtetem Gestell, unter dem ein Scheiterhaufen empor-
züngelt. Drei Pfeile stecken wirklich in seinem Leib, dass
die Wunden bluten. Gegenüber steht der König mit einem
Pfeil im linken Auge, zwischen beiden ein Schütz mit Bogen
^ind Pfeil. Stets ist Christoph massig, aber deutlich grösser
als die andern, mit langem Haar und Bart.
Ahnliche Ausfuhrungen der alten Legende befinden sich
an den Seiten eines Reliquiariums der Domkirche zu Arbe
in Dalmatien'): drei hl. Männer in Tunica und Toga mit
Rollen in der Hand [die consules ?], drei Personen, von denen
zwei ein Kreuz halten [die beiden Mädchen ?], die Pfeilscene,
in welcher die Hand Gottes von oben die Pfeile zu Boden
oder zurück auf den thronenden König lenkt, und die Ent-
hauptung durch zwei Krieger in römischer Rüstung. Auf
dem Deckel aber ist der Heilige dargestellt als signifer, mit
Standarte (stilisiertem Stab) und Königsmantel (?), jugendlich,
bartlos. In der Rechten eine Lanze, in der Linken einen
Schild hält er auf dem Emailbilde eines Reliquienkästchens,
das sich ehemals in der Abtei S. Yincent-aux-Bois befand. ^)
Darum dürfen wir auf diese Auffassung ein besonderes Ge-
wicht legen, weil sie offenbar zu dem kriegerischen Charakter
^) Jahrb. d. k. k. CeDtral-Commission zur Erforsch, u. Erhalt, d.
Baudenkmale V, 150/1.
^ Annales archeoL XXI, 123. Act. Sanct. no. 24.
160 K. Richter. 160
des Christoph in den erweiterten, also besonders den griechischen
Fassungen der Passio in Beziehung steht. Sollte es nicht
ein weiterer 6rund gegen die griechische Hundskopftradition
sein, dass ein slavischer Kalender ihn gerade so, jugendlich
bartlos, mit langem, auf der rechten Schulter zusammen-
geknöpftem Mantel und ledernem Kriegsschurz bis zu den
Knieen, nicht grösser und anders als andere Heilige auch,
nur durch ein mit der rechten Hand vor sich gehaltenes
Kreuz charakteristisch unterschieden, giebt^)?
Spärlich sind auch solche Beste einer bildlichen Dar-
stellung des Christophorus, die dem älteren Zustande der
Legende entsprechen würde. Wenn uns manche anderen
Ausführungen verloren gegangen sind, so wird der tiefere
Orund darin zu suchen sein, dass das eigentliche Interesse
für den Heiligen erst erwachen konnte, als er bereits zum
Christusträger geworden war. Die alten Martern boten nicht
viel Originelles, ihr Dulder mochte höchstens seine gelegent-
liche Verherrlichung finden wie irgend ein anderer Märtyrer.
Wenn spätere Jahrhunderte eine pathologische Neigung zur
Schilderung grausamster körperlicher Qualen fasste, so lag
solche Ausbeutung einer Heiligengeschichte dem Geiste der
Zeiten noch fem, die durch die Entstehung der Christus-
trägerlegende gemütvolle Anregung erhielten zur anschauend
darstellenden Bethätigung. Es konnte nicht zweifelhaft sein,
dass sie sich direkt an den Höhe- imd Wendepunkt der
Legende halten musste; das erforderte der eigentümliche
Charakter, vielleicht der bildenden Kunst überhaupt» sicher
der älteren kirchlichen Kunst mit ihrem Streben auf das
Typisch-Bedeutende, Ausdrucksvoll-Eindringliche. Analogien
erleichterten die Bildung.
Erst allmählich entstand der Typus der Darstellung, der
uns heut vor Augen schwebt, wenn wir an den hl. Christoph
denken ; erst um 1400 etwa ist er fertig, fest, von allgemeiner
Geltung. Letztere fehlte einer primitiven Auffassung, die
^) Act. San ct. Mail tom. 1, xxvn zum 9. des Monats.
161 Darstellung der Legende. 161
gegen Ende des 12. Jhs. die erste Yergegenwärtigung des
Christttsträgers versuchte und lokal beschränkt verbreitete.
Ihren Hauptsitz scheint sie in Graubünden gehabt zu haben,
südlich durch das Tessin bis Venedig, nordöstlich nach Tirol,
nordwestlich bis ins Elsässische gedrungen zu sein. Grerade
aufrecht in kolossaler Vorderansicht steht der Heilige da, nicht
schreitend, in der rechten Hand steif senkrecht einen Stab
haltend, lang und vornehm bekleidet wie das Christkind, das er
auf der Hand, im Arm oder auf der Schulter trägt ^).
Im Einzelnen zeigen sich Unterschiede, lässt sich eine
leise Entwicklung erkennen. In der ältesten deutschen Legenden-
£as8ung A V. 1066 hiess es:
Offoms sich praucht auf die chnie,
Jesam er auf den arm nazn;
treu schloss sich die Darstellung dem letzten Motive an, jenem
vermochte sie, wohl in ihrer natürlichen Beschränktheit, noch
nicht nachzukommen. Denn die Plastik hielt den früheren
primitiven Zustand, gleichsam eine niedere Objektivation der
Christophorusidee, infolge der grösseren Unfreiheit des Materials
konservativer fest als die Malerei, diese schritt langsam vor,
indem sie sich von jener alten Tradition des jugendlich bart-
losen Christoph loslösend inniger in den Geist der Legende
hineinlas, in der Erhöhung des Kindes, der Belebung des
Stabes, der Oewänder eine grössere Ausdrucksfahigkeit suchte.
Man vergleiche etwa die Ohristophstatue auf der rechten
Seite der dreiteiligen Fagade der Hauptkirche von Gemona
in Friaol^ und das Wandgemälde, das in der romanischen
Kirche zu Niedermendig aufgedeckt wurde') oder das rechts
aussen am Portal der Kirche S. Apollinare zu Trient be-
findliche^). Diese werden aus dem 13. Jh. stammen, jene
>) !S£ittheil. der k. k. Central-Commission zur Erforsohung und Er-
haltung der Bandenkmale, N. F. XV, 16.
«) ib. IV, 287/8.
«) Zs. f. Christi. Kunst I, 897.
*) Mittheü. IV, 16.
162 £• Richter. 162
Würde vielleicht von einem Meister Nicolaus 1331 geschaffen.
Gemeinsam ist ihnen die kolossale Grösse des Heiligen, bis
zum Dache, bis zur Decke reicht er, gemeinsam seine auf-
rechte Stellung in breiter Vorderansicht. Noch wird nicht
angedeutet, dass er im Wasser steht, dass ihm das Eind, das
er trägt, eine Last ist. Das Bild in Niedermendig erweist
sein Alter, indem es das Kind noch auf dem linken Arme
sitzen lässt, die Statue ihre Altertümlichkeit, indem sie Christoph
ganz bartlos giebt, indem sie ihm das Eind aufrecht auf die
linke Schulter stellt, und ziehen wir noch eine Darstellung
der Kirche S. Helena am Wieserberge ^) heran, wo es, als
ob es auf einem Stuhle sasse, die Schulter des Heiligen zum
Schemel seiner Füsschen macht, so sehen wir, wie es erst
langsam, aber zielbewusst dem ihm gebührenden Platz zu-
strebt. Vornehme, vielleicht fürstliche Gewänder gehen dem
Heiligen in schlichten parallelen Falten bis auf die Eoiöchel
herab, von dem Gürtel, der die Hüften umschliesst, hängt
ein Streifen hernieder und kündigt wohl ernsthaft an : cingnlum
sancti Christophori. Steif hält er den dünnen glatten Stab
senkrecht in der Hand, der oben in drei ganz gleiche Blätter
auseinandergeht oder drei Fruchtknollen trägt und auch etwa
dreifach wurzelt. Der Maler lässt das Eind an das Haar
des Heiligen rühren, es hebt die Hand zum Segen ^.
Diese ältere Auffassung ist interessant genug, um eine
Aufzählung der mir bekannt gewordenen Fälle zu recht-
fertigen, Dass die Eleidung in der Tbat einen fui*stlichen
Eindruck geben soll, erhellt aus zwei Darstellungen der
italienischen Schweiz, an der Westfront der Eirche von
S. Maria di Torello und rechts neben dem Portal der ehe-
') Mittheil. IX, 116.
^) Eigentümlich ist dem Wandgemälde von Niedermendig, dass das
Christuskind, so klein es gegen den Biesen ist, einen vollen männlichen
Bart trägt. Lnigi Haini machte eine ähnliche Darstellang in der Kathe-
drale zu Modena zum Ausgangspunkt einiger Bemerkungen über den
Einfiass der byzantinischen Kunst und über die Legende im Allgemeinen :
Leggenda di san Gristoforo, 1864.
163 Darstellung der Legende. X6S
maligen CoUegiatkirche von Biasca bei Bellinzona ^), sie lassen
den Heiligen eine kostbare Krone tragen. In Bossnra, gleich-
falls im Tessin, hat er einen barettartigen Kopfpatz ^. Auf
der ersteren hält er nur erst einen schwachen kurzen Palm-
zweig. Dass das Kind wie öfter so alt aussieht, mag teils
die Wirkung einer byzantinisch -abendländischen Tradition^
teils Unfähigkeit der Maler sein. In Biasca segnet seine
Rechte» in der Uhken flattert ein Spruchband, wie auch bei
den Darstellungen der Kixx^he von Zillis, des Kirchturms Ton
Walenstadt, der S. Eusebiuskirche bei Brigels, denen von
8. Paul und S. G-eorg bei Bäzüns, innerhalb der Kirche Ton
Oberwinterthur *). Anstatt zu segnen, halt es wohl auch die
Erdkugel^): Johanniskirche zu Taufers, Kirche zu Nals, in
Schloss Tyrol; das weist, glaube ich, schon auf spätere Zeit.
So bietet das GFemälde der Johanneskapelle in Brixen ausser
dem gleichen Motiv schon eine etwas grössere Freiheit der
E^leidnng und Bewegung, Ohristoph neigt den Kopf mit der
hochroten keck gefalteten MUtze etwas d^n Kinde zu, er
fasst den Stab hoch oben und hält mit der Linken das Kind
empor ^). Auch ein grosser Kragen ist zu seinem Kostüm noch
hinzugekommen; Sehr bemerkenswert ist eine der westlichsten
dieser Darstellungen, die ich kenne : ein Wandgemälde in der
Kirche der Cisterdenser Abtei Maulbronn, um 1300 ent-
standen ^. Der Heilige mit dem bartlosen schmalen Gesicht
ist „gar zierlich, der Biese eher einem Mädchen ähnlich^.
Lang faltenreich hat er ein Tuch umgesohlageD, und auch
^ Hittheil. d. antiquarischen GeseBsofaaft in Zürich, XXI, 1, 13/14,
Taf- m, 1, ».
•) Anzeiger f. schweizerische Alterthumskunde V, 8OT, Taf. xxv, 8..
») ib. p. 26.
*) MittheiL d. k. k. Central-Comm. N. F. XV, 16. Dort auch eine
Anfzählung von Darstellungfen, in denen sich der allmähliche Fortschritt
dokumentieren soll.
^) Repertorium für Kunstwissenschaft ed. Janitschek VI, 124.
•) Jahreshefte des "W^tirttembergischen AltherthumsTereiT^s IT, 2, 25^
Fig. 167.
164 K. Richter. 164
das Christkindchen sitzt in einem langen Tragröckchen auf
seiner linken Hand. Reiches Haar bis in den Nacken, welches
dieses äusserst lieblich anrührt, in der andern Hand hält es
ein Buch vor die Brust. Der dünne glatte Stab, den der
Heilige in der Rechten trägt, ist tou einer vollen wedel-
artigen Blätterkrone gekrönt, die zur Fremdartigkeit des Ein-
drucks nicht das Wenigste beiträgt Wir werden verfolgen,
wie die weitere Entwicklung diesen Zug, der zwar wiederum
der deutschen Fassung A V. 1119 entspricht^ aber nach der
Legenda aurea, in welcher der Stab erst am andern Morgen
erblüht, einen Anachronismus, wie man gesagt hat, bedeutet,
beibehält oder fallen lässt. Das Testament in der Hand des
Kindes findet sich öfter in der älteren Zeit, so bei einem
noch bartlosen jugendlichen Christoph der S. Helenakirche
im Gailthale in Kämthen, der auch eine Dattelpalme trägt ^),
bei einem mit kürzerem Bart auf der Fensterscheibe des
Strassburger Münsters, dessen kostbarer Bock und Mantel
bis auf die Knöchel herabfallen und der das Kind ebenfalls
im Arm hält^), im 13. Jh. in der Kapelle des hl. Michael
zu Bocamadour^, im 14. Jh. z. B. noch auf einer Wand-
m*alerei im Nonnenkloster Wienhausen. Karl Schnaase sah
in S. Maria antica zu Gravedona am Comersee ein Wand-
bild des Heiligen an der Eingangsthür, in einfachen kräftigen
umrissen des 13. Jhs., eigentümlich durch das „antikische
Kostüm^, das den Krieger offenbart^). Auf einem ebensolchen
im alten Bürgerhospital zu Gent, der Byloke, sind im Wasser
Fische angedeutet ^). Von einem alten riesengrossen Christoph
im Dome zu Worms und von einem des 12. Jhs. (?) in der
Benedictinerkirche zu Alspach bei Kaisersberg im Elsass*)
') Hittheil. d. k. k. Ceutnl-Comm. IX, 116.
') Gallier Gbaracteristiques des saints 11, 446.
') Annales arch^ologiques VIII, 278.
*) Mittheil. d. k. k. Gentral-Comm. V, 8.
^) G. £. Taorel De christelijke kunst, Amsterdam 1881, p. xvi.
*) Sinemos p. 40.
|.<65 Darstellang der Legende. 166
we(i38 ich nichts näheres. Auch ein Basrelief in S. Markus
zu Venedig giebt den älteren Typus, zwei Fische im Wasser ^).
Vielleicht böte die Urelemente des Typus eine Darstellung
am ursprünglichsten, die Lasinio bekannt gemacht hat^). Es
ist eine merkwürdige Reliefarbeit an einem Kapital, das Brust-
bild eines bärtigen Mannes, dessen rechter Arm ein Kind
umfasst, während die linke Hand einen Stab kurz unter dem
streng stilisierten Blattknaufe hält; Guenebault^) sah darin
eine Christophskulptur des 11. Jhs. Zunächst setzt der Her-
ausgeber selbst die Arbeit nach 1100, welche unbestimmte
Angabe der Übereinkunft mit unserer Berechnung des ersten
Christustr|Lgergedichte^ und der ersten Christusträgerdar-
Stellungen ischon weniger Schwierigkeiten in den Weg stellen
würde. Ausserdem aber ist es mir doch recht zweifelhaft,
ob wir ,es hier wirklich mit einem Christoph zu thun haben,
wovon Xiasinio jedenfalls nichts wusste. Am meisten fallt
mir auf, dass .die Füsse des Kindes beschuht sind, was gegen
üie regelmässige Darstellungsweise göttlicher Personen, wenn
auch nicht ohne Beispiel, verstösst. Femer sieht der G-egen-
stand in .der linken Hand eher einem Zepter oder dergleichen
:ähnlich, und wäre seine Haltung als eines blühenden Stabes
eigentümlich. Der Bart des Mannes widerspräche nicht nur
jden ältesten iDarstellungen, sondern auch der späteren italie-
nischen Art. Dann : das dem Manne zur linken Seite sitzende
(Kind, dessen eine Hand das eigene Kjiie umfasst, während
die andere winkt, ist schwerlich mit dem nach der Legende
•am ahdam Ufer rufenden Christkinde zu identifizieren, wie
^s in der Folgezeit wohl gemalt wird, und was sollten end-
lich die übrigen Figuren etc. des Beliefs, die in keinem Zu-
4Miminenhang mit. der Legende, wohl aber mit jener Gruppe
'Stehen.
*) Annsles arch^ologiqaes XV, 409. La basQiea di S. Karco ed.
Ungarn V, l Taf-x, -I Taf. n, 1.
*) Baocolta'di .larcoiagi, urne e altri monament! di «cultora del
«Campo Saaio di Fi«a, 181,4, lab. Lxix.
*) Dietionnaire iconograpfaique, Parä 1843, I> 276 a.
166 K. Richter. 166
Vielmehr werden wir jenen Tirol - Graubtindener Typus
als den ältesten festhalten müssen. Der Fortschritt zn grösserer
Freiheit der Auffassung hat sich vielleicht zuerst in Miniaturen
vollzogen, es fehlt das Material, das zu sichern. Aber man
nehme die bekanntgegebene Darstellung einer englischen Hs.^).
Das JBand sitzt in einem Tuche, das auf der linken Schulter
des Heiligen in einem starken Knoten gebunden ist, und von
seiner rechten Hand getragen wird. Es greift mit der linken
einen Zipfel seines Kopftuches, welches Motiv weiterhin be-
deutsam hervortritt. Höchst eigenartig endet sich der glatte
Stab, den jener in der linken Hand hält, oben in einen kleinen
Kreuzgri£f, der unter die Schulter gestemmt ist Das Gewand
fällt dem Heiligen bis über das rechte Ejüe, während es auf
der linken Seite zur Hälfte aufgeschürzt erscheint Mit blossen
Füssen steht er im Wasser, das wenige Wellenlinien andeuten.
In der rechten wie lehrend erhobenen Hand hält das Kind
eine Oblate, wobei wir an den freilich an einem späteren
Punkt der Erzählung sich findenden Zug der Mitteilung des
Abendmahls durch den Herrn selbst, in der deutBchen Version
A Y. 1395, denken. Und die Hs. 309 der Bibl. in Donau-
eschingen aus dem 13. Jh. enthält eine Miniatur, die bereits
zwei Fische, ein menschenhäuptiges tmd ein gefiedertes Un-
wesen im wogenden Wasser spielen lässt, obwohl das Eand
noch auf dem Arm des Heiligen sitzt, der wiederum eine
Mütze, höchst auffallend aber keinen Stab trägt. Vielmehr
rafit er mit der Linken sein G-ewand etwas auf.
Sehr bemerkenswert ist hier vor allem die Eigentümlich-
keit, dass das Wasser nur die Füsse des Heiligen umspült.
Sie steht, sobald und wo das Wasser überhaupt eine Bolle
spielt, von vornherein unabänderlich fest. Nicht eine einzige
Darstellung ist mir bekannt geworden, in der die Flut den^
') Walter de Gray Birch and H. Jenner Early drawings and ülu-
minations, London 1879. Taf. III. Die dort sonst noch angefahrten
OhriBtoph-Miniatoren habe ich leider so wenig einsehen können wie eine
solche eines Psalters der kgl. Bibliothek in Stuttgart: KittheiL d. k. k.
Central-Comm. N. F. XV, 16.
167 DarsteUang der Legende. 167
•
Heiligen bis an die Lenden stiege oder gar bis zur Schulter ;
auch wo sonst in den Maassen gar nichts Ungewöhnliches zu
Tage tritt, dient dieses Verhältnis der Körpergrösse zur Tiefe
des Wassers von Anfang an zum Ausdruck des Kiesischen,
oft in auffallendster Weise. Es bedeutet das einen einfachen
Verzicht der künstlerischen Darstellung auf die Möglichkeit
einer dramatischen Situationssteigerung und -ausnützung. Das
höher und höher Schwellen des Wassers, das Versinken und
Hingen des Heiligen, seine Todesangst — man sollte meinen :
hier läge auch für den Maler der eigentliche Keiz des Vor-
wurfs, wie unverkennbar wenigstens in dem älteren deutschen
Gedicht A und in der Legenda aurea die Erzählung wie zu
einem Gipfel hinauf sich hebt bis zu dem Punkte, da cdes
meres vnde mit dem lauf» den Unterliegenden übergiessen.
Möglicherweise wirkt der Einfluss der Plastik, deren Natur
die Beschränkung notwendig machte, hierin auf die Malerei
ein, oder wir müssten an einen repräsentativen Charakter
dieser selbst in jener Zeit zur Erklärung der auffalligen Er-
scheinung denken. Die Aufgabe erwächst, achtsam zu sein
auf die Ersatzmittel, die die Darstellung suchte, wir werden
einiges Interessante finden. Jedenfalls war es durchaus falsch,
wenn man zu einem alten Wandgemälde der S. Martinskirche
in Zalt-Boemel den unsichtbaren Unterkörper des Heiligen
im Wasser vermutet hat^); unangebracht, bei einem Polyphem,
der bis zum Nabel im Wasser steht, an S. Christoph zu denken^.
Höchst beachtenswert wäre es, wenn wir in der S. Jans-
kerk zu Gorinchem schon Reste eines Christophcyklus aus dem
13. Jh. hätten^). Es bewiese das ein tieferes Interesse an
dem poetischen Gehalt der Legende, es bewiese die Richtig-
keit der Ansicht, dass dieser und nicht eine Vorzugsstellung
des Heiligen in religiöser Beziehung der Grund zu seiner
Beliebtheit und dann freilich auch zu einer solchen als einer
') Algemeene konst en letterbode voor het jaar 1844, no. 43, p. 244.
*) Jahrb. d. kansthlBtorischen Sammlungen des aUerhöchsten Kaiser-
baases m, 1, 68.
•) Taurel 1. c. p. xvm, xxiv.
12
168 K. Richter. 168
Bich notwendig entwickelnden Folge war. Jener giebt uns
die Hütte des Klausners oder Einsiedlers, 8. Christoph
schlafend und 8. Christoph, wie er den Stab in die Erde
steckt, und ist in natürlichen Maassen gehalten. In dem
mittleren Bild trägt der Heilige Strümpfe, Schuh und eine
Art Hose bis zu den Enieen. Der Oberteil ist zerstört, aber
in einer oberen Ecke war das Kind in Kleid, Schuhen und
Strümpfen den Heiligen rufend dargestellt. Taurel charak-
terisiert die Kunst des Malers als den rohesten Realismus
eines Kindes: um so schwerer dürfte es nach alter Erfahrung
sein, die Entstehungszeit mit Sicherheit zu bestimmen. Die
Situation des Mittelbildes hat ein weiteres Leben gehabt.
Alles das, sollte ich auch manches übersehen haben, ist
nur eine Verweile einer nahenden grossen Flut. Plötzlich,
im zweiten Viertel des 15. Jhs., ist sie da, ungeheuer, un-
erschöpflich, ohne Stauung strömend durch fast zwei Jahr-
hunderte. Schier unübersehlich ist die Menge der Christoph-
bildchen, -bilder und -bildwerke, die aus der Wendezeit des
Mittelalters zur Neuzeit, aus dem 16./16. Jh. auf uns ge-
kommen sind. Der Aufschwung der bildenden Künste im
Allgemeinen, vor allem aber das Aufkommen der technischen
Künste waren die Ursachen der Erscheinung. In dieser
Periode erst stieg die Popularität des Heiligen auf ihren
Gipfel. Die allmähliche Vervollkommnung und Entwicklung
seiner Darstellung zu yerfolgen ist die Aufgabe.
Der älteste deutsche und damit überhaupt älteste Holz-
schnitt mit der Datienmg 1423 ist ein hl. Christoph^). Er
wurde in dem Karthäuserkloster Buxheim bei Memmingen
aufgefunden und ist heut in englischem Besitz. Die Streit-
frage, die sich um seine Priorität vor der Madonna der
Brüsseler Bibliothek dreht, ist für unsem Zweck gleichgiltig;
wir sehen 8. Christoph, den deutschesten Heiligen, als ersten
Gegenstand der deutschesten Kunst.
') Wie auch einer der ältesten Metallschnitte, s. Weigel und Zester-
mann Die Anfänge der Druckerkunst, Lpz. 1866, no. IS, Anz. f. Kunde
d. d. Vz. XIX, 274.
Ig9 Darstellung der Legende. 169
Es mag darum nicht unbillig' erscheinen^ das oft repro-
duzierte Blatt zum Ausgangspunkt unserer Wahrnehmungen
zu machen. Auch darum, weil es uns bereits das repräsentiert,
was wir den deutschen Typus des Heiligen nennen können.
In den früheren Bildern und Skulpturen brauchten wir nicht
zu scheiden zwischen den yerschiedenen Ländern. Auch
durften wir nur von einem werdenden Typus sprechen, den
wir in gewissem Sinne hätten universal nennen können. Jetzt
aber giebt es einen ausgeprägt deutschen Typus des Christo-
phorus im Gegensatz z. B. zu einem italienischen, und jetzt
haben wir geographische Grenzen zu beachten.
Der deutsche Christoph ist der deutsche Riese mit dem
langen deutschen Barte. Die ganze Fülle der Empfindung,
mit der die deutsche Märchenseele ihre Biesen sich erträumt,
ist ihm zu gute gekommen. Der lange Bart scheidet ihn des
zum äusserlichen Zeichen von allen Namensvettern südwärts
der Alpen. Das darf man, soweit ich sehe, durchaus fest-
halten : wo Ausnahmen vorkommen, wie auf einem kolorierten
Holzschnitt des 16. Jhs. auf dem kgl. Kupferstich -Kabinett
zu Berlin I 182, der den Heiligen mit schwarzem Spitzbart
und schwarzem Haar giebt ^), ist unbedenklich Fremdes an-
zunehmen, fremder Einfluss oder singulare Absicht fremd-
artigen Eindrucks.
Dann ferner: der Grosse hat Heimatsrecht erworben in
deutschen Landen. Er steht nicht mehr steif da, ein Götze,
ohne Umgebung: nein, er bewegt sich und fühlt sich wohl
in deutschem Wasser, zwischen deutschen üfem und hat sich
in deutsche Kleider gehüllt. Und so gefällt er auch dem
deutschen Christkind weit besser, ein viel herzlicheres, persön-
licheres Verhältnis ist zwischen ihnen entstanden. So kommt's,
dass auch weitere Gegend, Natur tmd Menschen, an ihm teil-
nehmen, nach ihm schauen, um ihn sorgen. Hängt aber das
alles unzweifelhaft mit der Entwicklung der Kunst im All-
*) Weigels MetHllschnitti 1. c. do. 19, ist mir nnbekannt. S. auch
Hittheil. d. k. k. Central-Gomm. N. F. XU, cov.
12»
170 K. Richter. 170
gemeinen zusammen, so wäre der hl. Christoph doch nie zu
so inniger Yertrautheit mit dem Herzen deutscher Menschen
gelangt, wenn nicht eben diese Entwicklung so gegangen wäre :
darum müssen wir bei ihm hervorheben als ein Inneres, was
bei der Darstellung eines andern Heiligen zum Ausserlichsten
gehören würde.
Der Holzschnitt von 1423 ist kein Kunstwerk. Er steht
technisch gerade so tief und so hoch, dass man sich nicht
wundern würde, wenn andere, rohere, bisher undatierte Holz-
schnitte plötzlich als älter erwiesen würden, dass man aber
auch keinen Anlass hat, einem leidlich geschickten Meister
solchen Leistungsgrad als erst- und gleicherrungen in der
neuen Art abzusprechen. Von einer tieferen Erfassung der
Hauptgruppe ist nichts zu spüren. Mit gebeugten Knieen
wankt der Heilige nach rechts, fest den Stamm umpackend,
sein etwas schief geratenes Gesicht nach links oben zu dem
Christkind hebend. Dieses hat das linke Bein über des Heiligen
linke Schulter herabgestreckt, mit dem rechten .Fuss kniet es
auf der rechten. In der linken Hand trägt es die Weltkugel
mit dem Kreuz darüber, die rechte ist segnend erhoben.
Das ist die durchaus übliche Lösung des Problems, den
Höhepunkt der Legende bildlich darzustellen, und man muss
gestehen, dass der prägnanteste Ausdruck darin erreicht ist.
Das Christkind, in dieser Haltung, giebt an sich schon den
bedeutsamen Typus des segnenden Weltheilands nach alter
Tradition, dazu kommt — und an die Legenda aurea wird
man im Allgemeinen doch am besten anknüpfen — die Ver-
bildlichung der schönen Legendenworte „Ne mireris, Christo-
phore, quia non solum super te totum mundum habuisti, sed
etiam illum, qui creavit mundum, tuis humeris bajulasti^,
welche diese Bedeutsamkeit noch erhöhen. Erstaunen, Furcht,
Erleuchtung, Hingebung kann in dem emporgewandten Blicke j
des Heiligen zum Sprechen gebracht werden, die ungehobeltste
Körperlichkeit durchgeistigt erscheinen.
Im Einzelnen sehen wir das Bingen der Künstler mit,
man kann sagen: praktischen Schwierigkeiten. Eine solche
I
171 Darstellung der Legende. 171
war, . dass das Kind in gewagter Stellung eigentlich balan-
cieren musste ohne festen Halt, nachdem einmal, wie wir
wiederholend beachten, entsprechend dem Fortschritt der
litterarischen Darstellnng, sein Sitz von dem Arm oder der
Hand [A Y. 1067] auf die Schultern erhöht worden war
[B y. 910 <dö sazte erz üf stn ahsel sä>, Y ein humeris
elerans»]. Seltener ist es, dass es wirklich rittlings im Nacken
des Heiligen sitzt, z. B. auf einem Schrotblatte Bkk ^) I, 234
aus dem 15. Jh. oder auf einem Holzschnitt Hans Baidung
Griens Ba^) 38. Sehr häufig kniet es nur mit dem einen
Knie auf der einen Schulter oder setzt den Fuss darauf, im
Begriff, den andern über die andere zu ziehen: Schongauers
Kupferstich Ba 48, Meister ES, Kupferstich, Pa«) 172.
Auf einem kolorierten Holzschnitt des 15. Jhs. in der gross-
herzogl. Kunstsammlung zu Weimar trägt der Heilige das
Christkind auf dem Kopfe ^) : das ist singulär. Oder es sitzt
direkt auf der einen Schulter, wie auf dem bekannten Holz-
schnitte Lucas Cranachs vom Jahre 1506, Ba 68, wo es
auch die Weltkugel auf dem linken Oberschenkel hält: ein
Zug, der uns zum Folgenden hinleitet. Denn dieses Ausser-
liche könnte uns gleichgiltig sein, wenn nicht schliesslich aus
der Schwierigkeit das Bestreben resultierte, die Situation
natürlicher und ungezwungener zu geben, und das fährte zu
einigen erwähnenswerten Momenten. Der Künstler musste
sich entschliessen, das bedeutungsvoll Symbolische dem rein
Menschlichen zu opfern, und so faUt denn entweder die Welt-
kugel oder der Segen fort, auch wohl einmal beides, und die
Hände oder eine Hand des Eandes greifen haltend an den
Kopf des Heiligen. Eine Menge intimster Stellungsnuancen
entwickelte sich daraus, in denen sich häufig der Grad der
individuellen Erfassungs- und Darstellungsinnigkeit und -tiefe
') SammluDg des Berliner Kupferstich-Kabinetts.
^ Bartsch Le peintre-gpniyear.
*) Passavant Le peintre-grayeur.
*) Piper Mythologie und Symbolik der christlichen Kunst, Weimar
1861, I, a, 192.
172 K- Richter. 172
der einzelnen Künstler kundgiebt. Während z. B. auf dem
Kupferstich des Meisters ES Pa 172 die Linke des Kindes
eine Locke des Heiligen hält, seine Bechte aber segnet, um-
gekehrt wie auf dem Dürerschen Holzschnitt yon 1511, fasst
es auf einem andern Dürerschen Blatte [Kupferstich Ba 61]
mit beiden sogar recht stark entwickelten Händen voll in
seinen dichten Haarwuchs, und der Humorist Altdorfer,
Kupferstich Ba 19, lässt es ordentUch hineinpacken, worob
denn der Heilige eine recht saure Miene zu ziehen scheint;
und in der theatralisch romantischen Darstellung Wolfgang
Hubers, Holzschnitt Ba 6, stützt es gar den Arm selbst auf
dessen Kopf, in der Kapelle des Schlosses Kyburg drückt es
ihn gewaltsam nieder^).
Wichtiger ist, dass diese Neigung, dem Kinde einen
äusseren Halt zu geben, vielleicht zur Befestigung eines ikono-
graphischen Zuges beigetragen hat, dessen Ursprung und Be-
deutung mir nicht unbedingt sicher ist: ich meine die Stim-
binde, die der Heilige vielfach trägt Denn wenn dieselbe
auch des öfteren ohne besonderen Zweck erscheint, so ist es
doch gerade auch häufig, dass die eine Hand des Kindes in
sie hineingreift und ihm so einen festen Halt gewinnt. Dass
diese Deutung nicht so willkürlich ist, mag ein Schrotblatt
aus dem 15. Jh. lehren, auf welchem der Heilige zu Pferde
dargestellt ist und ein Streifen des faltenreichen langen Tuches,
das ihn umschlingt, über seinen Kopf geht, sodass ihn das
Kind fassen kann: Bkk I, 235. Der Holzschnitt Dürers
Ba 104 lässt es über die Binde hinweg auf die Stirn greifen
und den Kopf des Heiligen dadurch nach oben wenden: ein
hübscher Einfall. Was aber bedeutet diese Stimbinde im
Allgemeinen? Vielleicht dürfen wir auf diejenigen Fälle be-
sonderes Gewicht legen, in denen sie, sehr breit, fast das
Ansehen eines Turbans gewinnt, wie etwa auf einer Ofen-
kachel des Germanischen Museums ^ oder einem Kupferstich
1) MittheiL d. antiquar. Gesellsch. in Zürich XVI, 107. Taf. iil
•) Anz. f. Kunde d. deutsch. Vorz. N. F. XXXII, 70.
173 Darstellung der Legende. 173
des Lucas van Leyden Ba 109, oder in der Plastik : an einem
Christoph des Marktbrunnens zu Urach. Ich yermute; dass
sie ursprünglich eine fast unwillkürliche Andeutung def(
orientalischen Charakters der Legende oder vielmehr der
Torgegebenen orientalischen Herkunft des Heiligen war:
«gente Chananeus» mochte sich in diesem Zeichen äussern
wollen. Sehr bald natürlich wurde es dann völlig ohne aus-
geprägte Absicht gewohnheitsmässig weiter getragen.
Denn dass man etwas Fremdartiges in der Darstellung
zum Ausdruck zu bringen bestrebt war, das kann uns gerade
der Holzschnitt von 1423 erkennen lassen: der Stamm, den
der Heilige auf ihm in der Hand hält, ist kein deutscher,
sondern ein südlicher Baum, er trägt reiche Falmenzweige
und vier grosse geschuppte Früchte. Und das kommt auch
wohl sonst noch vor. Im Allgemeinen freilich ist auch dieser
Wunderstamm deutsch geworden, Michael Wolgemut auf seinem
Bilde im G-ermanischen Museum zu Nürnberg lässt ihn in
Eichenblättem ausschlagen und Wolfgang Huber hat seinem
Biesen eine ganze Tanne, frisch ausgerissen mit Wurzeln und
Krone, in die Hände gegeben. In der älteren Zeit lief er
gern in drei Astchen aus, womit die Heiligkeit der Zahl wohl
doch nichts zu thun hat^), auch in Tierköpfe mag er sich
enden ^).
Nicht immer wird der Stab blühend gedacht. Es mag
in den dadurch bedingten Abweichungen die Divergenz der
verschiedenen Legendenfassungen ihren Ausdruck finden: wir
erinnern uns, dass die deutsche Legende A das Wunder un-
mittelbar in der Nacht, mitten im Wasser, die Legenda aurea
hingegen erst am andern Morgen am Ufer geschehen lässt.
Das rohe Bildchen im Hortulus animae, Basel 1623, Bl. cxv
giebt wie Huber einen eben entwurzelten Baum: aber er ist
rasch gekappt worden. Bisweilen ist auch das Eben-Aus-
schlagen, Eben-Treiben, Keimen des abgeschnittenen Stockes
^) H. Samson Die Schutzheiligen, Faderborn 1889, p. 1S3.
*) Forgeais Collection de plombs histori^s IV, 157/9.
174 K- Bichter. 174
ein liebliches Motiv : z. B. auf dem Holzschnitt Jost Ammans
An ^) 63^ der Heilige mag erstaunt hinaufblicken. G-anz dürr
|ind unfruchtbar ist er meist bei Dürer, auch auf dem be-
kannten Dirk Boutsschen Bilde in München, klobigdick z. B.
an einem Sakramentshaus zu Sulzbach ^.
Eins der Mittel, durch welche der Künstler den Eindruck
der Gefahr, in der der Heilige schwebt, erreichen konnte oder
zu erreichen suchte, war die Art, wie er ihm diesen Stab in
die Hand gab, welcher Umstand die ganze Haltung des
Körpers bestimmte. Freilich nicht, wenn Christoph wie bei
Huber den Baum nicht zum Stützen, sondern nur zu riesischer
Berühmung trägt, wie ebenfalls Lucas Cranach auf seinem
Holzschnitt ihn nur stereotyp beigiebt. Auch die gewöhn-
liche Darstellung, dass der Heilige ihn in einer Hand haltend
ins Wasser setzt, erschöpft nicht die letztmögliche Wirkung,
wenn auch Dirk Bouts ihr durch das hohe feste An&ssen nahe
kommt. Hingegen trifft schon der Holzschnitt von 1423 das
Sichtige, indem er den etwas gebeugten Riesen den Stamm
mit beiden Händen fest umklammem lässt. Das wird z. B.
gesteigert in Meckenems Kupferstich Ba 91: tiefgeneigt steht
S. Christoph, auch der Stab will nicht mehr Halt gewähren,
er biegt sich unter seinem angstvollen Stützen. Einem solchen
dramatischeren Effekte gegenüber giebt etwa Dürer einmal
[Kupferstich Ba 51] eine ruhige selbstbewusste Festigkeit,
indem sein Heiliger, den linken Fuss steif ins Wasser ge-
stemmt, gerade aufrecht dasteht und fest mit beiden Fäusten
den geraden Stamm packt: doch wirkt das unleugbar kälter.
Den lebendigsten, freilich nicht auch beängstigendsten, viel-
mehr frisch humorvollen Eindruck gewinnt Altdorfer, wenn
er den Grossen von einem pausbäckigen, ziemlich ausge-
wachsenen Jungen kräftig ducken lässt, während ihm der
Baum aus den fassenden Händen nach oben zu gleiten scheint
[Holzschnitt Ba 63].
') Andresen Der deutsche Feintre*Gravear I, 99 — 448.
*) Kraas Kunst und Alterthum in Elsass-Lothringen, II, 621.
176 Darstellung der Legende. 175
Eine besondere Beachtung verdient die E^leidung des
Heiligen. Sie ist nicht wie wohl bei anderen Märtyrern mit
einigen Worten abzuthun^ die verschiedensten Absichten und
Einflüsse sind an ihr zu verfolgen. Freilich, wenn wir von
dem Bubensschen Christoph auf dem einen Aussenflügel des
Triptychons der Kreuzabnahme in der E^thedrale zu Ant-
werpen lesen, dass er «propter nuditatem scandalo non vacare»
schien^ so bemerken wir bald, dass eine derartige sittenpolizei-
liche Beanstandung nur der individuellen Art dieses Malers
und nicht der geläufigen Darstellung des Heiligen gelten
konnte, denn wenn auch ausnahmsweise noch einmal eine
Christophstatue im Dom zu Paderborn ebenfalls nur ein Tuch
um die Lenden und eine Art Mantel von der linken Schulter
herab hat, cmaar z6ö, dat deze den Christusdrager weinig
tegen de nachtelijke koude zoü beschut hebben», wie Henkelum
sagt, so bot im Allgemeinen, wenigstens in unserm ehrbaren
Deutschland, die Bekleidung tugendhaften Schamgefühlen kein
Ärgernis. Im Gegenteil. Schon der Holzschnitt von 1423
flösst uns ein heimliches Bedauern ein mit dem Armen, der
ausser der Welt und ihrem Schöpfer noch diese Gewand-
masse mit sich zu schleppen hatte. Und das ist interessant:
der weite wehende Umhang, hier ein Mantel, dort ein grosses
vielmals um den Leib geschlungenes Tuch, nach dem Christ-
kind das am meisten charakteristische Kennzeichen des Christoph,
ist durchaus der bildlichen Darstellung eigen und war der
geschriebenen Legende völlig gleichgiltig. Nun kann man
zwar nicht sagen, dass das Bedürfnis nach einem Ausdrucks-
mittel der Situation dazu gefühi*t habe, denn ältere Gemälde
zeigten uns bereits das lange Gewand in ruhiger Schlichtheit,
das ursprünglich wohl nur ein Ausdruck der allgemeinen Be-
kleidungsseligkeit der religiösen Kunst war; aber sicher ist
es, dass dieses Bedürfnis dem einmal — unbestimmbar wann
und wo zuerst — gefundenen Motive zu der Geltung eines
ikonographischen Zuges verhalf: wie die Legende das Wasser
des Flusses rauschen und schwellen liess, so giebt uns der
Maler im wehenden Mantel das Sausen und Heulen des
176 K. Richter. 176
Windes. Ein höchst interessantes Beispiel, wie jede Kunst
so auf ihre Art den Aufruhr der feindlichen Natur zum
Ausdruck zu bringen ganz unwillkürlich gedrängt wird.
Im Einzelnen will ich darauf nicht eingehen. Von des
Kümtlers Fähigkeit war auch hier natürlich die Wirkung
abhängig. Dürer erreicht in diskretester Weise auf seinen
beiden Stichen aus dem Jahre 1621 mehr als Altdorfer in
dem zehn Jahre späteren durch einen ungeheuerlichen un-
möglichst nach hinten flatternden Mantel, bei Dürer glaubt
man zu sehen, wie der Umhang, von der Schulter herab-
gesunken, den Schritt hemmt. Eine Steigerung rein äusser-
Ucher Art ist es, wenn auch das Christkind ein kleineres
wehendes Mäntelchen trägt, dessen nur praktische Bedeutung
sichtbar wird, wo es sonst ganz unbekleidet erscheint wie etwa
auf dem Granachschen Blatte. Übrigens lässt Meister Lucas
den Mantel des Heiligen selbst lang im Wasser nachschleifen,
sodass eine Einförmigkeit, wie sie sich öfter findet, glücklich
vermieden wird. Baidung Griens Holzschnitt Ba 38 geht
derselben dadurch aus dem Wege, dass des Heiligen Mantel
nach links und eine Binde des Kindes nach rechts strebt.
Hingegen muss es als das durchaus Seltenere angesehen
werden, dass der Mantel nicht weht, wie auf dem Dirk Bouts-
sehen Bilde, in diesem Falle sind andere Ausdrucksmittel für
das Gefahrvolle der Situation gesucht. Die Skulptur freilich
war genötigt, eine grössere Zurückhaltung grundsätzlich zu
beobachten, der Bildhauer liebt es darum, den Heiligen das
Tuch mit der einen Hand aufheben zu lassen, wie auch die
Schwesterkunst übrigens nicht verschmäht. Beispiele: die
Eichenholzstatue der Kirche zu Oud-Zevenaar, Henkelum,
und der Stich des Martin Schongauer Ba 48. Sehr selten
aber fehlt der Mantel ganz^).
Weit weniger lässt sich Festes über die übrige Kleidung
des Heiligen angeben. Denn es kam die Tendenz der mittel-
alterlichen Kunst, ihren Gestalten das äusserliche Ansehen
') Jahrb. d. kunsthist. Samml. d. aUerh. Kaiserhaases 1X1, 2, clvi.
177 Darstellung der Legende. 177
llitlebender zu geben, in eigentümlicher Weise mit der ün-
gewissheit in Konflikt, welche die Legende über die positiven
Lebensumstände S. Christophs walten liess. So trägt er denn
meist eine Art charakterlosen Idealkostüms, das man in Ver-
legenheit ist, Kittel oder Wams oder Hemde zu nennen.
Schliesslich passte dieses Fragliche ganz leidlich, indem man
sich einen Menschen, dessen Geschäft es ist, andere Menschen
über einen Fluss zu tragen, allenfalls so vorstellen mochte
bis auf den Mantel, der denn eine Draperie zu ästhetischem
Zwecke war und die Bealität der rohen Krafterscheinung
wohlthuend milderte, aber für das Amt seines Trägers un-
leugbar übel passte. Besser bisweilen die aufgekrempten
Hosen. Beispiele bieten sich selbst. Übereinstimmend ist
das Kind gekleidet, wenn es nicht nackt sein soll.
Daneben macht sich aber die Neigung geltend, den
Heiligen äusserlich durch eine reichere Tracht zu erhöhen.
So stellt ihn der Stich des Meisters ES Pa 172 dar in einem
feinen bis auf die Oberschenkel reichenden Gewand, darunter
eine Hose aus enganliegendem Stoff, unter den Knieen auf-
geschürzt. Es wäre das gleichgiltig, wenn nicht auch hier
wieder, in dem phantastisch bunten Kostüm einer Beihe von
Darstellungen, die Vorstellung des Orientalischen zum Durch-
bruch käme, die Neigung, den Charakter des Fabelhaft-
Wunderbaren, das die Person des Heiligen umgab, im
Ausseren hervortreten zu lassen [welche meine Meinung, bei-
läufig gesagt, ganz etwas anderes bedeutet als die öfters be-
rührten Versuche, den Ursprung der Legende im Orient zu
finden, und also nicht etwa als ein Widerspruch mit mir
selbst anzusehen ist]. Der Dirk Boutssche Christoph in München,
das Schrotblatt mit dem reitenden Heiligen, der überhaupt
ein merkwürdig semitisches Aussehen hat, und der vom Markte
brunnen zu Urach seien Zeugen der Thatsache.
Nur mittelbar von Bedeutung ist der Gürtel, den der
Heilige vielfach trägt. Zunächst dient er wiederum, die Natür-
lichkeit der Stellung zu erhöhen: indem der Heilige mit der
einen Hand hineingreift, gewinnt die Schulter mit dem Kinde
178 K- Richter. 178
eine wohlberechnete Stütze, z. B. auf Dürers Holzschnitt Tom
Jahre 1611; ein Effekt, den der Künstler auch wohl dadurch
erreicht, dass er S. Christoph die Hand in die Hüfte stemmen
lässt, welches Motiv besonders in der plastischen Darstellung
[und bei den Italienern] sehr beliebt ist: man nehme die
Statue der Elirche zu Werne in Westfalen^). Dann aber
hängt an dem Gürtel eine Tasche als eines der rätselhaftesten
Stücke in der Ikonographie unseres Heiligen. Ob sie zwar
schon nicht Kegel ist, so erscheint sie doch viel zu häufig,
um etwa als zufaUiges Beiwerk gelten zu können, und wir
sind genötigt, nach irgend einer Erklärung für sie zu suchen,
da es doch nicht so ganz natürlich dünken darf, dass ein
durch ein Wasser Schreitender ohne Grund mit solchem
Hindernis ausgestattet wird. Wenn aber die Acta Sanctorum
vermutet haben, diese cmantica» sei eine Erfindung der bösen
protestantischen «novatores», in deren allegorischen Auslegungen
sie allein zu finden sei, nicht aber auf den Gemälden der
Künstler selbst, so klopften sie freilich an die falsche Thür,
wenn sie sie an dem nackten Christophorus des Rubens
suchten, aber Blätter des Meisters E S, vielleicht noch keines
Novators! Dürers, des Lucas van Leyden, ein um die Mitte
des vorigen Jahrhunderts noch vorhandenes Bildwerk am Ein-
gang der Stiftskirche zu Goslar^), ein Bild zu S. Jakob in
Jena und das Buchhändlerzeichen des Henning Gross in
Leipzig hätten sie von dem Vorhandensein der Tasche, nebst
vielen andern Darstellungen, belehren können. Sehen wir nun
auf einem Holzschnitte des Jost Amman An 53 zwei Brote
und zwei Fische in ihr stecken, so wendet sich die Frage
höchst merkwürdig erst dui'ch den Umstand, dass bisweilen
auch Kinderköpfe aus ihr hervorgucken. Eine Statue am
Christophthor zu Emmerich trägt ein zweites Kind, das
viel kleiner als das Jesulein ist, unter dem linken Arme,
') Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, ed. Ludorff IH
Taf. 100.
•) Org. f. chriatl. Kunst XII, 222 ff.
179 Darstellung der Legende. 179
ein drittes reckt den Hals aus der Tasche, ebenso zwei oder
drei an einem Christoph des Domes zu Münster, und auf der
eines Bildes zu Op-Heusden in der Nederbetuwe sind kleine
Bilder gemalt, wie Henkelum berichtet. Ich kann mich der
rationaUstischen Erklärung Schaepkens' ^) zu einem weiteren
Falle derart: der Künstler habe den Unterschied des 6e-
wichtes zwischen dem Heiland der Welt und gewöhnlichen
Menschenkindern ausdrücken wollen, so bestechend sie er-
Bcheiot, nicht recht anschliessen, denn das Motiy hätte dann
etwas Modem-Frivoles, und es soll das Ohristkind der Legende
doch nicht irgendwie durch seine leibliche Grösse gefährlich
wirken. Zum mindesten würde ich gemütlicher zu begründen
suchen, dass der Künstler etwa die prächtige Prahlerei des
Heüigen in der älteren deutschen Fassung A:
„ez ist ein schäm,
daz ich dich einez tragen sol;
wem deiner hundert, ich trueg si wol''
oder Ahnliches zu humorvollem Ausdruck mit den Mitteln
seiner Kunst bringen wollte. Wenn man das nicht will, ist
es am einfachsten, in dem Zuge eine blosse Andeutung des
von dem Heiligen übernommenen Amtes zu sehen. Hingegen
ist eine symbolische Bedeutung, dass etwa Christoph in seiner
Eigenschaft als ein grosser Heiliger die sich ihm Anvertrauen-
den sicher durch die Stürme des Lebeus trüge» so wenig an-
zunehmen wie für die Tasche selbst. Wenigstens vor der
Zeit der allegorischen Betrachtungsweise unserer Legende,
auf welche ich im vierten Teile zu sprechen kommen werde,
scheint mir die Tasche lediglich ein allmählich eingebürgertes
Stück des äusseren ümundan des Heiligen, wurzelnd in
der lebhaften Anschauung seines selbsthäuslichen, primitiven
Daseins, gepflegt in der Freude am genrehaften Detail, das
unserer älteren Kunst ihren geheimen Reiz giebt. Soweit ich
sehe, fehlt dem italienischen Typus das Motiv vollständig.
Ganz ungehörig aber dünkt mich die Erinnerung des Abb 6
») Revue de l'art chrdtien ed. Corblet VIII, 477 flf.
180 ^ Richter. ]80
Cochet^) anlässlich eines Holzbildes des Heiligen in Saint-
Lonp zu Chälons-snr-Marne, welches eine offene Tasche trägt,
deren Schloss durch einen Lederriemen mit dem Gürtel zu-
sammenhängt ^) : dass solche Taschen im Mittelalter sehr ge-
bräuchlich waren, dass Eitter sie im heiligen Lande trugen,
um Reliquien darin zu bewahren, und G-eistliche Almosen
aus ihnen verteilten. Späterhin, als die allegorische Deutung
erst einmal im Schwange war, mag dann die Tasche noch
häufiger geworden sein und sich in der Ikonographie des
Christoph befestigt haben zu einem unentbehrlichen.
Auch ein Rosenkranz hängt bisweilen am Gürtel des
Heiligen, z. B. an der linken Seite der berühmten Statue im
Kölner Dom; ein Stich Barthel Behams, Ba 10, legt ihm
einen solchen um den Nacken, bei Altdorfer trägt ihn das
Kind. Wissensdünkel hat nicht verfehlt, auf den Anachro-
nismus dieser Ausstattung hinzuweisen, da der Rosenkranz
erst etwa ein Jahrtausend nach dem dargestellten Geschehnis
während der ILreuzzüge aufgekommen sei^).
Wichtiger ist es, dass noch öfter ein Schwert oder Dolch
in dem Gürtel steckt, z. B. auf Dürers Holzschnitt Ba 104.
Es kann uns das hinüberleiten zu einer Klasse von Dar-
stellungen, die seinen Träger in kriegerischem Aufzuge geben.
Denn war es auch früherer Kunst gemäss, das Kostüm der
heiligen Personen in freiester Weise nach der Mode der Zeit
sich wandeln zu lassen, so ist es doch ausgeschlossen, dass
der eine oder der andere beliebig plötzlich als Soldat hätte
gedacht werden können: man möchte meinen, der Zunftgeist
der Zeit habe solche letzte Willkür verboten. So muss diese
Eigentümlichkeit erklärt werden. Wir haben aber schon ge-
sehen, dass die erweiterten Fassungen der alten Passio hier
hineinspielen , jetzt gilt es nur zu verhüten, dass diese Meinung
missverstanden werde. Sie ist nicht die, dass jeder Künstler,
') Sepultures gauloises, romaines, franques et normandes, Paris
1867, p. 276.
") Abbildung Gongres arch^ologique de France, Paris 1866, p. 356.
») ib. p. 168.
181 Dantellang der Legende. 181
der dem Christoph ein Schwert an die Seite gab, in der That
eine jener Versionen vor Augen gehabt habe, sondern nur,
dass aus ihnen, vielleicht auch aus der Vorgeschichte vonA,
dem älteren deutschen Gedicht, in welchem Offer in ritter-
lichen Kampfspielen sich übte, das Bewusstsein kriegerischen
Berufes und Dienstes für den Heiligen gewonnen wurde, zum
wenigsten partikulär, und dass diese partikuläre Auffassung,
wie sie in der litterarischen Tradition mehr unausgesprochen
wirkte — wie stark z. B. in dem Motiv des Dienstsuchens
bei einem Herrn, der sich vor niemand fürchtet, in jenem
Gtedichte AI — den gewöhnlichen Typus der bildlichen Dar-
stellung äusserlich mehr modifizierte. Aus zeitlichen und
künstlerischen Verhältnissen erklärt es sich, dass wir wiederum
zwei Arten der Tracht zu scheiden haben, je nachdem unser
Biese als Landsknecht oder antikisiert auftritt. Häufiger
und deutscher ist der erstere, unnatürlich sind unserem Ge-
fühl beide Vorstellungen: was hatte die Legende in ihrem
tieferen Sinne mit äusserlich soldatischem Wesen zu thuu?
Solch einen steifgespreizten Herrn mit feinem Barett, weltlich
gestutztem Bart, reichem hellgrünen Untergewand und blauen
geschlitzten Spitzenhosen, wie er in ungeheurem roten Mantel,
einen Stab in den Händen, mit einem Kinde in seinem Nacken
auf einem Gemälde in der Martinskirche zu Zaltbommel im
Wasser steht ^), hätte das Volk nie seinen Christoffel genannt,
und auch kleine Blätter, die ihn so darstellen [z. B. ein
kolorierter Holzschnitt aus dem 15. Jh. Bkk. I, l77] haben
nie etwas Warmes. Wohingegen einzelne Stücke dieser Staats-
tracht mit Vorteil in die Darstellung übergingen, weil sie,
zwar unbegründet, doch als Detail belebend sind, und es giebt
einen naiv erfreulichen Anblick, wenn etwa dem lieben Grossen
ein Schwert fragwürdiger Beschaffenheit zwischen den Beinen
baumelt [Holzschnitt Wolfg. Hubers] oder ein Pederhut oder
sonstiges im Grunde Undefinierbares ihm zu einer Art proble-
matischen, aber jedenfalls gemütlichen Aussehens verhilft.
>) Henkelum Taf. IIL
182 £• Bichter. 182
Das lässt man sich gern gefallen. Gar nichts aber konnte
die Vorstellung des Heiligen von der modischen Unart ge-
winnen, ihn mit „antikischer" Rüstung auszustatten, wie Karl
Schnaases Wort von dem Christoph von G-ravedona es aus-
drückt. Zu welcher theatralischen Ausserlichkeit die Re-
naissancezeit das dann ausbildete, lässt ein Holzschnitt in
dem Hortulus animae, 1619 zu Nürnberg von Fr. Peypus
gedruckt, erkennen^). Ein so unmögliches wie unbestinun-
bares Schutzstück bedeckt den Heiligen, das Kind aber setzt
einen Fuss auf die grosse unmittelbar auf seinem Oberarm
ruhende Weltkugel und haut mit einem Schwertgriff in der
erhobenen Linken nach seinem Haupte — wer konnte dabei
noch etwas von dem empfinden, was die Legende wollte?
Mir ist weiter eine Darstellung des Heiligen zu Gesicht
gekommen, die ihn in Bergmannstracht giebt. Doch mag
dieselbe, ein Ausfluss der abergläubischen Verehrung Christophs
bei den Schatzgräbern, von der zu sprechen sein wird, nicht
so selten gewesen sein; wenn wir von Christophelbildern bei
abergläubischen Beschwörungshandlungen vernehmen, dürfen
wir sie uns derart denken, nur dass der verpönte Zweck ihrer
Erhaltung auf unsere Tage nicht eben forderlich gewesen sein
wird. Der kleine Stich eines unbekannten vom Jahre 1620,
an den ich denke [Ba X, 127 no. 13], stellt den Heiligen ge-
drungen gnomenhaft in kurzem, enganliegendem Wamse dar,
einen ledernen Überzug auf den Beinen, der nur Ferse und
Spitze des Fusses freilässt, einen Kragen um den Hals, eine
Kappe auf dem Kopf, um seinen Leib geht ein Biemen,
der mehrere Schlüssel, ein Blasinstrument, einen Beutel u. dgl.
festhält. Die Bechte, im Fausthandschuh, fasst einen Spiess.
Mit der schriftlichen Legende hat diese Auffassung keinen
Berührungspunkt.
Es wäre ja denkbar, dass die Landsknechtsdarstellungen
einem ähnlich praktischen Zwecke, oder zu einem Teile, dienten
und dem Schutzheiligen gegen plötzlichen Tod galten.
') Dibdin The bibliographical decameron, London 1817, IT, 58. 1523
ist die Gteste des Kindes übrigens verändert, Fa IV, 277 no. 169.
183 Dantellang der Legende. 188
In merkwürdiger Weise die drei Abaichten des Beichexi,
des Fremden und des Reisigen mischend stellt sich uns schliess-
lich jenes öfter genannte Schrotblatt aus dem 16. Jh., von
dem Meister mit dem Weberschiffchen, dar, das den Heiligen
hoch zn Boss dnreh den Fluss ziehen läset ^). Man hat es
erwähnt, ohne recht zu wissen, was man damit anfangen solle.
Da der Künstler im Übrigen, auch in der Umgebung, dem
Typus folgt, so scheint es, als habe einen phantastischen Kopf
das Wunderbare unserer Legende zu solcher S^^rulle ver-
führt. Oder singulärer praktischer Zweck? Doch scheint es
noch eine zweite ähnliche DarsteUung zu geben: Pa III, 71,
no. 210.
Wir wenden uns wieder zu dem Holzschnitt von 142^.
Ein Fisch schwimmt in den Fluten, die des Heiligen Füsse
umschlingen. Er erscheint erst bedeutend, wenn wir auf vielen
anderen Darstellungen ihm und seiner Sippschaft gleichfalls
begegnen, und wenn wir bemerken, dass diese Ehrenwertesten
oft eine dem Nächstbefindlichen vermutlich recht unangenehme
Physiognomie zeigen. Also: einmal auf einem Holzschnitt
des 15. Jhs. heben drei Fische ihre Köpfe aus dem Wasser,
ein andermal [Meister mit der Eichel Pa lY, 169 no. 1] sitzt
ein Beiher am Ufer und hat einen im Schnabel. Aber: auf
einem grossen Trierer Wandbild tauchen Teufel aus der Tiefe
um den Heiligen auf und stürmen gegen ihn an^), auf dem
Kolossalwandbild zu Erfurt Meerungeheuer, Krokodile und
Klippfische^, von einer Schlange zu seinen Füssen wird be-
richtet^). Im Elreuzgang am Dom zu Brixen sind merk-
würdigste Gestalten, geigenspielende Sirenen mit Fischschwanz
und Hörnern auf dem Kopf, phantastische Unwesen, eins das
andere verschlingend, in bunter Bewegung zwischen seinen
Beinen. Auf einem Bilde am „ Biesenhause ^ des Weilers
Leiten zwischen Seefeld und Zirl in Tirol berührt ein nacktes
^) Weigel und Zestermuin 1. c. no. 607.
«3 Org. f. chriatL Kunst VIU, 76.
') Fiorillo Gesch. d. zeichnenden Künste, Hannover 1816, I, 489.
*) Cfthier Charactöristiques 11, 760.
13
184 £• Bichter. 184
gekröntes Meerweib mit der linken Hand die Wurzel des
Baumes, den Christoph mit Wipfel und Wurzeln ausgerissen
hat. Auf dem Blatte Jost Ammans [An 63] tragen die Fisch-
leiber einen Löwenkopf, eine Sirene beschaut sich wohlgef&Uig
in einem kleinen Spiegel. Etc. etc. Für französische Dar-
Stellungen beweist Ahnliches Bodin').
Was wollte der Künstler damit sagen, dass er den Heiligen
in solche G^seUschaft brachte? Brei Erklärungen sind yer-
sucht worden, von denen ich nur die eine, die mythologische
Bodins, ausschliesse. Nach ihm soll der Christoph an die
Stelle einer gallischen Gottheit der Fruchtbarkeit getreten
sein, des Hercule gaulois, qui 6tait considfirS comme le principe
de la f<6condit6 sur la terre et dans les eaux : daher das Meer
voll von Fischen. Das ist offenbare Fabelei. Aber sonst
müssen wir unterscheiden. Die harmlosen Fische dienen, wie
häufig in der Kunst, einfach zur Bezeichnung oder Belebung
des feuchten Elementes, ohne tieferen geheimen Zweck. Die
Sirenen und Meerweiber aber sind ein altes Symbol für die
Lockungen der Welt % eine Sirene, die mit der Linken ihren
Schwanz, in der Rechten einen Spiegel hält, galt von je als
Bild der Eitelkeit % und dazu kommt, gerade für unsem Fall
bedeutsam, die Vorstellung der cmeretrices» als Sirenen, wie
sie bereits Isidorus Hispalensis vertritt^): wir erkennen un-
mittelbar, wie der Maler auf seine Weise ein weiteres Moment
der Legende, die Versuchung des Heiligen durch Nicaea und
Aquilina oder durch den Teufel in Weibsgestalt, zum Aus-
druck zu bringen bestrebt war. Dann ist aber eine notwendige
Folge, dass man auch die anderen ungeheuer, die Stachel-
fische, Krokodile u. s. w., als sonstige Bedrohungen, die dem
gottergebenen Christen von Seiten der bösen Welt nachstellen
oder imserem Heiligen nachstellten, auffassen muss ; wie jene
^) Beoherches historiques Bur Saumur et le haut Anjou, 1891/S, p. S7.
') Pii)er Mythologie und Symbolik d. christl. Kunst, Weimar 1851,
p. 883.
s) ib. p. 891.
^) Etymologiarum Über XI, cap. m de portentis ; Patr. lat. Lxxxu, 428.
185 Darstellimg der Legende. 186
gaukeln und geigen, sich brüstend heben und winken, so dräuen
und dr&ngen diese : es schreibt der Maler geheimnisToU nieder,
was der Legendist ihm Überliefert hat. Ich mache noch dar-
auf aufmerksam, dass er deshalb durchaus nicht die ganze
Legende allegorisch verstanden zu haben braucht, weil er ein
paar allegorische Geheimzeichen in die Darstellung fügte, wo
der weite Baum des Meeres ihm Gelegenheit bot.
Man begegnet hier und da der Angabe : es sei der Fluss
Jordan ^) gewesen, über den S. Christoph seinen kleinen Ge-
bieter trug ; sehr alt und sehr verbreitet kann solche Meinung
jedenfalls nicht gewesen sein. Denn abgesehen davon, dass
wir im vierten Abschnitte von Lokalisierungen der Legende
im Volksglauben zu berichten haben werden, die ausgeschlossen
gewesen wären, wenn eine bestimmte Tradition den Jordan
überliefert hätte, bemerken wir in diesem Punkte noch die-
selbe Unsicherheit in den Darstellungen des 16./16. Jhs., wie
sie das deutsche Gedicht A verriet, in welchem ja cdes meres
phlum», tder se», cder pach» auch aufs unbefangenste ab-
wechseln. So steht etwa auf dem Holzschnitt in Der heyligen
leben Augsburg 1472 CI der Heilige in einem umschlossenen
kleinen Tümpel, Dürer dagegen liebt den Fluss, der sich
einmal im Hintergrunde zum Meer erweitert, und dieser Aus-
weg wurde weit bevorzugt vor dem wirklichen Meer, das etwa
Jost Ammans Holzschnitt in stürmischer Bewegung darstellt«
Man suchte das Wasser, wie wir schon sahen, mit Fischen,
bisweilen wohl auch mit Schwänen und anderm gefiederten
Getiere, öfter durch Schiffe zu beleben, z. B. Kupferstich des
Meisters mit dem Zeichen AF, Bkk 101—1888.
Denn selten ist es verhältnismässig, dass der Maler oder
Stecher sich beschränkt, uns nur die beiden Gestalten, den
Biesen und das Kind, zu geben. Der Bichtung der Zeit
entsprechend rahmt er sie ein mit näherer und fernerer Um-
gebung, und das ist meist der Punkt, der über seine künst-
lerische Potenz entscheidet, indem es galt, Hauptgruppe und
^) Auch d«8 Bote Meer, b. IL Maller Lectures, sec. ser. p. 652 Anm.
18*
186 ^ Richter, 186
Beiwerk in richtigem Verhältnis zu hiUten, nnd leicht dieses
in indiskreter Weise jene überschreien konnte. Wir sind
jedoch anch hier nur soweit interessiert, als entschieden werden
xnussy was ans der Legende ^u erl^ären ni^d was selbständige,
aber traditionejil gefestigte Zuthat ist.
In dieser Hinsicht bietet sogleich i^r Holzschnitt von
1423 eine Frage. Bechts nnd links des Flusses lässt er einen
schmalen Streifen Landes entlang gehen, der vom unten des
Blattes den Flusslauf unterbricht und auf beiden Seiten oben
felsartig abschliesst. Ein paar Bäume sind verteilt. Links
schreitet auf einem Wege ein Mann mit Mehlsack über dem
Bücken von der unten liegenden Wassermühle nach dem oben-
stehenden Häuschen. An dem Bach, der über das Mühlrad
hinfliesst, hält ein Esel, um zu trinken, eine Person, vielleicht
eine Frau, sitzt auf ihm, wiederum mit einem Mehlsack.
Bechts unten wird aus einem Erdloche das Vorderteil eines
knabbernden Tieres, Kaninchens wohl, sichtbar; weiter oben
kniet ein in weiten Kapuzenmantel gehüllter bärtiger Eremit,
eine grosse Laterne mit beiden Händen Christoph entgegen-
haltend. Hinter ihm steht eine Kapelle, sehr anspruchslos^
mit einem Glöckchen darauf.
Eremit und Kapelle sind traditionell, nehmen wir das
voraus. Was aber soll das Übrige? Auf einem Kupferstiche
des 15. Jhs. Fa II, 230, no. 142 reitet auf einem ungezäumten
Pferde ein Mann fort mit einem vollen Sacke auf dem l^ücken ;
und auf einem farbigen Holzschnitte des 16. [Bkk ^16— 10]
sehen wir rechts in der Mitte wieder die Mühle mit Schaufet-
rad, während auf einem Wege nach vom ein Knecht mit
erhobenem Knüttel den Esel mit Sack treibt. Auf der Nord-
wand der Kapelle zum hl. Geist in Kempen am Bhein be-
findet sich im Hintergrund des Christoph,bildes eine Mühle.
\Jm 1475 wird ein Holzschnitt datiert, der wie der von 1423
das Land vom unter dem Flusse schliesst^). Bechts oben
auf der Höhe sitzt der Einsiedler mit einer Fackel vor der
• 0 ^eigel und Zestermann 1. Ct no. 184.
l87 DanteUang ddr Legende. 187
Kapelle, ein Gleichgekleideter schreitet mit einem Sack auf
dem Bücken den Weg zu ihm empor. Links vom fliesst ein
dünnes Flüsschen über das Mühlrad einer Mühle, vor welcher
ein Mann, vielleicht geistlichen Standes, Holz haut. Erinneni
wir nn& nun, dass in dem alten deutschen G-edicht A einö
l)e8tmimte Neigung zu genrehafter Ausführung des* Wald-
lebens Gfhristophs imd des Einsiedlers zu Tage trat, so darf
als Vermutung wenigstens aufgestellt werden, dass jene Einzel^
iieiten vielleicht auf eine andere uns verlorene oder bis jetzt
nicht bekannte Fassung der Legende zurückgehen mdgen^ in
welcher das Idyllisch -Märchenhafte* eine noch weitere Aus-
ibUdung gefunden hatte.
Eine solche Annahme würde auch durch die Wahrnehmung
unterstützt werden, dass der Einsiedler mit seiner Laterne,
dem wir auf dem Holzschnitt von 1423 begegnen, zu den
festesten 2ügen der Christophdarstellung gehört. Ja es ist
mir kein einziges deutsches Christophbild vorgekommen, das,
Bobald es einmal die weitere Umgebung überhaupt gab, ihn
nicht irgendwie in ihr postiert hätte ^). Nun ist es aber
zweifellos falsch, wenn Henkelum die bildliche Nebeneinander-
stellung des Heiligen und des Einsiedlers, der jeneii zum Herrn
hinwies, als hervorgegangen aus dem spezifischen Charakter
der darstellenden Kunst bezeichnet, und ebenso konnte nur,
wer die Geschichte der Legende nicht kannte, wie es schon
früh geschah '), in dem Letzteren den hl. Cucufas, der mit
S. Christoph am gleichen Tage verehrt wurde, erblicken oder
wie Hans Burgkmair auf seinem Bilde im Germanischen
Museum no. 169 vom Jahre 1615 ihn für S. Teit ausgeben.
Denn es ist ganz ersichtlich, däss hier nicht die abgeleitete
Fassung der Legenda aurea, sondern einzig das alte und
originale deutsche Gedicht A für die Erklärung in betracht
kommen kann, welches, wie wir xms erinnern, den Einsiedler,
') Man konnte ans einer XJferlandschaft, die den Einsiedler zeigte,
anf eine Statae des hl. Christoph sehliessen : Bulletin monumental XX, 159.
*) Nie Serarius Litaneuticus U, quaest S6, vi.
188 K. Bichter. 188
um Offers langes Ausbleiben sorgend eine clnceme» nehmen
und sich von seiner Hütte aus auf den Weg machen, bei
yölliger Finsternis am Flusse ankommen und dem im Wasser
unter seiner Weltenlast cumbstrebenden» den Kerzenschein
entgegenstrecken lässt, dass er csich verrichten» kann [V. 1008
—1020. 1072—1088]. Überblicken wir aber die ungeheure
Wirkung dieses Motives auf die künstlerische Darstellung^
so wird allerdings höchst wahrscheinlich, dass sie nicht allein
auf den beiden uns erhaltenen und bekannten Handschriften
jenes G-edichtes und etwa ihrer zu erschliessenden gemein-
jsamen Vorlage beruhtei sondern dass es weitere und uns
heut verlorene Texte desselben gegeben habe, deren einer ja
denn sehr wohl eine sekundäre Erweiterung im Sinne der
oben berührten auffälligen bildlichen Ausführungen enthalten
haben mag.
Über das Aussehen des EinsiedlerSt einfach und stereo-
typ, ist wenig zu bemerken. Er trägt eine lange Mönchskutte
mit Kapuze, höchstens noch ein Bosenkranz stattet ihn aus,
in der einen Hand hält er den Stock, in der andern die
Laterne: ein stilles, anspruchsloses Männchen, mit dem sich
die grotesken Figuren, die ihn auf einem Bilde der Münchener
Pinakothek umgeben^), offenbar nur irrtümlich zu schaffen
machen. Er wird in der flachen Landschaft [Dürers Stich
Ba 62] oder in einem felsigen Engpass [Dirk Bouts' Münchener
Bild] sichtbar oder tritt eben aus der kleinen Kapelle [Stich
des Allaert Claesz Ba 14] : im Allgemeinen aber ist deutlich
der Moment beabsichtigt, in dem er spähend auf das Wasser
hinausleuchtet, wozu er etwa ein paar Stufen hinabsteigt
[Meister ES], und ich glaube sicher, dass die Meinung über
ein Christophbild in der S. Martinskirche zu Zaltbommel:
am jenseitigen Ufer befinde sich ein Mann, «die met een speer
schijnt te werpen», in diesem Sinne zu berichtigen ist^).
') Sinemus p. 49.
*) Verhsndelingen der koninklijke akademie van weteDSchapen,
Amsterdam 1868, U, SO.
189 DanteUimg der Legende» 189
^^^ ••
Auch die Kapelle fehlt fast nie. , Öfter steht sie un-
mittelbar am Wasser [z. B. auf dem Stiche des Meisters Mz
Ba YI, 374 no. 7], oder Gebüsch umgiebt sie, oder sie schaut
Yon steiler Hohe hernieder [Dirk Bouts' Münch. Bild]. Eine
Kirche mag sich auswachsen [Dürers Stich Ba SS]. Daneben
deutet bisweflen eine primitiYe Hütte die dürftige Unterkunft
des Opferfreudigen an [z. B. bei Cranach]. Ein ganzes Dorf
am Ufer erscheint auf Altdorfers Stich Ba 19. Im tieferen
Hintergrund zeigt sich nicht selten eine Stadt, in der mancher
Künstler wohl den Ort des Martyriums hat andeuten wollen,
gewisslich nicht Oranach, der die Ufer mit einer erdrückenden
Fülle von Häusern, Kirchen u. s. w. bestreut. Diese Ufer
sind meist felsig, oder wenigstens schliesst das Meer in der
Feme mit einer Gebirgskette ab, auf deren Höhe vielleicht
ein Kloster erscheint [Meister mit der Eichel Pa lY, 169
no. 1]. Dirk Bouts' Münchener Bild erreicht durch seine steilen
hohen Felsen zu beiden Seiten den grossen Vorzug, dass das
Interesse aufs schönste auf die Hauptgruppe in dem Engpass
zwischen ihnen konzentriert wird und der Hintergrund leise
zurücktritt. Nicht ein jeder besass solchen Takt. Der Stich
des Meisters mit dem Zeichen AF giebt ein grosses Land-
schaftsbild mit breitem Fluss, vier hochgemasteten Seeschiffen,
wandelnden, plaudernden, speisenden Menschlein, einer be-
festigten Stadt mit Hafen, Türmen und Thoren und einer
Burg in der Nahe. Zerrissene Wolken flattern am Himmel,
im Vordergrunde wird ein hoher schlanker Baum vom Sturm
nach links gebeugt, und der Fluss schlägt leidliche Wellen:
das alles aber bleibt rein äusserlich. Ohristoph steht am
Ufer, in der Mitte des Blattes unten, als ob es ihn nichts
anginge, ungeheuer im Verhältnis zur Umgebung, und doch
in der Fülle ihrer lauten Einzelheiten zu einem Stück Staffage
herabgewürdigt.
Die Stellung des Einsiedlers in der bildlichen Darstellung
berechtigt uns, auch in einem anderen Punkte auf das alte
Gedicht A zurückzugreifen. Während in der Legenda aurea
— Ton B, als der offenbar und der Natur der Sache nach
190 ^ Eichter. 190
einflufislosesten Version in jeder Beziehung, dürfen wir füg-
lich absehen — der n&chtliche Charakter der Flussscene
kaum indirekt angedeutet wurde^ war er in jenem mit ganz
besonderer Intensität betont, und dadurch aufs glücklichste
der Eindruck des Schaurig-Gefahrlichen hervorgebracht, der
ihrer Idee nach in dieser Situation notwendig liegen muss.
Tgl. A y. 1003 ff. 1030 ff. 1048. 1069. Der darstellende
Künstler hatte sich damit abzufinden ; meist aber liess er die
Sache auf sich beruhen und gab den Vorgang in heller Be-
leuchtung. Ja der gute Wolfgang Huber machte sich auch
kein Gewissen daraus, den Einsiedler bei roUem Sonnen-
schein mit qualmender Fackel umherlaufen zu lassen [vgl.
noch den Stich Altdorfers Ba 19 und den Schnitt Jost
Ammans, auf dem ein breites Sonnengesicht herabguckt].
Es ist wohl ein Ausweg des Dirk Bouts, dass die Sonne eben
über den Horizont sich erhebt: früher Morgen und die Nebel
spielen. Andererseits giebt es eine Reihe von Darstellungen,
die das Nachtwesen unverkennbar zum Ausdruck zu bringen
bemüht sind, und wenn auch manche Schnitte und Stiche
wie das Wandbild der S. Janskerk zu Gorinchem^) ihre
Sterne in den Lüften, ihre Mondsichel nur als äusserliche
Zuthat gaben, so dünkt mich doch, dass unter den nächtlichen
Verbildlichungen der Legende die tiefsten und vollkonimensten
überhaupt zu finden sind.
Zu den Zeiten, von denen wir reden, war die Kunst^
oder jede Kunst, ein Handwerk. Alle Künstler waren Hand-
werker, einzelne wenige dieser Handwerker erhoben sich zu
Künstlern in einem höheren Sinne.
Es darf an diese Wahrnehmung erinnert werden, weU
die grosse Mehrzahl der erwähnten und aller übrigen Christoph-
darstellungen nichts weiter war als Handwerksware, Illustration
der Legende. Weil aber, was diese so allgemein beliebt
machte, notwendigerweise auch in den Statuen, den Bildern,
den Hunderten von Stichen und Drucken zum unwillkürlichen
^) Henkelum Taf. II.
191 Darstellungf der Legende. 191
Ausdruck kommen musBte, die den irgendwie Interessierten
den Heiligen vergegenwärtigen sollten, so war eine Betrach-*
tung dieser Zeugen einer weitesten Verehrung im stände, uns
auft neue und deutlichste zu bestätigen, dass es nicht vor-
wiegend das religiöse Interesse, das Interesse für die Leiden,
die Olaubensstarke, den Q-laubenstod des Heiligen, sondern
vor allem das Bedürfnis nach dem Poetischen, dem Wunder*
baren, ja dem Märchenhaften war, welches gerade unsem
Heiligen zu einem so bevorzugten Lieblinge der Yolksphantasie
machte. So meisselte, so malte, so zeichnete man ihn, den
grossen S. Christoffel : plump, roh, ungeheuer, ein kleines Kind
seine Last, ein kleines Kind seine Liebe. Wie menschlich
man ihn nahm, im Gegensatz z. B. zu dem unseligen hl. 8e*
bastian — dafür ist eine Art statistischen Zeugnisses, dass er
wie auch das Ejnd selten mit der Glorie erscheinen, öfter
noch dieses als er. Auch glaube ich nicht zu irren, wenn
ich es auffällig finde, wie er fast nie einen sogenannten Stifter
empfehlend dargestellt wird ^) : es war das in seiner Verehrung
%S8 Sekundäre, worauf es kaum jemandem ankam, seine Stellung
tsum himmlischen Hofttaat, sein Amt ak Fürbitter. Wo er
schützte — und wir werden ihn als Nothelfer ja kennen lernen
— da, meinte man offenbar, geschah es aus eigener Kraft.
Es ist bezeichnend, dass man sich gar nicht scheute, ihn
dumm, oder stumpf gleichgiltig, oder plump behaglich zu
geben [s. z. B. den Stich des Israel van Meckenem Ba 90],
er durfte mit offenem Munde nach oben zu dem Elinde herauf
starren, als ob er ein unbegreifliches nicht fasse, wie auf
dem Blatte Hans Baidung Griens Ba 38: was schadete es
dem Bübezahl, dass man ausser seinen Gutthaten auch Tücken
und Böswilligkeiten von ihm erzählte? Im Gegenteil, man
empfand ein Behagen, den Gegensatz des Kraftmenschen zum
Kinde, des geistig Armen zum AUerlieblichsten und Feinsten
zur Anschauung zu bringen [vgl. namentlich Altdorfers Stich
^) loh kenne nur ein Beispiel in den Yiertzig Sendbriefen des
Christoph Scheorl.
198 X. Bichter. 192
Yon 1631], man freute sich, die eigene menschliche Erbärm-
lichkeit in seiner Furcht und Angst, in seiner Gequ<heit
und Gedrücktheit wiederzuerkennen. Denn er war der Heilige
des Volkes und nicht der Kirche, ein demokratischer Heiliger,
den man mit gutem Humor wohl eine Art Hausknechtsrolle
im Himmel spielen liess. Vielleicht könnte man auch in der
künstlerischen Darstellung ein Fortschreiten von einer gemüt*
licheren, etwas farbloseren Auffassung zu einer grelleren und
derberen behaupten.
Das also war der Christoph des Handwerks, wie ihn
jedermann kannte, in Händen hatte, oder in Stein an jeder
Kirche fast in riesiger Grösse sehen konnte. Die wenigen
Künstler in höchstem Sinne mussten versuchen, das national
und demokratisch Beschränkte dieser Gestalt ins allgemein
Menschliche zu läutern.
Hans Memling, der deutsche Hans, hat den Christoph
des öfteren gemalt. Ich sehe ganz ab von dem Bilde in der
Liebfrauenkirche zu Antwerpen, dem des Herzogs von Arem-
berg, dem des Predigers Heath, die ich nicht kenne. Aber
schon auf dem Triptychon des Herzogs von Deyonshire zu
Chiswick ist diese ganz jugendliche Auffassung des Christoph
auf dem einen Aussenflügel nicht mehr die gewöhnliche deutsche.
Er fällt zwischen 1461 und 1469.
1484 hat ihm der Heilige soviel an Interesse gewonnen,
dass er jetzt die Mittelperson im Mittelstück des Triptychons
ist, das er für die Familie Morcel in der S. Jakobskirche zu
Brügge malt. Das Biesische ist völlig abgethan, der hl. Egidius
und der hl. Maurus, die auf den üfem des Flusses zu seinen
beiden Seiten stehen, sind fast gleich gross'). Er schreitet
gerade nach vom, seine Haltung ist edel und schön, fast zart,
kaum die Knie leicht gebeugt. Das Antlitz, regelmässig, mit
kürzerem Vollbart und den langgewellten Haaren hat etwas
^) über die Penonen Crowe und Cavalcaselle Les anciens peintres
flamands, Brüssel 1868, U, 88. Tanrel 1. c. p. 180 ff. Lobrede Friedrich
Schlegels Werke 18S8, VI, 67. Noiice des tableaux des Cooles firanc. et
flam. expos^s an vii au musee Napoleon, p. 54.
193 DanteUoBg der Legende. 193
Christasähnliches. La töte est belle, fine, pleine d'mtelligence
et de Tie.
In der Pinakothek zn Manchen ist das oftgenannte be-
rühmteste Christophbfld, welches Waagen Memling zu-
geschrieben nnd für sein ältestes Werk gehalten hat; man
hat sich wohl in nenerer Zeit fttr Dirk Bonts entschieden.
Ausserlich der gel&nfigen Vorstellung näher, erhebt es sich
doch durch seinen Ernst und Adel Aber sie: nie war ein
Christoph sich seiner Bedeutung so bewusst wie dieser.
Auch sonst begegnet uns wohl eine solche Idealisierung
ins Tragische hinein : ein Zeichen, wie innig man die Legende
empfand. Ein Eichenholzbildwerk in Oud-Zeyenaar krönt ein
feines ernstes Haupt mit einer Domenkrone. Auf einem
Wandgemälde der 8. Pieterskerk zu Leiden quält sich der
Heilige, dem Erliegen nahe, am Stabe fort, sein Bücken er-
bricht unter der Last des grossen ausgewachsenen Knaben,
den er huckepack schleppt, sein Haupt ist ganz hintüber-
geworfen, die Augen in dem emstschmerzlichen Antlitz er-
löschen [Henkelum]. Das ist deutsche Empfindung, aber
nicht mehr der deutsche Biese. Die Naivität der Legende
ist hier völlig überwunden.
Dürer dagegen. Er hatte wie zum hl. Hieronymus ein
persönliches Verhältnis zum Christoph. Keinen andern Heiligen
hat er so oft dargestellt wie diese beiden, die auch etwas
Yerwandtes mit einander haben. Um beide hat er ringen
müssen, bis er sie im Tiefsten erfasste.
Dürer hat den Christoph zusammen mit dem hl. Thomas
von Aquino auf dem Hellerschen Altare 1509 gemalt, welches
Bild heut in der städtischen Kunstsammlung zu Frankfurt
am Main sich befindet. Das ist ein dürres unerfreuliches
Männchen mit mürrischem, vertrocknetem Gesicht, hässlich
weit vorgeschobenem Kinn. Dann haben wir einen Holz-
schnitt aus dem Jahre 1611, Ba 103, er bedeutet einen Fort-
schritt zu äusserer Freiheit, ist aber im wesentlichen doch
nur Illustration. Besser erscheint mir Ba 104, ohne Jahres-
194 K. Richter. l94
zahl überliefert, obwohl vielleicht viel früher ^). Lebendig ist
die erschreckende Überraschung, der Eindruck der Gefahr
festgehalten, wir gewinnen die Überzeugung von der Last des
Kindes ohne ein äusserliches Zusammenbrechen aus d^n ge-
meinsamen Leben der Einzelheiten.
Das eigentliche Christophjahr Dürers ist 16SL Er ist
in Antwerpen: 9,dem Meister Joachim [de Patinir] hab ich
4 Christophel auf grau Fapito verhöchf, schrribt er in sein
Tagebuch *). Das heisst : er experimentiert, und das Ergebnis
sind die beiden Kupferstiche dieses Jahres, von denen Ba 51
die Vorstufe ist zu Ba 62, dem ersten fehlt noch etwas, mit
dem letzten war das Problem gelöst, die oberste Staffel
erreicht.
Es ist lehrreich, die feinen Unterschiede beider Blätter
zu bemerken. Der Fortschritt gegen so viele früheren Dar-
stellungen liegt in der Konzentration des Interesses auf die
zwei Hauptpersonen und in der Erregung der Situations-
stimmung. Es ist tiefe Nacht, einsames Schweigen herrscht.
Nur vom Haupte des Kindes leuchtet ein göttlicher Glanz
in das Dunkel hinaus. S. Christoph hat nichts Plumpes,
Kohes mehr, er ist kaum übernatürlich gross, ein kräftiger
Manu mit kürzerem vollen Barte. Auf dem ersten Blatt
scheint er noch etwas steif, sein Gesicht^ so fein und mit
Liebe der Kopf im Ganzen ausgeführt ist, entbehrt doch noch
der höchsten Anteilnahme am Geschehenden, und das des
Kindes hat etwas Geschwollenes, Leer-Liebliches, wie es auch
mit merkwürdig grossen Händen in die Locken des Heiligen
fasst. Später aber liegt es ihm über Schulter und Kopf,
man glaubt zu sehen, wie es mit eigener Anstrengung nieder-
drückt, nur mit dem einen Armchen nach oben weisend, und
den Eindruck dieser Last giebt die gewaltig angespannte
Huskulator Christophs, die beiden Fäuste und der hier sichtbar
gewordene Oberarm, das qualvoll müde nach vom blickende
^) Thaosing Därer, Gesoh. seines Lebeni und seiner Kunst, Lpz.
1876, p. 227: ca. 1604.
*) Reliquien von Albtecht Dürer, Nürnb. 1828, p. 172.
19i Darstellung der Legende. 195
Antlitz. Seine Schritte wollen sich in dem herabsinkenden
Mantel yerwickeln. Der Einsiedler geht nicht mehr in der
Feme der Landschaft umher, dicht am Ufer späht er mit
erhobener Fackel auf das, Wasser hinaus. So steht alles in
intimster Beziehung zu der Bedeqtung des Mon^enteSi und
jede Linie,t jeder Lichtstrahl offenbart die Liebe» mit der
I>iirer, wenn ih(n etwas innerlichst vertraut geworden war,
es wiedergab ; eine beängstigende Liebe fast für uns moderne
Menschen,
Ein letzter Hobschnitt aus dem Jahre 1526, Ba 105,
ist nicht von Dürer ^). S. Christoph steht in voller Figur auf-
recht da, das ganze 31i^tt einnehmend,i das Wasser reicht ihm
kaum über die Knöchel. Seine Gestalt ist prächtig in dem
Ebenmaass ihrer Körperlichkeit, aber doch nicht mehr als
ein Akt oder ein einzurahmender StubenheiHger.
Dürers Christoph steht uns nah, aber er ist nicht eigent-
lich modern. Sollte der Heilige uns heut noch etwas sein
können, so würde ihn der jetzüebende Künstler von einer ganz
anderen Seite zu packen haben. Etwa ia der Art, wie
Wallerant YaiUant ihn giebt').
Yaillants Blatt ist nach einem Bilde Elzheimers, das wir
nicht mehr haben (?), gefertigt, für unseren Zweck aber kommt
es nicht darauf an, wer das Meiste zu dem erreichten Ein-
drucke gethan hat. Dieser Eindruck ist wunderbar. Ein
Fluss, nach hinten sich verengend, liegt zwischen dunkel be-
waldeten üfem traumhaft schweigend im leisen Schimmer des
Mondes da. Die Sterne flimmern durch die dünnen Wolken-
düfte, und alles ist still und ruhig. Nur wo der Heilige
schreitet, scheint das Wasser in Bewegung zu sein, sich öftien
zu wollen und ihn in die Tiefe zu ziehen. Bastlos aber
schreitet er weiter, im Dienste der Pflicht, liebevoll fest das
sich ihm Vertrauende haltend. Der Schauer der Nacht
') Thanmog Difaper p. 840 Anm. 1.
') Weifldiy Vaülant» Yerzeichnia seiner Knpferitiche und Schwars»-
kuiutblätter 101/2.
196 ^ Richter. 196
ringsum, nur auf seinen und des Kindes Bücken haucht der
Mond seinen leichten Euss. Alles so einfach, so schlicht.
Das Blatt ist en maniöre noire radiert, in einer ganz
spezifisch modernen Technik. Im 17. Jh., in dem es entstand,
war die Blütezeit der Christophbilder vorbei. Man sieht
deutlich, dass es YaHlant oder Elzheimer auf den Heiligen
selbst nicht im geringsten ankam, Tielmehr : eine Empfindung,
eine Stimmung zu geben, wie sie dem modernen Menschen,
wenn er sich in die Ohristophlegende zu versenken versucht,
etwa entgegenatmet. Lassen wir im Grossen noch einmal
eine Beihe Ohristophdarstellungen, von den ältesten bis zu
dieser, vorüberziehen, so bemerken wir ein allmähliches Über-
gehen der naiv gläubigen, realen Auffassung in eine sensiblere,
geistigere. Die Beformation bedeutete das Ende jeder naiven
Gläubigkeit auch für die katholische Welt, nun hatte auch
S. Christophorus seine BoUe in der Kunst ausgespielt. Yaillants
Christoph ist kein eigeütlicher Christophorus mehr, wenigstens
kann keiner das dabei empfinden, was fiühere Künstler im
Christophorus ausgedrückt hatten.
Noch einmal dürfen wir auf den Christoph ihrer Zeit
zurückkommen, noch einmal, um zu bestätigen, wie vertraut,
wie lebendig geworden er der Volksphantasie war, dass man
mit ihm umging, mit ihm verkehrte als mit einem Nächsten,
weil ihm so gar nichts exklusiv Heiliges anhaftete. Denn
es ist nicht wahr, wie man es wohl zu lesen findet, dass er
ausschliesslich im Typus dargestellt wurde. Zwar von dem
Ausserlichen mögen wir absehen, dass er oft schon dicht am
Ufer, etwa mit einem Fusse bereits auf demselben ist -:- das
Extrem böte Lucas Cranach, auf dessen Holzschnitt das eine
Bein noch tief im Wasser steckt und keinen Orund zu finden
scheint, während die eine Hand ängstlich sich in den Erd-
boden einkrampt, um Halt und Hochschwung zu gewinnen:
eine geringe temporale Verschiebung der gewöhnlichen Situa-
tion. Aber auch reizende genrehafte Scenen giebt es, wo es
denn wohl in den Katalogen heisst: Christoph am Ufer ruhend;
doch wenn jede andere Spur seiner Legende uns irgendwie
197 Dantellong der Legende. 197
verloren gegangen wäre, wenn wir nichts wässten von dem
starken Oliristophorasy der das Ohristkind dorch's Meer trug :
wir würden diese Blätter sicher nicht auf einen Heiligen und
den Herrn der Welt deuten, cBiese und Däumling» müssten
sie rubriziert werden, in deutscher Märchen- und Sagenpoesie
würden wir uns umthun, um die Übereinstimmung in ihnen
auf irgend etwas Bekanntes zurückzuführen.
Da ist etwa ein entzückendes kleines Blatt von Altdorfer
[Holzschnitt Ba 64]. Wie so ein richtiger wilder Mann lagert
Christoffel am Ufer des Flusses, das rechte Bein lang auf den
Boden hingestreckt, das linke emporgestellt, auf die eine Hand
-sich stützend, mit der andern den Stab fassend. Nur ein
^grobes Tuch deckt dürftig seine Nacktheit. Den struppig
>^emütlichen Kopf neigt er einem Bübchen zu, das in Hosen
imd Wämschen mit Spitzenkragen, ein Stöckchen in der Hand,
vom Wasser zu ihm heraufgestiegen ist. und über dem „Ge-
waltigen" und über dem lieben Krausköpfchen breitet sich
schirmend ein starker Baum.
Bartel Beham hat einmal Ahnliches gestochen: Ba 10,
ohne diesen Grad glücklicher Naivität zu erreichen; bei ihm
schaut der Heilige nicht nach dem Christkind, sondern nach
einem über ihm schwebenden Engelchen. Er ist offenbar so
überrascht wie wir über diese singulare Erscheinung, und
etwas derangiert, einen Ärmel hat er an, den andern nicht,
und ein Hosenbein ist ihm völlig herabgefallen u. s. w. Dazu
scheint man ihn im Trinken unterbrochen zu haben, wie die
geöffnete Flasche in der Linken andeutet, ein BeU und Hut
liegen endlich unordentlich neben ihm. Also derselbe Humor,
der den Christoph der geschriebenen Legende zum heiUgen
Yielfrass machte, hier drückt er ihm die Flasche in die Hand.
Gott Vater erscheint in den Wolken, wohl auch mit
Christus am und der Taube auf dem Kreuze über dem Hei-
ligen im Wasser auf dem angeblich Dürerschen Holzschnitt
Pa S49 und dem Gemälde zu Gorinchem. Das sei hier in
ganz äusserlichem Zusammenhange zu ergänzen erlaubt, da
ich es sonst nicht unterzubringen wüsste«
198 K- Bickter. 198
Lucas van Leyden, auf den Dürers Vorliebe für dea
Hefligeu vielleicht bei ihrem Zusammentreffen in Antwerpen
1631 überging, und Allaert Claesz haben auf ein paar Blättern
sich enger als Beham an die geschriebene Legende ai^e-
schlössen [und zwar an die Version A]. Drüben am andern
Ufer steht ein Kind und schreit und winkt, bei jenem trägt
es lustigerweise sogar schon die Weltkugel mit sich, auf d&a
diesseitigen Ufer richtet sich der Heilige eben schlaftrunken,
blöde oder grimmig aus dem Schlafe auf und schaut nach
der Störung. Einen späteren Moment giebt z. B. Anton
Wierix [Kupferstich An 891], ind^n er den Heiligen gerade
am jenseitigen Ufer ankommen und das yertrauensvoll zu ihm
aufschauende Eänd anfassen lässt, um es zu sich zu heben,
oder es fasst ihn wohl auch um den Hals, um sich von dem
herabgebeii^ten Biesen anfhdimen zu lassen: Bkk Ms. Ha-
milton 316, Miniatur des Breviars Grimani^).
Endlich möchte man als Beleg, dass S. Christoph auch
als Märtyrer seinen deutschen Charakter nicht verlor, den
Holzschnitt eines Unbekannten [aus dem 16. Jh.] anf&hren,
der im Katalog des Bkk den Titel trägt: Christoph zum
Tode geführt. Eine drängende Menge Ton Bewaffiieten führt
einen sie um zwei Häupter Länge überragenden Heiligen in
ihrer Mitte von einem Gefängnis fort, man sieht von ihm
nur den bärtig ernsten Kopf. Die Leute um ihn sind höchst
verschieden ausgerüstet, einer trägt einen rauhen Fellanzug,
sie halten Lanzen, Partisanen, einer auch eine Gabel, in den
Händen. Also eigentlich nichts, was uns zwänge, an die
Christophlegende zu denken ; das auf der Rückseite gedruckte
— das Blatt ist aus einem Buche genommen — hat niclit
entfernt Beziehung auf sie, sodass ich nicht sicher bin, ob
wir es hier wirklich mit einem Christoph zu thun haben.
Den knieenden Christoph und den Henker an seiner Seite»
wie er im Begriff ist, das Schwert zu ziehen, stellt die Nün^
>) Revne de Fart phretien 1694, Taf. I, fig. 6.
199 Dantellong der Legende. 199:
berger Ausgabe des Lebens der Heyligen von 1488 dar, ohne
Charakter^).
Das sind nur einige Fälle, die sich yielleicht mehren
Hessen. Aber, was mir einzig am Herzen liegt, zu zeigen,
dass im deutschen Christoph ein Stück deutscher Volksseele
verkörpert war, das hoffe ich erreicht zu haben. Als Folie
mögen nun einige Betrachtungen über den nichtdeutschen
Christophorus dienen, die trotz der Lückenhaftigkeit des
Materiak, mit der hier ja notwendigerweise noch mehr zu
rechnen ist, dem direkten noch einen indirekten Beweis er-
gänzend beifügen werden.
Es ist bezeichnend, dass Rubens den Italienern in der
Christophdarstellung nahe steht. Das lässt zur genüge er-
kennen, worauf es beiden ankam, man möchte sagen: nicht
auf den Geist, sondern auf das Fleisch der Legende. Der
Christophorus war ein famoses Sujet, um in schöner Körper-
lichkeit schwelgen zu können : das ist in der That seine ganze
und seine tiefste Bedeutung für die entwickelte italienische
Kunst. Es war natürlich, dass er sich zu diesem Zwecke
aller nordischen Hüllenlast entäussem musste, nackt oder so
gut wie nackt freut er sich in ihren Werken seines toU-
kräftigen Daseins. Es ist schon selten, dass er wenigstens
ein die Formen nicht verbergendes Hemd trägt: Fresko des
Masacdo in S. Clemente zu Bom, oder gar einen Lenden-
schurz und ein flatterndes Tuch über dem Kücken: Flügel-
bild des Lorenzo Lotto im Berliner Museum« Meist aber
hat er nur einen leichten Schleier um die Lenden oder über
den Armen, der nach hinten im Winde flattert; der Sattel
und das grosse Tuch, das ihm Ambrogio Borgognone auf dem
Bilde der Baczynskischen Galerie giebt, ist das Schwerste,
*) Die Darstelhmgen des Baseler Fassionaels von 1617 sind wohl
wülkarlich and obne Belang: linki ein jugendlicher bartioser Bitter mit
langen Locken, in voller Büstung knieend, neben ihm der Henker, sein
Hsnpt berührend, das blosse Schwert anfrtatzend, im Hintergrund Stadt
und Meer, rÄshts ein alter langbärtiger Kann mit Krone von Kriegs-
knechten umringt (?).
14
MO SL Biohter. 900
was ich an Bekleidung y<m Säten der Italiener gesehen,
um so seltsameren Eindruck macht es dann, wenn ihm trots-
dem ein Sdiwert zur Seite hängt, gewohnlich an einem Leder-
riemen, der ttber die Schulter geht [Stich des Francesco
Amato Ba 4, des Orazio fiorgiani Ba 58]. Man emj^det
in diesen Ausserlichkeiten die dürftigsten Beste einer Tradi-
tion, die den Todeskampf k&mpft.
Bs gestattete dieser Mangel an Kleidung aber eine weit
kotigere Stellung des Heiligen, eine dramatiBchere Aussprache
der Situation. Öfters macht das Kind den Eindruck, als be-
rühre es nur die Schulter, um flüchtig dayonzueilen [Sticli
des Marcanton Ba 146, der auch Dürers Ohristoph Ba 104
kopierte]. Der italienische Christoph selbst stürmt mit siegen-
der Vehemenz daher [Stich Quido Benis Ba 14], oder er fetsst
den Stab mit beiden Händen und legt sich zum Sprung an
[Tizians Bild im Palazzo Ducale] oder er kriecht zusammen-
gebrochen auf Händen und Füssen am Ufer hin [Stich des
Bartol. Biscaino Ba 36 ^)]. Dieses leidenschaftliche Sichgebmi
bedingte jedoch Ton yomherein den Ausschluss einer Bcijahrt»
heit, wie sie in den deutschen Darstellungen zumeist henror-
tritt: im Süden ist der Christophorus ein jugendlicher Mann,
er trägt einen kurzen spärlichen Bart statt des nördlichen
Biesenbartes, und seine Grösse bleibt &st immer schön, frei,
leicht, nie hat sie etwas Plumpes und Schweres. Diese ideali-
sierte vollendete Männlichkeit entbehrt denn freilich auch
völlig der Würde, des Ernstes, des ruhigen Sdbstvertrauens
unseres heimischen Ohristoph: sie ist charakterlos« Wenn
der italienische Ohristoph Oharakter hat, so ist es der einee
rohen Schifferknechtes, eines wilden E^raftmenschen : man ver-
gleiche Fiorenzo di Lorenzo Jl crodfisco coi santi Girolamo
e Oristoforo ^ und das Bild des Oosimo Tura in der Berliner
Galerie, den Stich des Boi^^iani Ba 63].
Erklärlich, dass diese Art der Ohristophdarstellung aUee
^) „mettant i terre reiilant<< ?
') Archivio storico deU'arte V Taf. nr.
901 Dantellonf der Legende. 201
Genreh&fte, Klein-Intime yerschmähte. Von Gürtel, Tasdhe
und dgL ist nicht die Rede, auch die Stimbinde habe ich
meist Yermisst. [Nor bei Oosimo Tara ist sie als eine dünne
Schnur erhalten.] Am wichtigsten aber ist, dass die Land-
schaft mit dem Einsiedler, der EapeUe u. s. w. durchaus fehlt:
wir sehen, aus der Erzählung der Legenda aurea konnte diese
Verbindung nie und nimmermehr erwachsen. Diesen Italienern
genügt ein Stück kahles Ufer [Beni] oder zwecklose wilde
Fds- und Gebirgsmassen [Boigiani], Tizian giebt den Prospekt
Ton Venedig in der Feme. Das alles hat ja gar nichts mit
dem Heiligen zu thun. Nächtlichen Charakter der Situation
habe ich nie gefunden. Der Stab des Heüigen ist gewöhnlich
deatlich erkennbar Ton einer südlichen Baumart, etwa einer
Palme mit grossen Früchten.
Sahen wir den ganzen Beiz deutscher Ohristophauffassung
in den nichtiypischen Scenen sich offenbaren, so sei auch der
italienischen Darstellungen dieser Art gedacht. Da sitzt etwa
das E[ind mit der Weltkugel wie hülflos erschöpft am Ufer
und streckt dem auf seinen Buf eben vom jenseitigen Ufer
gekommenen Heiligen die Hand entgegen [Francesco Amato
Ba 4] : die Weise, in der das ausgeführt ist, lässt uns völlig
gleichgiltig. Die berühmten Fresken in der S. Jakobs« und
Ghristophskapelle der Eremitani zu Padua geben in sechs zu
zwei und zwei übereinander liegenden Feldern die Legende
in ihren Hauptpunkten. In den beiden oberen hat Zoppo
die Vorgeschichte dargestellt, wie ich glaube ^) : links Christoph
Tor dem thronenden König stehend, an der Thür des Gemaches
steht ein lauschender oder pochender Zwerg (?), rechts Christoph
«inigen Beitem, deren vorderster wohl der Teufel als cmiles
ferus et terribilis», begegnend; in den beiden mittleren links
JBono den Heiligen mit dem Kind auf der Schulter auf einer
Xtfindspitze vom aufrecht stehend, den einen Arm in die Hüfte
^) Von den vier oberen Feldern habe ich nur durch eine sehr
kleine Skizze des Herrn F. Stnmmel in Khevelaar eine angefähre An-
-echanong gewonnen. Vgl. aber WoHmann in Dohmes Sinnst und Künst-
ler n, 1, p. 6.
202 ^' Biohter. 202
stützend, mit dem andern den Stab haltend, neben ihm ein
halb 80 groeser Mensch mit einem Gefass, hinten Landschaft,
mit Stadtmauern, Zelt etc. ; rechts Ansuino, wie Christoph,
hier bekleideter, aus dem Porticus des Tempels tritt und den
vor und um ihn knieenden Kriegsleuten die Hand reicht, in
der andern hat er wieder den Stab. Die beiden untersten,
den martirio di s. Cristoforo fortsetzend, sind vom grossen
Mantegna, malerische Haupt* und Staatsactionen. Die eine
giebt den Augenblick, da der dem Heiligen zugedachte Pfeil
in das Auge des Königs fliegt, der oben in dem Fenster eines
prächtigen Palastes steht; die andere den wohl tot am Boden
liegenden Körper inmitten von Bewa£Eheten. Leider ist der
Heilige selbst in beiden Fällen zerstört, doch scheint er noch
kolossaler genommen zu sein als von den beiden oberen,
während in Zoppos Bildern die übermässige Grösse nicht
hervorgehoben ist. Immer aber ist es der jugendliche bart-
lose Mann, den sie alle geben. Auf dem ersten Felde
Mantegnas war er an eine Säule gebunden, schlanke Schützen,
im Kreise um ihn herumstehend, richten ihre Bogen auf ihn,
mehr im Hintergrunde ein G-efängnis, in dessen beiden oberen
Fenstern eine weibliche und eine männliche Figur sichtbar
werden, vielleicht eine der Buhlerinnen und einer der auf-
sässigen consules der alten Fassio. Für das zweite sei es
erlaubt, auf die so ganz andere, unnaive Komik hinzuweisen:
ein kleiner Knirps steht ängstlich neben dem Riesenkörper,
ein Ejrieger lächelt gutmütig zu ihm herab: im Gegensatz
zu der deutschen. — Den Moment der Enthauptung giebt
ein Gemälde des Lionelle Spada im Mus6e royal zu Paris
no. 1232: Christoph, entkleidet, empfängt von einem Engel
die Märtyrerkrone ^).
Man mag einwenden, dass alle diese Darstellungen be-
reits in Zeiten fallen, in denen das künstlerische Lidividuum
schon frei genug war, sich über die Tradition zu erheben.
Das würde nur beweisen, dass eine wirklich lebensvolle
^) Notice des tableaox expos^s dans le m. r., Paris 1888, p. 228.
203 Dantellang der Legende. 303
Tradition eben' nicht bestand, eine Tradition, die auf einem
im Yolksbewnsstsein regsamen Bilde des HeUigen beruhte.
Schon das Gemälde Taddeo Gaddis in der Berliner Galerie,
das ungefähr einen Zustand der Darstellung bedeutet, wie
er der neutrale Ausgangspunkt fUr die deutsche und italienische
Entwicklung gewesen sein könnte: der Heilige in Unterkleid
und einfachem Mantel, der vom Winde ein wenig nach der
Seite getrieben wird, in schmalem Flussbette stehend, schon
dieses Bild hat eine gewisse Kirchenheiligkeit an sich, die
jene Möglichkeit als eine doch nur äusserlich denkbare er«
kennen lässt; der inneren Notwendigkeit nach musste sich
über die Zustände etwa des Cosimo Tura und des Borgognone
hinweg jener Christophorus entwickeln, unter dessen Namen
und Yorwand eine spätere Zeit einen körperlichen Schönheits*
kult trieb.
Dass dieser Gegensatz zwischen einem nördlichen deutschen
und einem südlichen Christoph nicht leere Konstruktion sei,
lehrt, so dürftig es ist, das, was ich von einer spanischen
Auflassung in Erfahrung bringen konnte. Die Miniatur über
der Karte der neuen Welt des Juan de la Cosa, aus dem
Jahre 1600 '), zeigt einen schweren pfäfßschen Kerl in rotem
sackartigem Gewände mit brauner Kapuze, und mit spärlichem
weissem Spitzbart, der, das Kind im Nacken, durch das weite
uferlose Meer schreitet. Das Kind trägt ein wehendes Man?
telchen und Kugel imd Kreuz in der Rechten, während seine
Linke segnend erhoben ist, der Heilige hält den in kleinen
Seitentrieben ausschlagenden Stab. Auch hier also sehen wir
das überlieferte Schema, aber seine Ausführung ist die denkbar
leerste, hässlichste.
Hingegen scheint der französische Christoph, über den
ich freiUch ebenso nach dem Wenigen, was mir eine An-
schauimg von ihm zu geben im stände war, ein verall-
gemeinemdes urteil fällen muss, mehr im Typus des deutschen
^) Alex. V. Humboldt Examen critiqae de Thistoire de la geogpraphie
da noaveau continent, V, Paris 1836.
204 2* BiohteF. S04
za liegen. Am bekanntesten ist der in der Notre Dame de
Fans bis gegen den Ausgang des Torigen Jahrhunderts be*
findliche, der 1413 durch Anthoine des Essarts gestiftet worden
war: langer Bart, langer Mantel, ein kurzer, keulenähnlicher
Baumstamm ').
Nicht minder der englische. Den späteren Typus in
grosser Einfachheit giebt ein Wandbild der St. John's Church
zu Winchester aus der Zeit Eduards III. *). Ein anderes
späteres auf der Insel Wight illustriert einige Hauptpunkte
der Legende ^ : auf dem linken Ufer steht das Kruzifix, dayor
der Heilige, weltlichen Gewandes und Anstandes, und macht
eine verabschiedende Handbewegung zu zwei oben Fort-
reitenden, auch hat er sich schon einen Baum ausgerissen.
In der Mitte watet er dann durch den Fluss, riesig, quer
über den Stamm gebeugt, seine Stimbinde flattert im Winde.
Ego sum alpha et w, Terkündet ihm das Kind. Am rechten
Ufer oben tritt der Einsiedler aus der Kapelle, unten wird
Christoph, an einen Baum gebunden, von zwei Schützen be*
Schossen, von den Pfeilen, die dicht um ihn stecken, fliegen
yiele nach dem höher stehenden Könige, dem einer bereits
im Auge steckt. E&i Henker steht neben dem Grestrafben.
und so, wenn man bald hier bald da findet, in Italien
oder in Spanien oder in Deutschland sei die Christophorus-
Verehrung am grössten und intensivsten gewesen : wir brauchen
uns um solchen äusseren Buhm nicht zu ereifern. Wie ein
Beweis in ästhetischen Dingen nur möglich ist, meine ich be-
wiesen zu haben, dass doch einzig und allein die deutsche
Kunst dem inneren Wesen der Christophlegende zum Aus-
druck zu verhelfen fähig war in ihrem deutschen Christoph
und der Dichtung die Anschauung an die Seite zu stellen
vermochte.
>) Paris k trayen let ages, 1875—88, I: Notre Dame p. S8. Noch
im 18. Jh. wuTden Chriatophstatueii angefertigt: Noavelles archivee de
Tart franQ. 1894, p. S86 etc.
•) Journal of the British archaeological aasociation X, 80 — 8S, Taf. x
XL xt] femer UI, 87.
•) Ä. in, 86-89.
S06 DtnteUniig der Legende. 206
Lebendig aber kann diese Anschauung nur der rück-
gewendeten nachempfindenden Betrachtung werden. Dem
Yolksbewusstsein ist sie tot« und dass es ein falsches Be-
mühen ist, sie wieder erwecken zu wollen, zeigen die künst-
lerischen Darstellungen der Neueren ebensowohl, wie die
litterarischen. Der moderne Maler entbehrt jedes Qrganes,
das eigentlich Beizvolle der Ohristophlegende aufzu£Bissen und
uns zu vermitteln. Es giebt aus unserem Jahrhundert der
staatlichen Frömmigkeit eine ganze Beihe von Christoph-
gemälden, z. B. von Carl Begas, Oesterley, Molitor, Wilh.
Steinhausen; ich kenne keines, das irgend welche Teilnahme
zu erwecken berechtigt wäre. Der hl. Christoph war ein
Volks- und nicht ein Kirchen- oder Eunstheiliger.
IV.
Niederschlag der Legende in Vollcsbraucli und
Volicsmeinung.
Wir haben in Berlin jenen Flügel des Genter AltarS;
auf welchem Hubert van Eyck den Christoph als Führer der
peregrini sancti^ die zur Anbetung des Lammes ziehen, dar-
gestellt hat. Eine Schaar würdiger alter Herren drängt sich
um ihn wie die Küchlein um die Henne, als eine Art Ober-
alter schreitet er an seinem Stabe dahin, einzig einen weiten
roten Mantel um seine nackte Körperlichkeit geschlagen, die
Stirn umwunden mit weissem Wulste. Er ist weit grösser
als die andern und sein Bart weit länger. Er weist mit der
Linken nach vom auf den Weg und giebt halb zurück-
gewendet den Ermüdeten Hoffiiung: wir sind bald da. Er
weiss genau Bescheid, er hat denselben Weg schon unzählige-
mal gemacht, und die Alten tappsen ihren ergebenen Trott
vor sich hin in sicherem Vertrauen auf solchen Hirten.
Das Bild ist so recht ein Ausdruck dessen, was man
von dem hl. Christoph erwartete: wie das Kind zu dem Er-
wachsenen aufschaut als zu seiner väterlichen Zuflucht, so
war er der Ehrwürdig-Alte und Grosse, der Erfahren-Bedacht-
same und Sicher-Feste, an den man sich unbeÜEmgenen Ver-
trauens in allen Lebensmühsalen wandte, ein cNothelfer».
Er wurde es aber erst, als er der Christusträger geworden
war. Auch im Kultischen lässt sich ein Entstehen, Leben,
Ersterben verfolgen.
Eine Verehrung des Heiligen ist nicht vor dem dritten
207 Yollubraaoh and Yolksmeinimg. 207
■ »
Viertel des ersten christlichen Jahrtausends bezeugt ^). Soweit
ich sehe, am frühesten aus Frankreich, er ist Patron einer
Kirche, eines Klosters und eines Oratoriums im 6. Jh.^.
Da er im 7. schon in G-alatien auftaucht^, verwundern wir
uns nicht, ihn im 8. hier und da bereits häufiger zu finden^
namentlich in Italien^). Auf welchem Wege, wann er nach
Deutschland vorgedrungen ist, weiss ich nicht. Die Ver-
breitung und Erweiterung der Passio ^), das Auftauchen einiger
Gebete^) und Predigten^ und Spuren bildlicher Darstellung
zeigen in den Jahrhunderten um das Jahr 1000 herum ein
allmähliches Wachstum seiner G-eltung. Sein «dies natalis>
fixiert sich, in den westlichen Ländern auf den 26. Juli, den
>) MabiUon Annales ord. Bened., Paris 1703, I, 203, Act. Sanct. § 2.
Das dort erwähnte Erlöster des Heiligen existiert zum mindesten in dem
Briefe Gk'egors des Grossen £p. lib. YIII, 83 nicht.
*) JCabillon Annales ord. Bened., I, 203. 61 ad annum 583, 689,
690; za dem p. 594 erwähnten domnos Christiyilas und einer höchst
scherzhaften Erklärung desselben s. Annales archeol. Xu, 192. Mon.
Germ. X, 351, 40; 636, 8.
*) Act. Sanct. § 2, 17.
^) Bossi Inscriptiones christianae urbis Bomae 1888, 11, 442. Act. Sanct.
^) Auch der Frosatext Walthers von Speier galt als solche und
worde in Sammelbände aufgenommen, mit dem Frologus de Vita Sancti
Christophori [in passione s. Chiistofori martyris] in den Cod. lat. Mon. 13074
c.pict72 fol.67— 81, ohne denselben in den Cod. lat. Mon. 882 fol. 1,00b
bis 118 a. Vorlage war in beiden Fallen, fast genau kopiert, die von
Harster herausgegebene Haupthandschrift.
*} Sie beruhen auf der kürzeren lat. Fassio und sind meist ohne
Belang, S. Christoph geht nur nominell hinter dem älteren S. Jakob
dem Apostel her. Daniel Thesaur. hymnol., Lips. 1844, II, 66. Mone
Lat. Hymnen des M A's, Freiburg 1865, III, 109, gegen lU, 105 Daniel IV,
176. J. Kehrein Lateinische Sequenzen des MA's, Mainz 1873, p. 298.
Gall Morel Lat. Hymnen des MA's. p. 159. Der Hymnus des Breviarium
gothicum macht eine Ausnahme.
^ Hildeberts von Tours Sermones zum Kalendertage des Heiligen
erwähnen ihn, haben aber nichts weiter mit ihm zu thun: Fatr. lat.
CLXXI, 644 — 56. Schwungvoller ist des Fetrus Damiani Sermo auf
Grund der kürzeren Fassio, doch hätte auch er zur Exemplifikation seines
Gedankens jeden andern hL Märtyrer nehmen können: Opp. omnia,
Faris 1748, I, 80-83.
SOe £• Bichter. St08
8. Jakobstagy in den östlichen auf den 9. Mai^), Beliquien
tauchen anf^.
Dnrch die Ereozzüge gewann der Heilige ein ^öhtes
Interesse, der selbst in die wilde Feme gezogen war, dem
der hl. Geist das Verständnis der fremden Sprache gegeben,
den gottliche Onade gegen die Pfeile seiner Bedränger gefeit
nnd auf seine letzte Bitte mit der Kraft begabt hatte, die
Seinen zu schützen vor Hunger und Hagel, vor Feuersnot
und grosser Sterblichkeit '). Dieses Interesse war der tiefere
Grund fOr die Ausbildung der Legende. Sieg über die Feiude,
Hilfe in Wassersnöten, Feiung gegen Schwerteshieb, Erlösung
Ton böser Schuldenlast, Abwendung alles Gebrestens im.
«eilende», im fremden Lande, das erwartete der deutsche
Spielmann [A] jetzt vom Christoph^)«
Die Entwicklung der einzelnen Funktionen aufzuzeigen,
ist nicht möglich. Die einen ergaben sich aus seiner Ge-
schichte, galten mehr oder minder allgemein, die andern lokal
aus bestimmten Verhältnissen.
*) Auifällig die Datierung der Passio bei Mombritiiu: 7. Janoar.
Den 28. April giebt noch ein Cambridger Martyrolog : Hickes Thesaurua U,
106 ; B. o. p. 19. Zu bemerken ist, dass auch im Abendlande der 8. und
der 10. Mai, in Italien und Frankreich, als ChriBtophstag galt oder gilt,
8. Fatr. lat. LXXXY, 796/6, Baillet Les vies des saints, Paris 1789, *V,
867 a. Man gedenkt der Unsicherheit der Angaben der ausfuhrlicheren
Passio -Versionen in dieser Hinsicht. Auch in neuerer Zeit g^ebt es in
Deutschland lokal abweichende Datierungen auf den U7* Juli und den
16. Mars : Stadler Vollständiges Heiligenlezikon I, 609. Kork Festkalender
p. Sil ff. Zs. d. Ver. f. Volkskunde I, 994.
') Martyrol. Adonis ed. Q«orgius 1, 864. Der Zahn des hL Augustin iat
eine Fabel : De civitate dei 1. xy o. 9, Organ f. christliche Kunst Xu, 990 ff,
") P «grando, ira flammae, fames, mortalitas». M giebt statt der ersten
beiden «captivitas», W statt cmortalitas» t subita morborum intemperantift»^
«pestis acredo», wie z. B. auch Salazar ipestis» liest. B spann P fort^
V angeblich nach 8. Ambrosius nur «morbi et infirmitates».
^) In dieser Zeit gerade werden yiele Sjrchen, die des Heiligen
Namen tragen, entstanden sein, wie in Deutschland die zu Köln, an der
Christophsstrasse, in strengromftnischem Stil [Sinemus p. 81], in Mains,
1179 gegründet [Org. f. chrisü. K. VUI, 76], zu Breslau, IBrfyirt u. s. w.
Viele Hinweise auf solche in den öfter zitierten Schriften.
S09 Volksbranoh und Yonumeinang. J209
S. Christoph ist der grosse Pestheilige Europas gewesen,
grösser als S. Brochns und S. Sebastian, und zwar erfolgte
diese Spesialisienmg der Kraft über die cmortalitas» lange
vor dem Fest jahre 1346. Die allgemeinere Eigenschaft hielt
sich neben der eingeschränkten, ja die Scheu, den schlimmen
Feind zu nennen, scheint zu euphemistischen Umschreibungen
die Veranlassung gewesen zu sein, die sehr bald einen äusser-
lichen Aberglauben bewirkten imd endlich mehr und mehr
unTerständlich wurden^): man glaubte, wer den Christoph
') Selten ist die einfache UnterBchrift: «S. Christophorus patronus
pestis» auf Büdem n. 8. w. Im Dom zu Worms lautete sie :
Per te serena datur, morbi genus omne fugatur,
Atra fames, pestis, Christi Christophore testis.
Vereinzelt ist die Umschreibung der Kirche des hl. Bernhard bei Honte
Garasso:
Ghristophori visa manns est inimioa dolori
[Xittheil. d. aatiquar. Gresellsch. in Zürich XXI, 1, 14]. Dagegen giebt
der Holztobnitt von 14SI8 die gefiiufige Paraphrase:
Gristofori faciem die qnacumque tueris
Dia nempe die morte mala non morieris,
die freilich in unendtichen Variationen umging. 8. Molanus De sacris
pieturis cap. 97, Xreuser Dombriefe p. 81, Kork Festkalender p. 912,
MittheU. d. k. k. Central-Comm. IV, 988. Gastius Tom. seo. conmalium
sermonum p. 989:
Ghristophori molem sancti qua luce videbis.
Mors poterit nunquam saeva nocere tibi.
In einer Kirche zu Gapriate bei Venedig nach L. Maini p. 6:
CSiriftophori sancti faciem yenerare, viator,
Morte repentina si Tis abire procul.
Hingegen im alten S. Peter zu Strassburg naoh Grandidier Essai p. 967:
Ghristophori sancti spedem quiounque tuetur,
lUo namque die nuUo languore gravetur
[Henkelum: ista nempe, nach anderer Quelle], in 8. Marco zu Venedig:
Ipso namque die nuUo languore tenetur
[nach Kemeits Inscriptionnm sing. fiMdcnlus, Lips. 1796 p. IL Dlo naoh
Pftsini Guide de k basilique st. Marc & Venise, Schio 1888, p. 89]. Eine
Kontaminatkm aus dem Memorandenbuoh Kaiser Friedrichs IV. nach
Jos. Ghmel Gesch. Kaiser Fr.'s IV., Hamburg 1884, I, 576:
Gristoffori faciem quacunque die tueris
Non confusna erris nechk mala morte peribis
Dlo namque die nulla k&gbore grafebis.
SlO K. Riohter. glO
gesehen, könne des Tages nicht sterben ^). Es war ein richtiger
Yolksglaubey die Kirche kannte ihn kaum, wollte ihn nicht
kennen, das lehrt eine Yergleichong der deutschen und der
lateinischen Gebete an ihn^). Das Volk feierte seinen Heiligen
Die Leoniner
OristofiPere sancte Tirtates sunt tibi tante
Qui te mane videt nootumo tempore ridet
[Nee satanas caedat neo mors subitaDea laedat:
8. Org. f. Christi. Kunst XII, 222, veigl. femer F. v. Bartsch Die Kupfer-
stichsammlung der Hofbibl. in Wien, 1854, p. 266] verstand Wagenseil
De civitate Noriberg. 1697 p. 76 nicht mehr. Auf einem Holzschnitt
des Jahres 1600 eine Zusamroenstellung der verschiedenen Fassungen
mit deutscher Übersetzung: Org. f. christl. Kunst XI, 251. S. auch Gunrats
von Danckrotzheim Heiliges Namenbuch in Strobels Beiträgen z. deutsch.
Lit. und Literärgesch., Strasb. 1827 p. 116.
^) Auch in den Ulndem griechisch-katholischen Bekenntnisses? S.das
'QpoXdriov t6 \iija des BapOoXoiüialö^ KouTXou|üU)uaiav6^yenedig 1841, p. 304/5.
*) Henkelum teilte Einiges mit. Im Hortulus animae Bl. .oxv wird
er um Schutz angefleht vor dem «erschrockelichen gebresten der pestilentz
vnd des gehen todes für den er sonderlich gefireyet ist zu bitten».
[Bäumker Das kath. deutsche Kirchenlied, Frbg. i. B., II, 178]. Das
erste der beiden lateinischen Gebete, die Nicholaus Salicetus im Anthi-
dotarium animae, Argentorat. 1491 fol. Cxxxvm/iz giebt, enthält nur mehr
allgemeine Bitten um Schutz gegen «angustias, paupertates, tributationes»
aller Art, das zweite wird etwas spezieller: gegen «mortem perpetuam
et subitaneam, pestem, famem, timores, paupertatem et omnes inimicorum
insidias», wie es ähnlich auch unter dem Holzschnitte am Schiusa von
Christoph Scheurls Yiertzig Sendbriefen und öfter heisst. Wenn die
Strophen, die Mone Lat. Hymnen, JH, 153 no. 743 als De uno martyre
mitteilt, von einer andern Hs. auf Ghristophorus bezogen werden, s. Qali
Morel p. 216, so könnte die vorletzte:
sana morbos et languores,
cura pestes et dolores
et fuga daemonia:
freilich dafür ins Feld geführt werden, aber wie uninteressiert ist das
zusammengereimt. Was Mone p. 248 als no. 865 giebt, enthalt eine
sichere Anspielung auf die Flussscene, no. 866 ist eine uncharakteristisohe
Dichterei nach der Leg. aur. Kehrein p. 367 no. 633. Daniel II, 206.
Das erste der hier gegebenen G«bete etwas anders bei Ghemnitius Examen
conc. Trid.: De invooatione sanct., Sectio IV ed. Freuss p. 666/671 «ab
onmi languore corporis et animae». Ebenso schwächlich das Breviarium
Romanum.
211 Volkfibranoh und VoDumeinang. 211
andi in einem Liede. voll derselben fröhlichen Zuversicht ^).
Und Terschiedentlich haben wir die Nachricht, dass man sein
Bild in Pestzeiten an die Mauern der Kirchen, an die Wände
der Häuser malte, man hat bemerkt, dass in der Nahe ihm
geweihter Ejrchen oft ein Pest- oder Siechenhaus sich findet*).
Aus der allgemeineren Meinung ergab sich das Bedürfnis,
ihn immer und überall zu haben, ihn in G-rossem und Elleinem,
in Gebäu und Gerät gegenwärtig zu wissen'). Wir haben
Die Synonymität all der Aosdrücke: mala, repentina, subitanea,
saera mon, languor, pesÜB, gaecher, böser, baestiger dot, pestflentz,
ziecte etc. erhellt aus allem. Hoeniger Der schwarze Tod in Deutsch-
land, Berlin 1889, p. S2 beweist, dass man wirklich unter dem «gächen
tod» die Pest verstand. Das Unbussfertige desselben darf nicht betont
werden.
') Hs. Valentin Holls, ühland Alte hoch* und niederdeutsche Volks-
lieder n, 809, no. 806. Wackemagel Deutsches Kirchenlied H, 1003/4
giebt zwei Fassungen, auch des Hans Sachs Contrafaktur m, 69/60.
*) Escolano Historia de Valencia, 1610, I lib. v c. 10, 8 erzählt,
dass bei einer Fest auf den Bat des Vinzenz Ferrer die Bilder des
hL Christoph auf Strassen und Plätzen aufgestellt wurden. Vgl. Zs. d.
Ver. f. Volkskunde I, 294.
") Natürlich war am glücklichsten, wer eine Reliquie des Heiligen
besass. Han könnte ein sonderbares Skelett zusammenstellen. Das
Haupt war im Kloster S. Vincent-aux-Bois, in jenem Behälter, von dessen
bildüohem Schmucke Kenntniss genommen wurde. S. Denis; Toledo,
Astorga, Coria, Valencia ; Bom, Hessana, Ravenna, Venedig ; Cambray u. s . w.
wären als beatae possidentes zu nennen, wie man sie aus den Act. Sanct.
§ 20. 28., aus Butlers Leben der Väter etc. übs. Mainz 1825 X, 46,
dem Kartyrolog des Maurolycus 1569 p. 117, den Mirabilia urb. Bomae
p. 69, dem Hierogazophylacium Belgicum des A. Baisse p. 384, dem
Historischen Anzeiger Vieler Heiligen des H. Zeiller, Frankf. 1658,
p. 181 u. s. w. kennen lernen und wohl leichtlich mehren kann. In
Deutschland hatte Köln ein Schulterblatt und einen Finger, der merk-
würdigerweise nur natürlicher Grosse war [Winheim Sacrarium Agrippinae
p. 64], Nordhausen, Hannover ein dieses und jenes [Hannoveranarum
reliq. thes. no. 21. 28. 90. 98] u. s. w.; wie wenig solche Beispiele den
wahren Umfang des Knochenunfugs für unsem Biesen ermessen lassen,
lehrt des Wolf^g^ang Franz Zeigung des hochlobwirdigen Heiligthumbs
der Stifit Kirchen aller Heiligen zu Wittenberg, aufib new auffgeleget
1617, p. 81 und desselben Verzeichnis der Hallenser Heiligtümer von
S. Moritz and S. Maria Magdalena p. 53.
S12 K. Bichter. 312
uns Kunst und Kult als wechselseitig sich fSrdemde Faktoren
zu denken: der Maler malte, der Bildhauer meisselte den
grosse Ohristophi weil er der mächtige Heilige war, der
HandwBxker schmückte seine Waare mit seinem Konterfei,
und Geräty Statuen, Bilder erhöhten wieder Wnrkung und
Ansehen dieser Heiligkeit').
') Cum in omnibus texnplis non possint haben reliquiae hnj^us sanoti,
idciroo conantor aaltem imaginem et figoram habere, sagte Thoma de
Trugillo. Es ist interessant, dass die Künstler sich bisweilen gensia an
das ICass von zwölf Ellen hielten, das die Leg. aurea aus der alten
Passio übernommen hatte, wie z. B. in dem Christoph am Kölner Dom,
in denen von Münster und Paderborn, in der Kirche des hL Petrus su
Sanmur [Org. f. christl. K. XXL 3S8]» in Op-Hensden in der Neder-
Betuwe [Henkelum]. Doch ging man noch weit über dieses Mass hin-
aus : der Christoph im Strassburger Münster war 86 Fuss hoch, das Bild
in der Herrgottskirche zu Creglingen 80, das im Dom zu Erfurt 86,
und auch das in der Preysingakapelle der Frauenkirche zu München
reichte bis fast an das Gewölbe [Anz. f. Kunde dtsch. Vors. 1868 Sp. 488],
und Erasmns in den CoUoquia, Peregrinatio, nennt den Christophorum
Lutetiae «non hamaziaenm aut colossaeum, sed monti justo parem», er
war 28 Fuss hoch. Man hat sich über den Grund der riesisohen Dar*
Stellung viel den Kopf zerbrochen, selten hat einer erkannt, dass sie nur
durch die geschriebene Legende hervorgerufen wurde, wie Sckl im Org.
f. christl. Kunst XIX, S79. Es ist vielleicht eine richtige Bemerkung,
dass ein forderndes Moment für die Aufstellung in gotischen Kirchen die
Kongruenz der riesenhaften Grösse mit dem Streben ins H<^e war, ein
Akkord zwischen ihr und den schlanken Säulen [Org. f. christl. K. VJLiI,
106]. Denn ebenso oft wie vor steht S. Christoph auch in den Kirchen,
z. B. im Dom zu Schleswig, im Münster zu Bern, im alten S. Peter zu
Köln, in der Kirche zu Trefifurt bei Mühlhansen, in der Liebfrauenkirche
zu Lauban in der Oberlansitz [Süden Gelehrt Critic p. 406] etc. etc.,
bisweilen unter der Kanzel wie in Körbeke u. s. w. Weitere Bemerkungen
über die Stellung s. Org. f. christl. K. VIII, 78 Menzel I, 176, ohne
zwingendes MateriaL Und was Kreuser in den Kölner Dombriefen,
Berlin 184A, p. 81 sagt, dass die spätere Baukunst bei Nebeneingängen
den Beginn der Mittelkirche oft durch den hl. Christoph bezeichnete«
weil dieser nach der L^ende den Heiland trug, dann aus dem Heidentum
zum Christentum übertrat und also als ein Übergangsqrnibol gelten
konnte, ist rein erklügelt. Eher könnte man formulieren, er habe den
Übergang vom Weltlichen zum Göttlichen vermittelt, denn aussen vor
der Kirche — etwa neben der Thür, an einen Strebepfeiler gelehnt wie
21S Volksbrauck und Volkamemung. 213
In zwei andern Richtungen scheint sich die Macht des
Heiligen über den Tod noch zugespitzt za haben, die vielleicht
sehr eng in Beziehung stehen: den Wanderer und den See-
z. B. sm Dom zu Köln, an der Püurkirche za Loxembnrg, am
za Fteibnrg LBr., an der liebfraaenkirolie za Eailingen, an 8.Sebalda8
in Nürnberg — oder über dem Eingang, s. B. an der Bargkapelle za
Sebenstein in der Nähe Ton Wiener Neostadt — oder an ihre Axusen-
wände gemmlt — z. B. an der llagdalenenkirche zn Jadenborg u. s. w.
[Sinemoz p. 32] — begrüsate er die Kommenden oder schützte das Haus
leinee kleinen Herrn gegen rohe Gewaltthat [Sinemas p. 84]. Man hat
die yersohiedenzten GMnde für die hervorragende Petition gerade anseret
Hailigen getncht: er toll den Eingang gehütet haben [Didront Meinong
za den griechitchen Handtkopfen, Annalea arohteL XV, 28. Zoekler
Realen<7dop. f. prot. Theol. a. Kirche JJl, 217] — nirgendt in den
Inachriften a. t. w. träte tolchet Amt einet Wächten hervor ; er tei an
atelle einer firüheren Gottheit getreten, deren Bilder vor den heidnischen
Tempeln za ttehen pflegten — man hätte nachweiten müsten, daat in
allen Landein Saropas vor den alten Heiligtümern des dem Herkolet
entsprechenden Gottet, denn auf einen tolchen rekurriert man, that-
sächlich iÜ)erein8timmend derartige Statnen ttanden. Auch hat man die
noch zu erwähnenden Brodertchaften 8. Ghrittophori herangezogen [Act.
Sanct § M, Stadler Yolltt. Heüigenlex. I, e09], die tämtUch viel zu
tpit gegründet worden sind, um znr Erklärung der von vornherein auf-
fallenden Stellung des Heiligen in betracht kommen zu können. Mehr
ein guter Scherz muss die Ansicht dünken, der „grosse" Christoph sei
vor die Kirchen gestellt worden, weil er nicht hineingegangen seL
[Vidas Distichen, L. A. Muratori Antiquitt. Itall XII, 391/2]. Sondern
eimdg das Streben, ihn weithin sehen, von weither gesehen werden zu
lassen, jener Volksglaube giebt die Losung. Eine bestimmte, aus irgend
einem tieferen Grunde bestimmte Stelle kam ihm nicht zu: an der
Oeorgtkapelle bei Räzünt hat man ihn auf die Westseite, an der gegen-
überliegenden Kirche S. Paul auf die Chorfinonte gemalt, so dass er von
hüben und drüben auf die Thalstrasse herunterschaut. An der Pfarr-
kirohe von Bremgarten im Aargau auf die Südseite des Schiffes, dass
er von der höher gelegenen Stadt aus gesehen wurde [Mittheil. d. anti*
qnmr. OeseUschaft in Zürich KXI H. 2, p. 26]. Belege, wie häufig er
auch die Wände des Innern schmückte, bei Sinemus, Henkelum u. s. w.
Glasmalereien im Kölner Dom, in der Stadtkirche zu Ghdldorf inWürtem-
berg, in der Liebfirauenkirche zu Landsberg in Baiem u« s. w. Auf
Monstranzen, Ostensorien, Taufbronnen und Schnitzaltären [Sinemus,
Mittheil. d. k. k. Central-Comm. XYIII, 179, Jahresh. d. Würtemb. Alter-
814 K. Bichter. 814
fahrer sollte er schützen. Kreuzfahrer liessen ihn auf ihren
Fahnen Tor sich herziehen, Wallfahrer trugen sein Bildnis,
auch für den Kampf hoffte man auf ihn^). Adlige Gesell-
tbumsver. "XTT^ Taf. xl]. und nun sehe man aus den Kirchen hinaus
aufs Weltliche: S. Christoph hütete die Städte — z. B. am alten ZoU-
thore in Düsseldorf [Sinemus p. 34], am Christoffelthor in Bern, am
Christophthor zu Emmerich am Kiederrhein, am Simeonsthor in Trier
nächst der Porta nigra [Henkelnm], über dem Stadtthor von Basel [Ann.
archöol. XXI, 128] — , er stand in ihren Strassen — z. B. in Hüningen,
Arnstadt [Org. f. christl. X. VIII, 76] — , auf ihren Märkten — z. B.
dem Eiermarkt in München [Sinemus] — , ihren Brunnen — z. B. auf
dem Weinhofe zu Ulm, dem Markte zu Urach — , von den Giebeln der
Thüren und den Firsten der Häuser hielt er sein Christkind hoch in
die Luft hinein — z. B. in Leipzig, Hannover, Stuttgart, Lüneburg,
Krems, Zürich ; er musste gar stattlich in Ratssälen fig^urieren
— z. B. in der alten Kaufhalle des Artushofes in Danzig [Sinemus p. 39]
— , in den Stuben hing und lag er in besserem oder schlechterem Holz-
druck auf Tischen und Bänken und an den Wänden, und er schmückte
•
das Hausgerät, die Siegel — z.B. der Stadt Werne [St. Beissel Die Ver-
ehrung der Heil. etc. während der 2. Hälfte des MA's p. 70], unter
seinem besonderen Patronat standen Braunschweig, Hüdesheim, Würz-
burg, Baden, Würtemberg [H. Samson Die Schutzheiligen, Paderb. 1889,
p. 128] — ja das Geld in den Taschen der Leute [Sin. p. 87. Norka
Festkalender p. 214], ihre Fingerringe u. s. w. [Joum. of the Brit. arch.
assoc. m, 87]. Auch die Toten noch begaben sich in seine Obhut,
und das Bild Memlings in der Liebfrauenkirche zu Antwerpen, eine
Steinfigur im Kreuzgang des Domes zu Eichstädt, ein Kelief in dem des
Domes zu Freising in Oberbaiem u. s. w. hatten Giäber zu schützen
[Sinemus p. 88/9]. — Namentlich in Baiem und Tirol, auch in Thüringen
begegnet man heut noch an Weltlichem und Kirchlichem dem Bilde
S. Christophs. — Über England kann ich nur auf den Artikel im Dio-
tionary von Smith -Wace I, 496 verweisen.
^) Oberbayerisches Archiv f. vaterl. Qesch. XXVill, 109. Ghiene-
bault Dict. iconogr. I, 276. Erasmus CoUoquia fam., MiHtaria, ed. 1669
Amsterdam p. 82, lässt Thrasymachus erzählen, dass man des Heiligen
Bfld mit Kohle auf die Zeltvorhänge malte. Er war Schutzheiliger der
Arkebusiere in Antwerpen. Die Bitten des alten deutschen Gedichtes
lehren, dass nicht erst, wie man gemeint hat, nach der Erfindung des
Schiesspulvers diese Seite des Glaubens hervorgetreten sei. — Mittheil,
d. k. k. Central- Comm. IV, 287/8. Für England s. Notes and queries,
4 th ser. vol. X, 372. 482. — Man hat die Wahrnehmung machen wollen,
216 Yolksbrauoh und Volksmeinung. 216
Schäften, in diesem oder jenem Sinn gemeinnützig, worden
unter seinem Patronate gegründet^).
dass S. Christoph besonders in Niederungen, an Flossläufen, etwa in den
Donaugegenden, am Bhein n. s. w. Verehrung geniesse [Sinemos p. 88,
Bodin ebenso fnr Frankreich: Recherohes bist. s. u.], eine quantitative
SchatzuBg in solcher Hinsicht hat etwas Gewagtes. Dass er vor dem
hL Nepomnk, wie Peter von Cornelius vermutete [Hauthal p. 46], als
firäckenheiliger galt, dafür habe ich nirgends eine Bestätigung gefunden.
Erasmus Colloquia fam., Naufragium, ed. 1662 p. 207. Tob. Fabricius
Das Bomische güldene Bäuchfass, Newstadt an der Hardt 1616, p. 28.
Neben ihm waren S. Nicolaus und S. Fhocas Patrone der Schiffer. —
Flügel des Genter Altars.
^) Heinrich von Kempten, ein Findelkind, der sich die Mittel zur
Begründung eines Hospizes auf dem Arlberg in aller Herren Ländern
zusammengebettelt hatte, erhielt 1886 die Bestätigung seiner Gesellschaft
zur Bettung und Bergung, Verpflegung und Herstellung verirrter und
verunglückter Beisenden von Herzog Leopold und begann 1886 den Bau.
Nach einem schnellen Verfall wurde sie 1647 wieder belebt, und noch
heut soll das Haus auf dem Arlberg des Heiligen Namen tragen [Act.
sanot. § 27. lüttheü. d. k. k. Central- Comm. Xu, 186. Stadler Vollst.
Heiligenlezikon 1886 I, 600]. Es existiert ein Bruederschaft Buech.
Bei der Keformierung trat auch die ganze erzherzogliche Familie der
österreichisch-tirolischen Linie ein [Jahrb. d. kunsthist. Samml. d. aller-
höchst. Kaiserhauses in, 2, cun ff.]. Eine andere Bruderschaft S. Christo-
pbori wurde 1678 in München errichtet, sie sass in einem zum Kloster
erweiterten Hause, in dem einst Frauen als Schwestern vom hl. Christoph
Kranke und Presthafto gepflegt hatten. Ihr Einschreibbuch enthielt eine
Reimlegende des Heiligen mit Bildern [Oberbayerisches Archiv f. vaterL
Gesch. XXVni, 109. 111]. — In anderer Weise galt der Heilige einem
Bunde von steirischen, kämthischen, krainisohen Adligen als Patron, die
«den beyden grausamen lästern fluchens und zutrinckens» durch eigene
Massigkeit entgegenarbeiten wollten: sie trugen sein Bild beständig «an
einer ketten oder schnür am halspinnet, huet, oder sonst öffentlichen
und sichtbarlich», und auf der Übertretung ihrer Eigenvorsätze standen
strenge Strafen. Stifter war der kaiserliche Bat Freiherr Sigmund von
Dietrichstein, dessen Ordnung der gesellsohafft s. Christoffs in Megisers
Chronica des löblichen ertzherzogthumbs Khämdten, Lpz. 1612 p. 1294
bis 1801 zu lesen ist, datiert vom 22. Juni 1617. «Ein jglicher, der in
solcher gesellschafil ist, der soll als ofit er für ein kirchen zeucht, vnnd
s. Christoffen bildnüss daran gemalt siecht, gott zu lob, in der ehr
B. Christoffen, ein pater noster sprechen, welcher das nicht thäte, vnnd
sich des in seinem gewissen bekennet, der sol als ofit ein pfennig vmb
16
816 K- Richter. 816
Die anderen Kräf te, die in der alten Passio S. Christoph
Terliehen waren, erloschen nicht ganz. Der Herr über die
cgrandines» war Herr über Donner und Blitz f^eworden, der
die cfames» vertreiben konnte, half jetzt gegen den Hunger,
und wie in alter Zeit musste er die Yom Teufel Besessenen
heilen ^). Besondere Funktionen entwickelten sich hier und da^).
gotteswillen geben». Und diese Fördernngsbestrebungen der Öffentlichen
nnd privsten Sittlich- und Sittsamkeit fanden solchen Anklang, dass
bereits in demselben Jahre nnd in denselben Ländern noch ein zweiter
adliger Bitterorden der Massigkeit, ebenfalls unter dem Protektorate
des hl. Christoph gegründet wurde, der yrie der erste auch Frauen und
Mädchen aufnahm [Ersch u. Grubers Encydop. XVJLl, 126. J. Es befindet
sich aber auf der kgl. fiibhothek zu Berlin ein Ms. germ. fol. 708» von
dem ich nicht weiss, ob es schon gedruckt ist, und das das Bestehen
einer solchen erlauchten «Geselschafb s. Oristoffels» als einer Stiftung
des Grafen Wilhelm von Henneberg schon im Jahre 1480 beweist. Von
Papst Siztus lY. in feierlicher Bulle bestätigt waren ihre Ziele fireilich
noch allgemeinerer Art, indem sie einerseits der Verehrung Oottee, der
Jungfrau Maria, der vierzehn Nothelfer, besonders des heiligen Christoph,
dann aber, ein wenig praktischer, dem Seelenheil verstorbener Ver-
wandten galten. Jedes Mitglied musste sich die cgesellsohaffb» machen
lassen, «mit engein so lang das sie im vmb den halss zu tragen gerecht»
war und mit dem Bilde des Heiligen und starken Nothelfers S. Christoph
cyn der figure als er den hem des himels vnd der erden durch das
mere trug vnd von ym getaufit worden», besonders an Hof- nnd Kirchen-
festtagen, bei Strafe von vier Pfennigen, sie anlegen, und war gleiohfidb
zu bestimmten Gebeten und zu moralischem Wandel verpflichtet.
^> S. die Gebete und das Christophlied. Act Sanct § S6. 88.
*) In Frankreich riefen ihn Schwangere an ftlr eine glückliche
Niederkunft und kräftige Frucht [Bevue anglo-fran^ise I, 366], in Plans
war er Patron der Gemüsehändler, Lastträger und dgL Leute, Forgeaas
CoUection de plombs historiös I, 68, IV, 168. Auch gegen Zahnweh
sollte er helfen [Cahier Charaot^ristiques II, 610]. Er war Schutzherr
der Advokaten. Er diente als Modell zu buchhändlerischem Handels-
leiohen, z. B. des Henxiing Gross in Leijoig, des Christoffel Cunradus
in Amsterdam [Sinemus p. 66/6]. Christoph Schenrl giebt seinen « Viertaig
Sendbriefen ans dem Latein in das Teutsch gezogen, von Fridrich Peypoa
zu Nürenberg am abent des heiligen marterers vnnd grosen nothelfers
saat Christoffels jm jar Christi 1616 in druck vollendet» auf der Bück-
seite des Titelblattes und auf der des Schlnssblattes zwei Holzschnitte
mit den stereotypen Christophsoenen mit.
917 Yolksbraucli and Volksmeinang. 317
Wunder ereigoeten sich Lokalisationen der Legende er^
folgten ^).
Li dem alten deutschen Gedichte A wurde dem Heiligen
die Kraft yerliehen, dem, der «in grozzem gelt» sei, zu helfen
und ihn freizumachen, dass er in Ehren sein Gut gewinnen
und seine Seele behüten möge. [V. 1596 ff.J. um Schutz
gegen «armoede» flehte man ihn an. Gegen Ausgang des
Mittelalters gewann diese Seite der Verehrung das Übergewicht,
in nächtlicher Beschwörung suchte man den allTcrmögenden
Heiligen zur Herausgabe von barem Gelde zu zwingen^),
manche Geschichten liefen und laufen hier und da vielleicht
noch im Volke um ygd gutem oder üblem Ausgang^). Die
') S. besonders die Act. Saiiot., über das Jadenwander in Valencia
Ix>r. ViUanaeya Yiage literario a las iglesias de Espana, Madrid 1804,
II, 22—89. Es geht derartiges aber nur den aosserdeutschen und wohl
kirchlichen Heiligen an. Der französische Heilige scheint wirklich den
deutschen Yolkstümlichen Charakter gehabt zu haben. In Beims wurden
1686 dramatische Umzüge einer S. Jakobsbruderschaft verboten, bei
welchen unter andern einer ein Kind auf den Schultern trug und ab
und zu hinaufrief: „Kind, bist du schwer l** Die Antwort war: „Christoph,
heut trägst du die ganze Welt!" Kinder liefen hinterher und machten
Iiärm [Annales archeol. IX, 241]. — Lokalisierungen zu K^rentrech an
der Scorf [Org. f. ohristl. Kunst VIII, 77]: der Heiland, im Qewande
eines Beisenden, wird von dem hl. Christoph über diesen Fluss getragen
und lohnt den Dienst, indem er die verkommenen Einwohner der Nieder-
Bretagne zu einem menschenwürdigen Dasein aufweckt. Im Hafen von
Brindiii s. Deutsche Pilgerreisen nach d. hL Lande, ed. Bohricht und
Keisner, Berlin 1880, p. 291.
*) Sicherlich nicht nur von Schätzen, die im Wasser liegen, wie
F. Nork im Festkalender p. 918 meinte.
*) Meist geht das Unternehmen nicht so glücklich ab wie den
Miinnem von Oberpreohthal und Biederbach in Baden, die, als sie nach
langen vergeblichen Yeteoehen auf die Yerheissung einer glänzenden
Frauenerscheinung hin in einem Burggewölbe eine von Fackeln um«
leuchtete Kiste voll Gold aufsteigen sahen, aber vor dem begleitenden
Blitz und Donner entsetit flohen, doch am nächsten Morgen einen Haufen
dürren Kuhmist fanden, der sich ihnen in Kronenthaler, 60000 Oulden
etwa, verwandelt [Baader Yolkssagen ans dem Lande Baden, Karlsruhe
1860 p. 68/9.]. In der Mark weiss man nur noch, dass in der Kirche
stt Nenstadt-Eberswalde in der Bichtang, nach wekher ein Freskobild
15 •
218 ^ Richter. 218
erforderlichen Gebete wurden handschnfUich und durch den
Druck verbreitet, bis nach Ungarn hinunter^). Sicher war
es der Ohristusträger, den man anrief^ ; es wird in kiLrzerem
oder längerem Auszug die Legende, etwa in der Fassung der
Legenda aurea, erzählt, nur dass aus den deutschen Versionen
der Name cOpherus», cOffery» hineingekommen ist, und in
die Taufworte des Eöndes fälscht man einen Passus ein, um
die Habgier unter göttliche Autorität zu stellen ^. Die Cere-
des Christoph schaue, ein grosser Schatz verborgen liege, zwei fremde
Mönche haben früher jährlich einmal nach Kirche and Bild gesehen,
was es aber sonst damit für eine Bewandtnis habe, sei dunkel [Ä.dalb.
E.uhn Märkische Sagen und Märchen, Berlin 1843 p. 176 no. 168].
') In Köln erschienen in mehreren Ausgaben Kreschtoffelsböjelcher,
die Anleitung zum Schatzg^raben, aber auch zum Stich-, Hieb- und
Schussfestmachen und dgl. enthielten [Wolf Beiträge zur deutschen
Mythologie I, 99; Org. f. christl. Kunst XU, 220 ff.]. In Ungarn war
handschriftlich ein Buch verbreitet, meist einfach „Ghebete des hl. Christoph'^
betitelt, bisweilen auf die Verfasserschaft eines deutschen Jesuiten Eber-
hard, Professors an der Universität Ingolstadt, hinweisend [Heinr.
V. Wlislocki Aus dem Volksleben der Magyaren, München 1893. Wuttke
Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart, '1869, p. 887]. In Mähren,
der Pfalz, Franken, Österreich, den Rheinlanden ist der Aberglaube be-
zeugt. Ich kenne von deutschen Ghristophelgebeten das, welches Tafinger
in seiner noch zu nennenden Dissertatio in lateinischer Übersetzung ab-
gedruckt hat, ein zweites von Scheible Kloster DI, 848 — 61 mitgeteiltes,
ein drittes handschriftlich als Ms. germ. ootav 118 auf der kgl. Bibliothek
zu Berlin befindliches: Dass gerechte und wahrhafitige Gebett dess
heiligen sanct Christoph welches allen katolischen Christen zu gut an
Tageslicht gegeben, von einen gewiesen Pater offt probirt und vielen
nothleidenden Seelen damit geholffen worden. Ai 1663, und die ersten
Worte eines vierten, welches Th. Vemaleken Mythen und Bräuche des
Volkes in Oesterreich, Wien 1869, p. 86 nach einer Version aus Trubau
in Mähren giebt. Die Zitate des Folgenden sind der noch nicht ge-
druckten handschriftlichen Fassung entnommen, die nach Ungarn weisenden
aus Wlislocki.
*) «Als wahr du getragen hast unsem Herrn Jesum Christum dnroh
den Jordan als wahr trägst du mir mein bescheidenes Guth her, dass
mir von Gott ist auserwählt worden».
') «0 du lieber Diener mein, jezund solt du getauffet seyn, und
dein Kahme soll heissen Christoph, du bist ein Sohaczmeister über alle
verborgene Gütter und Schäcz der Welt, auch über das verborgene Geld,
219 Yolksbranoh und Yolksmeinongf. 219
monien waren die üblich umBtändlichen^). Wichtig ist, dass
nicht eigentlich der Heilige selbt den Schatz bringt, sondern
er offenbar als der gilt, dem alle Schätze der Welt, dieVer-
ftignng über sie nnd die Gewalt des Zwanges über die höllischen
Geister, die sie hüten, übertragen ist ^. In Ungarn trägt er
du 8olt nm Gottes willen mein Anstheiler seyn, der armen Leuten, diess
nothdürfftig seyn, und dich darum anruffen loben nnd ehren, die soltert
du gewahren nach ihrem Begehren».
') Die Bedingung des Gelingens war, dass man sich des Tages
keusch und rein gehalten und gefastet hatte; von neun bis nach zwölf
Uhr, oder nur zu nachts, an einem Dienstag, Donnerstag und Samstag
nach dem Neumond, oder an S. Jakobi Abend hatte die Beschwörung
zu erfolgen. Man musste mit einem Fusse über ein Gefäss stehen, darin
sich Wasser befindet, das gegen Sonnenaufgang seinen Ursprung hatte,
und soll ein geweihtes Wachslicht angezündet in der Hand halten ; Ave
Marias, Credos, Paternosters n. s. w. Inmitten der herkömmlich ge-
zeichneten Kreise befand sich ausser einem Kruzifixe und Weihwasser
ein Christophelbild, auch wohl ein solches der Jungfrau Maria, jenes
musste man bestöndig im Auge haben, wir erinnern uns jener kleinen
Darstellung, die den Kiesen in enge, knappe Bergmannskleider zwäng^.
Die Nöte vergangener Zeiten lächeln uns an, wenn bei jeder Nennung
der ganz bestimmten Summe, etwa 99000 Dukaten oder 80000 Florin,
unvermeidlich und unermüdUoh hinzugesetzt wird «in guter Landtmüntz
und Wehrung», «ohn verfaltzss und g^terLantswehrung», «bonae monetae».
Durch das entstehende G«töse durfte man sich nicht schrecken lassen,
und : «wann der G^ist das Geld gebracht hat, nach deinen begehren, so
■prengs mit einen Weyhbronen oder Wasser, und wirff ein Tisch -Tuch
dar, und bette dieweil, sag nicht O dass Geld ist schon da, greife es
auch nicht vor einer Stunde an, seye auch nicht neydisch, theils redlich
mit deinen Chesellen, die mit dir betten». Auch wohl durch einen Bosen-
kranz wird der Schatz gebunden.
*) Sodass er gleichsam nur den Befehl oder die Vollmacht giebt
und auf seine Beschwörung noch eine Beschwörung und Citierung auf
den «Geist undt Schaatzhüter» zu folgen hat. Es wird diese Wahrnehmung
zur Gewissheit, wenn Tafingers Angabe: «s. Christophorum, et quidem
genios tum bonos, tum malos, ex quibns maxime oelebratur Astarot, ab
ipso mittendos invocant et adjurant, nt pecuniae oopiam invocantibus
et a^jurantibus largiantur» verglichen wird mit den Zeugnissen, die
Wlislooki für eine oberherrliche Beziehung des hl. Christoph zu teuf-
lischen Machten der Magyaren erbringt. So heisst es in einem Gebete
ans dem Kalotaszeger Bezirke: «Lieber gütiger Christoph, gieb mir
SSO S^' Richter. SSO
des zum Zeichen einen goldenen Hammer; wo er mit ihm
hinachlägti entsteht der sogenannte Karfunkelatein und zeigt,
wie die Sonne leuchtend, den Sehatz an^). Aber in Ungarn
scheint sich auch bisweilen die Vorstellung des himmlischen
Mächtigen über höllische Geister in die eines selbstteuf lischen
Obergewaltigen verkehrt zu haben ^. Im Allgemeinen ist
eine enge Verwandtschaft des magyarischen und des deutschen
Schatzherm Christoph ersichtlich").
Glück auf meinem Gange, damit meine ifiiidigen Augen den Teropkile,
deinen Diener erblicken mögen; gieb, dasa er midh beschenkt», oder:
«führe mich zum Xerophile, zu deinem obersten Schatehüter hin», oder
ein drittes gelobt ihm und seinem Diener Dromo Dienst. Dromö aber
war der oberste Teufel, Xerophile ein Hauptechatswachter, und da auch
im deutschen Volksglauben der Teufel und seine Gesellen die Schätze
in ihrer Hut haben, so werden wir nicht irr gehen, wenn wir den Namen
der grossen syrischen Göttin als eine späte und willkürliche Bezeichnung
teuflischer Wesen auffassen, über welche dem hl. Christoph die direkteste
Gewalt zustand. Auch diese Vorstellnng dürfte für die volkstümliche
Geltung des Heiligen zeugen.
*) Siehe Wlislocki 1. c, z.B. cFühre mich mit deinem goldenen
Hammer, zertrümmere damit die Bösen und öffne mir die Pforten zu
deinen heiligen Schätzen», «klopfe mit deinem goldenen Hammer, damit
ich weiss, wo sich ein Schatz befindet» und ähnlich ruft man ihn an«
Nun ist in einem deutschen Märchen, das Pröhle Kinder- und Volks-
märchen, Lpz. 1858 p. zx, erzählt, der dicke Ghristophel ein Goldschmied»
der eine Eisenstange trägt und sich bei einem Meister der Zunft in die
Lehre giebt, und wie S. Eligius, der Patron der Goldschmiede» solchen
Amtes zum Abzeichen einen Hammer in der Hand trägt [OhristL Kunst-
symbolik u. Ikonographie, Frank£ 1839 p. 79], also mag auch unser
Christoph leichtlich zu diesem Attribut gekommen sein, wenn nicht seine
einfache Beziehung zu unterirdisch Verborgenem ihm das vornehmste
Werkzeug des Bergmanns in die Hand gedrückt haben sollte.
') Die Weiber geloben sich dem hl. Christoph ad coitum. Sin
0£sner Kinderspottlied, wenn einer einen Wind lässt, yerbietet dem
«Xeufelssohn» Christoph, es zu saugen. Doch ist das nicht die ursprüng-
liche Meinung gewesen, wie der Ausdruck «der treueste Diener unseres
Herrn Jesu Christi» von eben diesem Heiligen zeigt.
*) Die Beschwörung scheint in Ungarn durchaus im Freien statt-
zufinden, also eine eigentliche Schatzhebung zu bedeuten, worauf für
Deutschland nur die Xrümmer der Volksüberlieferung hinweisen, während
die vollständig bekannten Ghebete einen Zauber in geschlossenem Baume
SSI Volksbraach und Volksmeinang. 2S1
So war S. Christoph der rechte Nothelfer, das meist in
Anspruch genommene Mitglied jener Heiligengilde, welche
die Yolkstümlichste und darum in Ursprung und G^chichte
rätselhafteste Institution christlichen Yerehrungsbedürfodsses
war. Er war noch mächtiger und gewaltiger in deutschen
Landen als sein grosser Zwillingsbruder, der Boland. Wer
den hl. Christoph nicht gesehen und die Knöpfe an seinem
Stocke nicht gezählt hat» sagte ein Sprichwort, der ist nicht in
Trier gewesen; auch nicht in Deutschland, können wir erweitem.
Diese zweite und Blüteperiode des Kultus unseres Heiligen
mögen wir Ton der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts
etwa rechnen bis zur Reformation. Dass der ganze Aber-
glaube an den Schatzspender Christoph erst einer späteren
Zeit seine Ausbildung verdankte, vielleicht der materiell und
geistig herabgekommenen Epoche des grossen Earieges, wird
negativ dadurch bezeugt, dass die Reaktion, der Kampf gegen
die Verehrung unseres Heiligen, wie ihn die Reformation mit
sich brachte, keinen Bezug nimmt auf Auswüchse in der be-
zeichneten Richtung.
beabsichtigen. Auch der magyarische Schatssaoher mass vorher &steii
und flieh eine ganze Woche des geschlechtlichen Umgangs enthalten
haben. Terophüe und seine Diener werden beschworen, «in einer schonen
und gelalligen Menschengestalt, ohne jeden Schreck, Lärm und Furoht-
eintreiben, ohne Log und Trug» zn erscheinen. Auch eine deutsche
Hanptsorge war es, dass der Schatzhüier «in menschlicher Gest< ohne
Allen Oraosen und Schaten des Leibss and der Seelen und ohne Yer*
letznng deren Kreiss» käme und ohne bösen G-estank wieder abeoge.
«Spreite deinen goldenen Mantel unsichtbar über mir aus, damit mich
niemand störe», . . . «schlage mit deinem diamantenen Schwerte ein Kreuz
vber midi»: für den deutschen Christoph ist der weite lange Mantel
ebttrakteristisch, und das Schwert trägt er zum mindesten nicht selten.
Da WHslocki den ungarischen ganz ähnliche G-ebete aus Siebenbürgen
mitteilt, so erscheint eine Yermittelung des deutschen Aberglaubens
durch die Siebenbürger Sachsen sehr wohl möglich. Andere Züge der
magyarischen Gebete, denen nichts genau Bntsprechendes aus den deutschen
an die Seite gestellt werden kann, sind offenbar erst ein sekundärer
AnsfluBS speziell magyarischer Sohatsgräbergebräuche und haben keinen
inneren Zusammenhang mit der Person unseres Heiligen.
S82 K* Richter. ' 322
Schon Pitts 11. soll gewünscht haben, dass die Legende
des hl. OhristophoroB ans dem Brevier entfernt würde ^), nnd
die Nacherzählong der Legenda aurea dnrch Joannes Ghkrzo,
1610 in Leipzig gedruckt, unterbricht sich bei dem Bericht
von dem Stabwunder: hoc nonnulli, qui nee re nee verbis
christiani ezistunt, nequaquam fieri potuisse affirmant; quod
nobis objiciunt, inane est ac futile etc.: das bedeutet eine
Abwehr der gegen die Legende gerichteten Ejitik. Der auf-
geklärte Erasmus verspottete lustig im Naufragium der
Familiaria coUoquia den Glauben an die Schutzkraft des
Kolosses von Notre Dame gegen den Sturm des Meeres u. s. w.
Und Luther fiel ab.
Wir wissen wenig über das, was nun kam. Li Bern
wurde eine Statue des hl. Christoph aus der Kirche entfernt
und als G-oliath verkleidet in ein Stadtthor gestellt^). Im
Jahre 1631 wurde der Christoph des Strassburger Münsters,
tals man noch andere bilder hinweg gethan>^), ins Bürger-
hospital überführt, und da er nicht durch die Thür gehen
wollte, hieb man ihm Hände und Füsse ab^). Aber solche
einzeln überlieferten Fakta sind charakteristisch, wir dürfen
sie wohl zu der Meinung verallgemeinem, wie man es öfter
gethan hat, dass die Wut der Bilderstürmer vorzüglich unserm
Heiligen übel mitgespielt habe. Gerade seine Grösse, seine
Aufdringlichkeit, seine Geltung mussten ihm zum Verderben
werden. Die Gemälde wurden zum Teil übermalt, und hatten
es diesem Verfahren zu verdanken, dass sie in unserem Jahr-
hundert wieder auftauchen konnten, von der Unmasse der
Christophstatuen aber sind nur wenige, die in die Zeiten vor
der Reformation zurückreichen, uns erhalten. Von einem
Wandel der Dinge zeugen auch die Spottverse, die jetzt plötz-
^) Org. f. Christi. Knnst XH, 220 ff.
*) Ereuser L c. I, 210.
*) Strassburger Münster und Thum-Büchlein, 1732, p. 80.
^) Grandidier Essais historiques et topograph. sur TögUse cath. de
Strasb. 1782 p. 78.
323 Yolksbrauch und Yolksmeinung. 223
lieh hier und da über den Heiligen erscheinen ^). Es werden
dann mehrere Streitschriften gegen die abergläubische Verehrung
^) Die mönchslateinerne Inschrift, die an der Ghnstophstatue vor
der Kirche zu Königsberg in Böhmen sich befanden haben soll:
0 magne Christophore,
Qui portasti Jesu Ghriste
Per mare rubrum.
Nee firanxisti crurum,
Neque hoc fuit mirum,
Quia tu fiiisti magnum virum,
läuft in vielen Varianten herum, s. z. B. M. Müller Lectures sec. ser.
p. 668. Auf der Bückseite eines Holzschnittes aus dem 16. Jh. [Bkk.
216 — 10] las ich ein paar Zeilen, die den Heiligen mit einem „alt
schwachem Weibe" verglichen:
Wie stelstu dich du starrker kerle
Gleychsam du trügest die gantze werle: u. s. w.
[verderbt], zum Schluss : «und doch hat sie mehr crafftDan bey dir dein grosse
manneschaft». Nach Südens Qelehrt. Criticus soll sich der bekannte Scherz :
Ghristophorus Christum, sed Christus sustulit orbem:
Constiterit pedibus die ubi Ghristophorus?
in Heidfelds Sphinx philosophica cap. xl finden, in deren Original-
ausgabe vom Jahre 1600 er jedenfalls nicht steht. Eine deutsche lieber-
Setzung des Distichons liest man unter einem Bilde des Heiligen zu TÖlz
in Oberbaiern:
Christoph trug Christum,
Christus trug die ganze Welt,
Sag, wo hat Christoph
Damals hin den Fuss gestellt?
[metrisch sohlechter in den Deutschen Inschriften an Haus und 0-eräth,
Berlin ^1889, p. 18]. Btwas verschnörkelt drücken denselben Gedanken
drei Distichen auf dem Stiche des Grazie Borgiani Ba 68 aus, die Hauthal
mitteilt. Weiteres derart s. Franc. Gancellieri Notizie storiche e biblio-
grafiche di Gristoforo Colombo, Bom 1809, p. 6. Auch die Anekdote von
dem Questionierer mit S. Christofiels Heiligtum darf hier angezogen werden,
welche K* Goedeke aus J. Freys Ghurtengesellschaft in seine Schw&nke des
16. Jhs. Lpz. 1879 p. SS9 aufgenommen hat, und welche auf Poggio
zurückgeht, interessant auch dadurch, dass sie «ein lied von des brüder-
lins Incern, das im, sc. dem Heiligen, geleucht hett» erwähnt. — Eine
Illuftration der «stulta quidem, sed tamen jucunda persuasio», wie Eras-
mut sagt, gab des Hans Holbein Holzschnitt im MwpuK ctkuiiuiiov in dem
verzückt stupide auf ein an der Mauer hängendes Christophbild schauenden
dickköpfigen Menschen.
884 K. Biohter. 824
des Heiligen geschrieben, im 17. Jh., ja eine noch im Ghoethe-
jahre 1749^), ob sie von einem wirklichen Einfluss warai,
kann ich nicht sagen.
^) 1660 erschien in Altenbarg von Joh. Seb. Mittemacht De magno
ut vocant, Christophoro, 1688 in Wittenberg eine Dissertatio hittorioa,
qua idolam pontificiomm destructum h. e. liagnum quem vocant Ghrifito-
phorum oder den grossen Christophel publice placidoque eruditonun
examini subjiciunt Andreas Bleich et Sigismund Mejjer [nach Henkelum,
nach anderer Angabe von Ans. Christ. Heyerus], die noch 1784 wieder-
holt wurde. Beide kenne ich nicht. Wohl aber eine Dissertatio theo-
logica casualis de invocatione S. Christophori ad largiendos nummoa.
Vom Christophels-Gebet, quam, deo clementer iuvante, praeside Christo*
phoro Matthaeo Pfaffio, ss. theologiae doct. et prof. prim. vniversitatis
Tubing. cancellario etc. pp. ad diem vi Sept. a. MDCCxLvm in aula
theologorum nova defendet H. Johannes Andreas Tafinger, Ludovioo*
politanus; Tnbingae: welche genaue Titelwiederholung irrtümliche An-
gaben einmal berichtigen soll. In S6 Paragraphen beweist der Verfasser
seine These, dass es weder gute noch böse Geister gebe, «per quos
Christophorus largiatur nummos, vel qui adjurationibus induci oogive
possint, ut in forma Christophori vel alia appareant, nummosque ad-
ferant». Aber die nicht allzu ergiebigen Angaben über den bekämpften
Aberglauben lassen schlieesen, dass die erörterte Frage eine mehr aka-
demische als dringende war. Wenn er nach einem leidlichen Für und
Wider der protestantischen und katholischen Autoren cur Verwerfung des Be-
richtes der Legenda aurea, vel potius plumbea gelangt, so war das zu seiner
Zeit keine grosse That mehr, und wenn er allen Ernstes den Aber-
glauben, dass der Teufel Geld schaffen könne, mit einem Geschichtchen
widerlegt, in welcher der wirldioh gefundene Schatz schliesslich doch in
Rauch aufgeht, so werden wir ihn trotz seiner Zitatengelehraamkeit for
keiof Ingenium halten können. Aber einige Einzelheiten der üeber»
lielerung hat er richtig erkannt, z. B. die Beschaffenheit der an-
geblichen Worte des hL Ambroeius. Seine Schrift gipfelt in dem. Ver-
langen an die Obrigkeit, dass sie die Beschwörer ernstlich an Vermögen
und Leib strafe und ihre Formelbücher verbrenne, und sie sohliesst mit
einem thÖrichten Anhängsel über die Ewigkeit der HöUenstrafen, «ne
vaoent paginae». Mit der von der Reformation ausgegangenen Bewegung
hat Tafinger jedenfalls einen nur sehr lockeren Zusammenhang, und
höchstens als ein allgemeines Zeichen des gesunkenen Ansehens S. Christophs
lassen sich die vereinzelten Zerstörungen und Beseitigungen seiner Sta-
tuen, wie sie aus der Folgezeit überliefert sind, auffsssen. Wie z. B. in
Frankreich eine solche zu Auxerre 1768 vom Kapitel [Kreuzer], eine
285 Volksbrauch and Volksmemang. 28&
Anders yerhielt man sich im 16. Jh. von katholiacher
Seite. Die Missbränohe zu verkemien und zu yerleugnen ging
nicht wohl an, so leugnete man denn ihr Entstehen unter
kirchlioher Autorität Die alten Passionsberichte wurden
wieder hervorgezogen und geflissentlich gegen die Erzähluxi^
der Legenda aiu*ea ausgespielt, und man that, als ob man
in ihnen, wenn auch nicht ganz Echtes, doch leidlich Zu-
verlässiges über ein positives, historisches Dasein des Heiligen
besitze^). Das beliebte Schlagwort ist : cdepravata sunt acta».
Und dieser Standpunkt fand seinen eigentlichsten und gewisser*
massen definitiven Ausdruck in der Abhandlung des Joannes
Pinius, der 1749 starb, in dem Commentarius praevius zu
zu der in den Acta sanctorum gedruckten alten Passio: mit
Berufung auf sie, der man einen wirklichen Fleiss und grosse
Fülle des Materials keineswegs absprechen kann, nimmt man
ihn durchschnittlich bis heute noch ein.
Es steckte hinter diesem scheinbar so kritischen Be*
streben das tiefere: zu retten, was zu retten war. Und bei
der ungeheuren Popularität des grossen Christophel konnten
auch die Reformatoren nicht hoffen, ihn ganz aus dem Em-
pfinden und Glauben der Leute ausrotten zu können. Sie
halfen sich durch eine Fälschung: sie machten die liegende
zur Allegorie.
Luther ging voran. Seinem poetischen Sinn konnte die
Poesie der Legende nicht verborgen bleiben, und so gab er
die schönste und herzlichste und doch einfachste Formulierung
andere in S. Fierre-des-Marais za Saanmr [Bodin p. 27] und die be-
rühmteBte in der Notre-Dame de Paris , die grösste des Landes [Revue
anglo-fran^ise I, 166], übrigens nioht par les Vandales de 93 [Ö-uene-
bavH; s. dagegen Paris & travert les &ges 1875 — 82 tom. I Notre-Dame
p. 17. 28] sersiört worden, so hat schliesslich auch der „Militarismas^
unteres Jahrhunderts bei der Umwandlung der Klosterkirche der Weise-
nonnen bei Mainz in eine Kaserne sein Christophorusopfer gefordert.
^) So beisst es denn etwa im Chorus sanct. omn. des Georgius
Wicehus natv: «mit solcher pictur on alle scriptur hat man verursacht,
dass itzt viel tausent vnter vns nicht gleuben wollen, dass dieser heilige
je auff erden gewesen sey: solchs hat man damon».
396' K. Richter. 296
der allegorischen Deutung ^). Die Legende sei keine «Historia»,
sagt er, und ein andermal ist es ihm unlieb, dass ihrem Tr&ger
kein Apostel gleich sein mag, dessen G-eschichte doch mitten
in der Bibel stehe. «Sondern die G-riechen, als weise, gelehrte
und sinnreiche Leute, hätten solchs erdichtet, anzuzeigen, wie
ein Ohrist sein sollt, und wie es ihm ginge ; nämlich, ein sehr
grosser, langer, starker Mann, der ein kleines E[indlin, das
Jesulin, auf der Achsel oder Schulter trägt, ist aber schwer,
dass er sich unter ihm bücken imd biegen muss, durch das
wüthend, wilde Meer, die Welt, da die Wellen und Bulgen,
die Tyrannen und B.otten, sampt allen Teufeln zu ihm ein-
schlagen und verfolgen, wollten ihn gern umb Leib und Leben,
G-ut und Ehre bringen; er aber halt sich an einen grossen
Baum, wie an einen Stecken, das ist, an G-ottes Wort. Jenseit
dem Meer stehet ein altes Männlin mit einer Latem, darinnen
ein brennend Licht ist, das sind der Propheten Schrift, dar-
nach richtet er sich, und kömpt also unversehret ans Ufer,
da er sicher ist, das ist, in das ewige Leben; hat aber einen
Wetzschker an der Seiten, darinnen Fische und Brod stecken,
anzuzeigen, dass Gott seine Ohristen auch hie auf Erden, in
solcher Verfolgung, Ej*euz und Unglück, so sie leiden müssen,
ernähren und den Leib yersorgen will, und sie nicht lassen
Hungers sterben, wie doch die Welt gerne wollte. Ist ein
schön, christlich Gedichte». Ein andermal giebt er die
Negation noch deutlicher: cihr wisset alle wohl, wie man
St. Christoffel malet hin und wieder; sollt aber nicht gedenken,
dass je ein Mann gewesen sey, der also geheissen habe, oder
leiblich das gethan, das man vom Christoffel sagt: sondern,
der dieselbige Legende oder Fabel gemacht hat, ist ohn
Zweifel ein feiner, vernünftiger Mann gewesen, der hat solch
Bild dem einfältigen Volk wollen vormalen, dass sie hätten
ein Exempel und Ebenbilde eines christlichen Lebens, wie
dasselbige gericht und geschickt sein soll; und hat's also
eben fein getroffen und abgemalet^. Es kam Luther zu
») Tischreden, Brlanger Ausg. d. W. LXII, 39.
■) Erl. Au8g.XVII,46ff. Wenigerwichtigund treflFend,wa8 VI,73 steht.
827 Yolksbrauch und VolkBineinmig. 227
gute, dass er mit seiner Erklärung an eine alte symbolische
Vorstellang anknüpfen konnte, der das stürmische Meer als
ein Bild dieser Zeitlichkeit galt^).
Die Schlagworte waren damit gegeben, sie sollten fort-
wirken bis in unsere Zeit. 1632 bereits erschien eine ans-
führliche Peromata eademqne yerissima d. Ohristophori des-
criptio von Theobaldus Billicanns *), mit Parallelen und
Exempeln aus dem Altertum und der Bibel. Dass der Aus-
druck cFälschung» auf die Deutimg der Beformatoren nicht
mit Unrecht angewandt wurde, lehrt sogleich dieVergröberung,
die ihr Melanchthon in der Apologia confessionis Augustanae
gab, wenn er von den cstolidi monachi» spricht, die eine
poetische Allegorie dem Volke als geschehene Wahrheit auf-
geschwatzt hätten. Chemnitius % Jo. Gast % die Oenturien %
Hyperius^, Bivetus^ u. a. folgten mehr oder minder treu
und heftig.
Übrigens ist es stets die bildliche Darstellung, auf welche
die Ausleger bezug nehmen und hinter welcher die geschriebene
und gedruckte Legende völlig zurück trat. Am beredtesten
bezeugen das die bekannten Verse des Hieronymus Vida,
Bischofs Yon Alba, die, zugleich als ein Beweis, dass auch
£[atholiken [z. B. noch Pierius Valerianus ^), Baronius und
lisur. de Villayicentius] die allegorische Auffassung sich an-
eigneten, gelten kann*). Eine ähnliche cMystica explanatio
imaginis Ohristophori» findet sich als ein Epigramma And.
0 Piper Myth. und Symb. d. ohmtl. Kunst, Weimar 1861, 1, 1, 128.
*) Gerlacher, s. Jöcher U, 965. Allg. D. Biogr. II, 888. Die eine
Atugabe des Machwerkes trägt einen fürchterlich missratenen Holzschnitt
▼omao, die andere, ob spatere?, den des Hortulas animae Yon 1510.
*) Examen conoilii Tridentini, De invooatione sanotonun, seotio 1, 15.
*) Tom. sec. convivalinm sermonum, Basüeae 1564, p. 282.
^) Quarta centuria ecdes. bist. Basüeae 1560 oap. xa coL 1480.
*) De reote formando theologiae studio Üb. III cap. 7.
^ Gatholicus orthodoxns, app. Jesuita Yapulan8,Genf 1844, cap. VI, p. 24.
^ Hieroglyphica, Basel 1656, Hb. zv, 116 D. Zwar auch im Luther-
soben Schema, aber doch am originellsten neben ihm.
^ Ueberall zu finden, Act Sanct, Hauthal etc.
aS8 K- Biohter. SSS
Erstenbergij Antistei^) auf dem Holzschnitt 216—10 des Bkk^
eine weitere des Johannes Stigel, Professors in Wittenberg
und Jena, an einem Christophbiid zu Augsburg^. Bb gab
derartige, meist nur herzlich gut gemeinte Yerseleien auch
in deutscher Sprache, Inschriften unter G-emälden und Bild*
Säulen des Heiligen, die in ihrer Gesamtheit ein Zeugnis sind,
wie geschickt die Kriegslist der Beformatoren war. Aus den
Epistolae itinerariae eines unbekannten Gelehrten, deren xiv.
de magno Ohristophoro handelt und Tom 11. Juni 1744 datiert
ist, hat Braun mehrere derselben mitgeteilt*).
Die allegorische Auffassung der Ohristophoruslegende
fand ihren eigentlichen Niederschlag in einem umfänglicheren
Gedichte, das unter dem Titel cYom Leben, Baisen, Wander«
schafften und Zustand des grossen S. Christoffels, wie es ihme
von seiner Jugent auff, biss auff sein lotsten Abzug auss diser
*Welt, in derselben ergangen, jedermeneglich zu wol meynender
Erinnerung, gantz lustig und artig beschriben durch den wol-
gelehrten Herrn Nicodemum Frischlinum MDLxxxxi» zur
Ostermesse erschien ^). Der Name Frischlins auf dem Titel-
') Jöoher II, 390? Ich weiss nicht, ob sie schon gednickt ist:
Quisqais in hoo Ghristj nomen seotabitur orbe,
TotiuB immenram sentiet oirbis onus.
lUeoebris etenim Hundi Satiuuueque petitus
In medio semper fluctuet ille maij.
At si respiciat rutilantem in littore flammam,
Ipsi qua rectum per mare pandit iter:
Intrepidam fidej sostentans robore deztram
Inoolamis yinoet qaodlibet ille malnm.
Quorum Ohristophorj pie te sub imagine, lector,
Admonitum nostris versibus esse velim.
*) Distichen, s. Act. Sanct* § 61. Sogar in Sevilla eine allegorische
Unterschrift, s. Job. de Ayala Pictor ohristiantts eniditus p. 89B.
*) Org. ü Christi. Kunst XU, M) ff. Die Verse in der Kirche zu Kord-
hansen können nach der untersohriebenen Jahressahl lOlS kaum ycki
Mathesius herrühren, obechon sie ganz lutherisch beginnen:
Der St. Christoph ist keine Geschidit,
Sondern ein fein dnistlich Ghedicht.
^) Neugedruckt von Soheible im Schaler IV, 68—67, 166—61,
S62— 72, 404 — 13 und in den Deutschen Dichtungen von Nicodemus
929 Volksbrauch und Volksmeinung. 289
blatt war eine Fälschung, der Verfasser des Büchleins war
Andreas Schönwaldt, ein kleiner Pfarrer sonst unbekannten
Wirkens*).
Frischlin ed. Dav. Frid. Strauss, xll Publication des litterarischen Ver-
eins zu Stuttgart 1857 p. 171—99.
^ Während Strauss noch des Glaubens an die Verfasserschaft
Frischüna lebte, obwohl sich in dessen Papieren keineriei Andeutung
einer solchen Schrift fand, hat W. Nebel in Mones Anz. f. K. d. Vz. 1861
ool. 848 ff. und 888 ff. aufmerksam gemacht, dass einer seiner Vor£Ehhren
im Pfarramt zu Dreieichenhain zwischen Frankfurt und Darmstadt, An-
dreas Schönwaldt mit Namen, Anteil an dem Entstehen des Gedichtes
gehabt haben muss. Denn unter anderen Vorwürfen, die diesem Manne,
einem Lutheraner, von reformierter Seite gemacht wurden und schliesslich
im Jahre 1594 zu seiner Amtsentsetzung fühlten, bildete die „schimpfliche
Poeterey», der grosse Christoph betitelt, ein Hauptstück und aus des
Besehuldigten Aussagen geht herror, dass er dieselbe gelegentlich der
Einweihung einer Christoffburgk geschrieben und an einen Frankfurter
Freond ad revidendum gesandt hatte, bei welchem Frischlin ihrer hab-
haft geworden sei und sie ohne sein Vorwissen, an etlichen Orten ge-
mehrt, habe drucken lassen.
Ich stelle nun über die noch nicht ganz ausgetragene Verfasser-
frage folgende kurze Erwägungen an. Es begriffe sich beiderseits, dass
der Buchdrucker und Verleger ein Manuskript, welches ihm von des aktuell
gewordenen Märtyrers ETänden Übergeben worden war, lieber als dessen
Werk denn als das eines Unbekannten ausgehen Hess, und dass der An-
geklagte Schönwaldt aas diesem Umstände 1593 möglichsten Nutzen zu
ziehen sachte, indem er dem stummen Toten alle Verantwortung zuzu-
schieben suchte : eine Abschrift leugnete er zu besitzen. Die ersten Verse
▼on «S. Christophori Vatterland vnd Eltern» mit ihren ganz lokalen An-
spielungen auf jene gelegentliche Veranlassung des Gedichtes würden
zoniichst verwunderlich dünken müssen, wenn eine tiefergreifende Be-
arbeitung durch Frischlin anzunehmen würe, und eine Scheidung, wie sie
Nebel versuchte, indem er Schönwaldt die Episoden beim Forstmeister,
Keller, Amtmann und in der Kanzlei, hingegen die beim unzüchtigen
Messpfaffen dem „unzüchtigen*' Frischlin zuschreiben wollte, verkennt
die Einheit und Steigerung im Aufbau und würde das AUemnbedeutendste
des Ganzen, das Unschuldigste auf Rechnung eines Utterarischen Meisters
setzen. Es ist aber zur Beurteilung der Schönwaldtschen Aussagen von
grosser Wichtigkeit, zu bemerken, dass er sich wirklich zu entlasten
suchte, und zwar auf eine Art, die mir ein etwas böses Gewissen zu ver-
raten scheint. Er habe, sagt er, aus des Gastius erstem tomo Sermonum
convivalium [in Wahrheit 11, 28S] «die Historiam vom Ghristophoro, so
230 K- Bichter. 230
Es war kein sehr origineller, aber ganz hübscher Einfall
des Mannes, den grossen Christoph, gleich einem Enlenspiegel ^)>
im Lande umherziehen und Dienste nehmen zu lassen. Im
Grunde vollzog er damit eine ähnliche Erweiterung der Legende
nach vom, wie der Verfasser des zweiten deutschen Gedichtes
B es gethan hatte, aber die verschiedene Absicht bedingte
den verschiedenen Charakter der Ausführung: religiös mora-
lische Didaktik auf der einen, Satire und Allegorie auf der
andern Seite. Eine zweite Ausgabe vom Jahre 1696 *) giebt
auf dem Titel schon die Tendenz:
viell er daran gemacht, von Wortt genommen vnd vff teutBcbe Sprach
paulo nberiore irapcuppdaci kurtzweiliger Meinung gegeben» ; als er das
Werk dann später gedruckt gesehen, sei es ihm cghar vnkentlich» ge-
wesen. Nun setzen aber die von ihm selbst ebenfalls zu seiner Ent-
lastung angeführten Anfangsworte zum mindesten den Gredanken und
einen Teil der ersten Episoden bis zum Messpfafifen voraus, von denen
Gast gar nichts hat, und diesen Widerspruch hebt das zaghaft ent-
schuldigende «paulo nberiore iropaqipdacu nicht auf^ besonders wenn wir
ein geflissentliches Vorschieben des Frischlin in direkten Reden beachten.
Ist der Argwohn auf diese Weise aber erst einmal wach geworden, bo
erscheint der Unglaube der inqnirierenden Räte, «dass ein solch Carmen
oder Reymen Gedicht nicht soUe erstlich aufs Papier gebracht worden
sein und also er primam delineationem haben» recht verständig, und
endlich zeigt der Passus eines amtlichen Schreibens, er könne sich der
Schrift «durch Frisohhnum nicht entschuldigen, als deme die Personen
vnd Sachen, so darinnen perstringirt vnd angezogen, gar nicht, sondern
ime Schönwaiden, der mit etlichen auch derhalb für der Obrigkeit zu
thun gehabt, bekant gewessen», dieser Passus zeigt erst, worauf es an-
kam. Sicherlich nicht auf das, was Schönwaldt dem Ghist entlehnte, auch
nicht auf den Gedanken des Ganzen, sondern auf die Persiflage ganz
bestimmter, in seiner Umgebung lebender Persönlichkeiten, und war diese
so gut, dass man um ihretwillen zur Amtsentsetzung des Urhebers
schreiten konnte, so wird der Verdacht, dass Frischlins Name, dem man
damals mit Leichtigkeit das Schlimmste aufhängen mochte, auf dem
Titelblatt unseres Gedichtes nur eine fast gelungene Mystifikation der
weltlichen Gewalt wie der Idtteraturgeschichte bedeutet, mit Recht die
Oberhand gewinnen dürfen.
^) Wie das Gedicht selbst vergleicht und Gervinus *III, 108 aufiiahm.
') Man kann sich denken, dass der Entlassene nun noch einen
Trumpf draufsetzen wollte.
S31 Volksbraaoh und Volksmeinung. 231
Wer Wftrheit Hebt, den leid man nicht,
wie ich S. Christoph hie berioht
In Emptern fast kein Trew mehr ist,
Handlung regiern, Betrag vnd List. |
Lügn, Vollerey, Vnzncht vnd Schand, '
Vnrecht, diss seind die Herrn im Land.
Wil ich denn viel von Warheit sagn,
80 wird Christoff bald ausgeachlagn.
Der diese pessimistische Lebenssumma durch sein Erleben
zu rechtfertigen hat, ist eben er, cder gross Ohristoffel, an
alten Kirchen wol bekant», wie er sich selbstredend einführt.
Sein Vater hiess auch OhristofFel, seine Mutter Agathey ; arm
und fromm lebten sie zu Dreieichenhain, und als ihn sein
Vater, kaum dass er einigermassen zu Verstand gekommen
war, in ein Kloster gebracht hatte, da starben sie beide.
Nun wird er durch die Welt getrieben ohne Käst und Ruh :
Ton den bübischen und hurerischen Mönchen kommt er zu
einem Buchdrucker, dessen wüste und faule Gesellen den
Fleissigen nicht in ihrer Mitte haben wollen, zu einem Schult-
heissen, einem halben Lecker, der nach Willkür seine Macht
missbraucht, zu einem Krämer, der die Leute mit schlechter
Waare und falschem Gewicht betrügt, zu einem Handwerks-
mann, der sein Gerät überschätzt. Bei einem Wirte soll er
den Wein baden und zweifache Elreide brauchen, dafür darf
er nachts die Köchin buhlen; ein Kriegshauptmann bringt
ihn um den tapfer verdienten Sold; bei einem Waldförster
muss er sehen, wie heimlich ganze Teile des Forstes geschlagen
und an die Bauern verkauft werden, bei einem Apotheker,
wie die Käufer Mäusedreck für Pfeffer erhalten, bei einem
Keller, wie man dem Herrn falsche Rechnung führt. Und
spricht sein Amtmann Recht, je nachdem ihm die Parteien
Geschenke bringen, so treibt man auf der Kanzlei dasselbe
Wesen im Grossen. Ln Dienste eines Stadtherren hat er
Gelegenheit, in jüdische Wucherwirtschaft hineinzublicken,
bei einem Messpfaffen endlich erlebt er die lustigste Scene,
als dieser einmal die Zeit verschlafen und statt im Chorrock
im beschissenen Hemde seiner Köchin auf die Strasse eilt.
16
38S K. Richter. S32
Soweit reicht die erfundene Vorgeschichte. Man sieht,
es ist die alte, durch Tradition überkommene Additionstechnik
einer Satire auf alle Stande, die mit zwei stereotypen Motiyen
arbeitet : materiellem Betrug und materieller Sinnlichkeit, von
denen namentlich das erstere bis zur ermüdenden Farblosigkeit
ausgenutzt ist. überall ist Christoffel der moralisch miss-
billigende Beobachter, der nie in die Versuchung kommt, sich
aktiv zu beteiligen: sobald er die Zustände durchschaut hat,
rückt er räsonnierend ab und sucht einen neuen Dienst. Darin
hauptsächlich unterscheidet er sich vom Eulenspiegel, der
einen Charakter hat: er hat keinen. Nur einige Abschnitte
heben sich Torteilhaft aus der Mittelmässigkeit empor, die das
Übrige darstellt : es ränd die längeren vom Forstmeister, vom
Keller, von der Benterei und Kanzlei, vom Stadtjungherm
und von Messpüaffen« Bis auf den letzten, der, so glücklich
und drastisch er erzählt ist, doch hergebracht tendenziös und
allgemein übertreibend anmutet, zeichnen sie sidi aus durch die
persönHcfae Satire, die in ihnen unverkennbar mit reaUsüschem
Humor ihren Ausdruck gesucht hat.
Bei der mangdhaften Kompositionstechnik, die Schönwaldt
mit seiner ganzen Zeit teilt, ist es nicht weiter erstaunlich,
dass der erfundene erste Teil und der überlieferte zweite,
der satirische und der allegorische, geradezu vorbildlich aus-
einanderklaffen. Der Grund ist ganz offenbar : eine gegebene
Geschichte nach vornhin zu erweitern, dieser Erw^terung
Bealität des Geschehens zu verleihen und dann die Geschichte
selbst in eine Allegorie, in abstrakte Gedanken verdampfen
zu lassen, ist ein Widerspruch in sich, ganz notwendig. Denn
nur aufs äusserlichste vermittelt folgt jetzt eine Paraphrase
der Allegorie des Jo. Gast, die sich in Negation und Position
mit den erwähnten Deutungen der Beformatoren deckte, nur
dass sie, etwas weitschweifiger, einige Züge der Leg. aurea
noch einflocht ^). Ea ist zuzugestehen, dass die deutsche
') Z. 6. Chrifltophorum primum fingunt serviisse mundo, et aulicam
fiacitint: nam nuHi seqiie tnnndo serviunt, atque ii, qnos Romana curia
Curtisanofl i^pellat.
283 Yollubraaoh und Volksmemang. 233
Yersifikation is ihrem klaren ^baulichen Stile schlicht nnd
würdig hinfliesst, sobald man sich einmal an die Unsinnigkeit,
dass der Heilige selbst alles dies vorträgt^ als an eine in der
litterarischen Tradition des Jahrhunderts eben begründete
gewöhnt hat. Ein wenig hat übrigens Schönwaldt das ün*
zuträgliche dieser Fiktion, das er wohl selbst empfand, da^
durch zu mildem rersucht^ dass das Waldbrttderlein, zu dem
Ohristoffel kommt, die weitere Auslegung des Namens u. s. w.
übernimmt. Es sei bemerkt, dass die Begegnung beider in
einem grossen Walde am Meer stattfindet und dass dem Alten
eine besondere Stelle über sein einsiedlerisdies Leben in den
Mund gelegt ist, was an das deutsche Gedicht A erifinert;
und zwar glaube ich auch in diesem Falle an eine Wirkung
des ErgänzungSTcrmögens, das den Begebenheiten selbst inne-
wohnt, wie Gottfried Keller einmal definiert Ein weiterer
Zusatz des deutschen Bearbeiters ist es, das jenseitige Leben
als ein Schloss jenseits des Meeres, das hochgebaut, herrbch
stark und gross auf einem Berge liegt, erscheinen zu lassen:
wozu sicherlich eine der bildlichen Darstellungen, die, wie wir
im dritten Abschnitt bemerkten, des öfteren auf fernen Höhen
ein Kloster oder eine Burg u. s. w. gaben, den Anlass bot.
Zum Schlüsse erscheint der bekannte lateinische Spruch in
kurzer Übersetzung:
Des Tags da man a Christoph siht,
keinem der Todt kan schaden nit,
und die ümdeutnng im reformatorischen Sinne.
Eine etwas zaghafte B.eaktion gegen die allegorische Auf«-
fassung der Legende stellt sich in des Joannes Molanus Historia
sacrarum imaginum et pictnrarum, Löwen 1670, dar. Zwar
sagt er auf p. 140: cooncludimus Ohristophori picturam non
esse cogitationem pii alicujus hominis de ecclesia, aut typum
docentis yel confitentis evangelium, ut ab adversarüs est
annotatum: sed esse veri martyris, qui fortiter et constanter
Christum in tormentis confessus est.» Andererseits aber be-
merkt er den Gegensatz der Leg. aurea zu den in der Kirche
geltenden Acta, ohne sich zu entscheiden, und cap. zxin lässt
16*
234 ^' Bichter. 234
er sich gar verlauten: «Christophorus non inepte pingitur
ChriBtum in humeris gerens, ad significandum, quod, sicut
nomine sie et re, fuerit verus Christophorus, sive Ohristiferus» ;
und: ctransitus ejus per mare, et fortitudo, etiam excusari
possunty itttelligendo per ea, quod magna fortitudine gloriosus
iste martyr superaverit tempestates hujus seculi, quod est
velut aestuans mare», so dass es sehr erheiternd ist, die eine
oder die andere Stelle für oder gegen die allegorische Deu*
tung von Späteren ausspielen zu sehen.
Im allgememen behielt, wenigstens für die Gebildeten,
seit der Reformation die allegorische Meinung ihre Geltung.
Nach und nach starb der Volksglaube und mit ihm der wahre
Christoffel dahin: nicht ein halbes Jahrtausend hat seine
Herrschaft Dauer gehabt. Was die Beformatoren gewollt,
setzte sich langsam durch : wer hat heut noch irgend ein per-
sönliches Verhältnis zu dem Grossen?
In unserem Jahrhundert hat die Allegorie noch ein paar
eigenartige Vertreter gefunden. Soweit sie nicht als ihre
Weisheit dürftig wiederholten, was Luther weit besser und
schöner gesagt hatte ^), zeichneten sie sich gleicherweise durch
Ejraft der Phantasie wie durch eine durch keinerlei Wissen
getrübte Kühnheit, ihr Ausdruck zu geben, aus. Wolfgang
Menzel entdeckte*), im grossen Christoph sei das Volk per-
sonifiziert, «die rohe, aber gutartige Masse, die für Bekehrung
empfänglich ist, und der dann auch eine grosse Gewalt inne-
wohnt zum Schutz der einmal von ihr anerkannten Kirche»,
und darum habe man vormals das Bild des grossen Christoph
vor die» Thüren der Kirchen zu stellen gepflegt; Sinemus
nationalisierte das, indem er den Biesen als den deutschen
Geist in der Kirche Christi fasste, «der den Heiland der Welt
durch die Wogen und Stürme der Völkerwanderung getragen» ;
und Ejreuser fabelte^) : «sollen wir die Deutung versuchen, 8o
erinnere man sich des Gekreuzigten, zu dessen Angesichte
') Beispiele bei Henkelum.
') ChristHche Symbolik I, 176.
*) Der Chrifitl. Xirchenbau I, 141.
236 Volksbrauch and Volksmeinaxig. 336
nach Osten gewandt jeder Christ beten soll. Das Vorbild
des am Kreuze erhöhten Heilandes ist aber, wie Augustinus
an vielen Stellen durchführt, die erhöhte eherne Schlange, und
so wie, wer sie ansah, vom körperlichen Tode gerettet war,
so ist vom Seelentode gerettet, wer den hl. Christoph und
also auch den Heiland, den er trägt, ansieht. Die riesige
Gestalt des Christophorus ist auch keine Zufälligkeit; denn
der Biese ist aus den Psalmen genommen und ist immer auf
den Heiland selbst gedeutet worden; denn Christus ist der
Riese, der in der Sonne sein Zelt aufgeschlagen als Bräutigam
seiner Kirche > . Gegen diesen Unfug wandte sich G. W. van Henke-
lums Buch Van sunte Cristoffels beeiden^). Er hatte zweifel-
los recht, dass vor den Zeiten der Beformation, im eigent-
lichen Mittelalter, den Künstlern, die den hl. Christoph dar-
stellten, ein Bedenken über die Historizität der Legende nicht
eingefallen ist, sie wollten sicherlich keine Allegorie, nichts
Symbolisches geben, sondern sie gaben, was verlangt wurde,
was man brauchte. Deshalb muss noch nicht jeder einzelne
von ihnen, wenn er sich Bechenschaft abgelegt hätte, von der
einstigen Wirklichkeit der legendarischen Geschehnisse fest
überzeugt gewesen sein, so wenig er geglaubt haben wird,
dass der hl. Christoph in der That so ausgesehen habe
wie er ihn malte : in dieser Annahme ging Henkelum seiner-
seits zu weit: sondern all diese Fragen existierten einfach
noch nicht für ihn. Dass aber in Wahrheit nach der Befor-
mation auch in der bildenden Kunst die allegorische Aus-
legung der Legende sich geltend machte, zeigen, wie ich
^) Eene proeve ter beantwoording der vraag: hoe werden in do
middeleeuwen de kolossale beeiden van den h. Christophorus beschouwd,
welke men alom binnen of buiten de kerken ontraoette, en dat wel ter
pltatze, waar zij den binnentredende terstond in't oog vielen? ütreoht
1866. Ein sehr schön gedrucktes Buch. Aber seine Ausfalle auf Luther
und die moderne Wissenschaft sind so unnötig — wir sahen, die katho-
lische Kirche hat sich in keiner Weise für den Christophorus der Legenda
aurea kompromittiert — als unschön» indem es sein wesentliches Material
jenen öfter zitierten Artikeln Brauns im Organ f. christl. Kunst XII
verdankt.
236 £• Bichter. 236
glaube, schon Dürers Stiche , deren bedeutsamer Ernst nur
der Ausfloss von allgemeineren Befiexionen über den Inhalt
und Gehalt des Dargestellten sein kann. Ferner verweise ich
auf des Kubens Triptychon der Ejreuzabnahme in der Kathe-
drale zu Antwerpen, das aus einem Auftrage der Schfitzen-
gilde hervorging: ein Altarbild zu malen, auf welchem der
hl. Christoph, ihr Patron, irgendwie dargestellt wäre. cBubens
trouvant la vie de ce saint trop pauvre en episodes se pretant
k la peinture, touma ing^nieusement la difficult^ en 6tendant
la designation de Ohristophore ä tous ceux qui avaient porte
le Christ, n fit entrer dans ce cyclo la Yierge pendant sa
grossesse, saint Simon qui regoit le divin enfant des mains de
Marie lors de la presentation au temple, les acteurs de la
descente de croix et enfin s. Christophe lui-meme>^); eine
Idee, welche mir die Emanzipation vom buchstäblichen Ver-
stehen der Legende vorauszusetzen scheint. Wem das aber
nicht genügt, der denke an die Fensterscheibe Jakob Böhmes
zu Görlitz, auf der im Flusse Meerungeheuer und Seeweibchen
sich tummeln, am einen XJfer vor der Stadt Babel Tanz und
Lust der Welt sich breitet, vom andern der Einsiedler in die
Wolken empor weist, wo Gott Vater, das Lamm und ein
Engel mit der Posaune des Weltgerichts erscheinen, während
auf einem mit Uhr und Anker bezeichneten Schiffe der Mast-
baum gebrochen ist und der unglückliche Schiffer lun Bilfe
schreit^.
Endlich hat sich, man möchte meinen, als eine Art
Spieltrieb der allegorischen Ausdeutung der Christophoms*
legende in unserem Jahrhundert die Neigung geltend gemacht,
in dem Heiligen eine mythologische Persönlichkeit oder die
christliche Fortsetzung einer solchen zu sehen. Finn Magnus-
sen war der erste, der den Christoph mit dem nordischen Thor
verglich^): wie dieser auf seinem Bücken den Orvandil über
die Elivägar trägt, so jener das Christkind, und des Christ-
*) Roosee L'oeuvre de P. P. R., p. 112.
') Programm der höheren Bürgerscfanile zu Görlitz 1850. Sinemnsp.es.
*) Lexicon mythologicum p. 967.
8S7 Yolksbraaoh and Yolksmeinnng. 237
kiodträgers Bild konnte dämm leicht den kolossalen Statuen
des alten Gottes substituiert werden. So wurde es in der
Kirche zu Falsterbo zusammen mit dem des hl. Georg am
Tage der Sommersonnenwende feierlich ausgestellt, weither
kamen die Leute aus Danemark und Schweden herbei mit reichen
Opfern und statteten Gebete ab für eigenes Leben und Wohl-
ergehen und für glückliche Fahrt verwandter Schiffer. — Es be-
durfte nur dieses Anstosses, den Stein ins Bollen zu bringen,
man bemühte sich von nun an eifrigst, weitere Belege für ein als
sicher hingenommenes Faktum zu erbringen. Jacob Grimm,
der übrigens, so viel ich weiss, doch nie den bewussten Ver-
gleich gezogen hat, berichtete von der Sage, die sich an einen
kahlen Felsen bei Goslar knüpft : den habe der grosse Christoph
mit sich im Schuh getragen und zuletzt am Drücken yer-
merkt, habe den Schuh ausgezogen und umgekehrt: da sei
der Stein an die Stelle gefallen, wo er noch liegt^). Es war
Hur nötig, dass J. W. Wolf über die Ähnlichkeit kam und die
Identität von Christoph und Thor stand fest. Eb: zog die
Konsequenz^: wenn also das Volk durch die Darstellung
des Heiligen an Donar erinnert wurde, dann muss auch der
Mythus, auf dem diese Erinnerung fusst, ihm bekannt gewesen
sein, die Voraussetzung wurde ihm zur Genüge bewiesen durch
den lateinischen Spruch vom Schutz vor der «mala mors».
Weiter trug er nicht das geringste Bedenken, aus zwei Versen
des Mozarabischen Breviars, die den Heiligen
elegansqae statora, mente elegantior,
visu fulgens, corde Tibrans et capillis rutilans,
schildern, Gewinn zu schlagen : man gab ihm selbst das rote
Haar des deutschen Gottes. Dass Christoph gegen Donner
und Hagel angerufen wurde, wies ihn offenbar als Gewitter-
gott aus ; man opferte ihm einen Hahn : den Vogel Thors ; er
erscheint als Goldschmied und kämpft mit einer Eisenstange ^);
ganz unzweifelhaft war also die Gewalt Donars über den Tod,
^) Deutsche Mythologie p. 812, V ^8-
^) Beitrage zur deutschen Mythologie I, 99.
') Pröhle Kinder- und Volksmärchen, 1863, p.
238 £• Richter. 238
die in den Schmiedem&rchen herYortritt, einfach auf ihn über-
gegangen. Simrock wusste auch noch den «wetzschker» des
Heiligen mit Thors Futterkorb zu yergleichen^) und eine
autoritativ-philologische Bestätigung hatte eigentlich Magnässon
selbst schon erbracht, indem er anführte, dass die Osmunda
crispa, die gewöhnlich im Norden ThorböU oder S. Olavs
skjäg genannt wird, auch S. Ohristophers herb heisse. Man
hatte sicherlich das allergrösste Becht, von einer mit Ele-
menten tiefsinniger altgermanischer Mythologie versetzten
Legende zu reden^).
und doch ist die Identifikation von S. Christoph und
Thor nichts anderes als ein durch gewisse Ausserlichkeiten
nahe gelegter, nicht einmal besonders tiefsinniger Einfall, der,
an sich Denkbares behauptend, durch nichts erhärtet ist.
Zunächst einen indirekten Beweis dieses Urteils. Es ist
merkwürdig, dass Leute, die von Thor nichts wussten, schon
sehr früh im hl. Christoph einen christlichen Herkules ent-
decken wollten. Tafinger § 7 bezeugt das und giebt zugleich
einen Grund an, der die Ausserlichkeit des Vergleichs auf-
deckt: «sunt qui putent, pro Hercule Alexicaco ad toUenda
gentilitatis vestigia s. Christophori imaginem in templorum
vestibulis appingi coepisse^). Offenbar ist auf diese Zusammen-
stellung ebenso viel oder so wenig Wert zu legen, wie wenn
etwa Erasmus im Muipia^ €tkw|liiov von einem Polyphemus
Christophorus spricht oder ein politischer Lyriker wie Herwegh
von einem Christenherakles oder etwa Charles Nodier von
einem Hercule de la nouvelle civilisation, einem Promethee
chrStien portant l'amour dans ses bras^), und auch wenn das
Volk den kolossalen Herkules auf der Wilhelmshöhe bei Cassel
in einen grossen Christophel umgetauft hat, so wird niemand
aus alle dem schliessen, dass dabei an einen persönlich kul-
^) Hdb. d. deutschen Mythologie ^p. S70.
') Zöckler Realencyclopadie III, 217.
') S. a. VetustiuB ocddentalis ecclesiae martyrologium etc. ed.
F. M. Florentinius 1668 p. 682.
*) Revue de Paris XXV, 216.
239 Volksbraiich und ToDaiDemang. 239
tischen Znaammenliang gedacht ist Abgesehen dass Tafinger
kaum von irgend einer alten deutschen Gtotiheit etwas gewnsst
haben wird, so genagt der Hinweis, dass man anch in Frank-
reich schon 17S8 verglich: der Christoph sei überall angestellt
worden cen raison d'nn anden nsage des chrStiens. itabli
pour abolir pen k pen la snperstition-des palens, qni mettaient
k l'entree de leors temples la statne d'Hercole»^), hier allein
dings dachte man an eine religiöse Erbschaft, mit welcher
Sachkenntnis liegt anf der Hand, und anch der Ruhm, aus
diesem thörichten Herkules eine wirkliche Nationalgottheit
gemacht und die neue Parallele mit dem Anschein der Wissen*
schaftlichkeit durchgeführt zu haben, gebührt nicht einmal
einem Germanen, sondern einem Franzosen, wie mir scheint
Bodin hat es rermocht, im Christoph eine junge Inkarnation
einer alten gallischen oder keltischen Gt>ttheit zu sehen, einen
Ogmius rediviyns: tOgmius, c'est-ä-dire le Soleil»'). cC'^tait
Sans doute par une sorte de capitnlation avec les restes du
paganisme, et pour attirer dans les eglises, lors de F^tablissement
du culte du vrai dieu, les habitants des campagnes». Den
alten Namen tilgte man und setzte dem Gtötzen das Christ-
kind auf die Schulter, und statt der Keule, die Ogmius, ein
runzliger und brauner Greis, zu tragen pflegte, gaben ihm
die Künstler einen — Mastbaum in die Hand I Und die Gründe ?
cLes positions des §glises [an Flüssen] sous cette invocation
sont semblables ä Celles, quo choisissaient les Gaulois pour
adorer le grand Ogmius». [Le Christophe], tqu'on voit dans
rSglise de Cunault est dans une mer remplie de poissons, ce
qui ach^ye sa ressemblance avec l'Hercule gaulois, qui 6tait
consid^rß comme le principe de la fteondit6 sur la terre et
dans les eaux». p. 30 «dans quelques endroits de cette contröe,
le peuple conserre encore ime yieille tradition sur la grandeur
gigantesque de s. Christophe. Les paysans des rillages qui
avoisinent la prairie de Chac6 racontent que la Pierre-fiche
^) Revue anglo-fran^sise I, 357.
^ RecherchoB historiques sur Saumur et le haut Anjou, 162 1/S,
p. 27, 80.
240 K. Richter. 240
ou Peulvan est un grain de sable tomb6 de Tun des sabots
de 8. Christophe, lorsqu'il les secoua en mettant le pied dans
cette prairie; et que ce saint Stait si grand, mais si grand,
qu'il faisait le tour de la terre en yingt-quatre esjambees».
Thor, Herkules, Ogmius! Aber nicht genug, der hl.
Christoph ist auch der • ägyptische Anubis, der das Sonnen-
kind Horus durch den NU trägt. Und der Beweis? jene
griechischen Bilder, die ihn mit einem Hundskopfe, des Anubis
natürlich, darstellen^). Wir wissen, dass der Hundskopf
Christoph noch kein Kind trug, dass der Kindtragende nicht
mehr hundsköpfig war.
Wenn wir nun zu einigen positiven Entgegnungen auf
die scheinbaren Gründe jener deutschen Mythologen über-
gehen, so dürfen wir wohl davon Abstand nehmen, die Halt-
losigkeit des Vergleichs zwischen der Thor-Orvandil- und der
Christophorusscene beweisen zu wollen. Was in aller Welt
hat der Orvandil mit seiner erfrorenen Zehe zu thun mit dem
Christkinde? Und wird es nicht in jeder Mjrthologie einen
ähnlichen Zug geben, dass ein Grosser einen Kleinen über
Wasser trägt? Man sehe sich unser deutsches Gedicht vom
Grendel an, ob darin irgend eine so deutliche Erinnerung an
jene mythische Situation lebendig ist, die eine christliche
Übertragung im behaupteten Sinne möglich erscheinen liesse.
Die Entstehung aber jenes Glaubens, Christoph vermöge vor
bösem und plötzlichem Tode, vor Unwetter und Hagelschlag
zu schützen, haben wir deutlich verfolgen können bis auf alte
Worte einer durch und durch undeutschen Märtyrererzahlung^
ihre Allgemeinheiten spezialisierten und differenzierten sich
im Laufe der Zeit unter dem bestimmten Einfluss der Zeit-
umstände, und ein Zusammentreffen mit Funktionen, die Thor
einst hatte, ist rein zufallig. cCapillis rutilans» ist, wenn
wir einmal ganz absehen von der für deutsche Mythologie
etwas wunderlichen Quelle, von Wolf einfach falsch übersetzt
1) Menzel Christi. Symb. I, 174. Ann. archeol. XXI, 125. Durand
Manuel d'iconographique cliretienne, Paris 1845, p. 325.
241 Volksbrauch und Volksmeinung. 241
worden: es heisst nicht cmit roten Haaren» — Wolf hätte
doch aus der Fülle der Christophdarstellnngen ein Beispiel
solcher absonderlichen Botköpfigkeit erbringen sollen — sondern
will lediglich den Sinn des cvisu fulgens» pomphaft ver-
stärken, wobei man vielleicht an die Glorie denken darf.
Übrigens übersetzte schon Süden ^) weit besser : cschimmert mit
den Haaren». Christoph als einer der Nothelfer konnte femer
leicht auch der Patron der G-oldschmiede werden, und Wolf
hat wohlweislich verschwiegen, dass die Sitte, ihm einen Hahn
zu opfern, in der Touraine geherrscht haben soll, wo man
glaubte, auf des Heiligen Fürbitte von einem gewissen
endemischen Übel geheilt zu werden^. Die Tasche aber
sitzt unserm Christoffel fester als dem Gotte Thor sein Futter-
korb. Endlich, auch das S. Christophers herb hat nicht so
viel zu besagen als es auf den ersten Anblick scheint, auch
das Schwarzkraut, die Actaea spicata, trägt des Heiligen
Namen ^), in der Mark und in Preussen die Grossula, die
Stachelbeere : Christorbeere, Christophsbeere, weil man glaubt,
dass er mit einer Elrone dieses Gesträuches gekrönt worden sei^).
Man missverstehe mich nicht. Ich will nicht behaupten,
dass der hl. Christoph nirgends und in keinem Falle an die
SteUe Thors getreten sei, nur ist allerdings bisher nirgends
und in keinem Falle ein positiver Beweis erbracht worden,
dass Christoph so einfach als ein christlicher Thor die mehr
0 Gelehrter Critioos I, 406.
*) Heiners Historische Yergleichung der Sitten etc. des Mittelaltera,
Hannover 1793, II, 219.
») Smith -Wace Dict. I, 496 ff.
^) Henning Preuss. Wb. 47. Wenn Sinemas p. 69 vermutete, die
Wurzel des ersteren habe früher als Zaubermittel zum sog. Ghristopheln
im Schatzgiüberglanben gedient, so wäre die Verschiedenheit der Namens-
trilger vielleicht aus lokal verschiedenen Sohatzgräbersitten zu erklären,
wenn ich nur einen Anhalt für jene Hypothese wüsste. Ebenso steht
es um die Meinung Hoeflers in der Zs. d. Ver. f. Vk. I, 294, dass man
es wohl mit einem Pestmittel zu thun habe. Übrigens wird nach Grimms
Wb. n, 626 auch ein Yöglein, das Weisskehlchen, Motacilla rubicola,
Christoffel genannt.
34S K. Richter. 248
oder minder yerkümmerte Elrbschaft des heidnischen Gottes
angetreten hätte, um es deutlich zu sagen: dass Christoph
nicht hätte sein können, wenn Thor nicht gewesen wäre.
^Wer aus diesem oder jenem kirchlichen Heiligen nur einen
verkappten Wuotan oder Donar oder Zio herausschält, handelt
unüberlegt^, es sei mir erlaubt, mich darauf zu berufen^).
Freilich, richtig verstanden, darf man auch für den hl.
Christoph von einer mythischen, mythologischen G-rundlage
sprechen. Der grosse Christoffel war mehr als ein christlicher
Heiliger, wenigstens in deutschen Landen. Was den fremden
Märtyrer den Deutschen des 11./12. Jhs. so zunehmend lieb
machte, wir durften vermuten, dass es vor allem die Biesen-
grösse war, und als er uns zum ersten Mal mit landsmännischem
Grusse entgegentrat, da hatte er deutsches Siesengewand an-
gezogen. Das ganze herzliche Meinen und Fühlen des Volkes,
mit dem es seine Biesen umwob, war auf ihn übergegangen,
riesische Züge, die Dummheit und die Gefrässigkeit, hatte
man sich nicht gescheut, humoristisch gemütlich auf ihn zu
übertragen, riesische Geschichten erzählte man von ihm. In
dem Weiler Leiten in Tirol, zwischen Seefeld und Zirl, liegt
ein Bauernhaus : das Biesenhaus genannt, auf die eine Wand
ist der hl. Christoph mit dem Bande, auf die entgegengesetzte
der Strasse zu ein Kampf zweier jugendlichen Biesen, des
Heymo und des Thyrsus, gemalt ^. Hier kann man nun auch
des Steinchens gedenken, das er aus dem Schuh schüttelt^
hier des Pröhleschen Märchens, in dem der dicke Christoffel
mit einer grossen Eisenstange ein kleines, aber heimlich starkes
Männchen, das ihm unterwegs begegnet, gar gewaltig durch-
prügelt, drei Prinzessinnen von neun Drachen erlöst und,
nachdem er eine Zeitlang bei einem Goldschmied in Arbeit
gewesen, die eine von ihnen heiratet. Wo des Petrus Kräfte
nicht ausreichen, da schickt der liebe Gott den Christoffelus
als eine Art himmlischen Hausknechts: er soll einen Ein-
0 Weinhold Wiener Sitzungsber., phil bist. El. XXVI, 925.
^) Panzer Bayerische Sagen und Bräuche 11, 61.
243 Yolksbrauch und Volksmeiniing. 243
dringling aus dem Himmel werfen^), und er gilt als ein
Heister des Kegelschiebens^). Ja, S. Christoph wird der
Riese kqt* d£ox^v : c Wenn ein Kleiner einem grossen Christoff
auff den Achseln sitzt, so siehet er weiter als der Gross»,
heisst es im Sprichwort^, oder anders: cer hat einen Chris-
toffel, der ihn trägt» = er yerlässt sich auf andere^). Die
humoristisch genommene Schwäche wird aber auch zum Vor-
wurf in dem Scheltworte : Stoffel, Toffel =» dummer Tölpel '^).
') Keller Erzählungen aus ad. Hss. p. 97.
«) St Christoph soheibt Kegl:
Bliz, der versteht d-Regl;
kaum reibt er sein Kugel aufii Bret,
seyn alle neun Kegel labet:
Schmeller Bair. Wb. 11, 7.
*) Borchardt Die sprichwörtl. Redensarten im deutschen Volks-
munde '1894.
*) Grimm Wb. II, 626. Fischart redete im Gargantua von Giganten
und Wiganden, Christophelgemässen Langurionen.
*) Grimm ib. Weigand II, 824.
ACTA GERMANICA.
ORGAN FÜR DEUTSCHE PHILOLOGIE
HERAÜSOEOEBEN
VON
RUDOLF HENNING und JULIUS HOFFORY.
Band T, Heft 2.
Geschichte der Deutschen Schriftsprache in Augsburg
bis zum Jahre 1374.
Von
Friedrich Scholz.
Mayer & Müller.
1898.
Geschichte
der
Deutschen Schriftsprache in Augsburg
bis zum Jahre 1374.
Von
Friedrich Scholz.
Berlin.
Mayer & Müller.
1898.
IxLhalt.
ÜfUe
Einl.it.inj. 1 (248)
Krst.r Al),s.-Iinitt : Mfchode and QueUen 4 (249)
Bio un^^odnitktvn Quplleii im Elnzcliif n ; A. Originale;
B. K..pi<Ti S (254)
Zu'fitor Abäclinitt: Die Aiigsburger Urkunde: Ä. Xomieti und
Beslandteilo 15 (2Hi)
B. Kanzleien und Schreiber iu AagEil>urg 40 (386)
l-linzelnp Zcielien (Indices) und Bui^^listubeu 5tl (805)
Dritter Absclinitt; Lautlehre: Voksliamiw tW (312)
Konsonantismiu 197 (443)
Synkope, Apokope 249 (495)
Ardelinun^: Ein- und Anfügen Ten Vokalen 252 (498)
yioxic)nen 25il (499)
Siij>prlutiv und Knm|iarativ 254 (500)
Kiinjnnktivfonnen 265 (501)
Jntinitiv mit ge- 255 (501)
AdvcrliialbilduDg mit -liehen 266 (502)
'losamtverloiif der Entwicklung der aiigsburgiKcben Schrift-
sprailic 25Ö (502)
Abkürzungen.
Handschriftliches: M. R. oder R. &= Königl. bair. Allgemeines Keichs>
archiv in 3Iünehen.
St. oder Staatsarehiv = Königl. preuss. Geheimes Staatsarchiv zu
Berlin.
A. SS Augsburger Stadtarcliiv.
(A.) R. = Augsburg Reichsstadt (Signatur der Archivalicu im
Münchener Reiohsarchiv.
H. — Augrsburg Hochstift (im Münchener Reichsarehiv).
St. U. i— Augsburg St. Ulrich .. . ,,
St. C. = Augsburg Kloster St. Katharina (Münchener Reichsarehiv).
St. St. «= Augsburg St. Stephan (Münchener Reichsarchiv).
St. M. -= Aujysburg St. Moritz (Münchener Reiehsarehiv).
hl. Cr. = Augsburg Zum heiligen Kreutz (Münchener Reichsarchiv).
Achtb. «a Achtbuch der Stadt Augsburg.
Stadtb. « Stadtbuch der Stadt Augsburg.
Drucke: Bresslau = Bresslau Urkundenlehre.
Kaufhnann = Kauffmann. Öeschichte der schwäbischen Mundart 1890.
Bohnenberger =^ K. Bohnenberger , Zur Geschichte der schw'äh.
Mundart in 15. .Ih. Tübingen 1892.
Z. d. h. V. für Schwab, und Neuburg ■= Zeitschrilt des histor.
Vereins für Schwaben und Xeuburg.
Augsb. Urk.buch = (^rkundenbuch der Stadt Augsburg herausgeg.
V. Ohr. Meyer.
Stadtb. V. Augsb. (ed. Meyer) = Stadtt)uch der Stadt Aug.shurg
herausgeg. v. Chr. Meyer.
^
Emleitong.
Wo auch immer wir die Blätter der älteren deutschen
Kulturgeschichte aufschlagen, kaum ein Name wird uns häufiger
begegnen als der Name Augsburg: ein Mittelpunkt geistigen
Lebens offenbar, wie es in Deutschland lange Jahrhunderte
hindurch wenige gegeben hat. Aber nicht nur die Stadt in
den Orenzen ihrer Mauern hat auf diesen B.uhm Anspruch,
sie ist nur das Centrum eines freilich immer noch beschränkten
Kulturgebietes, das sich nicht nur politisch aus den Nachbar«
gebieten ganz deutlich heraushebt. Frühe schon besass der
Augsburger Bischofssitz eine weithin reichende Bedeutung;
würdig stehen daneben ältere wie jüngere Erlöster und Stifter.
Bald stellte sich ein zusehends erstarkendes Bürgertum, das
sich kräftig genug fühlte, ohne den bevormundenden Willen
der Geistlichkeit seinen Yerwaltungsbedürfnissen gerecht zu
werden, trotzig und selbstbewusst jenen gegenüber und zur
Seite, bis es sich endlich mit der Einführung der Zunftherrschaft
ganz in sich selbst abschloss und den Restitutionsbestrebungen
des E^lerus gegenüber sich als unbezwingbar erwies. Umso-
mehr aber erschloss sich die rasch aufblühende Stadt der
Welt. Durch den Wohlstand, der sich auf allen G-ebieten
offenbarte, gewann sie einerseits immer mehr Mittel, ihre
Pracht nach aussen zu entfalten und ihre geistigen wie
materiellen Güter in die Welt zu tragen, wurde sie ander-
seits bald der Mittelpunkt eines glänzenden Handelslebens und
eine Hegerin geistiger Interessen auch für Fremde. Als
Schwabe besass der Augsburger wohl auch die fast sprich-
wörtlich gewordene Wanderlust seiner Stammesgenossen ; was
war also natürlicher, als dass er bei der Heimkehr einen
17
248 Einleitung. 2
Schatz von Bildung und Welterfahrenheit mitbrachte, der ihn
befähigte, allen Lebenslagen sich anzupassen. Namentlich
die Sprech- und Ausdrucksweise des Augsburgers gewann
durch solche Wanderungen, auf denen er lernte, Schlechtes
auszuscheiden und Besseres sich zu eigen zu machen. Seine
Sprache wurde schliesslich geradezu als die 'hübsche sprach' ^
gerühmt. Ein solches urteil ist an und für sich schon ge-
eignet, ein tieferes Interesse für die Augsburger Sprache zu
erwecken. Wenn wir mm dazu in Rechnung bringen, dass
Augsburg da liegt, wo drei germanische Stänune im Mittel-
alter zusammenstossen : Franken, Schwaben und Bayern ; wenn
wir femer uns erinnern, dass ein augsburger Kleriker, David
von Augsburg, seiner Zeit fUr die Feststellung eines einheit-
lichen Hechts für Schwaben durch die Abfassung des Schwaben-
spiegels den Grund legte, dass vielleicht derselben Quelle,
sicher aber in Augsburg, das älteste deutsche StatUtarrecht
entsprang, wenn wir endlich jenem schon erwähnten Kampf
eines erstarkenden Bürgertums und einer noch lebenskräftigen
und auf die Tradition sich steifenden klerikalen Sippe eine
besondere Bedeutung für die geistige Entwicklung Augsburgs
beilegen, so erweist sich das Interesse fär die geistigen Ver-
kehrsmittel der Stadt als durchaus gerechtfertigt.
So unternimmt es denn die vorliegende Untersuchung,,
die Augsburger Sprache, wie sie sich in den offiziellen Schreib-
gelegenheiten kundgiebt, während der Entwicklungsperiode
der Stadt, d. h. im 13. und 14. Jh., zu behandeln.
Zum Ausganspunkt habe ich den Beginn der Abfassung
der schriftlichen Bechtsdenkmäler genommen, die meinen
Forschungen allein als Quelle gedient haben, es ist das Jahr
'Euling, Sprache und Yerskunst H. Kaufringers: Progr. langen,
Ostern 1802, S. 4 f. : 'Wollauf gesell wir wollen wandern ! | sprach ein got
gesell zum andern, | wol zwuundsibensig meil | ist uns kaum ein kurz*
weil I wann welch man sich des eiwigt, | das er fremder land pfligt |
der findet an einer stat, | das er in der andern nit gefunden hat. | wil
ers als derstreichen, | so vindt er sicherleichen | zu Augspurg die huhschen
sprach.' | Vgl. auch Edw. Schröder: QGA. 1888, S. 268 und Socin
S. 180.
3 Einleitung. 249
der ersten deutsch abgefassten augsburgischen Urkunde : 1272.
Den geeigneten Abschluss finde ich in dem Jahre 1374; indem
ich mich dabei nur von sprachlichen Bücksichten leiten lasse.
Ich habe mir femer meine Aufgabe in vier Abschnitte
geteilt: Der erste soll Grundlagen und Methode der Unter-
suchung behandeln. Der zweite, grössere Abschnitt wird sich
mit dem ürkundenwesen Augsburgs beschäftigen. Auf eine
kurze Betrachtung der gesetzlichen Bestimmungen und die
Beurkundungsformen in ihrer Entwicklung bis zu dem von
mir in Aussicht genommenen Zeitpunkt folgt ein Bild des
Augsburger Kanzleiwesens innerhalb der abgesteckten Grenzen^
soweit durch gewissenhafte Benutzung des Quellenmaterials
und der alteren Forschung Klarheit in einem so schwer zu-
gänglichen Yerwaltungszweig, wie es die Kanzlei einer mittel-
alterlichen Stadt ist, zu gewinnen war. Den dritten Absehnitt
föllen die grammatischen Untersuchungen über Lautstand,
Schreibung und Stil der Urkunden wie der übrigen amtlichen
Erzeugnisse der Kanzlei. Ein vierter Teil endlich versucht
zurückblickend auf die vorangegangenen Betrachtungen den
Gesamtverlauf der schriftsprachlichen Entwicklung in Augs-
burg festzustellen und ihn in Zusammenhang mit dem Problem
der mittelalterlichen Kanzleisprache als einer Form der ältesten
deutschen Schriftsprache zu bringen. Keiner der vier Teile
wird ganz Wiederholungen aus einem vorangehenden ver-
meiden können, da die Einzeluntersuchungen nicht ganz für
sich ihren Weg gehen können und sollen; ich werde mich
jedoch bemühen, nicht zu sehr den fortlaufenden Text durch
sich häufende Verweisungen zu verunstalten.
17*
Erster Abschnitt
Methode und Quellen.
Die Göttinger Akademie der Wissenschaften stellte im
Jahre 1891 ^ die Aufgabe, eine sprachgeschichtliche Unter-
suchung der kaiserlichen Kanzleisprache bis Maximilian vor-
zunehmen; ausdrücklich wurde hinzugefügt: 'Benutzung un-
gedruckten Materials wird nicht verlangt.' Die Bedingungen,
unter denen die Lösung vor sich gehen sollte, kennzeichnen
im ganzen den gegenwärtigen Betrieb aller die Greschichte
der Schriftsprache betreffenden Forschungen. Man suchte
sich wohl darüber klar zu werden, welche Arten von
Denkmälern für die Lösung des Problems der mhd. Schrift-
sprache herangezogen werden könnten, man fragte sich, ob
prosaische oder poetische Erzeugnisse den Anforderungen einer
gemeinverständlichen Sprache in Deutschland mehr gerecht
zu werden strebten, aber man legte kritiklos alles erreichbare
Material der gewählten G-attung zu Grunde und beutete es
in der gleichen Weise aus. Bezeichnend ist es für dieses
Verfahren, wenn BehagheP sich folgendermassen äussert:
^Weiterhin hat man — und hierin liegt zweifellos die Ent-
scheidung der Frage — die Sprache der Quellen geprüft.
Es zeigte sich, dass bei den klassischen Dichtungen der mittel-
hochdeutschen Zeit, die sehr vei*schiedenen Gegenden Deutsch-
lands angehören, die sprachlichen Unterschiede, die sich aus
^ Nachrichten von der kgl. G-esellschaft der WiBsenschaften zu
Göttingen 1891, S. 126.
> Behaghel, Zar Frage nach einer mhd. Schriftsprache : Festschrift
der Universität Basel zum Heidelberger Jubiläum, Basel 1886, S. 46.
6 Erster Absohnitt. Methode und Qaellen. 261
den Keimen ermitteln liessen, fast verschwindende waren.'
Allerdings ging nun Behaghel bei der gleichen Gelegenheit
energisch einen Schritt weiter, indem er für die Frage der
mhd. Schriftsprache die deutschen Urkunden entschieden als
das geeignete üntersuchxmgsfeld hinstellte. 'Die Urkunden
bilden die ' einzige unbedingt zuverlässige Grundlage der
Forschung, vorausgesetzt, dass bei ihrer Yerwerthung gewisse
Yorsichtsmassregeln nicht ausser acht gelassen werden.' ^ Er
schliesst Yerhaltungsmassregeln an, die in ihrer Form und
Fülle gewiss eine dankenswerthe Einführung in Urkunden-
untersuchungen zu sprachgeschichtlichen Zwecken waren und
darum an und für sich beachtenswert sein konnten. Aber
wenn er auch eine methodische Behandlung diplomatischer
Schriftstücke zu sprachgeschichtlicher Verwertung forderte,
konnten seine Ratschläge doch nur bei einem Material
fruchtbar sein, das uns über die Person der Verfasser, die
Behaghel gewissermassen in den Vordergrund stellt, aus-
reichend unterrichtet. Diesem Zweck entspricht aber einzig
und allein die Benutzung handschriftlicher Quellen, da sie uns
erstens das Gesamtbild des Schriftstückes schaffen, zweitens
den einzigen Weg zur Feststellung des Schreibers und mög-
licherweise seiner Herkunft und seiner Thätigkeit nach ver^
schiedenen Seiten hin bieten. Der erste meines Wissens, der
in der richtigen Erkenntnis der Vorzüge hs. Materials auf
die vollständige Wertlosigkeit jedes Druckes, gleich ob älterer
oder neuerer Edition, hinwies, war Brandstetter; sicher ist er
der erste, der auf Grund nützlicher methodologischer Grund-
sätze und Anweisungen imd ausschliesslich hs. Originalquellen
an die Untersuchung einer lokalen Kanzleisprache ging '. In
den gleichen Bahnen bewegte sich fast gleichzeitig eine zweite
sprachliche Behandlung des Problems der lokalen Kanzlei-
sprachen des Mittelalters und der angehenden Neuzeit, mit
^ Behaghel a. a. 0., S. 47.
' B. Brandstetter, Die Luzemer Kanzleisprache von 1260 — 1600:
aeschichtsfreund 47, 227 ff. (1892).
^68 Enter Abschnitt. 6
der SckeeP 1892 hervortrat. Immerhin ist die Art und
Weise^ in der er sein Thema ausführt, gegenüber den Brand-
stetterBcben Erfolgen noch als ein Fortschritt zu bezeichnen.
Einmal wählte Scheel als Ausgangspunkt einen wichtigen Ort,
ein politisches und kulturgeschichtliches Oentrum ; sodann er-
kannte er Ton vom herein den geeigneten Weg, in der Sprache
der Urkunden den lokalen Dialekt» wenigstens die dialektliche
Färbung, herauszufinden, indem er den politischen Verhält-
nissen seines Qebietes Rechnung tragend eine scharfe Grenze
zwischen der bischöflichen und der städtischen Kanzlei zog
und in der Gegenüberstellung beider die Möglichkeit nachwies^
die Kanzleisprache als eine Lebensbethätigung der Mundart
zu erkennen.
Indem ich selbst nun die durch die Erfolge beider Forscher
als fruchtbar sich ausweisenden Gnmdsätze mir zu eigen
machte, wandte ich mich den folgenden Untersuchungen über
die Augsburger Kanzleisprache in der oben abgegrenzten
Zeit zu. Es sei mir an diesem Orte gestattet» zu der schon
angeregten Prinzipienfrage Stellung zu nehmen, indem ich den
aus jenen Arbeiten in methodologischer Hinsicht gezogenen
Gewinn mit weiteren eigenen Erkenntnissen vereinige.
Um für die Frage nach der ältesten Schriftsprache weitere
Gesichtspunkte offen zu halten, ist es geraten,
1) als Schauplatz einen füi* die Geschichte der Zeit be-
deutsamen Ort zu wählen;
2) müssen die lokalen rechtslitterarischen Denkmäler in
reicher Zahl und womöglich in ununterbrochener Reihe vor-
handen sein. Entspricht das Vorgefundene diesen Ansprüchen,
80 ist es
3) Grundbedingung, nur ungedrucktes Material zu ver-
werten, das vorhandene kritisch zu sichten auf Originalität
des Schriftstückes und Zuverlässigkeit des Ausgangsortes hin«
^ W. Scheel, Beiträge zur Geschichte der neuhochdeutschen Gemein-
sprache in Köln (Harburger Dissertation 1892), vollständig unter dem
Titel ^Jaspar von Gennep und die Entwicklung der neuhochdeutschen
Schriftsprache in Köln' im 8. Ergänzungshefb der Westdeutschen Zeit-
•chrift f. Gesch. und Kunst (Trier 1898), S. 1—75.
7 Methode und QneUen. 853
Indem ich nun gerade die letzteren Funkte besonders
stark betone, halte ich es für angemessen, die Frage naoh
der Brauchbarkeit und ünbrauchbarkeit von Quellen im
Zusammenhang noch einmal an der Hand yon selbst an-
gestellten Abwägungen yorzunehmen ; auf dem so gewonnenen
festen Boden fussend kann ich mich der weiteren Nutzbar-
machung des Stoffes nach den als notwendig erkannten Grund-
sätzen zuwenden.
Meine Untersuchungen teilen sich in eine diplomatische
oder, wie ich sie auch nennen will, eine urkundengescliicht-
liehe und eine lautgeschichtliche Abteilung. Dem urkunden-
geschichtlichen Teil haben alle erreichbaren Quellen der oben
angegebenen Art Stoff geliefert: ungedruckte und gedruckte,
hs. Archivalien und ältere wie neuere Editionen. Freilich
machen stellenweise Druckyersehen in den letzteren, weniger
die zahlreichen z. T. beabsichtigten Buchstabenyertauschungen
als die Wort- und Satzentstellungen, ihren Wert auch für
den Geschichtsforscher zn einem bedingten, wie yiel mehr noch
für den Sprachforscher ; doch hat mich mein Weg kaum in
die Nähe solcher Klippen geführt, noch yiel weniger sind sie
mir gefährlich geworden. Wenn ich mir aber doch die Mühe
genommen habe, einen guten Teil dieser Publikationen mit
den Originalen zu yergleichen, so sollte das dem lautgeschicht-
lichen Teil meiner Untersuchungen zu gute kommen. Hier
habe ich es als ein unbedingtes Erfordernis erkannt, keinerlei
Drucke, gleichyiel welcher Art und Herkunft, zu yerwenden,
indem diese durchweg die Geschichte mancher Zeichen, Hülfs-
mittel und selbständiger Buchstaben, namentlich die Ent-
wicklung yon f und s, Schluss-f zu Schluss-s, die Trennung
yon u und y nicht yeranschauhchen und damit der Beobachtung
einer Einwirkung yon Schriftbild auf Schrift wesentlich den
Boden rauben. ^ In der Erkenntnis dieser Grundbedingung
^ Nur znr Vergleichung oder fierleitting mancher Erscheinungen
aog ich in grösserem UmfftDge die yeröffentlichten älteren DenkmSler
näher heran ; aus der vor unserer Periode liegenden Zeit : 10. Jh. Augs«
264 Enter Abschnitt. 8
habe ich daher unter den hs. Archivalien strengster Origi-
nalität nur
1) Originalurkunden und Bechtscodices gleicher Art,
3) Kopien, wenn ich der Originale habhaft geworden
war, und auch dann nur Kopien, von welchen ausdrücklich
gleicher Ort und gleiche Zeit oder wenigstens die Zugehörig-
keit zu einer bestimmten Periode innerhalb der Jahre von
1272—1374 feststeht, zu Grunde gelegt. Dank der Sorgfalt
der Archivverwaltungen war mir das Material dieser Art von
Tom herein zur Hand, der Frage nach Echtheit und ünecht-
heit, vom diplomatischen wie vom sprachlichen Standpunkt
aus, war ich daher enthoben. Es begann jedoch nun die
Kritik weiter zu arbeiten. Die erste Frage betraf die Ver-
fasser der einzelnen Schriftstücke. Wenn es sich z. B. heraus-
stellte, dass der Schreiber kein Einheimischer, sondern ein
Eingewanderter war, entstand sofort der Zweifel: darf man
ein solches Dokument als Quelle zulassen ? Als Quelle durfte
es gelten, wenn der Schreibort oder Schreiber keinen privaten
oder gelegentlichen Charakter trug. Zur Aufhellung solcher
Verhältnisse war es unumgänglich, einen geschichtlichen
Überblick über die Schreiborte Augsburgs einzufügen.
Weiter musste beachtet werden, unter welchen Beding-
tmgen das Schriftstück entstand und welcher Eindruck be-
absichtigt war^. Gelegentlich darf wohl, wenn einmal der
barger Glossen: Altd. Gl. I, II; Germ. 21, S. 1. — 11. Jh.: Prudentius-
glossen (A): ZDA. 16, S. 8, 79. — Servatias: ZDA. 5, S. 75. — 1200:
St. Ulrichs Leben von Albertus, her. v. Schmeller. 1844. — Werners
Harienleben (Augsb. Bruchstücke) her. Ton Greiff. Wien 1862 u. Germ.
7, 305. — 1070: Alteste * Urkunde' bei Massmann, Die deutschen Ab-
sohwörungs-, Glaubens-, Beicht- und Bet-Formeln. 1839, S. 62, 189;
Wackemagel, Altdeutsches Lesebuch* S. 162. — 18. Jh.: Schwab. Trau-
formel: MSD.* 1, S. 819; 2, S. 462. — Aus dem 14. Jh.: Fressant
(Hagen, Geaamtabentener 2, S. 85).
^ In einem Formularium (summa dictaminis) des 18. Jh. (Baerwald,
Formelbücher S. 10, Anmerk.) werden die Leser unterschieden, und nach
dem Interesse, das in ihnen erweckt werden soll, wird die Abfassung
der exordia empfohlen. Ebenso S. 11 im Baumgartenberger Formelbuch
(Cod. Phil. S. 61).
9 Bie ungedruokten Qaellen im einzelnen. 266
sprachliche Bestand in der Hauptsache aus den hs. Zeug-
nissen sichergestellt ist und die Kriterien für die Zugehörigkeit
und Nichtzugehörigkeit zu diesem oder jenem sprachlichen
Territorium gegeben sind, auch weniger zuverlässiges Material
verwendet werden.
Die angedruckten Quellen Im einzelnen.
A. Originale.
Die Urkunden hatten vor allem die Kriterien einer
Kanzleisprache zu liefern ; sie haben mit folgender Abstufung
diesem Zwecke gedient: die meiste Ausbeute lieferten die
'städtischen'^ Urkunden einmal ihrer bei weitem überlegenen
Zahl wegen und zweitens, weil sie am sichersten zur Stadt
gehören. In zweiter Eeihe stehen die klerikalen Urkunden:
voran gehen die bischöflichen^ es folgen die Urkunden der
Erlöster. Sie sind insgesamt nur mit Auswahl und nach Be-
stimmung der Herkunft und Zugehörigkeit ihrer Verfasser
vollwertig.
In geringerem Grade als die Urkunden dürfen andere
lokale Bechtsdenkmäler als Zeugnisse einer Kanzleisprache
gelten. Unter diesem Gesichtspunkt wurden das Stadtbuch
und das Achtbuch von Augsburg herangezogen.
1. Das Stadtbuch: 1276—1612 (Münchener Allg. Beichs-
archiv). Seine Beschreibung ist im grossen und ganzen schon
in der Einleitung zu Chr. Meyers Ausgabe (1862) geliefert.
Bemerken muss ich, dass ich bezüglich der Einleitung der
Hände zu einem andern Ergebnis gekommen bin, indem ich
die von M. angesetzten Hände Will, IX, X als Eine Hand
in drei Phasen dem Stadtschreiber Hagen (S j,)* zuteile'.
^ Über die Bezeichnung ^städtisch' ubw. vgl. den formengeschicht-
iichen Teil.
* Mit 8 -f- Index bezeichne ich die einzelnen Schreiber der städtischen
Kanzlei.
' Der Stadtarchivar von Augsburg, Herr Dr. Buff, erklärte sich mit
diesem Resultat einverstanden und machte mich darauf auftnerksam, dass
die Hand des Stadtschreibers Nikolaus Hagen (S i? nach meiner Ein-
256 Erster Abschnitt. 10
Abweichungen in der Datierung von Novellen bemerke ich
unten bei deren Verwendung.
2. Das Achtbuch ^: 1309 bis ins 15. Jh. (Augsburger
Stadtarchiv). Sorgfältig werden Schrift und Ausstattung erst vom
Jahre 1346 ab, seitdem Hagen (S ,,) schreibt. Häufig sind
ganze Einträge durchgestrichen, ebenso im Text Worte aus-
gestrichen, vereinaelt Namen nicht ausgeschrieben und oft
Stellen frei gelassen zu späterer Ausfüllung.
B. Kopien.
3. Das Missivbuch* (Augsburger Stadtarchiv). Die Ein-
tragungen sind wenig sorgföltig; flüchtige Schrift offenbart
die geringe Bedeutung der Anlage für die Öffentlichkeit.
Noch dazu sind die Einträge weder chronologisch vorge-
nommen worden, noch auch stammen sie, wie sie dastehen,
abschnittweise von einer Hand.
4. Das Bürgerbuch von Augsburg •.
5. Das Steuerbuch von Augsburg.
teilang) aller Wahrscheinlichkeit nach bis 1369 geht. Ich setze das Jahr
1370 als Qrenze. Vgl. den Abschnitt über das Kanzleipersonal.
^ Das im Augsburger Stadtarchiv aufbewahrte sogenannte älteste
Achtbach der Stadt ist nicht die älteste Anlage dieser Art. Es werden
in den Baumeisterrechnangen (Ztschr. des histor. Vereins für Schwaben
und Neuburg Y, S. 1) sehr häufig Bezahlungen des Stadtschreibers 'pro
inscriptione quorundam proscriptorum' aufgeführt, z. B. 1320. 14. Sept.
(S. 23): Notario de proscriptione. 132 1, 11. Januar (S. 27).
' Auch das Missivbuch ist nicht das älteste Kopialbuch der Stadt.
Schon 1321 erhält der Stadtschreiber Bezahlung 'pro rescriptione litere
pacis* (Baum.-Bechn. S. 27). Vgl. dazu 'Resoriptum' als üntersohiift
des Notars unter mehreren Einträgen im Missivbach (N. 59. 66).
" Bürgeraufnahmebuch 1288—1496. Schätze Nr. 74. Ausserdem
enthält das Stadtarchiv noch folgende Archivalien, die ich allerdings
nicht eingesehen habe, weil sie ihrer kurzgefassten Anlage wegen für
sprachgeschichtliche Untersuchungen kein geeigneter Boden sind. Es
sind: 1. Söldnerbach 1360—1381. Schätze 137a. — 2. Leibdiugbücher
1379—1396, 1379—1392, 1389—1406, zum grössten TeUe immer wieder
das Nämliche enthaltend wie die Urkunden. — 3. Ffarrzechbuch 'Unser
lieben Frauen' 1822—1402. Schätze Nr. 138. — 4. Urkunden de«
Klosters St. Georg 1309 — 1424, von verschiedenen Händen zum Teil, nach
11 Die nngedracktea Quellen im einzelnen. £67
Allgemein gilt flir die eben besprochenen Quellen als
Grundlage zur £enntnis lokaler Lautgeschichte, dass sie auf
Grund doppelter Erwägung für den Forscher nicht den gleichen
Wert besitzen wie die Urkunden. In erster Linie beansprucht
der Charakter jener Schriftstücke als interner, nicht fär die
Öffentlichkeit berechneter Aufzeichnungen nicht dieselbe Sorg-
falt in der Ausstattung und Anlage, formell noch weniger
als inhaltlich, wie sie die Urkunden verlangen. Sodann ist
die Yerfährung des Auges der Natur der Sache nach eine
derartig grosse, dass die Unbefangenheit fast jedes einzelnen
Erzeugnisses mindestens zweifelhaft ist. Die Urkunden sind
zuweilen durch Vorlagen und Muster bedingt gewesen, die
Einträge des Stadtbuches und des Achtbuches waren es durch
einen natürlichen Zwang und mit grösserer Begelmässigkeit.
Letzteres gilt noch weniger fllr das Stadtbuch als für das
Achtbuch. Mit Abrechnung der eben besprochenen Bück-
sichten dürfen wir in dem Stadtbuch, speziell in dem Teil
bis zum Anfang des 14. Jh., das am meisten konservative
Element in der Bethätigung der städtischen Kanzlei erblicken,
indem es mit grösserer Hartnäckigkeit als die öffentlichen^
Instrumente gegen das Andringen der lautlichen Neuerungen
fremder Herkunft sich wehrt. Das Stadtbuch giebt uns also
ein Bild der Augsburgisch-reichsstädtischen Kanzleisprache
des 13. und 14. Jahrhunderts 'schlechthin'.
Im weiteren Sinne kommen die Urkunden und amtlichen
Annahme des Herrn Dr. Buff, noch im 14. Jh. geschrieben (Kopien)
Schätze Nr. 94 — Formelbücher ans der Zeit vor 1500 sind nicht vorhanden.
Zünftige Archive giebt es in Augsburg nicht ; was von Akten bei einzelnen
Handwerken noch vorhanden ist, geht alles nur bis ins 17. Jh. zurück.
Die alten Zunftbüoher wurden 1648 auf Befehl Karls Y. grösstenteils
verbrannt. Von dem Erhaltenen geht nichts bis ins 14. Jh. In dem
bischöflichen Archive sind noch einige hundert Urkunden aus der Zeit
vor 1500, jedoch, wie mir Herr Dr. Buff nach Anfrage bei dem bischöf-
lichen Archivar Herrn Dr. Schröder mitteilte, nur etwa 80 vor 1400,
Eum grössten Teil Institutionen, also lateinisch abgefasst
' öffentliche Instrumente* hier die Urkunden ohne Unterschied im
G^ensata zn den internen amtlichen Schrifttümern.
358 Erster Abachnitt. 12
deutschen Codices in Betracht als Quellen zur Kenntnis der
Mundart. Die lokalen Urkunden sind von den einen als zu-
verlässige Quellen zur Kenntnis der Mundart Yor sonstige
litterarische Erzeugnisse gestellt worden: andere haben sie
von vornherein als unbrauchbar, weil unter mundartfremden
Tendenzen und Einflüssen entstanden, zurückgewiesen; ein
dritter Teil endlich glaubte die Originalurkunden sehr wohl
zu mundartgeschichtlichen Untersuchungen heranziehen zu
müssen, aber nur mit sehr fein arbeitender Kritik. Meine
eigene Ansicht steht dem letzteren Standpunkt am nächsten:
wenn ich auch die Urkunden in erster Linie als Bethätigungen
der Schriftsprache betrachte, so macht das Nützlichkeitsprinzip
ein solches Schriftstück doch zur Aufnahme mundartlichen
Sprachgutes vorzugsweise geeignet. Der bequemste und
sicherste Führer aber ist die Urkunde überhaupt für die Fest-
stellung lautlicher Erscheinungen wegen ihrer geographischen
und chronologischen Zuverlässigkeit.
Eine weitere Arbeit wird darin bestehen, das aus den
Quellen gesammelte lantstatistische Material in gehörige Ord-
nung zu bringen. Hierbei wird es sich fragen, ob man nach
dem Schema der mhd. Grammatiken vorgehen soll oder ob
die Eigenart des Gegenstandes eine andere Einteilung er-
heischt. Da es sich zunächst um eine Form des Mhd. im
allgemeinen handelt, so empfiehlt es sich, von dem gemeinmhd.
Laut-, Flexions- und Wortstand auszugehen, wie er durch die
Grammatiken und Lexika fixiert ist, darnach die Herleitung
der Erscheinungen von der ältesten Zeit an in den lokalen
Bahnen weiterer und engerer Art bis zu der in Frage stehenden
Zeit zu verfolgen, die heute lebende Mundart mit Berück-
sichtigung ihrer eigenen Weiterentwicklung und Wandlungs-
fähigkeit und nach Scheidung ausgeprägt nichtmundartlicher
Bestandtteilezur Feststellung des Lautwertes ins Auge zu fassen,
endlich die Kanzleisprache von dem Standpunkt einer 'ge-
schriebenen Sprache' zu betrachten. Ein solches Verfahren
schreibt fast von selbst den Weg vor, die Untersuchung jeder
13 Die ungedmckten Qaellen im einzelnen. 269
Erscheinung in drei Abschnitten Yorzunehmen : Yoranzustellen
ein je nach Bedürfnis reich und ausführlich oder summarisch
ausgewähltes statistisches Belegmaterial, darauf den Lautwert
und schliesslich die Schreibung darzustellen^. Innerhalb des
Bahmens jedes dieser Abschnitte sind folgende Gesichtspunkte
massgebend.
Da die Untersuchung historische Entwicklung betrifft,
hat man festzustellen, wann eine einzelne Erscheinung zuerst
auftritt, wie lange sie dauert, wann sie yerschwindet. Zu
achten ist auch jederzeit darauf, ob und welche lautliche Er-
scheinungen in den einzelnen Schriftstücken nebeneinander
hergehen, wann sie sich trennen, wann sie in derselben oder
in veränderter Gestalt wieder zusammen auftreten.
Sodann hat man, wenn es feststeht, dass die Kanzlei-
sprache aus verschiedenen sprachlichen Komponenten besteht,
aus Gemeinsprache und Mundart, einmal den Grund des
Auftretens jedes einzelnen Bestandtteils in diesem und jenem
Zeugnis, femer das prozentuale Verhältnis aller Komponenten,
soweit sie vereinigt sind, zu betonen.
Des Weiteren wird man wissen wollen — und dieser
Gesichtspxmkt sollte bei jeder lautgeschichÜichen Unter-
suchung auf Grund hs. Quellen allen andern vorangestellt
werden — , wie die Personen, denen die ^Pflege der Kanzlei-
sprache in die Hände gelegt war, ihre sprachlichen und
graphischen Theorien dem Bestand der Kanzlei ein- und
unterordneten, wie sie sich besonders selbst zu dem vorge-
fundenen Bestände stellten und wie sie ihre Gewohnheiten
auf ihre Mitarbeiter oder Nachfolger übertrugen oder vererbten,
ob zu gewissen Zeiten Besonderheiten dieser und jener Hand
hervortreten, die das Verhältnis von Meister und Schüler
etwa charakterisieren, kurz ob eine ^SchxQe' die Grundlage
des jedesmaligen Kanzleiidioms war. Mit Bücksicht auf ein
* Von diesem Wege weiche ioh nur dann ab, wenn das Material
entweder so wenig Belege bietet, dass sie besser im Kontext behandelt
werden, oder wenn nur wenige Abweichungen von der Regel einer laut-
lichen Erscheinung vorliegen: z. B. beim Superlativ.
260 Erster Abschnitt. 14
etwa bestehendes Regelwesen wäre namentlich die Frage za
erheben, wie die Schreiber von Kopien zu den Originalen
sich verhalten haben ; das Verhältnis von Schüler und Meister
legt uns dann nahe zu beobachten, ob, wann und wo be-
sonders korrekt und sorgfaltig geschrieben wurde. Eine all-
gemeine Wertschätzung in diesem Sinne wäre dem gramma-
tischen Teile voranzustellen.
Eine sehr interessante Frage ist endlich : war die Kanzlei-
sprache ausschliesslich geschriebenes Idiom oder wurde sie
auch gesprochen? Liegt sie als gesprochene Sprache einer
bestimmten Gesellschaftssprache der Stadt zu Grunde, so ist
erforderlich, in einem zusammenfassenden Teile das Sonder-
verhältnis stark als konstitutiven Faktor der Kanzleisprache
als einer mhd. Schriftsprache zu betonen.
Die Abgrenzung nach Zeit und Ort und zumal die Be-
deutung Augsburgs führen auf die Notwendigkeit, im Rahmen
einer Monographie die einzelnen Erscheinungen durchaus aus-
führlich zu behandeln. Beschränken werde ich mich nur darin,
dass ich nicht alle Gebiete, Lautstand, Syntax, Wortschatz,
an dieser Stelle schon bearbeite, sondern lediglich die Laut-
lehre, den Flexions- und Formenschatz ; letzteres Gebiet streife
ich nur in Einzelheiton. Ich gedenke femer in der Formen-
geschichte, wie in der Lautgeschichte den einzelnen Erschei-
nungen nicht in allen Details der zeitlichen Aufeinanderfolge
nachzugehen, sondern sie häufig periodenweise zusammen-
zunehmen, wenn auch diese oder jene epochemachende Ein-
zelheit nicht unberücksichtigt gelassen werden soll.
Zweiter Abschnitt
Die Augsbnrger Urkunde.
A. Normen und Bestandteile.
Für die vor dem Anfang des 11. Jh. liegende Zeit sind
unsere Kenntnisse über Augsbnrger Recbtsformen sehr lücken-
haft. Indessen hat sich die geschichtliche Entwicklung Augs-
burgs in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters, namentlich
was seine Yerfassungsverhältnisse anbelangt, im grossen und
ganzen in denselben Bahnen bewegt wie die der übrigen
Städte; wenigstens nimmt sie nicht eine ausgeprägte Sonder-
stellung ein. Wir werden also aus den Zuständen verwandter
Orte einen Rückschluss auf die gleichzeitigen Augsburger
Verhältnisse thun dürfen. Da ich somit die schon Ton
firesslau ^ und Brunner ' gewonnenen Ergebnisse nur zu wieder-
holen hätte, fasse ich das Allerwesentlichste zusammen. Hin-
sichtlich der in diesem Abschnitt hin- und wieder gebrachten
Schreibemamen und Handbezeichnungen giebt der Teil über
die Kanzlei nähere Auskunft.
Das alamannische Gesetz drängt zweifellos die Person
xmd den Wert des Schreibers yoUständig zurück, dagegen
macht es die Firmierung der Urkunde durch Zeugen und
die Datierung zur Bedingung der Giltigkeit. Noch vor der
Karolingerzeit muss die lex alamannia dem ripuarischen Gesetz
weichen, dessen Bestimmungen sich auf allen Bechtsgebieten
eine unbestrittene Anerkennung verschaffen. In der über
Kauf oder Schenkung gerichtlich in mallo ausgestellten Ur-
* Bresslau, FDG. 26, S. 1 ff. • Brunner Oarta u. notitia S. 21 ff.;
id.; Bechtflgescb. (Leipzig 1888) 1, S. 892 ff.; 2, S. 420 ff.
262 Zweiter AbflcHnitt. Die Augsbnrger Urkunde. 16
küDde setzt die lex ribuaria als Kegel die Nennung des
Schreibers voraus, und nur aus dem ümstandi dass Namen
und Handschrift des cancellarius ohnehin bekannt waren, kann
die zeitweilig sich findende Auslassung des Namens erklärt
werden. Im übrigen gestattet die lex ribuaria zwar, dass
jeder des Schreibens kundige Mann Urkunden herstelle, knüpft
aber gewisse Eechtsvorteüe an die Ausfertigung durch den
cancellarius. Ich möchte dieser Bestimmung gerade fär die
Verhältnisse, denen wir in Augsburg begegnen werden, eine
nicht geringe Bedeutung beilegen und will hier gleich voran-
stellen, dass ich in der Bestimmung des Bates von Augsburg
vom Jahre 1294 über die Abfassung gewisser Briefe eine
auffallende Nachbildung jener Gewohnheit sehe ^. Es ist das
im übrigen fast der einzige Best des ribuarischen Gesetzes.
Denn mit dem Untergang der Gerichtsurkunde und des öffent-
lichen Notariatswesens im 9. Jh., im 12. Jh. spätestens in
einigen alamannischen Gebieten^, hat auch die alte stammes-
gesetzliche Form ausgelebt. Ausserdeutsche Vorbilder leiten
jetzt die Entwicklung eines neuen Beurkundungswesens und
verdrängen die alte Gerichtsurkunde vollständig, bis sie in
veränderter Gestalt durch die öffentliche Urkunde des 14. Jh.
wieder aufgenommen wird. Von Italien her finden schnell
Formen Eingang, die für das ganze spätere Mittelalter Grund-
lage der Urkundengestaltung werden sollten, und nur Ein
Ergebnis jener Bemühungen der karolingischen Könige bleibt:
die Thatsache, dass Fürsten, Bischöfe und Abte die Gewohnheit
bewahren, einen Schreiber zur immerwährenden Verfügung zu
haben, eine Gewohnheit, die ihnen die Instruktion von 805
wahrscheinlich zum Gesetz gemacht hatte ^. Nach dem Ver-
schwinden dieser Gerichtsurkunde tritt die Privaturkunde in
^ Noch mehr Bchliesst sich in der Fassung daran ein Dekret an,
das Leibgedingbriefen und Kaufurkunden, auch denen, die von kirchlicher
Seite an Laien ausgestellt werden, grössere Elraft zusichert, wenn sie
von dem Stadtschreiber angefertigt sind.
« Vgl Bresslau: FDG. 26, S. 10 ff.
> Capitul. S. 121, cap. 4; vgl. Bresslau: FDG. 26, S. 14.
17 Normen und Bestandteile. 363
den Yordergnmd ; sie ist abgesehen von urkundlichen Erlassen
der Gewalthaber und den wenigen Gerichtserkenntnissen die
Form des Beurkundungsaktes, die allein unsem folgenden Be-
trachtungen zu Grunde liegt.
Wir treten zugleich in die Zeit ein, ftlr welche die er-
haltenen Quellen selbst über die Entwicklung des Augsburger
ürkundenwesens sprechen können. Diesen Quellen nach und
der ganzen frühmittelalterlichen Entwicklung Augsburgs selbst
zufolge eracheinen das rechtliche Leben der Stadt im all-
gemeinen und die Urkunde im besondem lange untrennbar
Yon der bischöflichen Jurisdiktion. Sicher gilt das noch für
das volle 12. Jh., und erst im Laufe des 13. tritt die Augs-
burger Urkunde in eine neue Sphäre, die ihre Herstellung
mehr und mehr zum Gemeingut erhebt ^. Fragen wir, weshalb
die nachkarolingische Urkunde so hartnäckig Anlehnung an
die Autorität des Bischofs suchte, so glaube ich die Antwort
geben zu dürfen: sie bedurfte ihrer. Lifolge des Verfalles
nämlich der Institution der öffentlichen Gerichtsschreiber auch
im alamannischen Gebiet gab es dort keinen öffentlichen
Schreiber, an den man sich in gewissen Fällen wenden
konnte, um ein von dem Verdacht der Fälschung freies
Dokument zu erhalten, so dass die Urkunde weder einen
selbständigen Beweiswert beanspruchen noch auch nur ihrem
Aussteller prozessualische Vorteile verschaffen konnte ^. Dazu
kam die ungemein weitgehende Ausdehnung des Urkunden-
beweises. Beide Thatsachen sind in den Kreisen der ger-
manischen Bevölkerung Deutschlands und Italiens ohne Zweifel
nicht ohne Misstrauen betrachtet worden^. Wenn Konrad
von Würzburg* einmal verächtlich imd vorwurfsvoll zugleich
^ Ihre Tendenz nimmt sie jedoch als Erbteil aus jener bischöflichen
Zeit mit: die Eigenschaft als dispositive Urkunde; so erscheint sie von
den ersten Belegen des 12. Jh. an. Weiter unten mehr davon.
• V(?l. Wattenbach: SBAkBerlin 1684, S. 1127 ff.; Sickel, Acta 2,
S. 286; G. EUinger, Verhältnis der öffentlichen Meinung zu Wahrheit
und Lüge im 10. — 12. Jh. Berlin. Diss. 1884. Belege bei Bresslau S. 11 ff.
' Vgl. Ueusler, Institutiones 1, S. 87. Leipzig 1886.
^ Schwanritter v. 671; vgl. Heusler a. a. 0.
18
264 Zweiter AbBchnitt. 18
äassert: 'man schreibet an ein permint siebt, swes man ge-
ruochet unde gert'S so wird er damit wohl die Gedanken
seiner Zeitgenossen nur zu gut getroffen haben.
Man suchte Abhilfe auf mannigfache Art. Vermehrung
der durch das ribuarische Gesetz vorgeschriebenen Zeugen'
führte zu keiner Besserung. 'Denn', sagt der Schwaben-
spiegel, 'wir sprechen, daz briefe bezzer sin danne geziugo';
diese sterben» während in der Hantfeste auch der tote Zeuge
den Wert eines lebenden hat ^. Man wurde also darauf hin-
gewiesen, in der äusseren Form der Urkunde selbst ein un-
antastbares und wirksames Beweisstück zu suchen. Dazu
yerhalf nun die Geistlichkeit, die zuerst und zumeist die
Nachteile jener Zustände hatte empfinden müssen. Je enger
sich jetzt unter den Ottonen und Saliern die Verbindung
zwischen der deutschen und italienischen Geistlichkeit ge-
staltete, desto näher musste der ersteren der Wunsch liegen,
für die notarielle Beglaubigung, die ihr auf deutschem Boden
verloren gegangen war und die sie den urkundlich verbrieften
Bechtsgeschäften ihrer italienischen Brüder eine gewisse Be-
ständigkeit schaffen sah, ein Ersatzmittel zu suchen; es ge-
schah in zweierlei Form : 1) durch die Einführung sogenannter
Teikettel (cartae divisae oder chirographae), 2) durch die Be-
sieglung der Urkunden ^
^ Ahnlich denkt der Vogt von Prünn und der Bischof von Aarhus,
vgl. Heusler a. a. 0. 1, S. 87; Urkb. z. Gesch. d. mittelrh. Ten*. I, S. 406.
* Die Zeugen sind in älterer Zeit in der Regel nach Ständen ge-
schieden angeführt (Bresslau S. 815; Posse, Lehre von den Privat-
urkunden S. 71; Ficker, Beiträge l, S. 100). Die Augsburger Quellen
folgen dem allgemeinen Brauch (vgl. über Urkunden zwischen Geistlichen
und Weltlichen die zahlreichen Urkunden in Mon. Boica XXXIII). Sind
nur Laien die Interessenten, so stehen die Edelleute (domini) vor den
Bürgern, z. B. 1246, 29. Aug.: Gotfrit von Hohenlohe an den Bürger
Otto Bogner . . . zuerst die domini, dann die Ratgeben, Notarius und
Bürger. Ich sehe in dieser Urkunde einen Beleg für die Anordnung der
Zeugen nach Ständen, nicht nach Parteien, weil der den Edelleuten
folgende 'Notarius de Hohenlooh' 'dominus' tituliert ist.
* Cap. 86; vgl. Posse a. a. 0. S. 66.
^ Schon Hugo von Trimberg und Thomasin von Zirkläre kennen
den hohen Wert des Siegels. Jener sagt im 'Renner' (Ausg. Bamberg,
19 Normen und Bestandteile. 265
Für die erstere Form ist uns hinsichtlich ihrer Anwendung
bei Augsburger klerikalen Kechtsgeschäfben nichts überliefert,
dagegen ist die Besieglung des Instruments mit Sicherheit
für das Jahr 1071 durch die Quellen ^ nachgewiesen. Anfangs
ist immer nur das Siegel des Bischofs Beglaubigung ^ Die
Besieglung wird als integrierender Bestandteil des Dokuments
im Kontext angekündigt. Ausserhalb der neuen Institution
stehen die Verfügungen des Bischofs an das Kapitel imd
andere klerikale Körper (Mon. Boic. XXXIII, S. 25). Fest
wird die Einrichtung erst im 13. Jh. Im zweiten Jahrzehnt
erscheinen auch die Abte und Prälaten als siegelführend, im
nächsten Dezennium die Stadt und der Vogt von Augsburg.
Von 1236 an fehlt das Stadtsiegel nur selten, meistens nur
in Urkunden, die schon durch das bischöfliche, seltener durch
ein klösterliches Siegel genügende Beglaubigung erfahren haben.
Immerhin tritt aber dieser Zuwachs der städtischen Gewalt
von jetzt an ebenbürtig der bischöflichen zur Seite. Der
Vorgang der Stadt scheint nun auch andere Verwaltungs-
körper sowohl wie Privatleute zur Führung von Siegeln ver-
anlasst zu haben ; es erscheinen in den folgenden Dezennien
1838/34), V. 18634: 'alle hantveste sint enwiht, | haben sie rehter insigel
niht'; dieser im 'Wälscben GasV (Ausg. y. Kückert, Quedlinburg und
Jjeipzig 1862), v. 14000/2: 'da von gescbiht, daz ist war, | daz man dem
brieve glonbet nibt, | da roans insigel an nibt sibt.' Der Bann des
Bischofs, der auf Nicbtacbtung der Bestimmungen des Instruments im
12. und bis ins 13. Jb. binein stand, kann nicht für das Dokument als
Xräftigungsmittel in unserm Sinne gelten (z. B. Mon. Boica XXXIIIa,
S. 51: 1209), er ist nur einer der üblichen zeremoniellen Bestandteile der
XJrkundenanfertig^n g.
> Mon. Boica XXXIIIa, S. 10.
' Welche Gründe das Siegel ebenso wie die Gegenwart gerade
des Bischofs zur Beglaubigung am geeignetsten erscheinen liessen, wird
uns zwar verschwiegen; doch bat wohl der schon zur Zeit des Gerichts-
«chreibers hochgehaltene Grundsatz, der noch zur Zeit in den verwandten
Gegenden Italiens ebenfalls galt, die Erledigung eines Bechtsgeschäft^s
nur einem Schreiber anzuvertrauen, 'qni pagensibus loci illius notus
fuisset et acoeptus' (Ansegis, Capitulare UI, 43), das allgemeine Ver-
trauen auf den Bischof gelenkt.
18*
266 Zweiter Abschnitt. 20
schon häufiger neben dem bischöflichen Siegel das des Dom-
kapitels und Privatsiegel angekündigte Mit der zweiten
Hälfte des Jh. ist die Bedeutung des Siegels im grösseren
Teil des Reiches derart gewachsen, dass der Schreib- und
Stillehrer Konrad von Mure 1276 in seiner 'Summa de arte
prosandr den jedenfalls allgemein giltigen Satz aufstellt:
'Tota credulitas litere dependit in sigilo authentico bene cognito
et famoso'*. Mit dem Hervortreten des Siegels nehmen nun
die Bürgen eine Stellung ein, wie sie früher die Zeugen allein
besessen'; sie siegeln auf Bitten der Interessenten.
. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Institution
wie die der Besieglung, die zur Sicherung eines Bechtstitels ge-
schaffen ist, entweder auf einer gesetzlichen Festsetzung
fusste oder sie zur unmittelbaren Folge hatte. In der That
beschäftigt sich der Schwabenspiegel sehr entschieden mit
dem jetzt vornehmsten Schutzmittel einer Urkunde^. Indem
er von vom herein für die Rechtskraft eines Dokuments die
Zufiigung eines Siegels verlangt, ordnet er im weiteren das
Besitzrecht des Siegels und der Siegelf&higkeit. Den Siegeln
der Städte, denen er jedoch alle 'Kraft' abspricht, wenn sie
ohne Genehmigung des Stadtherren gefuhrt werden, erkennt
er nur Oiltigkeit in städtischen Angelegenheiten zu^, wohin
1 Mon. Boio. XXXIII a, S. 70/1.
^ Doch hält 1259 Bischof Hartmann von Augshurg es noch für ge-
raten, *Bcriptura et testium subsidia' als 'adinvatio' des Bechtsgeschäftes
neben einander als gleichartig zu erwähnen (Mon. Boica XXXIII, S. 87).
Dagegen wird (XXXIII, S. 103) 1267 die 'compositio inter episcopom
atque capitulum et cives' durch die scriptura als genügend geschützt
erachtet.
' Als Kaiser Ludwig 1847 die Siegelgerechtigkeit in Baiem ordnete,
kennzeichnete er die integrierende Bedeutsamkeit des Siegels durch den
Satz: 'und der gehört chainerlay zeu^iss noch nichts darwider' (Ober^
bairisches Archiv 3, S. 315).
^ Schwabenspiegel L. cap. 36 (Gengier 34).
^ Schwabensp. L. 159, W. 140. So erkennt auch das Rechtsbuch
Kaiser Ludwigs von 1346, Art. 317 (ed. Freyberg: Sammlung bist.
Schriften 4, S. 490) und Art. 313 auch jedem 'erbaeren manne' Siegel-
gerechtigkeit zu, wenn zwei ehrbare Männer, die in der Urkunde genannt
Sl Normen nnd Bestandteile. 267
aber nach einer andern Stelle (cap. 36 [34] auch die Privat-
geschäfte der Bürger gerechnet werden dürfen. Die Siegel
der Kichter haben beglaubigende £jraft nur in Dingen, die
zu ihrem Gericht gehören. Die Angsburger Rechtsgeschäfte
«ind diesen Bestimmungen ToUkommen unterthan gewesen,
wie die Quellen Yon der oben begrenzten Zeit an in jedem
einzelnen Falle bezeugen. Wenn wir daher ausgangs^ des
13. Jh. in dem Augsburger Stadtrecht von 1276 auf ein-
gehende Verordnungen über Yogtbriefe, Stadtbriefe und Hand-
festen treffen und wenn 1294 der Bat bestimmt, dass die
Leibgedingbriefe unter 'der Stadt Siegel' ausgefertigt werden
sollen, so ist das dem Einflüsse jener Bestimmung des Land-
rechtes zuzuschreiben und den Bestimmungen späterer ober-
deutscher Rechtsaufzeichnungen gleich zu stellen'. Auch in
der Festsetzung seiner Rechtsbedürfhisse ging Augsburg
andern Städten Schwabens voran.
Schenken wir nun den Verfügungen des Augsburger
Stadtrechts von 1276 über Ausstellung und Rechtskraft der
Urkunden einige Beachtung ''.
Ein Vogtbrief muss mit dem Siegel des Vogtes gefestigt
und durch die Gegenwart zweier oder dreier Ratgeben und
anderer Bürger beglaubigt sein. Das Gleiche gilt für den
tind, Zeugen der Beneglungsbitte waren. Die Führung von Siegeln war
unter Bürgern des 13. Jh. schon weit verbreitet, vgl. Urk. von 1257
(Angsb. Urk.-Buch I, S. 16) : es untersiegeln zehn Bürger neben Bischof,
Kapitel, Vogt und Stadt.
^ Die einschlägigen Novellen sind sämtlich von der Hand S s (Stadt-
schreiber Rudolf) und den Sohriftzügen nach den Jahren 1291/96 zuzu-
weisen. Die Bestimmungen finden sich: Stadtb. S. 77 (Register S. 20:
'Statt Infigel fagt brieff kreftig — wer aber dor wider t&t* (64); S. 82,
S. 83a : *. . . Iwelh hofherren ovch niht Infigel habent, div fol man alliv
vnder der ftet Infigel verfchriben.' Ich setze diese Bestimmungen in
das Jahr 1294, weU der folgende Eintrag S. 83 a die Verkündigung dieses
G-esetzes mit der Sturmglocke im Jahre 1294 am 26. Mai meldet. Ge-
schrieben sind die Einträge anscheinend zu gleicher Zeit.
* Belege bei Bresslau S. 642 ff.
* Nachzulesen sind sie im Augsb. Stadtb. S. 188, Art. 118, Text und
Zusatz 1 und 2.
268 Zweiter Abschnitt. 22
Brief des Burggrafen und für die Briefe der Stadt. Be-
sondere Sorge wendet das Stadtrecht den Leibgedingbriefen
zu. Während noch im Grundtext von 1276 (S. 157) der
Besitztitel eines Leibgedings auch durch Zeugen erwiesen
werden darf^ wenn Briefe nicht aufgebracht werden können^
macht das Gesetz vom 25. Mai 1294 (S. 161) die rechtmässige
Gewinnung eines Leibgedings 'von der pfaffheit vnd ovch von
den laien'y von 'briefen' abhängig, die sich sogar die schon
in solchem Verhältnis Stehenden nachträglich von ihren
^hofherren ane Widerrede' geben lassen sollen. Mit dieser
Verfügung ist in Augsburg für eine Gattung von Rechts-
geschäften die schriftliche Fixierung durch Urkunde zum
Gesetz erhoben, nicht mehr wie bisher nur eine vollkommene
Sicherung ^ Auch konnte man früher ganz frei wählen, ob
man den Bischof oder den Bat oder sonst irgend eine siegel-
führende Korporation oder Person um Beurkundung bitten
wollte. Jetzt ist zwar das Siegel einer Privatperson ebenso
giltig wie das einer amtlichen Stelle, gleich ob Rat, Bischof
oder andere klerikale Behörde, aber der Rat ist, wenn der
Verleiher des Leibgedings kein Siegel besitzt, die einzig zu-
lässige Listanz^. Dadurch wird das Gebiet der öffentlichen
^ Viel früher schon geschah dasselbe in den westalamannischen
Rechtsgebieten, so in Strassburg und Metz am 1260, vgl. Strassborger
ürkundenbach (her. v. Schulte) 8, S. XVL
' Eine Wiederholung und Erweiterung der eben beschriebenen Be-
stimmungen geben erst die Dekrete vom 10. Juni 1558, 16. Mai 1664,
11. Mai 1608, 19. Oktober 1615, 10. Dez. 1652 und 12. Dez. 1684: 'Ob-
wohl ein Wohl edler Hochweiser Rath dieser des heiligen Römischen
Reichs stadt Augsburg, schon vor vielen, ja unfiirdenklichen
Jahren in unterschiedlich öfters erholten ofifenen Anschlägen, Decreten
und Erkenntnissen besonders aber in annis . . . und sonst bei
ernstlicher Straf statuieret, gesetzt und geordnet, dass .... die brief-
lichen Urkunden über liegende Güter in dieser Stat und deren Etter
gelegen, . . . nirgend anderswo als in allhiesiger Stadtkanzley angegeben
und gemacht, auch durch Niemand andern als den Herrn Reichsstadt-
vogten (es wären denn die Parteien selbst siegelmässig) besiegelt . . .
Pfand- Verschreibungen, Kauf-, Tausch-, Zins-, Vertrags-, Übergab-, Schuld-
oder andere Geding- und Pachtbriefe . . . wie bisher . . . jedesmal von der
23 Normen and Bestandteile. 269
Urkunde weiter ausgedehnt; der Übergang zu ihr aber war
von dem Augenblick an schon geschaffen, wo die Besieglung
der Urkunde von einer Seite geschah, die an dem Inhalt der
Urkunde ganz und gar nicht interessiert war.
Haben wir im vorhergehenden die Augsburger Urkunde
in ihrer Entwicklung auf gesetzlichen Grundlagen verfolgt
und ihren Charakter als den eines beglaubigten Zeugnisses
über eine Bechtshandlung gekennzeichnet, so liegt uns nun-
mehr ob, ihre Ausgangspunkte, ihre Arten und ihre Ab£Etssung
zu untersuchen.
Wir haben zwei Arten von Urkunden in Augsburg zu
unterscheiden: 1) die Parteiurkunde ^ ; 2) die öffentliche Ur-
kunde. Die ältere ist die öffentliche Urkunde, insofern die
ältesten Belege nur Beurkundung von Seiten des Bischofs^
und des Hofgerichts ^ aufweisen und ich in der Besieglung
seitens des Bischofs und des Hofgerichts, ohne dass sie ein
Interesse am Bechtsgeschäft haben, den Ubei*gang von der
Privaturkunde zur öffentlichen sehe. Wie schon erwähnt,
nimmt sowohl die alleinige Besieglung als auch die Mitbe-
sieglung durch den Bischof im 13. Jh. zusehends ab. Jedoch
bleibt der frühere Charakter erhalten, indem bei den Privat-
urkunden das Stadtsiegel die Stelle des bischöflichen versieht.
Neben den eben besprochenen gehen als voll öffentliche
Urkunden nebenher:
1) die Batsurkunden. Es sind entweder Batserlasse oder
Ratsordnungen * oder von dem Bat zu Gunsten und auf Bitten
eines Bürgers, auch eines lüosters ausgestellt. Die Beur-
Stadtkanzlei geschriebene . . . and eintragen in die . . . Regrister und
Protokolle wiederum vorlegen.' (J. J. Huber, Abweichung d. Augsb.
Stat. V. gem. Becht, Augsburg 1821, S. 154 ff.)
^ Ich gebrauche diese Bezeichnung in dem Sinne Schultes (Strass-
burger Urkundenbuch 3, S. XXII).
* 1249. Bischof siegelt für das Hospital z. hl. Geist: 1249 (Urkb. I,
S. 8); 1259 (I, S. 19); 1262 (I, S. 22).
* 1046 . . . Becanus . . . presbyter (Hon. Boica XXXIITa, S. 8).
^ 1284, 21. März: Urkb. I, S. 84; 1260: Stadtb., S. 824; 1265: Urkb.
I, S. 80.
270 Zweiter Absohnitt. 24
kunduDg geschieht auf Bitten des Auctors oder auch beider
Parteien^.
2) Die Yogtsurkunde, der Stadtgerichtsbrief: je nachdem
der Fall dem Vogt oder dem Burggrafen unterstand, von
diesem oder jenem ausgestellt und besiegelt.
3) Die Urkunde des bischöflichen Hofgerichts oder geist-
lichen Qerichts ' ausgestellt von den judices curiae. Es fehlt
bisher an Vorarbeiten über die Zusammensetzung und Wirk-
samkeit dieses Instituts, und auch ich kann nur Weniges zur
Aufklärung bringen. Der OfBzial fUhrt den Titel 'judex curiae
Augustensis', deutsch 'Hofrichter', und scheint, nach einem
Falle zu urteilen, dem Beamtenstande des Bischofs und zwar
dem Domkapitel zu entstammen \ Das Hofgericht hatte seine
eigene Kanzlei; seine sämtlichen Urkunden zeigen andere
Hände als die städtischen und bischöflichen und zwar eine
Hand in mehreren Urkunden, und femer ist einmal 1320 ein
'Vlrich der Blückner' als 'fchreiber des Ghunrat des Plyder-
maiXters, der do Bichter des Chors ze Aufpurch waz' genannt^.
4. Endlich erscheint in dem Augsburger Gebiete etwa
seit 1290^ eine von einem Notarius publicus angefertigte
Urkunde. Diese Art tritt im 14. Jh. sehr häufig auf.
Die zweite Kategorie von Urkunden ist die Farteiurkunde.
* 1286, 16. Nov.: Urkb. I, S. 86.
* Die Urkunden anderer, etwa als geistliche Gerichte zu bezeichnender
Inatitute der Klöster usw. tragen zu sehr den Charakter der Selbstbe-
teilignng des jeweiligen Klosterkonventes an dem Rechtsgeschäft, als
dasB ich sie unter die öffentlichen Urkunden einreihen könnte ; z. B. 1277,
29. Sept. (Urkb. I, S. 57) gestattet der Konvent des St. Moritzstiftes
eine Eheschliessung, doch so, dass die Kinder zur Hälfte dem Stift ge-
hören sollen (vgl. dazu Strassburger Verhältnisse bei Schulte a. a. 0.).
* magister Ulricus dictus Hofmaiyer ist 1814 (Mon. Boic. XXXIII a,
S. 811) als Tabellio hinter den Klerikern des Domkapitels unterzeichnet;
1816 ist er erster judex (ib. S. 820).
^ Vgl. dazu die Banmeisterreohnungen : 1820, 8. März (S. 29) sind
Ausgaben für den Bluekkenarius Scolaris Judicis notiert.
* Mon. Boica XXXIIIa, S. 291, um 1290: "... Ego Chuonradus de
Riccina Imperialis auctoritate Notarius publicus interfui et Bogatus
publice scripsi'; dann 1299, 20. April (Mon. Boic. XXXTIIa, S. 299).
25 Normen and Bestandteile. 271
Dem Begriffe nach konnte das jede Urkunde sein, die
nicht Yon einer öffentlichen Behörde im Interesse eines der
Kontrahenten ausgestellt und besiegelt oder nur besiegelt
war. Daher dürfte man auch die Bischofsurkunde und die
Eatsurkunde dafür gelten lassen, sobald der Bischof oder
der Bat seine eigenen Handlungen, z. B. Grundbesitzyerkauf
der Stadt oder Tauschverträge beurkundet^. Auch in den
Fällen, wo der Bischof, der Bat oder das Hofgericht nur mit
besiegelt ^ ist das Schriftstück Parteiurkunde. Wenn wir
auf Parteiurkunden nur selten treffen, so deutet es auf die
Tendenz der Zeit, die öffentliche Urkunde zur Begel zu
erheben.
Diese Einteilung der Urkunden umfasst das ganze zu-
gängliche und unzugängliche Material. Anders jedoch müssen
wir scheiden, sobald es sich um den Apparat handelt, soweit
er uns Yorgelegen hat. Hierfür ist der jedesmalige Aus-
gangspunkt des Schriftstückes ins Auge zu fassen. Damit
betone ich yon vorn herein die Bedeutsamkeit gerade dieser
Einteilung für den zweiten, grösseren Teil meiner Unter-
suchungen, den grammatischen. Für ihn kommt allein in
Betracht, von wem die Urkunde geschrieben, im weiteren
Sinn, von wem sie ausgestellt ist. Bis zum Jahre 1236 muss
ich mich jeder 'Bestimmung enthalten : es ist weder sicher zu
entscheiden, ob alle von dem Bischof ausgestellten oder von
ihm besiegelten Urkunden — die Urkunden des Hofgerichts
nehme ich grundsätzlich aus — von einem bischöflichen
Notar geschrieben sind, noch ist es bei dem mangelhaften
Material geraten, etwa zwei verschiedene Hände zu annähernd
gleicher Zeit zwei verschiedenen Schreibstuben zuzuweisen.
^ Die Urkande, in welcher der Rat seine eigenen Urteilssprüche
beorkundet, sehe ich nicht als eine Parteiurkunde an. Überhaupt lässt
sich mit einigem Recht der Standpunkt vertreteu, dass eine Ratsurkunde
nie eine Parteiurkunde ist, indem die Ratgeben, welche die Urkunde
ausstellen, in jedem Falle dies im Interesse eines Klienten, hier der
Stadt, thun.
" Urkb. I, S. 6 : 1946 ; I, S. 78 : 1283.
272 Zweiter Abschnitt 26
Sicher wird erst unser Schritt, sobald wir in die Zeit nach
1236 eintreten. Wenn wir das 1239 zuerst erscheinende Amt
des cancellarius in Verbindung bringen mit der Thatsache,
dass er in einer Urkunde der Consules sich unterzeichnet,
solche Urkunden aber von 1235 an nachweisbar sind, so haben
wir von 1235 an die Existenz einer städtischen Kanzlei in
Augsburg zu berücksichtigen; wir halten von nun an im
wesentlichen vier Ausgangspunkte der Urkunden Augsburgs
auseinander: die städtische Kanzlei, die bischöfliche, die der
ludices curiae und endlich die der Klöster.
Als städtische Urkunden sind nach den Ausstellern zu
bezeichnen: die Urkunden des Bates, des Vogtes, des Burg*
grafen (im Stadtgericht), der Bürger und anderer Privat-
personen, wenn sie um Besieglung der Stadt gebeten haben ^.
Die Urkunden der Klöster sind meistens von dem Stadt-
schreiber geschrieben, sicher soweit sie einen innerhalb der
Mauer und des Etters der Stadt gelegenen Besitz oder dort
haftenden Besitztitel betreffen^.
Bischöfliche Urkunden sind die meisten der von dem
Bischof oder unter seinem Siegel ausgestellten ; Verordnungen
an das Domkapitel, Schiedsrichtersprüche, Verkaufs-, Stiftungs-
bestätigungen des Hochstifts mit geringerer Sicherheit Kauf-,
Schenkungs-, Seelgerät-, Leibgedingbriefe, die geistliches Gebiet
oder Leute des Bischofs betreffen. Häufig steht dieser Aus-
stellung das Gesetz der Stadt betreffs der Vergünstigungen
bei Anfertigung durch den Stadtschreiber entgegen. Das
Domkapitel beurkundet ebenfalls meist durch die Hand des
bischöflichen Schreibers.
^ Für das 14. Jh. dürfte diese Definition dahin zu erweitem sein:
'soweit die Hand als die des jeweiligen Stadtschreibers oder seines Ge-
hilfen erkannt wird' : oft fehlt in solchen Fallen die Beglaubigfang durch
das Stadtsiegel.
* Gerade diese Erfahrung steht auffallend in Einklang mit jener im
16. und 16. Jh. erlassenen Ratsverordnung betreffend die Beurkundung
über Veräusserung liegender Güter, Erwerbung von Leibgedingrechten
und unterstützt meine Ansicht, dass diese Verordnungen nur Erneuerungen
früherer Dekrete sind.
27 Normen und Bestandteile. 273
In die klösterlichen Urkunden, zu denen ich der Ein-
fachheit wegen die wenigen von dem Spital zum heiligen
Geiste ausgefertigten zählen will, teilen sich die Klöster:
St. Ulrich und A&a, St. Katharina, St. Stephan, St. Georg,
St. Moritz, zum heiligen Kreuz und das Spital zum heiligen
Geist.
Durchweg vom eigenen Schreiber hergestellt sind die
schon durch die Fassung kenntlichen Hofgerichtsurkunden ^
Ich wende mich nun der Fassung der Urkunden zu, um
dann einige Augenblicke bei ihrer Herstellung, ihrer äusseren
Gestalt und ihren Bestandteilen zu verweilen. Ich beschränke
mich dabei auf die Zeit vom Beginn etwa des 11. bis über
die Mitte des 14. Jh. hinaus und beginne mit der Fassung
des Bechtsinstruments in Augsburg^. 'Der germanische Ur-
kundenstil hat im Verlaufe seioer weiteren Entwicklung bei
Rechtsgeschäften, die per cartam vollzogen wurden, die ob-
jektive Fassung schliesslich vollständig aufgegeben, und diese
' Oft haben die Augsburger städtischen Schreiber auch wohl Urkunden
geschrieben, die von fern her an die Stadt gelangten. Zu diesen Schrift-
stücken gehören in erster Linie die nicht selten auftretenden sogenannten
Vorlagen oder Vorurkunden, die für die kaiserliche Kanzlei und ftir fürst-
liche Kanzleien von dem Stadtschreiber Augsburgs im Interesse der
Stadt hergestellt sind: 1330. S9 (A). 1344. S15 (A). 1345. S17 (A). 1348.
Si7 (A). Der Hergang wird zum Teil erleuchtet durch die Notizen in
den Baumeisterrechnungen, die 'nuntios missos, scolarem notarii missum
et alios nuntios, cives ad regem missos' vorweisen (S. 178 : Ruodolf notario
domini Buegeri misso ad Regem Bohemie. S. 26» 27, 88. 56: dominis
R. et Bacho et notario missi ulmam ad ducem Leopoldum . . .) Auch
Urkunden fremder Städte an Augsburg kann auf diesem Wege der Stadt-
schreiber angefertigt haben: S. 187: Oehslario et notario missis Maem-
mingen (1331) . . . (Baumeisterrechnungen). Fürstliche Persönlichkeiten
haben Urkunden an die Stadt gelegentlich ihres Aufenthaltes in der Stadt
durch ihre Beamten ausstellen lassen (S. 77 : . . . pro expensis, quos hie
fecit notarius Burgravii de Nurenberch 1324).
' Eür die frühere Zeit kann ich auf die ausführlichen und durchaus
grundlegenden Ermittlungen Brunners in seinen 'Beiträgen zur ger-
manischen Urkunde' und auf Bresslaus 'Urknndenlehre* verweisen ; meine
Angaben sind nur Ergänzungen für die Kenntnis des territorialen Ur-
kondengebrauches.
274 Zweiter Abschnitt. 28
bleibt fortan nur für die Gerichtsurkunde und überhaupt
für die rein öffentliche Urkunde: Ratsurkunde, Bischofs-
urkunde in bestimmten Fällen, Schiedssprüche . . . Doch nur
in ganz vereinzelten Fällen ist auch hier der Bericht ein ob-
jektiver ; die Begel ist, dass die Urkunde der eben erwähnten
Art von dem Standpunkte des Berichterstatters aus (Richters,
Schreibers usw.) eine subjektive, von dem Standpunkte der
Parteien aus objektive Fassung hat^.
Das Augsburger Urkundenterritorium schliesst sich bis
auf einige Abweichungen der Regel an. Denn eine Urkunde,
wie Mon. Boica XXXIII a, S. 10 ist objektiv nur von dem
Standpunkte der Parteien aus, die vorangestellte Formel
'Embrico Dei gratia Presul Augustensis' ist eine abgekürzte
subjektive salutatio. Die Urkunde (Mon. Boica XXXIIIa,
S. 8) von 1046 ist eine notitia im Sinne der fränkischen
Gerichtsverfassung, und zwar halte ich sie für eine von dem
Beschenkten der ecclesia St. Mariae ausgestellte notitia, der
wahrscheinlich eine die Schenkung beurkundende carta vor-
ausgegangen ist. Die Urkunde 13 vom Jahre 1099 dagegen
ist objektiv, sowohl vom Standpunkte des Berichterstatters
als der verfügenden Kontrahenten, hier des Bischofs ('hanc
confirmationis cartam conscribi precepit, quam sigilli sui im-
pressione insigniri fecit')^ Ihrer Art nach objektiv sind
immer Instrumente über Freilassungen und über Ordinationen
von Geistlichen.
Erst von dem Jahre 1243 an erscheint die subjektive
Fassung der Parteiurkunde, wie sie in der späteren Zeit
^ Das Charakteristische einer subjektiven Urkunde liegt nach der
allgemeinen Auffassung in der Formel mit der sich der Berichterstatter
oder der Kontrahent einfuhrt. Doch müsste beachtet werden, dass nicht
immer die Form : 'Ego N. N. . . . ' gewahrt ist, sondern dass öfter, be-
sonders in der älteren Zeit, erst im weiteren Verlaufe des Textes ein
Possessivpronomen der ersten Person darauf hinweist, dass in der ge-
wählten Nominationsformel der Berichterstatter steckt. Oft wird etwa
ein 'subscripsimus* der einzige Hinweis sein.
* Desgleichen: Mon. Boica XXXIIIa, S. 15. 28, 43. Stadtb. S. 819.
Mon. Boica XXXIIIa, S. 66.
29 Normen und Bestandteile. 275
vorliegt, regelmässig. Ihren Sondergang gehen jetzt nach
wie Yor nur die Schiedsurkuuden^,
Vollkommen vergessen ist die objektive Fassung, seitdem
die deutsche Sprache sich auch der Bechtsdokumente be-
mächtigt hat. Wie die erste in deutscher Sprache abgefasste
Augsburgische Urkunde von 1272, die am Donnerstag nach
dem 26. Juli von dem Probst des Gotteshauses zum heiligen
Kreuz an einen Bürger ausgestellt ist, mit 'Ich N. N. tvn
kvnt . . .' ^ beginnt, so bleibt es auch in den folgenden Partei-
urkunden und öffentlichen deutschen Urkunden, und auch die
lateinischen Urkunden aller Arten fügen sich. Ein wesent-
liches Moment also für eine durchgreifende Um-
änderung der Fassung einer Urkunde war der Wechsel
der Sprache. Bisher war die lateinische Sprache die alleinige
Yermittlerin von Willenserklärungen gewesen. Als nun im 13. Jh.
der Einzelne, der Privatmann, der höhere mehr als der niedere,
an dem Kechtsleben stärkeren Anteil zu nehmen begann und
als durch die gesetzlichen Bestimmungen das Urkundenwesen,
das einen solchen Bechtsgeschäftsverkehr vermittelte, den
Ansprüchen des einzelnen sich mehr und mehr zu fügen schien,
da gab es noch einen Missstand zu beseitigen, der namentlich
dem gemeinen Manne recht fühlbar war. Mit Misstrauen sah
wohl schon lange der Laie auf die Kunst des Geistlichen,
mittels wundersamer Werkzeuge auf Tierhaut krause Zeichen
hinzumalen, und hörte er das Geschriebene lesen, so war es
die Sprache, die nicht sein war. War es aber ein vornehmer
* Die durch die mediaiores beurkundete compositio inter episcopum
et capitulum et cives liegt in objektiver Fassung vor (Mon. Boica XXXIIIa,
8. 103: 1267; ebenso 1270: XXXVI, S. 108). Die Übergabe eines Grund-
stückes von dem Grafen von Neuffen an das Spital zum hl. Geist (ürkb.
I, S. 11) im Jahre 1251 ist ebenfalls objektiv. Die kurze Fassung, die
Auslassung des Tagesdatums lassen auch in diesem Instrument eine Art
notitia des Beschenkten sehen, zu der eine von Seiten der donatores an
das Spital ausgestellte carta vorhanden gewesen sein muss.
' Die Variationen, die diese Formel erleidet, gehören nur dem Ge-
biet der Lautlehre an; eine Veränderung der Worte wird später fest-
gestellt werden.
276 Zweiter Abschnitt. 30
Laie, so hatte er seinen 'Pfaffen', und dieser deutete ihm das
Nötige. Es regte sich also das Verlangen im Volke, seine
Bechtsfragen in einer ihm verständlichen Schrift und Sprache
dargestellt zu sehen, in der deutschen Muttersprache. Viel-
fach hatte man sich schon dadurch geholfen,» dass man den
Kunstausdrücken der fremden Bechtssprache die leichtver-
ständlichen Wendungen der Volkssprache zur Erläuterung
beifügte *. Doch mit der Schrift schien die fremde Sprache
unauflöslich verbunden. Noch war es niemandem in den Sinn
gekommen, deutsche Briefe zu schreiben, bis um die Mitte des
13. Jh. die Städte energisch daran gingen, dem Übelstande
abzuhelfen. Von 1260 an schrieb man in Oberdeutschland
deutsche Urkunden^. Zwar glaubt Konrad von Mure vor dem
G-ebrauche der deutschen Sprache im rechtb'chen Verkehr
warnen zu sollen, weil die päpstliche Kurie solche Instrumente
nicht annehme und auch .sonst deutsche Briefe, selbst mit
authentischen Siegeln, als Beweismittel nicht zugelassen seien ^;
aber der Bat Augsburgs und seine Bürger mussten wohl eines
anderen belehrt sein : 1272 schliesst man sich den oberdeutschen
Städten an, und die Zahl der deutsch geschriebenen Urkunden
^ Belege bieten fiir Augsburg in Menge die Editionen Augsburgischer
Urkunden, ich führe einige an; 1236 *quod vulgariter „burchrecht"
dicitur . . .' (Urkb. I, S. 11). 1254. (bisch.) *thelonei, quod vulgariter
„ungelt« dicitur' (ib. S. 13). 1257. (Rat) »elose unde rehtlose' (ib. S. 15).
1260 . . . *quod vulgariter dicitur „wage" (ib. S. 19). 1264. (König)
'. . . calceator, qui vulgariter dicitur „wizemaler'' (Mon. Boic. XXX, S.
806). 1268. (Vogt) ^ . . censualia, que vulgariter dicentur „cinslehen''.
(Urkb. I, 37). 1273. (bisch.) 'quod vulgariter „Leipgeding^ dicitur.'
(Mon. Boic. XXXIIla, S. 115) '. . . . quod vulgo significatur „ein gantzir
Havfenwamb*' (ib. S. 117). 1277. (Ritter) *que estimacio vulgariter „Herren-
gülte*' nuncupatur' . . . 'quod vulgariter dicitur „Morgengäbe" (ib. S. 128).
1280. (Dom) 'quod vulgariter „Cinslehen" dicitur' (ib. S. 182).
' Am 25. Juli 1240 ist die erste sichere deutsche Urkunde verfasst;
1248 eine lothringische; 1250, 1251 weitere in Ekass und in der Schweiz:
vgl. Bresslau S. 604/5.
' Vgl.: Quellen und Erläuterungen z. bair. und deutsch. Ghesch. 9,
S. 487 ; vgl. auch ib. S. 473 ff. ; Joh. Müller, Quellenschriften zur Gesch.
des deutschsprachlichen Unterrichts im Mittelalter (1882) S. 814.
31 Normen und Bestandteile. 277
wächst in Augsburg bald an und übersteigt bedeutend die
Zahl der lateinischen Urkunden, die früher im gleichen Zeit-
raum ausgestellt wurden. Die lateinische Urkunde wird yon
der städtischen Kanzlei nach dem Auftreten der ersten deutschen
geradezu verworfen ; auch die klerikalen Schreiborte schliessen
sich bald dem neuen Brauche an, wenn sie auch nicht ganz
die lateinisch geschriebene Urkunde ausser Kraft setzen. Am
längsten halten die Bischöfe an ihr fest.
Eine Zeit lang indes schien sich die alte Gewohnheit
noch in bestimmten Formeln der Urkunde halten zu wollen,
wenigstens leiten die meisten Urkunden mit einer lateinischen
Begrüssung^ ein, und nicht selten erscheint das Datum in
lateinischen Worten. Das Nähere soll sich durch eine kurze
Betrachtung der Bestandteile einer Augsburgischen Urkunde
ergeben.
Die Wandlungen, in denen wir im Vorhergehenden die
Bestimmungen über die Beurkundung, die Fassung und die
Sprache der Dokumente begleitet haben, sind, wie wir oben
vorausschickten, auf die Zusammensetzung des Instruments
nicht ohne Einfluss gewesen. Während nämlich im ganzen
die Urkimden der älteren Augsburger Zeit bis zum Anfang
— und die klerikalen bis zum Ende des 13. Jh. und darüber
hinaus — eine sichtbare Uberladenheit in Bezug auf Phrasen
und religiösen Bombast aufweisen, macht sich im Laufe des
13. Jh. eine realere Richtung geltend; man setzt sein Ver-
trauen mehr auf gesetzlich sanktionierte und konkrete Be-
glaubigungsmittel. Ziemlich treu veranschaulicht die An-
forderungen, die man noch in der ersten Hälfte des 13. Jh.
an ein Notariatsinstrument stellte, die Urkunde vom Februar
1239 : 'Vogt Heinrich Vraz und die Stadtgemeinde bestätigen
eine Schenkung an das Nonnenkloster zum heiligen Geist in
Augsburg'. Den Eingang bildet eine feierliche invocatio:
'Honor sancte et individue trinitatis et in terra pax hominibus
amen'. Das Protokoll beginnt mit einem speziellen Segens-
' Sie verdankt ikr langes Leben wohl nur dem Umstände, dass sie
ein ekklesiastischer Bestandteil ist.
278 Zweiter Absohnitt. 32
wonach: 'universis hanc litteram inspecturis . . .' Es folgt
als arenga die Begründung der schriftlichen Beurkundung
des Falles: 'Oblivio et malignitas hominum humana negocia
sepius perturbare consueverant, si Uteris et testibus non
fuerint solidatae. Ad hunc itaque errorem evitandum sig-
nilicamus singulis et universis, quod . . .', und nun folgt die
narratio.
In den Jahren 1235/9 vollzieht sich eine Wandlung in
dem Beurkundungsverfahren der Stadt ^. Während noch am
18. Febr. 1235* ein Verkaufsakt *in publice judicio' d. h.
im öffentlichen Stadtgericht 'presidente episcopo Sibotone'
vorgenommen wird, erledigt man eine ähnliche Handlung im
Februar 1239 'in publice judicio', wo zugegen sind der Yogi
^omnesque burgenses et populus Augustensis' ; 1246^ fällt auch
das 'publicum Judicium' weg: der Beurkundungsort ist ein
Haus in Augsburg, und es genügt die Besieglung mit dem
Siegel des Auetors und dem Stadtsiegel, und besonders
wird hervorgehoben: 'protestamur litteras, et eas in argu-
mentum memorie certioris sub testimonio subscriptorum, qui
testes sunt concessionis nostre'. Die Wichtigkeit der Zeugen
für den Wert der Urkunde erhellt aus ihrer ungewöhnlich
grossen Zahl: 50 sind namentlich angeführt 'et allii quam
plures'. Eine Urkunde von St. Peter, ausgestellt von dem
Probst des Klosters, weist Siegel der Pfleger und des Kapitels
von St. Peter und eine starke Zahl Zeugen auf; darunter ein
Waltherus presbyter. 1254 besiegelt der Bischof die Be-
stätigung seines Schiedsspruchs zwischen ihm und der Stadt
mit seinem, des Kapitels, der Prälaten und der Stadt Siegeln.
1257^ finden sich 15 Siegel an einer Urkunde, die der Rat
im Beisein des Vogtes dem Kämmerer von Wellenburg aus-
stellt. Vorangeht das sigillum des Bischofs, es folgt das Siegel
des Kapitels, 10 Bürgensiegel, die Siegel des Kämmerers von
Wellenburg und des Vogtes und das Stadtsiegel. Nicht aus-
^ Chr. Meyers Begrenzung ('zwisoben 1235 und 1253') ist zu weit
gezogen. « Siadtb. S. 819. » ürkb. I, S. 6.
* Urkb. I, S. 15.
33 Normen und Bestandteile. 279.
drücklich jedoch wird unter den Bekräftigungsmitteln^ die
im Eingang der Urkunde als Unterstützung ihrer Hechts*
kraft gegenüber der 'malicia hominom' angeführt werden^
die Bedeutung des Siegels heryorgehoben. Die Bürgen, hier
zugleich Zeugen, nehm^i zweifellos den bei weitem wichtigsten
Platz in der Reihe der Mittel zur Bekräftigung einer Urkunde
ein. Diese Gewohnheit hält sich in den Urkunden, die Yom
BAt ausgehen, später in den Privaturkunden in deutscher
Sprache noch lange und verliert auch im 14. Jh. ihre Kraft
nicht, wenn auch vereinzelt in dem letzten Dezennium des
13. Jh. und last regelmässig im 14. Jh. an Stelle der grösseren,
oft willkürlich gewählten Zeugenanzahl eine begrenzte Zahl
tritt, die fast auf gesetzlicher Feststellung zu beruhen scheint.
Städtische üiiamden führen nämlich nur noch die beiden
Bürgermeister, drei bis vier Eatgeben, selten den Stadtschreiber
und noch seltener bei dem Geschäft beteiligte Privatleute als
Zeugen auf.
Die ürkundenformeln haben in den letzten drei Dezennien
des 13. Jh. gleichfalls eine Wandlung erfahren, die sich be-
sonders in den deutsch abgefassten Schriftstücken als durch-
greifend offenbart. Während noch in den fünfziger und
anfangs der sechziger Jahre jede Urkunde mit der Formel:
'In nomine patris et filii et spiritus sancti amen', selten
kürzer 'In nomine dei etemi amen' oder 'In nomine sancte
trinitatis' beginnt ' und nur der Bischof sich gestattet, sdae
Willenserklärung ohne jede devotio nur mit seinem Namen,
höchstens von dem Grass an die Empfanger begleitet, ein-
zuleiten, während noch 1267 der Bat eine Yergleichsurkunde
mit der längeren Begrüssungsformel : 'Grada, pax et Caritas
tJtissimi dei sit cum onmibus Christi fidelibus amen!' beginnt
und eine Berufung auf eine Bibelstelle anreiht, ehe er mit
der narratk) einsetzt, bleibt zunächst in den Urkunden des
Bischofs, ob er nun unbeteiligt als Schiedsrichter oder be-
stätigend das Instrument ausstellt oder ob er selbst als
Partei Über einen Gegenstand urkundet, von 1260 an häufiger
» Urkb. I, 8. 8 u. 11.
19
280 Zweiter Abaohnitt 34
die umständliche salutatio weg. 1266 im März findet sein
Vorgehen Nachahmung auch bei dem Bat, indem dieser die
Urkunde sogleich mit : Oonsules et universitas civium civitatis
Auguste universis paginam presentem inspecturis salutem'
beginnt. Die motivatio hat auch er noch. Sie hält sich
überhaupt am längsten von den älteren Formeln der Ur-
kunde. Dagegen verschwindet von dem Jahre 1273 an voll«
ständig in den Instrumenten der städtischen Kanzlei, sowohl
öffentlicher als privater Natur, die alte Form der devotio,
und es erscheint die schon im August 1268^ von dem Bat
vereinzelt verwendete Eingangsformel ^In nomine domini
amen'. Ihr folgt sofort die subjektive Namensnennung des
Auetors. Da diese Urkunde zugleich die erste ist, die 'Con*
radus notarius civitatis' unterzeichnet, glaube ich diese
Neuerung ihm zuschreiben zu dürfen. Die neue Formel er-
scheint von jetzt an in allen jenem Schreiber zuzuweisenden
Urkunden und wird von seinem Nachfolger Rudolf 1280
aufgenommen ^ Auch die Grussworte fallen nun weg. Zum
letzten Male finde ich sie in der ersten von Konrad (S^)
deutsch geschriebenen Urkunde von 1273, 13. Mai: 'Ich Mar-
quart des Baiers fun gruze alle die die difen brief lefen,
horent oder fehent in got vnde tvn kvnt an diefem brieve
offenliche'. Gleich die nächste uns erhaltene Augsburgische
Urkunde in deutscher Sprache zeigt nur noch die nun feste
Form der Einleitung 'In nomine domini amen. Ich N. N.
tvn chunt allen den die disen brief laesent, hoerent oder
iaehent', die bald durch adverbielle Zusätze wie 'offenlichen'
eine Erweiterung erfährt. Eine merkwürdige Einheitlichkeit
zeigen alle klerikalen Urkunden gegenüber dieser Formel
der städtischen Urkunden; diese haben nur: 'lesent, hoerent
oder fehent' jene dagegen ausnahmlos: 'fehent^ lesent vnd
horent'^, und es ist bezeichnend, dass Sg^, als er eine Ur-
^ Urkb. I, S. 87. « Urkb. I, S. 62.
' Als Belege können noch dienen: 1S89, 29. März: Spital an das
SiechenhauB von St. Servatius : 'fehent, lefent vnd horent' (A) (Schreiber
des Spitals). 1809, 11. Nov. : St. Margareta an das Spital : 'fehent, lefent
oder hoerent lesen' (A). ^ Ss » Stadtschreiber Rudolf (1280—1808).
35 Normen und Bestandteile. 281
künde des Klosters Oberschönfeld an das Spital im März
1286 (A) schreibt, entgegen seiner Gewohnheit die klerikale
Formel verwendet Einen wie grossen "Wert man auf die
Feststellung solcher Formeln legte, zeigt sich darin, dass
der Stadtschreiber von 1346 — 1368, Nicolaus Hagen (Sj,),
in einer von seinem Gehülfen vorgenommenen Abschrift^
des Zollvertrages von 1282 zwischen Bischof und Stadt das
ansehent oder hoerent lesen', das dem Abschreiber als die
Formel seiner Zeit geläufig war, verbessert in die dem Jahre
1282 angehörende Formel des Originals 'lefent, hoerent oder
sehent', obwohl er sich an andern orthographischen Versehen
des Abschreibers nicht stösst noch sie einer Verbesserung
f&r wert erachtet. In dem ersten Jahrzehnt des 14. Jh.
nimmt die Formel 'lefent, hoerent oder fehent' die Gestalt
^anfehent oder hoerent lefen' an, wohl nach dem Muster der
fürstlichen Urkunden, z. B. 1292, 8. Febr.: ^Wir Ludowich
. . . von Bayern. . . . fehent oder hoerent lefen'; 1304,
19. März : König Albrecht an die Stadt ^ . . ansehent oder
hoerent lesen'. 1301, 8. Nov. hat eine Urkunde des Spitals:
^lefen oder hoerent lefen'. Zuweilen kehrt die ältere Formel
noch wieder^; 1315, 3. Juli: Bat 'lefent, hoerent oder fehent';
1318, 22. Nov.: Bürger *lefent, hoerent oder fehent'. Nach
1320 lebt sie nur noch in klösterlichen Schriftstücken: 1327,
3. Mai: St. Stephan 'lefent, hoerent oder fehent'. Von 1361
an fällt die Formel ganz weg.
Einem ähnlichen Wechsel unterliegt die andere Formel
des Einleitungspassus der Urkunden : 'Ich N. N. . . . tun kunt'.
Diese Form erhält sich bis ins 14. Jh. hinein durchaus im
Gebrauch, wird aber häufig seit dem 4. Jahrzehnt mit der
Form 'vergib vnd tun kunt' vertauscht. Diese Gestalt ge-
hörte von jeher schon im 13. Jh. dem fürstlichen £anzlei-
gebrauch, namentlich in Bayern, an, sie erscheint in einer
städtischen Urkunde von 1313, 3. Mai zum ersten Mal als
1 Missivbach der Stadt Augsburg: N. 209 (1364?).
* Das zeitweilige Wiedererscheiiieii wird wohl eine Folge des Vor-
lagen- und Formalarwesens sein.
19*
283 Zweiter Abschnitt. 86
'tvn kimt vnd yergih* (Schreiber ist S,^). Von 1828 an findet
die neue G-estalt allgemein in den Augsborger Kanzleien
Eingang.
Als Kriterium der Beweiskraft der Urkunde drängt sich
nun seit dem Ausgang des 13. Jh. auch die Besieglungsformel
im Kontext hervor. Die Anh&ngung des oder der Siegel
wird nun ausdrücklich hervorgehoben, häufig mit dem Zusatz^
dass diese Bekräftigimg besonders erbeten ist^.
Noch verdient ein wichtiger Teil der Urkunde eine
Betrachtung ; es ist die Schlussformel mit dem Datum. Darin
treten zwei Formen auf, bald jede für sich, bald beide zu-
sammen. Die eine Fassung ist 'Hec acta sunt', die andere
'Datum', verbunden 'Actum et datum'. Die erste ist die
älteste und wird bis in die sechsziger Jahre ausschliesslich ge-
braucht. Erst 1268^ erscheint einmal in einer Bischofsurkunde
das 'Datum*. Schon von 1259' an jedoch war in Bischofs-
urkunden die Fassung 'Actum et datum' üblich geworden.
Vom 17. Aug. 1272 an nimmt sie auch die städtische Kanzlei
auf, wohl auch als eine Neuerung jenes Konrad (S^), nach-
dem dieser im Aug. 1268 nachweislich zum letzten Male 'Acta
sunt hec' gebraucht hatte. Die Formel 'Actum et datum^
ist es auch, die dann, ins Deutsche übertragen, in der ersten
Zeit der deutschen Urkunden sich behauptete mit dem Wort-
laut : 'Do daz gefchah vnde dirre brief geben wart' oder : 'Do
daz gefchah vnde ouch dirre brief gefchriben wart'. 1280
heisst es einmal unter dem Stadtschreiber Budolf nur: 'Do
daz gefchah'^, und 1283 erscheint am 29. März dieselbe
Fassung. Bald wird diese häufiger und läuft parallel mit
den Formeln der lateinischen Urkunden des Bischofs 'Datum',
* Einmal fehlt auoh in einem Instrument Eonrads (Si) die Biv
wahnung des Siegels» Das in der That aber vorhandene Stadtsiegel lässt
an der Originalität der Urkunde auch im diplomatischen Sinne nicht
zweifeln.
* 1268, 26. April (Urkb. I, a 86).
* 1S59, 1. Dez. (ib. S. 19).
* ib. S. 76.
87 Normen und Beatandteile. S83
seltener ^Actum et datam*. Nachdem noch einmal eine Ur-
kunde Langemantels vom 30, Jan. 1288 die Formel ^der brif
wart geben' getragen hat, erscheint später nur noch 'Do daz
geschach'. Erst der vielfache Vorgang der fürstlichen Kanz-
leien und obrigkeitlichen Orte yerhalf dem 'Der brief ill geben'
Yom 3. Juli 1316 an zum endgültigen Siege über die andere
Passung.
Darf man nun in diesen so häufig und scheinbar geradezu
willkürlich wechselnden Formen eine bestimmte Bedeutung
für das Beurkundungsyerfahren sehen? Oder sind sie das,
was sie nach dem Schicksal aller solcher Formeln sein
können, nämlich die Überbleibsel längst überlebter Ausdrucks-
formen von Handlungen, die einstmals wirkliche Handlungen
waren, aber im 13. Jh. jedes Leben verloren hatten, ja kaum
noch verstanden werden konnten? Ich schliesse mich der
Ansicht an, dass in jener Doppelform 'Actum et Datum' in
der That zwei getrennte Handlungen liegen, von denen die
erste eine Yoraufzeichnung des Willens des Auetors unter
Zeugen ist, die zweite auf die wirkliche traditio der Urkunde
weist, die oft zu anderer Zeit erfolgte. Dagegen glaube ich,
dass nicht in jedem Falle eine solche Yoraufzeichnung zu
^inem vollständig ausgeführten Konzept erweitert wurde,
vielmehr wird die Yoraufzeichnung, eine blosse Skizze, gar
nicht immer bei der gleichen Gelegenheit wie die Abfassung
des Instrumentes und auch nicht von dem ausfertigenden
Schreiber vorgenommen, sondern in den meisten späteren
Fällen von der die Beurkundung heischenden Partei mit^
gebracht worden sein. Zu diesem Schluss veranlasst mich
die Beobachtung, dass die in solchen Notizen wohl fsat allein
vertretenen Eigennamen oder auch die in das Rechtsgeschäft
eingeschlossenen Objekte in der Urkunde selbst in einer
Form und Orthographie erscheinen, die sich mit der sonstigen
Schreibweise des Schriftstückes nicht zu vertragen scheint.
Der Schreiber hat dann die Yomotizen diplomatisch treu
benutzt Wenn aber die um Beurkundung bittende Partei
Aufzeichnungen im voraus gemacht hat, so schliessen wir
284 Zweiter Abschnitt. 38
weiter, dass das Rechtsgeschäft schon abgeschlossen ist; also
bezeichnet 'Actum' oder deutsch 'do daz geschach' einen
thatsächlichen Vorgang, der seinen Abschluss durch die
schriftliche Beurkundung findet^. Die Niederschriften der
Yon mir eingesehenen handschriftlichen Augsburger Quellen
weisen eine Trennung des Geschäftsabschlusses Yon der Da-
tierung nicht auf, abgesehen von einem Falle, wo die Jahres-
und Tageszahl später hinzugefügt wurde. Die Schriftstücke
sind in einem Zuge angefertigt ; einmal nur hört ein Schreiber
in einer Urkunde von 1338 in der siebenten Zeile auf imd
lässt den Best yon einem andern schreiben.
Die Datierung ist durch Stammesgesetze sowohl als
durch wiederholte Dekrete der deutschen £[aiser ftlr die
deutsche Urkunde vorgeschrieben*. Die Augsburgischen Ur-
kunden sind alle datiert, wenn auch vereinzelt die Angaben
der Vollständigkeit ermangeln. Über die Stellung, die man
der Datierung in den Urkunden anweisen sollte, fehlen Be-
stimmungen. Sie ist jedoch bei den aus den Augsburger
Schreiborten hervorgegangenen Instrumenten einheitlich am
Schlüsse des Textes. Nur am 12. April 1262 bringt der
Schreiber einer Urkunde des Bischofs Hartmann das Datum
am Anfang des Aktes und verweist am Schlüsse darauf:
'anno et die praenotatis'. Die notarii publici erst lieben es,
das Datum voranzustellen'.
Die Datierungsformel besteht gewöhnlich aus Zeit- und
Ortsangabe. Letztere fehlt regelmässig in den innerhalb der
Stadt und ftir Angehörige des Augsburger Distrikts ange-
fertigten Schriftstücken. Die Zeitangabe hat im Laufe der
Jahrhunderte ihre Form gewechselt Zuerst und am längsten
bediente man sich der Monatsdatierung, der römischen aus-
schlieslich die städtischen Schreiber in den lateinischen [J]>
> Vgl. BresBlau S. 846.
' Vgl. Bresslau S. 819 f.
' Vgl. die Drucke in Mon. Boica XXXTTT von 1290 an und im
Urkb. Bresslau (S. 821) erklärt dieses Verfahren fiir eine Nachahmung
des Verfahrens der italienischen Notare.
39 Normen und Bestandteile. 286
konden« Von dieser Datierung scheint bis zur Mitte des
13. JL 'in indictione' unzertrennlich gewesen zu sein. Nur
selten fehlt dieser Zusatz. Stadtschreiber Konrad (S^) ver-
wirft ihn, und nur bischöfliche Urkunden fuhren ihn noch
hie und da. Mit Bücksicht darauf, dass die vom Stadt-
Bchreiber ausgefertigten Urkunden des Bischofs dieser Art
der Datierung ermangeln, kann die Anwesenheit der indictio
somit als ein Charakteristikum für die der bischöflichen
£anzlei entstammenden Diplome gelten. Die kaiserlichen
ürkundenschreiber bleiben noch lange in der alten Gewohnheit,
wohl bis zum Ausgang des 13. Jh. Die Einführung der
deutschen Sprache bringt auch hier eine Wandlung heryor;
man pflegt nunmehr nach den Tagen, beweglichen und un-
beweglichen Festtagen, zu datieren; die Tage selbst erscheinen
mit der heimischen Benennung. Von der sogenannten bolog-
nesischen Datierung ist nur ein Beispiel vorhanden in einer
Urkunde des Bischofs von 1249 ^ ; es bezeugt, dass diese Art
der Datierung an verschiedenen Orten Deutschlands schon
in der Mitte des 13. Jh. bekannt, wenn auch nicht oft ver-
wendet war.
Für die Jahresdatierung benutzen alle Augsburger Kanz-
leien vor dem Beginn der deutsch geschriebenen Urkunden
nur die ein&che Jahresangabe 'anno . . ', seltener mit der
genaueren Bestimmung 'anno incamationis dominice*, die für
die ganze spätere Periode, d. h. von der zweiten Hälfte des
13. Jh. ab, Begel wird, aber schon vorher, auch wo sie
nicht zum Ausdruck gebracht wurde, massgebend war. Dieses
'annus incamationis dominice', verdeutscht; 'jar . • . nach
Christes geburte' zählt in Augsburg vom 26. Dez. ab. Ich
kenne keine Abweichung. Für die Judengemeinde ist diese
Bechnung gleichfalls Brauch geworden.
* 1249, 1. Juni: Bisohof Hartmann bestätigt eine Schenkung an
das Hospital zum hl. Geist (Stadtarchiv) ' . . . Acta sunt in Castro nostro
Mergatowe anno domini millesimo CCXLYIIII, intrante mense iunio,
indictione sexta. Testes sunt: . . . Haertwicus notarius nostei^ (so.
episcopi). 1261, 9. Mai: Bischof Hartmann . . . hat nicht bolognesische
Datierung: 'Acta sunt anno domini MOGLI Vll idus maii.*
286 Zweiter Abiohnitt 40
Gteschrieben sind die Angsburger Urkunden, die mir
handscliriftlidi Torgelegen haben, sämtlich auf Pergament.
Pergament wurde auch als Stoff für die städtischen Rechts-
bücher (Stadtbnch, Achtbuch, Bürgerbuch) benutzt. Nur das
MissiYbuch ist Yon Papier hergestellt Seine Anlage fällt
nicht Tor die Amtszeit Nikolaus Hagens (S^,), wahrscheinlich
in den Anfang der sechziger Jahre. Eine handschriftliche
Beschreibung des Missivbuches durch den StadtarchiTar
Dr. Buff ist in den Codex vom eingeheftet Doch hat
wohl schon um 13S0 ein Missivbuch bestanden ; in den Bau-
meisterrechnungen nämlich werden häufig Ausgaben f&r
Papier erwähnt. Für die Schreibutensilien hatte laut Stadt-
fichreiberordnung Ton 1361 (?) der Stadtschreiber selbst zu
sorgen.
Ich füge an dieser Stelle endlich^ noch einige Bemer-
kungen über die Führung der städtischen Rechtsbücher Augs-
burgs und über ihren Charakter bei. Für das Stadtbuch sei
auf die Einleitung der Ausgabe Chr. Meyers verwiesen.
Das Achtbuch wurde 1346 durch das Gesetz Kaiser Ludwigs
zum Reichsachtbuch. Seit 1349 werden die Achterklärungen
häufig in die feierlichen Formen gekleidet: 'Anno ... an
dem . . . habent die Ratgeben der Stat ze Auspurg . . .' oder
^Do man zalt . . . habend die Burger gemaindich Arm vnd
Rieh mit dem Olainen vnd grozzen Rat . . . verboten'. Die
Yoranstellung des vollen Datums, Jahr und Tag, vor jeden
Eintrag fährt Nikolaus Hagen (S^,) 1347 ein (Achtbuch
61a, I); zuweilen' sind einzelne Eintragungen nickt mit
einem Male fertiggestellt worden.
Kanzleien und Schreiber in Augsburg.
Die in der Überschrift getroffene Unterscheidung zwischen
'Kanzlei* und 'Schreiber' bedarf einer Rechtfertigung.
Schreiber, Berufsschreiber im einfachsten Sinne des Wortes, hat
' Vgl. o. S. 9 f.
• £. B.: 80b, I, 1876.
41 Kanzleien nnd Schreiber in Angsbnrg. 287
es während unserer Zeit in Augsburg viele gegeben. Obenan
stehen diejenigen, welche den verschiedenen Schreibbedürfnissen
der städtischen Verwaltung naohzukonunen hatten, und deren
mehrere zu gleicher Zeit fungierten. In grösserem Massstabe
hat der Bischof und unter seiner Oberleitung das Domkapitel
Schreiber beschäftigt, im Anschluss besonders an das letztere
werden wir auch Schreiber des Hofgerichts (judices curiae)
kennen lernen. Urkunden sind ferner bestimmt und mit ge-
wissem Typus behaftet aus den zahlreichen Klöstern Augsburgs
hervorgegangen, folglich hielten sich in ihren Mauern mit
dem Schreiberamt betraute Personen auf. Endlich ist es ge-
wiss, dass nicht wenige Augsburger Privatleute über ein
Schreiberpersonal verfugt haben. — Nicht alle diese auf-
gezählten Funktionäre oder, wenn wir wollen, nicht alle diese
Schreiborte dürfen die Bezeichnung 'Kanzlei' beanspruchen.
Es hängt die Berechtigung, eine Schreibstube als „Kanzlei^
zu bezeichnen, nicht davon ab, in welchem Umfange das
Personal derselben vertreten ist, auch nicht davon, daj9s das-
selbe öfter oder überhaupt jemals in einer Situation uns be-
kannt wird, welche ihm eine gewisse Bedeutung, sei es nur
für die betreffende Angelegenheit, sei es für zeitlich, örtlich
und gegenständlich ausgedehnte Thätigkeitsgebiete, verleiht;
ich nenne also nicht 'Kanzlei' etwa die Schreibstube eines
augsburger Patriziers, der durch seine ausgebreitete Handels-
thätigkeit, auch wohl infolge einer gewissen handelspolitischen
Stellung in die Lage gekommen ist, sich eine oder mehrere
Schreibkräfte für seine Geschäftsbedürfnisse dienstbar zu
machen; es könnten derartige Funktionäre höchstens die Be-
zeichnung 'Handelsschreiber' beanspruchen. Aus ähnlichen
Gründen kann ich einer weiteren Kategorie von Schreibern,
denen ich im Zusammenhang ihre Stelle anweisen werde,
nicht mehr als die für sie überlieferte Benennung 'Hofschreiber'
zuerkennen. Alle diese letztgenannten Leute dienen mehr oder
weniger nur Augenblicksbedürfnissen, wenn auch in vielen Fällen
ein solcher Bediensteter durch Geschicklichkeit und Treue im
Dienst seine Stellung zu einer dauernden machen konnte.
288 Zweiter Abschnitt. 42
So wie ich den Begriff 'Kanzlei' gefasst wissen will,
müssen vornehmlich zwei Bedingungen zugleich erfüllt werden:
1) Der Schreibort muss die Befugnis haben, selbständig
Rechtsgeschäfte vorzunehmen, sei es fär sein eigenes Terri-
torium, sei es für Andere, welche seine Dienste heischen,
d. h. seine Glieder müssen als öffentliche Beamte gelten dürfen.
2) Die Beamten müssen in einer gewissen Zahl und mit einer
gewissen Beständigkeit erscheinen. Ich sehe daher in erster
Linie in der Schreibstube der Stadtverwaltung eine Kanzlei,
die ich vorläufig mit 'städtische Kanzlei' bezeichnen will;
neben ihr fungiert in gleicher Stellung die bischöfliche Kanzlei,
welche nach der G-ewohnheit der kirchlichen Y erwaltungskörper
des Mittelalters eins ist mit der des Domkapitels^. Alle
andern Ausgangspunkte von Urkunden sind nur Schreibstuben ;
häufig sind diese nicht einmal der Schauplatz des Beurkundungs*
aktes, sondern der Funktionär schreibt an einem andern, zu-
ständigen, d. h. öffentlichen Orte das Instrument.
Ich wende mich nun der Einzeldarstellung des augsburger
Schreibwesens zu. Wenn uns die Überlieferung mit Nach-
richten über eine statutenmässige Organisation derselben in
seinen verschiedenen Schreibherden im Stich lässt, so bildet
das zugängliche Quellenmaterial, wie es mir handschriftlich
und in Drucken vorgelegen hat, eine ausgiebige Fundgrube
zur Feststellung der Personen und gewisser äusserer Kenn-
zeichen derselben. Wenn ich trotzdem zuweilen in die Zwangs-
lage komme, zur Aufklärung dieser oder jener Erscheinung
Schlüsse aus Situationen zu ziehen, in denen uns die einzelnen
Personen und ihre Thätigkeitsplätze bekannt werden, oder nicht
weniger oft Analogieschlüsse zu Hülfe zu nehmen, so sollte
alles dies dazu beitragen, ein möglichst genaues Bild der
^ Tgl. PoBse: Lehre von den Privaturkanden (Leipzig 1887).
Bischof, Domkapitel und Curia sind eins, d. h. sie versorgen sich gegen-
seitig oder besser, das Schreiberpersonal aller drei rekrutiert sich aus
dem Domkapitel: So ist 1349 *Nos Judices curiae . . / und 1349 'Wir
Bischoff . . / von einer Hand geschrieben, und dieselbe ist die S^?
ähnelnde Hand des Domschreibers v. 1347. Freitag nach 4. Januar (A).
43 Kanzleien und Schreiber in Augsburg. 289
Verhältnisse und der Zeit zu geben und doch der Auffassung
des Lesers genug Spielraum zu lassen. Darnach stellte sich
das Gesamtbild meiner Ermittlungen etwa folgendefmassen:
Wie lange schon yor dem Auftauchen einigermassen
sicherer Nachrichten eine städtische Elanzlei bestanden hat,
liegt ausserhalb jeder Berechnung. Die ersten Lebenszeichen
einer solchen setzen mit dem zweiten Drittel des 13. Jh. ein,
und zwar als Namen und Titel unter den Zeugenunterschriften.
Als älteste Bezeichnung für das Amt muss darnach ^cancellarius'
gelten; ein mit solchem Titel belegter Schreiber ist sicher
dann Stadtschreiber, wenn er in Yerfügungsurkunden des
Bates der Stadt nachzuweisen ist und zugleich als ^civis
Augustensis' den Zeugenreihen sich einfügt. ^ Von dem Jahre
1268 an (1268 8. Aug. 'Conradus notarius civitatis.' Ur-
kondenbuch I, 37) verschwindet die Bezeichnung „cancellarius^
ToUständig und macht der nun in allen lateinisch geschriebenen
Urkunden gtUtigen Titulatur 'notarius civitatis' Platz, welche
in den deutsch abgefassten Schriftstücken als 'der ftet fchriber'
verdeutscht wird. Eine RangabstufuDg dieser Beamten, kennt-
lich durch die Bezeichnung 'protonotarius,' = 'oberster
Schreiber' lässt sich für unsere Zeit nicht erweisen, und ist, wie
spätere Ausführungen darthun werden, zweifellos nicht vorhanden
gewesen. Der Platz, den der Schreiber unter den Zeugen sich
geben darf, ist gesetzlich nicht festgesetzt; die Etikette über-
liess es ihm in den Jahren vor 1273 wohl, sich unter den
Laienzeugen einen Platz anzuweisen; seinerseits ist das Be-
mühen nicht zu verkennen, unmittelbar hinter den Rats-
herren der Stadt zu figurieren. Erst mit dem Jahre 1277*,
sicherlich nach 1281 wird der Brauch fest, dass der Stadt-
schreiber die Brcihe der Zeugen, soweit sie namentlich auf-
geführt sind, schliesst^.
* z. B. 1S65 März. (A). (Urkb. I, SO).
' d. h. 1277, 10. Kai kann ich den Stadtschreiber namentlich zum
erstenmale als letzten der Zeugen konstatieren : vgl. jedoch 1281 28. Juni
(ürkb. I, 66).
* 1383 Mitwoch vor St. Afra, ist unter den Zeugen, zwischen den
Bürgern Ulrich der Stetschriber genannt. Es ist jedoch zweifelhaft, ob
S90 Zweiter AbBchnitt. 44
Es erhebt sich nun weiter die Frage ; unter welchen Be-
dingungen konnten die Schreiber damals zu dem Posten ge-
langen, und unter welchen Bedingungen bekleideten sie ihn?
Für den ersten Punkt käme sunächst die Herkunft der
Stadtschreiber in Betracht, unterstand dieselbe festen Vor-
schriften? Vorhanden sind solche nicht, doch ist man
, sicherlich zu keiner Zeit gern yon der Grewohnheit abgewichen,
sich diese Beamten innerhalb der Stadt auszusuchen. Anders
wenigstens kann ich es nicht deuten, dass zwar alle Stadt-
schreiber, wenn sie namentlich in den Urkunden vorkommen,
nur als cives Augustenses oder ^burger von Auspurch' er-
scheinen, dass jedoch das Bürgerbuch mit Ausnahme eines
oder zweier Fälle ^ nie ihrer Aufnahme unter die Bürger £r-
•wähnuDg thut. Sie können sämtlich ¥on der Zeit an, wo das
Bürgerbuch regelmässig geführt wird, im 14. Jh. nur Augs-
burger Kinder gewesen sein oder, bevor sie ihren Posten an-
traten, schon die Berechtigung, Bürger zu heissen, besessen
haben. Für das Amt jedenfalls konnte ersterer umstand
nur ein Vorzug sein. — Wie stand es weiter um die Fach-
bildung der £[anzleibeamten und um ihre bürgerliche Stellung?
Hier verlässt uns die Überlieferung vollständig. Wir erfahren
weder von einem Examen, das der Schreiber vor seiner An-
stellung ablegen musste, noch von irgend einem Nachweis
ihrer Qualifikation, noch auch lässt uns eine Nachricht von
der gesellschaftlichen Stellung, welche der Schreiber einnahm,
oder von der Stellung seiner Familie einen Schluss auf seine
geistige Bildung ziehen. Höchstens wäre zu bemerken, dass
z. B. die Familie des Stadtschreibers Ulrich Biederet (1339
■^ ■■■^i-« m ■■■■■
derselbe der zur Zeit amtierende Schreiber ist. Ist er identisch mit
dem uns aus den 20ger Jahren (— ISdl?) bekannten Stadtsohreiber
Ulrich, so ist sein amtlicher Charakter an dieser Stelle lehr imaioher.
Die Hand der Urkunde ist jedenfalls die das ganze Jahr 1382 hindurch
erscheinende Hand, d. h. nicht Ulrichs Hand S».
^ 1803 Conrad Ungelter von Landsberg wird Bürger. (1321 'Eüdolf
notarius von Roebach (Roerbach?) subpalatinata' wird Bürger.) 1348
*feria quartapost . . . Vlricus dictus Biedrer civis.* »■ Ulrich der Biederer,
Stadtschreiber? 1343 war Ulrich schon Notar.
46 Kanzleien und Schreiber in Augsburg. 291
bis 1346, 3^5) ikst zu gleicher Zeit einen Bürgermeister^
stellte^ und dass um 1342 auch ein 'Ohünrat der niederer'
einer der beiden Baumeister war. Auch Nioolaus Hagen*
gehört einer Tomehmen Sippe an: Achtbuch 1349 S^^ 146
I. 2. 1349 ist ein Nyclaus der Hagen als Vetter Ulrichs
des jungen Hofmairs, Fritz des Apothekers, Johans desLintfrids,
Peter, Fritz, Johans der Biederer bezeichnet ; Nicolaus Hagen
hat die Eintragung selbst gemacht. In einem Falle finde
ich den Stadtschreiber Heinrich 1317 (Sg) unter den Schieds-
richtern vor in der Streitsache Herrmanns von Pfersee mit
der Stadt, (ürkb. I, 1317.) Bezeichnend ist auch, dass, frei-*
lieh in viel späterer Zeit, ein Stadtschreiber von Augsburg
Heinrich Erlbach 1460 seiner einflussreichen Stellung einen
£jrei8 yomehmer Protektoren verdankte, welche ihn nach seiner
Entlassung nicht fallen liesaen. — Materiell ist die Stellung
der Stadtschreiber eine durchaus günstige zu nennen, wie sich
noch später durch Daten erweisen lässt; Ulrich ist einmal in
der Lage, sich ein Haus kaufen zu können, die Stadt gewährt
ihm dazu einen Zuschuss von 6 Pfund Pfennige. (Baumeister-
rechnungen v. 1322 29. Aug. (Zs. d. bist. Yer. für Schwaben
und Neuburg Y, S. 66). Von Stadtschreiber Rudolf wissen
* 1842: Bertholt der Biedrer mit Bertolt dem Baem Stadtpfleger.
1349 (A.) Chanrad der Minner und Berthold der Biederer sind Stadt*
pfleger. Berchtold der Biederer ist 1844 unter den Familiengliedern der
Sippe Laugemantel-Biederer-Dachs-Hoffmaier genannt in einer Eintragung
des Achtbnches 1844 9 a I. als Kläger gegen die Mörder Haintzen Lint--
frita. Am gleichen Orte bekennt sich Ulrich der Biederer Statfchriber ze
Auspurch als Neffe des Erschlagenen. Die genannten Zweige der Sippe
sind die einflussreichsten Häuser der Beichsstadt. Der Name Biederer
ist schon vor dieser Zeit nicht unbekannt.
' Der Name Bagen ist im Achtbach mehrmals vertreten: seine
Träger sind: Achtbuch 75a I. S». 1856 'fritz der Zimmermann genant
der Hagen, Hainrich Hagen der fchilster sin Brdder.' (Aohtbuch 77 a II.)
1358 'Chüntz der Hagen des Speten knecht.' 1874 wird ein Canrat Hagen
seiner Herkunft nach in die Stadt Ulm verwiesen: 'Chunrat Hagen von
Ulme.' Er steht an diesem Orte noch in Verbindung mit Ulm: 'von
Everr Lent Bet wegefi vä ouoh von den von Ulm Bet wegen . • . fin
Borgen.'
292 Zweiter Abschnitt. 46
wir, dass er yon 1275 an ein Lehen von 2 Höfen und 4 Hof-
stätten in Pintzwangen besass; da er sie als Lehen in seiner
Stellung als Notarius des Herzogs von Kämthen erhalten
hatte, so ist uns sein Ansehen um so mehr verbürgt.
Wenn uns die Nachrichten über die vorangegangenen
Punkte sogut wie gar keinen festen Anhalt geben, so erhalten
wir um so mehr Aufschluss über die Amtsthätigkeit des Stadt-
schreibers und über die Bedingungen, unter denen er arbeitete.
Wir besitzen nämlich etwa aus dem Jahre 1362^ eine Stadt-
schreiberordnung, deren Verfügungen für die frühere Zeit im
Einzelnen durch die Baumeisterrechnungen der Jahre 1320
bis 1331 als bestätigt erscheinen. Damach ist der Stadt-
schreiber* ein vereidigter Beamter (^Und die vorgefchriben
Sache alle fol er fwem ze den haiigen ainen gelerten aid ze
halten vnd staete ze haben vnd dawider niht ze tun'); seine
Thätigkeit teilt sich in eine streng amtliche im Dienste der
Stadt und eine private. In der ersten Funktion schreibt er
die Steuerrechnungen ^ der Stadt und macht die Eintragungen
über die Geächteten und Stadtverwiesenen in das Achtbuch
und in das Stadtbuch und 'alle die fache die die stat ze
^ Stadtbuch fol. 155 b findet sich der Passus geschrieben, von der
Hand Si? (l^icolaus Hagen) und darnach ein Zusatz von derselben Hand
mit dem Datum : Actum anno domini 1863. Die Gestalt der Schriftzage
des Eintrags versetzt diesen, d. h. den ersten, undatierten, noch vor das
Jahr 1354. Indem nämlich von Hagens (817) Handschrift 3 Erscheinungs-
formen unterschieden werden können (Meyer bezeichnet dieselben als
8 verschiedene Hände VIII, IX, X), hat der Eintrag der Stadtschreiber-
ordnung die Schriftzüge der Form VIII,' 1354 aber schreibt Hagen erst
deutlich mit Form IX.
* Der Text spricht eingangs im Zusammenhang des Wortlautes
von 'ainem stetschriber* und späterhin von 'dem stetschriber*. Es ist
zweifellos, dass die erste Ausdrucksweise keinesfalls auf die Existenz von
mehr als einem Stadtschreiber schliessen lässt.
' vgl. Baumeisterrechnungen a. o. V, S. 1. S. 103: item notario
II ß pro scribendo censu. Jedoch durfte auch der Gehülfe des Steuer^
meisters eintragen, S. 68: item Scolari Kafenspurgerii pro inscriptione
thelonii meroatorum V ß. In der Regel aber empfängt der Stadtschreiber
die Voraufzeichnungen aus der Hand des Steuersohreibers (?) und trägt
sie selbst in die Steuerbücher ein.
47 Kanzleien und Schreiber in Augsburg. 293
fchaffen hat, ez si mit briefen oder mit andern Saclien\ Zu
den letzteren gehören auch die Batsprotokolle ; dieselben
werden vom Stadtschreiber angefertigt worden sein, da seine
Gegenwart in dem Gericht und in dem kleinen Bat erwähnt
wird. Als Funktion dabei wird allerdings nur das Umfragen
ausdrücklich angegeben; dagegen wird er Yon den Wahl-
verhandlungen bei der Neuwahl des Rates gänzlich ausgeschlossen,
seine Thätigkeit hierbei beschränkt sich auf das Anschreiben
der Gewählten an die Thür. ^ Neben dieser Thätigkeit im Inter-
esse der Stadtverwaltung stellt der Stadtschreiber seine Feder
in den Dienst der Bürger und schreibt für sie gegen besondere
Bezahlung ^ Sendbriefe^ Handvesten und Leibdingsbriefe. Alle
diese Schriftstücke ist er gehalten nur auf Pergament, nicht
auf Papier zu schreiben ; und dafür muss er allein aufkommen
(^er sol sin selbs pirmit vnd timpten haben^). Desgleichen
soll er sich einen Gehülfen (schuler) halten und zwar auch
auf eigene Kosten. Derselbe hat einen fest fixierten Anteil
an den Privateinnahmen seines Maistei*s. Ob er auch Amts-
nachfolger desselben wurde, darüber verlautet nichts, und ich
kann für meine Ermittlungen darüber aus anderen Quellen
vorläufig nur auf spätere Ausführungen verweisen. — Zu
seiner Ausstattung erhält der Stadtschreiber ausser der statuten-
mässig fixierten Besoldung öfter Zulagen : 'concessimus notario'
in den Baumeisterrechnungen für Instrumente, Eintragungen
u. a. Yon Zeit zu Zeit giebt ihm die Stadt ein Kleid, des-
gleichen seinem Gehülfen. Für die Angehörigen des städtischen
Notars übernimmt die Stadt einmal die Sorge: Baumeister-
rechnungen a. 0. V, S. 30: 1321. 15. März: 'Item dicte Geburrin
m. lib. de pueris notarii occisi.' Ein andermal: S. 169:
1329. 30 Juli : 'Item cives propinaverunt eorum notario quum
filius suus induit habitum predicatorum II. lib.'
Nach dem vorangegangenen dürfte es für unsere Aufgabe
* Baumeisterrechnnngen a. o. Y, S, 28: 1. Febr.: Item Notario
ciritatia pro inscriptione novi consilii. II ß.
* Vom Rat erhält er für seinei diesem und der Stadt geleisteten
Dienste 26 Pfund Pfennig u. s. w. ygl. Stadtbnoh S. 251.
294
Zweiter Absohnitt.
48
▼on grosser Wichtigkeit seiiii auch über die Personen der
Stadtschreiber^ soweit sie den von mir gewählten Zeitabschnitt
ausfüllen, etwas zu hören. Dass die Namen yon Stadtschreibem
erst mit dem zweiten Drittel des 13. Jhs. erscheinen, ist oben
Torangestellt worden. Ich erwähne dieselben hier nur, da sie
für unsere Zwecke eine grössere Wichtigkeit nicht besitzen.
1239. Heinricus Schogoare cancellarius (ürk. derConsules
Tom Februar 1239.) Der Name folgt unmittelbar hinter be-
kannten Augsburger Namen : ülricus Fundanus und Conradus
Barba. (TJrkundenbuch I.), dazu: Mon. Boica XXXTTTa
1246. 8. September: . . . Yolricus Fundanus, Oonradus
curialis cervus, Hainricus Schongovenfis . . . Ciues Auguftenfes.
1246. 29. Aug.: Wernhems cancellarius.
1253. Aug.: „ „ ... CÜTes
Auguftenfes (Copie anno 1264 (Mon. Boica
XXXIII, 80).
ürk. des Bischoffs. 1259.
»
i>
99
1258.
1260.
Domkapitel an Bürger. 1263.
Bitter an Bürger. 1264.
Oonsules für Bürger.
Vogt und Consules.
1266.
1265.
1268.
1. Dec. Wemherus cancellarius
. . . cives nostri (sc. episcopi)
Augustenses (ürkundenb. I).
29. Dec. Wemhero Cancellario
. . . Ciuibus Augustensibus.
. . . dominus cancellarius.
23.0ct.Wemheruscancellariu8.
(ürkundenbuch I).
25. Oct Wemherus cancellarius.
. . . cives Augustenses.
Wemherus cancellarius.
99
w
Aug.: Conradift notarius civi-
tatis Augustensis. (A).
Von nun an bietet der mir vorliegende Quellenapparat
eine fortlaufende Beihe von Schreibern, deren Namen ich mit
wenigen Lücken bekannt geben kann:
Mit 1268 Aug. beginnt^ Hand S^ (= I. Meyer Stadt-
^ dazwischen andere Hand Sg.
49 Kanzleien und Schreiber in Augsburg. 295
buch) s= Conradus notarius civitatis, er ist Bürger der Stadt
{1272. 17. Aug. . . . Conradus notarius ciuitatis . . . Cives
Auguftenfes (A.) Er erscheint zum letztenmal:
1280. 20. Juli: Chvnrat der stet Schriber (A. H.)
1280. 13. Dec. Rudolf der ftet Schriber = Sg (=
III. Meyer ^). Er verschwindet jedoch 1281 und seine Hand-
schrift taucht erst 1283 29. März wieder auf. In der Zwischen-
zeit treffen wir auf einen zweiten Conrad: 1281. October:
*. . . (her Sebastian) Conrat der ftet Schribär * genannt.' Seine
Hand, die ich mit S^ bezeichne, da sie mit einiger Gewissheit
schon 1277 und 1280 zu entdecken ist, ähnelt sehr Hand S^ ^.
Von 12b3. 29. März an ist Rudolf Sg wieder ununter-
brechen Stadtschreiber. Wir werden uns mit ihm noch ein-
gehender zu beschäftigen haben ; hier möchte ich nur Folgendes
feststellen :
1) Sg ist zweifellos identisch mit einem Notarius Rudolius
des Herzogs Philipp von Kärnthen 1275. I.Juli. Lucemae:
Ich führe das Nötigste aus der Urkunde an, durch welche
der Herzog seinen Notar mit Höfen in Pintzwanch belehnt.
Mon. Boica: XXXIIIa; 122: 'Philippus . . . dux Ka-
rinthie dominus Camiole et Marchie . . . quod nos attendentes
fidem puram et deu ocionem linceram quam Rudolfus
Notarius noster ad perfonam noftram geffit et gerit
fideliter ... et praestare poterit. Curias noftras fitas
in Pintzwanch videlicet Curiam, inqua residet . . . , cum
Quattuor areis in villa ad istam Curiam Curiam^ . . .
predicto Rudolfe Notario nostro, Iremgardi vxori sue, Rudolf
privigno suo et heredibus utriusque sexus filiiset filiabus des-
^ 1280; 1283—1803: Ss; andere Hände: S4, S», Sa.
« Mon. Boica: XXXIII, 1281.
' Wenn * Conrad* einen Familiennamen bedeutet, wie es nach der
oben angezogenen Stelle für S«: '. . . her Sebastian Conrat' scheinen
möchte, so kann S9 der Sohn oder Verwandte des St sein. Eine zweite
Urkunde der Mon. Boica XXXIII 1282 legt es jedoch nahe, 'her Sebastian'
von 'Conrat* zu trennen.
^ also: 2 Höfe und 4 Hofstatten.
20
896 Zweiter Abschnitt. 60
cendentibus ab eisdem. contolimus tituli feodali Et ad maio'
rem ipsis graciam exbibendam Curias et Areas Uxori Rodolfi
Notarii ac heredibus fuis pro Centum Marcis argenti nomine
dotis siue dotalici Augustensis ponderis recto obligationis
titulo obligamus/ — Wegen eines Lehensbesitzes (1289 in ^Bintz-
wanch^ 1293 in 'Bintzwangen^) kommt Stadtschreiber Rudolf
1289 29. Juni und 1293 20. Juli in Streik mit dem Mark-
grafen Heinrich von Burgau. Die erste Angelegenheit wird
zu Gunsten 'Rudolf des Schriber von Auspurch wegen sines
gutes ze Pintzwauch, daz er lange braht hete rumechliche
. . J* schiedsrichterlich entschieden. Die zweite Urkunde ist
ein Lehensbrief Heinrich yon Burgaus für 'Rudolf den Stadt-
schreiber zu Augsburg* über zwei Höfe und vier Hofstätten
zu 'Bintzwangen.' Dieser Brief ist in seinen Hauptzügen
die Übersetzung des ersten (lateinisch) von 1276. Zum Schluss
wird auch in dem Text von 1293, 'Jremgarten, Rudolfes Hovs-
frowen, Elisbeten, Adelhaite vnd Annen sinen toehtern Hundert
Marck Silbers ze rechter Haimstiwer^ als Pfand gesetzt.
Die Gleichheit des Gegenstandes, der ausser Rudolf beteiligten
Personen nehmen jeden Zweifel an der Identität Rudolfs des
Stadtschreibers von Augsburg und dem Rudolfus Notarius
des Herzogs von Karnthen.
2) Rudolf ist augsburger Bürger, wie die Urkunde von
1293 besagt: 'gen Rudolfen irem bürgere, der do irre ftet
Schriber was.*
3) Er scheint 1281 und 1282 auswärts gewesen zu sein.
Steht damit in Zusammenhang, dass er in der Schiedsurkunde
von 1289 als zu des 'chuniges Rudolfes leuten' zählend gegen-
über den ^leuten* des Markgrafen von Burgau genannt wird?
Sg scheint bis 30. Mai 1303 als Stadt Schreiber amtiert
zu haben, das Münchener allgem. Reichsarchiv bewahrt zwei
Urkunden auf, beide vom 30. Mai 1303, C!onfirmatio der Privi-
legien der Stadt von Bischoff Degenhardt, die eine mit : \ . .
Cvnradus Notarius CSues Augustenses' (A. H. 13) die andere
mit: \ . . Rudolfus Notarius Ciues Augustenses' den Text
schliessend. (A. R. f. 6. N. 3).
51 Kanzleien und Schreiber in Augsburg. 297
Der Nachfolger Rudolfs, der selbst noch bis 1304 Ur-
kunden schreibt,^ ist also noch am gleichen Tage Conrat.
Er ist möglicherweise der 1303 zum Bürger aufgenommene:
Conrad Ungelter von Landsberg, Notarius.^Sg 1303 — 1304?
andere Hände: S^, S,. Geschrieben hat er städtische Ur-
kunden schon in den 90er^ Jahren des 13. Jhs., wohl als
Gehilfe Rudolfs, •als Hand S^ (= IV. Meyer Stadtbuch).
Seine Thätigkeit ist eine sehr kurze und hat den Quellen
nach nicht das Jahr 1303 überschritten. Sein Nachfolger
kann:
S^ sein, dessen Handschrift zum erstenmal 1302 in
mehreren Urkunden begegnet. Er schreibt Urkunden ver-
schiedenen Gebietes bis Augang der 20ger Jahre, als Stadt-
schreiber bis 1314. Während dieses Zeitraums sind ausser
ihm verschiedene Hände thätig. Mit Bestimmtheit weise ich
der städtischen Kanzlei zu: S,,, S^. Einmal ist in einer Ur-
kunde* des Kamerers von Wellenburch, gehörend zur
bischöflichen Familie, vom 12. Juni 1325, welche d!e Hand
S^ trägt, ein 'Chünrat von Gienggen der Schriber' genannt,
da ein Zusammenhang mit Gingen nicht in Betracht kommt,
80 dürfte der Genannte als der Schreiber S^ der Urkunde
anzusprechen sein. Von 1315—1317 folgt Sg, (1315—1317
Sg, andere Hände: S^), in der Urkunde von 1317 als 'Heinrich
der ftet fchriber, burger ze Aufpurch* genannt. 1318 und
1319 (A) tritt wieder S« auf, und zwar allein als Schreiber
der in diese Jahre fallenden, als städtische Urkunden figu-
rierenden Instrumente; (1320—1333? S^; andere Hände:
°io» Sji, Sjj, S^.)
' 1304. 2 Urkunden von Ss: davon eine: 1304. 24. Juli: Gerichts-
bricf (Vogt- Tind Stadtsiegel (A).
* Bürgerbnch ad. a. IdOft.
* 1292. 9. Oktober. 1295. 15. Juli. (Rat . . .) 1295. 23. Nov.
1296. 22. Jnli. 1296. Vogts- (Gerichts-) brief. 1296. Leibgedingbrief.
1296. Brief an Spital. 1297. 2. Febr. . . . 1296 ist S5 allein in den
Quellen vertreten.
* A. St. Stephan, f. 2.
20*
298 Zweiter Abschnitt 52
Von 1320—1331 (1 333 ?) ^ folgt S,,, schon 1308 schreibend ;
er ist der Ulrich der stet Schriber, den uns die Abschrift*
des Stadtbuchs (1324) und einige Urkunden^ namentlich über-
liefern. Während seiner Amtszeit schreiben: 8^^ S^^ S,^g
und sehr häufig S^, jetzt aber überwiegend im Interesse des
Hochstifts.* Von 1332 (1333?) an tritt S^^ ununterbrochen
bis 1335 auf.«>
1336 bis 1339 ist S^g Stadtschreiber; ob ihm der Name
Ulrich zukommt, den eine hinter seine Stadtschreiberthätigkeit
fallende Urkunde seiner Hand von 1340 4. October als Ulrich
^ 1383 mikten vor fant A£EreDtag.: \ . . Maister Vlrich der Stet-
schriber/ jedoch ist diese Urkunde eher von Sis geschrieben, der sowohl
1833 als schon das ganze Jahr 1382 hindurch ausschUesslich geschrieben
hat. 1831 kann ich zum letzten Male die Hand Ulrichs feststellen: 1381
5. Dec. *Wir Ludewich von gotesgenaden Roemscher Chayser' (Land-
friedensurkunde) von Sg geschrieben (vorher 1381. mitwoch vor sant
Katharinentak: * Wir Ludwig . . . Kaiser zu Ulm gegeben/ S9). (fieide
Urkundemim Augsburger Stadtarchiv.)
' Copie das Stadtbuchs von Augsburg, vollendet 1824, über alle
bischöflichen Rechte, im Münchner allgem. Reich sarchiv. Am Schluss:
'. . . Ulricum nom. me hab. . . . mercedem posco.' Um diese Zeit lebte
\ . . Magister Ulricus, Civitatis Notarius.' (Burgerbuch ad. a. 1880. Stetten:
Gesch. d. St. A. S 97.)
' 1821. Samztagvor 7. Iförz: . . «'Maister Virich der Stetschriber'
1829. 22. Februar. \ . . Maister vlrich der SUtschriber.'
*• 1820 an sant Georien abent: wird in der Zeugenreihe der von 85
geschriebenen Urkunde des Bischofs unmittelbar hinter den Chorherren
'Maister Walther vnser Schriber' genannt, loh gestehe, dass die Ver-
hältnisse immer verwickelter werden.
» Die Urkunden : 1832 25. Februar 'Wir die Ratgeben . . .* (A.)
und 1838 mikten vor sant Affrentag (mit Ulrich der Stetschriber unter-
zeichnet) sind nicht sicher Si2 angehörig. S19 war von 1328 an schon
Gehilfe Ulrichs und kann identisch sein mit dem Cunradus Scolaris no-
tarius, dem einem Eintrag in den Baumeisterrechnungen S. 187 zufolge,
1381. April die übliche tunica geschenkt wird, ^* 1821 Conrad Michinger
Scolaris? (Baumeisterrechuungen S. 29) ■« 1825. G. Scolaris mens?
(Baumeisterrechnungen S. 81). Dann wäre Conrat Michinger von 1321
bis 1381 Sohreibergehilfe in Augsburg gewesen. Ein zweiter Gehilfe
Ulrichs ist 1827 Wemlin (Baumeisterrechnungen S. 107). Auch Ludovicus
Scolaris? (Baumeisterrechnungen S. 115. 1827.)
53 Kanzleien und Schreiber in Augsburg. 299
der alt Schriber^ bietet, ist nicht bestimmt zu sagen. Für
die Abgrenzung seiner und seiner Nachfolger Amtsthätigkeit
legen wir am besten die Einträge des Achtbuchs zu Ghrunde.
Hier finde ich Fol. 48 a I. von der Hand S^^ geschrieben
die Bemerkung: 'Ego magr. vlricus factus fui notarius
huius Ciuitatis et . . . Anno dom. MCGCXXXIX. if I Idus
Septembr.' Am 11. September 1339^ also wurde Ulricus^
d. h. Dlrich Biederer ^ nach der Handschrift, zum Stadtschreiber
ernannt. (1339 — 1345 8,5, andere Hände: S^^ und S^,.)
Er schreibt im Achtbuch und in den Urkunden bis 1346.
(Achtbuch: Mittwoch nach 4. Oct., Urkunden: 31. Oct. (A).)
Noch während seiner Amtsthätigkeit erscheint die Hand
Si, (1346—1368 Sj,. (1369? 1370?) andere Hände: S,e
SjB, Sij), in Urkunden von 1346 (1. Febr. 1346 A. hl. Ur. 5).
Von 1346 an können wir ihn Stadtschreiber nennen : Achtbuch
&6a II und IIb I, 1: 'Anno d. MXL fexto feria Quinta ante
palmarum Ego Nycolaus dictus Hagen receptus fui in Notarium
Ciuitatis Augustensis.' Burgerbuch ad. a. 1346: 'Item anno
d. MCCOXL fexto feria Cuinta ante diem palmarum Ego
Magr. Nycolaus dictus Hagen affumptus fui in Notarium
Ciuitatis Aug. et facti funt eines infrascripti/ von der Hand
S,^. Seine Hand reicht in verschiedenen Abstufungen ihrer
Züge (nach Meyer: Stadtbuch: VIII, IX, X.) bis 1368 in
den Urkunden, im Achtbuch aber findet sich ganz isoliert
unter Einträgen der Hand S^^ ein Eintrag von S^, ^ für das
' Im Gegensatz zu dem zur Zeit amtierenden Ulrich der Biederer Sis ?
* Der letzte Eintrag von Sis geschieht am 22. Juni 1339. (6b.
I. 1.) Der erste Eintrag von S15: Donnerstag nach fant Bartholomeus
tag (24. August) (6. b. I. 2) in A. Maentag nach 8. September in B.
(48 a. II).
" Urkunde von 1344 an sant Gylgen abent . . . Maister Vlrich der
Biedrer der Stetsohriber ze Auspurch. (A).
* Dieser Eintrag behandelt den Fall Sighart des Schreibers. Der
erste Eintrag über diesen Process ist von Sie 1370 gemacht, aber durchge-
strichen worden. Auf ein besonderes Blatt nun schreibt ihn Hagen
(S17) nochmals in etwas veränderter Fassung ein (Achtbuch 29a. 1. 1870
inde coUatione Johann Baptizae) Si? hört vorher im Achtbuch auf:
300 Zweiter Abachnitt. 54
Jahr 1370. S^^ erscheint schon 1338 und 1344 als Schreiber
von Urkunden. S^^ schreibt von 1367 an bis 1390. — Das
Ergebnis ist in der Hauptsache folgendes: 19 Hände sind in
der Zeit von 1268—1374, als städtischen Schreibern ange-
hörig, unterschieden worden, von denen ich S^ S^ Sg S^ (S^?)
^8 ^» ^19 ^18 ^15 ^17 ^10 ^^B Stadtschreiberhände, die
übrigen als Gehilfenhände erkläre. Die Zahl der letzteren
kann sich sehr wohl noch bedeutend höher belaufen haben,
sie sind uns nur mit den verlorenen Schriftstücken zugleich
unbekannt geblieben. Nur wenige von den Besitzern dieser
letzteren Hände: S^ S, S^^ S^j S^^ S^g S^^ * scheinen zum
Notar aufgerückt zu sein; bestimmt glaube ich es von S^
(1292, 1296—1297 unter der Ägide von S«), S^ gleichfalls
unter S,, S^ (1308), Sj, (unter Sg). Desgleichen scheint
Ulrich Biederer S5 als Gehilfe seines Vorgängers thätig ge-
wesen zu sein (Urkunde von 1338, von zwei Händen her-
gestellt: angefangen von S^^, beendet von S^,), femer Nicolaus
Hagen S^,, wenn auch nur kurze Zeit und endlich S^^, welcher
möglicherweise dem Maister Hagen während der ganzen Zeit
zur Seite gestanden hat, um nach dem Tode oder der Eme-
ritierung des Meisters selbst zum Stadtschreiber aufzurücken. *
Auf ein Nachfolgerverhältnis im Allgemeinen deutet wohl
die Formel der Nomination : ^receptus sum in notarium civitatis.'
26. b. 1. 1. in A: 1367. n. Mitwoch nach fant Jacobstag. 96. b. I. 2.
in B.: an dem Sambztag nach fant Gallen tag. 1367. 61 e setzt ein:
26. b. I. 2. in A : an dem Donrstag vor fant Elspeten tag 1367. 94. b.
U. 1. in B. an dem Donrstag nach fant Gallen tag 1367.
^ In Sio glaube ich übrigens die Hand des Nachfolgers von Si« 1390
bis ins 15. Jh. hinein, wieder zu erkennen. Sie ist bemerkbar durch
ihren eigenartipfen Typus, der viel eher dem 16. Jh. angehört.
' Es ist immerhin wesentlich, zu wissen, dass die Gehilfen nicht
blos in vereinzelten Fällen eine lange Lehrzeit durchmachen, ehe sie zu
dem Stadtschreiberposten gelangen. Bei vier der uns bekannten Stadt-
schreiber erfahren wir von einer Gehilfenzeit von mindestens zehn Jahren:
85: 1292—1803. S9: 1808-1319. Sit: 132l<-13dl. Si«: 1338, sicher
von 1344 — 1369. Für die Beurteilung ihrer Schreibproducte ist uns
jedenüalls die Kenntnis ihrer Dienstzeit bedeutsam.
S6 Kanzleien und Schreiber in Augsburg. gQl
Was schliesslich noch die Frage anlangt^ ob der G-ehülfe
selbst an der Herstellung der Urkunde teilhaben oder dieselbe
selbständig ausführen konnte, so halte ich dieselbe durch
den Passus der Stadtschreiberordnung hinlänglich beantworteti
indem hier dem schüler ein Anteil an dem Verdienst des
Meisters zugesichert wird für die ürkundenanfertigung. Da
wir zudem nicht wenige Beispiele kennen, wo eine Urkunde
nicht von der Hand des uns für die Zeit bekannten Stadt*
Schreibers, sondern von einer Hand geschrieben ist> welche
zuweilen dem späteren Nachfolger des jeweiligen Stadtschreibers
angehört, so ist es erwiesen, dass sich die Arbeit des Ge-
hilfen nicht auf die Zurichtung des Materials beschränkt hat.
Die mir vorliegenden Archivalien bezeugen, dass der Oehülfe
private und Ratsurkunden schreiben durfte. Bei letzteren ist
seine Thätigkeit vermutlich nur Mundierungsarbeit gewesen;
bei der ersteren Elategorie war eine solche durch den speziellen
Wunsch des Auftraggebers (Auetor oder Destinatar) bedingt,
da wohl eine Reinschrift mit Mehrkosten verknüpft war.
Mehrmals stammen von der Hand des Gehülfen Duplikate:
1317. 1 Urkunde in dreifacher Abfassung:
Sg 1317. Samstag nach 20. Juli unterzeichnet nur von
einem Bürgermeister Hainrich Ritfehart 1317. am selben
Tage . . . Bürgermeister Ritfehart.
S^^? 1317. am selben Tage, unterzeichnet von dem
zweiten Bürgermeister Herbort. — Einträge in das Achtbuch
durfte der Schreibergehülfe gleichfalls machen; bevor Hagen
seine Ernennung zum Notarius civitatis ankündigt, hat er
schon Achturteile eingeschrieben: 66. a. ü. Ego (S^,) . . .
receptus 56. a. I. Eintrag v. S^.^, ebenso 11. a. IL beginnt
S^, fortlaufend zu schreiben, 11. a. I.— IL trägt er schon
«in, als noch S^^ schreibt. Dasselbe Verhältnis besteht bei
Sj^^ und S^Q.
Wenden wir uns nun der bischöflichen Kanzlei zu. Wenn
hier meine Ermittelungen sowohl im Einzelnen als im All-
gemeinen weniger vollständig und zuverlässig sind, als die
über die städtische Elanzlei, so muss ich das um so mehr
302 Zweiter Absohnitt 56
bedauern, als ich im Weiteren mehrfach zu dem Ergebnis
komme, dass die uns in den klerikalen Urkunden, namentlich
den aus der bischöflichen Kanzlei hervorgegangenen, entgegen-
tretende Entwicklung der Sprache Momente zu yerzeichnen
hati welche ein Yoranschreiten vor der städtischen Kanzlei
bedeuten. Kurz, es wäre, wenn wir über die Herkunft und
die Schul- und Sprachbildung der bischöflichen Schreiber
belehrt würden, damit einer der Pfade gefunden, auf denen
die umbildenden sprachlichen Einflüsse in die Schriftsprache
der augsburger Kanzlei, d. h. der städtischen, gedrungen sind.
Wir sind jedoch gerade mit Namen und Personalnotizen durch
die Quellen so schlecht versorgt, dass auch meine Ausführungen
nur auf weniges beschränkt sind.
Die Existenz einer bischöflichen Kanzlei ist allerdings
gesichert. In den achtziger Jahren des 13. Jhs. geht z. B.
neben der Hand 8^ der städtischen Kanzlei eine Hand her,
welche nur in bischöflichen Urkunden erscheint. Gesichert
als bischöflicher Schreiber ist der Träger dieser Hand durch
das Mandatum Hartmanni episcopi vom 21. April 1289 (A.
H. f. 8) ; er kann der 1288 ^ (öfter) erwähnte Chunradus
notarius noster (sc. des Bischofs) sein. 1289 erscheint eine
andere Hand in einer Urkunde des Bischofs (A. H. 9).
1297. 31.. Juli: ^ . Ulricus notarius noster' (Mon. Boica
XXXIII a.).
1320. Wir 'Bischof . . , Maifter Walther vnfer Schriber.' (A.)
1306. 19. Januar : ^ . . H. notarius noster (sc. des
Bischofs) Scolasticus fancti Mauricii' (Mon. Boica XXXIII. a.)
1354. Christan des Domprobftes Engelhart von Entzberg
Schreiber Korherr von St Moritz. (Mon. Boica XXXIII. b.)
1369: Christan von Yotingen genannt.
1369. 'XIV. kal. obiit Fridericus dictus Vltzelman,
Notarius domini episcopi' (Necrolog. Aug. Mon. Boica XXXV.
I, S. 83,)
* 1288. 24. April : Wir Kämerer von WeUenburch . . . Zeugen : . . .
maister Ghunrat nnsers heim Schreiber des bifchofes . . . zugleich mit
Rudolf dem stetsohriber, der die Urkunde geschrieben hat.
67 Kanzleien und Schreiber in Augsburg. 303
1379. '. . . Hermane mins Herren Bifchoffs Schreiber'
(Achtbnch 114. b. II.)
1336 — 1340? ist der Schreiber des Bischofs Heinrich zu-
gleich in der kaiserlichen Kanzlei thätig, welche eben Heinrich
als Kanzler leitet.
3 Notare des Bischofs gehören zugleich der Familie des
Stiftes St. Moritz an:
1258. 29. Dec. \ . . per Albertum notarium nostrum
Ecclesie fancti Mauritij nostre Ciuitatis canonicum inde con-
ceptas et confcriptas literas' (Mon. Boica XXXIII. a. 86.)
1306. 19. Jan. ^ . . H. Notarius noster Scolasticus fancti
Mauricii'. 1354. Christan des Domprobstes Engelhart von
Entzberg Schreiber Korherr von St. Moritz, (vergl. oben).
So weit die sicheren Ermittelungen. Hypothesen meiner-
seits sind es nur, wenn ich den 1313 in einer Urkunde des
Domkapitels als 'magister ülricus dictus Hofmaiger tabellio'
für einen bischöflichen Kanzleibeamten erkläre; ein ülricus
dictus Hofmaier ist in dieser und der folgenden Zeit bis in
die 30ger Jahre eng zur bischöflichen Familie gehörig und
tritt in den meisten Urkunden des Bischofs und denen des
Domkapitels als Zeuge immer in der unmittelbaren Nähe der
als Kleriker charakterisierten Zeugen auf. Belege geben in
reicher Menge das Urkundenbuch und Mon. Boica XXIII,
XXXIII a. und XXXIH b. — Ein Ülricus dictus Hof-
maier ist 1316 Judex der curia^ Augustensis (M. Boic.
XXXIII), wohl derselbe wie der vorher genannte tabellio.
Sonst führe ich noch an: 1310 lY. 'Nonas Octava S. Stephani
obiit magister Ülricus Nidlinger quondam notarius de Tek.'
(Necrolog. Aug. Mon. Boica XXXV. I S. 4) = Krafft von
Kidlingen? 1297. ^Krafbo de Nidlingen maior scolasticus'
(S. 164) dazu: XVIII kal. Dec. (1324-1333?) 'Conradus
de Wimpina scriba quondam domini Kraftonis prepositi' (1324
bis 1333 vgl. Urk. 1330 (M. B. XXXV, 134) ordinatio 10.,
ordinatio 27 (S. 139).
1311. Nonas Maias : 'Chunradus mensurator scriba obiit'
(Necrolog. Aug. Mon. Boic. XXXV S. 50).
304 Zweiter Abschnitt. 68
Ob die bischöflichen Notare sämtlicb mid gesetzesgemäss
E^eriker waren, kann ich nach dem vorliegenden Material
nicht entscheiden; es scheint mir sogar eine Urkunde Yon 1303
*C. notarius noster Heinricus Herbort Cines Aug.' dagegen zu
sprechen ; vgl. dazu die Verordnung des Domkapitels von 1320.
Für das, was sonst noch in Augsburg an Schreibstuben
— ob dieselben Kanzleien nach meiner Definition sind, muss
ich dahingestellt' sein lassen — nachweisbar ist, darf ich
mich kurz fassen, da ich im wesentlichen auf meine Aus-
führungen in dem Abschnitt über die ürkundengeschichte
verweisen kann. Wir haben für das bischöfliche Korgericht
und für die Klöster eigene Schreiber anzunehmen. Für St
Ulrich^ finde ich 1350: Convent von St. Ulrich: . . . Chun-
radus unser Schriber. (Mon. Boic. XXII, 1350 S. 97). 1352.
Vogt an des „Abbtes Schriber ze sant Ulrich'' (Mon. Boica
XXIII, 1352 S. 100). Alles Übrige, was den Titel „Schreiber«
führt, müssen wir den Schreibstuben von Privatleuten zu-
weisen. Ich habe folgendes ermittelt: Langemantel hat
seinen Schreiber. In einer Urkunde wird ein Überfall einer
Augsburgischen Karavane erwähnt, und unter den Überfallenen
ein ^schriber Langemantels\ In den Baumeisterrechnungen er-
scheint 1330 häufig ein Budolfus notarius domini Buedgeri
(-Langemantel?) (Baumeisterrechn. a. a. O. 171, 178.) 1370.
Volken der Volkweinin Schreiber (Achtbuch 104. a. I.) 1366.
der Schryber by Wernlin dem fmit ze Werttachprug. (Acht-
buch 76. a. II.) 1361. t^lrich Hüster ettwenne . . . dez Heuls
fchriber. (Achtb. 83. a.) 1361. Hans Botbeck, item: fin
Schriber. (Achtb. 82. a. L) 1363. Buflin ... dez von Tett-
lingen fchriber. dazu: 1351. Burchart von Tettlingen ainem
Chorherm of dem Tum. (65. b. I). 1340. humus des hof-
fchribers knecht in des kayfers* hof. Achtbuch 6. a. II).
Die im Augsburger Urkundenterritorium auftretenden
Notarii publid sind in dem Abschnitt über Urkunden-
geschichte behandelt.
^ Das Stift St. Ulrich rekrutierte eich naoh seiner Gründaiig> von
Tegernsee aus lange Zeit mit Brüdern von Tegernsee. (vgl. Oberbairisches
Archiv. I, 16 ff.) " oder kayfers?
59 Einzelne Zeichen and Bachstaben. 305
Einzelne Zeichen (Indizes) nnd Buchstaben.
Es ist eine meines Erachtens nicht unwichtige, aber
immer in Untersuchungen, wie die vorliegenden, zu wenig
prinzipiell beachtete Frage, wie die Schreiber es mit dem
graphischen Ausdruck von einzelnen Lauten hielten.
Handelten sie alle nach bestimmten, allgemeinen und
durch traditionellen G-ebrauch geregelten Vorschriften? Oder
waren verschiedene Schulen bestimmend für die Schreibung?
Oder war endlich dem einzelnen Schreiber, wenn nicht in
allem, so doch in der differenzierenden Bezeichnung des einen
Lautes von dem sekundären etwa derselben Lautfarbe und
in der Wahl der Mittel dafür, volle Freiheit gelassen?
Meines Wissens ist Rückert ^ zuerst dieser Frage näher ge-
treten, und die Resultate, welche er aus seinen Beobachtungen
über die von ihm untersuchten handschriftlichen Quellen md.
Schreiborte in seinem ^Versuch einer System. Darst. der
schles. Mundart des Mittelalters^ zusammengestellt, veran-
lassen mich an dieser Stelle auch meinerseits zur Kenntnis
des mittelalterlichen Schreibgebrauches einen Beitrag zu liefern.
Es ergiebt sich mir, wenn ich die von Rückert ermittelten
Zeichen mit denen meiner Quellen vergleiche, welch' letztere
— von vornherein sei es gesagt — innerhalb des von mir
behandelten Zeitraumes ziemlich einheitlich angelegt sind,
dass in der Grestaltung gewisser Zeichen md. und oberd.
(augsburgische) Schreiber von ganz anderen Grundsätzen aus-
gehen. Es liegt im Charakter des schwäbischen Lautstandes,
dass er einen reichen Schatz von Doppelselbstlautern, darunter
solche mit ausgesprochen zweigipfliger Betonung besitzt, und
es ist darum weiter eine natürliche Forderung des Schwäbi-
schen an seine Schreiber, diese Eigenart zum graphischen
Ausdruck zu bringen; daher ist es fast verwirrend, wenn in
ausgeprägt md. Handschriften unter den übergeschriebenen
Zeichen Formen sich finden, welche in schwäbischen Quellen
^ Rückert: Versuch einer systematisclieii Dai^stellung der schlesi-
sehen Mundart.
306 Zweiter Abschnitt. 60
an den gleichen Stellen verwandt werden, hier jedoch mit der
Bestimmung einer vokalischen Geltung, während sie an jenen
Orten mit derselben Bestimmung ausgestattet, der Aussprache
zuwiderhandeln würden.
Gleich die am meisten auffallende Erscheinung, welche
Bückert^ in schlesischen Handschriften vor dem 15. Jh.
findet, ist die zeitweilige Bezeichnung des i in mtn, dtriy rif,
hilt, tif mit t, eine Erscheinung, die, wie er am gleichen
Orte feststellt, nie der Aussprache zukommt und darum nur
eine ungeeignete Form des regelmässigen 7ntn . . . darstellen
kann. Er glaubt deshalb, dass in solchen Fällen kein anderer
Grund massgebend gewesen ist, als die beabsichtigte deut-
liche Unterscheidung, einmal des vokalischen i oder y von
dem konsonantischen, dann des i von einem folgenden n.
Die Art, i mit dem vermeintlichen ' -f eingesetzten Punkt
zu schreiben, pflegen auch die augsburgischen Schreiber
unserer Periode, wenn auch zeitlich und örtlich beschränkt.
Hier ist jedoch das Zeichen zweifellos nur der durch Be-
schleunigung und Verschlechterung des Schreibens entstellte
Buchstabe e, welcher in der Regel einen gesprochenen Laut
versinnbildlichen sollte, und nur durch Analogiewirkung zuweilen,
und öfter mit Rücksicht auf die Etymologie des so ausgezeich-
neten t odery, dem Zeichen für den gesprochenen i-Laut appliziert
wurde, wie namentlich in den Bildungen auf — t aus lateini-
schem ta, ohne dass mehr als ein einfaches i, bald eiy zu
hören war. Später, bei der Besprechung des t, wird uns
noch die Frage beschäftigen, ob und wann dieses über-
geschriebene Zeichen seiner Geltung nach ein e vor dem i
oder hinter ihm ersetzen soll. — Wenn der Schreiber augs-
burgischer Urkunden aber mit dem übergesetzten e eine
solche Beihilfe dem Leser gewähren wollte, wie sie Bückert
in dem L vermutet, so hätte er seinen Zweck durchaus ver-
fehlt, da einige Schreiber beständig den Index nicht über
den Yokalstrich, sondern über das folgende n setzen, oder
da noch andre ganz willkürlich den Platz des Zeichens wählen.
^ Rüükert a. a. 0. S. 54.
61 Einzelne Zeichen and Baohstaben. 307
In gleichem Masse wie für das e über t, ist für das
augsburgische e über a, o, u, in gewissen Situationen der
Zeichenwert wie auch in später noch zu erörternden Fällen^
der Lautwert eines e ausser Frage gestellt. Zunächst ist es
die Gestalt, welche wie in der Schreibung über i^ so auch in
deijenigen über a, o, u nach Vergleichung mit dem in sorg-
fältig geschriebenen diplomatischen Denkmälern unserer Zeit
unverkennbaren e-Zeichen auch ein zwar weniger treffendes
Bild giebt, doch als e zu gelten beansprucht. Es müssen
daher die späteren Schreibungen unserer Zeit, welche die Be-
standteile des e als zwei nebeneinander liegende Striche dar-
stellen, durch andere, ich möchte sagen, mundartfremde Ein-
flüsse zustande gekommen sein. Am nächsten liegt es, als
Ursache an die Schriftstücke der kaiserlichen Kanzlei zu
denken, welche in jener Zeit besonders häufig und eindring-
lich den augsburgischen Schreibern ihre Schreibformen zuge-
führt hat. Doch muss ich auch hier die Beobachtung er-
wähnen, dass in den bischöflichen Urkunden der vierziger
Jahre und der Folgezeit namentlich die nachlässige Schreibung
der Indizes in die Augen springt.
Auch das andere Bezeichnungsmittel L nimmt am Aus-
gang unserer Periode, deren Schriftzüge hin und wieder
schon die Gestalt der späteren Zeiten^ tragen, über a und
selten über u teils die unvollkommene Bogenform 2, teils
die zweier unregelmässig dachförmig aneinander gereihter
Striche mit geringer Krümmung an. An den Circumflex der
Anfangszeit ist dabei kaum zu denken, eher ist der oft dem
r übergesetzte Bogen — und auch dieser Schreibschnörkel
ist ein Charakteristikum der kaiserlichen Urkunden der Mitte
des 14. Jhs., — welcher genau seinem Aussehen nach dem
i-Strich gleicht, dem Index zur Seite zu stellen. Die Unzu-
länglichkeit des Materials und das Fehlen jeder Aufzeichnung
über die Orthographie und Kalligraphie gerade unseres Zeit»
raums, die aus rudimentären Anlagen sich allmählich zu einem
* So Ss 7 in den sechziger Jahren des 14. Jhs. Stadtbach, Meyer:
Hand X.
308 Zweiter Abschnitt. 62
freieren und weniger schwerfälligen Ausseren aufrang, er-
schweren es bedeutend, im Einzelnen die Bestimmung der
verwandten einfachen Unterstützungsmittel zu entscheiden.
Nur soviel glaube ich vertreten zu können, dass die betreffen-
den augsburgischen ürkundenschreiber mit den mystischen
Bogenstrichen über r und i eine geregelte Differenzierung^
weder bezweckten, noch es für erlaubt hielten, mit denselben
vollgültige Vokalzeichen {± _° über a und u, L über a) zu
ersetzen. Es ist das t beispielsweise die schulmässig gelehrte
Form des einfachen Lautes, aber es ist wohl das des _C er-
mangelnde i derselbe Buchstabe, unter gewissen Bedingungen
auch t derselbe Laut, nicht aber ist das A, selbst in ver-
kümmerter Gestalt, ebenso wenig wie das 1. ein blosses Hülfs-
mittel, wie etwa der moderne u-Bogen und der i-Punkt,
während ich in der schon erwähnten zeitweiligen Gestalt des
Index-e über a, o, besonders u ohne Bedenken die ürgestalt
unseres Umlautzeichens :l erblicke. * Ln Übrigen fallt ja
schwer die Macht der Tradition von einem Schreiber auf den
andern, oder ebenso sehr die Gewohnheit, Vorlagen und
Muster zu Grunde zu legen und sogar auszuschreiben, in
die Wagschale. Es ist kaum nötig zu erinnern, wie sehr auf
diesem Wege nicht allein die Verwendung gewisser Zeichen,
sondern auch die Bilder derselben erhalten werden, nachdem
sie andern Zeugnissen, namentlich Beimzeugnissen zufolge ihren
früheren Wert längst eingebüsst haben. Andererseits ist
gerade am Ende unserer Periode in den Sprachdenkmälern
Augsburgs und anderer Dialekte gleicher Zeit der Gebrauch
dieser vokalischen Unterscheidungszeichen, wenn auch sehr
weit getrieben, doch mit einer Art von systematischer Kon-
sequenz durchgeführt, welche weniger an die im Grunde regel-
lose und naive Schreibweise des früheren Mittelalters, auch
seiner besten und sorgfältigsten Schreiber, als an die doktri-
nären Versuche zur Regelung und Feststellung einer deutschen
Orthographie erinnert, wie sie lange vor dem Auftreten der
' Oft zeigen die beiden Striche eine deutlich konkave Rundung
und lassen so die Absicht, ein o zu schreiben, erkennen.
63 Einzelne Zeichen und Buchstaben. 309
ersten gedruckten Grammatiken beginnen. Man pflegt Nyclas
Yon Wyle als den ersten dieser Art von Schriftstellern an-
zusehen; aber es zeigt sich schon aus einem sogleich anzu-
führenden Beispiele, dass er nur insofern als der erste gelten
darf, als sein Einfluss auf die sogenannte nhd« Gestaltung
der deutschen Schriftgebung unläugbar ein sehr weitreichender
gewesen ist, während die vereinzelten Versuche anderer keine
Nachwirkungen gehabt haben, dass jedoch solche Versuche
in dem Schosse dieser und jener Kanzlei im Stillen sich vor-
bereiteten. Wenn also Nicolaus Hagen (S^,) z. B. in dem
Wörtchen ane, welches seit langem vor ihm in der Gestalt
von an als atm geschrieben wurde, ausdrücklich über das n
ein e setzt, so kann ich darin nur die Absicht des Schreibers
sehen, die Apokope des e gegen den mündlichen Gebrauch
nicht anzueii^ennen und der Gefahr des vollständigen Ver-
gessenwerdens des Schluss-e durch einen graphischen Kunst-
griff vorzubeugen. Dass Hagen zeitweise eine solche Absicht
zu erkennen gab, erhellt aus anderen Fällen, in denen er das
in der Aussprache kaum noch klingende e durch Schreibung
• wahrte:^ 1361, 29. Sepi mann (d. sing.) (A.) 1351. 14. Juni
mann (d. sing.) (A.) Andere Zeugnisse reihen sich an:
Achbnch; 14. b. I. tr,frid(?) in difer ftet frid. 1349. 15. a. I.
an 15 a. II im — an, och 1350. 15 b. I. fraum 1351.
unläugbar liegt auch ein System in der Differenzierung
des u und v im Lauf der vierziger Jahre und von da an.
Während bis dahin beide Zeichen unterschiedslos bald voka-
lischen bald konsonantischen Zwecken dienen, wird das v
schon vor dem eben erwähnten Zeitpunkt sichtlich auf die
Stellung im Anlaut beschränkt, und u setzt sich mehr und
^ Die Indizierung scheint in den meisten Fällen, vielleicht sogar
immer nach Vollendung des Wortes erst vorgenommen worden zu sein;
in sehr vielen Fällen nämlich steht der Index nicht über der zugehöri-
gen Basis, sondern wie z. B. in der kaiserlichen Urkunde 1322 (Berliner
Staatsarchiv 804) nutze, gehurt, nutzen, fein Begenljpurg, Burch, nach
chuihen über dem folgenden Buchstaben. Ebenso: 311 (Berliner Staats-
archiv): 1322. 2. Febr. tvh, beftoHgen, 312. 1832: war, manniclich.
310 Zweiter Abschnitt. 64
mehr zur Bezeichnung des Vokals im In- und Auslaut fest.
Hagen nun regelt den Gebrauch beider Zeichen von Tom-
herein dahin, dass t; anlautend, u inlautend und auslautend
den Vokal vertritt, beide jedoch den Konsonanten. Hin und
wieder erscheint noch v als Index über a und o, zuweilen
auch u an dieser Stelle. — Eückert regte seiner Zeit ^ hin-
sichtlich der verschiedenen und zahlreichen Bezeichnungs-
formen des u die Erklärung au, dass dieselben sehr häufig
nur die Funktion einer Sicherstellung der gewöhnlichen Aus-
sprache des Buchstaben als eines Vokals haben. ' Neben
der an und für sich durch die Verwendung des t; für u und
V, d. h. /, hervorgebrachten ündeutlichkeit erforderte, so
meinte er, vornehmlich die verwirrende Ähnlichkeit der Züge
des V und u mit n eine Abhilfe. So gern ich diese Er-
klärung des geübten Handschriftenkenners auch fär die augs-
burgische Orthographie acceptieren möchte, so sehr scheint
mir doch meine Beobachtung, dass u ohne Bezeichnung, aber
mit vokalischem Wert bei weitem am häufigsten vor n {tun,
chunt, aun, prunnen, surme . . .) erscheint, dagegen zu sprechen.
Und gerade an Stellen, wie prunnen, würde der Wert eines
Index als beabsichtigtes ünterscheidungshilfsmittel sicher-
gestellt sein, da, wie spätere Ausführungen ^ darthun werden,
hier ein ti oder ü vor n, nn in der lebendigen Sprache ver-
mieden wurde.
Das Zeichen für i hat lange Zeit in der Geltung für
modernes j in seiner ursprünglichen Gestalt gelebt. Als
schliessender (d. h. wortschliessender) Vokal erhielt es schon
früh öfters die Form j {drij, drj), j mit konsonantischer
> Rückert: S. D. d. schl. M. d. Mittelalters. 8. 57.
* In gleicher Weise: Michels in der Rezension der Schrift Dreschers
über Hans Sachs ("Studien zu Hans Sachs'. Marburg 1691) im An-
zeiger für deutsches Altertum 1892: S. 356. 'Hans Sachs schreibt also
meistens: Sun, thünt, kuntf jung, boccatiüs, kuemren . . . Der Grund ist
klar, der Leser soll vor der Verwechslung von n und u bewahrt werden.*
firandstetter deutet & oder u immer als uo: R. Brandstetter : *Die
Luzemer Kanzleisprache' in: Geschichtsfreund 47. 1892.
' Abschnitt über ü und ü.
66 Einzelne Zeichen nnd Bachstaben. 811
Funktion ist im 14. Jh. vertxeten in verjehen 1330. Frietag
vor fant Kathrinetag : ^^ Wir Afüttin und conuent des Clofiera zt
Altenmün/ier — S^ (A. St. St. 3). Nachher finde ich es
für den fiest unserer Periode nicht mehr.
Die Unterscheidung durch grosse und kleine Anfangs-
buchstaben ist keine geregelte. Es machen sich sogar zu
verschiedenen Zeiten geradezu befremdende Schreibweisen
geltend: 1325. 21. Sept. ge Erbet 8^ (A). 1342. 23. Juni
ge Bürde, kaiserl. (A). 1368. ge Rikt. S^^ (Achtbuch 22 b).
1370. Er, dErfelb (= derfelb). S^^ (Achtbuch 27 b). 1371.
vn Engolten (— vnengolten). S^^ (Achtbuch 28 b). — Für die
Sübenabteilung beim Wechseln der Zeile giebt es auch keine
G-esetze. S^, teilt chneht in einer Eintragung des Acht-
buchs (56. a I) ab: Zeile 33: ch— Zeile 34: neht. 1349.
M — aulers (= Maulers). (69 a. Achtbuch.) In den internen
Denkmälern wird zuweUen über den Itand hinausgeschrieben,
in den Urkunden nicht.
21
Dritter Abschnitt,
Lautlehre.
ä: Belege.
Urk un den :
städtische: in der Eegel a: 1282. efwenne — wan. S^.
(E. 4). — 1282. ettewenne. S^. (A). — [1295.
denne. Kl. (R. X\. 4.)] — 1319. iSmen. S, (A).
— 1319. fwaenne. S^ (C. 6.) — 1319. iemand.
8^ (0. 6). — 1320. alter (= Altar). S^ (C. 7).
— 1323. iemend. S^ (0. 7). — darzu. S^^
(A). — 1331. gehaebt. S^g (A). — 1339. gehebt
Si8 (A). — 1341. altär. Sj^ (A). ~ 1345.
gehäven. 8^^ (A). — 1348. Aulhreht —
darzu. Sj,. (C. 9). — 1362. wann. S^. (E. 12.)
— 1366. darvmb. ? (A). — 1367. darumb.
Sie (A).
bischöfliche: 1336. gehebt. (A). — 1344. Jemen^. Domk.
(G. 2). — 1351. fwann. Domk. (H. 22).
Curia: 1331. iemant, gehebt. Curia (ü. 2). — 1337.
fwenn, wann. Curia (U. 5).
Klöster: 1295. denne. (R X^. 4). — 1323. niemant,
Aiktvn. U. (U. 2). — 1324. ieman. C. (C. 7).
— - 1326. iemant. U. (U. 2). — 1326. vatters.
hl. Cr. (hl. Cr.) — 1331. iemant, gehebt. Curia.
(U. 2). — dar nauch. ? (U. 3). — 1337. fwenn,
— wann. Curia. (U. 5). — 1366. darzu. U. (A).
Spital: 1283. ettewenne. (A). — 1284. ettewenne (A).
»
Stadtbuch:
G-rundtezt in der Regel a: niemen, iemen — fwenne, wan
(beim Komparativ), danne (nach Komparativ),
danne (temporal), (darüber, davor).
67 Lftutlehr«. 81S
8^: &. '^ iemexme, dane, fwenne. ^^ S^: fwenne,
danne. *«- 83: ieman, nieman — danne. —
Sj,: gehebt, (-- ufgehebt) (160 a). — 1868.
waniL Sj^ (156 b). -^ davon, daramb, darzA
(160a). — diNTon (I49a) deryon ... — Sj^:
dorumb (164 b). dorzu.
Achtbucb:
Durchaas a. -^ Dehnung einmal in: 1868.
uzlaigot. Sje (96 a). von 1369 an wird dor-
Eegel: 1373. dor vmb . . . S^« (29 b). — 1346.
Bavnwol£ Sj, (64 b).
ä: Geltung*
Der Lautwert des ä wird den Belegen zufolge, wenn es
nicht zu ä gedehnt wurde, in den Grenzen unserer Periode
nicht über einen kurzen a-Klang hinausgegangen sein, mit
einer geringen Neigung zu 0 in gewissen Stellungen, welches
der Schreiber zu markieren nicht anstand vor /: ffefelfchofte. ^
Jenes von Staub ^ aufgestellte G-esetz, dass ä vor Nasal -|-
Spirans zum Diphthong wird, scheint nicht auf das augs-
burgische ä angewendet werden zu dürfen. Einmal nur treffen
wir auf die Schreibung Aulbreht in einer Urkunde von 1348.
Wenn wir in dieser Silbe Aul- nicht von vom herein die
Zasammenziehung aus Adal- erblicken und dem Schreiber die
Kenntnis von diesem Vorgang zutrauen wollen, so läge aller-
dings nur eine Möglichkeit vor, für dieses a die Berechtigung
der Schreibung au zu erklären, nämlich in dem u einen durch
die Verbindung des a mit dem folgenden l erzeugten Beduk-
tionsvokal zu sehen, der einmal infolge der Prädisposition
^ Tgl. die Belege bei ümlaat von ä und gdoff'en far geUmfeni
(fltf ^0 vor f) im Aohtbucb, Stadtbuoh und bei Freseant: gdofen —
offmk in dem Abschnitt über Diphthong 0« (ah), vergl. dagegen: Wein-
hold alem. Gr. § 337.
* Fr. Stanb: ein K^weizerisdhoalamannischeB Lautgesetz in From-
mann: Mundarten Bd. 7.
21*
314 Dritter Abschnitt. 6B
der Liquida l usd dann infolge der G-ewohnheit der Zeit —
in dem Jahre 1348 ist au für a beliebt, wie wir später sehen
werden — das Zeichen u erhielt. Letztere Annahme scheint
mir am meisten angezeigt, da weder frühere noch spätere
Stellen unserer Periode, wenn sie den Namen Albert oder
Albreht aufweisen, ihn anders als in der Schreibung mit a
geben. Wenn wir berücksichtigen, dass bei der Schreibung
eines Nomen proprium die Tradition schwer ins Gewicht fallt^
und wir oft eine archaistische Schreibung vor uns haben, in
unserem Falle die Tradition aber gerade auf die Form AI-
d. h. a hinweist, so gewinnen wir in der vorliegenden Form
das erste Zeugnis dafür, dass der Schreiber S^,, wo es anging,
die Tradition zu durchbrechen sich nicht scheute.
Anders allerdings scheint es sich von vom herein mit der
allzuhäufig wiederkehrenden Schreibung ^iemen* zu verhalten;
das Wort ieman, nieman gehört viel zu sehr dem alltäglichen
Leben an, als dass seine in den Quellen gebotene G-estalt
aus Vorlagen, d. h. der schriftlichen Tradition entnommen
worden wäre, etwa wie man es von den vorhin besprochenen
Begriffen mit «== fchaft, welche überdies durch ihre juristische
Bedeutung vorzugsweise bei Benutzung einer Vorlage in die
Augen fallen, behaupten könnte. Da zumal die seit 1319
erscheinende Form des ^ieman' mit der früher alleinherr-
schenden ieman auch in ein und derselben Urkunde zu ringen
scheint, so dürfen wir mit genügendem Grunde eine Laut-
wandlung, infolge einer Tonverringerung des zweiten Bestand*
teils ^= man* schon für den Anfang des 14. Jhs. annehmen ^»
' Im Gegensatz zu der Tonverringerung hat üch eine Dehnung des
kurzen Lautes in Stammsilben eingefunden, ein Vorgang, welcher der
Kehrzahl der Beispiele nach durch die logischen und rhythmischexk
Stellungen des Wortes, die übrigens der Natur der Sache nach häufig^
zusammenfallen, hervorgerufen zu sein scheint. Bedingungslos wenigstens
dürften nicht z. B. Schreibungen wie 1826. (hl. Cr.) väUera entstanden
sein. Am meisten kommt diese Dehnung in den umgelauteten Formen
zum Vorschein. Dem Taktgefühl des Schreibers war es natürlich über*
lassen, ob er dem Leser im Einzelnen durch den schriftlichen Ausdruck
eine solche Beihilfe zu teil werden lassen wollte oder nicht.
69 Lautlehre. 315
ä: Bezeichnimg.
Die konservative Haltung des Lautwerts des ä hat die
schriftliche Wiedergabe auf das Zeichen a hingewiesen, welches
demnach nicht allein traditionell ist, sondern in erster Linie
die geltende Aussprache trifft. Wenn auch die klerikalen
Schreiborte zu keiner Zeit und an keiner Stelle einen Versuch
machen, andere Schriftzeichen für ä zu finden, so dürfte dies
allerdings der in den Klöstern vornehmlich gepflegten Schreib«
tradition zuzurechnen sein, aber auch den Schluss gestatten,
dass den klerikalen Schreibern keine andere Aussprache des
ä geläufig gewesen sei. Das ä ist also als gemeinschwäbisch
anzusprechen. Die Schreibungen iemen, ieman sind schon
klar gestellt. Einer Erklärung bedarf noch die Form Aikivn
1323 ; sie gehört einem Schreiber von St. Ulrich an und
kommt nur hier vor. Der Charakter dieses ai für a ist ein
unsicherer und lässt mehr als eine Deutung zu. Diphthong
€i ist als Schreibung für ä in diesem Wort belegt, es scheint
an folgendes palatales g oder an cht gebunden. Die Belege
dafür gehören dem 14. und 16. Jahrhundert an und fallen meist
auf Ripuarien ^. Es geht parallel dem ei für Umlaut des a *,
häufiger im md. als im Oberdeutschen. Haben wir jedoch
in aikthn ein gedehntes a vor uns, — etwa infolge des
stärkeren Gewichtes ^ welches ihm beim Diktat mit Bücksicht
auf seine determinierende Eolle im Bechtsgeschäft gegeben
wurde — , so reiht sich aiktvn als ein Zeugnis für die alte
Oleichwertigkeit von d und ei im Yolksmunde dem Beime
des Teichner an: Lieders. 63,23: entweicJi: sprach, den Wein-
hold anzieht; allerdings weisen die aus alamannischen Liedern
des 14. Jh. an gleicher Stelle angeführten Beime: ran: an^
^chän : an ^ nur auf die Neigung des ei als d zu erscheinen,
hin. Ich bin darum eher geneigt, in diesem ai und d des
Schwaben und Alamannen zwei sich in einem Mittellaut
^ Weinhold: mhd. Gramm. § 104.
* Weinhold: mhd. Gramm. § 90.
* Die durch die Endung — H erzeugte Fülle des ganzen Wortes
«pricht dafür. * Weinh. AL Gr. § 34. B Gr. § 39.
319 Dritter Absohnitt. 70
begegnende Laute zu hbreüf etwa ein a mit unbestimmtem
nachklingendem e : a*. Im Übrigen ist die Form so lange
Ton keiner Sedeutnng für Augsburger Sprachgebrauch, als
die Herkunft des Schreibers aus Augsburg nicht feststeht.
Derselbe, ein Schreiber von St. Ulrich, stand möglicherweise in
Beziehung zu dem Kloster Tegemsee^. Auch weicht die
Schreibung der Urkunde in andern Stücken von der gleich-
zeitigen augsburgischen Schreibung ab: ein leut hatte z. B.
1323 keine städtische Urkunde. — Mit Bücksicht auf die heutige
gemeinschwäbische Aussprache echt^ die zweifellos schon im
15« Jh. vorhanden gewesen ist (Mörin 2831 echt: gebrecht^
3039: echt: brecht),^ entscheide ich mich für ai »= Wider-
gabe des ae (oflfenes e = $) ^. a in den Flexionssilben, Affixen
und Präfixen wird in dem Abschnitt über diese behandelt»
Umlaut Ton ä: Beleget
Urkunden:
städtische: e, ae, &j ä.
1272. ffilUv, hete (c.) S^ (U. 11, 1). — 1277.
Stet (g.), hete (c.) S, (A). — 1280. ftet (d.)
Sg (A). — 1282. ftet (g.), elliv S, (A). —
1282. aelUv S^ (H). — 1283. 17. Dec:
alliv, hete (c.) Hat (d.), ftet (g.) dumeht-
lichen S, (A). — 1283. 4. Oct. Aecher Sj,
(A). — 1294. gaentzlich, ftat (d.) S,^ (R.
X.^ 6.). — 1294. gsentzlich S5. — 1295.
1. Jan: Elteste, — halbiv Sg (U 1). — 1296.
21. Sept: ftat (d.), ftet (g.) »Iliv S,. — 1295.
16. Oct: alliv S3 (A). — 1295. 26. Oct: het
(c.) Stet (g.) Sj. — 1295. 6. Dec: ftat (g.)
^ siehe oben S. 57 Aniii. 1.
* vgl. Weinh. al. gram. b. 807. Qrimm: Gram. 1', 279.
' Über die orthographische Bezeichnung der beiden Laatfeu'ben
(geschlossenes und offenes e) des e im mhd. TgL Weinhold: al. gram.
§§ 12 ff.
^ Die Anmerkungen in Klammer bedeuten : g. «« Oenitiy^ d« :*> Datir,
G. ^ Conjunctir.
71 LantJelire. 817
85. — 1296. vsBtterlich S» (R. X|, 4, 6).
= 1296. väterlich S^ (R. X|, 6, 5) — 1296.
burgefchefte (d.) S^ (A). — 1297. altiy S^.
— 1298. elHv S3. — 1298. het (c.) S^ (G. 1).
— 1299. elUv 83 (A). — 1299. 8tet (g.)
83 (St. 1.) — 1300. dorfmengin, gevellet,
83 (C. 5). — 1301. 8tet (g.) — 8tat (g.) —
SB 83 (B. 10). — 1301. SBkker, Ekkeren 8t.
U.? (U. 2). — 1303. gefeifchofte 83 (0. 5). —
1304 gifelfchoffte, flelliv zinfvellick, 83 (A). —
1305. galtnvzze 83 (A). — 1305. sendriT 83
(C. 6). -- 1305. 15. Oct: 8ch6ffel 83. — 1306.
4. Febr. : haer 83 (8t). — 1806. 5. Juni: gsentz-
lichen 8tet (g.) 8, (U. 2). — 1306. 5. Aug.
gentzlichen, selliv 83 (A). — 1308. ziufuellick
8^ (A). — 1309. 8tat (g. und d.) gewerfch6ffte
83 (A). — 1311. alliv 8^ (R. X^, 6, 5). ~
1311. aelliu 83 (A). — 1313. gBBntzlich, Lange-
maentel 8, (H. 14). — 1316. msengen 83 (A).
— 1317. msenglich, zinfvellich 83 (A). — 1317.
8tet (g.) 83. — 1317. ftetfchriber 83. — 1317.
gyfelTcheft 83 (C. 6). — 1318. 8tat (g.) »lliv
83 (U. 2). — 1320. zinfvelUch 8^ (A). —
1322. 4. Juli : wilmeden 8^ (A). — 1322. 13.
Juli: gserten, sekeren 83. — 1323. Stetfchriber,
gffintzlich 83 (C. 7). — 1324. 24. Febr.
elliy 8^^ (A). — 1324. 24. Febr. gsentzlich,
ftet (g.) 813 (A). - 1324. »lliv 83 (0. 7). —
1325. Welffiers, Wselferin Sjo (A). — 1326.
aUiv 8,1 (C. 7). — 1328. 8tat (d.) 8,, (A).
— 1329. h©t (c.) 83 (H. 16). — 1329. Febr.
8tatfchriber, alliv 83. — 1329. Mai: alliv, zinf-
ueUig 83 (A). — 1330. gaentziv 83 (8t. 3). —
1330. beten (c), erweltun, salliu 8^3 (ü. ü).
— 1330. beten (c), aelliu, erweltun 8^^. —
1330. Aecberen, ftet (g.) 83 (C. 7). — 1330.
318 Dritter Abschnitt 72
Sch5ffel S^. — 1331. Schwanftetten S, (A).
— 1331. ftsBt (g.), gehaebt, S^. — 1331. Stet
(g-) S,. — 1332. Stet (g.) Ekker S^^. — 1383.
älliy Sjj. — 1333. hilbiy S^,. — 1333. nihften
Si2. — 1333. wifm6dern, S12 (C 9). — 1333.
Schoffel Si, (0. 9). — 1333. selliv, wihen-
nähten S^a (U. II.) — 1335. Höhfteten, aller-
mffihtigoften, Elteften, Geburfcheft (d.), S,g (U. 5).
het, zinfuellig, Stet (g.) S^^. — 1336.: e: —
Aekker, KsBterinen S^q (A). — 1337. gsentz-
lichen, fchoffel S^g. — 1337: e: S^g. — 1338.
g»ntzlichen, Stet (g.) S^^ (U. 5). — 1338.
Aekkern S^g (A). — 1339. selliu, Gens, gehebt,
schoBffel S,,. — 1339. befchäche, Akker S^^.
— 1342. Stat (g.) — Stet (g.), gentzlichen
S,5 (R. XI 42^.) - 1345. gehäven S^^ (A).
— 1345. AlKv Sie (H. 20), — 1345. aUiv S^,
(R. X| 10,3). — 1345. alliv S^,. — 1345.
hÄtt, ürftende S^, (A). — 1346. gantziv S^,
(H. 20.) — 1347—1353: e: allermechtigsten.
— 1354. Schoffel, pfenden S,, (A). — 1355.
weihennehten S^,. — 1357. fch6ffel, Aecker,
gens, elliu, wibennShteD, fiomgdrtlin S,, (C. 6).
— 1358—1374: e.
bischöfliche: 1282. helblinch, Stet (g.), hete, w&genn (pl.)
— maniger (R. X|, 4, 3) — 1296. alliv, —
8ß (R. X^, 5, 7). — 1305. tsBglich, ganzlichen
(R. X^, 6, 4). — 1313. genzelich (H. 14). —
1333. erweiter (A). — 1336. gehebt (A). —
1338. Kaiser: Enger, Bestetter (bisch. S.) —
1342. hangut (H. 20). — 1345. gens. — 1350.
gentzlich (H. 22).
Curia: 1320. alliv, (Curia) (G. 2). — 1327. »Uiu, zinf-
uellich (Curia) (A). — 1331. gehebt (U. II).
1331. alliv, vellich, gehebt. — 1337. selliu,
hffitan (U. 5). —
73 Lautlehre. 319
Klöster: 1301. sekker, Ekkereo, St. ü. (ü. 3). — 1306.
geifelfchefft (d.), selÜT St. ü. — 1323. zinfuellich
St. U. — 1303. aigenfchefft (d.), elliv. St. 0.
(C. 6). — 1325. sbIUt. St. C. (C. 7). — 1306.
e: — St. St. (A), — 1312. Abbtiffin, Stat (g.)
St. St. (H. 13). — 1311: eUtfchten, bitte (c)
hl. Cr. (hl. Cr. 4). .
Stadtbuch: überwiegend e: G-rundtext (S^): galtnuzze —
almsehtigen, brache (c.) — brseche (c.) — Sgl
e — : galtüYsse. — Sj^: e — : flaishmanger.
— Sj,: nur e: Sj^: erkent 2 X (Particip-
pr»t.) 1374. (154b).
Achtbach :A. 1339. Aemmsennin S^^ (6 a. II). — 1340.
SchrsBmmyn S^^ (6 a. I). — 1340. Stet (d.),
Stat (d.) Si5 (6 b. II). — 1342. Aychfteter
Sj5 (8 a. II). — 1343. Aemmenin ( — Amman)
Sjft (9 b). — gantzir S^^ (10 a). — 1346.
vffert Sj, (11 a). — Stat (d.) S„. — 1360.
Stet (d.) Sj, (15 a). — 1352. gelembt S^,
(16 a.) . . . — 1357. Fleschheckel (n. pr.) —
1363. Henflin Si, (23 b). — 1365. Langen-
mentlin S„ (24 b). — e. — 1360. falfchlich
S„ (22 b.)
B. 1342. gantziv S^^ (50 a). — 134 2.gantziT S^^
(50 b). — . . . 1346. gantziv Sj, (56 a). —
heite (c.) S^, (56 a). — 1349. verritei^ S„
(64 a) — 1352. fchanckt S^, (70 a).
— 1355. flefchheckel (n. pr.) (72 b). —
1371. Gentziü Sie (102 a.) — 1354 gentziv S„
(71 b).
e: Umlant yon ä: Geltnng.
Es ist zu scheiden zwischen einem Umlaut älterer Ent-
wicklung und einem jüngeren Umlaut. Die feste Abgrenzung
beider Erscheinungen in den augsburger Urkunden, wie in
den meisten anderen gleichzeitigen Denkmälern, wird durch
310 Dritter Abschnitt. 74
Ungenauigkeit der sclirifUiclieii Bezeicfanung fiehr ertehwert.
Dieselbe ist doppelter Art. Einmal wird sehr häufig ein
Umlaut gar nicht geschrieben, der, wie mit grösster Wahr-
scheinlichkeit vermutet werden kann, gesprochen wurde; dann
finden sich die gewöhnlichen Zeichen f&r diesen Lautwandel
gelegentlich auch da ein, wo man nach der Geschichte und
dem Ursprung des Lautes, nach seinem sonst bekannten Werte
in der Sprache der Zeit und nach seiner späteren G-eltong
gegründete Ursache hat, einen reinen Vokal zu erwarten.
Will man sich blos an den geschriebenen Buchstaben halten,
so würde in solchem Falle überall ein unumgelauteter Vokal
anzunehmen sein, und so wäre diese Frage wenigstens von
einer Seite leicht genug gelöst. Da sich aber ein allmähliches
Vordringen des Umlautes innerhalb einer verhältnismässig
nicht sehr weit ausgedehnten Periode des nach unsem Zeit-
raum fallenden Teils des Mittelalters und bei dem Beginn der
Neuzeit durchschnittlich nachweisen lässt, so darf man schliessen,
dass der Umlaut auch in jener älteren Periode nicht auf
einmal aufgetreten sein wird, in dem Umfange etwa, als er
am Schlüsse des Mittelalters schon erscheint. Dass aber um-
gekehrt auch in unseren Sprachquellen Umlaute häufig gar
nicht bezeichnet sind, ist, wie schon bemerkt, nach dem
Schreibgebrauch der ganzen Zeit als nur zu begreiflich an-
zusehen. Es lässt sich daher aus diesem Material kein
zwingender Beweis für den einzelnen Fall annehmen. Wenn
wir in ein und demselben Denkmal allerdings: allith cMiu
und eUiu^ nebeneinander finden, so setzen wir voraus, dass
überall derselbe Laut gemeint ist, und dass nur die Ortho-
graphie schwankt. Dies im allgemeinen über die Ausdehnung
des Umlauts von ä in den augsburgischen Denkmälern und '
der Mundart der gleichen Zeit. Wie stellen sich hier die
einzelnen Falle dazu?
Der ältere Umlaut ist durch ein i der folgenden Silbe
erzeugt, und die Schreibung verstösst nie dagegen. Der
* Stadtbuch v. Angsb.: Ghrundtext (S^).
76 Latttiefare. 321
jüngere Umlaut, der seinen Anfang im Mhd. genommen, ist
1272 in Augsburg schon zweifellos vollzogen. S^ bietet nur um-
gelautetes a; darunter ceütUy welches Grimm ^ als Umlaut nicht
anerkennt. Dieses cbIUu ist überwiegend in der ganzen Periode
unter den Schreibungen für fem. und neutr« plur., daneben
elliu sehr häufig, weniger (dliuj letzteres vorzugsweise in ür«
künden, welche gar keinen Umlaut, oder nur spärlichen auf-
weisen. Mit Rücksicht darauf und femer veranlasst durch
die weiteren Zeugnisse für Umlaut durch tu, indem sich gcmtziu
(1330) amdrii (1305) zur Seite stellt, möchte ich entschieden
für einen beabsichtigten Umlaut eintreten. Die Schreibung
unterstützt mich weiter auch, wenn sie z. B. in einer Urkunde
von 1333 neben nahsten auch alliu mit -^ ausstattet, mithin
eine Gleichbehandlung des alliu mit anderen Umlautgelegen-
heiten dadurch kennzeichnet, dass sie ihm alle zur Verfügung
stehenden Zeichen zu teil werden lässt. Wir haben in allen
diesen Fällen m^ der von Weinhold ^unechter Umlaut^ ge-
nannten Trübung des ä zu thun, welche im alamannischen
Dialekt vorzugsweise häufig gefunden wird. Unsere Quellen
geben jenen Laut mit allen verfügbaren Zeichen, vorherrschend
aber mit e, ohne dass sich erkennen lässt, wie er sich in der
Aussprache von den verschiedenen anderen e getrennt hat.
Es versteht sich daher von selbst, dass zur Feststellung der
Geltung der Vergleich mit den späteren Spracherscheinungen
von grosser Wichtigkeit ist, zumal gleichzeitige Reime nicht
aufzuweisen sind. Zunächst liegt das 16. Jh. Für dasselbe
führe ich die Resultate Bohnenbergers an, der bei seinen
Untersuchungen für Augsburg keine Abweichung vom gemein-
schwäbischen Stand ansetzen zu dürfen glaubt. Die Geltung
ist darnach wesentlich die gleiche, wie noch heute.
Es erhebt sich nun die Frage : unter welchen Bedingungen
durfte im Augsburgischen dieser unechte Umlaut des ä ein-
treten? Indem ich mich an die in Germania Bd. XXXIV,
197. von Bohnenberger veröffentlichten Untersuchungen über
^ Grimm. Gr. I* 745.
822 Dritter AbBchniH. 76
'schwäbisch e als Vertreter von mhd. ä' halte, stelle ich
folgende Fälle auf, in denen Umlaut eingetreten ist : ^
1. Plural von Substantiven : die Nomina haben durchweg
Umlaut da, wo ihn heute die Schriftsprache fordert, und
einmal in w&germ (1282 bisch.), wo ihn sowohl die Schrift-
sprache, als auch die Mundart nicht hat. *
2. Adjektiva auf -ig, -lieh, -em, -er. Die Adjektiva auf
-ig, -eg zeigen durchweg Umlaut: maniger 1282 (bisch), steht
vereinzelt. — Die Adjektiva auf -lieh schwanken in der
Schreibung: 1290. garUzlich 1294. gcentzlich S3, vergl. die
Belege« Die B.eihe ergiebt, dass vorzugsweise diejenigen
Adjektiva auf -ig umgelautet wurden, welchen umgelautete
Substantive zur Seite standen. Und umgekehrt. ^ Von den
adjektivischen Bildungen auf — er kommen die von Orts-
namen abgeleiteten in Betracht, deren zweiter Bestandteil
'Stetter ist ; hier besteht durchaus Umlaut, doch gehen weder
die Adjektivformen z. B. Hohltätter noch die Namen Hoch-
Hetten auf ursprüngliches -stat als 2ten Bestandteil zurück,
sondern auf -ateti, -stetim, so dass der Umlaut nicht erst bei :
-atetter durch Suffix -er bewirkt ist, analog den Nomina
agentis auf -er.
3. haben Umlaut herbeigeführt die Femininendungen
«in und die Silbe -ling, linch und -liru Wenn den Zusammen*
Setzungen mit -in, welche Umlaut aufweisen, einige nicht
umgelautete Formen in der Schreibung entgegen stehen, so
schwankt helblinch nie, es tritt nur mit e auf, und ist darum
wohl nur mit i gesprochen worden.
Wie in den oberdeutschen Dialekten und Mundarten des
13. Jh. überhaupt, sind auch im Augsburgischen gewisse um-
lauthindernde Konsonanten und Konsonantenverbindungen vor-
1 vgl. dazu: P. u. Br. B. XI. XIV. XVni. Z. f. d. Ph. XXV.
> nuBt => Maasse (Stadtb.) ist hier nicht anzuführen, da es Fem.
plur. von sing, meaze sein kann, welcher belegt ist durch den Genitiv
mefzez.
* Diesen Adjektiven auf 'ig scheinen sich die anderen Bildungen
mit 'ig anzuschliessen : befchadigen ist überwiegend mit a geschrieben.
77 Lautlelire. 323
banden^, indem die Liquidae, Liquida + Muta, auch Guttu-
rales^, namentlich die Verbindung ht, gegen die Trübung
schützen^ allerdings nicht in gesetzmässiger Weise. Ich finde
regelmässig: zin/vellick 1296. Sg und dorfmengin allerdings
nur bei Sg,' doch ist cbIUu überwiegend, und auch dem
häufigeren gcentzlich steht nur ein gantzUch gegenüber, cdtiv,
halbiv sprechen zu Gunsten jenes Einflusses, doch erscheint
nur helblinch. galtnvzze ist fest. (1306. S^^) Konsequent
ist das Gesetz durchbrochen in dem Kamen Weiter^ Waslfer
(1325). Im 14. Jh. ist von jener umlauthindemden Gewalt
kaum noch etwas zu spüren. Die Dehnung des ä zu d hat
auch der Umlaut mitgemacht, wahrscheinlich mit der Ent-
wicklung ä]>a zugleich:^ rid 1302 (12). — Die Aussprache
dieses 2 erreicht im modernen Augsburgischen vor s und at
geradezu den Klang t, d. h. ein in % ausklingendes gedehntes
e: yesf hört man als fSBcht, mhd. veste von vast;^ in
unseren Quellen aber ist davon nichts zu spüren, es erscheint
nur geveatent, geveHunt (1326. bisch.) und geualhU (1326,
hl, Cr.)
Umlaut Ton ä: Bezeichnung.
Es ist nur Weniges hinzuzufügen. Dass der Umlaut des
ä Yon Anfang unseres Zeitraums an durchaus sprach- und
Bchriftgemäss war, hat sich aus dem Gesagten und den Be^
legen ergeben, dass bei so übermässiger Ausdehnung einer
solchen Erscheinung der Versuch nach etymologischen Bück-
sichten die schrifUiche Wiedergabe derselben zu regulieren,
scheitern musste, zumal die Fülle yon Zeichen, welche zur
* vgl. Weinh. mhd. Gr. § 27.
* S«g schreibt in einer Novelle znm Stadtb. 48. ufsin ehae» chlegere:
Stadtb. 78. Ss. clager: Stadtb. 82. S^ (Qr.) cMager Si (Novelle 99) nur
Mager: Statdb. 84. Sa.
'896 bat nur flaishmanger im Stadtbucb. (95 b).
^ vgL Birlinger: augsb.-schwäb. Wörterbuch S. 180.
^ ^beste^ •■ brachte, — Sogar das dem einfachen Manne unbekannte
Wort ,^fUveIfe" wird, wenn man es aussprechen lasst, durch einen un-
verkennbaren Systemzwang zu hantvtachte.
384 Dritter AUöhniU. 78
Yerftigimg stand, noch mehr Terwirrend wirkte, ist kaum nötig
hinzuzusetzen. In der That ist höchstens in dem Verfahren
von S^Q eine gewisse Konsequenz zu erblicken, insofern als
er treu seiner zeitweise gepflegten Neigung, die Vokale mit
Apices zu versehen, auch das Umlaut ^ derselben unter-
warf und dadurch eine gewisse Nivellierung der Schreibung
aller der mhd. a^^Basis angehörenden sekundären Laute
durchsetzte. Eine ähnliche Konsequenz bemerken wir an
8},, indem derselbe die Schreibung e entschieden bevorzugt,
wenn er nicht überhaupt auf den Ausdruck des Umlauts von
ä ganz verzichtet, xmd das auffallend genug gerade in den
Stellungen, wo im 13. Jh. unter jenen oben angeführten Be*
dingungen ä nicht umgelautet wurde: gantziu 1346« (Achtbuch)
doch: 1346. vfert (Achtbuch 11. b. I). ^ 1348. Brie/trager
(Achtb. 14. a. I). 1352. Mancki (Achtb. 70. a. I). 1360.
faircklichi vgl. die Belege. — Dagegen nötigt uns, die Existenz
des Umlauts als unzweifelhaft zu erachten, die Thatsache,
dass fast regeknässig die Femininform von Eigennamen und
von Nomina agentium den Umlaut zeigt, gegenüber dem nicht
umgelauteten Masculinum, desgl. die Deminutiva: 1365:
LangemenÜin — Langemanteh (Achtbuch 24. b. I). 1363.
Banfen — Henäin (23. b. I).
Die klerikalen Urkunden liefern nichts Bemerkenswertes
in der Schreibung. 1290: Stät (««Dativ von stat) neben
gantzlich, und Oänf neben phlegar 1304 entziehen sich jedem.
Erklärungsversuch, sie sind eine Unregelmässigkeit; wenn
auch die Unterlassung des Umlauts zu rechtfertigen ist,' so
ist der Circumflex nicht an seiner Stelle, es müssten denn
* Mit vffert scheint es eine eigene Bewandtnis zu haben, ' indem
das e eher eine Verflüchtigung des a als ein bewusster Umlaut genannt
werden muss; es steht in gleicher Reihe mit den im heutigen Aaga-
burgischen immer gehörten: derdurchf Werderhruggertor («»Wertaah-
bruggertor) auch aunnti (»Sonntag) u. s. w. vgl. Birlinger: augsb.
Wörterb. 4, 6.
* Oänf untersteht der oben erwähnten umlaothindernden Oewalt
der Verbindung Liquida -j-'i und das daneben stehende pMegar läeat
das Fehlen der Umlautsbezeichmuxg als beabsichtigt erscheioNu
79 lAutlflm. 3äS
auch Betonungsrücksichten massgebend gewesen sein« «*<- Die
Grleichberechtigimg aller Zeichen für den Umlaut des ä ver-
anschaulicht trefflich die Schreibung des Ortsnamens ^Eichstädt'
in einer Eintragung des Achtbuchas vom Jahre 1359, 22.
a. L ¥on S^^ : EiehlUi^ Ayehßtety EistatL EichMt^ Aistet (22. a).
Schliesslich sei noch bemerkt, dass die Umlautsbezeichnung
überhaupt ganz dem Takte des Schreibers überlassen blieb;
es bestehen Fälle, wo Umlaut gar nicht gekennzeichnet ist,
und mithin auch nicht der von ä. Wie weit Vorlagen im
Einzelnen mitgesjäelt, ist nicht immer zu entscheiden, doch
sind die Eintragungen des Achtbuches in den Jahren 1346
und 1346 ein lebendiges Zeugnis für das Verfahren einzelner
Schreiber, gewisse immer wiederkehrende Ausdrücke oder
Stichworte einfach dem unmittelbar Voranstehenden zu ent-
nehmen, sogar in der Weise, dass die Beihenfolge gewahrt
bleibt: 1345 wechselt beständig aA^ mit folgendem ceht; 1346.
aht mit aht, so zwar, dass aht dort, celu hier immer an erster
Stelle erscheint Von vereins^lten Schreibungen führe ich
an: Stet (G-enitiv v. atat) bei S5, daneben gilt cb als Zeichen
des Umlauts von ä in burgaar^ phlsgcsr. Die Formen gehebt,
gehaven sind nicht der Mundart angemessen, und nur der
Macht der Analogie zuzuschreiben, oder durch bairischen
Einfluss zu erklären^. Schofel ist mit Bezug auf die Ver-
dumpfung des 4 vor /* in der lebenden Sprache z. B. in —
Ichoffte mit dem Zeichen fOr gerundeten Vokal geschrieben
und wohl auch gesprochen worden. Doch ist die Schreibung
mit e sowohl in dem Wort sdbst, als in den Namen Scheffer
und Scheffler ' bezeugt, und im Stadtbuch in shefeU
ä: Belege.
Urkunden«
Biß 1300: a. ä, — o- 1300—1330: a, ä, au
— 0. 1830—1374: au — o.
» vgl. Weinh: mhd. Gr. § 877.
' Aichtbnch: ia03. Sheffel, Sheefier. 2. a. Stadtbuch: aheffel Sib
(89. a.) 9eheffel; 0raiidtext (16. b.) (Si).
326 Dritter Absohnitt. 80
städtische: 1972—1300: a
1272 &we — do S^ (U. II, 1.) — 1273. han
S, (A). -
(1279: ane, widerfpräche, hant.) — 1282. iär —
da Sj (H.) — 1296: afie, fbat Sg (ü. l,) —
1295: an — da Sj (A.) — 1298. gän, wom
Ss. -
1300—1328: au, ä — au, a. — do.
1301. navch S^. — 1802. aun, rät Sg. — 1302.
nach Sg. — 1303. an — do Sg. — 1305. J&r —
do Sg. — 1306. R&t, Rat, i&r. Sg (C. 5.) —
1309. frauzze (n. pr.) — da. S,, (U. 2.) — 1313.
ftet, het (= hat) Sg (0. 6.) — 1313. aun, an
S7 (U. 2.) — 1315. &n, aubend Sg (A.) —
1317. aubend, warn Sg (A.) — 1318. fchwap
(n. pr.) Sg (A.) — 1319. abent, han — do
Sg (C. 6.) — 1319. aubent, rat — do Sg (C. 6.)
1322. ane Sg (C. 7.) — 1323. darzü — do
Sig (A.) — 1323. &n S,o (A.) — 1324. rät,
an, band S^g (A.) — 1326. fbaut, haynt, an-
fprauch, nach S^^ (C. 8.) — 1326. an, S X.
— do. Sji» —
1328 — 1374: au — o, au, 0.
1328. rtand, gand S^g (A.) — 1328. hayn, laut,
haut, nauchkomen, avn, anfpravch — aun . . .
Sg (A.) — 1329. avn — do Sg (hl. Or.) —
davonCopie: v. 1346: an — ftat Sj, — 1329. an,
ftet Sg (A.) — 1329. ayn, nauch, nach, band
Sg (A.) — 1329. hin, avn — do Sg (O. 2.)
1330. Straeyinger Sg (A.) — 1330. jär, Avn-
forg (n. pr.) Sg — 1330. jär — da Sg —
1330. havn, avn, want Sg (0. 9.) — 1331.
Swavlm&l, Afrun, anfpr&cb, Avnforg, hant, S^g
(A.) — 1333. fprachen, (2 x) anfprauch, havn,
navh, avn, darnach S^g (U. U.) — 1337. havnd,
hant S^g (A.) — 1388. nach, Anfpraech, An-
81 Lautlehre. 327
forg 8,8 (0. 9.) — 1338. Febr. waunden — do
Si8 (A.) — 1338. Mai. band, wanden S^g (A.)
— 3338. haun, gaun S^^ (U. 6.) — 1338. Juli.
BAutgeben, Baut — do, kom, S^^ (A.) — 1339.
sw&ger, b&nd — do Sj, (A.) — 1342. aun,
verdancbtem, haun . . . S^ (A.) — 1342. Febr.
aun, haun, ftaund, Bat, wönten — do S^^
(ü. 6.) — 1342. an die Stadt Bothenburg
Oct. Batgeben, band, darnach. S^g (B. B. XI,
42^.) — 1343. Aunforg, an, nach, wänten —
da S,5 (A.) — 1344. do. S^^ (A.) — 1345.
hant, han S^, (R X|, 10, 3.) — 1346. ftand,
hau Si7 (H. 20.) — 1346. aun S^, (A.) —
1348. (Aulbrecht), aun, Abent S^, (0. 9.) —
au. — 1349. anlagen — do, warn, S^, (A.) —
1350. aun Sj, (A.) — 1350. März, aun, Avn-
forg S„ — 1351. haund, aun S^, (0. 10.) —
1351. lauzzent, haun S^, (A.) — 1351. aun
Sj, (A.) — 1352. fauzzen, haut, abent S^, (A.)
1352. braht, brauht — da (1.), do (t.) S^, (A.)
— 1353; haun, aun, ftrafz S^, (A.) — 1355
bis 1358: au. S^,. — 1359. aun 2 X. S^, (C. 6.)
— 1365. aun, nach, Batgeben S^^ (A. B. 12.) —
1367. getaun, aun, haund S^^ (A. B. 13.) —
1367. aun — darumb Sj^ (A.) — 1367. au
Sj,. — 1373. au S„? (A. B. 14, 6.) —
Bischof und Dom: im 13. Jh.: a, ä — do; im 14. Jh. au
— do. —
1282. hemah — do (B. X | 4, 3.) — 1293.
Mt (A.) — 1313. nauch, 2 X-, han, rat (H.
14.) — 1332. han (H. 17.) — 1382. da. (A.)
— 1336. brauht, havt, aubent, offen bauren,
Ofteraubent, (gehebt) — do. (A.) — 1341.
ftaund, Pfeggrafin (C. 9.) — 1343. getaun,
abent. Schreiber I. (A.) — 1343. getaun,
aun, haun — darzü Schreiber II. (H. 20.) —
22
S28 Dritter Abiohziitt. 89
1344. amiy nach, — au . . . — do. (0. 9.) —
1367. aUn biscL (A.)
Oüria: Im 13, Jh.: a. Im 14. Jh«: au.
1327. naueh, rät (A.) — 1331. vormaylsy bavt,
avn (ü. IL) — 1337. au (U. 5.) — 1341:
nur: a (A.) — 1349. haun, aan. (H. 21.) —
1359. a&n, han (A.) —
Klöster: Im 13. Jh.: a, ä. Im 14. Jh.: ä, au, a — do.
St. Ulrich: 1306. i&r — do (U. 2.) — 1315.
Kat (U. 2.) — 1356. Rat, avn (U. 2.) — 1331.
nauch^ darnauch, Itat, G-ranffchaft (ü. II.) —
1836: au — hat (U. 5.) — 1366: au (A.) —
St. Oath. 1279. ane, haut, widerfpräche (C. 2.)
1295. rate, rat (E. X| 4.) — 1325. (2 Ur-
kandai) rät, an, hand, manod. (C.) — 1348.
raut, getavn (0. 9.)
bLCreutz: 1311. morgengaub, avn, anfprauch,
rät, Mt, han (hl. Cr. 4.) — 1317. BAt — au
(hl. Cr. 4.) — 1326. began, ftat, nächkomen,
Swäbegge, y erdachtem hl. Cr. (hl. Cr. 4.) —
1334. hayn, abent (hl. Cr. 5.) — 1338. au
hl. Cr. (G. 2.) — 1339. au hl. Cr. (hL Cr. 5.)
-^ 1350. aun hl. Gr. (A.) —
Spital: a — do (A.) 1283 und 1284. —
St. Stephan: 1306. Jar — do (A.) — 1312.
da — do (R 13.) — 1327. ayn (A.) — 1358.
aün. (A.) —
St. Moritz: 1342. a (A.) —
St. Georg: 1346. avn, habend, lazzend (G. 2.)
— 1352. aun, wauren, abent (A.) —
Stadtbuch: Grundtext: a. — S, : a: — an (23 b). — S, : a:
•^ darüber, deryon (57 b). rätgeben (34 a). — S^ :
a: — dervon (115 a) deryor (37 a) äne, getan,
hat (114b). — S^: a. — S«: a — do. — S,:
a: — aune (58a.) — S^^: a: — wamit (88b),
baunt, haynd, a&e, (37 a). — S^,: a und au:
88 Laatlehre. 8S9
aim gnad (79b). — immer ami. -- haat (77 a).
attüy gnad^ achtpüoh, darnach (58). deraon, (149 a»)
(1369). spitaiü (149 a) (1353). — S,«: a und
au: maus (79 b). 1371. aun. — 1374: dorzu
(37 b), haut, haunt. — 1378. ou genad, od, bat
(lB4b). — 1376. haut, aun, — dorzu (154b).
Achtbuch: 1338. a: kram 8^^ (4b.) — 1339. avu 8,5 (5b.)
— 1340: ane 8^^ (6 a). — S^^: a. — 1346.
getan, band, aun, an, hat S^, (Ha.) — 1346.
getan, an S^, (^1&)- — 1348. aun, getan S,,
(13 a.) — 1348. anfc 2 X. — 1349. an Sj,.
1360. an (15 a) — getan — getan, haund —
habend. — 1351. Ruffion 2 X S^, (67 a) —
sonst immer: R&ffian. — 1366. aün, aun S^,
(20b) — sonst au. — 1362. getan S^^ (83 b.)
1364. Äht, getaun, aun. S^, (24 b.) — 1366.
Cranfüzz, Cranfüs S^, (26b). — 1370. hafit
SjQ (26b.) 1371. getadn, hat, aun, aun S^^
(29 a.) — 1373. on, aun, haut — dorvmb S^^
(29 b) immer on. 1374. a, au, o — dorvmb
S16 — •
ä: Geltung.
^Das oberdeutsche d der mhd. Zeit entspricht durchaus
dem der ahd. Periode und ist wie dieses in den meisten
FäUen eine* unter gewissen Bedingungen eingetretene Deh-
nung von ä;'^ ^die vulgäre Aussprache dieses d war nicht rein,
sondern mit Senkung, so dass ein mehr oder minder dunkeler
Zwischenlaut zwischen d und 6 entstand, ein langes d ; daher
begegnen seit der zweiten Hälfte des 13. Jbs., zumal bei den
Baiern imd Österreichern, Reime zwischen d und o, die Alar
mannen gestatten sie sich nur selten' ;^ so definiert Weinhold
den Klang des oberdeutschen d. In der augsburgischen Mund-
art des 13. und 14. Jhs. zum Teil hat der Doppellaut des d
^ Weinh. mhd. Gr. § 65.
• Weinh. mhd. Gr. § 66. Baar. Gr. § 88. A. Gr. § 84. 87. 190-
22*
330 Dritter Abschnitt.. 84
einen noch tieferen Ausldang gehabt und mit grösserer Wür-
digung des zweiten Bestandteils; von vomherein jedoch be-
merke ich: nicht in allen Stellungen.
Wir beobachten nämlich zwei Entwickelungen, die sich
von Anfang unserer Periode an bis zum Ausgang derselben
neben einander gehalten haben^ wenn auch die schriftliche
Darstellung bald der einen, bald der andern eine Form zu
entziehen scheint Schon vor unserer Zeit, d. h. schon in der
ahd. Periode mag das d der einen Entwickelung in Augsburg
nichts anders als ein zwar dumpfer, aber nicht ausgesprochen
diphthongischer Laut gewesen sein. Nicht eine Stelle läset
sich dafür aufbringen, dass man Anlass gehabt hätte, Yon der
traditionellen Schreibung a abzugehen oder dieselbe zu modi-
fizieren, auch die Eigennamen zeigen immer nur die Schrei-
bung a.^ Der schriftlichen Darstellung zufolge nun müsste
dieser Wert (= ä) annähernd bis um die Wende des 13. und
14. Jhs. lebenskräftig gewesen sein; aber wir müssen stark
dem Umstände Eechnung tragen, dass der Beginn der Dar-
stellung in der Muttersprache in grösserem umfange nicht zu
weit abliegt von diesem Zeitpunkt, dass mithin noch eine ge-
wisse rudimentäre Auffassung und Empfindung des einen und
des anderen Lautes eine phonetisch genaue Darstellung beein-
trächtigt, wenn nicht ganz unterdrückt hat. Das Bedürfnis
darnach wird in diesen Anfangsjahren der Abfassung in deut-
scher Sprache stark in Konflikt mit der erlernten und ge-
wohnten Behandlung des lateinischen a geraten sein, welches
man als au^ sprach, aber a schrieb und sprechen sollte. Auf
der anderen Seite kann dieser ausgesprochene Konflikt in
Zeiten der beginnenden Klärung auf heimische Verhältnisse
übertragen gerade dem mundartlichen Laute bei den Augs-
burgern auch in der Schriftsprache zum Siege und zur An-
erkennung verholfen haben. —
* Vgl. Vita St. Ulrici des Albertus, herausg. v. J. A. Schmeller. — Augs-
burger Glossen: Ö-erm. 21. — Prudentius-Glossen (A.), Servatius — und das
Wenige, was die Urkunden bieten : 1260. *quod vulgariter dicitur ^wageJ^ (A.)
^ ca8%M und causa werden nicht unterschieden.
85 Lautlehre. 331
Ea tritt nun die Frage nach dem zeitlichen und örtlichen
Ausgangspunkt der Entwickelung yon d zu dem seinem Klange
tiefer liegenden Laute, dessen diphthongische Gestalt Kauff-
mann^ als imter dem Einfluss zweigipfliger Betonung ent-
standen erklärt, an uns heran. — Die ersten Schreiber der
städtischen Kanzlei und die klerikalen Schreiber des 13. .Ths.
sind mit Ausnahme von Sg im Allgemeinen in der Tradition
befangen. S4, der dem ganzen Tenor seiner Schreibweise
nach kein Augsburger gewesen ist, oder mindestens stark
bairischen Einflüssen sich ergeben hat, trägt die bairische Art^
auch in die Darstellung des Lautes ä hinein und giebt ihm
die Form und Geltung von 6: hon, wem, do und einmal in
feinem Gefühl der Sonderstellung des a (erster Entwicklung)
in gan schreibt er es d : gän. Damit war der Doppelklang
des Lautes den Augsburgem zum Bewusstsein gebracht. Wir
befinden uns nun schon in der zweiten Periode des d erster
Entwickelung. Wenn im Anfange derselben die diphthongische
Geltung des a ^ etwa bis in die dreissiger Jahre des 14. Jhs.
noch stark zurücktritt, so kann das nur einer gewissen Vor-
sicht der einzelnen Schreiber anzurechnen sein, welche den
mehr und mehr von aussen an sie herandringenden Laut-
gebungen teils ratlos gegenüberstanden, teils die Zahl der-
selben nicht vermehren wollten, und darum der Tradition treu
blieben. Kau£Fmann meint, dass solche älteren Formen von
^ Kauffm.: schwäb. Mundart. § 137, 1.
■ Vergl. Weinh. nihd. Gr. §. 56 oben.
^ KaufPmann's (§ 61 Anm. 6) Belege für Augsburg, denen zufolge
das Zeichen au zum erstenmal im Jahre 1283 nachweisbar ist, sind voll-
ständig hinfällig: seine Quelle ist eine Urkunde der Herwartschen ür-
kundensammlung (Augsburger Urkundenbuch [ed. Chr. Meyer] I, 1283),
welche die in ihren Ereis gezogenen Denkmäler in entstellter Form über-
liefert. Ich halte es für überflüssig, meine Behauptung durch eine ge-
naue Untersuchung dieser Schriftstücke auf ihre sprachliche Zuverlässigkeit
hin zu erhärten, ich verweise nur z. B. auf jene von Eauffmann ange-
zogene Urkunde, welche die Neuerungen im Sprach- und Schriftgebrauch,
welche die Augsburger Mundart und die Urkundensprache sich erst in
dem Zeitraum von zwei Jahrhunderten errungen, alle zusammen schon
1282 giebt.
332 Dritter Absohnitt. 86
der Schrift konserviert werden, wenn sie der Sprache der
höheren Stände angefaöreD, sei es, dass diese Älteres bewahrt
haben — nnd das ist nach Kanfifmann^ bei den gebildeten
Schwaben der Fall {d gegen dialektliohes (xu)y -> sei es»
dass sie znfolge nnd zum Behnfe des Verkehrs mit Fremr-
den die Extreme ihrer Mundart yermeiden. Dass der Schreiber
sodann in Kenntnis dieser Gepflogenheit der höheren Stände
seiner Stadt, in deren Interesse er natur* und den Quelleii
gemäss am häufigsten in Aktion trat, sich bestrebte, aus mehr
als einem Grunde seinen Auftraggebern entgegenzukommen,
d. h. nach dem Munde zu reden und zu schreiben, ist nur
zu erklärlich und bei aller sonst gerühmten Einflussstellung
der städtischen Kanzleibeamten nicht abzuleugnen. Freier
aber rerfahren — und konnten verfahren — die klerikalen
Schreiber. Ihnen ist es daher zuerst zu danken, wenn die
einmal gewonnene Form nicht in Vergessenheit geriet, sondern
mit dem Beginn der vierziger Jahre auf der ganzen Linie
sogar siegte, und so Schreibung und Mundart Hand in Hand
gingen. — Es liegt zwar ausserhalb der zeitlichen Grenzen
unserer Untersuchungen, das weitere Schicksal des d erster
Entwickelung im Augsbm^isch-Schwäbischen des folgenden
Jahrhunderts zu verfolgen; ich kann es mir jedoch nicht ver>
sagen, darauf hinzuweisen, dass die am Ende unserer Periode
häufig, im Achtbuch schUessUch regelmässig, im Stadtbuoh
dominierend auftretende Schreibung on für aun <[ an (ane)
auffallend an die Entwickelung des schwäbischen a ]> oo ^ o
vor Nasal mahnt, sowie sie Fischer^ und Bohnenberger für
das 16. Jh. annehmen. In jener unmittelbar auf den von uns
begrenzten Zeitraum folgenden Periode jedoch sind diese
Formen noch nicht in den mündlichen Verkehr übergegangen,
sondern, wie sie dem Vorgange der kaiserlichen Kanzlei der
zweiten Hälfte des 14. Jhs. entstammen, so leben sie lediglich
in der Schriftsprache. Eine Begründung dieser meiner Ansicht
^ a. a. 0. S. 281.
* Germ. 86, 418.
87 LauÜehie. 8S8
werde ioh im Sahaen der G^esamtresultiite geben ^ welche
die Terliegenden Unterauchimgeii sohliessen sollen.
Se hat das d erster Entwickelnng in dem gröeeeren Teil
des 14. Jhs. durchaus den Klang ao gehabt, mit dem Haupt-
gewicht auf a; ich glaube nicht, dass die Schreibungen akn
eine noch genauere Wiedergabe des gesprochenen Lautes be-
zwedcen, sondern sie deuten wohl mehr die Unsicherheit
des dem d nachklingenden Lautes an, um {so mehr als an
anderer Stelle aiui ersohehit Dem o sowohl, wie dem « eine
Tokalische Geltung zu yindineren, ist deshalb nicht angängig,
weil dadurch ein Triphthong geschaffen wäre, wo doch sogar
ein YoUgtQtiger diphthongischer Werth abzulehnen ist wegen
der Verteilung des Haupttones auf den ersten BestandfcMl,
ein Umstand, der nach den üblichen Begriffen dem Wesen
des Diphthongen zuwiderläuft — Das zweigipflige ao^ der
reicbBstädtischen Zeit ist heute d geworden,' jedoch vor den
Thoren Augsburgs beginnt sofort der Diphthong ao, besonders
im Wertachthal hörte ich selbst dib sprechen. Die Wandlung
zu d will fiirlinger* den sächsischen und sächsisch gebildeten
Predigern zur Beformationszeit zuschreiben. Beines d erklärt
Birlinger als aus der Fremde eingeführt, ans dem Fränkisohen
und Bairischen.^
^ In der Aussprache des d als oo ist dem Anschein nach das Aug»-
bnrgische mit den benachbarten bairischen Landstrichen (ostlich yom
Lech) Tereint, indem beide Mundarten dieselbe Zusammenstellung der
Laote a und o hören lassen; aber in dieser Beobachtung liegt die Ge*
fahr, vor der Kauffmann S. 88 für die Abgrenrang Ton Dialekten wamea
zu müssen glaubt, indem er die charakteristischen Merkmale einer Mund-
art viel weniger in der Gestalt der einzelnen Laute und in ihrer Zu-
sammenstellung als solcher, als in den konstitutiven Faktoren: Acoent,
Betonung, Quantität etc. gesucht wissen will. Ein solcher konstitutiver
Faktor, die Betonung, unterscheidet hier allein den Angsburger von dem
angrrenzenden Baiem: jener spricht &o, dieser oö.
• Vergl. Weinh. alam. Gr. § Öl. Schmidt: Frommann ü, 478.
Birlinger S. 4.
• Birl.: augsb.-schwäb. "Woi-terb. S. 5, I.
^ Ganz haltlos ist die Vermutung Birlingers betreffs des s&ohsischen
Einflusses nicht, sie findet eine merkwürdige ünterstütnuig durch die
334 Dritter Abschnitt. 88
Neben dem d erster Entwicklnng geht eine zweite parallel,
ebenfalls auf lautlicher G-eltung basierend^ die zu o. Dieser
Laut 6 scheint sich nur des mhd. a in dem Auslaut: da und vor
r oder n (hon) bemächtigt zu haben, aber dies auch durch den
ganzen Zeitraum hindurch. Später allerdings, als das au sich in
dem ganzen Gebiete des a zu verbreiten strebte, ist ihm auch
das 0 in manchen Stellungen anheimgefallen, wie aus den voran-
stehenden Belegen zu ersehen ist. Ob dieser Tausch nur in
der Schreibung oder auch in der Aussprache vor sich ging,
diese Frage muss ich o£Fen lassen. Die Beime lassen uns
hier im Stich. — Auslautend aber erhält sich das o unbeirrt
für a in do neben da. Ich unternehme es nicht, der Frage
nach dem Verhältnis von au zu p näher zu treten, doch möchte
ich die Hypothese Eauffmann's anführen, welcher die Lant-
teilung in au und o dadurch erklärt, dass er altes d, wie auch
die alten betonten Kürzen je nach ihrer Stellung im Wort-
und Satzgefüge sich verschieden entwickeln lässt. In Pausa-
Stellung soll d durch Überlange hindurch sich zu ao ent-
wickelt haben, während es in anderer Stellung zu 6 geworden
sei. Bohnenberger^ erklärt diesen Weg für unstatthaft. Da ich
selbst in den mir fär Augsburg reichlich zur Verfügung stehen-
den Belegstellen eine Bestätigung einer differenzierenden Kraft
der Pausastellung höchstens für 6 zugestehen kann, ot/ da-
gegen in jeder Stellung sowohl im Wort- als im Satzgefüge
finde, so stelle ich mich auf die Seite Bohnenberger's, wenn
ich auch dem Rhythmus in der Urkunde eine nicht geringe
Bolle bei der Aufklärung anderer Vorgänge vindizieren möchte;
davon an anderer Stelle. — Zeitlich liegt die Entwicklung
von d zu 0 vor derjenigen zu ao, d. h. jene war schon voll-
zogen, als d den Zerdehnungsweg antrat.
Beobachtung, dass sich in der Behandlung mancher Laute, so des e,
merklich der protestantische Norden vom katholischen Süden der schwä-
bischen Hundart — oft sogar gilt diese Teilung für einzelne Städte —
scheidet, (yergl. dazu: Fischer: Germ. 86, 416; Eauffmann: schw. M.§ 71).
^ Bohnenberger: Gr. d. schw. M.: S. 27 Anm. 2.
89 Lautlehre. 335
ä: Bezeiehnang.
a, d, auy av, a, ä, au, au, ä; <h o. — In der schriftlichen
Wiedergabe des eben beschriebenen Lautes haben wir einen
schlagenden Beleg dafür, wie die Schranken der Tradition
durchbrochen werden, d. h. Schreibung des a als a, a. Ein
Vierteljahrhundert herrscht die Tradition unbeeinträchtigt;
ein weiteres Vierteljahrhundert überwiegt sie weitaus, als der
liautwert des a der ersten Entwicklung in der Mundart schon
ein ausgeprägt diphthongischer geworden war und eine dem-
entsprechende veränderte Darstellung in dieser und jener Lage
sich erzwungen hatte. Als der zuverlässigste Faktor für die
Begrenzung des Wechsels in der graphischen Behandlung des
d erweist sich der örtliche Ausgangspunkt. Während in der
frühesten Periode sowohl die städtischen Funktionäre als auch
die klerikalen Schreiber neben dem einfachen Buchstaben a
die differenzierende Schreibung mit ^ gebrauchen, geht
letztere Gestalt des a als a mit Eintritt in das 14. Jh., d. h.
von dem Zeitpunkt etwa an, wo die ürkundenschreiber einer
dem lokalen Sprachgebrauch mehr entsprechenden Schreibung
zugänglich geworden sind, ausschliesslieh auf die geistlichen
Exeise über und wird von da an, indem es von den Klöstern
besonders mit dem den klerikalen Schreiborten eigenen Fest-
halten am Alten gepflegt wird, ein ünterscheidungsmittel der
klerikalen Schriftstücke von den weltlichen beim ersten An-
blick«^ Die städtischen Schreiber verschmähen jedoch nicht
^ Insofern als sich die Ausstattung des a mit dem Circumflex den von
den Augsburger Klerikern einhellig eingeführten Längebezeichnungen an-
reiht. — Ob die gerade im Laufe dieses Zeitraums (Anfang des 14. Jhs. bis
in die dreissiger Jahre hinein) sich bemerkbar machende Spannung
zwischen Stadt und einem Teil des Klerus, d. h. gerade dem leitenden ,
auB politischen Ursachen auch ihre Schatten auf die Handhabung des
schriftlichen Verkehrs nach sprachlicher Seite hin geworfen hat, wäre
interessant zu erfahren. In formeller Hinsicht lässt sich ebenfalls ein
gewisses Auseinandergehen der Parteien feststellen.
386 Dritter AlMchnitt. 90
allein dieses DarsteUnngsinittel für ä, sondern auch für jeden
anderen langen Vokal. ^ Im letzten Drittel unserer Zeit end-
lich erscheint allgemein die Schreibung des a am meisten
manieriert. Schreibungen wie aün haben nicht allein klerikale
Urkunden, sondern auch Schreiber S^, (1360 und 1351) und
S,o? (Gehilfe? oder = S^^?) (1369), und einige Male die
Formen aun und aün. In den klerikalen Urkunden (1358.
Äbtissin v. St. Stephan (A.)), 1369. geistl. Sichter (A.), 1367
Bischoff (A.) ist deutlich aun geschrieben, dagegen hat der
Index bei den städtischen Urkunden (1350 Montag vor Barth.
S„ (A), 1350 25. März S„ (A.), 1361 14. Juni S„ (A.))
die Gestalt eines nach hnks geöfbeten Bogens (Halbmondes)^
und nur in der yereinzelten Urkunde v. 1369, 2. Febr. S,^
ist ein o zweifellos dem u übergesetzt. Indem ich dafür auf
Früheres verweise, mache ich nur noch darauf aufmerksam,
dass die unbestimmbare Form jenes Zeichens L gegenüber
dem sonst mustergültigen Tenor der Schrift absticht, so dass
an ein o kaum zu denken ist, und im Übrigen genau dasselbe
Zeichen über dem e in gewir (1343) sich findet, in welchem
Zusammenhange eher eine Längebezeichnung, Oircumflex, mit
dem Zeichen beabsichtigt sein kann. Über die Formen Aon
und wonten ist schon gehandelt; wenn neben Aon die Schrei-
bung han besteht, so darf man darin jedenfalls nicht eine
lautlich verschiedene Form gegenüber jenem erblicken.' —
Eine gewisse Bedächtigkeit des Verfassers aber sehe ich in
der Schreibung wanUn, zumal da der Schreiber nicht allein
in dieser Urkunde, sondern auch sonst sich« als ein Freund
des Umlauts zeigt. Die Formen het und gehebt (3. sing. Praes.
' Es müssten denn die später, etwa um die Kitte des 14. Jhs. er-
scheinenden formlosen Apices, welche sowohl als Gircumflex gelten, als
auch e, o und u gelesen werden können, eine Wiederaufnahme der alten
Gewohnheit sein; doch möchte ich mich in den thatsächlioh wenigen
Fällen immer für e, höchstens für o entscheiden ; wo die Schreibung doch
zweifelhaft ist, bemerke ich es ausdrücklich.
' Vergl. die Zeichen der sohlesischen Urkunden bei Rückert a. a. 0.
» Yergl. im übrig4n: Weinh. mhd. Gr. 877 und alam. Gr. § 873.
91 LaaÜehre. gS7
und Part. perf. v. haben) gehören nicht in diese Erörterung;
dean es ist das e nie der Ausdrack eines o-Lautes, sondern
Umlaut» den Weinhold teils durch den übertritt des Yerbums
zur I. schwachen Klasse, teils durch die verwirrende Ein-
wirkung des starken Verbums heben^ entstanden sein lässt;
idi yerweise fär das Nähere und die Belftge auch aus früherer
Zeit auf: Weinhold: mhd. Or. § 377. alem. Gr. §§ 373, 374.
ünTerkennbar Zeichen für BeduktionsTokal vor l ist die Schrei-
bung cLy ae in. Wörtern wie Spital, vormaU, auch SpitatU,
vormatds durch Analogiewirkung.'
3b: Umlaut Ton ä: Belege:
Urkunden:
städtische: in der Begel: se, -er.
Sj und S,: ». — 1280. felgerete S3 (A). —
1282. Minn&r, ft&te, D&ften S, (A). — 1282.
ftete (adj.), Bvrger S^ (H). — 1282. ft«te,
-er Sg (R. 4, 2). — 1282, TAten (c.) S« (A).
— 1283. purgaer S, (A). — 1293. w»r (c.)
entffit (c.) Sj (0. 4). — 1294. erbern, ftaet
a^ (R. Xf 5). — 1296. Selgereit Sg (U. 1).
— 1296. J»r, ftate (a^.) S» (U. 1). — 1296.
^ Stadtbuoh 160 a steht geheht « g^mbt gegenüber uf gehebt —
aufgehoben, nur durch zwei Zeilen von ihm getrennt, Si? (1863).
* Achtb. 6da 1. 1848 diupltail 815. In gleicherweise hat Si» im
Achtbuch 1342—1344 ungeraitenheit 2 x (61b u. 62 b) neben unge-
raten?uit 2 X (51b 1 u. 51b 11). Dabei ist zu beachten, dass die beiden
ungeraitenheit für das Auge nicht zusammenstehen, die Form hat dem
Schreiber also wohl im Munde und in der Hand gelegen. In den Ur-
kunden vermeidet Sis durchaus derartige umgangssprachliche Formen.
Nach dem enthalten seine Eintragungen nur tmgeratenhait Sj? kennt
nur die letztere Form, sie war bei der Eintragung seinen Augen die
nächste, 1351. Achtb. 67 a. Äinnhüfer (n. pr.) erscheint früher als Ann-
hufer 1844. 10a. (oder Aunhufer?) und entzieht sich jeder Deutung:
1863. 70 a: Armh^ferin,
338 Dritter Abschnitt 92
burgSBr, phlegaer 85 (A). — 1296. bürgern,
»hten Sj (R. X^^, 4, 6). — 1296. ftate, ftiet
Sj (R. 6, 6). — 1296, phlegere S^ (A). —
1296. felgeraete S^ (A). — 1297. felgerete S,
(U. 1). — 1298. phlegfiBm, Gemviid»rf Sg (A).
1298. ftate (adj.) Sg (A). — 1299. ft»ten S,
(St. 1). — 1302. ftÄt Sg (hl. Cr, 4). — 1302.
BurgSBr S^ (0. 5). — 1306. burgser, Aufpurgser,
Aevlentaler, zolnaer Sg (0. 5). —1306—1324:
8B. — 1326. WelfflBrs — 8b S^o (^)- — 1326.
Jaerclichen Sj^ (C. 7). — 1329. Jserclichen
S^, (hl. Cr). — 1329. -ser, burger S^ (G. 2).
1330. erberen, waer S^, (U. II). — 1331.
neihft S^, (A). — 1333. nihften S^^ (A). —
1333. ftit S,2. — 1335. gnädigen, Erberften,
tsetin S12 (U. 6). — 1338. werin (c.) — immer
"^ Sjg (A). — 1341. Kaiserurkunde: be-
fchadigen S^^ (A). — 1342. nachften Sj5 (hl.
Cr. 5). — 1342. — gnedigen S^^ (A). —
ftit, wären, Pfärde S,^ (U. 6). — 1343. vnuogt-
parf, j&rdich S^j (A). — (1343. w&nten S^^
(A).) — 1345. gehiven S,g (A). — 1345. ftat
(adj.). Genadigen, ftet (adj.) Sj, (R X^, 10,
3). — 1346. anfprÄch S,, (A). — 1345. i»rlich
Sjg (hl. Cr. 6). — 1346. Taeten Sj, (0. 9).
— 1348. neihfteu, vnuogtbsers, Anfpräch Sj,.
— 1348. erberr Sj,. — 1348. guaßidigen Sj,
(A). — 1349. neihften Sj,. — 1352. Trafn»t
Si, (A). — 1356. Jerlichen S^ (0. 10). —
1357. ierlich ... Sj,. — 1358. ftet, fteten
S,,. —
bischöfliche: 1282. wäere, (lirny^te), n&me, burger (R. X-|^,
4, 3). — 1293. burgser (A). — 1302. Mmnar
-a (H. 13). — 1305. « (R. X^, 6, 4). —
1313. nehften, -er (H. 14). — 1316. Erber,
nehften (H. 14). — 1333. beft^ter (A). —
93 LaaÜehre. 339
1341. Pvrggrafin (0. 9). — 1344. JflBriclichen
(G. 2). — 1348. ftet (adj.) (hL Cr. 5). — 1360.
nehften, genedigen (H. 22). — 1351. gnsedigen.
— 1352. gnadigen (A). —
Klöster: St. Cath.: 1279. erbsere St. C. (0. 2). —
1295. ft»te (R. X|, 4). — 1310. felegeraite
(A). — 1355. fteit (adj.) ierUchen (C. 10). —
St. Ulrich: 1301. ftaet, Erberen, -er (U. 2).
— 1326. ifierclichen (U. 2). — 1331. nehften
(ü. 3). —
hl. Gr.: 1326. iärclich, -^r (hl. Cr. 7).
St. Stepb.: 1306. StAt, (A). 1312. nsehrt
(H. 13).
Spital: theten (A).
St. Georg: 1337. ftSt (adj.) (A).
Stadtbach : se, e. Grundtext : se : — befchadegut, gefchadeget
(14. a). S^: 8B. S,: 8b: — richtfler (34. a.),
w»r, brsache. S3: »: — erberre (40. a).
phlegere (37. a). geyserde (165. b). archw&nich.
S5: 8b: — steten (34. b). nsBst. S^: £e. S^:
8d und e : aeht, ehte, sBhtet, sehter, (52. a). were,
T8Bt(63. a). Sj^: ae. 1350: sb. 1350—1368:
e und e. S^, : e, e, »: — stet (adj.) (37. b).
wer (c.)^ tet (c.) (34. a). nsDher (26. b). wdr,
geyaerlichy stsete, (155. b). stetigs, ungeyarlich,
geverde, stdt, (155. a). 1359. nehst (149. a).
geverde. 1349. enwaere, geyserde (145).
Achtbuch: A. 1339. nsehften — se (5. b). S^^. — 1340.
nehften (6. a). S^^. — n»hften (6. a). 8,5. —
. . . 1346. seht, aht, nsehften, fselig (11. a). S^,.
1346. nähften (11. a). S^, — 1348. fchadlich,
nsehften (13. a). S^^. — 1351. seht, gesehtet
(15. b). Sj,. — 1363. gerat (gerate conj.)
(17. b). S^,. — Von 1356 an: nehften und
nShften, immer Aeht S,,. — 1364. teten (c.)
(24. a). Sj,. — geShtet (24. a). Sj,. — Aeht
840 Dritter Absohnitt. 94
(24. b). S^,. . . — ld66. m die Aeht getaun
(26. a. II). Sj,. — in die Aht getaun (26.
a.11). Sj, — 1367. geaehtet, Aht (25. b.). S„. —
1368. nehften, seiligen (22. b). Sj,. — 1370.
nechften, Aecht: — (Recht): (28. b). 8^^. —
geuarlichen, were (29. a). Sj^. —
B. 1346. nfiöher (56. a). Sj,. — 1346. neher
(66. b). Sj,. — 1346. näher, fchedlich (57. a).
Sj,. — 1346. feiligen, fcheidlichen — (vziteichen)
(60. a). Si,. — 1346. Sweiblin (n. pr.) (61. a).
S„. — 1346. neihften (61. b). S„. — 1349.
fchedlichen (63. b). S^,. — 1349. nehften — :
(gsentziu) sonst e (63. b). S^,. — 1350. nsehTten
(65. b). Si,. — 1354. pferit (71. b). S„. -
1365. wSre (94. b). S,,. — 1371. befchadigot,
befchadigoti (c.) (102. a). S,^- —
Bd: Umlaut Ton ä: Geltung.
Der Umlaut ist im Allgemeinen vollzogen; Liquida (r),
und Lingualis scheinen demselben aber entgegengewirkt zu
haben, wenigstens ist tdrclich, ungeuarlich^^ befwaret (1296.
83) befchadigen, fehadlichen häufig, 1296. Aate und Hat (Sg)-
*Vor r und h wird d zuweilen vor Umlaut geschützt.' ' Die
aagsburgischen Quellen kennen jedoch diese fierücksichtigung
des h nicht: cehten . . . nur naher (1286. Sg) gegenüber
häufigem ncehaten, — Wie das ce in den Stammsilben gelautet
hat, ist im Einzelnen zu bestimmen unmöglich. Dafür, dass
auf Grund der Entwicklung von ä '^ au^ ao etwa oe Ar (^
gesprochen worden ist, giebt es kein Zeugnis; nahe gelegt
wird es dadurch, dass heute einige Gegenden Schwabens,
welche ao haben, äe als Umlaut kennen, doch ist das gerade
^ Bei iardich und auch wfigeuarlicK trifft die von Bohnenberger
in Germ. 34, 197 aufgestellte Kegel zu, dass Umlaut dann mit Vorliebe
in Bildungen mit -ig, -lieh eintritt, wenn das Substantivurn auch um-
gelautet erscheint, und umgekehrt nicht.
• Weiahold: mhd. Gr. § 61.
96 Lttitteh]«. 341
im OBten weniger konsequent ^ In den Stellangen vor Liquida
Ql) und Lingualen (t) ist jedoch mit grösater Wahrscheinlich-
keit Diphthong anzusetzen: oasadem Laut des alten Dipht-
hong «t »> m ; denn gerade in den eben erw&hnten SteUungen
erscheint die Schreibung ei \ aei überaus häufig : vgl. im Acht-
buch die Bekge unter Sj,.^ Beaaeichnend ist namentlich das
heiu fBr hete <[ h$bete^ welches im Alamannisohen sehr be-
liebt ist.^
Dae <M in Endungen und Suffixen ist nur durch die
Endung er < ari > are > aere > aer > er und -baere
vertreten: Die substantirische Endung -aere der Nomina
agentis pflegte im Mittelalter tieftonig und im Beime durclh'
gängig klingend zu sein, in den Nibelungen aber hebt schon
die Verkürzung in ein tonloses -er daneben an. Die un-
organische Natur dieses -er folgt teils aus dem schon im
Singularis stattfindenden alten Umlaut (z. B. iegere\ teils aus
dem Unumlaut des Fhiralis (z. B. mdler)^. Hinsichtlich der
Aussprache der Silbe zwingt die Bücksicht auf die moderne
Geltung, die unumgelautete Form als die lautgemässe auch
für die mhd. Zeit voraus zu setzen^ sie ist in den Urkunden
nur selten vertreten: 1302 bisch.: Mnnar^ phiegar, 1304.
11. Juli S, (A). burgar (1308 (A), um so stärker dagegen
in dem Stadtbuch, was keineswegs gegen ihre Popularität
spricht.
Der Umlaut des ä ist unter den gleichen Bedingungen
wie der von ä ins Leben getreten; auch hier lassen aber
* vgL Fischer in Germ. XXXVI, 418.
* «i für e («- UmlAat von S) wird schon im ahd. geschrieben: Branne»
shd. Gramm. § IS, h, 9.
> 1346. Aohtbnch 56. a. L 1346. heite (conj. praet) später: (80.
a. n). 1846. reuigen, fcheidlichen (60. b. I). fcheidlichen. (61. a. I)
fcheidlichen, Stoeiblin, (61. b. II). neihlten. (60. b. I). vziteichen. (62.
a. I). reheidüdi neben meide (Mädchen). (6S. b). /dbeütttdk. (69. b. II).
^^eitt (redet). — 1849. Stg. (68. b). fehedliehen ... ei giebt an allen den
Orten zugleich alten Diphthong ei^ai wieder, wenigstens überwiegend.
* Weinhold: mhd. Gr. § 877.
«^ vgl. Grimm : I (1890). 869 und 698.
342 Dritter Absohnitt. 96
mehrmals nachweisbare Formen, wie iärcUchen eine gewisse
Zurückhaltung gewahren. Desgleichen scheint die Feminin«
endung -in nicht den Umlaut begünstigt zu haben: ich finde
Phrggrafin (bisch. 1341). Der gewöhnlichen Schreibweise nach
muss auch ceht zu den umgelauteten Wörtern rechnen; da
indes akt und 1 X ahU ersteres häufig, daneben auftritt, so
kann ich e eher den sonst dem Schwäbischen eigenen sym-
bolischen Ersatz eines Vokals heissen, als dass er die eigen-
tümliche Vermischung von a und e im Klang bezeichnet; es
würde demnach für das Substantivum die Aussprache deht,
d. h. ätcht^ angesetzt und damit die Schreibung aht in Ein-
klang gebracht werden können, (vgl. oben : SpiUd = Spitaul,
vormalsj = vormatds),
se: Umlaut Ton ä: Bezeichnung.
Die offenbare Unsicherheit in der Aussprache lässt
eine entsprechende Mannigfaltigkeit des graphischen Aus-
druckes erwarten. Es ist in der That cb nicht, die alleinige,
nicht einmal im Allgemeinen die überwiegende Schreibung
des Umlautes von ä, sondern es wechselt mit e, a, d und e,
sogar eL Genau ist es als A geschrieben. Auch nicht die
Prävenienz der einen Entwickelung des Umlauts vor der anderen
jüngeren wird durch die Schreibung markiert. Historische
Schreibungen, die dem au = ä entsprächen, habe ich nicht
Yorgefiinden. — Unverkennbar ist cb die archaistische Lant-
gebung. Sg führt sich mit e ein, und das ist ein neues
Kennzeichen seiner fränkischen Erziehung; denn in der Ver-
meidung des CB sowohl für Umlaut des ä als für e (Umlaut
des a durch t) und fär i prägt sich die gewöhnliche md.
Schreibweise aus, für welche der gänzliche Mangel eines ce
im mhd. Sinne eine der bekanntesten Eigentümlichkeiten
ist. * Erst später verwendet S 3 cb und e unterschieds-
' Im Allgemeinen glaubeich nicht» dasB irgendwo im ganzen deutschen
Gebiete für ceht die Aussprache ä gegolten habe, sondern aach im md.
äe (Rückert S. 61), im nd. ä, and daher aht oder cht, ähte nur als eine
Gewohnheitsschreibung anzusehen sein, der das Wort als juristischer
Ausdruck leicht hat unterliegen können.
» Rückert S. 80.
97 Lautlehre. 343
loSy abgesehen davon, dass er auch den Umlaut gar-
nicht kennzeichnet: Yor r und hi {naher 1286) r: gefwareU
— Die Schreibungen mit ei und oei, den Quellen nach vor
U t und h sind schon erwähnt ; es wurde in ihnen die graphische
Wiedergabe des etymologischen ei = ai auf Grund gleichen
Lautwertes in Anspruch genommen. ^ feelig (1313, 13. Mai
S,) neben ausschliesslichem ce (goeber — geeber — aufgeben)
ist nur eine Variation des cei, ei, übrigens dem lebenden
Laute mehr entsprechend. Ausser bei S3 tritt die Schreibung
ei nur bei klerikalen Schreibern häufig auf. Nur S^^ hat:
neifist 1331. Hagen (Sj,) bringt mit Vorliebe ei und cei
auch in Urkunden (1348. M. v. Bart. (A) . • .).
Die Quantitätsbezeichnung mit ^ ist im 13. Jh. üblich,
im 14. Jh. wird sie sehr spärlich und mit wenigen Ausnahmen
nur von klerikalen Schreibern angewandt. Mit Hagen gewinnt
sie neuen Boden auch in der städtischen Kanzlei; derselbe
bedient sich ihrer schon als Gehilfe häufig (1345. S. d.
Ahtunden (A), und namentlich in den letzten Jahren
unserer Periode blüht die Schreibung mit ^. 1333 beginnt
Sjg a zu schreiben, zugleich als Bezeichnung des Umlauts
von ä: alliv, halbiv, befchac/ie (c.) — Akker (1339.). Sjg (Ulrich
Riederer) forciert, wie schon erwähnt, diese Schreibweise.
1348 finde ich Yon dem Schreiber des Klosters z. hl. Kreutz:
fat; ob damit ftet oder ftet gemeint ist, kann ich nicht ent-
scheiden, einmal ist ftet sicher belegt. — Von den Endungen
'cere und -beere tritt -cere vorherrschende mit ce auf im 13. Jh.,
von Sj sogar im Namen Minn&r mit Circumflex ausgestattet.
Vom Jahre 1307 etwa an (S^ . . .) verdrängt e das schwerere
«, welches Platz wegnahm ; nur einzelne Schreiber bevorzugen
noch lange nachher ce (1325 (Sj^) 1328 (S^). Das Wort
SchribeTy gleich ob Eigenname oder Standesbezeichnung, macht
die ganze Periode hindurch eine Ausnahme. beere ist die
Hegel, doch wird es im 14. Jh. vielfach durch -bere; -ber
infolge der Gewohnheit der Zeit, ersetzt. — Die Praxis des
1 vgl. Grimm: I^, 186,7.
23
344 Dritter Abschnitt. 98
iBT lehrt im AUgemeiiien die BedeutungsloBigkeit des <b f&r
die Darstellung vod ihrer Geschichte und ihrem Ursprung
nach yerschiedenen Lauten.
e: Belege.
Urkunden:
ae, e, ae, 6, &, e. (i). —
städtische: 1272—1330: in der Regel ae, anfangs: ae be-
vorzugt. — 1330—1374: e in der Regel. —
1272. lefen (fehent)* S^ (U. II, 1). — 1277.
laefent (faehent) gaeben, faelben. S, (A). —
1280. lagfent S^ (A). — 1282. laefent, (faehent)^
geben S^ (A). — geben, (feh^nt), lefent,
brddien^ braechent S, (R. 4,4). — lefent
laebt, waerden — (faehent), LichtmaSlte S,
(A). — 1283. lefent, (fehent), — e Sg
<A). — 1283. ledic, Ratgeben, Miffe, liehtmiffe
Sft (A). — 1296. Bischof und Rat: lesent,
(fehent) S^ (R. x ^ 4,6). — 1298. faelb, ledick
Sg (A). — 1304. gaeben, sechzick S^ (A).
— 1306. haer (=>= her), faelb, raechts rechts
Se (C. 5). — 1306. ae S. (U 2). — 1311.
Rat: gebenne S, (R. x | 6,5). -^1312. Sehzick^
ledigiT S« (C. 6). — 1313. faehtzik zaech-
maifter, zechmailter S, (A). — rehtun
Sg (A). — gaeber, aufgeben, geeber
(feelig) S, ? (fl. 14). — bis 1317: e — 1317.
faehtzich S^ (0. 6). — 1318. gaeber, geben^
(fehent) S^ (U. 2). — 1318. gaeber, ledick
Se (U 2). — 1319. vaelde S, (C. 6). — 1323.
waertlichen S, (0. 7). — tagwaerch,.
reht, veld. S^. — 1328. e S^j, Sj,. — 1329.
* Ich stelle iehent hier mit ( — ) nehen die Belege, weil es in den
mittelalterlichen Denkmälern Augsburgs nur als L&nge behandelt ist,
nm so die Behaudlung des e ersehen zu lassen, soweit das mit Ab-
rechnung des formelhaften Gebrauches von aehent möglich ist.
99 Lautlehre. 346
vaeld S^ (hl. Cr.). — 1329. faelben S,, (H.
16). — 1330. velde S^ (St. 3). —
1330—1374: in der Regel e. — 1341. wiltUchen
S,5 (A). — 1346. Liechtmijle 8,^ (hl. Cr. 5)
1346. Liechtmeffe S„ (H. 20). — 1351 : Lyecht-
miffe S„ (C. 10). — 1855. vaeld S,«. — 1357.
sehtzig, Geltent S^,. — 1358. naemen S^,. —
1359. Liechtmezze S^, (A). — 1365. velde
Sie <ß" 12)- — 1367. veld Sie (ß- 13). —
1367. SShtzigoftem Sj. (K. 13). — 1366.
Sßhtzigoftem S^^ (A). —
Bischöfliche und Domkapitel: 1296. lefent (E. x | 5,6).
— 1305. lefent, (fehent) (R. 6,4). — 1313. e
(H. 14). — 1338. Wechhalter — (ftent, Enger
befteter) (A). — 1345. rehtiv, e (H. 20). —
1345. Lyechtmiffe (H. 20). — 1349. laidigen
(H. 21). — 1351. Lichtmeffe (H. 22). —
Domk.: 1348. rSht, wechfel: (ftet (adj.)) (hl. Cr. 5). —
1349. Lyechtmiffe (H. 21). —
Curia: 1320. velde (G. 2> — 1327. laedich (A). —
1331. ledig, liehtmiffe (U. II). — 1337. gaeben,
(fehent), lefent, veld (U. 5). —
Klöster: St Cath.: 1295. (faehent), laefent, gaebin
(R. X I 4). — 1303. (fehent) <C. 5).
St. Ulrich: 1301. (fehent), lefen (U. 2). —
1306. glegen, raehts, raechter (ü. 2). — 13S1.
e (A). -
St. Stephan: 1306 e (A). — 1312. lefent
(St. 13). — 1327. e. —
hl. Kreutz: Schreiber von 1311 = 1317 =
1326: leifent, gefeitzed, leigent rechttes: —
(eiltfchten) (hl. Cr.). — 1326: leifent, leidick
(hl. Cr.). —
St. Georg: 1337 fwöfter (A). —
28*
346 Dritter Abschnitt. 100
Stadtbuch:
Grundtext: In der £egel: e anfangs: ae — S^: ae und
weniger e: — reht in der Begel mit e — doch:
raehte, raehticheit (Grundtext la) — S,: ae,
seltener e. — Sg, — S^, — S^, — S^, —
Oiftj ^17» ^16* ®'
Achtbuch:
A: Durchaus e. — 1342. Liehtmeffe S^^ (9a. 11).
— 1346. LiehtmezZy faelben S^, (Ha). —
spätere Hand (1350. Liehtmiffe (13a I).) -
1367. Liehtmeffe S^, (25b). —
B: 1346. ftaechen Sj, (56a). — faelben, raehten
Si, (56a). -' 1346. felben S„ (56a). — 1346.
vzfteichen: — (feiligen, fcheidlichen) S^^ (60a).
e: Oeltnng:
Wie schon bemerkt, kann sich in Augsburg der Klang
des german. S nicht oder nur wenig von dem des Umlaut = e
unterschieden haben; von der den oberdeutschen Mundarten
eigenen Klarheit^ in der Unterscheidung des Umlautes und
der Brechung in e ist also in Augsburg nicht viel zu spüren
für die mhd. Zeit. Eine gedehnte Aussprache wird der
Schreibung nach, wie sie anfangs herrscht, bei S^ (: zwar
1272 lefen, doch später nur laefent,) in lefen stattgefunden
haben. ^ — Der Laut ist heute zweigestaltig ^ 1. ea, die ur-
alte Aussprache, (doch erst im 15. Jh. häufiger durch die
Schreibung ausgedrückt) 2. e echt augsburgisch, als ob es
gleich umgelautetem a wäre. Diese Zweiteilung spiegelt sich
* Birlinger: Schwab. Wörterbuch S. 248.
« S« schreibt 1282: Chailner; Taigan; brichen, braechent — laibt;
watrden, IÄchtmaef£e, Auch vor r würde nach den Zeugnissen gedehnte
Aussprache eingetreten sein : gewer wird sehr häufig als gewir geschrieben
z. B. 1836| Si3.
• Vgl. Grimm: Gr. I*, 2980'. und: Birlinger : Augsb.-schw. "Wörtb.
131, I.
101 Lautlehre. 347
in der Schreibung des 13. und 14. Jh. derart ab, dass auch
diese keine einheitliche ist Dass oe das ea vertreten soll,
ist im Einzelnen wohl anzunehmen; die Gleichstellung der
Schreibungen ae, e, ä aber wird im Allgemeinen eher auf
jene heute geltende Aussprache i, entsprechend dem durch
die gleichen Zeichen und in gleicher BegeUosigkeit dar-
gestellten Klange des umgelauteten ä hinweisen. Übrigens ist
auch ae anfangs vorherrschend parallel dem <ie für Umlaut von
ä und ä. — Noch zu gedenken ist einer Erscheinung, welche
im Yolksmunde und in volkstümlichen Schriften nicht allein
Augsburgs, sondern wohl ganz Schwabens sich erhalten hat;
es ist nämlich das i in manchen Stellungen der Brechung zu
i ausgewichen und wird als l gesprochen in liehtmiffe, welches
häufiger auch in unseren Denkmälern neben liehtme/fe erscheint.
Bemerkenswert erscheint mir dabei, dass dieselbe Gepflogenheit
im Mittelniederländischen (mndd. ?) in der Stellung vor n und
sonst nur in lichtmiffe und dem einfachen miJTe besteht. Durch
seine Verbindung mit Köln^ konnte vielleicht Augsburg zu
dieser Gestalt des Wortes gekommen sein. ^
e: Bezelclinang :
Wiedergegeben wird i mit e, ae, ai, S, e.
ae ist im 13. Jh. vorherrschend, besonders bei den kleri-
kalen Schreibern. 1282 hat eine bischöfliche Urkunde dreimal
vaeüen neben: lefent, Waertah, faehzehen: — (naSme^ waere).
^ Die Handelsverbindong and der Wanderverkehr Augsburgs mit Köln
war alt. Schon 1104 nimmt das Augsburger Stadtrecht v. 1104: lU, 5
(Gaupp : Stadtrechte des Mittelalt. IE, 203) in seinen Text den Passus auf:
'praeter institores civitatis qui Coloniam vadunt' — desgleichen : Stadtb.
Y. A. ed. Chr. Meyer: S. 16. 'hinze herlingen . . .' In der Anlage
seines Stadtrechts übrigens äussert sich unverkennbar eine Hinneigung
Augsburgs zu dem Freiburger Recht und dadurch auch zu dessen Mutter-
recht, dem Recht von Cöhi. (Vgl. Chr. Meyer: Stadtb. v. Augsb.
S. XXVn.) Gaupp: Stadtrechte des Mittelalters 11, S. 28.
« Vgl. Lübben-Schiller: mndd. Wörterbuch: 11, 686. und Birlinger:
augsb.- schw. W. S4d.
348 Dritter Abschnitt. lOi
S3 führt e ein, ^ erst 1291 schreibt er Truclilaetze, gebraelte —
fetzze, ein Beweis für seine, wenn auch geringe, Beeinflussung
von Seiten des städtischen Schreibgebrauches. Im 14. Jh.
treten die klerikalen Schreiber in der Verwendung des ae für
S weder in den Vordergrund, noch auch ist ae überhaupt so
häufig. Eine merkliche Bevorzugung des ae vor bestimmten
Konsonanten und Konsonantenyerbindungen, welche eine
Dehnung des Yorausgehenden Vokals veranlassen, und also
eine Wiedergabe der eingetretenen Dehnung des S nach i
hin durch nunmehr legitimes ae« lässt sich nicht feststellen,
wenn auch die Quellen fast auf eine solche ae erhaltende
E^raft vor Liquida -|- Nasal, Liquida -j- Lingualis, vor Guttu-
ralen und vor s (Sibilanten) hinzudeuten scheinen, es stellen
sich immerhin Beispiele wie laebt (1282 2. Febr. S ,) entgegen.
Die Dehnung in LUhtma^rte kann sich gründen auf eine durch
den Bhythmus im logischen Zusammenhange hervorgerufene
besondere Betonung und kann demgemäss in der Schreibimg
ihren Ausdruck gefunden haben. Wir hätt^ damit ein
Wort, welches in dieser einen Gestalt allein
dem Sprachgut der Kanzleisprache angehört
und nur zuweilen durch das volkstümliche Uehtmiffe * ver-
drängt wird. Im übrigen aber sind die Fälle, die dem
oben angegebenen Gesetz untersteben können, so spärlich,
dass die Unzulänglichkeit des Materials zur Vorsicht mahnt.
— Von einzelnen Wörtern ist geben am häufigsten mit
ae geschrieben; die einmal nachweisbare Form geeber
neben gaeber (1313 S,) kann als Zeugnis für eine statthafte
Dehnung des e gelten, mithin physiologisch gerechtfertigt
sein. Die Doppelschreibung des e vertritt in derselben Ur-
kunde noch einmal ümlaut-o«, und beachtenswert ist, dass
in einer Urkunde von Aichach aus dem folgenden Jahre i
^ Vgl. das bei ae über die md. Eigentümlichkeit Gesagte.
* Es ist kaum ein Zufall zu nennen, dass liehtmiffe die dominierende
Schreibung im Stadtbuch ist ; liehtmisse ist Besitztum der Yolkssprache,
und damit für das Sprachgut der internen städtischen Bechtsdenkmäler,
als Vertreter einer auf die Mundart einer früheren Zeit gegründeten
Tradition, erworben.
103 Lautlehre. 949
mehrfach belegt ist : ^ geben und stet (»> stät). In den internen
schriftlichen Bechtsdenkmälem : Achtbuch, Stadtbuch, ist #,
ee für S unbekannt, in der Urkunde resultiert dieselbe also
wohl ans einem augenblicklichen Einfluss von Urkunde zu
Urkunde, und verschwindet, wenn die Vorlage nicht mehr
benutzt wird. Die Schreibung mit ae geht so weit, dass in
einem Instrument yon 1305 vom Schreiber S^, welcher das
ae in Stammsilben bevorzugt, auch das Praefix her- mit ae
geschrieben wird. Den Brauch, ae als ei zu schreiben, hat e
auf dem Wege über ae mitgemacht in dem Stamme lid-:
Udig, laedig und Uidigs bei weitem am häufigsten in klerikalen
Urkunden: 1326. leidick (hl. Cr.); 1349. laidigen (Domk.)
Wie weit hier eine Verwechselung mit leidigen ==: 'ein Leid
anthun' vorliegt, ist eine Frage für sich. -^ Die Variation
des ae ZM a finde ich nur in wiUtUclien (1341 S^^). — Einige
Schwierigkeit stellt der Erklärung die Schreibweise S entgegen,
welche zuerst in Masse eine bischöfliche Urkunde von 1338
bringt: wechhalter, wechTel, r8h$: — (lüt,) die Erscheinung ist
immerhin nicht bedeutungslos, weil der bischöfliche Schreiber
dieser Zeit zugleich kaiserliche Urkunden geschrieben, und
zwar als Begleiter und Schreiber des zum Kanzler bestallten
augsburgischen Bischofs Heinrich von Schöneck. Zum zweiten
Male erscheint ^ in der sicherlich aus einem klerikalen Schreibort
stammenden Urkunde von 1348 (bisch, od. hl. Gr.). i kann
e darstellen, jedoch ist die Bestimmung der beiden punkt-
artigen Strichelchen über e aus ihrer Form und Stellung
zu einander nicht festzustellen, sie können ebenso gut Länge-
bezeichnung (= ^) sein, wie der anonyme Kritiker der Schrift
Weinholds : ^Beilaut' ^ bei jedem unbestimmbaren Apex annehmen
möchte, e würde dann der gleichen Tendenz entsprungen
sein, wie ae fUr e, es soll die Dehnung veranschaulichen ; noch
Sj, hat es als S zur Bezeichnung des e, aber auch des ae^^
' Ich meine, dass Urkunden desselben Ortes schon in gleicher
Fassung vorhergegangen sein können, nur sind sie uns nicht erhalten.
• GemL V.
350 Dritter Ab«chnitt. 104
Umlaut YOn ä (1367 : sektzig — ierlich, kes — befctiShe, tothen-
nehtenJ^
Das 6 findet merkwürdiger Weise gerade in den sechziger
Jahren des 14. Jhs. häufige Verwendung, ohne dass eine Yer-
anlassungy etwa Einfluss yon aussen her, erfindlich ist: velde^
wSren, 1365 (Sj^), SehtzigoIUm 1366 und 1367. (SjJ.
Schiesslich fallt die Schreibung fwdäer ^= fwoJUr (?) in
einer Urkunde yon St. Georg 1337 in die Augen. Sie ge-
hört nicht dem Sprachgut der Mundart an.
S: Belege:
Urkunden:
städtische: bis 1300: ae, d, e, ei. —
1272. (fehent) S^ (ü. IL I). — 1277. (faehent),
(zaehenden)' S, (A). — 1280. (zaehenden)
Si (H). — 1282. (faehent), feie S, (A). —
(fehent), Taegan S, (R. 4. 4). — (faehent) 8^
(A). — 1283. (fehen) S», — (fehent) S,. —
Meintage S^. — (fehent) Sg (C. 3). — 1294.
(fehent) S^ (R. X| 5). -- 1295. Selgereit S,
(U. 1). — 1296. Bisch, und Rat (fehent) S^^
(R X^, 4, 6). — 1296. (Sie S^ (A). —
felgeraete S^. — felgeraöte S5. — 1297.
fSlgeraete S^. — 1297. (fehent), felgerete S3
(U. 1). — 1299.. eS. S3 (A).
1300—1374: e. — (1301. aerften, (fehent),
Erberen?) — 1304. felegeraite S, (A). — 1306.
haer S^ (C. 5). — 1306. gierten, haer S^
(U. 2). — 1330. Maentag, wenik S^? (A). —
1332. mentag S„ (A). — 1333. Vogt. Mäntag
S^, (hl. Or. 5). — 1334. Maentach S^, (A).
' Letztere beiden Wörter haben gedehntes a, und über dieses
hinweg a^ als Umlaut.
' Ich zähle hier zaehenden immer mit auf, da dasselbe der heutigen
Aussprache nach zu den Wörtern mit Dehnung des ü zu $ gehört ; des-
gleichen wird aehent auch hier mit aufgeführt.
105 Lautlehre. 351
— 1337. euwiclich Sjg. — 1337. Maentag^
ewiclich-Gewer S^^. — 1338. Afiftermaentag
Sjg. — 1338. aflftermentag B^^. —• 1340. Mentag
S^g. — 1342. Maentag 8^^ (U. 6). — 1345.
Mentag S^^ (A). — 1346. Mentag S^, (H. 20.)
1348. Mentag . . . S^, (A). — 1357. elichiu,
8, Ehaftin S^, (0. 6). — 1367. Mentag :-(Seht.
zigoftem) S^^ (R. 12). — (1366.: -Sehtzigoftem)
Sie (A).
bischöfliche und Domkapitel: 1282: (iaehent) (2 X),
NaSrtah, zwSn (R. X^, 4, 3). — 1296. lefent
CR, X\j 5, 6). — 1305. (fehent) (R. X|, 6, 4).
— 1347. laeran (R. X^, 10). — 1348. ewich-
lichen -(reht, ftet) (hl. Cr. 5). —
Curia: 1337. (fehent), (U. 6). — 1337. maer. —
Klöster: St. Cathar.: 1279. erbaere (C. 2). — 1295.
(faehent) (R. X|, 4). — 1303. fei, (Gen), eu-
wig, (fehent). (C. 5).
St. Georg: 1282. föl (G. 1). — 1352. ege-
nante (A). —
St. Ulrich: 1301. aerften, (fehent), Erberen
(U. 2). — 1331. Ewich (A).
St. Stephan: egenant (A).
Stadtbuch: Grundtext: e — doch: eS, e (= ehe).
Novellen: e: — eö (= ehe), ee (= ehe).
Acht buch: e: 1340. Mentag S^^. — 1350. (bed) S„
(15. a.) — 1352 eegenannten S^, (16. b.) —
1357. Ehaftin Si, (20. b.) — 1359. er, Ehaftin
Si, (22. a.) —
e: Geltung:
Im ahd. schwankt ei (goth. äi) ausser den 3 Fällen ^ nur
selten in e über; die ahd. Beispiele lassen sich im mhd. nur
wenig vermehren und die meisten Wörter, welche hinzukommen,
sind fremde und solche Wörter, in denen ursprüngliches e
* Grimm: Ghr. I, 8. 90 und S. 343.
352 Dritter Absclmitt. 109
durch Dehnung zu e geworden i^t. Die Summe der Belege
schrumpft in den Urkunden noch bedeutend zusammen : Jede
Urkunde enthält: Tehen, aber meist in der Eingangsformel,
wodurch eine gewisse Erstarrung der Form bedingt ist; es
ist abgesehen von den allerersten Urkunden, wo fehent mit
faehent wechselt, nachher nur noch fehent nachweislich; das
Einzelne bringt der Abschnitt über die Schreibung, und es
ist im Übrigen auf die Belege zu verweisen. — Eine gleiche
Erfahrung werden wir an dem Worte Mgeraete machen. In
den anderen Fällen geben die Belege etwa von ISOO ab
überwiegend §, in dem einsilbigen Wort für ^ehe': e. Einen
Anhalt für die mögliche Aussprache des e in der mhd. Zeit
gewährt die Schreibung fei 1303 (St. Cath.), und das als ee
(bei städtischen Schreibern 1299, (Stadtb. 61) S3 : eS und
egenannte 1362 (St. Georg)) auftretende e (»; ehe). Es ist in
diesen Fällen unzweifelhaft ein Doppellaut empfunden worden,
die nähere Bichtung kann Gen, welches in derselben Urkunde
von 1303 neben fei steht, anzeigen, indem dasselbe mit der
nebenhergehenden Schreibung gein^ sich den Wörtern wie
feit = faet (= saget) nähert.
e: Bezeichnung:
Zeichen sind ae, S, e, e.
Die Ausstattung des Buchstaben e mit Circumflex -^ ist
auch hier eine Eigenheit der klerikalen Urkunden, wie die
Belege ergeben, ae gehört im Allgemeinen dem 13. Jh. an,
nach 1300 haben es spärlich klerikale Schriftstücke; über-
wiegend verwenden auch diese e. e ist selten, scheint mir
aber auf eine gewisse Bedächtigkeit des betreffenden Schreibers
schliessen zu lassen; auch diese Art der Darstellung des S
ist charakteristisch für die klerikalen Schreiber, indem die-
jenigen städtischen Funktionäre, welche die Indicierung mit
i bei a und auch bei anderen Vokalen besonders forcieren,
bei e dieses Hülfsmittel verschmähen. Alles in Allem aber
' Achtbuch: 1370. gein Si« (29 a).
107 Lautlehre. 353
kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass die
Sdireiber in der individuellen Absicht zu unterscheiden oder,
weil es ihnen so gelehrt w(»rden ist, mit dem einheitlichen
e etwas anderes haben ausdriicken wollen, als wenn sie für
Umlaut Yon ä, Umlaut von a und für ^: 6 mit ae und dessen
Variationen wechseln lassen.
Anmerkung: Schliesslich ist noch an dieser Stelle
auf die Entwicklung der Zusammensetzungen mit ü <^
ioy eo: ieman, ietweder . . • aufmerksam zu machen, indem
die Urkunde von 1319. 14. August in der Schreibung iemen,
ietweder, ieglichen, die später im md. dem ieman gleichwertige
Form iman . . . durchblicken lässt; es hat sich ieman über
ieman zu &man entwickelt Bezüglich der Bedeutung dieses
ieman für die Geschichte des ieman, nieman der Augsburger
Mundart darf nicht übergangen werden, dass heute ne9m9 die
geltende Aussprache ist, iiman kann also als durchaus mund-
artlich für das 14. Jh. angesprochen werden.
!: Belege:^
Urkunden :
In der Eegel: i — ie; y, und Dehnung zu ei.
städtische: in der Regel i: 1272. Sibenzek, ynfigel S^
(U. II). — 1273. gefcriben, Sibenzech S^ (A).
— 1277. Spietal, frier, fchriber, nihtef niht,
fvben, fvbenzegeftem S^ (A). — 1282. Insigel,
drj, niht, iht S, (E. X^, 4, 4). — Lieht-
maeffe Sj (A). — 1284. nimmer S« (A). —
(yierden) S, (A). — 1294. Insigehi S^ (R. X^,
5, 4). — 1298. lieht, vil. S« (A). — 1300. niht
Sj (C. 5). — 1303. nit S^. — 1306. verzeichen
Sg. — verzeichen, verzigen, Insigel S^ (U. 2).
— 1316. nit Sg (A). — 1317. nit Sg (A). —
1318. niht S^ (U. 2). — 132S. Liudfrid Sg (C.
7). — 1329. Dyener Sg (A). —
* Die gedehnten Wörter: fehribtn, fchriber, win, /W, fient, dri,
werden bei t angeführt
354 Dritter Abschnitt. 108
1330. veijehen, immer j. S^ (St. 3). — 1332.
Ohustry S^ ? (A). — 1333. ymmerme: — (ftynr)
8^2 (A). — 1335. Rynchmaur S^, (A). —
1335. Bat: weffenten 8^3 (U. 5). — 1338.
Crufti S18 (A). — 1338. Ueht. chuftrie 8^^ (U. 6).
— 1339. vogtey, vogtay 8^8 (A). — 1343.
(ytzu), Liechtmiffe 8^, (hl. Cr. 6). — 1360.
Brotyfch, protyfch S^, (A). — 1351. Byßüm
81, (C. 10). — Lyehtmiffe 8„ (0. 10). —
1352. Byfchftf 8^, (A). — 1354. Hymel S„
(A). — 1357. verzeihe 8^7 (C. 6). — 1359.
Pryorin 8^7 (C. 10). — Liechtmezze 8^7. —
1362. nihtes 8^« (R. 12). — 1372. 8ibenl^
zigoftem 8,^ (B- 14). —
Bischöfliche und Domkapitel: 1282. nider, (lit), dri, ge-
fchriben, gefchrieben (K. X^, 4, 3). — 1293.
ynfigel (A). — 1305. hilfe (R. X^^, 6, 4). —
1343. kyrher (= kirchherr?) (H. 20). — 1344.
Pyfchof — (fryetag) (C. 9). — 1345. Byfchof
-- (frietag) (H. 20). — Pyfchoff, Lyecht-
miffe (H. 20). — Pyfchoff, LyechtmifTe.
— 1349. Byfchof, Lyechtmiffe (H. 21). —
1350. Hymel (A). — 1351. Liehtmeffe (H. 22).
1351. Marigen, Domk.? Curia? (A).
Curia: 1331. liehtmiffe (U. III). — 1337. verzeihen
(U. 5). —
Klöster: 8t. Cath.: 1279. 8ibenzich, nit (C. 2). —
1295. niht (R. X\j 4). —
8t. Ulrich: 1288. nith (U. 1). —
hl. Creutz: 1326. vmmer (hl. Cr. 5). — 1334.
Hvntz (hl. Cr. 5). — 1350. gescriben, (ihefu)
(A). -
8 t. Moritz: 1342. i, Pyschoff (A). —
8t 8tephan: 1362. Dylinger (St).
109 Lautlehre. 356
Stadtbuch:
Grundtext: i, liehtmesse (26 b) — lieht
(21 a) — immer: niht: — geschrieben (25 a). —
sonst: geschriben (z. B. 25 b).
Novellen: durchweg i, auch: niht, nit 1350 S^,.
Achtbuch:
A: In der Regel i: immer: Liehtmeffe, niht
1338. (Marigen) S^« (4 b). — 1340. (Otüigen),
niht 8^5 (6 a). — 1342 Liehtmeffe S^^ (9 a).
— wefte, nihtes S^^ (8 b). — 1341. (Maigifter,
maifter) 8,^ (7 a). — 1343. wifte, (dry) 8^^
(10 a). — 1349. frid, Liutfrid 8^, (14 b). —
1350. frid 8„ (15 a). — 1353. Otylgen. — 1360.
Siben 8^, (22 b). — 1369. Elyzabeth 8^^
(27 b). —
B: 1343. liebten (adj.) 8^^ (53 a). — 1367. veint-
fchaft 8i, (94 b). — 1369. vintfchafft.
i: Geltung:
Das mhd. l basiert auf zwei früheren Entwickelungen :
1. t sa indogerm i und 2. i aus urgermanischem altem S der
Stammsilben vor i (u) der Flexionssilbe. Ahd. % ist im Augs-
burgischen nicht in allen Stellungen i geblieben. Es hat
zunächst von den Verben der i-Klasse das Verbum ^inasen
während unserer ganzen Zeit als Fraeteritum nicht vriste,
sondern weste ^. Sodann kennt die Augsburger Mundart nicht
mehr die alte Aussprache lidic, sondern schon in unserer
Zeit ledic, so schliesse ich aus der Schreibung, die in der
Stammsilbe nur e oder ei — vgl. das bei i G-esagte — auf-
weist. * Endlich unterlag altes t der Dehnung. * — Die
1 1885. S. n. 15. Juni: weffenten (conj.) (St. U. 5). — Doch 1843.
wi/te Si5 (Aohtb. 10 a. 1). — Servatias: 2881 : 2882 listen : wieten.
ahd. westa ist fränkisch: vgL Tatian, Otfried. toista ist oberdeutsch.
* Es gehört somit IMic zu den von Weinhold mhd. Gr. § 54 als
fest geworden bezeichneten Wörtern mit e für i.
' Servatius: 2981 : 2982 sich : gelich, Eressant: 469 : 460 dich:
fich — 1S6: 187 mich : ich, (169 : 170 dich : sicherUch).
366 Dritter Abeohnitt. HO
Formen vijant ]> vientf vrj ]> vri, sij > «i, drij > dr% (nach
Weinhold), kann ich für das 13. und 14. Jh. belegen. Bei
tnerU ist die Länge zweifellos, weil es zwar in der dem neuen
Diphthong ei noch bedächtig gegenüberstehenden Zeit in der
Schreibung meist als vient erscheint, jedoch dem alten t in
der Annahme des ei in der späteren Periode gefolgt ist.
Dasselbe gilt von frij > frt und « > «» in noch höherem
Maasse. ^ Ebenso wird dri schon früh zu drei in dreizzek
(1299 11. Juli S, (A)), vgl. die Belege bei I. Bestimmt hat
die Dehnung auch das Suffix — ine (aus enja ^ thna), im
13. und 14. Jh. als in erscheinend. Die Rechtsquellen bringen
zwar nicht die Schreibung — in dafür, doch reimt: Fressant
473 : 474 sin: karzin (= Ketzerin),' dazu gehört auch:
21 : 22 kurte^n : sin. — Für die % der aus dem Lateinischen
entlehnten Wörter gilt als Regel, dass fast jedes i als lang
genommen wird. Für uns kommen die Wörter : vnn und mile
in Betracht, welche der Diphthongierung zu ei im 14. Jh.
unterlagen, ^ schriben desgleichen, nachdem es vorher Vorzugs*
weise als schriben erschienen ist. Das gleiche Geschick teilten
die Wortbildungen mit t, ic, wie vogtie, ehystry, sehr bald
mit V geschrieben und schliesslich als vofftey, vogtay. Das
Zcfichen y scheint mir ein sicherer Beweis für den Laugewert^
wenn man Gottsched^ trauen darf, welcher sagt, dass die
Kinder gewöhnt würden: ^x, ey, zett* zu sagen.
Der Übergang zu tc, durch vorausgehendes w veranlasst,
ist für das augsburgische alte i durch unsere Quellen nicht
bezeugt ; es finden sich z. B. nie Schreibungen, wie : zwülehen
und rumMien, welche Weinhold * für andere Gegenden Schwa-
1 BS Wucberin? mlat.: cavercina; entstanden also aus: ka{u)ertin,
» 1280. vrttage (R. X^, 5, 4). 1282. /W (St. Georg).
' Für icin und wein vgl. Stadtbuch und BaumeiBterreohnungen,
letztere haben nur win. Im Stadtbuoh hat der Grnndtext einmal wem»
d. h. also schon 1S76. mile erscheint im Servatins: 1560. dfie mSle
1^90. i0f2e als lang, und im Achtbuch gewöhnlich als meiien.
^ Gottsched: deutsche Sprachknnst 1767. S. 87. — Keidusner:
Handbüchlein beschrankt y auf die Länge.
^ alam. Gr. § 29 und § 82, und bair. Gr. § 80 und § 88.
111 Lautlehre. 357
bens belegt. ^ Folgendes m und b dagegen veranlasst eine
Bundtiiig der Lippen bei der Aussprache des », so dass die
Schreibung vmmer z. B. 1326 (hl. Or.) sehr wohl den momen-
tanen Lautwert des % wiedergiebt. * Eine Spur und zugleich
eine Bestätigung des wirklichen u in diesen Worten findet
Weinhold ^ in dem heutigen schwäbischen i« für t in : tourdf
de tmrscktf er ttmrt. Da die oben angeführten Wörter ausser
fumf in der Schreibung mit v, v uur in klerikalen Urkunden
naohw^sbar sind, so mödite ich auf sie für die Beurteilung
der Sprache der G-ebildeten im IS. und 14. Jh., der Kanzlei-
sprache in Augsburg, die sehr wohl fiir die Sprache der
Intelligenz gelten darf, ^ keinen so grossen Wert legen. ^ Sie
bleiben übrigens vereinzelt genug.
Die zweite Kategorie von t, die das mhd. besitzt, sind
die aus (altarischem o, d. h.) europaeischem e {=> S) hervor-
gegangenen i, Ihre Aussprache als i in der Augsburger Mund-
art ist für unsere Zeit über jeden Zweifel erhaben. Es
kommen in Betracht die Fälle, in denen e vor jedem End-
silbenvokal ausser a in i übergeht: gibe, lige, bite, Ittze —
geben — ligen, biten, sitzen- •
Endlich nehmen die Wörter, in denen auf t ein A 4~ ^
folgt, eine gesonderte Entwicklung. Hier hat t einen Nach-
klang von ej der zwar in den ersten Jahrzehnten nur spärlich
> Im 15. Jh.: Stadtb. 166 b: datzwufchen (1453).
• Yor m : vmmer auch : fumf, fiumf — immer : fünf: n steht für
sonst häufiges m (vor f) vgl. Weinh. mhd. Gr. § 49. Die Form Huntz
» hifäz scheint eher eioe Verwechselung mit dem temporalen vnce zu
sein und gehört wohl nur der Schreil)ung an. Durch b veranlasst : fvben
neben fibenf zuletzt nur noch fiben und vorher rybentzehenden (1317.
13. Juli (St. G.) Ss). Der Sieg des i in fiben entgegen der mundart-
lichen Aussprache ist am besten aus dem Vorbild der kaiserlichen
Kanzleisprache zu erklären.
• alam. Gr. § 86.
^ Vgl. den Abschnitt über Methode.
^ Stadtbuch: Grundtext 37 a: vmmerme.
• Formen wie verfetzzet beruhen auf einem DifiPerenzierungsstreben
in Hinblick auf die Bedeutung.
358 Dritter Abschnitt. 112
in lieht markiert ist, aber im 14. Jh. in der ständigen Form
^liefW zweifellos sich ausprägt, niht wird allerdings nie nUht
geschrieben, und es strebt schon zu unserer Zeit nach der
der Mundart eigenen Gestalt nit (Achtbuch). So wird es
sowohl in dem diplomatischen Verkehr als in den Eintragungen
der Yerwaltungsbücher der Stadt geschrieben, und die kleri-
kalen Schreiborte kennen es auch. — Über die Stellung des
% Tor r erhalten wir durch die Zeugnisse keine Aufklärung ^.
fchirm bietet mir das Material zunächst^ nicht, wohl aber
Schreibungen, welche jeden Gedanken an Übergang des e zu
t zu nichte machen: fchoermen . • .; im Stadtbuch ist am
häufigsten fchciermen geschrieben. — Für hilfe hat eine Ur-
kunde von Sgl Mfe (1295. St. U. 1).
i: Bezeichnung:
Die gewöhnliche Bezeichnung ist entsprechend der laut-
lichen Geltung t; wo Schreibungen mit v auftreten, sind sie
ebenfalls der Aussprache gemäss. Einige Worte Terdient das
Yerhältniss von ie zu t. Im allgemeinen zeigen die klerikalen
Schreiber mehr Neigung zu ie für i sowohl, wie für t, als die
städtischen. Zwar hat auch S, z. B. nur LiektmaelTe und S,
1298 lieht, und für das 14. Jh. bleibt es bei allen städtischen
Schreibern Regel, auch bietet S^, 1349. (Achtbuch 65a. II.)
im und 1353. (Achtbuch IIb. I.) gepirg, doch ist hier nicht
ausgeschlossen, dass wir es mit einem der schwäbischen Doppel-
laute zu tbun haben also gepi*rg, e nachschlagend, und diese
wenigen Fälle werden an Zahl von den klerikalen Belegstellen
übertroffen. —
Der stark ausgebreiteten Dehnung des t hat man einen
Ausdruck verliehen durch das y, wie ich schon erwähnte.
Wenn schon die Einführung des y zur Wiedergabe des deutschen
* gepirg ist nur einmal überhaupt nachweisbar; die Schreibweise
mit l möchte ich daher nicht ohne Bedenken für die Behandlung des
i vor r als Norm hinstellen.
* Im Stadtbuch schreibt erst spater Si? der Gestalt der Schriftsüge
nach in den fünfziger .Tahren des 14. Jhs. : fchirmenf in einer Zeit also,
wo der Einfluss der kaiserlichen Kanzleisprache sporadisch sich kundgiebt.
118 Lautlehre. 359
t in augsburgisclien Urkunden nicht zweifellos ein Werk
klerikaler XTrkundenschreiber ist, denn schon S^ kennt y, so
macht die ausserordentlich ausgedehnte Anwendung desselben
in klerikalen Schriftstücken doch das y zu einem heryorragenden
Eigentum der geistlichen Schreibgewohnheit. Es ist herübez^
genommen aus dem Zeichenschatz der lateinischen Urkunden,
in denen es ein viel gebrauchter Buchstabe war, erscheint
darum auch anfangs nur in Lehnwörtern, so : 1272 ynRgd
Sj (St. ü. 1.); in diesem beschränkten Sinne ist die städtische
Kanzlei allerdings als der örtliche und zeitliche Ausgangs-
punkt anzusprechen; auch das Stadtbuch hat überwiegend y
in yfen. 1282 aber tritt es in einer bischöflichen Urkunde
auf in yteriy und es scheint für das 13. Jh. ausser in dem nicht
yereinzelten ynitgel nur f zu yertreten. Noch im ersten Drittel
des 14. Jh. tritt die schon erwähnte Verbreitung ein, und
wir haben in klerikalen Urkunden y in hyfchof Yorzugsweise
neben y im Diphthong ay und in der Endungssilbe y in: cultry^
vogtay . . . Dann zeigt sich im zweiten Drittel bei dem Schreiber
Sj^2 das y stärker vertreten: 1336. Rynchmaur 1333. ymmerme
— Sj7 : 1360 : Brottyfch. Beachtenswert ist, dass hier y den
gleichen Platz einnimmt wie zu anderer Zeit häufig v, das
Zeichen für den gerundeten tieferen Laut Yor m (n?). Ob
es auch dieselben Dienste leisten soll?
Dass das y jene, wenn auch nicht streng geregelte, aber
doch durchfühlbare Bestimmung gehabt hat, glaube ich aus
seiner Verwendung auch in den Eintragungen des Achtbuchs
der vierziger Jahre imd später, d. h. bei S^,, entnehmen zu
können. Auf der einen Seite schreibt S^ y in Fremdwörtern:
Bryfvn, auf der anderen Seite y für Buchstaben 1 in dryn,
dessen Länge ich fiir erwiesen halte; schliesslich hat es sich
festgesetzt in Eigennamen in den Silben : -kayru Es ist indess
in Rechnung zu ziehen, dass hier stark das Vorbild des Vor-
anstehenden mitgespielt hat, indem oft Schreibweisen genau
in derselben Situation wiederkehren, während an anderer Stelle
die andere Schreibweise sich wiederholt.
Hinsichtlich der Gestalt des Zeichens i lieben es einzelne
24
360 Dritter Abschnitt 114
Schreiber schon früh, demselben, wenn es schUessty die G-estalt
des j zu geben : dri = dr}, drl.
i: Belege:
Urkunden:
Bis 1300 :i, j, 1300—1361 (f):h ^ I. 1351
—1374 : ei, i, y.
städtische: in der ftegel i, t — 1300:
1882. beUeben, wit, drij, belib S, (B.X^44).
— 1283. Bat: ziten, fein (inf.), vreitage,
Yolchwin, (Sibot) Sg (A). — 1283. yolchwein,
(zwi = zwei (n.)) S , (A). — belibe, offenlichen
Sg (0.3). — 1285. drizzik S,. — 1292,
Schriber, fei (c), feinen, feine, beleiben, pei,
fin (inf.) Sg (Fürst, sei. XV, V 80» 3)- — 1294.
finer . . • Sg (B. Xi5, 4). — -rieh, -lieh Sg.
— 1296. Trihait, fin (1. pl.) Sg. — Leib, die
weil, meinen, libe, lipgedingef, lihen, finer, Im
(1. pl.) Sg. — i. . . Sg. — 1297. Jarzeit,
minem, belibe, bi, -lieh Sg. — 1298. weilent,
fei, ziten Sg. — Weizzinger, bi dem leib, 2 x
beUb Sg (G. 1). — fein, fin, Biche Sg (A).
— leib, beleihe, leipgedingef Sg. — 1299.
die weil, drien lihen, frilich Sg. — wizer,
gewifet, ziten, iarciten, Wizzinger, fei Sg. —
1300. weiter, fin, belihen Sg (G. 5). — dreix-
zick, bi, lithous Sg. — 1301. Schriber, bi S,
(B. 10). — 1302. bUb Sg (hl. 0.4). — 1302.
miner, frier, lihen, lithyz, fieD (c.) Sg (C. 5).
— 1303. lithus, gefelfchofte Sg (C. 5). —
witSg (BX^6,2). — wit, git (giebt) Sg(A).
— 1303. Bat: fin (1. pl. i.) Sg. — sonst: i —
1304. dreim, Triben Sg. — 1305. fein, beleihe
Zeiten, fein (inf.), (Seibot) Sg. — finem. Übe,
beltbe, bi Sg (C. 5). — Ebenwiheabent, lithous
Sg. — 1306. April: zaeit, draein, Maeinen
116 Laatlehre. 361
maeniYi laeithays, geifel8chefft,draeizzick,finen.?
(ü. 2). s» Vorlage zu: 1306. Juni: Maei-
nen, maein, blaeib, faeinen, Waeizzing^ —
(ynaerfchaidenliclien) — (yerzeichen, verzigen)
Se (U.2). — 1308. blib S, (A). — 1311.
blib, Drei S^. — 1313. iarzeit (2x)?Se. —
nur i S,. — fein, mein, weyfen, fein (1. pl. i.),
leithous, fei (c.) S, (H. 14). — nur i S^
(C.6). — 1316. Beieben, bUb, Upding Sg
(A). — sonst: i — 1317. Reichen, yttes, fin
Sg. — bleib Sg. — ftetfchriber, fien (c),
leib Sg. — 1317. Lythaus, gyfelfcbeft, fie
(c) Sybentzehenden) wis, driezg. e» 1317.
(Duplikat): lithouf Sg (0.6). — 1318. nur
i Sg (U. 2). — fien (c.) Sg. — 1319. i, drizzeck
Sg (A). — 1320. meiner, mein, belibe, ziten
Sg. — 1321. meiner, glich, wizzenfvntag Sg«
— 1322. mein, finer, belib Sg (C. 7). — meiner,
meinen Sg. — 1323. meiner, meinen, belibe,
Wizzinger, Stetfehriber Sg. — meiner, meinen,
finer Sg. — meiner, Wizzinger Sg. — Üben,
lib. Sjg (A). — fien, Jarzit, belib, drizig S^g.
— 1324. mins, finer, Sg. — nur i Sg (0). —
1326. Kiche, drizig, yreytag, belib Sg (A). —
1326. fein, finer, bi, (wis (Wiese)) S^^ (C). —
1328. Yites, zit, miner, fien. Mm, min, Bich
— (git (giebt)) ? Sg (A). — Copie dazu t.
1346. fyen — (Diener) S„ (A). — 1329. fein
(c.) _ (Dyener) Sg (A). — 1330. frietag Sg
(St 3). — fiytag Sg (A). — die weü, blib,
fien (c), lipdinge S^ (U. 2). — 1330. Kaiser:
Zeiten, Biches, fien (c), finem, Neyffen, Drizi-
goften Sg (A). — 1331. Kaiser: ziten, Biches,
vint, Lndewich Sg. — 1332. Chuftry S^i- —
1333. nur i S^g. — (1333. ymmerme (styor) S^g)
— ziten, libting, wihennähten, Dryfgoften S^^
24*
362 Dritter Abschnitt. 116
(Ü.2). — 1335. frytag — (Kynchmaur) S,.
(A). — 1336. Bat: Vytes, driüQgofteD, {inen,
wife, libting, by (2 x) S,„ (U. 6). — 1336.
bie 8,8 (U. 5). — sonst: i — 1338. Oustri S^,
(A). — Zeiten, miner, darein, Driezgosten,
chustrie, kyrchen 8,5 (U. 6). — 1338. Land-
vogt: fritag 8 13 (A). — 1339. Wihennaehten
8,3. — lipdinges, die wii, dnzzigosten, git|
vogtey, vogtay 8,^. — 1340. drizzig 81^. —
mein, 8chriber, zit 8,5. — 1342. drizzig, fritag,
libdingy belib 8,5. — fein (inf.), belib ? 8^^
(hl. Cr. 5). — 1342. Rat an Rothenburg: wifen,
nur i. 8,5 (R. XI, M. 42^). — sonst: i . . . —
1345. miniv 8,^ (H. 20). — belibe, min, fien
(c.) (lit) 817 (R.X^10,3). - 1345. Kaiser:
Ludowig, ziten, Riches, Reichs, Dreizzigltem,
-liehen 8,, (A). — 1345. frytag ? 81^. —
1346 — 1368 : 8 , , : 1 346. nur i (A). — belibe, min (Gh. 2). — 1 348.
Geifelfcheft. (C. 9). — Gifelfcheft. — frytag,
bei (A). — byanand. — Vites, i. — sonst: i
... — 1351. fien (1. pl.) (R.X|11,2). —
Reychs, frier (0. 10). — 1352. dreyzg (A). —
wyten. — 1353. 8chleichers (n. pr.). — 1355.
weifen, weihennehten. — 1356. fy (C. 10). —
1367. fin Rychs, fryer, (verzeihe), wihennehten,
Bomgertlin. — 1359. fryes, V61kwin — (Lieht-
mezze). — 1362. weifen (R. 12). — 1365.
fien (c), fin (pr.), by, finen, weifen, Reiche, ftreit,
-lieh. — 1366. Vöglin (A). — 1367. Wif-
finger, fryes. — 1367. Vogt an Rat: fin, frytag,
weifen, veltftreit 8,,. — 1367. fy, by, ziten, min,
lipting. — 1368. Rat: welhewis, dheinweis 8^,. —
1368. Zunftbrief: Rich,freiheit,nyd8,, (R. 12).
— 1372. weifen, weiffen (R.X|8). — 1373.
Weizen (R. 14, 6). — (1374. Burggraf: 8chlych,
fteych, Weinfchenke 8„ (R. 12)). —
117 Lauüehre. 863
bischöfliche und Domk.: 1282. i (gefchrieben, gefchriben),
yfen, wis, win, bli (R. X^^ 4, 3). — 1290. vrttage,
Btfinz (R.X^5,5). — 1290. Qit). — 1296.
Zeiten, fin, Yites, driezeck (R. "K^ 6, 7). —
1300. Drihundertoften (H. 13). — 1306. fien
(1. pl. c), ßen (3. pl. c.) (R. X| 6, 4). — 1313.
nur i (H. 14). — 1316. nur i. ~ 1323. nur i. (C. 7).
— 1326. belibe, i (H. 16). — 1336. Reychz,
freytagz, Valenteins, Drizigoften (A). —
1338. fein, beleih, vleizchlichen, Dreizzigifbem.
— 1342. fritag, bllb (brief) (H. 20). — 1343.
wizzenfvnnentag (A). — 1343. Vites (H. 20).
— 1344. fryetag (Pyfchof) (0.9). — 1345.
frietag, (Byfchof) (H. 20). — yleizze, drein,
-liehen (Pyfchoff) (hl. Cr. 5). — wizzenfunntag,
zun (PyfchoflE). — 1347. fritÄg (A). — 1348. be-
leih, (yerzeich) Dreizzigiftem. Domk. ? hl. Creutz?
(hl. Cr. 6). — 1348. Domk: Geyfelfcheft (A).
— 1349. fien (c.) (H. 21). — 1351. (vogtyen),
fryez, blibn (H. 22). — von Reychen (A). —
feyten, min, (Marigen) (A). — 1369. Volk-
weinin (— Hymel, Bifchoff) (A). — 1374. Burg-
graf: Schlych, fleych, Weinfchenke (R. 12). —
Curia: 1320. fin, Schreiber, mein, miner, fein (inf.)
(ö. 2). — 1326. gyfelfcheft (U. 2). — 1327.
blib (A). — 1331. drizgoftem (U. 3). —
1337. leipding, beleih (verzeihen) (U. 5). —
1337. fein, enfien (1. pl. c.) dreiffgeften. —
1345. nur L —
Klöster: St. Georg: 1282. fri (G. 1). — 1352 nur i(A).—
St. Ulrich: 1288. liehen, lihen (D. 1). —
1301. wiz, bi (U. 2). — 1306. zaeit, draein,
Maeinen, maeniv, laeithavs, geifelfche£Et, finen,
draeizzick (ü. 2). — 1311. mein, belibe (IT. 2).
— 1329. min, fin, beUb (U. 8). — 1336.
GryfFenberch, driezgoften (ü. 5). — frier, zit,
864 Dritter Abachnitt. 118
belibe, driezgoften. — 1342. lein, finer, -liehen
— (vierzigften) (A). — 1846. drizzig. (A). —
1366. "^ch, Fridrich, -lieh, leib, feiner, beleih
(A). -
St. Oath.: 1296. belibe — (enphiengen) lip-
getinge (R.X|4). ~ 1324. minen (0.7). —
1325. die weil, belib. — 1338. belibe (A). —
1348. fein (conj.) die weyl, Dreyzehen (C. 9),
— 1356. beüb, i (0. 10). —
Spital: 1284. b! (A). —
St. Stephan: 1306. lipgedinges, die wüe, blib,
Bavmgartelin — (vir) (A). — 1312. sdten (H. 13).
— 1347. i (St. 3). —
hl Creutz: nur i 1311 und 1317 (hl. Cr. 4).
— 1339. bei, oflfenHch (hl. Or. 6). — 1360. i (A).
— St Moritz: 1342. i (Pyfchoff) (A). —
Stadtbach:
Grundtext: i — wein.
Novellen: S^ii. — S,:i — sein (pron.)
(92 b). — S 3 : hochzaeit, raeich, sein, raichen,
(72 b). — hochziten, hochzit (73 a). — si
(1 12 b) — leihet, bi, si, sin (118 a). — leihet, sin,
sei, Geit, sin (116 a). — geit, reirtak (113 b).
— reichisten, bi, und sonst i ; geit. — sei (86 b).
— geit, i (76 b). — sei (50 a). — sei (33 a). —
sei, lihen (32 b). — S^ii, — S^iL — Sg :
i : — leib (42 b). — Ubes, veiertage (40 b).
Sj5:i, sien (c). — S^, :i (79 b) — weih,
darein, sin, beliben (77 a). — 1364. zeit,
eweiber (83 b). — S^« : 1372. leihet, lipting,
sin (115 b). — 1377. sie (c), bei, weiz, geit
(118 a).
Achtbuch:
A: 1338—1347: i:S^^, S^^, S„.
1348—1367 : S^, : 1348. wip, fins (12b).
119 Lautlehre. 355
1348. Weizzenfuntag (16 a). — 1349. Halber-
laip (n. pr.) (3 a). — 1363. Gabin (früher
Gawein) (17 b). — 1365. Reichs (19 b). —
1369. painlich (22 b). — 1363. yeits — Efel-
triber (24 a). — feitt (24 a). — 1365. weizzen-
rtintag (26 a). — 1367. Weizzen (n. pr.) (26 a).
— weinfchenken, Bychs (26 a). — 1368. hoh-
zeit Sj^ (27 a). — yrenbrehtin (n. pr.) S^^
(27 b). — 1370. Ups, Kp S^e (87 b). — 1370.
Schreiber (n. pr.), Meyl, bey, tagzeit, fey, zeiten,
fin, wip, Bichen, beliben, lip. S^« (28 b). —
1370. fy^ Schriber, Riebe, bi, tagetzit, mil, lib,
fein, weib S j, (29 a). — 1373. (fei = sie) finem
Sj^ (29 b). — 1374. do bei 8,, (29b).
B: 1346— 1366: S„: 1346. hie bei (56 b). —
by, myle (66 b). — 1346. bey, bei (60 a). —
1349. (reutter (n. pr.)) (62 b). — 1349. rieh,
myle, by (63 b). — giler, wip, rieh (64 a). —
weit, begrift, milen, im (66 a). — 1361. dry,
myl, by, Drin, myln (67 a). — 1352. Dry, myl,
(69 b). — 1366. fin, weip (73 b). —
1367—1371: S^^ : 1367. Reicher (n.pr.),
weis, lib. (94 b). - veintfchaft, lip. — Reich,
dri meyl, dryn myhi, wip. — hohzeit (95 b).
— 1368. Reych (96 a). — Meyl, vnderweizt
(96 a). — 1369. Meyl, by (96 b). — 1369.
Reich (101 a). — 1370. yfen (101 b). — 1371.
fyn, meylen, Eyfen (102 a). — dry meil, weit
(102 a). —
i: Oeltnng:
Das ahd. », gleichviel welcher Herkimft, erfuhr im 12. Jh.
auf bairischem Gebiete eine Steigerung zu ^. Im 13. Jh.
breitete sich diese im Südosten aus, herrschte am Ende
des Jahrhunderts durchaus im östlichen Oberdeutschen, gri£f
aber nicht in das Alamannische hinüber. Letzterer Dialekt
366 Dritter Abschnitt. 120
hielt fest an I. ^ Die Reime der früheren Zeit ergeben Gleich«
laut des t^ welches nie ei wurde, mit t, welches diphthongiert
wurde: Ser?atins: 39^:395 pügerin: acMn; 1031:1033 schm:
Seherin * ; 2403 : 2404 nider (= nieder) : mder (= feither) ;
3201 : 3208 nider (»= nieder) : lider. ^Einzelne Ausnahmen
kommen nicht in Betracht, weil mundartfremden Ursprungs.'
Die von mir benutzten Quellen geben im Allgemeinen die
Bestätigung, sprechen jedenfalls nicht dagegen. Denn wenn
sich 1283 4. Oct. ei zum erstenmal, bald darauf 1283 17. Dec.
in einer ürkimde des B^ts zunächst vereinzelt, 1292 &st
ausschliesslich findet, so ist damit noch nicht erwiesen, dass
ei als diphthongischer Laut dem Augsburger bewusst gewesen
ist; denn wie schon an anderer Stelle hervorgehoben, ist
entweder der Schreiber dieser 3 Urkunden, S3 (Rudolf), be-
treffs seiner augsburgisch-schriftsprachlichen Treue, wenn er
als Augsburger Bürger gilt, höchst verdächtig, oder er ist
überhaupt als ein Fremder zu betrachten. In demselben
Sinne können die allerdings auffallend häufig erscheinenden
Diphthonge bei S^ S^ nichts mehr als Nachbildungen der
Schreibweise des Meisters Rudolf sein. S4 und S^ sind von
mir als Gehilfen Rudolfs erklärt worden.
Weniger bestimmt wage ich eine Annäherung des i an
den diphthongischen Laut abzulehnen für die ersten Decennien
des 14. Jhs. Es liegt ausserhalb unseres Vermögens, den
zeitlichen Ausgangspunkt auch nur annähernd zu bestimmen,
denn die Schreibung ei ist seit ihrem ersten eben berührten
Erscheinen in den Urkunden dieser Zeit nie ganz ver-
schwimden, ' sie ist sogar durch S^, dessen klerikale Neigungen
» Vgl. Weinhold: mhd. ör. § 105 und § 129.
' Valentin wurde in den Urkunden später häufig Valentein ge-
schrieben. Der Reim 781 : 782 si enmokten niht geweichen : diu tägdu^en
Zeichen ist nicht als Beleg für t und ei im Reim zu verwerten; denn
geweichen ist >» fügsam machen (vgl. Lexer: mhd. Wörterbuch) also:
'sie (Acc.) konnten die täglichen Zeichen nicht fügsam machen .
' Vgl. dazu: Baumann in F. z. d. Gesch. XVI, S. 970. und Fischer:
Germ. XXXVI, S. 425 über dessen Resultate.
121 Lautlehre. 367
ich schon erwähnte, und durch die klerikalen Schreiborte
(bischöfl.) ganz bedeutend im Gange erhalten. Aber sie giebt
keinen Anhalt dafür, dass sie auch den Lautwert von i als
ei zu vertreten beginnt. Dagegen deutet auf einen jetzt be-
ginnenden phonetischen Bevolutionsprozess inmitten der Mundart
die mehr und mehr yariierende Darstellungsweise, indem man
den eigenartigen Laut^, dessen Entwicklung die schliessliche
Oestalt e^ (n) am besten verdeutlicht, bald mit ei bald mit
i zu versinnbildlichen strebt. — Schliesslich will ich noch ein
Argument dafür anfuhren, dass der neue Diphthong nicht nur
in der Schiift^ sondern auch in der Sprache der Mitte des
14. Jhs. gelebt hat: nur die Einigkeit beider Elemente konnte
es zustande bringen, dass in Kopien der vierziger Jahre, (z. B.
1346 Kopie einer Urkunde von 1319) an die Stelle des in der
Vorlage allein herrschenden Buchstaben t der Diphthong
gesetzt wird, und das nicht vereinzelt. Vom Gegenteil kann
mich ein Urteil Braunes ^ zu gunsten der Alleinwirkung der
Schrift auch nicht überzeugen, wenn er sagt, dass Gemeinsam-
keiten sich viel eher in der Schrift festsetzen können als in
der Sprache. Wenn dies für die augsburgische ürkunden-
sprache der Mitte des 14. Jhs. gelten soll, so müsste, meine
ich, ein Sich-Verlegen der neuen Schreibung auf ganz be-
stimmte, ja auf immer dieselbcD Wörter und Silben nachzu-
weisen sein. Das ist nicht der Fall. Der beständige Wechsel
gerade in der Anwendung von ei und t lässt eher den Schluss
begründet erscheinen, dass allerdings die lautliche Existenz
des ei empfunden wurde, aber nicht mächtig genug war, eine
Schreibung zu verdrängen, an der Anstoss zu nehmen man
bisher noch keine Ursache hatte, ausser mit Bücksicht da-
^ Hapfeld bezeichnet dieses ei mit H, indem er für die Wiedergabe
des doppelten Lautes der Mittelvokale e und o von dem Beispiel der
französischen Orthographie, welche i, 6 gegenüber d, d hat, ausgeht.
(Jahrbücher für Phil, und Faedagogik Bd. 9, ( 1889) S. 862 Weinhold
wählt e<. Kaufimann: 9i.
• P. Br. B. I, S. 30.
368 Dritter Absohnitt. 122
rauf, dass sie, im Falle sie gehört wurde, nicht als i, sondern
diphthongisch vorgetragen wurde. ^
Wenn ich die Entwickelung des t zu 9i mit derjenigen
des 9ü aus tu ^ »i zusammenhalte, so kann ich mich der
Empfindung nicht erwehren, dass beide neuen Laute zur Zeit
ihres ersten Auftretens nur in höheren Kreisen auch gesprochen
wurden, und zwar in der gezierten Fassung, in welcher Laute,
welche eine als mustergültig erscheinende Sprache (Dichter-
und Diplomatensprache) nachahmen wollen, zu Tage gefordert
werden. Die Vulgärsprache hat von diesen Neuheiten keine
Notiz genommen, sie sind lediglich ein Zierprodukt, und darum
ist diejenige schriftliche Darstellung, welche eine gewisse Zierlich-
keit und Akkuratesse bevorzugt, ihre eigentliche und früheste
Domäne.
Ob auch die Stellung vor Nasal schon im 14 Jh. ein ae
(09) hervorrief, ist nicht gewiss; Schreibung maein für mein
bekundet, so isoliert sie auch ist, immerhin das Gefühl einer
Entfernung des t von n weg nach der Geltung des alten
Diphthongs vor Dentalen hin, d, h. = 09 (daher an gleicher
Stelle: maein neben: gaetatlichen, haeiligen). Die eben ange-
führten Zeugnisse sind Schriftstücken von der Hand S« ent-
nommen, die ihrerseits nur die Wiederholung und das Abbild
einer am 24. April 1306 von St. Ulrich ausgefertigten Ur-
kunde sind. Jene beiden Instrumente datieren vom 5. Juni
und 6. August 1306. — Die Steigerung des 1 zu n hat nicht
jedes etymologische t erfahren. Die Endung -lieh tritt nie
in der Schreibung -leich auf; es ist diese Ausnahmestellung
Reimzeugnissen Fressants zufolge begründet in einer ausge-
prägten Verkürzung des i zu 1, ein durchaus alamannisches
' Fressant reimt: 817:318 seif (— > sagte): H»; 147:148 itten:
rtten, 288 : 284 riten : Mten ist ein falscher Beim, doch steht ie aof ei
nicht vereinzelt, hier kann bUen aber auch nur dem geschriebenen Reim
zu liebe eingefügt sein. Von einer Yertanschung des ie mit ei in der
Schreibung haben wir aus dem Ende unserer Periode ein Zeugnis:
Aohtbuch 29. b. 1878 : fei s» sie (fem. sing.) Sie* md. ist ei für ie durch-
aus verbreitet.
133 Lautlehre. 369
Erkennungszeichen im Gegensatz zu der bairischen G-ewohnheit
'Ueh zu 'leich zu steigern ^; vgl. über diese alamannische Neigung,
die Endbestandtheile von Kompositionen, besonders die Suffixe
zu schwächen, B. Brandstetter : Die Luzemer Kanzleisprache ^
von 1260 — 1600^; als Beispiel führe ich an: G^schwomen
Brief 1360: gewonhet Nur in Tonstellung (Rhythmus) kann
t hier lang sein : afenHehen, vgl. dazu Fressant 363 : 364 ewik-
liehen : entunchen. Dieser Beim ist wohl nur Schriftreim und
darum nur Zeugnis der Länge des (, nicht Beleg für die
Steigerung zu 9t. Kürze oder Länge je nach dem Satzton
hat nach Brandstetter : * min, din, sin.
i: Bezelchnnng.
Zur Schreibung des i ist Vieles bereits gesagt Das Er-
gebnis ist in Kurzem folgendes: Es standen den Augsburger
Schreibern zur schriftlichen Wiedergabe des mhd. i die Zeichen:
^ ^'f ^ y zur Verfügung. % war die traditionelle Schreibung,
sie ist nie ganz verschwunden, tritt aber in den letzten De-
zennien unserer Periode hinter ei zurück. Dieses ei ist durch
fremden Einfiuss zunächst dem Augsburger Schreibgebrauch
vertraut geworden ; ob derselbe bairischer oder fränkischer
zu nennen ist, vermag ich nicht zu unterscheiden, ich erwähnte
jedoch schon, dass jener Stadtschreiber, seit 1373 der dritte,
Sg, namens Budolf, zuerst und zwar fast nur ei in den acht-
ziger Jahren für % schrieb; die einzige Urkunde von seiner
Hand aus dem Jahre 1380 hat kein ei, jedoch die übrigen
Charakteristika seiner Schreibweise: ou für au^ ou für u, u
für b in <iber ... Er verliess Augsburg anscheinend^ für
^ Reim : -Itch : ich 267 : 268 sicher : inneklicher. Durch Analogie-
büdung ist sogar der Reim : Vita St. ülrici : 804 : 806 sich : Itch («■ Leib
entstanden.
* Gesohichtsfreund 47, S. 241.
* a. a. 0. 8. 284.
^ Möglicherweise steht seine Abwesenheit in Verbindang mit der
schon erwähnten Besitzbestatignng des Gates Bintzwangen durch den
Markgrafen von Burgau, bei welcher Gelegenheit jener Rudolf noch
dazu ausdrücklich als zu *dez Edlen vnd des Obrosten Chvenik Rudolfes
370 Dritter Abschnitt. 124
kurze Zeit 1281 — 1283. Bei seinem Wiedererscheinen schreibt
er ei für i in weitem Umfange; jedoch enthalten sich mehrere
Urkunden der neunziger Jahre von seiner Hand des Diph-
thongs, und nur das Beispiel der klerikalen Schreiber scheint
die städtische Kanzlei wieder zu der Verwendung des ei an-
geregt zu haben. Die Schüler Rudolfs huldigen dem eL
Wiederum ist es nach dem Abtreten Rudolfs ein fremder
Schreiber, welcher den Diphthong an die Stelle des i setzt:
Conrad von Giengen S^, dessen Zugehörigkeit zur Stadtkanzlei
nicht für die ganze Zeit, wo er als Urkundenschreiber funk-
tioniert, feststeht. Seine stark klerikalen Neigungen stimmen,
wie schon erwähnt, auffallend mit der Thatsache zusammen,
dass er lange nur Urkunden, welche bischöfliche Rechte und
bischöfliches Territorium betreffen, anfertigt. Seine Thätigkeit
im städtischen Dienst kann, wenn überhaupt, nur eine Yor-
übergehende gewesen sein ; zur selben Zeit, wo noch zahlreiche
Urkunden seine Handschrift tragen, werden schon zwei Stadt-
schreiber ^ namhaft gemacht: Heinrich und Ulrich. Jenem
Schreiber S^, allein gehört die Schreibung aei für et <
^ an, in Stellungen vor Nasal und Dentalis : maein, faeinen, laeit-
JiavSf zaeit, draün, tyraeitag, aber auch: blaeä}, Saeibot. Doch
hält sie nicht Stand, in seinen weiteren Schriftstücken wird
sogar auch ei immer spärlicher, bis eine Zeit kommt, wo zwar
die städtischen Urkunden (Sg, S^^) noch die ei dulden, aber S^
sich derselben ganz enthält. — Es ist für den Ausgangs-
punkt des ei durch das Vorhergehende erwiesen, dass es, gleich
ob direkt oder indirekt, entweder durch einen dem Augsburger
Stadtgebiete nicht angehörigen Schreiber als die ihm geläufige
Schreibung mitgebracht oder von demselben fremden Mustern
abgesehen ist.
des Roemifchen Chveniges leuten' gehörig bezeichnet wird im Gegensatz
zu. den Leuten des vorerwähnten Markgrafen. Die Zugehörigkeit zu der
Reichsstadt würde dem Schreiber Rudolf wohl nicht die Bezeichnung
* Chveniges man' eingebracht haben, zumal in diesem Sinne die Leute
des Markgrafen von Burgau, als eines königlichen Beamten dieser Zeit,
gerade so gut diesen Titel verdienen.
126 Lftutlehre. 371
Weiter gilt es, den Wechsel des ei mit dem älteren i
zu erklären. Zunächst weist uns der Ausgangsort oder die
Endbestimmung des Instruments auf einen Weg. Ich meine,
es ist für den Tenor der Urkunde von Belang, welcher ge-
sellschaftlichen Stellung der Destinatar oder überhaupt die
Person, in deren Interesse die Urkunde verfasst ist, angehört.
Es gilt für diesen Gesichtspunkt jene Behauptung Kauffmanns ^,
welche ich oben für den Lautwert des ä verwertete, in noch
höherem Grade hinsichtlich der Schreibung des i; ich glaube
in der That, dass bei % der spezielle Geschmack und nament-
lich das höhere Alter der am Rechtsgeschäft Interessierten
ein wesentlicher Faktor füir die Vermeidung des ei gewesen
ist. Wenn schon für die Darstellung des d der Schreiber
solchen Rücksichten sich unterordnete, wo die gewählte Form
nur eine durchaus innerhalb der Mundart entstandene Laut-
steigerung yersinnbildlichte, so ist es für die Zeit, wo t noch
nicht überall ausgesprochenen Doppelklang hatte, der ein
Zeichen ei rechtfertigte, wahrscheinlich genug, dass der Schreiber
mit Berücksichtigung der Neigung seiner oder seines Klienten
die Wahl zwischen den ihm zur Verfügung stehenden Zeichen
traf. So auch ist es nur erklärlich, wenn in nicht gerade
wenigen Urkunden das ei gänzlich fehlt. Es liegt eben die
Differenz im Ausdruk nicht immer blos in der Sache selbst,
sondern in der Stellung des Sprechenden dem genannten
Objekte oder der genannten Person gegenüber und richtet
sich unter Umständen wieder nach dem beabsichtigten Eindruck,
den die Worte auf die Angeredeten machen sollen.
Es muss jedoch noch ein zweites Moment jene zeitweise
Schwankung in der Schreibung hervorgerufen oder sie wenigstens
mit verschuldet haben. Ich berühre hiermit die Frage nach
Vorlagen und Mustern. Die Zeit der grössten Schwankung
ist, ich will es wiederholen, die Zeit vom zweiten Dezennium
des 14. Jhs. bis zum Ausgang des dritten. Es ist das die
Zeit, in welcher Augsburg in besonders reger Verbindung
mit Kaiser Ludwig stand. Ich bin im voraus überzeugt, dass
' Kaoffmann: schwäb. Mundart: S. 281.
372 Dritter Absohnitt. 186
ich mit einer derartigen Abgrenzung, welche auf die Wichtig-
keit der Kanzleisprache Ludwigs für die Umgestaltung der
Sprache der Beichs- und namentlich der städtischen Kanz-
leien hinzuzielen scheint, einem starken Vorurteil begegne,
mit dem jede dieses Problem streifende Behauptung unter-
drückt zu werden fürchten muss; aber es ist nun einmal ein
Eindruck, dem ich mich um so weniger entziehen kann, als mit der
Einschränkung nicht allein des persönlichen, sondern auch des
diplomatischen Verkehrs mit Ludwigs Beamten und mit seinem
Hofe ^ die Schwankung schwindet und mit einerneuen Schreiber-
Aera S^^ die Tradition wieder zu Ehren kommt Dass die
Kaiserurkunden Ludwigs aber in der That ei für i, wenn nicht
ausschliesslich, so doch eindringlich genug bieten, brauche
ich hier nicht zu beweisen; einem späteren Abschnitt soll es
Torbehalten sein, das Nötige herbeizutragen und hierbei, an-
knüpfend an eine Bemerkung Bresslaus ^, der Zusammensetzung
der kaiserlichen Kanzlei und der Verteilung ihrer Glieder
auch auf Augsburg als Herkunftsort zu gedenken.
Wie verteilen sich nun die Schreibungen t, ei, % auf Zeit
und Ort, und wie stehen sie selbst zu einander? Bezüglich
der ersten Frage verweise ich auf die absichtlich reich gegebenen
Belege. Fest steht, dass t traditionelle Schreibung ist, ein
ahd. Bestandteil, und durch mannigfache Gründe immer
wieder hervorgerufen, ei war durch die bairischen Muster^
gegeben; doch auch diese wendeten es nicht regelmässig an,
wie man sehen musste; also schrieb man ei und t. Die
klerikalen Urkunden nun wiesen dem umsichtigen Stadt-
schreiber auch t. Es hatte zwei gute Seiten: es gab
^ Das Zusammenhalten Augsburgs mit Ludwig dem Bayer in seinen
Kämpfen, die gemeinsamen Feldlager, der häufige Aufenthalt des Kaisers
in und um Augsburg sind beachtenswert (vgl. dazu Herberger : Kaiser
Ludw. d. Bayer und die treue Stadt Augsburg: S. 10 Anm. 88 und
das von mir später über das Verhältnis Augsburgs zu Bayern und
seinen Fürsten Beigebrachte).
' Bresslau: ürkundenlehre I, S. 259.
* Aychach : 1814 nur ei (U. S), Landsberg : 1388 et und t (U. Gr.),
Landsberg : 1825 ei, i (hl. Gr.).
187 Lautlehre. 373
eimnal durch seine Gestalt den als schwebenden Laut em-
pfundenen Diphthong in dieser seiner Unbestimmtheit wieder,
und im üebrigen bot es die Möglichkeit, dem Bedürfnis, ei
zuschreiben, nach- oder wenigstens nahe zu kommen, indem man,
wenn schon t stand, das e darüber setzte und so eine Kom-
position Ton i und $ erzielte.
Anmerkung: % hat darnach die Bestimmung, ei zu
sein, ähnlich wie in briutigum (= briuUffom) durch die spätere
Fassung: hriutigoum die Darstellung eines Diphthongs ou für
o durch tt kenntlich gemacht werden soll. Weinhold erklärt
dieses briudgum für eine Folge der Unsicherheit betreffs des
Lautes o, es ist auch ein Hinweis für die spätere diphthongische
Fassung als ou '. Als weiteren Beleg für den diphthongischen
Wert der Schreibung mit ou führe ich aus dem Augsburger
Stadtbuch an: f. 72b. braeutgaeu 73a. braeutgaewe.
Es steht somit ausser Zwei fel,dass man in den
bald nach diesem bald nach jenem Ort bestimmten
Schriftstücken nicht allein i schreiben wollte,
sondern denDiphthong durchaus in den Schrift-
zeichenyorrat aufgenommen hatte. Wie stand es
nun innerhalb des eben behandelten Zeitraums ( — 1330)
um die ausschliesslich für das interne Rechtsleben der Stadt
bestimmten Akten. Da zeigt sich nun im Stadtbuch
das gerade entgegengesetzte Bestreben: ei zu
vermeiden. SelbstSg schreibt nur hin und wieder
ein ei für i^. S^ und S^ vermeiden ei hier ganz,
^ y^L Weihold: mhd. Qr. § 64. Belege aus Keimen.
* Abseits steht eine Eintragung seiner Hand über eine Hochzeits-
ordnnng (72 b. 78 a), in welcher der eine Abschnitt nur aei und ei für
f bat; ich glaube nämlich, dass diese Eintragung ans fremden Statuten
abgeschrieben ist; denn 1) schreibt S3 wohl ei, aber nie sonst aei, —
2) ist j?/ für p/i damals den Angsburger Schreibern noch nicht geläufig,
— 3) ist eine Form wie v,ndr weder dem Schreibbrauch von Ss noch
dem der augsburgischen Kanzlei des 13. Jhs. überhaupt angemessen. Ich
bemerke dazu, dass ein Flüchtigkeitsfehler eher ausgeschlossen erscheint,
weü die Schrift auf hohe Sorgfalt hinweist; — 4) Bevorzugt Ss in
seinen Schriftstücken vielmehr das <m sowohl für ü als für Diphthong
374: Dritter Abschnitt. 128
obgleich sie es in den Urkunden neben i auf-
kommen lassen; S^ aber, dessen Thätigkeit
hauptsächlich jener oben als die Zeit eines sich
vorbereitenden Umschwungs bezeichneten Periode
bis zum Anfang der dreissiger Jahre angehört, lässt
et mit i nach seiner sonstigen Gewohnheit auch
im Stadtbuch wechseln; desgleichen macht sich
in der 1324 von ihm verfertigten Abschrift des
Stadtbuchs unleugbar das Bestreben geltend, ei
an die Stelle von t zu setzen; z. B. die ersten Seiten
beider Werke mit einander verglichen bieten:
Original (Grundtext, fol. la): fi, beUbe, ziten.
Copie: fei, beleihe^ zeüen.
Die wenigen ei der Hand S 3 lä43st er, ebenso bezeichnend,
unangetastet.
Der Platz des ei ist darnach als ein schon ziemlich ge-
sicherter anzusprechen für den rechtsgeschäftlichen Verkehr.
Vollständig aber erst hat Sj, anscheinend den bisher zwischen
öffentlicher und interner Bechtsverkehrssprache waltenden
Unterschied — ich möchte genauer sagen 'Abstufung\ insofern
als die Sprache der internen Bechtsdenkmäler hinter der
ürkundensprache zurückgeblieben ist — aufgehoben; in gleicher
Weise selbständig verfahrt er mit Kopieen ^ 1346 — 1348
aUf während der Text hier nur au hat. - In der Ansicht, dass dieser
Passus einer uns unbekannten Quelle als Vorlage entstammt, werde ich
um so mehr bestärkt, als der von Ss nicht zu Ende geführte Passus
— er bricht mit 'niht ab (vgl. Stadtbuch v. Augsburg ed. Meyer:
S. 244. § 8 Zeile 9) -- von Si? mit gan beendigt wird, als ob dieser die
gleiche Quelle gehabt und daraus ergänzt hat. Wenn Si? selbst seinen
Zusatz in einer seiner eigenen Schreibweise angemessenen, von dem Vor-
anstehenden aber abweichenden Fassung anfügt, so ist die Aenderung —
bei Annahme gleicher Quelle — durchaus verträglich mit dem uns sonst
bekannten Verfahren Hagens (Si?), in der Schreibweise seiner Urkunden
sowohl als in seiner Behandlung der Kopieen: 1829. Sonntag nach St
Kargar. S© fein (3. pl. conj.), Dyener — Sn :1846: fyen, Diener.
^ Abschriften des Missiv-Buchs :
Original: 31. Juli 1348: Ürk. des Pfalzgrafen: bi Rin; weifen;
ir leib; sin (1. plur.); bi; leib; leiden.
129 Lautlehre. 376
ist Hagen mit et zurückhaltend. Von 1348 sind aber Urkunden
erhalten, welche ei in gleicher Weise wie und neben t auf-
weisen. Mit Rücksicht darauf, dass die mir zur Verfügung
stehenden Urkunden Hagens aus der Zeit von 1346 und
1347 kein ei besitzen, ist es umso beachtenswerter, dass in
einer von seiner Hand (Sj,) geschriebenen Ur*
künde des Kaisers an die Stadt, alsoYorurkunde,
ei ganz in den Vordergrund tritt (1345. Montag nach
den 11. Not. (A)).
Die bischöflichen Schreiber hatten von 1336 an ei ganz
besonders bevorzugt, der Schreiber der Curia gleichfalls, und
auch die Klöster liessen hie und da ei und i neben t er-
scheinen. % hatte ich ein Charakteristikum der klerikalen
Urkunden genannt; es wird von den städtischen Schreibern
der vierziger Jahre, XTlrich Biederer und Hagen, in allen
ihren schriftlichen Erzeugnissen auch ftir i verwendet. Es
gewinnt in den fünfziger Jahren häufig die Gestalt i/f wie
überhaupt y wieder sehr kultiviert wird. ^ Von einer geregelten
Orthographie des mhd. t kann bis zum Ausgang unserer
Periode nicht die Rede sein; die graphische Gleichwertigkeit
Copie: n. 48. (1361?): hy Byn; weifen; ir lih; /^; by; lib;
leiden.
Original: 1365 18. Juli: Chunrate yon Bargaw: Weizzinger;
weifen; reich; veltßrHt; Itreit; by; fy (conj.); geftryten,
Copie: (1865): Weizzinger; weifen; Reiche; veUftrit; ftreit; by;
fye; geetriten.
Original: 1861 S5. Januar: KtLiBer: zeiUn; reiche; Meicha; meinen;
bei; fein (inf.); bei, reiche; bdeiben; weife; weife,
Copie: n. 84: WahrscheiDlich 1866 hinter den Urkunden von 1866,
jedenfalls nicht vor 1364 auf Grund der Gestalt der Schriftzüge Hagens:
ziten; Rychs; Reichs; Meinen; by; fein; by; rychn; bdiben; wife; weife.
' Was diese zeitweilige Vorliehe für den einen oder den anderen
Buohstahen im Allgemeinen und für y im Besonderen anlangt, so ist es
wohl mehr als ein Zufall, dass der Stadtschreiher Hagen (Si?) in der
Kopie einer Kaiserurkunde, die wir ohen in die Abschriften des Jahres
1866 einreihten, häufiger für ei des Originals (et für i): y (reiche —
Byehe, bei -- by , . ,) und fdr ei (•« ai): ey in keyfirUchen setzt, als i
and ei.
25
376 Dritter Abschnitt. 130
der gegebenen Zeichen tritt in der Weise in Erscheinung, dass
einzelne Urkunden durchaus nur t aufweisen, wieder andere —
und diese sind in den sechziger Jahren nicht allzu selten — ,
von 8^0 und S,, verfasst, benutzen y und y, eine dritte
Kategorie endlich, und diese ist die grösste, macht keinen
Unterschied in der Verwertung aller Zeichen. Als durchaus
einheitlich auf dem ganzen Augsburger Territorium gestaltet
hebt sich aus dieser Ungleichmässigkeit die Zeit von 1349
bis 1350 heraus, in der nur i geschrieben wird, wohlgemerkt,
nachdem das Jahr 1348 in den städtischen Urkunden an ei
reich gewesen war. Auffallend ist namentlich, dass jetzt
zahlreiche Urkunden des Domkapitels, geschrieben von Einer
Hand, jedenfalls des Schreibers des Domprobstes Engelhardt
von Entzberg, neben den städtischen in gleicher Fassung
einhergehen. Es kann jedoch weder ein Versuch gemacht
werden, in der thatsächlichen Gleichheit der Behandlung des
t, und, wie sich herausstellen wird, auch anderer Bestandtheile
des Sprachgutes beiderlei Urkunden, einen Einfluss der einen
Partei auf die andere oder eine Wechselbeziehung heraus-
zufinden, noch auch wird ein derartiges Unternehmen bezüglich
des Verhältnisses der augsburgischen Urkunden zu den kaiser-
lichen glücken. Es bleibt uns zur Erklärung der so auffallenden
Mannigfaltigkeit in allen Schriftstücken der Zeit nor übrig
anzunehmen, dass die Unregelmässigkeit in der Schreibung im
Weiteren eine Wirkung der kaiserlichen Urkunden ist, indem
diese denselben Zustand zeigten und dadurch dem augsburger
Schreiber, welcher ihnen nachzuschreiben strebte, die Schwankung
in der Setzung von i und ei für ein und denselben Laut als
angängig erscheinen liessen.
ö: Belege:
In der Begel o.
Urkunden:
städtische: o: immer: fol, folte, hof, (d. und n.) immer:
offenlichen, offenlich.
1282. vngeworhtS, (A. E.Xi4, 3). — korn-
markt, (volkwin), fol. hurloher S,. — 1283.
131 Lautlehre. 877
(Völchwin), folde Sg (A). — (volchwein) Sg.
1290. SolhiV S3. — 1292. folhe S^. — 1298.
fölhe — (h6rent, Römifchen, Chünig) 83. —
1302. (Kn6ringen) 8, (hl. Cr. 4). — 1303. zorn-
lich — (hört, gr6zziy, w61ten (c.)) 8g. — Dupli-
kat: 1303. (h6rt, gr6zziy) z6renlich — (wolten)
Sg. — 1304. ßlhen 8 g (R. 10). — 1306. zol-
naer (n. pr.) 8. (C. 6). — 1309. V61kwüi 8^
(U. 2). — 1309. Vogt: hofti (c.) ? (A). — 1318.
ftozzet 8 g (U. 2). — 1320. v6r — (horent)
8g (A). — 1328. klocher 8^^ (A). — 1336.
Rat: ftoffet 8,, (U. 5). — 1339. Ötmar —
(horent, gehöret) 81g (A). — 1340. ftczfet 8^^.
— 1343. Dünerftages 8,g. — 1349. Donerftag
8„. — 1352. Byfchof 8„. — 1359. V51kwin
8,, (C. 10). — 1366. (Voglin (n.pr.)) 8^^
(A). -
Bischof und Domk.: 0.
1329. f6nd (=follen) (H. 16). — 1352. Don-
reftags (A). — 1359. Volkweinin (A). —
Curia: 1331. Clofters (U. 2). —
Klösler: 8t. Oath.: 1303. (K16fterf) (C. 5). — 1338.
kument (A). —
8t. 8tephan: 1306. vörbetrahtunge Clöfter,
vorgenanten, vor, Horburch (n. pr.) (A). —
8t. Ulrich: 1306. hureloherin (U. 2). — 1314.
Aychach an 8t. Ulrich?: vor, v6rgenantiv
(U. 2). -
Stadtbuch: Grundtezt: o. — Novellen: in der Regel: o
— 8, : 8ul, 80I.
Achtbuch : o. —
A. 1344. Brifyn S„ (10 b). — 1351. (G6tfnd)
S„ (16 b). — 1367. (Lerchenp6gün) (26 a).
— 1368. Vogelin S„ (22 b). —
B. 1339. prifoTn S,» (47 b). — 1340 prifvn
S,, (61a).
25*
378 Dritter Abtohnitt 132
ö: Geltnng:
Mhd. ö ist während der ganzen Periode ein durchaus
kurzes, geschlossenes o ; nur vor r scheint ein e dem o nach-
geklungen zu haben; wenigstens findet sich zu verschiedenen
Zeiten des 14. Jhs. die Schreibung: vor, Tör, (R&rbach}).
Es wird dieses o nicht mehr ein reines kurzes o gewesen
sein; die Schreibung 6 1306 (St. Steph.) in vörbetrahtung und
vor — lässt auf eine Dehnung des o schliessen; dann würde
also die Schreibung vor, Tdr, (Rörbach?) einen langen 09- Laut
darstellen. Dem entspricht die heutige Aussprache des 0
vor r: oi* in väer, ganz gleich dem Laut für altes «^ — Im
übrigen ist das Gebiet des kurzen 0 sehr eingeschränkt; denn
der Schreibung nach ist schon im 13. Jh. 0 zu d umgelautet
in den verschiedensten Stellungen : — forcht, notdorft ist alte
Brechung und mit 0 gesprochen worden. ^ Die Fremdwörter
neigen entweder zu einer Dehnung des 0, oder sie erscheinen
mit einer Yerdumpfung des ursprünglichen 0 zu u, welches
sich dann der Entwicklung des u anschliesst, und so als cm
in prifavn neben brifvn erscheint ; ob diese Formen, und welche
von beiden, auch der Aussprache gemäss waren, müssen wir
dahingestellt sein lassen. Wir können nur in Erwägung ziehen,
dass für das Ohr des Gebildeten des 14. Jhs. au eher die
fremde Aussprache zu erreichen schien als reines u.
Ein anderes 0, als das aus u durch firechung von altem
u durch a des Affixes, hat sich unter dem Einfluss von Liquida
aus a heraus gebildet. ^ In Betracht kommt für uns solj
welches anscheinend in Anlehnung an die Gestalt der Plural-
formen: suleriy (sulen) auch sul gelautet hat, nach einem Zeugnis
aus dem Stadtbuch zu schliessen; ferner von, dort — Durch
Verschmelzung von a mit vorhergehendem w entstand : chotember
aus quatember, cliom, kom aus quam. Durch vorangehendes
^ Vgl. Birlin ger: augsburg. Mundart. S. 10.
• Birlinger: augsb.-schwäb. Wörterbach S. 357.
• Vgl. Weinhold: alam. Gr. § 88.
• Vgl. Weinh. mhd. Gr. § 23 und § 69.
133 Lautlehre. 379
w wurde e in wSche zu o: woche.'^ Diese letzteren Vorgänge
sind gemeiamittelhochdeutsch.
ö: Bezeiehnang :
Die Bezeichnung des etymologischen o, sowie der anderen
beim Lautwert behandelten Erscheinungen des o-Lautes,
bedarf keiner besonderen Erklärung. Der dafür verwendete
Buchstabe o erhält nur in den Fällen von Dehnung eine
genauere diesbezügliche Ausstattung mit darüber gesetztem
— oder i. Auf letzterem Wege wird der Buchstabe dem zum
Ausdruck des Umlauts Yon o und 6 gewählten Zeichen voll-
ständig gleich^ und es' wird daher bei der Behandlung des
Umlauts unsere Aufgabe sein, diesen Umstand in bestimmten
Fällen in Erwägung zu ziehen, um diese oder jene Erscheinung
aus dem graphischen Gebiet des Umlauts auszuscheiden;
zweifellos also trifft dies v&r und T&r\ jenes als v&r von einem
städtischen Schreiber 1320 geschrieben, durch die Schreibweise
mit ^ in einer klerikalen Urkunde als gedehnt gekennzeichnet ;
desgleichen Tor als Tor in einer städtischen Urkunde von
1304. (Ss). Die Geltung des 6 in Börbach halte ich für un-
entscheidbar. — Unbekannten Ursprungs ist die vereinzelte
Form dünnerliags bei Sj^ 1343. Sie darf vielleicht als eine
Erinnerung an die alte u-Form gelten und mag dem Yolks-
munde noch angehört haben.
Umlaut von ö: Belege.
In der Kegel: o; wenn o durch Brechung aus
altem u entstanden ist, u : in der Regel kumpt,
und ü : (fvne (pl.) . . .) (fülen), kvnic und kvnic.
Urkunden:
1282. volkwin (Hoelenftain, Helenfbain), gvnnen
8^ (A.R.X|4,4). — 1283. V&lchwin S«
(A). — volchwein Sg. — 1290.'Solhiv Sg. —
1292. ffilhe S^. — 1296. f61h S^ (A. R. X\ 6, 5).
^ Heute *vmche' im AugsboigiBcheo.
380 Dritter Abschnitt. 134
— YoUeclichen S^ (A). — m6hten (c),
Clivnige (d.) Sj. — 1299. chvmt S.. — 1298.
Chunig, folhe Sg. — 1300. dörffern, roohte
S3 (C.5). — 1301. Ch^igea, (v6gte) S,
(R. 10). — 1302. Knöringen Sg (hl. Cr. 4).
1303. zornlich, w61ten Sg (A). — Dupli-
kat: 1303. z6renlich, wolten Sg. — 1304. fölhen,
flözzen Sg (R. 10). — 1306. zolnaer (n- pr.)
zolner (n. pr.) möhten (c.) S^ (0. 6). —
Sumert6ckel, f^ln (1. plur.) — foln (1. sing.)
Se (U. 2). — 1309. V61kwin S, (U. 2). —
1309.Vogt:kvnige8,hofti(c.)?(A). — 1312. h6f,
h6uen, m6ht (c.) S^. — houe Sg (C. 6). —
1318. ftozzet (3 8. pr. ind.) Sg (U. 2). — 1324.
m'chten Sg (C. 6). — 1326. w61t (c.) S^^. —
1328. klocher (n. pr.) S^ (A). — 1329. Holt-
zingen. — (Schiffel) S, (hl. Cr.). — Tohteren
Sg (G. 2). — 1330. oflFenlichen S^ (St 3). —
get6rft, f61ten (c.) S^, (U. 2). — 1333. w61t
(c.) f61t (c.) S,2 (hl. Cr. 5). - hef (pl.), h6fen
Sn (C. 7). — 1335. f61t (c), w61tin S,5
(U. 6). — 1335. Rat: f61chiv, wiltin (c), OAti,
mohtin, ftoffet S^^. — 1339. (schoeflFel), hoef,
— (entloefen, hoerent, ils) Sjg (A). — 1339.
e
Vogt: (Otmar) — horent, gehöret ?. — 1340.
ftozfet S14. — 1345. kümpt, (furderung) (holtzen)
S„ (A. R. X| 10, 3). — 1348. wölt S„
(A). — chünig S^,. — 1349. kümpt S^,. —
1351. (Sch6ffel) S„ (0.10). — chumpt S,,
(A). — 1359. V61kwin S^, (C. 10). — 1366.
VogUn S,, (A). -
Bisch, und Domk: 6 — immer: kumt. —
a296. g6tlich (A. R. X^ 5, 7). — 1305. chVnige
(A. R. X|6, 4). — 1323. h6f (pl.) (horent) (0. 7).
— 1332. chumt (H. 17). — 1338. bedirften
(bedörften) (A). — 1342. kompt, m6ht (c.)
135 Lautlehre. 381
(H. 20). — 1348. möht (c.) Domk. ? (hl. Cr. 6).
— 1359. Volkweinin (A).
Curia: 1320. kumpt — (h&rent, gehört) (G. 2). —
1326. v61klichen — (horent) (U. 2). — 1327.
t6hter — (horent) (A). — 1337. t6hter, h6f
(U.5). —
Klöster: 6 — kumt. —
St. Georg. 1282. kvmt, hoven (pl.) (G. 1).
St. Cath. 1295. m6hten (c.) (A.R.X|4,6).
— 1303. (Klöfterf) (C. 5). — 1335. fch6fel
— (horent) (C. 10). —
Stadtbuch: Grundtext: bischoefen, vogten, kunigen, kynch,
zollen kunch, choerherren (1.) — enwolte (c.)
(14 b). — oflFenlichen (49 b). . . .
Novellen: S^: mortlich (46b). — S8:voellech-
lich (56 b) ( — grozlicher) — wolt (c.) (60 a).
— Chumt (62 a) ... — Si5:8oelhe (f. s.)
(72 a).
Umlaut von ö: Geltung.
Der Umlaut des ö ist bei Beginn unserer Periode voll-
zogen vor i des folgenden Suffixes und zwar unter folgenden
Bedingungen : 1. Im Plural der Maskulina der i-IOasse ^ und
der Neutra mit der Endung -er. — 2. Bei Antritt der Endungen :
-ic, -Uchj 'liriy ausser in offerdiclien. Auch die Endung -ing^
•ingen scheint den gleichen Einfluss gehabt zu haben, es
besteht : KnMiigen, Ndrdlingen. Dagegen : HoUzingen. — 3. In
den Kompositionen mit — toin und — frid : Vdlhwin, Qdtfrid,
Ortwin, — 4. In den Konjunctiven praeteriti (der Praeterito-
praesentia) : IdlUy wölUy mdhte, dörfte und in getdrli. — Umlaut
tritt nicht ein: in den nominibus agentis auf -aery -er: z. B.
zolnaer, klocher in den Urkunden wie im Stadt- und Achtbuch.
— Im Uebrigen wird o, wo es durch a des Affixes bedingt
war, vor einem Suffix mit t zu u gewandelt: kumt, ermurt;
' Die Qaellen bieten mir kein Zeugnis fiir Uebergang von MasculiniB
im Plural von der a-Klasse zur i-Klasse, also immer : zollen (Stadtbuch).
S8S Dritter Abschnitt. 136
kumi hat dann durch Systemzwang die Zerspaltung des u in
n -|- 0 und u^e mitgemacht, vgL das darüber bei u Qesagte.
Da unsere Periode in die Zeit f&llt, in welcher auch in
den ümlautserscheinungen anderer Lautgebiete Analogie-
wirkung den Bestand teils zu vergrössem, teils zu yerringem
sucht, so werden wir auch das umgelautete o bald
über die angedeuteten Grenzen hinaus greifen, bald zum
Nichtumlautstand zurückkehren sehen. Diese Schwankung
wird der gesprochenen Sprache in gleicher Weise angehört
haben, als sie von der Schrift bezeugt ist. R&rbach z. B.
kann sehr wohl in der alltäglichen Sprache umgelautet ge-
klungen haben.
Gesprochen wird heute der Umlaut der Kürze der o-
Laute: i\ die gleichen Verhältnisse liegen im 14. Jh. vor,
wenn wir einmal in der nachgewiesenen Form nCchten die
Gleichwertigkeit von ö und e erkennen wollen und wenn
anderseits der Wechsel von ö und e in Schdffel, -fehöfte
und Icheffte ' eine Mittelstellung beider Laute kennzeichnet ; es
wird besonders mit Bücksicht auf die letzteren Erscheinungen
eine völlige Endrundung für das 14. Jh. anzunehmen nicht
statthaft sein.
Umlaut von ö: BezelchnuBg.
Die Schreibung folgt durchaus dem gesprochenen Laut
bis auf wenige Einzelheiten, die, so wie sie sich kund geben,
immerhin noch kein Zeugnis für nicht umgelautete Form
sind. Keine der in den schriftlichen Denkmälern vereinzelt
auftauchenden Formen ohne Umlautbezeichnung steht der-
artig isoliert, dass nicht das gleiche Wort mit Umlautbe-
zeichnung an andern Stellen, häufig auch in ein und demselben
Denkmal erscheint. Zum Teil kommt in solchen Fällen der
Wechsel der Mundart in der Kundgebung des Umlauts, zum
Teil Nachlässigkeit der Schreiber in Betracht, die zur That-
sache durch mehr als ein Zeugnis wird : z. B. wird in m'ehien
die Auslassung des Vokals durch darübergesetztes 1 ersetzt,
u. a. m. Ob zu diesen Schreibfehlem auch enwoäe des Grund-
137 Lautlehre. 383
textes Sj im Stadtbuch zu zäMen ist oder ob S^ die um-
gelautete KoiguDktiyform der oben angeführten Fraeterito-
praesentia noch nicht gekannt und verwendet hat, ist darum
zweifelhaft, weil die unter seine (des S^) Thätigkeit fallenden
Urkunden keine der einschlägigen Formen bieten. In den
neunziger Jahren jedenfalls schreibt schon S5 regelmässig
möhten .... Eine eigene Bewandtnis scheint es mit der
Darstellung des Nomen proprium Volkwein zu haben; der
Name erscheint regelmässig als Völkwin, aber ebenso regel-
mässig als volkweifif d. h. -loin hatte umlautende Kraft, aber
nicht "wein. Diese Di£ferenzierung respektieren alle Schreiber
und zu allen Zeiten unserer Periode. Die angeführten Belege
liessen sich noch bedeutend vermehren. In der Gestalt des
Suffixes 'ic als -ec erscheint voüeclichen als nicht umgelautet,
dagegen z. B. 1326: völklichen (Curia). — In der Form
nCchten giebt sich zweierlei kund: einmal die wahrscheinliche
wirkliche Aussprache des ö als i und dann ein ursprüngliches
Versehen des Schreibers.
1338. (1338. bedörften) nimmt die Darstellung des Umlauts
von o zuerst die Form ö an; auch hier beginnt damit ein
bischöflicher Schreiber. Bei sorgfältiger PrtLfung der Quellen
habe ich die neue Gestalt des Apex in den gleichzeitigen
und folgenden städtischen Urkunden nicht mit voller Gewissheit
entdecken können.
6: Belege.
Urkunden.
In der Regel o.
städtische: in der Regel 0. — 1277. groz Sg (A). —
1282. Moricien (3 x), (hoher, hohin) S,
(A. R. X| 4, 4). — 1285. Schongawer S, (C. 3).
— 1295. T^ Sj (A). — 1296. Movricen S^.
— (1302. Hihftetten ?). — 1303. Mavrizin
Sg. — 1303. gefw6ren -(h6rt, grozziv) Sg. —
Duplikat: 1303. gefworen Sg. — 1303.
manöd, manod (entlofen) Sg (C. 6). — Dup-
384 Dritter Abflcfanitt. 138
likat V. 1303: 1304. Tor S« (A). — 1313.
manad, manod, manat S^? (U. 2). — 1318.
Lanrentzien S^ (U. 2). — 1323. Öhaim S,
(C. 7). — Örterwochen S^. — Oheims S^^?
(A). — (Tvm) Sj,,. — 1324. Rorbach S.
(C. 7). — 1325. Mauricien S,^,? (A). — 1326.
R&thenhovfer — (horent, gehört) S^^ (C, 7). —
1330. groz Si2 (U. 2). — 1355. zwu S.^
(0. 10).
Bisch, und Domkio. — 1351. R&tenberg. Domk. (H. 12).
Curia: 1326. not (U. 2). — 1331. Chlofters. — 1345.
Botenbacherin (hl. Cr. 5). —
Klöster: St. Cath: 1303. Klofterf, Rorbach — (horeut)
(C. 5).
St. Stephan: 1306. vorbetrahtunge, Clßfter,
vor, Horburch. ( — h6rent) (A).
St- Ulrich: 1323. (Gr6g5rgen) (U. 2).
Stadtbuch *: o; z. B. : Sg gewandlot (98 b). — nidrost
nidroren (72 a).
6: Geltung.
Der Lautwert des jetzigen schwäbischen 6 ist ein ver-
schiedener, und zwar hört man im NW. : ao, im S. (alamann.) :
6, im 0,:o9^. Im 15. Jh. nun findet Bohnenberger ^'^ schon
denselben Lautstand und setzt mit Kauffmaun ^ den Gang der
Entwicklung jenes nordwestlichen clo an als: 6 '^ou mit ou
'^ au "^ ao. Darnach ist ou * Vorstufe zu ao. Weniger
sicher ist die Entwicklung des 6 ^09 zu verfolgen, obwohl
sie einen viel einfacheren Gang gegangen ist. Bohnenberger
nimmt eine Zwischenstufe ö an. Wann hat diese gegolten?
' Bürgerbach: (ad. 1366). 1366. BRifmit de Lantfhüt
' Vgl. Birlinger: augsb.-schwäb. Wort erb. 840. EaufTmann: schwäb.
Mundart § 80. Anm. 2.
' Bohnenberger a. a. 0. S. 76.
* Kauffrnann: a. a. 0. § 80. A. 1. und § 187.
^ Sie lebt noch im Servatius im Reimt bogen : taugen.
139 Lautlehre. 385
Im 15. Jh. findet er schon 09. Die Schreibung nötigt uns,
09 auch schon im 14. Jh. anzusetzen.
Das mhd. 6 ist zweifacher Herkuoft: 1. Das ahd. 6 ist
alamann. nur noch erhalten in zwo, in der 2. schw. Konj. und in
[Resten der Komparationen durch -6r und -öat ^. Die übrigen
ahd. 6 sind zu tto gesteigert. — 2. Fast alle übrigen mhd.
6 haben sich aus ou entwickelt. — In den augsburgischen
Denkmälern ist der Stand folgender: das erste noch in zwo
und -Sr^ ^öst erhaltene 6 zeigt in der nachgewiesenen Form
zwu schon Neigung zur Steigerung auf dem ganzen G-ebiete,
zumal 'Or und -ost sich zu yerflüchtigen beginnen; ou hat das
mhd. 6 noch im 11. Jh. gegolten, nach dem Zeugnis eines
Reimes im Servatius, den ich schon anführte, bogen : tougen, ^
Dass im 13. und 14. Jh. aber 09 vollkommen entwickelt ist
und dass zu keiner Zeit ou ^ ao auch nur heranzudringen ver-
mochte, dafür spricht die Thatsache, dass nicht ein einziger
Fall aufzuweisen ist, wo ein ou auch nur durch Verwechslung
mit dem für alten Diphthong au hin und wieder verwendeten
Buchstaben o für ein mhd. ö geschrieben ist. So können
die Namen Mavrüiua und Laurentius in ihrer bald als Mov-
ricen (1296. S«), bald als Mauritzen (1349. S^,), bald als
Morieien (1325. S,?) imd als Laurentzien (1318. S^) auf-
tretenden Schreibung nur als Zeugen des für ou geschriebenen
0 dienen, aber nicht umgekehrt, wenn nicht die Schreibung
in jedem Falle einer Vorlage entstammt. Andere Belege der
Schreibung o für ou giebt der Abschnitt über ou, — Das 6
in der Superlativendung hat sich in der Mundart bis heute
erhalten. " — Das vor a eines Affixes schon fiüh zu 0 ge-
« Weinh. mhd. Gr. § 109.
' In den älteren Quellen finde ich: Augsborger Glossen: 19* (dr-
ringa); 80': goculari 3r sn^ra — » enuora, enora ((iraf: IV, 849) 177':
Isüobot uuerdint («=> videamini) tndftia (» matertera) »»mhd. mume.
— Werners Harienleben (augsb. Bruchstücke): 14B : 144 irchoa : verlos ;
806 : 806 got : not; 581 : 582 top (» Laub) : uf acop.
' Zur Superlativendung -dat und '6t, 'dn der 9. sohw. Konj.
vgL Schleicher: 'Sprache' S. 160. Weinh.: mhd. Gr. § 284 u. § 857.
Birl. augsb. Wörterb. 858--360.
386 Dritter Abschnitt. 140
brochene echte u der Stammsilbe ^ ist im Augsburgischen
erhalten, und es läset sich nicht einmal die Neigung, die sich
sonst in oberdeutschen Dialekten findet, belegen, dieses durch
Brechung entstandene o zu u zu senken. ^
ö: Bezeichnong :
Es wird o^ 6 und d für 6 geschrieben, doch kann man
weder die zeitliche noch die örtliche Herrschaft der einen
oder der andern Schreibweise feststellen. Nur soviel ergeben
die Quellen, dass die Schreibung 6 nicht über das vierte
Jahrzehnt des 14. Jhs. hinausreicht: zum letztenmale 1330
S^2) Auch hier wird die Längebezeichnung mit ^ von den
klerikalen Schreibern bevorzugt (Curia 1326. und St. Stephan
1306). d, als der Aussprache gemäss, eigentlich o* ', ist die
herrschende Schreibweise, nur zuweilen mit der traditionellen
(?) o wechselnd. Nur einige Schreiber vermeiden sie ganz:
z. B. Sg (1302—1330); denn die Wörter h&rent, geh/ht, die
Sg allmählich angenommen hat, sind als neuerdings umgelautet
zu betrachten ; sie gehen neben den nicht umgelauteten Formen
nebenher. — In Fällen, wie tddey im Stadtbuch nur todej
haben wir nicht umgelautetes o vor uns, sondern das eben
behandelte lange o; denn Umlaut wäre nur erwachsen aus
.. ^^^
einem Übergang des Substantivs tot in die i-£Qasse, ein solcher
Übergang findet im Singularis im mhd. jedoch nicht statt, im
Pluralis eher der umgekehrte aus der i- in die a-Ellasse. Wir
besitzen an dieser Erfahrung einen wesentlichen Anhalt, um
' loh behandle diese Falle hier, weil der Vorgang vormittelhoch-
deutsch ist.
» Vgl. Weinh. mhd. Gr. § 72.
' e ist Naohschlag. — Birlinger hebt im Wörterbuch S. 357 hervor,
dass das augsburgische Schwaben die ursprünglich kurzen Stammsilben
mit 0 derart dehnt, dass man oo oder ooo zu hören vermeint, aber einzig
vor Doppelkonsonanz. Sollte dann 1 ein Dehnungszeichen bedeuten,
welches den Zweck hat den Sprechenden zum Ausbalten zu veranlassen,
einen Zweck, der vielleicht auch durch Verdoppelung eines einfachen
Konsonanten erzielt werden soll? 1866. findet sich im Bürgerbuch (▲. A.)
ad. a. 1866 ein Name geschrieben: Bitfmit aus Landshut.
141 Lantklire. 387
das G-ebiet der in der Schreibung als umgelautet sich kund-
gebenden ö zu begrenzen.
ob: Umlaut von 6: Belege:
Urkunden:
städtische: Umlaut und Nichtumlaut.
1272. S^: h6rent. (U. II). — 1273. horent,
n6te, noete Sj (A). — 1277. hoerent, (gr6z)
Sj. — 1280. h6rent Sg. — Dec: hcerent ?
Si (H). — Juli: horent S,. — 1282. homt
S,. — hoerent, H5nige, Tr6gen S, (EL X\4,S).
— hoerent, Hoelenftain, (hoher), (hohin),
helenftain, Sch&nekke S^. — 1283—1285:
in der Regel 6. — 1286. hoereut, (Schongawer)
Sj (0. 3). — 1286. h6rent, gehörent S,. —
1292. hirent, ben6tet S^ (A). — 1294. horent
Sj (A. R. X| 5, 4). — 1295. horent ? S^ (U. 1).
— Oct.: horent, gehört S5 (A). — Nov.: h6rent
S,j. — h6rent, (tröft (d. sing.)) S, (U. 1). —
1297. gehöret S«. — 1298. horent S^ (C. 4).
— gehöret, horent S^. — horent ( — Svn (pl.))
S5 (G. 1). — horent, (— m6ht (c.)) S« (A). —
h6renty Römischen (fölhe) S,. — horent Sg.
— 1302. gehört, horent, enthelofen S^ (0. 5).
— horent, gehört, enthelofen Sg (hl. Cr. 4). —
1303. h&rent, höher, hoch (Höhe) S« (A). —
1303. 22. Juni: hört, (grozziv, gefworen) Sg.
— Duplikat: 1303. 22. Juni: hört (grozziv,
gefworen) Sg. — 1304. 6, Juni: horent Sg. —
14. Juni: horent, gehört Sg. — 11. Juli: gehört,
horent Sg. — Duplikat v. 1303, 22. Juni:
1304. horent, gehorten Sg. — Sg: horent
und horent. — 1306. horent, gehört ( — möhten)
Sg (C. 6). horent überwiegt bei Sg. — 1308.
horent S«. (A). — 1309. horent, entlöfen S^
(U. 2). — 13 1 1. R a t : horent S, (A. R. X\ 6, 5).
388 Dritter Abschnitt. 142
— 1312. S^: horent. — 1316. hörnt
(kvnig) Cloftern S« (A). — 1317. homt Sg.
— homt (fünen) Sg. — 1318. horent, (ftozzet
(3. sing.)) S^ (U. 8). — 1320. horent (vor)
Sj (A). — 1321. horent, entlofen S^. - S^: o.
— 1323. horent, gehört ( — Oheims, fvn) S^,.
— 1324. horent, gehört, (m-chten) S. (C).
— 1326. horent (Rothenhovfer, Sfn, gehört)
Sg. — 1328. horent, gehört S^^ (A). — h6rent
entlofen S^,. — 1331. Kaiser: Bomfcher,
horent, ch6me (c). S^ (A). — horent, gehört,
Schonegg, kome (c). — 1332. hoerent, k6me
(c.) S,a (H. 17). — 1333. horent, gehört S^,
(A). — horent (— f61t (c.) w61t (c.) S^, (hl. Cr. 5),
— Sj2 : 6 = ümlaat von 6 = Umlaut von ö). —
1336. Rat: gehört, gehorti (3. s. conj. pr.)
ftoffet (3. 8. praes.) ( — folchiv, wöltin (c), folti
(c.) möhtin) S^« (U. 5). — 1838. bis Zeile 7:
horent Sj» (U. 6). — 1338. Zeile 8 bis Ende:
entlofen, gehört S^j. — 1338. 23. Febr.
Bischof: horent (bedörften) (A). — 1339.
hoerent, gehoert, entloefen öls ( — hoef, schoeffel)
Si3 (A). — 1340. 4. Okt.: horent, horent S,^
(=Si5?) (A). — 1340. 4. Okt.: ftozfet, horent
Si4 (= S,5?) (A). — 1341: 5. — 1342. horent
8,5 (A). — 1843. Febr.: horent 8,5. —
Sept.: horent, gehört ( — Dünerftages) S^^. —
Aug.: horent, entlozen 8,5. — 1344. o. —
1345. horent, gebort 8,^. — 1346. höreut S„
(hl. Cr. 6). — horent, gehört 8,, ... — 1348.
horent, entlöft (3.s.pr.) (sun) 8„ (A). — 1349.
grözzern . . . S,,. —
Bisch. undDomk: 1282. hoerent (H). — 1289. horent
— 1293. horent, gehört (A). ... — 1306.
horent, Römifchen, (ch'hiige) (A. B.X|6, 4).
1313. horent . . . (R 14). — 1338. horent
143 Lautlehre. 339
(bedörften) (A). — 1341. hoerent (fun) (0. 9).
— 1342 hörent (moht) (H.20), — geh6rt
• . . — 1347. horent (A), — 1348. horent
(moht) (hl. Cr. 5). — 1348. hörende (A).
Curia: 1326. horent (volklichen) (ü. 2). — 1326.
h6rent (n6t). — 1327. horent (t6hter) (A). —
1331. horent . . . (XJ. 2). — 1337. horent,
gehört (tohter, fün) (U. 5). — 1337. hörent
(höf). — 1345. nöten ... (hl. Cr. 6). —
Stadtbach: Gleichwie die Urkunden hat auch das Stadtbuch
den Umlaut von 6 durchgeführt: ö ge-
schrieben.
Achtbuch: Umlaut ist Regel: ö geschrieben.
Umlaut des ö: Geltung.
An der Verbreitung des Umlauts schon in unserer Periode
ist nach den Belegen nicht zu zweifeln. Es wird durch die
Schreibung nicht nur die alte durch i (und u) der Flexions-
silbe entstandene Wandlung des Wurzelvokals festgehalten,
sondern auch die neue durch wachsende Analogiebildung
geschaffene Tonerhöhung durch dasselbe Zeichen dargestellt.
Die gedehnte Aussprache des Lautes verbürgt die nicht seltene,
besonders anfangs beliebte Schreibung oe. Dass der Klang
schon damals ein dem e zuneigender gewesen ist, scheint das
Schwanken in der Schreibung des Namens Hoelen/tcdn^ als
Hoelenitain imd Helenftain zu bezeugen. Für das 15. Jh. hält
es Bohnenberger ^ durch den häufigen Wechsel von e und oe
sowohl zum Ausdruck des etymologischen e als des oe er-
wiesen. Uns bietet sich als eine Bichtschnur für die Geltung
des ö als Umlaut -ö, nicht als unumgelauteter Diphthong an-
stelle der mhd. alten Länge, die mehr oder weniger durch-
geführte Schreibung des Umlauts auch der andern Vokale.
Ich bin jedoch weit entfernt davon, zu behaupten, dass jedes
' Vgl. über die Etymologie dieses Namens den Artikel 'Hoelenstein*
im: Oberbairiflchen Archiv. I^ S. 287.
' Bohnenberger : a. a. 0. S. 85.
390
Dritter Abschnitt.
lU
6 Umlaut ist, ich halte die Geltung des heutigen Diphthongs
anstelle der alten Länge 6 für durchaus bestehend^ wie oben
gezeigt wurde. Eine Untersuchung etwa von Urkunde zu Ur-
kunde könnte man versuchen ; indess dürfte sie mehr die £Qarheit
über die Schreibgewohnheit im Einzelnen fördern und erst
in zweiter Linie Schlüsse auf den Lautwert gestatten. Ich
wende mich daher dem Wege zu, der noch am sichersten
einen Lautwert klarstellen kann, indem ich das einzige poetische
Denkmal Augsburgs, welches in unsere Periode fallt, heran-
ziehe: Fressant reimt: 31:32 noeU (d.):genoete (adj.); 391:
392 parte (Port) : erhörte. Durch das erste Beispiel ist der Um-
laut oe erwiesen. Das zweite Beispiel aber lehrt uns, dass
neben den offenkundig umgelauteten Formen gleichberechtigt
unumgelautete bestanden und gebraucht wurden.
uo und ft: Belege.
Urkunden: städtische
uo ü
1272 Si (Uli.): brvder, tvn. vnfers, Avfpurch, kynt.
1273 8, (A): gefvge (adv.), tvn, mvter, kvnt, burcgrave, bvr-
gvt, tvnne (fvn); (Q-rvze). gaermaifter.
1277 S^: Chvnrat, tvn, mvte, gvten, gvnft, vrchvnde.
gvt, (fvn).
1280 Sg : tun, gutem, genvge (adv.). — u.
Sj (H.): bruder, thvn. —
S^ (H.): darzv, thvn, Chvnrat.
1282 Sa (H.): tvn, brvder.
Sj (R. X^ 4, 4): u-Uml.: = u.
83 (A.): (Avfpurch), thvn, mvter, u; durh . . . Avfpurch;
genvge (adv.). (üml. u.)
1283 S«: (Avfpurch), tvn; (ü = ü). — u; (kvmpt, kvnt . . .),
Sg in der Regel u. ^rtail , purchgraven,
Avfpurch. — Sg in der
Regel u.
1285 S, (A.): thvn (thvn?), genüge, chvnt, Aufpurch . . .
bruder, Darzv.
kunt, u.
u; (üml. u.)
146
Lautlehre.
391
uo
ü
1286 Sj (0.3): bis 1295: u.
1295 Sg (ü. 1): tviiy mute, gutem,
tvn (inf.), Sch61maifter (A nach-
träglich).
Sg (A.): tun, zv, Müter, genüge. —
S5 : Ttm, tvn, gnvge ; (tf, gebürte).
1297 Sg (U. 1): tvn, gvter, brvder,
Z7, ZV, gvt, genvge ; (vf), üml. : ü.
— 1298 Sg (0.4): Virich, höbe.
1298 Sg (A.): tvn, genüge. — Sg: u;
ZV.
Sg: tun, gvt, genvge, Bvch, rüwich-
lieh, genvck, genvge, getun (inf.).
1299 Sg (St. 1): n; gvte. — 1300 Sg
(0. 5) : ZV, mvt, verfücht.
1300 Sg (0.5): vngef^chte gefvchte,
tvn.
1301 Sg (R. 10): Rudolf, ruwechlich,
tvn, mute, gutem.
Sg: u. — 1302 Sg (0. 5): Ulrich, tvn,
gefvchet vnde vngefvchet; (ü : = u).
1302 Sg (hl. Or. 4): t^n, gvtem, gvt,
vnbefvhtz. ~ 1303 Sg (A.): u. —
1303 22. Juni Sg: u; gvt, tvt; (Uml. ü).
— = Sg: tvt, buch.
1303 Sg: u; tvn. — Sg(0. 5): t^,
gutem, brvder, zv, gefvchtez.
1304 Sg: tvn, mut, guter, genüge.
Sg?: tvn, gvter, zv, h^e (ü:^u).
Sg : ZV, gvt . . = 1303. 22. Juni. —
1305 Sg: Tvn, gvter. . .
1305 Sg (0.5): tvn, (fvn), brüder.
1306 Sg: tvn, gvtem, hvb, befvchts
vnbefvchts, zv.
u;(Uml.ü)bi« 1295: u;
(üml. in der Regel ü).
u; (üml. ü).
u.
u; (Uml. u und ü).
u; (üml. ü).
u; (üml. ü).
U.
chvnt; u.
kvnt, durch; (üml. ü).
u. — u; (üml. u).
u.
u; (üml. ü).
u; (ümL ü).
u; (üml. u).
u.
Aufpurch, kvnt; (üml.ü).
u.
26
398
Dritter Abschnitt
146
uo
1308 Se (A.): Tvn, mvt, gvter . . . (vf).
S.: Tvn, gnvge, (vf). — 1309 S,
(U. 2) : C&nrat, Tvn, briider, hüb ;
(vz, vf).
bis 1317 u, seltner u, U.
1317 Sg (C. 6): Tun, mute, guter,
gutem, zu, befuhts vnd vnbefuhtz,
zv; (vf, vz Lythaus).
Sg : ü. — S^ (C. 6) : tven, muter . . .
(gebrüderen). — S^ : tven . . .
1319 D. n. Pfingsten S^ (H.) : tvn, genüg,
darzü; (ü: = u). — = 1319 D. n.
Pfingsten S^: tvn, abtvn (inf.), müt.
Sg: tun, mut, darzü, vnbefüchtez. —
Se (0. 6): tvn; ü. — 1320 S« (A.):
tven, ftünt. — S, (A.): tvn, genvg.
— 1322 S^: Tvin, zv, tvn. —
S^ (0.7): tvin, gutem, befvhtw,
tvn (inf.), (fvn).
S^: ü und ü: tun, mvt, guten, zv.
1323 S^o (A.)- Tun, gutem, (fvns),
darzü. — Sj^: Tvn . . .
1324 Sj^: Tun, müt . . . — S,: ü:
tun und tuen.
1326 Sil (C): Ulrichs, tven, vnbe-
fvchtez, z^; (zvnen, zvnen).
1328 S^,: t^en, Tvm, gutem, darzv,
— Sia (A.): Tvn, mvt, zv, abtvn;
(vf, havs). — ü; tvn und tvn. —
1329 Sj^: Tven, müt, tvn (inf.) . .
(hus, vf . .). — Sj2- Tun, sonst ü.
1830 Kaiser. S«^ (A.): T^en, brüder,
zv, gut, tvn (inf.). — S^: xk. —
1331 S^: Tvn.
u.
burk; u; (Uml. ü),
u.
u; (TJinl. u).
u; (ümL ü), (vnferm . .).
— (S4 : vna, ^nfer). —
(Sg: '^8, ^fer).
u; (^ns).
u; (vnfer) . . .
u; (Ucnl. ü).
u; (UmL ü).
durch, chvnt, bürger,
(für, f^ln).
u.
Kaiaer. S, u; (Unü. ü).
U7
Lautlehre.
898
tu>
8^: T^en. — S,: Tvn, T^en.
1381 Sj^: Tven, genug, (sun). —
S,:gut, ZV. — 1332 S^j: t
1332 Sj, (H. 17): Tun, vitatum.
Sj, (A.): tAn, m&t, ZA, guter, gen&g
(adv.). — S],: tun und tuen, sonst ü.
1334Sia(A.): Tven, zv, guter. —
1335 Rat 8,8 (U.5): Tuen, gut,
ZV, bruder, (fchuf&n (c.)). — Su« Tun,
gutem, fürten.
1335 8,g: tuen, Tumbrobft, sonst: ü.
— 8,8 (A.): Tun, m&t, guter, gnug,
(8Yn) gerAwidich.
8,3: ü und ü, li bevorzugt
1336 8,8 (U.5): tuen, z^, bruder,
tuen; (vf).
1337 8,8 (A.): tüien, bruder, mute,
tun (inf.). — 8,,^: tuen, tun; ü. —
1338 8,8 (A.): tuen, gutem.
1339 8,8: Tun, gnug, zu (vf . . .,
Eytenhüfen). — 8,, : Tvn, müt . . .
— 1340 8,8 (A.): Tuen, zv, (vf.),
(8finnewenden). — 8,5: tun, sonst: u,
seltener u.
1342 8,8 (Ü.6): mute, guter, z^,
Halbbübe, muz, gerüwiclichen.
8,8 ?: tüien (2 x), »onst ü. — 8,8 (A.):
t^, müt, gutem, guter. — 13438,5:
tvn, müt, guter, abtun, gnüg, ge-
rüiclich.
1848 8^8 (A.): tvn, müt, gutem, ge«
rüiclich (v»-).
8,5: tun, müt, guter, (vf, hüs, 8tain-
hüs). — 8,8 : ü.
ü
u.
n ; (Uml ü). — (vnfer).
— 1382 8,1 : vnfer,
vrchVnde.
kumpt,Augfpurg;(Uml.u)
u; (üml. ü).
u; (1833: Uml. -ü und ü).
u;
(ümL
ü).
u.
a;
(Uml.
ü).
u; (^nfer).
u; (UmL ü).
fün, fun.
u.
u; (vnfer, vfis).
Aufpürger, durch (hin-
nanftir).
26 •
394
Dritter Abschnitt.
148
uo
ü
1 346 S , 7 2 Urk. 24. Aug. (R. X| 10, 3):
tun, gefüren, ( Wür), f&get (Uml.?) ; (vf).
Sj, (A.): tun ... (mür, vfbraht,
vfferhalb — sonst ü: = u).
S^^ (hl. Cr. 6): tun, mut, gut, gerue-
wiclich.
Sj, : ü; (ü in der Regel u).
1348 Si7 (A.): tun, zu. — S^, (0.9):
tuien, darzü, mute, guter, briider.
— Sj,: tun, müt, genüg, volfürt.
— Sj,: ü; gerüwiclich.
1349 Sj, (A.): tun (l.pL), tun (inf.).
S^, (A.): müt, guter (hüs, vz).
1351 S„ (R. X|): tun . . . (gebruder
üml.). — Sj, (A.) : (Hüs) tun, ver-
fchüf.
1352 Sj,: Tun, zu, (hüs).— Si,(A.):
tun. Tum, darzü.
1355: Tun, müften; (üf . . .). —
1357 Sj, (0. 10): tun, müt; immer ü.
1362 S^^ (R. 12): Tun, zu (üf . . .)
(gebruder).
1365 Si^: tun, tun (inf.) tu (B.c.); (üs).
— Sj^: tun; ü.
1367 Sj^: tun, gut . . . (hüs . . .).
1368 Sjj (A.): einmuticlichen, volfu-
ren; (uf . . .). — S^^?: Aufpürch.
1372 Sie i^' 1^)- *^^-
kümpt, Aufpürch, sonst
u;(Uml.ü),Kemptvn.
fvn, Samnung, kunt
(Ahtünden).
kunt . . . (Uml. ü).
u; (Uml. ü).
kunt, Aufpurg.
(sün (pl.)).
kümpt; (Uml. ü).
günft.
u; (Uml. ü).
Sün, kunt.
u; (vnfer, gebürd).
u.
fün, Aufpurg.
kunt; (Uml. ü).
u; (Uml. u: zunffken,
liberein, mugen).
Bischof und Domkapitel.
uo ü
1282 (R. X,\ 4, 3): thün, darzv, gute, Aufpürch, chünt, phün-
furet, (hvnr (Uml.)). dez,chunt;(Uml.:uund
1289 (H.): tun, müt, guter, zv, (fvn); ü: fvr, lutzel, gebvte,
(vf . . .). küfßn).
149
Lautlehre.
396
uo
ü
1293 (A.): tun, vobefühtezy zu, bruder
1 296 (K. X\ 5, 6) : Tymbroft, tvn, mvte.
1300 (H. 13): tvn.
1305: tyn, guten, zv.
1313 (H. 14): t^n, gutem, guter, dar-
zv, Tvmbrobft. — 1316: ü.
1323 (C. 7): tüin, gut; (t£ . . )• —
1326 (H. 16): tun; (vf).
1329 (H. 16): müt, guter . . .
1332 (A.): Tuen.
1333: Tuen, gut.
1336: tvn.
1338 kaiserl. =^ bischöfl.: Tun, zv.
1341 : tun, zv, mute, darzü.
1342 (H. 19): tun, (gotzhüJz).
1344(0.9): tun.
1344 (Q-. 2): Tum . . ., geruwiclicben;
(vz . . .).
3 346 (H. 20) : mute ; (hünre). — zv.
— tüien, mute, guter . . . (hünre).
1349 (H. 21): tun, bruder, T^^mprobft.
— 1360: Tümprobft, für. Tum,
müt, gerüwidich. — 1351: tun,
guter, müt, ainmütclichen, (hüs, vz-).
1352—1359: ü. — 1359: tun.
1367 (A.): tun, künt; (hus, üf).
1374 (R. 2): Ludwig, tun, gnüg; (vf,
hüQ.
Klöster.
HO
St. Cath.: 1279 (0.2): Tun, gut,
bruder; (^z).
u.
u; (llml. u).
chvnt (^nfer).
u; (^nfer, fülen, ch^ige,
(hilfe (subBt.), v^ns, v^ber).
u ; (Uxnl. ü: betrachtnüzfe,
fvr, vrkvnde, künftig),
vnferm.
(vnfer, für, vber, vns).
(vns, vnferem) vrchvnd.
Von 1333 ab in jeder Ur-
kunde : vns , vnferem,
vnfers.
vrkünde.
(vnferm fürlait).
(fün), Purggraf.
kunt, kompt.
chumbt, vrchunde.
Oüfter,(f ür), vnuerchüm-
mert.
(fcbüzzel, fünftzg), Au-
fpürch. — (Uml.: ü).
vrkund (^ber, füllen).
u; (für), vrchund.
vns, (für).
Pürggrauf , Aufpürg
(Uml. ü).
Ü
u.
396 Dritter Abschnitt 150
uo ü
1303: tyn, gutef; (g&t (pl.))* u; (üml. &)YDf,yrkunde.
1310: tuen, gutem, Darzu, t\m (inf.); u; (üml. &).
(phr6nde).
13S1 (0. 7): tun. Nütze, Nutzes (iuber,
gebiurte).
1338 : tun, müt, zv, gutem, hub, bru- u ; Aufporg, kunt, mai-
der, phrund. nimg.
1355 (0. 10): dun (kunt), gutef. künt; (ÜmL u).
St. Georg: 1282 (0. 1): halphübe, u; avfpyrc, kvmt.
brvder. — meist ü.
1362: tuen, mut, geruwiclich (hüs) vorbetrahtung, kunt.
hl. Kreuz: 1339 (hl. Cr. 5): ü. — vnferer.
gerubeclich.
St. Ulrich: 1301 (U. 2): tvn, fch^l- u; (üml.u: vberal).
maifter (hus).
1331 (A.): Tvn, genvg. ^f, (Vberal).
1333: ü. — 1342: tun, (GotzhüfO- vrkund, ^fer, (furbaz).
1346: getun (inf.), gutem, tuen (1. pl.). kfimpt, vns, (für, mugen,
mvlin).
St. Stephan : 1306 : thi, m^t, g^ter, xju
geruweclichen, genvge.
1312 (H. 13): tven, müt, guter ... u; (üml. ü: ^ber, f*len)
^Onfer.
1327: tun, (fanden), zu. fun, funden, vnfer.
1358: tuien, zu. kfint.
1366 (A.) : tüien (Mür . . .) kunt (^fri&).
Spital: 1284 (A.): tvn, Tvme. — u; (üml. u: fvhi).
1284: tvn, t^. u; Dürftigen.
Stadtbuch:
uo ü
Grundtext: Rudolf, guter, buche. u; (gehugnusse, mvnze,
k^ch, kunigen).
hüter (Hutmacher), (h^nraer). — haim- (munzmailter). — mug,
suche, tun. fvle, furkauf.
151 Lautlehre. 397
lU) ü
enphnre (c.) — Faeret. gulte, suln (8. pl.).
fuedem (pl.); — fuder (b.). sWe (l. pl.), — (fünf)
(m&lstaine).
S^: (ftiret). — tuch (hüs-)^ tun, muzzen (S. pl.) — (ftir-
furen (inf.). baz); kein UmUut.
Sg: (m^zze), f&r; immer
Uml. &; (galtn^886).
S^: Uml. ü; (galtnasse).
S^: tut (galtn^se).
S, : tun, hauptgutz. unz (»- unze).
8,5 : inslites (s^Ien, mvgen,
drüber).
S,,: (erslÄgen (c), erslüg (o.)), buch, (würd (o.)), suUen. —
— (f&rt), gut, (uberfirn), (fünf), unser.
fl: Geltung und Bezelchnang.
Das alte indogermanische u nebst ahd. u hat im Ober-
deutschen schon früh in einigen Stellungen einen Schwebelaut
zwischen u und o angenommen: u^. Die heutige schwäbische
Mundart besitzt nach Bohnenberger ^ den unveränderten Laut-
wert des mhd. : ü * oder gedehnt m. Vor Nasal + Spirans und
Nasal + anderen Konsonanten äo ^, sonst 5 vor Nasal. Vor «,
8t, sk wird u gedehnt^. Die Diphthongisierung, die Bohnen-
berger im 15. Jh. vorfindet, ist seines Erachtens nach über
die entsprechende Länge und über diese weitergegangen.
Diese Ubergangsepoche muss sehr weit zurückliegen ; denn in
Augsburg ist ausgangs des 13. Jhs. schon u mit nachschlagen-
dem Vokal gesprochen worden ^. Die stereotype Schreibung
^ Bohnenberger a. a. O. S. 89.
' Birlinger, Augsb.-Bohwäb. Wörterb. 416, 2.
• Vgl. Weinhold, AI. Gr. § 96: ämer — unser.
^ Birlinger, Angib.^flchwäb. Worterb. 416 and Birliuger, Augsb.
Mandart 8. 9.
^ u vor r, m, n, l wird uo, ue (Birlinger, Angsb.'^sckwäb. Wörterb.
418, I).
398 Dritter Abschnitt. 152
hmt in den städtischen Urkunden des ersten Abschnitts
unseres Zeitraums, in der Stellung neben tun in der Formel:
tun kvnt, könnte allerdings davor warnen, eine Ausdehnung
des Schwebelauts auf das ganze Gebiet des ü anzusetzen. Es
verändern sich nämlich wohl andere Bestandteile dieses kvnt:
k zu chy aber nie u z\x v (u). Nur die klerikalen Schreiber
haben öfter u, wie die Belege bezeugen. Erst S, bringt
in einer Urkunde von 1326 chunt Die Urkunde zeichnet
sich überhaupt durch einen Überreichtum an Apices«
namentlich o aus» so dass an Analogieschreibung zu denken
sehr nahe liegt. Später hat S^^: kunt, von ihm gUt das-
selbe, nur muss bemerkt werden, dass er später als Stadt-
schreiber von 1369 an der gleichen Schreibweise huldigt. —
Wiederum die Zeit der vierziger Jahre des 14. Jhs. und in
dieser der Beginn der 'Aera Hagen* ist es, der eine bezeich-
nende Wendung auch in der Schreibung des kunt mitbringt und
es in der Schreibung wenigstens den Wörtern derselben Lautety-
mologie gleichzustellen scheint. In diesen Jahren kann von einem
Einfluss der kaiserlichen Kanzleisprache nicht die Rede sein;
denn nicht die Urkunden Ludwigs, sondern erst die Urkunden
Karls empfehlen die Schreibung ü ohne Unterschied für
et3rmologisches u und uo. Ebensowenig leuchtet mir ein, dass
± hier ein von sorgsamen Schreibern dem Leser gebotenes
Hilfsmittel ^ sei, um u von dem folgenden n zu unterscheiden.
Ich glaube, an keinem Platze ist ein diesbezügliches
Hülfsmittel weniger zweckentsprechend als gerade in
dem kvnt, welches in Verbindung mit tun und im Zu-
sammenhang der ganzen Formel den Lesern der Ur-
kunde so geläufig sein musste, dass ein Hülfsmittel
dieser Art geradezu hätte übersehen werden können.
Es darf daher die Schreibung u, welche Hagen (S^,) stark aus-
^ Geboten allerdings konnte ein solches Lesezeichen jetzt nm so
mehr scheinen, als, wie später nachgewiesen wird, um dieselbe Zeit die
Unterscheidung des u und v geregelt wurde, derart, dass v aus Stellungen
im Inlaut, wie kvnt, ganz verbannt wurde und « mit folgendem n leicht
die Bedeutung beider Zeichen verwirren konnte.
153 Lautlehre. 399
dehnt : so auf die Endsilbe -ungy auf kvmpty als eine lautphysio-
logische Neuerung des auch sonst so strebsamen Schreibers
gelten, die eine schon bestehende Aussprache markiert. — Das
soeben erwähnte kmU hatte bis etwa in die vierziger Jahre
ein ähnliches Schicksal durchgemacht wie kvnt ; möglicherweise
hat die nachweisbare Oleichstellung der beiden Wörter durch
Vertauschung des m mit n in kmit auch eine gleiche Behand-
lung des Vokals hervorgerufen. — Gerade dieses kvmpt, in-
dem es einmal als kompt erscheint, ist im Weiteren der erste
Zeuge der Neigung des Bairisch-Schwäbischen zu o, welche
im 16. Jh. möglicherweise^, heute aber sicher vor Nasal fast das
ganze Gebiet betrifft, welches die moderne Schriftsprache für
o gewonnen hat. Dass gerade die Verbindung mit niy m +
Dentalis die Aufhellung des Lautes veranlasst, während sonst
m vermöge seiner u-Farbe zur Verdumpfung des vorangehen-
den Vokals beiträgt, ist ein bezeichnender Zug jener sprach-
lichen Gegenbewegung, welche Weinhold oft betont. — Ob
wir Schreibungen, wie aun^ als Versuch zu fassen haben, den
Lautwert o auszudrücken und doch mit dem traditionell ge-
gebenen u in Berührung zu bleiben, wie Bohnenberger anzu-
nehmen geneigt ist, möchte ich dahingestellt sein lassen'.
Beachtenswert ist immerhin, dass z. B. funderlicJienj welches
in der Mundart noch heute mit u-Laut klingt, nie o über u
erhält.
Ob Doppelliquida, namentlich v*% 4*i*^haupt fähig war,
die Aussprache des u von dem -^chwebelaut 'sowohl als vom
o-ESange abzulenken, wäre eiue Frage für sich. Doppel-n
allerdings scheint vor einer Wandlung des u wenigstens in
der Schreibung zu schützen : er^i findet sich nur : prunnen, sunne"
wenden S^^ (1336) und 134(; Sunnewenden, Letzteres ist un-
^ Nach Bohnenberger a. a. 0. S. 90.
* Die Unsicherheit der Schreiber, ob sie u oder schriftm aasiges o
setzen sollen, prägt sich besonders stark in md. Urkunden ans: fiöfer,
Ges. Urk. d. Staatsarchivs: II, 9: aolen, ffUen, komenj mogen^ up, ge-
nhmen. ; in Reimen : Krolw. 1799 : 1780 volkUmen : tnimomen.
400 Dritter Abschnitt. 154
zweifelhaft umgelautet, wie es die nachgewiesene Form : sünfn-
wende lehrt. Für den Einflass von nd in diesem Sinne zeugt
vnder, funderlicJien. phrund und buntnuzz wären kein Qegen-
beweis: jenes hat etjrmologischen Diphthong uo, durch Zn-
sammenziehung von Silben entstanden, dieses kann als um-
gelautet gelten; desgleichen: wkunde, funden scheint dagegen
zu sprechen.
Es bleibt nach Allem die Verbindung des u mit r übrig;
sie hat die Wandlung zum Schwebelaut gefordert: pürg . . .
ist eine häufige Schreibung. Nur klären die Quellen nicht
sicher darüber auf, ob dieser Nachschlagvokal ein o oder ein
e gewesen ist. Es betrifft dies in gleicher Weise den etymo-
logischen Diphthong uo. Einige Worte im Allgemeinen dazu.
Die ersten deutschen Urkunden von S^ kennen nur i oder v
ohne Apex, was für u sprechen würde. S, aber verwendet
1277 reichlich v. Das Kloster St. Oatharina schreibt v 1279.
Sj behält auch in den achtziger Jahren durchweg sein v. Er
scheint darnach an einer Schreibgewohnheit festgehalten zu
haben, während S, in den nächstfolgenden späteren Urkunden
und sonstigen Schriftstücken den Lautwert des u als v wieder-
gab oder jeden&Ils v schrieb. Für das Erstere spricht um-
somehr die Einhelligkeit des ersten Schreibers und des
Klosterschreibers, eines Klerikers, in der Schreibung; beide
haben alte Schreibung zum Muster genommen; bei dem
Kleriker ist das Festhalten am Alten in manchen Erscheinungen
bekannt, und das Verfahren des ersten Schreibers ist begreif-
lich. Mit den Jahren war die Zahl der deutsch geschriebenen
Urkunden aber gewachsen, darum konnte der zweite städtische
Schreiber schon Vergleiche anstellen zwischen der Schreib-
weise seiner Stadt und der anderer Ausgangsorte; er fand
das Zeichen A geeigneter zur Darstellung des unbestimmten
Nachschlagelautes. Damit aber geriet er in Konflikt mit der
Schreibung des Umlauts, der mehr und mehr sein Recht be-
gehrte, er musste also entweder für den einen Laut oder fiir
beide die Ausstattung mit e aufgeben und damit zur tradi-
tionellen Schreibung zurückkehren, oder eine andere gleich-
155 Latttlehre. 401
wertige benntzen. Indem er nur u schreibt, überlässt er dem
Sprachgeftihl des Lesers, aus der Schreibung u Umlaut oder
Diphthong herauszulesen. Er wählt dann den zweiten Weg
und nimmt ein andermal das Zeichen ^ zur Differenzierung
von dem Umlaut an, den er gar nicht kenntlich macht; ein
drittes Mal endlich vertritt v nur das umgelautete u ; u bleibt
unbeschadet seines diphthongischen Belanges als Schreibung.
In der folgenden Zeit ist es nun schwer, in gewissen Fällen
der Schreibung nach sich für die Geltung als Diphthong oder als
Umlaut zu entscheiden, indem u in einem Denkmal mit u an
Stellen wechselt, wo wir nur Diphthongienmg anzunehmen ge-
wohnt sind, und wo zugleich u die weit ausgedehnte Umlautung
kennzeichnet. Dadurch, dass das lange etymologische u nun-
mehr auch für seine Diphthongisierung eine graphische Dar-
stellung beansprucht, gestaltet sich das Bild roUends noch
verwirrter. Wir erhalten oft genug Schriftstücke, wo u und
u sowohl für ü und uo als für ü wechseln, u und u für u,
uo und Umlaut von ü und ü. Oft auch teilt sich die Be-
stimmung des u derart, dass u our in tun den Diphthong u
und zugleich das ü vertritt, alle übrigen etymologischen uo
aber mit ü gegeben werden, ohne dass nun für den Umlaut
ein anderes Zeichen als wieder ik gewählt wird. Dass der
Apex häufig ganz fehlt, ist eine eben30 häufige Thatsache.
Von der Mitte des 14. Jhs. etwa an tritt nun fast eine um-
gekehrte Behandlung ein, indem so gut wie regelmässig das tun
in der Eingangsformel der städtischen Urkunden als ütn er-
scheint, im weiteren Verlaufe des Textes u kurzes u und uo
und auch ü vertritt. Es erscheint demnach z. B. innerhalb
eines Schriftstücks: eingangs tun (1. pl.), weiterhin tun (in f.)
mit einiger Begelmässigkeit. Festen Fuss kann man jedoch
auch jetzt noch nicht fassen, es besteht nur der Eindruck
sicher, dass unter dem Vorbilde der kaiserlichen Urkunden
der Regierung Karls IV. die Schreibweise u sich einer merk-
lichen Bevorzugung erfreut.
Die Unregelmässigkeit und Inkonsequenz der städtischen
Urkunden wird von den klerikalen womöglich noch ttbertroffen,
402 Dritter Abschnitt. 156
das Bild ist eia derartig buntes, dass es jedes Konstruktioas-
Versuches spottet.
Wenn das Achtbuch den Vorwurf der Unordnung in der
Behandlungsweise der u-Laute weniger zu verdienen scheint,
so darf man das mit Recht nur dem Umstände zuschreiben,
dass dem Schreiber einmal nur ein geringer Spielraum für
die Verteilung der Zeichen wegen des beschränkten Wort-
Schatzes gelassen und dass im Übrigen das Auge des
Schreibers zu sehr immer an das Vorhergehende gefesselt
war. Es ist aber unläugbar, dass u für u, %w und ü nur
selten von einem u durchbrochen wird, dass it vielmehr auf
den Umlaut beschränkt bleibt^.
Die letzte Stütze für die Aussprache tto für ü imd für
uo gewährt das dichterische Zeugnis Fressants; er reimt:
53:64 atunt (Stunde): kunt. — 393:394 tuont (3. pL): kunt
— 467 : 468 gtwt: tuet (3. sing.). — Sonst: 6 : 6 antumrt: vurt
(Furt). — 93 : 94 hurt: vurt. — 163 : 164 gelüste: koste.
Umlaut von ü: Geltung.
Der Umlaut geht einerseits in der schriftlichen Darstellung
über den Stand der modernen Schriftsprache hinaus, andrer-
seits tritt er nie ein an Stellen, wo diese ihn hat: so wird
brugge nie hrugge geschrieben und noch heute nicht 'Brügge*
gesprochen ^ Der heutige Klang des umgelauteten u in Augs-
burg ist t, d. h. Entrundung, vor Nasal, erzwungen durch die
Entwicklung des i in gleicher Stellung, e oder vor Nasal +
Spirans äe^. Von keinem dieser Vorgänge ist in den Urkun-
^ Das Stadtbach, unter anderen Bedingungen zusammengesetzt als
das Achtbuch, steht auf gleicher Stufe wie die Urkunden.
' Birlinger, Augsb.-schwäb. Wörterb. S. 416.
' Das einzige mir aus der dem Mittelalter zunächstliegenden Zeit
bekannte Beispiel ist phrende in Senders Chronik 1636 (äSOb). Immer-
hin mag der Schreiber hier in einer Verwirrung befangen gewesen sein,
indem ihm ein Begriff von pro- als erster Bestandteil des lateinischen
Originals vorschwebte. Es wäre also nur Entrundung des o zu e er-
wiesen. Servatius reimt : 2803 : 2804 phrüende : hestiiende (conj.). —
8013 : 8014 phrüende: stüende (conj.)- — Urkunde von St. Catharina 1810
(A.) hat: phrinde.
157 Lautlehre. 403
den bis zum Ende unserer Periode etwas zu spüren. Während für
das 15. Jh. schon häufig Schreibungen mit t neben ü bestehen,
kann eine solche oder eine andere den i-Klang andeutende Schrei-
bung für die frühere Zeit nicht erwiesen werden. Gewisse That-
sachen scheinen sogar für die noch bestehende Rundung zu
reden: die mhd. nisse = nia lautende Kompösitionssilbe er-
scheint in den Quellen nur als — nufze, sogar — nufz. Warum
schreibt ferner der Augsburger immer neben andern u zur
ümlautsbezeichnung des etymologischen u, wenn er nicht das
ii als der Geltung entsprechend hier in Gegensatz zu dem
etymologischen i setzen wollte? Endlich ist die Beob-
achtung, dass die Schreiber bei der 3. sing, praet. conj. hülfe
nie einer Verwechslung mit dem Substantivum hüfe sich
schuldig machen, welches bei entrundetem u in hiUfe diesem
gleich hätte klingen müssen, eine Kontraindikation, i-Klang
aus dem u des 14. Jhs. zu hören. Gerade hier, meine ich,
konnte die Nivellierung beider Laute am ehesten zu Tage
treten. Den Einwand, dass hier gar kein Umlaut vorliegt,
kann ich nicht entkräften, doch glaube ich annehmen zu
dürfen, dass der Umlaut hier besonders deswegen eingedrungen
ist, weil für die Endung noch -i gang und gäbe war und
Umlaut im Konjunktiv des Präteritums genugsam bezeugt ist ;
durch Reime: Fressant: 417 : 418 getoänne: vünde. — Für die
vorliegenden Quellen vgl. die Belege ^
Anders aber scheint sich das Verhältnis von i:ü zu
stellen, wenn wir die Reime zu Rate ziehen. Damach ist i
schon um 1200 für ü gesprochen worden, wenigstens bietet
das augsburgiscl^e Fragment von Werners Marienlied den
Reim : 143 : 144 irgrunden : cfdnde. Dabei möchte ich aber
darauf aufmerksam machen, dass der Schreibung zufolge in
dem ganzen Gedicht der Umlaut noch nicht durchgedrungen
ist', dass wir mithin einen unrichtigen Reim vor uns haben,
^ Anführen will ich auch, dass einmal 8t. Gatharina für über und ge"
hurie: ti«öer and gebiurte bietet, Schreibungen, welche die Annahme
eines i-Lautes von der Hand weisen.
« Vgl. Greif in Genn. VII, 813.
404 Dritter Abschnitt. 158
der nur durch das Yermögen des i vor Liquida (m, n) als
u zu erscheinen, gerechtfertigt werden kann. Der Beim
ergrunden : dUnde ist daher nur als Assonanz zu erklären. Dem
angeführten Beim stellen sich zur Seite : 366 : 366 rinder : under;
femer: 389 : 390 vinden : kindin\ 649 : 660 daz dv .,, wrde : bürde]
629 : 630 murmeln : zvmen ; 783 : 784 nuzze (a^j^t.) : ^f ^in
anüuzze. Servatius hat: 165:166 künden: Sünden] 216:816
künden : ergründen. Vgl. dazu das über phrinde aus pkrüende
Gesagte.
Der Umfang des Umlauts ist nicht abzugrenzen. Zu-
nächst ist das u dem allgemeinen Umlautsgesetz unterworfen ;
dann aber wird die durch dieses gezogene Grenze über-
schritten. Als sicher umgelautet erkläre ich in diesem Sinne :
fidenf mugen\ Urkunde \ Desgleichen vns, vnfery welche sich
seit den vierziger Jahren des 14. Jh. einbürgern, und die
durch die moderne Aussprache u^ als umgelautet bezeugt
sind. Sie sind in der umgelauteten Fassung gemeinsames
Gut des alamannischen Dialektes^.
Umlaut von ü: Bezeichnung.
Die Umlautbezeichnung ist den Quellen zufolge ein Werk
von S3 (1280). Nachdem sie einmal in grösserem Massstabe
vorhanden war, hat Analogie die Schreibung und, parallel
mit dieser, das Lautgebiet des Umlauts erweitert. Zeichen
ist zunächst v, seltener fehlt ±. Die Gestalt ü oder u, wie
sie Landsberger Urkunden von 1326 und Aychacher von 1331
schon haben, nimmt nachweislich erst 1332 S^^ an, vorange-
gangen ist ihm ein bischöflicher Schreiber* desselben Jahres
bei demselben Wort: vnfer, vrehind. S^g verwendet ti, w schon
häufiger neben Ä (1333). ü führt S^g 1837 ein und ver-
wendet es z. B. in einer Urkunde des Kates von 1337
^ Reime: Servatius: 287 : 888 fünde (üonj.) : Urkunde; 8686 : 3686
eünde (gen.) : wrkünde (acc.).
* vnsih > ins > is.
' Vgl. Geschwornenbrief von 1260 ans Lozern (Brandsteiter : Ge-
scbichtsfreund 47, 229) : vns, vnser mehrmalB ; der Umlaat ist mundartlich.
159 Laatlebre. 406
Donerstag n. d. 39. Sept durchweg für u (Umlaut).
1338 erscheint ü durch einen bischöflichen Schreiber in
Urkunden Kaiser Ludwigs. St. Catharina hat 1338: Meriy
nutz und deutlich vn$. In der Folgezeit wird ± immer noch sorg-
fältig geschrieben, hin und wieder durch z ersetzt (1343 S^^,
1345 S^,), 1342: ins, vbrig, vrchänd, vnfer, gebürt — (tun) S^j
Hat an Eothenburg. — Eine absonderliche Schreibung ver-
wendet ein bischöflicher Schreiber 1367 : im, für — (tun, kunt,
GotzhuB, üfbraht). 8^^ fertigt 1368 und 1372, 1373 je eine
Urkunde (vom Bat und an den Rat ausgestellt) aus, in denen
er sich jeder Umlautsbezeichnung enthält. 1368 sogar ver-
meidet er in der Urkunde des Rates überhaupt jede Indizie-
rung: vol/urm, zunfften, uberein, mugen — (uf, einmuticlichen).
1379 nimmt er die übliche Umlautsbezeichnung wieder auf.
Was die Bezeichnungsweise ü im Allgemeinen anbelangt,
so ist sie keineswegs ein sicheres Anzeichen von Umlaut.
Beweis dafür, dass die zwei Punkte nicht immer den Umlaut
bezeichnen sollen, ist eine allerdings selten vorkommende Be-
sonderheit einzelner schlesischer Handschriften (Anfang des
15. Jhs.), wo ü auch gelegentlich für das konsonantische w
gebraucht wird, während dieses dazu dient, den Vokal u oder
u darzustellen. So findet man in Men. pros.: beüareti d. h.
beufaren] süangeren d. h. 8wangeren\ tüeren d. h. sweren ge-
schrieben, während tioeren denselben Schreibern süeren d. h.
mhd. mren bedeutet. Bückert^ will die Verwendung der
Doppelstriche oder Punkte über dem u dahin deuten, dass
dieselben nur gleichsam die Aufmerksamkeit des Lesers auf
den 80 hervorgehobenen Buchstaben richten sollen.
ü: Belege.
Urkunden :
Bis 1345 in der Regel u. — Von 1345 in der Regel ü.
städtische: Bis 1280: u (S^ und S,). — 1280. ovz, ovf,
houf, Tousent, S, (A.). — 1282. tvfent S, (H.).
— vf, gebwen, bw, mvre, Mulhufen, Tvfent
1 Rüokert, Syst. Dant. d. Bchles. H. 8. 79.
406 Dritter Abschnitt. 160
5, (R.X|4,4). — S,: u. — 1283. prothvs;
(tvn, Mail), vf, prothvs S^ (A.). — 4. Oct. : Tau-
fent Sg. — 6. Dec: ovf, drovz, hovffrowe, horfe,
Toyfent, gebovren Sg (C. 3), — 17. Dec: ouz,
hovfe, ovz, hvfe, vf, Tovfent, hvf Sg (A.). —
1284. 21. März: anf, aufgeben, Taufent Sg. —
— 24. Juli: vf, Tovfent Sg. — 1285. 3. Jan.: vf,
Tovfent Sg. — 1286. Hovfe, ovf, Tovfent Sg.
— Sg: ov. — 1291. ovf, drovff Sg (H.). —
1292. Bischof, Pfalzgraf und Stadt: ovf.
ovz, Tovfent Sg (Fürst sei. XV, 80, 3). —
1295. 9. Jan.: hvffrawe, Gotefhvf, Gotefhvz (?)
Sft (U. 1). — Sg: ov. — 26. Oct.: ^f; (Tvm,
tvn, kvnt, gnvge — gebürte) S^ (A.). —
23. Nov.: hovfef S^. — 6. Dec: avf S^. —
1296. ovf, Hovf; (Movricen) S^. — S^: ov. —
13. Juli: 6f Sg. — 22. Juli: ovf, ovz, hovfe S^.
1297. vf, gotefhvf, luterlich ; (zv, zv, tvn,
gvter, gvt, genvge) Sg (U. 1). — 1298. Iten-
hvfen S5 (0. 4). — vf Sg. — (höbe) (= huobe)
Sg. — ovf Sg (G. 1). — auz Sg (A.). — Aug.: auf,
Mauf (n. pr.) Sg. — Dec: ovf; (gvt, Bvch...)
Sg. — Sg: ov. — 1800. Annehufen (n. pr.),
ovz Sg (0.6). — 1302. März: vf, Uthvz;
(tvn, ZV . . .) Sg (0. 6). — 3. Febr.: hauf-
frawen, vf Sg (hl. Cr. 4). — 24. Febr. : hvf-
frawen, Gotzhufe Sg ?. — 1303. Gotzehauf
Sg (A.). — Sg: au. — Sept: auz; (haufem)
Sg. — Nov. : lithus Sg (0. 5). — 1304. au
Sg (R. 10). — ovf, hovf Sg (A.). — hvffrawe,
vf Sg. — 1305. 16. Oct.: ovz Sg (0.5). —
6. Sept.: avf, havffrawe, havfen Sg (A.). —
1306. av Sg. — 1308. vf ; {T<rn, mvt . . .) S,.
— 1309. ovf, ovzzerhalben Sg. — vz, vf S,
(U. 2). — Vogt: auf, hovfti, faumpt ? (A.). —
Hauptmann v. Ober Bayern: Taufent, auf.
161 Lautlehre. 407
(bair. Sehr.) (R.X|6). — 1311. Rat: Gotz-
hufes Sy. — 1312. aufgeben, auz, lithouf;
(laeuten) S, (A.). — 1313. ftainhovf ; (Craeutz)
S,. — aufgeriht, leithous, aufgeben, buwet
S, (U.2). — 1314. ovz S« (G. 2). — 1317.
3. Jan. : vz, vf, hous; (Tun . .) S, (A.). — louter;
(zaeunen) Sg. — S. n. 13. Juli: vf, vz, Ljthaus;
(Tun) Sg (0.6). — S. n. 13. Juli: vf, vz, lithouf?
— Sept.: houf, Walifhoufers Sg (A.). — 1318.
ovzzerhalben, Movr, ovfgeben S^ (U. 2). — S^: ov.
— 1319. ov; (hovfern) Sg (A.). — Pfingsten: vf,
Gotezhus Sj (H.). — 20. Sept.: ovf S^. — ov.
Sg (0.6). — 1320. vf, vf, hvf S^ (A.). -
S^: u; (uo = ü; ü). — Sg: ov; (uo = ü). —
1323. Landsberg: auf, häuf, auf (hl. Or.).
— Gotfhus; (hvf er, hvfer) Sj^ (A.). — hvfes,
verfvmten, vf S,o- — ^m' ^« — Sg: ov. —
1328. Stainhavs, vf S^^« — vf, havs S^^. —
1329. 23. Febr.: Hvs, uf,. vfferhalb S^^. —
24. Febr. : vzzerhalp, Gotzhovs, ovf S^ ? —
u; Sjj. — 1330. vz (hevfern) S^. — Gotzhauz,
Gotzhuz Sj, (ü. 2), — Kaiser: vf, Gotzhus
S^ (A.). — S„ S,o: u. — 1333. Sept.: hus,
Hufes, vf, Rynchmavr Sj^. — Nov.: Mavr,
Hufes Sjg. — 1334. haus, badhaus, vf. Sj,. —
1335. V8, vf, Rynchmaur Sj^. — Rat: Gotzhus,
vf, nahgeburen; (heufer) Sjg (U. 5). — S^g: u.
— 1386. vf, vf ; (zv, tuen . . .) S^g (U. 6). —
Vogt: vf Sjg (A.). — vz, vz, vf; (tun, müt)
Si8 (U. 5). — vz, hus Sjg. — 1337. vfferhalben,
Gotzhaufes, Gotzhus, Gotzhufes Sjg- — Rat: vf,
rvmen, Maur, dinchaus S^g. — Rat: vf, vs
Si3 (0.). — 1338. vz, haus S,g (A.). — ouz,
ouf, Gotzhus Sjg (U. 6). — ^f, vf, hüz, yten-
hufer; (tun künt) S^g (A.). — 1340. Priwhaus,
aüz, Peckkenhaüs S^^. — 1342. vz, vf, gotz-
27
408 i>ritter AbMhnitt 162
huzz S^(. — 8^5: u. — 1346. April: vITerlialb,
vfbrahty mur, darus; (tun . • •) S^, (A.). —
Aug.: ufS„ (E.X|11,3). — u; S„. — 1348.
yfrihten, oufrihten Sj,. — a; S^,. — 1349. hous,
vx- S},. — hÜ8, Yz S],. — 1361. houffi-awe,
Gotzhous, vf ; (müt . . .) Sj, (C. 10). — honf-
frawoD; Hub; (yerfchuf, tun) S^, (A.). — hüT-
frawe, vs, darus; (uo = ü) S^,. — S^, : ü.
— 1362. ous, ous Sj,. — hÜ8, vf Sj,. —
1366. Rat: üf, fchlachhüs, Mür Sj,. — S^,: ü
— hous Sj, (0. 10). — Sj, von 1356 ab. nur ü.
— 1367. häufen S^^ (A.). — hüs, üfgeben,
ufrihten S^«. — 1368. ufTerhalben S^^ (R. 2).
— 1372. Taufent Sj« (R. 14).
Bisch, und Domk.: 1282. vf, Tufent, enfaumf, faume, Schau-
ben (R.X|4, 3). — 1284. vf, vf, vz; (tvn,
Mvtir...) (A.). — 1289. lauterlik, vf, bawet,
tufent (H.). — 1293. uf, vf, gotfhufes, tufent
(A.). — 1296. Gotef hovfe (R. X^ 4, 4). — ovf,
ovz, dinckhovs. — 1300. u. (H. 13). — 1305.
aoteshovfes, hovs (R. 6,4). — 1313. Gotefhüs
(H. 14). -^ 1316. Gotefhus. — 1323. vf, gotz-
hus (C. 7). — 1326. vf (H. 16). — 1329. vfert-
halben, mure, hovf; (bovch). — 1332. moure,
vzzerhalp, vz. — Gotzhus (A.). — 1336. vf,
Gotzhüs; (tvn). — 1338. vzerhalb, auzzer
(«: das Äussere) bisch. = kaiserl. — 1341^ vf-
geben; (tun, zv) (C. 9). — 1342. gotzhüü; (tun)
(H. 19). — 1343. April: vzerhalben (A.). —
Juni: vff, vlrihten. — 1344. Domk.: vz, Götz-
hous, vfgeriht (G. 2). — 1345. daruz, vs,
Ouz, ouz ; (mute) (H. 20). — Gotzhous (Gotz-
huser). — vf, Gotzhous, hous, vzzerhalben, vz.
— 1360. Domk.: hous (A.). — vf ; immer u
(H. 22). — 1361. hüs, vzgeriht; (tun, guter,
müt . . .). — Domk.: hous (A.). — Domk.: houf-
163 Lantiehre. 409
frawe. — 1862. Domk.: vf. — 1369. vs; (tun).
— 1367. Gotzhus, üf braht; (tfin ...). — 1374.
vf, huT; (tun, künt . . .) (B. 2).
Curia: 1320. vf; (Tun . . .) (G.2). — 1326. Gotef-
hus, büet; (Tven, guter . . .) (ü. 2). — b^et.
— 1327. Gotefhus, htis, vf, hus (A.). — 1331.
Gotefhus (ü. 2). — 1337. ovf, Gotshovs (U. 6).
— Gotshovs. — 1346. vzbezaichent, vfgeben
(hl. Cr. 5). — 1359. vf, Gotzhous (A.).
Klöster: St. Cath.: 1279. tz, Tvfent; (Tun . . .) (C. 2).
— 1296. Tufent; (tun . . .). — 1324. vf (C. 7).
1326. uf, uz, daruf. — 1348. auf (0. 9).
St. Georg: 1282. hvfe, vz, W; (tun . . .) (G. 1).
— 1337. Gotzhüs, hülfrawen, hus (A.). —
1362. gotshus, gotzhüs, vzrichten, Rinchmvr.
hl. Creutz: 1311. vf, Gotzhufe, Tufent (hl. Cr. 4).
— 1339. vf , aufferhalb ; (guter) (hl. Cr. 6). —
1360. vf, vfferhalp (A.).
St. Ulrich: 1288. vz, vf, Tvfent (U. 2). —
1301. u. — 1311. hvz (tvn). — 1323. Gotef-
hovs. — 1329. Gotefhvs. — 1331. Gotefhus,
vf (A.). — 1333. Gotefhus (ü. 2). — 1342.
Gotzhüff (tfin) (A.). — 1346. Gotshüs, Gots-
hus. — 1366. haus. — 1367. haus, vzbezaichent;
(zaeunen).
St. Moritz: 1342. Gotzhous, Gotzhus, vfgeben
(A.).
St. Stephan: 1306. hvffrawen, gotzhufes, vzfer-
halben (A.). — 1312. ovf (H. 13). — 1327. vf,
hüf, Gotfhvs (A.). — 1347. vfferhalb, vf, Mavr
(St. 3). — 1366. vzzerhalb, Mur (A.).
Spital: 1283. hüf, huffrowen, ihufent (A.). —
1284. vf, hvf, Tvfent — % Tufent (Dürftigen),
hvfe.
Juden: 1308. vf; (ho^fer) (A.).
27*
410 Dritter Abschnitt. 164
Stadtbuch:
Grundtext: u. — (faumf), vf, huse (19 a). —
S^: nachgebüren (19 b). — (säum) (20 a). —
sonst u. — 83:11 und ou. — üz; ouzzerhalb der
zoeune (24 b). — S5, S^, S^, 8^5: u, — Sj,: u.
Achtbuch:
1339. haufs 8,^ (Sali), — (Cruces) 8^^ (5b).
— 1340. rümet, vf Sj^ (6 b). — houffrawen
Sj^ (9 b). — 1345. hüs S^^ (11 a). — 8^, : 1351.
Trut (n. pr.) ; (durch) (69 b). — 1352. vf
(15 b). — Hüs, Lüterbach (17 a). — üf ; (dar-
zü . . .) (19 b). — 1357. oberhüfen (20 b). —
1363. üf ; (flinffün) (25 a). - 1367. Hüs (95 b).
— hous, hüs (95 b).
ü: Geltung.
Es ist schwer, ein sicheres Urteil über die Grestalt und
Geltung eines Vokals zu fallen, welcher in der schriftlichen
Darstellung eine solche Wandlung bald vor- bald rückwärts
und nicht immer auf seinem ganzen ursprünglichen Gebiet
durchgemacht hat wie ü. Heute ist seine diphthongische
Aussprache, ausser vor n, fest^. Wann ist dieser Zustand
fertig geworden? Bohnenberger nimmt das 15. Jh. an, als
sicher dessen zweite Hälfte. Weinhold sieht erst in dem
Verfahren der geschriebenen schwäbischen Denkmäler des
16. Jhs. im Gegensatz zu den Drucken des 15. Jhs. ein
Zeugnis für das Leben des Lautes auch in der Mundart-.
Wann hat nun der Vokal den Anlauf zu seiner neuen Ge-
staltung genommen? Die wenigen verstreuten Wort- und
Namenüberlieferungen in den lateinischen Urkunden vor 1272
kennen nur die 8chreibung u. Auch 8^ und 8^. Lides 8t.
^ Bohnenberger a. a. 0. S. 94. — Birlinger, Augsb.-schwab. Wörter-
buch, S. 418, II, 7: Langes ü scheint schon ausgangs des 14. Jhs. in au
übergegangen zu sein. Östlich vom Lech : od, auf den AUgau zu : ou.
» Weinhold, Alam. Gr. § 96. — Weinhold, Alam. Gr. § 96 : Dialog
von 1521.
166 Lautlehre. 411
Catharina schreibt 1279 vz — Tvfent, desgleichen 1384. Spital:
vf, Tufent dabei : Dürftigen, Die Verwendung des ± auch bei
Düfftiffen verrät eine andere Bestimmung dieses Hülfszeichens
als einzig und allein die Länge zu markieren. Nehme ich
dazu, dass meiner Beobachtung nach vorzugsweise diejenigen
Laute mit _ in der früheren Zeit bezeichnet sind, welche
später, oft bald nach dem Verschwinden des Zeichens an be-
stimmten Stellen mit anderer G-eltung sich entpuppen, wie 6
später mit dem Lautwert o*, d als au (a^) . . . ^, so werden
wir in der Schreibung vf einen Versuch der Augsburger
Schreiber erblicken dürfen, einen Laut zu versinnbildlichen,
der, wenn auch noch nicht geklärt, so doch nie als ein blosses
(einfaches) ü empfunden wurde. Als sogenannte Länge ist
ein augsburgischer Vokal nie ein einfacher Vokal : 6 wird als
00 gehört, so zunächst ü als uu.
Wiederum ist es der Stadtschreiber Rudolf Sg, welcher
zuerst im vorletzten Jahrzehnt des 13. Jhs. den Diphthong
für ü zur Geltung kommen lässt. Auch mit dieser seiner
Behandlung der augsburgischen Vokale ist nicht auf eine
in Augsburg schon fertige, dem ou genau entsprechende
diphthongische Aussprache zu schliessen ; denn, wie wir schon
bei t zu erkennen Gelegenheit hatten und fiir andere Laut-
erscheinungen vorausschickten, tritt seine Schreibung in dem
Bilde auf, welches die wesentlichsten Erscheinungen und
Neuerungen schon in sich vereint, zu denen die augsburgische
Mundart noch fast ein volles Jahrhundert weiter brauchte. Es
ist eben auch hier der durch eine mutmassliche Thätigkeit
im bairisch-fränkischen Gebiet geschulte Schreiber, welcher
sich bei dem Wiederantritt seines Amtes von den über-
kommenen Formen des Augsburger ELanzleigebrauchs eman-
^ Ähnlich hat auch eine Urkunde der Curia von 1396. (U. 3) : zwar
biet, aber auch 8^tag, wobei Niemand an eine Dehnung des v denken
wird; es kann also ^ nur ein Indexzeichen vertreten. In
späteren Urkunden der Curia von 1827 erscheint es als ein nach links
offener Halbmond auf hüs. — Ebensowenig kann das ^ über v in vrtail
1288 Sn die Länge bezeichnen.
41 2 Dritter Abachnitt. 166
zipiert und seine Erfahrungen dem neuen Schauplatz seiner
Thätigkeit zukommen lässt; so hat er schon dem bairisch^
Diphthong ei Eingang yerschaflft, ohne auf den Einklang mit
dem mundartlichen £lange zu achten ; und so ist es hier das
alte t2, welches wiederum durch ihn die Wandlung erfahrt,
die es späterhin zu einem hervorragenden Kriterium des
Werkes der mhd. Schriftsprache macht. — Zu gleicher Zeit,
als der Diphthong in der städtischen Kanzlei auftaucht, schreibt
ein bischöflicher Schreiber von 1383: ati f&r t^; enfaumfy
faume . . neben vf^ Tufent — Die Unsicherheit, welche anfangs
bei Sg sich zeigt, beherrscht auch die weiteren Denkmaler
aus seiner Hand : ov wechselt mit cm und ti, 1383 auch mit r.
Eine diphthongische Aussprache des ü üi grösserem Um«
fange und mit mehr Bestimmtheit yerbürgt uns aber erst die
Schreibung vom 3. Jahrzehnt des 14. Jhs. au, d. h. von dem
Zeitpunkt an, wo zum Ausdruck des ü die verschiedensten
Schreibungen gewählt werden, so jedoch, dass das ou und
allenfalls das au vorwiegt. Indess steht das u^ welches schon
1333 in einer bischöflichen Urkunde vom 13. Juli neben
moure in vzzerhaljp^ vz sich behauptet, nicht auf gleicher Stufe
mit dem u etwa in zu^ tun . . «, sondern es ist nur ein
Zeugnis für das Bestreben, den wirklichen Klang des
ü zu treffen, das für die volle diphthongische Schreib-
ung noch nicht reif erschien, welche die bairisehen
Schreiber als dem Klange ihres ü entsprechend erachteten.
Die häufige Berührung aber mit bairisehen Landes- und
Stammesangehörigen in einem nicht gerade kurzen Zeitraum
wird schliesslich die Umwandlung des ü nach der diphthon-
gischen Seite hin gezeitigt haben. — Wenn dann während
des Restes unserer Periode noch u allein neben ou und ou,
oft sogar ziemlich häufig, auch vereinzelt ausschliesslich sich
zeigt, so hat vielleicht das Bedenken, dasselbe Zeichen für
verschiedene Laute zu verwenden, mitgewirkt; d. h. man wollte
einerseits den Konflikt mit u ftir ü und uo, andrerseits aber
die durch die Schreibung ou herbeigeführte Gleichstellung mit
dem in den Erzeugnissen der kaiserlichen Ejmzlei nahegelegten
167 LaaÜehre. 413
cu für altes au yenneiden, welches sich gerade für Augsburg
besonders empfahl, weil es au als Zeichen für d fireimachte.
— Ob eine Beeinflussung der Schreibung des u durch die
Kanzlei Ludwigs auch für die letzten Jahre seiner Regierung
besteht, lässt sich nicht für alle Schreiborte Augsburgs ent-
scheiden. Geltend machen möchte ich aber, dass Ulrich
Biederer (Sj^: 1338 — 1346) in der ersten Zeit zwar schwankt,
aber von 1340 an nur u schreibt, parallel der kaiser-
lichen Kanzlei, wohlgemerkt nur in den Urkunden;
ferner schreibt nach dem Abtreten (Jlrichs Nicolaus Hagen
(S^,) noch zur Zeit Ludwigs ti, mit u und ou abwechselnd«
Das Ergebnis dürfte ich am besten etwa folgendermassen
formulieren. Das germanische ü hat im Laufe des 14. Jhs.
eine Spaltung erfahren, welche sich als o- -l- u-Laut darstellt
Sie verhält sich zu der schon früher^ eingetretenen Spaltung
des kurzen u derart, dass, während dieses dem u einen Nach-
schlag von imbestimmter Farbe zusetzt, jenes (ü) der Basis u
einen Vorschlagvokal o voranstellt, so dass ein fast voll-
gültiger Diphthong ou, mit dem Hauptton auf dem
zweiten Bestandteil, gehört wird. Es kann sich nur um
eine Komposition: o -]- u handeln, da die Schreibung im
Wesentlichen nur eine Komposition der Zeichen o und u giebt;
au hat nur in der geschriebenen Darstellung, auf dem Papier,
gelebt. Die Form, in welcher o -{- u erscheint, ist eine
doppelte: au und u, beide Zeichen stellen einen Laut dar,
einmal durch o (if 1296) versinnbildlicht. Dass u nicht blos
als eine Darstellung der Beihenfolge u-o gelten darf, sondern
auch O'U zum Ausdruck bringen kann, findet eine Bestätigung
durch die schon behandelte gleiche Situation des Verhältnisses
ft : ei (desgleichen briutigaum : briutigiim). Beim ersten Mal seines
Auftretens, im ersten Drittel des 14. Jhs., kann u auf laut-
physiologischer Tendenz beruhen, das zweite Erscheinen ist
durch das Vorbild der kaiserlichen Kanzleisprache hervorgerufen.
^ Die Entwicklang des ü muMte schon deshalb vor der Umwand-
lung des ü vollzogen sein, weil im andern Falle ü auf dem Wege der
Dehnung zu ü den weiteren Weg desselben hätte teilen müssen.
414 Dritter Abschnitt. 168
ö: Bezelchnimg.
Die Schreibung für ü ist eine mannigfache und wechselnde.
Die Quellen haben: «, t2, ou, au, u, u (ö). — Die traditionelle
Gestalt ist ti; daher zeigen die ältesten städtischen und die
klerikalen Urkunden u, diese auch u und t2. Seit 1280
wechselt ou und au mit u bis zum Anfang des 14. Jhs. und zwar
derart, dass S^ und S^ u bewahren, Sg ou, seltener au^ ein-
mal, aber durch das ganze Denkmal hindurch, ti hat, ein
andermal (1283) u, ou und ti neben einander; 1296 of. Be-
merken will ich, dass die Wiedergabe des alten Diphthongs
au mit ou die Schreibung des ü bei S, nicht beeinflusst hat;
zuweilen scheint au die Oberhand gewinnen zu wollen, so in
zwei zeitlich nicht weit von einander liegenden Urkunden vom
5. Juni und vom 23. Aug. 1298: auz. — oti/, Mauf. . . Indes
steht 1298 5. Dec. schon wieder ou. In den Eintragungen im
Stadtbuch geht Sg von seiner Schreibung ou ebenfalls nicht
ab. — Sehr bezeichnend ist, dass Sg einen Ortsnamen Iten-
hvfen mit u schreibt, weil er ihn vermutlich in den ihm vor-
liegenden kurzen Yoraufzeichnungen, die dem zu beurkunden-
den Kechtsgeschäft zu Ghrunde lagen, in dieser Fassung vor-
gefunden hatte. — Die klerikalen Schreiber halten an der
Tradition fest; doch kennt der bischöfliche Schreiber von 1282,
wie schon erwähnt, au neben u. Aus den anderen klerikalen
Urkunden ist hervorzuheben die vereinzelte Schreibung hitf
neben huf in einer Urkunde des Spitals von 1283. Ich halte
die viel später wiederum sich hervordrängenden Schreibungen
ti für sekundäre, aber gleichwertige Formen des w. — Der
Nachfolger Rudolfs Conrad (Ungelter aus Landsberg?) schreibt
vorzugsweise au. Eine Urkunde von Landsberg aus dem
Jahre 1323 kennt nur au. Im Grossen und Ganzen ist für
die Augsburger Urkunden der ersten Hälfte des 14. Jhs.
die diphthongische Schreibung ou und au als gleichberechtigt
mit u anzusetzen, von einzelnen Schreibern z. B. Sg, S^^, S^^
bevorzugt. Ganz im Gegensatz zu diesen steht Sg (Ulrich),
dessen in die Augen springende Vorliebe für den neuen
Diphthong ei wir hervorheben mussten; ov schreibt er nur
169 Lautlehre. 415
einmal, u ist bei ihm durchgeführt. — In dieser ganzen Zeit
lässt sich eine gewisse Bevorzugung von einzelnen
TVörtern in der Schreibung mit Diphthong feststellen:
überwiegend erscheint hus als housy fuius, auch mure als nwurej
maurf während uf und uz blosses u haben; letzteres wird wohl
infolge seines Anklangs an huz noch öfter mit au, ou ge-
schrieben, als uf. — Die Schreibung üy welche sich in der
zweiten Hälfte des 14. Jhs. fast ganz des ü bemächtigt, ist
auffallend häufig den bischöflichen Urkunden schon der ersten
Hälfte eigen. Ob in einem Falle z. B., wo die bischöfliche
Urkunde vom 19. Febr. 1336 Gotshus und eine kurz vorher
vom Stadtschreiber S^g an das Gotteshaus St. Moritz ge-
schriebene Urkunde vom 13. Jan. 1336 vz hat, bei der schon
früher betonten Verbindung der bischöflichen Familie mit
St. Moritz ein Zusammenhang besteht, wäre in Erwägung zu
ziehen. — ü wird von St. Georg 1337 neben u geschrieben.
Die Übereinstimmung bischöflicher Urkunden der dreissiger
Jahre und der vierziger Jahre bis 1345 mit den Urkunden
des Kaisers in der Schreibung von ü darf uns nicht über-
raschen, da die beiden Augsburger Bischöfe Ulrich und Hein-
rich ihre Schreiber auch im Dienst des Kaisers verwandt
haben mögen. Der bischöfliche Schreiber von 1338 ist, wie
schon gesagt, der Hand und dem Lautstande nach der Schreiber
z. B. eines kaiserlichen Diploms an Augsburg vom 2. Febr.
1338 (A.). Desgleichen von seiner Hand 1341 S. n. 3. Nov.
2 Urkunden «= 1339 S. v. Bartholomaeus (kaiserlich). Im Dienste
des Bischofs hat auch Ulrich der Hofmaier gestanden. — In
Übereinstimmung mit den kaiserlichen Urkunden zeigen die
bischöflichen in den vierziger Jahren bis 1345 nur u. u schreiben
von 1340 ab auch S,, und S^^, wie ich schon erwähnte.
Eine einigermassen konsequente Schreibweise,
die zugleich den Anforderungen der fortgeschrittenen Mund-
art gerecht zu werden strebt, bringt Hagen (S^,) auch für
ü in die Augsburger Kanzlei hinein, v schreibt er in späteren
Jahren seiner Thätigkeit sowohl in den Urkunden als im
Acht- imd im Stadtbuch. Nachdem er bis 1362 etwa u, zu-
416 Dritter Abschnitt 170
weflen ou und u zur Bezeichnung des ü gebraucht hat, wird
Ton 1363 an u der alleinige Vertreter von ü; wenn noch zu-
weilen u erscheint, so kann ein Auslassen des Apex vorliegen.
Letzteres möchte ich umsomehr glauben, als u neben ü öfter
im Achtbuch und im Stadtbuch angetro£fen wird, also in
Quellen, welche nie so sorgfaltig werden behandelt sein wie
öffentliche Instrumente.
iu: Umlaut yon ü: Geltung.
Die Belege für iu, Umlaut ron &, werden bei dem
alten Diphthong iu angefahrt.
Die Schreibung, wie sie auch immer in den Quellen er-
scheint, gestattet keinen Schluss auf einen damit dargestellten
Lautwert, etwa wie die Behandlung der anderen neuen Diph*
thonge in der Gestalt ihrer Zeichen jene selbst durchblicken
liess. Es bieten sich zwei Möglichkeiten, nach denen der
Umlaut des ü in der augsburgischen Mundart des Mittelalters
sich herausbilden konnte. Zunächst trat er als ü (u ge-
schrieben) in unsere Periode herein. Damals wurde u noch
u gesprochen. Später entwickelte dieses ü aus sich heraus
einen Vorschlagrokal, dessen Klang o gewesen ist. In welcher
Weise konnte sich der Umlaut nun dieser Gunierung unter-
werfen ? Am nächsten lag es, dass der Vokal der Gunierung
vor das umgelautete u trat, es würde sich also in der
Schreibung: au (= oü) ergeben, gesprochen oö; dieses konnte
sich weiter zu ot mit Entrundung des ü und zu ai entwickeln.
Letzteres sicherlich, nachdem ü über die Stufe ou zu au ge-
worden war. Innerhalb der Grenzen unserer Periode aber
ist Umlaut von ü nicht über die Stufe aä hinausgegangen,
obwohl die Schreibung aeu neben eu und u häufiger als oeu
bietet. — Die zweite Möglichkeit der Geltung des Umlauts
von ü im 14. Jh. ist die, dass von dem Bestände ou des
Grundvokals aus und mit Anlehnung an die Entwicklung von
iu zu eu zuerst öu (äü), darauf eü erfolgte. Diese Entwick-
lung kann nur der Schriftsprache und der Anlehnung an das
geschriebene älteste Zeichen entspringen. Sie kommt schon
171 Lautlehre. 417
deshalb und mit Sticksicht auf den modernen Stand der
Mundart von Tornherein ausser Frage. Umlaut von mhd. ü
ist in Augsburg heute at^. Ich setze daher folgende Beihe
an : tu = ö > oö O du) '^ aü'^ cd *, zeitlich sich derart ab-
grenzend, dass ü noch im 13. Jh. und teilweise im 14. Jh.
geherrscht hat, aü im Laufe des 14. Jhs. mit dem Festwerden
des Diphthongs on für ü und frühestens im letzten Drittel
des 14. Jh. aü zugleich mit au fär ü gegolten hat. Die Ent-
rundung des ü zu i scheint mir bei der Beweglichkeit der
schwäbischen Mundart an keine Zeit gebunden, der graphische
Ausdruck hat sich nur mit der Vermehrung der Gelegenheiten
Eigenes vom Fremden zu unterscheiden eingefunden.
iu: Umlaut Ton ü: Bezeichnung.
Die Schreibung ist nur für die erste oben bezeichnete
Periode ein Ausdruck des gesprochenen Lautes, ftir die Folge-
zeit sind diejenigen Schriftzeichen, welche in den letzten
Dezennien des 13. Jhs. Yon fremder Seite her (durch S3)
eindrangen, in ihrer bei weitem Torherrschenden G-estalt nicht
dem Lautwert entsprechend, sondern lediglich der schriftlichen
Übertragung entsprossen. Die geringe Zahl der Zeugnisse
lässt nur soviel erkennen, dass die städtische Kanzlei vorzugs-
weise der Träger der diphthongischen Schreibung bairischen
Musters ist, nach ihr haben sich die klösterlichen Schreiber
derselben angenommen. Eine Urkunde der Judengemeinde
0 fiirl., Augsb.-Bchwäb. Wörterb. S. 418.
') Ein ZasammenstosB mit ei ist bei dieser Entwicklung nicht er-
folgt ; wäre es geschehen, dann hatte allerdings iu und t von den Stufen
eü und ei aus sich zu ai entwickeln mÜBsen; ei ist aber in der Stadt
heute nicht aii ausser nach der Angabe Biriingers in der Jakobenrorstadt.
Ich habe indes durchaus nicht iinmer von den in der Jakobervorstadt
ansässigen Leuten ai für ei (f) gehört, diejenigen aber, welche ai sprechen,
haben es nach meiner Beobachtung mit der Landbevölkerung auf dem
Wege über Stätzlingen nach Friedberg zu gemein. Vielleicht hat von
jeher eine engere Verbindung zwischen dieser und der ihr zunächst
liegenden Jakobervorstadt bestanden. Li der Stadt wird sonst heute:
Idib für Itp, aber: Kaiser für hituer, laite für Hute gesprochen.
418 Dritter Abschnitt. 172
von 1308 zeigt einen immerhin beachtenswerten Bestand:
triw (tu = tii> =3 tu), kaevfen (Umlaut von au = aev)j hovfer
(Umlaut von ü (= ou) = ov).
ai: Belege.
Urkunden:
In der Regel ai; zu Anfang und Ende der Periode
ei und ai.
städtische: 1272. hailigeu, haeiligen, aigen, aine, einem,
aeiner, befchaidenhait ; gaein Sj (U. 1). —
1273. ai; aein, einen S, (A.). — 1277. Baeier^
Heinrich, Eigen, ein, einen, aleine, beid, chlein,
jklaien, zeim S^ (A.). — 1280. ein, beider, hei-
Ugen, Gaifte, drittail S3 (A.). — 1282. ei; S^ (H.).
— befchaidenheit , baider, aigen, Hailigen
Gaifbes S, (A.). — baidentbalp, Haelenftain,
Hainrich, chaine . . . ai ; S, (R. X^ 4, 14). —
1283. Bat: heiligen gaifte, ertailet, beidivS, (A.).
— zwi Sg. — gehaizzen, cheiner, ein, vaelem,
^rtail Sß. — ai überwiegt, daneben ei. — 1284.
aigen . . . ; taidinge S3. — 1286. ein, eigene,
eigenfchafft, befchaiden, baidiv S^ (0. 3). —
1290. ei; S« (C.4). — 1291. ai, ei; Sg (H.). —
1292. ai, ei; taidinch Sg (F. sei. XV, 80, 3). —
1293. ai; Sg. — 1295. aigenfchaft, ait; gefaeit
S4 (A.). — 1296. -hait, baidenthalben, eigen,
einen; fait Sg (R. X^ 6, 5). — ai ; aydef;
taidingen, einen; zem S5 (A.). — zeinem S^.
— 1297. (vogtai), ain, tailten; geleit Sg (U. 1).
— 1298. Gehaizzen, gaeiftlichen; feit 85 (C. 4). —
ain, heiligen Geiffces, aigen Sg (A.). — 1299. ai;
S5. — ai; Maifter, Gaeftes (2x) Sg. — bis 1301. aL
— 1302. Aeigen, ainen, laiften, zewanzech
Sg (hl. Cr. 4). — Aeigen... Sg. — 1303. ai;
Sg und Sg. — 1304. aeigenf, Gaeiftlichen, beide
173 Lautlehre. 419
S^ (C. B). — 1304 — 1330. ai weitaus vorherrschend.
— 1308. ai; gaen S» (A.). — 1312. haeligen
Geiftes, geiftlichen, ainem, gelaiften S, (A.). —
1313. zecbmaifter, tailen, geilt, heiligen, ftain-
hovf S, (A.). — ai; gleit S, (A.). — ai; layften;
leten S, (ü. 2). — 1315. gemain, gaeftlichen,
geiftlichen; laet Sg (A.). — 1316. gemain, hai-
ligen; gelaeit Sg. — ai; traet S^ (hl. Cr. 4). —
1317. ain . . ., gaeftlichen; gaen Sg (A.). —
1318. ain . . ., beder ?. — 1320. aigen; gelaet
Sg. — 1322. ai; bedenthalbentailen S^ (C.7).
1323. balligen, befchaidenbeit, Geiftes, flaefcb,
meifter Sj^ (A.). — 1324. aygen, laiften, zwaier;
gelaet S^^. — 1326. ai; einen, ainen, vrteil,
ertailet, ayt S^^ (C. 7). — 1328. Hainrich,
Chaefer S, (A.). — 1330. aygen S^. — bayli-
gen Oaeftes; gelaet S^. — aygen, aydes, layften,
aier S, ? (bl. Cr. 6). — 1331. baeider, chaein,
baeider, gaeiftlicben, ain S^^ (A.). — 1332. ai;
aygen, kayfer, heiligen geiftes; geleit S,,. —
1334. ai; gelaet S^g. — 1335. ai; zway, (Chufterei,
abtay) S^g (XJ. 5). — keyfer, ayde; gelaet, (fra-
geten) Sjg. — ai und ay; faet, gelaet S^g. —
1337. ai; flaefchpank S^g (A.). — 1388. ai;
(Cuftri) Sjg. — 24. Febr. Bischoff: ein, einen,
beiden; fürlait. kaiserl. = bi8chöfl.(A.). — S^g,
Sj^: ai, ay.— 1339. gwonheit, einen, dbein, (vogtey,
vogtay) S,g (A.). - Vogt : lit (= legt) S^, (A.).
— ai; get&dinget S^g. — 1341. ai; gelät S^g.
— 1342. ai; taeding Sj^ (hl. Cr. 5). — ai; S^^,
SiB? S^,. — 1345. Kaiser: ei; keiser, einen
S^, (A.). — Kaiser: ai; keyfer (A.). — ai Sj,.
— 1348. Kaiser: ei; Sj, (A.). — 1348. Pfalz-
graf: ei; Sj,. — ai; Sj,.— befchaidenheit, ainen,
aigens, geiftlichen, gelaift S^, (C. 9). — 1349.
clains, zwaien, befcbeidenb; feit S^, (A.). — ai
420 Dritter Absohiiitt. 174
und ei; leit (=legt) S^^. — 1362 — 1357. ai, ay;
gelaet S^^. — 1366. teiding S^« (A.). — 1368.
Rat: gememclichen, gemeins, heizzen, dheinweis
. . . hailigen, einmaüclichen S^^. — kleiner
Zunftbrief: ei; freiheit S„ (R.2). — 1372.
Burgermeifter, zwain, gemainUchen S^^ (EL 14).
^ 1373. ai; Burgermaüter 8^^. — 1379. ai;
gemeinlich, Beim S^«.
Bisch, und Domk. ai. — 1290. aeinen (A.). — 1293. aigen,
hailigen, einen; teidinch. — ai. — 1316. ai,
ay; aygen, getaylt, befchaydenheit. — 1329. ai;
faet (H. 16). — 1333. ai; Gaeftlichen (A.). —
1338. bisch. sakaiserl.: ein, beiden, einen; f&r-
lait. — 1342. zwai, aigen (H. 19). — 1346. ei;
einem . . . (H. 20). — 1347. ai; (A.). — 1350. ai;
(yogtyen; ay) (H. 22). — 1374. Burggraf: ai;
(bisch.) (R. 12).
Curia: ai. — 1345. ai; gelaet (hl. Cr. 5).
Klöster: St. Cath. 1279. ein, heizent, zwainzech (C.2).
— 1295. Maifterin, haizen, eide, deheine, ge-
mainem, eine, keiniv (R.). — 1303. ai; zwaj;
Gen (C. 5). — 1310. ai; flaeifche (A.). —
1321. ai, ay; eigen, zweinzegiften (C. 7). —
1338. ei und ai (C).
St. Georg: ai; zvein, (yogtai), einer; yergait
(G. 1).
St. Ulrich: 1288. aeinen, zwaei, kaeiner,
haeizfet; gelaeit (U. 1). — 1321. zway; tayl,
ein, Ccherhait, bedes; eonst: ai (U. 2). — 1331. ai;
Geftlichen (A.).
St. Stephan: ai.
Spital: 1283. ai; (A.). — 1284. Maifter,
flaifch, haeiligen, einen; geleit (A.). — 1289.
eigen, meifter (A.).
St. Margaretha: 1319. geftlicher (ü. 2).
176 Lauüebie. 491
Stadtbach.
Grundtext: ai und ei; treit(22a). — maien
(14 b). — mnnzinaifter (17 a). — kain (19 a).
haizzet (19 a). — ein, (aberein), ainer (20). —
manzmeiflters (21a). — S^: Novelle : ei. — S^: ei.
— gexnaein, aberaein, Yogtthai, aein, ain (62 a). —
ai; ein (23 a). — ei; ai (23 b). — ei; (30 a). —
Sji ei und ai. — ai; (36 b).— ai; (36 a).— ei; (83 a).
— (sait) (36 b). — 85 : ai, ei ; (ein . . . aint-
weder, baide) (79 a). — S^ : ai ; heiligen, einen
(42b). — 8^: ai; ein (62b). — S^^: ai; (88a). —
ei; ainvaltigen (92a). — S,,: ai; eins (79b).
— ai, deinen.
m
ai: Geltung.
Der mhd. Diphthong ai ist zweifacher Entwicklung : 1) der
alte germ. Diphthong ai — 2) der durch Zusammenziehung
aus egif agi entstandene Doppellaut.
Im Schwäbischen ist der Klang nirgends heute a'i^
sondern im W. und S. 09, im 0. oe\ Für Augsburg setzt
Birlinger 09 an. Zu diesem Laut hat sich das ai des 13. und
14. Jhs. noch nicht entwickelt. Der Schreibung nach, welche
ai vor ei bevorzugt, ja häufig sogar zu aei erweitert, müssen
wir eine a-Basis mit nachschleppendem 9 oder bei gedehnter
Aussprache einen £[lang 09* annehmen. Zwar spricht manches
dagegen : wenn ai den Klang 09, oa' gehabt hätte, dann wäre
wohl ae in GaeAlichenj ßaefch, gae/l, hadigtn zu erklären ^ und
als angemessen zu erachten, jedoch würde wenig gethan sein,
wenn wir e in gelUichen z. B. mit Annahme einer Vertauschung
der Zeichen für ae und e rechtfertigen wollten ; noch schwerer
dürfte, wenn wir dem ^', ai die Geltung 09 geben, die Erklärung
des nicht seltenen ei für ae in feiHg^ Heidung ^ auch bei den
' JBohnenberger a. a. 0. S. 107.
* Vor l (und a, at) hat ai sicher den Klang 09 angenommen, veil
kommt nur als vcLel vor (1283 S5) neben Meintage (» Magintage?).
* Vgl. einteilleixit — intellexit im Hechinger Latein ; vgl. Fischer,
Württ Vierte^jahrshefte VIU, S. 282.
422 Dritter Abschnitt. 176
Stadtschreibern sein, wenn wir mit Weinliold ^ in diesem ei einen
ZerdehnungsYokal sehen wollten; es dürfte eher eine annähernd
gleiche Aussprache für beide Laute ai und ae (als ei ge-
schrieben) vorauszusetzen angezeigt sein. Sehen wir darum
zunächst von der Schreibung des ai in den Quellen ab, so
kann eine Aussprache nach dem i zu durch einen Beim des
Herrmann Fressant von Augsburg, wenigstens für die Mitte
des 14. Jhs., erhärtet werden : saeit^ : zit. Ich setzte für den
neuen Diphthong ei eine Geltung von 9i an, und Fressant
muss wohl den Klang des alten Diphthongs als ähnlich dem
des neuen empfunden haben, ai lautet also hier wie in (an)
nur mit dem Unterschied von dem n für i, dass das 9 in ei
= ai kein Gleitlaut ist, wie das a in 9t für t. Ein solches
09* wird sich indes nur vor Dentalis, sicher vor «, sty t gebildet
haben vermöge der diesen Mitlautern eigenen i-Farbe, vor /
und n wird ai oft als ae gehört.
Sonst ist ai zu de geworden; nur so ist die dem 15. Jh.
angehörige Schreibung des 6 vor r (6 =z de; vgl. das bei 6
Gesagte) zu rechtfertigen, wenn uns Formen wie tair = tor
begegnen.^ Einen reinen hellen Klang S hat heute in Augs-
burg : ßhch (= Fleisch) ; die Schreibung in unsem Quellen
— einheitlich ßasfch, flefch — zwingt uns ein Gleiches für
das 13. und 14. Jh. gelten zu lassen.
ai < -egif -agi^ -edi entfernt sich nicht von dem ai vor
8, 8t und t
ai: Bezeichnung.
Die Zeichen sind: et, at, aeij ae, a, e. Für egij agi ge-
wöhnlich: aij aei, ei, ae, ä, J; zuweilen aufgelöst, edi = ei
in reit, — Ich halte ai nicht fiir die allein traditionelle
Schreibung, wie es nach dem Ausspruch des Nyclas von Wyle *
scheinen will, wenigstens nicht für die Anfangszeit der Ab-
fassung der Urkunden in deutscher Sprache. Vielmehr ist ei eben-
» Weinhold, mhd. Gr. § 95; (Ausg. » § 90).
• Vgl. Bohnenberger a. a. 0. S. 73, 77.
» N. T. 351, 12.
177 Laatlehre. 4S3
m
falls als überkommen za betrachten, und erst mit dem Ein-
dringen des «t f&r t durch Stadtschreiber Rudolfs Schreibweise
hat sich ai für den alten Diphthong empfohlen. Erst von
diesem Zeitpunkt an kann es für die spätere Zeit vorzugs-
weise traditionell geworden sein, aei würde seine Entstehung
der gerade bei den ersten beiden Stadtschreibern und den
klerikalen Schreibern üblichen Gleichstellung von € und ae
zu danken haben, wir treffen also auch hier auf den Buch-
staben e. Heranziehen möchte ich die Form gaeinj welche
später zu gein und schliesslich zu gen (gen) wird, d. h. durch-
aus e- Basis aufweist« Eine bewusste Unterscheidung etwa
auf Grund der Genesis der beiden ei (ei »s altem Diphthong
und ei <[ egi) wird in unsem Quellen nicht wahrgenommen.
aei wird im weiteren fast ganz Alleinbesitztum der klerikalen
Schreiborte, ei als ausschliesslichen Vertreter des ot habe
ich nur in einer klerikalen Urkunde vorgefunden, in einer
Urkunde des Spitals von 1289.
In der Natur der Sache liegt es, dass gewisse Wörter
sich ewig wiederholen; daher ist es möglich einige davon
herauszugreifen, ein ist das Wort, welches die Schreibung
mit ei am meisten sich bewahrt hat: von der Mitte des 14. Jhs.
an erscheint es bei weitem vorherrschend als ein in Urkunden
wie in den nur für die Stadt bestimmten Codices. — beide
erscheint im 13. Jh. noch als baidef im 14. Jh. aber als
beidey zeitweise als bede^ die Form, welche ihm allgemein-mhd.
zur Seite steht. — Die Endung -heit hat zu keiner Zeit eine
bestimmte Form. — Es stehen dann häufig neben einander:
heiligen GaiAe 1280. S, — haüigen Gailies 1282. S, — hei-
ligen Gei/t 1313. S, — haeligen Geiltef 1312. S, u. s. w. vgl.
die Belege. — Die Form gaelUidien hält sich noch während
des ganzen Zeitraums auch bei den Städtschreibem.
Im 14. Jh. tritt für t in grösserem Massstabe y ein,
dasselbe wird auch in den Diphthong ei aufgenommen, die
Quellen zeigen ey und ay. Zum erstenmal finde ich es 1296
S3. April: aydef S5, dann erst wieder häufiger 1302 Sg. Fast
allein ay hat eine Urkunde des Bischofs vom 13. Juli 1316.
88
424 Dritter AlMchnitt. 178
Ein Ab- und Zunehmen des ay ist nicht besonders bemerkbar,
und es ist jedenfalk ein Zusammenhang dabei mit den kaisei^
liehen Urkunden nicht zu konstatieren; denn diese zeigen im
ganzen 14. Jh. das gleiche Gewirr von a, ey^ ay wie die Ur-
kunden der Reichsstadt. Vereinzelt steht die Schreibung olf
1295 S,. eintweder erscheint auch als aintweder (Stadtbuch).'
Ausserhalb des im Vorangehenden behandelten ai scheint
mir das ai (ei. ey, ay) in Wörtern wie vogtaij Custrey, abbid
zu stehen. Sie werden in gleichem Umfange vogiy^ ChuAri,
Cltultry^ ChuArie, vogtey^ vogtay geschrieben. Ihrer Herkunft
nach sind diese Substantiva zu t zu ziehen ; mit Rücksicht auf
die schon sehr früh, noch vor dem Eindringen überhaupt des
ei für i, auftretende Schreibweise mit eij ey und namentlich
at, oy, werden sie besser in den Kreis des Diphthongs ai hin-
eingezogen. Die diphthongische Aussprache glaube ich bei
ihnen mit gutem Orunde schon früh annehmen zu dürfen, und
zwar so, wie sie die Überwiegende Schreibung mit d illustriert.
Es ist nämlich ein bekannter Zug des gemeinen Volkes (vor-
nehmlich der Stadtbevölkerung), zumal eines Volkes von mehr
als mittelmässiger Intelligenz, wie es die Bewohner der Reichs-
stadt Augsburg unstreitig waren, mit der Aussprache fremder,
seiner Muttersprache nicht angehöriger Wörter, die es jedoch
im alltäglichen Verkehr nicht umgehen kann, nicht anstosaen
zu wollen; daher setzt sich in solchen Fällen auch in der
alltäglichen Sprache bald die Aussprache fest, welche man
von massgebender Seite hört.
au: Belege.
Urkunden:
In der Regel: au, anfan^ und am Schlass mehr OU.
städtische: 1272. äwe, Avfpurch S, (U. II). — 1277. frowen,
frovn, ovch S^ (A.). — 1280. houffrowen,
euch S,. — auch, kauft S, (H.). — 1282. barm-
garten, frow, auch S^ (A.). — 1284. ovfpurch,
(bowe, bow) auch S,. — 1285. frovn, frawen,
^ Vgl. dazu: fiirlinger, Augsb.-Bchwäb. Wörterb. S. 944, IL
179 Lautlehre. 426
avh Sa (C. 3). — 1286. houffrowen, ovch, frow,
verkauflFt, Aufpurch S, (C.3). — 1290. ovch,
hoyffrowe S^ (A.). — 1291. ov; S., (H.). —
1292. Rat: gelaufen, auch, ovch, euch, Aufpurch
Sg (Fürst sei. 80, 3). - 1294. auch, Aufpurg S,
(ü. 1). — ovch Sß (R.Xi5,4). — 1295. ovch
Sj (A.). — 1296. auch, avch, ovch, frowen,
hovptreht Sj (R. 6, 5). — S^ : ou ; selten au. —
1297. och Sg (U. 1). — 1298. ovch, frowen S« (A.).
1300. ov; frovwen Sg (C. 6). — 1302. auch,
frawen S^^ (hl. Cr. 4). — 1303. au; S^ (A.). —
avch, (bawen) S^. — 1309. (bowet), au; S^ (U.2).
— 1312. (bowt), frawen, auch S, (A.).
Von 1312—1328 nur au; z. B 1316: (bowet),
verkaufft, Aufpurch S^ (hl, Cr. 4). — 1319. fra-
wen..., (bowet) Sj (H.). — frauwen, frawe;
(buwet) Sg. — 1323. frawn, (bawt), auch, ge-
kauft Sg (C. 7). - 1324. frawen (bowet) S,. —
1329. frowen S, (hl. Cr. 5). — Chauflaevten sJa.).
— bowet, frowen Sg ? (G. 2). — bis 1336: au. —
1337. Rat: AfpurchS,« (A.). — 1338. ochS,^.—
1339. ouch, verchoufiFt S,,. — Vogt: auch S^^.
S,5: au. — 1345. verkoufft Sj^. — verkouflPt,
auch S,,. — 1349. ouch; (vflauffe) S„. —
1360. ouch, kauff Sj,. — ach, au; S,, (H.22).
1362. Trafftat, TrafTtat S^, (A.). — 1357. (bowet)
Bomgerttlin S,, (C. 6). — 1368. Rat: ouch
S,e (A.).
Bisch, und Domk.: 1289. Afpnrk, ach, frawen, (bawet) (H.).
— 1296. ovch, hovptman, auch (R. 5, 7). —
1300. vrowen (H. 13). — au. — 135t>. ach,
kauft, ach, au; (A.). — 1374. auch, fraw^(R. 12).
Klöster: St. Cath. : 1279. kaufet, kaufe, vräwen, au;
(C. 2). — 1310. auch (A.). — 1338. vrawe,
och (C. 7).
St. Georg: 1282. kavfen, och (G. 1).
28 •
426 Dritter Abschnitt. IgQ
Spital: 1284. ouch, och (A.).
St. Ulrich: 1288. fro, frawen, avch, (bowet),
gekaufet, fchongawera (U. 1). — au. — 1346. och
St. Mar gar.: 1309. och.
Achtbuch:
In der Begel: au, a, von 1350 ab auch ou. —
1349. auch, chaüffent, chau£Ferinn, aügen S^.
(63 b). — 1360. och (15 a). — ouch (16 b). ~
1351. haüwen (65 b). — auch (67 b). — 1352.
erlabn, vrlaub (71b). — 1368. auch (96). —
1356. raplich (19 b). — 1366, Ounbach (25 b).
-r 1370. ouch, auch (29 a).
ou (au): Geltung.
Die Entwicklung des alten Diphthonga au erfährt in der
mhd. Zeit auf dem ganzen schwäbischen Gebiet einen Zu-
sammenstoss mit der Weiterentwicklung von au für a. Augs-
burg macht dieses Zusammentreffen in besonders heftiger
Weise durch: ein Merkmal ist die starke Variation der
Schreibung. Vorherrschend ist allerdings das Zeichen au.
Auch dieses ist, um es gleich voranzustellen, in sehr vielen
Fällen Eigenheit des einzelnen Schreibers. — Die Thatsache,
dass au bei weitem am häufigsten erscheint und dass es von
manchen Schreibern ausschliesslich zur Bezeichnung des Diph-
thongs au verwendet wird, und endlich die Beobachtung, dass
es gerade dann nicht verschwindet und der doch bekannten
und älteren Schreibweise ou weicht, als au zur Wiedergabe
des o, seinem Lautwert entsprechend, sich ausbreitet, diese
Erscheinungen bestimmen mich in erster Linie, eine Ent-
wicklung des au auf der a-Basis zu dem nicht ganz reinen
zweigipflig betonten Klange €u> anzusetzen. Die vierziger
Jahre sind den Quellen zufolge vorzugsweise ins Auge zu
fassen. Es haben sicher die Schreiber Sj^ und S^, unter
dem Eindruck dieser Kreuzung zweier lautlicher Entwicklungs-
181 Laotlehre. 487
bahnen gestanden. Wie sehr gerade die Schreiber der vier-
ziger Jahre geneigt waren, die beiden Laute als gleiche zu
hören und als solche wiederzugeben, bezeugt z. B. Achtbuch
11 a. I. 3: in derselben Eintragung, wo a neben einem au
die Länge des a*Lautes vertritt, wird auch auch = ach ge-
schrieben. Auch sonst berührt sich au mit d in den
verschiedenen für d gebräuchlichen Schreibmodifikationen
[1350. ach — sonst au; aun, haun, han. bisch. (A. H. 12). —
1349. auch (S„) (A). — 1352. Trafstat, Traf Hat S„ (A).
— Achtbuch: 1353. wä, Jüat (steht), hautj — erlabn (er-
lauben) S„ (71a). — 1364. wä S^, (71 bl). — 1354. aun,
vrlaub S„ (71 bl). — 1351. hauwm^^^ (65b). — 1351. ge-
taun, aun, aun Sj, (15 b I). — 1349. auch, äugen, ehauffent
(63 b); vgl. die Belege], allerdings nur, soweit sie sich von der
Aussprache nicht allzusehr entfernen; ich habe z. B. a'ch
. . • nicht vorgefunden. — o stellt demnach einen jüngeren
jenseits des 14. Jhs. fallenden Bestand dar. Dass die Ent-
wicklung zu 6 erfolgen musste, bringt die Gemeinsamkeit des
einmal eingeschlagenen Weges mit sich, um eine solche noch
wahrscheinlicher erscheinen zu lassen, mag man immerhin
daraufhinweisen, das die Sprachgeschichte mehrfache Parallelen
hierzu bietet, die nicht zu weit abliegen \ und dass man be-
sonders auch das germ. au im ahd. über oo zu o entwickelt
sein lässt. * Erklärt ist zwar der Vorgang damit noch nicht,
und die Frage, wie die Entwicklung des Näheren vor sich
gegangen, wird immer dnngender; indes sie muss noch offen
bleiben, denn damit, dass man das a in den fertigen Diphthong
ao sich abschleifen lässt, wäre dem zweiten Bestandteil eine
unerweisliche hohe Tonstärke zugestanden. — Um die Ent-
wicklung zu ao deutlich zu machen, giebt Kauffmann^ die
Beihe : ou"^ au'^a^i'^ao. Die Stufe au ist schon beim Beginn
^ Das Schlesische ist ein lebendiges Zeugnis für die Annäherang
des ä an die Steigerung des 6 {"^ou).
* Braune, ahd. Gr. § 45.
' Kauffmann: schwäb. llundart § 140.
488 Dritter Abschnitt. 182
unserer Periode ttberschritten ^ und sie steht am Ende der
Periodei welche Kauffmann als die der Erweiterung der Nuod-
höhle für verschiedene Yokalstellungen konstruiert. Man
schrieb sehr häufig au, das Kloster St Catharina schon 1279:
vrawen, immerhin beachtenswert, wenn es auch vereinzelt bleibt :
St. Ulrich lautet um : firaewelinj und 1289 findet sich in einer
bischöflichen Urkunde nur Afpurkj ach neben sonst durch-
gängigem au. Da der Beleg von einem klerikalen Schreiber
stammt, kann ich ihm kein entscheidendes Gewicht beilegen,
ich fiihre ihn nur an. Von Bedeutung aber ist, dass S^ schon
in einer Eintragung auf dem Deckel des Stadtbuchs aoch
schreibt, d. h. nicht nach 1280.
Die Nivellierung des ou mit d ist lange vor der Mitte
des 14. Jhs. erreicht; wenn dann am Ende unseres Zeit-
abschnitts cu z. B. in ovtch fast die Herrschaft erlangt, so
ergeben sich zwei Möglichkeiten: ou hat schon die Periode
*io überwunden und nähert sich dem o,^ oder es ist das ou,
o eine dem Lautwert nicht entsprechende, durch fremde Ein-
wirkung nur in die Schrift eingedrungene Form, üebrigens
ist letzteres in jedem Falle feststehend, denn o hat, nachdem
ao verlassen ist, doch nicht der Laut im Augsburgischen
geklungen. Volle Übereinstimmung mit etymologischem 6
herrscht noch nicht; ich kann daher eine Form wie gelojfen,
welche sich in den Prosadenkmälern vorfindet, und im Beim
von Fressant dem offen genähert wird, d. h. auf ö gereimt
wird, nur für vulgär mundartlich ansehen, um so mehr, als
geloffen mit kurzem ö noch heute deutlich gehört wird.
Bei dem Ergebnis, dass au durchaus im 13. und 14. Jh.
eine Variation der a-Farbe geblieben ist, drängt sich schliesslich
die Frage auf, in welchem Verhältnis die Entwicklung des
' Baumann (Forsoh. z. deutsch. Gesch. 16, 269 Anm.) hält eine
Verschiebung Ton ou'^au 1276 für unerweislich; denn au sei bis ins
16. Jh. im ganzen scbwäb.-alamann. Gebiet ein indifferentes Zeichen
för au, ou, d,
' Vgl. dazu Birlinger, Augsb.-schwäb. Wörterb. 361 u. Bohnenberger
S. 127.
183 Lwitlehre. 429
au zu der des a steht, mit dem es sich im 14. Jh. vereinigt
hat Es bestehen also die Reihen:
ati:aif>au>ao>o.
ö : a > . — au war ao schon vor dem Beginn unserer
0 0
Periode : S^ hat aoeh . . .,d wurde ao etwa um 1300. Oeschriebeu
wurde au «s oo im 13. Jh. : au und im letzten Decennium in
der Regel ou. d wurde bis etwa zur Wende des 13. Jhs.
mit ä gegeben. Seine Geltung war jedoch die der schon fest-
stehenden Stufe ao des au. Damit war dem Bestreben, eine
phonetisch gerechtfertigte Ausdrucksweise für d zu finden, der
Weg gewiesen. Man nahm das au auf. Im 14. Jh. schritten
beide Laute gemeinschaftlich weiter.
ou: Bezelchnang.
Die Schreibung des alten au «» mhd. ou ist zum Teil schon
durch die Betrachtungen über den Lautwert erledigt. Es wird
nur noch unsere Aufgabe sein, die Form desselben durch die
einzelnen Schreiborte zu verfolgen: S, schreibt in den Urkunden
nur auy im Stadtbuch ist gleich das erste dem Bereiche des
ou angehörende Wort oueh geschrieben, einmal oeh in einer
Novelle neben aueh, desgleichen in einer Novelle aoeh. Nur
frowwe tritt auch bei ihm allein in der Qestalt /rou? auf; es
lässt dies jedoch nicht auf o schliessen, sondern bekanntlich
fällt vor w das u meistens aus. Zuweilen wird es später
geschrieben : vrawe 1838 (St. Cath.), frovn . . . Eine Diffe-
renzierung in der Bedeutung erstrebt in den Augsburger Ur-
kunden keine der nachweisbaren Formen. Auch vor m schreibt
S| au (av) : bavmgarten. S, ist nicht konsequent: 1277 schreibt
er nur ov, 1282 dagegen au, ausser in frowen. Die klerikalen
Schreiborte zeigen die grösste Mannigfaltigkeit :ovy o^ auj aü,
Oj namentlich das Wort au4ih ist dem Wechsel unterworfen.
Sg hat wohl ursprünglich nur ao verwenden wollen, er bevorzugt
es auch die ganze Zeit hindurch, indes erscheint auch sehr
häufig mit au. Den Namen der Stadt, welcher fast stereotyp
die ganze Periode hindurch mit au geschrieben wird, bietet
430 Dritter Absohnitt. 184
er 1284 einmal als Ovtpurch. — Bis zur zweiten Hälfte des
14. Jhs. ist au herrschend; auch ov, o^ a und o finde ich,
doch zumeist in klerikalen Urkunden, och hat einmal S^^.
Afpurch Sjs, kurz darauf jedoch Aufpureh 1336. Ein solches
a, wenn es nicht auf Verwechselung mit ä beruht, darf meistens
als Verkürzung in der Schreibweise gelten. In diesem Sinne
können auch viele der a, o als durch nachträgliche Zufugong
von V entstanden erklärt werden.
Die zweite Hälfte des 14. Jhs. weist nun auffallend häufig
ou auf. Da dasselbe in der That erst nach dem EÜnlaufen
der Urkunden Karls IV. für Diphthong au in Erscheinung
tritt, so stehe ich nicht an, das Wiederauftauchen des ou auf
den Einfiuss der kaiserlichen Urkunden zurückzuführen ; derart
jedoch, dass ich diesem Einfiuss nur eine ou-erhaltende Kraft
einräume: S^, nämlich schreibt schon 1346 vereinzelt veribotj^^
und Si5 darauf ebenso vereinzelt verkouffty während die kaiser-
lichen Urkunden dazu noch nicht auffordern. 1349 und 1350
gehen die neuerdings sich ausbreitenden cu parallel mit den
Kaiserurkunden. Die bischöflichen und klerikalen Urkunden
weisen jede Beeinfiussung zurück und bewahren au.
Es ist nach Allem au die dem Augsburger Kanzleistil
eigene und geläufige Ausdrucksform des au. Als eine Be-
stätigimg dessen hat sich nach dem mir vorliegenden Material
die Praxis der Stadtschreiber herausgestellt, in den Kopieen
ein QU, 6 des Originals als au oder ein 6 mindestens als o um-
zuschreiben : Missivbuch: Original : kaiserl. Urk. : 1348.
kaufman, — Kopie: (1361 ?): kaufman. Nebeneinander im Jahre
1366: Original: ^e/i. <— Kopie : aucA; Original : <$cA. —
Kopie : och. — Gerade dieses Verfahren ist ein Hinweis auf
die der Schriftsprache des diplomatischen Verkehrs eigene
Biegsamkeit gegenüber dem Vorbilde eines höheren Orts.
öu, äu: Umlaut von ou (au): Belege.
Urkunden:
städtische: In der Begel: eu; ferner äu. — 1285. Gevmvl
S« (A). — 1331. Kaiser: vflauffe S,. —
186 Lautlehre. 481
1349. vflauf Sj,. — 1349. Tfla&ffe; (ouch) S^,.
— 1362. gelaeubigen S,,. —
Stadtbach: In der Regel: eu. — z. B. dreut (Grundtezt
46 b). — frewelin S, (63 a). — reubic S^
(63 a). —
Achtbuch: eu und aeu. — 1342. raeuplich (6 b). —
1342. Taeuffet (62 b).
öu: Umlaut TOn ou: Geltung und Bezeichnung.
Die Mangelhaftigkeit der Zeugnisse mahnt in der Be-
urtheilung der Aussprache des umgelauteten mhd. Dipjbthongs
ou (des alten au) zur Vorsicht. Seine Behandlung indes, wie
sie sich in dem vorliegenden Material kundgiebt, ist eine starke
Stütze für die oben yorangestellte Behauptung meinerseits,
dass sich au in der Augsburger Mundart, nachdem es
die gemeinsame oberdeutsche Stufe ou überschritten hat, nur
auf der a-Basis weiterbewegt hat, ehe es die Verein-
fachung zu o einging. Kein Augsburger Schreiber schreibt
nämlich, wenn er den Umlaut des Diphthongs kennzeichnen
will, oeUf sondern nur aeu und auch hier mit Eintreten des e
für ae : eu. Wemi die ebenerwähnten Schriftzeichen eu und aeu
für den Umlaut schon in den frühesten Denkmälern (Stadtbuch
von 1276 Grundtext) sich bieten und ein Schwanken in
Bezeichnung und Nichtbezeichnung des Umlauts
gerade an dieser Stelle nicht zu verzeichnen ist, so
ist damit weiter nicht allein das hohe Alter des Grund-
lautes auy sondern auch der weit zurückliegende
Vollzug des Umlautes wahrscheinlich gemacht. Spätere
Schriftstücke zwar enthalten auch nichtumgelautete Formen:.
gelauhigerij indes gilt für diese wenigen Fälle nicht minder
die Erfahrung, dass die mittelalterlichen Schreiber eben an
kein Gesetz in der Wahl und Konsequenz der Bezeichnung
des Umlauts gebunden waren. Nicht eingeschlossen in diese
Erfahrung ist das Verbum drouwen. Formen wie draut und
dreut bestehen noch heute und haben damals unzweifelhaft
auch neben einander bestanden. — Durch das Uberschwenken
482
Dritter Abschnitt.
186
iu (Umlaut von ü)
CK'ce.
Strevdler (n. pr.).
hufer.
der Schreibung des cai von au zu dem Scbriftzeichen ou am
Ende der Periode scheint der Umlaut nicht beeinflusst zu sein.
iu: Belege.
Urku nden.
Städtische:
tu (alter Diphtong)
1272 S, (U. II) aelUv, div. — 1273
S, (A.): div, gezivge. — 1280 S,:
genüge. — 1282 S^ (H.) : gezivge,
aelliv.— S, (R.X|4,4): Liuprifter.
1283 Sj (C. 3) beidev.
1284 Sg (A.) iu. — 83 (A.): Hute,
gezivge, friwende. — 1285 Sg
(A.): gezivge. — S, (C. 3): geziuge,
div, baidiv. — 1286 S, (A.) : di^,
elli^, Tierchen. — 1290 S, (H.)
Bat: Ni'^ntzigoftem.
83: iv; liuprifter.— liüten, gezivge, div,
elliv — 1292 83 (F. sei. XV, 80):
Liutprirter, lifite, liute, div. —
1293 83 (C.4): div. — 1294 8^
(R.X|5,4): div, Ni^tzigoftem.
1296 83(R.X|): iriv, erfti^, div,
baidiv liute, ftiwer, Nivntzigofbem.
Sj (A.): lantliüten, baidiv. — 8^ (A.):
gezivge. — 8^ : iv. — 1298 83 (A.):
niwer. — 85 (0.4): iv; ftivwer,
ftivfmuter.
1298 85 (0.4): div.
1299 Juni 83 (A.): Ifite, gezivge,
Ni^nten. — Juli 83 (A.): naevn,
niwer, nivnten, gezivge.
1300 83 (0. 5): dorflüten, gezivg,
drivtzehen,(die),div.— 1303 22. Juni
8}, (A.): triwe, lüten, frivind, iriv.
— 22. Juni (Duplikat): luten.
Bivren (= Buron),
Bvlentaler (n. pr.).
Chrivce.
Evlentaler.
vmbzvuet.
187
liAQtlehre.
433
iu (alter Diphtong)
1303 Sept. S, (A.): liubriefter, hal-
bew; iy.
1304 Se (A.): lAten, aeUi^, Tieriv,
dnüzehen. — 1304 Sg (A.): lute.
— S^: iü; löte.
Sj (0.5): friymdy niwer.
1309 S^ (A.): geziuge, driuzehen. —
1313 S, (A.): laeuten.
1313 S, (A.): aeu. — S, (ü. 2): ge-
zittgy freynden, fireynd, Dreyzehen,
diu. — 1315 Sg (A.): laeuten (2 x),
yerftiyren. — S^: iu. — 1317 Sg
(0. 6) : geziuge, tli'^, friwende, lüt.
1317 Sg (A): yientfchaft.
1318 Sg (U. 2): aelliv, di^, driuzehen,
geziflge, tri wer, Liupolden.
1319 Sg (A.): iü.
1322 Sg (A.): livt.
1324 S,o (A.): friynd, elliy, driy,
lut, laeuten, triwn. — 1325 8|o (A.):
baidiy, lut. — laeut.
1326 ? (C): alliv, gezivg, men..
1329 Sg (A.): drivtzehen, laeyte, ge-
ziyg. — Sg (A.): furlaeyt, Laeyt,
Chauflaeyt. — Sjg (A.): Neyn,
Leut, geziyg. — Sj, (A.): Nivn-
den, Leyten, aelliy. — (Ö.2): ge-
ziyg, Nyynten.
1330 Sg (A.): geziyg. — S,g (U. 2):
gezug, driu, aeUiu, DrilTegoften.
1332 bisch. (A.): haeuwe, haeuw.
Sjg (A.): lüt.
Sii?(A.): leut.
1333 Sjg (A.): ftyur, leut. — S^, (A.):
lut, geziug.
tu (Umlaut yon ü)
haufern.
Eulentaler.
Aeylentaler.
Orutzer (n. pr.).
Oraeutz.
zaeunen.
Cr&tz, "^lentaler.
hovfem.
HWem.
Oruces.
zvnen.
Chraeytze.
heyfem.
Chraeutz.
Jeuchhart
Heufer, Höfer.
Grütze.
434
Dritter Abschnitt.
188
tu (Umlaut von 6)
heufer.
Cräze.
immer OhrAtz, h&fer.
Sj, (A.) Hüfer.
Haeufem.
tu (alter Diphtong)
8^3 (hl. Cr. 5): lüten, lut, ßlchiv.
1835 Sjg(U.5): drivzehen.-S,,(U.B);
durhlühtigen, l&t — fiiuntlich, driw,
driv. — 1337 8,8 (A.): (euwiclich),
fchidlut. — 1338 8,^ (A.): hiut.
— 1339 8^8 (A.): Laeut, aelliü,
geziüg, N&nden. — 8,, (A.): L&t,
Niündeu. — 1340 S^^ (A.): Nien-
zigolten.
8^5 : iu und iü; lüt. — 1345 S„
(R. X 1 1 0, 3) : fri^ntfchaft, fri went-
fchaft, div.
8 2« (hl. Cr. 5): lüt, geziug, friunti
driuy dreozehen. — 8,, (A.): L&te,
Stiür.
1348 Kaiser: 8i, (A.) laut. —
Pfalzgraf: 8j, (A.) laut. —
8i, (A.): iuch, durchlüchtigften. —
— lut. — 1349 8,, (A.): Nun. —
Lut. — 1350 8,, (A.): Lut, fri&nd.
1351 8,, (R. X^): friuntlich, Lüten,
elliu, diu, Driutzehen. — 8^, (A.):
lut, Livpolt.
1355 8ig (CIO): iu; l&te. — 1366
8j^ (A.): Aygenluten, fchidlüte. —
8i, (A.): durchleuchtigift. — 1367
8,e(ß.l2):geziug,lut.— 8,e(R.13):
lute, haubtluten, diu. — 1373 8,«
(R. 14): druczenhundert, driu.
Bischof und Domkapitel:
tu (alter Diphtong) tu (Umlaut von ü)
1296 (R.X^5): liute, NiYntzigoItem.
— friwenden, NiTutzigoftem; i^. —
1305 (R,X|6): triwen. — 1313
JudenhAfer.
Geraeut.
189
Lautlehre.
436
tu (alter Diphtong)
(H. 14): frinnty gezivge, hivtigen,
1338 (H. 17): (haeuwe, hae&w).
1346 (H. 20): iv.
1346 (H. 20): lute. — 1349 Dom.
(H. 21): luten, frifientlich; (vflaüf).
— Nfiuden, Driutzehen. — 1350
Dom. (A.): geziug. — (H. 22):
friuendy blutigen. — 1374 Burg-
graf (B. 12): geziug, (Awmullerin).
Curia:
tu (alter Diphtong)
1320 (G.2): aeUiv. — 1327 (A.):
'S'hiy aelliu, geziug, lett.
— 1337 (U.6): lüt, geziug. —
1345: friund.
Klöster:
iu (alter Diphtong)
St. Cath.: 1279 (C. 2): Gezivge,
nivniv. — 1321 (0.7): driuzehen-
Bundert. — 1324 (C. 7): laevt,
triwn. — 1338: d^, all^, dri^.
St. Stephan: 1312 (ü. 2): geziüge,
driüzehen. — 1327 (A.): vntriwe,
gezivge, amptlAt.
St. Georg: 1282 (G. 1): nivn, ge-
triwelichen. — 1337 (A.): leüt,
fiu, diu.
St, Ulrich: 1288 (U. 1): gezvge,
Ivte, forgenantiy, aehtiv. — 1301
(ü. 1): T^fchen (— deutschen), ge-
aewge, div, driyzehen. — 1 302 (U. 2) :
dif. — 1319 (U. 2): geziüge, lüten,
getriweclichen, Nivnzehenden. —
iu (Umlaut von ü)
Ohraeutz.
Gh)tzhufer.
tu (Umlaut von ü)
h^fer.
Cr&tze.
iu (Umlaut von ü)
Orüces.
Cruz. — 1368.
haeufem.
436
Dritter Abschnitt.
190
tu (alter Dipbtong)
1323 (ü. 2): leut, difin, Driutzzehen.
— 1329 (ü. 2): Nun.
1333 (U. 2) : frivntlich, lut, Dri^zehen.
hl. Creutz: 1311 (hl. Cr. 4): iv.
1326 (hl. Cr. 4) div.
1339. friunde, gezivge.
Spital: 1284 (A.): gezivge.
Juden: 1308 (A.): triw, (kaeyfen),
hovfer.
in (Umlaut von ft)
13B7 zaeunen (naeun).
Crulz.
Crutzes.
Crutz.
hoWer.
u.
U und U.
Stadtbuch:
tu (alter Diphtong) tu (Umlaut von A)
Grundtext: Sj (21 a): iu; hewe.
S, (25b): iu; kaufluten, lantluten.
S3(I5a): getrivlich, getriwen, ge- zivne(52a).
triulichen. — iv und iü.
Sg (24a): iv. — S^ (52a): iu; Rt zoeune.
(52a). — friunden (54 a). — S^,: iu;
lute.
Achtbuch:
iu (alter Diphtong)
Sj^: 1341 gantzi^, driv (49 b).
1342 lüt (51 b).
1343 gantziy (55 a). — lute.
S,^: 1352 Nivburg (16 b).
hfifer (26 a).
Sj«: 1368 friund (28a).— 1370 leuten Crutz (27 b). — 1S45
(28 b). Butler (n. pr.) (58 a).
— 1350 (Ainnhufer).
hufet(67a). — 1353
Baeutlerkneht (17 b).
tu (Umlaut von ft)
Cruces (5 b). — Byer-
briven (H b).
rumet (6 b).
BvrTn (10 a). — hylcrvtz
(n. pr.) (11 a). —
krutz {l'^ a).
priykneht (16 b). —
191 Lautlehre. 437
ie: Belege.
Urkunden:
städtische: 1273. brief S, (A). — 1282. gienge S^ (H).
— (di) brif S3 (A). — 1284. brief, liezzen,
gedinet S^. — 1293. brif, dinen S« (C. 4). —
1294. briefe S^ (R X | 6,4). — 1298. brief,
brif Sß (C. 4). — 1300. brief, chrick, fchiede
(conj.) 83 (0. 5). — 1303. 22. Juni: ie; (fient).
83 (A) «a 1303. 22. Juni (Dupplicat) : ie; (fient).
8«. — 1317. chriek Sg (A). — 1319. (iSmen,
ietwedern) 8^. — 1322. ie. 8^. — 1329. Dyener,
brif, (dl) 8^. ~ 1333. rieten 8,2 (hl. Cr. 5). —
1335. nieffen, brief 81g (U. 5). — lieplich 8,3. —
1345. brif, brief, nieffen 8^^ (hl. Cr. 5). — 1348.
Kaiser: ie; 8,, (A). — 1350. brief 81,.
bischöfliche und Domk.: 1296. brief (R 5,7). — 1374.
Burggraf: brief, angieng (R 12).
Klöster: 8t. Cath.: 1355. piut. —
8t. Georg: 1337. Briefter. —
8t. Ulrich: 1323. niemant, criek. — 1329.
lublich, niezzen.
Stadtbuch: ufzliezende 8^ (48 b) — (begriefen).
Achtbuch: 1340. nyeman 8^^ (8 b). — 1350. verbiut 8,,
(67 a). — 1370. briuef 8^^ (28 b).
iu: Geltung.
Die Behandlung des alten Diphthongs iu in den Quellen
bedarf einer besonderen Aufmerksamkeit. Dazu veranlasst
vor Allem eine Beobachtung, welche sich durch das Urkunden-
gebiet Augsburgs hindurch anstellen lässt : in der Schreibung
nämlich geht ein Teil der iu mit dem Umlaut von ü zusammen,
und so giebt sich auf dem ganzen Gebiet von tu eine dem-
entsprechende Abweichung in der Annahme des neuen Diph-
thongs kund. Hinsichtlich des letzteren Vorgangs stelle ich
voran, dass Kauffmann^ in der Entwicklung von mhd. in
^ Kauffm.: schw. M. : § 138. Anm.
438 Dritter Abschnitt. 192
geradezu das wichtigste Argament für das Auftreten der
aeuen Diphthonge im 13. Jh. sieht, indem er die Diphthon-
gisierung dieses Vokals vor das Zusammenfallen von u und t
setzen zu müssen glaubt. Er geht auch bei diesem Urteil
Yon Zeugnissen augsburgischer Urkunden des 13. Jhs. ^ aus.
Allerdings erscheint 1283 (6. Dec.) baidev (n. pL), doch ist
der Schreiber der auch sonst abseits stehende Stadtschreiber
Rudolf (S3). Erst sehr yiel später schreibt derselbe: 1296.
33. April: Evlentaler, — 1299. 11. Juli: naevn. Daneben
stehen jedoch soviel tu, dass es nicht geraten erscheint, von
der zeitweiligen schriftlichen Darstellung des tu aufsein wirkliches
Leben als «u zu schliessen. — Die Zeugnisse gewannen aber
für mich eine andre Bedeutung, als ich dieselben den übrigen
Schreibungen des tu gegenüberstellte und eine gewisse Kegel-
mässigkeit des Vorkommens der gewählten Zeichen in gewissen
Stellungen entdeckte. Es hoben sich nämlich mit einer hohen
Bestimmtheit einige Wörter aus dem Gebiet des alten in
heraus : liuUj tiutsch und niun, * Ich komme damit auf eine
schon von Brenner und Behaghel berührte Frage, welche
durch die Resultate ihrer Behandlung argumentierende
Wichtigkeit erlangt hat. Beide ' wiesen auf die ungewöhnliche
Hinneigung des Hute und niun zu der Umlautform des ü hin,
und es stellte sich ihnen bei der Prüfung bairischer und
würzburgischer Urkunden des 13. Jhs. heraus, dass, wenn sonst
^ Unter den von ihm angezogenen Beispielen sind nur wenige
stichhaltifr; leit u. a. kommen gar nicht in Betracht, da sie Urkunden
der Herbartschen Sammlung entnommen sind (ygl. das früher bei ei
darüber Gesagte).
^ di^f allv (fem.), dri^ in einer Urkunde von St. Cath. 1838 4. Aug.
(St. C.) können nicht als Beweis für eine über die angeführten Wörter
sich erstreckende Angleichung an Umlauts-ü gelten, da die Belege
einer Ellosterurkunde angehören, deren Orthographie auch bei dem
Zeichen iti eine sehr wechselnde ist Beruht die Schreibung aber auf
physiologischen Gründen, so dürfte u nur B^duktion aus tu sein (vgi
Kauffm. schw. M. S. 85 und Fischer : Germ. 86, 418). Der aligemeine
Charakter des Schriftstückes versetzt den Schreiber jedenfalls ausserhalb
Augsburgs.
* Brenner : Germ. : Behaghel : Germ. XXXIV, 245 und 247.
193 Lautlelire. 439
der Umlaut von ü mit aeu gegeben wurde, während eu für
alten Diphthong tu gesetzt wurde, auch Hute und niun der
ersteren Behandlung folgten, so jedoch, dass Zeichen aeu
neben u und eu neben tu einherging. Die Augsburger Ur-
kunden nun nicht allein des 13. Jhs., sondern während imserer
ganzen Periode stellen sich zu diesen Thatsachen derart, dass
sie zwar neuen Diphthong nur für früheres Umlauts -u ein-
treten lassen, dass sie jedoch beide Zeichen eu und aeu in
Hute verwenden. Nach den mir vorliegenden Zeugnissen
wenigstens ist Hute nur anfangs mit tu, in der ganzen folgenden
Zeit mit eu und aeu neben u geschrieben, und zwar auf dem
ganzen Augsburger Urkundengebiet. Lassen wir zunächst
die Frage nach Beeinflussung von aussen beiseite, so ist es
doch kaum ein Zufall zu nennen, dass die Schreiber, nachdem
sie aeu für Umlauts-ü (u geschrieben) angenommen haben,
nun auch dasselbe Zeichen für die Wiedergabe des Vokals
in Hute, geschrieben lute, wählen. Konsequenz in der Be-
handlung des Buchstabens kann nicht allein die Ursache sein ;
dass etymologische Bücksichten die Wahl bestimmt haben,
ist nicht erweisbar; denn eine ahd. oder germ. Form luti
kennen wir nicht. Behaghel macht nun die Beobachtung in
den Oberaltacher Predigten, dass niun und nur der Pluralis
von Hut mit u oder aeu geschrieben wird, während der
Singularis stets mit tu erscheint^. Ich möchte dazu nicht
Stellung nehmen, mit Rücksicht auf die Einschränkung, die
durch meine Nachweise Behaghels Hypothese zu erleiden
scheint und die auch einer gleichen betreffs meines Materials
drohen kann; doch finde ich in meinen Quellen durchaus
Bestätigung ^.
^ Graff im Gegenteü bietet 200 Belege für den Stamm Hut- and
nur 1 dagegen: lut^.
^ Zu Behaghels Hypothese (Hut —> Volk -> Sing. ; laeutj Uut 1—
Plnr.): Oberalt. Fred.: laeut, laut » Flor.: 7,10: luten — 10,80: die
laeut — 12,16: die laeut — 16,9: luten — 17,6: aUiu eine nlout —
17,13: laeut — 81,85: litten — 81,30: da der laeut vü zesamen
chvmen waz — 8,10: zweier hande laeut ({oeu^ i-i Leute?) — 8,24:
saget dem laeute, daz da ze Jerusalem hehaft ist, (zwar Lesart B : den
29
440 Dritter Abschnitt 194
Wie ist nun der Lautwert des alten Diphthongs tu ge-
wesen? Die ersten Urkunden und ihnen nach die weitaus
grösste Zahl der andern des 13. Jhs. bieten tu für das ganze
öebiet des Diphthongs; indes ist eine diphthongische Aus-
sprache i'U darnach anzunehmen deshalb nicht angezeigt»
weil die ersten Schreiber zunächst der üeberlieferung gefolgt
sein werden. S, schreibt gezivge und hält diese Schreibung
von 1386 an durchaus fest; er unterscheidet allerdings noch
nicht liute von den andern tu, indem er liite, Tivfdie, dir,
eUiv^ gezivge gleich behandelt. Eine Analyse dieser Form
nach dem geltenden Wert führt durchaus auf die von
fiechstein^ als mustergültig empfohlene Aussprache: t-ä.
So sehr also cteu seiner (Rudolfs = S,) eigenen Aussprache
des Umlaut -ü und des tu in liute, niun entsprochen haben
mag, ebenso eindringlich machte sich der augsburgisch-mund-
artliche ü-Klang geltend; der um 1300 schliesslich durch ihn
mit u in luten seinen Ausdruck fand ^. Im Laufe des 14. Jhs.
mag sich dann der Doppelklang eu (ae^) fiir das eine Gebiet
Yon tu ausgebildet haben, während das andere teils dem
Erlange m zuschritt , teils ganz der Entrundung zu t und
schliesslich der Verflüchtigung zu e (fem. sing, und plur. u.
neutr.) erlag. Der Weg von tu zu eü könnte etwa der ge-
wesen sein, dass nach der Praxis der echten Diphthonge der
zweite Bestandteil ein höheres Gewicht erhielt, t sich zu e
verflüchtigte und so eü erfolgte.
leuten; jedoch wird fortgefahren in der folg. Anrede an das Volk zu
Jerusalem: din chunick chumt dir.) — 31,Vi9: da des Hutes vil was —
62,37: an dem jüdischen lute (Lesart B: l'ten). — 64,10: acht^phiier
gfoaier lutCj der Juden und der ?uiiden. — 66,36 : judieckin diet (Sing.)
(— liut?). — 68,13: judisch Hut (. . . daz ist daz . . .). — 68,26: des
judischen Hutes. — 73,16: do Moyses der unsere herren lut fürt uz
Egypto . . . der selb Josue fürt si .. . — 76,1 1 : den zuniien luten (Völkern).
^ Germ. Y, 403. Vgl. dazu noch: B. Bechstein: die Aussprache
des Mittelhochdeutschen. Halle 1868. Referat darüber: Anzeiger der
Kunde fiir deutsche Vorzeit 1868. Zamcke: literarisches Centralblatt
1858. Nr. U.
' Vereinzelt schrieb Sa in einer Eintragung im Stadtbuch 25b
schon Ivt.
] 96 Lautlehre. 441
tu: alter Diphthong: Bezeichniiiig.
Zur graphischen Wiedergabe des Diphthongs tu stand
den Schreibern zunächst tu zu Gebote. Als bei den schon be-
sprochenen "Wörtern die Näherung an das Umlaut -ü, vielleicht
sogar Gleichstellung mit ihm, zum Bewusstsein kam, nahm
man das u an, setzte, wenn man den neuen Diphthong geben
wollte, aeuj ouy selten eu \ um die überkommene Schreibung
tu zu wahren, die Richtung der Entfernung aber von tu nach
u hin zu nennen, bediente man sich der Schreibung mit e
über u = tu. Diese Gestalt hat sich, nachdem sie einmal
in dem letzten Jahrzehnt des 13. Jhs. durch S3 ins Leben
gerufen war, die ganze Zeit hindurch herrschend erhalten.
Da man oft das ümlaut-ü auch in den ihm zukommenden
Stellupgen als solches nicht markierte, so gab man auch litUe
einfach als liUe^, wobei allerdings durch Nachlässigkeit des
Schreibers der Index nur übergangen sein könnte ; es scheint
mir jedoch in der Setzung des u fiir u eine gewisse Legitimität,
wenigstens ein Streben nach Konsequenz und Vereinfachung
zugleich, zu liegen ; denn sie findet sich, wie in der allerersten Ur-
kunde neben fitr : für, neben Crvee: Criucey so später z. B. : 1324.
24. Febr. lut (=» lit) (S^?). u als u ist femer geschrieben:
1326 in: tmneny Ivten (gezwg) S^^. — 1330. gezug S^. Aus-
schliesslich klerikal ist die Schreibweise iv und ev^. —
Schreibungen, wie Ntenzigoften (1340. 2. Febr. Sjg) beruhen
auf Verwechselung des tu mit tu für ie, das damals noch als tu ge-
schrieben wurde. Niun tritt mehrfach als niwn auf; es wäre
ein Vorschlag, in dieser Erscheinung eine Etymologie niw{e)n
> nitüin (vgl. friwend ^frivind) und dadurch eine schwache
Erklärung für das Umlaut -ü zu suchen. ^ Die Zusammen-
» 1329. 23. Febr. Nevn, Leut (89). — 1329. 29. Juni: Levten^
Mvnden (S»). 1340. 2. Febr. kaiserlich: chauflaut.
^ Es ist auch diese abweichende Schreibweise klerikalen Schreibern
vornehmlich angehörig: z. B. 1*^88 gezvge, Ivte (U.).
» 1^90. 18. Okt.: liUe — dit). — 1321. Crüces (K.). — 1319. geziüge
(M.). 1337. leut (G.).
* Vgl. Behaghel : Germ. 34,251, welcher sich ähnlich über 2iu^e äussert.
29*
442 Dritter Abschnitt. 196
Setzungen mit litüe erscheinen nie in der Schreibung lit, sondern
nur : Uutpriester, liupristerj lAupoldm* Die Schreibweise NuCnUig
in einer Urkunde Augsburgs von 1342 31. Okt. an Nördlingen
dürfte als eine Koulanz gegenüber dem Adressaten gelten.
tto
Der Doppellaut ist zweifellos gesprochen worden*, die
schwankende Schreibung, bald u, bald u, kennzeichnet die
Unbestimmtheit des zweiten Bestandteils hinsichtlich seiner
Lautfarbe, m für uo ist bairisch im 14. Jh. sehr gebräuchlich',
auch im Schwäbischen, aber seltener; das Augsburgische
scheint zeitweise sehr dazu zu neigen. Das Schwanken zwischen
uo und ue im Yolksmunde bezeugt deutlich das Schriftzeichen
ue, das im 12. bis 15. Jh. vorkommt: tuen^. Im Übrigen
verweise ich auf das bei ü Gesagte.
üe: Umlaut*
'Im 14. Jh. ist tie ziemlich fest ; wir begegnen ihm in den
folgenden Jahrhunderten bis ins 18. Jh. hinein überall in
den Schriften. Die Mundarten halten es bis heute fest. Un-
echter Umlaut ist besonders beliebt in tuen = tuon *. In unsern
Quellen ist der Umlaut bezeugt, Zeichen ist u ; vgl. das beim
Umlaut von ü Gesagte.
* Weinhold: bair. Ghramm. § 107.
• "Weinhold: alam. Gramm. § 108.
• Weinhold: bair. Gramm. § 107.
* Weinhold: bair. Gramm. § 109; dazu vgl. § 801.
197 Konsonantismiu. 443
Konsonantismus.
Allgemeines.
Ich bemerke von vomherem, dass bei der Beurteilung
des augsburgischen und gemeinschwäbischen Konsonantismus
aus der Orthographie der schriftlichen Denkmäler das Be-
denken sich ganz besonders erhebt, ob sich die Orthographie
auf schwäbischem Territorium als natürliche Ausdrucksform
der schwäbischen Laute, oder ob sie sich in den verschiedenen
Perioden unter dem Einflüsse verschiedener nicht schwäbischer,
namentlich lateinischer, Schreibmuster entwickelt hat, wonach
die Buchstaben überhaupt nicht direkt mit den schwäbischen
Lauten verglichen werden könnten. Die Aufgabe ist immer-
hin, die Orthographie vorerst von der schwäbischen Laut-
geschichte aus aufzuklären und hernach sich nach den zu
Grunde liegenden Schreibmustern umzublicken.
b und p: Belege.
Urkunden:
b (an- und inlautend) p, und b (auslautend)
1273 S^: b. wip.
1282 8,: aber; b. — 1283 25. März: Liuprifter, niderhalp,
S3: p; behapt, auer, kvmpt. — -halp.
4. Oct. 83 : b; verlopt. — 17. Dec.
Rat 83 : b ;. drüber.
1284 83: b. liplich.
1290 ?: gelopten. — 83: perchhof. b (= auelaut. b).
S3: brudren, perger, beidiv. liuprifter.
Bat 83: chvmt.
1292 83: pei. Liutprifter — halb.
1296 85 : hovptman. Erzbriefter. — I297S3:
lipgedinge.
1299 83: faelben, belib. balmen.
1300 83: pinden; b. ainhalp.
1303 83: pirten. — 1304 83: b; wib.
purkarten.
444
Dritter AbMfanitt
198
b (an- und inlautend)
1309 S^: paYmgarter. — 1311 S^:
pitfchlin. — 1313 S^: pifchof; b.
— 1828 S^: paten. — 1326 Sj^^:
b; bochgelobten, (witbe). — 1399
8^: Purgern, Purger.
1830 S^: witiben.
1330 Kaiser S^: Prande, briider. —
1332 8^2* ^) nimpt, kumpt.
1336 8^8 : prvnneD, bie, prvgge, burger.
— 1337 Sjg: flaefchpank, flaefch-
bank, -banch. — 1338 S^j : Purger-
maifter. — 1340 8^^ : PeckkenhaAs,
pnrggrafen, Privhaus, purger, ver-
punden. — 1341 8^^: kumpt.
1342 815: Purger, bowt, burger. —
Si5 Rat: b. — 8^^ : purger, purger-
maifber, yerdorwen.
1342. ?: b; (belib). — 1343 8,^: Perck-
hofy ynuogtpärf, brüder. — 1346
8^^: Purgen, Purger, gepurd, brif.
— 1360 81,: Brotyfch, protyfcb«
— 1367 81,: b; (Morgengab).
1366 8,«: b; (hauptlüten).
1367 81^: b; (haubtlüten).
1367 810 : b; überlebte.
8],: immer b anlautend. — 1368 81^: b.
1379 8^0: purger, purgermeilüter, prief.
Py und b (auslautend)
lipgedinge.
lieplioh.
chumpt; b (aul.) =b.
grap, halppfiint.
balbhübe.
libding.
lieplich.
lipting.
b und p auakntend.
Bischof und Domkapitel:
b (an- und inlautend) p^ und b (auslautend)
1296: b. — aver, hovptman. — 1300: Tvmbroft.
hochgelopten. — 1326 : Pifchof. —
1343: Pyfchof. — bis 1349: p (=
anlautend b).
1349: Byfchof. Tumprobft.
199
Kon8onantitmu8.
446
Klöster:
b (an- und inlautend)
St. Cath.: prief, baz. — 1331: b;
iuber. — 1355: pint.
hl. Creutz: 1311: prief. — 1317:
paidiv.
St Ulrich: 1321: pach,bede8,felwen.
1333: lib. — 1342: prief.
1366: b.
St. Georg: 1337: b. — 1338: (ge-
rubeclich).
St. Moritz: Pyfchof.
Curia: 1320: b.
Stadtbach
b (an- und inlautend)
Grundtext: ufgehabt (4b) lembe-
rin, linvarbemy beckin (77 b). amptes
(6 a). rindespuch (106 b). haupgut
(19 a). chelberbuch (107 a). rindes-
puch, lemberbuch (107 a). auspur-
gaem (21 a). smerwes (16 b). pyrun
(16 b). hauptet (36 a). brugge (21 b),
grabes («=» graues) , samptkaufes,
(kumt); einyarbez (26 b). apprichet,
appraechC; allesampt (29 b). brichet
(28 b).
S,: paun wolle, aver, prichet, brichet,
aver (34 a). anbehapt (30 b). (witwe).
habt (82 b). aver (119 b).
S,: brichet (28 b). — amptman, am-
mann. — b; purchreht (37 b). an-
behabt (33 a). aver (37 b).
geruwechlich (82 b). behabt (84 a).
hauptgut.
pj und b (auslautend)
Probft.
libting, lublich.
1366: leib.
Briefter, Probft.
1338: brobft, vfferhalp.
kümpt.
p, und b (auslautend)
strazraup (4 a), gab(la).
beize (77 b). lipgedinge
(5 a). Sippe (77 b). lip-
nar(14b). urlaup(18a)
geftemphet(19b). bil-
gerin 3 x (49 a). liu-
prifterf (ephel) (16 b).
enphure, ietwederhalp,
halp phunt (21 b). uz-
treip, selpscholen (23b)
berlaich (29 b) , selp-
schol (34 b), diupstal.
halp phunt, selpherren
(30 b). probft (112 a)
(1 x) — bropft (3 x).
lipgedinge.
selpschol.
446
Dritter AbBchnitt.
200
b (an- UDd inlautend)
S5: aver(36b). aver(40b).
S^: (ruwechlich), bruder. S^: haupt-
gütz. Sj^: behabt; aver (97 b).
Sj,: haubten (34 a). geprechen, ge-
hebty ufgehebt.
1350: aver (11 a). pezzmng (125 a).
witibe (95 a). awer (146 a).
(allweg) (37 b), achtpüch.
Sj^: 1383 ipezzeni (154a). 1384:pezze-
range(154a). 1384: bezzem, porten
. (Ha). 1385: pezzem (88b).
Achtbuch:
b (an- und inlautend)
1339 Sjg: purger (48a). Sjj: burger,
purger. 1341 8^5: burger, bofheit.
1341 S15: bofhait, purger (50 b).
burger.
diepin, diup, diep (50 b). Sampstag
(51 b).
1343 Sj^: b. (54 a). burger.
1345: b. 1346 S^,: nimt (62 a). 1349
(ebichlich) (65 a). 1351 S^,: püb
(67 b). 1352 : kumbt (67 b). haimbt
(70 a). gelembt, Ambts, privkneht,
Nivburg (16 b).
1353 : (Gabin [früher Gawein]) (17 b).
gelembt, plienfpach (17 b). gepirg.
1355: pozz (94 b). erlembt, Aem-
manin (19 b).
1356: (gelemet) (20 a). 1357: Beck
(18 b). 1358: peckenkneht (21a).
Becken kneht, Becken (21a). Pircken-
fiizz.
Pj und b (auslautend)
wip.
babftes (77 b), sippe.
uzzerhalb (24 b) , lib,
selbwaibel (34 a).
Urlaub (125 a).
prelaten (95 a).
halb (37 b), pranger.
kappen (11 a). berl,
eweip.
Pj und b (auslautend)
Branger.
diep (50 b).
Brobpft (53 a). bryfvn,
Brifvne(53a) branger.
Branger. S^, : prifun
(56 b).
plienfpach.
rapUch (19 b).
diuplich (20 b).
801 KonsonantismaB. 447
b (an- und inlaatend) p, und b (anslantend)
1360 : b. 1362 : erlernt (23 a). kalpflSfch (22 b).
1363 : plaich (23 b), pett (23 b), pach- 1364 : kalpflechin, kalp-
ritter (n. pr.) (24 a). fleifch (24 a).
1364 : braht (24 b). 1365 : bürtig (25a). Swap (26 a).
erlernt. 1366: panck (28 b). 1367:
Lerchenp6glin (n. pr.) (26 a). 1367:
vorburg (26 a), pett. 1368: vfen-
brehtin, Butrichs (27 b). 1369 Sj«:
erlembt, gelemet (27 b). Elyzabeth.
1370 Sj^: pozzheit, Ups, lip, zappffen Sj^: üb, weib.
(28 a), Purg, bozlichen, Pofwiht.
b: Geltung.
WeoD ich in den allgemeinen Bemerkungen das Bedenken
Yoranstellte, ob der Augsburger des Mittelalters die Schreibung
seines Konsonantismus nach der lebenden Sprache regulierte,
so scheint dasselbe durch die Praxis des weichen Explosiv-
lautes der labialen Gruppe gerechtfertigt. In der Schreibung
nämlich verwenden die augsburgischen Schreiber des 13. und
14. Jhs. p und 6, in der modernen Sprache aber treffen wir
vom Gesichtspunkte der romanischen Laute aus urteilend all-
zuhäufig auf eine Nichtübereinstimmung des gehörten Lautes
mit dem Zeichen dafür. Wir müssen daher der Orthographie
der Labialen Ursachen zu Grunde legen, welche im all-
gemeinen in dem Satz ihren Ausdruck finden, dass die
Buchstaben p und b der Augsburger Denkmäler in der Haupt-
sache Erzeugnis des Schreibusus sind, dem sich die augs-
burgischen Schreiber unter dem Einfiuss der lateinischen
Schreibtradition nicht entziehen konnten und der von ihnen
nur in den Fällen merklich genug durchbrochen wurde, wo
die Eigenart der heimatlichen Sprache dringend ihr Recht
forderte. Das Lateinische besass zwar annähernd Entsprechungen
für ein anlautendes und ein auslautendes 6, etwa wie es in burger
oder gab gehört wurde, und bot dafür b und p als Zeichen, aber
dem aufmerksamen Ohre entging nicht der unterschied zwischen
448 Dritter AbsohDÜt. 202
dem augsbnrgischen b im Inlaut zwischen zwei Selbstlauteni
und dem b des Romanischen in gleichen Stellungen ; ein solches
b klang dem Augsburger wie w. Was lag also naher, als dass
der augsburgische Schreiber fär den härtesten Laut, welchen
er hervorbrachte, p wählte ? Da er jedoch nicht p sprach, sondern
nur eine weniger Schärfung als Dehnung zu nennende Ver-
stärkung des b zu bb, die Ton der anlautenden etymologischen
hochdeutschen Lenis in der Explosion sich nicht merklich
unterschied, verwendete er daneben als Zeichen sowohl 6 f&r jenes
etymologische p, als umgekehrt p für etymologisches b gleich ro-
manischem b am Anfang und Ende des Wortes, p aber schrieb er
für beide mit Vorliebe, weil er sich in dem b ein Ausdrucksmittel
für das ihm eigene inlautende b zwischen Vokalen wahren
musste, wenn er der lateinischen Verwendung gerecht werden
und doch die Abweichung von anderen b -Lauten markieren
wollte, ohne das aussprachgemässe w zu verwenden; denn
letzteres konnte er von seiner halbvokalischen Geltung nicht zu-
viel einbüssen lassen. Physiologisch genau arbeitende Schreiber
aber scheuten in solchen Fällen nicht vor einem gelegentlichen
u oder v für b zurück.
Nach allem diesem hat der Augsburger des 13. und 14.
Jhs. für die Labialis im Anlaut anstelle des gotischen b nur
einen Laut gekannt, der dem des etymologischen p in der
mundartlichen Aussprache derartig gleich klangt dass man
die wechselnde Bezeichnung mit den von der Schriftsprache
gebotenen Buchstaben b und p nicht beanstandete. Im modernen
Augsburgisch glaubt Birlinger' für das an- und auslautende
b zwei Richtungen unterscheiden zu müssen: h) b = dem
reinen natürlichen Laut des romanischen b zu Anfang und
Ende des Wortes. — h) b = einem zu bb verschärften Laut^
welcher den romanischen p-Laut vertritt, ihm aber nicht ganz
entspricht. — Es ist mir nicht gelungen, als ich Gelegenheit
> Mittelstellung: zwischen b and p für die Media b hat auch die
heutige rheinpfalzische Mundart : Nebert : Speirer Kanzleisprache (Disser-
tation, Halle 1892), S. 56.
• Birlinger: Wörterb. S. 89.
203 KoDsoDantismus. 449
hatte, selbst an Ort und Stelle Beobachtungen zu machen,
zu einem gleichen Resultat zu kommen; ich habe vielmehr
einen unterschied in der Intensität der Explosion nicht ent-
decken können, auch nicht eine gleichmässig verschiedene
Dauer, sondern mir ist nur etwas, wenn ich so sagen darf,
eigentümlich Verhaltenes in der Aussprache jedes hochdeutschen
b aufgefallen, so dass in keinem Falle ein Hauch hörbar wird.
Es vibriert der sich hervordräiigende Ton einen Augenblick
zwischen den Lippen, so zwar, dass ihn die Unterlippe an die
obere heranzudrücken scheint mit dem Bestreben, den Ausbruch
zu mildem, ohne ihn aber in einen Hauch ausklingen zu lassen;
ein N}h vermag ich also mit Birlinger nicht anzunehmen, noch
weniger für die Zeit unserer Quellen. Man gestatte mir dies
an folgendem zu entwickeln. Wenn die Labialis (tenuis und
media) im Augsburgischen des 13. und 14. Jhs. auf der Stufe:
Labialis explosiva + f^ gestanden hätte, so hätte sich die
Schrift hin und wieder verraten müssen, wie sie dies sicherlich
thut in den Schreibungen der harten Explosiva der Güttural-
und Dentalreihe; während diese nämlich sporadisch als Ich
gegeben wird mit der Bestimmung k + h^ za vertreten, geben
mir die Quellen aller Art weder im Anlaut noch im Auslaut
bk oder ph für die labiale Explosiva. Bei dem Abschnitt
über die Schreibung werde ich Gelegenheit nehmen, die Zeugnisse
über b , soweit sie vor 1272 fallen, anzuführen ^ Müsste nicht
^ An geeigneter Stelle, in dem Abschnitt über k, werde ich nach-
zuweisen versuchen, wie die Schreibung Uh zu der jeweiligen Aussprache
sich verhält; hier aber mochte ich einmal vorausschicken, dass kh in
unseren Quellen ^» k-\-h zu sprechen ist, dass also k mit jenem Hauch
ausklingt, den ich der Explosiva der Labialen abspreche, und femer, dass
die labiale Explosiva durch ihre Geschichte im Augsburgisch-Schwäbischen
sich dem k zur Seite stellt.
* Vorausnehmen will ich nur ein Beispiel, von dem ich indes gleich
bemerke, dass ich ihm mit Bestimmtheit keine Beweiskraft einräume, da
es einer Quelle angehört, deren Zugehörigkeit zum Augsburgischen Dialekt-
gebiet für mich durchaus nicht fest steht : die Aug^burger G-lossen über«
setzen 40^ : stamen mit uuarph («> Spindel) d. h. also «» warf, (Ghraf I,
1089), und nur die Florentiner Glossen haben einmal toarp, vgl. dazu:
Augsburger Glossen 89'; citur:ruoph.
460 Dntter Abschnitt 204
übrigens ph sich im Laufe der Zeit zur Aspirata, schliesslich
zu / gewandelt haben ? Thatsächlich ist das aber nur in Er-
scheinung getreten im Wortsandhi: beküeten ^^ p/üeten (füeten).
Die Quellen des 13. und 14. Jahrhunderts geben, wie
schon erwähnt, keinen Aufschluss über die Zerdehnung des
Lautes bei der Aussprache, doch ist dem Auslaut nach der
nicht allein anfangs, sondern auch dann noch, als schon andere
Einflüsse drohten, überwiegenden Schreibung mit p jene stärkere
Explosiva eigen. Merkwürdig ist nur, dass im Dativ von
Wörtern wie lip : libe^ wenn e in der Schreibung verschwindet,
das b nicht auch durch p vertreten wird, wiederum ein Be-
weis für die Entstehung der labialen Laute unserer Quellen
aus der Schrift. — In den Verbindungen : « + 6 und t-\- b,
Labialis + t ist augenscheinlich die Schärfung dem Augsburger
am meisten zu Gehör gekommen \ sp^ und tp ist allein nach-
weisbar (1306 : Horburdi — aber; Augspurclij Wirzfpurchj Regent-
purg\ und pt ist überwiegend.
Im Inlaut wird hartes b (bb) zum weicheren, einfachen
by jedoch nicht zum romanischen b, sondern mit starker Neigung
zu w. Die Gleichwertigkeit von etymologischem b und etymo-
logischem w in der Stellung zwischen zwei Selbstlautem ist
unzweifelhaft durch die Schreibungen : grabes, grawes (== graues)
(Stadtbuch : Grundtext 20 a), ruwecUchen als rubeclichen. So-
gar die Apokope des e in -ec kann b nicht entfernen, es ist
eine auf einem Lautgesetz gegründete Erscheinung: w wird
mit grösserer Schliessung der Lippen = b ausgesprochen,
d. h. verhärtet zu b, b zu w erweicht*.
^ Umgekehrt ist p Id ap (sp) etwas reduziert, ohne mit anlautendem
h zusammenzufallen, wo die Artikulation der Lenis um ein Mininum ge-
spannter ist als intervokalisch. p ist in diesem Falle ein neutraler Laut
zu nennen, vgl. über solche neutralen Laute: A. Heusler: der alamanische
Konsonantismus in der Mundart von Baselstadt S. 24; Kaufmann: S. 12.
^ Im Stadtbuch: 107a: lemberhtuih, chelberhuch aber immer:
rindeapuch.
* Vgl. dazu vntbe (1355 Sie und 1325 S9). — Achtbuch: (65 a) 1349
ebichlich S17. — 1321: felioen, pach, bedea (St. Ulrich). — IS^8 5. Juni:
witto Ss.
206 KonBonantismas. 451
b: Bezeichnung.
Es erübrigt an dieser Stelle nur noch^ die Frage einer
Betrachtung zu unterwerfen, ob die eine oder die andere
Schreibung mit einer nachweisbaren ßegelmässigkeit dieser
oder jener Stellung anhaftet. Von dem StaDdpunkte aus, den
wir Yon vornherein einnahmen, in b die gewöhnliche Bezeichnung
der labialen Media im Silben- und Wortanlaut zu sehen, gilt
es die Schreibung mit p auf ihr Vorkommen 2U prüfen: in
der ältesten Zeit des Mittelalters zeigt die vita Udalrici nur
p in : p»n(= Biene) (213), regelmässig in Augefpurc (234), Regens-
pure (866) und einmal in SintpreJu (994) gegenüber Hartehrelit
(884) und Albreht (822). Die beiden erstgenannten Fälle unter-
stehen dem schon erwähnten Gesetz, dass s+b zn sp wird. —
Die Augsburger Glossen haben überwiegend p, namentlich in
der Vorsilbe be = W, öfter pi als W geschrieben; femer: prustpeini
(33'), lentipraton (35^), giporgenen (60^), pisperrit (150^), bidirbin
(168^), 160'— 172' : 8 W: 1 pi und zwar parallel mit fast aus-
schliesslichem ki' für gi'. Dasselbe Wort wird kurz hinter-
einander mit p und b geschrieben: 172': anagipichanU 176':
anagibichit.
luden Augsburger Urkunden unserer Zeit ist die Schreibung
von b nun folgende: b (anlautend) wird bis 1356 regellos b
undp geschrieben, und zwar läuft bei jedem städtischen Schreiber
p für b mit unter, wenn er sonst auch b hat. In einzelnen
Urkunden ist b nur durch p vertreten ; doch finden sich solche
Fälle nur im 13. Jahrhundert (vgl. Belege für 1283). Im
14. Jahrhundert habe ich nur bei drei Schreibern eine aus-
gesprochene Vorliebe für/) gefunden: bei S^g (1336), S^^ und
Sj^. Si4 und S,^ schrieben als Gehilfen Ulrichs (S^g) kein
h\ 8^4 1340: Fekkenhaus, purggrafen, PrivlwuSj purger, ver^
punden, 1342: purger, purgermaiJler, verdorwen, 1343: Perch-
hoff vmwgtparf, prüder \ S,^ als Gehilfe 1345: Purgen^ Purger,
gepurd, prif. — Als Stadtschreiber hat derselbe nach Jahren
noch die gleiche Gewohnheit: 1379: purger, purgermeistery prief.
Ein solches Verhalten ist um so mehr bezeichnend, als Hagen
(Sj,) von 1357 an sich durchaus der Schreibung b für an-
452 Dritter Abaohnitt. 806
lautendes b beflissen hatte; ich finde für dieses Vorgehen
Hagens keine andere Ursache als den Einfluss der kaiserlichen
Schriftstücke, welche in der That auch seit den fünfziger
Jahren erst eine Einheitlichkeit der Wiedergabe von mhd.
b zeigen \ — Auch ein und dasselbe Wort wird in ein und
derselben Urkunde, oft nur der erste Fall von dem zweiten
durch wenige Worte getrennt, bald mit b, bald mit p geschrieben:
I3'd7 : ßaefdipank^ ßuefcftbankj flaefchbanch S^,.
Die klerikalen Urkunden unterscheiden sich in keiner
Weise von den städtischen hinsichtlich der Schreibung des
anlautenden b ; zeitlich finde ich sogar in der fast ausschliesslichen
Verwendung des b eine derartige Übereinstimmung mit den
einschlägigen städtischen Urkunden, dass ich nicht umhin kann,
die Erscheinung auf eine gemeinsame Quelle zurückzufuhren:
die kaiserliche Kanzleisprache von der Mitte des 14. Jahr-
hunderts ab. Während z. B. noch 1345 die städtische Kanzlei
Purgen, Purger. gepurd, brief S^^, 1360 Brotyfch, protyfch
S}7, 1357 aber nur 2» S,,, die bischöfliche Kanzlei: 1343
bis 1345 Pi/fchof nur mit p schreibt, die Klöster noch bis
1355 p und 6 für b z. B. St. Kath. : pint schreiben, haben
die bischöflichen Urkunden von 1349 ab nur 6 für 6: Byfchof
(dagegen 1 x Tumprobst), die Curia schon von 1346 ab anlautend
nur b: untbe, ambt, und nach 1356 auch die Klöster anlautend
nur b, 1346 indes kann ich in den Urkunden Kaiser Karls
noch nicht eine Bevorzugung, noch viel weniger die ausschliessliche
Verwendung des b für b nachweisen; im Gregenteil hat z. B.
eine kaiserliche Urkunde von 1347 an Augsburg nur p. Ganz
unverkennbar aber ist eine Klärung von dem Jahre 1355
ab eingetreten und zwar zu Gunsten des b.
Für auslautendes b ist das Auslautgesetz bis in den
Anfang des 14. Jhs. hinein streng gewahrt; nur b, welches
durch Apokope des folgenden Vokals auslautend wird, bleibt
b. Einmal nur schreibt Sg: 1292: halb neben häufigem p für
* 1346— 1348 war noch p für h in den kaiserlichen Urkunden sehr
vertreten, regelmässig: enpüen, Augfpurg,
207 Konsonantismufl. 463
anlautendes b. 1333 zum hat erstenmale eine Urkunde
von St. Ulrich: lublidh Ubting. Die städtischen Urkunden
nehmen langsam und ohne eine erkennbare Tendenz b für
auslautendes b an. 1342 S^^: libding gegenüber anlautendem
b. Noch 1367 häufig Upting. 1367 St. Uhich : leib. Im Stadtbuch
schreibt S^,, den Handzügen nach yor 1354, mit Vorliebe b
für auslautendes b : uzzerhalb (24 a). lib, sdbwaibel haubten
(35 a), 1350 urlaub (125 a). Nach 1354: halb (38 a).
Inlautendes b ist zwischen Vokalen b und die ganze Zeit
hindurch auch lo, v geschrieben. Eine besondere Vorliebe
haben S,, S, und S^ ^ für v = b: Sg in den Urkunden und
im Stadtbuch : aver {= aber), S, im Stadtbuch (34 a) : aver,
lüitwe. Später hat der Gehilfe S^^, dessen Vorliebe für |? =
anlautendem b wir schon kennen lernten, 1342: verdorwen
(ygl. im Übrigen die Belege). Bemerkenswert ist die Schreibung
Lerchenpdgelin (Achtbuch 1367 S^,). Inlautend b als u ge-
schrieben hat häufig die zerdehnte Yorm prouUt (älteste Urkunde
prouista), Stossen bei der Wortkomposition (Präfix und Grund-
wort) auslautendes b (p) und anlautendes b zusammen, so wird
pp geschrieben: Stadtbuch: Grundtext: apprichet, appraeche
— brichet (28 b).
Inlautend b yor Konsonanten ist in der Kegel, namentlich
anfangs p: gelopt, houpt\ daneben aber ist Regel, gehebt zu
schreiben, in der Form gehabt erscheint häufiger p. Im 14.
Jahrhundert greift b auf dem ganzen Gebiete dieser Verbindung
bt Platz. Dasselbe geschieht in der Zusammenstellung mpt,
d. h. m^ -f- eingeschobenem p. In den deutschen Urkunden
sind es die Wörter: amt^, himt, erlernt, nimtf welche sehr
häufig p und b zwischen m und t einschieben; zeitlich bildet
für diesen Vorgang die Wende des 13. Jahrhunderts eine
'So ist Gehilfe unter Ss. Im Achtbuch sehr oft Gabin für
Oawein, welches in den ersten Einträgen des Achtbuchs häufi^i^er be-
zeugt ist.
* Ich glaube nicht, dass für die Behandlung des amt als ambt die
Erinnerung an seine Entstehung leitend gewesen ist: ambt aus ambaht
454 Dritter Abschnitt. 208
Grenze, indem gerade im 14. Jahrhundert mpt imd mbt auf-
taucht Oertlich kann ich keine Begrenzung treffen ^.
p: anlautend und inlautend: Bezeichnung*
Soweit die geringe Anzahl der Zeugnisse für anlautendes
p eine Bestimmung ermöglichen, ist p viel mehr mit b als
mit /> wiedergegeben. Ausser dem Worte ^Pranger', meistens:
branger geschrieben^ liegen uns nur Fremdwörter vor, und
diese sind weitaus überwiegend mit b geschrieben: bab/tes,
brieHery bropft^ brifun, balmen, ^Priester* wird nur in der Zu-
sammensetzung mit liiU häufiger liutprieRer als liutbrielter ge-
schrieben. 'Stereotyp ist die Schreibung des noch heute in
der augsburgischen Mundart als ^Berla'ch' lebenden berlaich,
*Probst*, mhd. probli, wird häufig brobpit geschnehen (Achtbuch
(53 a): 1343. S^^). Andrerseits finde ich allein Liupold imd
Liutpold als Schreibung für den Namen Liutpold.
Von dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts an wird
die Einschiebung eines p-Lautes zwischen m und s, m und t
häufiger ; namentlich die vierziger Jahre sind reich an diesem
Pj oft b geschrieben. In dem Achtbuch finde ich einmal p
und 8 umgestellt: Samsptag (Achtbuch 51 b. 1343. Vgl. Ob Aren
(= Obersten) 52 b.). — In den fünfziger Jahren wird dieser p-Laut
in allen Denkmälern fast nur b geschrieben: kumbt, haimbt
(Achtbuch 70 a) gegenüber kumpt 1367 (Achtbuch 95 b.).
pf: Belege.
Urkunden:
städtische: 1272—1313: ph. — doch 1296 Bischof an
den Rat:pfaffliait Sg (R.X|,4,6). — 1296.
pfaffhait Sg. — phvnt, phlegere Sg (A). —
1299. phvnt Sg (St. 1). — 1304. phlegar S^
(0. 5). — 1306. Febr.: pfvnt S^. — Juni: phvnt
S^ (U. 2). — 1309. phvnt Sg (A). — Vogt:
pfunt ?. — pfunt S^ (U. 2). — 1311. pfenning.
^ In den lateinischen Urkunden vor unserer Zeit wurde regel-
mässig dampnum geschrieben»
209 Konsonantismus. 455
pfvnt, pfleger S^ (A). — 1312. pfiint, pfenning
Pfingeftwochen S,. 1313—1319. — S„ S^:
pf. - Von 1319—1328: nur ph. — 1323.
Landsberg : pfuut (hl. Cr. 9). — Copie: 1346:
Pfallentzgrafen Sj,. — 1329— 1374: pf, selten
ph: 1329: Pfallentzgrafen S^ (A). — 1332.
pfennig, phunt S^^. — 1334. pfenning, enpfahen
Sjg. — 1334. Hauptmann Y. Ober-Baiern:
pfunt, kupherfmit. — 1335. pfunt^ enphangen,
Pfenning S^. — 1336. pfunt, enpfangen S^.
— 1337. nur pf Sjg. — 1338. nur pf S^j. —
1339. Kaiser: pfunt, Boppfingen. — 1340.
phleger S^^, = Von 1341 an: pf.
Bischof: ph bis Anfang des 14. Jahrhunderts. Im 14. Jahr-
hundert im allgemeinen mit den städti-
. sehen Urkunden zusammengehend. Von
c. 1330 wird pf fest. — 1336. pfennig, phennig
(A). -
Curia: 1327. phenninge (A).
Klöster: 1283. Pfingften (hl. Creutz). — 1358. phenning
(St. Stephan). — Sonst wie die städtischen.
Achtbuch: 1360. Gaifkopf (n. pr.), köpf S„ (22b). —
1370. zappflfen S^« (28 a).
pf: Geltung.
Der anlautende labiale Affrikatdiphthong pf^ des Augs-
burgisch-Schwäbischen im Mittelalter ist zweifacher Herkunft :
1. ist er die regelrechte Verschiebung von germanischem p zu
pf; auch in früh entlehnten Fremdwörtern vertritt ph das p
im Anlaut: phund, pftruende, phaffe, plienninCj phant^ phister
(n. pr.), phluocy phlegen. 2. wird f durch Vortritt des Prä-
fixes erU- und unter dem Einfluss der Verbindung Nasal +
Tenuis zu pf : enpßenc, enphuereny entphaheriy enpJiähen, enpfiolh-
nuffe; andererseits wurde in solchen und anderen Fällen der
^ Vgl. die Ausführungen Kauffmanns über pf als Verschiebung
von p in:Eauffmann: schwäb. Mundart S. 223—228.
80
456 Dritter Abschnitt 210
Affrikatdiphthong zu / erleichtert. — Zum Affrikatdiphthong
ff wurde zuweilen auch, und wird heute noch oft, die aspirierte
TenuiSy welche durch Sandhi entstand in behueten ]> phueten.
Inlautend wird / nach m zu pf : geatemphet (Stadtrecht,
Grundtext 14 b), stemphyfen (Stadtbuch, Grundiert 15 a)*
notnumpff (Achtbuch 32 a. 1383. S^^). Die Aussprache des
pf ist nach der heutigen Geltung zu urteilen: bb + Spirans,
nur erscheint die Spirans sehr milde tönend. Nur in der
Verbindung mpf aus mf ist ein härterer Kang der labialen
Tennis zu hören, welcher fast die Spirans zu unterdrücken
scheint. — lieber pf (ph) im Sandhi ist schon gesprochen.
pf: Bezeichnung:
Das Zeichen ph für den Affrikatdiphthong hält sich bis
in die Mitte des 14. Jahrhunderts hinein ^ Im 13. Jahr-
hundert und im Anfang des 14. ist es allein vertreten, ausser
bei Schreibern, die uns als fremd bekannt sind: S, und
Se (Sg: 1296. pfaffhait, doch 1299. p/wn^. — S^ : 1288. PfingRm,
(St. U.) 1306. pftmU — 1306. phvnt. — Im 2. Jahrzehnt
des 14. Jahrhundert breitet sich das pf mehr aus. S, und
Sg haben: pfaffeuj pfunt pf äffen hat am ehesten und sodann
regelmässig pf. Erst von 1330 an aber wird pf fest, selten
von ph durchbrochen. Die internen Denkmäler zeigen keine
Abweichung von dem Gebrauch der Urkunden *. Die Kloster-
urkunden haben ph neben häufigem pf mehr bewahrt.
f, v: Belege:
Urkunden:
städtische: 1272. fvr, von Sj (U. 2). — 1273. brief, brieve
Si (A). — 1277. froven, frier S,. — 1280.
* Nie jedoch fumpf; fünf ist die Kegel, fimf wird zuweilen ge-
schrieben, z. B. Achtbuch 47. a. 1838. Stu.
^ pf iOcc ph kommt rheinptälzisch schon 1808 häufiger vor: in
einer von Nebert benutzten Speirer Urkunde. (Nebert: Speirer Kanzlei-
sprache, Dissertation Halle 1899. S. 15).
" Von 1340 an ist pf die regelrechte Schreibung, doch sind Falle
wie: pfaff, pherffe, pferit und phatr in einem Eintrag nicht selten.
(Achtbuch 71 b. 1354).
211 KonBonantismuB. 467
frowen, ouf, geueftent, hofe, brief, fumf 83. —
1282. vallet, varn S, (R). — 1283. von, hant-
uefte, geveftent, zinfrellik, brif Sg (A). —
1283. vnuerschaidenlichen, verkaufft S, (C. 3).
— 1286. frow, ovf, furbaz, verkaufft, eigenfchafft,
for- Sg (A). — Dieser Stand bleibt bis 1374.
Klöster: St. Georg: 1282. (zvei), hoven (G. 1); for-.
Spital: 1283. fier, gefestent, firowen. — 1284.
vierden.
St. Ulrich: 1288. forgenantiv (U. 1).
Achtbuch: Bis 1374 der gleiche Stand wie in den Urkunden, ff
wird seit den fünfziger Jahren häufig: 1339. ofFte
(48 a) S15. — 1343. verkoufft (52 b) S,^. —
Taeuffet (62 b) S^^. — 1349. chaüflfent (64 a)
81,. — 1363. ergryffet (71a) S„. — 1367.
Schaüffkneht (95 b) S ^^ ; in der Regel for-.
fy v: Geltung.
Zeichen sind: f, v, selten w! — Die Behandlung der
labialen Frikativa in den augsburgischen Denkmälern des 13.
und 14. Jahrhunderts stimmt durchaus zu der mittelhoch-
deutschen. Anlautend wird sie / und v unterschiedslos ge-
schrieben. Eine gewisse Bevorzugung des / finde ich nur vor
e und r, doch ist z. B. das in jeder Urkunde vertretene gt-
fettent: 1283 (S3) geveftent neben hantuelie, zinfvellik geschrieben.
1283 schreibt der Schreiber des Spitals nur / für r: fier, ge-
feAentj frowen. Schreibungen des vor- als for- sind nicht
selten (vgl. die Belege). Regelmässig wird die Präposition
für mit / geschrieben. Sobald / stimmhaft wird, erhält es
gewöhnlich das Zeichen t?:1273Si: brief, brieve {1273 Sj^). —
1280 S3 hofe, geuesteni, brief.
Die Aussprache der Labialfrikativa kann nur f gewesen
sein und zwar ein f-Laut, welcher nach Nasallauten sogar zum
Diphthong j>f (ph) neigt. So erklärt sich die auffallende
Schreibung des Eigennamens : Lerchenpögelin (Achtbuch 26 a.
1367 S^,) mit p für v durch den Einfluss des n auf den
30*
468 Dritter Abschnitt. 212
frikativen Laut, v wurde durch dasselbe Gesetz, welches /
nach m z. B. in geltemphety f nach n (nt) in enpfangen zum
labialen Afibikatdiphthong machte, zu pf, pL p ist dann durch
die Flüchtigkeit des Schreibers ein Versehen für ph. — In-
lautend ist wohl schon zu unserer Zeit eine Schärfung
der tönenden Frikativa v zu f eingetreten: die Schrei-
bungen mit / in Jiofen, briefe mehren sich im 14. Jahr-
hundert. Ich glaube, dass im einzelnen Falle das Statt-
finden und Nichtstattfinden der Apokope in Rechnung zu
ziehen ist; namentlich wird energische Betonung in einzelnen
logisch wichtigen Worten des ürkundentextes die Schärfung
zuy hervorgerufen haben, wie sie vor diesem Vorgang Ursache
zur Apokope und Synkope des dem v folgenden Vokals war;
die in der Schrift in solchen Fällen, auch nachdem das
Zeichen / für die lautliche Schärfung verwendet worden,
festgehaltenen Vokale, sind auf die Gewohnheit, die Endungen
(Flexionssilben) voll zu schreiben, zurückzuführen. In der
Verbindung ft finde ich einmal ainliften mit ph geschrieben :
ainliphten. Da dasselbe Schriftstück stark schwäbischmund-
artlich gefärbt ist, — es enthält unter anderem auch die ver-
einzelte Schreibung des s vor t mit seh: eätfchten^ so glaube
ich in der Schreibung jpA eine phonetische Absicht des Schreibers,
es ist ein Schreiber von dem Eloster z. hl. Kreuz, sehen zu
dürfen.
f, v: Bezeichnung.
/ und V wechseln regellos ^. Es können daher nur Einzel-
heiten hervorgehoben werden. Das aus dem Diphthong ph
durch Erleichterung nach langem Vokal und r und /* ent-
standene / ist immer / geschrieben, meistens verdoppelt ff :
^ Niklas von Wyle lässt sich darüber folgendennassen vernehmen :
ir vil schrybent das wort flyss durch ein v daz na'^ch vnderwysung der
ortogT&phie durch ain f vnd nit durch ein v recht geschrieben werden
mag daone daz t; geet niemer in crafft ains f im folge dann ain yocal,
sust 80 oft ain consonant hin na^'ch geet, so belyps es am v Tocalis'.
(Müller, Quellenschriften S. 15).
• vgl. Weinhold, mhd. Gr. § 170.
213 Konsonantismus. 459
kauffen, lauffeuj {gdoffenf), offen *, griff en^ tauffen, getauffet Diese
Schreibung mit ff wird zur feBten G-ewohnheit seit den sechziger
Jahren (vgl. die Belege aus den Urkunden, dem Stadtbuch
und Achtbuch). Einmal wird vogt mit w geschrieben: wogete
Nov. Sj (Stadtbuch 37 a), wor (= vor) an derselben Stelle,
burggrawen, im Grundtext nur burggrafen. — geverde in der
Formel 'ane geverde' wird regelmässig mit vxmdu geschrieben,
aifdiften mit ph ist schon erwähnt, desgleichen LercJienpögelin.
funph hat eine Urkunde des Klosters z. hl. Kreutz v. Jahre
1350 neben: phunt, phleger,
w: Geltung und Bezeichnung.
w stimmt vollständig zu dem mittelhochdeutschen w^.
Anlautendes hw ist mit w zusammengefallen. — Gesprochen
wird w oft mit grösserer Schliessung der Lippen wie 6, vgl.
das bei der Besprechung des Lautwerts von b Gesagte. Es wird
daher oft b geschrieben, vgl. dieselbe Stelle. Die Schreibung
2vei {w durch v wiedergegeben) in einer Urkunde des Klosters
von St. Georg 1282 steht vereinzelt da und beruht wohl auf
demselben Schreib versehen, wie wogete, wor für vogete, vor im
Stadtbuch (vgl. bei /, v).
d und t: Belege.
Urkunden:
städtisqhe:
d (an- und inlautend) t und auslautend d
1272 Si(U.II): Tvfent, tvn, (Tvfent) verfvmet, fehent, Gotef-
vnde. hvfes, Sante.
1277 Sg (A): d. beid, chvmt ....
1280 Sj (H), Sg (A) : d. thvn, zaehenden, -nt.
1282 S^: vnde. tun, fände, -nt.
1282 S«: vnde. t; vnd, drvnder, hinder, -nt, want.
^ Fressant reimt : 447 : 448 geloffen : offen,
• Weinhold: alam. Gramm. S. 127 ff. vgl. Weinhold: mhd. Gr. § 178.
i[[auffmann: schwäb. Mundart § 183.
460
Dritter Abschnitt.
214
d (an- und inlautend)
1283—1296: S^, S«,
S,: d.
1284 83 (A): d.
1285 S, (C.3): d.
1298 84 (G. 1) : leben-
tigen. — 1302 83 (hl.
Cr. 4): veld, red.
8e (C. 6) : d.
1303 83 (A) : d.
1304 8^: velde, fri-
wende.
1313 8« (0.6): d.
1315 83: lipding.
1329 S^ (A): d.
1330 8^ (A): (kais.): d
1345 8^3 (hl. Cr. 5): d.
1348 8^,: d.
1357 81, (0.6): d.
1374 813 (R. 12): d.
t und auslautend d
83 thvn, Taeten, -nt, folde, lande.
vierdeDy fände, tun.
1285 82 (0.3) thvn. vnd, folde, folten,
-nt, — 1296 83 : Taetterlich, baiden-
thalben. — vaeterlich.
-nt. — 1299 83: gefwiftergid.
83: anthwrten, wordten.
band (3. pl.), frivind, fient, geaeftent.
— wanden.
vierden, -nt. — 1306 83: frivnd,
(veld.).
vnder, veld (d.). — 8,: vierdhalp.
aubend, pfüt. — 1321 8, (A): gand.
band (3. pl.) phvnt, Nivnden.
ftand (3. pl.) chvnt, land, frid, Lant-
frit. — 1335 81 j (U. 5): wanden,
fant, bände {= hatte),
gepurd, friunt. — 1346 S„ (H):
ftand (3. pl.) frivnd (g. pl.). — 1348
^17 (^- ^) * ^^ haben, ze niezzen.
ze habend, ze niezzend, habend (3. pl.).
— 1351 8j,: haund.
gebürd, geltent. — 1366 8„ (A):
phund, hant (3. pl.). — 1367 Sj.
(B): wortten, gelertten.
kind.
Bisch, und Domkapitel:
1289—1296: d. tun, beftetter. -nt. — 1293 (A) : vnd,
-nt. — 1296 (R. 5, 7): gottes, g6t-
lich.
216
KonsonantiBmus.
461
d anL uud inl.
1300 (H. 13): d.
1348 (Dom). (C. 5): d.
St.Cath.:1279(0.2):d.
1295: d. — 1311 (A):
trinzeheDhundert. —
1324: d. — 1348: d.
Spital: 1283 (A):
thufenty ynde.
St. Ulrich: 1301: d
1333: libting.
St. Georg: 1338: d.
t, und d auBl.
t; tailend (ger.) -nt. — t anL; t,
selten d, auslantend.
ze habend, habend, habend (3.pl.).
— 1351. vrchünt. — habend.
Klöster.
-ent
th. — 1324: vierden, band (3. pL),
Mänod ; 3. pl. : fehende, hörende, lefend.
thun, theten, tak, -ent.
-ent, fant; t.
-ent
3. pl. : lesend, hörend, fehent, achtnn-
den, kunt.
Achtbuch:
Anl. und inL d wird d geschrieben, z. B. : Mordacftes (1347 S^.^
(12 a)). dufent (1371 S^^ (102 a)).
1338 Sjg: band (3. pl.). 1338 (48 a) S^,: alsoffte er
ez tünd. 1341 (51b) S,»: band (3.pl.). 1340 (6 a) S^^:
mort, obtath, erm&rt, f<. 1341 (6 b) S^^: ward, todfchlag.
1343 (10 a) S15: Bürge. 1346 (66 a) S^, : haund. 1347
(12 a) S,,: todfchlag. 1349 (62 b) S^,: ftund (:== ftand).
1349 (15 a) Sj,: ward, fand, hand(3.pl.). 1350 (15 b) S^,:
hant. — band, ftänd (65 b). 1350: Tngeratenheid, bofheit.
1352 (16 a): habend (3. pl.) habent (3. pl.). 1357 (20 b) 8,,:
haund (3. pl.). 1367 (26 b) S^,: Totfchlag. 1368 Si,: Bad-
hüs. 1368 (27b) S^^: hant (3.pl.). 1369 8^^: Elyzabeth.
1370 (28 b) Si^: hänt (3. pl.) ayd, friund, haltent (part.).
d und t: Geltung.
Wenn wir b der lebenden Augsburger Mundart und des
13. und 14. Jhs. als an der westgermaniBchen Lautyerschiebung
462 Dritter Abschnitt. 216
nur bedingnngsweise beteiligt erkannten, indem es im Anlaut
und im Auslaut einen geminierten Klang annahm und dadurch
hinter etymologischem p derselben Mundart nicht zurückstand,
sobald es mit einer gewissen Schärfe ausgesprochen werden
sollte, so entspricht das heutige augsburgische wie gemein-
schwäbische d noch ganz dem gotischen d. Diese Thatsache
gilt auch für die frühere Zeit, und wenn auch im allgemeinen
die schriftlichen Quellen gegen die Nichtverschiebung des d
zu t zu zeugen scheinen, so ist für mich die Sonderstellung
des oberdeutschen d in der Augsburger Mundart auch ^es
13. und 14. Jhs. zur unumstösslichen Gewissheit geworden.
Das Auslautgesetz ist anfangs in der Schreibung ziemlich
treu gewahrt, wenigstens gehören die schliessenden d bis ins
zweite Drittel des 14. Jhs. hinein noch zu den Seltenheiten,
und zuweilen, wenn sie auftreten, lässt sich eine gewisse Ge-
setzmässigkeit in ' der Vertauschung des gewohnten t mit d
nicht verkennen, wozu ein Systemzwang dann das Uebrige
thut, um den Kreis der Schluss-d zu vergrössem. Diese
Gesetzmässigkeit aber ist ein frühes Produkt der Mundart
In allen andern Fällen verwies das Sprachgefühl den Einzelnen
immer mehr auf das d. Es klingt nämlich heute auslautende
geschriebene Portis (für germ. d) nicht = «, sondern = tA, ja
genauer möchte ich sagen — denn ein t im norddeutschen
Sinne kennt der schwäbische Dialekt nicht — , = rfd/i, zuweilen
dh. Wir haben also hier für die norddeutsche Verhärtung
der germanischen Lenis zur Portis eine Konsonantendebnung
nur mit verschiedener Explosionsdauer vor uns, die Explosions-
intensität ist bei etymologischem d und etymologischem t keine
verschiedene. So erklärt es sich, dass die schwäbischen Schreiber
in der Erkenntnis der geringen Aehnlichkeit ihrer Schluss-
Explosiva mit den anderwärts gehörten schon früh dem all-
gemeinen Gesetz absagten und d mit t wechseln liessen. Als
ein weiteres bewegendes Moment zu solchem Verfahren wird
allerdings die Thatsache gelten müssen, dass schon vor der
gesetzwidrigen Verwendung des d im Auslaut die Apokope
der Endungen in der Schreibung gebräuchlich geworden war,
217 Konsonantismus. 463
SO dass den Schreibern, welche solche Formen gewohnheits- und
sprachgemäss mit dem Buchstaben d endigen liessen, nun auch
die hier ihnen vor Augen liegende Schreibung derselben sorg-
los auf etymologisch nicht zugehörige Orte übertrugen \ Um
eine solche Yerführung des Auges zu verstehen, ist es nötig,
sich das Bild einer Urkunde zu vergegenwärtigen, welche in
ihrem Sprachgut Bestandteile der oben beschriebenen Art
enthalt Das erste Wort, welches in Betracht kommt, ist kuntf
dasselbe behält sein t unbeirrt, weil es erstarrt ist in der An-
fangsformel ; darauf folgt zumeist ein frivnde, später mit Apokope
frivnd, und ausserordentlich häufig, nachdem es im Beginn
des 14. Jhs. in den Formelschatz aufgenommen ist, velde (in :
ze dorfe vnd ze velde) regelmässig seit dem dritten Jahrzehnt
des 14. Jhs. veld geschrieben, frivnd und veld sind durchaus
durch die Aussprache bedingt, welche den Abfall des e nicht
so stark empfinden Hess, dass das Wort eines stärkeren Schlusses
bedurfte, als d ihm gewähren konnte. Damit war dem d die
Fähigkeit gegeben, in der Schrift ein Wort zu schliessen; in
der Aussprache aber entfernte sich das berechtigte t schon
längst nicht soweit von der 6eltuDg des d, dass der Schreiber
unter dem Doppeleinfluss des Auges und des Ohres nicht
ersterem mechanisch folgend, auch die weiteren mit Dentalis
fortis und -lenis schliessenden Wörter gleich behandeln konnte.
Verbindung mit Liquida hat zweifellos am frühesten
fordernd auf die Verminderung der Explosion eingewirkt Ana-
loge Fälle besitzt das Schlesische *. Birlinger ^ hat seiner Zeit
aus dem Nachlasse Schmellers eine Bemerkung des feinsinnigen
^ Am frühesten hat sioh die Partikel unde in der Schreibung dem
Zwange der Mundart gefügt, nachher jedoch ihr nun auslautendes d bei-
behalten; die wenigen Schreibungen unt können geradezu als nicht-
augsburgisch gelten ; sie erscheinen nur in Denkmälern, deren Zugehörigkeit
zu dem augsburgischen Dialektgebiet in Zweifel steht. — Auch das
germanisierte santCj aantj hat sich diesem Einflüsse bald unterworfen.
geburte ist in der apokopierten Form geburt zu gebiird gewandelt und
so geschrieben worden.
« Vgl. Weinhold: Dialektforschung S. 81.
• Birlinger: augsb.-schwäb. Wörterb. 102, 11.
464 Dritter Abschnitt. 218
Dialektforschers zitiert: 'Die in- und auslautenden d des
bayrischen, oberpfalzischen und fränkischen Yolksdialektes
scheinen eine Fortführung der ältesten Sprache zu sein: stady
rodj hlued . . .' und in derselben nur seine eigene Beobachtung
bestätigt gefunden.
Die auffallend häufigen Schreibungen liand (3. pl.) und
gänd (3. pl.) gegenüber gleichzeitigen -eni in anderen Verbal-
formen dieser Art dürften nicht unter dem Einflüsse des n
ein d gegen t eingetauscht haben, sondern hier hat die üeber-
länge des a als ao, au nur einen geringen Tonraum für die
Dentalis übrig gelassen ; ich möchte diesem Vorgänge die Er-
scheinung im Schlesischen vergleichen, dass auslautend nach
Längen und in Liquidaverbindung die Tennis der Jtfedia
weicht, wie das Weinhold ^ an Beispielen ausführt. Verweilen
wir einen Augenblick bei diesen Formen der 3. plur. praes.
ind., so stellt sich ihre Bedeutung für den Charakter der ür-
kundensprache noch nach einer andern Richtung hin heraus.
Diese Formen, in der Gestalt, wie sie die augsburgischen Ur-
kunden ausschliesslich' aufweisen, d. h. mit -en^ sind als
Charakteristikum des Augsburgischen und Oemeinschwäbischen
allgemein schon anerkannt. Sie erleiden nun um die Mitte
des 14. Jahrhunderts eine Veränderung ihrer Gestalt, d. h.
zu der Zeit, wo man geneigt ist, den Einfluss der kaiserlichen
Kanzleisprache beginnen zu sehen. Die augsburgischen Formen
aber werfen nicht t ab, was sie allein den entsprechenden
Formen der kaiserlichen Urkunden hätte gleichmachen können,
sondern die Schreiber setzen d fiir e in dem Bewusstsein der
^p' Notwendigkeit einer schriftsprachlichen Aenderung auf Grund
der gesprochenen Sprache. Wahrlich ein eindringliches Zeugnis
für die noch sich kundgebende Ueberlegenheit der Mundart
über die Schriftsprache!
1 Weinhold: Dialektforrchung S. 82.
' Ich sage 'ausBchliesslich', weU ich SchrifUtücke, wie Urkunden
Rudolfs (83)1 in denen die 8. plur. ind. praes. auf -en endigt, nicht als
'augsburgiscbe' Schriftstücke anerkenne, da Hudolf damals, als er lesen
. . . schrieb, noch ganz unter der Hacht seiner alten, aus dem öster-
reichischen Dienst mitgebrachten, Schreibgewohnheit stand.
219 Konsonantismus. 465
Im Inlaut und im Auslaut wird d (genau: dhj ddh) sowohl
fiir mhd. d als fiir mhd. t gesprochen. Die Mundart verrät
sich z. B. in einer Urkunde von 8,3 (1336. freitag vor St.
Marien Magdal. tag) in der Schreibung Sehlden für SehAen.
Schreiber Sjg ist sicherlich ein Augsburger, nach seinen Schreib-
produkten zu urteilen. S^ schreibt in einer Novelle des Stadt-
buchs (49, b) : edwas. Fressant reimt : 81 : 82 wandel : mandeL
297 : 298 lande : erkande. — d im Wortanlaut für mhd. t ist
noch durch die anfangs in den Urkunden des 13. Jahrhunderts
herrschende Schreibung mit th bezeugt: thun und tlmseiitj bei
letzterem steht th für germ. thy welches mhd. der gesammte
oberdeutsche Sprachzweig als t erscheinen lässt^ Achtbuch
102 a: 1371 (Sie) hat dufmty (1321 S^) drinchen. In einigen
Wörtern lässt sich heute hinter n ein weicher T-Laut hören,
ein epenthetisches t (d). Dass derselbe der Mundart schon
früh eigen war, bezeugen Reime und Schreibung im 14. Jahr-
hundert. Fressant reimt: 241: 242 landen : mannen, die Ur-
kunden haben nicht selten beidenthalben (1296 S5), wilunt, inlent^y
niendert (Stadtbuch 34 a S ,), ietwederthalben (Stadtbuch, Grund-
text 20a) doch: anderhalben (Stadtbuch 60a S^,). Denn
mannen (Fressant 242, reimend auf landen) mit der (j-eltung
von manden stellt sich das -mand in iemend in den Urkunden
des 14. Jahrhunderts zur Seite. Ich glaube, dass in dem d
hier ein organisches d zu erblicken ist mit Bücksicht auf das
nordische mddhr, welchem ein urdeutsches manth entsprechen
würde. In der Behandlung dieses d in iemand jedenfalls machten
die Schreiber unserer Zeit in Augsburg keine Ausnahme von
dem Auslautgesetz, es erscheint auch als t : iemant. Der T-Laut
ist sicher gesprochen worden.
^ Das Zeichen th ist althochdeutsche Schreibung and ist als solche
nach Weinhold (mhd. Grammatik § 196) auf fränkisohe Vorlagen zurück-
zuführen. Holtzmann nimmt gleichfalls (ahd. Grammatik 281) fiir die
th'^t fränkische Vorlagen an; vgl. dazu: Braune in P. Br. B. I, 58
über th.
* wilent ist gemeindeutsche Nebenform für wUen, und es liegt ihr
wohl eine Verwechslung mit einem Partizipium Praesentis zu Grunde,
welches eine Partizipialkonstrnktion in sich schliesst.
466 Dritter Abschnitt. 220
Dem Zusatz eines unorganischen d steht ein stellenweise
eintretender Abfall gegenüber. In dem 13. und 14. Jahrhundert
finde ich ihn nur in : liupriefter^ Liupold, amman, haupffut (Stadt-
buch 14a; 15a) doch: amtnian (Stadtbuch 14b S^); kusprot
im Stadtbuch neben histbrot, gefchutze neben gefchiUzde (Stadt*
buch, (xrundtext 76 b). — Ausgestossen ist auch das d nach
Synkope des Vokals in : Ulrich = üdalrich (noch in der ältesten
Urkunde: Odalrich) und Älltreht aus Adelbrekt (vgl. Adelgozze
in der ältesten Urkunde). Dieser Vorgang muss lange vor
unserer Zeit stattgefunden haben, nicht ein einziges Mal mahnt
eine zufallige Schreibung Üdalrich . . . daran, dass die Ent-
stehung des 'Ulrich' dem Volke noch bewusst gewesen ist. —
Assimiliert ist t vor p in: Walpurge, auch in der lebenden
Sprache. — Die Kontraktion des -edi zu ei in reitt (= redit)
ist ein ähnlicher Vorgang, wie der von Udal > Dl, Adel > AL
d und t: Bezeichnung.
Nach dem Vorangehenden haben wir die Schreibung der
mhd. Dentalis d (aus germ. th) unter zwei G-esichtspunkten zu
betrachten. Einmal: wie weit reicht der Einfluss der ahd.
Schreibweise ? und zweitens : wie weit haben sich die Schreiber
gestattet, dieselbe nach der lebenden Mundart zu modifizieren ?
Fremde Beeinflussung kommt nicht in Betracht. — Mhd. d
im Anlaut ist als d bewahrt. Bei dem Grebrauch der ältesten
Urkunde: dinont, die mit d zu schreiben, beharren auch die
städtischen Schreiber unserer • Periode, ebenso die klerikalen.
Die Behandlung des d im Auslaut und im Inlaut hat im
13. Jh. mit dem Einsetzen der deutsch geschriebenen Urkunden
eine geringe Wandlung erfahren, welche teilweise der Mund-
art näher liegt, teilweise dem mhd. Schreibgebrauch sich
unterordnet; die eben festgestellte Wandlung ist dann im Laufe
des 14. Jhs. einer Weiterung unterzogen worden, welche cum
grano salis aus dem Einfluss der Mundart erfolgte. Während
nämlich die älteste Urkunde phruonte, haute neben haideshusin
(n. pr,), waUbach (n. pr.), harthusin (n. pr.), gebehart, Reginhart,
wolfhart (n. pr.) und Cuonrat neben Gumpred enthält, erscheint
221 Konsonantismus. 467
mit den. ersten deutseben Urkunden (S^ und S^) des ganzen
augsburgischen Gebietes d auf die Stellung zwischen zwei
Vokalen und zwischen n + Vokal beschränkt : imde, vrktmde,
zaehendetif tode, drvnder, hinder gegenüber : feheni, chvntf C/tvnrat,
want ; die Urkunden der Hand 83 haben von Anfang an : fand
(zunächst fände) für fant (1283 — 1304 in jeder Urkunde seiner
ELand) ; ausserdem erkennt S3 richtig die Erweichung (genauer
Verminderung der Explosionsdauer) des T-Lautes nach / und
r: gebvrde 1283, vierden 1284 gegenüber t in allen diesen
Stellungen in den Urkunden von S^ aus dem Jahre 1280;
1283: folde (Stadtbuch)« irrenwolde; 1295 foUle neben folten in
einer Urkunde. Unter Sg tritt auch zum ersten Male das nach
der Apokope des Vokals unberührte d auf: 1302 24. Febr.:
ze veld, red. 1303 23. Juui Rat: mvtend fpart. praes.). 1303.
frivindy fient, hand (3. pl.), fand. Die Macht des n + vorher-
gehendem langen Vokal scheint er ebenfalls zu achten: er
schreibt 1303 wanden (wähnten). — gelvbde hat nach der
Synkope des e sein d bewahrt. — S5 hat im Stadtbuch (Novelle
40 a) schon todslach mehrmals neben vnderwinden.
Zu dem eben beschriebenen Zustande in den städtischen
Urkunden verhalten sich die klerikalen folgendermassen. Bis
1300 kennen alle klerikalen Urkunden nur schliessendes tj
auch nach Liquida, fant ist ihnen allein geläufig. In eine
Urkunde des bischöflichen Schreibers von 1300 zeigt sich das
Gerundium mit d geschrieben: tauend; 1302 hat St. Marga-
retha: wavnde, Sand, fölie und -ent (3. pl.).
In der nach Sg fallenden Zeit erscheint d nur am Schlüsse
nach Apokope des Vokals, sonst t d haben also die Gerundien
(z. B. 1309. 10. Aug. ze ezzend vnd ze trincfiend. Inlautend
steht d fUr t nach n 1331: vnder] 1336: wandeti S^^; diese
Form steht mit gleichen Zahlen dem waimten, wonten (= wähnten)
gegenüber; 1336: hinder S^g. Mit S,, beginnt 1313 die
Freiheit in der Behandlung des Schluss -d. Es wechselt
1313 manod mit manat (1313 vierdhalp neben manacQ. 1315.
Sg: aubend apokopiert, manod neben pfant, 1317. Sg: pfund,
pfunU 1323. Sj : iemend, — hand und gand (3. pl.) werden fest
468 Dritter Abschnitt. 22S
(1321. 1323. 1324 bei zwei Schreibern S^ und S^^ (G-ehilfe)).
Auch im S^dtbuch später: 1342. S^^: hand. 1330. Kaiser,
aber von S^ geschrieben: Rand. 1346. S^.^: ftand.
Die gleichen Verhältnisse bestehen bei den klerikalen
ürkundenschreibem. Die ungeregelte Verwendung der Zeichen
für Schluss -d hat sich aber hier ganz vorzugsweise fest-
gesetzt; so schreibt St. Cath. 1311: geleitzed, fant] St. Georg
für die 3. plur. 1338: lefend, Mrend gegenüber feherUj kunt,
aMunden» Curia: 1345: habend (3. pl.) neben: ze habend vnd
ze niezzend, ze veld, vzbezaickent fpart. praet). 1346 : ze hobent
vnd ze niezzend, fryund (apokopiert aus fryxmde). Vordem aber
kehrte der Schreiber der Curia 1331 eine starke Neigung
zu t heraus, so dass er es auch inlautend setzte, er schrieb
also: wert^ (3. sing. conj. = werde), iemanb, sant, vnder. 1351:
vrchunt\ 1350: ze habent vnd ze niezzend, d. h. sogar t und d bei
gleicher Stellung und gewissermassen im selben Handzuge.
Die von der bischöflichen Kanzlei in den vierziger Jahren
ausgehenden -end für -ent (3. pl.) finden auch bei den Stadt-
schreibem 1351 Aufnahme; S^, gebraucht Itabend neben
haund (letzteres nach alter Weise). In den sechziger Jahfen
hat d so ziemlich auf der ganzen Linie gesiegt, vereinzelt
steht 1366 : Iiant (3. pl.) gegenüber phund, welch letzteres sich
am längsten gewehrt hatte. 1367 : veltHreit gegenüber ze veldy
haund (S^^). Das epenthetische d finde ich ausser jenen
schon bei der Besprechung des Lautwerthes herangezogenen
Belegen nirgends in den Urkunden; in den Einträgen des
Stadtbuches dagegen ist es unläugbar gepflegt. — Von den
Wortbildungen mit -te (=-üie, -ede): gelubde, gefchaefUf ge-
dingde, gemaechde erscheint nur geschaefte mit t (Stadtbnch,
Grundtext 19 a und 76 a), mit d: (Grundtezt 36 b).
Anlautend ist t für d nur in dem Wort lipting häufig
geschrieben, es hat sich auch in der anderen Form : UbgeHnge ^
* Im Stadtbuch schreibt S9 werd (= wert).
' Das Stadtbuch kennt nur lipgedinge und dinc. Aus den Urkunden
ist die Form mit t belegt: 1296, Upgetinge (U.2). 1888. Si«: libting.
1315. Sg: lipding.
223 KonsonantiBmus. 469
erhalten und in dem einfachen fing (z. B. : vogtes ting), nie
aber ist es auf das Substantivum dinc = 'Bing, Sache' über-
tragen worden. Es lebte wohl auch in dem Volksmunde
diese differenzierende Verwendung des ^ für (i ; darum glaube
ich, dass diesem Wort eine eigene Behandlung zukommt.
Fremdwörter haben meist t erhalten : so ist techant überwiegend
für lateinisches decanus geschrieben.
t: Bezeichnung.
Anlautend ist t in den städtischen Urkunden anfangs
mehr als A geschrieben, regelmässig von S^ und S^ in dem
Worte ^thun in der Eingangsformel von 1280 an. Die aller-
ersten Urkunden haben auch hier nur t In tusent findet sich
ein unorganisches ^ für ü ein, es wird in einer Urkunde des
Spitals durch th ersetzt: 1283: thufent neben thun^ t/ieten, Sg
bat nur t, und in tun bleibt t nun fest. Im 14. Jh. findet
sich th auch in klerikalen Urkunden nicht mehr. Eine Urkunde
Landsbergs aus dem Jahre 1323, unter dem Stadtsiegel von
Landsberg in diesem Orte wahrscheinlich durch den Stadt-
schreiber von Landsberg ausgestellt, besitzt noch th.
Auslautend ist t für d in den meisten Fällen schon be-
handelt bei d: in fant, geburt, hant (3. pl.) wird es häufig zu
d\ die Endung der 3. sing, praes. ind. endet immer auf tj
das part. praet. einmal auf d: gefeiized 1311. (hl. Creuz).
In älterer Zeit (ahd.) tritt vielfach ein h am Schlüsse nach
t an zum Zeichen der Dehnung ^ Zu unserer Zeit (von 1272
bis 1374) erscheint h noch einmal in obtath (Achtbuch). Das
h soll wohl die Aspiration der auslautenden Tennis (wie sie
in der heutigen Sprachform lebt) andeuten*. — Erwähnt
werden muss an dieser Stelle noch die Schreibung in dem
Präfix ant-y ent-: das Verbum 'entlösen' wird von S^ in der
Regel entfUöfen, auseinandergezogen enthelöfen, geschrieben;
1302 von demselben: anihxjorten. Auch S^ muss uns als ein
der Augsburger Mundart femstehender Schreiber gelten, und
^ Ygl. die Belege bei Eaufifmann a. a. 0. S. 207, Anm. 3.
' Ygl. Kaufifmann ebenda.
470 Dritter Absohnitt. 224
darum kanu seine Behandlung mancher Laute als auf pho-
netischen Versuchen gegründet gelten, ähnlich wie das Ver-
fahren von Sg. Einen gleichen phonetischen Versuch hat S^
mit dem Worte wordten vorgenommen; dt^ th sind für ihn
Ausdrucksweisen eines gedehnten T-Lautes: jenes dcUt.
Verdopplung des t tritt zuweilen ein, mit grösserer Regel-
mässigkeit in Väterlich^ : vaetterlich und vaStterlich geschrieben ^.
Da sich die Erscheinimg wiederholt, dass der Vokal vor
solchem Doppel-t seine Dehnung nicht verliert oder sie
sogar graphisch dazu erhält, so dürfte es nicht geraten sein,
in der Gemination eine Verdopplung im heutigen neuhoch-
deutschen Sinne zu erblicken, es ist mit ihr wohl nur die
Konsonantendehnung beabsichtigt, welche sich uns bis jetzt
als Orundzug nicht allein der schwäbischen dentalis fortis
herausgestellt hat. Die Gemination ist eine Schreibmanier,
welche gerade im 14. u. 15. Jahrhundert wuchert und deren
Vorboten sich schon von Anfang unserer Zeit an bemerklich
machen: stette, goUes, bestetter, veiterlich. Die Begründung
dafür, dass der t)oppelschreibung keine besondere lautliche
Bedeutung zufällt, hat Heusler^ durchzuführen gesucht; ich
bin ihm zu widersprechen geneigt in Fällen, in denen U als
ein Resultat vokalischer Synkope anzusprechen ist, z. B. das
schon erwähnte beHetter darf als Nebenform für beäeteter gelten \
* Andere Fälle der Gemination von t sind: reutter (Achtbuch 62b);
bimwurft (62 b.) - Urkunden : wirttef (1325 : 8» (A.)) ; (ritten 1836.
Kaiserl. (A.)); gelertten wortten (1367. Si« (A.)); miU (1355 8t. Kath.)
^ Heusler, alam. Konsonantismus S. 37.
* In andern Fällen möchte ich die Erklärung Schmellers herbei-
ziehen: Schmeller führt nämlich als Eigenheit des Bairischen folgendes
an. Wenn Eingeborene ihrem Dialekte sich enthebend rein hochdeutsch
sprechen wollen, so geben sie zwar die meistens diphthongische Aus-
sprache der Längen auf, es widerstrebt aber ihrem Sprachgefühle, sie
vor geschärften Consonanten zu dehnen. Sie sagen also ratten, spätter,
blutten statt rätetif später, bluten (bluten). Blankenburg hat das gleiche
von Abraham a. St. Clara nachgewiesen, der ein geborener Schwabe in
Baiern und Oesterreich und 1688 bei Augsburg, d. h. im bairisch-schwäb.
Gebiet lebte (G. Blankenburg: Studien über die Sprache Abr. a. St. CL
Halle 1897. S. 20. 40 ff.).
8S5 KonsonantismuB. 471
In der nach unserer Zeit fallenden Schreibung di wird das
noch mehr zutage treten, und es wird nicht immer in einem
dt, td nur der Ersatz einer einfachen stimmlosen Dentalis zu
erblicken sein^
z: Geltung.
Die Verschiebung der gemeingermanischen Tenuis ist in
der gebildeten Sprache der früheren Zeit wie heute der lin-
guale Aflfrikatdiphthong z = t8 geblieben im Auslaut. In-
lautend hat er sich nur erhalten nach kurzen Vokalen,
nach l, r, t, vfo tt = tj zu Grunde lag ; in allen anderen Fällen
wandelte er sich zu einer langen Reibelautfortis = scharfem s.
Im Auslaut trat im mhd. durcliaus s an die Stelle der
AfFrikata, seit dem letzten Drittel des 13. Jh. in Augsburger
Schriftstücken auch durch die Schreibung s kenntlich gemacht. —
Die Geltung des anlautenden z und des z nach kurzem Vokal,
nach /, r, t und in dem Wort Cruce als ts wird gesichert
durch die namentlich im 13. Jh. in den augsburgischen
Denkmälern aller Art überlieferte Schreibung mit c: z. B.
ce = ze, hince, swarces, Cruce ; der lange Reibelaut wird kenntlich
gemacht durch die Schreibung zz, noch im 13. Jh. durch Ff
und sogar durch fz (zJ) ersetzt, welch' letztere Schreibungen
im 14. Jh. sich ausbreiten. Anlautend entsteht die Reibe-
lautfortis in fzwen aus etestoenne, etetnven, noch 1391 im Acht-
buch häufig.
z: Bezeichnung.
Anlautender Affnkatdiphthong wird mit z, c wiedergegeben.
Letzteres Zeichen steht jedoch in den Urkunden nicht im
^ Ein solcher scheint allerdings das dt der Praxis eines Luzerner
Stadtschreibers (Renvard Cysat 1575?) zufolge zu sein. Unter der Aegide
dieses Hannes, welcher von Brandstetter als ein scharfer Sprach- und
Formenbeobachter, mannigfach literarisch und organisatorisch thätig,
geschildert wird, bringt ein Schreiber in sehr vielen Schriftstücken
seiner Unterbeamt^n und auch in früheren Urkunden Korrekturen an,
darunter für lant lüten : landt lüten, für lant aigel : land aigel, d. h. 'man
hatte die Latitüde land oder landt zu schreiben, lant wurde dagegen
als Fehler angesehen' (Geschiohtsfreund 47, 276).
31
479 Dritter Absolmitt. S26
Wortanlaut ftbr jp, sondern nur im Silbenanlant: Unoe, Chrihee,
iareiten neben iarziten, dagegen im Stadtbach häufig ce, hmoe,
swarces, cinaK Im 14. Jh. verschwindet 0 für z] in Critce hält
es sich noch länger: 1324. Crucea S,. Im Inlaut greift noch
im 13. Jh. tz, tzz für z Platz : Adäzigolien neben ahzek, fetzzen^
vntzzerbrochen, vntz, fUzet, gaentzlich, Nivntzigo/tem. Ueberhaupt
wird tz nach n für 2: bevorzugt. Ausserdem in Chrittze, z. B.
1333. Sjg. Inlautend zwischen Vokalen wird die Affiikata
nach langem Vokal zum langen Beibelaut, bezeichnet durch
z, zzj 8s, (8Z9 Z8j auch £2:2: (Truchfastzze). Von diesen Zeichen
gehört Z8 im 13. Jh. nur klerikalen Urkunden an, im 14. Jh.
wird es allgemeiner verwendet, zs hat im 14. Jh. z. B. S^:
1328: toizlen] S^, : 1333: drizligo/len] 1335: GermanzAoanch;
S^^: 1340: ftczfet, Unverschoben ist anlautendes gemein-
germanisches t, in dem vereinzelten: vnbetwingelichen (1335.
Sia)- S18 bevorzugt // für zz] 1335: Gaffen, Hoffet, driffi-
goften, lieffi; 1336: gehaiffen, — Vor t des Affixes wird zz
zu 8 : welie, belle, mhfte *,
Auslautend bleibt z die ganze Periode hindurch in den
augsburgischen Schriftstücken Schriftzeichen für den aus der
Affrikata entstandenen scharfen Reibelaut Schon in den
ersten Urkunden aber findet sich «, zuerst 7) dann noch im
13. Jh. häufig 8 geschrieben, ein. Während von den hier
in Betracht kommenden Stellungen die meisten z und s (f, s)
unterschiedslos, zeitlich und örtlich aufweisen, wird die
Genitivendung -es im 14, Jh. bei voller G-estalt mit f, s ge-
schrieben, nach Synkope des Vokals wird a, sobald es dadurch
hinter t zu stehen kommt, z geschrieben: Gotefhus, aber in
der Kegel: Gotzhus, vnbefichtez und vnbef^chtes, aber in der
Regel: vnbefvchtz, Ausnahmen sind z. B. 1323 S^: Gotfhxjt»
neben Gotzhv9\ 1337: Gotsliova (St Ulrich?)
Die G-estalt des z ist eine sehr wechselnde; fiEist jeder
Schreiber hat eine besondere, nur ihm eigene Art, sein z
^ V^l. Weinhold: mhd. Gramm. § 186.: „ausser z wird im Anlaut
Tor e und i noch im 12. und 13. Jh. gern 0 gesohrieben*'.
« Vgl. Weinhold: mhd. Gramm. § 166.
827 KonBonaDtiamut. 478
za malen. Gerade dadurch wird dieser Bachstabe zu einem
Erkennungszeichen seines Erzeugers. Von diesen wechsebiden
Fassungen des z hebt sich namentlich eine heraus, welche
seit den dreissiger Jahren, seit S^, zuweilen Nachahmung
unter den Augsburger Schreibern gefunden hatte, und welche
für die Periode Hagens, yon 1846 an, fast ein Charakte-
ristikum seiner Zeit geworden war. S^ brachte nämlich in
einer Urkunde von 1330, welche er als Yorurkunde für die
kaiserliche Kanzlei ausfertigte, eine Form des z an, welche
mit einem Yorbogen beginnend eine gewisse Aehnlichkeit
mit einer Komposition : c + 2: »b o; hatte, Yon S, C3 gezeichnet.
Si3 hat dieselbe Form 1337. Durch S^, gewinnt dieselbe,
vermöge der diesem Schreiber eigenen Neigung, stark und
ausdrucksvoll zu schreiben, immer mehr Aehnlichkeit mit
dem Zeichen für z^ welches in den gleichzeitigen Urkunden
der Kanzlei Karls lY. als cz gelesen wird. Hier ist dieses
Zeichen allerdings in der Segel cz^ unter den von Augsburger
Schreibern hervorgebrachten jenem ez ähnelnden Zeichen aber
erkenne ich die Identität mit einem cz nur in zwei FäUen an :
der Augsburger Stadtschreiber Hagen hat, als er zwei Ur-
kunden des Kaisers Karl kopierte, auch die diesen angehörigen
Zeichen für z getreulich wiederzugeben versucht. (Missivbuch
1864,) u. 86 : Czenden^ n. 63 : c^m/, CzeiUn. cz ist imleugbar
zu lesen in Czenden und Czeüeuj da c hier gross geschrieben
ist. Dass cz in der augsburgischen Stadtkanzlei Eingang finden
konnte, nachdem es durch einen Ort wie die kaiserliche
Kanzlei empfohlen war, wäre deshalb nicht so seltsam, weil
es einerseits Schreiberdiplomatie war, auffallende Eigenheiten
der kaiserlichen Kanzlei im Yerkehr mit derselben anzunehmen,
namentlich mehr kalligraphische (wie z. B. f nach dem Yor-
bilde der kaiserlichen Kanzlei Ludwigs zu einer gewissen
Zeit gern geschrieben wurde), und weil andererseits die Schreiber
durch die Einrichtung der Kopialbticher gleichsam gezwungen
waren, Schreibungen nachzubilden. Auf diesem Wege konnte
ihnen eine sonst fernliegende graphische Erscheinung in der
eigenen Darstellung an bestimmten Orten geläufig werden.
31 •
474 Dritter Abschnitt. 238
Gheschrieben ist die oben beschriebene Gestalt von z (tz^ oder
C2r?) im Anlaut erst um 1400, z. B. Achtbuch: öfter czä, ezeiten
(34 b. II.); 1352 fze (=ze) S^, (A).
s: Geltung.
Die Zungenfrikativa erscheint im Oberdeutschen als eine
tonlose und eine tönende. Jene ist die Fortis, diese die
Lenis^. Die Fortis gibt der Augsburger als / im Anlaut,
nur einmal schreibt Sg fo als zo und 1338 der bischöfliche
und zugleich kaiserliche Schreiber: setia als zehs. Im Inlaut
wird reines s gesprochen. Von S^g und Sj^ vrird es in dem
Worte entldfen in den Urkunden der Jahre 1338 — 1341 oft
als entUzen geschrieben, phonetisch sind diese Fälle nicht
bedeutsam. — In den Verbindungen ^ sp, d^ atriy m, st, sw
wird scM, schp . . . gesprochen, bei sl, sn und stellenweise
bei 9tD durch die Schreibung mit seh kenntlich gemacht, ge-
sworen, swefter machen eine Ausnahme. Das durch jenes oben
erwähnte germanische Gesetz, dass Lingualis vor Lingualis
(t) zu 8 wird, in seh übergegangene a wird in mustergültigen
Schriftstücken nur als s geschrieben ; bezeugt ist die Geltung
Bch durch die Schreibung eiUschten in einer Urkunde des
Ellosters zum hl. Kreutz vom Jahre 1311. Heute hat sich
dieser cerebrale Keibelaut aller s vor Konsonanten bemächtigt.
s: Bezeichnmig.
Unterschiedslos wurde in Augsburg anfangs jedes
8 mit / wiedergegeben. Das / oder z der Flexions-
silbe -es des Gen. Sing, wurde zuerst mit dem noch
im 13. Jh. erscheinenden s vertauscht. In den Inlaut
drang s nur in einer Urkunde des Schreibers Sj von 1296 (A) :
er schreibt lesent, disen, vnsers, Auspurch, fände, Tvmhrohlt. —
> Vgl Weinhold, mhd. Gr. § 188.
" Vgl. 0. Aron : zur Geschichte der Verbindungen eines », 8ch mit
Konsonanten im Neuhochdeutschen: P. Br. B. 17, 225, über 9cl für sZ:
Scherer: Z. G. d. Spr. 127. Braune, ahd. Grammatik § 169, Anm. 3. —
Weinhold, mhd. Grammatik 206, 208. alam. Gramm. § 190.
229 KonsonantiBmus. 476
entldzen und zo sind schon erwähnt, desgleichen eütfchten. —
St. TTIrich schreibt einmal 1288: hattzfet (U. I).
seh: Geltung und Bezeichnang.
Ahd. sc ging schon im 9. Jh. zu seh in der Schreibung
über. In unsem Quellen ist zwar seh die Kegel, aber Schreibungen
mit rh, sogar mit / sind periodenweise hervortretend, fliriber,
fmiu fchaffte gehören besonders dem Stadtschreiber Ulrich
S, (1319—1333?) und seinen Gehülfen an. Beispiele sind:
1289: ge/hach, fhaden, gefhach? (A); 1292. atgmfchcffft^ er/lagen
8^ (A) ; 1292. gefchriben, gefwarm S, (Fürst, sei. XV. 80, 3).
1296. befwaret S^ (R. 6, 5). 1302. gefcriben S^ (0. 5). 1303.
geTworen Sg (A). 1304. gefcriben S^ (0. 6).
g an- und inlautend: Belege:
Urkunden:
städtische: anlautend und inlautend: g^ immer k in dem n. propr.
klocker, z. B. 1328. Gvnrat der klocker S^^
(A); in der Regel Aufpurg mit Ausfall des g:
vereinzelt: 1322 Augfpurch S, (C. 7). — 1326
chlage S, (A). — 1345 Augfpurg S„ (A). —
1372 Auchfpurch S^. (B. 14, 8 X^).
Bisch., Domk. und Klöster: anlautend und inlautend: g:
1311 Augfpurch hl. Oreutz (hl. Cr. 4). —
Kaiser: 1347 Augfpurch (A).
Die Ausnahmefalle im Stadtbuch und Achtbuch sind im
Text hervorgehoben.
k (an- und inlautend) auslautend g =s k
Urkunden:
städtische: k und ch: 1272 S^ Bis 1300: k, c, ch und
(U.U.): Crvce, kvnt. ck: Avfpurch, Sieben-
zek, inneclichen.
1273 Sj (A): k. mak, burcgrave, Siben-
zech.
1277 S^: chvnt, chirchgazze, chlein, Jaereglich, gezivc.
chvmt, vrchvnde, Chynrat.
476
Dritter Abschnitt.
230
h (an- und inlautend)
1280 S^: eh. — S^ (H): Ohvnrat,
chvnt, kauft. — S«: eh. — 1282
S,: eh.
1282 S^: krieeh, korherren, ehain,
kapein, ChvA;er, Chvnrat, Ohofilnery
Oftermarkte, Ekke.
1283 S^ (A): kvmpt, kvnt, eheiner.
— verchauft, vrehvnde. — Sg (A):
Aeeher, volchwein.
Sg.' überwiegend eh: immer chtint, zu-
weüen k: 1286. verkaufft. — S,:
ehunt, verkauft.
1290 Sg (H): ehynt, ehymt, ehain.
Sgl 1290: durchweg eh.
1291 Sg (A): eh. — S, (H): ehvnt,
ehainen, verkoyflEt.
1292 S^ (A) : ehvBt, ehymt, gedenekeiL
Sg (P. sei, XV, 80, 3): ehvnt, ehernen.
1294 S^(R.Xi): eh.
1295 Sg (U. 1): Chinde, kvnt, Chvn-
rat. — eh.
1297 S^ (A): kvnt; eh. — Sg (C. 4):
kvnt.
1298 S^ (G. 1): ehunt, verchavfft,
aehers. — Sg (A): kvnt.
Sg (A) : eh.
1299 Sg (A): eh.
Sg, Sg: eh.
1302 3. Febr. Sg (hl. Cr. 4): kvnt,
verkauffet.
auslautend g s^tk
krieeh, Aufpnrch, (volk-
win) dineh, mak.
Avfpurch, purchgraven.
ledie.
in der Regel eh; 1283:
zinfvellik. — 1286
Sechzech, genedec-
liehen,
tack, Aufpurch.
tack, gezivek. — perch-
hof. — lediek.
lediek. — drizzeck,
mack.
eweehlich, zinfvelliek.
taidineh,taeh,Aufparch,
Lodewieh.
Aufpurch, fehuldik,
laneh, fehuldiek, lediek.
tak. ick.
-echlichen, avfpurch.
tag.
lediek, genvck, ruwich-
lieh,
gehvgn^ffe.
ek, k; Aufpurch.
zewanzech, Aufpurch,
tak.
S81
Koiuonantismus.
477
k (an- and inlautend)
1302 24. Febr. S,: chunt, Cruzes.
S^: k; yerchaufet.
1303 S, (A) : chynt.
S«: kynt, ChlofteTi ohomen.
1306 8« (A): kynt; k.
1306 Se (U. 2): k. — bis 1313: k,
selten ch.
1313 S, (Ü.2): kunt, kind, chint,
chomen, choment, kain.
Se, Sg: k, ch. — 1317 Sg (A): chunt,
chirchhof.
Sg (C. 6): kunty verchaufft. — S^: k.
1318 Sg (ü. 2) : chom, Chuftray, kont,
Crutzes. — 1319 Sg (A): kunt
Sg: k und ch; Aekeren.
1320 (A): ch nnd k.
1322: kunt, clainen, chomeii; chom,
aekeren, — (C. 7) : kvnt.
1323: ch; klofter. — k; Appotecher.
Sjg: ch; selten c; chunt, yerchauft,
kirchgazzen.
Sg: kunt; ch.
1826 S^g (A) : kunt, kriech, yerchauft.
— chunt, kriech, yerchauft.
1326 Sg: clag, chlagt, yerchauft^ kint,
komen, chunt, kom, chinden.
1329 Sjg (A): kynt, trinchen. — ch;
Windüerin.
1830 Sg*. kunt, kain, ciain.
Sjg: ch. — 1332: ch; (Jeuchhart).
— 1333 (hl. Gr. 6) : kunt, chaanen.
auslautend k^= g
Aufpurk, tak.
k; AuTpurch.
tack.
k, g, ck ; sechziok, zinf-
yellick. ~ mag, sonst ck.
laelig, (gn vg, geriyg) tag.
— k, c; Sg: -ick.
zwaintzig.
ch, ck. — mak, dincb.
ledik, driezg. — Sg: ck.
(tag (dat.)), ledick, mack.
iSglichen, zwaiynd-
yierzick, drizzeck.
willeclich, tac, funfzich,
gen&ch.
zwainzeg, zinfyellich.
mach. — krieg, Augf-
purch.
faelig. — Holtzmarch,
tagwaerch.
ch; criech.
ck.
(genug), kriech, tach.
— (gnüg), kriech,
dinchhus, ledicb.
f hilling, williolioh,
Marchwart, (gen&g). •*
tag, zinfuellig.
weniky ledich, (gezüg).
frietag, gemainclichen.
— ewichlich. — ^Binch-
478
Dritter Abschnitt.
23S
k (an- und inlautend)
— 1334 (A): k; nachchomen, ge-
chauft.
1 336 S^g (ü. 5) : komen, chomey kome,
clagt, kunt, Ohufter, yerchauft. —
k; chain, kain.
1336 Kaiser: keyfer, kumbt.
Sjj" 1^5 "» der Regel vrchunde. —
1337: chunt, choment. — k, c.
1338 S^5 (TT. 6) : chunt, chain, chomen,
chuftrie, nachchome, vrchunde, kyr-
chen. — Sjg (A): kunt, vrchunde.
SjQ (A) : kom, klagt, clagen, klainen,
kunt.
1339 Sjg (A): kunt.
Vogt: 8^5 (A): kunt, chlagt, ver-
chauffen, kom, A*kker.
1340 Kaiser S^g: Ghayfer, chunt,
erchant, chauflaüt — 1341 S^^:
kunt, verkauft. — chomen, f&r-
ch6men, nachkomen, chumpt, ge-
kauft, vrchund.
1342 Siji k. — 8^5 (hl. Cr. 6): chunt,
chom, Chrutz.
1343 8^^ (A): kunt, karfritach. —
ch und k.
1344 8^^: kunt, kumpt, krieg.
1345 8ie (H.20): kunt. — 8^,: k.
— 8 jg (hl. Or. 6) : kunt, nachchomen.
8^5 (A): kunt, krieg, verkoufift, vz-
gemerchet.
Sj,: k, ch; marchen. — 1346: k. —
1348: ch&mg, kunt. — 1349: c, k.
— chumt, chomen, kümpt, clag. —
auslautend k = g
mavr, dinchhus. -
tach, zinfuellig.
zinfuellig , tag , tac,
dinch. — ch, g, -nch;
miffhellung, tag, Grei>
manzfwanch, -ic.
-ic. — ledich.
ewidiche.
dinkhüs, kunk.
sagch, (genüg),
dinchaus, zoch.
-ic.
drizzig, Mtag, Ubding.
— taeding.
tag, karfritach, Perck*
hof, järdich. — -ic
-ec.
-ec. — tag; -c. — gerue-
wichlich.
Pfenning, Aufpurch,
Aufpurg.
drilzig. — gemainclich,
Aufpurg.
S33
Konsonantismus.
479
k (an- and inlautend)
verchauffent, nachkomen, marken.
— bis 1350: k.
1351: chinde, chumpt, chainerlay,
verchaüffent, nachkomen.
(R. X|lly2): chunty komen, chain,
k&ng. — k; clainem.
1352: k. — 1354: chain, nachkomen.
— 1356 (0.10): kunt, gehenckt.
— 1357 : kunt, marcken, gehenckt.
1357: k; gehenckt^ Aecker, clage.
Sj^: 1362—1368: k; immer kunt.
1372 Sie C^ 14) • ^^^ Nauchkumen,
Urkunde Bekennen.
1374 Sie (B. 12): k.
auslautend k= g
geruwiclich. — Junch-
frawen.
Aufpurg, kfing.
dinkhüsy werchlut,
purchfraw.
sghtzig, Gieng.
DinckhÜ8y(tag) funftzig.
— teidingy Aufpurg.
Auchfpurch.
Aufpurg, Ludwig, an-
gieng.
Bischof und Domkapitel:
k (an- und inlautend)
1289: chunt, nahchomen, nahkomen.
— 1290 (A): katn, Aeckaere.
1293: chunt, chertze, vrchunde. —
1296: eh.
1305 (R.X|): ch; klag. — 1316: L
1326: kunt. — 1332: ch. *- 1836:
kunt, yrkunde.
1338 bisch.-kaiserl. (A): chunt.
— 1341 (0.9): chunt.
1342: kunt, kompt, kauft. — 1343: ch.
1350 : chunt, verkauft; k. — 1351 : ch.
— chunt, kaufen. — kunt, gechauf t,
chinden, vrchfint. — (Dom): k.
1359 (A): kunt, vrchund.
auslautend g ^=^k
Afpurk, ewikUch.
teidinch. — dinckhovs,
felichlich, driezeck,
Fvnftzeck, Aufpurch.
fchuldick, (klag), Auf-
purch. — Aufpurg, tag.
ledich.
wechhalter, vleizch-
lichen.
fritag.
-c; B6tenberg.
Volkweinin.
480
Dritter Absohnitt
234
k (an- und inlautend)
Curia: 1320 (G. 2): kümpt, chünt.
— 1326 (U.2): kunt.
1327: k.
1337: chonty vrchünde. — 1341: vr-
ch^de.
1345, 1346: eh. — 1369: kunt.
Klöster:
St. Oath.: 1279 (0.2): kunt.
1321 (0. 7): chunty Olofters, Chlofters,
Crüces. — 1324 : eh. — 1326 : k.
1338 (A): kunt, kument.
1848 (0. 6) : kauffen, nachkomen. —
1355 (CIO): kunt.
St Georg: 1282 (G. 1): kvnt, clofter,
kvmt — 1337 (A): kunt; k.
1338: crfitz, kunt. — 1346: chunt,
verchaufft, chrieg.
St. Stephan: 1306 (A): chunt»
Ohehierin, Olölter. — 1327: k;
cloOer. — 1347: k.
1858 : kunt — 1366 : kunt, marcken.
Hl. Kreutz: 1311 (hl.Or.4): k.
1326: nachkomenn, kunt, crutzes,
Sw&begge. — 1334: chr^tze, kunt,
clainen, chomen.
1339: Crutz, vercbauffet, chirohen.
— 1360: Krfitz.
St Ulrich: 1288 (U. 1): kaeiner,
kunt — 1 30 1 (TT. 2) : chomen, clofters,
kvnt, Ekkeren, Aekker.
auslautend g ^=^h
vo*lklichen, Jaerclichen.
faelich, laedich, zinfuel-
lieh, gnüg.
-ec. — ledich.
-iclich. — 1359 Auf-
pürg.
zwainzech, Sibenzich.
wenick, eweklichen. —
tacb, tagwerch.
ewiclichen, Aufpurg.
fümfzich, ewicklichen,
genug. — gemainklich,
dag, Junchfrau.
ewecliche.
-ec ; (geziug). — chrieg,
tagwerch.
ger&weclichen, tac, (tag
(dat.)), ledic, Hörburch.
— ledig, (tag). — ge-
mainiclich.
vfgemerkt, pfenning.
famltac, Augfpurch.
i&rclich, laelig, leidik,
ewgedich, aufpurch.
gerflbeclicL — Auf-
purch, gemainklich.
mach, (gezvge), ahzek,
(genv'g).
886
KonsonantiBmos.
481
k (an- und inlautend)
1321 (ü. 8): OonuentSy gecberet,
chinde.
1323 : criek, kain, kvnt. — 1326 : k.
1831: k. — 1333: chunt, chainen^
kryeg, yrkünde. — 1342: kunt.
1346: kümpt. — 1366: marken; k.
Juden: 1308: k; clainöd.
Achtbuch:
1309 Si,: gebachen (1 b), 1338 Sjg:
kneht (4a). — 1339 8^5: Köchlin,
Cruces (5 b). — 1340: vicaries
(7a). 1341: chomen, Hencher (49b).
1846 Sj^: chlag, hylcrvtz (n. pr.)
(iaelig), clag (11 a), bekerde, chneht
(5 6 a) y kr&tZy Mordacftes (12 a),
komen. 1348: k. 1349: chomen,
chaü£fent (63 b).
1 850 : kftment, clauberlin (n. pr.) (67 a) ;
Chain (65). 1352 : fchankt (70 a).
1364 : crfitz, klocker (18 a). 1355:
Sturmgloggen. Beck, flaefch-
haeckels, clager, ertrenckt. 1356:
Marchdorf. 1358: Pirckenfözz.
1866 Sj^! fchencken, Weinfchencken
(n. pr.), hantwercken (26 a).
1870: chomen, chom, keifer.
auslautend g s=k
Aufpurk.
criek, (Aikt^), zinfuel-
lich. — k.
laelich, Ewich, sehzig,
(genvg), (tag),
eweclich, drizzig.
willeclich, tak.
mag, Pfenning,
prvgghaien. — 1840
Sj^: Junchfrawen (6a),
todfchlag (6 b), tod-
fchlach (9 b), irrganch
(10 a), faelig, no*rd.
Hnchf (11 a).
Sj^: Aufpurg, Burgtor
(56 a).
gemeinchlich (15 a).
1858: Totfchlag, kü-
nick(17b). 1360: ge-
mainclich (28 b).
Sj^: verbürg (86 a).
1368: Junckfraw(27a).
zug (zog) (28 b). furften-
berg ; ewiclichen. 1371:
feilig, EwigcUch (108a).
Stadtbuch:
6rundtext:S^: kCnchi raehticheit, gehugnuffe, Aufpurch,
kaifem,choerherren,kunch, chomen, gewalticlichen, marg-
(1). clofter, marggrafe; k (2 a). grafe, burggrafe, reu-
482
Dritter Abschnitt.
336
k (an- und inlautend)
kein, craft. chint, becken, clagenne,
becherten. cbein k&nch, cbein,
decheineDy clagers. chyment (14 b).
Von 16 b an wird ch häufiger im Grund-
text: hencken, gemercket (63 b).
S3 und 83: in der Begel ch, selten k. Z.B.
nur 1 X klager gegen 7 ch (62 b).
Ebenso: nur clage, sonst ch (63 b).
83.* auch chlagt, chranchait; ch.
Sq, 89 schreiben wie in den Urkunden:
83: k als Begel. 8^: ch und k ohne
Unterschied.
81,: nur k und c: 1351 ? claiiien(156 b).
1363: oftermargt (155 b).
auslautend g =s k
bicy arcwaenigen(2b)|
mak, burcfchaft (4 a)«
Auslautend: k, doch immer:
Aufpurch, phenninch-
filber.
82 : k. — 83: ch, selten
k: werchman, mak,
mag, tak, mak, mack
(59 a).
8^: ck. 8^: ch und k.
gy ck, von 1361 ab über-
wiegt g : phemung, dinck,
lipdingbrief (155 b).
Gutturalen: g, k, ch, h.
Allgemeines.
Die gutturaleu Explosiv-Laute sind in der Aussprache
der Augsburger Mundart bestimmt von einander geschieden
und zwar durch ihre Explosionsintensität. Im vergleich zu
den gleichen Abstufungen in den übrigen Konsonantengruppen
ist das Verhältnis von Lenis (g) zu Fortis (k) im 8chwäbi8chen
nicht verschieden von dem Alamannisch-8chweizeri8chen. Für
dieses musste Tobler^ feststellen, dass das Verhältnis von
g : k eia anderes ist, als das von d:t, 6 : j9, indem g und k
(khf ch) weiter von einander liegen, als d und ^, b und p, dass
also 8chwankungen wie zwischen diesen nicht vorkommen
können; Zeichenvertauschungen gehören nur dem Papier an.
g: Geltung.
g im Anlaut ist durchaus gleich germ. g, also eine in
ahd. Zeit eingetretene Reduktion von k der ahd. Periode. Seine
^ Z. f. vergl. Spr. 22,117.
237 EonBonantismuB. 483
Aussprache in Augsburg ist die des französischen -gue^ eine
Yelare Aussprache hat dem anlautenden g immer fem ge-
legen, die Schreiber vermeiden daher gewissenhaft dafür k
zu setzen ^. Nur im Sandhi geh erfährt das g, indem es mit
dem h vereinigt wird, die volle Verhärtung zu ä- + A = Aä :
karaamer (Stadtbuch). In der heutigen Mundart sind diese
Fälle nicht selten, aus unserer Zeit finde ich jenes korsamer
als das einzige Zeugnis. In der labialen Gruppe steht gegen-
über : ftöÄ > 6 + Ä > 6i + A > p/i > T)/" d. h. labiale AfFrikata,
sogar als Frikativa zu hören, während die gutturale Media
nur zur aspirierten Tennis gesteigert wird; in jenem Vorgange
war die anlautende mhd. Media im Augsburgischen schon 66A,
d. h. aspirierte schwäbische Fortis, sie rückt zur Aspirata vor,
9\&pf{ph). Die Verhärtung des g zu Ä;nach Vortritt des Präfixes
ent' kann ich für das Augsburgische von 1272 — 1374 nicht
belegen. Das Präfix kommt in den handschriftlichen Quellen
überhaupt vor G-utturalis nur in der Gestalt erb- vor, eine
Verhärtung ist also nicht Zwang.
Inlautend hat das Augsburgisch - Schwäbische im mhd.
zunächst stimmhaftes g zwischen Vokalen; wenn dieses g
nach Synkope des folgenden Vokals stimmlos wird, erhält
es in den Denkmälern nicht die Schreibung c oder k, weder
in den schwachen Perfektformen, noch in der 3. sing, praes.
Im ahd. wurde vielfach k für dieses inlautende g geschrieben ;
wenn im mhd. kein Versuch dazu gemacht wird, auch nicht,
sobald g nicht mehr tönend ^ ist, so muss in diesem ur-
^ Das einmal bezeugte kcMw>zze für gcUtuvzze gehört dem Schreiber
Rudolf Ss an. darf also nicht für augsburgisch gelten (Stadtbuch 86 a).
1309 hat eine Urkunde deichen (R. X^, 6,4); der Schreiber ist mir
unbekannt, seine Schreibweise in keiner Weise augsburgisch.
' Genau hätte in jedem solchen Falle, wo zwei nunmehr stimm-
lose Laute zusammentreffen, eine Schreibung gewählt werden müssen,
welche die Lautänderung (Qualitätsänderung) beider berücksichtigte.
Durch das Zusammentreffen erhalten nämlich die Artikulationen beider
eine gewisse mittlere Intensität, kräftiger als die der Lenis, etwas schwächer
als die der Fortis. Solche neutrale Laute, wie sie Heusler: alamann.
Konsonantismus in der Mundart von Baselstadt S. 24 ff. genannt hat,
484 Dritter Absohnitt. £38
sprünglich intervokaliBch inlautendem g eine entschieden vel&re
Tendenz gelegen haben. Dadurch erklärt sich auch, wenn
in yielen Wörtern mit inlautendem kk zuweilen gg ge*
schrieben wird, gg ^ unterschied sich eben nicht merklich von
inlautenden kk. Die Quellen weisen: (glogge)j Uoggtj ktocherj
Idoeherj Jhirmglokm (1294. S, Stadtbuch 83a).
Uralter Ausfall des g besteht in Augsburg in dem Stadt-
namen: Auspwrg fär Augspurg] ebenso in dem Ortsnamen
Eresingenj schon in unseren Quellen als Ersmgen^ Armngen ge-
schrieben, die Form mit g ist aber bezeugt'. Dem AusCelU
des g steht ein Zusatz von gegenüber:
1. g mit ähnlicher Funktion wie d nach n: Fressant
reimt : 199 : 200 dingen : beginnen ; oder es ist in dem geltenden
g der Best einer in früheren Zeiten und im Volksmunde
lebenden Endung -igen zu sehen, analog dem Yerbum 'endigen^,
etwa also ein : beginmgen ^ beginngen. Die Endung 4gen tritt
zwar in der Schriftsprache nicht vor der zweiten Hälfte des
17. Jh. auf; indes besitzt das Angelsächsische sndigan^ ahd.
entiön (schwäbisch mit g: enägön? Tgl. unten aiger?\ —
Zu dieser Gattung von g gehört auch das g in Formen wie:
ze obergosty ze untergost, noch heute in untergist,., erhalten;
diese Formen gehen auf Positive: oberig j unterig zurück.
2. Das zweite g ist gleichfalls nicht mit Sicherheit als
unorganisch anzusprechen: es erscheint häufig aiger] Birlinger^
werden, wenn sie im Bchwäbischen Munde erklangen, nicht mit einer
solchen Aenderung der Quantität gehört worden sein, dass man ea for
nötig fand, dieselbe zu markieren. Der zweite Bestandteil überhaupt,
welcher regelmässig ein t war, bean^praohte von vornherein der schwäbischen
Gewohnheit gemäss keine modifizierende Behandlung auf dem Papier.
Es fand mithin eine Art Eompromiss nur im Tone, nicht im Bilde statt;
vergl. jedoch: margte*
' Das gg ist kein DoppeUaut, sondern nur ein notdürftiges Schrift-
zeichen wie die andern. Im Schweizerischen unterscheidet sich ein gg
durchaus nicht von einem reinen k der neuhochdeutschen Schrift und
Aussprache; (vgl. Tobler: Z. f. vergl. Spr. f: 22, 122).
* Birlinger: augsb.-schwäb. Wörterbuch.
3 Grimm: Wörterbuch III, 461.
* Birlinger: Augsb.-schwäb. Wörterbuch unter g.
289 KonionuitiBmuB. 4g5
führt dasselbe auf einen alten nom. sing aigia zurück. Dorch-
auB dem Yolksmnnde angehörig, ist die Form t* gen, auch in
Urkunden geschrieben 1838 Donnerstag nach dem 4. Januar
(St. Georg). Sie ist die sekundäre Bildung zu ebenfalls be-
zeugtem tuien bei klerikalen Schreibern, umgekehrt wird g
in der Mundart zu t gewandelt^ und es wird geschrieben:
magi als maid (vgl. darüber den Abschnitt über ot). Doch
bestand sicher daneben in der Schriftsprache, auch in der der
Gebildeten mcLgt (vgl. Achtbuch 1866)^. — Ganz abzufallen
pÜegt g zugleich mit dem Präfix g^ der Partizipialformen :
gd)en *, komen^ braht . . . ; hoeren s» „gehören" neben gehoeren
findet sich im Stadtbuch (Grundtaxt 16 a, 15 b; bei S^ : 14 b).
— Der gemeindeutsche grammatische Wechsel Ton h und g
im Praeteritum und Partizipium des Präteritums Yon «/oAen,
ziuhen ... ist in den schriftlichen Quellen gewahrt und auch
der gesprochenen Sprache eigen.
Im Auslaut hat der Klang des g durchaus Verhärtung
zu k erhalten und ist mit diesem zu dem Lautstand : kh (k+h)
gelangt. Die Schreibung weist jedenfalls auf einen Fortis»
Laut hin, die Aspirata aber wird in sehr yielen genauen
Schriftstücken schon im ahd. kenntlich gemacht durch eh.
Dass dieses ch nicht die gutturale Spirans cA, sondern gutturale
Muta + gutturaler Spirans ist«iA;M, dem rauhen Guttural
der alamannischen Kehlen, hat schon B. von Raumer ^ richtig
erkannt und bewiesen. Wenn dieses ch im 14. Jh. in weitem
Umfange durch g ersetzt wurde, so ist nur im einzelnen
Falle eine Herabminderung des verhärteten Lautes anzu-
nehmen statthaft; ich meine, dass in schneller fliessender
Rede die Tennis (Tenuis-Aspirata) leicht zu gh reduziert sein
kann, ein Umstand, der bei der steigenden Gewichtserhöhung
des Stammsilbenvokals im Laufe des Mittelalters leicht be-
greiflich ist, das konsonantische Sprachgut fand seitdem
weniger Pflege in Sprache und Schrift. Es ist das jedoch
* Hierzu geboren femer: Hofmeiger, Maigifter. (Stadtbuoh Ib).
" geben ist fest in der Formel; der hrief wart gehen.
' K. von Raumer: Aspiration und Lautverschiebung S. 84 und § 51.
486 Dritter Abschnitt. 240
nur eine Erwägung meinerseits, für die ich nicht in der Lage
bin einen Wahrheitsbeweis anzutreten. Wie stark gerade
hier die ünberechenbarkeit der Mundart allen üniformierungs-
versuchen hemmend entgegentritt, das wird am besten die
Bezeichnung:
des g vor Augen führen. Das anlautende g hat in seiner
Bezeichnung von vornherein keine Schwierigkeiten gemacht,
es ist auch in unseren Quellen von keiner Abnormität zu
berichten, ausser dem erwähnten korsamer, welches der Mund-
art angehört, (Stadtb. 92a S^: gehorsamer). — Auslautend er-
hält g die Zeichen chj c, k, ck, entsprechend seiner Ver-
härtung; im 14. Jh. nimmt g überhand. Sj und S^ schreiben
anfangs k und c, nur vor Antritt von l wird c zu ^ : -eglich.
Den gleichen Lautstand hat noch 1282 St. Georg. — Schon
1282 aber erscheint bei S^ ch neben k in: volkwin (n. pr.),
mak. Nach n ist besonders ch beliebt: dinch. ch hatte schon
St. Katharina 1279. Sg schreibt anfangs ch gleichmässig
für anlautendes k und auslautendes g, dann geht er zu k
über im Auslaut der Endung -ii und schliesslich schreibt
er ckK ck bleibt charakteristisch für seine ganze Periode
und wird von S^, an dem wir auch sonst Berührungen
mit S3 entdeckt haben, gleichfalls bis zum Ende seiner
Thätigkeit (1331?) fortgesetzt. Wenn auslautendes g (ck ge-
schrieben) bei Sf^ und S^ in Stellung vor l (-lieh) zu stehen
kommt, erhält es regelmässig die Schreibung ch: so bei
S4 1292, bei Sg 1297. Ich sagte, dass ck ein Charakte-
ristikum der ganzen Periode des Stadtschreibers Rudolf ( — 1303)
ist; ich glaubte mich dazu berechtigt, da auch die bischöflichen
Schreiber zur Zeit Rudolfs dieses ck aufgreifen und in Stellung
vor ly genau wie S3 häufig zu ch wandeln: -eddicL 1302
setzt S3 häufig nur k: takj Aufpurk. ch erhält sich in dineli
ziemlich fest. Neben S^, welcher ck beibehält, schreiben S^:
^ S^ hat sporadisch im Grundtezt des Stadtbuches ck: zuckf ioaek
(28b) (marckt), Aach dinc schreibt S« einmal mit ck: Stadtbuch (97 b),
gotsphenninck (119 b.
241 Eonsonantismus. 4S7
ikf tugy 4g ( — 1319). Sg: -ig und -ich, S^: -ec, -e^r. Mit dem
Jahre 1320 beginnt eine ausgeprägte Regellosigkeit der Be-
handlung des auslautenden g. Die Unsicherheit in der Schreibung
ist eine allgemeine^ die Ursachen liegen ausserhalb unseres
Erkenntnisvermögens. In diese Zeit fallen Schreibungen wie :
gehenhetj margte. Dieses einmalige gehenhet für gehenctiet er-
laubt jedoch keinen Schluss auf eine aspirierte Aussprache
der Outturalis fortis ; denn das h kann in der ziemlich flüchtig
geschriebenen Urkunde ein Schreibfehler für beabsichtigtes ch
sein. Es ist aus dem Ganzen nur zu unterscheiden, dass die
klerikalen Schreiber ch bevorzugen: 1326 bisch.: k\ -ich, 1326
Curia: k; -ich, 1326 St. Ulrich: A; -ig. Die Stadtschreiber
haben auch überwiegend ch\ ob dasselbe durch die Schreib-
weise der kaiserlichen Urkunden, welche in der That ch zeigen,
bedingt ist, vermag ich im Einzelnen nicht festzustellen. S^^
drängt k wieder in den Vordergrund, abweichend von den
kaiserlichen Urkunden (1339: ch). Für die Behandlung des
anlautenden k hat S^^ sichtlich die kaiserlichen Urkunden
zum Muster genommen. 1338 schreibt er noch k, 1339 nach
dem Einlaufen einiger kaiserlicher Urkunden in die städtische
Kanzlei nur c/i, auch auslautendes g schreibt er bald mehr
mit ch. Vom Jahre 1342 etwa an datiert die Schreibung
mit g, selbstverständlich dem unsicheren, unentwickelten
Charakter der Schriftsprache und Orthographie der Zeit
angemessen von zeitweiligem k und ch unterbrochen, jedoch
nicht verdrängt. Zur Schreibung mit g hatte schon S^
im ersten Jahrzehnt des 14. Jh. einen schwachen Anlauf ge-
nommen: 1306 5. Juni schrieb er sogar einheitlich im Aus-
laut: g, im Anlaut k für k. Es ist von einigem Belang, die
Wörter, welche hier mit g ausgestattet sind, kennen zu lernen,
sie sind : faeligj genvg, gezivg, tag. Von ihnen haben berechtigten
konsonantischen Auslaut nur faelig, tag; gnvg, gezivg sind durch
Apokope des e aus genüge, gezivge entstanden. Wir stossen
dabei auf dasselbe Verhältnis in der Behandlung apokopierter
Formen und nicht apokopierter wie bei b und d (nicht p und
t auslautend geschrieben). Der Schluss aus diesem Verfahren
32
488 Dritter Abschnitt. 242
gestaltet sich gleichfalls analog: Die Schreiber, ausgehend
Yon den apokopierten Formen, welche sie aus Gründen, die
ich hier nicht noch einmal zu wiederholen brauche, mit der
Media schrieben, unterwerfen jeden Auslaut dem gleichen
orthographischen Zwange. Das adverbiale gemtc mag eine
Brücke geboten haben durch seine zweite Erscheinungsform
genüge, welche auf dem ungekehrten Wege den aus -ge zu -^,
-c verkürzten Wortausgängen begegnete.
k: Geltung.
Die Geltung der schwäbischen Gutturalfortis,^ ist bei der
Besprechung des Lautwertes von auslautendem g, geschrieben /-,
als die von k + Spirans (hh) festgestellt worden, phonetisch am
genauesten als ch wiedergegeben. Die Geltung von ch als
k + h ist nach der Entstehung des Buchstabens unleugbar in
den Bildungen auf -keä, hiervon gehe ich aus, um die Aus-
sprache des anlautenden k als kh zu veranschaulichen. Die
Natur dieses -keit hat PauP einer genaueren Betrachtung
unterzogen und er ist zu dem Resultat gelangt, dass z. B.
miltekeit aus mütecheit für miltech-heit entstanden ist. Von den
Bestandteilen der Bildung ausgehend erhalten wir also die
Beihe: mikech-heit (miltecheit) ]> rnilte-cheit > mütekeü, ch = 4*
=z k -^ h vereingte sich mit h zu einem sowohl an Explosion
als an Expiration äusserst starken Gutturallaut, ch + k =
k hh schritt also nicht fort zu k ch, das fast bei der Aspimta
ch anlangen möchte, aber nun eine Stufe zurückblieb. Das
Wort 'Mannigfaltigkeit* z. B. habe ich in Augsburg aus-
sprechen hören als mangfalti kha^th, so dass die SUbe vor
* lieber die Unterscheidung von Fortis und Lenis vgl. Eauffmann:
8chw. Mundart § 24, bes. Anm. 1; § 27 und Fischer: Germ. 86, 409.
Winteler: Kerenzer Mundart S. 21 ff., bes. S. 28, *der Unterschied
zwischen Lenes und Fortes liegt in der Empfindung eines verschiedenen
Nachdrucks in der Expirations- und Artikulationsmuskulatur begründet.'
Ueber das Verhältnis des anlautenden ^ im Schwäbischen zur hoch-
deutschen Lautverschiebung vgl. Kauffmann: schw. Mundart S. 242 ff.
« P. Br. B. VI, 560.
243 Konsonantismus. 439
'kheü fast als eine offene klingt. Die mittelhochdeutsclieu
Schreibungen unserer Quellen bringen sehr häufig einfaches k:
wirdieheU und vnrdikeit. Der Laut /; + Spirans ist
also gesichert. * — Dadurch, dass in den Wortbildungen
mit 'keit die Silbe vor dieser Endung den einen Bestandteil
der Komposition mit dem Vokal abzuschliessen scheint, verfallt
der diesem folgende Konsonant dem Anlautsgesetz, und es
gilt darum das über die Aussprache dieses h in -keit Gesagte
für jedes anlautende k (Gutturalfortis) mit. ^
Im Inlaut ist k vor Konsonanten einen ähnlichen Kom-
promiss eingegangen, wie die Verbindung b + t...^ vgl. das
darüber bei b Gesagte. Die Schreibung inargte kann daher
wohl der Aussprache nahegekommen sein. Auf eine vollgültige
gedehnte Aussprache des ch = kh weist die Abteilung des
Wortes chnekt * in : cA Zeile 1 — neht Zeile 2 hin, d. h. dem
Schreiber klingt ch so selbständig, dass er es gleich einer
Silbe behandelt.
k: Bezeichnung.
Wenn für augsburgische Gutturalfortis hauptsächlich zwei
Zeichen k und ch verwendet wurden, so standen sie sich in
^ Einen ähnlichen Weg hat wohl das heutige 'Junker* aus junkherr
genommen.
■ Im Schweizerschen ist k aus </ + Ä (ge- -f- Ä im Sandhi zu ^ -j" ^0
«ntwickeit in kennen gegenüber chönne — können (vgl. Tobler in Zs. f.
vgl. Sprachf. 29, 120); kain aus c-\-hain nach Grimm (Grimm: Gramm.
III, 69 und 70). Die Verbindung defiain ist von vornherein wie ein
Wort behandelt, daher der Konsonant gleich zur folgenden Silbe hin-
übergezogen und nach den Gesetzen für den Silbenanlaut behandelt.
Nach Paul hat sich kain nur aus nekain entwickelt (P. Br. B. VI. 559
Anm.) mickten (augsburgisch und gemein est schwäbisch) ist offenbar
•desselben Ursprungs wie kain aus dehein. Auszugehen ist von dem in
den Augsburger Quellen ebenfalls belegten: midichen, mitehun; vgl. auch
ferk9 ostschwäbisch für fertigen, (Kauffmaun: schw. Mundart § 165.
Anm. 4). Vgl. ausserdem: Weinhold: alam. Gramm. S. 175. Grimm:
deutsches Wörterb.: K: 3, b. Tobler: Z. f. vgl. Sprachf. 14, 108—138.
A. Reifferscheid : über die untrennbare Partikel ge- (Dissertation
Breslau 1871).
» Achtbuch 56 a. I.
32*
490 Dritter Abschnitt. 244
der ihnen von vornherein zugewiesenen Gestalt nicht so fem,
dass sie nicht fast von selbst in einem Bachstaben k sich ver-
einigen konnten. Jenes für das Oberdeutsche charakteristische
ch ist nämlich sicherlich nichts anderes wie das ebenfalls für
die Gutturalfortis auftretende k/h in klerikalen Urkunden noch
im 14. Jh. geschrieben, und hat mit diesem die Bestimmung
gemein, die thatsächlich geltende Lautverbindung k + Spirans
wiederzugeben. Aus mancherlei Gründen konnte der Schreiber
dieses nachstehende h weglassen, so dass k gemeint zu sein
schien. Vielleicht um dieser Gefahr vorzubeugen, viel eher
jedoch wohl aus tachygraphischen Gründen und Bequemlich-
keitsrücksichten und zugleich, den bei dem Aufleben der
runden Schrift bestehenden kalligraphischen Anforderungen
nachzukommen, gewöhnte man sich bald ch zu setzen, ohne
dass damit die Aussprache eine andere als k + h geworden wäre.
Sorglosigkeit und die den Vorlagen durch jene schon öfter
betonte Nachlässigkeit der Schreiber noch anhaftenden k
liessen dieses schliesslich als gleichberechtigt mit ch weiter
leben.
Als man in Augsburg die Urkunden deutsch zu schreiben
anfing, verwendete man nur k und c für anlautendes k,
parallel mit k und c, ck für auslautendes g «= k. S, schreibt
also bis 1276 nur k, nicht allein in den Urkunden, sondern
auch bei weitem häufiger k als ch in dem Stadtbuch, und
zwar trennt sich deutlich hier der Anfang von dem übrigen
Teil der Niederschreibung des Stadtrechts ab, indem jener
parallel der in den Urkunden eingeführten Orthographie vor*
wiegend k hat, während der zweite Teil etwa vom zweiten
Drittel an ch schon häufiger bringt. Diese Erscheinung trifft
auffallend zusammen mit der Thatsache, dass von 1277 S|
in den Urkunden ch weitaus bevorzugt, in der ersten Urkunde
dieser Reihe sogar nur ch verwendet. Durch den Vorantritt
von S^ ist k und ch in dem Zeichenschatz der Augsburger
Schreiber gleichwertig geworden. Sjj fügt noch ck für aus-
lautendes g und inlautendes k hinzu; für inlautendes k war
ck schon durch die Schreibweise von S^ bekannt geworden.
245 Konsonantismus. 491
Aus der Unregelmässigkeit der graphischen Wiedergabe von
Je tritt S^ heraus, indem er für an- und inlautende Guttural-
fortis nur k, für auslautende Fortis nach dem Vorbilde seines
Meisters Rudolf (Sg) ck schreibt. In der Zeit von 1330—1346
heben sich kurze Perioden heraus, in denen k den Sieg errungen
zu haben scheint: 1338 schreibt S^^ nur Ar, 1344 schreibt 8^5
nur k. Sf, beginnt im Anfange seiner Thätigkeit k ausschlieslich
zu Yerwenden, lässt aber im weiteren Verlauf eh neben k auf-
kommen. Auch bei ihm finden sich Schriftstücke, welche
bald k, bald ch ausschliesslich besitzen. Der Grund kann in
der Vorlagenbenutzung liegen; wenn wir eine solche in weitem
Umfange annehmen, erklärt es sich auch am besten, dass in
der Zeit, wo k und ch nebeneinander verwendet wurden, k mit
fühlbarer Regelmässigkeit dem Worte hmt verblieb, d. h.
einem Bestandteile der Eingangsformel, welche zuerst und
ganz besonders der Gefahr kopiert zu werden unterliegen
musste.^ Von 1356 an schreibt S^, nur k anlautend, für
inlautendes k hatte er schon 1354 häufiger ck gebraucht. Sein
Nachfolger S^j und noch vor 1368 seine Gehilfen weichen
von der Schreibweise des Stadtschreibers Hagen (S,,) nicht
ab. Die Ursache zu dieser ausgeprägten Regelmässigkeit
kann ich nur in dem Vorbilde der Urkunden Kaiser Karls
sehen, während nämlich die kaiserliche Kanzlei unter Kaiser
Ludwig zwar überwiegend k schrieb, aber ch mit unterlaufen
liess, (1341: knfer, kat/ser, hecliennen, chumty urchunt (A).
1342. cheifer, gechlagt, chomen, ker/fertumes (A). 1342: keyfer,
ehumt (A). 1344: kayfer, kai/ferlichen, etoiclichen (A). 1344:
keifer , . . (A). 1345: keifer, bechemien, urchtiende (A). 1346:
i (A).), brachten die Urkunden Karls nur k, mit Ausnahme
weniger Urkunden: (1347: konig, kuntj camerknechte, marg,
urkund. 1348 au den Hofschenken (in Dresden ausgestellt):
kung, kxinty verchouffeih urchund (A). 1348 an den Rat von
Augsburg (in Dresden ausgestellt): /: (A). 1354: kunig, kunt,
naclikomen, urchund (A). 1355: ketUr, bechemien, chnnd, urchund
(A). Von 1356 an bleibt ch ganz ausserhalb der kaiserlichen
* Vgl. die Belege.
492 Dritter Abschnitt. 246
Schriftstücke. Die bischöflichen Urkunden, in denen schoo
in dem letzten Dezennium des 13. Jh. k stark Platz gegriffen
hatte; verwenden mit erkennbarer flegelmässigkeit von 1351 aniL
Die klösterlichen Urkunden von St. Ulrich bevorzugen k
von 1342 an. St. Katharina hat den handschriftlichen Quellen
nach nur k, in der frühesten Zeit hin und wieder eh.
In den internen Denkmälern gewinnt k erst in den
sechziger Jahren die Oberhand über eh: von 1366 ab ist k
anlautend, ck inlautend, g, c auslautend für g; einmal finde
ich ewigclich 1370.^ In einer Eintragung des Achtbuchs von
1370 schreibt S^^: chomen, chom, keifer, — Im Allgemeinen
darf man sagen, dass das Muster des kaiserlichen Kanzlei-
schreibbrauchs von 1356 an uniformierend auf die augsburgische
Orthographie der Gutturalreihe gewirkt hat; denn auch in
der Schreibung des h und ch für die Spirans und die Aspirator
macht sich; wie wir sehen werden, dieser Einfluss geltend,
wenn auch weniger durchdringend.
h, ch: Belege:
Urkunden:
städtische: 1272. iaergelichef, avch, fchent, zaehenden,
chirchgazze, nihtef, niht Sj (U. II). — 1280.
auch, ahzigoften, geliehen, zaehenden S^ (H.)
— 1282. Sezehen, hazogoften S, (H.) —
naehften, durh, nah S^ (A). — auh, auch, niht,
hoher, rihten, noh, noch, dvrh, lihte, fchube,
hohin, Berhtolt, gefchah, ahzigoften S, (R. \y,
4,4). — avh, kainerf Iahte, durh S, (A). —
1283: durch, durh, -ich, durnehtlichen Sg (A).
Liehtmiffe, ahtzigoften, prichet, auch, och S^
(A). — 1289: Achzeguftem, gefchach ? (A).
1290 Rat: durh, niht Sg (H). — Solhiv Sg (A).
— 1291: Truchfaetzze, gefchaehe, ovch, rehtiv
Sg (H). — 1296: ovch, auch, hooptreht, folh
S^ (ß. 6,5). — 1299: jach Sg (A). — 1300:
* Achtbuch 29 a.
247 KonsouantismuB. 493
mohte, verrihte, gemachte, niht, H6hfteten S^
(C. 5). — 1303: nit Sg ? — 1304: rethef,
TTcfakTnde, auch Sg (A). — sechziek, auch,
reht, nachf S^ (A.). — 1306: avh, reht, rechts,
raechtes S^ (C. 6). — recht, faechften, verzigeu,
verzeicheu S^ (ü. 2). — 1313: befuchtes, auch,
aufgeriht S,. — 1315: nit Sg (A). —
1315 — 1340: ch und h wechseln, gewöhnlich h
vort. — 1329: gehohrun S, (H. 16). —
Seit den vierziger Jahren : immer ch in -lieh, sonst
auch ch bevorzugt, aber vor t hält sich h. — ^i?'
1348: vMhten, nachkomen, geruwiclichen (A).
— 1350: vergich, ach, rechts (H. 22). — 1352:
offenlich, fwelhi, vergich, braht, brauht (purch-
fraw . . . ). — vergihe. —
Achtbuch: Bis 1367 in der Regel ch für ch, vor t in der Regel
h, (Sjg— Si,). — S,^: 1367: Aecht, recht
(26. b.) — Aecht, kneht, recht (26. b.) — 1368:
nehften, geRiht, rehter (22. b.) — knecht, geriht.
Aecht, Reht (27. a.) — h und ch wechseln vor t.
ch, h: Bezeiehnnng:
h und ch sind in ihrer Behandlung nicht geschieden. Mit
einiger Regelmässigkeit wird h vor Dentalen (£, z, s), am
sichersten vor t geschrieben, z. B. dlizigolten, Sezelien, reht,
geriht ... — Am Ende unseres Zeitraumes, etwa von den
vierziger Jahren ab, wird A vor t streng festgehalten, während
ch an anderen Stellen h verdrängt. Ein Einfluss der
kaiserlichen Urkunden lässt sich mit Sicherheit
nicht feststellen. Von auffallenden Schreibungen ent-
halten die Quellen : 1282: Sezehen, hazogoAen S,. — Zuweilen
findet sich Umstellung von h und t: retlief. In mht fallt A
zuweilen schon im 13. Jh. aus. Gegenüber steht: 1329:
gehdhnm S^.
1: Geltung und Bezeichnung.
Nur Einzelheiten führe ich hier an. Im Volksmunde wird
noch heute in dem Worte hischof vor dem/ ein 1-Laut gehört;
494 Dritter Abschnitt. 248
für unsere Zeit ist diese Erscheinung durch die vereinzelte
Schreibung bischolf in Stadtbuch (Stadtb. 34 b.), in einer Ein-
tragung der Hand S,, belegt. Wechsel von l und r finde
ich in der Schreibung des Eigennamens Prior als Priol (1317. |
14. Jan. Sg (A)) vertreten. — Ausgefallen ist / einmal in '
ISnd = follent (1329. S^ ?), ob durch Versehen oder durch '
Gewohnheit, kann ich nicht entscheiden. — Nicht selten wird
l in cds abgestossen und es fehlt auch in der Schreibung az
(1327. St. Stephan (A)).
m: Geltung und Bezeichnung.
m wird vor g in paungarten einmal 1370 (Achtbuch 101b,
Sjo) als n geschrieben. Ist dieser Vorgang phonetisch, so
steht er der Wandlung des n vor b zu m gegenüber, wie ihn
Sj stereotyp in vmbeßtichtez zur Kenntnis bringt. — m unter-
liegt zuweilen der Abkürzung, das Zeichen dafür ist dasselbe
wie das für n, z. B.: Sältag (Achtbuch 56 a S,^, 2 mal).
n: Geltung und Bezeichnung.
n vor Labialis (b) wird m bei S^ : vmberücJäs ist bei ihm
Btereotjf] fumßhalby z. B. : 1336. S^g (A). Auslautendes n
wird von dem heutigen Augsburger durch die Nasalieruug
des vorhergehenden Vokals ersetzt und ganz abgestossen. Die
Plexionssilbe -en z. B. : spricht er -e und einfach e. Für das
13. und 14. Jh. geben mir die handschriftlichen Quellen keine
Aufklärung über Nasalierung oder Nichtnasalierung. In der
Schreibung wird jedes n geschrieben, sehr häufig durch ~
über dem vorhergehenden Vokal angedeutet. Wenn ich nun
zwei Formen vorfinde, welche auf den Vokal endigen, n also
abgestreift zu haben scheinen, so glaube ich hier eher eine
Schreibflüchtigkeit, etwa das Vergessen des Striches annehmen
zu dürfen, die beiden Wörter sind: qfenlicJie (1273. 13. Mai Sj)
und Alitzigofte (1284. Montag nach dem 19. Jan. S^ (A)).
Zweifelhaft ist mir die Form: habe (l.pl.) (1282. Sj) und:
welle wir (1292. Sg (Ä)). — Einmal schreibt Sg gebe (= part.
praet.) 1293.
349 Konsonantismus. 495
j: Geltang und Bezeichnniig.
Als Schriftzeichen ist j in den Vorbemerkungen über
'Zeichen und Bachstaben' behandelt. Es wird in dem Yerbum
verjehen zuweilen als g geschrieben: vergich und vergehen (1351.
S„ (A)).
EonsonanteiiTerdopplnng.
Bei der Besprechung des t haben wir eine Neigung
mhd. und so auch augsburgischer Schreiber kennen gelernt,
t zu verdoppeln, auch dann, wo nach unseren nhd. Begriffen
kein Grund zur Gemination vorliegt. Die gleiche Beobachtung
machen wir an /, hier hat das ff indes seine etymologische
Berechtigung, da es aus gothischem -pj in den ja-Stämmen
entstanden ist. kaufen wird daher in unseren Quellen sehr
häufig katiffen geschrieben. Ausserdem haben wir offte und
offen regelmässig mit/*, sehr oft auch Ih^affen (z. B. : 1343.
ftraffeny verkauffen (Achtb. 62 a.); 1353. : er grt/ff'et (Achth. 70 a).
Zuweilen schliesst die Dativform dorf nach Apokope des Vokals
mit ff: 1355. ze dorff (dat.) Sj, (A). -— Verdopplung des n
haben mir regelrecht in den Gerundivformen ze iume u. a.
Formen, in denen später nach Apokope des e das zweite 7i
zu d sich verwandelt ^ Unbegründete Verdopplung zeigt einmal
die Form der 3. plur. ind. praes. kauffmnt (Stadtb., Grund-
text 25 b. S^).
Synkope und Apokope: Belege.
Urkunden.
1272. gnaden, vufers, verfvmet, naeheften, Gotefhvfes S^
(U. 2). - 1273, belibe, gvtef, baierf Sj (A). — 1277. froven,
Spietalf, nihtef, frovn. — 1279. kaufet, vrawen Sj (0. 2)., —
1282. belibe, naehften, (vnferre), habe (l.pl) S^ (A). —
1280. kauft Si (H). — 1282. hörnt, -er, -en S,. — 1282.
fogtan, belieben, hern, drvnder, lefent, fvln, varn, gedecket.
^ Vergl. die Urkunden namentlich in den Jahren 1346 — 1352, in
denen von allen Augsburger Schreibern mit Vorliebe die Formel *ze
hahenne vnd ze niezzenne* geschrieben wird: ze habend (auch ze Iiabent)
vnd ze niezend (vgl. bei d).
496 Dritter Abschnitt. 250
machen, herren, kapeln, wolt wem, bwen, einf Schuhes ge-
raichet, im (pron.), irren (inf.) Sg(R. X| 4). — giltet, laebt, -en,
fiün Sj (A). — -en, kauflFt, ertailet, verfitzzet Sg. — 1290.
Rat: genade, gewonhait, vor, uarn, fulen, -en Sg (H). — 1292.
genade, benotet, welle (l.pl.) Sg (A). — genaden, beleiben,
gottes, angehört, verbürget, gezaiget, fvlen, bürgere, gefetzzet
Sg (Fürst, fei. XV V ÖO, 3). — 1293. ainf, waer (c), entaet
(c.) bewaert Sg (C. 4). — 1295. genvge, ainz, Hof (dat.) S,
(A). — 1296. Rat und Bischof: genaden, -et, -es, -en, -e
(dat.), haben (1. pl.), vnfers ftiwer, gotf hufe Sg (R. 6, 5). —
1298. Qeiftes, leipgedingef, belibe (c.) faelb (n. pl.) leib (n. pl.)
chlagt, dorfe (d.) Sg (A). — 1302. blib, Gotzhufe, -es, veld
(d.) holze (d.) blib, vnbefvhtz Sg (hl. C. 4). — vmbefvchtef,
verkauffet, landef, rehtef, nach def landef rehte, dorf (d.),
velde (d.), holze (d.), im, — 1306. gwihts, Gots, glegen, gnvg
Gots, fins, dorf (d.), veld (d.) frivnd (g. pl.) bawet, gehört,
fvln Sg (A). — 1308. Ulm: genade, gemaenglich, Gotzhufes,
Bfchofes, -en, enphahen, geuiele (c), waer (c), taete, getaedinget,
Ulme (d.), Jare (d.), fritage (d.). — 1309. Vogt: fogtann,
hörnt, anders, hofti, hovfti, kvniges gaeb (c), fvn (n. pl.) (A).
— 1351. bowt, Reychs S^, (H). — 1356. füllen, entlofen,
jerlichen, offenlich, üfrihten, gehenckt. — 1358. fteten, naemen,
gehenckt, gebürde S^^. — 1359. in dorf oder ze velde gebürde,
üfgeben S^g. — 1368. Rat: gemeinclichen, gemeint, heizzen,
hailigen, mugen, volfuren, zunfften S^g (A).
Synkope und Apokope: Geltung.
Die Vorgänge der Synkope und Apokope, die, weil sie
beide einer Tendenz entsprungen sind, auch am zweckmässigsten
neben einander behandelt werden, sind nur in der Ausdehnung,
welche sie in der schriftlichen Darstellung in mhd. Zeit ge-
funden haben, ein spezifisches Eigentum des Schwäbischen.
Als lautliche Prozesse sind sie allgemein verbreitet, regel-
mässig da, wo Affekte, die ein bewegtes, rasches Sprechtempo
anregen, eine weitgehende Reduktion der Nebensilben ver-
anlassen. Sie sind darum namentlich eine vorzügliche Waffe,
261 Konsonantismus. 497
um dem amtlichen Sprechton, wie er in urkundlichen Willens-
erklärungen ganz von selbst sich einfindet, ein energisches
Gepräge zu verleihen. ^ Indem nun diese Erscheinungen
lediglich rhetorische Mittel sind, ist ihr Eintritt an kein
formulierbares Gesetz gebunden. 'So wandellos der Haupt-
iktus fixiert ist', sagt KaufFmann,^ *so schwankend ist die
rein rhetorische Abstufung innerhalb der Sprechtakte, was
Nebeniktus und Nachdruckslosigkeit betrifft, und es gilt der
Satz, dass jede nicht expiratorisch starke Silbe ihren Sonanten
verlieren kann.^
Entsprechend bietet die Schreibung ein buntes Bild. Aus
der Fülle unseres Materials kann daher nur Einzelnes namhaft
gemacht werden; ich verweise dafür auf die vorangestellten
Belege. Aus ihnen ergiebt sich, dass mit einiger Regelmässig-
keit nur die Apokope im dat. sing, der Substantiva, in der
ersten Zeit die Apokope in der 3. sing. conj. praet. waer^
für waere eingetreten ist, während sich die Synkope mit Vor-
liebe allerdings der Vorsilben he- (vor t) und ge- und der
Endung der 3. sing, praes. und praet. und des part. praet.
bemächtigt hat,^ aber doch nur so, dass man sagen kann,
dass diese oder jene Urkunde eine ausgeprägte Vorliebe für
die synkopierten Formen erkennen lässt. Unter den Schreibern
ist es allein Sg, der in der ersten Zeit seiner Schreiber-
thätigkeit in Augsburg die Verkürzung der Wörter ablehnt.
* Vgl. Rückert: Geschichte der nhd. Schriftsprache I, 218.
* Kauffmann: schwäb. Mundart S. 136.
' Vgl. dazu Winteler: Kerenzer Mundart S. 119 und Beispiele
S. 179, 218, 216 Anm. ad. 3, 2.
*' Die Sonderstellung des xoaer (3. s. conj.) giebt sich kund in einer
Ulmer Urkunde (1308), welche ausser dieser einen Form waer keine
Synkope und keine Apokope kennt. Die verkürzte Form scheint durchaus
ein Erfordernis des Rhythmus der Urkunde zu sein, indem die Formel
^vcaer da£ gleichsam wie ein Vorschlag den folgenden Gedanken einleitet.
^ gemaindichen darf auch als Beispiel einer gewissen regelmässigen
Synkope des Vokals des Affixes (-ec) gelten. Synkopiert wird e auch in
dem dat. sing. masc. der Adjektiva und des unbestimmten Artikels ei7i,
eim, offenm (Achtb. 50 b.) offenm (A. 51 b.)-
498 Dritter Abschnitt. 252
später nimmt auch er die schwäbische G-ewohnheit an. S^,
bildet im Gegensatz zu ihm diese sprachliche Eigenheit ganz
besonders aus. Wie steht es nun hier mit dem normierenden
Einflüsse der kaiserlichen Urkunden ? unter Ludwig ist von
ihm nichts zu spüren; freilich zeigen die Schriftstücke seiner
Kanzlei ein ähnliches Bild wie die gleichzeitigen augsburgischeo.
Die Urkunden der Prager Kanzlei unter Karl IV. aber trugen
von vornherein einen derartigen Charakter in der Behandlung
der Endsilben (Flexionssilben) zur Schau, dass es sich für
die augsburgisch-städtischen Schreiber zu empfehlen schien,
den Abstand von den durch die Verwendung des i in den
Elexionssilben erzielten volleren Formen der kaiserlichen Ur-
kunden nicht durch die Festhaltung ihrer Gewohnheit zu
vergrössern. Es beschränkt sich daher zusehends die Synkope
der Endungen auf die 3. sing, praes. ind. und auf das part.
praet. ; während das -en des dat. plur. der Nomina und die
luflnitivendung mit mehr Bedachtsamkeit in der schriftlichen
Darstellung erhalten wird. Synkope der Präfize wurde nach
wir vor geübt; auch die Urkunden Karls zeigten sie in weitem
Umfange.
Gar nicht der Verkürzung durch Synkope erlag in unsern
Denkmälern die Endung und Bildungssilbe -er] nie also
finde ich 7nütr, hrudr, burgr; nur der Beduktionsvokal e in
Wörtern wie: ftitver, (niwr), Mauer u. a. wird häufig aus-
gestossen.
Zerdehntmg : Ein- und Anfügung von Vokalen.
Im Gegensatz zu der eben besprochenen Verkürzung des
Wortbildes lieben es einzelne augsburgische Schreiber, das
Wort durch einen eingeschobenen Vokal zu verlängern. ^
Nachklang hinter verbundener Liquida erscheint in: arem
sturmgloggen (Stadtb.), /wnt/ (Achtb. 51 b.) j)ferü (Achtb. 71 b.
1354). Ferner: lyrobeü, (1272. Sj f U. II)) angeft (Stadtb.
Gr. 45 b. Sj) wogete (Stadtb. Nov. 37 a. Sj). Dem hrobelt
1 Vgl. Weinhold: mhd. Gramm. § 35.
263 Konsonantismus. 499
liegt ein prouüta zu Grunde, welches in der ältesten Augs-
bnrger Urkunde sich vorfindet.^ Ich selbst habe noch heute
für ^Turm' in Augsburg iur9m sprechen hören.
Anfügung von -« tritt ein am Schlüsse von Verbalformen :
1341. als R gebom wurde Sjg (A). — 1302. gehabte hat, ge-
machte hat in einer Urkunde von St. Ulrich (U. 6). — 1348.
rehende (3. pl.) hörende, lefend (pl.) St. Kath. — 1336. hande
(= hatte) 8,2 (U. 6).
Volle Flexionen: Belege«
1320. hantveftin 8^ (A). — 1326. Magdalenun S^o- —
1326. heti, rihti, (wolt) S^. — 1331. triwlichoft, vaftvn, vrarnvn
8g (A). — 1336. Rat: -an, -i, -iu 8,8« — 1339. gefamm-
noten 8^3. — 1366. ze Oftrun 8,^. — 1367. geuertigot
Sj^. — 1357. bowot, Oftrun 8,,. — 1366. hellgazzun,
vaftun (2x) Sj^.
Bischof: 1326, geveftnut (A). — 1329. dingun, gehohrun.
Klöster: 1326, geuaftut, vaftun (hl. Kr. 7). — 1337.
haetan (St. U.).
Stadtbuch: 83: nidroft; nidroren (72a).
Volle Flexionen.
Einen ähnlichen Gegenzug gegen die Verkürzung und
Qualitätsverringerung mancher Formen bildet die Gewohnheit
augsburgischer Schreiber, manche Flexionssilben mit vollen
Vokalen auszustatten. Nachdem Behaghel ^ über diese Formen
eingehend gehandelt, Kauffmann darauf in seinem Referat der
Behagheischen Untersuchungen, ^ die im Allgemeinen nicht
haltbare Ansicht Behaghels, dass in den Vokalen a, i, u, o
der Flexionen volle lebende Laute vertreten sind, widerlegt
hat, ist es für mich überflüssig, die Frage einer nochmaligen
^ Hierher gehört auch die schon erwähnte Form: enthelofen für
efitlofenj siehe hei t (451.) Vgl. Kauffmann a. a. 0. S. 118.
* 0. Behaghel: Zur Frage nach einer mittelhoehdeutschon Schrift-
sprache. Basel. Festschrift 1886.
« P. Br. B. XIII, 464 ff.
600 Dritter Abschnitt. 254
Erörterung zu unterziehen; ich verweise namentlich auf Kaufif-
manus Ausfiihrungen in seiner "Geschichte der schwäbischen
Mundart\^ Ich kann an dieser Stelle nur das von ihm an-
geführte Belegmaterial aus den mir vorliegenden handschrift-
lichen Quellen vervollständigen. Meine Belege beweisen, dass
die vollen Flexionen nach dem Ende unseres Zeitraums zu
durchaus nicht abnehmen, dass vielmehr namentlich die Endung
des Dativ Pluralis in den sechziger Jahren den vollen Vokal
erhält,^ und dass die Superlativendung -ost nach wie vor ge-
schrieben wird.
Superlativ und Komparativ: Geltung.
Die Endung des Superlativs -öst hat sich im Augsbur-
gischen nach Birlinger^ bis heute erhalten.
Bezeiehnnng.
Nur wenige Superlative kommen im Kontext der Schrift-
stücke, namentlich der Urkunden, vor, nur in der Datierungs-
formel wiederholt sich regelmässig die Zehnerzahl im Superlativ.
Abgesehen von einem svhenzegetten des Stadtschreibers S^ (1277)
endet bei allen augsburgischen Stadtschreibern bis circa 1340
der Superlativ auf -osL 1342 finde ich zum erstenmal bei
S,3* vierzigifien, S^^ hat 1342 zwaiundfiertzgoften. Von nun
» Kauffraann a. a. 0. § 111—117.
^ Ich gebe hier die vor das Jahr 1272 fallenden Zeug^nisse von (langen)
vollen Endungen in den Augsburger Urkunden : 1067. Marcwari de Fifcon
(^- Fischbach) (A). — 1071. Chionratifkouen, WaUhuHnf Luobon, nnUi-
hulinj pobingin, — 1143. 26. Nov.: Celestinus papa . . . Muron, Bozen
sonst: -en. für dat. plur. — 1145. Wcdtere de liwben. — 1157. de cf-rini/iw,
de riehen. — 1188. Weif dux . . . : de fuozin, de altmannifhovin, de
hopfin, de gruti, de felgi, ramuginj Jiagilltain, keminatun. — 1 153. cazz-
"unltein. Weinbold erklärt derartige volle Vokale in den Endungen für
sekundäre Bildungen; nach den eben aufgeführten Zeugnissen scheinen
die vollen Flexionsvokale im Augsburgisch-Schwäbischen eine unnnter-
brochene Fortführung aus dem ahd. ins mhd. gewesen zu sein, und zwar
durch die Eigennamen.
' Birlinger: augsb. -Schwab. Wörterb. S. 358.
* 1342 ist S|g nicht mehr Stadtschreiber, schreibt jedoch noch Ur-
kunden für die Bürger.
256 Konsonantismus. 501
an drängten sich die Formen auf -isten und mehr noch die
auf '8ten hervor; -ästen bleibt indes bei der Datierungsformel
vorherrschend. Wo sonst ein Superlativ in der Urkunde oder
in einem anderen Augsburger Denkmal sich findet, erscheint
er entweder mit der Endung -ost, oder häufiger mit der Endung
-est. Immerhin kann man nicht sagen, dass die Superlativ-
endung -08i nur dadurch, dass sie in einer Formel verwendet
wird und so gleichsam erstarrt, fähig war, sich in ihrer alten
Gestalt zu halten; Fälle wie truilichoft • . . beweisen, dass
die vollere Form den augsburgischen Schreibern an und für
sich geläufig war.
Für den Komparativ kann ich nur einmal -or belegen;
iueror schreibt 8^ 1330 in der Urkunde, welche er als Vorlage
an die kaiserliche Kanzlei ausfertigte.
Konduktiv formen.
Die 3. sing. conj. praes. und praet. wird sehr häufig von
den Augsburger Schreibern mit i geschrieben: heti, laugeneti,
stitrbi: 1326. häi, wölt, rihti S^ (C). — 1335. haeti, gehorti,
haetij lieseiy laugeneti, waer, het, fÖlii S^g (St. U. 5). — 1337.
heü Si3 (A), — 1338. werdi, beUbe. St. Kath.
3. sing. conj. praes.: 1334. Kaiser: weüi (A).
3. plur. conj. praet: 1333. Taeün 8^^ (C. 7). — 1334.
Kaiser: Rent (2. plur.) S^j (U. 5). — 1336. tdedriy hien,
wohin Sj8 (U. 5). — 1335. fchufßn, möMin, frageten, — 1335.
habm^ habin (1. plur.) Sjg (U. 5). — 1337. habin (1. pl.), haeion
(1. pl.) St. Ulrich.
Zusammensetzung des Infinitivs mit ge-.
Vor viele Verba wird, wenn sie in Abhängigkeit von
inugen, foln, kunnen, wellen treten, ein ge- als Präfix vorgesetzt. ^
Die Augsburger Urkunden zeigen eine starke Neigung zu
dieser Verbindung: z. B. 1312. gelailten möht S, (A). — 1335.
gehacen fulen S^g- — 1337. getvn wdlten Sjg. — 1347. geuaren
mag getun mugen Sj, (R. Xi 10,4).
^ Vgl. über diese Verbindungen: Weinhold: mhd. Gr. § 286 und
die an dieser Stelle angegebene Litteratur.
502 Dritter Absohnitt. 266
Adyerbialbildung auf -liehen.
Bis in die Mitte des 14. Jhs. herrscht in den Aagsbnrger
Denkmälern durchaus -liehen] schon in den vierziger Jahren
aber drängt sich die kürzere Form -lieh hervor ; sie wird durch
Hagen S^, nach dem Vorbilde der kaiserlichen Urkunden zur
herrschenden erhoben. Von 1346 an heisst es ofenUch, ge-
ruwclich,
Gesamtrerlanf der Entwicklung der angsbnrgisehen
Kanzleisprache.
Die voranstehenden Untersuchungen laufen in ihrem letzten
Ziel auf zwei prinzipielle Fragen hinaus, welche keine laut-
geschichtliche Betrachtung umgehen kann, und welche sich
auf dem Augsburger ürkundenterritorium besonders stark auf-
drängen. Hier tritt in erster Linie die Frage an uns heran :
Steht die lebende Sprache der Zeit überhaupt
in einem ursächlichen Zusammenhange mit der
Sprache der Rechtsdenkmäler und in welchem
Masse? Wenn ein solcher Zusammenhang zu erweisen ist, so
fragt es sich ferner: Hat die durch ihn bedingte
Schreibweise eine bindende Kraft für die ürkunden-
schreiber desselben Territoriums. Oder darf
endlich der Schreiber fremden Einflüssen nach-
geben? Und ist also die Schriftsprache der Urkunden, all-
gemeiner die Kanzleisprache, namentlich gleichartigen (kanz*
listischen) Einflüssen zugänglich gewesen? — Es tritt also im
letzten Punkte das Problem der 'Kanzleisprache', ^ vornehmlich
der kaiserlichen Kanzleisprache, in den Elreis unserer Be-
trachtung, zeitlich allerdings nur die gewählte Periode streifend.
Die Lösung der ersten Frage glaube ich durch meine
lautstatistischen Betrachtungen erreicht zu haben, indem ich
an der Hand aller einschlägigen handschriftlichen Auf-
zeichnungen, — sowohl derer, welche das Gebiet der Stadt
' Ich stelle hier die höfisohe Kanzleisprache neben die mittelhoch-
deutsche Dichtersprache.
367 SonBonantiBmuB. 503
zu yerlaBsen bestimmt oder dieser Möglichkeit wenigstens
aasgesetzt waren, als auch derer, welche von keioeriei Rück-
sichten auf die ausserhalb geltenden Gewohnheiten bedingt
waren und darum unverfärbt in der Sprech* und Schreibweise
der Stadt sich bewegen konnten, — nachzuweisen suchte, wie
weit die in den Quellen in die Augen springenden Wand-
lungen des LautBtandes einerseits und gewisse stehende Formen
andererseits auf Bechnung der geltenden Sprache kommen.
Ich ermittelte folgendes: Wenn ich überhaupt von einer 'ge-
sprochenen Sprache' rede, so giebt sich dieselbe für mich in
zweierlei Gestalt als Grundlage zu und in den schriftlichen
Denkmälern kund:
A., als die jeweilig gesprochene Sprache der Ge-
bildeten der Stadt, und als solche ist sie 1. die dem
Schreiber in den meisten Fällen selbst eigene
Sprechweise, welche ihn daran gewöhnt, seinen ge-
schriebenen Lauten eine solche Form zu geben, dass sie
sich erkennbar von dem vulgären Lautstand abhebt; ^ ^
und S. auf dem Wege 'dictandi' in die schriftliche
Darstellung, Tornehmlich der Urkunden, hineingetragen.
B., als die lebende Mundart im alltäglichen Verkehr, *
zuweilen durchsetzt mit vulgären Elementen, von denen
die einen in weiter zurückliegenden Zeiten der allgemeinen
gesprochenen Sprache der Stadt angehört, andere auf
erkennbarem und unerkennbarem Wege in dem Strassen-
idiom sich eingebürgert haben.
Weil der Augsburger höheren Standes für die Länge der
a-Farbe d sprach, sei es weil er die Gewohnheit seiner
Vorfahren bewahren, sei es weil er sich dadurch vorteilhaft
von dem gemeinen Manne unterscheiden wollte, in dessen
Aussprache 'au' er eine Grobheit gegenüber dem ausserhalb
seiner Heimat gesprochenen Laute erkannte, schrieb der
Schreiber gern a; um so mehr noch, weil er damit in jedem
^ Vgl. Kauffmann: schw. M. S. 281.
* Im Folgenden: 'Mundart Bchleohthin', 'VolkBrnundarf, 'VolkB-
mund'i 'Ynlgänprache', 'Sprache des gemeinen Mannes' genannt.
33
504 Dritter Abschnitt. 258
Falle der Tradition gerecht wurde. Der mustergültigen Aus-
sprache folgend musste er auch, wenn er einen Doppellaut
kenntlich machen wollte, ei für % schreiben; ai gehörte dem
Volksmunde an, welcher es durch seinen Verkehr mit Leuten
gleichen Standes aus Baiem angenommen hatte. Die Kanzlei-
sprache des 14. Jhs. kennt es nicht. Namentlich aber stellte
die mustergültige Sprache an die ürkundenschreiber die An-
forderung, vulgär mundartliche Erscheinungen, wie die Ent-
rundung dumpfer Vokale o und u bei der Trübung zu ö und ü
zu yermeiden. Mochte der gemeine Mann e und i hören
lassen, in die diplomatischen Schriftstücke dieselben aufzu-
nehmen hielt man für unstatthaft. — Nicht zu verdrängen
vermocht hat die höhere Gesellschaftssprache die Form
^liechtmHTe\ welche durchaus in dem Volksmunde lebt; nur
wird das jener angehörige liechtmaeffe, liechtmef/e häufig genug
gerade in den Urkunden geschrieben, so dass man es als ein
Sprachgut der Gesellschafts- und Schriftsprache gelten lassen
darf. — Der Konsonantenstand der Urkunden ist im Grossen
nnd Ganzen bis zum Schluss der Periode derjenige geblieben,
mit welchem die deutsch abgefassten Urkunden Augsburgs
1272 die Reihe eröffneten. Er ist Gemeingut der 'Gesell-
schaftssprache', der 'Mundart' und der 'Kanzleisprache schlecht-
hin', ohne dass sich einer der drei Faktoren über die anderen
zu erheben vermag; es müsste denn die am AnjEeing unseres
Zeitraumes sich kundgebende E[lärung der Bezeichnung von
anlautendem k mit k und auslautendem g mit g und k auf
Rechnung der 'geschriebenen Sprache' gesetzt werden. In
keiner Weise aber etwa kann man von einer sich über die
'Mundart' erhebenden Behandlung des Konsonanten in der
Sprache der Gebildeten Augsburgs reden. Nur von den Ge-
waltsamkeiten der Mundart hält sich die Kanzleisprache frei.
Darunter verstehe ich vor allem die Behandlung der Nasale
in den Endungen. Aeusserst selten nämlich, wenn auch
zweifellos, drängt sich ein starkes participium perf. pass. auf
-e, anstatt mhd. -en und die 1. plur. praes. auf e in eine Ur-
kunde hinein; dass solche Formen überhaupt hier leben, ist
269 KonsoDantismus. 505
«in Beweis, dass sie Sprachgut schon im 13. und 14. Jh.
fiind; der umstand, dass sie so ausserordentlich selten auf-
tauchen, verweist sie in ein für die Zwecke der Schriftsprache
wenig gepflegtes Sprachgebiet. Ich bin daher geneigt, die
Festhaltung des n in den Endiungen der Strenge der gebildeten
Sprache zuzuschreiben. Von vornherein perhorresziert wurde
«ine dem Lautwert der Mundart entsprechende Wiedergabe
der 8 vor /, m, n, t im Auslaut und Inlaut yomehmlich der
^ vor t nach helleren Vokalen, seh hat in solchen Stellungen
kein schriftliches Denkmal. Abseits steht eine Urkunde des
Klosters y. hl. Kreutz (1311) mit eilfchten.^ Andere Er-
scheinungen der Schriftsprache der zu Grunde gelegten Denk-
mäler Augsburgs sind die Spuren der Mundart, soweit sie
Gemeingut aller Gesellschaftsklassen der Stadt ist, und in
vereinzelten Verstössen, soweit sie die Umgangssprache des
Volkes allein ausmacht. Ich bemerke hier noch einmal, dass
ich die Sprech- und Schreibweise a z. B. als eine Tendenz
betrachtet wissen wollte, von der geschriebenen Sprache fern-
zuhalten, was im Vergleich mit mundartfremden mündlichen
und schriftlichen Gewohnheiten den Vorwurf des dialektischen
zu erleiden gehabt hätte. Da jedoch die Zeit noch nicht
dazu angethan war, solchen Bestrebungen volle Herrschaft zu
sichern, so ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass aus-
gesprochen mundartliche Eigenheiten im Gegensatz dazu in
«iner Zeit lautlicher Revolution, als welche ich die Wende
des 13. Jhs. betrachte, mit um so grösserer Gewalt zum
Durchbruch kamen. Die Nachhaltigkeit dieser leben-
digen Kraft der Volkssprache wird gesichert durch
die konservative Haltung aller litterarischen Erzeugnisse,
nachdem der Widerstand der Tradition einmal gebrochen war.
<iu verlässt die Urkundensprache nicht mehr im 14. Jh.
Nie schwankend, noch weniger ausgesprochen feindlich, verhält
sich die geschriebene Sprache zu den spezifisch schwäbischen
Doppellauten, als welche sowohl o und n selbst, als auch die
weit frühere Entwicklung des uo sich geltend machen: o
» Vgl. o. S. 228.
38»
606 Dritter Abschnitt. 260
bekennt sich als o, u als & (u). £m nntrüglicheB Kennzeichen
der ^Mundart' äussert sich ferner in der zeitweise sich
wieder hervordrängenden Schreibang der «-Laate als ei,
in der lebenden Sprache als ee (e») geltend und als solches
einmal vorübergehend in ^en überliefert. Wenn gerade diese
Schreibung ei in den internen Denkmälern Augsburgs sich
mehr breit macht, während eine gewisse Zaghaftigkeit in den
öffentlichen Schriftstücken sich kundgiebt, so ist letztere
allerdings auf der einen Seite ein Beweis für das stetig pul-
sierende Leben der Mundart auch in litterarischen Erzeug-
nissen, welche durch mancherlei Umstände geleitet derselben
eher ausweichen zu müssen scheinen, aber auch ein Zeugnis
für eine grobmundartliche Erscheinungen perhorreszierende
Gewalt.
Als ein Erzeugnis der Mundart können wir, wie schon
bemerkt, bedingungsweise den Konsonantismus unserer Denk-
mäler ansprechen; bestimmt hat die Mundart auf die un-
geregelte Verteilung der überlieferten Zeichen für die Labialen
und Dentalen und für das etymolof^ische k gewirkt. In der
Beihe der Labialen nämlich ist die Trennung von Explosiva
foi*tis und -lenis nicht streng durchgeführt:
p erscheint für mhd. b mit der gleichen Willkürlichkeit
noch im Ausgang unseres Abschnittes wie am Anfang, wenn
auch Schriftstücke, welche die Schreibweise p für b einheitlich
durchfuhren, nur der Anfangszeit angehören (z. B. 1283. 29.
März. Bat: S,,). Im 14. Jh. lassen nur Sj,, Sj^ und S^^ ^
— das ist der Zeitraum von 1336 — 1345 — eine starke
Vorliebe für p als Ausdruck von etymologischem b erkennen.
Sj, bemüht sich im Gegensatz zu ihnen, das p zu unterdrücken
und unter dem Vorbild der kaiserlichen Kanzlei b zur regel-
rechten Bezeichnung des gemeinhochdeutschen b zu erheben.
Vorausgegangen war ihm mit der gleichen Tendenz, entgegen
dem Augsburger Schreibgebrauch, eine einheitliche, höheren
Ortes empfohlene Bezeichnung mit b einzufuhren, der Schreiber
^ Sie ist zu dieser Zeit Gehülfe.
261 Konsonaotismas. 507
des Bischofs Heinrich (von 1338^1340), aus dessen SLand
auch die kaiserlichen Schriftstücke derselben Zeit hervor-
gingen. Dass die bischöfliche Kanzlei dieser Zeit dem augs«
burgischen Sprachleben an und für sich nicht zu fern stand,
bezeugt die Aufrechterhaltung des au in bischöflichen Schrift-
stücken, die Schreibung u und u für uo und ti. Im Konso-
nantismus aber markiert sie im ganzen Umfang den Beginn
derjenigen Aera, welche dem Siege der Schriftsprache un-
mittelbar voranging, sie schreibt nur: 6 für A, k für kj pf
für ph,
w und tt für 6 kennt noch das 14. Jh. Sie sind nach
den von mir benutzten handschriftlichen Quellen nur wenig
bezeugt; wo sie erscheinen, dürfen sie als Lebenszeichen der
Mundart gelten. In dieser unterscheiden sich w und b im
Klange nicht zu sehr, daher vertritt nicht sowohl to, u das
mhd. bj sondern auch häufig genug b die etymologische Spirans in
gerubclichj wübe. ^ w und b lauten auch im Bairischen gleicli.
Mhd. p erfahrt aus demselben Grunde, welcher die Ver-
tauschung von b und p in der Schrift für b veranlasste, eine
gleich schwankende Behandlung, welche nur in der Schreibung
der Fremdwörter eine gleichmässige wird, indem die aus dem
Lateinischen abgeleiteten Wörter in der Begel mit b anlauten,
die aus dem Griechischen stammenden öfter mit b als mit p.
Auf diesem Gebiete lässt sich einEinfluss weder
der kaiserlichen Kanzleisprache noch auch einer
(anderen) lokalen Kanzleisprache feststellen.
phj die Verschiebung des german. p, erhält erst im 14. Jh.
die Gestalt von pf, dauernd seit dem fünften Dezennium. ^
Veranlassung ist möglicherweise der Vorgang des oben er-
wähnten bischöflichen Schreibers, mit grösserer Bestimmtheit
die Kanzleisprache des Hofes. Die Aussprache
näherte sich längst mehr der neuerdings angenommenen Gestalt,
als der traditionellen ph.
> 1355. ioübe St« (A).
' Einige Elostcrurkunden sseigen auch jetzt noch ph sehr häufig,
zuweilen ausschliesslich.
508 Dritter Abschnitt. 862
Endlich offenbart sich die Mundart in der schriftlicheD
Darstellung gewisser Flexionen. Nicht alle Flexionen nämlich
spielen in dem Leben der schwäbischen Mundart der mhd.
Zeit eine gleiche Rolle. Während ein Teil durch Synkope
und Apokope seinen Vokal ganz yerliert, und so die Flexions-
silbe stellenweise selbst verflüchtigt wird, wahren sich andere
Biegungssilben infolge eines sprachlichen Gegenzuges mit um
so grösserer Hartnäckigkeit eine älteren Zeiten angehörende
Fülle. Dazu neigt der Optativus praet., das Particip. praet.
pass. der schwachen Yerba auf -oty -utj und ganz ausser-
ordentlich der Superlativ auf -ost, Sie waren ein ebenso not-
wendiges Erfordernis einer feierlichen, betonungs-
reichen Sprechweise, wie sie Rechtsdenkmäler jeder Art
sich zu eigen gemacht haben, als die übermässige Dehnung weniger
gehaltvoller Vokale der Stammsilben. Gemeinsam halten sich
die erwähnten Schreibweisen bis in die erste Hälfte des 14.
Jhs. hinein, über diese hinaus ^ aber nur -ost^ obwohl die ge-
meinmittelhochdeutsche Schreibweise *e«^ -ist hart an ihm zu
rütteln beginnt Die Formen gan und stan weichen ebenso
wenig den ganz vereinzelt in nichtstädtischen Urkunden sich
geltend machenden gen und 8tm, — Die Entwicklung der
Endung -ent (3pl.) zu -end in dem letzten Drittel unserer
Periode darf auch als durch die Mundart bedingt gelten.
Die eben in kurzen Zügen vorgeführten Erscheinungen,
bald fest die ganze Zeit hindurch oder doch periodenweise
sich haltend, bald in ihrem Wechsel den Anforderungen des
lebendigen Lautes Rechnung tragend, haben sich zum grösseren
Teil als Sprachgut einer durch die Schrift in einem gewissen
Grade normalisierten 'Gesellschaftssprache' herausgestellt,
welche neben der mundartlichen Sprechweise des gemeinen
Mannes vorhanden war, zum kleineren, aber durchaus nicht
verschwindenden Teil sind sie die Frucht einer blühenden,
lebenskräftigen Mundart, welche nur in wenigen Fällen ganz
in den Hintergrund geschoben wurde; mit andern Worten:
^ Nur Sie zeigt sich als ein ausdauernder Freund langer Endsilben:
valtun^ heügazzun (1366). — der geuertigot (1357). — ze 0/trun (1356).
263 KouBonantisinus. 509
Die Schreiber halten sich sichtlich von den Sprachformen der
kleinen Leute dann gern fem, wenn die dem Schreibenden
näher liegende Sprache der Intelligenz eine Abweichung von
dem mundartlichen Sprachgut gebietet. Im andern Falle geht
die Sprache der Gebildeten nicht merklich in andere Bahnen
über als die städtische Gemeinsprache, so dass man ihrem
Zwange gehorchend diejenigen Formen hervorbringt, welche
die Schriftstflcke zu speziell augsburgischen und speziell
schwäbischen stempeln im Gegensatz zu den Erzeugnissen
anderer Städte und Territorien. Endlich giebt es Erscheinungen
in dem Bahmen eines diplomatischen Schriftstückes, deren
ureigene Domäne die 'Mundart^, die Yulgärsprache, allein ist.
Ich erinnere hier daran, dass solche Erscheinungen vorzugs-
weise in internen Denkmälern beobachtet wurden {liechtmiffey
korlamer), während sie sich von den für den Weltverkehr be-
stimmten Urkunden eher zurückzogen. Nie verschwinden sie
— und das liegt in der Natur der Sache — , soweit sie Be-
zeichnungsformen der Geschäftsgewohnheit der Stadt sind.
Ich muss an dieser Stelle davon absehen, auch nur Beispiele
dafür zu bringen, da der aus den ungedruckten Quellen ge-
schöpfte Stoff bisher noch nicht abgerundet genug ist, um ein
anschauliches Bild zu geben ; spätere Untersuchungen meiner-
seits, welche sich mit dem syntaktischen Sprachgut der Ur-
kunden insbesondere beschäftigen sollen, werden auch des
Wort- und Namenschatzes derselben Denkmäler gedenken.
Wie ist nun dieser in zwei von einer gewissen Zeit an
neben einander hergehenden Erscheinungsformen sich teilende
Lautstand in der augsburgischen Sprache unserer Zeit zur
Entwicklung gelangt ? Es hat sich ergeben, dass er zum Teil
organisch innerhalb der Mundart sich herausgebildet hat, mit
den Modifikationen, wie sie die Eigenart der Zeit, das Alter
und die körperliche Beschaffenheit des Sprechenden hervorrufen.
Bis zum Ende unserer Periode ist die 'Mundart* nicht zur
Ruhe gekommen; wir haben sie im 13. Jh. mit einem nicht
überall fertigen Bestand in unsere Zeit hineintreten sehen;
wir haben bald nach diesem Zeitpunkt ihr organisches Wirken
510 Dritter Abschnitt. S64
erfahren; neue Laute zu Tage fördernd stattet sie dieselben
als ihre ureigenen Kinder mit Elraft und Durchdringungs-
fähigkeit aus, zum Teil aber fremde Eindringlinge aufnehmend,
durchsetzt sie diese und reiht sie ihrem Haushalte ein. Einen
Abschnitt letzterer Art in der Beth&tigung der Augsburger
Mundart bildet die Diphthongierung ^ bisher einfacher Längen.
Da ihr Aufkeimen unsere ganze Periode erftUlt, so wird es
nicht überflilssig sein, dem Vorgang mit einigen Worten näher
zu treten. ^
Gegen eine autochthone Entstehung der Laute in einem
Ort Schwabens spricht die Erscheinung, dass in dem gesamten
alamannischen Gebiete eine stufenartige Zunahme der Ver«
breitung von S.W. nach N.O. besteht, d. h. dass Augsburg als
Vertreter des N.O. schliesslich einmal Ausgangspunkt gewesen
ist, aber nur als Vermittlungsstation von weiter ostwärts heran-
drängenden Bewegungen. Der Vorgang ist folgender gewesen:
Diphthongiert sind die alten Längen sowohl in
der Sprache der Gebildeten (Schriftgebildeten)
als in der Sprache des Volkes (^Mundart').
Jene, die Gebildeten, erfuhren die Neuerung
durch den schriftlichen, Handels- und diploma-
tischen Verkehr mit Baiern; diese, die Mundart
des Volkes, bildete ihre Diphthonge, wie ihre
Träger dieselben im persönlichen Verkehr mit
bairischen Leuten zu hören bekamen. Darnach
^ Einen phonetischen Erklärangraversnoh Kräaters (Z. f. d. Altert.
21,262 . . . ) halte ich für nützlich hier anzuführen; er bespricht hierin
die elsässischen Laute: ei, oUj öy, bes. im Hinblick auf ihre Stellungen
als Träger des Satzaccents. Dazu vgl. Schleicher : Kompendium. Weimar
1871. S. 116. 140. Boyg: Grammatik der Sanskrit-Sprache. Berlin
1668. § öl.
' Vgl. dazu die mittelhochdeutschen Grammatiken, welche sich alle
mehr oder weniger mit diesem lautlichen Vorgange befassen. Ausserdem :
Kauffmann: schw. Mundart: § 136 fi. Wiimauns: Zs da XVI, 119.
Steinmeyer: altdeutsche Studien S. 84. Schilling: Die Diphthongierung von
i, ü, iu (Programm der Realschule zu Werdau). Haupt: "Wiener Sitzungs-
Berichte 71, 184. Fischer zu Eauffmann: schw. M. in Germ. 36, 453.
266 KonBonantiamus. 511
mag die Sprache des Volkes am frühesten Doppellaute besessen
haben; erwerben konnte sie dieselben auf mannigfache Art.
1. Das Ostlechland war dem Augsburger ein
sozial naheliegendes Gebiet Zahlreiche Heiraten
fanden vom Augsburger Bistumsterritorium nach dem frei-
singischen hinüber und umgekehrt statt, es wurde ihnen durch
einen Vertrag zwischen den beiderseitigen Bischöfen schon
1268 23. Oktober ^ offizielle Sanktion erteilt und damit dieser
Weg für sprachliche Bildungen erweitert. 2. Der Handel
Augsburgs griff im Grossen wie im Kleinen zumeist nach
Baiern und nach Franken hinüber. So bestehen Zollregelungen
für die Befahrung des Lech. Eine solche konnte sich jedoch
nur auf den Transport alltäglicher Lebens- imd Verbrauchs-
mittel beschränken, es war damit also wiederum eine
Wechselbeziehung zwischen dem einfachen Volke
Augsburgs und dem der Ostlechgegend vermittelt.
Dieser Wasserweg erscheint mir jedoch von vornherein als
sehr schwach, um sprachliche Eligenheiten von Ort zu Ort zu
tragen. Vielleicht ist aus diesem Grunde auch die 'viel-
befahrene Verkehrsstrasse des Oberrheins' ^ geschützt vor den
neuen Diphthongen geblieben. Eher kann der Augsburger
auf dem Wege des Landhandels in Baiern, welcher urkund-
lichen Zeugnissen zufolge schon im 13. Jh. ^ in grösserem
Umfange betrieben wurde, bairisches Sprachgut sich angeeignet
haben. 3. Ein dritter Weg ist gleichfalls von geringerer Be-
deutung; nämlich der Zuzug von Bürgern bairischer
> Mon. Boica XXXUl a 104. 1268. 23. Okt. Bischof von Freysing
an den Bischof von Augsburg, 'quod de cetero et in perpetuum homines
Ecclefie noltre et Homines Ecclefie Augosteufis, fine sint Minifteriales,
fine cuiuscunque fexus fuerint aut conditionis homines, inter fe mutuo
et vicissim matrimonia fev nuptias contrahere ualeant libere, licenter et
inpune . . .'
< Kanffmann: schw. Mundart. S. 168. Der Verfasser kann hier das
Ausbleiben der Diphthongierung mit einem starken Verkehr nicht vereinen.
' Zengnis sind die Verträge Augsburgs mit den Herzögen von Baiern
über freies Geleit und freien Handel in Baieru.
512 Dritter Abschnitt. 266
Orte nach Augsburg. Den Bürgerbüchern nach ist
derselbe nämlich nicht so stark gewesen. ^
War nun auf diesem oder jenem Wege aus dem Sprachgut
der fremden Mundart der Volkssprache der Stadt Augsburg
mitgeteilt worden, so konnte die Aufnahme in zweifacher
Weise erfolgen: 1. der Augsburger eignete sich den gehörten
Laut ganz so an, wie er ihn hörte, und produzierte ihn nach
Massgabe seines Organs, oder 2. es bildete sich eine Art
Kompromiss heraus, demzufolge der ursprüngliche fremde Laut
eine der augsburgischen organischen Fähigkeit angepasste
Gestalt erhielt, die durch die Wechselbeziehung, wie der
Verkehr sie schuf, ebenso zwingend dem anderen Orte, dem
Ausgangsorte, sich mitteilte. Der so geschaffene Laut wurde
dann für die nächste Generation der Bestand, auf dem sie
weiter bildete. In der That sind heutzutage die angrenzenden
bairischen Striche von der augsburgischen Mundart nur durch
stellenweise abweichende Betonung zu unterscheiden, wie ich
selbst zu vernehmen Gelegenheit hatte.
Die Sprache der Intelligenz istdagegen viel-
mehr aus schriftlicher Einwirkung und der Dar-
stellung des geschriebenen Lautes hervorgegangen.
Freilich konnte eines solchen Einflusses sich auch nur ein
dem reichsstädtischen Leben und Interesse nahestehendes
Sprachterritorium rühmen. Ein solches war wiederum das
bairische. Aber seine Macht äusserte sich in diesen Kreisen
der Stadt nicht so früh, wie die ausschliesslich mündliche
Uebermittlung des mundartlichen Lautes vom Volk zum Volk.
Der früheste Zeitpunkt ist die Zeit, wo überhaupt ein schrift-
licher Verkehr in Gang kam und zugleich eindringlich und
^ 3 Meilen südlich von Augsburg, westlich von dem östlichsten Arm
des Lech in der Mitte seines Laufes, ist schon 1326 ein ^haieren Maen-
chingen zu finden, später heisst das Oertchen Baiern Münching und heute
Merching (Bitter: geograph. Lexicon: II, 164: Baiem Münching »=
Merching im bayr. Begier. -Bezirk Ober-Bayern, Bz. A. Friedberg. 1326
ist bei Friedberg 'baieren Maenchingen erwähnt in den Baumeister-
rechnungen S. 103. (A).
267 Konsonantismus. 513
unter förderlichen Umständen sich kund gab. Allen diesen
Ansprüchen aber gentigte allein die Zeit der engeren
Verbindung Augsburgs mitBaiern durchHerzog
und später König Ludwig.^ Jetzt wurden die
Diphthonge in der That ^Modeartikel', wie sie
Kauffmann^ nennt, aber sie waren es als solche nur für
die höherstehenden Kreise der Stadt, dem Volke war der
lautliche Wandel in der Sprache seiner Nachbaren — sit
venia verbo — in Fleisch und Blut übergegangen. Ob der
gemeine Mann nun aber mit der Zeit dem Gebildeten nach-
zusprechen trachtete, wäre wohl, nach modernen Verhältnissen
zu urteilen, möglich, ist uns jedoch durch kein Zeugnis bekannt
geworden. Immerhin wird in allen weiteren Stufen die gröbere
organische Beschaffenheit der Sprechenden ihre merklichen
^ Durcli mancherlei Gründe war Augsbarg im zweiten und dritten
Jahrzehnt ganz besonders eng an Ludwig und an Baiern gekettet:
I. Wenn Augsburg in einer Zeit, welche für die freie Reichsstadt
eine Zeit grosser Erhebung und Bereicherung war durch die vielfachen
Vorrechte, welche sie von dem allzeit willigen Honarchen erlangte, wenn
Augsburg in einer solchen Zeit gegen Westen hin nur Feinde hatte, so
musste es um so engeren Anschluss an den Osten, an Baiern suchen, mit
welchem es bald auch körperlich in enge Berührung kam (Feldlager,
Gesandtschaften), vgl. Eleinschmidt: Augsburg und Nürnberg und ihre
Handelsfnrsten. S. 18: 'Die Herren (Patrizier) wurden noch zur Zunftzeit
allein mit den Missionen ins Keich betraut, sie kannten am besten die
Aussenwelt." Für die Zeit von 1820 — 1331 sind die Angaben der Bau-
meisterrechnungen über die Bürgcrgesandtschaften zu vergleichen. Man
hatte für solche Gelegenheiten in den meisten Städten „Wirte'S bei denen
man abstieg.
3. Ludwig der Baier hielt sich gern und oft in Augsburg auf, vgl.
Herberger: S. 10: 38 ur.
3. Durch die Urkunde von 1316 (Herberger S. 9) erhielten die
Bürger des Bates das Vorrecht gleich Reichsministerialen mit dem Adel
zu Gericht zu sitzen. Es traten damit immer mehrere der gewichtigen
Persönlichkeiten aus der Stadt heraus in amtlichen und persönlichen
Verkehr mit den Vertretern des Reiches.
4. Für den Handel mit Baiem gab Ludwig der Stadt besondere
Freiheiten, vgL Herberger S. 9, besonders: Urkunden von 1324. 16. Sept.
3 Kauifmanu a. a. 0. S. 166.
514 Dritter Abschnitt. 268
Spuren zurückgelassen haben. Ich zweifle darum gar nicht
daran, dass lange Zeit auch der geringe Augsburger Stadt-
bewohner für etymologisches t, ü wie die Baiern cd (aa), au (ao)
gesprochen hat. — Andere Einflüsse, welche ausserhalb unserer
Betrachtung und zum Teil ausserhalb jeder Berechnung liegen,
werden das Ihrige dazu gethan haben, die Verschiedenheit
des Klanges herbeizuführen. Eine dieser Mächte ist zweifellos
die Anziehungskraft der Schriftsprache und die Sprache der
höheren Stände später gewesen, welcher sich der gemeine
Mann im Laufe der Zeit immer weniger entzog. Durch münd-
liche Uebertragung aber, nicht durch den Umstand, dass die
Kanzlei der neuen Diphthonge, nachdem sie über die (jrrenz-
pfähle hinaus gewandert, sich angenommen hat, sind sie in
der Volkssprache heimatberechtigt geworden. Alles andere,
was von Erscheinungsformen die augsburgische Geschäftssprache
bietet, gehört der geschriebenen Sprache, dem Per-
gament an. — Ich halte es bei der Behandlung des folgenden
Abschnittes für sehr wichtig, chronologisch vorzugehen. Ab-
gesehen davon, dass bei dem Wirkungsverhältnis von Schrift
auf Schrift das augenblickliche Verhältnis von Ursache zu
Wirkung, kurz das zeitliche und örtliche Nacheinander, vor-
nehmlich ins Auge gefasst werden muss, ist es von Belang,
zu sehen, wie gewisse Beeinflussungen des Auges, einzeln und
mehrere zugleich, von Schriftstück zu Schriftstück sich ver-
mehren, wie sie in anderen Fällen zu Gunsten anderer Formen
ihre Kraft verlieren., und unter welchen Bedingungen sie zur
Norm werden. Ich werde daher nicht wie im Vorhergehenden
die einzelnen Erscheinungen herausgreifen, sondern den ur-
sächlichen Zusammenhang im Rahmen des Gesamtbildes eines
Schriftstückes und soweit als möglich in chronologischer Reihe
vorführen. Auf dem ersteren Wege gewinnen wir die Mittel,
das Vorkommen dieser und jener als orthographische Neuerung
zu behandelnden Erscheinung und das Zurückgehen auf Aelteres
gerade hier oder gerade da zu begreifen, auf dem zweiten
Wege wird die Augenblickswirkung von Schriftstück
zu Schriftstück am deutlichsten sich herausstellen.
869 £oD8onantitmu8. 515
Als geschriebene Sprache ist die Sprache einer Kanzlei
in erster Linie und ursprünglich die lokale ^Kanzleisprache
6chlechthin\ In diesem beschränkten Sinne besitzt in Augs»
borg nur die städtische Kanzlei eine Schreibweise^ eine
Orthographie, welche gleichsam als fester Stamm
allen amtlichen Schreiberzeugnissen zu Grunde liegt.
Ueber diesen festen Stamm hinaus versucht der städtische
Schreiber allerdings sowohl seiner persönlichen Neigung als den
durch die Situation bedingten Rücksichten zu folgen, aber, wie
sich schon herausgestellt hat, lange Zeit nur in denjenigen
Schrifttümern, für welche, weil sie zur öffentlichen Mitteilung an
weitere Kreise bestimmt waren, es sich empfahl. Strengmundart-
liches oder Veraltetes zu vermeiden. Die Ilxistenz aber jenes
festenStammes wird verbürgt durch die internen Schreibgelegen-
heiten der Kanzlei. — Eine Kanzleisprache der eben begrenzten
Art ist die in den .klerikalen Urkunden sich kundgebende
Schriftsprache nicht, aus dem Grunde vor allem, weil, wenn
ich mich dieses Ausdruckes bedienen darf, 'Herr und Diener'
häufig wechselten, und überdies beide dem Augsburger Stadt-
gebiet^ selten oder nur in bedingter Weise angehörten. Der
Bischof z. B. war nicht immer Augsburger Kleriker, und
wenn er es auch war, so hatte das auch nicht grössere Be-
deutung, weil sein Einfluss auf die Uniformierung seiner sprach-
lichen Verkehrsmittel kein wesentlich anderer und weiter
gehender sein konnte, als etwa derjenige des Beichsoberhauptes
auf seine Kanzlei. Ueberdies machte in der bischöflichen
^ Von Qeburt werden die Kleriker des Hochstifts der Stadt seit
1320 nie anj^ehort haben. Gesetzmassig durften sie es nicht nach der
Bestimmung des Domkapitels von 1322. 14. Dezember: '. . . de nou reci-
piendis civibus et filiis civium Augustensis civitatis in Canonicos . . .
tarn minoribus officiis Capituli nostri quam in assecutione Canonicatnum
et prebendarum Ecclefie nostre Canonicorum.' Wir dürfen demnach
nur zwischen einer längeren oder kürzeren Dienstzeit in der bischöflichen
Kurie unterscheiden. Vgl. dazu: 1336, 16. Mai: Hermano nato Herrnani
dicti Suertfurhen civis Augustensis, oanonico August., confert canonicatum
indicta ecclesia Augustensi. (Kietzler: vatikanische Akten 1806 [Kegesta
122. N. 239].)
516 Dritter Abschnitt. 270
Kanzlei die noch stark geübte lateinische Sprache die Pflege
des deutschen Kanzleistils lange nicht in dem Masse zur
Hauptsorge, wie die zur alleinigen Verkehrssprache erhobene
deutsche Sprache in der städtischen Kanzlei alle Sorgfalt
für sich beanspruchte.^
Die städtische Kanzleisprache tritt uns zum ersten Mal
vor Augen in den ersten deutsch abgefassten Urkunden. Ihr
Verfasser ist S^ (Conrad). Sein nachweisliches Auftreten in
der städtischen Kanzlei schon im Jahre 1268 verbürgt uns,
dass er als der Begründer des städtischen deutschen Kanzlei-
stils im Jahre 1272, also nach bereits fünfjähriger Thätigkeit
im städtischen Dienst, der Sprache der Stadt Rechnung trug.
Das Gesamtbild seiner Orthographie ist folgendes:
1272.^ Ich Bertolt der brobeft yon vnferf herren gnaden
def Grotefhvfef datr dem haeligem Cr^ce ze Aufpurch.
k: a, dj -do, Umlaut: ae doch: fiete- (c,), — e: «. — i: i,
y. — i: t. — o: 0, Umlaut: ©•. — \x: Vy u, kein Umlaut: fvr,
Crvce, — ü: Uj v. — ai: at, aei, doch: einem, — au: ar. —
iu: tu, — UO: V und v, kein Umlaut. — h: b, an- und inlautend,
doch: fp, — b (auslautend) : j>. — p: 6 (brobest), — ph: ph, —
g: g] SchlusB -g: A. — t: ^ — Damit stimmt die Ortho-
graphie des Grundtextes und der Einträge des S^y im Stadt-
buch überein. In den weiteren Urkunden seiner Hand tritt
nur hinzu: ch für k =» auslautendem g neben k.
Der in den Erstlingserzeugnissen einigermassen fest-
gegründete sprachliche Tenor des städtischen Kanzleistils war
nun keineswegs bindend für alle Schreiber und für alle Zeiten.
Der erste nach meinen Ausfuhrungen als fremd zu bezeichnende
Schreiber S^ schreibt unbekümmert um die Gewolmheiten
seines nunmehrigen Thätigkeitsortes eine Sprache, welche
zwar oberdeutsch genug ist, um sich in Manchem mit jenen
' Die Zeugnisse von Verwendung der lateinischen Sprache im
städtischen Schreibwesen, welche uns die Baumeisterrechnungen erhalten
haben, sind einhellig Beweise für die Vernachlässigung der lateinischen
Sprache in der Stadt kanzlei.
* Münch. allg. Reichsarchiv: A. St. Ulrich f. 1.
271 Konsonantismus. 517
ZU berühren, welche aber durchaus eine Frucht seiner früheren
Schreibthätigkeit am Hofe des Herzogs von Kärnten ist.
Damit waren fremde Elemente in den Sprachschatz der
städtischen Kanzlei hineingetragen: ei für i, ou, au, tt für üf
eu spärlich für tu. Dass sie aber infolge der für eine sprach-
liche Umgestaltung noch nicht aufnahmefähigen G-eschäfts-
ordnung der städtischen Kanzlei keine bleibende Stätte finden
konnten, wird gewiss durch das auf überlieferten Schreibusus
zurückgreifende Verfahren seines Nachfolgers S^, welcher
unter S^ seine Thätigkeit begonnen hatte. Indem S^ die
'Kanzleisprache schlechthin' weiterschrieb, brachte er wohl
einige Veränderungen an, vermied aber sorgfältig das aus-
geprägt Fremdartige seines unmittelbaren Vorgängers. Neu
kommt bei S^ hinzu: die Bezeichnung des Umlauts von u mit
u, ch für k = auslautendem g ist bei ihm das Gewöhnliche.
— S3 (Rudolf) schreibt bei dem Wiederantritt seines Amtes
in seiner Weise weiter, nimmt aber in den neunziger Jahren
wesentliche graphische Neuerungen auf: 1. er ersetzt vnde
durch tmd. 2. er wendet regelmässig das Zeichen für Schluss
-8 an und zwar entweder unter dem Vorbilde der Ur-
kunden der bairischen Herzöge^ an Augsburg oder, was
näher liegt, der klerikalen Urkunden, welche ihrerseits eine
gewisse Anlehnung an die Schreibweise Budolfs erkennen
lassen, indem sie ei für i annehmen. 3. 8 tritt häufiger für
Schluss-;2: ein in: das, des, -es, was (= war). 4. mit ausser-
ordentlicher Bestimmtheit führt er ck für schliessen-
des g (k) ein. 5. Er fügt sich dem städtischen Schreib-
gebrauch, indem er zur Bezeichnung des Umlautes von a
und der e-Laute das der augsburgischen Orthographie an-
gehörige ae für das ihm eigene e in seinen Zeichenschatz ein-
reiht. 6. Zuweilen auch giebt er zu Gunsten des Augs-
burger Kanzleistils sein ei für % auf und schreibt sogar i
^ 1288. St. Ulrich, fchongatcers, was, vz, gi'tef. — 1292: Herzog
von Bayern, Bischof und Stadt: vnsers, leaentf Auspurch, brohst. -—
1296. Dom: nur Schluss-s und s für / auch anlautend: lesent, vnsers,
hrobst.
518 Dritter Abschnitt. 278
dxircbgängig in einer Urkunde. 7. mt (3. plnr.) wird nun
bei ihm fest. 8. Er vertauscht in der Eingangsformel: 'sekent,
horent oder lesenf mit ^sehent oder horent leeen*; schon länger
war nur diese Formel in den fürstlichen Kanzleien ge-
bräuchlich, mit denen Augsburg in diplomatischen Yer-
kehr trat.
Wir haben guten Grund anzunehmen, dass Sg das ge-
wonnene Feld weiter zu bebauen gestrebt hat, im Bewusstsein
seines persönlichen Wertes und der Bedeutung seiner Stellung.
Fällt doch seine Amtszeit in ein ausserordentlich rühriges
rechtliches Leben seiner Stadt hinein; sind doch gerade die
neunziger Jahre des 13. Jahrhunderts fiir Augsburg die Zeit
ernster strafrechtlicher, priTatrechtlicher und kommunaler Ein-
richtungen. Wie sehr Sg in diese Interessen hineingezogen
wurde, dafür spricht Seite um. Seite des Stadtbuches. Wenn
ihm so die inneren Bedürfnisse der Stadt genugsam vertraut
und damit auch für ihn ein Gegenstand ernster Sorge wurden,
so wurden zu gleicher Zeit sein Geschick und seine Energie
auch für die äusseren Angelegenheiten der Stadt erfordert
Das Verhältnis zu den bairischen Machthabem, deren Lande
für den Augsburger Kaufmann der wichtigste Handelsweg
waren, hatte sich immer drohender gestaltet und erforderte
von den Vätern der Stadt eine sichere und diplomatisch um-
sichtige Haltung und zuverlässige Kräfte. Warum sollte da
nicht der durch seine Vergangenheit als fürstlicher Notar an
und für sich an eine geregelte Geschäftsordnung gewöhnte
Stadtschreiber Rudolf in der richtigen Erkenntnis des Not-
wendigen die Organisation der ihm unterstellten Kanzlei als
eine Hauptaufgabe sich vorgesetzt haben? Als eines der vor-
nehmsten disziplinarischen Mittel gilt die strikte Gleich-
mässigkeit des Formenwesens und damit eine gewisse schul-
massige Handhabung der sprachlichen Verkehrs-
mittel. Bestimmt äussert sich ein solcher Zwangt
' Für die G^ehilfen kann Rllenfalls gelten, 'das«, mochten auch die
Schreiber aas anderen Dialektgebieten stammen, dieselben sich doch
der einmal bestehenden Kanzleisprache zu fügen hatten und höchstens
273 Gesaiutverkuf . 519
in den Schriftstücken der Gehilfen Meister Rudolfs
S^f S5 und Sq, deren Orthographie sich offenkundig der des
Meisters anzuschliessen strebt S^ behält manches aus seiner
Gehilfenzeit für seine spätere Thätigkeit: ei für t überwiegt
bei ihm in der ersten Zeit, ck für k (auslautendes g) begleitet
ihn bis zum letzten Erzeugnis seiner Hand. Im Uebrigen
aber kehrt die Schreibweise der städtischen Kanzlei in den
ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts nach S^ zu den
älteren Formen zurück, jedoch die neuen graphischen Er-
werbungen vnd und 8 festhaltend.
Wir geliuigen nun in die Zeit, welche ich an mehreren
Stellen als eine Periode des langsam sich vorbereitenden Um-
schwungs in der Sprache der Urkunden bezeichnete. Zugleicli
erfüllt diese Epoche der nähere Verkehr der Augsburger mit
dem Hofe. Die persönliche Berührung der Stadt und ihrer
Bürger mit den Leuten des Königs Ludwig hatte ich schon
mehrfach zu erwähnen Gelegenheit; der schriftliche Verkehr
nimmt gleichfalls in den Jahren etwa von 1320 — 1340 einen
weiten Umfang an. Wir haben also für die ganze nächste
Zeit eine Beeinflussung der augsburgischen Orthographie, ins-
besondere derjenigen der städtischen Kanzlei durch die
kaiserliche Kanzleisprache im Auge zu behalten und in den
Vordergrund der Bebrachtung zu stellen. — Da ich schon
früher zu dem Schluss gelangte, dass die augsburgische
Ui^undensprache bezüglich des Wechsels und der Unregel-
mässigkeit ihrer Fassung mit gutem Grunde eine Folge der
gleichen Erscheinung in den kaiserlichen Schriftstücken ge-
nannt werden kann, so ist es an dieser Stelle notwendig, dem
diplomatischen Verkehr zwischen der B^ichskanzlei und Augs-
burg einige Worte zu widmen.
ab und zu BcBonderheiten ilirer angestammten Mundart einstreuen konnten^
wie Nebert (zur Geschichte der Speierer Kanzleisprache S. 13) allgemtnn
annehmen möchte, — aber nicht für die leitenden Kanzleischreiber. Ihre
Schriftstücke hatten in erster Linie gewohnheitsmässige Orthographie, und
erst in zweiter Reihe fügten sie gewisse Eigenheiten aus dem ge<i:en-
wärtigen Thätigkeitsort ihrem dialektlichen Grundstock zu.
34
520 Dritter Abschoitt. 274
Wenn die Sprache der kaiserlichen Urkunden keine
einheitliche war. so fragt es sich zunächst, warum war sie
das nicht? Schrieb man denn nicht durchweg bairisch in der
ßeichskanzlei der Stammesangehörigkeit des Herrschers zu-
folge? Welchen Umständen ist es zuzuschreiben, dass die
dialektische Färbung der Schriftstücke nicht immer eine
bairische ist, sondern häufig eine Mischung mit st-ark schwä-
bischen Elementen? Pfeiffer hat diese Frage zu lösen gesucht
in seiner Abhandlung über die Kanzleisprache Ludwigs des
Baiern^, nachdem v. Baumer^ zuerst auf die mhd. Grund-
lage in der Kanzleisprache Ludwigs des Baiern hingewiesen
hatte. Pfeiffer kam zu folgendem Besultat^: 1. dass in der
Kanzlei des Kaisers Ludwig eine bestimmte Sprachnorm nicht
bestanden hat; 2. dass neben dem bairischen Dialekt der
schwäbische in Ludwigs Urkunden eine breite Stelle ein-
nimmt, und 3. dass auch jener nur selten unverfälscht und
und unvermischt darin zum Ausdruck kommt. Pfeiffer suchte
die Gründe für diese Unfertigkeit in der bunten Zusammen-
setzung des Kanzleipersonals, in der Gewohnheit jedes
Schreibers im Mittelalter, 'so zu schreiben, wie ihm der
Schnabel gewachsen war, oder ihm die Frau Mutter gelehrt
hatte", und endlich in der Neuanlage der Formulare. Mit
diesen drei Pimkten ist gewiss die Sachlage zum Verständnis
gebracht; nur hat Pfeiffer nicht genügend den ersten Punkt
betont und untersucht. Er lässt uns zwar wissen, dass Ulrich
von Augsburg Notar des Kaisers war und glaubte von dieser
Thatsache aus auf mehrere schwäbische Schreiber in der
kaiserlichen Kanzlei schliessen zu können, aber er geht diesen
Schreibern und sonstigen um Ludwig beschäftigten Personen
nicht weiter nach. Hätte er dies gethan, so hätte er einmal
gefunden, dass Augsburg nicht nur Ulrich^ geliefert hat, sondern
» Pfeifier, Freie Forschung 1867, S. 863 und Germ. IX, 159.
- V. Räumer, Gesammelte wissenschaftliche Schriften 1863, S. 199.
— Vgl. auch Koberstein's Litteraturgeschichte I, 287.
» Freie Forschung S. 372.
^ Ich halte es für geeignet, noch einmal die schon s. Z. von
Rietzier (F. z. d. Gesch. XIV) behandelte Frage, wer Ulrich von Augs-
275 Gesamtverlauf. 521
auch einen Meister Johann aus Augsburg als Beamten^
den Probst Conrad von St. Ulrich als EaplanS später
Bischof Ulrich und Heinrich als Kanzler und einen
Schreiber des Letzteren von 1338? — 1340, sowohl in der kaiser-
lichen Kanzlei als in der augsburg.-bischöflichen beschäftigt.
Sodann hätte ihm Augsburg gerade als Ausgangspunkt dieser
Personen einen weiteren Gesichtspunkt eröffnet. Man schrieb
nämlich in Augsburg ein merkwürdiges Gemisch von Bairisch
und Schwäbisch: ei und i für i; ouj selten au und ?/ für ü;
aeu und e^i^ u und tu für iu; ch und k für k und g; -osL
Oft ist das Bild einer Augsburger Urkunde der zwanziger
Jahre besonders nicht von einer mehr schwäbisch gefärbten
der kaiserlichen Kanzlei zu unterscheiden. Wie erklärt sich
nun der Zusammenhang von jenem Gesichtspunkte aus-?
bürg sei, zu berühren. Es ist nur Ulrich der Hofmeier gemeint:
vgl Rietzier: vatikanische Akten: v. 1748. 1806. (Reg. 131. N. 182:
'HcMmaierus*) 1807. (Reg, 131, f. 112. N. 401) 1466. 1497. 1724.
1841. 1848. 2076. 2167. 2210. — Ulrich Wilde, Ubricus Guildouis
(Goildrouis) ist nicht identisch mit 'ülnch von Aagsburg', 'Ulricus de
Augrusta ; er hat zwar vorübergehend eine geistliche Würde in der
Augsburger Diözese bekleidet, in Feolenbach, aber mit Augsburg selbst
ist er nicht in Berührung gekommen. Ich führe hier die bei Rietzier
(vatikanische Akten N. 1010) unter dem 24. Mai 1828 angeführte Ordinatio
Ulrich Wildes an: 1328. 24. Mai: Niclaua papa magistero Vlrico,
Ludovici prothanotario . . . Ulruma ist gewesen olim in 8ubdiaconatu8
ordine constiUitus parochialem ecclesiam Fttccat (von alter Hand unter-
geschrieben Frezzaf\ Pressat in der Oberpfalz ist gemeint, vgl. 1021. 1015)
Bat%9p(men9iB dyoceais fuisti aaaecutus . . . multia annis retinens . .
Ddnde Falkirchen et Ozzingen parochiales ecclesiaa dicte dyocesis
(usecutua, parochiali eeclesia, FeutetUnuh Augustensis dyocesis colUitis
. . . annis pluribus tenuisti . . parochialem ecclesiam Elnyebach Batis-
ponenHa dyocesia nactus . . praepositura sancH Stephani in Babenberch.
Schon 1816. 11. Nov. ist Ulricus prothonotarius (n. 10). 1828. 28. Mai
'Uhrico Waldonis geschrieben (n. 1021). 'Uhich Wild von Pressat
(vgl. 290, 1010, 1018) stirbt vor 1828. 28. Augost (n. 1074. 1841).
^ 1885. ' CapeUano fuo diledo . . . Cunrado abbati eancti vdalrici . . .
(A. U. 5, I).
*) Dazu vgl. folgende Urkunden [die Reihenfolge ist die der Er-
scheinungen in dem Text der Schrütstücke]: 1311. Rat an St U Irich, 8»
(A. R. X. -1-6,5): Synkope: gotef gnaden; ü: Gotzhufes; u, uo: tun kvnt,
34*
522 Dritter Absclinitt. 276
Am Anfang der Regierung Ludwigs schrieb man in seiner
Kanzlei ziemlich rein bairisch, von schwäbischen Elementen
T\-ar jedenfalls nichts zu spüren. Nun gingen die bairischen
Elemente in die Augsburger Schrift- und lebende Sprache
über; in dieser bildeten sich die späteren kaiserlichen Schreiber
heran. Als sie in die Reichskanzlei eintraten, konnten sie
teils nach dem ihnen eigenen Mischdialekt schreiben, teils
wurde derselbe durch Benutzung von Formularen, welche je
nach dem Dialekt ihrer Verfasser bald bairisch, bald
schwäbisch waren, um so mehr bairisch-schwäbisch. Man
sclirieb jetzt: ei und / für t; au und ou, u flir m; eUf in für
in . . . In dieser Mischsprache fanden die Augsburger Schreiber
teils Wohlbekanntes, teils ihrer Tradition Fremdes. Als
ihn; Umlaut: liorenUfur, darüber, f&r, mvle] anl. k: kvnt, chomen; ausl.
g: krieg; ai: taue, einem, faeit 2x,, bede tau, ait, aide; aa: auch;
ae: Itaet, erbaerre: ausl. (t) d: ait, aide\ Inf. zegebenne; iu: alliv, Littt-
priefter, lute; a: Do, sonst a. — 1312 5. Juni; S? (A): u, uo: T%n, %vtem,
ZV, hvn, vmbCvchtz: anl. k: küt, chomen; Umlaut: homt, hhf, geftort.
honen, hvner, g&ns, mSht (c.) : Synkope : glegen, hSmt, ze dorf ze veld.
gierten, gwalt, gelediget, entl6fet, gnhg; uibowt, aufgeben, lithouf, auz;
pli: pfüt. pfennmg; ai: haeligen Geiftef, geiatliehe^i, ainen, gelaisten;
iu: laetiten; ausl. k (g): fehtzik, tag; Infin. zemanenn, zeliaJUtenn; a: Do,
— 14. Juni 1317: 'Wir... Bur<Termaister\ Ss (A.): Umlaut : Sfef (g.),
vnl\ fiher: uo, u: Tun; anl. k: chunt, Chirch hof, chain; Adverb. offenlich\
ai: gaestlichen, befchaidetihait, gaen, ain, gehaizzen: r: Priol; ia: frivnt-
fchaft; Synkope: glegen; i: Reichen (n. pr.), /tn, x^tes; ü: Bow; aual. g
(k^: mak, dinch; ä: do. aubend; Flexion: -^sten. — 8. Jan. 1317: Privat-
leute, S» (A): uo: Tun, fun, giktf; anl. k: chunt, ««rcAatc/fen; Umlaut:
hörnt, nmften; ä: da, do, an, aubend; Schlu88-8(z): U7a/(war); ai: baider;
ü: vz, hou8, vf; Synkope: hörnt, glegen, glaeten, gnüg; ph: pfunt; kouBon.
Syuk. nit (=» nicht); ausl. g (k) ledich, viertzich, zinfveUieh. — 1317:
Schiedsgerichtssprucb: Sg (A): kifrauz (n. pr.), an: u, uo: Sun,
Tun; Umlaut: ftetschriber, homt, Ittiien, /V4n; ausl. k {g): chriek, mak,
gnxiUich; anl. k: chunt; Synkope: gwefen ßnt, glegen, gwaltichi
Flexionen: zwisclian, -o^ten; ai: ainen, bed taU; (seh) /: gefworen; i
ßen (c), leib; u: zaeunen, louter; Inf. (Ger.): ze habenn. — 1320. 19. Juli:
JudicesCuriae (A): u, uo: Tun, chünt m&t, k^mpt; Umlaut: horent
gehoH, %ourden, Cidn, aelliv; iu: aeUiv\\: miner, mein, fein, /in Schreiber,
Apokope: zc Dorf, ze velde; ü: vf; ai: ani, aigen; Flexion: zwainzigo/tem.
— 31. Oct. lääO; Privatleute, S9 (A): uo: trn, genvg; 6: vir; ant
277 Gesamtverlauf. 523
solches wurde von ihnen nicht eu für tu, zuweilen nur für
Umlaut von « und in litte (leute) geschrieben, mi für « hielt
man auch fem, dagegen ei für t war schon dem Augsburger
nicht mehr so fremd, dass er es nicht öfter verwendete, zumal
die kaiserlichen Schriftstücke eine Unregelmässigkeit der Ver-
wendung als erlaubt hinstellten. Auch hier werden Beispiele
am besten die Stellung Augsburgs zu der kaiserlichen Kauzlei
erläutern können : In der städtischen Kanzlei schrieb man in
den Jahren von 1314 — 1330 im Durchschnitt: ä : a, an] t : t,
ei] ü : u, ou, selten a«; au:(xu\ ai : aij selten ei] altes tuiiu,
doch: Intey nun] Umlaut-m : u, selten aeu^ eu] aul. l» : h und
j>\ p ausl. ; anl. k : efi, ^; ausl. g : k, di, ck, später schon g;
phiphf (Sq 'pJ)] äi^sl« d' ^ später auch d] ^, nicht schliessend: /;
i*f schliessend: z und s] n : u und r regellos. Synkope und
Apokope tritt schon häufig auf, Sg schreibt z- B. 1314 schon;
gingen, /ior?it, gfivg. Superlativ: -ost; Komperativ: zuweilen -or.
k'.kvnt] Umlaut: Jiarent; i: meiner , züen, mein, helibe, redlich: u:vf, hvf,
vf: Aiiaigen (gelaet), Maifter^ haüigen: ausl. g (k) zwainzeg, zinfvellieh;
ph: phvnt: ä: abent — i822. Kaiser (A). i: Zeiten, Rickes, off'enlich; u,
uo: P&rgeTy Aufphrchj n%f (chumt), vmb, zity (vrchund)^ vns: iu: Stewer,
geti'iwen, Dreutzehenhundert, Neunden: ü: auf; ausl. g: tach; Synkope:
gnade; Flexion: zweintzigilten. — 132B. Affitermentag nach Ocuti,
Privatleute. S9 (A): Umlaut: bnrger, fir, (ohaim), (tuvben (c.) Ivlen,
I'aelig. gaentzlich] 1: meiner, meinen, helibe: uo, u: guter, mit, gutem,
zh, M^ter; k anl.: chind, kloster, ehainer, chomen; iu: frivnt\ ai: ein,
ohaim, befehaidenhait, gae/tlichem; 8. plur. praes. ind: ße hand; ü: vf;
Flexion: zwainzego/Un. — 132r): Sio (A): uo, u: Tim, gütetn, dbtun (inf.);
k anl.: künt, verchauft, kriech; Umlaut: hhrent, Bomifchen, für, entlofen,
naehften; i: JBicAe, vregtag^ dHzig; phiphunt; ai: gelaet, baidiv, ü: uf: ft: an,
an: in: baid$t\ lilt; Flexion: Magdalenun, -osten; ausl. g: kriech, tach;
inl. b: hochgelobten. — 1330. 11. März: Privatleute, S» (A): ai:
Gae filichen: anl. k: chrieg; ä: Swaulmtil, ßr, da: ausl. s: wnz (war);
ü: Gotzhus: ausl. g: wiüecHch; uo: thi; Umlaut: fnserm, troster, fttr.
— 25. April. Kaiser, 8© (A): Synkope: Gots gnaden; Umlaut:
Eomischer, gewonlichen, lullen; ai: Cheyfer, Gemainlichen, gefait; i:
Z'iten, Richa, Dreizzige/tim: iu: Laeute, Stior; au: och; k: Do; Flexion:
im (d.), estim (SuperL) — Kaiser (Landfriedensurkunde), 80 (A):
Synkope: gotes gnaden; i: zeiten, riches, ylen, sin; Umlaut: moht (c);
uo: tven; a: stand, gat, stau, han; ai: hayligen, säet; i: byschof; iu: ge-
524 Dritter Abschnitt. 278
Aus den angeführten Beweisstellen, welche im Eünzelueu
für sich sprechen mögend hebt sich mit Gewissheit Folgendes
heraus :
1. im zweiten, dritten und vierten Jahrzehnt
besteht in Augsburg kein Widerstand gegen die durch
die bairische Schreibweise aufgenötigten Neuerungen.
Diphthongierung findet für t und u und tu Ausdruck in
der Schrift, pf für ph ist schon bekannt und wird verwendet.
2. Die Schreibung der angenommenen Umwandlungen
war keinem Gesetz unterworfen. Dagegen empfahl es sich
3. in Schriftstücken an die kaiserliche Kanzlei, d. h.
in Vorlagen, welche in der städtischen Kanzlei aus-
gearbeitet wurden, möglichst sich der Orthographie der-
jenigen der kaiserlichen Kanzlei zu nähern.
4. Die Orthographie der kaiserlichen Kanzlei
aber war selbst keine durchaus geregelte: Bis
Anfang der zwanziger Jahre unverkennbar bairisch, beginnt
sie nach diesem Datum sich mit schwäbischer Orthographie
triweriy leutefif neun, iement; ü: uflatif; k anl.: chrais, chnecht, chumpt;
Flexion: nieror, notdurßigost, triulichoat — ai: hayligen Gaeltes . , ,
ä: Da, Avnforg, jär; i: fryiag, — 29. Sept. Privatleute, S«:
uo: Thn, rntit; k anl.: kont, verchauft, chrUg; Umlaut: hbrent, Tohfernj
infer, hevferni iu: Aev/em, gez%ug\ ü: vz; nizaggefi. — 1B32. Kaiser
(Berl. Staatsarchiv 311). Syukope: gottea genaden, Eddn; ai: keifer; k
anl.: keifer, kunt; i: zitefi, Ricks, Beicha, finen; uo: tln, hunt, zu,
kungen; Umlaut: gantzelichen, vrchivnde, geburt, ffivnften; iu: getreten,
div, drivzehen; au: ochj frowen; h: reehte^ nicM; Flexion: drizzigilfem,
liebi, anfelientf hirent. — 1846. Si?: a; i; u; Teufner, sonst iu, iv; ai;
d ausl.: t, — '1346. Si?: a; i; u; iu- Umlaut; ai; Superlativ: -ften;
Laugnun. — 1347. Ka i ser (B. Staatsarchiv) : i:ei,ey,i;ei für ai; ev für iu ;
kein Umlaut: anlautend b t^ p; Flexionssilbe : -in; z: zc, cz, — 1347.
Kaiser (B. Staatsarchiv): i: ei; au für u : ai: ai; kein Umlaut; p für anl. 6
— 1347. Kaiser (B. Staatsarchiv): i; u; kein Umlaut; ec für z. — 1347.
Domkapitel: i:i; u; ai :ai; -ften. — 1347. Si?: Stadt: a; i : i; ai : at;
te und u; -otst, — Städte, Si?: i, «, cz. — S?: a: au und a; i: ey, i;
ü: u; ai: ai. — a: au; i: i; ü: u; iu: aeu, U. — Si?: zu; do; y für t;
u und iu für iu; -ften: €3 Hir z, — Kaiser (B. Staatsarchiv): i:ei; ai:
ei; iu, u: au, — Domk: ä: au; i: i; ü: ou^ u; ze hebend vnd ze niezznul.
— Stadt, S17: i: ei, i, ü: u; ai: ai. — Stadt, Sx?: ä: a; 1: i; ü: iV»
279 Gesamtverlauf. 525
zu mischen. Die Folgen sind die Fassungen der zahl-
reichen kaiserlichen Urkunden der zwanziger Jahre^ welche
in der Behandlung namentlich der Diphthonge die ältere
schwäbische Stufe t, u, tu (u) zeigen, immer aber neben
den bairisch-österreichischen Kennzeichen.
5. Nur in der Behandlung des Buchstaben u
scheint eine durchaus kanzleiordnungsmässig festge-
setzte Norm zu bestehen: Von Anfang der Regierung
Ludwigs an wird inlautendes (Tokalisches) u nur mit u
ia: iu und u; ai: at, et. — ebenso: Si?; kein Umlaut; Nevn. — Si?:
a: a; i: i; u: u; u für iu; Nun: au für Umlaut von au (ou); -Iten; kümpt
— S.17: ä: ä, i: i; u: u; ai, ei für ai: ou für au; Umlaut von oui atl.
— S17: ou und u für ü; au für au ; -os^en. — 1345 — 1349: bischöflich:
k: au] i: i, y; ai : ai; ü: u; iu: Nunden, sonst iu; Superl.: -Iten. —
1349. Dom: ä: au; i: i; ü: u; iu: iu; ai: ai, ay; au: au, a; Superl.:
•oft. — 1850. Stadt: Si?: aun; i: i; n:u; ai für ei; ic, tu für iu; owcA,
sonst au für au; pf; often. — S17: i; y und i; ü: u; ai: ei, ai, — 1351.
S17: a: a; i: i; u: u; iu, u für iu; ei, ai für ai; -oft; ch, k; ausl. p, —
S17: ä: au; i: y, i; ü: ou, u; iu: t*, iu. — S]?: a: au; 1: ey, i; howt,
sonst u für ii. — 1352. 817: a: a; 1: i; ü: u; ai: ai; au: au. — Si?: au
für ä. — S17: ä: a; i: i, ey; ü: ou; au: au; ei: ai. — Si?: ä, au für ä;
ü: &; uf. — 817 : ä: au; i: y; ü: &; au: au; ei: ai. — 1364. S17 : ü: ou, u.
— 1355. 817: ä: au; i: i; ü: u. — S17: ä: au; i: ei. — 817; a: au, a;
i: i; ü: ou; iu: aeu; ze dorff. — 1357. 817: a: aun, sonst a; 1: y, i, ei; bowt,
sonst ü für ü. — 1359. a: a&, a; 1: y; ü: &; ei: ai, ay, ei; -Iten; ae,
e: e. — 1359. bisch.: ä: au; i: ei; ü: u; au: ou. — 1362. S17: 1: ei;
ü: A; ei: ai; iu: iu, u. — 1365. S17: a: aun,a; i: i, ei, y; ü: u; iu: iu, u; ai:
ai, aj^; -o/tem; au: au. — 1366. St. Stephan: ä: a; i: i. ei, y; ü: u;
iu: iu, aeu; ausl. cfc. — St. Ulrich: ä: au; i: ei; ü: hau8, u; ei: ai;
iu: aeu; ph. — Si«: ü: üf, haus; ei: ei, ay; iu: ü. — Si?: ä: a; i: i;
ü: u; iu: eu; pA; -i/K. — Sig: a: au, a: i: y; ü: v; ei: ai; künt, Auspürg,
— 1367. Sie: i: y; ü: &/*, häufen. — S17: ä: au; i: i; ü: u; t: tt. —
bisch.: ä: aün; ü: hus, iif. — Sie: S,: au; i: ei, i; ü; u; in: iu, u. —
Sie*, a: au; i: i, y; ü: 4; iu: iu, u; -offen. — 1368. Sie: &: au, a; i: t,
ei; a: u; ei nur: ei; oucA; kein Umlaut; ü; uf, vff. — 1372. Sie: a: au,
an; i: ei, ü: au; ei: ai, ei; au: au; iu: iu, u; kein Umlaut; zu fürze;
-o/len; di^«. — Die weiteren Urkunden genau ebenso: k: on ^^ ane; i:
ei; ei: ei; ze: ^u; kein Umlaut; ditz; alles das sind Eigenheiten der
gleichzeitigen kaiserlichen Schriftstücke.
526 Dritter Abschnitt. 280
gegeben, au- uud auslautendes (vokalisches) n mit v,
konsouautisch ist v und u verwendet.
6. £ine gleiche Kegelmässigkeit in der Schreibung
von u und v zeigen in unserer Zeit nur klerikale Ur-
kunden von St. Katharina und einige städtische ganz
vereinzelt;
7. es lassen sich Gründe für die Mischung der schwä-
bischen und bairischen Schreibweise in den kaiserliclien
Urkunden aufführen: Wenn die nicht rein bairisch ge-
schriebenen Urkunden schwäbische Bestandteile z. B. t . . .
enthalten, so lassen sie diese regelmässig in dem Anfange
des Schriftstückes erscheinen. So steht fast immer: jsüm,
Riches einem folgenden uvdn, auch zeiten, Reiches selbst
gegenüber, züen, Riches- gehört der Eingangsformel
an. Gerade diese wird aber am ehesten einem
Muster entstammen. Gelegenheit zur Anlage neuer
Master war im Verlaufe der Regierung Ludwigs seine
Krönung zum Kaiser 1328.
Die Durchsetzung einerseits der bairischen Kanzleisprache
mit schwäbischen Elementen und die immerwährende Rück-
wirkung der kaiserlichen Orthographie auf die augsburgische
andererseits kommen am auffallendsten in der Periode von
1331 — 1335 zum Ausdruck. Die kaiserlichen Urkunden zeigen
jetzt mehr als je Abweichung von den bairischen Dialektformeu
nach den schwäbischen hin^ und die augsburgischen Kanzlei-
beamten schreiben unter dem Eindruck dieser ihnen nahe-
stehenden Schreibweise in der augsburgischen 'Kanzleisprache
schlechthin". Die Diphthonge verschwinden fast ganz. — Mit
dem Jahre 1336 wird die persönliche Verbindung Augs-
burgs mit der kaiserlichen Kanzlei von neuem eine
engere. Bischof Heinrich beschäftigt, nachdem er Nach-
folger seines Bruders Ulrich uud Kanzler geworden, nach-
weislich einen Schreiber in der kaiserlichen Kanzlei und zu-
gleich in Schreibangelegenheiten seines Bistums. Von 1338?
— 1340 fungiert dieser Beamte, welcher allen Anzeichen nach
ein Baier ist, als Schreiber kaiserlicher und bischöflicher ür-
281 Gesamtverlauf. 527
kundeu au die Stadt und ihre Bürger. Durch ihu nimmt die
städtische Kanzlei die schon länger in den kaiserlichen Ur-
kunden sich ausbreitende Schreibweise des Index -e als 1 an
(vgl. die Urkunden des Staatsarchivs und die Belege bei P).
— Der Einfluss ist ein vorübergehender; man kann zwar für
die ganze Zeit Ulrich Riederers bis 1345 nicht sagen, dass
die Orthographie und der Lautstand der Urkunden zu einem
durchweg schwäbischen zurückgekehrt ist, denn die bairischen
Bestandteile tauchen hin und wieder auf, aber einen Einäuss
etwa von Urkunde auf Urkunde kann ich aus dem mir vor-
liegenden handschriftlichen Material nicht feststellen. Zwei
Bestandteile augsburgischen Sprachgutes hat die
kaiserliche Orthographie aus den städtischen Ur-
kunden in dieser Periode nie zu verdrängen vermocht,
au für a, und die Superlativendung -ost. Selbst die von
den städtischen Beamten angefertigten Vorurkunden an die
kaiserliche Kanzlei tragen zu dieser Zeit beide Eigenheiten;
die kaiserlichen Urkunden haben die Endung -ost nie gehabt,
selbst nicht in den Fällen, wo die Autorschaft eines schwä-
bischen Schreibers wahrscheinlich ist; die Schriftstücke,
welche -ost haben, sind sammt und sonders Vorlagen
der städtischen Kauzlei. Ich kann dies mit Bestimmtheit
für die von mir eiugesehenen archivalischen Quellen behaupten.
Ich lasse auch hier wieder einige Belege folgen:
1336. Kaiser: Synkope: gnaden; Umlaut: Momfcher^uitei*;
ai: keyfeTj genuiin^ heizzen\ i: ziäen, Ricks, offenlichen\ ui: luti
uo, u: giUeiij kiunht] ph: pfenning, pfwä. — 1336. bisch.: Wir
Ulrich Bifchof . ..Kantzier: i: Reychz^ freytagz^ Vahnteins,
offeidkh\ uo, u: <au, kunt, vrhuide; ü: vj\ (Totzhus; ai: Ipefrhaideiu
gewoii]iait\ a: havt, tiubent, Olteranhent, branidf offenbauren, (ge-
liebt), do\ ph: pfennig, phenning\ Schluss-s: a&, ez\ Flexion:
Drizf'golfen: Gerund.: zehaUen md ze Niezzen, 1336. Privat-
leute, Sjgi uo: '^im, 2m?i, mittj g^f^j güt£m, gnug; kauL: himt;
Umlaut: hörenf. Stet (gen.); Gerund.: se nieflen', ausl. g (k):
ewiclich] ph: p/unff empfangen; ä: do.
Das Jahr 1346 kann den Anfang einer weiteren Epoche
528 Dritter Abschnitt. 2g2
der Augäburger Kanzleisprache bezeichnen. Nikolaus
Hageu^ S,., übernimmt die Leitung der Stadtkanzlei. Seine
Thätigkeit in sprachlicher und organisatorischer Hinsicht ist im
Vorangehenden schon häufig genug hervorgehoben worden ; ich
kann mich daher auf eine kurze Zusammenfassung beschränken.
Die Anfangszeit Hagens fällt mit den letzten Kegierungs-
Jahren Ludwigs zusammen. Ob S^. unter dem Einfluss der
kaiserlichen Kanzlei in diesen zwei Jahren 1346 und 1347
gestanden, ist nicht gewiss. Bedeutsam aber ist es, dass er
gerade in dieser Zeit kein au für ä schreibt, häufiger schon
die Superiativendung -ost durch -i^t ersetzt. Dieses letztere
Moment abgerechnet ist seine Schreibweise die 'Kanzleisprache
schlechthin' und zwar die der älteren Zeit: a für ä, i für t,
u für M, ui für (it, in, iv für im, -08t und -«^ Von den schon
zahlreich einlaufenden Urkunden König Karls scheint er für
seine Orthographie keine Notiz genommen zu haben; denn
diese zeigen einheitlich folgenden Lautstand 1346 — 1347:
ey, ei und % für t; uff\ ev für m; fl für <«; keinen Umlaut;
Flexion: -m; zc, cz für z: p anlautend für b. — 1348 geht
Si7 zu der Schreibweise über, welche im Laufe der Jahre
einen breiten Platz gewonnen hatte: er schreibt: ou und a für
a; eyj i für «; u, ou für m; ai für ai; u, «ew, ni für m, -osi
und 'Sf. Ich kann diesem merkbaren Umschlag keine andere
Ursache zu Grunde legen, als den Umstand, dass in den Jahren
von 1347 — 1361 die Stadt in sehr nahen und häufigen
diplomatischen Verkehr mit dem Domkapitel tritt, und
dessen Schriftstücke eben den vorher angeflihrten Lautstand
zeigen, neben einem mit der städtischen Kanzlei gemeinsamen
Formelschatz. — Zugleich findet zeitweilige Anlehnung,
an die kaiserlichen Urkunden statt in den Jahren von
13B0 — 1355, eine mehr geregelte von 1355 bis zum Schlüsse
unserer Periode. Und zwar beginnt S^, von 1365 an durchaus
u für ü zu schreiben, zuweilen mi für au, öfter n für f neben
i eingestreut; letzteres wird in den sechziger Jahren mit
Vorliebe durch y ersetzt. 1367 drängt sich von den kaiser-
lichen Urkunden her die Konsonantenverdoppelung : tt und Jf
283 Gesamtverlauf. 529
ein. Dagegen hält Sj, an dem ai für ai, und an der Be-
zeichnung des Umlauts fest. In ei für ai und der Nichtbe-
Zeichnung des Umlauts bestehen die wesentlichsten Erkennungs-
zeichen der Urkunden Kaiser Karls : es sind mitteldeutsche
Bestandteile. Merklich abweichend von der Schreibweise des
Meisters schrieb Sj^ schon als Gehilfe 1366: n und au für u;
ei und ay für ai 1367 zwar: au für a; t, y für »; « für «;
m\ )' für ui; -ost; aber seitdem er 1369 (1370?) anscheinend
die Leitung der Geschäfte der Kanzlei in die Hand genommen,
bedient er sich in einer Urkunde des Rats folgender Ortho-
graphie: auy a für a; i, ei für »; u für ü; ei selten ai für ai;
ou für an] zu für ze-, keine Umlautsbezeichnung: vß. Wenn
ich auch in diesem Lautstande noch nicht eine Anlehnung an
die Orthographie der kaiserlichen Urkunden erblicken möchte,
weil S^^ als Gehilfe schon vor 1346 ähnlich geschrieben hat,
so giebt sich ein Nachahmungsbestreben doch unverkennbar
in den folgenden Schriftstücken von* S^^ kund, besonders in
der ständigen Nichtbezeichnung des Umlauts, darin, dass zu
das frühere ze fast vollständig verdrängt und endlich in den
zeitweiligen mich und an für äne. Auch dita gehört der augs-
burgischen Kanzleisprache nicht an. — Eine Epoche für sich
ist die Zeit von 1346 an auch deswegen zu nennen, weil von
nun an in der Behandlung der Orthographie der internen
Sclireiberzeugnisse eine vollständige Angleichung an
die Kanzleisprache der städtischen Urkunden erstrebt
und durchgeführt wird.
Der Gesamtverlauf der schriftsprachlichen Entwicklung
in den Kanzleierzeugnissen Augsburgs ist in kurzen Worten
mitbin folgender: Der erste Schreiber schrieb nach der ihm
gelehrten Tradition. Die Tradition zeigt in der Behandlung
des Vokalismus keine Abweichung von der gemeinmittelhoch-
deutschen; denn ai für ei gehört nicht den ersten deutschen
Schreibproben an, sondern ist in dem Umfange, in dem es
auftritt, ein Erzeugnis späterer phonetischer Bemühungen. Der
Konsonantismus erscheint als Repräsentant der Mundart, in-
sofern als die gewählten Zeichen, durch ihre wechselseitige
530 Dritter Abschnitt. ^84
Yertauschuug die Eigenart der Mundart kennzeichnen. Die
Behandlung der Flexionen lässt gleichfalls die Mundart durch-
blicken. — Bald nachdem das diplomatische Leben in Augsburg
ein regeres geworden war, machen sich drei Faktoren geltend,
welche mit wechselndem Erfolge den alten Bau angreifen und
ihn modifizieren zu dem Stande, als den wir ihn 1374 ver-
lassen« Zuerst beschenkt die Mundart den Zeichenschatz der
Augsburger Kanzleisprache mit einem Zuwachs: at für ^t und
<m für ou (= altem Diphthong au) verdrängen unläugbar die
ererbten ei und ou. Noch während des Kampfes erfolgt ein
zweiter Angriff, jetzt von aussen her. Die geschriebene Sprache,
mit allen Bedingungen einer mustergültigen, weil an den
massgebenden Orten des Reiches gebrauchten, Form ausge-
rüstet, dringt noch im 13. Jh. über die Mauern der Stadt,
geführt von einem Führer (Sg), dessen äussere und innere
Vorzüge den Eindringling nicht so kurz abweisen lassen. Als
der Fremde sich dazu anlässt. Manches sowohl aus dem ihm
aufgenötigten Vorrat in seine Erzeugnisse aufzunehmen, als
auch besonders den heimischen Sonderheiten eine deutlichere
Form zu verleihen, da scheint der Sieg fast gesichert.
Dazu verbreiten unterthänige Kräfte, die Kauzleigehilfen,
die neuen Erscheinungen, und fremde nebenher wirkende
Schreibherde (klerikale) halten sie am selben Orte fest^ —
Noch ist eine Bedingung nicht erfüllt, um den jungen Er-
werbungen, die sicli mittlerweile von massgebenden Kreisen
gepflegt eindringlich zur Annahme empfahlen, dauernd zum
Siege zu verhelfen. Sie waren noch nicht zum lebendigen
^ Im allgemeinea kann der augenblickliche doktrinäre EinRuss
der klerikalen Schreibherde gerade zu dieser Zeit, d. h. im 13. Jh., in
Augsburg kein so bedeutender gewesen sein, wenn wir einer Nachricht
der Annales Augustani minores M. 6. X 9 in: Städte-Chroniken IV,
XXXVI trauen dürfen, welche uns melden, dass sich im 18. Jh. vier
augsburgische Klerus von Zeitgenossen einen Tadel der Nachlässigkeit
zugezogen habe, weil er zu wenig seinen Vorgängern in wissenschaftlicher
Thätigkeit nacheifere: valde iiegligens est clerus hujus ecclesiae . . .
predecessorum ve.stigio . . . , gut usque modo satis eleganter et diserie
scrip8erunt\
285 Gesamtverlauf. 531
Gute geworden. Das war die Aufgabe des dritten Faktors,
einer durch Einflüsse fremder Art von der Volksmundart
entfernten Sprache. Diese 'G-esellschaftssprache' nahm sich
die Kanzleisprache zur Grundlage, versorgte diese auch aus
sich heraus und erzeugte eine Mischung, zum grösseren Teile
aus fremden Bestandteilen, zum kleineren Teile aus Schöpfungen
der Mundart bestehend. Die geschriebene Sprache der Ur-
kunden war jetzt vornehmlich Organ der Gebildeten der Stadt
und als solches gezwungen, fremden graphischen Einflüssen,
welche von massgebender Stelle kommen, konsequent nachzu-
geben. Sie that das, ohne dabei ihrer geschriebenen und ge-
sprochenen Sprache jede mundartliche Färbung zu nehmen.
Zuletzt also bevdes die geschriebene Sprache der Reichs-
kanzlei noch einmal ihre Macht an den Erzeugnissen der
Augsburger Stadtkanzlei. Keineswegs aber haben wir uns
diese Macht als eine schon damals ein für allemal normali-
sierende zu denken.
Berichtigungen und Zusätze:
S. H (251) Anm. 1: Weiteres zur Methode gewährt Scheel in: *Zur
Geschichte der Pommerschen Kanzleisprache im 16. Jh.* (Jahr-
buch des Vor. f. niederdeutsche Sprachforschung XX. 1895.)
S. «J> (.-515) Aniu. 1
S. 69 (315) Anm. 2
S. 77 (323) Anm. 1
S. 79 (323) Anm. 1
8. 83 (329) Anm. 2
S. 85 (331) Anm. 2
S. 90 (336) Anm. 3
S. 94 (340) Anm. 2
S. 95 (341) Anm. 4
Wein hold, rahd. Gr.
n
/,»
V
»j
§29.
§ 29.
§20.
§ a94.
§88.
§88.
§ 394.
§ 89.
8 ^^4.
S. 226 (472) Anm. 1 und 2: Weinhold. mhd. Gr. § 203.
S. 228 (474) Anm. 1 : „ „ „ § ä06.
S. 257 — 271 als Seitenüberschrift: Gesamtverlauf.
Julius Hoffory
geb. am 9. Februar 1855 zu Aarhus in Dänemark
gest. am 12. April 1897 zu Westend bei Berlin.
Der gegeni^ärtige Band der AcSta Oeimatiica ist der
letsste, der noch mit dem Namen ihres Begründers Julius
Hoffoiy erscheinen darf. Als sich um ihn yok* liun bald zdhn
Jahren in Berlin ein Kreis von S(5hülem und Freunden ^n
sammeln begann, war er es, der unsere Bämmlung ins Leben
rief, ihr den Namen gab und die ersten Kitarbeiter stellte.
Auf die wissenschaftlichen Arbeiten, welche seinet ^Leitung
ihre Entstehung verdankten, war es vor Allem abgesehen.
Leider ist wenig davon verwirklicht Worden. Die 'Unter-
suchungen tlber die Lokasenna, über den Ig'Apfiih&ttr, 'ttber
die altnordische Sprache im Dienste des ' Christentums, Über
das Yerbum reflestivum führen uns grade noch in die Wetk-
stätte ein, deren Mittelpunkt er war. Als dann seinem -S(ih&tffen
so früh ein Ziel gesteckt und er lebend schön der Wissen-
schaft und den Freunden entrückt wurde, 'hftben wir das
Unternehmen fortgeführt und wollen es welter thun, natjhdem
sich gezeigt hat, dass es dem gelehrten Betriebe nütitlibh zu
sein vermag.
Hoffoiys Entwicklung hat 2wei Stadien dutthlc/bt, in
seiner alten und in seiner neuen Heimat, das 'erste enger
umgrenzt aber sicher in seinen Zielen, das andere sich aus-
weitend zu neuem Suchen und Werden. Aber beide bleiben
durch ein fortwirkendes Band verknüpft
II
In einem jütländischen Städtchen geboren, führte Hoffory
sich Täterlicherseits auf ungarische Voreltern zurück. Er
wurde früh verwaist, aber von einem treuen Vormund ver-
ständnisvoU geleitet. Siebzehnjährig verliess er 1872 das
Gymnasium seiner Vaterstadt, um auf der Landesuniversität
sich für eine gelehrte Laufbahn vorzubereiten. Die Sprach-
wissenschaft und die formale nordische Philologie, Kopen-
hagens alter Buhm, zogen ihn besonders an. Hier hatte
einst Rask beide Wissenschaften zugleich begründet, hier
nach ihm Lyngby, der die Runen und die lebenden Dialekte
herbeizog, aber auch das westgermanische vokalische Aus-
lautsgesetz entdeckte, die grammatischen Studien in Blüte er-
halten. Hier vortrat unter Hofforys Lehrern Gislason eine
auf das genaueste Studium der ältesten nordischen Hand-
schriften begründete grammatische Methode, hier führte ihn
Thomson in die Sprachwissenschaft ein und eröffnete für die
Lautphysiologie weitere Gesichtspunkte. Hier leitete ihn
neben dem Sanskritisten Westergaard vor Allem Ludwig
Wimmer, den er immer als seinen eigentlichen Lehrer be-
trachtete. In ihrer Schule hat Hoffory die minutiöse Fein-
heit und Sicherheit der grammatischen Kenntnisse erreicht,
von denen einige sein^ frühem Rezensionen, am zusammen-
fassendsten seine 1883 erschienenen 'Consonantstudier' Zeugnis
ablegen. Wenn er sie gleich auch in den Dienst der Laut-
physiologie stellte, so kam ihm dabei die fein und mannig-
faltig nuanzirte Orthographie der ältesten nordischen Hand-
schriften ebenso wie seine Dialektkunde sehr zu statten.
Seine Erstlingsschrift, die phonetischen Streitfragen (1876),
in demselben Bande der Kuhnschen Zeitschrift veröffentlicht
wie die Entdeckung seines Freundes Vemer, suchen Brückes
strenges System in einigen wesentlichen Punkten zu ergänzen,
^ie sind mit den zunächst sich anschliessenden Artikeln vielleicht
Hofforys eingreifendste Abhandlungen geblieben, welche den
Reiz und die Eigenart seiner Begabung am meisten enthüllen.
Die Feinheit der akustischen Auffassung und der mechanischen
Analyse, die Kunst des Scheidens und Isolirens, der systematische
in
Zag, der immer anf das Organische und Oesetzmässige achtet,
wirken mit der anschaulichen Darstellung, dem lebendigen,
wenn auch etwas abgezirkelten Ton, der fein zugespitzten
Polemik aufs Glücklichste zusammen. Den Abschluss dieser
Aufsätze, die zu den besten ihrer Disziplin gehören, bildet
die 1884 in Berlin entstandene Streitschrift gegen Sievers,
mit der er einer drohenden Verwirrung des Systems zu steuern
suchte. Daneben treten während der Kopenhagener Periode
andere Richtungen noch nicht herror. Zu philologischer
Wort- und Textkritik finden sich nur vereinzelte Ansätze.
In das Innere des germanischen Volkstums und der
germanischen Poesie hat ihn auch Srend Qrundtyig noch nicht
gezogen. Holberg wird gelegentlich zitiert.
Berlin, wohin er 1878 zunächst ohne dauernde Absichten
tibersiedelte, sollte ihm bald zur neuen Heimat werden. Die
politische Entfremdung zwischen Deutschland und seinem
Vaterlande, die er mit durchlebte, hat er schmerzlich empfunden,
aber von der geistigen Zusammengehörigkeit beider Länder
war er tiberzeugt, als er zu uns kam. Ein Kreis gleich-
strebender Freunde, Lehrer die ihm sofort einen neuen Impuls
zu geben vermochten, das Gewahrwerden eines zukunftsichern
Emporstrebens, die ktinstlerische und politische Grossstadtluft
die er kostete, Hessen den Uebergang rasch sich vollziehen.
Es folgen einige Jahre des Abschlusses älterer Arbeiten und
neuer Vorbereitung. Seine grammatischen Studien, denen er
alsbald die metrischen zugesellte, haben keine wesentliche
Umbildung mehr erfahren. Die grossen Anregungen, die hier von
Scherer ausgegangen waren, hatte er sclion auf litterarischem
Wege bewältigt und in den neu auftauchenden Fragen blieb
er vielleicht etwas zu sehr von der speziell nordischen Grund-
lage beeinflusst, an der er mit Zähigkeit festhielt. Aber
Scherers sonstige universale und auf das Ganze gerichtete
Thätigkeit, einen Jeden mitziehend und fördernd der sich
ihm näherte, sein modemer Sinn, die lebendige Wechsel-
wirkung, welche er zwischen der Wissenschaft und dem geistigen
Leben der Gegenwart herstellte, haben auch an Hoffory
ihre Wirkung bew&hrt. Er wählte sich die Aufgabe einer
geistigen Yermittelung zwischen den beiden Nationen, denen
er angehörte. Hatte er selbst in Deutschland neue Ejraft
gewonnen, so suchte er nun die wirksamsten Faktoren seiner
alten Heimat in der neuen zur Anerkennung zu bringen. Seine
ersten Bemühungen galten ^olberg, dem grossen Charakter- und
Sittenschilderer, dessen Komödien er seit 1885 in der altem
deutschen Bearbeitung mit Schienther neu herausgab. Seine
1887 erschienene litterarische Einleitung zeigt, wie sehr er
auch auf diesem Gebiete seine Eigenart festhielt. Was ihn
am meisten interessierte, was er besonders im Hinblick auf
Moli^re eingehend erörterte, ist die künstlerische Mechanik.
Die sonstigen Aufgaben : die Rekonstruktion des litterarischen
Hintergrundes und der Zeitverhältnisse, die den Dichter be-
günstigten oder hemmten, das Erfassen seiner Individualität,
selbst die Analyse der künstlerischen Form und Ausdrucks-
mittel, grade bei Holberg so verlockend, haben Hoffory
scheinbar nicht gereizt. Seine Vorliebe für die poetische
Mechanik oder ^empirische Poetik' hat er auch sonst bekundet.
Der zweite nordische Autor dem er sich widmete, war
Ibsen, dessen erster zwar wenig hervortretender, aber sehr
agitatorischer Anwalt in Deutschland er wurde. Mochte das
z. Th. Hochmoderne der Stoffe, mochte selbst das Pathologische
derselben ihn sympathischer als Andere berühren: das Ent-
scheidende blieb ihm doch die grosse auf dem Wesen der echten
Kunst beruhende Technik des Dichters, die als ein rechtes
G-egenbild zur alten rhetorischen Dramatik für die Gegenwart
zu neuer Wirkung berufen erschien. So konnte Hoffory seinen
grossen nordischen Landsleuten unter uns ein höheres Ansehen
erkämpfen, als es ihm daheim möglich gewesen wäre.
Auf germanistischem Gebiete beruhte die letzte grosse
Förderung, welche Hoffory erlebte, auf dem Verhältnis zu
Müllenhoff. Als er sich in Berlin für Nordisch zu habilitieren
gedachte, was 1883 auch geschah, konnte Müllenhoff sich
anfangs wohl nicht ganz darin finden. Er war zu fest da-
von überzeugt, dass das Nordische unter uns keine separierte.
sondern eine Tom Gesammtgermanischen ausgehende Be-
handlung erheische. Aber sein Vertrauen zu Hofforys wissen-
schaftlicher Persönlichkeit hat neben Scherers ebnendem
Eingreifen alle Hindernisse beseitigt, so dass Hoffory dem
Meister bald wie ein tüchtiger Gehülfe zur Seite stand. Da-
mals als MüUenhoff mit seiner tiefen, eindringenden Kenntnis
wie von hoher Warte aus zum ersten Mal umfassend die
Stellung der Edda innerhalb der germanischen Poesie klar
legte und das oft misshandelte, nie ganz verstandene wert-
vollste Gedicht unserer ganzen mythologischen Ueberlieferung
wie neu vor Augen stellte, wurde auch in Hoffory lebendig,
was wissenschaftliche Phantasie und Methode im Grossen zu
leisten vermag. Er erkannte freudig an, dass seit Snorres
Tagen Keiner die ueberlieferung so wie MüUenhoff verstanden
und was er bisher nie gethan, geschah unter MüUenhoffs Ein-
fluss: unter Verleugnung seiner alten sicher fundierten
Eigenart sucht er nach dem Tode des Meisters auch seiner-
seits im grossen Stil rekonstruierende Philologie zu treiben.
Ich glaube zwar nicht, dass ihm diese Versuche schon ge-
glückt sind, glaube nicht an seinen HoBnir und seinen
germanischen Himmelsgott, meine überhaupt, dass sich in
seinen früheren Abhandlungen nicht annähernd so viel
methodisch unsicheres findet als in diesen eddischen Studien, —
aber für ihn selbst bleiben sie ein ehrendes Zeugnis, wie
sehr er den grossen Problemen nachzustreben bereit war.
Ob er auch hier mit neuer Entsagung und Schulung zu
bleibendem Abschluss gelangt wäre, — wer vermag es zu
sagen. Das glückliche Apercu, mit dem er zwei dunkle
Strophen der Vgluspä erklärte, wichtige Andeutungen über
die Chronologie der eddischen Gedichte und manche treffende
Bemerkung durft;en weitere Hoffnung erwecken. Nun ist
sein feines, vielseitiges, von hohen und lebendigen Zielen
erfülltes Wirken allzufrüh beendet.
Strassburg, Oktober 1898.
B. Henning.
^