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Full text of "Acta Germanica : Organ für deutsche Philologie"

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ACTA  GERMANICA 


ORGAN  FÜR  DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


HERAUSGEGEBEN 


rjLTit 


VON 


RUDOLF  HENNING  und  JULIUS  HOFFORY. 


Band  Y. 


Berlin. 

Mayer  &  Müller. 

1898. 


i 


ACTA  GERMANICA 

ORGAN  FÜR  DEUTSCHE  PHILOLOGIE 

HERAÜSOEOEBEN 
VON 

RUDOLF  HENNING  und  JULIUS  HOFFORY. 

BAND  y,  HEFT  1. 


DER  DEUTSCHE  S.  CHRISTOPH. 


VON 


EONBAD  BICHTEB. 


BERLIN. 

MAYER  &  MÜLLER. 
1896. 


Der  deutsche  S.  Christoph. 


Eine  historisch-kritische  Untersuchung. 


Von 


Eonrad  Richter. 


Berlin. 

Mayer  &  Müller. 

1896. 


Dnek  tob  A.  Hopter  la  Burg  b.  ML 


Vorwort 


Die  Anregung  zu  der  folgenden  Untersuchung  und  mannig- 
fache Förderung  bei  derselben  ward  mir  von  meinem  verehrten 
Lehrer,  Herrn  Geheimrat  Prof.  Dr.  Weinhold,  dem  ich  auch 
hier  noch  einmal  herzlich  und  ehrerbietig  danken  möchte. 

Als  es  sich  entschied,  dass  die  als  Dissertation  nur  zu 
einem  geringen  Teile  zur  Veröfifentlichung  bestimmte  Arbeit 
ganz  gedruckt  werden  sollte,  habe  ich  mich  bemüht,  eine 
grosse  Mannigfaltigkeit  zu  möglichster  Vollständigkeit  zu 
bringen.  Es  blieb  aber  immer  ein  Zwiespalt  zwischen  dem 
Streben,  das  bisher  hier  und  da  Geleistete  durch  eine  Zu- 
sammen&ssung  zu  ersetzen,  und  der  doppelten  Unfähigkeit, 
jede  vorhandene  Anregung  bis  zu  selbständigem  Resultat  zu 
fördern  und  in  allen  Stücken  aus  eigener  Kompetenz  zu  ur- 
teilen. Wenn  also  der  zufällig  Wissende  gar  leicht  an  diesem 
oder  jenem  Punkte  etwas  zu  ergänzen  und  berichtigen  haben 
wird,  so  hoffe  ich  doch,  dass  der  Fortschritt  gegenüber  im 
Kleinen  befangenen  Vorgängern  eben  in  dem  liegt,  was  sich 
nur  aus  umfassender  Betrachtung  alles  dessen  ergeben  konnte, 
was  den  hl.  Christoph  angeht. 

Das  Gewonnene  aber  verdanke  ich,  wie  ich  gern  anerkenne, 
nicht  zum  mindesten  dem  vielfachen  freundlichen  Entgegen- 
kommen  der  Bibliothek  des  Stiftes  S.  Florian  in  Ober-Oster- 
reich,  der  kgl.  Bibliothek  und  der  Bibliothek  der  kgl.  Museen, 
des  kgl.  Kupferstichkabinetts  zu  Berlin ;  der  Hof-  und  Staats- 
bibliothek zu  München,  des  Germanischen  Museums  zu  Nürn- 
berg, der  kgl.  Universitätsbibliothek  zu  Göttingen,  der  Bats- 
schulbibliothek  zu  Zwickau;  femer  den  liebenswürdigen 
Bemühungen  und  Auskünften  der  Herren  Prof.  Dr.  Heinrich 
Brockhaus  in  Leipzig,  Prof.  Dr.  Dobbert  in  Charlottenburg, 


IV 

Prof.  Dr.  Heosler  in  Berlin,  Prof.  Dr.  Schott  in  Stattgart 
[kgl.  Öffentliche  Bibliothek],  Prof.  Dr.  Strzygowski  in  G-raz, 
Studiendirektor  Ph.  Meyer  in  Markoldendorf,  Pr.  Hannover, 
Dr.  Hoppe,  Dr.  Kämmerer,  Dr.  Plath  in  Berlin,  cand.  phil. 
Friesland  in  Göttingen,  cand.  phil.  Keibel  in  Steglitz,  vor 
allem  auch  der  uneigennützigen  Liberalität  und  andauernden 
Aufmerksamkeit  des  Herrn  cand.  phil.  Haseloff  in  Friedenau. 
Diesen  Instituten  und  Herren  sowie  dem  Herausgeber  der 
Acta  Germanica,  Herrn  Prof.  Dr.  Henning  in  fitrassburg, 
spreche  ich  meinen  tie&ten  und  ergebensten  Dank  aus. 

Berlin,  im  Juli  1896. 

Konrad  B.ichter. 


Inhalt. 

8«it« 

I.  Die  Vorgesohichte  der  OhristopUegende     .     .        1 — 61 

Walthers  von  Speier  Christophoruewerk  1.  Inhalt  der 
poetischen  Fassung  8.  Verhältnis  der  persönlichen  Ein- 
leitungen zu  einander  7.  Charakter  des  Mannes  und 
Werkes  10.  Verhältnis  zu  den  ältesten  martyrologischen 
Zeugnissen  17.  Hotive  der  vorauszusetzenden  Passio: 
angeblich  historische  84,  fabulistische  S7. 

Die  erweiterten  Fassungen  84.  Beweise  ftir  ihre  Poste- 
riorität  86.  Inhaltsvergleichung  48.  Tendenz  und 
Wesen  S6.    Abgeleitetes  69. 

II.  Die  Ausbildung  der  Christoplüegeiide  in  Deutach- 
land  62—149 

Zur  Textkritik  des  ältesten  und  eigentlichen  deutschen 
Ghristophgediohtes  [A]  62:  Berichtigungen  68|  Ver- 
mutungen 66,  Fraglichkeit  des  geltenden  Resultats  72. 
Notwendigkeit  weiteren  Versuches  74.  Differenzen  der 
Hss.  76.  Metrische  Wahrnehmung  79.  Schema  einer 
Scheidung  von  Älterem  und  Jüngerem  86.  Bestätigung 
aus  dem  volkstümlichen  Charakter  89.  Verhältnis  zur 
alten  Passio :  Name,  Grösse  92,  Vorgeschichte  94,  Kar- 
tyrium  98.    Tendenzen  der  Überarbeitung  108. 

Jüngeres  Gedicht  [B]  106.  Verhältnis  zu  A  als  der 
Quelle  für  die  Vorgeschichte  106,  zur  alten  Passio  als 
der  für  das  Martyrium  116. 

Legenda  aurea  180.  Abhängigkeit  von  A  in  der  Vorge- 
schichte 181.  Verhältnis  zu  den  Passioversionen  im  Mar- 
tyrium 188.  Verbreitung  141.  Passional  144.  Abge- 
leitetes 146.  Bomanisohes  148.  Bearbeitungen  des 
19.  Jhs.  148. 

in.  Die  Darstellung  der  Legende 161 — 205 

Bedeutung  161.  Vorfrage  162.   Zustand  der  alten  Passio 


VI 

Seit« 

entsprechend:  hundskÖpfig  163,  menschlich  168.    Ent- 
stehung   und    Ausbüdung   des    ersten    nichtnAtionalen 
Typus  160.     Der  deutsche  Typus   168.     Einzelheiten: 
^   Positur  des  Kindes    170,    Stimbinde   172,    Stab   178, 
Kleidung  176,  Oürtel,  Tasche  177,  Schwert  180.    Um- 
/     gebung:  Wasserwesen  183,  Fluss,  Meer  186,  Landschaft 
/  186,  Einsiedler  187,  Kapelle  189.  Allgemeiner  Charakter 
190.   Künstlerische  Läuterung :  Memling  192,  Dürer  193, 
Vaillant    196.      Gknrehafte   Scenen    196.     Der   nicht 
deutsche  Christoph :  der  italienische  199,  spanische  203, 
französische  203,  englische  204.  Versuche  des  19.  Jhs.  206. 

lY.  Niederschlag  der  Legende  in  Yolksbrauch  und 

Yolksmeinung 206—243 

Spuren  erster  Verehrung  206.  Einfluss  der  Kreuzzüge 
208.  Ausbildung  einzelner  Funktionen  209.  Schatz- 
gräberaberglaube 217.  Wirkung  der  Reformation  221, 
allegorische  ümdeutung  226,  [Andreas  Schonwaldt  228]. 
Beaktion  283.  Ausdeutungen  des  19.  Jhs.  234.  Ver- 
suche mythologischer  Anknüpfung  226. 


L 

Die  Vorgeschichte  der  Christophlegende. 

Die  erste  poetische  Darstellung  der  Christophlegende 
ist  in  Deutschland  entstanden.  ^Cum  primum  regno  successit 
Tertius  Otto",  im  Jahre  983,  schrieb  sie  ein  deutscher  Geist- 
licher in  lateinischer  Sprache:  Walther  von  Speier. 

Wir  haben  nur  eine  Hs.  seines  Werkes,  heut  auf  der 
Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek  befindlich.  Sauber  und 
sorgfaltig  geschrieben  hatte  sie  lange  unbeachtet  in  S.  Emmeram 
zu  Regensburg  gelegen,  als  Jean  Mabillon  im  Iter  Germanicum^; 
auf  sie  hinwies.  Durch  seine  Notiz  aufmerksam  gemacht  hat 
sein  Ordensbruder  Bernhard  Pez  das  Gedicht  in  würdiger 
Weise  im  Thesaurus  anecd.  nov.  ^)  herausgegeben,  den  einzelnen 
Kapiteln  der  nachfolgenden  Prosa  fägte  er  Überschriften  hin- 
zu und  handelte  kurz  über  das  Ganze  in  der  Dissertatio 
isagogica^.  Selten  störte  es  da  einer  in  seinem  Dasein. 
Wattenbach*)  und  Prantl*)  erwähnten  es,  die  Litteratur- 
geschichte  kannte  es  nicht.  Da  hat  sich  denn  schliesslich 
ein  Sohn  Speiers,  W.  Harster,  des  Yorfahrs  erbarmt  und  ihm 
eine  Auferstehung  bereitet  für  weitere  Kreise  durch  eine  mit 
wertvollen  Anmerkungen  versehene  Ausgabe:  Vualtheri  Spi- 
rensis  Vita  et  Passio  Sancti  Christophori  Martyris,  und  eine 
Abhandlung:  Walther  von  Speier,  ein  Dichter  des  X.  Jhs.*). 

So  viel  Harster  auch  zur  Erklärung  des  Textes  durch 
Belegstellen  aus  klassischen  und  mittelalterlichen  Autoren 
gethan  hatte,  so  konnten  doch  die  Rezensionen  von  Pannen- 

^)  Vetera  analecta  IV,  59. 
*)  II,  27—122. 
•)  P.  L,  LI. 

^)  Deutschlands  QeschichtsqaeDen  im  Mittelalter  ^1886  I,  808. 
^)  Geschichte  der  Logik  n,  62. 

*)  Beigaben  za   den  Jahresberichten   1876/7  und  1877/8  der  kgl. 
Studienanstalt  Speier. 

1 


2  K.  Eiohter  2 

borg^),  A.  Schönbacli  *),  C.  Boraian'),  im  Litt.  Centralblatt 
f.  Deutschland^),  und  von  Nolte^)  manche  Ergänzung,  mehr 
oder  minder  wichtig,  erbringen.  Der  letztere  f&hlte  sich  auch 
trotz  Harsters  Warnung,  dass  die  Sorgfalt  der  Hs.  für  Konjek- 
turalkritik  wenig  Anlass  biete,  bewogen,  mit  einer  unglaub- 
lichen Willkür  eine  Reihe  von  sog.  Yerbesserungsvorschlägen 
für  den  Text  zu  machen,  deren  Voraussetzung,  dass  der 
Münchener  Codex  „wie  die^  Mehrzahl  der  Torhandenen  Mss". 
kopiert  wurde  aus  einem  andern,  „der  durch  Alter,  Gebrauch, 
Feuchtigkeit  abgenutzt,  vielleicht  hie  und  da  durchlöchert, 
ziemlich  unleserlich  geworden  war^,  und  dass  darum  die  Ab- 
schreiber das  Unleserlichgewordene  oder  Verlorengegangene 
ergänzten,  so  gut  sie  es  vermochten,  denn  doch  nur  ein  Aus- 
fluss  des  persönlichen  Konjekturalbedürfiiisses  ist.  Gleichzeitig 
mit  Harster  nahm  übrigens  K.  Werner  %  ohne  irgend  etwas  Neues 
zu  geben,  und  nach  ihm  Ebert^,  im  wesentlichen  einen  trockenen 
Auszug  des  Inhalts  bietend,  von  Walther  von  Speier  Kenntnis. 
Während  wir  Harsters  Verdienst  als  Herausgeber  gern 
anerkennen,  dürfen  wir  seiner  Abhandlung  den  Vorwurf  einer 
landsmännisch  befangenen  Beschränktheit  nicht  ersparen.  Er 
überschätzt  seines  Autors  Einfluss  auf  die  Legende,  weil  er 
ihn  als  Dichter  und  als  Persönlichkeit  überschätzt.  Einzig  von 
einer  Würdigung  dieser  Persönlichkeit  aus  kann  ein  Verständnis 
seines  Werkes  und  seiner  Stellung  in  der  Geschichte  der 
Legende  gewonnen  werden.  Da  wir  aber  zu  solchem  Zwecke 
öfterer  Bezugnahme  auf  den  Inhalt  der  Legende  selbst  be- 
dürfen, so  ist  es  rätlich,  eine  kurze  Nacherzählung  derselben. 


^)  Gott.  gel.  Anz.  1879  no.  20. 

•)  Afda.  VI,  166—172. 

*)  Jahresber.  üb.  d.  Fortechr.  d.  class.  Alterthumswiss.  XI,  66/7 
XV,  104/6. 

*)  1878  no.  40,  col.  1826—27. 

«)  Zs.  f.  oest  Gymnasien  1879,  XXX,  617—629. 

*)  Gerbert  von  Anrillac,  die  Kirche  und  WiBsenschaft  seiner  Zeit, 
Wien  1878. 

^  Allgem.  G^ich.  der  Litt,  des  Mittelalters  im  Abendlande  UI 
338—389. 


3  Vorgeschichte.  3 

wie  sie  sich  bei  Walther  darstellt ,  wenn  auch  unvermittelt^ 
vorausgehen  zu  lassen  als  eine  Yergegenwärtigung  des  ersten 
Legendenzustandes  überhaupt. 

Inhalt  der  poetischen  Passio  S.  Ohristophori,  Walthers 
von  Speier  Buch  II  bis  VI  umfassend. 

Es  war  einmal  ein  mächtiger  König,  der  sass  in  seiner 
Hauptstadt  Samos  und  herrschte  über  die  Syrer.  Aber  er 
war  seiner  Gewalt  unwürdig,  denn  er  barg  ein  Wolfsherz 
unter  erheuchelter  Lammesmiene. 

Zu  derselben  Zeit  lebte  in  Kanaan  ein  tugendreicher, 
aber  armer  Mann,  dessen  Eltern  nicht  unbekannt  waren  in 
ihrem  Lande.  Reprobus,  „der  Verworfene^,  war  er  genannt, 
nicht  zum  Zeichen  verderbten  Charakters,  sondern  wie's  Brauch 
war  in  seiner  Verwandtschaft ;  auch  sagen  sie,  er  habe  das 
Gesicht  eines  Hundes  gehabt.  Der  ging  nun  früh  schon  miss- 
achtend vorbei  an  den  Altären  der  Heiden.  Er  war  wie  der 
Eckstein,  von  dem  die  Schrift  redet,  dass  die  Bauleute  ihn 
verwarfen,  und  da  der  Prophet  in  seinem  Lande  nichts  gilt, 
so  zog  er  mit  leichtem  Quersack  in  die  Feme  und  kam  ins 
Gebiet  der  Syrer.  Einmal  lag  er  in  kühlem  Schatten,  um  die 
glühendste  Sonnenhitze  vorübergehen  zu  lassen,  sein  Gewand 
hatte  er  abgelegt,  und  er  weinte  leise  vor  sich  hin,  dass  er 
keinen  Führer  im  Glauben  finde.  Da  plötzlich  vernahm  er  eine 
englische  Stimme,  die  ihn  liebreich  tröstete:  der  Herr  habe 
Grosses  mit  ihm  vor,  er  solle  in  die  Stadt,  die  er  vor  sich 
sehe,  hineingehen  und  standhaft  dulden,  was  ihm  auch  ge- 
schehe, bis  die  himmlische  Barmherzigkeit  sich  seiner  annehmen 
werde.  Dass  er  auf  der  schweren  Bahn  nicht  strauchle,  werde 
ihm  aus  heiliger  Wolke  die  Stärkung  der  Taufe  zu  teil  werden. 
Und  der  Himmel  verfinsterte  sich.  Regen  schauerte  auf  ihn  nieder, 
und  wieder  sprach  die  Stimme  des  Engels:  „Ohristophorus 
sollst  du  heissen  von  heut  an,  weil  der  Vater  dich  berufen  hat, 
seines  Sohnes  Namen  in  das  Volk  der  Heiden  zu  tragen^.  ^) 

')  n,  140:   „Te  qaoque  Christophorum  matato  nomine  dici 
CensnimaBy  qaia  sancta  Übi  praeconia  Christi 
Missa  Samonitifl  ininnzit  adoptio  pairis." 

1* 


4  K.  Biokter  4 

Die  göttliche  Botscliaft  im  Sinn  eilte  der  Begnadete  yorwärts 
und  gelangte  unter  die  Manem  nnd  Thore  der  Stadt  Das» 
der  Herr  ihm  den  süBsen  Floss  der  Bede  verleiben  mSge^ 
die  Einwohner  zvl  ftthren  zum  Quell  alles  Lebens,  flehte  er 
und  trat  in  einen  Tempel  des  Jupiter,  den  jene  hier  aussen 
in  einem  kleinen  Haine  erbaut  hatten. 

Es  war  Mittag,  und  gerade  wollte,  bald  nach  ihm,  eine 
Frau  in  das  Heiligtum,  um  ihr  Opfer  zu  bringen.  Aber  wie 
sie  kaum  das  Angesicht  des  Fremden  erblickte,  da  erschrak 
sie  so,  dass  sie  laut  schreiend  hinauslief  und  nicht  eher  auf- 
hörte, als  bis  sie  zu  den  nächsten  Häusern  gekommen  war 
und  atemlos  erzählte,  was  sie  gesehen  hatte.  Nun  versam- 
melten sich  die  Leute  von  allen  Seiten  um  den  Heiligen.  Der 
war  wieder  vor  den  Tempel  getreten  und  stand,  in  Gebet 
versunken,  ruhig  da.  und  als  er  die  anwachsende  Menge 
gewahr  wurde,  flehte  er  zum  Herrn,  seinen  Stecken  erblühen 
zu  lassen,  auf  dass  das  Volk  seiner  Bede  glaube ,  und  der 
Herr  erhörte  sein  Gebet.    Da  Hessen  sich  viele  taufen. 

Aber  das  Gerücht  drang  zum  König,  ein  Fremder  sei 
gekommen  und  veridindige,  nur  ein  Ghott  herrsche  im  Himmel 
imd  auf  Erden ;  und  er  sandte  zweihundert  EÜeger  aus,  jenen 
heimlich  vor  sein  Angesicht  zu  bringen.  Sie  trafen  ihn  im 
G^ebet,  doch  von  seinem  Antlitz  erschreckt  wichen  sie  zurück, 
wie  ein  Enabe^  wenn  ihm  eine  scheussliche  Schlange  entgegen- 
züngelt. Da  sandte  der  König  andere  zweihundert,  aber  auch 
sie  fielen  wehrlos  vor  dem  Heiligen  nieder.  Als  Ohristophorus 
sein  Gebet  beendigt  hatte,  sprach  er  zu  ihnen :  „Keine  Königs- 
macht der  Erde  kann  mich  zwingen,  mit  euch  zu  gehen,  wenn 
ich  nicht  will.  Nur  um  euretwillen  will  ich  euch  folgen.*^ 
Sie  kamen  durch  die  Thore  der  Stadt,  und  furchtlos  trat  der 
Heilige  in  die  Halle  des  Königs  vor  diesen  hin,  die  strahlenden 
Augen  auf  ihn  heftend,  dass  er  entsetzt  vom  Throne  herab- 
stürzte. Und  als  er  wieder  zu  sich  gekommen  war  und  schel- 
tend und  drohend  den  wunderbaren  Mann  nach  Namen  und 
Heimat  fragte,  antwortete  der  ihm  so  ruhig,  bdsannte  so  treu 
und  fest,  dass  Dagnus   —  denn  so  hiess  der  König  —   ihn 


5  Voi^0Mohio]|te.  5 

ntlos  in  dM  Kerker  wedeia  liessi  et  hatte  keine  «ndere  Macht 
über  ihn.  Die  yierhundert  Krieger  aber,  die  er  nach  dem 
Heiligen  geschickt  hatte,  kamen  herbei,  auch  sie  glaubten  an 
Ohristas  und  duldeten  standhaft  den  Iftärtyrertod,  nachdem 
der  Tyrann  yergeblich  yersncht  hatte,  sie  durch  Ehren  und 
Silber  und  Gold  zu  sich  zurücksussiehen. 

Es  lebten  aber  in  der  Stadt  zwei  Mädchen,  Nicaea  und 
Aquilina,  welche  sehr  schön,  doch  ToUer  ünkeusehheit  und 
jedem  Manne  feil  waren.  Die  nun  liess  der  König  vor  sich 
rufen  und  versprach  ihnen  reichen  Lohn  und  Dank  und  sandte 
sie  in  den  Kerker  zum  heiligen  Christophorus,  auf  dass  sie 
ihn  mit  sich  sündigen  machten.  So  kämpften  denn  die  Königin 
Wollust  und  die  Jungfrau  Zucht  miteinander,  aber  die  Zucht 
siegte,  und  die  beiden  Yerftthrerinnen  stürzten  Tor  dem  An* 
geeichte  des  Heiligen  zu  Boden  und  wagten  lange  Stunden 
nicht,  ihr  Auge  zu  ihm  zu  erheben.  Endlich  yemahmen  sie 
«eine  freundlichen  Worte^  wie  er  ihnen  zusprach  und  nach 
ihrer  Absicht  und  ihrem  Leben  sie  befragte,  und  sie  faasten 
eich  ein  Herz  und  bekannten  ihm  alle  ihre  Sünden,  und  in 
tröstender  Belehrung  und  Bekehrung  verbrachte  Christophorus 
mit  ihnen  die  Nacht 

Als  sie  aber  am  nächsten  Morgen  vor  den  König  gef&hrt 
worden»  da  begrüsste  sie  der  mit  freudigem  und  ehrendem 
Grusse,  weil  er  den  nächtlichen  Aufenthalt  in  anderm  Sinne 
sich  auslegte.  Um  so  heftiger  entbrannte  sein  Zorn,  als  die 
Antwort  der  Schwestern  ihn  die  Wahrheit  erkennen  liess.  Es 
blieb  diesen  nichts  weiter  übrig,  als  sich  scheinbar  seinem 
Befehle,  den  Göttern  zu  opfern,  zu  fügen,  nur  bedangen  sie 
sich  aus,  dass  die  Strassen,  durch  die  sie  zum  Tempel  gehen 
mfisstm,  festlich  geschmückt  und  alle  Bürger  dorthin  zu- 
eammengerufen  würden.  Dann  aber,  als  sie  vor  den  Götzen«- 
bildem  standen  und  vergebUch  Antwort  und  Zeichen  des 
Gehörs  von  ihnen  heischten,  da  höhnten  sie  sie  laut  im  An- 
geeichte  des  Volkes,  und  mit  vereinten  Kräften  rissen  sie 
Jupiter  und  die  andern  von  ihren  Marmorsäulen  herab  und 
zertraten  sie  im  Staube.    Geduldig  liessen  sie  nun  über  sich 


6  K.  Eiohter  6 

ergehen,  was  Dagnns,  auf  die  Kunde  Ton  ihrer  kühnen  That^ 
über  sie  an  grausamen  Martern  verhängte:  und  so  würde 
Aquilina  mit  einem  grossen  Mühlsteine  an  den  Füssen  auf- 
gehängt, der  ihre  zarten  Glieder  grausam  auseinanderriss^ 
und  Nicaea,  nachdem  ihr  einzeln  die  Zähne  ausgebrochen 
waren,  um  ihr  Frohlocken  zum  Schweigen  zu  bringen,  und 
nachdem  ein  Engel  die  Gluten  des  Scheiterhaufens  mit  thauiger 
Hand  gelöscht  hatte,  enthauptet.  Sie  starben  froh  im  Ange- 
sichte des  heiligen  Lehrers,  der  vom  Fenster  seines  G-efäng- 
nisses  aus  ihren  standhaften  Tod  sah,  und  viele  des  Volkes^ 
die  2ieugen  so  yieler  Wunder,  bekehrten  sich  zu  dem  starken 
Glauben  der  Schwestern. 

Da  beschloss  der  König,  Hand  zu  legen  an  die  Wurzel 
solches  Abfalls,  an  den  hl.  Christophorus  selbst.  Als  der 
nächste  Morgen  anbrach,  Hess  er  ihn  yor  sich  bringen  und^ 
da  er  ihn  ungebrochenen  Mutes  und  trotz  der  drohenden 
Martern  willens  fand,  den  einen  Gott  in  Wort  und  That  zu 
bekennen,  mit  eisernen  Ruten  stäupen  und  einen  glühenden 
Helm  ihm  aufs  Haupt  setzen.  Umsonst  erhoben  drei  hohe 
Würdenträger  in  seinem  Gefolge  ihre  warnende  und  tadelnde 
Stimme  gegen  diese  Grausamkeit:  sie  wurden  auf  der  Stelle 
hingerichtet,  und  ein  Best  von  zwölf  Ellen  Länge  angefertigt^ 
auf  den  man  den  Märtyrer  band.  Als  ob  ein  Meerdelphin 
zu  rösten  wäre,  so  zündete  man  ein  grosses  Feuer  darunter 
an  und  nährte  es  mit  Ol,  aber  wie  weiches  Wachs  schmolz 
das  Gestell,  die  Flammen  sanken  zusammen,  und  frei  und 
frohlockend  schritt  der  Streiter  des  Höchsten  hervor,  mit 
lauter  Stimme  weissagend,  dass  die  Macht  seines  Gottes 
auch  den  König  selbst  noch  zum  rechten  Glauben  erwecken 
werde.  Am  folgenden  Tage  wurde  die  Marter  fortgesetzt: 
drei  Bogenschützen  mussten  von  der  ersten  Stunde  bis  zuni 
Sonnenuntergang  auf  den  an  eine  Säule  Tor  dem  Palast  ge* 
bundenen  Heiligen  schiessen.  Aber  die  göttliche  Barmherzig- 
keit hielt  die  Pfeile  von  seinem  Körper  ab,  sodass  sie  rechts 
und  links  in  der  Luft  schwebten,  und  als  am  andern  Morgen 
Bagnus  selbst  den  Bogen  ergriff,   da  drang  der  entsendete 


'7  Vorgeeohiohte.  .7 

Pfeil  in  sein  eigenes  Auge^  nnd  halb  erblindet  stürzte  er  za 
Boden.  Doch  der  mitleidige  Märtyrer  rerhiess  dem  Bethörten 
Heilung,  wenn  er  nach  seinem  Tode  ein  Weniges  von  seinem 
Blute  mit  Erde  mischen  und  im  Namen  Ohristi  auf  die 
Wunde  legen  würde.  Und  wie  er  weiter  prophezeit,  ward 
er  am  nächsten  Tage  um  die  achte  Stunde  auf  des  Königs 
Befehl  enthauptet,  es  war  der  fünfundzwanzigste  Juli.  Vorher 
hatte  er  noch  zu  Gott  gebetet,  dass  das  Land,  in  dem  sein 
Leichnam  ruhte,  bewahrt  sein  möge  vor  Hagel  und  Hungers- 
not, vor  Flut  und  Pest,  und  welcher  Besessene  ihn  anrufe,  dass 
der  geheilt  werde;  imd  eine  Stimme  von  oben  yerkündete  ihm 
die  Gewährung  solcher  Bitte.  Auch  dem  König  Dagnus  ge- 
schah, wie  er  yorausgesagt,  und  der  Geheilte  Hess  einen 
Befehl  ausgehen  in  seine  Lande,  dass  jedermann  getaufet  würde. 

Das  etwa  ist  es,  was  man  als  thatsächlichen  Kern  der 
Darstellung  Walthers  yon  Speier  entnehmen  kann,  es  ist  nicht 
ganz  leicht,  ihn  herauszuschälen.  Einzehies,  besonders  die 
Jugend,  treten  in  der  prosaischen  Bearbeitung,  mit  welcher 
er  sein  Werk  schliesst,  deutlicher  heryor,  im  ganzen  läuft 
der  Inhalt  ihrer  neunundzwanzig  Abschnitte  durchaus  dem 
der  paraphrasierten  fEbf  Bücher,  deren  jedes  ungeßthr  260 
Verse  zählt,  parallel.  Mancherlei  Nebenwerk  aber  hängt  um 
diese  beiden  Hauptteile  seiner  Arbeit,  das  nicht  uninteressant 
für  uns  ist.  Voran  geht  eine  prosaische  „Epistula  Vualtheii 
Subdiaconi  ad  CoUegas  ürbis  Salinarum  directa'' ;  ein  poetischer 
„Prologus  in  Scholasticum  Vualtheri  Spirensis  Ecclesiae  Sub- 
diaconi'', eine  „Praefatio  ad  inyitandum  lectorem  idonea* 
schliessen  sich  an.  Und  wie  diese  Stücke  gilt  auch  noch  der 
„Libellus  primus  de  studio  poetae,  qui  et  scholasticus''  aus- 
schliesslich der  Person  des  Dichters  selbst,  seinem  Leben  und 
seinem  Werke,  und  ebenso  die  Prosa-„Epistula  ad  Hazecham 
Sanctimonialem,  ürbis  Quidilinae  Kimiliarchen"  xmd  ein 
„Prologus  de  Vita  Sancti  Christophori'',  die  den  Übergang 
zur  Prosadarstellung  yermitteln. 

Die  Schwierigkeiten,  welche  die  Angaben  all  dieser  sub- 
jektiyen  Ergüsse   einem  Gesamtyerstehen   bieten,    sind  doch 


8  K.  Biohtar  8 

kaum  gewürdigt  worden  yon  denen,  die  bisher  über  die  Ent- 
stehung des  Werkes  sich  eine  Meinung  zu  bilden  Anlass 
hatten.  Von  der  Nonne  Hazecha  ist  nur  in  der  Zuschrift 
an  sie  die  Rede.  Welche  Bedeutung  hatte  ihr  nUbellus  de 
yirtutibus  s.  Christophori'',  den  sie  einst  mit  einer  |,inaudita  in 
id  yersuum  genus  dulcedo"  beim  Austritt  aus  Balderichs 
Schule  yerfasst  haben  soll,  für  Waltber?  Wie  kommt  diese 
Epistel  an  den  Schluss  der  poetischen  Passio,  vor  welcher 
nicht  nur  die  Widmungsepistel  des  Ghmzen  an  denselben 
JBischof  Balderich  yon  Speier,  Walthers  Lehrer,  sondern 
auch  der  Oeleitsbrief  an  die  Kollegen  in  Salzburg,  die  domini 
Idutfredus,  Benzo  et  Friderichus,  steht? 

Im  Jahre  983  yerfasste  Walther  sein  Gedicht,  er  über- 
gab es  Balderioh  mit  der  poetischen  Widmung  des  Prologus 
in  Scholasticum.  Dieser  teilte  es  in  sechs  Bücher,  ordnete 
und  yerbesserte  einiges  daran:  es  ist  zu  bemerken,  dass  in 
besagtem  Prolog  noch  keine  Andeutung  dayon  sich  findet, 
nur  die  Bitte  um  solche  Hilfe.  Ihm  entspricht  zu  Beginn 
des  Über  prosaicus  der  Prologus  de  Vita  S.  Ohristophori, 
gleichfalls  ersterbend  im  G-efÜhl  unbegrenzter  Dankbarkeit 
gegen  den  yäterlichen  Freund  und  Gk>nner.  „A  panris  adhuc 
lactentis  infantiae  cunis  ubi  me  iam  septennis  gratiae  puerum 
ludus  imbuit  litterarum,  dirina  caelitus  annuente  dementia  te 
non  solum  omnis  yigilantiae  in  grege  pastorem,  quin  immo 
totius,  ut  fit  in  filiis,  suscepi  patemitatis  auctorem**.  ttber 
die  kurz  berührte  Schulzeit  berichtet  Walther  dann  ausführlich 
in  dem  Ubellus  de  studio  poetae.  Dem  Bischof  dankt  er 
auch  den  Anlass  zu  seinem  Unterfangen,  yon  ihm  hat  er 
einen  „Ubellus  historiarum  S.  Christophori^  erhalten  mit  der 
Weisung:  „hunc  libeUum,  quem  quorundam  neglegentium 
deprayayit  incuria  scriptorum,  tibi  emendandum  yel  potins 
iuxta  Maronis  in  yersibus  disdplinam,  siye  Ciceronis  in  prosa, 
prout  yaleas,  industriam  iterata  stili  acie  e  yestigio  ezaran- 
dum  iniungo^.  Die  in  zwei  Monaten  zusammengeschriebene 
Arbeit  blieb  nun  einige  Jahre  ruhig  in  Balderichs  Verwahrsam. 
Da  kam  etwa  986  Hazecha  nach  Speier;  wie  es  nach  Walthers 


9  VorgeBohichte.  9 

Brief  an  sie  scheint^  der  sie  „talis  potentia^  neimty  j^speculum 
meritorum  et  generis  non  obscurae'',  eine  einflassreiche  und 
Yomehme  Nonne;  nnd  er  erinnert  sie  daran,  wie  sie  einst  krank 
in  der  Stadt  darniederlag  nnd  dann  wohl  ihn,  den  klein^i 
Knaben,  der  damals  kaum  in  die  Schule  gekommen  war,  zu 
sich  rufen  liess  und,  wenn  er  den  bischöflichen  Segen  aus- 
gerichtet hatte,  mit  Weintrauben  und  Geflügel  beschenkt  und 
gläcklich  wieder  fortschickte.  Jetzt  hofft  der  Erwachsene  im 
Einverständnis  mit  Balderich,  durch  ihre  Vermittlung  irgend 
eine  Förderung  und  Gunst  zu  erlangen:  darauf  möchte  ich 
den  Ausdruck,  „sub  futura  muneris  specie^  habe  ihn  jener 
in  ihren  Dienst  gestellt,  deuten.  Um  sich  der  Gönnerin  zu 
•empfehlen,  bringt  er  ihr  das  bereitliegende  Werk  mit  der 
Phrase,  nur  für  sie  habe  er  es  so  lange  aufgehoben,  und  um 
einen  Anknüpfungspunkt  zu  haben,  benutzt  er  die  von  dem 
Bischof  ihm  berichtete  zufallige  Thatsache,  dass  auch  Hazecha 
zum  Abschlüsse  des  Unterrichts,  den  sie  einmal  in  Speier 
erhalten  hat,  ein  Büchlein  über  den  hl.  Christophorus 
schreiben  musste.  Indem  er  fingiert,  es  sei  durch  die  Un- 
achtsamkeit eines  Untergebenen  verloren  gegangen  und  seine 
ganze  Arbeit  nur  ein  Ersatz  dafür,  der  erst  durch  ihre  Gunst 
sein  Licht  erhalten  würde,  erhöht  er  in  feiner  Schmeichelei 
sowohl  den  Wert  ihres  eigenen  Opus  als  auch  setzt  er  das 
seinige  in  enge  Verbindung  damit»  was  ihm  eine  geneigte 
Beachtung  zu  sichern  im  Stande  war.  Ob  er  den  praktischen 
Zweck,  den  er  bei  Hazecha  erstrebte,  erreicht  hat,  wissen 
wir  nicht,  aber  wir  dürfen  schliessen,  dass  sein  Gedicht  ihr 
gefiedlen  hat:  sie  mag  dazu  beigetragen  haben,  dass  es  nun 
öffentlich  verbreitet  wurde,  neu  versehen  mit  der  Praefatio 
ad  lectorem.  Der  Buf  davon  verbreitet  sich,  und  drei  ihm 
bekannte  Salzburger  Geistliche  bitten  den  Verfasser,  bald 
nach  Balderichs  987  erfolgtem  Tode,  um  Hitteilung.  Der 
gefallige  Mann  —  imd  das  charakterisiert  ihn  —  lässt  ihnen 
ein  Exemplar  zugehen,  in  denen  alle  die  Vorreden,  die  er  in 
verschiedener  Absicht  zu  seinem  Werke  verfasst  hat,  hinter 
dem  letztgeschriebenen  Geleitsbriefe  aufrücken  müssen.    Es 


10  K.  Eiohter  16 

ist  ein  Zufall,  dass  uns  dieses  Exemplar  oder  vielmehr  eine 
Abschrift  davon  erhalten  ist:  ein  älteres  würde  weniger,  ein 
jüngeres  vielleicht  noch  mehr  derartiger  Anhängsel  überliefern. 
Zu  dem  ganzen  Bilde,  das  wir  uns  von  Walther  von 
Speier  machen  müssen,  stimmt  diese  Deutung  der  Verhältnisse 
gar  wohl.  Es  ist  mir  unzweifelhaft,  dass  er  seiner  Zeit  sich 
dargestellt  hat  als  das  Prototyp  eines  fähigen  und  ehrgeizigen 
Hofgeistlichen,  eines  Weltmannes,  der  die  Karriere,  die  Er- 
ziehung und  Konnexion  ihn  zu  machen  in  den  Augen  der 
Welt  berechtigten,  auch  wirklich  machte,  soweit  sich  ver- 
folgen  lässt.  Über  seine  Eltern  erfahren  wir  nichts :  vielleicht 
waren  sie  früh  gestorben,  vielleicht  nicht  recht  präsentabeL 
Von  früher  Kindheit  an  ist  ein  vornehmer  KirchenfÜrst  sein 
hoher  G-önner,  als  sein  Hausgenoss  steht  er  mit  ihm  in  ver- 
trautem Umgang.  Er  ist  Liebling  einer  vornehmen  Dame 
geistlichen  Standes,  der  er  in  den  langweiligen  Stunden  einer 
Krankheit  die  Zeit  vertreibt,  die  ihn  mit  Näschereien  füttert. 
Er  empfängt  eine  ausgezeichnete  Bildung,  Unterricht  in  allen 
Wissenschaften  der  Zeit  unter  beständiger  persönlicher  Auf- 
sicht des  Bischofs;  dem  wohlgelehrten,  höfischgewandten 
Jüngling  steht  eine  glänzende  Laufbahn  offen,  deren  nächstes 
Ziel,  das  Subdiaconat,  auch  dieses  schon  lange  zu  den  höheren 
geistlichen  Würden  gehörig,  er  bereits  „sub  puerilibus  annis'^ 
erreicht  hatte.  Ein  Weiteres  war  die  Passio  S.  Christophori, 
eine  grosse  Probearbeit,  durch  die  er  bewies,  dass  er  auf  der 
Höhe  der  Bildung  seiner  Zeit  stand.  Nicht  nur  der  Brief 
an  Hazecha,  sondern  jeder  Vers,  jede  Zeile,  in  denen  er  von 
seiner  Person  spricht,  sind  Ausfluss  solcher  Lebensstellung 
des  Verfassers.  Er  erstirbt  in  Demut  und  Dankbarkeit  gegen 
Lehrer  und  G-önnerin,  er  kann  nicht  genug  Ausdrücke  finden, 
sein  eigenes  Werk,  seine  eigene  Person  herabzusetzen,  und 
doch  liebt  er  dieses  Werk  sehr  zärtlicli  und  diese  Person 
noch  mehr,  diese  seine  „parvitatem**.  Was  Harster  verteidigt, 
dass  unser  Walther  es  sei,  der  im  Jahre  1004  als  zweiter 
Nachfolger  Balderichs  den  Bischofsstuhl  von  Speier  bestieg, 
würde    die    Wahrscheinlichkeit    unserer    Charakteristik    des 


11  Vorgescilichte.  11 

Hannes  um  einen  Grad  erhöhen.  Denn  dieser  Bischof  Walther 
war  einer  der  vertrautesten  Grossen  der  beiden  Kaiser 
Heinrichs  ü.  und  Konrads  des  Saliers,  vom  ersteren  mit 
Bing  und  Stab  belehnt,  sein  Gesandter  an  Papst  Benedikt  Vlll. 
inbetreff  der  Kaiserkrönung,  sein  Begleiter  nach  Born,  der 
Schützer  der  kaiserlichen  Gemahlin  auf  der  Bflckreise. 
Vielleicht  war  er  von  Konrad  ausersehen,  über  den  Bau  des 
Limburger  Domes  zu  wachen  wie  über  den  des  Speierer. 
Er  starb  1031,  ein  vollendeter  Prälat. 

Alles  das,  was  über  Walthers  Persönlichkeit  gesagt  wurde, 
sollte  nicht  den  geringsten  menschlichen  Tadel  in  sich  schliessen. 
Auch  der  vornehme  Hofgeistliche  braucht  an  persönlicher 
Würde  und  Ehrenhaftigkeit  nichts  eingebüsst  zu  haben  auf 
seiner  glatten,  nicht  gefahrlosen  Bahn.  Aber  in  jener  auf- 
strebenden Zeit  der  Ottonen,  die  dem  Betrachter  manche 
interessanten  Charaktere  bietet,  verdient  auch  ein  Typus  wie 
der  Walthers  Beachtung,  menschlisch  wie  litterarisch.  Er 
steht  äusserlich  in  Beziehung  zu  Ekkehard  I.  von  S.  Gallen, 
in  Beziehung  durch  den  vierten  Ekkehard,  der  beiden  ihre 
Grabschrift  geschrieben  hat.  Man  könnte  Ekkehard  I.  auch 
wohl  Walthers  litterarischen  Oheim  nennen,  der  alte  Geraldus 
von  S.  Gallen  war  sein  wie  Balderichs  Lehrer.  Beide  haben 
sie  ihre  Werke  als  Schularbeiten,  sogenannte  dictamina,  ge- 
fertigt, auch  Gerald  wird  wie  Balderich  die  Arbeit  seines 
Schülers  gefeilt  und  gestutzt  haben.  Und  nun  vergleiche 
man  sie.  Auf  der  einen  Seite  eine  Fülle  von  plastisch  hin- 
gestellten, lebendigen  Charakteren,  ein  breiter  Strom  epischen 
DetaUs,  eine  tiefinnerliche  Anteilnahme  am  Geschehen  — 
und  bei  Walther?  Weiss  und  schwarz,  Christ  und  Heide, 
das  sind  die  Gegensätze,  in  denen  sich  seine  Charakterisierungs- 
kunst erschöpft.  Die  Ungläubigen,  die  Schlechten  werden 
repräsentiert  durch  den  heidnischen  König,  fUr  dessen  Ver- 
worfenheit keine  Worte  zu  stark  sind,  die  Getauften,  die 
Ghiten  durch  Christophorus.  Eigentlich  nur  auf  seiner  Seite 
finden  wir  die  wenigen  Nebenfiguren,  Ableger  des  Haupttypus, 
den  er  darstellt.    Es  ist  charakteristisch,  dass  Nicaea  und 


12  K.  Biohter  12 

Aquilioa,  die  Tomehmen  Hof  huren,  in  eines  Hinüedlens  Spanne 
Tom  Stande  des  Lasters  in  den  der  Tugend  umgeweisst 
werden;  hier  eine  seelische  Umwandlung  auch  nur  ahnen  za 
lassen,  bemüht  sich  Walther  nicht.  Diese  beiden  reden  dann 
genau  so  wie  Christophorus  selbst  redet,  genau  so  wie  der 
Chor  der  vierhundert  redet,  und  genau  so,  wie  Walther  von 
Speier  geredet  haben  würde,  wenn  er  in  Versen  gepredigt 
hätte,  und  die  monotone  Bedesucht  seiner  Personen  erstickt 
jegliche  Realistik  der  Darstellung  des  Ausseren,  die  gerade 
für  das  Epos  so  wesentlich  ist.  Nicht  das,  was  geschieht, 
ist  für  Walther  die  Hauptsache,  sondern  einmal,  was  sich 
darüber  reflektieren,  und  sodann,  was  sich  von  solcher  Be- 
flexion  etwa  den  Beteiligten  in  den  Mund  legen  lässt.  Das 
geht  soweit,  dass  stellenweise  das  wirkliche  Geschehen,  so 
einfach  und  grobzügig  es  eigentlich  ist,  besonders  in  der 
poetischen  Darstellung  nicht  recht  zur  Klarheit  kommt.  Eine 
deutliche  Vorstellung  der  Ortsverhältnisse  kann  Walther  selbst 
so  wenig  gehabt  haben  wie  wir  sie  aus  ihm  gewinnen  können. 
Wie  verschleiert  und  vag  erscheint  uns  die  ganze  Jugend  des 
Heiligen,  das,  was  vor  seinem  Eintreffen  in  der  Stadt  des 
Dagnus  liegt,  wie  trocken  und  dürftig  ein  Auszug  des  That- 
sächlichen  des  darauf  folgenden  Erbaulichen. 

Freilichi  man  mag  einwenden,  dass  alle  die  poetischen 
Hagiologieen  der  Zeit  Walthers  von  Speier  ohne  Ausnahme 
das  Bestreben  vermissen  lassen,  den  Forderungen  epischer 
Kunsttechnik  gerecht  zu  werden.  Das  ist  richtig.  Aber  man 
denke  daran,  dass  andere  Keime  eines  Fortschritts  sich  auch 
in  jener  litteraturgattung  damals  leise  regten,  ein  gewisses 
historisches  Interesse,  eine  zweifelnde  Mönchskritik  gegenüber 
den  Quellen,  eine  Neigung  zu  psycholpgischer  Vertiefung,  man 
denke  etwa  an  Odo  von  Cluny,  an  eine  Frau  wie  Hrotswith. 

Solchen  Persönlichkeiten,  die  in  seinem  Jahrhundert 
wohl  begegnen,  steht  Walther  gegenüber  als  ein  unpersönlicher, 
geistesschmiegsamer  Gelehrter,  oder  besser  Gebildeter.  Er 
reicht  den  grössten  BUdungsdünklem  aller  Litteraturen  das 
Wasser.    Er  schwelgt  in  der  Freude  an  seinem  Wissen,  jeder 


13         '  Vorgesofaichte.  13 

Vers,  jedes  Wort  ist  solcher  Frende  yoU.  Es  ist  das  nicht 
za  verwechseln  mit  der  Naivität,  in  der  Ekkehard  etwa  ganze 
Yerse  aus  lateinischen  Klassikern  und  Klassizisten  entlehnt. 
Walther  hat  das,  was  er  gelesen  hat,  wirklich  verarbeitet, 
ans  den  Fetzen  fremder  Gewänder  sich  einen  bunten  Mantel 
zusammengestückt  und  die  Nähte,  das  wollen  wir  ihm  zu- 
geben, gut  vernäht.  Sein  Werk  ist  eine  grosse  Mosaik  aus 
den  Metaphern,  Gleichnissen  und  allen  Stilmitteln  des  Alter- 
tums. Es  macht  ihm  keine  Mühe,  sie  zu  suchen^  wie  es  dem 
Dichter  wohl  Mühe  kostet,  bis  ein  Bild  sauber,  ein  Vergleich 
deutlich  und  rein  heraustritt,  er  hat  alle  seine  Trümpfe  in 
jedem  Augenblick  bequem  zur  Hand,  er  denkt  den  deutschen 
Begriff  und  schreibt  —  nicht  das  lateinische  Wort  —  sondern 
die  lateinische  Umschreibung,  eine  einfache  Metapher,  ein 
ausgedehnteres  Gleichnis,  wie  sie  ihm  aus  diesem  oder  jenem 
Elassiker  ins  Gedächtnis  treten,  ohne  Anstoss  hin.  Dass  er 
so  in  zwei  Monaten  sein  ganzes  Werk  zu  Stande  brachte, 
zeugt  von  der  Gründlichkeit  seiner  Schullektüre,  wie  es  das 
Verzeichnis  der  Schriftsteller  und  Dichter,  das  er  selbst  im 
Ubellus  de  studio  poetae  giebt,  und  das  Harsters  Untersuchung 
ergänzt  hat»  von  ihrem  Umfange  thut. 

Aber  solche  Anerkennung  des  Könnens  darf  uns  nicht 
verleiten,  mit  Harster  Walther  von  Speier  wirklich  dichterische 
Beföhigung  zuzugestehen.  Wenn  sie  in  dem  „hohen  Schwünge 
seiner  Begeisterung,  mit  der  er  die  Gnmdwahrheiten  des 
Christentumes  vorträgt'',  gefunden  wird,  nun  ja,  so  soll  in 
den  Beden  seiner  christlichen  Personen  eine  gewisse  feierliche 
Kraft  der  Worte,  ein  andringendes  Pathos  nicht  geleugnet 
werden.  Wo  er  nichts  weiter  ist  als  der  christliche  Prediger, 
wo  er  sich,  übrigens  in  weit  massvollerer  Weise  als  der  an- 
tiken, der  biblischen  und  altecclesiastischen  Phrasen,  Bilder, 
Geschichten  bedient,  da  ist  er  am  geniessbarsten.  Eine  gründ- 
liche Kenntnis  der  Schrift»  eine  Beherrschung  der  kirchlichen 
Tradition,  ihrer  Argumente,  Grübeleien,  Fabeleien,  wie  denn 
etwa  selbst  die  Stellvertretungslehre  der  Ejrche  versificiert 
erscheint,  erweist  zur  Genüge,  dass  Walther  auch  an  dem 


14  K  Richter  14 

zweiten  Bildangsfaktor  seiner  Kultorepoche,  die  Antike  und 
Christentum  so  unbefangen  zu  einer  SSinheit  zu  machen  wusste, 
seinen  gemessenen  Anteil  hat.  Aber  zuletzt  ist  doch  auch 
das  nur  ein  äusseres  Anbringen  Yon  Erlerntem  mit  einiger 
Geschicklichkeit,  und  nur,  weil  eine  Verbrämung  dieser  Art 
dem  Stoffe  gemässer  war  als  der  antike  Aufputz,  trägt  sie 
weniger  offen  den  Charakter  des  Schwulstes  an  sich,  der 
diesem  aufs  unerträglichste  eignet« 

,,Qespreizt,  mit  Gelehrsamkeit  überladen*^,  dieses  urteil 
Wattenbachs  hat  trotz  Harsters  Verwahrung  in  allerschär&tem 
Grade  von  Walthers  Stil  zu  gelten ;  innere  Leere  bei  ausser- 
liebem  Prunk,  jene  unangenehmste  Art  poetischer  Mache,  die 
man  eben  mit  dem  technischen  Ausdruck  „  Schwulst '^  zu  be- 
zeichnen  pflegt,  ist  im  grossen  und  im  einzelnen  unverkennbar. 
Nur  nicht  das  sagen,  was  man  meint,  sondern  es  ins  schönste, 
erglänzendste,  erhabenste  potenzieren,  das  ist  das  Bestreben 
solcher  Stilabsicht.  Man  nehme  einmal  die  ganze  Gruppe  der 
Ausdrücke  für  loqui,  z.  B.  II,  152  plectoria  tacitae  linguae 
solrere,  II,  164  talia  mellito  modulari  carmina  plectro,  femer 
II,  217,  m,  67,  V,  94,  VI,  225,  wie  seltsam  kontrastiert  ihr 
Bombast  mit  dem  doch  simplen  Stoffe,  und  wie  macht  es  uns 
lächern,  wenn  nach  der  Bekehrung  auch  der  König  noch  ge- 
würdigt wird:  tacto  canere  haec  modulamina  plectro,  VI,  253. 
Jawohl,  auch  seine  Zeitgenossen  brauchen  solche  Phrasen, 
ohne  ihr  Sinnliches  noch  zu  empfinden;  dass  aber  Walther 
mit  an  erster  Stelle  in  allem  derartigen  üngeschmack  steht 
und  wohl  in  manchem  an  allererster,  das  erkennt,  wer  sich 
die  Mühe  ninmit,  auf  einzelne  Gruppen  von  Phrasen,  Bildern, 
Gleichnissen  grundsätzlich  zu  achten.  So  ist  mir  ein  auf* 
fälliges  Zeugnis  f&r  die  vermuteten  persönlichen  Verhältnisse 
die  Vorliebe  für  die  höfischen  Umschreibungen  der  königlichen 
„potestas"  und  der  eigenen  „humilitas^,  wie  sie  etwa  in  wenigen 
Versen  UI,  81 — 85,  der  Bede  des  Heiligen  an  die  abgesandten 
Krieger,  sich  häufen :  „regalis  praesentia  honoris'',  „trutinatio 
nostrae  librae'',  „archia'',  „milestalisregni'',  „tantaexcellentia''. 
Dahin  gehört  auch  die  Übertreibung  seiner  Vergleiche,  seiner 


15  Vorgeeohichte.  15 

Bflder,  wenn  z.  B.  er,  der  Knabe,  wie  die  Gemse,  die  furchtsam 
über  die  Hügel  springt,  oder  wie  der  Gladiator,  der  die  blut- 
triefende Arena  hält,  sich  mit  Mut  gürtet,  um  —  Grammatik 
zu  treiben,  I,  37 — 40;  die  Uberschwänglichkeit  der  Dankbarkeit 
gegen  Balderich,  der  kaum  „illud  beati  Hieronymi  torrens 
eloquium''  Ausdruck  zu  verleihen  im  Stande  wäre,  prol.  pros., 
oder  die  Sucht,  von  seinem  Werke  nur  in  den  bescheidensten, 
servilsten  Wendungen  zu  reden:  so  dass  er,  der  versichert, 
dass  er  nur  durch  die  Gnade  Christi,  beileibe  nicht  durch 
eigenes  Verdienst  Subdiakon  geworden  ist,  praef.  76,  sich 
freuen  will,  wenn  sein  Werkchen  in  Balderichs  Bibliothek 
beigeseUt  würde  ^genuis  vel  in  imo  margine  biblis«",  prol 
in  schol.  20.  Wie  rein  äusserlich  in  Wahrheit  diese  Be- 
scheidenheit ist,  das  bezeugt  die  prunkende  Anmassung  des- 
selben Mannes  in  seinen  ausgeführten  historischen  Vergleichen, 
wenn  er  sich  etwa  mit  Begulus  misst,  dessen  Starrsinn  Leid 
imd  Verderben  über  viele  gebracht  habe,  wie  nun  auch  er, 
trotz  des  warnenden  Zurufs  der  Freunde,  eine  Last,  der  er 
nicht  gewachsen,  auf  sich  nehmen  und  den  abschüssigen  Berg- 
pfad hinabeilen  werde,  bis  er  unter  ihr  zusammenbreche, 
praef.  1 — 68;  in  der  pomphaften  Verwendung  mythologischer 
Kenntnisse^  wie  z.  B.  Mulciber  und  Pyracmon  aufmarschieren 
müssen,  um  den  Bost  für  Christophorus  zu  verfertigen, 
VI,  117 — 121;  vor  allem  aber  in  der  Freude  an  AUegorieen, 
besonders  in  jenem  Ungetüm  einer  solchen,  das  im  ersten 
Buch  die  Verse  114 — 223  einnimmt,  xmd  dessen  Wert  fär 
unsere  Kenntnis  des  mittelalterlichen  Schulwesens  hervorzu- 
heben jeder  sich  beeilt,  der  einmal  in  seine  EZlauen  geriet. 
Statt  der  Versinnlichung  eines  Ideellen,  die  die  Aufgabe  einer 
Allegorie  ist,  bietet  dieses  Lektionsverzeichnis  eines  Schul- 
unterrichts fortlaufende  Bätsei,  zu  deren  Lösung  selbst  die 
peinlichste  Fachbildung  nicht  völlig  ausreicht.  Das  schlimmste 
aber  ist,  dass  Walther  aus  dem  Bereiche  der  Bildlichkeit  fort- 
während in  das  Beich  der  Wirklichkeit  hinüberschwankt,  und 
auch  seine  Vergleiche  mit  einander  ins  Einvernehmen  zu  setzen, 
nicht  im  mindesten  bedacht  ist.     Ganz  besonders  treten  solche 


16  K  Eichter  16 

Dissonanzen  uns  in  den  umständlichen,  gequälten  Einleitungen 
entgegen,  die  der  Dichter  fast  jedem  Buche,  jeder  Epistel 
vorausgesetzt  hat.  Nehmen  vir  etwa  den  einfachen  AnfSeuigs- 
gedanken  des  prol.  in  schol. :  „Mein  Werk  bedarf  deiner 
Hilfe,  Balderich**,  imd  sehen  wir,  wie  unsäglich  yerklausuliert 
er  herauskommt.  Da  heisst  es  erst:  „Wer  wirbt  um  neue 
Huld,  der  löse  erst  die  Schuld,  so  sagt  eine  alte  RegeF. 
„Deshalb  soll  jeder  den  Zehnten  seines  Ackers  als  Entgelt 
fUr  seine  Früchte  der  Eirche  darbringen,  damit  der,  der  nichts 
zu  geben  hat,  am  Tage  des  letzten  Berichts  um  seiner  blossen 
Gesinnung  willen  Gnade  erhalte,  weil  da  mehr  gilt  das  Scherf- 
lein  der  Witwe  als  aufgehäufte  Reichtümer.  Darum,  dass 
nicht  die  Kalte  der  Felsen  die  zarten  Erstlinge  verderbe  oder 
die  mitaufgegangenen  Domen  sie  ersticken  oder  das  frohe 
Ergebnis  der  Ernte  die  Neider  errege,  übergebe  ich  deiner 
Hut,  Balderich,  die  G-erste^  u.  s.  w. :  unnatürlich  geschraubt 
klingt  dieses  Ubermass  der  Rede  zum  Ausdruck  des  dürftigsten 
Gedankens. 

Das  ist  Schwulst  Und  selten  gelingt  es  Walther,  sich 
aus  ihm  zu  einiger  Anschaulichkeit,  zu  günstigeren  Wirkungen 
zu  erheben.  Wenn  er  sich  des  Oxymorons  [TT,  44],  des  Wort- 
spiels [111,73,  n,  18],  der  rhetorischen  Frage,  der  Apostrophe 
an  irgend  eine  musische  Abstraktion  [V,  90,  178,  VI,  31] 
und  besonders  der  Ironie  [praef.  50.  VI,  166,  171]  als  an- 
tiker Stilmittel  bisweilen  geschickt  bedient,  so  ist  auch  das 
nur  ein  technisches  Können.  Eine  klargeschaute  Situation, 
wie  sie  IV,  183 — 89  geboten  wird  in  der  Versammlung  der 
Räte  des  Königs:  wie  sie  kommen  imd  jeder  seinen  Platz 
einnimmt,  wie  der  König  auftritt,  auf  erhöhtem  Sitz  sich 
niederlässt  und  alles  ruhig  wird,  bis  die  beiden  Mädchen 
vorgeführt  werden,  ist  vielleicht  das  episch  Gelungenste 
des  ganzen  Gedichtes,  und  auch  hier  wieder  kennzeichet 
sich  der  vornehme  Hofgeistliche,  der  solche  Scenen  kannte, 
und  wenn  er  in  seiner  Prosadarstellung  ein  wenig  klarer  ist, 
wenn  er  den  Bilderschmuck,  das  Mythologische  darin  sehr 
beschränkt  imd   auch  den  Dialog  einfacher  und   lebendiger 


17  Vorg^aohichte,  17 

giebt,  80  ist  daran  oicht  eine  grössere  Kraft  in  der  pcosaisdiiNi 
Bede  an  sich  Sobald«  sondern  nur  ein  überwiegen  des  christ- 
lichen Elemenjbes  über  das  aatike,  wie  solche  Unterscheidung 
der  StUartai  in  der  gebundenen  und  der  ungebundenen  Form 
der  Erzählung  durchaus  im  Geschmacke  der  Zeit  war,  und 
dem  entspricht  es,  dass  in  der  Prosa  die  biblischen  An- 
spielungen und  Cütate  beträchtlich  yermehrt  und  wörtlich  treuer 
erscheinen.  Im  Grunde  ist  es  dieselbe  Unpersönlichkeit,  die 
diese  Prosa  wie  die  leoninischen  Hexameter  geschrieben  hai'^ 
bisweilen  lässt  sie  sich  an,  als  hätten  mr  einen  sermo  de 
yita  unseres  Heiligen  Tor  uns,  wie  sie  deanals  wohl  gehaltoa 
wurden,  und  Ausrufe  roller  Pathos  und  Unbedeutendheit :  «0 
inexstinguibUis  lucemae  fulgorem !  o  inaestimabilis  flagrantiae 
florem!  o  beatum  tanti  pignoris  uterum  et  taUs  tantaeque 
prolis  ineffabUe  sacramentum!'«  neben  solchen  voll  weinerlicher 
SüssUchkeit :  „0  salutaxinm  rimulas  genarum!  o  quam  dulees 
gemmulas  lacrimarum!^  sind  Ausfluss  *  einer  vornehm-seichten 
JBrbaulichkeit.  Wie  sich  aber  seine  Leoniner,  nach  Harsters 
Berechnung  zu  ^/^^  ganz  rein,  besonders  wenn  man  die  Fülle 
und  mannigfache  Gliederung  seiner  Konstruktionen  und  Perioden 
in  Betracht  zieht  —  der  Leoniner  hat  naturgomäss  eine  Tendenz 
zur  monotonen  Zweigliedrigkeit  der  Yerse  — ,  als  eine  ganz 
einzig  dastehende  Leistung  in  einem  so  umföngliohen  Gedichte 
erweisen,  so  zeichnet  sich  auch  Walthers  Prosa  durch  ihre 
grössere  stilistische  und  rhetorische  Gewandtheit  vor  andern 
Heiligenleben  der  Zeit  aus,  vielleicht  auch  durch  eine  feinere 
Eleganz. 

Es  war  geboten,  durch  diese  ausführliche  Betrachtung  eine 
lebendige  Vorstellung  von  Waltber  von  Speier,  einen  Massstab  für 
seine  dichterische  Pot^iz  zu  gewinnen,  um  von  hieraus  sein 
Verhältnis  zu  seinem  Stoffe  formulieren  zu  können.  Es  ist 
von  Harster  behauptet  worden,  dass  er  die  „dürftigen  um- 
risse der  Sage^,  wie  er  sie  vorfand,  „mit  dichterisch  aus- 
schmückender Phantasie  zu  einem  abgerundeten  Gemälde  ** 
ausführte  und  dass  sein  Werk  die  Quelle  war,  „aus  der  mit 

immer  grösser  werdenden,  aus  der  Unkenntnis  der  handwerk- 

2 


18  K.  Bichter  IS 

massigen  Legendenschreiber  entstandenen  Verderbnissen  ver- 
mutlich alle  folgenden  Darstellungen  der  Legende  bis  auf 
Jacob  von  Oenua  geflossen  sind.**  Dagegen  ist  von  anderer 
Seite  [Schönbach]  Einspruch  erhoben  worden.  Eine  Gesamt- 
darstellung der  Legende  hat  sich  selbständig  zu  entscheiden. 
Wir  sehen  uns  zu  dem  Zweck  zunächst  die  „dürftigen  um- 
risse^ etwas  näher  an. 

Man  sagt,  wohl  meist  auf  die  Bürgschaft  der  Acta 
Sanctorum  hin,  dass  bereits  die  ältesten  Martyrologien  den 
hl.  Christophorus  unter  dem  95.  Juli  erwähnen.  Das  ist  etwas 
zu  rektifizieren;  wobei  es  darauf  ankommt,  was  man  unter 
dem  vieldeutigen  Begriffe  eines  Martyrologiums  versteht.  Jeden- 
falls ist  zu  erinnern,  dass  viele  alte  Kaiendarien  —  und  sie 
treten  ja  auch  unter  dem  Namen  von  Martyrologien  auf  — 
den  Heiligen  noch  nicht  vermerken,  und  es  ist,  in  anbetracht^ 
dass  er  nach  der  gewöhnlichen  Überlieferung  aus  Syrien 
stammen  soll,  nicht  ohne  Bedeutung,  dass  er  in  dem  Mar- 
tyrologium  vom  Ende  des  4.  Jhs.,  das  W.  Wright  als  An  ancient 
Syrian  martyrology  im  Journal  of  sacred  litterature  and  biblical 
record  1866/6  in  London  nach  einer  412  geschriebenen  syrischen 
Handschrift  herausgegeben  hat,  noch  nicht  sich  findet  Bei 
andern,  die  ich  nennen  könnte^),  wäre  immer  zu  erwägen,, 
wie  weit  sie  überhaupt  die  Absicht  haben,  die  Tage  aller 
Heiligen  anzugeben,  da  lokale  Kultverhältnisse  eine  schriftliche 
Überlieferung  zu  beeinträchtigen  imstande  waren,  wie  ich  das 
Fehlen  des  Hl.  z.  B.  in  dem  sächsischen  Kalendariüm  in 
Hickes  Linguarum  vet  septentrion.  ^,  gegen  das  Jahr  1000,  in 
dem  King  Athelstans  Eal.  bei  B.  T.  Hampson  Medii  aevi 
kal.  London  1841,  ja  selbst  noch  in  dem  Yet.  kal.  Oallice 
scriptum  ebenda  aus  dem  14.  Jh.  mir  zu  erklären  geneigt 
bin.    Ich  fühle  mich  jedoch  auf  diesem  Gebiete   zu  wenig 

*)  Wie  das  Kal.  antiquissimam  eocleaiae  CarthafäniensiB  in  MabiU 
lone  Yetera  analecta  Paris  1728  p.  108,  das  sog.  Hart,  poetioam  de» 
Beda  Yenerabilis,  das  Aniiqaam  cal.  s.  Bomanae  eod.  in  Martenes  und 
Durands  Thesaurus  nov.  anecdotorum,  Paris  1717,  V,  68  ff.  u.  s.  w. 

•)  Oxford  1708  I,  803. 


19  Yorgesohichte.  19 

kompetent  y  um  inbezug  auf  einen  Heiligen  ausführen  zu 
wollen^  was  f&r  die  Gesamtheit  solcher  Verzeichnisse  noch 
fehlt:  den  genealogischen  Zusammenhang  der  verschiedenen 
Überlieferungen,  der  Gfmppenzust&nde  und  der  einzelnen  Ver- 
treter; das  gilt  auch  für  das  Folgende.  Wann  der  Name 
unseres  Heiligen  zuerst  auftaucht,  lässt  sich  nicht  genau 
fixieren,  und  es  bleibt  eine  relative  Kenntnis,  wenn  man  die 
ältesten  Zeugnisse  seiner  Verehrung  im  Mart.  S.  Hieronymi 
presbyteri  nomine  insignitum  — *  dieser  Titel  ^)  sagt  genug  — 
und  im  Hart,  fiomanum  parvum  sive  yetus')  unter  dem 
25.  Juli  findet.  Letzteres  gehört  vielleicht  dem  Beginne  des 
5.  Jhs.  an^.  Eine  abweichende  Datierung  des  Heiligen  auf 
den  38.  April  begegnet  merkwürdigerweise  in  dem  prosaischen 
Martyrologium  des  Beda^),  das  möglicherweise  jenes  angeb- 
liche des  Hieronymus  benutzt  hat,  und  dem  Mart  Ottobonianum 
aus  dem  10.  Jh.,  wohl  gleichfalls  zur  Hieronymianischen  Qruppe 
gehörig '^).  Hrabans  Martyrologium  und  das  Mart.  eccl. 
Oermanicae  pervetustum,  das  Matth.  Fridr.  Beckius,  Augs- 
burg 1687,  herausgab  und  ins  10.  Jh.,  sowie  in  Verwandt- 
schaft mit  dem  Beda  genuinus  stellte,  geben  den  28.  April 
und  den  26.  Juli  gleicherweise.  Beda  starb  735.  Seine  Da- 
tierung verschwand  neben  der  einflussreicheren  Wirkung  der 
beiden  älteren  Martyrologien. 

W2Uirend  Beda  nur  den  Namen  des  Heiligen  giebt,  lautet 
die  Angabe  des  mart.  Bom.  vet. :  „Oivitate  Samo,  Ohristophori 
martyris**,  die  des  mart.  Hieron. :  „In  Sicilia,  civitate  Samon, 
Christofori,  Martyris''  ^).  Alle  späteren  Martyrologien,  die  in 
ihrem  Gesamtinhalt  im  allgemeinen  auf  diese  drei  Quellen 
zurückzumhren  sind,  Uessen  sich  äusserUch  dementsprechend 

')  D'Acherys  Spioilegiom  1728  U,  15. 

*)  Patr.  lat.  CXXIII,  148. 

*)  f.  Hampson  1.  c.  I,  889. 

*)  Patr.  lat.  XCOT,  89». 

*)  Mart  Adonis  ed.  Dom.  Georgias,  Born  1746,  p.  676. 

*)  Patr.  lat.  XXX,  488  Andere  Lesart:  In  Licia  civitate  Salmon 
nataliB  Sancti  Xristofari,  im  YetostiaB  oocidentaÜB  ecolesiae  martyro- 
logiom  D.  Hieronymo  tribatnm  ed.  Florentinius,  Lncae  1668,  p.  681. 

2* 


90  ^  Richter  90 

sdieidea  in  solche,  die  nur  den  Namen  yerzeiclmen  —  vie 
z.  B.  das  poetische  des  Waadelbert  y.  940,  mit  dem  hL  CuenfiM 
zasammen^),  ebenso  das  KsiL  Mozarabicam,  femer  das  Mart. 
Foldense  aus  dem  10.  Jh.^  —  und  andere,  die  mit  mehr  oder 
weniger  starken  Abweichungen  genauere  Bestimmung«!  des 
Ortes  und  der  Art  des  Martyruuns  geben.  Von  den  letzteren 
sind  uns  drei  Fassungen  von  besonderer  Wichtigkeit.  Im 
Mart7r<4ogium  des  Ado,  Bischofs  Toa  Yienne,  858  vollendet, 
heisst  es^:  «In  Licia,  civitate  Samo,  s.  (äristophori,  qui 
virgis  fSaorreis  attritus,  et  a  flaaimis  aestuantiB  inoendü  Christi 
virtute  ealvatas,  ad  ultimum  sagittarum  ictibus  confassms, 
marlyriun  capitis  obtruncatione  complevit.''  Ihm  folgt,  bis  auf 
die  Namensform  Samon,  ganz  genau  sein  Landsmann  üsuardus, 
der  sein  Werk  876/7  dem  König  Karl  dem  Kahlen  widmete  % 
femw  Notker  Balbulus,  der  sein  Martyrolog  auf  Ghrund  des 
870  von  Ado  dem  Kloster  8.  Gallen  geschenkten  Exemplars 
verfasste.  ^).  Anders  Hrabanus  Manrus  846*):  „Eodem -die 
(S&.  JuU)  passio  est  sancti  Ohristophori  marfyriG^  qui  in  Samo 
civitate  a  Dagno  rege  martyrizatus  esL  Nam  per  varia  tormenta 
rex  illum  cmdare  jussit.  Sed  vir  sanctus  impetravit  a  Domino, 
ut  multi  crederent  per  ipsum  in  Christo,  nee  non  et  ipsum 
regem,  qui  sagittae  ictu  ocolum  peididit,  sanguinis  sui  gutta 
post  passionem  suam  sanavit,  siout  ei  ipse  ante  praedixil^  et 
ad  fidem  Christi  convertit.^  Sehr  interessant  ist  dann  die 
Bearbeitung  des  prosaischen  Martyrologs  des  Beda,  die  Florus 
als  Diakon  zu  Lyon  um  860  erweiternd  ausführte'').  Es  ist 
schwer  zu  sagen,  was  in  den  verschiedenen  Hss.  derselben 
auf  Florus  selbst  zurückgeht,  was  etwa  von  Späteren  hinzugefilgt 

1)  Patr.  lat.  CXXI,  606. 

')  Analecta  BoUandiana  1882,  I,  88;  66  hat  auch,  p.  28,  unter  dem 
28.  April:  In  Affrica  Niceae  virginis,  was  vielleicht  einen  Anhaltspunkt 
für  jene  Datierungsverschiedenheit  gieht. 

>)  ed.  Georgius;  auch  Patr.  lat.  CXXIII.  806. 

«)  Act  Sanct.  Junii  tom.  YII  p.  886. 

*)  Henr.  Canisius  Antiquae  lectiones,  Ingolstadt  1604,  VI,  888. 

«)  ibid,  oder  Patr.  lat  CX,  1121. 

")  Act  Sanct  Mart  H,  XXV.  Patr.  lat  XCIV,  986/6. 


81  Vorgewhiokfce.  31 

ist.  Da  aber  die  Mas.  Tornacense  und  AtrebateiiBe  —  neben 
I^aetiense  die  beiden  Mss«  Belgica,  letzteres  und  die  S.  Cyriaci 
und  Yaticanum  enthalten  nur  den  Namen  —  sowie  das  Ms. 
Barberinianum  darin  übereinstimmen,  so  könnte  man  yielleicbt 
ihren  bescheidenen  Zusatz:  „Eodem  die  in  Lyoia  ciyitate 
Samon  natiJe  S.  Ohristophori^  dem  Florus  zuschieben, 
während  die  Fortsetzung  des  Tomacense,  ihm  allein  eigen- 
tümlich, später  sein  mag  oder  der  zweiten  Bearbeitung  des 
Floms,  Ton  der  üsuardus  berichtet,  angehört.  Sie  lautet: 
„qui  jussu  Dagni  regia  in  carcere  redusus,  Niceam  et  Aqui- 
linam,  quas  ipse  tyrannus  ad  seducendum  eum  miserat,  ita 
convertit,  ut  idola  Joris  et  ApoUinis,  quae  ante  colebant,  fide 
Christi  ferventes,  zonis  suis  ligata  ad  terram  prostemerent. 
Unde,  praecipiente  Dagno,  altera  est  membris  disrupta,  altera 
stipiti  suspensa,  et  igni  apposita,  ac  deinde  gladio  trucidata« 
Sanctus  vero  Christophorus,  ligatis  manibus  et  pedibus,  virgis 
ferreis  caesus,  deinde  in  scamno  ferreo,  et  in  igne  olei  liquore 
superfuso  positus;  hinc  stipiti  appensus,  et  a  militibus  sagit- 
tarum  ictibus  pulsatns  est.  Sed  sagittis  a  dextris  ejus  et  a 
sinistris  suspensis,  unaex  eis  velut  venti  flamine  retorta,  in  oculum 
Dagni  penetrarit,  sicque  data  sententia  isdem  athleta  Ohxisti 
capite  plexus  est.  Post  cujus  decoUationem  ipse  Dagnus  ad 
sepulcrum  ejus  altera  die  Teniens,  secundum  praemissionem  ipsius 
martyris  et  oculi  sui  sanitatem  recepit,  et  magnifioe  Deum  S. 
Ohristophori  glorificarit."  Es  fragt  sich  nun,  ob  wir  das  inhalt- 
lich Neue  dieses  Zusatzes  gegenfiber  Ado  und  Hraban  als  wesent- 
lich jünger  zu  betrachten  haben,  und  da  ist  es  von  Wichtigkeit, 
dass  zuerst  bei  Wandalbert  Aquila  und  Niceta,  ebenso  bei  Ado, 
dann  bei  üsuard  Aquilina  und  Niceta  unter  dem  24.  Juli,  also 
einen  Tag  vor  unserm  Heiligen,  auftreten.  Den  beiden  letzteren 
war  ihr  Zusammenhang  mit  der  Geschichte  dee  hl.  Ohristo- 
phoTUs  durchaus  bekannt,  wie  aus  den  beigefügten  Worten :  n4^i&® 
ad  praedicationem  8.  Christophori  martyris,  ad  Christum  conver- 
saef martyrii  palmam capitis abscisiones^pserunt« hervorgeht. 
Nun  leuchtet  ein,  dass  die  drei  erwähnten  Berichte  des 
Ado,  Hraban  und  Florus  von  einander  unabhängige  Auszüge 


28  K  Richter  22 

aus  einer  offenbar  bereits  yorhandenen  ausführlicheren  Passions* 
geschichte  des  hl.  Christophoms  darstellen,  und  sie  gruppieren 
sich  alle  um  das  Jahr  860.  Aus  dem  Jahre  866  aber  haben 
wir  ein  unanfechtbares  Zeugnis  für  die  Existenz  eines  libellus 
de  martyrio  sancti  Christophori  editus  in  dem  Briefe  des 
Satramnus,  den  dieser,  einer  der  kritischsten  Köpfe,  Mönch 
des  Klosters  Oonrey,  an  den  Presbyter  Bimbert,  späteren 
Erzbischof  von  Bremen,  über  die  cynocephali  richtete.  „Quem- 
admodum"",  heisst  es  dazu,  „in  eo  legitur,  hoc  de  genere  homi- 
num  fuisse  cognoscituri  ci\jus  vita  atque  martyrium  claris  ad- 
modum  virtutibus  commendatur.  Nam  et  baptismi  sacramentnm 
divinitus  illum  consecutum  fuisse,  nubis  ministerio  eum  per- 
fundente,  sicut  libellus  ipse  testatur,  creditur"^).  Mit  Zuhilfe- 
nahme dieser  letzten  Anspielung  lässt  sich  aus  den  Angaben 
jener  drei  Mariyrologen  ein  Ganzes  herstellen,  das  sich  deut- 
lich als  das  Skelett  der  von  den  Bollandisten  in  den  Acta 
Sanctorum  zum  26.  Juli  Bd.  VI  dieses  Monats  p.  146  heraus- 
gegebenen Passio  des  hl.  Christophoms  erweist,  und  es  er- 
scheint der  Schluss  unvermeidlich,  dass  sie  selbständig  aus 
dieser  Passio  geflossen  sind,  welche  also  um  860  bereits,  in 
allem  Wesentlichen  genau  der  Fassung  der  Bollandisten  ent- 
sprechend, vorhanden  gewesen  sein  muss  und  mit  dem  libellus 
des  Batramnus  zu  identifizieren  ist.  Da  nun  femer  eine 
Yergleichung  die  genaue  Übereinstimmung  der  Erzählung 
Walthers  von  Speier  mit  dem  Inhalt  der  Passio  im  ganzen 
und  einzelnen  ergiebt,  so  ist  klar,  dass  Harsters  Ansicht,  als 
habe  Walther  irgend  einen  Einfluss  auf  die  Entwicklung  der 
Legende  vom  hl.  Chiistophorus  geübt,  gerade  in  ihr  Gegen- 
teil  zu  verkehren  ist:  Walther  von  Speier  war  nichts  weiter 
als  der  schwülstige  Yersifikator  einer  fest-  und  längstvor- 
handenen LegendenÜEkssung.  Ergänzend  tritt  zu  solchem  Be- 
weise schliesslich  noch  die  Nachricht  Schönbachs  *)  von  einer 
Hs.  der  Passio  aus  dem  Anfang  des  zehnten  Jhs. 


>)  Fair.  kt.  CXXT,  1156. 
•)  Afda.  VI,  ISO. 


23  YoxgeBohiohte.  23 

Dieses  Besaltat  kann  nach  dem,  was  über  Walthers  per- 
sönlichen und  litterarischen  Oharakter  ausgeführt  wurde,  nicht 
verwunderlich  erscheinen.  Ein  Mann  wie  er,  der  geborene  Yor- 
nehme  Hofstreber  (in  allerbestem  Sinne),  dessen  litterarisches 
Wesen  aus  zwei  Quellen  floss  und  sich  in  ihrer  Durchmengung 
erschöpfte:  Antike  und  Christentum,  ohne  dass  er  das  Ge- 
ringste aus  Eigenem  hinzuthat,  der  war  unfähig,  „dürftigen 
umrissen  einer  Sage^  Inhalt,  einem  dürren  Eoxochengerüst 
Fleisch,  Blut  und  Leben  zu  verleihen  wie  ein  aus  freier 
Phantasie  schöpferischer ,  aus  eigenem  Becht  formender  Poet. 
Lehnt  er  doch  gleichsam  öfter  mit  einem  „ut  aiunt^,  „ut  per- 
hibent^  ängstlich  die  Verantwortung  für  das  Erzählte  ab^). 
Sein  Einfluss  auf  das  ihm  Überlieferte  konnte  sich  einzig 
in  der  Art  der  Wiedergabe  äussern,  die  die  Thatsachen  zwar 
peinlich  berücksichtigte,  aber  doch  in  imbestimmterem  Lichte 
erscheinen  liess  und  die  ihnen  eingeflochtenen  Beden  zu 
grossen  prunkhaften  Deklamationen  aufbauschte. 

Da  wir  den  Lihalt  des  Gedichtes  Walthers  von  Speier 
ausgezogen  haben,  können  wir  uns  für  die  Passio  darauf  zu- 
rückberufen. Denn  nur  in  einem  Ponkte  weicht  diese  von 
jenem  ab,  indem  sie  gleich  zu  An£Emg,  etwas  unklar,  von  der 
Taufe  des  Heiligen  aus  himmlischer  Wolke  berichtet.  Hier 
hat  Walther  einige  allgemeinere  Motive  angedeutet:  des  Heiligen 
Eltern  sind  Heiden  und  darum  verlässt  er  die  Heimat,  um  in 
der  Fremde  einen  ihm  gemässeren  Wirkungskreis  zu  finden. 
Es  ist  mir  zweifelhaft,  ob  selbst  in  dieser  Kleinigkeit  die 
leicht  zu  begreifende  originale  Absicht  zu  erkennen  ist,  den 
Ohristophorus  schon  in  frühester  Jugend  in  möglichster  Tugend- 
haftigkeit erscheinen  zu  lassen,  oder  ob  hier  eine  uns  verlorene 
Fassung  der  Passio  durchblickt.  Für  Letzteres  spräche,  dass 
der  Anfang  der  gedruckten  Fassung  der  Bollandisten  offenbar 
verderbt  ist,  femer  dass  Walther  eine  zwischen  dieser  und  der 
in  Mombritius'  Sanctuarium  C!CV  mitgeteilten  stehende  benutzt 
haben  muss,  die  auch  sonst  noch  mannig£&ch  zu  erschliessen 


0  Lib.  pros.  2.  17.  91.  S4.  S6. 


24;  3Bl.  Baehter  2^4 

ist^  und  ^or  allem  die  arweite  Strophe  ei&ee  Hymnus  des  Bre- 
Yiarittm  Gtoihiciim^) :  „Spreta  qnoqne  vir  deyotus  generis 
fiagiti%  nt  teritfttis  seqneretor  promptior  vestigia^,  wie  denn 
aaoh  die  weitere  EntwicUnng  der  Legende  in  dieser  Bichtang 
geht.  Nfiher  auf  das  Verhältnis  Watthers  zum  Texte  der 
Passio  einzugehen,  die  einzelnen  AnldSngey  die  Verteilung 
des  Dialogs  unter  die  Personen  u.  s.  w.,  zu  verfolgeD,  ver- 
meide ich,  da  sich  wenig  dabei  ergeben  würde.  Ebensowenig 
achte  ich  im  Zusammenhang  auf  die  textlichen  Differenzen 
der  Terschiedenen  Passiohss.,  weil  ich  zu  einem  Resultate 
darin  nicht  zu  kommen  hoffen  kann  bei  dem  mangelhaften 
Zustande,  m  dem  dieselben  gedruckt  sind  ^.  Hat  mich  doch 
nicht  einmal  der  Versuch  SchÖnbachs,  die  Fassung  bei  Mombritius 
älter  zu  erweisen  als  die  der  BoUandisten,  zu  überzeugen  Ter* 
mocht  Und  so  bemerke  ich  nur  im  allgemeinen,  dass  ein 
gewisser  naiv-epischer  Ton  die  Erzählung  der  Passio  als 
solche  weit  über  die  Walthers  von  Speier  hebt,  klare  plas- 
tische Anschaulichkeit,  lebendige  Folge  der  Ereignisse  sowie 
kurze  und  schwungvolle  Dialogfassung  zeichnen  sie  vor  andern 
derartigen  Akten  von  Heiligenmartyrien  —  und  als  solche 
geliert  sie  sich  —  aus,  wenn  auch  das  Latein,  in  dem  sie 
geschrieben,  gerade  kein  klassisches  ist.  Das  aber  wie  die 
Mannigfaltigkeit  des  Inhalts  sind  wohl  der  Anlass  gewesen  zu 
der  weiten  Verbreitung,  die  sie  in  dem  zehnten  und  besonders 
den  folgenden  Jahrhunderten  gefunden  haben  muss,  wie  die 
vielen  erhaltenen  Abschriften  oder  Bearbeitungen,  Auszüge 
bezeugen. 

Gedenken  wir  noch  einmal  der,  wenn  auch  nur  ungefähren, 
Daten  unserer  Legendengeschichte,  so  erwächst  uns  die  Auf- 
gabe, lär  die  Zeit  vom  ersten  Auftauchen  des  Namens  Christo- 
phoms  —  sagen  wir  im  fünften  Jh.  —  bis  zur  Konsolidierung 
des  um  ihn  erwachsenden  Stoffes  in  der  ersten  Hälfte  des 
neunte»  Bechenschaft  abzulegen.    Es  ist  uns  nichts  aus  dieser 

»)  Patr.  lat.  LXDCVI,  1166. 

*)  Die  Wiedergabe  der  Acta  Sanctoram  ist  kläglich.  Altere  Sammel* 
werke  sind  später  zu  nennen. 


35  Yorgesefaicbte.  3& 

langen  Periode  erhalten,  das  nns  positiven  Anhalt  gäbe; 
dennoch  haben  wir  in  ihr  ein  allmähliches  Znsammenschiessen 
der  endlich  vorhandenen  Motive  anzunehmen.  Wenn  wir  sie 
uns  vorsichtig  auszulösen  versuchen,  so  dürfen  wir  nicht 
vergessen,  dass  wir  auf  einem  äusserst  schlüpfrigen  Boden 
stehen.    Üb  ist  sehr  schwer,  Motivpsychologie  zu  treiben. 

Zwar  d&e  grosse  Daseinsfrage  der  Bollandisten  —  es  ist 
Joannes  Pinius  gewesen,  dem  sie  ihre  Beantwortung  anver- 
trauten, in  dem  VI.  Bande  des  Juli  der  heutigen  Acta  Sanc- 
torum,  Bd.  XXXTTT  der  ganzen  Beihe,  p.  195  sqq.  —  ob 
der  hl.  Christophorus  wirklieh  gelebt,  wirklich  gelitten 
hat,  unter  wem  und  wann,  nehmen  wir  leichter.  Freilich, 
es  lässt  sich  nicht  beweisen,  dass  er  nie  existiert  hat,  aber 
das  Gegenteil  noch  weniger,  und  die  historischen  Anhalts« 
punkte,  die  man  zu  finden  sich  bemüht  hat,  sind  eitel  Trug« 
werk.  Da  ist  zunächst  der  König  Dagnus,  unter  dem  der 
Heilige  gemartert  wird,  wie  ihn  Hraban,  Florus  und  einige 
Fassungen  der  Passio  nennen.  In  andern  schwankt  die  Namens- 
form: Danus,  Dagnete  begegnen.  Auch  imperator  wird  er 
genannt.  Aber  weder  ein  rex  noch  ein  imperator  dieses  Namens 
ist  uns  und  war  Früheren  bekannt:  so  substituierte  man 
kühnlich  den  all-  und  übelbekannten  Kaiser  Decius  [s.  u.] ; 
mit  dessen  kurzer  Begierungszeit  war  zugleich  ein  erwünschtes 
festes  Datum  gewonnen.  Andere  machten  ähnliche  Versuche 
mit  weniger  Geschick  und  Glück :  ein  slavisch-russisches  Meno« 
logium  berichtet,  Christophorus  habe  355  unter  Oonstantius 
geKtten,  Maurolycus  in  seinem  Martyrolog  riet  auf  Diocletian, 
Genebrardus  auf  Julian  und  das  Jahr  354,  ja  ein  Pater 
Oombefisius  kam  auf  den  Gedanken,  dass  Dagnus  nur  ein 
üliterkönig  oder  Toparch  des  Decius  gewesen  zu  sein  brauche 
und  alles  reime  sich  prächtig:  dergleichen  Datierungen,  von 
denen  die  Act.  Sanct.  Kunde  geben,  begegnen  auch  heute 
noch.  Freilich  glaube  ich,  dass  die  Vermutungen  unserer  Zeit 
über  den  Namen  nicht  haltbarer  sind.  Schönbach  ^)  dachte 
an   die  Nationalgottheit   der  Philister   im   alten  Testament: 

>)  Afda.  VI,  166. 


36  K.  Biohter  26 

Dagon,  und  Zöckler^)  an  Daza,  den  Beinamen  Maziminsy  in 
dessen  Herrschaftsgebiet  Syrien  der  Ort  des  Martyriums  bis- 
weilen yerlegt  erscheint :  solche  Hypothesen  lassen  sich  weder 
beweisen  noch  widerlegen.  Mit  gleichem  Sechte  könnte  man 
auf  Dacianus  raten,  unter  welchem  der  hl.  Georg  gelitten 
haben  soll.  Die  Umwandlung  der  Namensform  wäre  nicht 
so  gar  gross,  und  manche  Berührungspunkte  der  Legenden 
liessen  sich  wohl  hervorheben.  Nun  findet  sich  in  der  Passio 
eine  merkwürdige  Stelle,  in  der  man  eine  etymologisierende 
Deutung  des  Namens  sehen  zu  müssen  gemeint  hat.  Christo- 
phorus  antwortet  auf  die  wütige  Frage  des  Königs:  „Canine 
et  fax  mala,  non  sacrificas  diis  meis  magnis?^  die  Worte: 
„Yere  bene  vocatus  es  Dagnus,  quia  tu  es  pars  mortis  et 
conjux  patris  tui  diaboli^.  Während  die  Act.  Sanct.  darauf 
verzichten^  den  Zusammenhang  zwischen  dem  Namen  und  dem 
Tode  aufzudecken,  versucht  es  Schönbach,  aber  auf  eine  höchst 
merkwürdige  Art.  Er  hält  —  wir  erinnern  uns  —  des 
Mombritius  Fassung  [M]  für  älter  als  die  der  Act.  Sanct  [P]. 
M  liest  „Danus^.  Dennoch  aber  meint  er  wiederum,  die 
Form  Dagnus  des  jüngeren  F  für  ursprünglicher  annehmen 
zu  müssen,  und  geht  trotzdem  von  Danus  für  seine  Deutung 
aus,  die  auf  Zusammenhang  mit  Gdvaroq  hinausläuft.  Schliessen 
wir  so  weiter,  so  haben  wir  im  Plutarch  den  schlagendsten 
Beweis,  dass  zum  mindesten  M  in  Macedonien  entstanden  ist 
bdvov  Tdp  MaK€?)6ve^  töv  Gdvarov  xaXouai  *).  Ich  meine,  wir 
haben  gar  keinen  Qrund,  die  Worte  als  „etymologische  Spielerei" 
aufzufassen,  und  Walthers  von  Speier  Umschreibung  scheint 
mir  durchaus  nicht  „missverstanden  und  verwischt",  sondern 
in  diesem  Falle  ganz  sachgemäss,  wenn  er  sagt:  „Quid  me 
vocabulo  mortis  incusas,  cum  tibi  iam  perpetuae  mortis  ianua 
pateat?  Ist  es  doch  gerade  nach  dem  leidenschaftlichen  Aus- 
bruche des  Königs  verständlich,  wenn  der  Heilige  ihm  ruhig 
entgegnet:  „Ja  nun  sehe  ich,  du  bist  wirklich  Dagnus,  des 
Todes  Sohn  und  Genosse  des  Teufels". 

^)  Bealenoydop.  f.  prot.  Theol.  u.  Kirche  IH,  216. 
*)  TTüD^  bei  TÖV  v€6v  irotT)fidTU)v  äkoOciv  23  0. 


27  Vorgesohiohte.  87 

Eine  andere,  schon  den  ältesten  Martjrologieni  wie  wir 
sahen,  eigentümliche  Angabe  ist  die  über  den  Ort  des  Mar- 
tyriumsy  die  sogenannte  „palaestra^.  überliefert  ist  —  die 
Formen  mögen  in  Kleinigkeiten  schwanken  —  „in  Licia''  oder 
„in  Sicilia  civitate  Samo  [Samon,  Salmon,  Solomon]".  Da 
sich  nun  weder  Lycien  noch  Sicilien  irgend  zn  Samos  schicken 
wollen,  so  war  auch  hier  wieder  Anlass  zu  yerschiedenen, 
wenn  auch  ebensowenig  förderlichen  Vermutungen.  Am  ein- 
fachsten half  sich  Pinius^):  er  strich  „civitate  Samon^. 
Ein  geistreicher  Einfall  ist  die  in  Smith- Wace  Dictionary  of 
Christian  biography  ^)  ausgesprochene  Hypothese,  dass  in  dem 
fraglichen  Namen  eine  Spur  des  alten  Solymi  für  die  Einwohner 
von  Lycien  fortlebe  ^.  Es  war  natürlich,  dass  man  auch  an  die 
Insel  Samos  dachte.  M  liest  „in  provincia  Syria^,  auf  eine 
Kürzung  Ton  Samos  aus  Samosata  ist  man  noch  nicht  verfallen. 

Die  Legende  entschlüpft  dem  Versucht  sie  historisch  fest- 
zuhalten. Darum  dürfen  wir  mit  ihr  schalten  als  mit  einer 
freien  Ausgeburt  gläubiger  Phantasie. 

Das  Erstüberlieferte  ist  der  Name  des  Heiligen :  Xpicrro- 
<pöpoc.  Man  hat  früh  seinen  appellativischen  Ursprung  erkannt. 
So  spricht  Phileas,  der  Märtyrer,  in  einem  Briefe  bei  Eusebius 
Hist.  eccl.  lib.  VIII  cap.  10  *)  von  den  xpicrroqpöpot  fidprupec. 
Das  Bild,  das  in  dem  Worte  liegt,  ist  neutestamentlich  ^). 
Henricus  Stephanus^,  Suioer^,  Augusti^),  Smith -Wace 
Diction.  xl  s.  w.  geben  reichlidbie  Belege  für  das  häufige 
Vorkommen  in  appellativischem  Sinne,  es  besagte  im  Grunde 
dasselbe  wie  das  noch  gebräuchlichere  Oeoqpöpoq  [G€Ö90po^]. 
Ignatius  von  Antiochien,  der  ganz  besonders  als  Träger 
letzteren  Beinamens  erscheint,  heisst  im  Martyrologium   des 

^)  Act  Sanct.  Jalii  tom.  VI,  189. 

^1,496  not.  a. 

>)  Homer  löXu^oi  D.  6, 180  etc. 

*)  Patr.  graec.  XX,  764. 

»)  Matth.  XI,  29, 30.  L  CJor.  UI,  16.  n.  Cor.  IV,  10. 16. 

^  Thesanros  Graec  ling.  *  Vm,  1690. 

^  Thes.  eccl.  II,  1660. 

*)  Handbach  der  christlichen  Archäologie,  Lpz.  1836,  1,190/1. 


2»  K.  Richter  3B 

Rmnart  cap.  B  auch  xpi<^TO(p6po^  ^).  In  dem  ihm  zugeschriebenen 
Arief  an  cHe  Epheser  9  ermahnt  er  diese,  xpi^o<PÖpoi  ^^  sein 
wie  OcoqwSpoi  und  vacxpöpoi.  XpiorcKpöpog  klang  voller,  poetischer 
als  das  einfache  xP^^'^ccvö^,  um  dieses  gehaltToüen  Klanges 
wiHen  ward  es  zum  Eigennamen,  und  als  es  eine  Zeit  lang^ 
als  solcher  im  Umlauf  gewesen,  setzt  der  Prozess  in  der 
Überlieferung  einen  bestimmten  Träger  des  Namens  ab,  eine 
Art  Muster « Xpi(TToq)öpo^.  So  heisst  es  bezeichnend  in  einem 
liturgischen  griechischen  Stück :  AeöTc  ttävtc^  cniMcpov  xpitTTO- 
q>öpoi,  ToO  Xpi(TTo(p6pou  -nVv  ^vViiuiiiv  dvu|üivifj(Tuj|üi€V.  Früh  mag^ 
das  geschehen  sein,  in  der  Zeit,  da  es  noch  Charakter  und 
Mut  erforderte,  Christ  zu  sein.  Jenes  Musterbild  erschien 
darum  im  Lichte  der  beiden  Züge,  die  dem  bedrängten 
Christenherzen,  seinem  Bedürfnis  nach  Aktivität  und  Passivität, 
besonders  wohlthaten,  der  XptoTocpöpog  musste  ein  Held  des 
Leidens  und  des  Wirkens  sein,   ein  Bekenner  wie  Bekehrer. 

um  diesen  Kern,  dürfen  wir  nun  annehmen,  gruppierten 
sich  im  Laufe  der  Zeit  ganz  nach  den  Gesetzen  volkstümlicher 
Bildung  und  Entstehung  immer  weitere  und  weitere  Züge 
oder  eigentlich  nur  bestimmter  gefasste  Variationen  der  beiden 
Grundmotive.  Das  Streben  nach  konkreter  Greifbarkeit,  wie 
es  aller  Mythenbildung  —  und  eine  Art  Mythenbildung  ist 
ja  auch  die  Legendenproduktion  —  eigen  ist,  trat  in  Wirk- 
samkeit. Nach  der  erfolgten  Personifikation  eines  Christo- 
phorus,  der  den  Glaubenstod  erlitten  habe,  ward  die  nähere 
Angabe  der  Todesart  abgestossen.  Mit  Ruten,  und  das  war 
nicht  genug,  mit  eisernen  Buten  gestäupt,  verbrannt  und  durch 
Jesus  Christus  gerettet,  mit  Pfeilen  umsonst  beschossen,  endUdi 
enthauptet  Es  sind  die  üblichen  Mittel  des  Entsetzlichen, 
origineller  ist  eigentlich  nur  der  glühende  Helm,  kaum  noch 
der  Einspruch  einiger  aus  der  Omgebung  des  Tyrannen. 
Eine  Anhäufung  solcher  in  derselben  Richtung  wirkenden 
Motive  entsprach  dem  Geschmack  der  Zeiten  und  dem  prak- 
tischen Bedürfnis,  sollte  dem  neuen  Heiligen  eine  mehr  als 
ephemere  Existenz  beschieden  sein. 

>)  Patr.  apost.  opp.  ed.  Zahn,  Lips.  1876,  IL,  804. 


29  Vorgeschichte.  99 

Das  rechte  Leben  empfing  diese  etwas  blasse  Ideaikon- 
sfaroldiion  eines  MärtyrerB  erst  durch  die  Srweitemngea,  die 
nach  zvei  Seiten  hin  einsetzten,  einmal  fiir  die  Vorgeschichte; 
dacn  fär  das  Martyrium.  Dort  kommen  der  frühere  Name 
des  Heiligen,  seine  Körperbeschaffenheity  seine  Taufe,  das 
Stabwunder,  hier  die  beiden  Buhleriimen  Nicaea  und  Aquilina 
hinzu.  Womit  ich  nicht  etwa  eine  historische  Folge  behauptet 
haben  will;  es  handelt  sich  jetzt  um  einen  inneren  Aufbau» 
nicht  um  ein  äusseres  VerfolgeUi  welches  bei  dem  Maagel  an 
Material  unmöglich  ist.  Schon  darum  halte  ich  es  auch  £ELr 
aussichtslos,  nach  der  lokalen  Herkunft  der  Legende  zu  fragen. 
Denn  da  nimmt  man  sie  als  geschlossene  Masse,  ohne  zu 
echeiden,  was  aus  ganz  verschiedenen  Quellen  znsammen- 
geflossen  sein  kann.  Die  Acta  Sanctorum  sind  in  dieser 
Hinsicht  konfus,  aber  Harster  hat  lateinische  Ausbildung 
behaupten  zu  können  geglaubt,  während  Schönbach  sich  mehr 
zu  Gunsten  griechischer  hinzuneigen  scheint,  ihre  Gilinde  sind 
beiderseitig  nicht  überzeugend.  Dass  aus  den  Namen  sich 
^ar  nichts  in  dieser  Bezi^ung  gewinnen  lässt,  hat  Schönbach 
wohl  richtig  betont.  Der  Name  B^oprobus,  den  Christophorus 
i^er  der  Taufe  trägt,  weist  zu  o£Fen  den  Charakter  absichtlich 
deutender  Erfindung  auf,  um  nicht  leicht  für  eine  einzelne, 
vielleicht  letztredaktionelle  Znthat  g^alten  zu  werden,  wie 
wir  im  Verlaufe  noch  andere  heidnische  Namen  des  Heiligen 
werden  auftauchen  sehen.  Warum  aber  Sehönbach  wül,  dass 
die  Namen  der  Mädchen  aus  den  Olementinisdien  Bekognitionen 
entlehnt  sein  sollen,  ist  mir  nicht  recht  erfindlich.  Dort  sind 
Nieeta  und  Aquila  im  Anfang  Sehüier  des  Magiers  Simon 
und  werden  dann  durch  Zacchaeus  zum  rechten  Glauben  be- 
kehrt, lib.  n ;  Söhne  des  Faustinianus  und  Brüder  des  Clemens, 
lib.  IX  cap.  36,  mit  ihren  früheren  Namen  Faustus  und 
Faustinus  geheissen,  werden  sie  von  ihrer  Mutter  auf  wunder- 
bare Weise  getrennt  und  wieder  mit  ihr  vereinigt,  VII,  27  ff. 
Ihr  Thun  und  Beden  bietet  nicht  den  geringsten  Anknüpfungs- 
punkt mit  unsem  beiden  meretrices.  Nun  aber  sind  die  ge- 
bräuchlichen Formen  der  Namen  Nicaea  und  Aquilina,  als 


30  £•  Richter  30 

Nebenformen  treten  u.  a.  auf  Niceta  und  Aquila,  Kallinike, 
Aqniliay  Aqnilinia.    Schon  diese  Willkür  könnte  lehren,  wie 
wenig   es   auf  peinliche  Treue   der  Überlieferung  abgesehen 
war,   sicher  haben  aber  all  diese  Abweichungen  nichts  mit 
den   beiden   männlichen  Eigennamen   bei  Clemens  zu  thun. 
Die  Namen  sind  vielmehr  ganz  gebräuchliche  und  herkömm- 
liche gewesen,  die  irgendwoher  zu  entlehnen  gar  nicht  not 
that.    Als  Femininum   scheint  Aquila   freilich   nicht   vorzu- 
kommen, über  das  Masculinum  s.  De  Yit  Onomasticon  I,  398/9, 
es  erscheint  mit  Priscilla  zusammen  schon  Acta  18,  2.    Ich 
halte    deshalb   Aquilina    oder    Aquilia    für    ursprünglicher, 
Belege  für  Beide  De  Vit  1.  c.  p.  400/1,  sowie  in  fast  jedem 
Bande  der  Inscriptiones,  auch  der  griechischen.     Wie  leicht 
bei  der  mittelalterlichen  Schreibung  die  Formen  in  einander 
übergehen  konnten,  lehrt  der  Druck  des  Mombritius,  wo  neben 
einander  stehen  Aquilina  und  A^lla,     Ebenso,  meine  ich,  ist 
Nicaea  die  ursprünglichere  Gestalt  des  Namens,  dafOr  trat 
das  volltönendere,   sonst  gleichbedeutende  Kallinike   ein,   ja 
sogar  Gallonica,   wie  für  das  mesopotamische  Callinicum  Ni- 
cephorium  und  G-allinicum ').    Niceta,  das  nur  Mannesname 
ist,  betrachte  ich  als  singulare  Entstellung,  De  Vit  lY,  682, 
wie  ein  gerade  umgekehrter  Fall  sich  findet  bei  Gennadius 
De  viris  illustribus   22,    der  Niceas  für  Niceta  setzt,  ibid. 
Die  Aquilina  iunior,  welche  am   7.  April  mit  dem  Diakon 
Bufinus  Thaumaturgos  verehrt  wird  und  nach  Bekehrung  von 
200  Soldaten  unter  Maximin  ca.  310  gelitten  haben  soU^, 
hat  wohl  ursprünglich  mit  unserer  Legende  nichts  zu  thun, 
die  Verbindung  in  dem  Menäencodex  zu  Turin  ist  sichtlich 
eine  irrige,  veranlasst  durch  das  Motiv  der  Aquilina  mit  200 
Soldaten,    erleichtert  durch  die  sonstige  ünbekanntheit  des 


^)  De  Vit  IV,  678.  11, 71a.  KaXXivdcr)  als  Frauenname  soheint  feiten 
zu  sein,  cf.  Pape  Wb.  d.  griech.  Eigennam.  I,  609  b.  Insoript  Graea 
ed.  Boeckh.  tom.  lY  no.  6945.    Henr.  Stephanus  IV,  883. 

*)  8.  Jo.  Kartmov,  Annas  ecclesiasticas  G-raeco-Slavicus,  Brüssel  1863, 
p.  126.  Wo,  beiläufig  bemerkt,  auch  eine  Aufzählung  der  den  Heiligen 
verzeichnenden  griechisch-slavischen  Kaiendarien  zu  finden  ist. 


31  Vorgeschichte*  31 

Bufinus.  Ich  berichtige  das  gegen  Schönbach  ^).  Ferner 
scheint  es  nach  ihm,  als  ob  unsere  Nicea  und  Aqnilina  am 
7.  April  verehrt  würden,  woran  keineswegs  zu  denken  ist. 
Eine  dritte  Aquilina  endlich,  deren  Tag  der  13.  Juni,  bietet 
gar  keine  Berührungspunkte  mit  unserer*).  Dass  eine  ähnliche 
Verwechslung  in  jenem  Falle  der  Niceta  möglicherweise  statt- 
gefunden hat,  darauf  deutet  des  Bosweyd  notatio  zur  Vita 
S.  Pauli  des  Hieronymus^.  Wenn  Schönbach  schliesslich 
meint,  dass  die  Versuchung  des  Heiligen  durch  die  beiden 
Buhlerinnen  ein  „ganz  später,  d.  h.  etwa  im  6.  Jh.  vollzogener^ 
Zusatz  ist,  in  welcher  Zeit  in  eine  Beihe  von  Legenden  ein 
solches  Motiv  der  Überwindung  böser  Sinnenlockung  einge- 
schaltet worden  sei,  so  kann  ich  nur  sagen,  dass  ich  mich 
vergeblich  um  eine  derartige  Kenntnis  positiver  Ziffern  bemüht 
habe,  aus  welcher  sich  die  Konsolidierung  unserer  Legende 
in  der  Passio  noch  um  ein  paar  Jahrhunderte  zurückdatieren 
würde.  Was  dem  endlichen  Bedaktor  der  Passio  aber  an 
der  Episode  der  meretrices  augenscheinlich  das  Interessanteste 
war,  die  Zerstörung  der  Götzenbilder  imd  der  Martertod  da- 
für, konnte  vor  und  nach  dem  6.  Jh.  in  die  Legende  hinein- 
kommen. Nur  lässt  die  Lebendigkeit,  die  gerade  in  der 
Ausfährung  dieser  Partie  sich  geltend  macht,  wenigstens  in 
der  jetzigen  Gestalt  mehr  das  Letztere  vermuten. 

Darin  aber  hat  Schönbach  gegen  Harster  vollkommen 
Becht,  dass  er  dessen  Annahme,  die  Vorstellungen  der  Über- 
grösse  und  der  Hundsköpfigkeit  des  Heiligen  seien  aus  Miss- 
verständnissen entstanden,  nicht  gelten  lässt.  Im  Gegenteil. 
Wer  da  meint,  dass  sich  aus  einem  „magnus''  im  Fortgange 
der  Überlieferung  ein  Biese  an  Gestalt  und  Wesen  und  aus 
einem  „Cananaeus^  ein  „canineus^  entwickeln  kann,  trotzdem 
daneben  ruhig  „Cananaeus"  weiter  fortläuft,  der  hat  den 
tiefsten  Grund  unserer  Legende  so  wenig  ersehen  wie  Pinius, 

^)  Wie  anoh  die  Angabe  einet  Tonmayer  ManuBkripts  and  den  aus  den 
Act.  Sanct.  übernommenen  Druckfehler  die  VJi.  Aprih's  p.  662  f.  statt  669  f. 
*)  Act.  Sanct  Jonii  tom.  IH,  p.  166 — 171. 
^  Patr.  lat  TiXXTTT,  109. 


aS  K.  Bichter  Si 

d^  nach  laogem  Kopfzerbrechen  auch  auf  den  Ausweg  gßAt, 
«8  mag  wähl  einmal  in  einem  verlorenen  Kalendar  „psooe- 
rissimae  staturae^  gestanden  haben,  woraus  denn  der  Sieae 
erwachsen  sei,  und  der  glücklich  ist,  wirklich  in  einem  Bre- 
Tiarium  Slesvicense,  gedruckt  15 1 2,  diese  Worte  zu  entdecken, 
das  ihm  natürlich  nun  die  alte  richtige  Lesart  bietet.  Nichts 
gewöhnlicher  als  das  Beiwort  ^magnus'^  für  diesen  oder  jenen 
Heiligen,  so  mttsste  jeder  Ton  ihnen  ein  Sieae  sein. 

Nein,  und  hiermit  komm'  ich  zum  Positiven  metner 
Motivzerlegung :  der  Eiese  und  der  Hundskopf,  das  Nugend- 
heim  und  der  Ninunerkönig^  die  Taufe  und  das  Stabwunder 
sind  mythen-  und  märchenhafte  Elemente  unserer  Legende 
und  weisen  sich  leicht  als  sobhe  aus.  Was  in  der  Feme 
geschieht,  das  kann  nicht  kontroliert,  das  muss  geglaubt 
werden.  Darum  versetzt  die  schaffende  Volksphantasie  ihre 
Ereignisse  und  Helden  gern  in  ferne  Länder,  in  den  Osten 
besonders,  in  ihre  eigene  Heimat,  dabin  sie  sich  immer  und 
immer  zurückzusehnen  scheint  Und  diese  Versetzung  be* 
günstigt  dann  wieder  das  Wachstum  des  Wunderbaren,  4er 
Osten  war  auch  von  je  d^  Aufenthalt  der  Wunderwesen. 
In  Lyden  in  der  Stadt  Samos  —  ja  davon  hatte  man  schon 
gehört,  das  lag  weit  im  Osten,  da  lebte  ein  König  Dagnus.  — 
Vielleicht  darf  ich  vorsichtig  eine  Möglichkeit  andeuten,  auf 
welche  Weise  der  Heilige  zum  Hundskopf  wurde  —  eine 
Möglichkeit,  ich  behaupte  nichts  — :  am  24.  oder  am  25.  Juli 
beginnen  die  Hundstage,  die  dies  caniculares  ^),  das  Zusammen- 
treffen ist  immerhin  wunderlich.  Doch  müssten  sich  Analogieen 
finden,  sonst  könnte  die  Übertragung  der  altmythischen  Vor- 
stellung auf  einen  christlichen  Heiligen  auch  schon  eine  Folge 
der  Lokalisierung  in  einem  fernen^  östlichen  Lande  sein* 
War  doch  das  Bewusstsein  der  alten  Unwesen  ün  Volke  trotg 
alles  Christentums  noch  so  lebendig,  dass  die  Eirche  selbst 
mit  ihm  zu  paktieren  genötigt  war,  da  sie  feindlich  ihm  nicht 
beikommen  konnte:  so  galten  denn  in  der  scheingelehrten 
christlichen  Tradition  die  Kynokephalen  als  Kinder  Adams, 

')  Horeri  Grand  dictionnaire  bist.  Park  1760  HL,  64,  Art.  Caleodrier 


33  Vorgeschichte.  33 

und  mit  allem  Apparat  geistlicher  Kritik  über  ihr  Verhältnis 
zu  Menschen  und  Gott  gewichtig  zu  diskutieren,  hielten  ernste 
Männer  der  Mühe  für  wert,  wie  Batramnus  in  jener  erwähnten 
Epistola  de  Cynocephalis.  Kein  Zweifel  kommt  dem  ge- 
scheuten Thoren,  ob  diese  Wesen  „contra  legem  naturae^ 
wirklich  existieren,  er  parallelisiert  mit  Isidorus,  wie  es  unter 
den  Menschen  einzelne  Missgeburten  giebt,  so  unter  den  Völkern 
Stämme  der  Giganten,  Kynokephalen ,  Kyklopen  u.  s.  w. 
Sondern  darum  handelt  es  sich  für  ihn  allein,  „utrum  de  Adae 
sint  stirpe  progeniti,  an  bestiarum  habent  animas",  und  er 
ist  liberal  genug,  zum  mindesten  den  Giganten  und  Kyno- 
kephalen Seelen  und  damit  menschlichen  Ursprung  zuzuge- 
stehen, für  letztere  sich  stützend  vor  allem  auf  den  uns  so 
wichtigen  „libellus  de  martyrio  s.  Christophori  editus.^  —  Sollte 
der  Heilige  aber  einmal  einen  Hundskopf  tragen,  so  bedurfte  er 
notwendig  dazu  auch  der  ungeheuren  Leiblichkeit,  und  wenn 
der  Herr  des  Himmels  den  Wilden  in  seinen  Dienst  stellen 
wollte,  so  war  das  erste,  dass  er  mit  der  Taufe  ihm  mensch- 
liche Sprache  verleihen  musste.  Denn  Biesen  sind  in  jeder 
Mythologie,  in  der  Anschauung  jedes  Volkes  stets  auch  die 
Träger  von  weiteren  körperlichen  imd  geistigen  Eigentümlich- 
keiten gewesen,  sie  übertreffen  die  Menschen  an  Gestalt  und 
Kraft  und  Dummheit,  wie  diese  wieder  die  Zwerge.  Daher 
also  die  bisher  unverstanden  hingenommenen  Worte  des  eben 
Getauften,  der,  man  bemerke  das  wohl!  sonst  noch  nichts 
gesprochen  hat:  „Gloria  tibi  Dens,  qui  convertis  ignorantes 
et  adducis  in  viam  veritatis;  mutas  linguas  ferarum  et  das 
eis  linguam  humanam.^  Daher  das  Entsetzen  der  opfernden 
Frau,  die  Furcht  der  Soldaten,  die  Schimpfreden  des  Königs : 
„Canine!^  „Fera  mala"!  etc.  Daher  auch  der  Bost  von 
12  Ellen,  auf  dem  das  heilige  Ungetüm  gemartert  wird. 
„Solus  quippe  Og  rez  Basan  restiterat  de  stirpe  gigantum. 
Monstratur  lectus  ejus  ferreus,  qui  est  in  Babbath  filiorum 
Ammon,  novem  cubitos  habens  longitudinis,  et  quatuor  lati- 
tudinis  ad  mensuram  cubiti  virilis  manus'',  also  heisst  es 
Deuteron.  III,  11,  und  dem  Christophorus ,  der  allein  ge- 

3 


34  ^-  Richter  34 

blieben  war  vom  Stamme  der  Kynokephalen,  will  man  sein 
scamnum  ferrenm  secundum  mensuram  ejus,  quae  erat  cubi- 
torom  duodecim,  missgönnen !  —  Zu  diesen  Besten  des  Heidnisch- 
wunderbaren  traten  dann  als  christlich  gleichartige  Elemente  die 
romantische  Taufe  aus  himmlischer  Wolke,  nach  Analogie  der 
Taufe  Ohristi,  und  das  Stabwunder,  das,  altbiblisch,  im  Mittel- 
alter ja  zu  einem  der  tiefsten  Symbole  und  einem  der  abge- 
nutztesten Mirakel  sich  auswuchs,  in  unsere  Passio  aber  vor- 
läufig recht  äusserUch  und  ohne  notwendige  organische  Ver- 
knüpfung eingeschaltet  wurde. 

Ich  vermag  und  versuche  nicht  zu  entscheiden,  wo  und 
in  welcher  zeitlichen  Folge  die  verschiedenen  Motive  sich  an- 
einanderschlossen.  Nur  das  wollte  ich  feststellen:  die  Legende 
vom  hl.  Christophorus,  wie  sie  uns  zuerst  in  fester  Form  in 
der  Passio  entgegentritt  und  gleichen  Inhalts  in  der  lateinischen 
Dichtung  eines  deutschen  G-eistlichen  umschrieben  vorliegt, 
ist  deutlich  erkennbar  ein  Niederschlag  volkstümlicher  Phan- 
tasie, die  darin  christliche  wie  ererbte  heidnische,  gleichsam 
unterbewusste  Elemente  der  Yolksseele,  zusammenthat  zu 
einem  ihr  zusagenden  Bilde  eines  volkstümlichen  G-laubens- 
helden.  Ich  könnte  mir  denken,  dass  in  früherer  Zeit  der 
mythisch-fabulose  Ofaarakter  noch  mehr  überwog  und  erst  in 
der  uns  überlieferten  Redaktion  eine  stärkere  Herausarbeitnng 
des  specifisch  Christlichen,  besonders  durch  eine  dramatische 
Pointierung  des  biblisch  gefärbten  Dialogs,  der  recht  frisch 
und  kräftig  anmutet,  erfolgte. 


Sprach  ich  bisher  von  der  Passio  S.  Ohristophori  kot* 
iSoxi^v,  so  habe  ich  jetzt  diese  Ausdrucksweise  zu  berichtigen 
und  zu  begründen.  Es  giebt  eine  andere  G-estalt  der  Ohristo- 
phoruslegende,  die,  zu  Walthers  von  Speier  Zeit  schon  vor- 
handen, ihm  doch  unbekannt  war,  uns  aber  zu  den  schwierigsten 
Fragen  drängt,  von  deren  Beantwortung  eventuell  die  Richtig- 
keit alles  bisher  Gesagten  abhängt;  deswegen  habe  ich  sie 
gesonderter  Betrachtung  vorbehalten. 


35  Vorgeschichte.  35 

In  gewissem  Sinne  ist  die  Bezeichnung,  mit  der  Mussafia 
diese  Fassung  oder  diese  Gruppe  von  Fassungen  als  die 
orientalische  der  bisher  besprochenen  als  der  occidentaUschen, 
oder  als  die  Decins-  der  Dagnus -Version  gegentberstdlt, 
äusserlich  begründet.  Aber  über  das  Verhältnis  beider  zu 
einander  kann  ich  nicht  umhin,  meine  eigene  Meinung  zu 
hegen,  für  die  freüich  einen  pontiven  Beweis  zu  erbringen 
schwer  halten  wird  wegen  des  Mangels  zahlreicher  Zwischen- 
glieder der  handschriftlichen  Kette.  Als  Schlussringe  aber  kann 
man  ansehen  die  bisher  allein  berücksichtigte  lateinische 
Fassio  der  Act  Sanct.  [P]  oder  eine  im  wesenÜichen  ihr 
schon  ähnliche  Vorform  und  die  in  den  Analecta  Bollandiana^) 
veröffentlicht^i  Acta  Ghraeca  antiqua  aus  einer  Leyden^  Hs. 
des  XI.  Jhs.  [Ge].  Denn  in  griechischer  Sprache  scheint  jene 
andere  Gestalt  der  Christopbpassion  ihr  eigentilidistes  Dasein 
gehabt  zu  haben,  da  ausser  einem  von  dem  Mönch  Agapios  in 
der  BfßXo^  icaXou|Li£vTi  KaXoxatptvr)  ^  benutzten  Teste  [Gd] 
H.  Usener')  nooh  zwei  andere,  einen  voHständig  aus  einem 
Kodex  der  Pariser  Nationalbibi.,  der  im  Jahre  890  vollendet 
wurde,  einen  nur  zum  geringen  Teil  nach  einem  Pariser  Kodex 
des  XI.  Jhs.  publiciert  hat  [Ga  und  Gc],  und  gerade  die 
griechischen  Menologien  Auszüge  im  Sinoe  dieser  Versionen 
bieten,  worüber  nooh  kurz  zu  sprechen  sein  wird.  Ein  paar 
Sätze  eines  anderen  griechischen  Manudodpts  der  Vaticana 
sind  nach  Papebrochius  in  den  Act.  Sanct.  p.  143  b  mitgeteilt, 
die  zu  Ga,  wie  es  scheint,  in  Beziehung  stehend,  manche 
Abweichungen  im  dnzelnen  yermuten  lassen  [Gb].  Was  ich 
nun  aber  behaupten  möchte,  das  ist,  dass  die  lat.  Texte,  wie 
sie  in  den  Analecta  Bollandiana^)  [Lb]  aus  einer  Pariser 
Hs.  des  XL  Jhs.  und  aus  einer  ebensolchen  des  XTT.  von 
Mussafia  in  den  Wiener  Sitzungsberichten^)  [Lc]    mitgeteilt 

0  1882  I,  122—148. 
«)  Venedig  1667  Kb'-Xr'. 

B)  Acta  S.  Marinae  et  S.  Christophori,  eput.  gratulatoriae  a  rect. 
et  Benata  anivers.  Bonnensis  ad  univers.  Heidelbergensem,  Bonnae  1886. 
*)  1891  X,  394—405. 
»)  CXXX,  1893:  Zur  Christophlegende,  p.  67—78. 

8* 


36  K.  Richter  36 

vorliegen,  wie  auch  der  altfranzösische  [F],  den  Mussafia  ebda.  ^) 
nach  einer  Pariser  Hs.  des  XTTT.  Jhs.  giebt,  Ubergangs- 
staffeln  yon  der  alten  Form  P  =  La  zu  den  griechischen  Ge- 
staltungen sind,  und  dass  also,  wenn  Lc  diesen  sehr  nahe 
steht,  es  nicht  aus  ihnen  oder  einem  ihnen  Gemässen  über- 
setzt, sondern  umgekehrt  sie  aus  Lc  oder  einem  ihm  Gemässen 
geflossen  sind.  Ich  trete  damit  in  Gegensatz  zu  einer  Reihe 
so  scharfsinniger  als  waghalsiger  Vermutungen,  die,  obwohl 
sie  noch  nicht  zu  einer  bestimmten  Formel  geführt  haben, 
doch  insgemein  darauf  hinauslaufen,  je  nach  dem  Berufs- 
standpunkt ihrer  Vertreter,  dass  Christophorus  im  Orient 
wirklich  gelebt  und  gelitten  habe,  oder,  dass  seine  Geschichte 
aus  dem  Orient  gekommen  sei,  yieUeicht  aus  dem  Syrischen 
oder  einer  verwandten  Sprachgegend.  Es  sei  erlaubt,  zu- 
nächst die  thatsächlichen  Grundlagen  dieser  Vermutungen  zu 
untersuchen. 

Man  liebt  es  also  etwa,  mit  den  Namen  zu  spielen,  die 
in  den  verzeichneten  Fassungen  von  denen  in  P  z.  T.  sehr 
verschieden  sind.  Heisst  also,  wir  erinnern  uns,  der  Heilige 
in  P  vor  der  Taufe  Beprobus  und  erscheint  dieser  Name 
in  Gacde  als  P^npeßo^,  so  lässt  sich  Usener  von  Gilde- 
meister aufmerksam  machen,  dass  im  aramäischen  rabrab, 
syrischen  raurab  oder  raverreb  der  Begriff  grandis  liege^  und 
die  edd.  BoU.  X,  396  frohlocken,  in  Lc  ein  noch  passenderes 
Brobrebus  zu  entdecken.  Darin  würde  aber  der  vermeintlich 
aus  dem  griechischen  abgeleitete  lat.  Text  ein  Wort  gemässcr 
dem  ursprünglichen  syrischen  oder  aramäischen  Original  geben 
als  seine  griech.  Vorlage?  Und  wenn  der  Name:  „der  Grosse" 
denkbar  ist  als  Vorgänger  des  späteren  „Christophorus'S  so 
ist  immerhin  zu  beachten,  dass  durch  die  völlig  bedeutungs- 
lose Mittelstufe  des  griech.  'P^Tipeßo^  hindurch  plötzlich  im  Lat. 
ein  weit  .bedeutsameres  Beprobus  entstanden  wäre.  Ferner 
ersieht  man  nicht,  warum  der  griechische  Übersetzer,  der  doch 
Xpi(TToq)öpo^  gab,  rabrab,  das  er  ja  wohl  verstehen  musste,  in 
einen   noch  dazu   sinnlosen  Eigennamen   umsetzte.    Endlich 

>)  p.  41-61. 


37  Vorgeschichte.  37 

stellt  in  Fy  welches  Lc  am  nächsten  steht,  Beprobus,  und 
eine  wirkliche  syrische  Version,  die  im  British  museum  liegt^), 
hat  Deprebus.  Dass  man  es  in  dieser  mit  einer  XTbersetzung 
aus  dem  Griechischen  zu  thun  habe,  erkennen  sogar  die  edd. 
BoU.  an;  will  nun,  wer  mit  rabrab  operiert,  ausser  dieser 
Übersetzung,  die  dem  griechischen  Zustande  ziemlich  frei 
gegenübersteht,  indem  sie  z.  B.  die  Noamen  der  beiden 
Buhlerinnen  in  Amania  und  Amanida  verkehrt,  einen  origi- 
nalen altehrwürdigen  syrischen  Ahnherrn  des  letzteren  an- 
nehmen? 

Nicht  besser  steht  es  um  anderes,  was  die  Neigung  zur 
Syrifizierung  der  Christophoruspassion  aufgegriffen  hat.  G-ilde- 
meister  selbst  trägt  Bedenken,  Bax6io0^,  den  Namen  dessen^ 
der  sich  als  erster  thätlich  an  dem  Heiligen  vergreift,  neben 
Bakhtischü*  Boktjeschü  zu  stellen^),  und  wie  gezwungen  sind 
die  Versuche,  Attalia  in  Pamphylien  zum  Schauplatz  des 
Martyriums  machen  zu  wollen.  Lc  28  redet  von  einem  epis- 
copus  civitatis  Atanasius  Italiae,  quae  juncta  est  terminis 
Persidis,  hie  venit  in  Antiochiam.  Wenn  das  so  einfach 
korrumpiert  wäre,  wie  die  edd.  BoU.,  um  die  Brücke  zu  der 
Lesart  Gc  diTaXctag  zu  schlagen,  behaupten:  wie  kämen  denn 
Ga,  dieser  älteste  griechische  Text,  dazu,  iraXeia^  zu  lesen 
wie  Gb,  und  Gde  draXia^?  Und  wird  das  lat.  Persis  nicht 
vierfach  bestätigt  durch  Ga  auvoöa  oöancr  ncpcriöoa,  Gc 
auvopoa  Tf]q  TtepoiöocT,  Ge  28  auvopouari  tQ  'Avnoxefqi  TTepaiöo^, 
Gb  Italia  Persarum  civitas?  so  dass  man  nicht  versteht,  wie 
IJsener  (JuvopoOaiic  TTtcribiqi  konjizieren  kann,  obschon  letztere 
Landschaft  in  keinem  von  diesen  Texten  erwähnt  wird,  ob- 
schon Ga  p.  63,2  direkt  von  einem  'Avrioxcia  rfl?  Zupia?  die 
Bede  ist.  Dazu  erscheint  noch  TTeptri  Ga  p.  63,4.  Die  Kon- 
fusion ist  gross,  das  ist  richtig;  aber  die  Annahme,  dass  ein 
lat.    Text    durch    lat    Schreiber    und    dann    vollends   durch 


^)  8.  Wright  Catal.  of  tlie  Syriac  manuscripU  in  the  Br.  m.  TTT, 
1138,  1152. 

')  Usener  1.  c.  p.  77;  der  Auszug  der  grossen  Henäen  giebt 
Bdxxioq,  s.  u. 


38  K.  Bichier  38 

griechische  Übersetzer  yerderbt  wurde,  ist  doch  vielleicht 
natürlicher  als  die,  dass  ein  syrisches  oder  dgl.  Original,  in 
dem  einmal  alles  in  lokaler  Ordnung  hätte  sein  mitesen,  dorch 
eben  diese  griechischen  Übersetzer  so  völlig  in  lat.  Fahrwasser 
gebracht  worden  sei?  Eine  Hs.  zu  Montpellier,  die  sonst 
genau  zu  Le  stimmt,  Kest  statt  Pcfrsidis  praesidis,  und  durch 
das  blosse  de  la  cita  F  erh&lt  diese  Lesart  einige  Bedeutung. 
Weiter:  auch  aus  den  historischen  Personennamen  dieser 
Versionen  lässt  sich  nicdits  gewinnen.  ''Etou^  rerdprou  rfiq 
ßaaiXefa^  Aexiou  beginnen  Gace,  ähnlich  6d:  man  soUte 
meisaeOf  solch  historischer  Fehler  wäre  eher  d^n  vermeintlich 
abgeleiteten  lat  als  dem  originalen  grieeh.  resp.  einem  syrischen, 
gewissermassen  als  Augenzeuge  berichtenden  Texte  zuzutrauen. 
Aber  P  nennt  den  König  Dagnus ;  wie  hätte  das  aus  dem  all- 
bekannten A^Kioc  werden  sollen,  da  ein  wohl  einmal  möglicher 
mechanischer  Schreibfehler  nicht  ausreichte?  Während  sich 
die  oberflächliche  Umänderung  eines  unkekannten  Dagnus 
in  einen  leidlich  ähnlich  klingenden  AIkk)^  aus  einem  leicht- 
fertigen Streben  nach  Historizität  des  Elrzählten  begreift^ 
wie  wir  ähnliche  spätere  Versuche  schon  berührten.  Der  Un- 
sinn geht  aheac  erkenntlich  weiter.  Mit  A4kio^  kam  aufs 
natürlichste  auch  sein  bekanntes  Opfer,  der  Patriarch  von 
Antiochia  in  Syrien,  BaßuXa^  der  jenem  den  Eintritt  in  eine 
christliche  Kirche  persönlich  verweigert  haben  sollte  ^),  in  die 
Erzählung  hinein.  Er  ist  es,  der  Christophorus  tauft,  Ge  7, 
und  da  er,  937 — 60  regierend,  in  letzterem  Jahr  der  Dedschen 
Verfolgung  zum  Opfer  fiel,  so  wäre  freilich  auch  für  unseren 
Heiligen  ein  bequemes  Datum  erreicht.  Nun  aber  wird 
Christophorus  unter  persönlicher  Leitung  des  A^xto^  gemartert, 
der  nie  nach  Antiochien  gekommen  ist.  In  Lc  7  femer  wirdi^' 
er  von  einem  Presbyter  des  Ortes,  Petrus,  F  Peres,  getauft, 
den  die  Soldaten  herbeiholen;  dass  dieser  harmlose  und  an 


^)  cf.  Baronius  Annales  eccl.  ed.  Theiner  TTT,  26  ad  annum  253; 
seine  Acta  hingegen  bringen  ihn  mit  dem  Kaiser  Numerianus  in  Ver- 
bindung, Act  Sanct  Jan.  tom.  III  dies  24,  auch  Henr.  Noris  Annas  et 
epochae  Syromacedonum  Lips.  1696,  p   S49. 


39  Vorgeschichte.  39 

sich  schon  Vertrauen  erweckende  Mann  nicht  fälschlich  an 
Stelle  des  griechischen  BaßuXa^  getreten  sei  —  welches  Interesse 
sollte  auch  nur  ein  lat.  Ubeisetaer  an  derartigen  Anderongen 
haben?  —  beweist  der  TT^Tpo^i  der  Gae  28  und  Gbd  als 
^iriaKoiro^  dxaXiac  resp.  (ToXeia^  auftaitt»  an  dessen  statt  nun 
freilich  wieder,  um  die  Verwirrung  auf  den  GKpfel  zu  treiben, 
in  Lc  28  ein  episcopus  civitatis  Atanasius  Italiae  steht. 
Letzteren  aber  siag  num  sich  dodbi  bei  der  sonstigen  ün- 
bekanntschaft  mit  einem  seines  Namens  als  eine  sekundäre 
Entstellung  erklären,  ersterer  scheint  mehr  eine  übel  ver- 
mittelnde  Reminiscenz  des  griech.  Übersetzers  an  das  lat 
Original  zu  sein.  Freüich  bleiben  zunächst,  das  sei  nicht 
verhehlt,  die  Namen  AtanasiuSi  Decius  und  die  an  Stelle  der 
griechischen  KaXXivfxn  stehende  Gallenice  in  Lc  au£bllend, 
und  zum  mindesten  ist  zu  bemerken,  was  sich  auch  aus  andern 
Wahrnehmungen  ergiebt,  dass  Lc  nicht  etwa  selbst  die  xm- 
mittelbare  Vorlage  der  griechischen  Texte  sein  kann,  sondern 
Zwischenglieder  gesetzt  werden  müssen. 

Es  waren  das  bisher  negative  Beweise,  die  nur  ergeben, 
dass  die  Gründe,  die  man  für  die  Priorität  der  griech.  oder 
gar  eines  vermuteten  syrischen  vor  den  lat.  Texten  ins  Feld 
führt,  absolut  nicht  zwingend  sind  und  sich  an  und  für  sich 
teilweise  auch  in  entgegengesetzter  Tendenz  verwenden  lassen. 
Dazu  treten  nun  aber  positive  Momente,  die,  wenigstens  dem 
heutigen  Stande  der  Sache  nach,  diese  entgegengesetzte 
Meinung  als  die  begründetere  erscheinen  lassen  müssen,  um 
das  Äussere  vorher  abzuthun,  so  dürfte  man  —  ich  bin  hier 
kein  kompetenter  Beurteiler  —  die  Lehnworte  aus  dem 
Lateinischen,  wie  sie  die  griech.  Texte  in  reicher  Fülle  ent-* 
halten :  KÖ)üiiiT€C  oder  K6)itT€q  1,  Iv  jCjt  vov^ipn)  1,  aTpdrtup  10, 
0oubdpiov  16,  (ToOßXa  18,  dfpjLia  20,  26,  ävvuivai  ß^ona  21, 
(Tuvii^XXiov  22,  iKaOileTo  ihq  iiA  (TKdfivou  23,  toO  aexp^rou  24, 
naXd-nov  26,  xapdKaXo^  26,  arceKovXajw  21  j  nicht  allzu  hoch 
anschlagen,  wenn  nicht  sich  mehrere  gerade  an  der  be- 
treffenden Stelle  in  Lc  wiederfänden:  comites,  in  numero, 
sudarium,  subula,  arma,  annonae,  vestis,  scamnum,  spiculator, 


40  K.  Richter  40 

während  sich  für  chlamys  in  Lc  2  im  Griechischen  nichts 
Entsprechendes  bietet,  und  Gd  sie  zam  Teil  in  echtgriechische 
Worte  umgesetzt  hätte.  Dazu  treten  dann  solche  Stellen, 
deren  griechische  Fassung  sich  aus  einem  Missverständnis  des 
Lat.  erklären  lässt.  Heisst  es  in  Lc  4  von  dem  Heiligen,  er 
sei  in  eine  Kirche  eingetreten  [ingressum  domum  Domini] 
und  wird  dann  von  einer  Frau  erzählt,  die,  consuetudinem 
habens,  ingressa  est  ad  colligendas  rosas,  so  muss  man  freilich, 
wenn  man  wie  Mussafia  es  seltsam  findet,  dass  die  Frau  in 
eine  Ejrche  eintritt,  um  Bösen  zu  pflücken  [F  coillir],  das 
Griechische,  welches  Christophorus  Jjbnrpoaeev  toO  vaoO  sitzen 
und  KOpTiv  Tivd  auv^Geiav  Ixovaav  auXXf y^iv  i>6ba  ei^  töv  rra- 
paöeicTov  treten  lässt,  für  einfacher,  vernünftiger  und  ursprüng- 
licher halten.  Es  ist  aber  diese  griech.  Lesung  erst  aus  dem- 
selben irrtümlichen  Verstehen  der  lat.  Worte,  dem  Mussafia 
nicht  entgangen  ist,  entstanden,  indem  man  das  colligere,  das 
auf  ein  Niederlegen  yon  Rosen  vor  dem  Altar  oder  ein  Mit- 
nehmen einiger  geweihten  von  demselben  zu  beziehen  ist,  in 
viel  zu  prägnantem  Sinne  fasste  und  diesen  durch  die  Ein- 
fügung des  dq  TÖV  7TapdÖ€io*ov,  das  in  der  ältesten  griech. 
Gestalt  Ga  noch  fehlt,  zum  Ausdruck  brachte,  um  die 
Sache  nun  aber  in  ein  neues  Gefüge  zu  setzen,  musste  im 
Laufe  der  Entwicklung  ein  zweites  Missverständnis  sich  ein- 
stellen. Die  Frau  eilt,  als  sie  den  grossen  betenden  Heiligen 
erblickt,  in  Lc  5  erschreckt  zurück  und  ruft  den  Nachbarn 
zu :  „Quidam  homo  Dei  est  hie",  ein  Mann  Gottes  ist  da,  „aber 
ach,  schon  werden  sie  ihm  Martern  bereiten",  ein  schöner  Zug 
für  diese  Christin,  die  sie  als  Bittgängerin  in  eine  domum 
Domini  doch  sein  muss,  zur  Zeit  allgemeiner  Verfolgung. 
Diesen  Ausruf  hat  nun  die  Vorlage  von  Ga  übersetzt:  vdo^ 
0€oö  ianv,  woraus  in  Ga  der  verlesene  Unsinn  entstand: 
vaö?  0€oO  dariv,  den  Gc  und  Ge  wieder  glücklich  in  die 
Richte  bringen  durch  ihr  durchgreifendes  ?|iTrpocy6ev  toO  vaoö 
ToO  9eou  eiöov  dfvbpa  und  aufs  unbefangenste  mit  der  Rosen 
pflückenden  Frau  verbanden.  Gegen  dieses  klare  Verhältnis 
versuche  man  umgekehrt  etwa  aus  dem  Griech.  das  Lat.  zu 


41  Vorgeschichte.  41 

erklären,  um  die  Richtigkeit  der  entwickelten  Folge  zu  ver- 
stehen. Man  nehme  femer  Gce  5.  Die  Soldaten  fragen  den 
Heiligen,  warum  er  weine,  und  er  antwortet:  „Ja  weil  ich 
bisher,  da  ich  den  Herrn  nicht  kannte,  in  Ehren  und  unbe- 
scholten lebte,  nun  aber,  da  er  sich  mir  o£fenbart  hat^  ver- 
folgt werde".  Ol  bi.  dKoucravTC^  yjcrxövovTo  In  XaXeiv  ^erauToö. 
*0  Ydp  6€Ö^  tt62a(y€v  töv  iraiöa  aöxoö.  EIttov  bk  -rrpö^  töv  jia- 
xdpiov  ol  (TTpaTiüüTai-  'H|li€T^  irpö^  (Tfe  dTreordXfmcv.  Grad  mögen 
in  Erkenntnis  des  widerspruchsvollen  Charakters  dieser  Satz- 
folge das  Störende  fortgelassen  haben.  Lc  aber  giebt  die 
Auflösung,  und  eine  Verstellung  ist  an  dem  Ganzen  Schuld, 
denn  da  folgt  auf  die  Anrede  der  Soldaten  erst  die  stolze 
Antwort  des  Heiligen:  „Si  non  voluntarie  venero,  vos  non 
potestis  me  vinctum  ducere,  Christus  enim  mens  adest"  etc.: 
haec  audientes,  confundebantur  amplius  loqui  ei.  Dens  autem 
glorificavit  suum  servum.  und  dann  —  man  denke  sich  eine 
Pause  —  die  scheu  unterwürfige  Gegenrede:  „Si  non  vis 
venire  nobiscum,  .  .  .  perge  quocumque  volueris".  So  ist  alles 
in  bester  Ordnung  und  bedingt  sich  gegenseitig.  Ein  ander- 
mal, Lc  17,  geht  eine  berechnete  "Wortspielerei  durch  die 
griech.  Übersetzung  verloren.  Rex:  „Nonne  consensisti  mihi, 
mala  mulier,  immolare  diis?''  Et  dicit  ei:  „0  rex,  sicut 
oportuit,  immolavi.  Si  autem  vis,  permitte  me,  ut  ceteris 
immolem'*.  Dagegen  halte  man  die  aufgeschwellten  griech. 
Reden  ^).  Gae  22  wundert  man  sich  über  das  dx^Xeucrev  ö 
ßa0iX€iyq  TTpöcraxOfivai  Xpiotoqpöpov,  der  vor  dem  König 
schon  dastand»  als  die  Soldaten  ankamen,  und  von  dessen 
Entfernung  während  des  Dialogs  zwischen  diesen  und  jenem 
nichts  gesagt  ist;  wohl  aber  hat  das  Lateinische  eine  solche 
Anmerkung  Lc  21:  Tunc  rex  jubet  secedere  servum  dei  et 
illis  secrete  coepit  dicere*).^  Ebenso  bietet  Lc  24  Verstän- 

0  Usener  p.  Ö8,  14—20. 

^)  Gd  sucht  durch  den  Einschub:  '0  im^v  oOv  6biK0^  b^Kioq  ^q)uXdr 
Kwae  irdXiv  töv  fidprupo.  Kai  jicrd  nvd^  fm^pa^,  töv  fjqpcpav  £{<;  t6 
KptT/|piov  etc.  nicht  nur  den  augenblicklichen  Zusammenhang,  sondern 
auch  die  im  Griechischen  so  sprunghaften  Daten  zu  vermitteln. 


42  K-  Biohter  42 

digeres  gegen  den  gleichen  Abschnitt  in  Ge.  Das  Volk 
triumphiert  über  den  unverletzt  im  Scheiterhaufen  stehenden 
Heiligen,  es  droht  dem  König,  der  heimlich  in  seinen  FaLaat 
entweicht.  Da  kommt  der  Teufel  in  Menschengestalt  zu  ihm 
imd  klagt:  ^Ja  mit  unserer  Herrschaft  ist's  nun  wohl  zu 
Ende,  so  viele  glauben  jenem  schon,  xai  dKrpcoa  aöruiv  axen- 
TOfA^vuiv  dveXciv  ae'.  Und  gemUtlich  geht  es  weit^:  TTpuiia^ 
öi  T^vo^£vT)^,  iK^Xeixrev  6  A4kk>^  6uaiav  y^v^crOai  Tot^  €iö«iiXoi^, 
als  sei  nichts  geschehen.  Weit  wirkungsvoller  in  Lc.  10000 
Menschen  jubeln  dem  Märtyrer  zu  und  werden  getauft.  Der 
Satanas  percussus  dolore  naht  dem  Könige:  „Besiegt  bist 
du  und  des  Todes,  wenn  du  nicht  fliehst«  10000  sind  abge- 
fallen und  wollen  dich  töten«  Ego  igitur  sie  audivi  eos  di- 
centes,  et  festinavi  renuntiare  tibi^.  Cum  autem  audisset  rex 
haec  fugiit  Dann  wird  verständlich,  wie  am  andern  Morgen, 
nachdem  sich  der  Sturm  gelegt,  der  König  von  neuem  als 
Verfolger  auftreten  kann.  SoU  man  nun  annehmen,  dass 
sokhen  guten  Sinn  eine  Ubersetaung  hineingebracht  habe  in 
Vorgänge,  die  im  Original  so  renrorren  waren,  dass  ein 
direkter  Ausläufer  desselben,  Gd,  sie  durch  Streichung  der 
ganzen  Teufelsepisode  zu  vereinfachen  suchte?  Schliesslich 
noch  ein  deutlichster  Grund  gleich  darauf.  Am  andern 
Morgen  also  befiehlt  der  König  neue  Götzenopfer,  und  Herolde 
durchziehen  die  Stadt  und  rufen  die  Menge  zusammen.  Da 
kommt  der  be&eite  Heilige  mit  seinen  Scharen  ad  locum,  ubi 
erant  incensa,  d.  h.  an  die  Weihrauch-  oder  Opferstätte. 
Der  Grieche  aber  nimmt  das  Wort  fäkchlich  im  Sinne  von 
incen'dium,  bezieht  es  auf  das  vorangegangene  feurige  Martyrium 
und  schreibt:    öttou  f)  Kdfir)vo^  yixovtv. 

Mit  einer  weit  grösseren  Deutlichkeit,  als  in  diesen 
Ausserlichkeiten,  mit  denen  an  erster  Stelle  zu  operieren  man 
heute  freilich  immer  gedrungen  ist,  stellt  sich  in  dem  inneren 
Charakter  der  verschiedenen  Versionen  ihr  genetisches  Ver- 
hältnis zu  einander  dar.  Wenn  nichts  in  den  lat.  Fassungen 
Lbc  [F]  fehlt,  was,  in  den  griech.  Gacde  vorhanden,  sich 
nicht  leicht  als  deren  weitere  Zuthat  erklären  liesse,  wenn 


43  Vorgeschiolite.  43 

Lbc  F  überhaupt  ein  einfacheres  und  schlichteres  Gepräge 
in  Inhalt  und  Form  zeigen  als  Gku^e  und  dennoch  in  nichts 
sich  etwa  als  beabsichtigte  Anszäge  verraten,  wenn  endlick 
libc  F  näher  P  stehen  und  in  sich  wieder  Sporen  einer 
Entwicklung  von  P  zu  Gacde  hin  erkennen  lassen,  so  ist 
der  Schluss  ja  unvermeidlich,  dass  Lb  F  Lc  Etappen  waren 
auf  dem  Wege  von  P  zu  Gacde  Un,  nur  müssen  wir  an- 
nehmen, dass  vidie  Zwisch^o^  und  £lreuaung8stationen  uns 
nicht  mehr  bekannt  sind«  Die  folgende  Inhaltsvergleichung 
hat  nun  den  dreifachen  Zwecke  diese  Ansicht  zu  begründen, 
einen  deutlicheren  Begriff  des  Inhaltes  aller  Passionen  des 
Ghnstophorus  zu  Hefem  und  iCateriaL  aa£iuspeichem.  Da 
es  sieh  im  wesentlichen  um  Lc  und  Ga  als  die  geschlossensten 
ErscheiBungen  handeln  wird,  so  dürfen  wir  die  von  den  edd. 
Boll.  getroffene  Einteilung  derselben  in  38  Abschnitte  benutzen. 
[1]  Wie  hätte  —  um  hier  wieder  anzuknüpfen  —  der 
lat.  Übersetzer  dazu  kommen  sollen,  die  bestimmte  chrono- 
logische Angabe  des  Gbiechischen :  ''Etou^  Terdpxou  Tf\^  ßoai- 
Xeia^  ^k(ou,  da  er  doch  Decius  g^iau  bq  gut  oder  schlecht 
kennen  nrasste  wie  der  Grieche,  und  seine  sonstigen  faktischen 
Angaben  nidit  die  Mutmasenng  aufkommen  lassen,  er  habe 
an  dem  vierten  Bqjpierungsjahr  eines  nur  zwei  und  ein  halb 
Jahre  Begierenden  Anstoss  genommen,  in  ein  unbestimmtes 
Temporibus  iUis  umwandeln  sollen  ?  In  tempore  illoy  regnante 
Dagno  in  civitate  Samo,  homo  venit  de  insula  etc.  beginnt  P| 
diese  kurzen  Worte  und  die  auf  sie  folgenden  vagen  An- 
deutungen von  einer  himmlischen  Erwählung  und  Taufe  des 
Heiligen  drängten  zu  {»rägnanterer  Ausführung.  So  beginnt 
denn  F :  El  tens  que  li  empereor  de  Borna  perseguiont  sainti 
egleisi  mist  son  ban  li  emperere  de  Boma  que  tuit  eil  qui  no 
voudriont  sacrifier  a  lors  ydoles  fiisant  tormenta  de  divers 
tormenz.  Auch  das  ist  noch  unbestimmt:  eine  jener  Ver- 
folgungen, wie  man  wusste,  dass  sie  von  Born  ausgegangen 
waren.  Dass  im  Verlaufe  Decius  als  rez  und  an  ganz  anderem 
Orte  als  in  Born  erscheint,  zeugt  nur  von  der  Leichtfertigkeit, 
mit  welcher  solche  Thatsächlichkeiten  in  die  Erzählung  ge- 


44  ^-  Riobter  44 

bracht  wurden:  hatte  Lb  noch  allgemeiner  gesagt:  Tempore 
quo  nequissimo  errore  gentilium  simulachra  demonum  cole- 
bantur,  exiit  edictum  a  principibus,  so  fabelte  F,  wie  ja  auch 
M  [Mombritius]  den  Dagnus  rex  in  einen  Danus  imperator 
umsetzte,  von  einem  emperere  de  Roma,  der  ihm  aus  jener 
Zeit  des  heidnischen  Irrtums  auftauchte.  Während  nun 
beide  noch  die  alten  Ortsangaben  bieten,  Samon  in  Lycien, 
hat  F  den  alten  Dagnus  bereits  mit  Decius  vertauscht,  Lb 
ihn  bewahrt.  Wie  es  geschab,  dass  an  der  betr.  Stelle  in 
E  gerade  der  Baum  für  den  Namen  li  rois  de  cele  cite 
estoit  appellez  .  .  .  freigeblieben  ist,  weiss  ich  nicht;  eine  ESr- 
klärung  wie  Mussafias,  der  Übersetzer  aus  dem  Lateinischen 
habe  in  Erinnerung  an  P  diese  Bemerkung  eingeschaltet,  sei 
aber  dann  an  der  Verschiedenheit  der  Namen  Dagnus  und 
Decius  irre  geworden,  hat  keine  Stützen  in  irgend  ent- 
sprechenden Wahrnehmungen.  Jedenfalls  sind  alle  derartigen 
Beminiszenzen  in  Lc  geschwimden.  Es  berichtet  in  ge- 
hörigem Zusammenhange,  wie  der  Befehl,  dass  alle,  die  sich 
den  heidnischen  Opferbräuchen  widersetzten,  durch  Martern 
zur  Teilnahme  gezwungen  würden,  zu  den  judices  gelangt  und 
diese  die  Kirche  Gottes  zu  verfolgen  beginnen.  Ungefähr 
zur  selben  Zeit  hatten  die  comites,  königliche  Beamte,  einen 
fremden  Mann  im  Kriege  gefangen  genommen,  der  aus  dem 
Lande  der  Menschenfresser  stammte,  schrecklichen  Antlitzes 
und  gleichsam  hundsköpfig  war,  und  der  König  hatte  ihn  in 
die  Schar  der  armarianorum,  seiner  persönlichen  G-efolgs- 
leute,  eingestellt.  Auch  dieses  Wort  hat  den  Herausgebern 
Anlass  zu  einer  gelehrten  Vermutung  gegeben,  indem  sie  in 
den  Akten  S.  Theodori  tironis  eine  legio  Marmaritarum  in 
regione  Orientis  und  in  der  Notitia  dignitatum  et  admin.  or. 
et  occ.  ed.  Böcking  I,  88  eine  cohors  Marmantarum  entdeckten 
imd  diese  nun  für  unsere  Stelle  anrücken  Hessen,  um  aber 
auch  wieder  die  Verbindung  höchst  gewagt  zu  finden,  hat 
man  nur  die  verschiedenen  Formen  der  Texte  anzusehen. 
Gace  jLiap^apiTÜJV,  F  Marmorians,  eine  Lesart  eines  Lc  nahe* 
stehenden    Manuskriptes     zu     Montpellier     Marmanianorum 


45  Vorgeschichte.  45 

[Mossafia]  ^)j  wo  man  denn  teils  hier-^  teils  daher  aus  dem 
Griech.  and  dem  Lat.  fiuchstaben  nehmen  müsste^  um  zu  dem 
gewünschten  Worte  zu  gelangen,  über  das  auch  Böcking  an 
seiner  Stelle  seufzt  p.  394:  sed  incerta  sunt  omnia.  Mit 
demselben  Schein  des  Rechten  könnte  ich,  gestützt  auf  Lc, 
verlangen,  dass  man  die  Möglichkeit  eines  Schreibfehlers  fär 
armarariorum ')  und  einer  allmählichen  weiteren  Entstellung 
als  Lösung  gelten  Hesse. 

Dieser  merkwürdige  Mann,  so  wird  weiter  berichtet,  war 
nicht  im  Stande,  das  erlassene  Edikt  zu  verstehen,  weil  er 
der  Landessprache  unmächtig  war.  [2]  Betrübt  darüber  geht 
er  aus  dem  Palaste,  wirft  sich  auf  die  Erde  und  fleht  zum 
Herrn,  ihm  die  Kenntnis  derselben  zu  eröffnen.  Also  dieselbe 
unbewusste  und  doch  wichtige  Änderung  gegenüber  P,  die 
auch  Walther  von  Speier  vorgenommen  hatte:  das  ursprüng- 
liche Heidentum  des  Beprobus  wird  verwischt  und  so  das  Plus 
des  menschenfresserischen  Charakters,  wie  er  dem  Biesen  in 
diesen  Versionen  anhaftet,  durch  ein  Minus  mehr  als  wett 
gemacht.  Gott,  in  der  Gestalt  eines  herrlichen  Mannes,  tritt 
zu  ihm,  ergreift  seine  Hände  und  bläst  ihm  den  Geist  des 
Verständnisses  ein.  „Confortare  et  viriliter  age,  multi  enim 
habent  credere  in  me  per  te^,  sagt  er  zu  ihm;  in  P  hiess  es: 
„Multae  generationes  per  te  credere  habent^.  „Ich  bin  bei 
dir,  fürchte  dich  nicht,  was  du  dem  Könige  antwortest.^  Froh 
eilt  der  also  Begnadete  zu  dem  Orte,  wo  die  Christen  ge- 
peinigt werden,  schilt  die  Schergen  und  bekennt:  „Auch  ich 
bin  Christ  und  werde  nicht  opfern'*.  —  Während  Ge  dieses 
Sprachwunder  im  Wesentlichen  ebenso  giebt,  nur  dass  Christo- 
pborus,  statt  aus  dem  Palaste,  aus  der  Stadt  geht  und  nicht 
gesagt  wird,  dass  Gott  selbst  ihm  im  Gewände  des  strahlen- 
den Mannes  erscheint,  auch  die  Beden  wohl  ein  wenig  voller 
geworden  sind,  und  Gd  merkwürdigerweise  liest:  iireibfj  bkv 
tbvyero  vd  auvr^xT)  ^^  ävdpumo^,  ganz  allgemein,  hat  Lb 
einen    abweichenden    Bericht.    Darnach    wird   Christophoms 

^)  Gd  hat  das  Motiv  nicht. 
*)  Du  Gange  I,  889  b. 


4j6  K-  Richter  46 

nicht  im  Kriege,  sondern  unter  den  widerspenstigen  Ohristen 
eingebracht,  aber  als  man  ihm  das  Edikt  vorlegt,  yersteht  er 
nichts  davon.  Während  er  zu  Gott  nm  die  fremde  brache 
betet,  lassen  ihn  die  indiees,  die  mit  der  AnsfÜhrang  des  Edüctes 
Betrauten,  insanire  illmn  ezistimantes  liegen  und  begeben  sich 
zum  Marterplatz  der  Oluisten.  Da  erscheint  plötzlich  der 
Heilige,  der  durch  eine  himmlische  Stimme  inzwisdien  ge- 
stärkt worden  ist  [divina  vox,  P.  1  vox  de  caelo].  ESrsichtlich 
einfacher. 

Dann  gehen  die  yerschiedenen  Fassungen  eine  Zeit  lang 
leidlich  Hand  tn  Hand.  Einer  der  umstehenden  [unus  ex 
judicibus  Lb,  in  Oac  heisst  er  BaxOioG^,  in  Grd  ßax0i6^] 
schlägt  Ohristophorus,  der  in  Lbc  und  F  eine  Chiamys  über 
dem  Haupte  trägt,  ins  Gesicht,  welcher  den  Schimpf  duldet, 
weil  Christus  es  so  geboten  hat.  [3]  Die  im  Griech.  fehlende 
Ohlamys  erweist  sich  als  ein  wohlbegründetes  Eigentum  der 
lat.  Gruppe,  indem  nun  der  Angreifer,  als  der  Heilige  sein 
Gesicht  enthüllt,  erschreckt  durch  den  furchtbaren  Anblick 
zum  König  eilt,  welche  Motivierung  Gacde  abgeht,  und  diesem 
das  Vorgefallene  berichtet.  Wobei  Lb  mehr  auf  die  politische 
und  religiöse  Gefahr,  die  andern  mehr  auf  das  entsetzliche 
Äussere  des  Ankömmlings  ausgehen.  •  Der  König  sendet  800 
Soldaten  aus,  ihm  das  Wunder,  lebendig  oder  tot,  vorzuführen. 
In  Lb  wird  der  Befehl  später  ohne  Zahlangabe  und  ohne 
die  Alternative  gegeben.  Wenn  P  von  einer  zweimaligen 
Aussendung  von  200  Soldaten  wmss,  so  erweist  sich  das  gegen- 
über dem  übereinstimmenden  Zeugnis  der  erweiterten  Fassungen 
und  der  Hb.  M  als  eine  sekundäre  Verdoppelung,  die  freilich 
Walther  von  Speier  und  andere  Bearbeiter  übernahmen. 

[4]  unterdessen  ist  Kebrebus  in  eine  Kirdhe  eingetreten, 
hat  seine  Rute  vor  dem  Altar  in  die  Erde  gesteckt,  und 
auf  sein  Gebet  erblüht  sie,  dass  die  Kräfte  der  Gläubigen 
im  Anblick  des  Wunders  gestärkt  werden.  Mit  dieser 
Schlichtheit  nimmt  Lc  eine  Mittelstellung  ein  zwischen  Lb,  das 
den  Heiligen  inmitten  der  anströmenden  Heidenschaft  predigen 
und  auf  einiger  Zuhörer  Einspruch,  wie  er  die  Wahrheit  seiner 


47  VorgesoHiohte.  47 

Rede  beweisen  möge,  ein  zufallig  daliegendes  Sütlein  er- 
blickend und  aufhebend  das  Wunder  bewirken  lässt,  worauf 
yiele  den  Herrn  preisen  und  sieb  von  dem  vorüber  kommen- 
den Presbyter  Petrus  taufen  lass^i  —  an  der  entsprechenden 
Stelle  in  P  werden  18000,  in  M  8000  gläubig,  der  Name 
aber  fehlt  —  und  Gkioe,  die  besonders  im  Punkte  d^  frommen 
Beredsamkeit  aneschweifen  und  den  Heiligen  vor  der  Kirchen- 
thür  sitzen  lassen.  [6]  Hier  findet  ihn  auch  jene  Frau,  welche 
Bösen  einsammeln  wül,  wie  er  in  sich  versunken  vor  sich 
hinweint,  und  wie  sie  als  vor  eines  Dradien  Angesicht  fort- 
läuft und  die  Nachbarn  zusammenschreit,  kommen  die  vom 
König  ausgesandten  Soldaten  des  Weges,  und  sie  muss  ihnen 
den  Ort  zeigen,  wo  der  Heilige  ist.  Dieses  Motiv  mit  der 
Frau  fehlt  Lb  völlig,  wie  es  in  P  vor  dem  Stabwunder, 
einfacher  und  nicht  in  Yerquickung  mit  den  Soldaten,  stand; 
aus  sekundären  G-ründen  hat  es  wohl  Gd  fortgelassen.  Nun 
schieben  G-cde  gegen  Ga  und  Lc  F  den  Zug  ein,  dass  die 
Soldaten  dem  Fremden  zuerst  nicht  zu  nahen  wagen,  welcher 
Furcht  auch  Lb  gedenkt,  aber  als  sie  sich  auf  Umwegen 
heranschleichen  und  ihn  waffenlos  sehen,  sich  gegenseitig  er- 
mutigend an  ihn  machen,  während  Lb  die  Schweigenden 
durch  eine  erste  Frage  des  Heiligen  selbst  zu  sich  bringt. 
Sie  richten  ihren  Auftrag  aus,  aber  er  erwidert  stolz«  dass 
ihn  niemand  mder  seinen  Willen  zu  fesseln  und  fortzuführen 
vermöge  [P:  „Si  voluntatis  meae  est,  veniam,  si  non,  non 
veniam'^].  [6]  „So  wollen  wir  dem  Könige  sagen:  wir 
fanden  dich  nicht;  du  aber  magst  gehen,  wohin  du  willst.^ 
„Nicht  also,  sondern  ich  will  mit  euch  gehen  [P:  „Tamen 
venio  vobiscum'^,  wie  drängt  dieses  tamen  auf  den  Einschub 
hinl],  nur  wartet  ein  wenige,  fordert  der  Heilige.  Da  klagen 
sie,  dass  ihre  Yonitte  zu  Ende  seien,  sodass  sie  nicht  harren 
könnten;  Christophorus  aber  heisst  sie  die  Beste  zusammen- 
tragen und  bekehrt  sie  durch  ein  dem  neutestamentlichen 
analoges  Speisungswunder  [7],  zu  dem  in  Gce  der  Engel 
Baphaöl  in  eigener  Person  erscheinen  muss.  Wundem  wir  uns 
nun,  wie  denn  in  Gacde  Lc  der  lokale  Zusammenhang  gedacht 


48  K.  Richter  48 

wird,  dass  die  Ausgesandten  einen  so  weiten  Marsch  zurück- 
zulegen haben,  auf  dem  ihre  Nahrungsmittel  verzehrt  werden, 
so  lehrt  Lb,  in  welchem  die  Bekehrung  nur  durch  die  Worte 
des  Heiligen  bewirkt  wird,  in  Verbindung  mit  P,  das  von 
solcher  Bekehrung  an  dieser  Stelle  ja  ganz  schweigt,  dass 
wir  es  hier  mit  einer  immer  weiter  gehenden  Erweiterung  zu 
thun  haben,  deren  erster  Anlass  in  dem  späteren  Wieder- 
auftreten der  Soldaten  als  Christen  liegen  muss.  In  Lc  F 
Gacde  folgt  dann  die  Taufe,  über  BaßüXa^  resp.  Petrus  ist 
gesprochen  worden.  Bebrebus  'Pdirpeßoq  erhält  den  Namen 
XpicTToqpöpog.  Lb  dagegen  sagt  hier  nur:  fecit  eos  baptizari, 
den  Presbyter  Petrus  hat  es  ja  bereits  an  passenderer  Stelle 
verbraucht.  [8]  Ebenso  einfach  erzählt  es  weiter:  der  Heilige 
lässt  sich  von  den  Bekehrten  binden  und  vor  den  König 
fähren.  Was  Ga  durch  eine  thörichte  Bestimmung,  dass  sie 
nach  TT^pin  gehen,  und  mit  Lc  durch  den  Grund  der  Fesselung 
vermehrt:  keiner  soll  gegen  die  Abgesandten  Verdacht 
schöpfen,  dass  sie  nicht  um  seinetwillen  ins  Unglück  kommen. 
Da  diese  Motivierung  dem  Folgenden,  in  dem  sich  die  Soldaten 
ganz  unvermittelt  darbieten  und  aufopfern,  einigermassen 
widerspricht,  so  darf  man  annehmen,  dass  Lb  „Begem  festinetis 
adgredi,  ut  per  supplicia  ad  gaudia  valeamus  pervenire  celestia^ 
näher  an  eine  ursprüngliche  Weisung  des  Heiligen  ankommt. 
Lc  und  Gde  haben  in  gleicher  Tendenz,  aber  doch  ver- 
schieden, diese  Weisung  zu  längerem  Dialog  benutzt,  der 
während  des  Marsches  zum  König  katechetisch  hin-  und  her- 
geht. [9]  Sie  erscheinen  vor  diesem,  der,  wie  in  P,  erschreckt 
vom  Stuhle  sinkt,  Lb  nur:  exterritus.  Lc  und  Gacde 
schieben  eine  Anrede  des  Heiligen  ein:  „Wenn  du  mich, 
seinen  Kneoht,  so  fürchtest,  wie  willst  du  vor  Gott  bestehen?^' 
Es  folgt  die  Frage  nach  Glauben  [religio,  Lb  fälschlich  regio], 
Herkunft  und  Namen,  und  die  Antwort,  die  in  P  nur  auf 
letzteren  Punkt  erging,  wird  ausführlich  gegeben,  mit  der 
sicher  nicht  ursprünglichen  Wendung,  die  alle  diese  Fassimgen 
aber  schon  gleicherweise  geben:  „G^nus  meum  mens  vultus 
indicat",  wozu  Lb  noch  fügt:   „ex  regione  Cananitida''.     [Gc 


49  Vorgeschichte.  49 

fallt  von  hieran  fort.]  j^Vanum  nomen'',  spottet  der  König,  sein 
Christus  werde  ihm  nicht  helfen.  Aber  wenn  er  den  Göttern 
opfern  wolle,  solle  er  in  grossen  Ehren  bei  ihm  stehen.  Der 
Weigerung  Christophori  ist  in  Ga  ein  Satz  eigen,  der  den 
irgendwelchen  festen  Zusammenhang  zwischen  P  und  dieser 
Erweiterungsgruppe  auch  einmal  im  einzelnen  beweisen  und 
zugleich  zeigen  mag,  wem  die  Priorität  zukommt.  P  lässt 
gleich  nach  dieser  Szene  und  einigem  pathetischen  Hin-  und 
Herreden  die  Soldaten  vortreten  [venerunt  ante  conspectum 
Dagni]  und  sich  zu  ihrem  Gefangenen  bekennen.  Der  König 
bietet  ihnen  aurum  et  argentum  immensurabile,  sie  weisen 
ihn  kräftigst  ab :  „Aurum.  et  argentum  tecum  sit  in  perditione'^ 
Dieser  Satz  rettete  sich  nun  rein  äusserlich  ungefähr  an  der- 
selben Stelle,  die  aber  jetzt  etwas  ganz  anders  Meinendes 
enthielt,  indem  Decius  den  eben  sich  nennenden  Heiligen  durch 
das  Anerbieten  der  Priesterwürde  verlocken  will,  in  Ga  hin- 
über, wo  es  nun  ganz  sinnlos  heisst:  yjb  dpyijpiöv  aou  Kai  t6 
Xpuaiov  aou  cruv  aoi  ein  dq  dTruiXeiav",  [Gd  verwischt:  „Movov  ?x€ 
Td  dTOiOd  aov  £(Tu."]  Lbc  sind  dem  entgangen  durch  eigene  rheto- 
rische Ausfuhrung,  und  die  so  hervortretende  Divergenz  steigert 
sich  im  Weiteren.  [10]  Doch  scheint  auch  darin  das  Lateinische, 
in  dem  der  Heilige  aufgehängt  und  grausam  zerfleischt  wird, 
in  dieser  seiner  Eohheit  einfacher  als  das  Griechische,  das  den 
an  den  Haupthaaren  Aufgehängten  und  mit  einem  grossen  Stein 
an  den  Füssen  Belasteten  mit  Schwertspitzen  ritzen  und 
durch  drei  Fackeln  anbrenzeln  lässt  [Gd:  eiq  rai^  fiacrxdXatg]. 
Beidemal  interveniert  die  Umgebung:  dort  dem  Gequälten 
zuredend:  „Was  schadet  's  dir  denn,  wenn  du  nun  wirklich 
opferst?^  hier  den  König  abhaltend,  ihn  ganz  zu  töten,  da  er  des 
längeren  zur  Ergötzung  dienen  oder  in  Kriegen  Hilfe  leisten 
soll  [Gd].  Gade  allein  eigen  ist  das  darauf  erneute  Angebot 
des  Königs,  ihn  zu  seinem  Wagenlenker  machen  zu  wollen. 

[11]  Dann  wird  der  Übergang  ins  Geleise  von  P  zu- 
rück derart  vermittelt,  dass  eben  diese  Umgebung  dem 
König  den  Bat  giebt,  den  Heiligen  durch  die  Buhlerinnen  zu 
verführen,  währ^d  in  P  Dagnus  aus  eigener  Initiative  sie 

4 


50  K-  Hichter  50 

besandte,  wie  Qtd  wohl  zufällig  wieder  herstellt.  Sie  werden 
in  ein  kleines  Gemach  zu  Christophorus  geschlossen  und  machen 
sich  mit  plausu  manuum  etc.  an  ihn.  Als  sich  der  Betende 
endlich  umwendet,  yerstummen  sie  furchtsam  vor  der  Macht 
seines  Blickes.  [13]  Die  sehr  einfachen  Fragen  und  Ant- 
worten, die  in  Lbc  darauf  folgen,  sind  namentlich  in  Ge 
au&  unschönste  erweitert  durch  die  Überlegung  der  Mädchen : 
ein  Diakon  habe  ihnen  einmal  gesagt,  Christus  lohne  auch 
noch  im  Himmel,  so  wollen  sie  lieber  ihm  folgen  und  dem 
Zorne  des  £önigs  trotzen  als  dem  des  Heiligen;  ein  niedrig- 
ungeschicktes Motiv.  [13]  Sie  bekennen  sich  also  zu  seinem 
Glauben,  gestehen  auch  auf  die  dumm-komische  Frage,  welches 
denn  ihre  Sünden  seien,  Mord  oder  Zauberei?  ihr  liebege- 
falliges  Gewerbe.  Der  Gefängnisaufseher  ruft  sie  zum  König,  und 
in  Ge,  wo  er  sie  mit  Christophorus  zusammen  in  frommem  Gebet 
gefunden  hat,  meldet  er  seinem  Herrn  scherzhaft:  „T6ixoij  ib^ 
uTToXajißdvuj,  Jtreiaav  töv  dvftpa".  Dieses  Detail  fehlt  Gd.  Es 
folgt  die  Enttäuschung:  „Auch  wir  glauben  an  den  einen  Gott^. 
Das  Genrehafte  dieser  Szene  hat  Lb  nicht,  es  schliesst  sich 
im  Femeren  enger  an  P  an,  wie  sich  gleich  darauf  offenbart 
[14]  Denn  da  treffen  Lc  und  Gade  eine  prinzipielle 
Teilung  der  in  P  durchaus  als  eine  Einheit  auftretenden, 
handelnden,  redenden  Frauen,  Lb  aber  hat  diese  Teilung  noch 
nicht  In  Lc  also  wird  Gallinice  [Gade  *AKuX(vr)^  an  den 
Haaren  aufgehängt  und  mit  zwei  Mühlsteinen  an  ihren 
Füssen  beschwert,  eine  weitere  Marter,  ein  Einschrauben  ihrer 
Brüste,  fehlt  in  Gude.  Als  ihr  so  die  Glieder  auseinander- 
gerissen  sind  und  die  Haut  in  Fetzen  vom  Körper  hängt 
wird  ihr  auf  des  Heiligen  Gebet  in  lieblichem  Schlafe  Er- 
lösung. Wie  Gde  hinzufügen:  am  ersten  April.  [16]  Jetzt 
soll  Aquilina  [Gade  KaXXiviKTi]  opfern,  Standbilder  und  gött- 
liche Ehren  werden  ihr  verheissen,  wenn  sie  es  thue.  „Quibus 
diis?"  fragt  sie.  „Herculi,  Jovi  et  Apollini".  „Deinen  Ver- 
sprechungen trauend  will  ich  es  thun^'.  Linteamina  werden 
vom  Palast  bis  zum  Tempel  gebreitet,  und  Herolde  ziehen 
verkündend  durch  die  Stadt.  —  Die  Übereinstimmung  zwischen 


51  Vorgeschichte.  51 

Lby  Lc  und  Ga  in  diesen  Fragen,  Antworten,  Einzelheiten, 
die  in  P  nicht  derart  ausgefilhrt  waren,  beweist  mir  aufs 
deutlichste,  dass  Lb  hier  eine  Zwischenstufe  von  P  zu  Lc 
Gra  darstellt.  Denn  vermag  man  sich  auch  bei  einigem 
guten  Wülen  einen  Bearbeiter  zu  denken,  der,  zwischen  zwei 
Yerschiedenen  Texten  stehend,  in  der  ersten  Hälfte  mehr  dem 
einen,  in  der  zweiten  mehr  dem  andern  Folge  schenkt,  so  ist 
doch  eine  derartige  Verschmelzung  im  Kleinsten,  wie  sie  in 
dieser  Szene  Yorliegen  würde,  etwas  mir  unglaubliches,  da 
auch  jeweilig  ein  Orund  der  Wahl  dieses  Hotives  daher,  jenes 
dorther  unerfindlich  wäre«  Stellt  man  sich  aber  die  dritte 
Möglichkeit  vor,  eine  Mittelstellung  von  Lb  in  der  umge- 
kehrten Reihenfolge  von  G-a  Lc  zu  P,  so  wäre  wiederum 
durchaus  nicht  zu  yerstehen,  warum  Lb  die  in  Lc  von  vorn- 
herein getrennten  Frauen  hätte  vereinigen  sollen,  da  sie  im 
Martyrium  schliesslich  audi  in  P  getcennt  erscheinen.  Da- 
gegen stimmt  zu  unserer  Ordnung  des  Textverhältnisses  der 
Verlauf  der  Opferszene  aufs  beste,  insofern  Ge  wieder  am 
reichsten  an  Detailzügen  ist.  Die  Priester  z.  B«,  die  in  P 
und  Lb  gar  keine  Bolle  spielen,  raten  in  Lc  der  ungehört 
zu  den  Götzen  Bufenden  zur  Busse,  in  Gde  müssen  sie  noch 
über  das  Bangverhältnis  ihrer  Gottheiten  Auskunft  geben, 
[16]  sie  geraten  in  Verlegenheit,  als  ihre  Vermittlung  in 
Anspruch  genommen  wird,  und  dgl.  Der  Vorgang  selbst  ist 
im  Ganzen  derselbe  wie  in  P,  nur  lebendiger  und  gesteigert, 
wie  also  noch  Herkules  als  dritter  Götze  hinzutritt  und  Aus- 
rufe wie  „Vocate  medicos,  et  curent  deos  vestros^',  „ZuXXiiSaTe 
Td  öotd  toxi  ^Xaiuj  Kod  dXon  KarabifKrare  ToOra"  den  Dialog 
mannigfacher  und  heftiger  machen.  [17]  Die  Priester  sind  es 
denn  auch,  die  die  Basende  vor  den  E[önig  führen,  auf  dessen 
Vorwürfe  sie  in  Gade  und  Lb  mit  einem  aus  P  erhaltenen 
Motiv  antwortet,  das  in  Lc  verloren  gegangen  ist :  „Tales  sunt 
dii  tui,  ut  a  mnUeribus  conliderentur^.  Eine  Marterzurüstung 
in  Gde,  das  £uXov  Terpdtovov,  das  in  Gb  Lbc  fehlt,  ist 
wohl  irrtümlich  aus  der  Marter  der  Gallenice  in  Lc  14  hier- 
her geraten  und  wird  künstlich  mit  dem  Folgenden  verknüpft. 


52  K.  Richter  52 

[18]  Die  wirkliche  Marter  giebt  Lb  für  beide  Frauen  ganz  kurz 
nach  P  mit  dem  Zusatz :  nono  kal.  aug. ;  Lc  Gade  lassen  sie 
ziemlich  übereinstimmend  auf  das  Grausamste  leiden:  ein  langer 
Pfiiem  wird  ihr  von  der  Ferse  bis  zur  Schulter  gebohrt,  und  die 
80  mit  Steinen  an  Füssen  und  Hals  Aufgerichtete  entschläft 
wieder  auf  das  Gebet  des  Heiligen,  am  8.  April,  wie  Gde 
meinen^  octavo  kal.  jul.,  wie  Lc  angiebt. 

[19]  Christophorus  selbst  wird  vor  den  König  geführt.  Man 
holt  Verschiedenes  nach,  was  in  F  der  Episode  von  den  beiden 
Buhlerinnen  voranging.  Da  erscheint  z.  B.  in  Ge[d]  das  berufene 
Wortspiel  und  sieht  hier  fast  wirklich  als  ein  solches  sich  an, 
wenn  es  heisst :  , AtKa(u)^  ^KXrjOr)^  A^Kioq  -  Ö6ktik6^  fäp  ei  ifjq 
dvepyeiag  toO  biaßöXou".  Aber  offenbar  ist  die  Übersetzung 
des  älteren  Textes  Ga  genauer:  Aoxög  yäp  ei  toO  öiaßöXou, 
<yüvb€(T|io^  ei  Tou  iraTpöq  aou  toO  Zaravä  etc.,  die  denn  freilich 
wohl  erweist,  dass  man  damals  schon  nach  einem  Wortspiel 
suchte  und  es  durch  Veränderung  von  Dagnus  in  Alxio^  in 
zweifacher  Gestalt  herzustellen  verstand.  Lc  giebt  davon 
nichts.  [20]  Weit  wichtiger  ist,  dass  an  dieser  Stelle  die 
Szene  der  bekennenden  Soldaten  nachträglich  erscheint.  Die 
Verbindung  ist  eine  ganz  thörichte:  Christophorus  erblickt  sie 
plötzlich  sicut  ex  longa  peregrinatione  venientes  und  ruft  sie 
herbei.  Sie  werfen  dem  Könige  ihre  Waffen  vor  die  Füsse 
und  begrüssen  den  Heiligen,  der  die  Furcht  jenes  vor  poli- 
tischem Aufstande  —  „'AvrdpTTi^  jliou  Y^jova?"  —  beruhigt. 
[21]  Die  versuchte  Überredung  ist  sodann  aus  den  kurzen 
Worten  in  P  zu  einem  umfänglicheren  Dialog  erwachsen, 
zu  einer  heimlichen  Zwiesprach.  Aber  die  Soldaten  sind 
standhaft  und  leiden  den  Schwertestod.  Nach  Gde  am 
7.  April,  auch  lassen  sie  mit  Ga  die  Leichen  verbrennen, 
die  dann  in  Gd  von  den  eöcreßei^  geraubt  werden  [cf.  Lc  26]. 
—  Lb  erkannte  die  lockere  Einfügung  dieser  Episode  und 
suchte  nach  einer  besseren,  die  nicht  übel  geriet.  Christo- 
phorus begegnet,  als  er  aus  dem  Gefängnis  geholt  wird,  einer 
Menge  Volkes  und  darunter  jenen  Soldaten,  die  er  bekehrt 
hat,  sie^  umringen  ihn  und  fragen:    „Was  sollen  wir  thun. 


53  Vorgeschichte.  53 

Meister,  wenn  du  in  den  Tod  gehst?^'  Seines  Zuspruchs  ermutigt^ 
ziehen  sie  mit  ihm  zum  König  und  sterben  für  ihr  Bekenntnis. 
[22]  Es  folgen  in  Lbc  Gade  ziemlich  gleicherweise  die 
Vorbereitungen  zur  Marterung  des  Heiligen.  Das  Stäupen 
mit  eisernen  Buten,  das  Lb  aus  P  noch  übernahm,  ist  in 
Lc  und  Gade  zwar  als  unerheblich  fortgefallen,  aber  die 
Aufstellung  des  eisernen  Rostes  [Gd  x<^^köv  irrroKdfiiaov?], 
die  Aufhäufung  von  Holz  etc.  sind  geblieben.  Nur  dass  Lb 
und  Ga  keinerlei  Zahlenangaben  haben,  woraus  man  vielleicht 
auf  einen  älteren  zahlenlosen  Zustand  von  P  schliessen  könnte, 
aus  welchem  sich  die  ganz  verschiedenartigen  Zahlen  in  P 
Gde  Lc  als  eine  naheliegende  Ergänzung  entwickelten. 
[23]  Lb  erzählt  dann  einfach  P  entsprechend  weiter,  dass 
der  Scheiterhaufen  schmilzt  velut  liquens  cera  und  der  Heilige 
unversehrt  und  leuchtenden  Antlitzes  mitten  in  den  Flammen 
steht.  Lc  und  Ge,  nachdem  ersteres  offenbar  ganz  sekundär 
noch  ausgeführt  hat,  wie  ein  Feuerstrom  vom  Scheiterhaufen 
herabrinnend  sich  ausbreitet,  die  Flamme  dreissig  Häuser 
ergreift  und  viele  der  zuschauenden  Heiden  unikommen,  geben 
dazu  eine  Vision  des  so  wunderbar  Bewahrten,  die,  als  den 
Höhepunkt  dieser  erweiterten  Fassungen,  Gd  unbegreiflicher- 
weise unterschlagen  hat.  Ghristophorus  schaut,  vom  Scheiter- 
haufen aus,  mitten  auf  dem  Marktplatz  der  Stadt  einen  grossen, 
herrlich  gestalteten  Mann.  Sein  Antlitz  strahlt  wie  die  Sonne, 
seine  Kleider  leuchten  wie  Schnee,  und  ihn  umgeben  wenige 
glänzende  Krieger.  Da  kommt  ein  anderer,  schwarz  ist  sein 
Ansehen,  dunkle  Scharen  begleiten  ihn,  sie  starren  von  Waffen, 
und  ihre  Haare  ringeln  sich  wie  Ketten.  Sie  stürzen  sich  auf 
das  Gefolge  des  Herrlichen  und  schlagen  es  in  die  Flucht, 
der  Fürst  der  Schwarzen  erhebt  sich  triumphierend  auf  den 
eroberten  Thron.  Kurze  Zeit  vergeht.  Da  wendet  sich  der 
Fürst  des  Lichtes,  zerschmettert  die  Heere  des  Gegners, 
schmiedet  ihn  mit  feurigen  Ketten  an  und  zerstört  seine  Sitze. 
[24]  Von  der  Gewalt  dieses  Gesichtes  getroffen,  jauchzt  das 
Yolk  dem  Heiligen  zu  und  befreit  ihn,  zehntausend  Menschen 
bekehren  sich,  und  der  König  muss  fliehen.     [25]  Erst  am 


54  K:.  Richter  54 

andern  Morgen  rafft  er  sich  zu  neuem  Entschlüsse  auf:  grosse 
Götzenopfer  sollen  yeranstaltet  werden.  Christophorus  mit 
seinen  Gläubigen  kommt  dazu^  und  sie  ziehen  durch  ihren 
Gesang  die  Aufinerksamkeit  der  Heiden  auf  sich.  Als  dem 
König  davon  Meldung  gemacht  wird,  lässt  er  sie  umzingeln 
und  alle  ausser  dem  Heiligen  erbarmungslos  niedermetzeln, 
am  9.  Juliy  setzen  Gae  diesmal  hinzu,  Gkd  konsequenter  am 
9.  April,  und  es  waren  10303,  sagt  G-a.  [86]  Eine  Erweiterung, 
die  in  der  Klarheit  ihrer  Absicht  uns  erwttnschter  ist,  schliesst 
sich  statt  dessen  in  Lc  an :  die  Körper  der  Getöteten  werden 
in  einem  grossen  Ofen  yerbrannt  und  ihre  Asche  in  Säcke 
gethan,  dass  kein  Christ  sich  ihrer  bemächtigen  könne.  Da 
erhebt  sich  auf  Ohristophori  Ghebet  ein  grosses  Erdbeben, 
der  Sitz  des  Königs  stürzt  zusammen,  und  alle  flüchten  ent- 
setzt. Ein  Archidiakon  des  Bischofs  Atanasius  kann  nun 
mit  seinen  Brüdern  die  G-ebeine  der  Märtyrer  sammeln  und 
in  seine  Stadt  bringen. 

Auch  im  Weiteren  kommen  dann  Lc  und  Gade  nicht 
mehr  recht  zusammen.  Gemeinsam  mit  Lb  zwar  haben  sie 
noch  den  grossen  Stein:  Lc  und  Gade  sagen,  30  Männer 
konnten  ihn  nicht  tragen.  Während  er  aber  in  Gade  an 
Christophori  Hals  gekettet  und  dieser  so  belastet  in  einen 
Brunnen  geworfen  wird,  aus  welchem  ihn  englische  Hilfe  er* 
hebt,  wird  in  Lb  der  Heilige  mit  ihm  durch  die  Strassen 
geschleift,  Lc  jedoch  erweitert  den  Zug  zu  einer  wunderbaren 
Geschichte,  wie  ihm  der  Stein  die  Brust  in  Stücke  reibt  und 
die  Schergen  ihn  schliesslich  für  tot  darunter  liegen  lassen. 
Gott  aber  bdebt  ihn  wieder,  er  nimmt  den  Stein  auf  und 
tritt  vor  den  König  mit  den  spasshaften  Worten:  „Vis  ut 
percutiam  te  de  hoc?''  Dieser  Erguss  der  eigenen  Phantasie 
hat  denn  Lc  auch  so  erschöpft,  dass  es  auf  alle  weiteren 
Martern  verzichtet  und  am  folgenden  Morgen  den  König  die 
Sentenz  über  Christophorus  fiLllen  lässt.  Dagegen  bieten  Gade 
noch  eine  kurze  Notiz  über  einen  glühenden  ehernen  Umhang, 
der  an  Stelle  des  feurigen  Helmes  in  P  getreten  ist  und 
den  Heiligen  nicht  zu  verletzen  vermag.     Weit  wichtiger  ist 


55  Vorgeschichte.  56 

hier  Lb,  das  berichtet,  wie  derselbe  an  einen  Stamm  ge- 
bunden und  vergebUch  mit  Pfeilen  beschossen  wird,  obwohl 
der  König  und  sein  Gefolge  ihn  getroffen  glauben.  F  be< 
wahrt  gleichfalls  die  Erinnerung  an  dieses  Ffeilwunder  yon 
Py  aber  mit  dem  yerkümmerten  Schluss,  dass  die  Pfeile 
zurückspringen  und  den  König  und  seine  Bitter  verwunden. 
Die  Abweichung  oder  üngenauigkeit  zeigt,  wie  hier  ein  einst 
hauptsächliches  Motiv  im  Absterben  begriffen  ist;  unmöglich 
kann  ich  darin  einen  ersten  Keim  für  eine  spätere  Aus- 
weitung in  P  sehen,  wie  Mussafia  [p,  7]  offen  lässt.  Dieses 
Mehr  in  F  gegenüber  Lc  ist  auch  für  die  Beurteilung  jener 
ersten  überschüssigen  Ortsangabe  in  F  von  Bedeutung.  Dar- 
nach endlich  das  Todesurteil  in  Lb  imd  F. 

[27]  In  dem  frommen  Bedewerk,  das  zu  dessen  Ausführung 
nötig  ist,  steht  dann  wieder  Lc  voran.  Ja  es  giebt  gar  eine 
neue  Vision  des  Heiligen,  in  der  sich  ihm  die  Herrlichkeit 
Gottes  offenbart  und  besonders  seine  Beliquien  gesegnet  werden. 
Das  Schlussgebet  wird  in  all  diesen  abgeleiteten  Fassungen 
gegen  P  mehr  oder  minder  aufgeschwellt.  Lb  vergisst  die 
ira  flammae,  gegen  die  Ohristophori  Gedenken  schützen  soll, 
die  mortalitas  erscheint  als  pestifer  morbus.  Lc  und  Gae 
dagegen  hegen  mehr  agrarische  Wünsche  inbetreff  der  Wein- 
berge, Gd  bewahrt  in  ireTva  die  alte  fiEunes.  Gegen  Ende 
fliesst  schliesslich  alles  auseinander.  [28]  Ge  redet  von  vielen 
Wundem  des  hL  Leichnams,  von  dem  Fieber,  das  den  König 
ergreift  und  verzehrt,  bis  er  ins  ewige  Feuer  muss,  Gad  führen 
des  weiteren  seine  Klagen  aus  und  lassen  auch  sein  Weib  ein- 
stimmen, eine  dunkle  Beminiszeuz  an  die  Heilung  des  Auges  in 
P  klingt  leise  an,  indem  seine  Diener  dem  Sterbenden  auf  sein 
heftiges  Verlangen  nach  irgend  etwas  von  dem  Heüigen  Be- 
rührtes Erde  vom  Orte  des  Martyriums  in  Wasser  gelöst  zu 
trinken  geben.  Lc  aber  berichtet,  wie  der  Bischof  Atanasius 
den  Körper  des  überwinders  den  königlichen  Schergen  abkauft 
und  in  seine  Stadt  bringt.  Da  steigt  der  Fluss,  an  dem  sie  liegt, 
und  überschwemmt.  Der  Bischof  baut  eine  Basilika  und  stellt 
die  hl.  Überbleibsel  hinein :  und  die  Wasser  fliessen  zurück. 


56  K.  Richter  56 

So,  sehen  wir,  gehen  die  Fäden  hin  und  her,  von  einem 
Text  zum  andern,  fast  unentwirrbar.  Nur  einige  Vermutungen 
wage  ich  anzudeuten.  Was  an  Lc  so  auffallig  sein  muss, 
ist  das  Verhältnis  des  Schlusses  zum  Anfang.  Erst  klar, 
einfach,  kurz,  dem  griech.  Bival  gegenüber  sichtlich  ursprüng- 
licher, dann  plötzlich  diese  aufgeschwellten  Gebete  und  Wunder, 
dieses  Hervordrängen  der  Reliquien.  Eine  bewusste  Tendenz 
in  dieser  Richtung  ist  unyerkennbar.  und  darum  glaube  ich: 
Lc  ist  in  seinem  letzten  Teile  zu  bestimmtem  Zwecke  ge- 
arbeitet worden.  Irgend  eine  Stadt  —  das  zweimalige  Italia 
superior  wäre  zu  beachten  —  mochte  angebliche  Reliquien 
des  Heiligen  besitzen,  deren  Echtheit  darzuthun  galt:  so  wurde 
die  vorhandene  Fassio  aufs  roheste  um  einige  dahin  zielende 
Thatsachen  erweitert.  Lb  hat  noch  die  alten  Namen,  im 
ersten  Teil  aber  schon  manches  Veränderte  gegenüber  P;  es 
ist  nur  sehr  vorsichtig  zu  benutzen,  weil  es  aus  Freude  an 
rhetorischem  Aufputz  das  Hinundher  der  Ereignisse  minder 
achtet  und  in  einen  pathetisch  glänzenden  Stil  eingeglättet 
hat,  was  sich  ursprünglich  rauher  und  charakteristischer  wird 
ausgenommen  haben,  wie  Lc  im  ersten  Teile  zeigt  Dennoch 
kann  es  gute  Dienste  leisten  zur  Kontrole.  F  beweist,  dass 
wir  in  Lc  nur  eine  schon  wieder  abgeleitete  Gestalt  der  zu 
partikulärem  Zwecke  verfertigten  Bearbeitung  haben,  bei  all- 
gemeiner  grosser  Treue  der  Übersetzung  enthält  es  einiges 
Ursprünglichere.  Zu  einer  weiteren  Denkbarkeit,  wenn  ich 
so  sagen  darf,  verhilft  üsener  durch  seine  Einleitung  zu  den 
Acta  S.  Marinae,  die  mit  Ga  zusammen  in  einem  Dritteil 
eines  Martyrologs  enthalten  sind.  Der  Schreiber  dieser  Acta 
nämlich  erklärt  für  seine  Quelle  das  Martyrologium,  welches 
Methodius,  der  spätere  Patriarch  von  Konstantinopel  und  sein 
ganzes  Leben  hindurch  ein  Hauptfeind  der  Bilderstürmer, 
während  seines  durch  deren  zeitweiligen  Sieg  veranlassten 
Aufenthaltes  in  Rom,  815 — 21,  verfasst  hatte;  und  üsener 
hat  bemerkt,  dass  dieses  Werk  sehr  wohl  noch  die  Quelle 
anderer  Stücke  des  Kodex  sein  möge,  da  es  vor  Symeon 
Metaphrastes  sich  des  grössten  Ansehens  erfreute.    Man  dürfte 


57  Vorgeschichte.  67 

sich  also  Yorstellen,  dass  Methodius  in  Rom  einen  Lc  nahe- 
stehenden Text  fand  und  mit  einigen  Umänderungen  über- 
setzte. Dedus  fand  er  bereits  vor,  Babjlas  kam  durch  ihn  hinein, 
indem  er  dadurch  die  hauptsächlichsten  lokalen  Erweiterungen 
hinausredigierte.  Diese  Bearbeitimg  fand  in  Griechenland 
eifrige  Verbreitung,  die  z.  T.  dem  interessanten  Charakter, 
z.  T.  dem  Mangel  an  einer  Tradition  über  den  Heiligen,  wie 
ihn  negativ  auch  Symeon  Metaphrastes  bezeugt,  zuzuschreiben 
ist,  mannigfache  Erweiterungen  im  einzelnen  traten  aus- 
schmückend hinzu,  imd  in  Ge  haben  wir  diejenige  Gestalt, 
die  von  den  bisher  zu  Tage  gekommenen  die  Tendenz  am 
ausgeprägtesten  zur  Erscheinung  bringt.  In  den  östlichen 
Ländern  dagegen  gewann  die  erweiterte  Fassung  gegen  die 
ältere  einfachere,  und  doch,  namentlich  gegen  den  Schluss 
hin,  auch  interessante  Passio  keinen  rechten  Boden.  Dass 
die  yerschiedenen  Texte  sich  schliesslich  fast  alle  in  Paris 
zusammenfanden,  war  ein  Spiel  des  Zufalls.  Was,  wenn  es 
so  oder  iUinlich  war,  freilich  hinfällig  wird,  ist  das  Bestreben 
üseners,  aus  den  griechischen  Texten  etwas  für  den  griechi- 
schen Dialekt,  wie  er  um  das  pisidische  Antiochien  um  die 
Wende  des  vierten  zum  fünften  Jh.  gesprochen  wurde,  zu 
gewinnen;  ich  enthalte  mich  des  Urteils  darüber.  Eine  für 
uns  wichtigere  Folge  wäre,  dass  wir  die  Fassung  P  resp. 
einen  ihr  schon  ungefähr  entsprechenden  Alterzustand  von 
der  Mitte  des  neunten  Jahrhunderts  auf  seinen  Beginn  zurück« 
zudatieren  hätten. 

Aber  es  sei  darum.  Denn  auch  das  bestätigt  mir  die 
Richtigkeit  meiner  Ansicht  von  dem  genetischen  Verhältnis 
der  Texte,  dass  in  den  erweiterten  nichts  hinzugekommen  ist, 
was  als  Charakteristikum  gerade  der  Christophoruslegende 
zu  gelten  hätte.  Die  wunderbare  Heimat,  die  übermensch- 
liche Grösse,  der  Hundskopf  u.  s.  w.  finden  sich  naiver  und 
ursprünglicher  in  P;  dass  die  Stammesgenossen  des  Heiligen 
auch  noch  Menschenfresser  sind,  ist  eine  sekundäre  Folge 
ihrer  Hundsköpfigkeit.  Die  Begabung  mit  der  Landessprache 
ist  aus   einer  Andeutung   ausgeführt,   und   das  Stabwunder 


58  K-  Biohter  58 

fester  eingefugt  worden.  Im  Martyrium  selbst  bemerken  wir 
nur  ein  raffiniertes  Zuspitzen  des  in  F  Geschehenden.  Setzt 
dieses  seine  Fakta  hart  und  unvermittelt  nebeneinander,  so 
tritt  in  den  Erweiterungen,  Ton  Lb  bis  zu  Qte  hin,  das  Be- 
streben  zu  Tage,  sie  durch  Ubeigänge  zu  verbinden,  dem 
Ganzen  zu  einer  leichteren,  gefälligeren  Einheit  zu  verhelfen: 
man  denke  an  die  Vorgeschichte,  die  Soldaten  und  das 
Speisungswunder,  BaxOioOc  etc.  Zum  Zweck  der  Steigerung 
löst  man  die  Szenen  der  beiden  Buhlerinnen  auf,  erfindet  man 
singulärere  Martern,  die  man  mit  geheimer  Lust  häuft.  Ein 
nicht  unbegabtes  Ersahlertalent  muss  das  Hauptsächliche 
gethan  haben,  dass  selbst  uns  noch  ein  Gefühl  grausiger 
Spannung  sich  aufdrängt.  Die  bessere  Motivierung  der  List 
durch  den  vorhergehenden  grausamen  Tod  der  Schwester,  die 
anschaulich  lebhafte  Zerstörung  der  Götzenbilder  mit  dem 
zerrissenen,  höhnischen  Dialog,  der  Apostrophe  an  die  rat- 
losen Priester,  die  schliessliohe  Fesselung  der  patvofi^vn  und 
ihr  fürchterliches,  aber  schnell  und  kurz  berichtetes  Ende 
erheben  die  Erweiterung  über  den  Muttertezt,  was  ihren  Wert 
als  Erzählung  anlangt;  und  auch  die  Vision  des  Christophorus 
auf  dem  Scheiterhaufen,  der  £ampf  der  himmlischen  und 
höllischen  Heerscharen,  ist  wirkungsvoll  an  der  richtigen  Stelle 
eingefugt  und  bietet  einen  exfreulichen  Gegensatz  zu  dem 
vielen  gleichmässig  Krassen,  was  dem  Stoffe  seiner  Natur 
nach  anhaftet:  dem  rohen  Geschehen  wird  darin  die  geistige 
Formel  ausgesprochen.  Aus  allem  aber  müssen  wir  endlich 
den  Eindruck  einer  bewusst  und  berechnet  künstlerisch 
Legendenerzählung  erhalten,  die  als  ein  höchst  Potenziertes 
dem  derberen,  nur  mit  jenem  unbewussten  volkstümlichen  Reiz 
der  Kraft  ausgestatteten  F  sich  zur  Seite  stellte.  Das  hätte, 
meine  ich,  von  vom  herein  davon  abhalten  sollen,  hier  etwas 
ursprüngliches  finden  zu  wollen.  Eine  solche  Herausarbeitung 
des  Bomantisch -wunderbaren  in  der  Ferson  des  Heiligen: 
'Avftp  vcavia^,  q)oßepö?  tijj  e!Ö€i,  Kai  imfep  ^€T^Gt}^  rif»  a\i)\ioui 
KQi  T(|i  irdxci '  oi  bk  öcpOaX^oi  aÖTOu  dj^  dari^p  ö  irpun  dvaT^XXujv, 
Kai  oi  öbövre^  aÖToO  uj^  (XiidTpou  iSdxovrec  ist  für  eine  auf 


59  Vorgeachichte.  59 

das  Ursprüngliche  ausgeheDde  SIritik  gerade  so  verwerflich 
wie  die  späteren  deutschen  Erdichtungen,  denen  wir,  wie  sie 
Tielfai^  in  gleicher  Tendenz  sich  äussern,  begegnen  werden. 
Aber  während  die  edd.  BoU.  den  Nachrichten  der  Menaea 
magna  emst  sehr  kühl  gegenüberstanden,  sind  ihre  Nachfolger 
überzeugt:  die  griechischen  acta,  „quamquam  naevo  non  carent, 
iabnlosa  non  sunf^. 

Was  aber  die  Menaea  tnagna  bieten,  ist  lediglich  ein 
Auszog  aus  der  erweiterten  Fassung.    Bereits  das  Sjnazarium 
Basilianum,  das  in  die  Zeit  zu  setzen  ist,   da  Walther  von 
Speier  sein  Gedicht  Yerfasste^),  giebt  unter  dem  9.  Mai  eine 
dürftige  'AOXikti^  toö  dyiou  iidprupo^  Xpi(rroq)öpouy  die  auf  sie 
zurückgeht.    Ja,  der  Geist  der  Yemeinung  regt  sich  schon: 
A^TOvrat  nva  iropd  nvuiv  TCpaTdj&ii  Kui  irapdbo^a,  &n  t€  icuvo- 
iTpöaumo^  fiv  TTp^Tcpov  Kai  dvOpUmouc  i^aOicv,  Ootcpov  bi  Herd 
TÖ  mareCaat  vIp  Xpiav^  MCTC^op^pdiOi).    und  nicht  übel:  Ouk 
{an  b^  toOto  *  dXXd  nve^  ainbv  ourui^  ötT6vöii0av,  b\ä  t6  ^Oviköv 
€ivai  Kui  dTptov  Kul  cpoßepöv.    Es  heisst  dann  direkt,  Ohristo- 
phorus  konnte  nicht  XaXfiaai  fpalKKTTu    Sonst  nur  ein  dürftiger 
Extrakt    Noch  weniger  bietet  das  Menologium,  das  Henr. 
Oanisius  herausgab*),  Oallinice  und  Aquilia  heissen  die  mere- 
trices.    Die  Menaea  magna  —  mir  war  nur  zugänglich  das 
MiivaTov  ToO  Maiou,  Venedig  1843  —  entlehnen  die  einleitende 
kritische  Befiexion  wörtlich  dem  Synaxarium  Basilianum,  so- 
dass der  Wert  einer  Stelle,  die  statt  des  \ii\  buvd^evoc  XaXfi- 
aat  rpoiKiari  einüftcher  giebt  (pO^rr^aOoi  ^f|  buvdfievoc,  wobei 
uns  die  Lesart  von  Gd   einfällt,    gering    anzuschlagen   ist. 
Es  folgt  ein  längerer  Auszug,  der,  an  sich  nicht  gerade  sehr  ge- 
schickt, in  der  ausgeführteren  Charakteristik  der  beiden  Frauen 
und  der  Nacherzählung  der  Vision  des  Heiligen  das  Bestreben 
zeigt,  zu  interessieren.    Die  benutzte  Version  stand  vielleicht 
dem  Text  Ge   nahe.    Inhaltlich  entspricht  genau,  was  der 
Zirva£apiOT/i^  des  Nik6öt]M0^  'ÄTiopefTri^  •)   mit  durchgehends 

*)  Baronii  Ann.  eocl.  ed.  Tbeiner  XV,  898. 
*)  Lect  antiqoae,  Antyerp.  1725,  Hl,  409  ff. 
>)  Zakynth  1868,  IH,  27/28. 


60  K-  Biohter  60 

veränderten  Worten  unter  Berufung  auf  zwei  Passiohss.  in 
den  Athosklöstem  Laura  und  Iwiron  giebt,  die  den  mit- 
geteilten Anfangsworten  nach  jene  griechisclie  Fassung 
enthalten. 

Als  ein  lateinischer  Auszug  derselben  Art  etwa  stellt 
sich  dar,  was  Yincentius  Bellovacensis  ^)  über  den  Heiligen 
sagt.  Vorlage  war^  wörtlich  benutzt,  Mussafias  lat.  Text  Lb. 
Die  andern  grossen  Heiligenencyklopädien  folgen,  soweit  ich 
sehe,  der  kurzen  lateinischen  Passio  mit  geringen  Abweichungen, 
je  nach  der  betr.  Bedaktion  derselben^. 

Einiges  textgeschichtliche  Literesse  bietet  noch  der 
Hymnus  des  Breviarium  gothicum^),  weil  er  die  Geschichte 
des  HeiUgen  in  grossen  Zügen,  anscheinend  auf  Grund  einer 
der  Becension  Lc  nahestehenden  Fassung,  versificiert.  S.  auch 
0.  Wichtiger  ist  hier  nur,  dass  die  eine  Dirne  Gallenia  genannt 
wird;  denn  da  man  wohl  den  Ursprung  des  Brev.  goth.  aus 
dem  Orient  herleitet  und  vor  seinem  Inhalt  als  etwas  Altem 
Ehrfurcht  zu  haben  pflegt,  so  könnte  hier  die  Anknüpfung 
an  die  griech.  Fassungen  gesucht  werden,  wenn  nicht  eben 
Gallenia  von  KaXXiviKr)  weiter  entfernt  wäre  als  Gallinice  in 


^)  Speculum  historiale,  Norimb.  1483,  üb.  XIV,  24. 

*)  Ich  erwähne,  was  mir  unter  die  Hände  gekommen  und  etwa 
dabei  aufgefallen  ist:  Surius  Historiae  seu  vitae  sanctorum  1570 — 75 
[neue  Turiner  Ausg.  tom.  YH  1877  p.  506  sqq.]  lieferte  einen  abscheulich 
faden  Extrakt.  Im  wesentlichen  stimmt  mit  ihm  überein  Thoma  de 
Trugillo  im  n.  Band  col.  1871 — 73  der  Thesauri  condonatorum,  Venetüs 
1584,  doch  ist  der  Stil  etwas  erträglicher,  ebenso  Franc.  Heraeus  Yitae 
sanctorum,  Antverp.  1598,  560/1.  Auch  Pedro  de  Kibadeneyra  in  seinem 
Flos  sanctorum,  de  las  yidas  de  los  santos,  Madrid  1599 — 1610,  zugänglich 
war  mir  die  Ausg.  Barcelona  1705,  II,  295/6,  schöpft  aus  Surius,  wie  es 
scheint,  doch  weicht  die  Erzählung  z.  B.  darin  ab,  dass  nicht  der  Konig  von 
einem  Pfeile  des  Auges  beraubt  wird,  sondern  einer  der  Schergen;  ausser- 
dem, was  aber  möglicherweise  ein  Druckfehler  jener  Ausg.  ist,  heisst  die 
eine  Buhlerin  Aniceta,  in  der  lat.  Übersetzung  des  Jacob  Nioeta,  Göln  1659, 
steht  richtiger  Niceta.  Lippelous  Vitae  Sanot.,  Göln  1616,  HI,  264 — 67, 
und  Tamayus  Salazar  Martyrologium.  Hispanum,  Lugduni  1656,  IV,  240  ff., 
giebt  einen  gekürzten  Bericht  nach  Bibadeneyra. 

»)  Patr.  lat.  LXXXYI,  1166  [Liturgia  Mozarabica]. 


61  Vorgeschichte.  61 

Lc.     Ich  halte  den  Hymnus  für  einen  ziemlich  späten  Zusatz^ 
wie  das  Breviar  manche  enthält^).  —  —  — 

Von  Walther  von  Speier  gingen  wir  aus,  eine  Geschichte 
des  ihm  überlieferten  Stoffes  wurde  dann  über  ihn  hinaus 
gefuhrt.  Die  Arbeit,  die  oft  nicht  zu  unbedingten  Resultaten 
fährte^  h&tte  unterbleiben  können,  wenn  es  sich  nur  um 
Walther,  nur  um  diesen  Stoff  handelte.  Aber  aus  ihm  erwuchs 
im  Laufe  der  Zeit,  vielleicht  etwa  zwei  Jahrhunderte  nach 
Walther,  eine  der  schönsten  und  tie&ten  christlichen  Legenden. 
Ihre  Geschichte  scheint  nach  Deutschland  als  ihrem  Ent- 
stehungsorte zu  weisen. 


^)  8.  die  Anm.  zum  Missale  mixtum  Fatr.  lat.  LXXXV,  795/6. 


n. 

Die  Ausbildung  der  Christophiegende  in  Deutschland. 

Wir  haben  zwei  selbständige  poetische  Oestaltongen  der 
Christophlegende  in  deutscher  Sprache.  Die  eine  ist  in  jedem 
Betracht,  in  Äusserem  und  Innerem,  die  eigentümlichere. 

Wir  nennen  sie  A.  Sie  ist  von  A.  Schönbach^)  heraus- 
gegeben worden,  nach  den  beiden  Hss.  a  und  b  [Seh.  A  und  B], 
deren  erste,  in  der  Bibliothek  zu  S.  Florian  bei  Linz,  im 
14.  Jh.,  deren  zweite,  in  der  Wiener  Hofbiblioth.  befindlich, 
im  15.  Jh.  geschrieben  worden.  Schönbach  behauptet,  dass 
„das  Gedicht,  wie  es  uns  vorliegt,  ins  14.  Jh.  gesetzt  werden 
muss,  dass  aber  ein  Gedicht  des  12.  Jhs.  ihm  zu  Grunde 
gelegen  hat  und  darin  tiberarbeitet  worden  ist'^  Etwas  un- 
bestimmt hat  er  später^)  eingeschränkt,  dass  er  es  „nicht 
mehr  fär  so  alt  ausgebe  wie  früheres  ^^^  Piper^  nimmt  eine 
Vorlage  aus  dem  13.  Jh.  an.  Wir  können  nicht  umhin,  zu 
diesen  Ansichten  Stellung  zu  nehmen. 

Zunächst  aber  eine  Klage,  die  unvermerkt  zu  Positivem 
ftihren  soll.  Scbönbachs  Ausgabe  ist  nicht  zuverlässig  in  der 
Wiedergabe  der  handschriftlichen  Zustände  und  oft  willkürlich 
im  Konjekturalkritischen. 

Der  damalige  Bibliothekar  des  Stiftes  S.  Florian,  Joseph 
Chmel,  hat  1827  die  Hs.  a  abgeschrieben.  Seine  Abschrift 
kopierte  vom  21.  bis  zum  23.  Januar  1832  Wilhelm  Grimm 
in  Göttingen,  dessen  wieder  Müllenho£F.  Letztere  hat  Schön- 
bach benutzt.    Ob  er  ausserdem  noch  die  Hs.  selbst  eingesehen 

0  Zfda.  XVn,  86—186. 
«)  Zfda.  XXVI,  83. 

')  Geistl.    Dichtung    des    Mittelalters,    Deutsche     Nat. -Litt,    ed« 
Kürschner  III,  71. 


63  Ausbildung  der  Legende.  63 

hat,  darüber  wäre  eine  Äusserung  nicht  unnütz  gewesen. 
Denn  ich  habe  den  Eindruck,  dass  seine  Kenntnis  des  Textes  a 
allein  auf  Grimm  beruhe.  Zu  Y.  918  bemerkt  sein  Apparat, 
dass  er  in  a  fehle;  in  Grimms  Blättern  fehlt  er  aber  noch 
nicht.  Wilhelm  Grimms  Schriftzüge  in  ihrer  bescheidenen 
Keinlichkeit  konnten  nicht  gut  verlesen  werden,  Müllenhoff 
schrieb  weniger  deutlich.  Ich  wage  es,  a  und  das  Grimmsche 
Heft  als  ein  für  Schönbach  Identisches  zu  betrachten  und 
danach  ein  paar  Ergänzungen  oder  Besserungen  des  Apparates 
zu  bieten,  nur  die  augenfälligsten.  Dabei  sei  auch  für 
mich  a  xmd  jenes  Heft  dasselbe,  bis  auf  die  Stellen,  wo  es 
anders  bemerkt  ist,  weil  die  Chmel-Giimmsche  Abschrift,  ab- 
gesehen von  orthographischen  Elleinigkeiten  [c  cz  ▼  u  ü  etc.] 
bei  einer  Yergleichung  mit  dem  Original  sich  als  ganz  aus- 
gezeichnet herausgestellt  hat. 

y.  93  Chmel  liess  hinter  cynd  do  di  menschait»  ans 
«gar»  und  ein  unleserliches,  mit  «ver-»  beginnendes  und  mit 
<-t»  schliessendes  Wort.  V.  24  Seh.  «durch  Christemm», 
a  «durich  christezum».  Y.  26  Seh.  «Marian  ir  herz»,  a  «Mariaz 
ir  herz».  Y.  203  Ohmel  liess  hinter  «daz  man  peruft  ein» 
aus  «vareys»,  cf.  b.  Y.  224  Er  verlas  «maaz»  aus  «maraz», 
cf.  b  «moraz»,  Y.  292  «chamereu»  aus  «chamerem»,  cf.  b. 
Y.  304  sagt  Offorus  zu  seinem  Yater  «„ich  chan  weder  weis 
noch  tugent^»,  Seh.  giebt  ein  sinnloses  «was»  statt  «weis». 
Y.  366  W.  Grimm  hat  nicht  «geschrart»,  sondern  «geschrazt», 
wie  auch  seine  Konjektur  zum  nächsten  Yerse  beweist:  «ge- 
bluotet  Taste»  für  handschrifUiches  «vast  geplüttet»,  so  dass 
8ch.'8  Bemerkung,  seine  Konjektur  «harte»  —  denn  auch  b 
hat  «yast»  —  fehle  in  a,  überflüssig  erscheint.  In  Wahrheit 
liest  ai>er  a  «gechraczt»,  und  «schratzen»  ist  aus  Lezers 
Mhd.  Wb.  II,  789  zu  streichen.  Y.  377  a  «sein  mol  ze 
nacht  waz  im  rnchund»,  Seh.  «mol  er  nacht  war».  Y.  448 
a  «vechen».  Seh.  «regen».  Y.  626  «daz  daz  zaichen  ist  des 
chrewzes  genist»  hat  a  ganz  deutlich,  nicht  «gerust»,  wie  Seh. 
meint,  auch  konjiziert  W.  Grimm  nicht  «geriet?»  Y.  661 
a  «zu  yerr»,  Seh.  «do  ist  hin  ew  verr».     Y.  866  Seh.  «unz 


64  K-  Richter.  64 

ir  wert  sein  under  lan,  a  cundertan».  V.  915  Seh.  cmesnez»^ 
a  cmesney»,  wie  bisher  cmagsney».  Y.  917  Seh.  clat  en 
sein  nicht  verdriezzen»,  a  <ew>.  Y.  919  Seh.  «sprachen  die 
do  er  het  getragen»,  a  «die  de».  Y.  991  Seh.  «daz  ieh 
nmbsust  nu  wnelte  gar»,  a  «wuette».  Freilieh  ist  der  Quer- 
strich des  zweiten  t  in  Grimms  Abschrift  nicht  mehr  durch 
das  erste  hindurchgezogen,  wie  man  es  öfter  finden  kann, 
z.  B.  Y.  383,  477,  654  seiner  Zählung.  Y.  992  Seh.  «ich 
wil  noch  ainsten  noch  die  zwar»,  a  «noch  dir».  Wozu  nun 
solchen  Kleinrat?  Y.  996  Seh.  «des  chindes  er  aber  er  nicht 
sach»,  a  «er  aber  nicht».  Y.  1006  Chmel  verlas  «nach  irm 
loch»  aus  «Yö  irm  loch».  Y.  1012  «het»  fehlt  in  a  allerdings, 
dafür  steht  aber  «biet»  da.  Y.  1050  Seh.  «ir»,  auf  Offorus 
bezüglich!  a  «in».  Y.  1077  Seh.  «straubn»,  a  «stranbn». 
Y.  1159  Seh.  «dvr  nach»,  a  «dor  nach».  Y.  1170  Seh.  «chom», 
a  «chomen».  Y.  1180  Seh.  «die  [sc.  Christen]  baist  er 
[sc.  der  beiden]  toten  als  die  rind»,  a  «haist».  Y.  1221 
Seh.  «waz  er  ruecht»,  a  «gerueeht».  Y.  1255  Seh.  «tet», 
a  «ret» ;  so  sehwindet  das  Yerdienst  einer  Konjektur.  Y.  1257 
Seh.  «augenplieht»,  a  «äugen  plichk»,  wie  im  folgenden  Y. 
«strichk».  Wichtiger  wäre  gewesen,  anzuführen,  dass  a  «in 
einer  äugen  plichk»  liest.  Y.  1286  Seh.  «geban»b,  aber  auch 
a  hat  «geban»,  wozu  W.  Grimm  fragt  «gewan?»  Y.  1359 
Seh.  «[daz  er]  lieplieh  wart  anzesehen»,  «wart»  fehle  in  ab. 
a  aber  hat  «er  waz»  im  vorangehenden  Yerse.  Y.  1377  «auf» 
fehlt  auch  in  a.  Y.  1384  Christus  erscheint  dem  Heiligen, 
und  der  meint,  von  der  Glorie  erschreckt,  die  Sonne  fiille 
auf  ihn.  Seh.  traut  a  den  Unsinn  zu  «des  wart  der  ellent 
ein  gast»,  a  «des  want  der  ellent  aine  gast».  Y.  1402  Seh. 
«pringt»,  a  «pringst».  Y.  1411  Seh.  «es»,  a  «er  [der  haiden]». 
Y.  1415  ScL  «gerueeht»,  a  «gerächt».  Y.  1471  Seh.  «were», 
a  «wäre».  Y.  1529  Seh.  «vnd  [«hiez»b]  sand  Ohristoffen 
gevingen»,  a  «pringen».  Y.  1558  Seh.  «unz  sich  zu  possent 
seineu  glider»,  b  habe  «zerstozzent».  a  hat  aber  gleichfalls 
«czu  stossent».  Und  dieses  «zebözen»  ist  Seh.  ein  Grund  für 
das  Alter  des  Gedichtes !  Y.  1566  «die  tauff»  hat  auch  a.  — 


65  Aasbildong  der  Legende.  66 

Auch  die  Angaben  W.  Grimm  nnd  J.  Grimm  sind  nicht  zuver- 
lässig, zu  y.  1045/6  z.  B.  rührt  die  Anmerkung  cl.  ruot  wuot> 
nicht  von  Wilhehn,  sondern  yon  Jakob  her.  Femer,  was  hat 
es  für  einen  Sinn,  zu  V.  179  die  fragende  Bandbemerkung 
Wilhelms  mitzuteilen  cfnor?»,  die  ohne  die  genaue  Lesart 
von  a  «[got  mit  dem  jimglinch]  so  fru  daz  er  erzaign  wolt» 
ganz  himgespinstisch  erscheinen  muss. 

Man  sieht,  a  kommt  nicht  zum  besten  fort  bei  dieser 
Art  der  Wiedergabe,  und  der  nicht  Nachprüfende  muss  eine 
geringe  Meinung  von  der  Intelligenz  des  Schreibers  sich  bilden« 
Wie  nun,  wenn  b  mit  gleicher  Sorgfalt  behandelt  ist?  Dann 
ist  ersichtlich,  dass  eine  weitere  Textkritik  auf  unterhöhltem 
Boden  sich  bewegt.  Das  lehrt  ein  Fall,  in  dem  eine  eigene 
Konjektur  Schönbachs  hinfällig  sich  erweist  bei  sicherer 
Kenntnis  von  a.    In  V.  1198 

vnd  uaig  im  mit  dem  haup  nach, 
1198  dar  vmb  daz  er  so  * 

geliten  het  durch  Jesu  Christ 

setzt  Schönbach  einen  ratlosen  Stern  und  giebt  imten  als 
Lesung  von  a  die  Worte  cso  sprach>  und  die  Konjektur 
«solhe  smäch?»  b  hat  die  Verse  nicht,  und  wer  wollte  also 
die  Vermutung  des  Herausgebers  nicht  gern  annehmen  ?  a  aber 
liest  in  Wirklichkeit  cso  swach»,  und  cswache»  =»  cünehre»  ist 
aus  Marienlegenden  und  Passional  belegt,  sodass  Zweifel  und 
Konjektur  erübrigen. 

So  kleinlich  scheinbare  Lesarten  yon  a  wir  oben  an- 
gegeben fanden,  so  peinlich  yermissen  wir  wirkliche  an  anderen 
Stellen.  V.  1368  wird  Christoph  in  einen  Kerker  geführt, 
«daz  er  durch  in  schult  leiden  swer».  Keine  Lesart,  obwohl 
a  <dor  in»  entschieden  besser  passt  und  vorzuziehen  wäre, 
böte  selbst  b  «durch  in».  V.  609  steht  in  a  chant  swein», 
und  «hauptswein»  ist  eine  Vermutung  W,  G-rimms,  wenn  ich 
nicht  irre.  Bestätigt  b  sie?  Die  Frage  ist  lexikographisch 
wichtig,  indem  das  Wort  sonst  nicht  alt  zu  sein  brauchte, 
wie  das  Ghrimmsche  Wb.  FV,  2,  629  nur  einen  Beleg  aus  dem 
18.  Jh.  giebt.   Zu  V.  984  macht  Schönbach  ein  Fragezeichen, 

6 


66  K:.  Richter.  66 

weil  der  Beim  deben»  nicht  stimmen  will  zu  V.  983  «man», 
a  aber  hat  in  bester  Ordnung  cdegen :  leben»,  was  selbst  zu 
konjizieren  nicht  schwer  gewesen  wäre. 

Wir  haben  damit  bereits  das  Feld  des  zweiten  Vorwurfs 
betreten,  der  Teztherstellung,  der  Koiigekturen.  Ich  gebe 
auch  da  nur  Einiges,  um  zu  begründen. 

y.  1  fehlt  «hat»  in  a  und  b,  es  ist  Zusatz  von  Seh.  Aber 
in  anbetracht  der  ganzen  langen  Periode  scheint  es  sehr  wohl 
möglich,  dass  «got  mit  seiner  goüeich  macht»  gleichsam  als 
ein  wundernder  Ausruf  absolut  einem  frommen  Gewäsche  Yor- 
gestellt  wurde.  Der  Beim  «macht  :  getät»  ist  so  gut  und 
schlecht  wie  andere  auch.  Mit  Kraus  ^)  für  «hantgetat»  «hant- 
gescaft»  einzusetzen  und  diese  Änderung  dann  gar  für  einen 
zu  Grunde  liegenden  alten  Zustand  auszubeuten,  geht  doch 
nicht  an.  Y.  9/10  Seh.  hat  die  Adjektiv-  und  Adverbial- 
endung  «-leich,  -leych»,  so  stets  überliefert,  konsequent  in 
«-lieh»  geändert,  „weil  die  Beime  -lieh  :  mich  685  :  dich  609  : 
sich  487.  1501  dazu  zu  zwingen  schienen^.  Diese  Konsequenz 
ist  Inkonsequenz,  da  durchaus  «ey»  für  altes  «i»  geschrieben 
ist,  und  also  z.  B.  auch  in  unserm  Vers  ein  Substantiv  wie 
«himelreych»  sich  die  Beduktion  gefallen  lassen  muss.  Das 
Bewusstsein  der  mangelhaften  Beimkunst  unseres  Gedichts  und 
die  Überzeugung,  die  ja  auch  Seh.  haben  will,  dass  yerschiedene 
Zustände  zu  scheiden  sind,  hätte  davor  bewahren  sollen.  Y.  252 
Christoph  will  keinem  dienen  «der  vor  im  hat  chain  varicht 
geschieh»  a,  «der  vor  im  hat  vorcht  geschieht»  b.  Die  Über- 
einstimmung der  Hss.  muss  wünschen  lassen,  ein  Ahnliches 
gegen  die  W.  Grimm-Schönbachsche  Änderung  «chain  vorhte 
biet»  zu  retten,  für  welches  ich  «cheiner  vorhte  geschiht»  als 
möglich  erachten  möchte,  wie  denn  «geschiht»  einer  jener 
Schattenbegriffe  ist,  die  gern  pleonastisch  mit  Abstrakten  ver- 
bunden werden.  Y.  253  ist  Schönbachs  Änderung  des  hand- 
schriftlichen [ab]  «weit»  in  «melt»:  «ich  wil  ainem  dienen 
den  man  weit»   hervorgegangen  aus  einem  durch   das  Nhd. 


0  Deutsche  Gedichte  des  12.  Jhs.  p.  138. 


67  AuBbildting  der  Legende.  67 

beeinflussten  irrigen  Verstehen  des  Folgenden  cdaz  er  zu  dem 
höchsten  ist  gezelt»  —  gleicher  Yerkennung  des  mlat.  dici 
kann  man  ja  leicht  begegnen.  cZem  höchsten  gezalt  dn» 
heisst  im  Mhd.  nichts  weiter  als  cder  Höchste  sein»,  und 
ceiner,  den  man  wählt,  dass  oder  sodass  er  der  Höchste  ist», 
dünkt  mich  in  Yolkstümlichem  Stile  eine  sehr  natürliche  Be- 
zeichnung des  Königs,  aus  der  man,  an  die  Wandlung  der 
deutschen  WahlTcrhaltnisse  denkend,  sogar  ein  ansprechendes 
Zeichen  —  ich  sage  nicht:  einen  Grund  —  für  das  Alter  der 
Stelle  entnehmen  könnte.  Y.  292  Offorus  ist  von  schweren 
Gredanken  benommen  und  isst wenig:  cdaz  stumpt  den  chamerem 
an  der  maz»  a,  cdaz  frumpt  chainen  chamerem  an  der  maz»  b. 
Eine  Vereinbarung,  die  nicht  gerade  das  Charakteristische  beider 
Lesarten  beseitigt  wie  Seh«  es  thut:  cdaz  Tmmt  den  chamerem 
an  der  maz»,  ist:  cdaz  stumbt  chainen  chamerem  an  der  maz». 
V.  313  eich  wen»  [der  Vater  zu  Offorus]  cer  nicht  lieb  zu 
mir  hat  der  dich  also  haist  Ton  mir»  a,  craczt  Yon  mir»  b. 
cHaist»  ist  offenbare  Verlegenheitsausflucht,  craizt»,  was  Seh. 
▼ermutet,  wäre  doch  zu  wenig  missverständlich  gewesen.  Wäre 
es  zu  kühn,  an  cratzen»  im  Sinne  eines  gewaltsamen  Los- 
klaubens zu  denken?  Die  dialektische  Vielbedeutung  der  zu 
den  Naturlauten  cratz,  ratsch»  gebildeten  Verben  scheint  doch 
auch  früher  schon  Torgebildet  gewesen  zu  sein,  und  eine  edlere 
Verwendimg  ist  wohl  nicht  von  vornherein  auszuschliessen. 
Ahnliche  Annahmen  würden  auch  sonst  in  unserm  Text  helfen, 
eine  Vorliebe  für  solche  Worte  wäre  zu  beachten.  V.  480 
Offorus  trägt  des  Fürsten  einen  Jäger  über  den  Bach,  cdes 
nam  den  herren  wunder  daz  se  gemain  hetten  wesunder»  a. 
b  hat  die  Stelle  fedsch  verstanden  und  ändert  cdaz  se  chain 
hetten  wesunder».  Seh.  sucht  beides  zu  vereinigen  und  giebt 
ein  dem  Sinne  nach  völlig  imvemünftiges  und  triviales:  cdaz 
se  gemaine  teten  vnd  wesunder».  a  aber  hat  das  allein  Sich- 
tige. Alles  Gefolge  ist  um  den  Fürsten,  nur  den  einen  hat 
sich  Offorus  aus  der  fliehenden  Schar  herausgegriffen,  und  nun 
wundert  den  rückschauenden  Herrn,  was  die  beiden  zusanmien 

so  für  sich  zu  thun  haben.    cBesunder»  ist  Adverb  und  steht 

6» 


68  K.  Richter.  68 

in  rein  sinnlicher  Bedeutung:  abgesondert  von  den  andern. 
Im  vorangehenden  Verse  ist  dann  mit  a  auch  besser  cden 
heiren»  zu  schreiben.  Y.  616  Dass  Seh.  in  den  Belegen 
filr  starke  Apokope  den  Vers  zaghaft  einklammert,  ermutigt 
mich  zu  dem  Geständnis,  dass  ich  ihm  ziemlich  ratlos  gegen- 
überstehe. cBaus,  paus»,  das  um  die  Zeit,  da  die  Hss.  ge- 
schrieben sein  mögen,  aufzukommen  beginnt,  kann  ich  mir  in 
der  gewöhnlichen  Bedeutung  cFülle»  wohl  leidlich  mit  der 
Lesart  von  b  «trueg  ez  mit  ganz*  paus»  zurechtlegen,  aber  die 
Lesart  von  a  cganz  vnd  gar  als  mit  der  paus»  mutet  ursprüng- 
licher an  [besonders  wenn  man  die  ausdrückliche  Korrektur 
des  erst  yerschriebenen  cmit  als  mit  der  paus»  beachten  will] 
und  ist  doch  auf  keine  Weise  aus  jenem  Sinne  des  letzten 
Wortes  heraus  verständlich.  Jedenfalls,  sobald  man  überhaupt 
an  dieses  Wort  denkt,  gehört  -die  Stelle  dem  14.  Jh.  an.  Der 
Ausdruck  müsste  dem  natürlichen  Zusammenhange  nach  in 
die  Bichtung  der  burlesken  Kraftübertreibungen  fallen;  OfEbrus 
nimmt  die  ganze  Jagdbeute,  die  ein  Wagen  nicht  zu  tragen 
yennag,  auf  seinen  Bücken  und  trägt  sie  frohgemut  nach  Haus 
cganz  imd  gar  als  mit  der  paus»,  man  sollte  meinen:  ganz 
und  gar  als  wär's  ihm  ein  Nichts.  Nun  finde  ich  bei  Schmeller 
im  Bair.  Wb.^  I,  409  eine  Stelle  aus  Görres'  Altteutschen 
Volks-  und  Meisterliedem  p.  146: 

mein  holz  das  kauf  ich  nach  der  paasz, 
ich  lauf  in  eines  wagners  hausz 
und  trag  umb  einen  phenning  rausz, 

und  Schmeller  fragt:  im  Kleinen?  Man  denke  femer  an  die 
Phrase  ein  die  pausz  schlagen»  «==  ein  den  Wind  schlagen» 
und  überhaupt  an  die  eigentliche  Unbestimmtheit  des  Wortes, 
das  sich  nur  in  adverbialen  Wendungen  findet,  so  mag  die 
Urbedeutung  eines  Luftigen,  Windigen  nicht  allzu  erdacht  er- 
scheinen, um  daraus  einerseits  die  Bedeutung  eines  Nichtigen, 
Leichten,  andererseits  die  des  Schwellenden  und  Vag-Unge- 
heuren herzuleiten,  deren  erstere  unserer  Stelle  als  einer  för 
die  Geschichte  des  Wortes  relativ  alten  zu  Grunde  lag  und 
von  der  schon  späteren  Hs.  b  in  die  zweite  mittlerweile  kräftiger 


69  Aosbildung  der  Legende.  69 

gewordene  Bedeutung  cFülle,  Last»  umgemodelt  wurde.  Auch 
für  das  Kompositum  cPausbacke»  giebt  die  yersuchte  Er- 
klärung die  zwanglose  Deutung  einer  Windbacke,  während 
der  Yon  Grimm  zu  Grunde  gelegte  Begriff  cabundantia,  tumor» 
daran  scheitert,  dass  man  eine  krankhaft  geschwollene  Backe 
keineswegs  oder  höchstens  scherzhaft  yergleichsweise  eine  cPaus- 
backe» nennen  würde.  Also  wäre  denn  auch  für  die  abge- 
leiteten Zeitworte  hausen,  pausen  und  eine  ganze  Wortgruppe 
[pausten,  hausten,  pusten,  bauschen  etc.]  eine  von  der  bisher 
geltenden  etwas  verschiedene  Bedeutangsgrundlage  gewonnen, 
y.  543  €[Offorus  in  do  tet  chund]  seinen  sogen  mit  allen»  a, 
b  und  danach  Seh.  nur  c allen».  Und  dennoch  halte  ich  <mit 
allen»  fiir  das  zweifellos  Ursprünglichere,  wie  sollte  a  dazu 
gekommen  sein,  ein  cmit»  einzuschieben?  Schon  am  Ende 
des  13.  Jhs.  hat  man  die  Verbindung  nicht  mehr  sicher  ver- 
standen, wie  Lexer  Mhd.  Wb.  I,  37  durch  das  cmit  betalle» 
der  Nabburger  Bruchstücke  des  Bennewart  beweist;  vgl.  u. 
y.  664  fehlt  b,  a  hat  cden  wil  ich  suchen  mit  liebs  genist», 
das  heisst  entweder  ist  die  Abkürzung  der  Endung  c-er»  ein 
wenig  zu  tief  gesetzt  und  zu  s  verlesen  worden,  oder  man 
könnte  auch  denken:  cmit  Ubes  genist».  Seh.  aber  kennt  ein 
Maskulinum  oder  Neutrum  genist,  er  schreibt  cmit  liebem  ge- 
uist».  Er  benutzt  also  unsere  Stelle,  imi  altes  Unrecht  durch 
kühnliche  Wiederholung  in  Becht  zu  verkehren^),  y.  813 
Der  Einsiedel  betet  um  Offorus'  Erleuchtung  zu  Gott: 

„80  sterch  in  mit  deiner  chraft 

daz  er  1er  tragn  den  sohaft 

daz  der  hymel  van  an  swebent  iBt**. 

Der  letzte  yers  fehlt  in  b,  und  Seh.  hat  versucht,  ihn  zu 
verbessern:  cda  der  himel  ane  sweben  ist».  Was  ein  Schaft, 
an  dem  der  Himmel  schwebt,  ist,  weiss  ich  allerdings  nicht. 
Schon  W.  Grimm,  meine  ich,  hat  den  yers  ganz  richtig  ver- 
standen, wenn  er  am  Bande  für  cdaz»  cda»  setzte,  ich  erkläre 
jedenfalls  : 

«dar  der  himelvane  ane  Bwebent  ist». 


^)  Afda.  V,  34;  Beilage  zur  Germ.  XXyi,  p.  US. 


70  ^'  Richter.  70 

Ein  Gläubiger,  ein  Märtyrer  ist  der  Fahnenträger  des  Himmels, 
eine  der  Jdrchlicben  Kunst  ganz  geläufige  Vorstellung;  vgl.  z.  B. 
Schönbachs  Altd.  Pred.  II,  19,  27.  Y.  616  würde  ich  hinter 
€  seiner  seil»  keine  Interpunktion  setzen,  yielmehr  die  Worte 
yerbinden  mit  den  folgenden  czu  trost  Tor  daz  hell  fewr», 
indem  ich  meine,  dass  in  cdor  nach  sprach  er  sein  tagzeit 
ze  stewr»  sehr  wohl  cze  stewr»  absolut  stehen  kann,  etwa: 
czum  Guten,  zu  seinem  Besten»,  wie  man  tautologisch  sagen 
konnte  cnoch  ratt  noch  hilf  noch  stewr  geben»,  Deutsche 
Chron.  I,  81,  8.  Y.  826  twil  ich  an  dich  gemechen»  [ab], 
cdaz»  [b];  Seh.  cichs»  ist  unnötig,  cwand  si  wol  geruchten, 
daz  si  die  iuncfrowen  gut  erten  durch  ir  demut»  Pass. 
K.  184,  33.  Y.  844  cwes  man  mit  namen  an  euch  müt»  a, 
ScIl  cbenamen».  Dass  cmit  namen»  gerade  so  gut  ist,  be- 
legen die  Städtechroniken:  Lexer.  Y.  910  a  €[er  nam]  vnd 
arm  die  vir  ane  wen»,  b  can  alle  wenn».  Die  Änderung  in 
«under»  mit  b  ist  nicht  geboten.  Aber  die  Schwierigkeit 
liegt  in  den  Schlussworten,  mit  denen  wohl  schon  b  nicht 
recht  etwas  anzufangen  wusste,  noch  weniger  Seh.,  der  can 
allez  wenken»  einsetzt.  cAne  wewen»,  das  in  geringen  Ya- 
riationen  ja  mannigfaches  Leben  führt  ^),  zeigt  in  den  Deutschen 
Mystikern  ed.  Ffei£Eer  I.  842,  24  genau  unsere  Form  cfine 
[allen]  wgn»  und  bietet  die  einzige  Lösung.  Also:  es  war 
ihm  ein  Yergnügen,  die  Leute  überzutragen.  Y.  986  cdaz 
dir  der  muoz  wider  vam  den  Maria  hat  getragn».  Hier 
erwartete  man  die  Änderung  cgebom»  wenigstens  mit  einigem 
Becht.  Y.  1009/10  würden  die  Beime  ccham:hon»  [ab] 
bairischer  erscheinen  als  Sch.'s  Änderung  cchem  [a]:  hoen». 
Y.  1077/8  cstreben  [oder  a  cstranbn]:  gächen»  geben  keinen 
Beim.  Eine  Möglichkeit  wäre,  aus  Y.  1079  das  cgegen  im» 
heraufzuziehen  als  cim  engegen»,  wodurch  auch  der  Bhythmus 
gebessert  würde.  Y.  1133  cniden»  a  möchte  ich  vorziehen 
vor  cnider».  Y.  1163  cgot  wegund  des  ruechen,  daz  sich  der 
phlaum   verswilht   gar»    ist   des   Tempus    wegen   unmöglich. 


>)  Benecke  III,  ß48a.    Lexer  III,  812. 


71  Ausbildazig  der  Legende.  71 

a  fversacht»  ist  freilich  nicht  zu  brauchen,  warum  aber  nicht 
cyerschütt»  b?  Y.  1228  cmit  in  sterben  oder  genesen»  setzt 
8ch.  gegen  cund»  in  a  und  b.  Aus  welchem  Grunde?  Y.  758 
hat  b  gleichfalls  cmit  sterben  vnd  mit  genesen»,  Pass.  K.  347, 
16  cbeide  sterben  unde  genesen»,  Barlaam  121,  6  csterben 
unde  genesen»,  weitere  Beispiele  bei  Benecke,  und  ist  ja  doch 
csterben  oder  genesen»  in  unserm  Falle  ein  Unsinn.  Y.  1253 
cvngefu^  geprauchn»  ab,  Seh.  «gebrechen».  Man  kann  sehr 
wohl  Abstrakta  «brouchen»,  «diu  höhste  vreude  sich  ze  j&mer 
brüchet»  Frauenlob  292,  16,  und  «ir  gemüte  ist  gebrouch- 
lich»  Tod.  gehüg.  870.  Unser  Gedicht  hat  das  Wort  noch 
Y.  1279.  Y.  1282  a  «zeprachst»,  b  «er  zeprach»,  Seh. 
«zeprest»?  «zeprast»  natürlich.  Y.  1424  «christofforum» 
reimt  in  a  auf  «rvm»,  in  b  auf  «rüm».  Sch.'s  Koigektur 
«rumor»  vergeht  sich  gegen  den  Willen  dieser  Überein- 
stimmung, die  sich  bestätigend  Y.  1622  wiederholt.  Weit 
einfacher  erscheint  mir,  an  «ruom»  zu  denken,  das  seiner 
ursprünglichen  Bedeutung  des  irgend  beschaffenen  Lärmens 
nahe  geblieben  ist^  nur  nicht  in  dem  geläuterten  Sinne  Freuden- 
geschrei, wie  es  noch  in  der  späteren  Bibelsprache  gilt, 
sondern  affiziert  von  dem  unedleren  dialektischen  Hauch  des 
Stammes  in  «rummeln»  u.  s.  w.  In  einem  Texte  wie  der 
unsrige,  der  reich  ist  an  derartigen  gewöhnlichen  Worten, 
darf  man  solche  Yerbindung,  die  beiden  Stellen  ihre  eigen- 
tümlich kräftige  Färbung  rettet,  wohl  wagen.  Y.  1437  fällt 
es  schwer,  zwischen  «ymbraib»  b  und  «verrayd»  a  zu  entscheiden, 
vielleicht  aber  kann  man  ersteres  doch  als  älter  und  bairischer 
in  Anspruch  nehmen,  cf.  Schmeller  Bair.  Wb.'  II,  7/8.  Y.  1468 
Christoph  ist  vergeblich  gemartert,  der  Fürst  wird  verwundet 
fortgetragen,  und  der  Heilige  soll  wieder  in  den  Kerker  ge- 
bracht werden,  da  rufen  ihm  die  Heiden  zu: 

„wie  wir  erwinden 
80  mttttu  doch  daz  leben  lazzen". 
alio  worden  se  in  hazzen  [a]. 

G-anz  einfach:   «„Wenn  wir  heut  auch  aufhören  müssen,  dir 
soll's  doch  noch  ans  Leben  gehen !^  so  hassten  sie  ihn».   Seh. 


72  £•  Eichter.  78 

aber  schreibt  cwie  wir  ervinden»!  wodurch  die  Verse  an  G-eist 
sicherlich  nicht  gewinnen.  V.  1496  Im  Monde  der  Ver- 
führerin ist  «solich  man  junger»  b  jedenfalls  eine  bessere  An- 
rede an  den  Märtyrer  als  cselich  man  junger»  a.  V.  1499. 
Der  Seim  ist  in  a  «phlege :  swere».  Wenn  Seh.  cswaere» 
herstellt,  warum  nicht  auch  cphlaege»,  das  dem  irreal-konse- 
kutivem Sinne  des  Belativsatzes  durchaus  entsprechen  würde 
und  den  Beim  in  jedem  Betracht  besserte.  Für  die  folgenden 
Verse  1500 — 1504,  welche  in  a: 

„es  ist  mir  ein  swere  und  b:  „ 

Bchol  dein  junger  leyb  enliezzen  sieh  .    .    .    vleizzen  sich 

daz  er  so  minichleich  daz  du  nicht  minniohleicheB 

80  an  liebs  arm  scholt  an  weibes  ordn 

nicht  yrewntleich  erwarm''  macht  freuntleich  wordn** 

lauten,  schlage  ich  Yor: 

„ez  ist  mir  ein  swaere 
wilt  du  dich  versiechen, 
daz  du  minnichHohen 
8olt  an  liebes  armen 
nicht  vriuntliche  erwarmen''. 

Im  Einzelnen  mag  man,  je  nach  der  Ansicht  von  Alter  und 
Metrum  der  Stelle,  das  Handschriftliche  vorziehen.  V.  1573 
ab  cwer  mich  in  deinem  namen  ert».  Seh.  ändert  grundlos 
cdich  in  meinem».  Die  Lesart  der  Hss.  ist  dem  Sinne  der 
Phrase  nach  natürlicher,  auch  verweise  ich  für  frühere  Zeit 
auf  Schades  Barbaren  passie  v.  344/5  cof  ieman  in  dem  namen 
din  gedenke  minre  martelpin»,  und  andere  Stellen  und  erinnere, 
dass  P  las :  si  propter  nomen  tuum  nominant  nomen  meum  in 
suis  orationibus.  V.  1597  cwer  in  grozzen  gelt  sey»  a,  Seh. 
schreibt,  ob  mit  bP  cgrozzer».    Nehmen  wir  an:  mit  b. 

Nach  dieser  Prüfimg  des  Schönbachschen  Textes,  die, 
ohne  erschöpfend  sein  zu  woUen,  doch  an  einer  ganzen  Beihe 
von  Stellen  seine  Besserungsfahigkeit  erwies,  werden  wir  den 
allgemeinen  Ausführungen  über  das  Gedicht  keine  allzu  grosse 
Meinung  entgegenbringen.  Und  so  bequem  mir  deren  Besul- 
tat  wäre,  wenn  ich  es  als  ein  festgesichertes  in  Bausch  und 
Bogen  annehmen  dürfte,   so  bin  ich  in  der  That  auf  anderem 


73  Ausbildang  der  Legende.  73 

Wege  zu  einem  Ergebnis  gekommen,  das,  wenn  auch  im  hand- 
greiflichen Effekt  yielleicht  gleichbedeutend,  für  das  innerste 
Verstehen  eine  bessere  Grundlage  giebt;  wenigstens  ist  das 
meine  Hofihung.  Schönbachs  Gründe  sind  schematisch  ange- 
ordnete Ausserlichkeiten,  mit  denen  einer  wirklichen  Dichtung 
beizukommen  niemals  möglich  ist.  Ist  es  doch  nicht  angängig, 
die  ungenauen  Reime  in  ihrer  Masse  ohne  Unterschied  für  das 
12.  Jh.  in  Anspruch  zu  nehmen;  wer  behauptet,  dass  «haben 
:Terzagen>  oder  «genäden:  wären»  etc.  im  14.  Jh.  nicht  im 
Einzelfiedle  einmal  einen  Beim  geben  konnten?  Wohl  mag 
aber,  wenn  andere  Anzeichen  zu  Grunde  liegen,  in  ein  paar 
oder  in  einer  Partie  von  Versen  ein  solches  Äussere  zu  Hilfe 
kommen,  nie  beweisend,  nur  ermutigend.  Und  was  beweisen 
die  Apokopen  anders,  als  dass  der  Schreiber  des  Textes  dem 
14.  Jh.  angehörte,  während  im  Einzelfalle  ein  Ileim  ¥rie  «arm  : 
erparm»  1689/90  sowohl  im  12.  Jh.  denkbar  wäre  als  auch 
trotzdem  in  Verbindung  mit  den  Yorangehenden  Beimen  «gabst : 
Terlast»,  dem  Metrum  und  Habitus  des  folgenden  Verses,  der 
moderneren  Bedeutung  von  «ellent»,  mir  ein  Indizium  späteren 
Ursprungs  oder  zum  wenigsten  späterer  Formung  dieser  Verse 
sein  kann?  Die  zahlreichen  Beime,  die  auf  „groben  Eigen- 
heiten der  oesterreichisch-bairischen  Mundart^  beruhen,  soUen 
weiter  für  das  14.  Jh.  sprechen.  Jawohl,  unter  der  Voraus- 
setzung, dass  die  supponierte  Vorlage  einem  anderen  als  dem 
bair.-oest.  Dialekte  angehört  habe,  was  doch  Seh.  selbst  un- 
entschieden lassen  muss!  Oder  meint  man,  im  14.  Jh.  hätten 
die  Dichter  weniger  in  dialektischen  Sonderheiten  gereimt? 
Es  lässt  sich  wirklich  damit  ebenso  wenig  anfangen  wie  mit 
der  „Fülle  alter  zum  Teil  dem  Volksepos  eigentümlicher  Aus- 
drücke^, deren  Zusammenstellung  höchst  angreifbar  ist.  Vor 
aüen  Dingen  darf  man  das  nicht  anführen,  was  überhaupt  nur 
Singular  in  dem  in  Frage  stehenden  Texte  Yorkommt  wie: 
teines  vinger  ort»,  «hauptswein»,  «ascherzelte»,  oder  erst  durch 
Konjektur  gewoimen  wurde:  «yerswilhen»,  «zebözen» ;  man  sollte 
nicht  verwirren,  dass,  was  volkstümlich  ist  oder  wenigstens  einer 
gewissen  derben  Sprachsphaere  angehört,  deshalb  auch  alt  sei. 


74  K.  Richter.  74 

wie  cgumpelspil»  [dessen  cgumpeh-gesippte  erst  recht  eigent- 
lich im  14.  Jh.  ihr  Wesen  zu  treiben  beginnen],  €krempel>y 
€  stock  stain  nnd  mos»  [wo  b  und  die  metrische  Notwendig* 
keit  cstain»  noch  zu  beseitigen  raten],  «rSren  als  ein  chalp» 
[creren  als  ein  schaf»  im  Apollonius  Ton  Tyrland].  und  für 
viele  andere  liesse  sich  bequem  ihr  Dasein  im  14.  Jh.  be- 
weisen, ohne  dass  der  Umstand,  dass  sie  vielleicht  im  Aus^ 
sterben  begriffen  waren,  gegen  den  Einwand  eines  individuell 
altertiimelnden  Wortgebrauchs  ins  Treffen  geführt  werden 
könnte,  also  etwa  für  chompoge»,  cdrum»,  cdegen»,  cunde», 
«goum»,  coffenung»,  cdiet»,  cglitz»,  cglast»,  tjehen».  End- 
lich aber  war  nicht  zu  vergessen,  dass  es  zwischen  dem  14. 
und  dem  12.  Jh.  doch  auch  noch  ein  13.  gab,  und  wollte 
jemand  den  Durchschnittsgebrauch  der  von  Seh.  angeführten 
Worte  berechnen,  so  würde  er  vielleicht  mit  einiger  Sicher- 
heit auf  dieses  geführt  werden  als  auf  die  Qeburtszeit  der 
Vorlage  unseres  Textes. 

Ich  bin  mir  bewusst,  dass  es  schwer  sein  wird,  anstelle 
der  bisher  leidlich  geltenden  nun  unterhöhlten  Beweisführung 
eine  neue  zu  setzen.    Und  doch  muss  es  versucht  werden. 

Schönbach  hat  noch  zwei  Grründe  [no.  3  und  4]  für  das 
Alter  der  Vorlage,  die  ich  bisher  verschwiegen  habe,  weil  ich 
mich  ihrer  in  einem  neuen  Sinne  bemächtigen  und  bedienen 
möchte  zum  Ausgangspunkt  der  Betrachtung :  das  sind  Metrum 
und  „die  ganze  Behandlungsweise  des  Stoffes".  Jenes  ver- 
mochte er  nicht  recht  auszunutzen  wegen  des  falschen  Lichtes, 
in  dem  ihm  das  Ebjidschrifbenverhaltnis  erschien,  diese  nicht 
zu  erfassen,  weil  das  überhaupt  nur  auf  dem  Boden  einer 
weitgreifendsten  Behandlung  der  ganzen  Legende  völlig  mög- 
lich ist. 

Der  Schreiber  von  a,  entlastet  der  „mehreren  greulichen 
Misverständnisse''  zu  Schönbachs  Ungunsten,  ist  nicht  ein  „be- 
sonders beschränkter  Kopf"  gewesen,  vielmehr  begegnet  er  sich 
mit  dem  von  b  auf  einer  gewissen  Anstandshöhe  der  Schreiber- 
bildung und  hat  an  Sorgfalt  und  demnach  auch  Treue  sogar 
Einiges  vor  diesem  voraus,  von  dem  wir  seltener  etwas  als 


75  *  Ausbildung  der  Legende.  75 

das  ursprünglichere  übernehmen  werden  nnd  dessen  Flüchtig* 
keit  sich  besonders  in  wiederholten  Auslassungen  einzelner 
nnd  mehrerer  Verse  dokumentiert,  z.  B.  kurz  nacheinander 
y.  1182,  1196—1200,  1205,  1216.  Dass  sie  von  einander 
unabhängig  sind,  ergiebt  die  erste  Betrachtung,  und  wir  ge- 
wionen  also  von  dem  allgemeinen  urteil  aus  die  Möglichkeit, 
ihre  einzelnen  Differenzen  psychologisch  zu  yerwerten.  Wenn 
wir  in  b  die  Schlussverse  finden: 

daz  vnB  auch  daz  widervar 

dez  helff  vne  dew  Christom  gepar, 

80  dürfen  wir  getrost  dem  Schreiber  das  Eigentumsrecht  daran 
überlassen;  wenn  aber  die  Y.  61 — 74  in  b  fehlen,  so  ergiebt 
die  allgemeinere  Beobachtung,  dass  solche  Auslassungen  öfter 
mit  gleichem  Zeilenanüeing  oder  auch  Beimschluss  zusammen- 
treffen [z.  B.  1205,  786—797],  auch  für  diesen  Einzelfall  die  Ver- 
mutung, dass  das  cda»  in  V.  60  undV.  74  den  Lapsus  veranlasste. 
Ich  behaupte  nun  zunächst  nichts  weiter,   als  dass  sich 
aus  den  Abweichungen  der  Hss.  die  Thatsache  einer  Zusammen- 
arbeitnng  eines  Alteren  und  eines  Jüngeren  beweisen  lässt, 
die  Notwendigkeit  eines  Scheidungsversuches  zwischen  ihnen. 
V.  151  hat  b  ein  cerist»  der  Vorlage  richtig  in  cerst»  um- 
gesetzt, a  hat  es  falsch  verstanden  als  cer  ist» ;  die  zweisilbige 
Form  müsste  auch  uns  in  einem  origioaliter  im  14.  Jh.  ent- 
standenen Texte  auffallend  anmuten.  V.  163  a  cdaz  chind  trug 
man  wider  dan»,  b  cvon  dann»,  und  thatsächlich  mochte  cdau» 
zum  Ausdruck  der  Bichtung  von  woher  nicht  mehr  genügen. 
a  setzt  V.  264  und  weiter  bis  auf  V.  915  dem  modernisierten 
«mässnei»  von  b  ein  steif  merkwürdiges  «magsney»  entgegen, 
und  ich  argwöhne  fast,  dass  er  in  seiner  Ratlosigkeit  schliesslich 
an  Zusammenhang  mit  <m&c»,  cmäcschaft»  gedacht  hat,   da 
sich  die  Schreibung  sonst  nicht  findet.    V.  372  hat  a  «wo 
ein  her  grozzer  wer»,  b  «wo  der  grozz  herr  gewessn  war», 
die    Umformung    eines    älter   empfundenenen    Zustandes   ist 
sichtlich.    V.  543  a   «Offorus  in  do  tet  chund  seinen   sogen 
mit  allen»,  b  «allen» ;  V.  1462  a  «se  schuzzen  mit  all»  b  «mit 
im  all  auf  christofForo».    S.  oben.   Es  liesse  sich  wohl  meinen. 


76  K.  Richter.  76 

dass  a,  der  ältere  Schreiber,  den  wirklich  volksmässigen  Aas- 
drücken näher  stand  als  b,  der  etwas  gebildeter  scheint.  Man 
achte  z.  B.  auf  Y.  581,  wo  cvraizleich»  a  durch  ein  thörichtes 
c&äueleich»  von  b  ersetzt  wird,  was  nicht  hinfällig  wird  da- 
durch, dass  b  umgekehrt  einmal  cfraizzleich»  hat,  wo  es  a 
nicht  bietet:  V.  650.  Lehrreich  ist  V.  604:  cvnd  was  der 
red  hart  vro»  muss  in  der  Vorlage  gestanden  haben,  aber 
so,  dass  cred»  und  chart»  sich  sehr  näherten  und  das  er» 
in  letzterem  nicht  ganz  deutlich  war.  «Harte»  war  nun  beiden 
Schreibern  in  der  älteren  Verwendung  als  reines  Adverb  des 
Masses  nicht  mehr  geläufig,  wie  denn  die  späteren  Belege 
auch  immer  in  Verbindung  mit  Verben  und  Ausdrücken  er- 
scheinen, die  eine  prägnantere  Bedeutung  des  Unangenehmen 
nicht  verleugnen  können,  wovon  also  «vro»  das  Q^genteil 
darstellte:  da  ist  a  grob  und  schreibt,  wie  er  liest  «rethait», 
b  aber  fühlt  den  Sinn  der  Worte  und  sucht  ihm  gerecht  zu 
werden,  indem  er  ein  «gar»  einschiebt:  «harte  gar  vro». 
V.  658  beginnt  a  das  Wort  «we  [vilt]»,  schreibt  es  aber  nicht 
aus,  und  gegen  die  reichen  Belege  aus  firtlheren  Jahrhunderten 
bezeugen  die  wenigen  späten  doch  nur  einen  Todeskampf 
Doch  könnte  hier  der  Zufall  wohl  hineinspielen,  und  ich 
schlage  dies  Argument  nicht  hoch  an.  Aber  wohl  die  V.  675/6, 
in  denen  beiden  in  der  Vorlage  ein  «venir»  als  Komparatiy 
von  «verr»  gestanden  haben  muss.  Daraus  hat  a  beidemal 
den  Begriff  des  Irrens  sich  entlesen  und  widergegeben:  «vn- 
lang  er  ver  irr  aber  gie,  daz  mer  in  nicht  ver  irr  lie»,  wie 
durch  die  Schreibung  des  «ver-»  als  Abkürzung  bestätigt 
wird;  b  einmal  den  Stamm  gerettet,  aber  die  Endung  miss- 
deutend getrennt:  «verr  er  do  ab  gie»,  und  im  zweiten  Fall 
mit  «lie»  verwickelt:  «in  doch  nicht  verlie».  V.  694  das  Adv. 
«  drat  [ssdräte] »  war  b  nicht  mehr  bequem,  und  er  scheut  sich  nicht, 

also  gie  er  mit  seinem  rat 
den  selben  weg  zeitleioh  drat 

völlig  zu  ändern  in: 

also  gie  er  nach  des  mers  gestat 
den  selben  weg  sittleich  tratt. 


77  Ausbildung  der  Legende.  77 

Denn  so  kurzsichtig  die  ümgestaltang  ist,  so  mnss  sie  doch 
wohl  derart  begriffen  werden,  da  die  richtigere  Lesart  von  a 
czeitleich  drot>  die  Annahme  einer  etwaigen  Unleserlichkeit 
der  Vorlage  aosschliesst.  Y.  732  a  cvnd  gab  im  rat,  daz  er 
ezz>,  b  cwie  er  ge&zz».  Man  missverstehe  nicht,  dass  ich 
meinte,  <rät>  in  seiner  materiellen  Bedeutang  sei  im  14./16.  Jh. 
nicht  mehr  zu  yerstehen  gewesen,  aber  man  hat  eben  für 
solche  Begriffsnoancen,  die  schliesslich  verschwinden,  eine  Zeit 
allmählichen  Altwerdens  anzunehmen,  das  in  einem  Falle  wie 
dem  Torliegenden  sich  unwillkürlich  offenbart.  Y.  800  a  cer 
▼iel  auf  pare  chnie»,  b  cauf  seine  chnie».  Y.  860  a  ein 
nerchleich»,  b  cminnichleich».  Y.  896  a  cdie  este  er  pald 
abstrauft»,  b  tabstraif».  Die  Entscheidung  in  diesem  Zwie- 
spalt ist  höchst  wichtig  und  giebt  eine  Präzedenz.  Fasst  man 
«abstraif»  als  nachlässige  Schreibung  fttr  €abstraift>,  so  dürfte 
dieses  dem  cabstrauft»  gegenüber  ein  Jüngeres  repräsentieren; 
ich  gebe  aber  Lexer  durchaus  recht,  wenn  er  im  Mhd.  Wb.  ü, 
1838  aus  unserer  Differenz  ein  eigenes  st.  Yb.  «striefen»  ent- 
nimmt. Dann  ist  also  cstraif»  ein  verlegener  Ausdruck  für 
ein  im  14.  Jh.  schon  ganz  und  gar  nicht  mehr  mögliches 
«strouf»,  während  a  sich  roher  durch  die  sw.  Form  cstrouft» 
zu  helfen  wusste.  Keines  bot  eigentlich  einen  Beim  auf  cauf», 
wahrend  bei  der  Annahme  von  cstrouf»  ein  solcher  auch  für 
einen  ziemlich  alten  Zustand  yorhanden  wäre,  da  ja  gerade 
im  Bairischen  die  Diphthongisierung  von  cü»  zu  cou»  bereits 
im  18.  Jh.,  namentlich  auch  vor  cf»,  einsetzt.^)  Ich  freue 
mich  der  Lezerschen  Autorität  für  diesen  Beweisgrund. 
Y.  1136  a  coffnvm»,  b  «hoffiiuug»,  W.  Grimm  toffenunge». 
Y.  1882  a  czeprachst»,  b  czeprach»,  Yorlage  wohl  czebrast». 
Y.  1367  a  €geward>,  b  cgewärr»  «>  cgewar»  schadete.  Y.  1396 
a  «vnd  gab  im  seinen  heylign  leychnam»,  b  «sein  selber 
leichnam».  «stn  selbes»  mochte  zu  beidem  Anlass  sein.  Y.  1406 
a  «daz  er  chaines  presten  enphant,  den  im  hetten  getan  der 
haiden  haut».    Das  sw.  Mask.  im  Simplex  aber  reicht  kaum 


>)  Weinhold  Bair.  Gramm.  §  100. 


78  K.  Bichter.  78 

noch  in  die  erste  Zeit  des  14.  Jhs.  hinein,  und  b  ändert 
cdaz  er  chain  yorcht  het  auf  dew  marter  dew  im  der  haidn 
tet>.  y.  1415  a  cherr  ny  habt  nvr  den  sin  ynd  in  gerächt 
auf  pindn» ;  ich  vermute,  es  ist  an  das  part.  von  crecken» 
gedacht  b  clat  in  hoch  auf  pinden».  Zum  mindesten  war 
es  im  14./16.  Jh.  üblich,  den  Infinitiv  bei  cgeruochen»  von 
einem  cze»  abhängen  zu  lassen.  Y.  1463  ab  cselig  wer»; 
y.  1471  a  cseligen  wäre»  b  «säligen  enpär».  Es  ist  merk- 
würdig, wie  ein  Wort,  das  in  der  Kunstdichtung  des  14.  Jhs. 
noch  vorkommt,  «saeldenbaere»,  in  einer  gewissen  Bildung»- 
Schicht  schon  so  unbekannt  sein  konnte,  als  es  danach  doch 
den  Anschein  hat.  y.  1683  a  «die  mich  rueffent»,  b  «ruefFen». 
So  ist  es  möglich,  meine  ich,  nicht  aus  allgemeinen  Prinzi- 
pien, sondern  aus  dem  Zeugnis  einzelner  bestimmter  Fälle 
heraus  das  yorhandensein  zweier  verschiedener  Formzustände 
in  unserem  Gedichte  rein  äusserlich  zu  beweisen.  Weiter, 
dass  deren  jüngerer  dem  14.  Jh.  angehört,  zeigen  einige  Seime 
mit  wünschenswertester  Sicherheit^  die  in  den  reduzierten  Formen 
des  13.  oder  13.  Jhs.  keine  Beime  wären.  Ich  greife  heraus: 
y.  695/6  «schrit :  werit  [=  schreit :  werte]»,  y.  655/6  «erhart : 
trat  [erhörte: trat]»,  y.  936/6  «verleyt : widerstreyt  [verläzit, 
verlset :  strit» ;  es  ist  mir  nicht  zweifelhaft,  dass  die  Kontraktion 
«leit»  also  aufzulösen  ist,  wenn  ich  auch  einen  Beleg  der  Form 
nicht  aufweisen  kann],  y.  1319/20  «ftirt:tut  [fiiorte :  tuot]». 
y.  1687/8  «gabst :  verlast  [gaebe,  gäbest :  verläzest,  verlaest, 
verlast]».  Dann  freilich  darf  man  auch  manche  derjenigen 
Eteime,  die  durch  starke  Apokopen  oder  durch  Nichtachtung 
der  QuantitätsdifiPerenz  in  den  ersten  Silben  zweisilbiger  Worte 
gewonnen  sind,  hier  heranziehen,  aber  doch  nur  eine  Auswahl 
der  Schönbachschen,  da  infolge  des  frühen  Eintritts  der  Apo* 
kope  im  Bairischen  ein  Unterschied  zu  machen  ist  z.  B.  zwischen 
y.  166/6  «jam :  bewam»,  965/6  «jam :  tagen»,  über  die  ich 
etwas  Bestimmtes  nicht  von  vornherein  behaupten  möchte,  und 
etwa  y.  296/6  «vater :  zarter»,  1266/7  «wazzer :  mer  [=  maere]», 
die  ich  sicher  für  späteres  Entstehen  in  Anschlag  bringen 
würde. 


79  Aasbildung  der  Legende.  79 

Ein  solches  induktives,  Ton  Fall  zu  Fall  entscheidendes 
Verfahren  yerdient  darum  den  Vorzug  vor  der  deduktiven  Btr 
nutzung  allgemeiner  Reimbegriffe,  weil  man  einzig  auf  diese 
Weise  zu  der,  wie  ich  glaube,  notwendigen  Einsicht  gelangen 
kann,  dass  unser  Gedicht  gerade  in  den  Teilen,  die  dem  14.  JL 
ihr  Dasein  verdanken,  eine  höchst  singulare  Seim&eiheit  be- 
kundet. Welche  denn  wohl  auch  zusammenhängt  mit  einer 
rhythmischen  Sorglosigkeit  und  einer  syntaktischen  Gleichgiltig- 
keit,  die  unverkennbare  Charakteristika  dieser  Partieen  sind 
und  unserem  Texte  eine  ganz  eigenartige,  nicht  unbedeutsame 
Stellung  in  der  äusseren  Geschichte  der  Volksdichtung  zu- 
weisen dürften.  Dass  auch  Schönbach  etwas  derartiges  ge- 
fühlt hat,  zeigt  seine  Bemerkung  über  die  metrische  Begel- 
mässigkeit  der  V.  61 — 74;  aber  ein  weiteres  Beachten  jener 
Elemente  hätte  ihn  von  der  Vermutung  einer  Interpolation  an 
dieser  Stelle  überfuhren  müssen  zu  der  überraschenden  Wahr- 
nehmung, dass  gerade  die  für  das  Fortschreiten  der  Erzählung 
wichtigsten  Abschnitte  in  formaler  Beziehung  den  retardieren- 
den überlegen  sind  und  sich  häufig  bequemst  auf  den  Sprach- 
zustand, wie  er  etwa  gegen  Ausgang  des  12.  Jhs.  als  ein  un- 
gefähr normaler  angesehen  werden  dar^  reduzieren  liessen. 
Die  Sache  eines  Herausgebers  wäre  es,  im  Einzelnen  stets 
darauf  hinzuweisen,  von  meiner  Seite  muss  es  genügen,  die 
Thatsächlichkeit  meiner  Wahrnehmung  an  einigen  Stellen  auf- 
zuzeigen. Und  man  wird  zugeben,  dass,  wenn  ich  die  erste 
vermeinte  Interpolation  des  Gedichtes,  die  gar  nicht  unnatür- 
lich mit  seinem  Anfang  überhaupt  zusammenfallt,  und  die  für 
die  Erzählung  unbedingt  wichtigste  und  unentbehrlichste  Partie, 
als  welche  doch  nur  der  Kern  der  Christusträgerlegende,  eben 
das  Christustragen,  betrachtet  werden  kann,  zu  einem  Ver- 
gleiche heraushebe,  die  Wahl  so  unbefangen  und  sachent- 
sprechend  wie  möglich  ist.  Das  heisst:  V.  1 — 46  und  V.  944— 
1126.  Es  folgt  also  eine  Nebeneinanderstellung  des  hand- 
schriftlichen [a]  und  eines  hergestellten  Textes  dieser  Stellen, 
hergestellt  in  den  ungefähren  Zustand  der  sog.  mhd.  Schrift- 
sprache  mit   massiger   Beschränkung   im   Rhythmischen   und 


80                                             K-  Biohter.  80 

möglichster  Toleranz  gegen  die  Torhandenen  Beime.  Das  Terümn 

comparationis  liegt  dann  im  Verhältnis  zum  Handschriftlichen. 

Got  mit  seiner  gotleich  macht  Got  mit  gotlioher  mäht, 

Der  cze  pild  maniger  hant  getat  der  ze  bilde  manio  hantgetat 

Dem   menschen    gegeben    cse  dem  menschen  gab  ze  erkennen, 

chennen 

Dar  ymb  daz  scholl  wenden  darmnbe  daz  er  sol  wenden 

Sein  sin  sein  gedanch  auf  die  spür  [5]    sin  gedanc  uf  diu  spor, 

Daz  iz  den  rechten  weg  für  daz  iz  den  rehten  wec  var, 

Den  er  so  wol  gerayt  hat  den  er  so  wol  gereitet  hat 

Mit  dem  wart  daz  er  do  pat  mit  dem  worte  daz  er  dö  bat 

Seinen  yater  von  hymelreych  sinen  vater  von  himelrich, 

Ob  is  macht  gesein  pilleich  [10]  ob  iz  mohte  gesin  billich, 

Daz  er  der  marter  würd  vber  habt  daz  er  der  marter  wurde  überhebt : 

Vil  pald  ym  daz  ward  wider  sagt  tu  balde  ihm  daz  wart  widersagt 

Auf  dem  perig  olynet  üf  dem  berge  Olivete, 

Damach  er  vil  pald  tet  da  nach  er  vil  balde  tete 

Waz  ym  der  engel  von  hymel  sayt  [15]  waz  im  der  engel  von  himel  seit* 

Wie  grozzleich  ward  der  menschen  wie  grozlich  wart  der  menschen  leit , 

layt 

Ob  er  nicht  snel  an  sich  nem  ob  er  niht  snelle  an  sich  nam, 

Da  von  Adam  ans  notten  chem  d&  von  Adam  nz  noeten  kam 

Ynd  alles  sein  gesiechte  unde  allez  sin  gesiebte. 

Dazmaohtdengotessun  an  machte  [20]  daz  machte  in  &ne  mähte 

Von  der  menschleichn  natür  von  der  menschlichen  natür, 

Die    von    mariam    sein    gothait  din  von  Mjariam  in  darchvuor; 

durich  für 

Ynd  do  die  menschait  gar  ver ...  dö  er  an  dem  krinze  sie  verkert, 

Darich  christezom  ain  swert  durch  Christum  iren  son  ein  swert 

Mariaz  ir  hercz  vil  dichk  durich  [25]  Marien  herze  dicke  durchstach 

stach 

Ynd  mit  der  gothait  die  hell  auf  und   mit   der   gotheit    die   helle 

prach  üfbrach 

Ynd  nam  her  aus  die  dar  in  warn  und  nam  herüz  die  wären 

Gebesen  vor  manich  tavsent  iam  drinne  tüsent  järe, 

Adam  vnd  euam  daz  gesiecht  Adam  und  sin  gesiebte. 

Do  von  manig  grozz  geprecht  [30]  da  von  manic  gröz  geprehte 

Cze  hymel  vor  gocz  anplich  ist  ze  himel  vor  gotes  anblicke  ist. 

Dor  nach  mit  got  leicher  list  da  nach  mit  gotlioher  list 

Der  spart  er  do  die  hell  versparte  er  dö  die  helle 

Daz  dar  in  nyemant  chumpt  den  daz  nieman  wan  er  welle 

er  wel 


81  Aasbildnng  der  Legende.  81 

Mit  rechtem  ganczen  willen  dar  in  [85]  mit  rehtem  willen  knmt  dar  in. 
Dar  ymb  hat  er  die  fvmf  sin  darmnbe  hat  er  die  fünf  sin 

Einen  igleichen  menschen  gebfi  eim  ieglichen  menschen  geben, 

Daz  es  er  chen  an  seinen  lebfi  daz  iz  erkenne  an  sinem  leben 

Was  pös  oder  gut  sey  getan  waz  boesliche  oder  wol  get&n, 

Dax  gät  er  tne  vnd  daz  pözz  lan  [40]   daz  goote  er  tuo  und  daz  boese  1&. 
Tuet  er  daz  endichleich  tuot  er  daz  endediche, 

So  vert  er  in  daz  fron  hymelreich  vert  er  in  daz  himelriche, 

Tat  er  aber  daz  nicht  tuot  er  daz  aber  niht, 

So  vert  er  ain  jar  merchleich  ge-  vert  er  in  j&mers  geschiht 

schiebt 

Cze  tall  in  der  hell  gmnd  [45]  ze  tal  in  der  helle  gmnt, 
Daz  im  wirt  grozzer  iamer  chond  daz  grozer  jdmer  ihm  wirt  knnt. 

Nun  erwäge  man^  welcher  rein  äusserlichen  Umgestaltung 
der  Text  unterzogen  werden  musste,  um  in  diese  unter  den 
gewollten  Voraussetzungen  leidlich  lesbare  Form  gebracht  zu 
werden.  Die  Y.  1.  6.  20.  22.  23.  26.  27.  28.  29.  34.  35. 
42.  44  sind  grundsätzlich  gekürzt  worden,  ohne  dennoch  alle 
Härten  zu  ersparen  [V.  11  dreisilbiger  Auftakt^  Y.  86.  26 
schwere  doppelte  Senkung].  An  fünf  Stellen  waren  die  härte- 
sten Apokopen  zu  wahren:  Y.  9.  16.  21.  23.  36;  um  sie  zu  ver- 
meiden, musste  in  einem  Falle  der  bessere  irreale  Sinn  ins 
Positive  umgesetzt  werden:  Y.  17/18.  Dazu  erwies  sich  nötig, 
auch  einzelne  Worte  zu  ändern:  Y.  39,  wodurch  eine  beab- 
sichtigte wörtliche  Weiterftthrung  zerrissen  ward.  Und  was 
ist  durch  all  diese  Mittelchen  gewonnen?  Jede  Zeit  hat  ihren 
eigenen  Sprachgeist,  und  was  im  Gewände  des  14.  Jhs.  auch 
seinem  lehrhaften,  moralspintisierenden  Bedürfiois  äusserlich 
und  innerlich  recht  wohl  angemessen  sein  mochte,  das  wird, 
äusserlich  um  fast  zwei  Jahrhunderte  zurückgeschraubt,  inner- 
lich um  so  fremder  dem  Wesen  der  älteren  Epoche  anmuten. 
Man  nehme  diese  Anüangsperiode,  von  Gedanken  zu  Gedanken 
fortspinnend,  elf  Yerse  hindurch,  diese  Schlussperiode  mit  ihren 
Antithesen:  ist  das  der  Stil  des  12.  Jhs.?  Freilich,  wenn 
man  in  seine  früheren  Jahrzehnte  zurückgreifen  wollte,  auf 
Heinrich  von  Melk  etwa  und  kleinere  geistliche  Denkmäler, 
so  mag  man  manches,  was  ich  als  Kennzeichen  des  Späteren 

ansehen  will,  wie  die  unregelmässige  Bhythmik  mit  oft  über- 

6 


82  K-  Bichter.  82 

ladenen  Versen,  den  langen  Periodenbau,  darin  zu  finden 
meinen:  aber  einmal  ist  es  denn  doch  sprachlich  unmöglich, 
an  diese  Zeit  fiir  unser  Gedicht  zu  denken,  und  dann  bleibt 
immer  ein  unauflösbarer  Kest  des  Stilgegensatzes  zwischen  den 
beiden  in  mancher  Beziehimg  ja  thatsächlich  yergleichbaren 
litterarischen  Perioden,  der  sich  hier  in  Kürze  nicht  definieren 
lässt,  ein  Hauch  des  Aristokratischen  gegen  demokratischen 
Geruch.  Auch  vertraue  ich,  dass  das  Probestück  der  epischeren 
Partieen  über  das  zeitliche  Verhältnis  zu  dem  erstmitgeteilten 
keinen  Zweifel  lassen  kann. 

Got  wolt  in  versuchen  mer  got  wolte  in  versnochen  mer 

Ynd  macht  an  den  stunden  [945]  und  machte  an  den  standen 

Daz  des  marges  vnden  daz  des  wazzers  unden 

Wurden  slachen  vast  wurden  slahen  vaste. 

Offorus  lag  ynd  rast  Offer  lac  und  raste 

Ynder  einen  grozzen  paum  under  einem  grozen  boum, 

Do  er  do  het  sein  gaym  [950]  dö  er  hete  sme  goum, 

Ob  yemant  chem  in  gedult  ob  ieman  komen  wolte, 

Den  er  do  vber  tragn  sohoU  den  er  übertragen  solte. 

Also  lag  er  vnd  enczlief  also  lac  er  und  entslief. 

Ein  stim  im  do  vil  süzzleich  ruft  ein  stimme   im  do  \il  suoze  rief: 

Offer  seliger  junger  man  [955]  „Offer,  saelic  junger  man ! 

Durich  den  dem  du  pist  ynder  tan  durch  den  dem  du  bist  undertan 

Gewesen  mit  dinst  manigen  tag  mitdiensteundwaeremanigentac, 

Durich  des  wiUen  mich  vber  trag  durch  des  willen  mich  über  trac 

Ynd  durich  seiner  müter  maria  und  durch  sine  muoter  Mariam!"^ 

Wie  pald  er  czu  im  selber  da  [960]  wie  balde  er  zuo  im  selben  kam, 
Cham  do  er  die  stim  erhört  do  er  die  stimme  erhörte, 

Auf  den  elpogfi  er  sich  chert  uf  den  elienbogen  er  kerte 

Ynd  lügt  wer  do  were  und  luogte  wer  do  wtere. 

Do  sach  er  in  solicher  pere  do  sach  er  solicher  baere 

Ein  chlaines  chind  pey  sybxl  iäm  [965]  ein  kleinez  kint  bi  siben  järn, 
In  daucht  wie  er  pey  seinen  tagfl  in  duhte  wie  er  bi  sinen  tagen 

So  liepleichs  nie  gesechen  hiet  üeplichers  niht  gesehen  Met. 

Ob  mich  niem  dor  vmb  weriet  ob  mich  nieman  ouch  beriet, 

So  wolt  ich  dir  helffen  czwar  so  wolte  ich  dir  helfen  awÄr! 

Also  hueb  er  sich  dar  [970]  alsus  huop  er  sich  dar, 

Ynd  do  er  hin  vber  cham  und  do  er  hin  über  kam 

Ynd  des  chindleins  war  nam  und  des  kindlins  war  nam: 

Do  waz  es  verswunden  do  was  ez  yerswunden, 

Dos  er  sein  nicht  sechen  chunden  daz  er  sm  niht  sehen  künde. 


83  Aasbildang  der  Legende.  g^ 

£r  gedacht  wo  pista  bin  [^75]  er  dahte:  „wo  bista  bin? 

Wie  hat  mich  do  wetragtk  mein  sin  wie  betrouc  mich  doch  mSn  sin?*' 

Alain  er  her  yber  wüt  eine  er  her  nber  wuot, 

Ynd  leyt  sich  in  den  schad  gut  und  aber  in  den  sehnten  gnot 

Do  er  gelegft  waz  do  er  e  gelegen  was 

Lait  er  sich  nider  in  daz  graz  [980]  leite  er  sich  nider  in  das  gras. 
Cze  hant  encslief  er  aber  do  ze  hant  entslief  er  aber  dd. 

Die  stim  er  aber  bort  also  die  stim  er  aber  horte  also: 

Offer  rainer  seliger  degen  n  Offer,  reiner  saelic  degen! 

Daz  dir  wehüt  wert  dein  leben  daz  dir  behnotet  si  din  leben, 

Ynd  daz  dir  der  mfiz  wider  varli  [985]  nnd  daz  dir  muoze  widervam 
Den  maria  hat  getragli  den  Maria  hat  geborn! 

Hilf  mir  vber  rainer  man  hilf  mir  aber,  reiner  man; 

Daz  dir  sein  got  ymmer  Ion  des  si  dir  iemer  gotes  Ion". 

Offorus  aber  auf  sach  Offer  aber  af  sach, 

Wider  sich  selber  er  do  sprach    [990]  wider  sich  selben  er  do  sprach: 
Daz  ich  ymb  syst  nv  wuette  gar  „daz  ich  umbsust  nu  wnote  gar, 

Ich  wil  noch  ainsten  noch  dir  czwar  ich  wil  noch  einest  n&ch  dir  zwftr". 

Aber  er  sich  anf  swang  aber  er  sich  üfswanc, 

In  die  hant  nam  er  sein  stang  er  nam  die  ruote  in  sine  hant 

Ynd  wüt  aber  vber  den  pach       [996]  nnd  wnot  aber  über  den  bach: 
Des  chindes  er  aber  nicht  sach  des  kindes  dannoch  er  niht  sach. 

Er  sprach  ist  daz  nicht  ein  wunder  er  sprach :  „ist  daz  ein  wunder, 

Daz  ich  czwir  wesunder  daz  ich  zwir  besunder 

Do  her  vber  gewatfi  han  do  her  über  gewaten  hän 

Ynd  siech  nv   niemant  hie  stan    [1000]  und  sihe  hie  nu  nieman  stan?'' 

Er  ruft  rast  wo  sint  se  nv  er  rief  vaste:  „wä  sint  nu 

Die  ich  schol  tragfi  vber  den  phlvm  die  ich  sol  tragen  über  den  phlüm  ?** 

u.  s.  w.  u.  s.  w.,  ich  will  nicht  ermüden;  nnr  der  Höhepunkt 
sei  noch  gegeben. 

Do    offorus    auf    daz   wazzer   en  do  Offer  üf  daz  wazzer  kam, 

mitten  cham 
Oot  sich  an  nam  [1090]  got  sich  sin  do  annam 

Daz  er  aioh  versinnen  wolt  und  sich  versinnen  wolte, 

Ynd  daz  er  offorü  wer  holt  wie  er  werte  in  siner  hulde. 

Got  layt  im  sein  hant  auf  sein  haup  die  hant  leite  er  im  üf  daz  houbt 

Ynd  macht  offorü  betäubt  und  machte  Offorum  betoubt. 

Offorus  der  seEg  werd  [1096] do  sprach  der  saelic  werde: 

Sprach  vnd  trüg  ich  hymel  vnd  erd  „und  trÜege  ich  himel  und  erde 

Anf  mir  ich  trüg  so  swer  nicht  üf  mir,  s6  swaere  truege  ich  niht, 

Als  mir  heint  von  dir  geschieh  [b4Y.]al8mir  hinahtyondirge8ohilit*<. — 

6* 


84  K.  Richter.  84 

An  der  stet  tet  got  ein  czaichü  an  der  stat  tet  got  ein  zeichen, 

Des  meres  gnind  wegnnd  waichfi  der  grant  begnnde  wichen 

Wider  den  snezzen  offoro  [1105]0fi[ro  under  den  faozen, 

Do  sprach  iesns  also  do  sprach  Jesus  der  snoze: 

£  wastu  genant  offoms  |,genant  wastu  Offoms, 

Na  Bcholta  haizzen  christofforus  na  heizest  du  Christofforus ; 

Dor  ymb  daz  ich  christus  pin  danunbe  daz  ich  Christus  bin 

Gib  ich  dir  meinen  nam  czu  de  [1110]  gib  ich  dir  minen  namen  hin, 

deinen  hin 
[b]  daz  du  solt  gewaltiglioh  [b]  daz  du  gewaltecliche 

Mit  mir  besiezen  daz  hymebeich  mit  mir  besitzest  daz  riche''. 

Also  gab  im  got  selb  die  tauf  alsus  gap  im  got  selp   den  touf, 

Des  meres  Tnde  mit  dem  lauf  des  meres  unde  mit  dem  louf 

Yber  guzzen  in  do  an  der  stet    [1115]uberguzzen  in  an  der  stete. 
Got  aber  ein  czaichen  mit  im  tet  got  aber  ein  zeichen  an  im  tete : 

Die  ruettfi  die  er  do  trüg  die  ruote  die  er  do  truoc, 

Die  waz  grozz  ynd  vngefug  die  was  groz  und  ungevuoc, 

Die  ward  im  grünnd  in  der  haut  die  wart  im  gruonend  in  der  haut. 

Do  tet  im  got  mit  bechant  [1120]  d&  tete  got  im  mit  bekant, 

Daz  er  der  wäre  got  waz  daz  er  gelouben  solte  daz, 

Daz  er  gelauben  scholt  daz  daz  er  der  wäre  got  was 

Ynd  tun  macht  waz  er  wolt  und  tete  waz  er  wolte, 

Daz  er  daz  gelaubfi  scholt  daz  er  daz  gelouben  solte. 

Gze  hant  verswand  Jesus  [1126]  ze  haut  verswant  Jesus 

Von  dem  heyligQ  christofforus  von  dem  heiligen  Christofforus. 

Ich  behaupte  nicht,  das  Gedicht  habe  je  so  gelautet  oder 
laute  so  besser  als  es  überliefert  ist.  Denn  erstens  ist  es 
natürlich,  dass  der  Interpolator  einen  unmöglich  mit  Sicher- 
heit zu  bestimmenden  Einfluss  auch  auf  die  Gestalt  des  Ori- 
ginals ausgeübt  hat,  und  diesem  würde  ich  gern  die  wenigen 
Stellen,  deren  Änderung ,  nicht  in  einer  blossen  Verschiebung 
der  Wortstellung  oder  in  der  Auslassung  entbehrlicher  Partikeln 
u.  s.  w.  besteht,  zuschieben,  z.  B.  die  apolsopierten  V.  994. 
1091  —  es  ist  zu  bemerken,  dass  alle  diese  Falle  nie  unbe- 
dingt Unentbehrliches  betreffen  —  dann  aber  ist  die  Bicht- 
schnur  für  die  Beurteilung  dessen,  was  in  metrischer  Beziehung 
in  einem  Denkmal  erlaubt  war  und  nichts  sobald  dasselbe  ein- 
mal eine  Überarbeitung  erfeJiren  hat,  so  wenig  straff  anzieh- 
bar, dass  auf  ein  gewisses  Mehr  oder  Minder  nie  gedrungen 
werden  kann.    Nur  das  war  die  Behauptung,  und  das  leuchtet 


86  Ausbildiing  der  Legende.  86 

nach  allem  wohl  auch  ein,  dass  die  für  die  Erzählung  wichtig- 
sten Partieen  bei  geringen  Änderungen,  wie  sie  jedem  Heraus- 
geber ohne  weiteres  zustehen  würden,  einen  sozusagen  reineren 
Text,  in  metrischer  und  stilistischer  Hinsicht,  ergeben,  der  sich 
anderen  Teilen  des  überlieferten  Ganzen,  die  am  Kern  des 
Gheschehens  nur  locker  haften  und  eine  grössere  unvollkommen- 
heit  der  fonnalen  Existenz  erkennen  lassen,  als  das  Ursprüng- 
lichere und  Altere  gegenüberstellt.  Die  Wahrnehmung,  dass 
sich  dieses  doch  Tielfeich  intakt  und  erkeimbar  erhalten  hat, 
und  dass  das  offenbar  Hinzugekommene  seinerseits  wieder  einen 
wenn  auch  üeurbloseren  übereinstimmenden  Charakter  trägt,  be^ 
rechtigt  uns  zu  der  Annahme,  dass  das  Wesentliche  der  Über- 
arbeitung  von  einem  einzigen  TJberarbeiter  herrührt.  Es  ist, 
wie  wir  schon  yerschiedentlich  zu  bemerken  Gelegenheit  hatten, 
kein  Zweifel,  dass  seine  Thätigkeit  ins  14.  Jh.  gesetzt  werden 
muss.  Sehen  wir  dagegen  auf  den  Zustand  der  Vorlage,  soweit 
wir  ihn  als  bewahrt  ansehen  dürfen,  so  bemerken  wir,  dass  er 
formal  noch  nicht  auf  der  Höhe  steht,  die  um  und  nach  1200, 
in  der  Blütezeit,  wohl  die  durchgängige  war.  Unvollkommene 
Beime  mit  vokalischer  Unreinheit^  wie  etwa  in  Y.  987/8  cman : 
16n»,  1103/4  czeichen  :  wtchen»,  mit  konsonantischem  Uber- 
Bchuss  in  einem  Wort  wie  Y.  978/4  cverswunden  :  künde» 
u.  8.  w.,  die  an  Zahl  und  Schwere  zwar  hinter  denen  des 
Interpolators  zurückbleiben,  aber  doch  immer  da  sind,  lassen 
bei  dem  sonstigen  unleugbaren  metrischen  Wohlbestreben  auf 
eine  Abfassungszeit  schliessen,  die  der  allgemeinen  Anerkennung 
absoluter  Beimreinheit  als  einer  formalen  Forderung  voranging. 
Für  die  volksmässige  Dichtung  mag  man  diesen  Übergang 
vielleicht  zwischen  1170  und  1200  setzen,  ich  bin  zufrieden, 
wenn  man  mir  die  Zeit  um  die  Wende  des  Jahrhunderts  vor- 
läufig zugiebt. 

Es  muss  sich  des  Weiteren  darun  handeln,  nach  den  ge- 
wonnenen Prinzipien  das  ganze  Gedicht  einmal  durchzugehen; 
nicht  in  dem  Sinne,  als  Hesse  sich  eine  absolute  Trennung 
zwischen  Jüngerem  und  Älterem  durchführen,  aber  um  zu 
sehen,   wie  das  Letztere  nach  rein  äusseren  Kennzeichen  zu 


e«  K.  Richter.  8« 

urteilen  ungefähr   sich  dargestdüft   haben   mag«     Das  Inter* 

fclüette  steht  in  eckigen  Klawmeni,  ^las  m  Vermittelnde,  an- 

«<äkeinend  tirfer  Tom  Interpolator  Uafestaltete,  in  runden. 

{V.  1—46]  Einleitende  Beflenm. 

(V.  47 — 52)  Hierin  könnte  eine  Art  An£uig  stecken;  wenn  nicht 

\y.  63 — 60]  dagegen  etwas  «xnatraniscli  machten.  Ein  altes 
Gleiduüs  mdht  sehr  geistv^eh  und  übel  ^bautich 
anf  den  Heidenvater  tibertragen. 

V.  61 — 72.  Derart  mag  das,  was  im  alten  Text  nicfat  episcb 
war,  besdiaffen  gewesen  sein:  ein  sehlichter  frischer 
Eingang.  Wollten  wir  lunstelien,  so  liessen  mdb. 
die  (V.  47 — £2)  dahintw  «ehr  gut  anbringen. 

jy.  73—78]  wären  dann  natürlich  fortanidenkai. 

(V.  79 — 1-62)  In  dieser  Gebort^esdiiehte  macht  znm  mindesten 
Tieles  den  Eindruck  leerer  Wortvariation.  Man 
könnte  sieh  folgeiider  Verse  entscfalagen  bei  leiditer 
YemuttelnngderLücken:  [61— 8S,95— 96,99— 110]. 

[V.  163—182]  halte  ich  im  Wesentiichen  fibr  interpoliert.  Eb 
lässt  sich  wahrnehmen,  4lass  die  meisten  übertreibeDfi- 
den  Züge,  besonders  die  fasorlesk  gefiLrbten,  in  formaler 
Hinsicht  sum  Gepräge  des  Späteren  neigen,  was 
aas  der  Gesddchte  der  yolksttimlichen  Poesie  Er* 
Uärang  und  Bestätigung  fände. 

(V.  183 — 334)  Aus  demselben  Oesiditspankt  ist  auch  diese 
Partie  zu  beurteäen.  Die  ritterliche  Erziehung  darf 
man  nicht  antasten,  Offen  Kraftthaten  halten  sich 
in  den  Grenzen  reckrechafter  Auszeichnung.  Aber 
dass  er  nachher  der  «massenfe»  zu  Fuss  entgegen 
gehen  muss,  weil  kein  Eoss  ihn  tragen  kann,  dass 
seine  unbefiriedigte  Stimmung  den  Kämmerern  wegen 
der  ersparten  Speise  sehr  willkommen  ist,  das  fiQlt 
aus  einem  gehaltvolleren  Tone  in  einen  gemütlich 
niederen. 

y.  336—552.  Die  Staffel  der  Wanderung  Offori:  König, 
Teufel,  Christus,  ist  so  einfisu^h,  dass  sie  wohl  ur- 
sprünglich dünken  muss.   Die  Wiederholungen  des 


ßj  Ausbildnng  der  Legende.  igf 

HnngermatiYS,  das  unbegründete  Herbeiziehen  der 
Heidengöttor  [U3-^B^  877— 7d]  sind  zu  be- 
anstanden, veiter  [406—6,  439—40]  (486—90, 
496 — ^99);  das  HeimtEagen  der  Jagdbeute,  das 
G«Bpräch  jxdt  ^em  Serm  dürften  ebenfalls  ziemlich 
modifiziert  urocdesi  scm  (605—2%)  [689—40,  648 
—62].  JDie  unedlecsn  Ausdrttoke  sollten  immer 
bedralüch  machen. 
V.  663—780.  Die  Motmeruixg  4es  fik^oheinens  des  Teufels 
stört,  und  im  ältaren  Stil  fa)mmen  die  Leute  besser 
ohne  Anmeldung  [659—64].  [679/80].  Der  Bede 
des  Teufels  ist  leicht  «in  einfaches  GtefÜge  zu 
geben  {664 — 94),  das  Ghesprikji  überhaupt  abzu- 
kürzen (599 — 610)  und  Üiberflttssiges  im  Interesse 
des  Fortgangs  zu  beseitigen  [616—18,  623—97] 
(668—66)  [«69— fiO,  669—70,  679—80].  Dann 
aber  miiss  sioh  die  sohvierige  SVage  erheben, 
-welche  Bolle  der  fiinsiedel  im  aiten  Zustand  spielte. 
Die  ganz  hübsche  Erzählung  setnes  anfänglichen 
Schreckes  [€83 — 710]  nmss  ich  v«an  formalem  Stand- 
pimkt  als  jmg  aosehan,  und  sie  reiht  sich  auch 
dem  übertreibend  Oenr^aftesi  an.  Femer  im 
irateren  Yedanf,  abgesehen  vom  Einzelnem,  die 
breite  Aosfiihnmg  des  Mahles  [735—46],  und  es 
lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  bei  jener  nächtlichen 
Bcene  im  Flusse  das  wiederholte  Eingreifen  des 
Einsiedleis  sioh  mnsem  kunstteelBuschen  Begriffen 
nach  sehr  störend  erweist  Aber  die  Handlung 
scdireitet  dabei  doch»  iraon  auch  in  zwei  erst  all- 
mählich kouTergierenden  Bicfatangen,  Torwarts,  das 
Äussere  bietet  keine  unabwenlichen  Anhaltspunkte, 
^  und  die  naive  Art  der  Wiederaufnahme,  wie  sie 
dem  Tolkstämlichen  Stile  zu  Gebote  steht,  verbürgt 
gleichsam,  wie  wenig  das  Streben  auf  absolut  ein- 
heitliches Fortlaafen  des  Geschehens  gerichtet  war. 
Dazu  macht  das  darauf  folgende  Gespräch  zwischen 


88  K.  Richter.  88 

Offer  und  dem  Einsiedler  einen  einfachen  Eindruck, 
und  schliesslich  ist  doch  sein  Dasein  und  sein 
Wesen  zu  erfreulich,  als  dass  man  nicht  gern,  ihn 
möglichst  wenig  zu  beschränken,  wünschen  sollte. 

y.  781 — 1158.  So  wage  ich  für  diesen  ganzen  Hauptabschnitt 
nur  folgende  kleineren  Ausscheidungen  abgesehen 
von  einzelnen  Versen:  das  überflüssige  Gtebet  des 
Einsiedlers  an  Maria  [807—816],  das  Morgen- 
frühstück [873 — 76],  die  moralische  Ergiessung 
[936 — 44];  gebe  Veränderungen  anheim  für  (1027 
—34,  1072—88,  1099—1102).  Nach  dem  Ver- 
schwinden Jesu  mögen  vielleicht  das  Gespräch  mit 
dem  Einsiedler  und  die  Bückkehr  in  die  Hütte 
etwas  breiter  geraten  sein  als  sie  ursprünglich 
waren. 

V.  1169—1200.  Auch  in  dem  Thatsächlichen  dieser  Verse 
ist  nichts  zu  erinnern,  einige  Elleinigkeiten  in  Ent- 
behrlichem sind  etwa  zu  beanstanden:  [1167/8] 
(1187—90,  1198—1200). 

V.  1201 — 1680.  Die  Wanderung  nach  der  Stadt  mag  passieren. 
Dann  aber:  was  ist  von  dem  Martyrium  des 
Heiligen  älter  und  jünger?  Im  allgemeinen  darf 
wohl  gelten,  dass  eine  Freude  an  derartigen  Gräss- 
lichkeiten,  wie  sie  hier  in  Beime  gebracht  sind, 
eher  dem  14.  als  dem  12.  Jh.  zuzumuten  ist.  Doch 
lässt  sich  im  Gegensatze  zu  so  manchen  andern 
Märtyrererzählungen  eine  gewisse  dramatische  Be- 
lebung teilweise  nicht  verkennen.  Wir  würden 
begreiflich  finden,  dass  das  sachliche  Interesse  des 
Interpolators  hier  einen  stärker  yerändemden  Ein- 
fluss  auf  seine  Vorlage  üben  konnte,  sodass  wohl 
Altes  und  Neues  wirrer  und  unentwirrbarer  sich 
verschlingen  möchte.  Ich  wäre  geneigt,  als  jung 
anzusehen:  [1251—66,  1270—80]  (1288—1808) 
[1319—22,  1375—78,  1395—1408];  was  aber 
etwa  an  Stelle  der  V.  (1409—26)  gestanden,  müsste 


89  Ansbildimg  der  Legende.  89 

man  raten.    Weiter:  [1441—48,   1473—82,   1617 
— 22].   (1637 — 62)  mag  ein   naiverer  BöBtungsakt 
zu  Omnde  liegen,   wenn  man  anch  gerade  diesen 
gern    ganz    entbehren    wollte.     Was    endlich    im 
SchluBSgebet  ursprünglich  ist,  entscheide  ich  nicht; 
vielleicht  sehr  wenig.     Zusätze  konnten  sich  hier 
von  Hand  zu  Hand  einschleichen,  etwas  notwendig 
Festes  ist  aus  so  Schwankendem  nicht  gewinnbar. 
Der  Konsequenz  halber   sei  ausgeschieden   [1685 
— 1624].    Den  so  erlangten  weit  epischeren  Schluss 
meine  ich  dem  ursprünglichen  Gedicht  wohl  zu- 
schreiben zu  dürfen. 
Zum  Ausgang  all  dieses  o  Formalen  sei  noch  kurz  der 
Frage  gedacht,  welchem  Dialekt  das  Gedicht  in  seiner  alten 
Gestalt  angehörte.     Schönbach  lässt  sie  o£Fen,  er  finde  keine 
Indizien  der  Entscheidung.    Wir  haben  aber  den  Eindruck 
gewonnen,    als  ob  in   unserm  Texte  wesentliche  Stücke  des 
Alten  leidlich  unversehrt  bewahrt  seien ;  wenn  wir  nun  ferner- 
hin   zwischen    ihnen    und   den    interpolierten   Versen    keine 
dialektische  Differenz  bemerken,   so  ist  dieses  negative  Er- 
gebnis   eine  sehr  wohl    genügende  Grundlage   der  positiven 
Meinung,  dass  die  alte  Vorlage  ebensowohl  in  Baiem-Osterreich 
entstanden    sei  wie   die   beiden  Handschriften   der   späteren 
Überarbeitung  dort  entstanden  sind.    In  diesen  deutschesten 
der  deutschen  Landschaften  [litterarisch  geschätzt],  in  dieser 
Heimat  des  deutschen  Volksepos. 


und  wie  sollte  es  anders  sein? 

Haben  wir  im  Grossen  und  Ganzen  mit  der  Scheidung 
eines  Alteren  und  eines  Jüngeren  in  unserem  Texte  recht, 
80  erleuchtet  uns  nun  erst  die  rechte  Erkenntnis  unseres 
Gedichtes  und  seiner  Geschichte.  Die  Wahrnehmung,  die  so 
oft  bei  einem  volkstümlichen  Dichtungsgebilde  entgegen  trat, 
dass  ein  unendlich  schöneres  Älteres  aus  ahnungsvollem  Dunkel 
schliesslich  hervorstrahlt  —  die  Ahnung  übertrifft  sicherlich 


90  £•  Bichter.  90 

immer  die  ^erBtmkeBüe  Wkldichkeit  —  sie  bestätigt  sich  auch 
in  imBeim  Falle  «nd  modi&dert  sißh  zagleich.  Eine  Legende 
neaont  man  imser  Gedicht.  Mit  demselben  Recht  nnd  Unrecht 
wie  man  den  Orendel  so  neoamen  mag.  Aber  doch,  wenn  wir 
den  Vergleicäi  ein  wenig  ausdenken,  ist  es  ein  anderes  um 
Onendel  und  Cttuistoph.  Im  Orradel  stedct  du  alter  Kern, 
gleicfagältig  "Vfifi  beschaffiBOy  dem  eine  chriaflichey  geistliche^ 
legendadsche  Tendenz  eist  eingeimpft  worden  ist,  dem  Christoph- 
steffe  ist  dieses  Gepräge  Ton  Toraiierein  eigentümlich.  Der 
die  Iiegeude  erfand,  Tielteüdit  war  er  aus  <bm  Kloster  ent- 
sprungen und  hatte  eine  nnbestinmite  firimierong  an  eine 
Geschichte,  die  er  einmal  hatte  schreiben  oder  lesen  müssen, 
▼on  CEhristophoms,  tooi  deei  Christasträger;  jetet  fahr  er  im 
Lande  «mher  als  «em  Glied  der  grossen  cdiet»,  die  jener  Zeft 
das  poetiicfafi  Bewusstsem  des  Volkes  darsteDte.  Er  saes 
gerade  recht  warm  mid  mochte  noch  nicht  ^weiter,  da  sann 
er  nach,  was  er  den  Abend  denn  singen  und  sagen  auiofate^ 
das  Wirt  und  Gesinde  noch  nicht  Temommen  hätten.  Und 
der  Abend  kam,  und  er  sang  von  (Mer,  deai  Biesen,  der  das 
Christkind  durdi  das  Wasser  getza^n  hätte.  Von  Biesem 
hörten  die  Leute  gern,  und  aoeh  der  Pfaff  konnte  gegen  dea 
cfaiistliQhen  Biesen,  der  dem  Herrn  diente  in  Demütigkeiifc 
und  Troue,  zu  sterben  und  zu  genesen,  nicht  recht  etwas 
haben;  es  war  ein  geschickter  Zug  des  Erzählers,  durch  die 
im  neuen  romantisch -ritterlichen  Gteiste  erfundene  Jugend- 
geschichte  die  Herrschaft  sich  günstig  zu  stimmen.  Er  führte 
die  Phantasie  in  ferne  Gegenden,  in  ein  wunderbares  Land, 
davon  die  Zeit  träumte  und  fabelte,  das  Ziel  der  Sehnsucht 
jedes  einzelnen.  Er  musste  thuu,  als  hätte  er's  selbst  gesehen, 
so  war  es  halb  die  Hemiat  .und  halb  mi  fremdes,  fremd  wie 
die  Leute,  die  es  bewohnten,  von  denen  furchtbaie  Vor- 
stellungen im  Schwange  gingen,  als  wollte  man  sich  im  rwaos 
das  Verdienst  eines  S[reuzzugs  erhöhen,  indem  man  £e 
Grausamkrät  der  Gegner  ins  rechte  Licht  setete.  Hier  konnte 
der  Fahrende  brauchen,  was  ihm  noch  geblieben  war  ¥aa 
dem  alten  Martyriiun  8.  Christophori,  aber  auch  damit  schaltete 


91  AoBbildong  der  Legende.  91 

«r  frei,  wie  es  der  Geechmaok  seiner  ZühSrer  forderte,  und 
80y  iBdem  er  wedbsefaid  die  ganze  Skala  des  Zeithiteresses 
durddief^  migendB  langweöte,  aDen  genugthat,  da  hatte  er 
M&eii  Zmedk  erreicht  und  durfte  rrichlicben  Lohnes  gewiss  sein. 

Jedenfalls  ist  das  sicber:  die  Yoiiage  unseres  QedichteB 
grfit  in  ihrem  oigentUchsten  Inhalt  nicht  auf  litterarische 
fkiadition  ararftek,  der  Dichter  war  der  firfioder  semes  StofiEee. 
Hat  er  danmi  bewuest  gdogen? 

Man  vnterschätee  seine  Konst  nicht.  Er  erz&hlt,  wie  das 
alte  Yolksepos  überhaupt,  einfisteh,  ohne  angenfSliige  Mittel, 
«tne  Berecfarang.  Die  Wiederholung,  das  E(»melhafte  sind 
•eiliem  Stfle  eigen,  die  Verse  fliessen  gleidimäsng  Tieihebig 
dahin,  die  Beime  sind  vielfach  die  geläi^en.  Nur  das  un- 
mittelbar Yoigefaende  wird  plastisch  lebendig,  die  weitere  5rt- 
Kdie  und  ertliche  Folge  bleibt  im  Unklaren.  Diese  naive 
Alt  wild  eihoben  durch  ein  höchst  intensives  und  individuelles 
Natorgeföhl,  aus  wachem  schone,  tie^poetische  Anschauungen 
entspringen,  besonders  eigenartig  fBr  das  Hereinbrechen  der 
Nacht  Die  Nadht  legt  sich  über  den  Wald,  und  der  Vog- 
lern Schall  wild  still  [V.  S«6/7j.  Das  könnte  noch  über- 
kommen  sein.  Aber.  Es  wird  spat,  dass  der  Tag  sich  unter 
das  Gebirge  legt  und  die  Nacht  aus  ärem  Loch  hervoikriecht 
und  wki  langsam  über  die  Erde  senkt  [V.  1003 — 7].  Ich 
kenne  keine  ähnlich  grauenhafte  VorsteUung  der  Nacht  als 
einer  Art  lebenentsaugenden  Vampyrs  im  BerMche  unserer 
ilteroin  Sprache  und  Poesie,  nur  Wolframs  Tag,  der  seine 
Klauen  durch  die  Wolken  schlagt,  oder  auch  durch  die  Nacht, 
und  mit  grosse  Kraft  emporsteigt,  stellt  sich  dem  an  die  Seite, 
und  erst  bei  GoeÜie  dringt  die  Nacht  aus  allen  Winkeln  und 
Ecken  hervor.  In  unserem  Gedichte  aber  hängt  diese  Tiefe 
der  Natarempfindung,  die,  im  Legendenhaften,  in  dem  Pilatus- 
fragment vielleicht  ebenbürtig  hervortritt  [V.  216  ff.],  unver- 
kennbar zusammen  mit  dem  novdlistiscfa-idyllischen  Oharakter 
des  Ganzen.  Das  ist  wohl  der  wesentlichste  unterschied  vom 
eagentlichen  Volksepos:  die  Darstellungsart  ist  dieselbe,  aber 
der  Gregenstand  und  sein  innerster  Gehalt  ein  anderer.    Das 


92  ^  Richter.  98 

Interesse  des  Epos  sind  Kämpfe,  und  Hochzeiten  im  alten  und 
in  unserm  engeren  Sinne  des  Wortes  verstanden.  Ganz  anders 
in  unserem  Christophgedicht.  Ein  ein£acher  Grundgedanke 
wird  in  verschiedenen  Scenen  behaglich  ausgeführt,  auf  seinen 
Höhepunkt  gebracht  und  schliesslich  die  notwendige  Konse- 
quenz gezogen.  Im  Grunde  keine  starke  Spannung,  nur  ein 
angenehmes  HinjBiessen  des  Geschehenden.  Was  bestimmteren 
Charakter  erfordert  hätte,  Vorgeschichte  und  Martyrium«  stehen 
bei  weitem  nicht  auf  der  poetischen  Höhe,  die  der  Mittelteil, 
vom  Auszug  Offers  bis  zur  Taufe  im  Muss,  der  dem  Dichter 
das  Wichtig-Liebste  war,  inne  hat  Geburt  und  Tod  waren 
der  notwendige  Bahmen,  der  dem  Idyll  gegeben  werden  musste, 
teilweise  dem  Zeitgeschmack  zu  GeÜGillen,  teilweise  um  eben 
Anfang  und  Ende  zu  haben,  und  weil  gerade  in  diesem 
Hauptteil  Absicht  und  Form  am  reinsten,  unmittelbarsten  zur 
Erscheinung  kommen  und  so  vöUig  zu  einander  stimmen,  schon 
darum  möchte  ich  glauben,  dass  der  Dichter  hier  durchaus 
selbständig  ist,  Erfinder  der  Christophlegende. 

Das  wird  deutlicher,  wenn  wir  die  Fäden  aufweisen,  die 
ihn  mit  der  alten  lateinischen  Christophoruslegende  verbinden, 
die  er  abschnitt,  die  er  fortknüpfte. 

Das  Wichtigste,  was  er  überkam,  war  der  Name.  Christo- 
phorus,  der  Christusträger.  Aus  dem  Namen  Christophorus 
erwuchs  seine  Legende,  sein  Kult,  seine  Macht  und  Herrlich- 
keit. Ein  Name  ist  dem  Volke,  ein  Symbol,  Symbole  aber 
vergegenwärtigt  man  sich.  Die  Legende  des  hl.  Ignatius  in 
der  Legenda  aurea,  auf  die  Molanus  De  sacris  picturis  cap.  Lx 
hinweist,  bietet  die  genaueste  Analogie  zu  dem,  was  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  mit  dem  hl.  Christophorus  geschah^).  Es 
wird  erzählt,  wie  Ignatius  unter  den  Händen  seiner  Peiniger 
beständig  Christi  Namen  anruft,  und  als  sie  ihn  neugierig 
fragen,  was  er  damit  wolle,  antwortet :  „Hoc  nomen  cordi  meo 
inscriptum  habeo,  et  ideo  ab  eins  invocatione  cessare  non  valeo''. 
Und  nach  seinem  Tode  reissen  sie  ihm  das  Herz  aus  der  Brust, 

')  8.  Max  Müller  Leotures  on  the  science  of  language,  sec.  ser., 
London  1864,  p.  558. 


93  Ansbildong  der  Legende.  93 

und  als  sie  es  aofschneiden,  da  leuchtet  in  goldenen  Buch- 
staben der  Name  Jesus  Christus  ihnen  entgegen:  so  stellen 
ihn  die  Maler  seitdem  dar,  ein  Herz  in  der  Hand,  worauf  die 
strahlenden  Züge  des  IHS  —  wir  behalten  das  iq  einem  feinen, 
gläubigen  Gemüte  für  unsem  S.  Christoph.  „Yidetur  autem 
mihi  erroris  causam  praebuisse  cognomen  eins'',  sagt  Molanus. 
„Nam  tituli  epistolamm  eins  habent  Ignatius,  qui  et  Theo- 
phoms,  et  Simeon  Metaphrastes  dicit  Trajanum  dixisse:  tune 
es  qui  diceris  Deifer?  et  quid  sibi  yult  illud  Deifer?  Cui 
martyr :  qui  Christum,  inquit,  circumfert  in  anima .  Imperator 
autem  :  tu  ergo,  inquit,  Christum  in  teipso  circumfers?  Corte 
inquit  .  Scriptum  est  enim  :  habitabo  in  eis  et  inambulabo^. 
Solche  Yeräusserlichung  eines  Geistigen  ist  eine  ürkraft  und 
XJrfreude  menschlicher  Phantasie. 

Schon  lange  ehe  sie  ihn  ersah,  war  der  hl.  Christoph  ein 
Biese.  Für  den  deutschen  Erzähler  musste  gerade  dieser  Zug 
den  grössten  Beiz  haben.  Denn  kein  Kulturvolk,  auch  die 
Griechen  nicht,  hatte  eine  so  innige  Neigung  und  Liebe  ftir 
übermenschliche  grosse  Wesen  wie  die  Deutschen  und  ihre 
Gesippen  im  hohen  Norden.  Und  wie  firoh  musste  wieder  ein 
solcher  alter  heidnischer  Unhold  sein,  in  christlichem  Kleide, 
gefeit  gegen  Argwohn  und  Feindschaft  strengkirchlichen  Geistes, 
sein  Dasein  geruhig  forttreiben  zu  köimen.  Man  hat  die  Legende 
yon  S.  Christoph  aufgefasst  als  einen  Versuch,  an  Stelle  der 
alten  den  Seelen  der  Menschen  immer  noch  Terderblichen 
Mächte  einen  christlichen  Ersatz  zu  stellen:  solche  jetzt  im 
Schwange  gehende  Deutung  verkennt,  dass  eine  Dichtung  wie 
unsre  nicht  aus  theoretischem  Wollen  entspringt.  Ihre  schöne 
Poesie,  ihr  schlichter  und  doch  so  tiefer  Gedanke  schlummerte, 
sein  selbst  imbewusst,  im  Stoffe;  er  brauchte  nicht  hinein- 
gelegt, nein,  nur  herausgehoben  zu  werden,  um  in  natürlicher 
Beinheit  seine  strahlende  Kraft  zu  offenbaren.  Christoph  ein 
Biese  der  Märtyrer  des  höchsten  Gottes,  um  diesen  Kern 
musste  sich  notwendig  allmählich  die  Legende  kristallisieren, 
wie  sie  es  that  Die  frühen  Ansätze  sahen  wir  :  aus  den  armen, 
aber  angesehenen  Eltern  Walthers  mochte  der  reiche  Heiden- 


94  K.  Bichter.  94 

könig  werden,  aua  Kanaan  Arabien,  auch  bei  Walther  schon 
zog  Chiiatc^horus  fort  aus  der  heidnischen  Heimat,  und  wa» 
die  altere  Passio  andeutete  Ton  einer  englischen  Yerkfindigang 
und  Berufung,  yon  einer  Taufe  und  Erleuchtung  aus  hxaiDi* 
lisdier  Wolke,  yon  räiem  Stabwunder,  wir  fühlten  es  wstairken 
bei  Walther,  in  den  späteren  Erweiterungen.  Es  ist  nicht  zu 
denken  an  einen  direkten  Eiafluss  you  ihrer  Seite  auf  dien 
jüngeren  deutschen  Dichter,  dazu  sind  die  übereiBstunmenden 
Züge  zu  unbestimmt,  sie  mussten  sich  aus  dem  YorhandeneA 
heraus  in  einiger  Parallelität  unaUiängig  entwickeln.  Aber 
diese  allgemeine  Tendenz  wurde  nun  gegenüber  den  tastend^i 
Versuchen  der  älteren  Bearbeitungen  erst  in  der  deutschrai 
G^taltung  in  eine  bestimmte  und  innerst  ihr  gemässe  Bicbtung 
des  Wirkens  geleitet. 

Die  Erzählung  spielte  im  Orient,  und  Christoph  war  ur- 
sprünglich ein  Heide:  das  genügte,  ihn  zum  Sohne  eines 
heidnischen  £önigs  werden  zu  lassen.  Man  war  zu  der  Zeit, 
da  unsere  Legende  entstand,  gross  in  der  Produktion  solcher 
Vorgeschichten^),  und  wie  sich  darin  Geistliches,  Höfisches 
und  Volkspoetisches  gern  aufs  merkwürdigste  yereinte,  so  in 
unserem  Ealle  in  der  für  den  Fortgang  des  Geschehens  yölüg 
unwesentlichen  E^sode  der  ünfruchtbairkeit  d^  Königin  und 
der  schliessUchen  Geburt  eines  Sohnes  unter  dem  Beistand 
der  Mutter  Gottes  *)•  Gegeben  war  der  Zug,  dase  der  Held 
bis  zur  Taufe  einen  andern  Namen  trägt,  aber  es  ist  charak- 
teristisch, dass  der  deutsche  Spielmann  den  Namen  der  Passio 
cBeprobus»  entweder  yergessen  hatte  oder  nicht  bcauchen' 
konnte  und  auf  sehr  mechanische  Weise  äusserlicheter  Wort- 
teilung,  wie  man  damals  naiy  zu  yerfahren  pflegte,  ein  bequem 
zu  handhabendes  «OiFer,  Offorus,  Offiro  [Nominfdii^!]  sich 
bUdete,  charakteristisch  insofern,  als  es  zeigt,  wie  weit  er 
dayon  entfernt  war,  auf  eine  moralische  Wirkung  auszugehen. 
Viel  wichtiger  war  ihm  die  ritterliche  Erziehung  des  jungen 


')  Man  denke  etwa  an  die  wunderbare  Erzeugung  des  PUatus. 
')  Vgl.  z.  B.  das  M&rchen  von  dem  Machandelboom. 


96  Ausbildnng  der  Legende.  96 

Beidenknabeiu  Dabei  erscheint  die  übermässige  Grosse  des- 
selbesL  als  eise  persönliche  Wirkung  im  Sinne  adten  heimischen 
SeckentnnB,  alles  Unschöne  der  Uberüeferang  ist  gemieden, 
BJrgends  tritt  in  der  deutschen  Gestaltung  die  Hundsköpfigkeit 
des  HeiHgen  herror.  Dieses  poetisdi  zarte  Empfinden,  das 
cinea  unnötigen  und  dem  deutschen  Bewusstsein  unangenehmen 
Zug  tilgte^),  führte  dann  weiter  zur  Einführung  da^  so 
gehmgenen  wie  echt  deutschen  Motivierung:  warum  zieht  der 
Knabe  auf  die  Fahrt  aus^  die  ihn  schliessUeh  zu  Ghcistns 
bringt?  Man  beachte^  wie  den  Walther  von  Speier  schon  diese 
Yerlegenheit  gequält  hat:  der  IVophet  gilt  nichts  in  seinem 
Taterlande,  sagt  er  mit  verzweiflungsvollenft  Zirkri.  Daf&z 
fiihrt  unser  Fahrender  ein,  was  ihm  und  seinen  Zuhörern 
begreiflich  war:  Wanderlust  und  Thatendrang  treiben  den 
jungen  Helden  hinaus,  er  hört  auf  dem  grossen'  Feste,  das 
Aat  Yater  um  seinetwillen  giebt,  ihn  in  die  höfische  Welt 
einzuführen,  erzählen  von  fernen  Ländern,  von  dem  und  jenem, 
da  erwadit  auch  in  ihm  die  Begier,,  Land  und  Leute  kennen  zu 
lernen,  und  als  der  Yater  ihn  zurückhalten  will,  läafb  er  ihm  fort 
und  jetzt  erst  setzt  die  grosse  eigentliche  Erfindungskonst 
des  Dichters  ein.  An  Stelle  jener  in  den  Fäfisionen  an- 
gedeuteten Taufe  Unterweges  tritt  eine  längere  Wanderung, 
deien  2äel  und  Yollendung  ein  feierlich-bedeutsam  gehobener 
Taufakt  ist.  Wie  das  Märchen  seine  Ejnder  ansziehen  lässt 
und  zu  dem  einen  und  andern  kommen,  wie  die  alten  Becken 
durch  die  Lande  fuhren  und  Dienste  nahm^  wie  auch  die 
Bitter  nim  ausritten  und  Abenteuer  suehten,  so  streicht  Offin*, 
einige  Jahre  vielleicht  vor  dem  ctnmben  t6ren»  Pandval, 
aufi  geratewohl  in  die  Welt,  die  Sonne  brennt  vom  Himmel, 
die  Domen  halten  ihn  und  reisBen  ihn  wund,  die  wegmüden 
Füsse  kühlt  er  im  klaren  Bronnen,  unter  dem  schattigen  Dadie 
des  Waldes.  Aber  die  Sonne  geht  unter,  hungrig  und  er- 
schöpft schleicht  er  fort.  Doch  wie  die  zwölf  Brüder,  wie 
HSnsd  und  Gretel,  so  steht  auch  Offier  auf  einmal  vor  einer 


1)  8.  Weinhold  Wiener  Süasangsberichte  XXVI,  292. 


96  K-  Bdohter.  96 

Htttte,  in  die  ein  Waldmann,  der  Schüssel  und  Becher  machen 
konnte,  Käse  nnd  Brot  hineingelegt  hat:  als  war's  f&r  ihn 
bestimmt,  greift  der  Hungrige  zu,  dann  übermannt  ihn  der 
Schlaf,  er  sinkt  um  und  träumt  im  Schutze  der  Nacht,  das 
müde  Kind  des  Märchens.  Am  andern  Morgen  kommt  der 
liebe  Tag  mit  seinem  Schein,  es  wecken  den  sorglos  Ruhenden 
die  schreienden  Vögel  zu  neuem  Wandern,  zu  neuem  Irren 
und  Finden.  Der  König,  der  im  Märchen  so  immer  gerade 
zur  rechten  Stunde  jagen  muss,  naht  mit  Hall  und  Schall, 
und  Offer  hat  seinen  ersten  Herrn  gefanden. 

Es  ist  zu  bemerken,  dass  in  dieser  ältesten  deutschen 
Fassung  Offer  noch  nicht  yon  vornherein  ausgesprochen  dem 
grössten  Herren  dienen  wiU,  sondern  dass  dieser  abstrakte 
Gedanke  mehr  naiv  zu  G-runde  liegt,  treibt  und  sich  so  mittel- 
bar viel  natürlicher  und  schöner  zur  Geltung  bringt,  als  wenn 
er  später  direkt  in  schärfster  Formulierung  dem  Geschehenden 
vorangestellt  wird^).  Offer  ist  der  Dienstmann  eines  Königs 
geworden.  Aber  wie  es  zu  des  Dichters  Zeiten  ehrenvoller 
und  dem  Tüchtigen  erstrebenswerter  dünkte,  des  Königs  oder 
Kaisers  Mann  zu  sein  als  des  reichsten  von  ihm  abhängigen 
Fürsten  oder  Prälaten,  so  will  auch  Offer  nur  dem  dienen, 
„bei  dem  er  nicht .  Scham  leidet  und  der  niemand  sonst 
fürchtet",  nicht  der  Dienst  an  sich  gilt  als  erniedrigend  und 
ehrenkränkend,  aber  ein  selbeigener  Herr  soU  es  sein,  dem 
er  sich  ergiebt.  Darum  als  er  hört,  dass  sein  König  sich 
vor  einem  fürchtet,  der  der  Teufel  heisst,  da  duldet's  Offem 
nicht  länger  an  seinem  Tisch,  aufs  neue  zieht  er  aus,  einen 
Gebieter  zu  suchen,  des  er  sich  nicht  zu  schämen  brauche, 
den  Teufel.  Ganz  unvergleichlich  prächtig  ist  nun  diese  Ver- 
einigung von  germanischem  Heldenstolz  und  Heldentrotz  mit 
riesischer  Naivität  und  Dummheit:  wie  der  Teufel  ihm  be- 
gegnet, seine  Gewalt  rühmt  über  alle  Lande  imd  Leute,  und 
Offer  findet,  dass  es  der  rechte  Teufel  ist  und  sich  ihm  ver- 
pflichtet. Aber  der  rechte  Herr  ist  es  noch  nicht,  denn  auch 
er  fürchtet  sich  vor  eines  andern  Zeichen,   dem  Kreuz  am 

^)  Vgl.  zu  dem  Motive  Parziyal  18,9  ff. 


^  Ausbildung  der  Legende.  97 

Wege.  Und  sogleich  lässt  ihn  Offer,  er  zieht  weiter^  wieder 
hinein  in  den  Wald,  und  gegen  Abend  kommt  er  zu  einem 
Einsiedel.  Während  die  Pfaffen  im  Allgemeinen  der  Volks- 
poede  meist  in  komischem  und  verächtlichem  Lichte  erschienen, 
während  sie  gern  als  zage  Feiglinge  im  E[ampf  der  Männer 
und  später  als  betrogene  Betrüger  in  bedenklichen  Liebes- 
und Ehehändeln  ausgebeutet  wurden,  war  der  Einsiedler  dem 
VoUrabewusstsein  der  ehrwürdige,  entsagende  und  heilige  Alte, 
und  seine  Einführung  an  dieser  Stelle  von  höchstem  technischen 
und  poetischen  Werte,  indem  er  zugleich  ein  angenehm 
retardierendes  und  ein  sehr  notwendiges  und  förderndes 
Moment  der  Erzählung  darstellt.  Ein  häuslich  frommes  Dasein 
ent&ltet  sich,  dem  ungestümen  Drange  des  Jungen  stellt  sich 
die  bedächtig-weise  Ruhe  des  Alten  überlegen  entgegen;  der 
sich  einem  Könige  und  einem  Teufel  nicht  fügte,  ist  wie  ein 
Lamm  gefügig  dem  Willen  eines  schwachen  Greises.  Ja,  der 
Königssohn  lässt  sich  jetzt  überreden,  demütig  Knechtesdienste 
zu  thun,  arm  und  bloss,  für  einen  Herrn,  den  er  nicht  kennt, 
von  dem  ihm  jener  erzählt.  Aber  doch,  als  Dienst  eines 
G-efolgsmannes  wird  sein  Thun  auch  jetzt  aufgefasst,  grossen 
Lohn  verspricht  ihm  der  Alte,  Ehre  unter  den  Mannen  des 
Gebieters  [Y.  913 — 15] :  so  klingt  die  altgermanische  Auffassung 
Christi  als  des  callaro  kuningo  bezton»  in  dieser  verhältnis- 
mässig so  späten  Volksdichtung  noch  durch,  und  wie  fein 
ist  es,  dass  auch  dieser  dritte  Versuch,  einen  Herrn  zu  finden, 
in  der  äusseren  Einleitung  und  Vorbereitung  so  naiv  und 
unbewusst  sich  giebt  wie  die  vorhergehenden:  um  so  über- 
raschender musste  dann  die  Offenbarung  des  Kindes  als  des 
Heilandes  und  Herrn  der  Welt  wirken.  Auft  herrlichste  ist 
das  entwickelt,  gesteigert.  Man  beachte:  dreimal  giebt  sich 
Christoph  in  Dienst,  dreimal  ruft  ihn  das  Kind,  es  ist  die 
altheilige  Zahl.  In  der  Nacht  gewinnen  die  Mächte  dies  Bösen 
Gewalt  über  den  Menschen,  der  Einsiedler  sorgt,  wo  Offorus 
bleibt.  Li  der.  Nacht  aber  verlangt  der  Herr  seinen  Dienst, 
zur  ungewohntesten  und  unheimlichsten  Zeit,  da  alle  Wesen 

schlafen.    Aach  Offer  ruht,  müde  von  der  Arbeit  des  Tages, 

7 


98  K.  Richter.  98 

unter  einem  Baum  am  Ufer,  da  ruft  ihn  eine  zarte  Stimme, 
Er  richtet  sich  auf  und  sieht  drüben  ein  lieblich  schönes 
Kind.  Wie  von  sieben  Jahren,  sagt  der  Dichter.  Er  watet 
hinüber,  aber  das  Kind  ist  fort.  Wundernd,  dass  sein  Sinn 
ihn  so  betrog,  geht  er  zurück  und  legt  sich  wieder  zur  Ruh'. 
Wieder  ruft  ihn  die  Stimme,  wieder  dasselbe  Spiel,  nirgend 
ein  Kind  zu  sehen,  er  schreit  vergebens  in  die  Finsternis 
hinein.  Und  immer  dunkler  wird  es.  Dem  Einsiedler  wird's 
ängstlich,  er  zündet  eine  Kerze  an  und  macht  sich  auf  den 
Weg,  nach  Offer  zu  schauen.  Der  aber  ¥dll  jetzt  auch  heim- 
gehen, man  kann  doch  nichts  mehr  sehen,  sagt  er  sicL  Da 
—  zum  drittenmal  —  er  überlegt  —  aber  er  kehrt  doch  um. 
und  nun  die  reizendste  Scene  zwischen  dem  dreimal  genarrten 
Riesen  und  dem  Bübchen.  Keine  Klage,  kein  Arger,  nur 
die  Mahnung  zur  Eile  und  der  rührende  Vorwurf  des  grossen 
Kindes,  dass  die  Mutter  den  Kleinen  so  allein  in  Nacht  und 
Wildnis  lasse.  Wie  er  ihn  auf  den  Arm  nimmt,  ergreift  ihn 
selbst  das  Komische  des  Gegensatzes:  „Hundert  solche  wie 
dich  trüg'  ich  gern''.  Aber  mitten  im  Fluss,  da  wird  die 
kleine  Last  so  schwer  und  schwerer,  die  Wasser  rauschen 
und  steigen,  und  der  Boden  sinkt  und  schwindet  unter  den 
Füssen.  „Offorus  hiessest  du,  nun  heisse  Ohristofforus!''  Die 
Wogen  überfluten  ihn,  Christus  verschwindet,  und  der  Wort- 
lose steht  da,  den  grünenden  Stab  in  der  Hand.  Aber  der 
Einsiedler  hat  alles  gesehen,  weinend  wirft  er  sich  auf  die 
Knie  und  umfängt  die  Füsse  des  ans  Ufer  Steigenden:  „Edler 
Fürst,  werter  Heldl''  nennt  er  ihn,  „Jesus  Christus  war  es, 
der  Rechte,  gegen  den  niemand  etwas  vermag''.  So  wird  bis 
zum  Letzten  die  Yorstellung  des  dienstsuchenden  Recken 
gewahrt. 

Ich  meine,  diese  Scene  kann  sich  zum  Besten  gesellen, 
was  deutsche  Yolkspoesie  geschaffen  hat.  Daftbr  konnte  es 
keine  Quelle  geben,  das  ist  selbständig  grosse  und  freie  Er- 
findung, so  unabhängig  wie  schön  und  deutsch. 

Was  dann  folgt,  das  muss  man  freilich  wieder  aus  der 
Zeit  seiner  Entstehung  heraus  zu  begreifen  suchen.    Der  Fluss 


99  Ausbildung  der  Legende.  99 

trocknet  aus,  und  die  Leute  können  trockenen  Fusses  durch 
sein  leeres  Bett  gehen,  Christoph  ist  seines  Dienstes  entlassen. 
Er  überlegt  mit  dem  Einsiedler,  was  er  in  Zukunft  thun  könne 
für  seinen  Herrn.  Und  indem  der  ihm  rät,  sich  in  einer  be- 
nachbarten Stadt  zum  Kämpen  der  Christen  au&uwerfen  gegen 
die  Unterdrückung  und  Verfolgung  ihres  heidnischen  Herrschers, 
wird  wenigstens  äusserlich  ein  leidlicher  Übergang  zu  dem 
Martyrium  gewonnen.  Aber  er  bedingt  schon  die  eine  Ab- 
weichung  yon  der  lateinischen  Fassio,  deren  Stadt  Samos 
anscheinend  nur  Heiden  enthielt,  dass  Christoph  weniger  als 
Bekehrer,  als  in  Beschützers  Eigenschaft  auftritt.  Auch  hierin 
also  die  Tendenz  des  Auswachsens  in  gleicher  Bichtung  wie 
in  den  Erweiterungen  der  alten  Passioform  [P].  Christoph 
ist  thatsächlich  der  Eigengefolge  eines  grossen  Herren  ge- 
worden, für  den  er  in  den  Tod  geht.  Die  Idee  der  Treue, 
dieses  vomehmste  Motiy  deutscher  Volksepik,  mag  man  darin 
finden,  und  sie  ist  darin  gefonden  worden^),  aber  man  darf 
nicht  verkennen,  dass  das  passive  Leiden,  das  allmähliche  Er- 
sterben unter  den  rohesten  Martern,  wie  es  ästhetisch  etwas 
äusserst  Unerfreuliches,  ja  Abstossendes  hat,  sehr  wenig  deutsch 
ist  und  man  sich  hüten  muss,  in  einer  notwendigen  Eolge  einen 
tiefen  Gedanken  erkennen  zu  wollen:  die  Kunst  des  Dichters 
war  der  Au%abe,  einen  befriedigenden  Zusammenklang  des 
durch  die  Überlieferung  gebotenen  und  seinem  ganzen  Ge- 
dichte den  Verwand  gebenden  Schlusses  mit  dem  frei  er- 
fundenen idyUisch  märchenhaften  Haupttefl  zu  erreichen,  nicht 
durchaus  gewachsen.  Denn  ob  es  auch  zu  den  Vorzügen  der 
Volkspoesie  gehört,  bisweilen  furchtbar  grausam  sein  zu  können, 
wie  etwa  E[riemhilt  dem  Hagen  selbst  das  BLaupt  abschlägt 
oder  die  Tauben  den  Schwestern  Aschenputtels  beide  Augen 
auspicken,  so  ist  das  zugleich  so  herzerquickend  und  befriedi- 
gend, weil  es  der  Ausdruck  des  höchsten,  naivsten  poetischen 
und  moralischen  Gerechtigkeitsgefiilüs  ist^  imd  vor  allem  wirkt 
es  darum  nie  verletzend,  weil  es  stets  nur  einen  kurzen  kräf- 
tigen  Stoss,  nie  ein  langes  bewusstes  Quälen  gilt.     Gerade 

')  Grimm  Myth>  p.  438  a.  4  tmr  sum  trodlir. 


100  K.  Richter.  100 


aber  bestand  die  Ereude  der  Martyrienschilderungen, 
und  ihr  christlich  propagandistischer  Gewinn  war  niemals  so 
gcoss  als  die  Verderbnis  des  fromm)»!  Gteschmacks  bedauer- 
lich, imser  Chricftophgedicht  liefert  d»n  deutlichsten  Beweis. 

Der  Dichter  hat  im  G-egensatz  zu  späterer  Legendenflut 
das  sichtliche  Bestreben  gehabt,  eine  gewisse  Abwechslung 
und  Belebung  der  Vorgänge  zu  eireichen.  Er  konnte  sich 
dazu  nicht  der  geistlich  erbaulichen  Bhetorik  bedienen,  durch 
welche  die  lateinischen  und  griechischen  Passionen  wirkten, 
die  biblischen  Zitate  hatten  keinen  Ort  in  seinem  Gedichte. 
Dennoch  reden  seine  Personen,  aber  dramatischer,  lebendiger: 
Befehl  und  Weigerung,  SVage  und  Antwort  gehen  realiter  hin 
und  her,  wo  in  der  Passio  spiritaüter  doziert  ward.  Dass 
dabei  geringe  Ähnlichkeiten  mit  unterlaufen,  wie  etwa  die  Ver- 
sicherung des  Heiligen,  dass  alle  Martern  ihm  leichtes  Spiel 
schienen  und  auch  die  stärksten  ihn  nie  Ton  seinem  Glauben 
abbringen  würden,  ist  völlig  zufällig  und  bedeutungslos.  Darum 
ist  eine  genaue  Au&ählung  der  Verschiedenheiten  und  Ähn- 
lichkeiten unnötig,  und  nur  das  Wichtigste  sei  herausgehoben. 

Vor  der  Stadt  betet  Christoph.  Aber  er  ist  in  der  deut- 
schen Erzählung  ein  weit  menschlicheres  Wesen,  er  ist  egoisti- 
scher als  jenes  christliche  Abstractum  der  Passio,  das  nur  das 
irrende  Volk  auf  den  rechten  Weg  leiten  will,  er  wünscht  bald- 
möglichst in  das  herrliche  Reich  seines  Herrn  zu  kommen. 
Qbxiz  deutsch  ist  es  auch,  dass  dieses  Volk  durchaus  auf 
Seiten  seines  heidnischen  Königs  steht^  nicht  werden  im  Hand- 
umdrehen Tausende  und  Tausende  bekehrt,  sondern  sie  fliehen 
TOT  ihm,  höhnen  den  Gefesselten  und  hetzen  den  Fürsten  zu 
seiner  Verfolgung.  Über  der  Ereude  daran  werden  die  Christen, 
die  in  der  Stadt  sein  sollen,  wird  das  Stabwunder  und  die 
ganze  Scene  vor  dem  Tempel  ausseiiialb  der  Stadt^  vergessen, 
der  König  kann  «ich  dafiir  mit  seinem  Gefolge  beraten;  und 
so  wenig  propagandasüchtig  ist  der  Dichter,  dass  er  die  Heilung 
des  Königs  und  seine  schliessliche  Bekehrung  Yöllig  fallen  lässt, 
ein  Zeichen,  wie  Torurteilsfrei  und  ledig  jeder  bewusst  geist- 
lichen Tendenz    der   Mann   war.    An    die  Stolle    alles  Auf- 


201  Ausbildung  der  Legende.  101 

gegebenen  tritt  eine  Fiillnng  im  Geiste  des  märchenhafteoi  Ifittel- 
teüs  der  Legende.  Das  Thatsächliche  resp.  das^  was  den 
Eindraok  des  ThateäeUicben  machen  soUte,  weicht  in  allem 
dem  Poetischen,  dem  211m  StunmnBgaausdrack  ErhndeDen. 
Wo  ist  der  Name  der  Stadt?  des  Königs?  der  Heidengötter? 
Das  Gerficht  Yon  dem  grossen  Mamie  ikommt  zu  dem  Heiden, 
er  lasst  nachfragen  «nd  ^äümt  die  feindliche  Absicht:  der 
fremde  will  zu  den  Ohiisten.  Die  zweimalige  Sendmig  yon 
800  Kriegern,  die  persönliche  Vorfiihmng,  die  ziige^)itzte  Ans- 
«inandersetznng,  alles  das  bleibt  forL  Aach  mochte  dem  Er- 
zähler die  geduldige  Ergebenheit  des  Heiligen,  wie  er  mit  den 
Abgesandten  geiht  nnd  alles  mhig  aber  sich  eigefaen  läsrt, 
nicht  passen,  sein  Held  schreitet  nnbekünmert  nm  das  Ab!& 
sehen,  das  er  erregt,  dahin,  die  Nacht  kommt,  er  legt  sich 
imter  ein  Scheunendacäi  schlafen,  imd  so,  wehrlos,  wird  er  ge- 
fesselt. Als  er  erwacht  nnd  anfifäfart,  da  reisst  wohl  manches 
Seil,  und  mehr  als  viensig  Heiden  sterben  von  dem  Schreck, 
aber  die  Bande  sind  doch  zu  stark,  und  er  kann  sich  nidit 
befreien. 

Am  nächsten  Tag  beginst  die  Marter.  Einzelnes  ist  aus 
der  Pasaio  übernommen,  aber  yerändert,  umgestellt,  enmtert. 
Der  glühende  Hebn  ist  da,  aber  die  Episode  des  nengieEig 
ihn  lüftenden  und  tot  niederstürzenden  Schergen  hinzugekommen, 
an  Stelle  des  cscamnum  fenenm»  sind  heisse  Singe  getreten, 
die  Glutscherben  werden  späterer  Einschab  sein.  Ist  der  Tag 
darüber  Torgangen,  so  wird  der  Heilige  in  den  Kerker  ge- 
bracht: das  ist  gebl]d:>en.  Am  bedeutsamsten  ist  die  Umge- 
staltung des  Motiys  der  Yersudinng:  nicht  mehr  Nicaea  und 
Aqnihna,  sondern  der  Teufel  in  Ghestalt  eines  schöfnen  jungen 
Weibes  will  den  Biesen  verfiihren.  Auch  das  ist  einmal 
charakteristisch  für  das  yeränderto  Interesse:  dem  Gestalter 
wie  den  Erweiterem  der  Passio  kam  sehr  viel  auf  zwei  zu 
marternde  nnd  volkbekehreade  Heilige  mehr  an,  wie  die 
Wollust,  mit  der  sie  sich  in  den  Leiden  der  beiden  Sünde- 
rinnen ergehen,  empfinden  lässt,  dem  deutschen  Spielmann  gar 
nichts.    Dann  aber  war  die  Änderung  ihm  nahe  gelegt  durch 


102  .  K.  Richter.  102 

das  Aufkommen  und  die  Ausbildung  des  Teufelkultus,  wenn 
man  so  sagen  darf,  indem  der  Böse  mehr  und  mehr  zu  einer 
burlesk-komischen  Figur  im  Yolksbewusstsein  und  in  der  Volks- 
poesie wurde,  gern  gefoppt  und  betrogen,  uns  Heutigen  meist 
zu  willkommener  Erfrischung  inmitten  geistlich -poetischer 
Wüstenei,  wie  denn  die  Jungfirau  Maria  und  der  Teufel  die 
Kosten  des  wirklich  Poetischen  in  der  geistlichen  Dichtung 
des  Mittelalters  wesentlich  zu  tragen  hatten.  Sie  treten  sich 
auch  in  unserem  Falle  gegenüber,  der  Teufel,  der  listige 
Versucher,  so  schön,  cdaz  nie  mannes  äugen  so  minnichlichez 
hetteh  gesehen»,  muss  heulend  entweichen  vor  der  Anrufung 
der  reinen  Mutter  Gottes:  ein  ganz  volkstümlicher  Zug.  und 
es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  diese  Kerkerscene  weit 
wirkungsvoller  und  natürlicher  anmutet  als  jene  so  plötzlich 
aus  dunkel-  in  lichtfarbige  verwandelte  Märtyrerinnen,  wie  auch 
der  technische  Vorteü  gewonnen  wurde,  sogleich  im  Martyrium 
Christophs  fortfahren  zu  können  und  also  eine  Zersplitterung 
des  Interesses  zu  vermeiden.  Was  dann  in  der  alten  Passio 
das  schliessliche  Ende  des  Heiligen  herbeiführt,  ist  im  deut- 
schen Gedicht,  obschon  in  der  Stärke  verdoppelt,  doch  weniger 
entscheidend,  um  zu  rekapitulieren:  die  Passio  lässt  den 
ganzen  dritten  Tag  mit  Pfeilen  auf  den  Gefesselten  schiessen, 
dass  sie  am  Abend  wie  ein  steifer  Mantel,  durch  göttliche 
Kraft  aufgehalten,  um  ihn  herumstehen,  am  andern  Morgen 
fliegt  dem  höhnenden  Dagnus,  als  er  selbst  den  Bogen  in  die 
Hand  nimmt  und  abdrückt,  der  Pfeil  ins  Auge,  dass  er  er- 
blindet. Der  wunderbare  Vorgang  hat  dem  deutschen  Er- 
zähler doch  so  im  Bewusstsein  gelegen  und  gefallen,  dass  er 
einmal  mit  Speeren,  ein  zweites  Mal  mit  Armbrüsten  schiessen 
lässt,  aber  erstens  schiesst  beidemal  der  König  selbst  als  erster, 
von  dem  rückspringenden  Speere  wird  ihm  das  Bein,  von  dem 
Pfeile  das  Auge  getro£fen,  und  dann  erst  wird  von  allen  ein 
Angriff  eröffnet,  ohne  dass  überhaupt  von  dem  Wundermantel 
die  Rede  ist :  vor  allem  aber  ist  das  Ganze  ohne  weitere  Folge, 
der  Heide  wird  verbunden  und  Christoph  in  seinen  Kerker 
zurückgeführt.    Hinzugekommen  sind  dagegen  das  Zerreissen  des 


••  •!   •••  -•     •    • 

•  •r    •••••• 

•     •  • 


103  Aasbildnng  der  Legende.  103 

Fleisches  mit  Haken,  das  Zersägen  der  Beine,  das  Schleifen 
mit  Bossen  und  die  himmlischen  Erscheinungen  im  Kerker, 
fireiUch  Züge,  die  man  am  ehesten  Grund  hat,  dem  Inter- 
polator  zn^teüen,  man  könnte  wieder  in  den  erweiterten 
Passionen  leise  ankhngende  Ahnhchkeiten  finden,  ohne  jeden 
Zusammenhang.  Das  ganze  Martyrium  dauert  in  der  alten 
Passio  wie  im  deutschen  Gedicht  vier  Tage,  nur  dass  in  jener 
Christoph  erst  am  Morgen  des  fünften  stirht,  in  beiden  wird 
er  schliesslich  enthauptet.  Das  Gebet,  das  er  vor  dem  Tode 
nach  der  Legendenschablone  zu  sprechen  hat,  hat  äusserlich  in 
beiden  wenig  gemein,  so  wenig  wie  die  himmlische  Gewahrung. 

Wir  haben  für  die  Motivvergleichung  dieses  letzten  Teiles 
der  Legende,  des  Martyriums,  keinen  Unterschied  mehr  zu 
machen  gesucht,  im  Allgemeinen  wenigstens,  zwischen  Dichter 
und  Interpolator,  weil  sichere  Scheidung  im  Einzelnen  nicht 
möglich  dünkte.  Aber  die  Tendenz  des  yermutlich  Liter- 
polierten ist  im  Grossen  doch  erkennbar.  Wir  werden  be- 
rechtigt sein,  das,  was  unser  Gefühl  in  dem  Martyrium  des 
Heiligen  am  meisten  beleidigt^  auf  des  späteren  Bearbeiters 
Rechnung  zu  setzen,  die  Lust  am  Boh-Grausamen,  die  ohne 
poetische  Belebung  gehäuften  Martern,  wie  einige  zusanmien- 
gesteilt  wurden.  Li  dem  Anschwellen  der  rohen  Martyrien- 
reimereien in  späterer  Zeit  mögen  kirchlicher  Einfluss  und  eine 
plebejische  Reaktion  gegen  die  Hypertrophie  der  höfischen 
Produktion  sich  begegnen.  Hand  in  Hand  damit  ging  das 
Wachstum  der  YorUebe  für  geistlich  moralische  Reflexion,  wie 
auch  in  unserer  Legende.  Gegen  alles  Derartige,  gegen  das 
lange  Endgebet,  gegen  die  zweite  himmUsche  Erscheinung  im 
Kerker,  und  so  hinauf  bis  zur  Einleitung  darf  man  zuerst 
misstrauisch  sein,  ein  Lidizium  für  die  Entscheidung  kann  die 
Wiederholung  desselben  Gedankens  geben  wie  z.  B.  im  Gebet 
des  Einsiedlers  an  Maria  Y.  807  ff. 

Der  zweite  Hauptzug  aber,  der  die  sinkende  Yolksdicbtung 
späterer  Zeiten  und  ihre  Yertreter  charakterisiert,  ist  die 
Neigung  zur  burlesken  Übertreibung.  Im  Keime  vorgedeutet 
durch  den  naturwüchsigen,   herzlichen  und  vor  allem  naiven 


104  K-  Richter.  104 

Humor  der  älteren  Spielleate  entwickelte  eie  sicli  in  engster 
Verbindung  mit  der  fbrtschreitendeiL  materialistischen  G«müt&- 
fichtungy  in  Lyrik  und  Epik  zeitigte  sie  dieselben  Erschei«- 
nungen  und  musste  YornehmliGh  im  MaterMlen  des  Lebens 
nach  dieser  Ursache  ihren  Ausdruck  finden.  So  ringen  denn 
in  unserem  Gedichte  die  beiden  Arten  des  Heiteren  um  den 
y<M-rang,  eme  laute  derbe  Lustigkeit  des  Enkels  überschaut 
die  ruhige  Freude  des  alten  Sängers.  Aber  um  dem  jihigeren 
Manne  Gerechtigkeit  wid^ahren  zu  lassen:  dieses  Sireben 
seiner  Überarbeitung  wirkt  weniger  störend  als  ihre  fromme 
Tendenz,  indem  die  Betonung  gerade  des  Komischen,  über- 
haupt die  stärkste  £raft  der  apäteren  mittelalterlichen  Poesie, 
in  unserem  Falle  nur  als  die  Ausbeutung  einer  im  Stoff 
liegenden  Fähigkeit  erscheint.  Der  Biese,  seiner  dämonischen 
Furchtbarkeit  entkleidet,  hat  immer  eine  ea^ötzlicdie  Figur 
jm  Yolksbewusstsein  geqxielt;  liess  der  Dichter  das  meifar  in 
«einem  Gegensatz  zu  don  Kinde  herT<»treten,  in  dem  gemüt^ 
liehen  Verhältnis  des  körperlich  Ungeheure  zum  geistigen 
Herrn  der  Welt  in  jugendlichster  Lieblichkeit,  so  machte  der 
Uberarbeiter  den  angehenden  Heäigen  nun  zum  Kraft- 
renommisten  und  Fresser,  bei  welchem  Yerfiahren  auch  als 
Motiye  im  Einzelnen  durchaus  die  der  späteren  Volksdichtung 
eigentümlichen  verwendet  wurden.  In  «iaem  Jahr  ist  das 
Kind  Offer  so  gross  wie  ein  dreisBigj ähriger  Mami,  zehn 
Anmien  und  mehr  müssen  ihn  nähren  und  doch  noch  weint 
er  vor  Hunger'),  wie  den  Aspriän  im  König  Bather  kann 
ihn  kein  Boss  tragen,  kdn  Heide,  auch  hoch  zu  Boss,  reicht 
ihm  nur  bis  zum  Gürtel,  und  darüber  ist  er  noch  zwölf  Klafter 
gross;  der  Vorrat  des  Waldmanns  ist  ihm  als  ein  «rüeb- 
«cheiben»,  des  Wildbrets  trägt  er  mehr  als  eine  Wagenladung 
auf  seiner  Sdiulter  ¥on  danaen,  und  die  Buben  seines  ersten 
Herrn  sind  firoh,  als  sie  ihn  los  sind:  ^Der  hätte  uns  zuletzt 
doch  noch  einmal  über  die  Mauer  geworfen''.  Als  er  zu  dem 
Einsiedler  gelangt,  da  lässt  der,  wie  er  ihn  sieht,  vor  Schreck 
seinen  Wasserkrug  fallen,  dass  er  in  Stücke  bricht,  läuft  in 

«)  Grimm  Myth.  *  p.  449. 


106  Aasbildimg  der  Legende.  105 

Beine  Elause  und  schlägt  den  Siegel  vor  die  Thür,  denim  er 
Bieinty  der  Teufel  stehe  davor,  und  einen  höUificben  Appetit 
hsA  der  Ankömmling  auch  mitgebracht,  dass  dem  armen  Alten 
achier  um  seine  Existenz  bange  wird.  —  Mit  dieser  niederen, 
Aber  nicht  unwiiksaanen  Komik  geht  eine  ent^rechende  Ans- 
drucksweise  fiand  in  Hand,  die  DarsteUuiig  ist  ungefKgec, 
die  Verse  sind  übler,  und  ia  den  reflektieraidfin  Partieen 
kommen  die  Gedanken  nur  mühsam  zum  Ansdrwk.  'Ohacak- 
teristisch  die  An&ngsperiode.  Bann  aber  bemerkt  man  wohl 
eine  Neigung  zu  onomatopoietisehen  Worten:  craczen»  Y.  313, 
crensens  Y.  518,  und  der  Wortschatz  im  Allgemeinen  zeichnet 
sich  durch  geringen  Adel  aus. 

So  sind  wir  schliesslich  wieder  zu  einem  höheren  Begreifen 
des  Ausseren  zurückgelangt,  das  uns  als  blosses  Material  zu 
einem  neuen  und  tieferen  Yerständnis  des  Innersten  zu  ver- 
helfen im  Staude  war.  Nur  ein  solches  ist  eigentlich  unsere 
Aufgabe,  aber  mich  dünkt,  das  Ergebnis  lohnt  einigermassen 
des  mühseligen  Weges,  den  wir  zurücklegen  mussten.  In 
unserem  Gedichte,  wie  wir  es  in  reinerer  ürsprünglichkeit 
andeutungsweise  erschliessen  durften,  hat  die  Legende  des 
U.  Christoph  ihren  eigentlichen  und  höchsten  dichterischen 
Ausdruck  gefanden,  und  selbst  in  der  Überarbeitung  ist  der 
alte  Beiz  und  die  alte  Schönheit  keineswegs  durchaus  ver- 
loren gegangen.  Der  Christoph  des  12.  Jhs.,  als  wirklich 
deutsches  Eigentum,  ist  die  schönste  deutsche  Legende.  Ein 
Yergleich  mit  späteren  Gestaltungen  des  Stoffes  kann  nur 
dazu  dienen,  das  noch  in  besseres  Licht  zu  setzen. 


Yon  zwei  selbständigen  deutschen  Fassungen  sprachen 
wir.  Die  zweite,  B,  ist  es  nur  insofern,  als  man  einen,  der 
zwen  Herren   dient,   vielleicht  in  gewissem  Sinne  selbständig 

nennen  kann. 

..  

Einiges  Äussere.  B  ist  ebenfalls  von  Schönbach  heraus- 
gegeben^) nach  einer  Prager  Hs.  des  15.  Jhs.,  nachdem  Hoff- 

')  Zfda.  XXVI,  20—81. 


106  K.  Richter.  106 

mann  wie  auch  von  A  Anfang  und  Schluss  schon  mitgetheilt 
hatte  ^).  Schönbach  hat  den  Text  in  die  Sprache  des  13.  Jhs. 
hergestellt^  eine  genauere  Eingrenzung  der  Entstehnngszeit 
durch  die  Jahre  1230 — 39  nehmen  wir  zu  Kenntnis.  Dass 
auch  dieses  Gedicht  nicht  völlig  intakt  geblieben  ist,  ab- 
gesehen Yon  der  blossen  Umwandlung  der  Sprachformen, 
darauf '  könnte  man  vielleicht  schliessen  aus  der  Erwähnung 
der  Christophbilder  Y.  696 : 

alB  man  in  noch  gemalten  siht 

der  wärheit  zeiner  Urkunde, 

solch  yergen  man  nü  selten  vünde, 

die  ich  kaum  dem  13.  Jh.  zuschreiben  möchte,  wenn  ich  erst 
Bpäter  zn  begründende  Überzeugungen  hier  im  voraus  be- 
nutzen  darf.  Aber  im  Ganzen  macht  es  einen  einheitlichen 
Eindruck. 

Ist  unsere  Behauptung,  dass  in  dem  alten  deutschen 
Christophgedichte,  in  der  Vorlage  von  A,  die  erste  G-estalt 
der  Christusträgerlegende  überhaupt  zu  sehen  sei,  begründet, 
so  ist  die  notwendige  Folge,  dass  wir  alle  folgenden  Fixierungen 
dieser  Legende  mittelbar  oder  unmittelbar  auf  diesen  Ur- 
zustand zurückzuführen  im  stände  sein  müssen,  und  that- 
sächlich  glaube  ich,  dass  der  Verfasser  von  B  mit  dem  ganzen 
ersten  Teil  seines  G-edichtes  bis  zum  Beginne  des  Martyriums 
direkt  auf  A  beruht,  wenn  wir  mit  A  fortan  die  erschlossene 
Vorlage  des  ersten  deutschen  Textes  bezeichnen  wollen.  Wir 
haben,  wie  mir  scheint,  den  interessanten  Fall  vor  uns,  das 
bewusste  Arbeiten  eines  Kunstdichters  an  einer  oder  auf 
Grund  einer  volkstümlichen  Schöpfung  verfolgen  zu  können. 
Er  war,  wie  seine  Sprache  ausweist,  ein  Baier,  das  erklärt, 
wie  er  zu  dem  bairischen  Original  kam.  Dazu  war  er  ein 
Geistlicher,  und  als  er  das  alte  Gedicht  las,  da  Hess  ihn 
sein  geistliches  Bewusstsein  bedenklich  den  Kopf  schütteln, 
hatte  doch  die  eitle  Lust  zur  weltlichen  Unterhaltung  sich 
nicht  gescheut,  das  Heiligste  hier  in  ihren  Bereich  zu  ziehen. 
Doch  konnte  er  nicht  verkennen,   dass  der  Gedanke  an  sich 

0  Altdeutsche  Blätter  11,  94/5. 


107  AoBbildiing  der  Legende.  107 

gross  und  tiefreligiös  war,  schade  um  den  Stoff,  dass  er  durch 
das  Drum  und  Dran  so  verdorben  war.  Da  tauchte  in  ihm 
der  Vorsatz  auf,  der  überall  als  eins  der  wichtigsten  Agentien 
litterarischer  Produktion  im  Mittelalter  begegnet,  dem  volks- 
tümlich Sohen  das  geistlich  Geläuterte  entgegenzusetzen.  So 
griff  er  das  Thema  heraus  wie  einen  Edelstein,  den  er  neu 
schleifen  und  fassen  wollte. 

Denn  von  vornherein :  in  bestimmter  geistlicher  Tendenz 
ist  die  Fassung  B  entstanden.  Geistlicher  Anfang,  geistliches 
Ende.  Ein  Lob  des  Höchsten  beginnt,  eine  Bitte  an  ihn 
schliesst  Wir  erinnern  uns,  dass  der  XJberarbeiter  von  A  in 
demselben  Sinne  vorging,  und  man  muss  der  Versuchung 
widerstehen,  die  beiderseitigen  Anfänge  als  Ausflüsse  eines 
ursprünglich  Vorhandenen  ansehen  zu  wollen.  Es  liesse  sich 
sagen :  sie  laufen  beide  auf  eine  Kontrastierung  von  gut  und 
böse  hinaus,  es  kommt  in  beiden  das  Wort  «hantgetät»  vor, 
die  V.  B  31/33  cdie  si  tuont  den  wirt  er  iemer  holt  und 
git  in  jamerlichen  solt»  klingen  an  an  A  43/44  ctuet  er  aber 
daz  nicht,  so  vert  er  in  ein  jamerclich  geschieht».  Aber  einige 
Vertrautheit  mit  der  geistlichen  Litteratur  lehrt,  dass  das 
zufällige  unbedeutende  Übereinstimmungen  sind,  die  in  der 
Natur  der  Sache  begründet  erscheinen.  Der  Beginn  mit 
Gott  ist  hergebracht,  der  Gegensatz  des  Teufels  stellt  sich 
80  leicht  ein  wie  der  des  Bösen  zum  Guten,  stereotype  Wen- 
dungen, Worte,  Beime  werden  als  Gemeingut  erachtet:  da 
bedürfte  es  schon  einer  wörtlich  weit  grösseren  Einhelligkeit, 
wenn  wir  für  eine  gemeinsame  Quelle  uns  entscheiden  wollten. 
Dazu  kommt  der  Unterschied  in  der  Durchführung  des  Themas : 
während  B  in  dem  Kontrast  zwischen  Gott  und  Teufel  auf- 
geht, windet  sich  der  Interpolator  von  A  durch  den  Erlösungs- 
gedanken und  endet  nur  aus  Not  in  jenen  moralischen  Gegen- 
satz des  Guten  und  Bösen,  um  aus  dem  Abstrakten  nur 
wieder  auf  festen  Boden  und  zu  seinem  Helden  zu  gelangen. 

Wie  uns  also  hier  ein  leiser  Zusammenklang  nicht  von 
dem  Vorhandensein  einer  gemeinsamen  Grundlage  überzeugen 
kann,  so  wenig  ist  das  Fehlen  der  Jugendgeschichte  in  B  ein 


108  K.  Richter.  106 

Beweis^  dftss  sie  «ich  in  A  fehlte,  weil  eben  die  Tendenz  tob 
J3  eine  genügende  ErUänmg  dafiir  bietet  Was  Bottte  der 
geistliche  Dichter  mit  dieser  romautasch-ritterlichfiii  Gebmt 
und  EüziehuBgy  diesem  trotzigen  DaTonlanfen  Yon  ttntker  nd 
Vater  fadnein  in  die  weite  Welt?  Die  wilden  Schössfinge  einer 
heiter  fafoulierendein  Fhantaeie,  sie  nmsste  er  zu  allererst  un- 
barmherzig fortschneiden,  sollte  etwas  Rechtes  in  seinem  Smie 
gewonnen  werden,  nnd  so  iiiut  er's,  nnbekihnmert,  ob  man 
xmn  wosste,  wo?  mid  woher?  oder  nidit.  Also  beginnt  er 
denn  Y.  56: 

fiz  wnoiia  von  arte  ein  edel  heiden 
des  libes  ienge  unbescheiden, 
nnd  was  gevüege  üf  manic  tugent. 
des  YÜrgedanc  was  in  der  jagent, 
er  wolt  ze  Herren  niemen  h&n, 
wacn  den  man  nante  den  tiursten  man. 

Wir  sehen:  nackt  wird  das  Problem  herausgestellt,  in  'die 
schärfste  Fonnel  gefasst:  ein  edler  grosser  Heide  will  nur  dem 
Würdigsten  dienen,  den  man  den  Würdigsten  nennt,  dem 
Höchsten  auf  der  Welt,  liegt,  mit  einer  Steigenmg  ins 
Moralische  hinein,  in  den  Worten;  weit  kräftiger  drängen  sie 
sich  hervor  als  der  Vorsatz  Offers  in  A.  Dass  die  immanente 
innerlichste  Wirkung  des  Gredankens  dadurch  zerstört  wuzde, 
dass  eiQ  Gedachtes  an  stelle  des  Poetischen  trat,  das  empfand 
der  Umarbeiter  nicht  So  bleibt  er  denn  auch  nicht  bei  der 
einfachen  grossen  F<%e  des  alten  Dichters,  der  Offer  Tom 
König  zum  Teufel,  vom  Teufel  zum  Christkind  fortschrmten 
lässt,  er  will  den  Gedazdoen  eindringlicher  geben  und  wA 
stärkste  ausnutaen,  die  ganae  Staffel  weltlicher  Würdenträger 
muss  durchlaufen  werden:  Bitter,  Qrsif  König,  Kaiser,  und 
von  diesem,  dem  Vogt,  kommt  0£Eer  dann  höchstbezeidmender- 
weise  zum  Papst,  dem  Vater,  dem  Herrn  des  Elaisers  [V.  179, 
184],  dessen  Worte  man  über  das  römische  Beich  hin  förchton 
muss  hier  und  dort  [V.  166].  Das  kennzeichnet  den  Mann 
und  sein  Wollen.  Ihm  ist  der  Papst  die  höchste  Macht  auf 
Erden,  die  Spitze  aller  weltlichen  Herrlichkeit,  zugleich  der 
Nachfolger  Petri  und  also  auch  der  An£a.ng  der  geistigen  G«* 


109  Ausbildung  der  Legende.  109 

^walten,  denen  Offoms  dienen  moss:  mit  dem  Teufel  und  Christus 
YoDendet  sich  die  Beihe. 

Diese  Ausgestaltung  des  abstrakten  Gredankens  ist  mit 
bewusster  Konsequenz  im  Einzelnen  rollzogen.  Denn  unser 
ümdichter  weiss,  was  er  will,  er  weiss,  diass  er  nicht  die  "Wahr- 
heit erzählt,  sondern  ein  poetisches  G-ebüde  zu  einem  neuen 
umgestaltet,  darum  hat  er  keine  Achtung  Tor  dem  Über- 
lieferten und  schaltet  frei  damit,  wie  es  seinen  Absichten  zu 
pass  kommt.  Er  ist  nicht  ungeschickt,  auch  nicht  ganz  un- 
poetisch.  Man  beachte,  wie  er  die  Übergänge  von  einem  Herrn 
zum  andern  yamert  und  gesteigert  hat:  zuerst  erzählt  man 
dem  Ofierus  von  eniem  gefurchteten  und  lobesamen  Bitter,  er 
tritt  in  seinen  Dienst;  dann  sieht  er  einen  Grafen  und  trägt 
dessen  Schild;  als  der  König  Ton  ihm  hört,  bittet  er  jenen, 
ihm  den  Gefolgen  abzutreten,  dem  er  nun  seiue  Heergesell- 
schaft anbietet ;  er  zieht  mit  ihm  auf  einen  Hoftag  des  Kaisers, 
und  als  Offer  da  merkt,  wie  sich  alle  vor  diesem  einen  neigen, 
und  seinen  Herrn  fragt,  wie  es  darum  stehe,  wendet  ihn  die 
Antwort  dem  Höheren  zu;  der  Kaiser  aber  nimmt  ihn  mit 
nach  Rom,  um  vom  Papst  Ablass  zu  empfringen,  „in  welcher 
Höhe  ist  der  Papst  ?^  kateclnsiert  ihn  der  Grosse  und  kündigt 
ihm  den  Dienst  nach  dem  demütigen  Bescheide  auf,  da  wird 
er  el%  eine  Art  Prachtexemplar  an  Leiblichkeit  dem  Bjrchen- 
haupte  gesandt;  das  cvingerzeigen»  des  päpstlichen  Ablass- 
segens sticht  ihm  in  die  Augen:  so  erfährt  er  vom  Teufel. 
Man  sieht,  eine  gewisse  Mannigfaltigkeit  ist  erreicht  worden 
wie  sie  erstrebt  wurde,  aber  etwas  Kahles  und  AusserUches 
bleibt  doch,  ja  es  tritt  eigentiich  um  so  mehr  hervor,  je  ge- 
schickter der  Yerfasser  sich  wenden  muss,  um  dieselbe  Sache 
in  neuen  Ausdrücken  und  Beimen  noch  einmal  zu  bringen. 
Wie  im  Grunde  doch  durchaus  fremd  er  der  Poesie  des  älteren 
Sichters  gegenübersteht,  das  lehrt  inmitten  aller  Geschicklich- 
keit der  eine  kleine  Zug,  dass  sein  Papst  auf  Offers  Auf- 
kündigung moralisch  vor  dem  Teufel  warnen  kann: 

y.  241  „swer  im  dient,  des  Ion  wlrt  sür, 

er  ist  gnoter  tagende  ein  hütgebnr^. 


110  .K.  Richter.  HO 

Wie  denn  der  Aufenthalt  Offers  beim  Herrn  der  Christenheit 
vor  seiner  Fahrt  zum  Teufel  überhaupt  eine  Geschmacklosig- 
keit und  ein  Widerspruch  ist,  so  wird  die  köstliche  «tumpheit», 
mit  welcher  Offer  einst  den  König  am  Morgen  yerliess  und 
au&  neue  ins  Weite  lief,  cden  rechten  tiefel»  zu  suchen,  damit 
gründlich  zerstört^  wir  wundem  uns  nicht  mehr,  dass  B  von 
dem  Auszug  in  den  Wald,  von  der  Jagd,  von  allem  und  allem, 
was  den  Reiz  des  Urgedichtes  ausmachte,  so  rein  gar  nichts 
gebrauchen  konnte.  Das  einzige  Ausserliche,  das  er  beibe- 
hielt, ist  die  riesische  Grösse  des  Helden.  Aber  wieder  be- 
merken  wir  den  Grund  in  der  Verwandtschaft  mit  dem  Uber- 
arbeiter  Yon  A:  an  stelle  der  lursprünglichen,  tiefinnersten, 
heimlichen  Heiterkeit  will  er  einer  gesuchten  Komik  zur 
Geltung  verhelfen;  in  den  immer  wiederholten  Fragen,  be- 
sonders in  dem  Dialog  mit  dem  Teufel,  in  dem  steten  Auf- 
sehen, das  sein  Erscheinen  erregt,  in  der  ganzen  Vorstellung 
einer  Art  Wundertiers,  das  zum  Ergötzen  hoher  Herrschaften 
hin  und  her  getauscht  wird  imd  trotz  ausdrücklicher  Belehrung 
doch  in  seiner  Dummheit  zum  Teufel  läuft,  ja,  darin  liegt  wohl 
eine  lebhafte  und  lustige  Wirkung,  aber  gegen  Schönbach,  der 
das  Gedicht  recht  angenehm  lesbar  und  seinen  Humor  sehr 
unterschieden  von  der  gröberen  Komik  in  A  findet,  stellt  sich 
mir  darin  der  Gegensatz  wirklicher  Poesie  zu  gelehrtem  Können 
und  Wollen  dar. 

Denn  geistliche  Gelehrsamkeit  ist  des  jüngeren  Dichters 
schlimmster  Fehler.  Sie  yerföhrt  ihn,  als  er  in  der  Begeg- 
nung Offers  mit  dem  Teufel  den  Anschluss  an  die  Vorlage 
erreicht  hat  und  Tor  dem  Kreuz  des  Erschlagenen  ihre  junge 
Freundschaft  in  die  Krisis  kommt,  die  wenigen  Andeutungen 
von  A  zu  einem  umftLnglichen  didaktischen  Dialog  von  200  Versen 
auszuweiten.  Zwar  die  Führung  des  Gesprächs,  das  muss  man 
ihm  lassen,  ist  technisch  so  übel  nicht.  Was  in  A  leise  yor- 
gebildet  war,  die  Abneigung  des  Teufels,  auf  Bede  und  Ant- 
wort einzugehen,  das  Drängen  des  Begleiters,  wird  zum  hin- 
und  hergehenden  Gegensatz  herausgearbeitet;  sagte  in  A 
der   Teufel   beiläufig   V.   584:    „als   chlain    ein    har    ist  mir 


111  Ausbildung  der  Legende.  Hl 

bechant^y   so  ist    das    in  B  zum  bindenden  Yersprecben  ge- 
worden V.  265/6; 

„ich  tuon  dir  allez  daz  bekant 
daz  ie  mit  namen  was  benant", 

daraufhin  loben  sie  Freundschaft  und  dann  heisst  es  Y.  288: 

do  mante  ern  siner  Sicherheit: 

i^alsö  verhiez  mir  din  munt 

swes  ich  dich  vrägt,  du  taetst  mirz  kunt''. 

Dazu  kommt  noch  das  Motiv,  dass  den  stockenden  und  zaudern- 
den Teufel  eine  göttUche  Gewalt  zwingt,  auf  jeden  Einwurf  und 
jede  Frage  nach  der  Gottheit  u.  s.  w.  wahre  und  ausführliche 
Antwort  zu  geben.  Aber  diese  leidige  Ausführlichkeit!  Von 
Himmel  und  Erde  und  den  vier  Elementen,  yom  VerhältniB 
der  Trinität  zur  ünität^  yon  Gottes  Allgegenwart  und  des 
Teufels  Stellimg  im  Universum  ist  die  Bede,  und  nicht  des 
Teufels  Grimm,  sondern  des  Reimenden  Freude  an  den  schönen 
Gleichnissen  vom  dreigeiältelten  Mantel,  der  dreigefügten  Scheere 
und  dem  dreimal  zerbrochenen  Spiegel  zur  Erläuterung  der  Drei- 
und  Einheit  oflfenbart  sich  dem  Leser.  Denn  zum  Lesen,  nicht 
zum  lebendigen  Vortrag  ist  diese  geistliche  Bedseligkeit  bestimmt, 
und  aus  diesem  Grund  allein  hat  B  den  Einsiedel  bei- 
behalten, weil  auch  er  eine  Latte  des  Stakets  abgeben  konnte, 
an  welchem  sich  das  Füllwerk  der  erbaulichen  Reflexion  auf- 
ziehen sollte.  Denn  nachdem  Offer  sich  vom  Teufel  gekehrt 
hat,  fällt  die  Ausführung  der  Wanderung  wieder  fort  und  er 
kommt  im  Handumdrehen  zu  einem  clgraere  der  ein  guoter 
einsidel  was  und  an  der  wisheit  buochen  las».  Der  Ausdruck 
ist  charakteristisch.  Und  beiläufig  enthüllt  sich  aufs  deutlichste, 
was  für  ein  Interesse  B  an  der  Biesengestalt  Offers  hat.  Die 
Naivetät  des  ersten  und  das  Komisch-Genrehafte  des  späteren 
A  sind  gleicherweise  geschwunden,  dafür  giebt  dem  er- 
schreckenden cwisen»  der  Biese  die  so  erbauliche  als  pedan- 
tische Beruhigung  Y.  493: 

„^ot  man,  du  solt  dir  vorhten  niht. 
Bwie  lanc  gewahsen  man  mich  sÜLt, 
ich  bin  ein  mensche  sunder  spot 
und  wU  nach  rate  dienen  got". 


lia  E.  Bichter.  113 

D&  hat  denn  freilich  der  Alte  leichtes  Spiel,  wenn  er  dent 
moralischen  Langen  einen  gründlichen  Vortrag  halt  über  die 
zehn  Gebote,  über  die  Erbsünde  und  die  Erlösung  von  ihr, 
wie  sie  auf  fiitten  der  acht  Tugenden  -  -  und  es  folgen  die 
Kamen  —  der  menschgewordene  Gbtt  seinen  Frommen 
gewann,  und  dieser  Exkurs  liegt  dem  Verftusser  so  am  Herzen, 
dass  er  nach  glücklicher  Beendigung  noch  selbst  das  Wort 
nimmt,  um  zu  yersichem,  dass  keiner  je  im  Preise  der  G-ottheit 
«gar  zende  kaeme»,  er  am  wenigsten.  Aber  Donau  und  Rhein 
tragen  grosse  und  kleine  Wasser  hinweg  und  alle  sind  den. 
Menschen  nutze:  so  will  auch  er  an  seinem  schwachen  Teile 
fortfahren,  kommen  doch  auch  kleine  Brunnen  schliesslich  ins 
Meer.  Wir  denken  an  Walther  von  Speier,  der  in  seiner 
Sprache  auch  immer  so  etwas  wie  ein  kleiner  Brunnen  zu 
sein  vorgab,  in  Wahrheit  aber  anmassend  dahinrauschte,  als 
wären  Donau  und  Khein  zusammengeflossen. 

Der  Einsiedler  hat  seinen  Dienst  gethan,  er  hat  Offer 
zum  Christen  gemacht  Der  dankt  ihm  für  die  «guote  lere», 
den  grössten  Herren,  nach  dem  sein  Verlangen  war,  hat  er 
eigentlich  schon  gefunden,  mit  frommen  Batschlägen  reichlich 
bepackt  zieht  er  weiter.  Das  ist  die  wichtigste  und  zugleich 
böiseste  Änderung  des  ümarbeiters,  dass  der  direkte  Zusammen- 
hang zwischen  dem  Einsiedler  und  dem  Kern  der  Erzählung, 
den  Vorgängen  am  Flusse,  so  völlig  durchschnitten  wird. 
Gerade  die  innere  Tiefe  des  Gedankens,  den  einen  mächtigen 
weltlichen  Herrn  Suchenden  in  den  leiblichen  Dienst  des 
geistigsten  Gebieters  der  Welt  zu  stellen  und  dann  das  Geistige 
in  leiblicher  Gestalt  sich  ihm  offenbaren  zu  lassen,  ging  dem 
späteren  Berufsvertreter  jenes  geistigen  Herren  nicht  auf. 
Sein  Offerus  geht  als  ein  gläubiger  Christ  weiter  und  aus 
vorbedachter  christlicher  Tugendsamkeit  macht  er  sich  zum 
Fergen  der  armen  Leute.  Auch  das  ist  bezeichnend:  in  A 
hat  die  cschiffung»  gerade  cabganch»,  als  Offer  einen  Dienst 
finden  soll,  und  als  er  ihn  gethan  hat,  muss  der  Fluss  aus- 
trocknen, B  ersetzt  diese  unbefemgene  volksepische  Art  der 
Motivierung   durch  den    moralischen  Zug,    dass   die  reichen 


113  Ausbildang  der  Legende.  113 

Schifferleute  die  Armen  nicht  überfahren  wollen,  Offer  verjagt 
sie:  €8118  wart  er  armer  liute  brücke».  Die  Kunde  dringt 
ins  Land,  und  viele  kommen,  c durch  schouwen  und  durch 
übertragen»,  sagt  der  Dichter.  Und  dass  solche  Neugier 
nicht  unberechtigt,  des  zum  Zeichen  bringt  er  in  dem  wunder- 
lichsten Sermon  seinen  Prachtheiligen  mit  den  vier  Elementen 
in  Verbindung,  dass  «herinc»  und  cdornöliän»,  cbiber»  und 
cvledermüs»,  cKeii»  und  cArtüs»  um  ihn  fliegen,  schwimmen, 
reiten. 

Durch  solche  Abschweifungen  und  Anmerkungen  verdirbt 
sich  B  auch  die  Elussscene.  V.  856  «arbeit  durch  got  ist 
guot  vür  Sünde»  und  derartige  Gemeinplätze  in  ihrer  Auf- 
dringlichkeit stören  die  lebendige  Realität  des  Geschehenden, 
die  in  A  gerade  erreicht  war.  Das  Genrehafte  ist  auch  hier 
verkümmert,  durch  das  völlige  Fehlen  des  Einsiedlers  hat  die 
dreimalige  Wiederholung  etwas  Monotones  bekommen,  die 
Betonung  des  armen  £[indes,  eine  Klage  wie  „nü  wilt  du 
ruon  und  last  mich  hie"  giebt  eine  sentimentale  Färbung,  die 
dem  frischeren  A  zu  seinem  Vorteil  durchaus  mangelte. 
Elndlich  die  Lächerlichkeit,  an  stelle  der  schönen  Worte 
Offers  in  A 

„und  trueg  ich  himel  nnd  erd 
auf  mir,  ich  tmeg  so  swer  mcht, 
als  mir  heint  von  dir  geschieht^ 

den  Offer  klagen  zu  lassen: 

„swaerer  denne  ein  boom 

bist  du,  liebez  kint,  üf  mir". 

So  haben  wir  aus  dem  Charakter  des  Ganzen  die  inhalt- 
lichen Abweichungen  der  Fassung  B  von  A  zu  begreifen  ver- 
sucht. Es  ist  nichts  in  B  fortgefallen,  nichts  in  B  hinzu- 
gekommen gegenüber  A,  wofür  nicht  die  Tendenz  des  Verfassers 
genügende  Erklärung  gäbe. 

Es  würde  das  ausreichen,   um,  in  Ermangelung  anderer 

möglicher  Quellen,  die  Benutzung  von  A  durch  B  festzustellen. 

Wenn  wir  dazu  noch  die  hauptsächlichsten  wörtlichen  Anklänge 

ausheben,  so  soll  das  nicht  sowohl  diese  Meinung  bestärken, 

als  vielmehr  den  Beweis  liefern^  dass  B  direkt  den  Text  von 

8 


114 


K.  Richter. 


114 


A  Yor  sich  hatte  und  nicht  etwa  bloss  aas  der  Erinnerung 
ihm  folgte  ;•  was  auch  fiir  die  Art,  wie  B  seinem  Stoffe  gegen- 
überstand, wie  er  arbeitete,  bezeichnender  ist.  Es  begegnet 
ihm  freilich  selten,  dass  er  Ausdrücke  von  A  beibehält,  die 
m  seinem  Gedichte  nicht  mehr  recht  angebracht  sind,  so 
wenn,  obschon  Bitter,  Ghraf,  Kinig,  Kaiser,  Papst  stets  amr 
rechten  Zeit  da  sind,  wenn  sie  gebraucht  werden,  und  von 
einem  Suchen  Offers  ihnen  gegenüber  eigentlich  nicht  die 
Bede  sein  kann,  es  dennoch  heisst  Y.  64:  «den  [ritter]  be- 
gunde  er  suochen  willeclich».  Weit  mehr  sind  manche  Worte 
und  Wendungen,  auch  Beime,  die  zwar  vereinzelt  in  beiden 
Teirten  gar  nichts  Auffalliges  hätten,  in  ihrer  Masse  Zeugen 
eines  direkten  Zusammenhanges.    Also  eine  Auswahl: 


B 

g'evüege  üf  manic  tagent  67 

masseme  81 

jungelinc  108 

da  lao  ein  toter  man  begraben.  267 

ob  des  grabe  was  erhaben 

ein  kriuze  nach  der  marter  site, 

da  bezeichent  man  die  Christen  mite. 


mich    vorhtent    ouch    die    linte 

hart,  300 
beidiu  wip  onde  man. 
ez  was  aber  dem  tiuvel  leit,  S27 
wand  er  gnote  wärheit  selten  seit, 
niemen  mac  sich  min  erwern  445 
nü  hat  ein  tinvel  mir  geseit  512 
ein  phlüm  tief  unde  breit  693 

Offerus  der  lange  man  644 
von  des  guoten  mannes  lere 
begonde  vröttwen  sich  vU  sere. 

nü    seit    man    in    dem    lande 

maere  729 
daz  M  dem  selben  waazer  waere 
ein  man  . . . 


an  tagenden  was  niemant  sein  ge- 

nozz  82 
massenei  264 
den  edeln  junglinch  171 
da   het    ein    Schacher  einen  ver- 

sniten,  620 
da  sazte  man  ein  chreuz  i^  man 

noch  tut, 
daz-zaichen  ist  des  Christen  geniat. 
freien    und    grafen    furchtent 

mich   585 

der  tiefel  ward  grimig  gar,  667, 
daz  er  het  gesagt  so  war. 
niendert  so  lebt  mein  geUeh  586 
daz  ez  der  rechte  tiefelwas  596 
des   meres    phlum,    ist    tief   und 

weit  830 
Offorus  der  vreut  sich  do  859 
und  was  innereliche  vro, 
das  im  dervil  gut  maa 
so  recht  het  chund  getan, 
also  erschallen  die  mer  925 
daz  ein  man  chomen  wer, 
der  trug  über  wer  dar  chem 
und  chain  miet  dar  umb  nem. 


IIB 


Ausbildung  der  Legende. 


115 


und  waere  des  muotes  so  gevnegey 
daz  er  durch  got  über  trnege 
arme  liut,  swaz  im  der  kaeme, 
und  doch  von  in  niht  zinses  naeme. 
ditztreiperalsomanege  stunde  744 
er  huop  sich  über  an  stn  ge- 
mach 888 

und  do  er  da  hin  über  kam,  837 

rehte  alse  er  ez  vernam, 

do  enkunde  er  sin  niht  vinden. 

er  huop  sich  an  die  kalten  ünde  855 


do    er  kam   in  mitten  des  meres 

phlüm  911 

da  hieze  vor  Offerus,  921 

nft  heizest  du  Ghristofferus. 

du  hast  Christ  üf  diner  ahsl  ge- 
tragen, 

daz  mäht    du   der   heidenschefte 

sagen, 

wand  ich  binz  Jesus  Christ,  din  got. 


daz  traib  er  so  lange  dar  938 
[0.  sich]  hueb  her  wider  über  den 

paoh.  1025 
er  gedacht,  „ich  wil  zu  gemach  . ,  .^ 
und  do  er  hin  über  cham  971 
und  des  chindleins  war  nam, 
do  was  ez  verswunden, 
daz  er  sein  nicht  sehen  chunde. 
dem     iezt     erchuelt    waren    die 

pain  942 
von  dem  waten  hin  und  her . . . 
do   0.  auf   daz  wazzer    enmitten 

Cham  1089 

e  wastu  genant  Offorus,  1107 

nu  soltu  haizzen  Christofforus, 

dar  umb  daz  ich  Christus  pin 
gib  ich  dir  meinen  nam  zu  dem 

deinen  hin. 


Dazu  gesellen  sich  einige  Stellen,  in  denen  eigentlich 
unterdrückte  Motive  doch  noch  leiae  anklingen,  an  ursprüng- 
lich ihnen  fremdem  Orte  verwundert  aufbauchend: 


er  enhete  doch  helfandes  niht,  157 
ich  waen  ze  gän  im  dar  geschlht; 
in  enmoht  kein  ros  getragen, 
weder  olbeht  noch  der  wagen, 
er    dühte     den     keiser    wandel- 

baere,  193 
er  aht  daz  er  sin  kempfe  waere 
in  Sturme  und  in  striten: 
swä  man  vinde  solte  biten, 
d&    mohte    er  Roemisch    er    wol 

zieren 
und  ein  her  ensohumphieren. 

Unwillkürlich    erhebt   sich 
Frage,   inwieweit  wir  etwa  aus 


der    was     so    grozz     an    seiner 

chraft,  215 
daz  in  chain  ros  getragen  macht, 
gegen  den  gestenchert  er  ze  fuzzen. 
die  vreuten  sich  der  mer,  269 
daz  ir  junger  her  so  starch  wer 
und  sprachen  „wer  sol  nu  wider 

uns? 
mein  herre,  der  jung  Offorus 
bestet  ein  ein  ganzes  her, 
wan  er  ze  jarn  chumt,  mit  ritters 

wer". 

aus    solchen  Vergleichen   die 
B  noch  Gewinn  für  die  Er- 

8* 


116  K.  Richter.  116 

Schliessung  Yon  A^  oder  yielmehr  seiner  Vorlage,  ziehen  könn- 
ten, und  es  wäre  ja  denkbar,  dass  aus  beiden  Gestalten  mit 
einiger  Sicherheit  eine  ürgestalt  sich  eruieren  liesse.  So  meine 
ich  in  der  That,  dass  zum  Beispiel  jenes  Motiv,  welches  Offer, 
weil  kein  Eoss,  ihn  zu  tragen,  stark  oder  gross  genug  ist,  zu 
Fuss  gehen  lässt,  gegen  unsere  Zweifel  durch  die  Koinzidenz 
Yon  B  und  A  als  ursprünglich  erwiesen  wird.  Andererseits  dürfte 
man  sich  den  Glauben,  dass  gewisse  niedere  Ausdrücke  und 
burleskere  Scenen  in  A  von  dem  späteren  Interpolator  her- 
rühren, bestätigen  lassen  durch  eine  Zusammenstellung  etwa 
der  Verse 

B  470  sin  sohoene  gunde   er  dö  A  669  daz  feur  wegund  von   im 

verkeren :  prechen, 

er  wart  swarz  ab  ein  kol  das  gestanch  ward  von  im 

rechen, 

femer  der  ersten  Begegnung  Offers  und  des  Einsiedlers.  Aber 
in  dem  letzteren  Falle  schon  könnte  man  die  Abweichung  auch 
durchaus  aus  dem  genrefeindlichen  Charakter  des  Umdichters 
begreifen,  und  so  liegt  bei  derartigen  Bestituierungsversuchen 
inmier  die  Gefahr  nahe,  dass  man  schliesslich  in  eine  yage 
imd  oberflächliche  Verschönerung  verfallt,  weil  die  Grenzen, 
die  dem  Charakteristischen  zu  stecken  sind,  unmöglich  mit 
Sicherheit  sich  berechnen  lassen.  Auch  aus  dieser  Erwägung 
werden  wir  gut  thun,  die  beiden  Hauptabweichungen  in  B, 
das  Fehlen  der  romantischen  Jugendgeschichte  und  die  be- 
deutungslosere Stellimg  des  Einsiedlers,  rein  aus  den  allge- 
meinen Tendenzen  der  Bearbeitung  des  in  A  Überlieferten 
herzuleiten,  wie  wir  es  gethan  haben. 

Um  so  eher  haben  wir  die  Pflicht  einer  solchen  Be- 
schränkung, als  sich  für  das  untergeordnetere  Gehaben  des 
Alten  in  B  noch  eine  fernere  Erklärung  aus  dem  Fortgange 
ergiebt.  Im  weiteren  Verlaufe,  für  das  eigentliche  Martyrium 
des  Heiligen,  und  das  ist  die  zweite  wichtige  Thatsache  für 
unser  Gedicht,  folgt  der  Verfasser  in  engem  Anschlüsse  der 
älteren  lateinischen  Passio. 

Es  wirft  das  ein  neues  Licht  auf  sein  Verhalten  gegen- 


117  Aasbildung  der  Legende.  117 

über  der  deutschen  Überlieferung  in  A.  In  A  sah  er  eine 
wüste  Fabely  aus  der  er  willkürlich  herausriss,  was  er  in 
edlerem  Sinne  benutzen  zu  können  yermeinte,  die  Passio  [yor- 
läofig  P]  ist  ihm  der  authentische  Bericht  von  des  Heiligen 
Leben  und  Sterben,  den  er  in  deutsche  Verse  umsetzt.  Wir 
werden  betrachten,  wie  weit  er  Eigenes  zu  geben  oder  Über- 
liefertes anzutasten  wagt:  das  Ergebnis  kann  nur  unerheblich 
für  den  auffallenden  Kontrast  der  Benutzung  Ton  A  und  P 
sein,  und  alles  erhärtet  nur  den  überall  wirkenden  geistlichen 
Berufscharakter  des  Mannes,  der  dem  älteren  Kollegen  mit 
Achtung,  dem  Spielmann,  yielleicht  gar  dem  klosterflüchtigen 
Spielmann  mit  Verachtung  begegnete,  jenen  neukleidete,  diesen 
bestahl. 

Der  Gegensatz  kommt  hart  zur  Erscheinung  in  dem  Über- 
gang Ton  einem  Teil  zum  andern,  Ton  A  zu  P.  In  A  hatte 
der  Einsiedel,  nach  dem  Austrocknen  des  Flusses,  Ton  der 
nahen  Stadt  und  dem  Heidenkönig,  der  die  Christen  yerfolge, 
erzählt,  und  Christoph  machte  sich  dann  dahin  auf  den  Weg. 
P  aber  beginnt  mit  der  Angabe  der  Namen  Samos  imd  Dagnus 
und  der  Erwähnung,  dass  der  Herr  dem  fremden  Manne  seine 
Taufe  und  die  Erweckung  vieler  zum  Glauben  durch  ihn  an- 
zeigte. Die  in  der  bekannten  Fassung  von  P  yielleicht  etwas 
yerderbten  Worte  mögen  B  den  Mut  gegeben  haben,  die  Er- 
zählung von  der  Taufe  des  Heiligen  im  Flusse,  wie  sie  in  A 
einmal  vorlag,  dem  weiteren  Berichte  von  P  vorzufugen.  Dieser 
bringt  weiter  die  angekündigte  Taufe  aus  himmlischer  Wolke, 
die  über  dem  Begnadeten  erleuchtet,  und  eine  hinmilische 
Stimme  erklärt  ihm  die  Bedeutung:  „Ecce  accepisti  baptis- 
mum  in  nomine  domini  et  s.  trinitatis^.  Darauf  betritt  Christo- 
phorus  den  Boden  Syriens.  Welche  ofi&ziellen  Züge  B  nicht 
unterschlagen  zu  dürfen  meint  und  derart  mit  dem  aus  A 
Übernommenen  vereinigt,  dass  bereits  der  taufende  Christus 
selbst  seinen  Täufling  in  die  Heidenschaft  sendet  und  ihm  den 
Martertod  befiehlt,  V.  934;  er  dingt  sich  ihn  zum  «schilt- 
geseUen»  und  verschwindet.  So  kann  jene  cnebula  de  caelo 
descendens»  von  P  nur  noch  als  ein  Umhang  der  englischen 


118 


K.  Richter. 


118 


Offenbarung  des  heiligen  Gastes  erscheinen,  die  dem  ans 
Land  Gestiegenen  die  genauere  IMrektiTe  giebt:  „yar  zuo 
dem  künec  Dagnus""  [Y.  960.  965.  968]. 

Auf  diese  Weise  hat  B  in  der  Person  Christi  ^e  Höhe 
des  Ganzen  und  in  seinen  Worten  einen  Gipfelpunkt  erreicht, 
zu  welchem  die  Vorgeschichte  hinaufläuft,  Ton  dem  das  Marty- 
rium abrollt.  War  die  ungezwungene  Art,  in  der  A  die  Er- 
zählung einfach  weitergehen  liess,  Yolksepischer  und  poetischer, 
so  hat  B  in  jener  langen  Bede  Ohristi  im  Wasser,  obschon 
sie  poetisch  so  unerfreulich  wie  möglich  ist,  doch  eine  ge- 
schickte ionere  Verbindung  seiner  beiden  Quellen  hergestellt, 
und  wenn  man  sich  sämtliche  anderen  Überlieferungen  der 
Christophlegende  einmal  verloren  denken  will,  so  würde 
kaum  jemand  auf  den  Gedanken  kommen  können,  in  B  hinter 
V.  925  einen  tiefen  Einschnitt  für  die  Herkunft  des  Stoffes  zu 
machen. 

Eine  grundsätzliche  Freiheit,  die  sich  B  im  Weiteren 
gegenüber  P  erlaubt,  ist  eine  solche,  wie  sie  jeder  Versifikator 
eines  Prosatextes  haben  muss :  mit  dem  Dialog  freier  zu  schalten, 
Direktes  in  Indirektes  umzuschreiben,  Bede  und  Geschehen  in 
ihrer  Folge  zu  yertauschen.     Ein  Beispiel: 


y.  1060  nu  yiel  er  dicke  üf  siniu 

knie 
und  bat  sinen  schephaere 
daz  er  im  da  genaedec  waere 
und  ein  zeichen  von  im  liese 

geschehen 
daz  alle  die  da  möhten  sehen. 

V.  1075  er  nam  ein  holz  unmäzen 

groz, 
ein    domenstap,    der   rinden 

bloz, 
der  himels  wise,  gotes  werde, 
und  stiez  in  vür  sich  in  die 

erde, 
do  truoc  er  blnomen  loup  und 

este. 


P  2  respiciens  ad  illoiji  populum  ora- 
bat  dicens:  domine  deus  omni- 
potens,  da  mihi,  ut  credant  per 
me  nomini  sancto  tuo.  Et  tenens 
virgam  ferream  in  manu  sua, 
fizit  eam  in  terram  et  dizit: 
domine,  deus  mens,  fac  virgaji^ 
meam  fiorere  et  ramos  bonos 
habere  et  folia  formosa,  quo- 
modo  mutasti  in  Cana  Galilaeae 
aquam  in  vinum. 


119  Ansbildung  der  Legende.  119 

Überhaupt  kommt  es  B  auf  eine  genaue  Wiedergabe  dee  Diar 
loges  am  wenigsten  an,  und  wie  er  zwar  manche  Heden  fast 
wörtlich  übersetzt,  z.  B. : 

14S8    d6   sprach    der    edel    wise     P  5  sanctus    dei    Ghristophorus   . . . 

schone:  dixit  ad  illaa:  Levate  vo8,  filiaa 

„stat  üf,  ir  tohter,  gotes  kkit,  meae,  nolite  timere;  stare  aatem 

als  diu  yon  im  gesegent  sint,  habet  ante  Judicium  dei,  qui  vos 

and  Torht  iu  niht,  daz  ist  min  transmisit  ad  me, 

rät. 
der  iuch  d&  her  gesendet  h6t, 
der  mnos  vor  gotes  gerihte 

stän^. 

SO  lässt  er  ein  andermal  jene  höhnischen  Invektiven  der  Nicaea 
und  Aquilma  gegen  die  Götzenbilder,  die  eine  der  bestea 
Wiikimgen  in  P  sind,  einütch  fallen,  um  wiederum  nftch  Be- 
lieben die  iSi^^n  Bekehrungsreden  Christophs  einschieben  zu 
können,  der  in  diesem  zweiten  Teile  etwa  die  Bolle  eines  ge- 
fangenen obstinaten  Wanderpredigers  spielt.  Z.  B.  Y.  1066 — 74. 
1126—32.  1181—1214.  1236—49.  EBerbei  kommt  der  Sucht 
des  Dichters,  eigene  allgemeinmoralische  Exkurse  einzuschieben 
oder  doch  wenigstens  ein  paar  kleine  Erbaulichkeiten  anzu- 
bringen, der  unterschied  im  innem  Habitus  der  beiden  Sprachen 
und  Zeitperioden  zu  gute.  Die  Sprache  von  P  ist  kurz  und 
.dramatisch,  sie  hegleitet  ein  überhastetes  Oeschehen  mit  zuge- 
spitzten k<Hiiprimierten  Reden,  in  denen  grosse  Gegensätze 
ballspielartig  immer  wieder  hin-  und  hergeworfen  werden,  nur 
durch  diese  aufdringliche  Leidenschaftlichkeit  wird  ein  Inter- 
esse an  den  sonst  nicht  gerade  poetischen  oder  eigentümlichen 
Vorgängen  erregt  Dazu  tritt  die  Wucht  eines  in  sich  halb 
versteinerten  Idioms  und  seiner  altüberlieferten,  ehrwürdigen 
Worte  und  Phrasen.  Der  deutschen  Sprache  aber  war  zu 
der  Zeit,  da  B  entstand,  schon  die  höchste  Leichtigkeit  und 
Ausdrucksfähigkeit  wieder  Terloren  gegangen,  die  eine  neue 
Leichtigkeit  des  Lebens  ihr  vor  kurzem  verliehen  hatte;  was 
ihr  geblieben  war,  eine  grössere  Geschmeidigkeit  und  Bequem- 
lichkeit, diente  nur,  dem  innerlich  ruhigeren  Gemütsleben  der 
Menschen  zu  einem  behaglichen  Ausdruck  zu  yerhelfen.     Es 


120  ^-  Richter.  120 

bliilite  die  Moral,  und  ein  didaktischer  Strom  war  in  stetem 
Wachsen  begriffen,  um  in  kurzem  weithin  die  litterarischen 
Auen  zu  überfluten.  Die  Kraft  der  Yolksepik  war  längst 
vorbei,  wie  denn  A  und  B  als  charakteristische  Zeiterschei- 
nungen durchaus  gelten  können.  Auffallig:  Schönbach  hat 
B  mannigfache  Entlehnungen  und  Anklänge  aus  und  an  Frei- 
dank aufgewiesen,  und  wenn  man  sich  etwa  das  Gedicht  vom 
König  Oswalt  ansieht,  so  bemerkt  man,  wie  eng  sich  die  Art 
der  Ausdrucksweise  von  A  an  Stellen,  wo  sachlich  Ahnliches 
gesagt  werden  soll,  mit  der  seinigen  deckt.  Auch  sonst  könnte 
man  die  beiden,  A  und  Oswalt,  in  eine  artige  Parallele  stellen : 
Speisescenen,  Jagdscenen  und  vor  allem  der  immanente  Ge- 
danke der  weltlichen  Entsagung  eines  Höchsten  hier  wie  dort : 
volkstümliche  Heiligengeschichten.  Die  Unterschiede  der  Kompo- 
sition verkenne  ich  nicht,  die  aus  der  Verschiedenheit  des  Stoffes 
sich  ergeben;  aber  man  erlaube  den  flüchtigen  Vergleich,  der 
zeigen  mag,  wie  sich  Empfinden  und  Denken  in  derselben 
Richtung  den  Ausdruck  suchen: 

A  Oswalt 

1111  Christus  zu  Christoph:  2909  Oswalt  zu  Aaron: 

daz  du  solt  gewaltiglich  undgeloubestdüaninkreftecliche, 

mit  mir  besitzen  daz  himelrich.  so  besitzest  du  daz  ewige  himel- 

•  riche. 

1107  e  wastu  genant  Offorus,  3032  vor  hieze  du,  richer  künic,  Aaron, 

nu  soltu  haizzen  Christofibrus.  nü  solt  düZentimus  werden  genant. 

1627  do  Cham  manich  engel  schar      3097  got  sante  ein  engelische  schar, 
undnamenderhailigen  sei  war  die  nämen  dö  der  seien  war; 

und  fürten  si  alle  gelich  

mit    gesanch    in    daz    vron  unde  vuorten  wirdecliche 

himelrich.  si  in  daz  ewige  himelriche. 

944  got  wolt  in  versuchen  mer  3163  sant  Oswalt  den  vürsten  here, 

den  wolte  got  der  herre  aber  ver- 

suochen  mere. 
549  bueben  3320  hofbuoben 

1125  ze  hant  verswant  Jesus  3429  da  mit  der  himeÜsche  heilant 

vondemhailigenChristoffoms.  üf  sant  Oswaldes  hove  verswant. 

Man  vergleiche  die  entsprechenden  Stellen  von  B:  da  ver- 
schwindet das  Kind  nicht  eher  als  bedeutungsvoll  auf  den 
grossen  Sinn  des  Ereignisses  hingewiesen  ist,  Y.  936/7: 


121  Ausbildung  der  Legende.  121 

BUS  wart  er  Jesus  scliiltgeaelle ; 

da  mite  ez  sä  von  im  verswant;  u.  s.  w. 

Den  inneren  Widerspruch  zwischen  der  Gestalt  seines  Christoph 
und  all  dem  frommen  und  gelehrten  Gepränge  empfand  der 
Verfasser  nicht. 

Es  ist  nicht  leicht^  im  Einzelnen  für  die  Worte  von  B 
eine  motivierende   Vergleichung   mit  P    durchzufuhren,   weil 
seine  Vorlage   offenbar   zwischen  P  und  M  [Mombritius]   in 
der  Mitte  stand.     Einige  Belege  genügen,  von  welchen 
für  P  sprechen: 

V.  1086  der  selben  diet  er  do  bekerte  ahzehen  tüsent  über  al. 

F  2  crediderunt  in  eum  millia  hominium  decem  et  octo. 

M  ad  octo  milia. 
y.  1099  der  hohe  künec  Dagnus.     P  Dagnus  rex.    H  Danus  imperator. 
V.  1595  si  bran  alsam  ein  rose  rot,  der  tou  nach  sunne  ir  helfe  bot. 

F  9  facta  est  flamma  iUa  tamquam  ros  qui  de  caelo  descendit. 

M  facta  est  quasi  nebula. 
V.  1860  schür,  viwers  brunst,  gaeher  tot,  hungers  zadel. 

F  15  grando,  ira  flammae,  fames,  mortalitas. 

M  fames,  captivitas,  mortalitas. 

Für  M  sprechen: 

V.  1075  er  nam  ein  holz  unmäzen  groz,  ein  dornenstap,  der  rinden  bloz. 

F  2  tenens  virgam  ferream  in  manu  sua,  ferream  fehlt  in  M. 
V.  1079  do  truoc  er  bluomen  loup  und  este. 

M  virga  floruit  et  ramos  misit  et  folia  protulit. 

F  2  quoniam  virga  illa  floruit. 
V.  1315  si  jähen  an  der  selben  stunde  alle  mit  gemeinem  munde. 

M  at  illi  una  voce  respondentes.    F  5  dixerunt  milites  ad  illum. 
V.  1703  „wilt  du  mit  zouber  mich  bekem«? 

M  „et  me  vis  lucrari  per  tuas  magicas  artes^? 

F  12  „numquid  et  me  vis  in  tub  maleficiis  adducere"? 
V.  1816  „gan  wir  und  sehen  den  zouberaere". 

M  „eamus  et  yideamus  magum  illum^. 

F  14  „  ...  illum  maleficum''. 
V.  1801  daz  understuont  sin  engel  snel. 

M  divina  virtute.     Fehlt  in  F  13. 
V.  1919  der  künec  die  naht  mit  kumber  ranc. 

M  incidit  in  tedium.    Fehlt  in  F  16. 

Weder  für  P  noch  für  M  spricht: 

V.  1519  Kiceä  strihte  ein  tiuren  gürtel  ab  der  siten.     dem  abgote  umb 
den  hals  sin  swanc  daz   da  Jovis  was  genant.    Aquilina   ouoh 


12S  E.  lUchter.  132 

zehant  tete  dem  fuadem  da   alsam.    sns   zuhten   eis  die   hoehe 

nider. 

P  7  Kicaea  aolTit  oinctorium  soomi   et  posuit  in  ooUo  Jovis,  et 

traxemnt  ambae.     Similiter  fecerunt  et  Apollini. 

M  Nicea  et  Aquilina  solverunt  zonas   suas  posuemntqae  eas  ia 

ooUo  Jovis. 

Eiinuem  wir  uns,  dass  auch  Walther  von  Speier  eine  von  P 
und  M  gleicherweise  entfernte  G-estalt  der  Passio  benutzte, 
80  gewinnen  einige  Anklänge  an  seinen  Prosatext  trotz  ihrer 
leichteren  Natur  erhöhte  Bedeutung  und  sind  doch  ins  Auge 
zu  fassen.  Wenn  es  B  Y.  1047  von  der  Frau,  die  in  die 
Kapelle  vor  die  Stadt  treten  will,  um  zu  beten^  heisst: 

si  bete  oucb  dar  ir  opber  brftbt; 
des  si  den  goten  bete  gedäbt, 
daz  lie  si  gar  da  ander  wegen, 

SO  denken  wir  an  W  [Walthers  Prosa]  vin  «quae  ex  voto 
paravit,  in  manibus  portans»,  aber  M  «ut  sacrificaret  idolis> 
genügte  auch  zur  Erklärung^  während  P  2  «ut  adoraret  idola» 
am  fernsten  steht.  Y.  1218  «aus  gie  er  vroelich  mit  in  dan 
ze  hove  üf  den  palas»,  W  xi  «palatii  fores  audacter  intrabat». 
Y.  1750  «süle»,  W.  xxv  «lignea  statua»^  P 13  «lignum  magnum»,  M 
«trabs  magna».  Es  ist  wohl  manchmal  ein  Mangel  der  Yor- 
lage,  der  zu  kleijien  Auswüchsen  an  derselben  Stelle  führte, 
zu  bemerken.  W  xyi  fühlt  das  Bedürfnis,  den  plötzlichen 
Entschluss  der  beiden  gläubig  gewordenen  Buhlerinnen,  den 
OCttem  zu  opfern,  wozu  die  ganze  Stadt  feierlich  eingeladen 
werden  soll,  besser  zu  motivieren:  «ut  in  conspectu  omnium 
celebrius  diis  holocaustum  possit  offerri»;  B  aber  lässt  den 
König  glauben,  sie  stellten  dieses  Yerlangen,  «daz  man  si 
desto  Werder  biete,  da  von  groezer  wurde  ir  miete»,  Y.  1489/90. 
W  xxrv  nach  der  Marter  des  «scamnum  ferreum»  und  der 
Todesandrohung  des  Königs:  «sed  quia  iam  paratam  cenam 
Vesper  serus  admonuit,  eo  in  custodia  relicto  confusus  abscesait 
[rex]»;  B  1721  «er  hiez  in  balde  vallen  an  und  ziehen  als 
ein  lewen  dan  und  legen  in  4ie  prisün.  der  künec  vuor  npi 
den  sinen  dan».  P  12  giebt  nur  den  Anbruch  des  folg^ideji 
Tages:   «alia  autem  die  jussit  adduci»,   den  aber  W  und  B 


123  AuBbildang  der  Legende.  1^3 

auch  markieren,  umgekehrt  kami  bisweüen  die  üiddarheit 
der  YcM'lage  zu  grossen  Differenzen  ftfaren.  So  wird  es  nicht 
durchaus  deutlich,  ob  bei  dr  Beschimpfung  der  Götzenbilder 
im  T^npel  durch  Nicaea  und  Aquilina  der  König  zugegen 
-ist  oder  nicht,  wenn  auch  die  Ausdrücke  P  7  «audiens»  und 
«▼eniens»  für  das  Letztere  zu  sprechen  scheinen.  W  bestimmt 
ausdrücklich  xvn  «unus  circumstantium  exivit,  qui  rem  gestam 
apud  regem  diffiunaret»  und  «invitatis  ante  se  per  intemuntium 
eororibus» ;  B  hingegen  lässt  sie  auf  die  gestürzten  treten,  «daz 
ez  der  künec  selbe  sach»  und  zu  den  Seinen  ganz  verdutzt 
Unfragt  „herr,  waz  ist  d^?«*  [V.  1531.  34.]  Schwierig- 
keiten machte  ferner  sdion  W  d^  Satz  in  P  13 :  «et  yenientes 
soilites  secundum  <Nrdkiationem  regis  temas  sagittas  sagitta- 
Tenmt  super  eum»,  und  er  suchte  zu  bessern  xxy:  «dispositis 
quoque  tribus  in  ordinem  sagittarüs,  qui  in  eum  jaoula 
mitterent»,  B  aJber  lässt  die  Zahlangabe  ganz  auf  sich  be- 
ruhen: «dd  wart  er  ir  alier  zil,  die  üf  in  schuzzen  der  was 
vil»  V.  1786. 

Es  ist  ersichtüeh:  zu  einem  positiven  Behaupten  kann 
dieses  alles  nidiit  berechtigen.  Dazu  kommt  ausserdem,  dass, 
wenn  man  solche  geringen  Aiddftnge  als  Beweise  eines  Zu- 
sammenhangs gelten  lassen  zu  müssen  m^nte,  wir  noch 
grosseren  Anlass  hätten,  an  die  lateinisch-griechischen  Er- 
weiterungrai  der  alten  Passio  zurückzudenken,  indem  diese 
und  B  einige  Ähnlichkeit  in  der  Episode  der  ausgesandten 
Soldaten  zeigen.  Wir  erinnern  uns,  in  welcher  Weise  sie 
durch  Einfügung  eines  Speisewunders  und  langer  Bekehrungs- 
reden ausgeführt  worden  wio*,  um  das  unvermittelte  Bekennt- 
nis der  Zwei-  resp.  Vierhundert  in  M  resp.  P  mit  den  übrigen 
Ehreignissen  zu  verknüpfen.  B  weiss  wie  P  von  einer  zwei- 
maligen Abordnung  von  je  200  Mann  zu  berichten ;  während 
aber  die  erste  Schar  in  P  vor  dem  Anblicke  des  Heiligen 
forchtsun  umkehrte  und  er  sich  der  zweiten  freiwillig  ergiebt, 
um  mit  ihnen  vor  den  König  zu  gehen,  be&ehrt  B  beide 
gleicherweise  durch  einige  wohlfeile  Beredsamkeit  des  von 
ihn^i  Gesuditen.    Es  weicht  aber  von  den  bisher  bekannten 


124  K.  Richter.  124 

erweiterten  Texten  dadurch  ab,  dass  diese  einmal  mit  M  nur 
von  einem  einzigen  Haufen  abtrünniger  «milites»  Kenntnis 
haben  und  dann  auch  im  Verlaufe  diesen  auf  andere  Weise 
planmässiger  benutzen.  B  erzählt  von  einer  ausgreifendeu 
Umfrage  des  Königs  unter  seinem  Gefolge,  und  ganz  im 
Allgemeinen  heisst  es,  dass  wohl  achthundert  Ritter  auf  ihr 
Bekenntnis  zu  der  neuen  Irrlehre  ihr  Leben  verlieren  [V.  1336]: 
von  jenen  bestimmten  Vierhundert  ist  dabei  nicht  die  B^de. 
Man  vergleiche  weiter  V.  1413/16  «si  zierten  wol  ir  klären 
lip  an  kleidern  so  mit  Muocheit»,  Lb  «iube  eas  vestibus 
preciosis  indui  variisque  unguentibus  deliniri»,  auch  Lc  6ae. 
Wie  aber  diese  letzte  leise  Berührung  doch  wohl  leichtlich 
aus  der  Sache  heraus  in  B  selbständig  sich  eingestellt  haben 
könnte,  so  mag  ich  auch  jene  erste  Beziehung  nicht  für  so 
zwingend  erachten,  dass  sie  uns  nötigte,  in  der  unbekannten 
Vorlage  von  B  genau  Entsprechendes  anzunehmen.  Denn  ee 
wäre  in  anbetracht  der  im  allgemeinen  etwas  propagandisti- 
schen Färbung  sehr  wohl  möglich,  dass  auch  diese  Doppel- 
bekehrung sich  in  B  eigentümlich  herausgebildet  hätte,  zumal 
sie  doch  von  den  verwandten  Ausgestaltungen  des  Motives 
nicht  unerheblich  sich  imterscheidet. 

Diese  Erwägungen  liessen  sich  eher  zum  Austrag  bringen, 
wenn  nicht  B,  so  treu  es  anscheinend  und  im  Grossen  und 
Ganzen  auch  wirklich  seiner  etwa  P  entsprechenden  Vorlage 
folgt,  doch  einige  Auslassungen  und  Abweichungen  zu  ofiFen- 
barer  eigener  Verantwortung  trüge.  Es  unterschlägt  den 
grossen  Stein,  der  der  hängenden  Aquilina  an  den  Füssen 
befestigt  wird:  P  8,  es  giebt  der  Nicaea  nur  einen  Schlag 
auf  den  Mund,  anstatt  ihr  einzeln  die  Zähne  ausstossen  zu 
lassen  V.  1563  *»  P  9,  es  stäupt  Christoph  nicht  mit  eisernen 
Buten  P  10,  sondern  nur  mit  Gerten  und  Stecken,  und  wie 
wir  in  diesen  Fällen  doch  vielleicht  ein  halb  menschliches, 
halb  ästhetisches  Missbehagen  als  Ursache  des  sichtenden 
Verhaltens  vermuten  dürfen,  so  war  ihm  die  Marter  des 
glühenden  Helmes  P  10  etwas  unbequem  Fremdes  und  vollends 
die  Intervention  der  drei  «consules»  musste  unbedingt  geändert 


125  Ausbildimg  der  Legende.  125 

werden,  und  so  änderte  er  denn  gleich  resolut.  A  hatte 
gerade  aus  dem  charakteristischen  Helm  Gewinn  ziehen  können: 
ein  neugieriger  Scherge  will  sehen,  was  der  Heilige  wohl  drunter 
mache,  er  hebt  ihn  ab,  da  schlägt  ihm  die  Glut  unter  die 
Augen,  dass  er  kein  Wort  mehr  spricht  [V.  1347  ff.].  Zu 
Derartigem  war  B  zu  erfindungsarm :  er  behalf  sich  mit  einem 
altüberkommenen  Motiv,  halb  deutsch,  halb  biblisch  und  darum 
ihm  doppelt  recht,  «ditz  was  des  küneges  ¥nirmgarte».  Drachen, 
Nattern  und  Erröten  hausen  darin,  und  wenn  der  König  einen 
töten  wül,  lässt  er  ihn  hineinwerfen :  «der  seite  niht  her  wider 
maere».  Da  sperrt  man  auch  den  hl.  Christoph  ein.  Y.  1641  ff. 
Das  hat  sicher  nicht  in  X  gestanden. 

und  auch  die  Abweichungen  im  Kleinen  und  Kleinsten 
sind  geeignet,  uns  in  der  Meinung,  dass  wir  B  einen  be- 
scheidenen Einfluss  auf  die  Wiedergabe  der  Vorlage  zutrauen 
dürfen,  zu  bestätigen,  weil  auch  sie  als  charakteristisch  gelten 
können.  Ausserlich  teilt  B  mit  der  Spielmannspoesie  die  Vor- 
liebe für  reale  Zahlenangaben,  und  er  häuft  oder  modifiziert 
die,  welche  ihm  P  überlief ert.  Werden  in  P  2  18000  Menschen 
bekehrt  und  getauft,  so  lässt  B  nur  2300  von  ihnen  sofort 
der  Taufe  teilhaft  werden  [Y.  1089],  und  ein  andermal  hat 
er  ganz  genau  1052  Konvertiten  gezählt  [V.  1881/2].  An- 
statt der  «millia  hominum  quadraginta  et  octo  et  animae 
centum  undecim»  sind  bei  ihm  der  neuen  Christen  schliess- 
lich 60000  [V.  1985].  —  Grundsätzlich,  und  das  ist  doch 
überaus  bemerkenswert,  hat  auch  B  die  Hundsköpfigkeit  des 
Heiligen  ignoriert :  der  deutsche  Christoph  durfte  einmal  nichts 
Abstossendes  haben.  Alle  die  Anreden:  „Canine  et  fax 
mala**,  etc.  fallen  demzufolge  fort,  das  Erschrecken  der  Leute 
vor  ihm  erscheint  gemildert,  und  dem  'Namen  der  Passio 
«Seprobus»  ist  doch  der  freierfundene  von  A  «Offerus»  in  be- 
wusster  Änderung  vorgezogen.  Vielleicht  in  oberflächlichem 
Anklang  an  das  «genus  Canineorum»  P  1  giebt  B  V.  1237 
«Galiläa»  als  Geburtsland  des  Heiligen.  Auch  etwas  von  dem 
Hiesischen,  wie  es  in  A  ausgebildet  war,  behielt  B  als  ein 
Hos  P  gegenüber  bei,  ohne  sich  freilich  die  Poesie  desselben 


136  £•  Biohter.  126^ 

tiefer  anzueignen  und  zu  nutze  zu  madien,  ja  man  könnte 
hierin  sogar  in  diesem:  voiä  A  sonst  unabhängigen  zweiten 
Teile  einen  wörtliehfen  iänftuss  bemerken,  etwa 

y.  1093  innen  des  seit  man  dem  A  1215   do    ersohollen   vor   dem 

künege  maere  haiden diemer, 

daz  ein  risenmaezec  man  da  wie  ein  grozzer  man  chomen 

waere  wer 

y.  1055  ein  man  der  ist  so  un-  A  215  der  was  so  grozz  an  seiner 

gevaege,  chraft 

daz  in  ein   helfant  niht  ge-  daz    in    chain    ros    getragen 

trüege.  macht. 

Den  «helfant»  liebt  nun  B  einmal  [vgl.  Y.  157].  Übersetzt 
und  übergesetzt  wird  eine  Bede  des  Dagnus  aus  P  4r: 
^Quomodo  possum  istum,  qui  inter  feras  nutritus  est  Tincere, 
si  non  inveniam  diversa  tormenta?"  als  V.  1396/6  „wand 
er  ist  ein  wilder  man,  erzogen  bi  tieren  in  dem  tan^;  und 
aus  Eigenem  erzeugt  B  ein  Bild:  Christoph  wird  «als  ein 
lewe  in  die  prisün»  gebracht  Y.  1722,  und  einen  Scherz:  wa 
dem  langen  Prediger  die  Pforte  Terschlossen  wird,  «da  luogte 
er  ebene  zuo  in  übr  die  wer  von  der  zinnen»  Y.  972.  Aber 
weit  selbständiger  als  in  diesem  fabulistisch  Märchenhaften 
bewegt  sich  B  im  höfischen  Element.  Die  Beschränktheit 
und  Freiherrlichkeit  unserer  Yorfahren,  um  die  man  sie 
wieder  und  wieder  beneiden  muss:  Begebenheiten  und  Zu« 
stände  der  Yergangenheit  in  Äusserem  und  Innerem  aktuell 
darzustellen,  kommt  selbst  ^em  B  noch  zu  gute.  Christoph 
ist  der  «gotes  kemphe»  Y.  1124,  seine  Gegner  sind  sarra- 
zenische  Bitter  Y.  1109/10,  sie  werden  «gewäpent»  Y.  111* 
und  «vam  zorsen»  Y.  1146,  „wilkumen,  ir  edel  ritterschaft!* 
ruft  der  Heilige  ihnen  entgegen  Y.  1171,  und  gemeinsam 
ziehen  sie  «ze  hove  üf  den  palas»  Y.  1219.  Für  «kleider 
phärit  Silber  golt  und  ander  manegen  rtchen  solt»  stehen  die 
Sarrazeneii  im  Dienst;  als  sie  ihrem  Herrn  aufsagen,  werfen 
sie  ihm  den  Lohn  «smählieh»  zu  Füssen  [Y.  1313.  14.  26]. 
An  drei  Stellen  heisst  Christoph  «sarjant»  [Y.  93.  709.  1787], 
und  ein  bezeichnendes  Intermezzo  ist  eingeschoben  Y.  1755 — 88: 
ein  Sarrazen  schmäht  den  Starken,  der  «ein  her  enschumphiern» 


127  Ansbildnng  der  Legende.  127 

köoBte,  daas  er  sich  «äne  wer»  martern  lasse,  und  Christoph 
verweist  auf  Jesus: 

„sich  enwolt  niht  wem  der  sterkste  mBn 
der  menschlich  bilde  ie  gewan, 
do  man  im  wirs  tete  denne  mir''. 

Auch  ist  das  Lokal  deutsch  und  zeitgemäss.  Zwar  will  Schön- 
bach einen  ^Ungeheuern  Sprung''  in  dieser  Beziehimg  vom 
ersten  zum  zweiten  Teile  wahrnehmen:  mit  Y.  1001  werde 
man  „nach  Samos  in  Syrien  zum  König  Dagnus  in  altheidnisehe 
Zustände  versetzt'' ;  aber  wenn  man  das  Becht  hat,  auf  den 
intensiven  Charakter  des  Heimatlichen  im  ersten  Teile  von  A 
binzuweisen,  so  ist  bei  der  Gleichgiltigkeit,  mit  welcher  B  der 
Natur  und  der  Umgebung  überall  gegenübersteht,  ein  Unter- 
schied zwischen  Vorgeschichte  und  Martyrium  sicherlich  nur 
insoweit  zu  machen,  als  eben  jene  den  in  ihr  mitwirkenden 
Personen  nach  in  Deutschland-Italien,  dieses  ebenso  den  Namen 
nach  im  Orient  spielt,  so  jedoch,  d^s  die  wenigen  greifbaren 
Yorstellungen  auch  für  das  Martyrium  nicht  bewusst  fremde 
geblieben  sind.  „Jube  mundah  plateas  totas"  heisst  es  in 
PM  6,  das  lässt  B  völlig  beiseite;  an  stelle  der  «quadraginta 
orcae  olei»  P  11  giebt  er  «zwene  soumaere  mit  ole»  Y.  1688. 
cJove  Apolle  Triniant  Amor  Machmete»  Y.  1883/6  werden  in 
einem  Atem  genannt,  ist  das  ein  „altheidnischer"  orientalischer 
Kalikreis  oder  der  unklar  fabulose  eines  biederen  Deutschen 
des  13.  Jhs.?  «Keiner  guotes  niene  tete»  [Y.  1886]:  das 
wuBste  er,  sie  stehen  auf  Säulen,  reichgesohmtickt  mit  «safifir» 
und  anderen  edlen  Steinen,  «phelle»  und  «siglät»  darum  und 
daiunter,  auch  das,  aber  wahrlich  stammte  diese  Kenntnis  nicht 
aas  seiner  Yorlage.  Auch  die  Sitte,  dass  der  König  sich  bei 
den  Seinen  Bates  erholt  und  seine  Weisen  fragt,  brauchte  er 
nicht  aus  P  zu  schöpfen  und  konnte  es  nicht:  ma^  vergleiche 
nur  B  1726  ff.  mit  A  1410  ff.  [In  B  findet  sich  der  König 
die  Antwort  selbst.] 

Nein,  sondern  all  diese  Kleinigkeiten  sind  Ausflüsse  einer 
bereits  in  langen  Jahrzehnten  ausgebildeten  litterarischen  und 
gewissermctssen  auch  kulturellen  Tradition.    Ihr  gehört  gleich- 


128  K-  Richter.  128 

falls  der  letzte  Zug  an,  den  wir  als  merkwürdig  zu  erwähnen 
haben,  die  Neigung,  der  Königin  eine  Bolle  in  den  Gre- 
schehnissen  zuzuweisen,  wie  sie,  natürlich  ausser  jedem  Zu- 
sanmienhang  mit  B,  in  schwachem  Ansatz  in  einer  der  er- 
weiterten Fassungen  [Ga]  uns  auffiel  und  in  B  jetzt  die  wichtigste 
Folge  der  etwas  weltlich-höfischen  Färbung  der  Legende  dar- 
stellt. Besonders  den  Frauen  die  Martern  zu  mildem  erkannten 
wir  schon  als  ein  Bestreben  in  B,  aber  noch  in  anderer  Weise 
werden  sie  geschont.  «Zwo  schoene  frouwen»  heissen  Nicaea 
und  Aquilina,  ihr  Hurengewerbe  wird  verschwiegen,  „opera 
autem  nostra  meretricum  est^  nicht  übersetzt.  Diese  Scheu 
überwindet  das  Bedenken,  eine  moralische  Hauptwirkung  der 
Überlieferung  zu  opfern,  die  gerade  in  dem  erstaunlichen  Ein- 
druck des  Heiligen  auf  das  Gemeinste  bestand,  wie  sie  A 
wenigstens  durch  die  yerfiihrerische  Bede  seines  Teufels  zu 
bewahren  versuchte.  Aber  auch  der  gute  Christoph,  so  gross 
er  ist,  muss  sich  solcher  Prüderie  beugen :  «man  schiet  in  blöz 
von  stme  gewande,  wan  diu  schäm  was  ime  bedecket»,  und 
dass  die  Meinung  der  Stelle  wirklich  auf  die  Bewahrung 
höfischen  Anstandes  ging,  lehrt  Christophs  Verhalten  gegen- 
über den  «frouwen»;  während  er  in  P  betend  liegt,  als  sie 
eintreten,  und  unbekümmert  um  ihren  Schreck  und  ihre  Be- 
täubung sein  G^bet  ruhig  vollendet,  heisst  es  in  B  1419:  «er 
stuont  üf,  dö  ers  ersach,  guoten  wiben  zeren  daz  geschach». 
und  in  Verfolg  dieser  «hövescheit»  wird  also  die  Königin  in 
die  Handlung  eingeführt.  Sie  ist  es,  die  dem  König  den  Bat 
giebt:  „heiz  an  in  versuochen  mit  minne:  ob  im  dehein  wtp 
gibt  guoten  muot,  vil  lihte  er  dinen  willen  tuot^,  und  nach 
einer  höchst  geistvollen  Auslassung  des  Dichters  über  den 
Einfluss  der  Frauen  auf  die  Weltgeschichte  mit  besonderer 
Berücksichtigung  des  alten  Testaments  folgt  Dagnus  der  weib- 
lichen Einflüsterung.  Und  weiter,  nach  des  Heiligen  Tode, 
als  der  König  umsonst  von  Juppiter  und  seinen  andern  Götzen 
Heüung  des  getroffenen  Auges  erfleht  nnd  der  Königin  ver- 
zweifelnd von  der  Prophezeiung  des  Getöteten  erzählt,  muntert 
sie  ihn  auf,   ihr  zu  folgen:    „des  wolte  ich  gote  und  im  ge- 


129  Ausbildang  der  Legende.  129 

troiin"  V.  1940.  Das  Wunder  geschieht,  und  die  also"  aufs 
praktischste  Bekehrten  pflegen  fortan  «der  alten  e  und  der 
niuwen»  so  treu,  das's  Gott  auch  ihnen  seine  «himelkröne»  nicht 
Yorenthälty.  1981.  Als  höchster  Ausfluss  der  höfischen  Frauen- 
yerehrung  klingt  leise  der  Mariendienst  an,  wenn  dem  Heiligen 
das  brennende  Ol  wie  ein  «lüflec  wint»  ist  und  es  heisst:  «daz 
schuof  der  hoehsten  meide  kint»  V.  1694.  So  dürfen  wir  auch 
das  geringe  Weltliche,  was  dem  geistlichen  Dichter  anhaftet, 
za  geistlichem  Ende  fuhren. 

Es  ist  B  in  gewisser  Hinsicht  gelungen,  aus  A  und  der 
alten  Passio  ein  einheitlicheres  Ganze  herzustellen  als  es  etwa 
A  selbst  war.  Bei  nicht  unbedeutender  formaler  Gewandt- 
heit und  bei  grossem  Geschick  der  Motivbenutzung  hat  er  es 
yermochty  ein  frommes,  teilweise  auch  inhaltlich  interessantes 
Gedicht  zusammenzuschweissen,  das  ein  dafür  empfängliches 
G}«müt  für  eine  gute  deutsche  Legende  halten  darf  und  das 
sich  von  der  Masse  anderer  Legenden  nicht  nur  durch  den 
Kern  eines  tieferen  geistigen  Gehaltes,  sondern  auch  in  künst- 
lerischer Qualität  leidlich  vorteilhaft  unterscheidet.  Von  einer 
höheren  Warte  aus,  vom  Standpimkte  einer  allgemeineren 
ästhetischen  Kritik,  können  wir  freilich  nicht  umhin,  das 
ältere  Gedicht  A  als  das  schönere  und  tiefere  anzuerkennen, 
der  Kunstpoet  konnte  den  Yolksdichter  nicht  überholen,  der 
Aneigner  den  Schöpfer  nicht  erreichen.  Schuf  dieser  unbe- 
wusst,  so  arbeitete  jener  bewusst,  und  war  die  höchste  Schön- 
heit bei  diesem  die  intuitive  Verkörperung  einer  im  Keim 
Yorhandenen  grossen  Idee  im  Realen,  so  war  der  schwerste 
Fehler  bei  jenem  die  beabsichtigte  Läuterung  der  Idee  vom 
zufalligen  Realen.  Kann  er  es  sich  doch  nicht  versagen, 
nach  dem  Tode  des  Heiligen  die  Christophorusidee,  wie  er 
sie  in  seiner  geistlich-moralischen  Sprache  zu  sagen  vermag, 
dem  Leser  noch  einmal  aufzudringen: 

y.  1909  der  tinvel  ist  ein  boesewiht. 

mit  dem  het  sant  Chriatoffer  phliht 

als  lange  unz  er  wart  gewar 

daz  er  was  triuwe  und  ere  bar 

nnd  niemen  niht  enmohte  geben 

9 


130  K.  Richter.  130 

wan  wemde  not  üf  iemerleben. 
do  kerte  er  an  den  tiursten  man 
der  mannes  namen  ie  gewan, 
der  was  got  der  in  gewerte, 
des  helfe  er  von  herzen  gerte. 

Uns   Bagte    die    einfach   menschliche   Wiedergabe    des    alten 
Dichters  in  ihrer  lenzesfrischen  Unausgesprochenheit  mehr. 

Weder  A  noch  B  haben  für  die  Verbreitung  der  Christoph- 
legende in  Deutschland  wohl  eine  äusserlich  gleiche  Bedeutung 
gehabt  wie  die  dritte  poetische  deutsche  Fassung.  Sie  ist  ent- 
halten im  Passionaly  jener  Sammlung  von  Heiligengeschichten, 
in  der  in  ansprechender  Form  bequem  zu  finden  war,  was 
man  gerade  über  diesen  oder  jenen  Heiligen  wissen  wollte  ^). 

Das  Prädikat  f^selbständig*^  ist  dieser  Version  der  Legende 
ganz  und  gar  abzustreiten.  Die  Hauptquelle  des  Passionais 
ist  auch  durchaus  und  einzige  Grundlage  der  gegen  800  Verse 
über  den  hl.  Christoph,  es  ist  die  bekannte  Legenda  aurea 
des  Jacobus  a  Voragine.  Wie  sich  Original  und  XJbersetzung 
in  unserem  speziellen  Stück  zu  einander  verhalten,  ist  von 
untergeordneter  Bedeutung  gegenüber  der  Frage,  woher  jenes 
den  Stoff  genommen  und  wie  es  ihn  etwa  affiziert  hat. 

So  verlassen  wir  den  deutschen  Boden.  Jacobus  a  Vora- 
gine war  Italiener,  seine  Gestaltung  der  Christophoruslegende 
aber  rührt  die  interessantesten  allgemeinen  Zweifel,  Bedenken, 
Antworten  auf.    Wir  nennen  den  Text  V*). 

Jacobus  a  Voragine  ist  viel  geschmäht  worden,  auch  um 
seiner  Christophlegende  willen.  Man  mag  ihm  vom  kirch- 
lichen Standpunkte  Kritiklosigkeit  vorwerfen,  ihm  verübeln, 
dass  er  die  Vorgeschichte  gläubig  aufgenommen  hat :  das  Lob, 
das  mir  in  dem  Vorwurf  der  Erfindung  zu  liegen  scheint,  ver- 
dient er  nicht.  Auch  er  geht,  wie  der  deutsche  Verfasser 
von  B,  auf  A  zurück  und  folgt  ihm  treuer  als  jener,  seine 
Gesichtspunkte  sind  im  wesentlichen  aber   dieselben,   er  ist 


*)  ed.  Köpke  no.  43,  p.  845—53. 

^)  ed.  Th.  Graesse  1846,  Kap.  G,  p.  430~-34. 


2.31  Ausbildung  der  Legende.  131 

Geistlicher  und  schreibt  als  solcher.  Sofern  man  die  Legenden 
als  eine  Art  novellistischer  Kunstwerke  ansehen  will,  so  kam 
ihm  in  ästhetischer  Hinsicht  gegen  B  zu  gute,  dass  er  in 
Prosa  schrieb  und,  weil  er  ausser  unserem  Christoph  noch 
mnige  andere  Heilige  zu  behandeln  hatte,  sich  grösserer  Hürze 
und  Thatsächlichkeit  zu  befleissigen  genötigt  war.  Keine 
Sprache  aber  ist  mehr  zum  Ausdruck  des  Thatsächlichen 
geeignet  als  die  lateinische,  und  Jacobus  ist  in  seiner  Art 
ein  Meister  in  ihrem  Q-ebrauch:  kurze  Satze,  ein&che  Kon- 
struktionen und  lebendige  Wortstellung  machen  die  Stärke 
seines  Stiles  aus.  Wirkte  er  im  Allgemeinen  hierdurch  und 
durch  Toleranz  gegen  die  fabulistischen  Elemente  der  Legen- 
denpoesie auf  seine  und  auf  eine  lange  Folgezeit,  so  musste 
im  Besonderen  eine  nicht  unbedeutende  Erzählung  entstehen, 
wenn  jene  Weise  einer  dramatisch^epischen  Technik  einem 
tiefempfundenen  und  einheitlich  grossgedachten  Stoffe  die 
Form  gab.  und  wirklich  halte  ich  des  Jacobus  Ohristoph- 
legende  für  ein  Musterstuck  mittelalterlicher  erzählender  Prosa, 
und  möchte  die  internationale  Beliebtheit  des  grossen  Ohristus- 
trägers  wesentlich  seinem  Verdienste  zuschreiben. 

Über  den  Weg,  auf  welchem  Jacobus  Kenntnis  Ton  A 
erlangt  hat,  Uesse  sich  leicht  gar  manches  vermuten.  Ein 
Werk  wie  das  seinige  übernimmt  man  nicht  ohne  weitver- 
zweigte Yerbindimgen,  eigene  Sprachkenntnisse,  kundige  Helfer, 
und  wenn  er  nicht  selbst  nach  Deutschland  gekommen  oder 
der  deutschen  Sprache  nicht  mächtig  gewesen  sein  sollte,  so 
kann  bei  den  lebhaften  Yerkehrsverhaltnissen  des  13.  Jhs. 
sehr  wohl  durch  dritte  Hand  eine  Übersetzung  ihm  vermittelt 
worden  sein.  Noch  andere  Möglichkeiten  könnte  man  plau- 
sibel machen:  es  kommt  nur  darauf  an,  dass  man  an  diesem 
irrationalen  Faktor  des  Ausseren  keinen  Anstoss  nehme. 

Wiederum  haben  wir  in  des  Jacobus  Erzählung  die  be- 

wusste  Bearbeitung  eines  als  volkstümlich  empfundenen,  und 

zwar  nüssbilligend  empfundenen  Gedichtes  vor  uns,  und   da 

B  und  y  auf  keine  Weise  zusammenhängen  können,  wie  der 

Yerlauf  ohne  Weiteres  zeigen  wird,  so  ist  es  höchst  inter- 

9* 


132  K.  Richter.  132 

essanty  zu  sehen,  wie  die  gleiche  Tendenz  der  Bearbeiter  zum 
Teil  ganz  gleiche  Wirkungen  hervorbringt,  welche  Wahr- 
nehmung wechselseitig  die  Sicherheit  der  Betrachtungsweise 
erhöhen  muss.  Überraschend  ist  es,  dass  V  wie  B  der  alten 
Legende  nur  bis  zum  Beginne  des  Martyriums  folgt.  Aber 
den  Schluss,  den  Schönbach*)  daraus  zieht:  dass  nämlich  die 
Vorgeschichte  durch  einige  Zeit  eine  selbständige  Existenz 
gehabt  habe  und  dann  in  B  dem  alten  Texte  der  Christoph- 
legende, in  A  und  Y  einer  aus  diesem  entstandenen  dürftigen 
Fassung  vorgeheftet  sei,  halte  ich  für  unrichtig.  Von  der 
dürftigen  Fassung  des  Martyriums  in  Y  werden  wir  noch  zu 
reden  haben,  und  war  unsere  Charakteristik  der  Gestalt  A 
auch  nur  einigermaassen  begründet,  so  wäre  eine  Trennung 
der  Yorgeschichte  und  des  Martyriums  darin  als  zweier  zu- 
sammengeflickter Teile  völlig  unmöglich.  Welches  Endes  und 
Zweckes  stellt  sich  Schönbach  diese  Yorgeschichte  vor,  die 
in  der  That  recht  eigentlich  eine  Yorgeschichte  sein  würde 
ohne  Nachgeschichte,  ein  Fluss  ohne  Mündimg  ?  Auch  gehen 
nicht  A  und  Y  auf  eine  gemeinsame  Form  der  Yorgeschichte 
zurück,  B  auf  eine  künstlerisch  ausgebildete:  die  zwei  Unbe- 
kannten, die  damit  gesetzt  werden,  sind  überflüssig. 

Jacobus  arbeitete  nach  schriftlicher  Yorlage,  nicht  etwa 
nach  nur  mündlicher  Tradition.  Darauf  deuten  eine  Reihe 
von  Einzelheiten,  die  sich  gerade  an  den  entsprechenden  Stellen 
übereinstimmend  finden,  darauf  mehrere  Gbdankenkomplexe, 
deren  getrennte  Einheiten  vollständig  aus  den  Situationen  er- 
wachsen sein  könnten,  deren  GhesammtgefiLge  schriftliche  Yer- 
mitÜung  erschliessen  lässt.    Z.  B. 

V  A 

gavisQS  Chrütophorns  se  dyabolo  V.  697  er  sprach :  ich  bin  ze  seiden 

in    servmn   perpetnmn   obligavit  chomen. 

qnidain  homo,  qui  dicitur  Christus  V.  038  da  weilent  ist  geschehen 

ein  geschieht, 

quemcomque  dyaholum   nominari  V.  520    ein    chrenz    wegund    er 

audiebat,  protinns  in  faciem  suam  schrenchen 


»)  Zfda.  XXVI,  88  f. 


133 


Ausbildung  der  Legende. 


133 


cracia  dgnaculum  ünpriinebst,quod 
ridens  Christophorus  plurimum 
admirabatur,  cur  hoc  rex  ageret  et 
qaidnam  hninsmodi  signum  sibi 
Teilet. 

nosti  talem  fluvinm,  in  quo  multi 
transeuntes  pericütantur  et  per- 
eunt?  cum  procerae  staturae  sis 
et  fortifl  viribus,  si  juxta  fluvium 
iUum  resideres  et  cunctos  tra- 
dnoeres,  regi  Christo,  cui  servire 
desideras,  plurimum  gratnm  esset 
et   spero,   qnod  ibidem  se  mani- 

festaret. 


mit  der  hand  TÜr  seinen  mund. 
Offorus  daz  merchen  begund 
und  Tragt  den  herren,  war  zu 

erz  tet, 
daz  er  ein  ohreuz  gemacht  het 
TÜr  sich,  des  nam  in  wunder. 
y.  884  nu  seit  ir  starch  und  auch 

lanch: 
dar  hin  solt  ir  eilen 
und  enthalt  euch  da  enweilen, 
und  wer  euch  rufif  durch  Hebe 

des  got, 
den  tragt  über  an  allen  spot. 
wan  er  wirt  dan  gewar, 
daz  ir  im  dient  ane  Tar 
und  in  seinem  namen   über- 
tragt, 
so  werdent  im  die  mer  gesagt, 
daz  ir  in  seinem  dienst  tut, 
wes  man  benamen  an  euch  mut. 
so  solt  ir  endlich  da  TÜr  haben, 
daz  ir  wert  gen  hof  geladen 
mit  grozzer  hocher  wurdichait. 

Beweisender  noch  ist  die  Möglichkeit,  die  Abweichungen  bei 
grundsätzlicher  Gleichheit  des  Grefiiges  aus  Absicht  und  Charakter 
des  Bearbeiters  genügend  erklären  zu  können. 

Aus  zwei  Grundprinzipien  lassen  sich  alle  Divergenzen 
zwischen  Y  und  A  begreifen.  Einmal  will  Y  ein  Auszug  des 
Thatsächlichen  aus  einer  poetischen  Darstellung  sein,  zweitens 
will  er  den  Gedanken  dieses  Thatsächlichen  in  Tollster  Klarheit 
hervortreten  machen.  Diese  beiden  Grundsätze,  die  gleicher- 
weise das  Yerhältnis  von  B  zu  A  beherrschten,  aber  durch 
die  überquellende  geistlich  moralische  Didaktik  mehr  verdeckt 
wurden,  wirken  in  Y  in  aller  Schärfe  und  Deutlichkeit.  Es 
fällt  auch  in  Y  also  die  Geburtsgeschichte  fort,  ebenso  jegliche 
Ausfuhrung  der  Wanderungen  des  Helden  von  einem  Herrn 
zum  andern.  Y  behält  nicht  wie  B  den  früheren  Namen  des 
Heiligen  als  «Offorus»  bei,  sondern  nimmt  aus  den  alten 
Passionen  den  bezeichnenderen  «Beprobus»;  Beprobus  ist  ein 
»Cananaeus»  und   nicht  nur  «procerissimae  staturae»,  sondern 


134  ^  Bichter.  134 

auch  «Yultu  terribili»  und  hat  «xn  cubitos  in  longitudine». 
Das  Nationale  also  wird  der  zuverlässigen  Quelle  entnommen, 
aber  deren  «canineus»  vorsichtig  mit  Hülfe  des  «Cananaeus^» 
vermittelt.  Als  ein  Zeichen,  dass  die  Jugendgeschichte  in  der 
Vorlage  wohl  nicht  fehlte,  mag  man  den  sonst  ganz  unver- 
ständlichen Ausdruck  «cum  staret  cum  quodam  rege  Cana^ 
naeorum»  ansehen.  Denn  ein  «haidnischer  man,  dem  ein 
chunichrich  undertan»,  ist  ja  Oflfers  Vater  in  A  V.  47,  und 
so  gut  es  gehen  will,  wird  er  mit  der  anderswohergeholten 
Heimatsangabe  in  Verbindung  gebracht.  Dass  V  gerade  in 
diesem  Augenblick  im  Begriff  steht,  einer  andern  Quelle  zu 
folgen,  deutet  der  vorgesetzte  Satz  an  «ut  in  quibusdam  gestis 
suis  legitur»,  wie  B  einmal  sagt  V.  694  «als  uns  diu  materje 
seit».  Wenn  dennoch  V  im  Folgenden  den  angehenden  Heiligen 
schon  immer  «Christophorus»  nennt,  so  ist  das  ein  Zeichen, 
wie  imbequem  «Beprobus»  für  die  Vorgeschichte  sein  mochte 
und  wie  A  dazu  kam,  ihn  durch  «Offorus»  zu  ersetzen. 

Dann  erfolgt  sofort  die  Abstraktion  aus  dem  zu  Er- 
zählenden: «venit  sibi  in  mente,  ut  majorem  principem,  qui  in 
mundo  esset^  quaereret».  Aber  darin  hält  sich  V  treuer  an 
A,  dass  die  einfache  Steigerung:  König,  Teufel,  Christus  bei- 
behalten wird.  Eine  bemerkenswerte  Änderung  ist  der  «gocu- 
lator»,  der  dem  Könige  Gelegenheit  giebt,  sich  zu  bekreuzen, 
indem  er  in  seiner  «cantio»  öfter  den  Teufel  nennt.  Die  geist- 
liehe  Hand  des  Uberarbeiters  kann  sich  nicht  besser  offenbaren, 
sie  musste  dieses  naive  fürstliche  Gähnen  von  A  beseitigen, 
und  es  sollte  der  gemgehasste  Spielmann  die  alte  urkräftige 
Unbefangenheit  büssen.  Als  Christoph  nach  der  Bedeutung 
des  Kreuzeszeichens  fragt,  wird  wieder  ein  Motiv  voraus- 
genommen, das  A  erst  beim  Teufel  und  auch  da  nur  andeutend 
gab,  dessen  sich  aber,  wie  wir  uns  erinnern,  auch  B  au& 
stärkste  bedient  hatte.  Es  entwickelt  sich  also  aus  den  un- 
scheinbaren und  durch  nichts  Voraufgehendes  vermittelten 
Versen  von  A: 

V.  632  „loh  mag  nicht  lenger  gebeiten^ 

du  ensagcst  mir  die  wsrhait  rechf^ 


136  Ausbildimg  der  Legende.  X36 

in  y  das  Zaudern  des  Königs  imd  des  Teufels  und  jedesmal 
die  gleiche  Drohung  Christophs :  „Nisi  hoc  mihi  dixeris,  tecum 
ulterius  non  manebo^.  Auf  die  Auskunft  folgt  an  beiden 
Stellen  das  ausdrückliche  Resultat :  „Ergo  ille  msgor  et  potentior 
te  est,  frustratus  sum,  in  yacuum  laboravi,  ipsum  dyabolumi 
ipsum  Christum  quaerere  yolo^.  Wir  erkennen:  die  Weise 
des  Volksdichters  war  es^  vieles  erraten  zu  lassen,  das  Bestreben 
Ton  y  ist  es,  die  Logik  der  Thatsachen  prägnant  heraus-* 
zuarbeiten.  Dagegen  für  die  in  A  so  bezeichnende  Frage 
„hast  iendert  vorcht  an  dir  ?^  hat  y  gar  kein  yerständnis. 
Zu  einer  entsprechenden  genauen  Deutlichkeit  wird  auch  das 
reine  Geschehen  gefördert.  Aus  den  yersen  A  670  f.  «also 
wegund  der  tiefel  stieben  vest  her  mit  grozzem  schall»  ent* 
nimmt  y  den  Begriff  einer  «magna  multitudo  militum»,  aus 
welcher  sich  der  Teufel,  «quidam  miles  ferus  et  terribilis»,  ab- 
sondert, um  Christoph  entgegenzureiten.  Der  «versnitene^ 
dessen  Gedächtniskreuz  sie  dann  in  A  begegnen,  ist  un* 
wesentlich  und  fallt  in  y  fort,  das  Kreuz  steht  einfach  «in 
quadam  via  communi».    Während  A  aber  nur  bemerkt  y.  628 

der  tiefel  ward  an  sich  haben 

und  macht  daz  chreuz  nicht  sehen  an 

und  sogleich  Offem  fragen  lässt 

„war  zu  hast  du  daz  getan, 

daz  du  den  weg  nicht  wUt  reiten?^ 

giebt  y  in  aUer  wünschenswerten  Klarheit  die  notwendigen 
yorgänge:  «territus  fiigit  et  viam  deserens  per  asperam  soli* 
tudinem  Christophomm  duxit  et  postmodum  ipsum  ad  viam 
reduxit.  Quod  videns  Christophorus  et  admirans  interrogavit 
illum,  cur  in  tantum  timens  viam  planam  reliquerit  et  tantum 
deyians  per  tam  asperam  soUtudinem  ierit».  Die  Möglichkeit 
zu  solcher  Peinlichkeit,  ohne  die  Erzählung  ins  Weite  auf- 
zuschwellen, erhält  y  eben  durch  seine  absolute  Negatioi) 
dessen,  was  für  den  Fortgang  entbehrlich  ist,  also  all  des 
Idyllischen,  Beizenden,  Heimlichen  in  A;  und  im  Gegensatz 
zu  B  tritt  nur  an  einer  Stelle  eine  Neigung  zum  erklügelnden 
Erweitem  hervor,    yon  dem  Erschrecken  des  Einsiedlers,  dem 


136  K.  Richter.  136 

häuBÜchen  Leben  der  beiden  und  ihrem  gemütlichen  Verkehr 
ist  nichts  bewahrt  worden,  ganz  kalt  wird  referiert:  «ad  quendam 
eremitam  devenit,  qui  sibi  Christom  praedicayit  et  in  ejus  fide 
ipsum  düigenter  instnudt».  Hatte  aber  B  wenigstens  äusserlich 
Einiges  von  dem  riesischen  Charakter  des  Heiligen  gerettet» 
so  hat  der  Italiener  Jacobus  gar  keine  Empfindung  dafür,  ja 
es  wirkte  auf  ihn  gar  im  entgegengesetzten  Sinne,  und  ein 
Ausdruck  des  rohen  und  ungeschlachten  Eindrucks,  den  ihm 
der  Christoph  von  A  machte,  ist  jenes  Motiv,  dass  der  Ein- 
Siedler  dem  Christussuchenden  zwei  rein  geistige  Dienste  Yor- 
schlägt,  in  deren  Ausübung  er  das  Wohlgefallen  des  begehrten 
höchsten  Herrn  erlangen  möge:  „Frequenter  jejuna".  „Aliud  a 
me  requirat  obsequiimi,  quia  istam  rem  nequaquam  agere 
yaleo^.  „Multas  orationes  £eic^.  „Nescio,  quid  sit  hoc,  nee 
hujusmodi  obsequium  perficere  possum".  und  erst  der  dritte 
Dienst,  das  Einsetzen  seiner  rohen  Ejraft  in  dem  Fergenamte 
am  Flusse,  behagt  dem  Grewaltigen.  Damit  ist  berechnete 
Dummheit  und  Kraftsamkeit  an  die  Stelle  des  alten  naiven 
riesischen  Humors  getreten,  nicht  unwirksam,  aber  wenn  man 
in  die  Tiefe  des  Empfindens  hinabdringt:  nicht  deutsch.  Und 
jedenfalls  kann  sich  solch  bewusstes  Kontrastieren  des  Geistigen 
und  Körperlichen  dem  unbefangenen  Blicke  nur  als  ein 
Sekundäres  gegenüber  der  Unmittelbarkeit  und  Frische  der 
deutschen  Version  darstellen.  Darum  dürfen  wir  auch  im 
Weiteren  festhalten  an  der  Überzeugung,  dass  der  Einsiedler 
in  A  eine  ursprüngliche  Stellung  in  den  Flussscenen  einnahm, 
obschon  sie  ihm  Y,  wie  B,  verweigert.  Könnte  man  sich  doch 
wahrUch  schwer  vorsteUen,  wie  Y  in  seiner  kurzextrahierenden 
Art  dieses  Hin  und  Her  der  Erzählung  zwischen  Christoph 
und  Einsiedler  hätte  wiedergeben  sollen,  ohne  eben  in  einen 
ganz  andern  Stil  zu  verfallen,  als  ihm  bisher  eigen  gewesen. 
Nimmt  er  sich  doch  nicht  einmal  die  Zeit,  ausdrücklich  zu 
sagen,  dass  es  Nacht  ist.  Christoph  kommt  an  den  Fluss  und 
trägt  alle  hinüber:  gleich  schliesst  sich  daran  das  Abenteuer 
mit  dem  Kinde,  das  sich  ereignet  «evolutis  multis  diebus». 
Dagegen  wird   wohl  angegeben,   dass   der  Heilige  sich  eine 


137  Ausbildung  der  Legende.  137 

Hütte  am  Ufer  erbaute,  und  da  die  erstmalige  visionäre  Er- 
scheinung des  Eondes  [A  Y.  964]  als  untergeordnet  beiseite 
bleibt  und  es  also  vom  diesseitigen  Ufer  an  das  jenseitige 
getragen  werden  kann,  so  braucht  —  eine  grosse  Vereinfachung 
der  Erzahlungsdata!  —  Christoph  immer  nur  Tergeblich  aus 
dieser  Hütte  zu  treten,  nicht  aber  durch  den  Fluss  zu  waten 
[«foras  cucurrit,  exiit  et  puerum  juzta  ripam  fluminis  invenit, 
„cum  pertransieris^»].  Auch  wird  Wert  darauf  gelegt,  die 
Grefahrlichkeit  der  Situation  im  Flusse,  die  in  A  mehr  aus 
geringen  yerstreuten  Andeutungen  sich  unbemerkt  addierte 
[V.  947.  1030.  1060.  1082.  1104.  1115],  lebendigst  an  der 
richtigen  Stelle  auszusprechen.  «Et  ecce  aqua  flumims  paulatim 
intnmescebat  et  puer  instar  plumbi  gravissime  ponderabat, 
quantoque  magis  procedebat,  tanto  amplius  imda  crescebat  et 
pner  magis  ac  magis  Christophori  humeros  pondere  intolerabili 
deprimebat,  adeo  ut  Christophorus  in  angustia  multa  positus 
esset  et  se  periclitari  formidaret».  Das  bedingt,  dass  Christoph 
erst^  nachdem  er  das  Ufer  mit  letzter  Anstrengung  erreicht 
und  den  Knaben  niedergelassen  hat,  ihm  sagen  kann:  «In 
magno  periculo,  puer,  me  posuisti  et  adeo  ponderasti,  quod, 
ei  totum  mundum  super  me  habuissem,  vix  majora  pondera 
praesensissem'*.  Ad  quem  puer  respondit:  „Ne  mireris,  Christo- 
phore,  quia  non  solum  super  te  totum  mundum  habuisti,  sed 
etiam  illum,  qui  creavit  mundum,  tuis  humeris  bajulasti^.  Wir 
sahen,  auch  B  setzte  dem  „du  treist  himel  nü  und  erde'* 
hinzu  „und  Jesum,  nach  dem  stuont  din  gerde"  [Y.  916]. 
Und  dennoch  wird  durch  die  ünahnlichkeit  des  Ausdrucks 
sowohl  als  durch  die  A  entsprechende  Situation  in  B,  in  welchem 
dieser  Dialog  im  Wasser  statt  hat,  die  ürsprünglichkeit  des 
einfachen  Gedankens  von  A  und  ein  Auswachsen  in  derselben 
Sichtung  in  B  und  Y  bewiesen.  Ein  weiteres  höchst  wichtiges 
Zeugnis  f&r  die  Bichtigkeit  unserer  Kritik  ist  die  «pertica»  in  V . 
B  unterschlug  sie  aus  Rücksicht  auf  das  in  der  Passio  Tor- 
kommende  Stabwunder,  Y  bequemt  sie  diesem  an.  In  A  er- 
grnnte  sie  unmittelbar  nach  den  Taufw^orten  Jesu,  «da  tet  im 
got  mit  bechant»,  heisst  es  Y.  1120,  «daz  er  gelauben  solt  daz, 


138  K.  Richter.  138 

daz  er  der  wäre  got  was,  und  tun  macht  waz  er  wolt» ;  Y  legt 
diese  Worte  dem  Christkind  selbst  in  den  Mund:  er  möge 
seinen  Stab  neben  die  Hütte  pflanzen,  wenn  er  hinübergekommen 
sei,  zum  Zeugnis  der  Wahrheit  werde  der  am  andern  Morgen 
blühen  und  Erucht  tragen.  Das  geschieht  Und  dann,  mit 
einem  klassischen  «post  hoc  autem»^  wird  Christoph  nach  Samos 
geschickt,  keines  Einsiedeis,  keines  Befehles  Christi  braucht 
es  dazu,  und  es  ist  gut  so.  Stellte  B  die  Verbindung  zwischen 
den  beiden  Teilen  durch  jene  Bede  des  Heilands  im  Wasser 
her,  so  hat  Y  von  vornherein  das  Seinige  gethan  durch  die 
Übernahme  des  Nationales  der  Passio,  und  im  übrigen  besitzt 
Jacobus  a  Yoragine  stets  die  grösste  Unbefangenheit,  von 
einem  Gegenstande,  von  einem  Momente  der  Erzählung  mit 
der  Tollendetsten  Leichtigkeit  zu  einem  neuen  überzugehen. 
Stellen  wir  uns  aber  umgekehrt  vor:  A  hätte  eine  etwan  Y- 
ähnliche  Yorlage  benutzt  und  ursprünglich  auch  so  unmittelbar 
den  Ubersprung  von  der  „Yorgeschichte^  zum  Martyrium  er- 
folgen lassen :  wie  közmten  wir  wohl  dem  späteren  an  poetischem 
Grenie  so  inferioren  Uberarbeiter  diese  höchst  künstlerische 
Wiederaufiiahme  einer  im  vorhergehenden  schon  abgethanen 
Figur,  des  Einsiedlers,  zur  feinsten  YermitÜung  mit  der  folgenden 
Handlung  zutrauen,  während  die  Annahme,  dass  der  ursprüng- 
liche Dichter,  Erdichter  der  ganzen  Christusträgerlegende  die 
bei  ihm  von  Anfang  an  bedeutsam  angelegte  Bolle  des  Alten 
zu  diesem  Ende  fortspielen  Hess,  gar  nichts  Gewagtes  hat, 
sobald  der  Fortfall  derselben  in  den  abgeleiteten  Yersionen  B  und 
Y  aus  deren  specifischem  Charakter  verstanden  werden  kann. 
«Post  hoc  autem»  kommt  Christoph  nach  Samos,  und 
kommen  wir  zu  der  „dürftigen  Fassung^  des  Martyriums. 
Freilich,  was  Schönbach  dürftig  nennt,  könnte  man  in  gewissem 
Sinne  reich  nennen.  Denn  so  viel  Texte  der  Christophorus- 
passion  wir  auch  schon  kennen  gelernt  haben,  so  mannigfeu^h 
die  Fäden  und  Beziehungen  unter  ihnen  hin  und  hergingen: 
Jacobus  a  Yoragine  übertrifft,  man  könnte  sagen  an  Univer- 
salität der  Anklänge,  sie  alle,  auf  Lc  und  Lb,  auf  P  und  M 
muss  man  zurückgreifen,  um  seine  Motive  und  die  Ausdrücke, 


139  Ansbildmig  der  Legende.  139 

in  welche  er  sie  kleidet^  belegen  zu  können.  Und  es  ist  eine 
Frage,  die  ich  nicht  mit  Sicherheit  zu  entscheiden  mich  ge- 
traue: ob  er  verschiedene  Vorlagen  mit  einander  verarbeitet 
hat  oder  etwa  einen  bisher  nicht  bekanntgewordenen  Zwischen- 
text  benutzte.  Auch  könnte  sich  beides  vereinigen,  indem  Lc 
und  M  zu  selten  anklingen,  um  direkt  notwendig  zu  sein,  Lb 
und  P  aber  in  Versionen,  die  eben  einige  Binneigung  zu  Lc 
und  M  hatten,  mit  einander  verschmolzen  sein  mögen.  Es 
würde  darauf  schliessen  lassen,  dass  die  Annäherungen  an  den 
einen  oder  den  andern  Text  in  grösseren  Komplexen  sich  dar- 
stellen, die  allerdings  hier  und  da  durch  Einzelbeziehungen 
unterbrochen  werden.  So  setzt  V  durchaus  mit  Lb  ein: 
Christoph  kommt  nach  Samos  in  Lycien  und  erlangt  auf  sein 
Gebet  die  Kenntnis  der  Landessprache.  Die  «judices»,  die 
in  V  ganz  unvermittelt  und  unverständlich  erscheinen,  «insanum 
enm  putante8>  [Lb  «iudices  nequissimi  insanire  iQum  existi- 
mantes»]  lassen  ihn  liegen.  Er  folgt  ihnen  nach  zum  Bicht- 
platz  —  alles  in  V  höchst  erstaunlich!  —  und  ermutigt  die 
gemarterten  Christen.  Einer  der  Bichter  schlägt  ihn.  Während 
derselbe  aber  in  Lb  nach  der  selbstbewusst  demutsvollen  Ant- 
wort des  Heiligen  zum  König  läuft  und  von  dem  Vorgefallenen 
berichtet,  setzt  M  in  V  ein:  Christoph  steckt  «virgam  suam» 
in  die  Erde,  und  auf  ihr  wunderbares  Erblühen  werden  8000 
Menschen  [nach  P  wären  es  18000]  gläubig.  An  der  Wieder- 
holung des  schon  dem  deutschen  Gredichte  A  an  kurz  voran- 
gegangener Stelle  nacherzählten  Motives  nahm  V  also  keinen 
Anstand.  Dann  lässt  er  wie  P  den  König  zweimal  je  200 
«milites»  nach  dem  HeiUgen  senden,  M  und  Lb  begnügten 
sich  mit  einem  solchen  Trupp.  Ihr  Gespräch  mit  ihm,  ihre 
Bekehrung  wieder  nach  Lb,  er  lässt  sich  gebunden  von  ihnen 
vor  den  König  filhren.  Von  da  an  herrscht  P,  was  ich  nicht 
im  Einzelnen  verfolgen  will,  nur  die  seinen  Weg  durchkreuzenden 
Zwischenschritte  der  anderen  seien  der  Beihe  nach  bemerkt. 
Der  König  sagt,  als  Christoph  seinen  Namen  nennt  „Stultum 
tibi  nomen  imposuisti,  scilicet  Christi  crucifixi,  qui  nee  sibi 
profiiit  nee  tibi   prodesse    potent".    Lb  „quam  vanum  cog- 


140  K.  Richter.  140 

nomen  tibi  imposuisti,  Christi  scilicet  crucifixi!  non  enim, 
sicnt  nee  sibi,  tibi  prodesse  potent".  Er  fragt  ;,Caiiaxiaee 
malefice,  quare  non  aacrificas  diis  nostris?"  M  „Caput  cana- 
naemn,  sacrifica  diis  meis".  P  „Canine  et  fax  mala".  Der 
Name  des  Königs,  weiterer  Dialog  nach  P.  «Nicaea»  und 
«Aquilina»  heissen  die  beiden  «puellae  formosae»  [Lb  «Niceta»], 
aber  die  «plausus  manuum  et  amplexus»,  mit  denen  sie  des 
Heiligen  Tugend  kampflich  angehen,  liefert  Lb.  t^Quid 
quaeritis?"  fragt  der  Bedrängte  wie  in  Lc,  in  Lb  ruft  er 
„Quid  Yultis?"  Bekehrt  werden  sie  vor  den  König  geführt 
und  bekennen.  „Ergo  et  vos  seductae  estis?"  zürnt  er 
[P  M  «maleficatae»,  Lb  «recessistis»],  Lc  „Et  yos  seductae 
estis  per  illius  magicis  artibus?"  List^  Tempelscene.  Der  Hohn 
„Yocate  medicos"  aus  Lc  oder  Lb,  wie  denn  manches  hier 
oder  daher  sein  könnte.  Im  Ganzen  aber  der  Ausgang  nach 
P,  wie  schon  die  ausdrückliche  Zahlangabe  der  «CCCC  milites» 
beweist.  Auch  schliesslich  das  Pfeilwunder,  die  Heilung  des 
Königs  und  sein  Befehl  gegen  die  Gottesverächter. 

Des  Jacobus  a  Yoragine  Erzählung  stellt  sich  also  dar 
als  eine  Verarbeitung  mehrerer  Berichte,  die  vielfach  von 
einander  abwichen,  aber  zu  einer  äusserlichen  Einheit  des 
G-eschehens  zusammengeschweisst  wurden.  Wie  er  aus  dem 
deutschen  G-edichte  nahm,  was  ihm  zusagte,  forüiess,  was  ihm 
nicht  zusagte,  so  ist  seine  Auswahl  aus  den  lateinischen 
Passionen,  besonders  was  die  die  Thatsachen  umrankenden 
Reden  betrifft,  man  kann  nicht  recht  sagen:  rein  zufallig, 
denn  ein  zusammenhängender  Fortschritt  resultiert  schliess- 
lich, aber  rücksichtslos.  Auch  er  schenkte,  wie  B,  den  autori- 
tativen lateinischen  Darstellungen  mehr  Glauben  als  dem 
deutschen  Gedicht,  das  er  ja  schon  für  den  ersten  TeU  nicht 
ganz  unverändert  anerkannte,  aber,  vielleicht  eben,  weil  er 
zwei  von  einander  abweichende  Passioversionen  vor  sich  hatte, 
stellte  er  sich  auch  diesen  freier  gegenüber,  im  Gttnzen  ge- 
nommen, als  B  that. 

Was  er  selbst  hinzugethan,  ist,  abgesehen  von  den  ge- 
ringen  Änderungen   der    deutschen   Überlief erimg,   nur   die 


141  Aasbildang  der  Legende.  141 

etymologische  Spielerei  mit  dem  Namen,  me  er  sie  liebt  und 
auch  seiner  Erzählung  vom  Christophorus  Toransetzt.  Darum 
erhielt  der  Heilige  diesen  Namen,  meint  er,  weil  er  den  Herrn 
auf  viererlei  Art  trug:  auf  den  Schultern,  als  er  ihn  über- 
setzte, im  Leibe,  den  er  fär  ihn  hingab  [«in  corpore  per 
macerationem»  oder«mortificationem»],imHerzen,  denn  er  glaubte 
an  ihn,  im  Munde,  da  er  ihn  bekannte  und  seine  Herrlichkeit 
verbreitete.  Manche  streiten  dem  Jacobus  auch  diese  Namens- 
einleitungen ab.  —  Zum  Schlüsse  giebt  er  angebliche  Worte 
des  hL  Ambrosius,  die,  da  sie  einen  Auszug  aus  der  alten 
Passio  darstellen,  die  Kenntnis  der  Legende,  wie  sie  in  dieser 
vorliegt,  für  das  4.  Jh.  bereits  unleugbar  beweisen  würden, 
falls  sie  wirklich  von  dem  grossen  Mailänder  Erzbischof  her- 
rührten.  Übrigens  finden  sie  sich  gleicherweise  in  den  oben 
einmal  erwähnten  Sammelwerken  des  Surius,  Thoma  de 
Trugillo,  Bibadeneyra,  und  so  mag  eine  Version  der  Passio 
ursprüngliche  Quelle  sein,  obwohl  es  auch  nicht  ausgeschlossen 
ist,  dass  jene,  bei  grundsätzlicher  Verwerfung  der  fabelhaften 
Erzählung  der  Legenda  aurea,  doch  den  Zusatz  aus  ihr  ent- 
nahmen. Jedenfalls  ist  die  betreffende  Stelle  in  den  Werken 
des  hl.  Ambrosius  nicht  zu  finden,  und  der  Gang  unserer 
Darstellung  schliesst  die  Möglichkeit  seiner  Verfasserschaft 
von  vornherein  aus.  Nach  den  Worten  des  Bibadeneyra 
«San  Ambrosio  haze  mencion  de  san  Christoval  en  la  prefacion 
de  la  Missa,  que  pone  para  la  fiesta  deste  glorioso  Martir» 
ist  anzunehmen,  dass  es  sich  um  einen  ziemlich  späten  Zusatz 
zur  sogenannten  Ambrosianischen  Messe  handelt,  doch  enthält 
ihn  das  Missale  S.  Patrum  Latinorum,  Cöln  1610,  tom.  I 
p.  461,  das  den  Anspruch  erhebt,  die  möglicherweise  echten 
Worte  des  Ambrosius  aus  jener  Liturgie  zu  geben,  sicherlich 
nicht,  ebensowenig  der  Libro  delle  littanie  secondo  l'ordine 
di  Santo  Ambrosio,  Mailand  1646.  Einem  Theologen  gelänge 
es  wohl  leichter,  die  Spur  zu  verfolgen,  als  mir  bei  leidlicher 
Bemühung. 

So  wie  ihn  Jacobus  a  Voragine  zusammensetzte,   kam 
der  Christoph  zu  den  einzelnen  Völkern.    In  alle  europäischen 


142  K-  Richter.  14S 

Sprachen,  könnte  man  mit  einiger  üngenauigkeit  sagen,  wurde 
die  Legenda  aurea  übersetzt  und  trug  den  Christusträger  über 
Ströme  und  Gebirge  in  die  Weite.  Es  wäre  möglich,  dass 
sich  aus  einer  Spezialuntersuchung  und  Yergleichung  der 
verschiedenen  Texte  der  Legenda  aurea  und  ihrer  Über- 
Setzungen  noch  Einiges  für  die  Überlieferung  gewinnen  liesse, 
einiges  Wenige.  So  giebt  z.  B.  Petrus  de  Natalibus/)  der 
inhaltlich  und  vielfach  wörtlich  die  Erzählung  der  Leg.  aur. 
aushebt,  nur  dass  einzelne  direkte  Keden  fortgefallen,  andere 
indirekt  gemacht  sind,  und  dass  rein  äusserlich  die  Passion 
der  beiden  Mädchen  von  der  des  Heiligen  unter  gegenseitigem 
Hinweis  getrennt  ist,  die  Namen  Niceta  und  AquiUna  wie  Lb, 
was  um  so  auffälliger  erscheint  als  jene  in  Y  aus  Lb  zum 
Unverständnis  übernommenen  «judices»  sich  hier  nicht  finden. 
Die  Zahl  der  Bekehrten  ist  in  Übereinstimmung  mit  P  18000, 
der  Ort  heisst  Amos.  Völlig  fehlt  die  etymologische  Nameos- 
deutimg  zu  Anfang,  was  die  oben  angeführte  Meinung  viel- 
leicht bekräftigen  könnte.  Wie  sie  denn  auch  in  der  italienischen 
Übersetzung,  die  Luigi  Maini^)  herausgegeben,  ferner  in  der 
altschwedischen  des  Fom-svenskt  legendarium, ')  bei  ver- 
schiedenem Verhalten  zu  den  pseudo- Ambrosianischen  Worten, 
sich  nicht  findet.  In  der  Viola  sanctorum^)  heissen  der  König 
Dagon,  die  Mädchen  Nicra  imd  Aquila.  In  der  im  Jahre  1610 
in  Leipzig  erschienenen  „G-loriosissimi  martyris  Christophori 
cananaei  vita  ab  Joanne  Garzone  elegantissime  conscripta^, 
deren  pomphafte  Vorreden  etwas  anderes  vermuten  liessen 
als  eine  dürftige  Überarbeitung  von  V^  werden  nur  ein- 
mal zweihundert  Soldaten  nach  dem  Heiligen  ausgesandt; 
und  so  könnte  man  aus  den  vielen  Sammlungen  von 
Heiligenleben,  die  die  Legende  genau  nach  Jacobus  geben, 

^)  Gatalogiu  sanct.  et  gest.  eorum,  Vicensa  1498,  üb.  vi  cap.  Oxxxi 
und  Gxxxv. 

')  Leggenda  di  san  Cristoforo,  Modena  1854. 

')  ed.  George  Stephens  in  den  Samlingar  utgifna  af  svenska  forn- 
skriftsällskapet,  Stockholm  1847,  I,  497—502. 

«)  Nürnberg  1486. 


143  Ausbildung  der  Legende.  143 

eine  Unzahl  kleiner  Abweichungen  gewinnen,    ich  verzichte 
darauf. 

Das  Fom-svenskt  legendarium  ist  vielleicht  noch  im 
13.  Jh.  entstanden.  ^)  Es  übersetzt  unsere  Legende  im  Granzen 
treu,  einiges  kürzend.  In  den  Niederlanden  scheint  die  Leg. 
aur.  zuerst  im  Anfang  des  15.  Jhs.  übersetzt  worden  zu  sein, 
und  diese  Übersetzung,  Passionaelof  gülden  legende,  wurde  1478 
gedruckt.  ^  Aus  einer  Ausgabe  von  1499,  ebenfalls  zu  Delft 
erschienen,  teilte  Henkelum^  das  Christophkapitel  mit,  die 
Stadt  heisst  darin  Saloen,  der  König  Dagarijs,  die  Buhlerinnen 
Nicena  und  Aquila,  und  Beprobus,  das  im  nordischen  un- 
übersetzt  blieb,  wird  durch  «verstoten»  wiedergegeben. 

Auch  in  den  ältesten  englischen  Kaiendarien  findet  sich 
regelmässig  ein  Christoph,  wie  aus  den  Verzeichnissen  Horst- 
manns^)  erhellt.  Übersetzungen  der  alten  Passio  sind  es 
vermutlich,  die  Hickes  ^)  erwähnt  als  Mss.  der  Cottonianischen 
Bibliothek ;  ich  bin  dem  nicht  weiter  nachgegangen.  Aus  dem 
Ms.  Laud  108,  erste  Hälfte  des  14.  Jhs.,  hat  Horstmann*) 
eine  poetische  XJbersetzung  der  Vita  des  Heiligen  in  der  Leg. 
aur.  bekannt  gegeben,  die  den  schnellen  epischen  G-ang  zwar 
bewahrt  hat,  aber  im  Einzelnen  nicht  sklavisch  abhängig  von 
der  Vorlage  ist.  Z.  B.  ist  Christoph  24  Fuss  gross  und 
bekehrt  7000  Menschen,  er  gilt  als  Saracen,  der  Teufel  nennt 
Christus  nicht,  sodass  er  im  Folgenden  nicht  sowohl  diesen 
als  noch  immer  den  höchsten  Herrn  sucht,  und  er  muss  auf 
jeden  Ruf  des  Eandes  durch  den  Fluss  hindurchwaten:  Bück- 
falle in  den  älteren  Zustand  von  A.    Humoristische  Lichtchen : 


*)  Paul,  Grundriss  der  germ.  Phil.  II,  1,  147. 

•)  Jonckbloet  Geschiedenis,  Middeleeuwen  'II,  387. 

•)  Van  sunte  Cristoffela  beeiden,  Utrecht  1865. 

*)  Altengl.  Legenden,  Paderborn  1875. 

»)  Thesaurus  11,  191a,  218  b. 

^  Jahrb,  f.  rom.  u.  engl.  Spr.  u.  Litt,  xiv,  35 ff.;  auch  in  dem 
Early  South-Englith  legendary,  Early  English  text  soc.,  London  1887, 
p.  271 — 78;  andere  Fassung  aus  Harl.  Ms.  2277  in  Fumivalls  Early  engl, 
poems  and  lires  of  saints,  Berlin  1862,  p.  59 — 65., 


144  K.  Richter.  144 

der  Einsiedler  schlägt  ihm  Tor,  des  Freitags  zu  fasten  und 
in  die  Kirche  zu  gehen  etc.,  werden  lebhafter  angeblasen. 

Gaston  Paris  ^)  schliesst  aus  einem  Prosaleben  des  Heiligen 
im  Patois  der  Haute-Bourgogne  auf  ein  früher  vorhandenes 
Reimgedicht.    Es  sei  erlaubt,  das  hier  zu  erwähnen. 

Dem  englischen  Qedicht  dürfen  wir  die  Fassung  des 
deutschen  Passionais  als  eine  in  poetischer  Hinsicht  doch 
wohl  überlegene  gegenüberstellen,  auf  deren  Verhältnis  zum 
lateinischen  Texte  des  Jacobus  wir  abschliessend  noch  einen 
kurzen  Blick. werfen.  Hatten  wir  an  jenem  die  Bewahrung 
des  epischen  Charakters  bemerken  können,  so  ist  das  für  den 
deutschen  Eindichter  zum  mindesten  zu  modifizieren.  Zwar 
war  natürlich,  dass  er  bei  dem  ungeheuren  Umfang  seiner 
Aufgabe  grundsätzliche  Erweiterungen  wie  in  allen  andern 
Legenden  so  auch  in  der  des  hl.  Christoph  meiden  musste, 
und  da  er  doch  alles  Thatsächliche  zu  geben  pflegt,  so  liesse 
sich  ein  prägnanter  Stil  der  Darstellung  am  ehesten  erwarten. 
per  aber  lag  nicht  im  Wesen  der  deutschen  Sprache  zur  Zeit 
der  Entstehung  des  Passionais.  Vielmehr:  eine  etwas  haus- 
backene Behaglichkeit  ruht  über  diesem  bequemen  Vortrag, 
der  sich  aus  einem  nicht  sehr  tiefen  Gedanken  in  den  andern 
hinüberhebt,  von  einem  Gewohnheitsreime  zum  andern  gleitet 
—  man  hat  den  Eindruck,  als  sei  der  Christoph  jetzt  wieder 
nach  Hause  gekommen  und  hätte  sich  den  Schlafrock  an- 
gezogen und  schlurfte  nun  einher,  ganz  achtbar,  ganz  gravi- 
tätisch, ein  zünftiger  heiliger  Herr.  Es  war  im  Grunde  ein 
deutscher  Stoff,  und  wie  tief  dieses  deutsche  Wesen  im 
Christoph  steckte,  kann  man  ermessen,  wenn  man  es  hier 
sich  regen  fühlt.  Das  war  wieder  der  dumme  liebe  Kerl: 
«sin  houbt  wegete  er  und  sprach»  349,  76: 

^eya,  kint,  eya,  kint, 

wie  swere  dine  gelit  sint!" 

Und  ist  die  Komik  auch  ein  wenig  plumper  geworden,  sie  ist 
es  doch,  die  dem  Christoph  seinen  Beiz  giebt.  Da  fragt  der 
Grosse  etwa  den  sich  bekreuzenden  König  346,  36: 

^)  La  litt.  firanQ.  au  moyen  age,  Paris  1890|  p.  213. 


145  Aasbildimg  der  Legende.  146 

^herre  min,  wu  meinet  daz, 
daz  do  die  hant  hebest  enpor 
nnd  dir  damite  machest  vor 
zwene  striche,  als  ich  han  gesen?** 

[-hüjusmodi  signiiiii«  V],  oder  antwortet  auf  seines  Einsiedeis 
dritten  YorseUag  fibeneagt  348,  88: 

„die  Sterke  han  ich  wol  an  mir", 

oder  mit  dem  Heiden,  der  ihn  schl&gti  zu  860,  72: 

„BQ  sehowe,  ob  ich  han 
solche  kraft,  das  ich  dich 
mnge  treten  nnder  mich**, 

davon  im  lateinischen  Texte  nichts  steht.  Solche  bezeichnenden 
Zusätze  oder  Färbungen  des  Ausdrucks  stellten  sich  un- 
Tennerkt  ein,  denn  im  Allgemeinen  ist  Geschehen  und  Beden 
in  Folge  und  Absicht  ziemlich  genau  wiedei^egeben,  und  wo 
eine  Stelle  breiter  gerät,  ist  es  mehr  die  stille  Wii^ng  des 
bemerkten  Stiles  als  ein  Wille,  Bedeutenderscheinendes  aus- 
führlicher und  eindringlicher  auszunutzen.  Binmal  resultiert 
aus  dem  Umstand,  dass  ein  Reim,  der  seine  Ergänzung  forderte, 
irgend  ein  Weiteres  nötig  machte,  sogar  ein  Anklang  an 
einige  Verse  des  alten  deutschen  Gedichtes  A  [«omnes  sine 
cessatione  transferebat»,  «do  quamen  vil  lute  zu,  die  er  durch 
got  über  truc»]  349,  S: 

die  Inte  wanderte  gennc, 

waz  in  da  wolde  beschem 

den  gi'oauu  md  den  guten  vem^ 

doch  lobeten  si  wol  den  gewin.    [cf.  A  918  ff.] 

Bemerkenswert  ist  die  ausdrftckliche  Betonung  849,  20  «diz 
was  in  einer  traben  nacht,  do  er  gewonlichen  slie£»,  Yor  der 
Scene  im  Flusse,  woraus  wir,  da  unser  Übersetzer  sicher  keine 
andere  Vorlage  b^tzt  hat,  entnehmen  müssen,  dass  man 
sich  ans  den  lateinischen  Worten  «cum  in  domuncula  sua 
quiesceret»  und  dem  späteren  Vorkommen  von  «mane»  diese 
ThatBacfae  leichtlich  abstrahieren  konnte«  Die  Namen  des 
Königs,  der  Stadt  und  der  Buhlerinnen  werden  nicht  genannt 
—  eine  Namenscheu  wie  in  A!  —  Beprobus  wird  Übersetzt 
«daz  sprichet  ungeneme»  345,7  und  ist  «von  Kananeenlande» 
345,9,  die  etymologische  Tüftelei  zum  An&ng  und  der  Am- 

10 


146  K-  Bichter.  146 

brosianiscbe  Schluss  bleiben  anübersetzt  oder  fehlten  in  der 
Vorlage.  Derartiges  Einzelne  liesse  sich  noch  Hehreres  bei- 
bringen. 

So  war  non  der  grosse  Christoph  da,  jeder  hörte  Ton 
ihm  und  kannte  ihn,  jedem  war  er  lieb  und  vertraut.  Wir 
vermeinten,  einigen  Gmnd  zu  der  Annahme  zu  haben,  dass 
der  Christusträger  eine  Ausgeburt  deutscher  Phantasie  und 
deutschen  Greistes  war.  Man  kann  vielleicht  von  allgemeinerem 
Standpunkte  sagen,  dass  nur  deutsches  religiöses  Empfinden 
den  Christoph  erfinden  konnte.  Man  fühle  das  einmal  dem 
alten  deutschen  G-edichte  nach:  da  ist  recht  eigentlich  aus 
dem  alten  Hundskopf,  aus  dem  kaltbltltigen  Heiligen  der  Idee 
ein  Heiliger  für  Herz  und  Gemüt  geworden,  ein  Riese,  und 
der  Riese,  selbst  ein  Kind,  trägt  den  Herrn  der  Welt  in 
Kindsgestalt  durch  das  Wasser.  Auch  dieser  Christusknabe 
ist  nicht  der  bambino  der  Italiener,  nein,  das  deutsche 
Weihnachtskindlein,  das  Christkindlein  der  Kinder,  und  das 
Kindlich-Grosse,  Gross-Eandliche  der  Legende  ist  ihr  höchstes, 
innerstes  Wesen,  ihre  glücklichste  Schönheit.  Hätten  wir  die 
ursprünglichste  Fassung,  vielleicht,  ich  glaube  es,  läge  das 
noch  mehr  zu  Tage.  In  den  Ausläufern  ist  viel  davon  ver- 
loren gegangen  oder  verhüllt  worden,  dennoch  waren  sie  im 
Stande,  die  Geschichte  vom  grossen  Christoph  den  letzten 
Jahrhunderten  des  Mittelalters,  und  der  Neuzeit  als  ein  Ver- 
trautes und  Liebes  zu  vermitteln  und  zu  erhalten. 

Ich  gebe  zum  Schlüsse  noch  einiges  Material,  das,  zu- 
fällig zusammengelesen,  keinerlei  Anspruch  auf  Vollständigkeit 
erheben,  sondern  nur  andeuten  soll,  woher  etwa  die  späteren 
Zeiten  ihre  Kenntnis  vom  hl.  Christoph  nahmen.  Ich  ver- 
zeichne also  die  prosaischen  Erzählungen,  die  sich  in  Der 
heyligen  leben,  Augsburg  1472,  Ci/n,  Nürnberg  1476,  84/5, 
dann  1488,  Lxxx/i,^)  im  Passional  van  allen  hilligen  1487, 
Cxn  [xCn],  im  Lübecker  von  1493,  Lxxxi— m,  und  von  1507, 

')  Wieder  gedruckt  von  Ferd.  Hauthal  Der  grosse  Christoph, 
Berlin  1843,  p.  35-^8. 


147  Ausbildung  der  Legende.  147 

lizzxvin/ix,  im  Baseler  von  1517  Ci — m  und  im  Strassburger 
Ton  1617^)  finden  mid  sich  genau   an  die  Leg.  aurea    an- 
scUiessen.    Doch  geben  die  ersteren  den  Namen  Offerus  und 
die  Taufe  im  Fluss  mehr  wie  A,  die  späteren  fieprobus,  die 
Namensspielerei  und  ein  Schlussgebet,  und  alle  bildliche  Dar« 
Stellungen  meist  der  Flussscene,  das  Ganze  ist  httbsch  lesbar. 
Andere  wie  die  Strassburger   von  1610  habe  ich  nicht  ein- 
gesehen,   unzugänglich  war  mir  auch  ein  Druck  der  Legende 
aus  Landshut  von   16S0  mit  31  Holzschnitten^  sowie  der 
^S.  Christophorus  Johannis  Mathesij,  verdeutscht  Nürnberg 
d.  Job.  Y.  Berg  vnd  ülr.  Neuber"  1561,4®;  wie  Graesse  an- 
giebt:  die  Übersetzung  eines  lateinischen  Gedichts  des  Mathesius; 
die  Bibliothek  der  Batshefren  in  Zwickau  soll  zeitweilig  ein 
Exemplar  davon  besitzen.     Der  Chorus   sanctorum   omnium 
des  G^orgius  Wicelius,   Oöln  1663,  bietet  p.  4S3  cap.  Lzn 
nur  den  Bericht  der  alten  Passio,   dadurch  aber  interessant, 
dass  er  den  «Lisulaner  aus  Kananea»  zuerst  «Adocimus  das 
ist  Terworffen»  heissen  lässt  und  Schönbachs  oben  angeführte 
Vermutung  über  den  Namen  Dagnus  anspruchsloser  vorweg- 
nimmt «Christophorus  liess  Dagon  den  meerdrachen  so  sehr 
zürnen   als   er  wolt».     „Hülff  in   der  Noth,  Dass   ist  Leben 
Jesu,  Mariae,  Joseph  Sambt  Marter,  Todt  vnd  Wunderthaten 
Der  HH:  14  Noth-Helffer"«,  Glatz  1693,  p.  265—286:  „Das 
Grosse  Welt-Wunder,  Oder  der  wunderseltzame  Grosse  Mann, 
Hertzhaffte  Kämpfer,    Heldenmüthige  Obsieger,  und  Buhm- 
weithe  Martyr  Christophorus^  etc.   giebt  die  sehr  ergötzlich 
moralisch  aufgeputzte  Legende,  ein  nichtssagendes  Gebet  und 
eine  scheussliche  Beimerei  in  24  sechszeiligen  Strophen  mit 
einer  nicht  besseren  Melodie.    Die  „Verbesserte  Legend  der 
Heiligen^  durch  Dionysius   von  Lützenburg  und  Martin  von 
Cochem,  OoLi  und  Frankfurt  1726  p.  690—92  beruft  sich  auf 
Petrus  de  Natalibus  und  Surius,  nennt  den  Heiligen  gleichfalls 
«Adocimus,   das  ist  gottloss»  und  beginnt  mit  dem  Einsiedler 

^)  Wiederholt  in  F.  Xorks  Festkalender,  Stuttg.  1847,  p.  314  ff.  und 
in  Siobers  Alsatia  1851,  p.  5ff. 

*)  Otte,  Hdb.  d.  kirchl.  Kunst-Arch.  <^I,  565. 

10* 


I 

i 


III. 

Die  Darstellung  der  Legende. 

Wenn  wir  einen  Beleg  suchten  für  die  Meinung,  dass  zu 
anderen  Zeiten  auch  andere  Künste  Ausdrucksmittel  der  Volks- 
seele sein  können  und  waren,  dürften  wir  ihn  aus  der  Ge- 
schichte des  hl.  Christoph  entnehmen.  Denn  das  Wort  allein 
wäre  nicht  im  stände  gewesen,  S.  Christoph  zu  einer  derartigen 
Volkstümlichkeit  zu  verhelfen,  wie  er  sich  ihrer  besonders  im 
15./16.  Jh.  in  Deutschland  zu  erfreuen  hatte,  das  vermochte 
einzig  die  bildende  Kunst.  Erst  aus  einer  Betrachtung  des 
von  ihr  Geleisteten  kann  verstanden  werden,  welche  Rolle  er 
im  geistigen  Leben  unseres  Volkes  gespielt  hat,  wie  sie 
werdend  ihm  zuwuchs,  wie  sie  ausgespielt  ihn  in  den  Schatten 
gotischer  Dome  zurücktreten  liess,  wo  er  von  da  an  stand 
als  ein  spinnumwobenes  Stück  verblassten  Volksglaubens. 

Bis  die  neugierige  Hand  unserer  Zeit  die  grauen  Fäden 
wieder  zu  entfernen  begann.  Mancher  hat  dabei  geholfen 
und  auch  sein  Stäubchen  fortgeputzt.  Was  viele  dazu  ver- 
anlasste, war  ein  vorwiegend  frommes,  weniger  ein  kunst- 
historisches Interesse.  So  darf  ein  zusammenfassendes  und 
ergänzendes  Bemühen  das  Gewonnene  noch  einmal  objektiv 
zu  betrachten  und  Neues  hinzuzufügen  suchen.  Was  dabei 
vor  allem  wichtig  erscheinen  muss,  ist  die  Stellung  des  Heiligen 
im  Denken  und  Empfinden  unserer  Vorfahren,  eine  eigentlich 
kunstgeschichtliche  Betrachtung  will  und  kann  auch  ich  nicht 
unternehmen.  Was  ich  gebe,  bitte  ich  nur  im  Vergleich  mit 
dem  vor  mir  Geleisteten  zu  beurteilen,  welches  wesentlich 
in  wohlgemeinten,  aber  wenig  fordernden  Verherrlichungen 
und  Schilderungen  einzelner  Bilder,  Stiche  etc.  besteht^). 

^)  Ferd.  Haathal  Der  grosse  Christoph,  Berlin  1843.  G.  W.  van 
Henkelam  Van  sunte  Cristoffela  beeiden,   Utrecht  1665.    Sinemns  Die 

11 


152  K.  Richter.  152 

Wir  werden  gut  thun,  eine  Vorfrage  zu  entscheiden.  Wir 
haben  gesehen:  die  Christophlegende  ist  im  Lauf  der  Zeiten 
allmählich  herangereift,  aber  es  kommt  vor  allem  an  auf  das 
eine  grosse  Hauptmoment  in  ihrer  Entwicklung,  dass  der  ab- 
strakte Name  des  Heiligen  sich  umsetzt  in  eine  konkrete 
Anschauung.  Wäre  es  denkbar,  dass  eines  bildenden  Künstlers 
Werk  den  Anstoss  dazu  gegeben  hätte?  dass  der  Dichter  erst 
der  Nachschaffende  gewesen  wäre,  der  in  Worte  gefasst,  durch 
Worte  gedeutet  hätte,  was  eines  andern  Phantasie  erträumte? 
Man  hat  so  gemeint^). 

Zunächst,  was  wir  an  chronologischen  Nachrichten  haben, 
scheint  nicht  zu  Gunsten  der  Priorität  der  bildenden  Kunst 
zu  sprechen.  Die  zweite  Hälfte  oder  den  Ausgang  des  12.  Jhs. 
durften  wir  mit  einigem  Grunde  als  Geburtszeit  des  eigent- 
lichen Christophgedankens  ansetzen.  Aus  dem  13.  Jh.  sind 
uns  die  ersten  sicher  datierbaren  Darstellungen  erhalten. 
Wenigstens  sind  mir  keine  fiiiheren  zu  Gesicht  noch  Nach- 
richten von  ihnen  unter  die  Hände  gekommen.  —  Denn  auch 
das  sei  entschuldigend  sogleich  hervorgehoben  und  wird  ge- 
rechtem Erwägen  verständlich  erscheinen:  wer  auf  die  Suche 
auszieht  auf  solchem  Gebiet,  muss  mehr  oder  minder  dem 
Spiele  des  Zufalls  ausgesetzt  sein^).  So  könnte  es  ja  wohl 
sein,  dass  noch  irgendwo,  etwa  in  Miniaturen,  ältere  Christoph- 


Legeude  vom  hl.  Christoph  in  der  Plastik  und  Malerei,  1868.  Was 
Giemen  iu  den  Hittheilungen  der  k.  k.  Central-Commission  z.  Erforsch, 
und  Erhalt,  d.  Baudenkmale  XV,  16  veriangte,  eine  Untersachang  der 
Ausbildung  des  Christophtypus  in  den  einzelnen  Landschaften,  halte  ich 
für  unmöglich. 

^)  Cahier  Charact^ristiques  des  saints  dans  Tart  populaire,  Paris 
1867,  n,  447/8. 

*)  Kein  Billiger,  wenn  er  hört,  dass  eine  wichtige  Grundlage  für 
die  folgenden  Bemerkungen  die  Bestände  des  kgl.  Kupferstichkabinetts 
zu  Berlin  bilden  mussten,  unter  i^elchen  allein  gegen  hundert  Darstellungen 
des  hl.  Christoph  sich  befinden,  kein  Billiger  wird  verlangen,  dass  alle 
irgend  vorhandenen  hatten  in  betracht  gezogen  werden  sollen.  Das 
Wagnis  des  ürteilens  von  einem  solchen  Ausschnitt  auf  das  Ganze  muss 
eben  gewagt  werden. 


153  Darstellung  der  Legende.  153 

darstellungen  sich  befinden,  die  der  Beachtung  lohnten.  Aber 
es  ist  doch  von  vornherein  anzunehmen,  dass  auch  sie  auf 
Utterarischer  Grundlage  beruhten.  Denn  pflegt  schon  im 
Allgemeinen  bei  einem  Verhältnis  zwischen  bildender  und 
redender  Kunst  diese  mehr  die  befruchtende,  jene  mehr  die 
empfangende  Bolle  zu  spielen,  so  fallt  es  in  unserem  Falle 
besonders  schwer,  zu  denken,  dass  nach  einem  Bilde  oder 
einer  Statue,  einen  Mann  mit  einem  Kinde  auf  der  ßchulter 
durchs  Wasser  schreitend,  darstellend,  selbst  wenn  daneben 
oder  darunter  zu  lesen  stand  <S.  Christophorus»,  ein  em«- 
pfindender  Beschauer  die  Legende  in  ihren  Einzelzügen  in 
Worten  hätte  ausfähren  sollen. 

■ 

Ein  Weiteres  dürfen  wir  im  voraus  berührend  abthun. 
Man  erinnert  sich  des  Zuges  der  alten ,  Legende,  der  den 
Heiligen  als  Kynokephalen  ausgab  und  den  wir  als;  rein 
wunderbar  märrchenhaft  aufzufassen  übereinkamen,  ohne  be- 
stimmte Folgerungen  daran  knüpfen  zu  woUen.  Es  gewänne 
diese  Frage  aber  doch  ein  ander,es  Ansehen,  falls  gewisse 
Nachrichten  über  Wandmalereien  in  syrischen  oder  griechischen 
EHöstem  zu  einer  greifbaren  Gewissheit  führten.  So  findet 
man  in  Stieglitz'  Geschichte  der  Baukunst')  und  mannigfach 
daraus  abgeschrieben  die  Angabe,  dass  schon  um  den  Altar 
der  Kirche  des  anter  Kaiser  Justinian  auf  dem  Berge  Sinai 
erbauten  Klosters  sich  ein  Christophbild  mit  einem  Hunds- 
kopfe befand.  Didron  sah  in  den  Athosklöstern  Vatopedi 
und  Karakallu  den  hundsköpfigen  Heiligen  unter  mehreren 
andern  hl.  Kriegern  dargestellt  [mit  der  Unterschrift  <ö  äyioq 
Xpi(rro<p6poc  ö  ^Trpcßo^»],.  ebenso  in  der  Vorhalle  der  Portaitissa 
des  gleichfalls  auf  dem  Berge  Athps  gelegenen  Klosters  H^gia 
Laura  ^).  Eine  weitere  ähnliche  Darstellung  soll  ein  anderer 
Beisender  auf  Cypem  gefunden  haben.  Wie  nun?  Giebt  es 
eine  orientalisch  -  griechische  .Kmnsttradition,  die,,  verhältnis- 
mässig alt,  demHeiligeh  dieses  entscheidende  Charakteristikum 
der  früheren,   nicht  deutschen  Legende   anschaulich  erhielt? 

>)  Neue  Ausg.  1837  p.  482.    \ 

*)  Annales  arch6olog:ique8  ed.  Didron  V,  151,  XX,  Ö79,  XXI,  3ä. 

11* 


154  K.  Richter.  164 

So  wäre  die  Frage  nach  der  Herkunft  der  Legende  ent- 
schieden, neue  wichtige  Fragen  tauchten  aaf :  sollte  der  Hunds- 
köpf  nur  der  Erbe  einer  fernen  alten  G-ottheit,  einer  mythischen 
Person  sein*)? 

Zunächst  will  ich  bemerken :  was  ich  im  ersten  Abschnitt 
über  das  Verhältnis  der  griechischen  zu  den  lateinischen 
Texten  zu  begründen  mich  bemühte,  könnte  richtig  sein,  ohne 
dass  es  eine  entgegengesetzte  Meinung  von  der  bildenden 
Kunst  aus  zu  gewinnen  hinderte.  Es  ist  kein  Widerspruch, 
wenn  ich  jenes  aufrecht  erhalte  und  diese  nicht  ausschliesse. 
Ich  kann  sie  nur  beschränken,  nur  Bedenken  gegen  sie  vor- 
bringen. 

Ich  bestreite,  dass  es  abendländische  geprägte  Dar- 
stellungen mit  dem  Hundskopf  giebt.^)  Da  auf  diesen  auch 
das  Kind,  auch  der  Einsiedler  schon  sich  fände,  welche  Per- 
spektive würde  sich  eröffnen.  Man  könnte  die  ganze  spätere 
Christophoruslegende  als  eine  orientalische  Allegorie  für  das 
zum  Christentum  bekehrte  Heidentum  ausdeuten.  *)  Der 
Heilige  war  ursprünglich  ein  Heide:  der  symbolische  Name 
Beprobus  ist  unschwer  als  ein  aus  diesem  Zuge  abgeleiteter 
zu  erkennen.  cCircumdederunt  me  canes  multi:  consihum 
malignantium  obsedit  me»  klagt  der  Psalter  21,17,  und  die 
Psalterien  des  Mittelaltets  stellen  das  gern  als  Scene  dar: 
Christus  mit  der  Glorie  in  der  Mitte  und  ihm  zu  Seiten  rechts 
und  links  dürre  Menschengestalten  mit  langen  wolfsähnlicfaen 
Hundsköpfen,  aus  denen  die  roten  Zungen  nach  dem  Heiland 
züngeln ;  so  waren '  Heiden  und  Juden  die  Hundsköpfe  der 
Kunst.  Durch  die  ganze  religiöse  Kunst  des  Mittelalters  geht 
eine  tiefe  Symbolik:  warum  sollte  man  nicht  im  Bilde  des 
ein  liebliches  Kind  auf  den  Schultern  tragenden  Hündischen 

^)  Une  divinum  ^gyptienne,  Didron  Manuel  d'icoiiographie  clir^tienne 
grecque  et  latine,  Paris  1845,  p.  825. 

*)  vroraof  Ndtes  Hinweis  zu  Welther  von  Speier  11,  19  fainaosläuft. 
Vgl.  oben  p.  9  Anm.  5. 

')  Bulletin  monumental  Lu,  47:  image  mystique  de  la  puUsante 
civilisation  paienne  oblig^e  de  ceder  au  Cbristianisme,  fälble  aux  yeux 
des  Gentils,  mais  fort  par  sa  divinite. 


15S  DnratelluDg  der  Legende.  156 

die  Annahme  des  cbriBtUehen  Glaubens  durch  einen  Heiden 
zur  Anschauung  haben  bringen  wollen  i*  Und  dann  erst  kam 
der  deutende  Betrachter  ond  erfand  eine  ideelle  Vision  materiell 
um  in  eine  nair  -  gläubige,  gescbehnisfreudige  Legende? 

Ich  beetreite,  dass  es  solche  Barstellangen  giebt.    Das 
Siegel  der   fruitiers   in  Paris ')   ist   ein   sehr  rohes   und   dazu 
durch  Abnutzung  undeutlich  gewordenes  Stück,  nichts  weiter. 
Über  die,  jedenfalls   kaum   unter  Justiuian   mögliche  Sinai- 
därstelluog  weiss  ich  nichts  Näheres,  nicht,  woher  Stieglitz 
seine  Nachricht  haben 
könnte.  Aber  aus  dem 
Schweigen  Bidrons  ent- 
nehme   ich,    daas    der 
Heilige  in  den  Athos- 
klöstem  das  Kind  nicht 
trägt.  Anf  der  einzigen 
abendländischen     Dar- 
stellung, die  den  Hunds- 
kopf giebt,  gleichfalls 
nicht. 

Sie  befindet  sich 
anf  Blatt  60  des  Cod. 
hiat.  fol.  415  der  kgl. 
öffentl.  Bibliothek  in 
Stuttgart,  der,  mit  dem 
sogenannten  Chronicon 
Zwifaltense  minus  be- 
ginnend, auf  Bl.  19'-87 
das  Martyrologium  des 
üsuard    enthält.     Vor 

dem  Monat  Juli,  zu  dessen  26.  Tage  Usuards  Worte  bis 
auf  unwesentliche  Abweichungen  wie  bekannt  lauten,  nimmt 
sie  die  volle  Seite  ein.  Der  Heilige  steht  in  Vorderansicht 
aufrecht  zwischen  zwei  schlanken  mehrstockigen  Türmen,  er  legt 

<)  FomeBit  CoUectioa  de  plombs  hittori^s,  Pari«  (1863)  I,  6S,  i. 
weiter  IV  (L866),  157—161. 


156  K.  Richter.  166 

die  rechte  Hand  auf  eine  Zinnenbrücke,  die  sie,  ihm  in  Brust* 
höhe,  verbindet,  die  linke  auf  das  eine  spitze  Turmdach ; 
seine  beiden  Füsse  hat  er  durch  zwei  Thoröffnungen  in  der 
Mauer  gesetzt,  deren  Zinnen  ihm  gerade  bis  zur  Hälfte  des 
Unterschenkels  reichen;  sein  Kopf  ragt  noch  über  die  Höhe 
der  Türme  hinaus.  Von  der  Strasse,  aus  den  Fenstern  der 
Turmwohnungen  schauen  Männer  und  Frauen  mit  staunenden, 
weisenden  Handbewegungen  zu  ihm  hinauf. 

In  zwei  Richtungen  ist  diese  Miniatur  interessant  In 
dem  deutschen  Gedicht  B  hiess  es,  als  der  von  Christus  ge- 
taufte Heilige  auf  dem  Wege  zum  König  Dagnus  predigend 
seine  Strasse  zieht»  Y.  969  ff. : 

8W&  man  sin  1er  niht  gerne  hdrte 
und  im  verslozzen  wa«  diu  porte, 
da  er  doch  wolte  vür  sich  hin, 
da  luogte  er  obene  zuo  in 
übr  die  wer  von  der  zinnen 
und  sprach  also  „ist  iemen  hinnen 
der  gerne  hoere  gotes  lere, 
dem  rate  ich  daz  er  zuo  mir  kere''. 
[V.  985]  er  endurfte  ouch  predigstuoles  niht, 
als  man  noch  von  siner  lenge  gibt, 
er  leint  sich  aber  übr  ein  mür, 
herre  koufman  und  gebür 
muosten  sine  rede  hoeren. 

Von  Heyd^)  setzte  den  Teil  des  Kodex,  der  die  Miniatur 
enthält,  noch  ins  12.  Jh.,  Waagen^  wollte  das  13.  Jh.  fixieren. 
Eine  lange  anbekannte  Vermittlung  hätten  wir  vorauszusetzen 
zwischen  der  Darstellung  und  der  angeführten  Stelle,  wenn 
wir  die  frappante  Übereinstimmung  nicht  für  zufallig  halten 
können. 

Weist  das  Blatt  in  dieser  Hinsicht  vorwärts,  in  die  deutsche 
Zukunft,  so  schaut  es  andrerseits  mit  dem  Gesicht  des  Heiligen 
zurück,  in  die  Vergangenheit,  vielleicht  in  die  ferne  Heimat 
der  Legende.  Waagen  nannte  dieses  Gesicht  ungeschlacht, 
wie  man  sich  im  Mittelalter  die  Biesen  dachte,  aber  er  war 

')  Die  bist.  Hss.  der  kgl.  öff.  Bibl.  zu  Stuttgart  I,  189. 

*')  Kunstwerke  und  Künstler  in  Deutschland,  Lpz.  1845,  II,  190. 


157  Darstellung  der  Legende.  157 

anf  falscher  Fährte.  Unzweifelhaft,  hier  haben  wir  den  Hunds- 
kopf. Wenn  man  sich  die  im  Halbkreis  stilisierten  Bartzipfel 
des  Kinnes  bedeckt,  so  verschwindet  das  Löwenähnliche  des 
ersten  Eindrucks :  Nase  und  Maul,  die  obere  Breite  der  Form, 
das  spitze  Zulaufen  nach  unten,  die  niedrige  Stirn,  die  kleinen 
Ohren  hoch  oben  zu  beiden  Seiten  geben  den  ccaniueus». 
Die  Augen  sind  gross  aufgerissen,  der  Ausdruck  verstärkt 
durch  die  breiten  eckigen  Linien  der  Brauen. 

Wie  kommt  dieser  s.  Cristoforus  chananeus  —  als 
solchen  weist  ihn  eine  kleine  Inschrift  der  Mauer  aus  —  in 
diese  Handschrift?  Von  byzantinischem  Einfluss  ist  in  unserer 
Darstellung  so  wenig  die  Bede  wie  in  anderen  desselben 
Kodex.  Der  Heilige  trägt  ein  Gewand,  das  ihm  bis  auf  die 
Knie  herabreicht  und  um  den  Halsausschnitt  mit  einem  Streifen 
verziert  ist ;  ein  Gürtel,  dessen  Enden  vom  lang  niederhängen, 
liegt  über  den  Hüften.  Falten  und  Mauerwerk  zeigen  nichts 
Fremdes.  Es  bliebe  die  Möglichkeit,  dass  eine  östliche  Vor- 
Stellung  inhaltlich  übernommen,  aber  von  allem  Ausseren  be- 
freit weitergetragen  wurde.  Aber  ebensogut  kann  aus  dem 
Legendenwort  sich  selbständig  im  Osten  und  Westen  hier 
und  da  eine  Hundskopfdarstellung  entwickelt  haben.  Mir 
scheint  gegen  eine  festbegründete  griechische  Tradition  der- 
selben zu  sprechen,  dass  die  griechische  Kirche  sich  gegen 
sie  von  je  ablehnend  verhielt  und  verhält.  Sollte  sich  das 
€T€paTU}bri  Kai  irapdboSa»  der  alten  Menologien  noch  erst  auf 
die  Vorstellung  überhaupt  beziehen,  so  heisst  es  z.  B.  heut 
im  ZuvaEapiairj^  des  NiKOÖn^og  'ATiopeixTi?  *) :  KuvoTrpocTujTro^ 
ibo)  irp^Trei  rd  V0Ti9f|,  öxi  6  "Atio^  t^tov  ddxnMO?  Kai  d[|iopq)o^ 
Kard  TÖ  TTpoaumov,  öxi  hk  Kai  öti  €ix€  (JkuXou  iLiop<pr|V  jiife  xeXei- 
ÖTirra,  KaOuj^  ou  KaXoi^  loiopoöaiv  autöv  tiv^^  dMaOet^  ZiwTpdqpoi. 
'Avöpuimvov  öfc  irpöcTumov  €ix€,  KaOuj^  Kai  oi  Xonroi  dvöpumoi. 
Aber  die  *Ep)iriv€ia  tüüv  2^WTpdq>u)v  ^)  kannte  diese  cerreur  des 
peintres»,  wie  ein  junger  Mönch  zu  Hagia  Laura  auf  Didrons 


0  Zakynth  1868,  III,  27  Anra.  2. 
2)  «Athen  1885,  p.  194. 


158  K-  Richter.  158 

Erkundigung  antwortete,  noch  nicht,  was  aus  ihrer  lakonischen 
Vorschrift  cXpiotöqiopo^  vio^  dx^veio^»  hervorgeht,  und  in 
zwei  der  einzig  beglaubigten  Fälle  eines  griechischen  Hunds- 
kopfes, die  Didron  gerade  aus  den  Athosklöstem  aufspürte, 
handelt  es  sich  um  Arbeiten  eines  Malers  Damaskynos  aus 
der  ersten  Hälfte  des  18.  Jhs.  Scheint  es  also  nicht  nach 
allem,  als  ob  auch  im  Orient  diese  Darstellungen  erst  spät 
hier  und  da  entstanden  seien  wie  sie  im  Kloster  Zwiefalten 
Singular  im  1 2.  Jh.  aus  wörtlichem  Verständnis  des  Legenden- 
textes  sich  erzeugte?  Ostlich  und  westlich  mag  uns  freilich 
noch  yiel  verloren  gegangen  oder  bis  jetzt  unbekannt  ge- 
blieben sein,  und  die  Neigung,  die  Spur  des  Fremdartig- 
Rätselhaften  im  Osten  zu  suchen,  braucht  sich  meinen 
Gründen  nicht  zu  unterwerfen,  gern  gebe  ich  das  zu,  anderer- 
seits aber  werden  sie  mich  berechtigen,  immer  wieder,  auch 
von  den  bildlichen  Darstellungen  aus,  zu  betonen,  dass  irgend 
ein  Beweis  für  östliche  Herkunft  noch  nicht  erbracht  ist. 

Denn  auch  das  scheint  mir  gegen  eine  solche  zu  sprechen, 
dass  wir  mehrere  derselben  haben,  die,  aus  der  älteren  Legende 
hervorgewachsen,  diesen  wichtigen  Zug  der  Hundsköpfigkeit 
nicht  bieten.  Durand  ^)  berichtet,  er  habe  in  den  Ruinen  der 
Kirche  San  Vincenzo-in-Galliano  auf  der  Innenmauer  unter 
Gemälden  des  12.  Jhs.  eine  lange  Figur  des  Heiligen  gesehen, 
die  als  solche  nur  ausgewiesen  wurde  durch  den  lotrecht  da- 
neben geschriebenen  Namen.  Auch  in  einem  Fenster  der 
Kirche  von  Chartres  findet  sich  ein  Christoph  ohne  Kind, 
wie  die  horizontale  Nebenschrift  erkennen  lässt.^)  und  ver- 
mag ich  aus  Deutschland  auch  keine  solche  Porträtdarstellung 
anzuführen,  so  doch  eine  Art  Illustration  zur  alten  Passio, 
die  Miniaturscenen  des  Cod.  lat.  13074  c.  pict.  72  der  Münchener 
Staatsbibliothek,  einer  Hs.  des  12.  Jhs.,  zur  Prosa  Walthers 
von  Speier.  Auf  der  Vorderseite  von  Blatt  66  sehen  mi  oben 
zwei  Männer  und  drei  Frauen  aus  dem  Stadtthor  treten  und 


1)  Annales  archSol.  XXI,  121  ff. 

^)  Revue  de  Fart  chretien  1888,  p.  417. 


159  Darstellung  der  Legende.  159 

auf  den  einen  Kopf  grösseren  Heiligen  weisen,  der  wie  be- 
teuernd eine  Hand  auf  die  Brust  legt,  unten  links  zwei  Leute 
ihn  vor  den  König  führen,  der  Tom  Stuhl  zu  sinken  im  Be- 
griff ist,  rechts  ihn  gebückt  in  eine  niedrige  Klause,  wohl 
den  Kerker,  eingeben,  hinter  ihm  zwei  Frauen  und  der 
grinsende  Kerkermeister  (?).  Auf  der  Bückseite  oben  links 
hat  eins  der  beiden  Mädchen  einem  kleinen  Stierbild  auf  einer 
Säule  ihren  Gürtel  umgelegt  und  beide  stehen,  als  ob  sie  nun 
ziehen  wollten,  rechts  knieen  beide,  der  Kopf  der  einen  liegt 
schon  am  Boden,  der  andern  packt  der  Henker  ins  Haar  und 
hebt  das  Schwert.  Unten  liegt  Christoph  auf  schräg  auf- 
gerichtetem Gestell,  unter  dem  ein  Scheiterhaufen  empor- 
züngelt. Drei  Pfeile  stecken  wirklich  in  seinem  Leib,  dass 
die  Wunden  bluten.  Gegenüber  steht  der  König  mit  einem 
Pfeil  im  linken  Auge,  zwischen  beiden  ein  Schütz  mit  Bogen 
^ind  Pfeil.  Stets  ist  Christoph  massig,  aber  deutlich  grösser 
als  die  andern,  mit  langem  Haar  und  Bart. 

Ahnliche  Ausfuhrungen  der  alten  Legende  befinden  sich 
an  den  Seiten  eines  Reliquiariums  der  Domkirche  zu  Arbe 
in  Dalmatien'):  drei  hl.  Männer  in  Tunica  und  Toga  mit 
Rollen  in  der  Hand  [die  consules  ?],  drei  Personen,  von  denen 
zwei  ein  Kreuz  halten  [die  beiden  Mädchen  ?],  die  Pfeilscene, 
in  welcher  die  Hand  Gottes  von  oben  die  Pfeile  zu  Boden 
oder  zurück  auf  den  thronenden  König  lenkt,  und  die  Ent- 
hauptung durch  zwei  Krieger  in  römischer  Rüstung.  Auf 
dem  Deckel  aber  ist  der  Heilige  dargestellt  als  signifer,  mit 
Standarte  (stilisiertem  Stab)  und  Königsmantel  (?),  jugendlich, 
bartlos.  In  der  Rechten  eine  Lanze,  in  der  Linken  einen 
Schild  hält  er  auf  dem  Emailbilde  eines  Reliquienkästchens, 
das  sich  ehemals  in  der  Abtei  S.  Yincent-aux-Bois  befand.  ^) 
Darum  dürfen  wir  auf  diese  Auffassung  ein  besonderes  Ge- 
wicht legen,  weil  sie  offenbar  zu  dem  kriegerischen  Charakter 


^)  Jahrb.  d.  k.  k.  CeDtral-Commission    zur  Erforsch,  u.  Erhalt,  d. 
Baudenkmale  V,  150/1. 

^  Annales  archeoL  XXI,  123.    Act.  Sanct.  no.  24. 


160  K.  Richter.  160 

des  Christoph  in  den  erweiterten,  also  besonders  den  griechischen 
Fassungen  der  Passio  in  Beziehung  steht.  Sollte  es  nicht 
ein  weiterer  6rund  gegen  die  griechische  Hundskopftradition 
sein,  dass  ein  slavischer  Kalender  ihn  gerade  so,  jugendlich 
bartlos,  mit  langem,  auf  der  rechten  Schulter  zusammen- 
geknöpftem Mantel  und  ledernem  Kriegsschurz  bis  zu  den 
Knieen,  nicht  grösser  und  anders  als  andere  Heilige  auch, 
nur  durch  ein  mit  der  rechten  Hand  vor  sich  gehaltenes 
Kreuz  charakteristisch  unterschieden,  giebt^)? 

Spärlich  sind  auch  solche  Beste  einer  bildlichen  Dar- 
stellung des  Christophorus,  die  dem  älteren  Zustande  der 
Legende  entsprechen  würde.  Wenn  uns  manche  anderen 
Ausführungen  verloren  gegangen  sind,  so  wird  der  tiefere 
Orund  darin  zu  suchen  sein,  dass  das  eigentliche  Interesse 
für  den  Heiligen  erst  erwachen  konnte,  als  er  bereits  zum 
Christusträger  geworden  war.  Die  alten  Martern  boten  nicht 
viel  Originelles,  ihr  Dulder  mochte  höchstens  seine  gelegent- 
liche Verherrlichung  finden  wie  irgend  ein  anderer  Märtyrer. 
Wenn  spätere  Jahrhunderte  eine  pathologische  Neigung  zur 
Schilderung  grausamster  körperlicher  Qualen  fasste,  so  lag 
solche  Ausbeutung  einer  Heiligengeschichte  dem  Geiste  der 
Zeiten  noch  fem,  die  durch  die  Entstehung  der  Christus- 
trägerlegende gemütvolle  Anregung  erhielten  zur  anschauend 
darstellenden  Bethätigung.  Es  konnte  nicht  zweifelhaft  sein, 
dass  sie  sich  direkt  an  den  Höhe-  imd  Wendepunkt  der 
Legende  halten  musste;  das  erforderte  der  eigentümliche 
Charakter,  vielleicht  der  bildenden  Kunst  überhaupt»  sicher 
der  älteren  kirchlichen  Kunst  mit  ihrem  Streben  auf  das 
Typisch-Bedeutende,  Ausdrucksvoll-Eindringliche.  Analogien 
erleichterten  die  Bildung. 

Erst  allmählich  entstand  der  Typus  der  Darstellung,  der 
uns  heut  vor  Augen  schwebt,  wenn  wir  an  den  hl.  Christoph 
denken ;  erst  um  1400  etwa  ist  er  fertig,  fest,  von  allgemeiner 
Geltung.     Letztere    fehlte    einer   primitiven   Auffassung,    die 


^)  Act.  San  ct.  Mail  tom.  1,  xxvn  zum  9.  des  Monats. 


161  Darstellung  der  Legende.  161 

gegen  Ende  des  12.  Jhs.  die  erste  Yergegenwärtigung  des 
Christttsträgers  versuchte  und  lokal  beschränkt  verbreitete. 
Ihren  Hauptsitz  scheint  sie  in  Graubünden  gehabt  zu  haben, 
südlich  durch  das  Tessin  bis  Venedig,  nordöstlich  nach  Tirol, 
nordwestlich  bis  ins  Elsässische  gedrungen  zu  sein.  Grerade 
aufrecht  in  kolossaler  Vorderansicht  steht  der  Heilige  da,  nicht 
schreitend,  in  der  rechten  Hand  steif  senkrecht  einen  Stab 
haltend,  lang  und  vornehm  bekleidet  wie  das  Christkind,  das  er 
auf  der  Hand,  im  Arm  oder  auf  der  Schulter  trägt  ^). 

Im  Einzelnen  zeigen  sich  Unterschiede,  lässt  sich  eine 

leise  Entwicklung  erkennen.  In  der  ältesten  deutschen  Legenden- 

£as8ung  A  V.  1066  hiess  es: 

Offoms  sich  praucht  auf  die  chnie, 
Jesam  er  auf  den  arm  nazn; 

treu  schloss  sich  die  Darstellung  dem  letzten  Motive  an,  jenem 
vermochte  sie,  wohl  in  ihrer  natürlichen  Beschränktheit,  noch 
nicht  nachzukommen.  Denn  die  Plastik  hielt  den  früheren 
primitiven  Zustand,  gleichsam  eine  niedere  Objektivation  der 
Christophorusidee,  infolge  der  grösseren  Unfreiheit  des  Materials 
konservativer  fest  als  die  Malerei,  diese  schritt  langsam  vor, 
indem  sie  sich  von  jener  alten  Tradition  des  jugendlich  bart- 
losen Christoph  loslösend  inniger  in  den  Geist  der  Legende 
hineinlas,  in  der  Erhöhung  des  Kindes,  der  Belebung  des 
Stabes,  der  Oewänder  eine  grössere  Ausdrucksfahigkeit  suchte. 

Man  vergleiche  etwa  die  Ohristophstatue  auf  der  rechten 
Seite  der  dreiteiligen  Fagade  der  Hauptkirche  von  Gemona 
in  Friaol^  und  das  Wandgemälde,  das  in  der  romanischen 
Kirche  zu  Niedermendig  aufgedeckt  wurde')  oder  das  rechts 
aussen  am  Portal  der  Kirche  S.  Apollinare  zu  Trient  be- 
findliche^).    Diese  werden    aus   dem   13.  Jh.  stammen,  jene 


>)  !S£ittheil.  der  k.  k.  Central-Commission  zur  Erforsohung  und  Er- 
haltung der  Bandenkmale,  N.  F.  XV,  16. 
«)  ib.  IV,  287/8. 
«)  Zs.  f.  Christi.  Kunst  I,  897. 
*)  Mittheü.  IV,  16. 


162  £•  Richter.  162 

Würde  vielleicht  von  einem  Meister  Nicolaus  1331  geschaffen. 
Gemeinsam  ist  ihnen  die  kolossale  Grösse  des  Heiligen,  bis 
zum  Dache,  bis  zur  Decke  reicht  er,  gemeinsam  seine  auf- 
rechte Stellung  in  breiter  Vorderansicht.  Noch  wird  nicht 
angedeutet,  dass  er  im  Wasser  steht,  dass  ihm  das  Eind,  das 
er  trägt,  eine  Last  ist.  Das  Bild  in  Niedermendig  erweist 
sein  Alter,  indem  es  das  Kind  noch  auf  dem  linken  Arme 
sitzen  lässt,  die  Statue  ihre  Altertümlichkeit,  indem  sie  Christoph 
ganz  bartlos  giebt,  indem  sie  ihm  das  Eind  aufrecht  auf  die 
linke  Schulter  stellt,  und  ziehen  wir  noch  eine  Darstellung 
der  Kirche  S.  Helena  am  Wieserberge  ^)  heran,  wo  es,  als 
ob  es  auf  einem  Stuhle  sasse,  die  Schulter  des  Heiligen  zum 
Schemel  seiner  Füsschen  macht,  so  sehen  wir,  wie  es  erst 
langsam,  aber  zielbewusst  dem  ihm  gebührenden  Platz  zu- 
strebt. Vornehme,  vielleicht  fürstliche  Gewänder  gehen  dem 
Heiligen  in  schlichten  parallelen  Falten  bis  auf  die  Eoiöchel 
herab,  von  dem  Gürtel,  der  die  Hüften  umschliesst,  hängt 
ein  Streifen  hernieder  und  kündigt  wohl  ernsthaft  an :  cingnlum 
sancti  Christophori.  Steif  hält  er  den  dünnen  glatten  Stab 
senkrecht  in  der  Hand,  der  oben  in  drei  ganz  gleiche  Blätter 
auseinandergeht  oder  drei  Fruchtknollen  trägt  und  auch  etwa 
dreifach  wurzelt.  Der  Maler  lässt  das  Eind  an  das  Haar 
des  Heiligen  rühren,  es  hebt  die  Hand  zum  Segen  ^. 

Diese  ältere  Auffassung  ist  interessant  genug,  um  eine 
Aufzählung  der  mir  bekannt  gewordenen  Fälle  zu  recht- 
fertigen, Dass  die  Eleidung  in  der  Tbat  einen  fui*stlichen 
Eindruck  geben  soll,  erhellt  aus  zwei  Darstellungen  der 
italienischen  Schweiz,  an  der  Westfront  der  Eirche  von 
S.  Maria  di  Torello  und  rechts   neben  dem  Portal  der  ehe- 


')  Mittheil.  IX,  116. 

^)  Eigentümlich  ist  dem  Wandgemälde  von  Niedermendig,  dass  das 
Christuskind,  so  klein  es  gegen  den  Biesen  ist,  einen  vollen  männlichen 
Bart  trägt.  Lnigi  Haini  machte  eine  ähnliche  Darstellang  in  der  Kathe- 
drale zu  Modena  zum  Ausgangspunkt  einiger  Bemerkungen  über  den 
Einfiass  der  byzantinischen  Kunst  und  über  die  Legende  im  Allgemeinen : 
Leggenda  di  san  Gristoforo,  1864. 


163  Darstellung  der  Legende.  X6S 

maligen  CoUegiatkirche  von  Biasca  bei  Bellinzona  ^),  sie  lassen 
den  Heiligen  eine  kostbare  Krone  tragen.  In  Bossnra,  gleich- 
falls im  Tessin,  hat  er  einen  barettartigen  Kopfpatz  ^.  Auf 
der  ersteren  hält  er  nur  erst  einen  schwachen  kurzen  Palm- 
zweig. Dass  das  Kind  wie  öfter  so  alt  aussieht,  mag  teils 
die  Wirkung  einer  byzantinisch -abendländischen  Tradition^ 
teils  Unfähigkeit  der  Maler  sein.  In  Biasca  segnet  seine 
Rechte»  in  der  Uhken  flattert  ein  Spruchband,  wie  auch  bei 
den  Darstellungen  der  Kixx^he  von  Zillis,  des  Kirchturms  Ton 
Walenstadt,  der  S.  Eusebiuskirche  bei  Brigels,  denen  von 
8.  Paul  und  S.  G-eorg  bei  Bäzüns,  innerhalb  der  Kirche  Ton 
Oberwinterthur  *).  Anstatt  zu  segnen,  halt  es  wohl  auch  die 
Erdkugel^):  Johanniskirche  zu  Taufers,  Kirche  zu  Nals,  in 
Schloss  Tyrol;  das  weist,  glaube  ich,  schon  auf  spätere  Zeit. 
So  bietet  das  GFemälde  der  Johanneskapelle  in  Brixen  ausser 
dem  gleichen  Motiv  schon  eine  etwas  grössere  Freiheit  der 
E^leidnng  und  Bewegung,  Ohristoph  neigt  den  Kopf  mit  der 
hochroten  keck  gefalteten  MUtze  etwas  d^n  Kinde  zu,  er 
fasst  den  Stab  hoch  oben  und  hält  mit  der  Linken  das  Kind 
empor  ^).  Auch  ein  grosser  Kragen  ist  zu  seinem  Kostüm  noch 
hinzugekommen;  Sehr  bemerkenswert  ist  eine  der  westlichsten 
dieser  Darstellungen,  die  ich  kenne :  ein  Wandgemälde  in  der 
Kirche  der  Cisterdenser  Abtei  Maulbronn,  um  1300  ent- 
standen ^.  Der  Heilige  mit  dem  bartlosen  schmalen  Gesicht 
ist  „gar  zierlich,  der  Biese  eher  einem  Mädchen  ähnlich^. 
Lang  faltenreich  hat  er  ein  Tuch  umgesohlageD,   und  auch 


^  Hittheil.  d.  antiquarischen  GeseBsofaaft  in  Zürich,  XXI,  1,  13/14, 
Taf-  m,  1,  ». 

•)  Anzeiger  f.  schweizerische  Alterthumskunde  V,  8OT,  Taf.  xxv,  8.. 

»)  ib.  p.  26. 

*)  MittheiL  d.  k.  k.  Central-Comm.  N.  F.  XV,  16.  Dort  auch  eine 
Anfzählung  von  Darstellungfen,  in  denen  sich  der  allmähliche  Fortschritt 
dokumentieren  soll. 

^)  Repertorium  für  Kunstwissenschaft  ed.  Janitschek  VI,  124. 

•)  Jahreshefte  des  "W^tirttembergischen  AltherthumsTereiT^s  IT,  2,  25^ 
Fig.  167. 


164  K.  Richter.  164 

das  Christkindchen  sitzt  in  einem  langen  Tragröckchen  auf 
seiner  linken  Hand.  Reiches  Haar  bis  in  den  Nacken,  welches 
dieses  äusserst  lieblich  anrührt,  in  der  andern  Hand  hält  es 
ein  Buch  vor  die  Brust.  Der  dünne  glatte  Stab,  den  der 
Heilige  in  der  Rechten  trägt,  ist  tou  einer  vollen  wedel- 
artigen Blätterkrone  gekrönt,  die  zur  Fremdartigkeit  des  Ein- 
drucks nicht  das  Wenigste  beiträgt  Wir  werden  verfolgen, 
wie  die  weitere  Entwicklung  diesen  Zug,  der  zwar  wiederum 
der  deutschen  Fassung  A  V.  1119  entspricht^  aber  nach  der 
Legenda  aurea,  in  welcher  der  Stab  erst  am  andern  Morgen 
erblüht,  einen  Anachronismus,  wie  man  gesagt  hat,  bedeutet, 
beibehält  oder  fallen  lässt.  Das  Testament  in  der  Hand  des 
Kindes  findet  sich  öfter  in  der  älteren  Zeit,  so  bei  einem 
noch  bartlosen  jugendlichen  Christoph  der  S.  Helenakirche 
im  Gailthale  in  Kämthen,  der  auch  eine  Dattelpalme  trägt  ^), 
bei  einem  mit  kürzerem  Bart  auf  der  Fensterscheibe  des 
Strassburger  Münsters,  dessen  kostbarer  Bock  und  Mantel 
bis  auf  die  Knöchel  herabfallen  und  der  das  Kind  ebenfalls 
im  Arm  hält^),  im  13.  Jh.  in  der  Kapelle  des  hl.  Michael 
zu  Bocamadour^,  im  14.  Jh.  z.  B.  noch  auf  einer  Wand- 
m*alerei  im  Nonnenkloster  Wienhausen.  Karl  Schnaase  sah 
in  S.  Maria  antica  zu  Gravedona  am  Comersee  ein  Wand- 
bild des  Heiligen  an  der  Eingangsthür,  in  einfachen  kräftigen 
umrissen  des  13.  Jhs.,  eigentümlich  durch  das  „antikische 
Kostüm^,  das  den  Krieger  offenbart^).  Auf  einem  ebensolchen 
im  alten  Bürgerhospital  zu  Gent,  der  Byloke,  sind  im  Wasser 
Fische  angedeutet  ^).  Von  einem  alten  riesengrossen  Christoph 
im  Dome  zu  Worms  und  von  einem  des  12.  Jhs.  (?)  in  der 
Benedictinerkirche  zu  Alspach  bei  Kaisersberg  im  Elsass*) 


')  Hittheil.  d.  k.  k.  Ceutnl-Comm.  IX,  116. 

')  Gallier  Gbaracteristiques  des  saints  11,  446. 

')  Annales  arch^ologiques  VIII,  278. 

*)  Mittheil.  d.  k.  k.  Gentral-Comm.  V,  8. 

^)  G.  £.  Taorel  De  christelijke  kunst,  Amsterdam  1881,  p.  xvi. 

*)  Sinemos  p.  40. 


|.<65  Darstellang  der  Legende.  166 

we(i38  ich  nichts  näheres.     Auch   ein  Basrelief  in  S.  Markus 
zu  Venedig  giebt  den  älteren  Typus,  zwei  Fische  im  Wasser  ^). 
Vielleicht  böte  die  Urelemente  des  Typus  eine  Darstellung 
am  ursprünglichsten,  die  Lasinio  bekannt  gemacht  hat^).  Es 
ist  eine  merkwürdige  Reliefarbeit  an  einem  Kapital,  das  Brust- 
bild  eines   bärtigen  Mannes,    dessen  rechter  Arm  ein  Kind 
umfasst,  während  die  linke  Hand  einen  Stab  kurz  unter  dem 
streng  stilisierten  Blattknaufe  hält;   Guenebault^)  sah  darin 
eine  Christophskulptur  des  11.  Jhs.     Zunächst  setzt  der  Her- 
ausgeber selbst  die  Arbeit  nach  1100,    welche  unbestimmte 
Angabe  der  Übereinkunft  mit  unserer  Berechnung  des  ersten 
Christustr|Lgergedichte^    und    der    ersten    Christusträgerdar- 
Stellungen  ischon  weniger  Schwierigkeiten  in  den  Weg  stellen 
würde.     Ausserdem  aber  ist  es  mir  doch  recht  zweifelhaft, 
ob  wir  ,es  hier  wirklich  mit  einem  Christoph   zu  thun  haben, 
wovon  Xiasinio  jedenfalls    nichts  wusste.     Am  meisten   fallt 
mir  auf,  dass  .die  Füsse  des  Kindes  beschuht  sind,  was  gegen 
üie  regelmässige  Darstellungsweise  göttlicher  Personen,  wenn 
auch  nicht  ohne  Beispiel,  verstösst.    Femer  sieht  der  G-egen- 
stand  in  .der  linken  Hand  eher  einem  Zepter  oder  dergleichen 
:ähnlich,  und  wäre  seine  Haltung  als  eines  blühenden  Stabes 
eigentümlich.    Der  Bart  des  Mannes  widerspräche  nicht  nur 
jden  ältesten  iDarstellungen,  sondern  auch  der  späteren  italie- 
nischen Art.   Dann :  das  dem  Manne  zur  linken  Seite  sitzende 
(Kind,   dessen  eine  Hand  das  eigene  Kjiie  umfasst,  während 
die  andere  winkt,  ist  schwerlich  mit  dem  nach  der  Legende 
•am  ahdam  Ufer  rufenden  Christkinde  zu  identifizieren,   wie 
^s  in  der  Folgezeit  wohl  gemalt  wird,   und  was  sollten  end- 
lich die  übrigen  Figuren  etc.  des  Beliefs,   die  in  keinem  Zu- 
4Miminenhang  mit. der  Legende,  wohl  aber  mit  jener  Gruppe 
'Stehen. 


*)  Annsles  arch^ologiqaes  XV,  409.  La  basQiea  di  S.  Karco  ed. 
Ungarn  V,  l  Taf-x, -I  Taf.  n,  1. 

*)  Baocolta'di  .larcoiagi,  urne  e  altri  monament!  di  «cultora  del 
«Campo  Saaio  di  Fi«a,  181,4,  lab.  Lxix. 

*)  Dietionnaire  iconograpfaique,  Parä  1843,  I>  276  a. 


166  K.  Richter.  166 

Vielmehr  werden  wir  jenen  Tirol  -  Graubtindener  Typus 
als  den  ältesten  festhalten  müssen.  Der  Fortschritt  zn  grösserer 
Freiheit  der  Auffassung  hat  sich  vielleicht  zuerst  in  Miniaturen 
vollzogen,  es  fehlt  das  Material,  das  zu  sichern.  Aber  man 
nehme  die  bekanntgegebene  Darstellung  einer  englischen  Hs.^). 
Das  JBand  sitzt  in  einem  Tuche,  das  auf  der  linken  Schulter 
des  Heiligen  in  einem  starken  Knoten  gebunden  ist,  und  von 
seiner  rechten  Hand  getragen  wird.  Es  greift  mit  der  linken 
einen  Zipfel  seines  Kopftuches,  welches  Motiv  weiterhin  be- 
deutsam hervortritt.  Höchst  eigenartig  endet  sich  der  glatte 
Stab,  den  jener  in  der  linken  Hand  hält,  oben  in  einen  kleinen 
Kreuzgri£f,  der  unter  die  Schulter  gestemmt  ist  Das  Gewand 
fällt  dem  Heiligen  bis  über  das  rechte  Ejüe,  während  es  auf 
der  linken  Seite  zur  Hälfte  aufgeschürzt  erscheint  Mit  blossen 
Füssen  steht  er  im  Wasser,  das  wenige  Wellenlinien  andeuten. 
In  der  rechten  wie  lehrend  erhobenen  Hand  hält  das  Kind 
eine  Oblate,  wobei  wir  an  den  freilich  an  einem  späteren 
Punkt  der  Erzählung  sich  findenden  Zug  der  Mitteilung  des 
Abendmahls  durch  den  Herrn  selbst,  in  der  deutBchen  Version 
A  Y.  1395,  denken.  Und  die  Hs.  309  der  Bibl.  in  Donau- 
eschingen aus  dem  13.  Jh.  enthält  eine  Miniatur,  die  bereits 
zwei  Fische,  ein  menschenhäuptiges  tmd  ein  gefiedertes  Un- 
wesen im  wogenden  Wasser  spielen  lässt,  obwohl  das  Eand 
noch  auf  dem  Arm  des  Heiligen  sitzt,  der  wiederum  eine 
Mütze,  höchst  auffallend  aber  keinen  Stab  trägt.  Vielmehr 
rafit  er  mit  der  Linken  sein  G-ewand  etwas  auf. 

Sehr  bemerkenswert  ist  hier  vor  allem  die  Eigentümlich- 
keit, dass  das  Wasser  nur  die  Füsse  des  Heiligen  umspült. 
Sie  steht,  sobald  und  wo  das  Wasser  überhaupt  eine  Bolle 
spielt,  von  vornherein  unabänderlich  fest.  Nicht  eine  einzige 
Darstellung  ist  mir  bekannt  geworden,   in  der  die  Flut  den^ 

')  Walter  de  Gray  Birch  and  H.  Jenner  Early  drawings  and  ülu- 
minations,  London  1879.  Taf.  III.  Die  dort  sonst  noch  angefahrten 
OhriBtoph-Miniatoren  habe  ich  leider  so  wenig  einsehen  können  wie  eine 
solche  eines  Psalters  der  kgl.  Bibliothek  in  Stuttgart:  KittheiL  d.  k.  k. 
Central-Comm.  N.  F.  XV,  16. 


167  DarsteUang  der  Legende.  167 

• 

Heiligen  bis  an  die  Lenden  stiege  oder  gar  bis  zur  Schulter ; 
auch  wo  sonst  in  den  Maassen  gar  nichts  Ungewöhnliches  zu 
Tage  tritt,  dient  dieses  Verhältnis  der  Körpergrösse  zur  Tiefe 
des  Wassers  von  Anfang  an  zum  Ausdruck  des  Kiesischen, 
oft  in  auffallendster  Weise.  Es  bedeutet  das  einen  einfachen 
Verzicht  der  künstlerischen  Darstellung  auf  die  Möglichkeit 
einer  dramatischen  Situationssteigerung  und  -ausnützung.  Das 
höher  und  höher  Schwellen  des  Wassers,  das  Versinken  und 
Hingen  des  Heiligen,  seine  Todesangst  —  man  sollte  meinen : 
hier  läge  auch  für  den  Maler  der  eigentliche  Keiz  des  Vor- 
wurfs, wie  unverkennbar  wenigstens  in  dem  älteren  deutschen 
Gedicht  A  und  in  der  Legenda  aurea  die  Erzählung  wie  zu 
einem  Gipfel  hinauf  sich  hebt  bis  zu  dem  Punkte,  da  cdes 
meres  vnde  mit  dem  lauf»  den  Unterliegenden  übergiessen. 
Möglicherweise  wirkt  der  Einfluss  der  Plastik,  deren  Natur 
die  Beschränkung  notwendig  machte,  hierin  auf  die  Malerei 
ein,  oder  wir  müssten  an  einen  repräsentativen  Charakter 
dieser  selbst  in  jener  Zeit  zur  Erklärung  der  auffalligen  Er- 
scheinung denken.  Die  Aufgabe  erwächst,  achtsam  zu  sein 
auf  die  Ersatzmittel,  die  die  Darstellung  suchte,  wir  werden 
einiges  Interessante  finden.  Jedenfalls  war  es  durchaus  falsch, 
wenn  man  zu  einem  alten  Wandgemälde  der  S.  Martinskirche 
in  Zalt-Boemel  den  unsichtbaren  Unterkörper  des  Heiligen 
im  Wasser  vermutet  hat^);  unangebracht,  bei  einem  Polyphem, 
der  bis  zum  Nabel  im  Wasser  steht,  an  S.  Christoph  zu  denken^. 
Höchst  beachtenswert  wäre  es,  wenn  wir  in  der  S.  Jans- 
kerk  zu  Gorinchem  schon  Reste  eines  Christophcyklus  aus  dem 
13.  Jh.  hätten^).  Es  bewiese  das  ein  tieferes  Interesse  an 
dem  poetischen  Gehalt  der  Legende,  es  bewiese  die  Richtig- 
keit der  Ansicht,  dass  dieser  und  nicht  eine  Vorzugsstellung 
des  Heiligen  in  religiöser  Beziehung  der  Grund  zu  seiner 
Beliebtheit  und  dann  freilich  auch  zu  einer  solchen  als  einer 


')  Algemeene  konst  en  letterbode  voor  het  jaar  1844,  no.  43,  p.  244. 
*)  Jahrb.  d.  kansthlBtorischen  Sammlungen  des  aUerhöchsten  Kaiser- 
baases m,  1,  68. 

•)  Taurel  1.  c.  p.  xvm,  xxiv. 

12 


168  K.  Richter.  168 

Bich  notwendig  entwickelnden  Folge  war.  Jener  giebt  uns 
die  Hütte  des  Klausners  oder  Einsiedlers,  8.  Christoph 
schlafend  und  8.  Christoph,  wie  er  den  Stab  in  die  Erde 
steckt,  und  ist  in  natürlichen  Maassen  gehalten.  In  dem 
mittleren  Bild  trägt  der  Heilige  Strümpfe,  Schuh  und  eine 
Art  Hose  bis  zu  den  Enieen.  Der  Oberteil  ist  zerstört,  aber 
in  einer  oberen  Ecke  war  das  Kind  in  Kleid,  Schuhen  und 
Strümpfen  den  Heiligen  rufend  dargestellt.  Taurel  charak- 
terisiert die  Kunst  des  Malers  als  den  rohesten  Realismus 
eines  Kindes:  um  so  schwerer  dürfte  es  nach  alter  Erfahrung 
sein,  die  Entstehungszeit  mit  Sicherheit  zu  bestimmen.  Die 
Situation  des  Mittelbildes  hat  ein  weiteres  Leben  gehabt. 

Alles  das,  sollte  ich  auch  manches  übersehen  haben,  ist 
nur  eine  Verweile  einer  nahenden  grossen  Flut.  Plötzlich, 
im  zweiten  Viertel  des  15.  Jhs.,  ist  sie  da,  ungeheuer,  un- 
erschöpflich, ohne  Stauung  strömend  durch  fast  zwei  Jahr- 
hunderte. Schier  unübersehlich  ist  die  Menge  der  Christoph- 
bildchen, -bilder  und  -bildwerke,  die  aus  der  Wendezeit  des 
Mittelalters  zur  Neuzeit,  aus  dem  16./16.  Jh.  auf  uns  ge- 
kommen sind.  Der  Aufschwung  der  bildenden  Künste  im 
Allgemeinen,  vor  allem  aber  das  Aufkommen  der  technischen 
Künste  waren  die  Ursachen  der  Erscheinung.  In  dieser 
Periode  erst  stieg  die  Popularität  des  Heiligen  auf  ihren 
Gipfel.  Die  allmähliche  Vervollkommnung  und  Entwicklung 
seiner  Darstellung  zu  yerfolgen  ist  die  Aufgabe. 

Der  älteste  deutsche  und  damit  überhaupt  älteste  Holz- 
schnitt mit  der  Datienmg  1423  ist  ein  hl.  Christoph^).  Er 
wurde  in  dem  Karthäuserkloster  Buxheim  bei  Memmingen 
aufgefunden  und  ist  heut  in  englischem  Besitz.  Die  Streit- 
frage, die  sich  um  seine  Priorität  vor  der  Madonna  der 
Brüsseler  Bibliothek  dreht,  ist  für  unsem  Zweck  gleichgiltig; 
wir  sehen  8.  Christoph,  den  deutschesten  Heiligen,  als  ersten 
Gegenstand  der  deutschesten  Kunst. 

')  Wie  auch  einer  der  ältesten  Metallschnitte,  s.  Weigel  und  Zester- 
mann  Die  Anfänge  der  Druckerkunst,  Lpz.  1866,  no.  IS,  Anz.  f.  Kunde 
d.  d.  Vz.  XIX,  274. 


Ig9  Darstellung  der  Legende.  169 

Es  mag  darum  nicht  unbillig' erscheinen^  das  oft  repro- 
duzierte Blatt  zum  Ausgangspunkt  unserer  Wahrnehmungen 
zu  machen.  Auch  darum,  weil  es  uns  bereits  das  repräsentiert, 
was  wir  den  deutschen  Typus  des  Heiligen  nennen  können. 
In  den  früheren  Bildern  und  Skulpturen  brauchten  wir  nicht 
zu  scheiden  zwischen  den  yerschiedenen  Ländern.  Auch 
durften  wir  nur  von  einem  werdenden  Typus  sprechen,  den 
wir  in  gewissem  Sinne  hätten  universal  nennen  können.  Jetzt 
aber  giebt  es  einen  ausgeprägt  deutschen  Typus  des  Christo- 
phorus  im  Gegensatz  z.  B.  zu  einem  italienischen,  und  jetzt 
haben  wir  geographische  Grenzen  zu  beachten. 

Der  deutsche  Christoph  ist  der  deutsche  Riese  mit  dem 
langen  deutschen  Barte.  Die  ganze  Fülle  der  Empfindung, 
mit  der  die  deutsche  Märchenseele  ihre  Biesen  sich  erträumt, 
ist  ihm  zu  gute  gekommen.  Der  lange  Bart  scheidet  ihn  des 
zum  äusserlichen  Zeichen  von  allen  Namensvettern  südwärts 
der  Alpen.  Das  darf  man,  soweit  ich  sehe,  durchaus  fest- 
halten :  wo  Ausnahmen  vorkommen,  wie  auf  einem  kolorierten 
Holzschnitt  des  16.  Jhs.  auf  dem  kgl.  Kupferstich -Kabinett 
zu  Berlin  I  182,  der  den  Heiligen  mit  schwarzem  Spitzbart 
und  schwarzem  Haar  giebt  ^),  ist  unbedenklich  Fremdes  an- 
zunehmen, fremder  Einfluss  oder  singulare  Absicht  fremd- 
artigen Eindrucks. 

Dann  ferner:  der  Grosse  hat  Heimatsrecht  erworben  in 
deutschen  Landen.  Er  steht  nicht  mehr  steif  da,  ein  Götze, 
ohne  Umgebung:  nein,  er  bewegt  sich  und  fühlt  sich  wohl 
in  deutschem  Wasser,  zwischen  deutschen  üfem  und  hat  sich 
in  deutsche  Kleider  gehüllt.  Und  so  gefällt  er  auch  dem 
deutschen  Christkind  weit  besser,  ein  viel  herzlicheres,  persön- 
licheres Verhältnis  ist  zwischen  ihnen  entstanden.  So  kommt's, 
dass  auch  weitere  Gegend,  Natur  tmd  Menschen,  an  ihm  teil- 
nehmen, nach  ihm  schauen,  um  ihn  sorgen.  Hängt  aber  das 
alles   unzweifelhaft  mit  der  Entwicklung  der  Kunst  im  All- 


*)  Weigels  MetHllschnitti  1.  c.  do.  19,  ist  mir  nnbekannt.    S.  auch 
Hittheil.  d.  k.  k.  Central-Gomm.  N.  F.  XU,  cov. 

12» 


170  K.  Richter.  170 

gemeinen  zusammen,  so  wäre  der  hl.  Christoph  doch  nie  zu 
so  inniger  Yertrautheit  mit  dem  Herzen  deutscher  Menschen 
gelangt,  wenn  nicht  eben  diese  Entwicklung  so  gegangen  wäre : 
darum  müssen  wir  bei  ihm  hervorheben  als  ein  Inneres,  was 
bei  der  Darstellung  eines  andern  Heiligen  zum  Ausserlichsten 
gehören  würde. 

Der  Holzschnitt  von  1423  ist  kein  Kunstwerk.  Er  steht 
technisch  gerade  so  tief  und  so  hoch,  dass  man  sich  nicht 
wundern  würde,  wenn  andere,  rohere,  bisher  undatierte  Holz- 
schnitte plötzlich  als  älter  erwiesen  würden,  dass  man  aber 
auch  keinen  Anlass  hat,  einem  leidlich  geschickten  Meister 
solchen  Leistungsgrad  als  erst-  und  gleicherrungen  in  der 
neuen  Art  abzusprechen.  Von  einer  tieferen  Erfassung  der 
Hauptgruppe  ist  nichts  zu  spüren.  Mit  gebeugten  Knieen 
wankt  der  Heilige  nach  rechts,  fest  den  Stamm  umpackend, 
sein  etwas  schief  geratenes  Gesicht  nach  links  oben  zu  dem 
Christkind  hebend.  Dieses  hat  das  linke  Bein  über  des  Heiligen 
linke  Schulter  herabgestreckt,  mit  dem  rechten  .Fuss  kniet  es 
auf  der  rechten.  In  der  linken  Hand  trägt  es  die  Weltkugel 
mit  dem  Kreuz  darüber,  die  rechte  ist  segnend  erhoben. 

Das  ist  die  durchaus  übliche  Lösung  des  Problems,  den 
Höhepunkt  der  Legende  bildlich  darzustellen,  und  man  muss 
gestehen,  dass  der  prägnanteste  Ausdruck  darin  erreicht  ist. 
Das  Christkind,  in  dieser  Haltung,  giebt  an  sich  schon  den 
bedeutsamen  Typus  des  segnenden  Weltheilands  nach  alter 
Tradition,  dazu  kommt  —  und  an  die  Legenda  aurea  wird 
man  im  Allgemeinen  doch  am  besten  anknüpfen  —  die  Ver- 
bildlichung  der  schönen  Legendenworte  „Ne  mireris,  Christo- 
phore,  quia  non  solum  super  te  totum  mundum  habuisti,  sed 
etiam  illum,  qui  creavit  mundum,  tuis  humeris  bajulasti^, 
welche  diese  Bedeutsamkeit  noch  erhöhen.  Erstaunen,  Furcht, 
Erleuchtung,  Hingebung  kann  in  dem  emporgewandten  Blicke  j 

des  Heiligen  zum  Sprechen  gebracht  werden,  die  ungehobeltste 
Körperlichkeit  durchgeistigt  erscheinen. 

Im  Einzelnen  sehen  wir  das  Bingen  der  Künstler  mit, 
man  kann  sagen:   praktischen  Schwierigkeiten.     Eine   solche 


I 


171  Darstellung  der  Legende.  171 

war, .  dass  das  Kind  in  gewagter  Stellung  eigentlich  balan- 
cieren musste  ohne  festen  Halt,  nachdem  einmal,  wie  wir 
wiederholend  beachten,  entsprechend  dem  Fortschritt  der 
litterarischen  Darstellnng,  sein  Sitz  von  dem  Arm  oder  der 
Hand  [A  Y.  1067]  auf  die  Schultern  erhöht  worden  war 
[B  y.  910  <dö  sazte  erz  üf  stn  ahsel  sä>,  Y  ein  humeris 
elerans»].  Seltener  ist  es,  dass  es  wirklich  rittlings  im  Nacken 
des  Heiligen  sitzt,  z.  B.  auf  einem  Schrotblatte  Bkk  ^)  I,  234 
aus  dem  15.  Jh.  oder  auf  einem  Holzschnitt  Hans  Baidung 
Griens  Ba^)  38.  Sehr  häufig  kniet  es  nur  mit  dem  einen 
Knie  auf  der  einen  Schulter  oder  setzt  den  Fuss  darauf,  im 
Begriff,  den  andern  über  die  andere  zu  ziehen:  Schongauers 
Kupferstich  Ba  48,  Meister  ES,  Kupferstich,  Pa«)  172. 
Auf  einem  kolorierten  Holzschnitt  des  15.  Jhs.  in  der  gross- 
herzogl.  Kunstsammlung  zu  Weimar  trägt  der  Heilige  das 
Christkind  auf  dem  Kopfe  ^) :  das  ist  singulär.  Oder  es  sitzt 
direkt  auf  der  einen  Schulter,  wie  auf  dem  bekannten  Holz- 
schnitte Lucas  Cranachs  vom  Jahre  1506,  Ba  68,  wo  es 
auch  die  Weltkugel  auf  dem  linken  Oberschenkel  hält:  ein 
Zug,  der  uns  zum  Folgenden  hinleitet.  Denn  dieses  Ausser- 
liche  könnte  uns  gleichgiltig  sein,  wenn  nicht  schliesslich  aus 
der  Schwierigkeit  das  Bestreben  resultierte,  die  Situation 
natürlicher  und  ungezwungener  zu  geben,  und  das  fährte  zu 
einigen  erwähnenswerten  Momenten.  Der  Künstler  musste 
sich  entschliessen,  das  bedeutungsvoll  Symbolische  dem  rein 
Menschlichen  zu  opfern,  und  so  faUt  denn  entweder  die  Welt- 
kugel oder  der  Segen  fort,  auch  wohl  einmal  beides,  und  die 
Hände  oder  eine  Hand  des  Eandes  greifen  haltend  an  den 
Kopf  des  Heiligen.  Eine  Menge  intimster  Stellungsnuancen 
entwickelte  sich  daraus,  in  denen  sich  häufig  der  Grad  der 
individuellen  Erfassungs-  und  Darstellungsinnigkeit  und  -tiefe 

')  SammluDg  des  Berliner  Kupferstich-Kabinetts. 
^  Bartsch  Le  peintre-gpniyear. 
*)  Passavant  Le  peintre-grayeur. 

*)  Piper  Mythologie  und  Symbolik  der  christlichen  Kunst,  Weimar 
1861,  I,  a,  192. 


172  K-  Richter.  172 

der  einzelnen  Künstler  kundgiebt.  Während  z.  B.  auf  dem 
Kupferstich  des  Meisters  ES  Pa  172  die  Linke  des  Kindes 
eine  Locke  des  Heiligen  hält,  seine  Bechte  aber  segnet,  um- 
gekehrt wie  auf  dem  Dürerschen  Holzschnitt  yon  1511,  fasst 
es  auf  einem  andern  Dürerschen  Blatte  [Kupferstich  Ba  61] 
mit  beiden  sogar  recht  stark  entwickelten  Händen  voll  in 
seinen  dichten  Haarwuchs,  und  der  Humorist  Altdorfer, 
Kupferstich  Ba  19,  lässt  es  ordentUch  hineinpacken,  worob 
denn  der  Heilige  eine  recht  saure  Miene  zu  ziehen  scheint; 
und  in  der  theatralisch  romantischen  Darstellung  Wolfgang 
Hubers,  Holzschnitt  Ba  6,  stützt  es  gar  den  Arm  selbst  auf 
dessen  Kopf,  in  der  Kapelle  des  Schlosses  Kyburg  drückt  es 
ihn  gewaltsam  nieder^). 

Wichtiger  ist,  dass  diese  Neigung,  dem  Kinde  einen 
äusseren  Halt  zu  geben,  vielleicht  zur  Befestigung  eines  ikono- 
graphischen  Zuges  beigetragen  hat,  dessen  Ursprung  und  Be- 
deutung mir  nicht  unbedingt  sicher  ist:  ich  meine  die  Stim- 
binde,  die  der  Heilige  vielfach  trägt  Denn  wenn  dieselbe 
auch  des  öfteren  ohne  besonderen  Zweck  erscheint,  so  ist  es 
doch  gerade  auch  häufig,  dass  die  eine  Hand  des  Kindes  in 
sie  hineingreift  und  ihm  so  einen  festen  Halt  gewinnt.  Dass 
diese  Deutung  nicht  so  willkürlich  ist,  mag  ein  Schrotblatt 
aus  dem  15.  Jh.  lehren,  auf  welchem  der  Heilige  zu  Pferde 
dargestellt  ist  und  ein  Streifen  des  faltenreichen  langen  Tuches, 
das  ihn  umschlingt,  über  seinen  Kopf  geht,  sodass  ihn  das 
Kind  fassen  kann:  Bkk  I,  235.  Der  Holzschnitt  Dürers 
Ba  104  lässt  es  über  die  Binde  hinweg  auf  die  Stirn  greifen 
und  den  Kopf  des  Heiligen  dadurch  nach  oben  wenden:  ein 
hübscher  Einfall.  Was  aber  bedeutet  diese  Stimbinde  im 
Allgemeinen?  Vielleicht  dürfen  wir  auf  diejenigen  Fälle  be- 
sonderes Gewicht  legen,  in  denen  sie,  sehr  breit,  fast  das 
Ansehen  eines  Turbans  gewinnt,  wie  etwa  auf  einer  Ofen- 
kachel des  Germanischen  Museums  ^  oder  einem  Kupferstich 


1)  MittheiL  d.  antiquar.  Gesellsch.  in  Zürich  XVI,  107.    Taf.  iil 
•)  Anz.  f.  Kunde  d.  deutsch.  Vorz.  N.  F.  XXXII,  70. 


173  Darstellung  der  Legende.  173 

des  Lucas  van  Leyden  Ba  109,  oder  in  der  Plastik :  an  einem 
Christoph  des  Marktbrunnens  zu  Urach.  Ich  yermute;  dass 
sie  ursprünglich  eine  fast  unwillkürliche  Andeutung  def( 
orientalischen  Charakters  der  Legende  oder  vielmehr  der 
Torgegebenen  orientalischen  Herkunft  des  Heiligen  war: 
«gente  Chananeus»  mochte  sich  in  diesem  Zeichen  äussern 
wollen.  Sehr  bald  natürlich  wurde  es  dann  völlig  ohne  aus- 
geprägte Absicht  gewohnheitsmässig  weiter  getragen. 

Denn  dass  man  etwas  Fremdartiges  in  der  Darstellung 
zum  Ausdruck  zu  bringen  bestrebt  war,  das  kann  uns  gerade 
der  Holzschnitt  von  1423  erkennen  lassen:  der  Stamm,  den 
der  Heilige  auf  ihm  in  der  Hand  hält,  ist  kein  deutscher, 
sondern  ein  südlicher  Baum,  er  trägt  reiche  Falmenzweige 
und  vier  grosse  geschuppte  Früchte.  Und  das  kommt  auch 
wohl  sonst  noch  vor.  Im  Allgemeinen  freilich  ist  auch  dieser 
Wunderstamm  deutsch  geworden,  Michael  Wolgemut  auf  seinem 
Bilde  im  G-ermanischen  Museum  zu  Nürnberg  lässt  ihn  in 
Eichenblättem  ausschlagen  und  Wolfgang  Huber  hat  seinem 
Biesen  eine  ganze  Tanne,  frisch  ausgerissen  mit  Wurzeln  und 
Krone,  in  die  Hände  gegeben.  In  der  älteren  Zeit  lief  er 
gern  in  drei  Astchen  aus,  womit  die  Heiligkeit  der  Zahl  wohl 
doch  nichts  zu  thun  hat^),  auch  in  Tierköpfe  mag  er  sich 
enden  ^). 

Nicht  immer  wird  der  Stab  blühend  gedacht.  Es  mag 
in  den  dadurch  bedingten  Abweichungen  die  Divergenz  der 
verschiedenen  Legendenfassungen  ihren  Ausdruck  finden:  wir 
erinnern  uns,  dass  die  deutsche  Legende  A  das  Wunder  un- 
mittelbar in  der  Nacht,  mitten  im  Wasser,  die  Legenda  aurea 
hingegen  erst  am  andern  Morgen  am  Ufer  geschehen  lässt. 
Das  rohe  Bildchen  im  Hortulus  animae,  Basel  1623,  Bl.  cxv 
giebt  wie  Huber  einen  eben  entwurzelten  Baum:  aber  er  ist 
rasch  gekappt  worden.  Bisweilen  ist  auch  das  Eben-Aus- 
schlagen,  Eben-Treiben,  Keimen  des  abgeschnittenen  Stockes 


^)  H.  Samson  Die  Schutzheiligen,  Faderborn  1889,  p.  1S3. 
*)  Forgeais  Collection  de  plombs  histori^s  IV,  157/9. 


174  K-  Bichter.  174 

ein  liebliches  Motiv :  z.  B.  auf  dem  Holzschnitt  Jost  Ammans 
An  ^)  63^  der  Heilige  mag  erstaunt  hinaufblicken.  G-anz  dürr 
|ind  unfruchtbar  ist  er  meist  bei  Dürer,  auch  auf  dem  be- 
kannten Dirk  Boutsschen  Bilde  in  München,  klobigdick  z.  B. 
an  einem  Sakramentshaus  zu  Sulzbach  ^. 

Eins  der  Mittel,  durch  welche  der  Künstler  den  Eindruck 
der  Gefahr,  in  der  der  Heilige  schwebt,  erreichen  konnte  oder 
zu  erreichen  suchte,  war  die  Art,  wie  er  ihm  diesen  Stab  in 
die  Hand  gab,  welcher  Umstand  die  ganze  Haltung  des 
Körpers  bestimmte.  Freilich  nicht,  wenn  Christoph  wie  bei 
Huber  den  Baum  nicht  zum  Stützen,  sondern  nur  zu  riesischer 
Berühmung  trägt,  wie  ebenfalls  Lucas  Cranach  auf  seinem 
Holzschnitt  ihn  nur  stereotyp  beigiebt.  Auch  die  gewöhn- 
liche Darstellung,  dass  der  Heilige  ihn  in  einer  Hand  haltend 
ins  Wasser  setzt,  erschöpft  nicht  die  letztmögliche  Wirkung, 
wenn  auch  Dirk  Bouts  ihr  durch  das  hohe  feste  An&ssen  nahe 
kommt.  Hingegen  trifft  schon  der  Holzschnitt  von  1423  das 
Sichtige,  indem  er  den  etwas  gebeugten  Riesen  den  Stamm 
mit  beiden  Händen  fest  umklammem  lässt.  Das  wird  z.  B. 
gesteigert  in  Meckenems  Kupferstich  Ba  91:  tiefgeneigt  steht 
S.  Christoph,  auch  der  Stab  will  nicht  mehr  Halt  gewähren, 
er  biegt  sich  unter  seinem  angstvollen  Stützen.  Einem  solchen 
dramatischeren  Effekte  gegenüber  giebt  etwa  Dürer  einmal 
[Kupferstich  Ba  51]  eine  ruhige  selbstbewusste  Festigkeit, 
indem  sein  Heiliger,  den  linken  Fuss  steif  ins  Wasser  ge- 
stemmt, gerade  aufrecht  dasteht  und  fest  mit  beiden  Fäusten 
den  geraden  Stamm  packt:  doch  wirkt  das  unleugbar  kälter. 
Den  lebendigsten,  freilich  nicht  auch  beängstigendsten,  viel- 
mehr frisch  humorvollen  Eindruck  gewinnt  Altdorfer,  wenn 
er  den  Grossen  von  einem  pausbäckigen,  ziemlich  ausge- 
wachsenen Jungen  kräftig  ducken  lässt,  während  ihm  der 
Baum  aus  den  fassenden  Händen  nach  oben  zu  gleiten  scheint 
[Holzschnitt  Ba  63]. 


')  Andresen  Der  deutsche  Feintre*Gravear  I,  99 — 448. 

*)  Kraas  Kunst  und  Alterthum  in  Elsass-Lothringen,  II,  621. 


176  Darstellung  der  Legende.  175 

Eine  besondere  Beachtung  verdient  die  E^leidung  des 
Heiligen.  Sie  ist  nicht  wie  wohl  bei  anderen  Märtyrern  mit 
einigen  Worten  abzuthun^  die  verschiedensten  Absichten  und 
Einflüsse  sind  an  ihr  zu  verfolgen.  Freilich,  wenn  wir  von 
dem  Bubensschen  Christoph  auf  dem  einen  Aussenflügel  des 
Triptychons  der  Kreuzabnahme  in  der  E^thedrale  zu  Ant- 
werpen lesen,  dass  er  «propter  nuditatem  scandalo  non  vacare» 
schien^  so  bemerken  wir  bald,  dass  eine  derartige  sittenpolizei- 
liche Beanstandung  nur  der  individuellen  Art  dieses  Malers 
und  nicht  der  geläufigen  Darstellung  des  Heiligen  gelten 
konnte,  denn  wenn  auch  ausnahmsweise  noch  einmal  eine 
Christophstatue  im  Dom  zu  Paderborn  ebenfalls  nur  ein  Tuch 
um  die  Lenden  und  eine  Art  Mantel  von  der  linken  Schulter 
herab  hat,  cmaar  z6ö,  dat  deze  den  Christusdrager  weinig 
tegen  de  nachtelijke  koude  zoü  beschut  hebben»,  wie  Henkelum 
sagt,  so  bot  im  Allgemeinen,  wenigstens  in  unserm  ehrbaren 
Deutschland,  die  Bekleidung  tugendhaften  Schamgefühlen  kein 
Ärgernis.  Im  Gegenteil.  Schon  der  Holzschnitt  von  1423 
flösst  uns  ein  heimliches  Bedauern  ein  mit  dem  Armen,  der 
ausser  der  Welt  und  ihrem  Schöpfer  noch  diese  Gewand- 
masse mit  sich  zu  schleppen  hatte.  Und  das  ist  interessant: 
der  weite  wehende  Umhang,  hier  ein  Mantel,  dort  ein  grosses 
vielmals  um  den  Leib  geschlungenes  Tuch,  nach  dem  Christ- 
kind das  am  meisten  charakteristische  Kennzeichen  des  Christoph, 
ist  durchaus  der  bildlichen  Darstellung  eigen  und  war  der 
geschriebenen  Legende  völlig  gleichgiltig.  Nun  kann  man 
zwar  nicht  sagen,  dass  das  Bedürfnis  nach  einem  Ausdrucks- 
mittel der  Situation  dazu  gefühi*t  habe,  denn  ältere  Gemälde 
zeigten  uns  bereits  das  lange  Gewand  in  ruhiger  Schlichtheit, 
das  ursprünglich  wohl  nur  ein  Ausdruck  der  allgemeinen  Be- 
kleidungsseligkeit der  religiösen  Kunst  war;  aber  sicher  ist 
es,  dass  dieses  Bedürfnis  dem  einmal  —  unbestimmbar  wann 
und  wo  zuerst  —  gefundenen  Motive  zu  der  Geltung  eines 
ikonographischen  Zuges  verhalf:  wie  die  Legende  das  Wasser 
des  Flusses  rauschen  und  schwellen  liess,  so  giebt  uns  der 
Maler    im   wehenden   Mantel   das    Sausen   und    Heulen   des 


176  K.  Richter.  176 

Windes.  Ein  höchst  interessantes  Beispiel,  wie  jede  Kunst 
so  auf  ihre  Art  den  Aufruhr  der  feindlichen  Natur  zum 
Ausdruck  zu  bringen  ganz  unwillkürlich  gedrängt  wird. 

Im  Einzelnen  will  ich  darauf  nicht  eingehen.  Von  des 
Kümtlers  Fähigkeit  war  auch  hier  natürlich  die  Wirkung 
abhängig.  Dürer  erreicht  in  diskretester  Weise  auf  seinen 
beiden  Stichen  aus  dem  Jahre  1621  mehr  als  Altdorfer  in 
dem  zehn  Jahre  späteren  durch  einen  ungeheuerlichen  un- 
möglichst nach  hinten  flatternden  Mantel,  bei  Dürer  glaubt 
man  zu  sehen,  wie  der  Umhang,  von  der  Schulter  herab- 
gesunken, den  Schritt  hemmt.  Eine  Steigerung  rein  äusser- 
Ucher  Art  ist  es,  wenn  auch  das  Christkind  ein  kleineres 
wehendes  Mäntelchen  trägt,  dessen  nur  praktische  Bedeutung 
sichtbar  wird,  wo  es  sonst  ganz  unbekleidet  erscheint  wie  etwa 
auf  dem  Granachschen  Blatte.  Übrigens  lässt  Meister  Lucas 
den  Mantel  des  Heiligen  selbst  lang  im  Wasser  nachschleifen, 
sodass  eine  Einförmigkeit,  wie  sie  sich  öfter  findet,  glücklich 
vermieden  wird.  Baidung  Griens  Holzschnitt  Ba  38  geht 
derselben  dadurch  aus  dem  Wege,  dass  des  Heiligen  Mantel 
nach  links  und  eine  Binde  des  Kindes  nach  rechts  strebt. 
Hingegen  muss  es  als  das  durchaus  Seltenere  angesehen 
werden,  dass  der  Mantel  nicht  weht,  wie  auf  dem  Dirk  Bouts- 
sehen  Bilde,  in  diesem  Falle  sind  andere  Ausdrucksmittel  für 
das  Gefahrvolle  der  Situation  gesucht.  Die  Skulptur  freilich 
war  genötigt,  eine  grössere  Zurückhaltung  grundsätzlich  zu 
beobachten,  der  Bildhauer  liebt  es  darum,  den  Heiligen  das 
Tuch  mit  der  einen  Hand  aufheben  zu  lassen,  wie  auch  die 
Schwesterkunst  übrigens  nicht  verschmäht.  Beispiele:  die 
Eichenholzstatue  der  Kirche  zu  Oud-Zevenaar,  Henkelum, 
und  der  Stich  des  Martin  Schongauer  Ba  48.  Sehr  selten 
aber  fehlt  der  Mantel  ganz^). 

Weit  weniger  lässt  sich  Festes  über  die  übrige  Kleidung 
des  Heiligen  angeben.  Denn  es  kam  die  Tendenz  der  mittel- 
alterlichen Kunst,  ihren  Gestalten  das  äusserliche  Ansehen 


')  Jahrb.  d.  kunsthist.  Samml.  d.  aUerh.  Kaiserhaases  1X1,  2,  clvi. 


177  Darstellung  der  Legende.  177 

llitlebender  zu  geben,  in  eigentümlicher  Weise  mit  der  ün- 
gewissheit  in  Konflikt,  welche  die  Legende  über  die  positiven 
Lebensumstände  S.  Christophs  walten  liess.  So  trägt  er  denn 
meist  eine  Art  charakterlosen  Idealkostüms,  das  man  in  Ver- 
legenheit ist,  Kittel  oder  Wams  oder  Hemde  zu  nennen. 
Schliesslich  passte  dieses  Fragliche  ganz  leidlich,  indem  man 
sich  einen  Menschen,  dessen  Geschäft  es  ist,  andere  Menschen 
über  einen  Fluss  zu  tragen,  allenfalls  so  vorstellen  mochte 
bis  auf  den  Mantel,  der  denn  eine  Draperie  zu  ästhetischem 
Zwecke  war  und  die  Bealität  der  rohen  Krafterscheinung 
wohlthuend  milderte,  aber  für  das  Amt  seines  Trägers  un- 
leugbar übel  passte.  Besser  bisweilen  die  aufgekrempten 
Hosen.  Beispiele  bieten  sich  selbst.  Übereinstimmend  ist 
das  Kind  gekleidet,  wenn  es  nicht  nackt  sein  soll. 

Daneben  macht  sich  aber  die  Neigung  geltend,  den 
Heiligen  äusserlich  durch  eine  reichere  Tracht  zu  erhöhen. 
So  stellt  ihn  der  Stich  des  Meisters  ES  Pa  172  dar  in  einem 
feinen  bis  auf  die  Oberschenkel  reichenden  Gewand,  darunter 
eine  Hose  aus  enganliegendem  Stoff,  unter  den  Knieen  auf- 
geschürzt. Es  wäre  das  gleichgiltig,  wenn  nicht  auch  hier 
wieder,  in  dem  phantastisch  bunten  Kostüm  einer  Beihe  von 
Darstellungen,  die  Vorstellung  des  Orientalischen  zum  Durch- 
bruch käme,  die  Neigung,  den  Charakter  des  Fabelhaft- 
Wunderbaren,  das  die  Person  des  Heiligen  umgab,  im 
Ausseren  hervortreten  zu  lassen  [welche  meine  Meinung,  bei- 
läufig gesagt,  ganz  etwas  anderes  bedeutet  als  die  öfters  be- 
rührten Versuche,  den  Ursprung  der  Legende  im  Orient  zu 
finden,  und  also  nicht  etwa  als  ein  Widerspruch  mit  mir 
selbst  anzusehen  ist].  Der  Dirk  Boutssche  Christoph  in  München, 
das  Schrotblatt  mit  dem  reitenden  Heiligen,  der  überhaupt 
ein  merkwürdig  semitisches  Aussehen  hat,  und  der  vom  Markte 
brunnen  zu  Urach  seien  Zeugen  der  Thatsache. 

Nur  mittelbar  von  Bedeutung  ist  der  Gürtel,  den  der 
Heilige  vielfach  trägt.  Zunächst  dient  er  wiederum,  die  Natür- 
lichkeit der  Stellung  zu  erhöhen:  indem  der  Heilige  mit  der 
einen  Hand  hineingreift,  gewinnt  die  Schulter  mit  dem  Kinde 


178  K-  Richter.  178 

eine  wohlberechnete  Stütze,  z.  B.  auf  Dürers  Holzschnitt  Tom 
Jahre  1611;  ein  Effekt,  den  der  Künstler  auch  wohl  dadurch 
erreicht,  dass  er  S.  Christoph  die  Hand  in  die  Hüfte  stemmen 
lässt,  welches  Motiv  besonders  in  der  plastischen  Darstellung 
[und  bei  den  Italienern]  sehr  beliebt  ist:  man  nehme  die 
Statue  der  Elirche  zu  Werne  in  Westfalen^).  Dann  aber 
hängt  an  dem  Gürtel  eine  Tasche  als  eines  der  rätselhaftesten 
Stücke  in  der  Ikonographie  unseres  Heiligen.  Ob  sie  zwar 
schon  nicht  Kegel  ist,  so  erscheint  sie  doch  viel  zu  häufig, 
um  etwa  als  zufaUiges  Beiwerk  gelten  zu  können,  und  wir 
sind  genötigt,  nach  irgend  einer  Erklärung  für  sie  zu  suchen, 
da  es  doch  nicht  so  ganz  natürlich  dünken  darf,  dass  ein 
durch  ein  Wasser  Schreitender  ohne  Grund  mit  solchem 
Hindernis  ausgestattet  wird.  Wenn  aber  die  Acta  Sanctorum 
vermutet  haben,  diese  cmantica»  sei  eine  Erfindung  der  bösen 
protestantischen  «novatores», in  deren  allegorischen  Auslegungen 
sie  allein  zu  finden  sei,  nicht  aber  auf  den  Gemälden  der 
Künstler  selbst,  so  klopften  sie  freilich  an  die  falsche  Thür, 
wenn  sie  sie  an  dem  nackten  Christophorus  des  Rubens 
suchten,  aber  Blätter  des  Meisters  E  S,  vielleicht  noch  keines 
Novators!  Dürers,  des  Lucas  van  Leyden,  ein  um  die  Mitte 
des  vorigen  Jahrhunderts  noch  vorhandenes  Bildwerk  am  Ein- 
gang der  Stiftskirche  zu  Goslar^),  ein  Bild  zu  S.  Jakob  in 
Jena  und  das  Buchhändlerzeichen  des  Henning  Gross  in 
Leipzig  hätten  sie  von  dem  Vorhandensein  der  Tasche,  nebst 
vielen  andern  Darstellungen,  belehren  können.  Sehen  wir  nun 
auf  einem  Holzschnitte  des  Jost  Amman  An  53  zwei  Brote 
und  zwei  Fische  in  ihr  stecken,  so  wendet  sich  die  Frage 
höchst  merkwürdig  erst  dui'ch  den  Umstand,  dass  bisweilen 
auch  Kinderköpfe  aus  ihr  hervorgucken.  Eine  Statue  am 
Christophthor  zu  Emmerich  trägt  ein  zweites  Kind,  das 
viel  kleiner   als   das  Jesulein   ist,   unter  dem   linken  Arme, 


')  Die  Bau-  und  Kunstdenkmäler  von  Westfalen,   ed.  Ludorff  IH 
Taf.  100. 

•)  Org.  f.  chriatl.  Kunst  XII,  222  ff. 


179  Darstellung  der  Legende.  179 

ein  drittes  reckt  den  Hals  aus  der  Tasche,  ebenso  zwei  oder 
drei  an  einem  Christoph  des  Domes  zu  Münster,  und  auf  der 
eines  Bildes  zu  Op-Heusden  in  der  Nederbetuwe  sind  kleine 
Bilder  gemalt,  wie  Henkelum  berichtet.  Ich  kann  mich  der 
rationaUstischen  Erklärung  Schaepkens'  ^)  zu  einem  weiteren 
Falle  derart:  der  Künstler  habe  den  Unterschied  des  6e- 
wichtes  zwischen  dem  Heiland  der  Welt  und  gewöhnlichen 
Menschenkindern  ausdrücken  wollen,  so  bestechend  sie  er- 
Bcheiot,  nicht  recht  anschliessen,  denn  das  Motiy  hätte  dann 
etwas  Modem-Frivoles,  und  es  soll  das  Ohristkind  der  Legende 
doch  nicht  irgendwie  durch  seine  leibliche  Grösse  gefährlich 
wirken.  Zum  mindesten  würde  ich  gemütlicher  zu  begründen 
suchen,  dass  der  Künstler  etwa  die  prächtige  Prahlerei  des 
Heüigen  in  der  älteren  deutschen  Fassung  A: 

„ez  ist  ein  schäm, 
daz  ich  dich  einez  tragen  sol; 
wem  deiner  hundert,  ich  trueg  si  wol'' 

oder  Ahnliches  zu  humorvollem  Ausdruck  mit  den  Mitteln 
seiner  Kunst  bringen  wollte.  Wenn  man  das  nicht  will,  ist 
es  am  einfachsten,  in  dem  Zuge  eine  blosse  Andeutung  des 
von  dem  Heiligen  übernommenen  Amtes  zu  sehen.  Hingegen 
ist  eine  symbolische  Bedeutung,  dass  etwa  Christoph  in  seiner 
Eigenschaft  als  ein  grosser  Heiliger  die  sich  ihm  Anvertrauen- 
den sicher  durch  die  Stürme  des  Lebeus  trüge»  so  wenig  an- 
zunehmen wie  für  die  Tasche  selbst.  Wenigstens  vor  der 
Zeit  der  allegorischen  Betrachtungsweise  unserer  Legende, 
auf  welche  ich  im  vierten  Teile  zu  sprechen  kommen  werde, 
scheint  mir  die  Tasche  lediglich  ein  allmählich  eingebürgertes 
Stück  des  äusseren  ümundan  des  Heiligen,  wurzelnd  in 
der  lebhaften  Anschauung  seines  selbsthäuslichen,  primitiven 
Daseins,  gepflegt  in  der  Freude  am  genrehaften  Detail,  das 
unserer  älteren  Kunst  ihren  geheimen  Reiz  giebt.  Soweit  ich 
sehe,  fehlt  dem  italienischen  Typus  das  Motiv  vollständig. 
Ganz  ungehörig  aber  dünkt  mich  die  Erinnerung  des  Abb  6 


»)  Revue  de  l'art  chrdtien  ed.  Corblet  VIII,  477  flf. 


180  ^  Richter.  ]80 

Cochet^)  anlässlich  eines  Holzbildes  des  Heiligen  in  Saint- 
Lonp  zu  Chälons-snr-Marne,  welches  eine  offene  Tasche  trägt, 
deren  Schloss  durch  einen  Lederriemen  mit  dem  Gürtel  zu- 
sammenhängt ^) :  dass  solche  Taschen  im  Mittelalter  sehr  ge- 
bräuchlich waren,  dass  Eitter  sie  im  heiligen  Lande  trugen, 
um  Reliquien  darin  zu  bewahren,  und  G-eistliche  Almosen 
aus  ihnen  verteilten.  Späterhin,  als  die  allegorische  Deutung 
erst  einmal  im  Schwange  war,  mag  dann  die  Tasche  noch 
häufiger  geworden  sein  und  sich  in  der  Ikonographie  des 
Christoph  befestigt  haben  zu  einem  unentbehrlichen. 

Auch  ein  Rosenkranz  hängt  bisweilen  am  Gürtel  des 
Heiligen,  z.  B.  an  der  linken  Seite  der  berühmten  Statue  im 
Kölner  Dom;  ein  Stich  Barthel  Behams,  Ba  10,  legt  ihm 
einen  solchen  um  den  Nacken,  bei  Altdorfer  trägt  ihn  das 
Kind.  Wissensdünkel  hat  nicht  verfehlt,  auf  den  Anachro- 
nismus dieser  Ausstattung  hinzuweisen,  da  der  Rosenkranz 
erst  etwa  ein  Jahrtausend  nach  dem  dargestellten  Geschehnis 
während  der  ILreuzzüge  aufgekommen  sei^). 

Wichtiger  ist  es,  dass  noch  öfter  ein  Schwert  oder  Dolch 
in  dem  Gürtel  steckt,  z.  B.  auf  Dürers  Holzschnitt  Ba  104. 
Es  kann  uns  das  hinüberleiten  zu  einer  Klasse  von  Dar- 
stellungen, die  seinen  Träger  in  kriegerischem  Aufzuge  geben. 
Denn  war  es  auch  früherer  Kunst  gemäss,  das  Kostüm  der 
heiligen  Personen  in  freiester  Weise  nach  der  Mode  der  Zeit 
sich  wandeln  zu  lassen,  so  ist  es  doch  ausgeschlossen,  dass 
der  eine  oder  der  andere  beliebig  plötzlich  als  Soldat  hätte 
gedacht  werden  können:  man  möchte  meinen,  der  Zunftgeist 
der  Zeit  habe  solche  letzte  Willkür  verboten.  So  muss  diese 
Eigentümlichkeit  erklärt  werden.  Wir  haben  aber  schon  ge- 
sehen, dass  die  erweiterten  Fassungen  der  alten  Passio  hier 
hineinspielen ,  jetzt  gilt  es  nur  zu  verhüten,  dass  diese  Meinung 
missverstanden  werde.    Sie  ist  nicht  die,  dass  jeder  Künstler, 

')  Sepultures  gauloises,  romaines,  franques  et  normandes,  Paris 
1867,  p.  276. 

")  Abbildung  Gongres  arch^ologique  de  France,  Paris  1866,  p.  356. 
»)  ib.  p.  168. 


181  Dantellang  der  Legende.  181 

der  dem  Christoph  ein  Schwert  an  die  Seite  gab,  in  der  That 
eine  jener  Versionen  vor  Augen  gehabt  habe,  sondern  nur, 
dass  aus  ihnen,  vielleicht  auch  aus  der  Vorgeschichte  vonA, 
dem  älteren  deutschen  Gedicht,  in  welchem  Offer  in  ritter- 
lichen Kampfspielen  sich  übte,  das  Bewusstsein  kriegerischen 
Berufes  und  Dienstes  für  den  Heiligen  gewonnen  wurde,  zum 
wenigsten  partikulär,  und  dass  diese  partikuläre  Auffassung, 
wie  sie  in  der  litterarischen  Tradition  mehr  unausgesprochen 
wirkte  —  wie  stark  z.  B.  in  dem  Motiv  des  Dienstsuchens 
bei  einem  Herrn,  der  sich  vor  niemand  fürchtet,  in  jenem 
Gtedichte  AI  —  den  gewöhnlichen  Typus  der  bildlichen  Dar- 
stellung äusserlich  mehr  modifizierte.  Aus  zeitlichen  und 
künstlerischen  Verhältnissen  erklärt  es  sich,  dass  wir  wiederum 
zwei  Arten  der  Tracht  zu  scheiden  haben,  je  nachdem  unser 
Biese  als  Landsknecht  oder  antikisiert  auftritt.  Häufiger 
und  deutscher  ist  der  erstere,  unnatürlich  sind  unserem  Ge- 
fühl beide  Vorstellungen:  was  hatte  die  Legende  in  ihrem 
tieferen  Sinne  mit  äusserlich  soldatischem  Wesen  zu  thuu? 
Solch  einen  steifgespreizten  Herrn  mit  feinem  Barett,  weltlich 
gestutztem  Bart,  reichem  hellgrünen  Untergewand  und  blauen 
geschlitzten  Spitzenhosen,  wie  er  in  ungeheurem  roten  Mantel, 
einen  Stab  in  den  Händen,  mit  einem  Kinde  in  seinem  Nacken 
auf  einem  Gemälde  in  der  Martinskirche  zu  Zaltbommel  im 
Wasser  steht  ^),  hätte  das  Volk  nie  seinen  Christoffel  genannt, 
und  auch  kleine  Blätter,  die  ihn  so  darstellen  [z.  B.  ein 
kolorierter  Holzschnitt  aus  dem  15.  Jh.  Bkk.  I,  l77]  haben 
nie  etwas  Warmes.  Wohingegen  einzelne  Stücke  dieser  Staats- 
tracht mit  Vorteil  in  die  Darstellung  übergingen,  weil  sie, 
zwar  unbegründet,  doch  als  Detail  belebend  sind,  und  es  giebt 
einen  naiv  erfreulichen  Anblick,  wenn  etwa  dem  lieben  Grossen 
ein  Schwert  fragwürdiger  Beschaffenheit  zwischen  den  Beinen 
baumelt  [Holzschnitt  Wolfg.  Hubers]  oder  ein  Pederhut  oder 
sonstiges  im  Grunde  Undefinierbares  ihm  zu  einer  Art  proble- 
matischen,   aber   jedenfalls    gemütlichen  Aussehens    verhilft. 


>)  Henkelum  Taf.  IIL 


182  £•  Bichter.  182 

Das  lässt  man  sich  gern  gefallen.  Gar  nichts  aber  konnte 
die  Vorstellung  des  Heiligen  von  der  modischen  Unart  ge- 
winnen, ihn  mit  „antikischer"  Rüstung  auszustatten,  wie  Karl 
Schnaases  Wort  von  dem  Christoph  von  G-ravedona  es  aus- 
drückt.  Zu  welcher  theatralischen  Ausserlichkeit  die  Re- 
naissancezeit das  dann  ausbildete,  lässt  ein  Holzschnitt  in 
dem  Hortulus  animae,  1619  zu  Nürnberg  von  Fr.  Peypus 
gedruckt,  erkennen^).  Ein  so  unmögliches  wie  unbestinun- 
bares  Schutzstück  bedeckt  den  Heiligen,  das  Kind  aber  setzt 
einen  Fuss  auf  die  grosse  unmittelbar  auf  seinem  Oberarm 
ruhende  Weltkugel  und  haut  mit  einem  Schwertgriff  in  der 
erhobenen  Linken  nach  seinem  Haupte  —  wer  konnte  dabei 
noch  etwas  von  dem  empfinden,  was  die  Legende  wollte? 

Mir  ist  weiter  eine  Darstellung  des  Heiligen  zu  Gesicht 
gekommen,  die  ihn  in  Bergmannstracht  giebt.  Doch  mag 
dieselbe,  ein  Ausfluss  der  abergläubischen  Verehrung  Christophs 
bei  den  Schatzgräbern,  von  der  zu  sprechen  sein  wird,  nicht 
so  selten  gewesen  sein;  wenn  wir  von  Christophelbildern  bei 
abergläubischen  Beschwörungshandlungen  vernehmen,  dürfen 
wir  sie  uns  derart  denken,  nur  dass  der  verpönte  Zweck  ihrer 
Erhaltung  auf  unsere  Tage  nicht  eben  forderlich  gewesen  sein 
wird.  Der  kleine  Stich  eines  unbekannten  vom  Jahre  1620, 
an  den  ich  denke  [Ba  X,  127  no.  13],  stellt  den  Heiligen  ge- 
drungen gnomenhaft  in  kurzem,  enganliegendem  Wamse  dar, 
einen  ledernen  Überzug  auf  den  Beinen,  der  nur  Ferse  und 
Spitze  des  Fusses  freilässt,  einen  Kragen  um  den  Hals,  eine 
Kappe  auf  dem  Kopf,  um  seinen  Leib  geht  ein  Biemen, 
der  mehrere  Schlüssel,  ein  Blasinstrument,  einen  Beutel  u.  dgl. 
festhält.  Die  Bechte,  im  Fausthandschuh,  fasst  einen  Spiess. 
Mit  der  schriftlichen  Legende  hat  diese  Auffassung  keinen 
Berührungspunkt. 

Es  wäre  ja  denkbar,  dass  die  Landsknechtsdarstellungen 
einem  ähnlich  praktischen  Zwecke,  oder  zu  einem  Teile,  dienten 
und  dem  Schutzheiligen  gegen  plötzlichen  Tod  galten. 

')  Dibdin  The  bibliographical  decameron,  London  1817,  IT,  58.  1523 
ist  die  Gteste  des  Kindes  übrigens  verändert,  Fa  IV,  277  no.  169. 


183  Dantellang  der  Legende.  188 

In  merkwürdiger  Weise  die  drei  Abaichten  des  Beichexi, 
des  Fremden  und  des  Reisigen  mischend  stellt  sich  uns  schliess- 
lich jenes  öfter  genannte  Schrotblatt  aus  dem  16.  Jh.,  von 
dem  Meister  mit  dem  Weberschiffchen,  dar,  das  den  Heiligen 
hoch  zn  Boss  dnreh  den  Fluss  ziehen  läset  ^).  Man  hat  es 
erwähnt,  ohne  recht  zu  wissen,  was  man  damit  anfangen  solle. 
Da  der  Künstler  im  Übrigen,  auch  in  der  Umgebung,  dem 
Typus  folgt,  so  scheint  es,  als  habe  einen  phantastischen  Kopf 
das  Wunderbare  unserer  Legende  zu  solcher  S^^rulle  ver- 
führt. Oder  singulärer  praktischer  Zweck?  Doch  scheint  es 
noch  eine  zweite  ähnliche  DarsteUung  zu  geben:  Pa  III,  71, 
no.  210. 

Wir  wenden  uns  wieder  zu  dem  Holzschnitt  von  142^. 
Ein  Fisch  schwimmt  in  den  Fluten,  die  des  Heiligen  Füsse 
umschlingen.  Er  erscheint  erst  bedeutend,  wenn  wir  auf  vielen 
anderen  Darstellungen  ihm  und  seiner  Sippschaft  gleichfalls 
begegnen,  und  wenn  wir  bemerken,  dass  diese  Ehrenwertesten 
oft  eine  dem  Nächstbefindlichen  vermutlich  recht  unangenehme 
Physiognomie  zeigen.  Also:  einmal  auf  einem  Holzschnitt 
des  15.  Jhs.  heben  drei  Fische  ihre  Köpfe  aus  dem  Wasser, 
ein  andermal  [Meister  mit  der  Eichel  Pa  lY,  169  no.  1]  sitzt 
ein  Beiher  am  Ufer  und  hat  einen  im  Schnabel.  Aber:  auf 
einem  grossen  Trierer  Wandbild  tauchen  Teufel  aus  der  Tiefe 
um  den  Heiligen  auf  und  stürmen  gegen  ihn  an^),  auf  dem 
Kolossalwandbild  zu  Erfurt  Meerungeheuer,  Krokodile  und 
Klippfische^,  von  einer  Schlange  zu  seinen  Füssen  wird  be- 
richtet^). Im  Elreuzgang  am  Dom  zu  Brixen  sind  merk- 
würdigste Gestalten,  geigenspielende  Sirenen  mit  Fischschwanz 
und  Hörnern  auf  dem  Kopf,  phantastische  Unwesen,  eins  das 
andere  verschlingend,  in  bunter  Bewegung  zwischen  seinen 
Beinen.  Auf  einem  Bilde  am  „  Biesenhause  ^  des  Weilers 
Leiten  zwischen  Seefeld  und  Zirl  in  Tirol  berührt  ein  nacktes 


^)  Weigel  und  Zestermuin  1.  c.  no.  607. 

«3  Org.  f.  chriatL  Kunst  VIU,  76. 

')  Fiorillo  Gesch.  d.  zeichnenden  Künste,  Hannover  1816,  I,  489. 

*)  Cfthier  Charactöristiques  11,  760. 

13 


184  £•  Bichter.  184 

gekröntes  Meerweib  mit  der  linken  Hand  die  Wurzel  des 
Baumes,  den  Christoph  mit  Wipfel  und  Wurzeln  ausgerissen 
hat.  Auf  dem  Blatte  Jost  Ammans  [An  63]  tragen  die  Fisch- 
leiber einen  Löwenkopf,  eine  Sirene  beschaut  sich  wohlgef&Uig 
in  einem  kleinen  Spiegel.  Etc.  etc.  Für  französische  Dar- 
Stellungen  beweist  Ahnliches  Bodin'). 

Was  wollte  der  Künstler  damit  sagen,  dass  er  den  Heiligen 
in  solche  G^seUschaft  brachte?  Brei  Erklärungen  sind  yer- 
sucht  worden,  von  denen  ich  nur  die  eine,  die  mythologische 
Bodins,  ausschliesse.  Nach  ihm  soll  der  Christoph  an  die 
Stelle  einer  gallischen  Gottheit  der  Fruchtbarkeit  getreten 
sein,  des  Hercule  gaulois,  qui  6tait  considfirS  comme  le  principe 
de  la  f<6condit6  sur  la  terre  et  dans  les  eaux :  daher  das  Meer 
voll  von  Fischen.  Das  ist  offenbare  Fabelei.  Aber  sonst 
müssen  wir  unterscheiden.  Die  harmlosen  Fische  dienen,  wie 
häufig  in  der  Kunst,  einfach  zur  Bezeichnung  oder  Belebung 
des  feuchten  Elementes,  ohne  tieferen  geheimen  Zweck.  Die 
Sirenen  und  Meerweiber  aber  sind  ein  altes  Symbol  für  die 
Lockungen  der  Welt  %  eine  Sirene,  die  mit  der  Linken  ihren 
Schwanz,  in  der  Rechten  einen  Spiegel  hält,  galt  von  je  als 
Bild  der  Eitelkeit  %  und  dazu  kommt,  gerade  für  unsem  Fall 
bedeutsam,  die  Vorstellung  der  cmeretrices»  als  Sirenen,  wie 
sie  bereits  Isidorus  Hispalensis  vertritt^):  wir  erkennen  un- 
mittelbar, wie  der  Maler  auf  seine  Weise  ein  weiteres  Moment 
der  Legende,  die  Versuchung  des  Heiligen  durch  Nicaea  und 
Aquilina  oder  durch  den  Teufel  in  Weibsgestalt,  zum  Aus- 
druck zu  bringen  bestrebt  war.  Dann  ist  aber  eine  notwendige 
Folge,  dass  man  auch  die  anderen  ungeheuer,  die  Stachel- 
fische, Krokodile  u.  s.  w.,  als  sonstige  Bedrohungen,  die  dem 
gottergebenen  Christen  von  Seiten  der  bösen  Welt  nachstellen 
oder  imserem  Heiligen  nachstellten,  auffassen  muss ;  wie  jene 


^)  Beoherches  historiques  Bur  Saumur  et  le  haut  Anjou,  1891/S,  p.  S7. 
')  Pii)er  Mythologie  und  Symbolik  d.  christl.  Kunst,  Weimar  1851, 
p.  883. 

s)  ib.  p.  891. 

^)  Etymologiarum  Über  XI,  cap.  m  de  portentis ;  Patr.  lat.  Lxxxu,  428. 


185  Darstellimg  der  Legende.  186 

gaukeln  und  geigen,  sich  brüstend  heben  und  winken,  so  dräuen 
und  dr&ngen  diese :  es  schreibt  der  Maler  geheimnisToU  nieder, 
was  der  Legendist  ihm  Überliefert  hat.  Ich  mache  noch  dar- 
auf aufmerksam,  dass  er  deshalb  durchaus  nicht  die  ganze 
Legende  allegorisch  verstanden  zu  haben  braucht,  weil  er  ein 
paar  allegorische  Geheimzeichen  in  die  Darstellung  fügte,  wo 
der  weite  Baum  des  Meeres  ihm  Gelegenheit  bot. 

Man  begegnet  hier  und  da  der  Angabe :  es  sei  der  Fluss 
Jordan  ^)  gewesen,  über  den  S.  Christoph  seinen  kleinen  Ge- 
bieter trug ;  sehr  alt  und  sehr  verbreitet  kann  solche  Meinung 
jedenfalls  nicht  gewesen  sein.  Denn  abgesehen  davon,  dass 
wir  im  vierten  Abschnitte  von  Lokalisierungen  der  Legende 
im  Volksglauben  zu  berichten  haben  werden,  die  ausgeschlossen 
gewesen  wären,  wenn  eine  bestimmte  Tradition  den  Jordan 
überliefert  hätte,  bemerken  wir  in  diesem  Punkte  noch  die- 
selbe Unsicherheit  in  den  Darstellungen  des  16./16.  Jhs.,  wie 
sie  das  deutsche  Gedicht  A  verriet,  in  welchem  ja  cdes  meres 
phlum»,  tder  se»,  cder  pach»  auch  aufs  unbefangenste  ab- 
wechseln. So  steht  etwa  auf  dem  Holzschnitt  in  Der  heyligen 
leben  Augsburg  1472  CI  der  Heilige  in  einem  umschlossenen 
kleinen  Tümpel,  Dürer  dagegen  liebt  den  Fluss,  der  sich 
einmal  im  Hintergrunde  zum  Meer  erweitert,  und  dieser  Aus- 
weg wurde  weit  bevorzugt  vor  dem  wirklichen  Meer,  das  etwa 
Jost  Ammans  Holzschnitt  in  stürmischer  Bewegung  darstellt« 
Man  suchte  das  Wasser,  wie  wir  schon  sahen,  mit  Fischen, 
bisweilen  wohl  auch  mit  Schwänen  und  anderm  gefiederten 
Getiere,  öfter  durch  Schiffe  zu  beleben,  z.  B.  Kupferstich  des 
Meisters  mit  dem  Zeichen  AF,  Bkk  101—1888. 

Denn  selten  ist  es  verhältnismässig,  dass  der  Maler  oder 
Stecher  sich  beschränkt,  uns  nur  die  beiden  Gestalten,  den 
Biesen  und  das  Kind,  zu  geben.  Der  Bichtung  der  Zeit 
entsprechend  rahmt  er  sie  ein  mit  näherer  und  fernerer  Um- 
gebung, und  das  ist  meist  der  Punkt,  der  über  seine  künst- 
lerische Potenz  entscheidet,  indem  es  galt,  Hauptgruppe  und 


^)  Auch  d«8  Bote  Meer,  b.  IL  Maller  Lectures,  sec.  ser.  p.  652  Anm. 

18* 


186  ^  Richter,  186 

Beiwerk  in  richtigem  Verhältnis  zu  hiUten,  nnd  leicht  dieses 
in  indiskreter  Weise  jene  überschreien  konnte.  Wir  sind 
jedoch  anch  hier  nur  soweit  interessiert,  als  entschieden  werden 
xnussy  was  ans  der  Legende  ^u  erl^ären  ni^d  was  selbständige, 
aber  traditionejil  gefestigte  Zuthat  ist. 

In  dieser  Hinsicht  bietet  sogleich  i^r  Holzschnitt  von 
1423  eine  Frage.  Bechts  nnd  links  des  Flusses  lässt  er  einen 
schmalen  Streifen  Landes  entlang  gehen,  der  vom  unten  des 
Blattes  den  Flusslauf  unterbricht  und  auf  beiden  Seiten  oben 
felsartig  abschliesst.  Ein  paar  Bäume  sind  verteilt.  Links 
schreitet  auf  einem  Wege  ein  Mann  mit  Mehlsack  über  dem 
Bücken  von  der  unten  liegenden  Wassermühle  nach  dem  oben- 
stehenden Häuschen.  An  dem  Bach,  der  über  das  Mühlrad 
hinfliesst,  hält  ein  Esel,  um  zu  trinken,  eine  Person,  vielleicht 
eine  Frau,  sitzt  auf  ihm,  wiederum  mit  einem  Mehlsack. 
Bechts  unten  wird  aus  einem  Erdloche  das  Vorderteil  eines 
knabbernden  Tieres,  Kaninchens  wohl,  sichtbar;  weiter  oben 
kniet  ein  in  weiten  Kapuzenmantel  gehüllter  bärtiger  Eremit, 
eine  grosse  Laterne  mit  beiden  Händen  Christoph  entgegen- 
haltend. Hinter  ihm  steht  eine  Kapelle,  sehr  anspruchslos^ 
mit  einem  Glöckchen  darauf. 

Eremit  und  Kapelle  sind  traditionell,  nehmen  wir  das 
voraus.  Was  aber  soll  das  Übrige?  Auf  einem  Kupferstiche 
des  15.  Jhs.  Fa  II,  230,  no.  142  reitet  auf  einem  ungezäumten 
Pferde  ein  Mann  fort  mit  einem  vollen  Sacke  auf  dem  l^ücken ; 
und  auf  einem  farbigen  Holzschnitte  des  16.  [Bkk  ^16— 10] 
sehen  wir  rechts  in  der  Mitte  wieder  die  Mühle  mit  Schaufet- 
rad, während  auf  einem  Wege  nach  vom  ein  Knecht  mit 
erhobenem  Knüttel  den  Esel  mit  Sack  treibt.  Auf  der  Nord- 
wand der  Kapelle  zum  hl.  Geist  in  Kempen  am  Bhein  be- 
findet sich  im  Hintergrund  des  Christoph,bildes  eine  Mühle. 
\Jm  1475  wird  ein  Holzschnitt  datiert,  der  wie  der  von  1423 
das  Land  vom  unter  dem  Flusse  schliesst^).  Bechts  oben 
auf  der  Höhe  sitzt  der  Einsiedler  mit  einer  Fackel  vor  der 


•  0  ^eigel  und  Zestermann  1.  Ct  no.  184. 


l87  DanteUang  ddr  Legende.  187 

Kapelle,  ein  Gleichgekleideter  schreitet  mit  einem  Sack  auf 
dem  Bücken  den  Weg  zu  ihm  empor.  Links  vom  fliesst  ein 
dünnes  Flüsschen  über  das  Mühlrad  einer  Mühle,  vor  welcher 
ein  Mann,  vielleicht  geistlichen  Standes,  Holz  haut.  Erinneni 
wir  nn&  nun,  dass  in  dem  alten  deutschen  G-edicht  A  einö 
l)e8tmimte  Neigung  zu  genrehafter  Ausführung  des*  Wald- 
lebens Gfhristophs  imd  des  Einsiedlers  zu  Tage  trat,  so  darf 
als  Vermutung  wenigstens  aufgestellt  werden,  dass  jene  Einzel^ 
iieiten  vielleicht  auf  eine  andere  uns  verlorene  oder  bis  jetzt 
nicht  bekannte  Fassung  der  Legende  zurückgehen  mdgen^  in 
welcher  das  Idyllisch -Märchenhafte*  eine  noch  weitere  Aus- 
ibUdung  gefunden  hatte. 

Eine  solche  Annahme  würde  auch  durch  die  Wahrnehmung 
unterstützt  werden,  dass  der  Einsiedler  mit  seiner  Laterne, 
dem  wir  auf  dem  Holzschnitt  von  1423  begegnen,  zu  den 
festesten  2ügen  der  Christophdarstellung  gehört.  Ja  es  ist 
mir  kein  einziges  deutsches  Christophbild  vorgekommen,  das, 
Bobald  es  einmal  die  weitere  Umgebung  überhaupt  gab,  ihn 
nicht  irgendwie  in  ihr  postiert  hätte  ^).  Nun  ist  es  aber 
zweifellos  falsch,  wenn  Henkelum  die  bildliche  Nebeneinander- 
stellung des  Heiligen  und  des  Einsiedlers,  der  jeneii  zum  Herrn 
hinwies,  als  hervorgegangen  aus  dem  spezifischen  Charakter 
der  darstellenden  Kunst  bezeichnet,  und  ebenso  konnte  nur, 
wer  die  Geschichte  der  Legende  nicht  kannte,  wie  es  schon 
früh  geschah '),  in  dem  Letzteren  den  hl.  Cucufas,  der  mit 
S.  Christoph  am  gleichen  Tage  verehrt  wurde,  erblicken  oder 
wie  Hans  Burgkmair  auf  seinem  Bilde  im  Germanischen 
Museum  no.  169  vom  Jahre  1615  ihn  für  S.  Teit  ausgeben. 
Denn  es  ist  ganz  ersichtlich,  däss  hier  nicht  die  abgeleitete 
Fassung  der  Legenda  aurea,  sondern  einzig  das  alte  und 
originale  deutsche  Gedicht  A  für  die  Erklärung  in  betracht 
kommen  kann,  welches,  wie  wir  xms  erinnern,  den  Einsiedler, 


')  Man  konnte  ans  einer  XJferlandschaft,  die  den  Einsiedler  zeigte, 
anf  eine  Statae  des  hl.  Christoph  sehliessen :  Bulletin  monumental  XX,  159. 
*)  Nie  Serarius  Litaneuticus  U,  quaest  S6,  vi. 


188  K.  Bichter.  188 

um  Offers  langes  Ausbleiben  sorgend  eine  clnceme»  nehmen 
und  sich  von  seiner  Hütte  aus  auf  den  Weg  machen,  bei 
yölliger  Finsternis  am  Flusse  ankommen  und  dem  im  Wasser 
unter  seiner  Weltenlast  cumbstrebenden»  den  Kerzenschein 
entgegenstrecken  lässt,  dass  er  csich  verrichten»  kann  [V.  1008 
—1020.  1072—1088].  Überblicken  wir  aber  die  ungeheure 
Wirkung  dieses  Motives  auf  die  künstlerische  Darstellung^ 
so  wird  allerdings  höchst  wahrscheinlich,  dass  sie  nicht  allein 
auf  den  beiden  uns  erhaltenen  und  bekannten  Handschriften 
jenes  G-edichtes  und  etwa  ihrer  zu  erschliessenden  gemein- 
jsamen  Vorlage  beruhtei  sondern  dass  es  weitere  und  uns 
heut  verlorene  Texte  desselben  gegeben  habe,  deren  einer  ja 
denn  sehr  wohl  eine  sekundäre  Erweiterung  im  Sinne  der 
oben  berührten  auffälligen  bildlichen  Ausführungen  enthalten 
haben  mag. 

Über  das  Aussehen  des  EinsiedlerSt  einfach  und  stereo- 
typ, ist  wenig  zu  bemerken.  Er  trägt  eine  lange  Mönchskutte 
mit  Kapuze,  höchstens  noch  ein  Bosenkranz  stattet  ihn  aus, 
in  der  einen  Hand  hält  er  den  Stock,  in  der  andern  die 
Laterne:  ein  stilles,  anspruchsloses  Männchen,  mit  dem  sich 
die  grotesken  Figuren,  die  ihn  auf  einem  Bilde  der  Münchener 
Pinakothek  umgeben^),  offenbar  nur  irrtümlich  zu  schaffen 
machen.  Er  wird  in  der  flachen  Landschaft  [Dürers  Stich 
Ba  62]  oder  in  einem  felsigen  Engpass  [Dirk  Bouts'  Münchener 
Bild]  sichtbar  oder  tritt  eben  aus  der  kleinen  Kapelle  [Stich 
des  Allaert  Claesz  Ba  14] :  im  Allgemeinen  aber  ist  deutlich 
der  Moment  beabsichtigt,  in  dem  er  spähend  auf  das  Wasser 
hinausleuchtet,  wozu  er  etwa  ein  paar  Stufen  hinabsteigt 
[Meister  ES],  und  ich  glaube  sicher,  dass  die  Meinung  über 
ein  Christophbild  in  der  S.  Martinskirche  zu  Zaltbommel: 
am  jenseitigen  Ufer  befinde  sich  ein  Mann,  «die  met  een  speer 
schijnt  te  werpen»,  in  diesem  Sinne  zu  berichtigen  ist^). 


')  Sinemus  p.  49. 

*)  Verhsndelingen    der   koninklijke    akademie   van   weteDSchapen, 
Amsterdam  1868,  U,  SO. 


189  DanteUimg  der  Legende»  189 

^^^  •• 

Auch  die  Kapelle  fehlt  fast  nie. ,  Öfter  steht  sie  un- 
mittelbar am  Wasser  [z.  B.  auf  dem  Stiche  des  Meisters  Mz 
Ba  YI,  374  no.  7],  oder  Gebüsch  umgiebt  sie,  oder  sie  schaut 
Yon  steiler  Hohe  hernieder  [Dirk  Bouts'  Münch.  Bild].  Eine 
Kirche  mag  sich  auswachsen  [Dürers  Stich  Ba  SS].  Daneben 
deutet  bisweflen  eine  primitiYe  Hütte  die  dürftige  Unterkunft 
des  Opferfreudigen  an  [z.  B.  bei  Cranach].  Ein  ganzes  Dorf 
am  Ufer  erscheint  auf  Altdorfers  Stich  Ba  19.  Im  tieferen 
Hintergrund  zeigt  sich  nicht  selten  eine  Stadt,  in  der  mancher 
Künstler  wohl  den  Ort  des  Martyriums  hat  andeuten  wollen, 
gewisslich  nicht  Oranach,  der  die  Ufer  mit  einer  erdrückenden 
Fülle  von  Häusern,  Kirchen  u.  s.  w.  bestreut.  Diese  Ufer 
sind  meist  felsig,  oder  wenigstens  schliesst  das  Meer  in  der 
Feme  mit  einer  Gebirgskette  ab,  auf  deren  Höhe  vielleicht 
ein  Kloster  erscheint  [Meister  mit  der  Eichel  Pa  lY,  169 
no.  1].  Dirk  Bouts'  Münchener  Bild  erreicht  durch  seine  steilen 
hohen  Felsen  zu  beiden  Seiten  den  grossen  Vorzug,  dass  das 
Interesse  aufs  schönste  auf  die  Hauptgruppe  in  dem  Engpass 
zwischen  ihnen  konzentriert  wird  und  der  Hintergrund  leise 
zurücktritt.  Nicht  ein  jeder  besass  solchen  Takt.  Der  Stich 
des  Meisters  mit  dem  Zeichen  AF  giebt  ein  grosses  Land- 
schaftsbild mit  breitem  Fluss,  vier  hochgemasteten  Seeschiffen, 
wandelnden,  plaudernden,  speisenden  Menschlein,  einer  be- 
festigten Stadt  mit  Hafen,  Türmen  und  Thoren  und  einer 
Burg  in  der  Nahe.  Zerrissene  Wolken  flattern  am  Himmel, 
im  Vordergrunde  wird  ein  hoher  schlanker  Baum  vom  Sturm 
nach  links  gebeugt,  und  der  Fluss  schlägt  leidliche  Wellen: 
das  alles  aber  bleibt  rein  äusserlich.  Ohristoph  steht  am 
Ufer,  in  der  Mitte  des  Blattes  unten,  als  ob  es  ihn  nichts 
anginge,  ungeheuer  im  Verhältnis  zur  Umgebung,  und  doch 
in  der  Fülle  ihrer  lauten  Einzelheiten  zu  einem  Stück  Staffage 
herabgewürdigt. 

Die  Stellung  des  Einsiedlers  in  der  bildlichen  Darstellung 
berechtigt  uns,  auch  in  einem  anderen  Punkte  auf  das  alte 
Gedicht  A  zurückzugreifen.  Während  in  der  Legenda  aurea 
—  Ton  B,  als  der  offenbar  und  der  Natur  der  Sache  nach 


190  ^  Eichter.  190 

einflufislosesten  Version  in  jeder  Beziehung,  dürfen  wir  füg- 
lich absehen  —  der  n&chtliche  Charakter  der  Flussscene 
kaum  indirekt  angedeutet  wurde^  war  er  in  jenem  mit  ganz 
besonderer  Intensität  betont,  und  dadurch  aufs  glücklichste 
der  Eindruck  des  Schaurig-Gefahrlichen  hervorgebracht,  der 
ihrer  Idee  nach  in  dieser  Situation  notwendig  liegen  muss. 
Tgl.  A  y.  1003  ff.  1030  ff.  1048.  1069.  Der  darstellende 
Künstler  hatte  sich  damit  abzufinden ;  meist  aber  liess  er  die 
Sache  auf  sich  beruhen  und  gab  den  Vorgang  in  heller  Be- 
leuchtung. Ja  der  gute  Wolfgang  Huber  machte  sich  auch 
kein  Gewissen  daraus,  den  Einsiedler  bei  roUem  Sonnen- 
schein mit  qualmender  Fackel  umherlaufen  zu  lassen  [vgl. 
noch  den  Stich  Altdorfers  Ba  19  und  den  Schnitt  Jost 
Ammans,  auf  dem  ein  breites  Sonnengesicht  herabguckt]. 
Es  ist  wohl  ein  Ausweg  des  Dirk  Bouts,  dass  die  Sonne  eben 
über  den  Horizont  sich  erhebt:  früher  Morgen  und  die  Nebel 
spielen.  Andererseits  giebt  es  eine  Reihe  von  Darstellungen, 
die  das  Nachtwesen  unverkennbar  zum  Ausdruck  zu  bringen 
bemüht  sind,  und  wenn  auch  manche  Schnitte  und  Stiche 
wie  das  Wandbild  der  S.  Janskerk  zu  Gorinchem^)  ihre 
Sterne  in  den  Lüften,  ihre  Mondsichel  nur  als  äusserliche 
Zuthat  gaben,  so  dünkt  mich  doch,  dass  unter  den  nächtlichen 
Verbildlichungen  der  Legende  die  tiefsten  und  vollkonimensten 
überhaupt  zu  finden  sind. 

Zu  den  Zeiten,  von  denen  wir  reden,  war  die  Kunst^ 
oder  jede  Kunst,  ein  Handwerk.  Alle  Künstler  waren  Hand- 
werker, einzelne  wenige  dieser  Handwerker  erhoben  sich  zu 
Künstlern  in  einem  höheren  Sinne. 

Es  darf  an  diese  Wahrnehmung  erinnert  werden,  weU 
die  grosse  Mehrzahl  der  erwähnten  und  aller  übrigen  Christoph- 
darstellungen nichts  weiter  war  als  Handwerksware,  Illustration 
der  Legende.  Weil  aber,  was  diese  so  allgemein  beliebt 
machte,  notwendigerweise  auch  in  den  Statuen,  den  Bildern, 
den  Hunderten  von  Stichen  und  Drucken  zum  unwillkürlichen 


^)  Henkelum  Taf.  II. 


191  Darstellungf  der  Legende.  191 

Ausdruck  kommen  musBte,  die  den  irgendwie  Interessierten 
den  Heiligen  vergegenwärtigen  sollten,  so  war  eine  Betrach-* 
tung  dieser  Zeugen  einer  weitesten  Verehrung  im  stände,  uns 
auft  neue  und  deutlichste  zu  bestätigen,  dass  es  nicht  vor- 
wiegend das  religiöse  Interesse,  das  Interesse  für  die  Leiden, 
die  Olaubensstarke,  den  Q-laubenstod  des  Heiligen,  sondern 
vor  allem  das  Bedürfnis  nach  dem  Poetischen,  dem  Wunder* 
baren,  ja  dem  Märchenhaften  war,  welches  gerade  unsem 
Heiligen  zu  einem  so  bevorzugten  Lieblinge  der  Yolksphantasie 
machte.  So  meisselte,  so  malte,  so  zeichnete  man  ihn,  den 
grossen  S.  Christoffel :  plump,  roh,  ungeheuer,  ein  kleines  Kind 
seine  Last,  ein  kleines  Kind  seine  Liebe.  Wie  menschlich 
man  ihn  nahm,  im  Gegensatz  z.  B.  zu  dem  unseligen  hl.  8e* 
bastian  —  dafür  ist  eine  Art  statistischen  Zeugnisses,  dass  er 
wie  auch  das  Ejnd  selten  mit  der  Glorie  erscheinen,  öfter 
noch  dieses  als  er.  Auch  glaube  ich  nicht  zu  irren,  wenn 
ich  es  auffällig  finde,  wie  er  fast  nie  einen  sogenannten  Stifter 
empfehlend  dargestellt  wird  ^) :  es  war  das  in  seiner  Verehrung 
%S8  Sekundäre,  worauf  es  kaum  jemandem  ankam,  seine  Stellung 
tsum  himmlischen  Hofttaat,  sein  Amt  ak  Fürbitter.  Wo  er 
schützte  —  und  wir  werden  ihn  als  Nothelfer  ja  kennen  lernen 
—  da,  meinte  man  offenbar,  geschah  es  aus  eigener  Kraft. 
Es  ist  bezeichnend,  dass  man  sich  gar  nicht  scheute,  ihn 
dumm,  oder  stumpf  gleichgiltig,  oder  plump  behaglich  zu 
geben  [s.  z.  B.  den  Stich  des  Israel  van  Meckenem  Ba  90], 
er  durfte  mit  offenem  Munde  nach  oben  zu  dem  Elinde  herauf 
starren,  als  ob  er  ein  unbegreifliches  nicht  fasse,  wie  auf 
dem  Blatte  Hans  Baidung  Griens  Ba  38:  was  schadete  es 
dem  Bübezahl,  dass  man  ausser  seinen  Gutthaten  auch  Tücken 
und  Böswilligkeiten  von  ihm  erzählte?  Im  Gegenteil,  man 
empfand  ein  Behagen,  den  Gegensatz  des  Kraftmenschen  zum 
Kinde,  des  geistig  Armen  zum  AUerlieblichsten  und  Feinsten 
zur  Anschauung  zu  bringen  [vgl.  namentlich  Altdorfers  Stich 


^)  loh  kenne  nur  ein   Beispiel  in   den  Yiertzig  Sendbriefen  des 
Christoph  Scheorl. 


198  X.  Bichter.  192 

Yon  1631],  man  freute  sich,  die  eigene  menschliche  Erbärm- 
lichkeit in  seiner  Furcht  und  Angst,  in  seiner  Gequ&ltheit 
und  Gedrücktheit  wiederzuerkennen.  Denn  er  war  der  Heilige 
des  Volkes  und  nicht  der  Kirche,  ein  demokratischer  Heiliger, 
den  man  mit  gutem  Humor  wohl  eine  Art  Hausknechtsrolle 
im  Himmel  spielen  liess.  Vielleicht  könnte  man  auch  in  der 
künstlerischen  Darstellung  ein  Fortschreiten  von  einer  gemüt* 
licheren,  etwas  farbloseren  Auffassung  zu  einer  grelleren  und 
derberen  behaupten. 

Das  also  war  der  Christoph  des  Handwerks,  wie  ihn 
jedermann  kannte,  in  Händen  hatte,  oder  in  Stein  an  jeder 
Kirche  fast  in  riesiger  Grösse  sehen  konnte.  Die  wenigen 
Künstler  in  höchstem  Sinne  mussten  versuchen,  das  national 
und  demokratisch  Beschränkte  dieser  Gestalt  ins  allgemein 
Menschliche  zu  läutern. 

Hans  Memling,  der  deutsche  Hans,  hat  den  Christoph 
des  öfteren  gemalt.  Ich  sehe  ganz  ab  von  dem  Bilde  in  der 
Liebfrauenkirche  zu  Antwerpen,  dem  des  Herzogs  von  Arem- 
berg,  dem  des  Predigers  Heath,  die  ich  nicht  kenne.  Aber 
schon  auf  dem  Triptychon  des  Herzogs  von  Deyonshire  zu 
Chiswick  ist  diese  ganz  jugendliche  Auffassung  des  Christoph 
auf  dem  einen  Aussenflügel  nicht  mehr  die  gewöhnliche  deutsche. 
Er  fällt  zwischen  1461  und  1469. 

1484  hat  ihm  der  Heilige  soviel  an  Interesse  gewonnen, 
dass  er  jetzt  die  Mittelperson  im  Mittelstück  des  Triptychons 
ist,  das  er  für  die  Familie  Morcel  in  der  S.  Jakobskirche  zu 
Brügge  malt.  Das  Biesische  ist  völlig  abgethan,  der  hl.  Egidius 
und  der  hl.  Maurus,  die  auf  den  üfem  des  Flusses  zu  seinen 
beiden  Seiten  stehen,  sind  fast  gleich  gross').  Er  schreitet 
gerade  nach  vom,  seine  Haltung  ist  edel  und  schön,  fast  zart, 
kaum  die  Knie  leicht  gebeugt.  Das  Antlitz,  regelmässig,  mit 
kürzerem  Vollbart  und  den  langgewellten  Haaren  hat  etwas 

^)  über  die  Penonen  Crowe  und  Cavalcaselle  Les  anciens  peintres 
flamands,  Brüssel  1868,  U,  88.  Tanrel  1.  c.  p.  180  ff.  Lobrede  Friedrich 
Schlegels  Werke  18S8,  VI,  67.  Noiice  des  tableaux  des  Cooles  firanc.  et 
flam.  expos^s  an  vii  au  musee  Napoleon,  p.  54. 


193  DanteUoBg  der  Legende.  193 

Christasähnliches.   La  töte  est  belle,  fine,  pleine  d'mtelligence 
et  de  Tie. 

In  der  Pinakothek  zn  Manchen  ist  das  oftgenannte  be- 
rühmteste Christophbfld,  welches  Waagen  Memling  zu- 
geschrieben nnd  für  sein  ältestes  Werk  gehalten  hat;  man 
hat  sich  wohl  in  nenerer  Zeit  fttr  Dirk  Bonts  entschieden. 
Ausserlich  der  gel&nfigen  Vorstellung  näher,  erhebt  es  sich 
doch  durch  seinen  Ernst  und  Adel  Aber  sie:  nie  war  ein 
Christoph  sich  seiner  Bedeutung  so  bewusst  wie  dieser. 

Auch  sonst  begegnet  uns  wohl  eine  solche  Idealisierung 
ins  Tragische  hinein :  ein  Zeichen,  wie  innig  man  die  Legende 
empfand.  Ein  Eichenholzbildwerk  in  Oud-Zeyenaar  krönt  ein 
feines  ernstes  Haupt  mit  einer  Domenkrone.  Auf  einem 
Wandgemälde  der  8.  Pieterskerk  zu  Leiden  quält  sich  der 
Heilige,  dem  Erliegen  nahe,  am  Stabe  fort,  sein  Bücken  er- 
bricht unter  der  Last  des  grossen  ausgewachsenen  Knaben, 
den  er  huckepack  schleppt,  sein  Haupt  ist  ganz  hintüber- 
geworfen,  die  Augen  in  dem  emstschmerzlichen  Antlitz  er- 
löschen [Henkelum].  Das  ist  deutsche  Empfindung,  aber 
nicht  mehr  der  deutsche  Biese.  Die  Naivität  der  Legende 
ist  hier  völlig  überwunden. 

Dürer  dagegen.  Er  hatte  wie  zum  hl.  Hieronymus  ein 
persönliches  Verhältnis  zum  Christoph.  Keinen  andern  Heiligen 
hat  er  so  oft  dargestellt  wie  diese  beiden,  die  auch  etwas 
Yerwandtes  mit  einander  haben.  Um  beide  hat  er  ringen 
müssen,  bis  er  sie  im  Tiefsten  erfasste. 

Dürer  hat  den  Christoph  zusammen  mit  dem  hl.  Thomas 
von  Aquino  auf  dem  Hellerschen  Altare  1509  gemalt,  welches 
Bild  heut  in  der  städtischen  Kunstsammlung  zu  Frankfurt 
am  Main  sich  befindet.  Das  ist  ein  dürres  unerfreuliches 
Männchen  mit  mürrischem,  vertrocknetem  Gesicht,  hässlich 
weit  vorgeschobenem  Kinn.  Dann  haben  wir  einen  Holz- 
schnitt aus  dem  Jahre  1611,  Ba  103,  er  bedeutet  einen  Fort- 
schritt zu  äusserer  Freiheit,  ist  aber  im  wesentlichen  doch 
nur  Illustration.    Besser  erscheint  mir  Ba  104,  ohne  Jahres- 


194  K.  Richter.  l94 

zahl  überliefert,  obwohl  vielleicht  viel  früher  ^).  Lebendig  ist 
die  erschreckende  Überraschung,  der  Eindruck  der  Gefahr 
festgehalten,  wir  gewinnen  die  Überzeugung  von  der  Last  des 
Kindes  ohne  ein  äusserliches  Zusammenbrechen  aus  d^n  ge- 
meinsamen Leben  der  Einzelheiten. 

Das  eigentliche  Christophjahr  Dürers  ist  16SL  Er  ist 
in  Antwerpen:  9,dem  Meister  Joachim  [de  Patinir]  hab  ich 
4  Christophel  auf  grau  Fapito  verhöchf,  schrribt  er  in  sein 
Tagebuch  *).  Das  heisst :  er  experimentiert,  und  das  Ergebnis 
sind  die  beiden  Kupferstiche  dieses  Jahres,  von  denen  Ba  51 
die  Vorstufe  ist  zu  Ba  62,  dem  ersten  fehlt  noch  etwas,  mit 
dem  letzten  war  das  Problem  gelöst,  die  oberste  Staffel 
erreicht. 

Es  ist  lehrreich,  die  feinen  Unterschiede  beider  Blätter 
zu  bemerken.  Der  Fortschritt  gegen  so  viele  früheren  Dar- 
stellungen liegt  in  der  Konzentration  des  Interesses  auf  die 
zwei  Hauptpersonen  und  in  der  Erregung  der  Situations- 
stimmung. Es  ist  tiefe  Nacht,  einsames  Schweigen  herrscht. 
Nur  vom  Haupte  des  Kindes  leuchtet  ein  göttlicher  Glanz 
in  das  Dunkel  hinaus.  S.  Christoph  hat  nichts  Plumpes, 
Kohes  mehr,  er  ist  kaum  übernatürlich  gross,  ein  kräftiger 
Manu  mit  kürzerem  vollen  Barte.  Auf  dem  ersten  Blatt 
scheint  er  noch  etwas  steif,  sein  Gesicht^  so  fein  und  mit 
Liebe  der  Kopf  im  Ganzen  ausgeführt  ist,  entbehrt  doch  noch 
der  höchsten  Anteilnahme  am  Geschehenden,  und  das  des 
Kindes  hat  etwas  Geschwollenes,  Leer-Liebliches,  wie  es  auch 
mit  merkwürdig  grossen  Händen  in  die  Locken  des  Heiligen 
fasst.  Später  aber  liegt  es  ihm  über  Schulter  und  Kopf, 
man  glaubt  zu  sehen,  wie  es  mit  eigener  Anstrengung  nieder- 
drückt, nur  mit  dem  einen  Armchen  nach  oben  weisend,  und 
den  Eindruck  dieser  Last  giebt  die  gewaltig  angespannte 
Huskulator  Christophs,  die  beiden  Fäuste  und  der  hier  sichtbar 
gewordene  Oberarm,  das  qualvoll  müde  nach  vom  blickende 

^)  Thaosing  Därer,  Gesoh.  seines  Lebeni  und  seiner  Kunst,  Lpz. 
1876,  p.  227:  ca.  1604. 

*)  Reliquien  von  Albtecht  Dürer,  Nürnb.  1828,  p.  172. 


19i  Darstellung  der  Legende.  195 

Antlitz.  Seine  Schritte  wollen  sich  in  dem  herabsinkenden 
Mantel  yerwickeln.  Der  Einsiedler  geht  nicht  mehr  in  der 
Feme  der  Landschaft  umher,  dicht  am  Ufer  späht  er  mit 
erhobener  Fackel  auf  das,  Wasser  hinaus.  So  steht  alles  in 
intimster  Beziehung  zu  der  Bedeqtung  des  Mon^enteSi  und 
jede  Linie,t  jeder  Lichtstrahl  offenbart  die  Liebe»  mit  der 
I>iirer,  wenn  ih(n  etwas  innerlichst  vertraut  geworden  war, 
es  wiedergab ;  eine  beängstigende  Liebe  fast  für  uns  moderne 
Menschen, 

Ein  letzter  Hobschnitt  aus  dem  Jahre  1526,  Ba  105, 
ist  nicht  von  Dürer  ^).  S.  Christoph  steht  in  voller  Figur  auf- 
recht da,  das  ganze  31i^tt  einnehmend,i  das  Wasser  reicht  ihm 
kaum  über  die  Knöchel.  Seine  Gestalt  ist  prächtig  in  dem 
Ebenmaass  ihrer  Körperlichkeit,  aber  doch  nicht  mehr  als 
ein  Akt  oder  ein  einzurahmender  StubenheiHger. 

Dürers  Christoph  steht  uns  nah,  aber  er  ist  nicht  eigent- 
lich modern.  Sollte  der  Heilige  uns  heut  noch  etwas  sein 
können,  so  würde  ihn  der  jetzüebende  Künstler  von  einer  ganz 
anderen  Seite  zu  packen  haben.  Etwa  ia  der  Art,  wie 
Wallerant  YaiUant  ihn  giebt'). 

Yaillants  Blatt  ist  nach  einem  Bilde  Elzheimers,  das  wir 
nicht  mehr  haben  (?),  gefertigt,  für  unseren  Zweck  aber  kommt 
es  nicht  darauf  an,  wer  das  Meiste  zu  dem  erreichten  Ein- 
drucke gethan  hat.  Dieser  Eindruck  ist  wunderbar.  Ein 
Fluss,  nach  hinten  sich  verengend,  liegt  zwischen  dunkel  be- 
waldeten üfem  traumhaft  schweigend  im  leisen  Schimmer  des 
Mondes  da.  Die  Sterne  flimmern  durch  die  dünnen  Wolken- 
düfte, und  alles  ist  still  und  ruhig.  Nur  wo  der  Heilige 
schreitet,  scheint  das  Wasser  in  Bewegung  zu  sein,  sich  öftien 
zu  wollen  und  ihn  in  die  Tiefe  zu  ziehen.  Bastlos  aber 
schreitet  er  weiter,  im  Dienste  der  Pflicht,  liebevoll  fest  das 
sich    ihm  Vertrauende    haltend.     Der    Schauer    der    Nacht 


')  Thanmog  Difaper  p.  840  Anm.  1. 

')  Weifldiy  Vaülant»  Yerzeichnia  seiner  Knpferitiche  und  Schwars»- 
kuiutblätter  101/2. 


196  ^  Richter.  196 

ringsum,  nur  auf  seinen  und  des  Kindes  Bücken  haucht  der 
Mond  seinen  leichten  Euss.    Alles  so  einfach,  so  schlicht. 

Das  Blatt  ist  en  maniöre  noire  radiert,  in  einer  ganz 
spezifisch  modernen  Technik.  Im  17.  Jh.,  in  dem  es  entstand, 
war  die  Blütezeit  der  Christophbilder  vorbei.  Man  sieht 
deutlich,  dass  es  YaHlant  oder  Elzheimer  auf  den  Heiligen 
selbst  nicht  im  geringsten  ankam,  Tielmehr :  eine  Empfindung, 
eine  Stimmung  zu  geben,  wie  sie  dem  modernen  Menschen, 
wenn  er  sich  in  die  Ohristophlegende  zu  versenken  versucht, 
etwa  entgegenatmet.  Lassen  wir  im  Grossen  noch  einmal 
eine  Beihe  Ohristophdarstellungen,  von  den  ältesten  bis  zu 
dieser,  vorüberziehen,  so  bemerken  wir  ein  allmähliches  Über- 
gehen der  naiv  gläubigen,  realen  Auffassung  in  eine  sensiblere, 
geistigere.  Die  Beformation  bedeutete  das  Ende  jeder  naiven 
Gläubigkeit  auch  für  die  katholische  Welt,  nun  hatte  auch 
S.  Christophorus  seine  BoUe  in  der  Kunst  ausgespielt.  Yaillants 
Christoph  ist  kein  eigeütlicher  Christophorus  mehr,  wenigstens 
kann  keiner  das  dabei  empfinden,  was  fiühere  Künstler  im 
Christophorus  ausgedrückt  hatten. 

Noch  einmal  dürfen  wir  auf  den  Christoph  ihrer  Zeit 
zurückkommen,  noch  einmal,  um  zu  bestätigen,  wie  vertraut, 
wie  lebendig  geworden  er  der  Volksphantasie  war,  dass  man 
mit  ihm  umging,  mit  ihm  verkehrte  als  mit  einem  Nächsten, 
weil  ihm  so  gar  nichts  exklusiv  Heiliges  anhaftete.  Denn 
es  ist  nicht  wahr,  wie  man  es  wohl  zu  lesen  findet,  dass  er 
ausschliesslich  im  Typus  dargestellt  wurde.  Zwar  von  dem 
Ausserlichen  mögen  wir  absehen,  dass  er  oft  schon  dicht  am 
Ufer,  etwa  mit  einem  Fusse  bereits  auf  demselben  ist  -:-  das 
Extrem  böte  Lucas  Cranach,  auf  dessen  Holzschnitt  das  eine 
Bein  noch  tief  im  Wasser  steckt  und  keinen  Orund  zu  finden 
scheint,  während  die  eine  Hand  ängstlich  sich  in  den  Erd- 
boden einkrampt,  um  Halt  und  Hochschwung  zu  gewinnen: 
eine  geringe  temporale  Verschiebung  der  gewöhnlichen  Situa- 
tion. Aber  auch  reizende  genrehafte  Scenen  giebt  es,  wo  es 
denn  wohl  in  den  Katalogen  heisst:  Christoph  am  Ufer  ruhend; 
doch  wenn  jede  andere  Spur  seiner  Legende  uns  irgendwie 


197  Dantellong  der  Legende.  197 

verloren  gegangen  wäre,  wenn  wir  nichts  wässten  von  dem 
starken  Oliristophorasy  der  das  Ohristkind  dorch's  Meer  trug : 
wir  würden  diese  Blätter  sicher  nicht  auf  einen  Heiligen  und 
den  Herrn  der  Welt  deuten,  cBiese  und  Däumling»  müssten 
sie  rubriziert  werden,  in  deutscher  Märchen-  und  Sagenpoesie 
würden  wir  uns  umthun,  um  die  Übereinstimmung  in  ihnen 
auf  irgend  etwas  Bekanntes  zurückzuführen. 

Da  ist  etwa  ein  entzückendes  kleines  Blatt  von  Altdorfer 
[Holzschnitt  Ba  64].    Wie  so  ein  richtiger  wilder  Mann  lagert 
Christoffel  am  Ufer  des  Flusses,  das  rechte  Bein  lang  auf  den 
Boden  hingestreckt,  das  linke  emporgestellt,  auf  die  eine  Hand 
-sich  stützend,  mit  der  andern  den  Stab  fassend.    Nur  ein 
^grobes  Tuch  deckt  dürftig  seine  Nacktheit.     Den  struppig 
>^emütlichen  Kopf  neigt  er  einem  Bübchen  zu,  das  in  Hosen 
imd  Wämschen  mit  Spitzenkragen,  ein  Stöckchen  in  der  Hand, 
vom  Wasser  zu  ihm  heraufgestiegen  ist.    und  über  dem  „Ge- 
waltigen"  und  über  dem  lieben  Krausköpfchen  breitet  sich 
schirmend  ein  starker  Baum. 

Bartel  Beham  hat  einmal  Ahnliches  gestochen:  Ba  10, 
ohne  diesen  Grad  glücklicher  Naivität  zu  erreichen;  bei  ihm 
schaut  der  Heilige  nicht  nach  dem  Christkind,  sondern  nach 
einem  über  ihm  schwebenden  Engelchen.  Er  ist  offenbar  so 
überrascht  wie  wir  über  diese  singulare  Erscheinung,  und 
etwas  derangiert,  einen  Ärmel  hat  er  an,  den  andern  nicht, 
und  ein  Hosenbein  ist  ihm  völlig  herabgefallen  u.  s.  w.  Dazu 
scheint  man  ihn  im  Trinken  unterbrochen  zu  haben,  wie  die 
geöffnete  Flasche  in  der  Linken  andeutet,  ein  BeU  und  Hut 
liegen  endlich  unordentlich  neben  ihm.  Also  derselbe  Humor, 
der  den  Christoph  der  geschriebenen  Legende  zum  heiUgen 
Yielfrass  machte,  hier  drückt  er  ihm  die  Flasche  in  die  Hand. 

Gott  Vater  erscheint  in  den  Wolken,  wohl  auch  mit 
Christus  am  und  der  Taube  auf  dem  Kreuze  über  dem  Hei- 
ligen im  Wasser  auf  dem  angeblich  Dürerschen  Holzschnitt 
Pa  S49  und  dem  Gemälde  zu  Gorinchem.  Das  sei  hier  in 
ganz  äusserlichem  Zusammenhange  zu  ergänzen  erlaubt,  da 
ich  es  sonst  nicht  unterzubringen  wüsste« 


198  K-  Bickter.  198 

Lucas  van  Leyden,  auf  den  Dürers  Vorliebe  für  dea 
Hefligeu  vielleicht  bei  ihrem  Zusammentreffen  in  Antwerpen 
1631  überging,  und  Allaert  Claesz  haben  auf  ein  paar  Blättern 
sich  enger  als  Beham  an  die  geschriebene  Legende  ai^e- 
schlössen  [und  zwar  an  die  Version  A].  Drüben  am  andern 
Ufer  steht  ein  Kind  und  schreit  und  winkt,  bei  jenem  trägt 
es  lustigerweise  sogar  schon  die  Weltkugel  mit  sich,  auf  d&a 
diesseitigen  Ufer  richtet  sich  der  Heilige  eben  schlaftrunken, 
blöde  oder  grimmig  aus  dem  Schlafe  auf  und  schaut  nach 
der  Störung.  Einen  späteren  Moment  giebt  z.  B.  Anton 
Wierix  [Kupferstich  An  891],  ind^n  er  den  Heiligen  gerade 
am  jenseitigen  Ufer  ankommen  und  das  yertrauensvoll  zu  ihm 
aufschauende  Eänd  anfassen  lässt,  um  es  zu  sich  zu  heben, 
oder  es  fasst  ihn  wohl  auch  um  den  Hals,  um  sich  von  dem 
herabgebeii^ten  Biesen  anfhdimen  zu  lassen:  Bkk  Ms.  Ha- 
milton 316,  Miniatur  des  Breviars  Grimani^). 

Endlich  möchte  man  als  Beleg,  dass  S.  Christoph  auch 
als  Märtyrer  seinen  deutschen  Charakter  nicht  verlor,  den 
Holzschnitt  eines  Unbekannten  [aus  dem  16.  Jh.]  anf&hren, 
der  im  Katalog  des  Bkk  den  Titel  trägt:  Christoph  zum 
Tode  geführt.  Eine  drängende  Menge  Ton  Bewaffiieten  führt 
einen  sie  um  zwei  Häupter  Länge  überragenden  Heiligen  in 
ihrer  Mitte  von  einem  Gefängnis  fort,  man  sieht  von  ihm 
nur  den  bärtig  ernsten  Kopf.  Die  Leute  um  ihn  sind  höchst 
verschieden  ausgerüstet,  einer  trägt  einen  rauhen  Fellanzug, 
sie  halten  Lanzen,  Partisanen,  einer  auch  eine  Gabel,  in  den 
Händen.  Also  eigentlich  nichts,  was  uns  zwänge,  an  die 
Christophlegende  zu  denken ;  das  auf  der  Rückseite  gedruckte 
—  das  Blatt  ist  aus  einem  Buche  genommen  —  hat  niclit 
entfernt  Beziehung  auf  sie,  sodass  ich  nicht  sicher  bin,  ob 
wir  es  hier  wirklich  mit  einem  Christoph  zu  thun  haben. 
Den  knieenden  Christoph  und  den  Henker  an  seiner  Seite» 
wie  er  im  Begriff  ist,  das  Schwert  zu  ziehen,  stellt  die  Nün^ 


>)  Revne  de  Fart  phretien  1694,  Taf.  I,  fig.  6. 


199  Dantellong  der  Legende.  199: 

berger  Ausgabe  des  Lebens  der  Heyligen  von  1488  dar,  ohne 
Charakter^). 

Das  sind  nur  einige  Fälle,  die  sich  yielleicht  mehren 
Hessen.  Aber,  was  mir  einzig  am  Herzen  liegt,  zu  zeigen, 
dass  im  deutschen  Christoph  ein  Stück  deutscher  Volksseele 
verkörpert  war,  das  hoffe  ich  erreicht  zu  haben.  Als  Folie 
mögen  nun  einige  Betrachtungen  über  den  nichtdeutschen 
Christophorus  dienen,  die  trotz  der  Lückenhaftigkeit  des 
Materiak,  mit  der  hier  ja  notwendigerweise  noch  mehr  zu 
rechnen  ist,  dem  direkten  noch  einen  indirekten  Beweis  er- 
gänzend beifügen  werden. 

Es  ist  bezeichnend,  dass  Rubens  den  Italienern  in  der 
Christophdarstellung  nahe  steht.  Das  lässt  zur  genüge  er- 
kennen, worauf  es  beiden  ankam,  man  möchte  sagen:  nicht 
auf  den  Geist,  sondern  auf  das  Fleisch  der  Legende.  Der 
Christophorus  war  ein  famoses  Sujet,  um  in  schöner  Körper- 
lichkeit schwelgen  zu  können :  das  ist  in  der  That  seine  ganze 
und  seine  tiefste  Bedeutung  für  die  entwickelte  italienische 
Kunst.  Es  war  natürlich,  dass  er  sich  zu  diesem  Zwecke 
aller  nordischen  Hüllenlast  entäussem  musste,  nackt  oder  so 
gut  wie  nackt  freut  er  sich  in  ihren  Werken  seines  toU- 
kräftigen  Daseins.  Es  ist  schon  selten,  dass  er  wenigstens 
ein  die  Formen  nicht  verbergendes  Hemd  trägt:  Fresko  des 
Masacdo  in  S.  Clemente  zu  Bom,  oder  gar  einen  Lenden- 
schurz und  ein  flatterndes  Tuch  über  dem  Kücken:  Flügel- 
bild des  Lorenzo  Lotto  im  Berliner  Museum«  Meist  aber 
hat  er  nur  einen  leichten  Schleier  um  die  Lenden  oder  über 
den  Armen,  der  nach  hinten  im  Winde  flattert;  der  Sattel 
und  das  grosse  Tuch,  das  ihm  Ambrogio  Borgognone  auf  dem 
Bilde  der  Baczynskischen  Galerie  giebt,  ist  das  Schwerste, 


*)  Die  Darstelhmgen  des  Baseler  Fassionaels  von  1617  sind  wohl 
wülkarlich  and  obne  Belang:  linki  ein  jugendlicher  bartioser  Bitter  mit 
langen  Locken,  in  voller  Büstung  knieend,  neben  ihm  der  Henker,  sein 
Hsnpt  berührend,  das  blosse  Schwert  anfrtatzend,  im  Hintergrund  Stadt 
und  Meer,  rÄshts  ein  alter  langbärtiger  Kann  mit  Krone  von  Kriegs- 
knechten umringt  (?). 

14 


MO  SL  Biohter.  900 

was  ich  an  Bekleidung  y<m  Säten  der  Italiener  gesehen, 
um  so  seltsameren  Eindruck  macht  es  dann,  wenn  ihm  trots- 
dem  ein  Sdiwert  zur  Seite  hängt,  gewohnlich  an  einem  Leder- 
riemen,  der  ttber  die  Schulter  geht  [Stich  des  Francesco 
Amato  Ba  4,  des  Orazio  fiorgiani  Ba  58].  Man  emj^det 
in  diesen  Ausserlichkeiten  die  dürftigsten  Beste  einer  Tradi- 
tion, die  den  Todeskampf  k&mpft. 

Bs  gestattete  dieser  Mangel  an  Kleidung  aber  eine  weit 
kotigere  Stellung  des  Heiligen,  eine  dramatiBchere  Aussprache 
der  Situation.  Öfters  macht  das  Kind  den  Eindruck,  als  be- 
rühre es  nur  die  Schulter,  um  flüchtig  dayonzueilen  [Sticli 
des  Marcanton  Ba  146,  der  auch  Dürers  Ohristoph  Ba  104 
kopierte].  Der  italienische  Christoph  selbst  stürmt  mit  siegen- 
der Vehemenz  daher  [Stich  Quido  Benis  Ba  14],  oder  er  fetsst 
den  Stab  mit  beiden  Händen  und  legt  sich  zum  Sprung  an 
[Tizians  Bild  im  Palazzo  Ducale]  oder  er  kriecht  zusammen- 
gebrochen auf  Händen  und  Füssen  am  Ufer  hin  [Stich  des 
Bartol.  Biscaino  Ba  36  ^)].  Dieses  leidenschaftliche  Sichgebmi 
bedingte  jedoch  Ton  yomherein  den  Ausschluss  einer  Bcijahrt» 
heit,  wie  sie  in  den  deutschen  Darstellungen  zumeist  henror- 
tritt:  im  Süden  ist  der  Christophorus  ein  jugendlicher  Mann, 
er  trägt  einen  kurzen  spärlichen  Bart  statt  des  nördlichen 
Biesenbartes,  und  seine  Grösse  bleibt  &st  immer  schön,  frei, 
leicht,  nie  hat  sie  etwas  Plumpes  und  Schweres.  Diese  ideali- 
sierte vollendete  Männlichkeit  entbehrt  denn  freilich  auch 
völlig  der  Würde,  des  Ernstes,  des  ruhigen  Sdbstvertrauens 
unseres  heimischen  Ohristoph:  sie  ist  charakterlos«  Wenn 
der  italienische  Ohristoph  Oharakter  hat,  so  ist  es  der  einee 
rohen  Schifferknechtes,  eines  wilden  E^raftmenschen :  man  ver- 
gleiche Fiorenzo  di  Lorenzo  Jl  crodfisco  coi  santi  Girolamo 
e  Oristoforo  ^  und  das  Bild  des  Oosimo  Tura  in  der  Berliner 
Galerie,  den  Stich  des  Boi^^iani  Ba  63]. 

Erklärlich,  dass  diese  Art  der  Ohristophdarstellung  aUee 


^)  „mettant  i  terre  reiilant<<  ? 

')  Archivio  storico  deU'arte  V  Taf.  nr. 


901  Dantellonf  der  Legende.  201 

Genreh&fte,  Klein-Intime  yerschmähte.  Von  Gürtel,  Tasdhe 
und  dgL  ist  nicht  die  Rede,  auch  die  Stimbinde  habe  ich 
meist  Yermisst.  [Nor  bei  Oosimo  Tara  ist  sie  als  eine  dünne 
Schnur  erhalten.]  Am  wichtigsten  aber  ist,  dass  die  Land- 
schaft mit  dem  Einsiedler,  der  EapeUe  u.  s.  w.  durchaus  fehlt: 
wir  sehen,  aus  der  Erzählung  der  Legenda  aurea  konnte  diese 
Verbindung  nie  und  nimmermehr  erwachsen.  Diesen  Italienern 
genügt  ein  Stück  kahles  Ufer  [Beni]  oder  zwecklose  wilde 
Fds-  und  Gebirgsmassen  [Boigiani],  Tizian  giebt  den  Prospekt 
Ton  Venedig  in  der  Feme.  Das  alles  hat  ja  gar  nichts  mit 
dem  Heiligen  zu  thun.  Nächtlichen  Charakter  der  Situation 
habe  ich  nie  gefunden.  Der  Stab  des  Heüigen  ist  gewöhnlich 
deatlich  erkennbar  Ton  einer  südlichen  Baumart,  etwa  einer 
Palme  mit  grossen  Früchten. 

Sahen  wir  den  ganzen  Beiz  deutscher  Ohristophauffassung 
in  den  nichtiypischen  Scenen  sich  offenbaren,  so  sei  auch  der 
italienischen  Darstellungen  dieser  Art  gedacht.  Da  sitzt  etwa 
das  E[ind  mit  der  Weltkugel  wie  hülflos  erschöpft  am  Ufer 
und  streckt  dem  auf  seinen  Buf  eben  vom  jenseitigen  Ufer 
gekommenen  Heiligen  die  Hand  entgegen  [Francesco  Amato 
Ba  4] :  die  Weise,  in  der  das  ausgeführt  ist,  lässt  uns  völlig 
gleichgiltig.  Die  berühmten  Fresken  in  der  S.  Jakobs«  und 
Ghristophskapelle  der  Eremitani  zu  Padua  geben  in  sechs  zu 
zwei  und  zwei  übereinander  liegenden  Feldern  die  Legende 
in  ihren  Hauptpunkten.  In  den  beiden  oberen  hat  Zoppo 
die  Vorgeschichte  dargestellt,  wie  ich  glaube  ^) :  links  Christoph 
Tor  dem  thronenden  König  stehend,  an  der  Thür  des  Gemaches 
steht  ein  lauschender  oder  pochender  Zwerg  (?),  rechts  Christoph 
«inigen  Beitem,  deren  vorderster  wohl  der  Teufel  als  cmiles 
ferus  et  terribilis»,  begegnend;  in  den  beiden  mittleren  links 
JBono  den  Heiligen  mit  dem  Kind  auf  der  Schulter  auf  einer 
Xtfindspitze  vom  aufrecht  stehend,  den  einen  Arm  in  die  Hüfte 

^)  Von  den  vier  oberen  Feldern  habe  ich  nur  durch  eine  sehr 
kleine  Skizze  des  Herrn  F.  Stnmmel  in  Khevelaar  eine  angefähre  An- 
-echanong  gewonnen.  Vgl.  aber  WoHmann  in  Dohmes  Sinnst  und  Künst- 
ler n,  1,  p.  6. 


202  ^'  Biohter.  202 

stützend,  mit  dem  andern  den  Stab  haltend,  neben  ihm  ein 
halb  80  groeser  Mensch  mit  einem  Gefass,  hinten  Landschaft, 
mit  Stadtmauern,  Zelt  etc. ;  rechts  Ansuino,  wie  Christoph, 
hier  bekleideter,  aus  dem  Porticus  des  Tempels  tritt  und  den 
vor  und  um  ihn  knieenden  Kriegsleuten  die  Hand  reicht,  in 
der  andern  hat  er  wieder  den  Stab.  Die  beiden  untersten, 
den  martirio  di  s.  Cristoforo  fortsetzend,  sind  vom  grossen 
Mantegna,  malerische  Haupt*  und  Staatsactionen.  Die  eine 
giebt  den  Augenblick,  da  der  dem  Heiligen  zugedachte  Pfeil 
in  das  Auge  des  Königs  fliegt,  der  oben  in  dem  Fenster  eines 
prächtigen  Palastes  steht;  die  andere  den  wohl  tot  am  Boden 
liegenden  Körper  inmitten  von  Bewa£Eheten.  Leider  ist  der 
Heilige  selbst  in  beiden  Fällen  zerstört,  doch  scheint  er  noch 
kolossaler  genommen  zu  sein  als  von  den  beiden  oberen, 
während  in  Zoppos  Bildern  die  übermässige  Grösse  nicht 
hervorgehoben  ist.  Immer  aber  ist  es  der  jugendliche  bart- 
lose Mann,  den  sie  alle  geben.  Auf  dem  ersten  Felde 
Mantegnas  war  er  an  eine  Säule  gebunden,  schlanke  Schützen, 
im  Kreise  um  ihn  herumstehend,  richten  ihre  Bogen  auf  ihn, 
mehr  im  Hintergrunde  ein  G-efängnis,  in  dessen  beiden  oberen 
Fenstern  eine  weibliche  und  eine  männliche  Figur  sichtbar 
werden,  vielleicht  eine  der  Buhlerinnen  und  einer  der  auf- 
sässigen consules  der  alten  Fassio.  Für  das  zweite  sei  es 
erlaubt,  auf  die  so  ganz  andere,  unnaive  Komik  hinzuweisen: 
ein  kleiner  Knirps  steht  ängstlich  neben  dem  Riesenkörper, 
ein  Ejrieger  lächelt  gutmütig  zu  ihm  herab:  im  Gegensatz 
zu  der  deutschen.  —  Den  Moment  der  Enthauptung  giebt 
ein  Gemälde  des  Lionelle  Spada  im  Mus6e  royal  zu  Paris 
no.  1232:  Christoph,  entkleidet,  empfängt  von  einem  Engel 
die  Märtyrerkrone  ^). 

Man  mag  einwenden,  dass  alle  diese  Darstellungen  be- 
reits in  Zeiten  fallen,  in  denen  das  künstlerische  Lidividuum 
schon  frei  genug  war,  sich  über  die  Tradition  zu  erheben. 
Das    würde    nur    beweisen,    dass    eine    wirklich    lebensvolle 


^)  Notice  des  tableaox  expos^s  dans  le  m.  r.,  Paris  1888,  p.  228. 


203  Dantellang  der  Legende.  303 

Tradition  eben'  nicht  bestand,  eine  Tradition,  die  auf  einem 
im  Yolksbewnsstsein  regsamen  Bilde  des  HeUigen  beruhte. 
Schon  das  Gemälde  Taddeo  Gaddis  in  der  Berliner  Galerie, 
das  ungefähr  einen  Zustand  der  Darstellung  bedeutet,  wie 
er  der  neutrale  Ausgangspunkt  fUr  die  deutsche  und  italienische 
Entwicklung  gewesen  sein  könnte:  der  Heilige  in  Unterkleid 
und  einfachem  Mantel,  der  vom  Winde  ein  wenig  nach  der 
Seite  getrieben  wird,  in  schmalem  Flussbette  stehend,  schon 
dieses  Bild  hat  eine  gewisse  Kirchenheiligkeit  an  sich,  die 
jene  Möglichkeit  als  eine  doch  nur  äusserlich  denkbare  er« 
kennen  lässt;  der  inneren  Notwendigkeit  nach  musste  sich 
über  die  Zustände  etwa  des  Cosimo  Tura  und  des  Borgognone 
hinweg  jener  Christophorus  entwickeln,  unter  dessen  Namen 
und  Yorwand  eine  spätere  Zeit  einen  körperlichen  Schönheits* 
kult  trieb. 

Dass  dieser  Gegensatz  zwischen  einem  nördlichen  deutschen 
und  einem  südlichen  Christoph  nicht  leere  Konstruktion  sei, 
lehrt,  so  dürftig  es  ist,  das,  was  ich  von  einer  spanischen 
Auflassung  in  Erfahrung  bringen  konnte.  Die  Miniatur  über 
der  Karte  der  neuen  Welt  des  Juan  de  la  Cosa,  aus  dem 
Jahre  1600 '),  zeigt  einen  schweren  pfäfßschen  Kerl  in  rotem 
sackartigem  Gewände  mit  brauner  Kapuze,  und  mit  spärlichem 
weissem  Spitzbart,  der,  das  Kind  im  Nacken,  durch  das  weite 
uferlose  Meer  schreitet.  Das  Kind  trägt  ein  wehendes  Man? 
telchen  und  Kugel  imd  Kreuz  in  der  Rechten,  während  seine 
Linke  segnend  erhoben  ist,  der  Heilige  hält  den  in  kleinen 
Seitentrieben  ausschlagenden  Stab.  Auch  hier  also  sehen  wir 
das  überlieferte  Schema,  aber  seine  Ausführung  ist  die  denkbar 
leerste,  hässlichste. 

Hingegen  scheint  der  französische  Christoph,  über  den 
ich  freiUch  ebenso  nach  dem  Wenigen,  was  mir  eine  An- 
schauimg  von  ihm  zu  geben  im  stände  war,  ein  verall- 
gemeinemdes  urteil  fällen  muss,  mehr  im  Typus  des  deutschen 


^)  Alex.  V.  Humboldt  Examen  critiqae  de  Thistoire  de  la  geogpraphie 
da  noaveau  continent,  V,  Paris  1836. 


204  2*  BiohteF.  S04 

za  liegen.  Am  bekanntesten  ist  der  in  der  Notre  Dame  de 
Fans  bis  gegen  den  Ausgang  des  Torigen  Jahrhunderts  be* 
findliche,  der  1413  durch  Anthoine  des  Essarts  gestiftet  worden 
war:  langer  Bart,  langer  Mantel,  ein  kurzer,  keulenähnlicher 
Baumstamm '). 

Nicht  minder  der  englische.  Den  späteren  Typus  in 
grosser  Einfachheit  giebt  ein  Wandbild  der  St.  John's  Church 
zu  Winchester  aus  der  Zeit  Eduards  III.  *).  Ein  anderes 
späteres  auf  der  Insel  Wight  illustriert  einige  Hauptpunkte 
der  Legende  ^ :  auf  dem  linken  Ufer  steht  das  Kruzifix,  dayor 
der  Heilige,  weltlichen  Gewandes  und  Anstandes,  und  macht 
eine  verabschiedende  Handbewegung  zu  zwei  oben  Fort- 
reitenden, auch  hat  er  sich  schon  einen  Baum  ausgerissen. 
In  der  Mitte  watet  er  dann  durch  den  Fluss,  riesig,  quer 
über  den  Stamm  gebeugt,  seine  Stimbinde  flattert  im  Winde. 
Ego  sum  alpha  et  w,  Terkündet  ihm  das  Kind.  Am  rechten 
Ufer  oben  tritt  der  Einsiedler  aus  der  Kapelle,  unten  wird 
Christoph,  an  einen  Baum  gebunden,  von  zwei  Schützen  be* 
Schossen,  von  den  Pfeilen,  die  dicht  um  ihn  stecken,  fliegen 
yiele  nach  dem  höher  stehenden  Könige,  dem  einer  bereits 
im  Auge  steckt.    E&i  Henker  steht  neben  dem  Grestrafben. 

und  so,  wenn  man  bald  hier  bald  da  findet,  in  Italien 
oder  in  Spanien  oder  in  Deutschland  sei  die  Christophorus- 
Verehrung  am  grössten  und  intensivsten  gewesen :  wir  brauchen 
uns  um  solchen  äusseren  Buhm  nicht  zu  ereifern.  Wie  ein 
Beweis  in  ästhetischen  Dingen  nur  möglich  ist,  meine  ich  be- 
wiesen zu  haben,  dass  doch  einzig  und  allein  die  deutsche 
Kunst  dem  inneren  Wesen  der  Christophlegende  zum  Aus- 
druck  zu  verhelfen  fähig  war  in  ihrem  deutschen  Christoph 
und  der  Dichtung  die  Anschauung  an  die  Seite  zu  stellen 
vermochte. 

>)  Paris  k  trayen  let  ages,  1875—88,  I:  Notre  Dame  p.  S8.  Noch 
im  18.  Jh.  wuTden  Chriatophstatueii  angefertigt:  Noavelles  archivee  de 
Tart  franQ.  1894,  p.  S86  etc. 

•)  Journal  of  the  British  archaeological  aasociation  X,  80 — 8S,  Taf.  x 
XL  xt]  femer  UI,  87. 

•)  Ä.  in,  86-89. 


S06  DtnteUniig  der  Legende.  206 

Lebendig  aber  kann  diese  Anschauung  nur  der  rück- 
gewendeten  nachempfindenden  Betrachtung  werden.  Dem 
Yolksbewusstsein  ist  sie  tot«  und  dass  es  ein  falsches  Be- 
mühen ist,  sie  wieder  erwecken  zu  wollen,  zeigen  die  künst- 
lerischen Darstellungen  der  Neueren  ebensowohl,  wie  die 
litterarischen.  Der  moderne  Maler  entbehrt  jedes  Qrganes, 
das  eigentlich  Beizvolle  der  Ohristophlegende  aufzu£Bissen  und 
uns  zu  vermitteln.  Es  giebt  aus  unserem  Jahrhundert  der 
staatlichen  Frömmigkeit  eine  ganze  Beihe  von  Christoph- 
gemälden,  z.  B.  von  Carl  Begas,  Oesterley,  Molitor,  Wilh. 
Steinhausen;  ich  kenne  keines,  das  irgend  welche  Teilnahme 
zu  erwecken  berechtigt  wäre.  Der  hl.  Christoph  war  ein 
Volks-  und  nicht  ein  Kirchen-  oder  Eunstheiliger. 


IV. 

Niederschlag  der  Legende  in  Vollcsbraucli  und 

Volicsmeinung. 

Wir  haben  in  Berlin  jenen  Flügel  des  Genter  AltarS; 
auf  welchem  Hubert  van  Eyck  den  Christoph  als  Führer  der 
peregrini  sancti^  die  zur  Anbetung  des  Lammes  ziehen,  dar- 
gestellt hat.  Eine  Schaar  würdiger  alter  Herren  drängt  sich 
um  ihn  wie  die  Küchlein  um  die  Henne,  als  eine  Art  Ober- 
alter schreitet  er  an  seinem  Stabe  dahin,  einzig  einen  weiten 
roten  Mantel  um  seine  nackte  Körperlichkeit  geschlagen,  die 
Stirn  umwunden  mit  weissem  Wulste.  Er  ist  weit  grösser 
als  die  andern  und  sein  Bart  weit  länger.  Er  weist  mit  der 
Linken  nach  vom  auf  den  Weg  und  giebt  halb  zurück- 
gewendet den  Ermüdeten  Hoffiiung:  wir  sind  bald  da.  Er 
weiss  genau  Bescheid,  er  hat  denselben  Weg  schon  unzählige- 
mal  gemacht,  und  die  Alten  tappsen  ihren  ergebenen  Trott 
vor  sich  hin  in  sicherem  Vertrauen  auf  solchen  Hirten. 

Das  Bild  ist  so  recht  ein  Ausdruck  dessen,  was  man 
von  dem  hl.  Christoph  erwartete:  wie  das  Kind  zu  dem  Er- 
wachsenen aufschaut  als  zu  seiner  väterlichen  Zuflucht,  so 
war  er  der  Ehrwürdig-Alte  und  Grosse,  der  Erfahren-Bedacht- 
same und  Sicher-Feste,  an  den  man  sich  unbeÜEmgenen  Ver- 
trauens in  allen  Lebensmühsalen  wandte,  ein  cNothelfer». 
Er  wurde  es  aber  erst,  als  er  der  Christusträger  geworden 
war.  Auch  im  Kultischen  lässt  sich  ein  Entstehen,  Leben, 
Ersterben  verfolgen. 

Eine  Verehrung  des  Heiligen  ist  nicht  vor  dem  dritten 


207  Yollubraaoh  and  Yolksmeinimg.  207 

■ » 

Viertel  des  ersten  christlichen  Jahrtausends  bezeugt  ^).  Soweit 
ich  sehe,  am  frühesten  aus  Frankreich,  er  ist  Patron  einer 
Kirche,  eines  Klosters  und  eines  Oratoriums  im  6.  Jh.^. 
Da  er  im  7.  schon  in  G-alatien  auftaucht^,  verwundern  wir 
uns  nicht,  ihn  im  8.  hier  und  da  bereits  häufiger  zu  finden^ 
namentlich  in  Italien^).  Auf  welchem  Wege,  wann  er  nach 
Deutschland  vorgedrungen  ist,  weiss  ich  nicht.  Die  Ver- 
breitung  und  Erweiterung  der  Passio  ^),  das  Auftauchen  einiger 
Gebete^)  und  Predigten^  und  Spuren  bildlicher  Darstellung 
zeigen  in  den  Jahrhunderten  um  das  Jahr  1000  herum  ein 
allmähliches  Wachstum  seiner  G-eltung.  Sein  «dies  natalis> 
fixiert  sich,  in  den  westlichen  Ländern  auf  den  26.  Juli,  den 

>)  MabiUon  Annales  ord.  Bened.,  Paris  1703,  I,  203,  Act.  Sanct.  §  2. 
Das  dort  erwähnte  Erlöster  des  Heiligen  existiert  zum  mindesten  in  dem 
Briefe  Gk'egors  des  Grossen  £p.  lib.  YIII,  83  nicht. 

*)  JCabillon  Annales  ord.  Bened.,  I,  203.  61  ad  annum  583,  689, 
690;  za  dem  p.  594  erwähnten  domnos  Christiyilas  und  einer  höchst 
scherzhaften  Erklärung  desselben  s.  Annales  archeol.  Xu,  192.  Mon. 
Germ.  X,  351,  40;  636,  8. 

*)  Act.  Sanct.  §  2,  17. 

^)  Bossi  Inscriptiones  christianae  urbis  Bomae  1888, 11, 442.  Act.  Sanct. 

^)  Auch  der  Frosatext  Walthers  von  Speier  galt  als  solche  und 
worde  in  Sammelbände  aufgenommen,  mit  dem  Frologus  de  Vita  Sancti 
Christophori  [in  passione  s.  Chiistofori  martyris]  in  den  Cod.  lat.  Mon.  13074 
c.pict72  fol.67— 81,  ohne  denselben  in  den  Cod.  lat.  Mon.  882  fol.  1,00b 
bis  118  a.  Vorlage  war  in  beiden  Fallen,  fast  genau  kopiert,  die  von 
Harster  herausgegebene  Haupthandschrift. 

*}  Sie  beruhen  auf  der  kürzeren  lat.  Fassio  und  sind  meist  ohne 
Belang,  S.  Christoph  geht  nur  nominell  hinter  dem  älteren  S.  Jakob 
dem  Apostel  her.  Daniel  Thesaur.  hymnol.,  Lips.  1844,  II,  66.  Mone 
Lat.  Hymnen  des  M  A's,  Freiburg  1865,  III,  109,  gegen  lU,  105  Daniel  IV, 
176.  J.  Kehrein  Lateinische  Sequenzen  des  MA's,  Mainz  1873,  p.  298. 
Gall  Morel  Lat.  Hymnen  des  MA's.  p.  159.  Der  Hymnus  des  Breviarium 
gothicum  macht  eine  Ausnahme. 

^  Hildeberts  von  Tours  Sermones  zum  Kalendertage  des  Heiligen 
erwähnen  ihn,  haben  aber  nichts  weiter  mit  ihm  zu  thun:  Fatr.  lat. 
CLXXI,  644 — 56.  Schwungvoller  ist  des  Fetrus  Damiani  Sermo  auf 
Grund  der  kürzeren  Fassio,  doch  hätte  auch  er  zur  Exemplifikation  seines 
Gedankens  jeden  andern  hL  Märtyrer  nehmen  können:  Opp.  omnia, 
Faris  1748,  I,  80-83. 


SOe  £•  Bichter.  St08 

8.  Jakobstagy  in  den  östlichen  auf  den  9.  Mai^),  Beliquien 
tauchen  anf^. 

Dnrch  die  Ereozzüge  gewann  der  Heilige  ein  ^öhtes 
Interesse,  der  selbst  in  die  wilde  Feme  gezogen  war,  dem 
der  hl.  Geist  das  Verständnis  der  fremden  Sprache  gegeben, 
den  gottliche  Onade  gegen  die  Pfeile  seiner  Bedränger  gefeit 
nnd  auf  seine  letzte  Bitte  mit  der  Kraft  begabt  hatte,  die 
Seinen  zu  schützen  vor  Hunger  und  Hagel,  vor  Feuersnot 
und  grosser  Sterblichkeit ').  Dieses  Interesse  war  der  tiefere 
Grund  fOr  die  Ausbildung  der  Legende.  Sieg  über  die  Feiude, 
Hilfe  in  Wassersnöten,  Feiung  gegen  Schwerteshieb,  Erlösung 
Ton  böser  Schuldenlast,  Abwendung  alles  Gebrestens  im. 
«eilende»,  im  fremden  Lande,  das  erwartete  der  deutsche 
Spielmann  [A]  jetzt  vom  Christoph^)« 

Die  Entwicklung  der  einzelnen  Funktionen  aufzuzeigen, 
ist  nicht  möglich.  Die  einen  ergaben  sich  aus  seiner  Ge- 
schichte, galten  mehr  oder  minder  allgemein,  die  andern  lokal 
aus  bestimmten  Verhältnissen. 

*)  Auifällig  die  Datierung  der  Passio  bei  Mombritiiu:  7.  Janoar. 
Den  28.  April  giebt  noch  ein  Cambridger  Martyrolog :  Hickes  Thesaurua  U, 
106 ;  B.  o.  p.  19.  Zu  bemerken  ist,  dass  auch  im  Abendlande  der  8.  und 
der  10.  Mai,  in  Italien  und  Frankreich,  als  ChriBtophstag  galt  oder  gilt, 
8.  Fatr.  lat.  LXXXY,  796/6,  Baillet  Les  vies  des  saints,  Paris  1789,  *V, 
867  a.  Man  gedenkt  der  Unsicherheit  der  Angaben  der  ausfuhrlicheren 
Passio -Versionen  in  dieser  Hinsicht.  Auch  in  neuerer  Zeit  g^ebt  es  in 
Deutschland  lokal  abweichende  Datierungen  auf  den  U7*  Juli  und  den 
16.  Mars :  Stadler  Vollständiges  Heiligenlezikon  I,  609.  Kork  Festkalender 
p.  Sil  ff.    Zs.  d.  Ver.  f.  Volkskunde  I,  994. 

')  Martyrol.  Adonis  ed.  Q«orgius  1, 864.  Der  Zahn  des  hL  Augustin  iat 
eine  Fabel :  De  civitate  dei  1.  xy  o.  9,  Organ  f.  christliche  Kunst  Xu,  990  ff, 

")  P  «grando,  ira  flammae,  fames,  mortalitas».  M  giebt  statt  der  ersten 
beiden  «captivitas»,  W  statt  cmortalitas»  t subita  morborum  intemperantift»^ 
«pestis  acredo»,  wie  z.  B.  auch  Salazar  ipestis»  liest.  B  spann  P  fort^ 
V  angeblich  nach  8.  Ambrosius  nur  «morbi  et  infirmitates». 

^)  In  dieser  Zeit  gerade  werden  yiele  Sjrchen,  die  des  Heiligen 
Namen  tragen,  entstanden  sein,  wie  in  Deutschland  die  zu  Köln,  an  der 
Christophsstrasse,  in  strengromftnischem  Stil  [Sinemus  p.  81],  in  Mains, 
1179  gegründet  [Org.  f.  chrisü.  K.  VUI,  76],  zu  Breslau,  IBrfyirt  u.  s.  w. 
Viele  Hinweise  auf  solche  in  den  öfter  zitierten  Schriften. 


S09  Volksbranoh  und  Yonumeinang.  J209 

S.  Christoph  ist  der  grosse  Pestheilige  Europas  gewesen, 
grösser  als  S.  Brochns  und  S.  Sebastian,  und  zwar  erfolgte 
diese  Spesialisienmg  der  Kraft  über  die  cmortalitas»  lange 
vor  dem  Fest  jahre  1346.  Die  allgemeinere  Eigenschaft  hielt 
sich  neben  der  eingeschränkten,  ja  die  Scheu,  den  schlimmen 
Feind  zu  nennen,  scheint  zu  euphemistischen  Umschreibungen 
die  Veranlassung  gewesen  zu  sein,  die  sehr  bald  einen  äusser- 
lichen  Aberglauben  bewirkten  imd  endlich  mehr  und  mehr 
unTerständlich  wurden^):   man   glaubte,   wer   den   Christoph 

')  Selten  ist  die  einfache  UnterBchrift:   «S.  Christophorus  patronus 
pestis»  auf  Büdem  n.  8.  w.    Im  Dom  zu  Worms  lautete  sie : 
Per  te  serena  datur,  morbi  genus  omne  fugatur, 
Atra  fames,  pestis,  Christi  Christophore  testis. 
Vereinzelt  ist  die  Umschreibung  der  Kirche  des  hl.  Bernhard  bei  Honte 

Garasso: 

Ghristophori  visa  manns  est  inimioa  dolori 

[Xittheil.  d.  aatiquar.  Gresellsch.  in  Zürich  XXI,  1,  14].    Dagegen  giebt 
der  Holztobnitt  von  14SI8  die  gefiiufige  Paraphrase: 

Gristofori  faciem  die  qnacumque  tueris 
Dia  nempe  die  morte  mala  non  morieris, 
die  freilich  in  unendtichen  Variationen  umging.    8.  Molanus  De  sacris 
pieturis  cap.  97,   Xreuser  Dombriefe  p.  81,  Kork  Festkalender  p.  912, 
MittheU.  d.  k.  k.  Central-Comm.  IV,  988.  Gastius  Tom.  seo.  conmalium 
sermonum  p.  989: 

Ghristophori  molem  sancti  qua  luce  videbis. 
Mors  poterit  nunquam  saeva  nocere  tibi. 
In  einer  Kirche  zu  Gapriate  bei  Venedig  nach  L.  Maini  p.  6: 

CSiriftophori  sancti  faciem  yenerare,  viator, 

Morte  repentina  si  Tis  abire  procul. 

Hingegen  im  alten  S.  Peter  zu  Strassburg  naoh  Grandidier  Essai  p.  967: 

Ghristophori  sancti  spedem  quiounque  tuetur, 

lUo  namque  die  nuUo  languore  gravetur 

[Henkelum:  ista  nempe,  nach  anderer  Quelle],  in  8.  Marco  zu  Venedig: 

Ipso  namque  die  nuUo  languore  tenetur 
[nach  Kemeits  Inscriptionnm  sing.  fiMdcnlus,  Lips.  1796  p.  IL   Dlo  naoh 
Pftsini  Guide  de  k  basilique  st.  Marc  &  Venise,  Schio  1888,  p.  89].  Eine 
Kontaminatkm  aus  dem  Memorandenbuoh  Kaiser  Friedrichs  IV.  nach 
Jos.  Ghmel  Gesch.  Kaiser  Fr.'s  IV.,  Hamburg  1884,  I,  576: 

Gristoffori  faciem  quacunque  die  tueris 
Non  confusna  erris  nechk  mala  morte  peribis 
Dlo  namque  die  nulla  k&gbore  grafebis. 


SlO  K.  Riohter.  glO 

gesehen,  könne  des  Tages  nicht  sterben  ^).  Es  war  ein  richtiger 
Yolksglaubey  die  Kirche  kannte  ihn  kaum,  wollte  ihn  nicht 
kennen,  das  lehrt  eine  Yergleichong  der  deutschen  und  der 
lateinischen  Gebete  an  ihn^).   Das  Volk  feierte  seinen  Heiligen 

Die  Leoniner 

OristofiPere  sancte  Tirtates  sunt  tibi  tante 

Qui  te  mane  videt  nootumo  tempore  ridet 

[Nee  satanas  caedat  neo  mors  subitaDea  laedat: 

8.  Org.  f.  Christi.  Kunst  XII,  222,  veigl.  femer  F.  v.  Bartsch  Die  Kupfer- 

stichsammlung  der  Hofbibl.  in  Wien,  1854,  p.  266]  verstand  Wagenseil 

De  civitate  Noriberg.   1697  p.  76  nicht  mehr.    Auf  einem  Holzschnitt 

des    Jahres  1600  eine  Zusamroenstellung   der  verschiedenen  Fassungen 

mit  deutscher  Übersetzung:  Org.  f.  christl.  Kunst  XI,  251.   S.  auch  Gunrats 

von  Danckrotzheim  Heiliges  Namenbuch  in  Strobels  Beiträgen  z.  deutsch. 

Lit.  und  Literärgesch.,  Strasb.  1827  p.  116. 

^)  Auch  in  den  Ulndem  griechisch-katholischen  Bekenntnisses?  S.das 

'QpoXdriov  t6  \iija  des  BapOoXoiüialö^  KouTXou|üU)uaiav6^yenedig  1841,  p.  304/5. 

*)  Henkelum  teilte  Einiges  mit.    Im  Hortulus  animae  Bl.  .oxv  wird 

er  um  Schutz  angefleht  vor  dem  «erschrockelichen  gebresten  der  pestilentz 

vnd   des  gehen   todes   für   den   er   sonderlich   gefireyet   ist   zu   bitten». 

[Bäumker  Das  kath.  deutsche  Kirchenlied,  Frbg.  i.  B.,  II,   178].     Das 

erste  der  beiden  lateinischen  Gebete,  die  Nicholaus  Salicetus  im  Anthi- 

dotarium  animae,  Argentorat.  1491  fol.  Cxxxvm/iz  giebt,  enthält  nur  mehr 

allgemeine  Bitten  um  Schutz  gegen  «angustias,  paupertates,  tributationes» 

aller  Art,  das  zweite  wird  etwas  spezieller:   gegen  «mortem  perpetuam 

et  subitaneam,  pestem,  famem,  timores,  paupertatem  et  omnes  inimicorum 

insidias»,  wie  es  ähnlich  auch  unter  dem  Holzschnitte  am  Schiusa  von 

Christoph  Scheurls  Yiertzig  Sendbriefen   und   öfter   heisst.    Wenn  die 

Strophen,  die  Mone  Lat.  Hymnen,  JH,  153  no.  743  als  De  uno  martyre 

mitteilt,  von  einer  andern  Hs.  auf  Ghristophorus  bezogen  werden,  s.  Qali 

Morel  p.  216,  so  könnte  die  vorletzte: 

sana  morbos  et  languores, 

cura  pestes  et  dolores 

et  fuga  daemonia: 
freilich  dafür  ins  Feld  geführt  werden,  aber  wie  uninteressiert  ist  das 
zusammengereimt.  Was  Mone  p.  248  als  no.  865  giebt,  enthalt  eine 
sichere  Anspielung  auf  die  Flussscene,  no.  866  ist  eine  uncharakteristisohe 
Dichterei  nach  der  Leg.  aur.  Kehrein  p.  367  no.  633.  Daniel  II,  206. 
Das  erste  der  hier  gegebenen  G«bete  etwas  anders  bei  Ghemnitius  Examen 
conc.  Trid.:  De  invooatione  sanct.,  Sectio  IV  ed.  Freuss  p.  666/671  «ab 
onmi  languore  corporis  et  animae».  Ebenso  schwächlich  das  Breviarium 
Romanum. 


211  Volkfibranoh  und  VoDumeinang.  211 

andi  in  einem  Liede.  voll  derselben  fröhlichen  Zuversicht  ^). 
Und  Terschiedentlich  haben  wir  die  Nachricht,  dass  man  sein 
Bild  in  Pestzeiten  an  die  Mauern  der  Kirchen,  an  die  Wände 
der  Häuser  malte,  man  hat  bemerkt,  dass  in  der  Nahe  ihm 
geweihter  Ejrchen  oft  ein  Pest-  oder  Siechenhaus  sich  findet*). 
Aus  der  allgemeineren  Meinung  ergab  sich  das  Bedürfnis, 
ihn  immer  und  überall  zu  haben,  ihn  in  G-rossem  und  Elleinem, 
in  Gebäu  und  Gerät  gegenwärtig  zu  wissen').    Wir  haben 

Die  Synonymität  all  der  Aosdrücke:  mala,  repentina,  subitanea, 
saera  mon,  languor,  pesÜB,  gaecher,  böser,  baestiger  dot,  pestflentz, 
ziecte  etc.  erhellt  aus  allem.  Hoeniger  Der  schwarze  Tod  in  Deutsch- 
land, Berlin  1889,  p.  S2  beweist,  dass  man  wirklich  unter  dem  «gächen 
tod»  die  Pest  verstand.  Das  Unbussfertige  desselben  darf  nicht  betont 
werden. 

')  Hs.  Valentin  Holls,  ühland  Alte  hoch*  und  niederdeutsche  Volks- 
lieder n,  809,  no.  806.  Wackemagel  Deutsches  Kirchenlied  H,  1003/4 
giebt  zwei  Fassungen,  auch  des  Hans  Sachs  Contrafaktur  m,  69/60. 

*)  Escolano  Historia  de  Valencia,  1610,  I  lib.  v  c.  10,  8  erzählt, 
dass  bei  einer  Fest  auf  den  Bat  des  Vinzenz  Ferrer  die  Bilder  des 
hL  Christoph  auf  Strassen  und  Plätzen  aufgestellt  wurden.  Vgl.  Zs.  d. 
Ver.  f.  Volkskunde  I,  294. 

")  Natürlich  war  am  glücklichsten,  wer  eine  Reliquie  des  Heiligen 
besass.  Han  könnte  ein  sonderbares  Skelett  zusammenstellen.  Das 
Haupt  war  im  Kloster  S.  Vincent-aux-Bois,  in  jenem  Behälter,  von  dessen 
bildüohem  Schmucke  Kenntniss  genommen  wurde.  S.  Denis;  Toledo, 
Astorga,  Coria,  Valencia ;  Bom,  Hessana,  Ravenna,  Venedig ;  Cambray  u.  s .  w. 
wären  als  beatae  possidentes  zu  nennen,  wie  man  sie  aus  den  Act.  Sanct. 
§  20.  28.,  aus  Butlers  Leben  der  Väter  etc.  übs.  Mainz  1825  X,  46, 
dem  Kartyrolog  des  Maurolycus  1569  p.  117,  den  Mirabilia  urb.  Bomae 
p.  69,  dem  Hierogazophylacium  Belgicum  des  A.  Baisse  p.  384,  dem 
Historischen  Anzeiger  Vieler  Heiligen  des  H.  Zeiller,  Frankf.  1658, 
p.  181  u.  s.  w.  kennen  lernen  und  wohl  leichtlich  mehren  kann.  In 
Deutschland  hatte  Köln  ein  Schulterblatt  und  einen  Finger,  der  merk- 
würdigerweise nur  natürlicher  Grosse  war  [Winheim  Sacrarium  Agrippinae 
p.  64],  Nordhausen,  Hannover  ein  dieses  und  jenes  [Hannoveranarum 
reliq.  thes.  no.  21.  28.  90.  98]  u.  s.  w.;  wie  wenig  solche  Beispiele  den 
wahren  Umfang  des  Knochenunfugs  für  unsem  Biesen  ermessen  lassen, 
lehrt  des  Wolf^g^ang  Franz  Zeigung  des  hochlobwirdigen  Heiligthumbs 
der  Stifit  Kirchen  aller  Heiligen  zu  Wittenberg,  aufib  new  auffgeleget 
1617,  p.  81  und  desselben  Verzeichnis  der  Hallenser  Heiligtümer  von 
S.  Moritz  and  S.  Maria  Magdalena  p.  53. 


S12  K.  Bichter.  312 

uns  Kunst  und  Kult  als  wechselseitig  sich  fSrdemde  Faktoren 
zu  denken:  der  Maler  malte,  der  Bildhauer  meisselte  den 
grosse  Ohristophi  weil  er  der  mächtige  Heilige  war,  der 
HandwBxker  schmückte  seine  Waare  mit  seinem  Konterfei, 
und  Geräty  Statuen,  Bilder  erhöhten  wieder  Wnrkung  und 
Ansehen  dieser  Heiligkeit'). 

')  Cum  in  omnibus  texnplis  non  possint  haben  reliquiae  hnj^us  sanoti, 
idciroo  conantor  aaltem  imaginem  et  figoram  habere,  sagte  Thoma  de 
Trugillo.  Es  ist  interessant,  dass  die  Künstler  sich  bisweilen  gensia  an 
das  ICass  von  zwölf  Ellen  hielten,  das  die  Leg.  aurea  aus  der  alten 
Passio  übernommen  hatte,  wie  z.  B.  in  dem  Christoph  am  Kölner  Dom, 
in  denen  von  Münster  und  Paderborn,  in  der  Kirche  des  hL  Petrus  su 
Sanmur  [Org.  f.  christl.  K.  XXL  3S8]»  in  Op-Hensden  in  der  Neder- 
Betuwe  [Henkelum].  Doch  ging  man  noch  weit  über  dieses  Mass  hin- 
aus :  der  Christoph  im  Strassburger  Münster  war  86  Fuss  hoch,  das  Bild 
in  der  Herrgottskirche  zu  Creglingen  80,  das  im  Dom  zu  Erfurt  86, 
und  auch  das  in  der  Preysingakapelle  der  Frauenkirche  zu  München 
reichte  bis  fast  an  das  Gewölbe  [Anz.  f.  Kunde  dtsch.  Vors.  1868  Sp.  488], 
und  Erasmns  in  den  CoUoquia,  Peregrinatio,  nennt  den  Christophorum 
Lutetiae  «non  hamaziaenm  aut  colossaeum,  sed  monti  justo  parem»,  er 
war  28  Fuss  hoch.  Man  hat  sich  über  den  Grund  der  riesisohen  Dar* 
Stellung  viel  den  Kopf  zerbrochen,  selten  hat  einer  erkannt,  dass  sie  nur 
durch  die  geschriebene  Legende  hervorgerufen  wurde,  wie  Sckl  im  Org. 
f.  christl.  Kunst  XIX,  S79.  Es  ist  vielleicht  eine  richtige  Bemerkung, 
dass  ein  forderndes  Moment  für  die  Aufstellung  in  gotischen  Kirchen  die 
Kongruenz  der  riesenhaften  Grösse  mit  dem  Streben  ins  H<^e  war,  ein 
Akkord  zwischen  ihr  und  den  schlanken  Säulen  [Org.  f.  christl.  K.  VJLiI, 
106].  Denn  ebenso  oft  wie  vor  steht  S.  Christoph  auch  in  den  Kirchen, 
z.  B.  im  Dom  zu  Schleswig,  im  Münster  zu  Bern,  im  alten  S.  Peter  zu 
Köln,  in  der  Kirche  zu  Trefifurt  bei  Mühlhansen,  in  der  Liebfrauenkirche 
zu  Lauban  in  der  Oberlansitz  [Süden  Gelehrt  Critic  p.  406]  etc.  etc., 
bisweilen  unter  der  Kanzel  wie  in  Körbeke  u.  s.  w.  Weitere  Bemerkungen 
über  die  Stellung  s.  Org.  f.  christl.  K.  VIII,  78  Menzel  I,  176,  ohne 
zwingendes  MateriaL  Und  was  Kreuser  in  den  Kölner  Dombriefen, 
Berlin  184A,  p.  81  sagt,  dass  die  spätere  Baukunst  bei  Nebeneingängen 
den  Beginn  der  Mittelkirche  oft  durch  den  hl.  Christoph  bezeichnete« 
weil  dieser  nach  der  L^ende  den  Heiland  trug,  dann  aus  dem  Heidentum 
zum  Christentum  übertrat  und  also  als  ein  Übergangsqrnibol  gelten 
konnte,  ist  rein  erklügelt.  Eher  könnte  man  formulieren,  er  habe  den 
Übergang  vom  Weltlichen  zum  Göttlichen  vermittelt,  denn  aussen  vor 
der  Kirche  —  etwa  neben  der  Thür,  an  einen  Strebepfeiler  gelehnt  wie 


21S  Volksbrauck  und  Volkamemung.  213 

In  zwei  andern  Richtungen  scheint  sich  die  Macht  des 
Heiligen  über  den  Tod  noch  zugespitzt  za  haben,  die  vielleicht 
sehr  eng  in  Beziehung  stehen:   den  Wanderer  und  den  See- 


z.  B.  sm  Dom  zu  Köln,  an  der  Püurkirche  za  Loxembnrg,  am 
za  Fteibnrg  LBr.,  an  der  liebfraaenkirolie  za  Eailingen,  an  8.Sebalda8 
in  Nürnberg  —  oder  über  dem  Eingang,  s.  B.  an  der  Bargkapelle  za 
Sebenstein  in  der  Nähe  Ton  Wiener  Neostadt  —  oder  an  ihre  Axusen- 
wände  gemmlt  —  z.  B.  an  der  llagdalenenkirche  zn  Jadenborg  u.  s.  w. 
[Sinemoz  p.  32]  —  begrüsate  er  die  Kommenden  oder  schützte  das  Haus 
leinee  kleinen  Herrn  gegen  rohe  Gewaltthat  [Sinemas  p.  84].  Man  hat 
die  yersohiedenzten  GMnde  für  die  hervorragende  Petition  gerade  anseret 
Hailigen  getncht:  er  toll  den  Eingang  gehütet  haben  [Didront  Meinong 
za  den  griechitchen  Handtkopfen,  Annalea  arohteL  XV,  28.  Zoekler 
Realen<7dop.  f.  prot.  Theol.  a.  Kirche  JJl,  217]  —  nirgendt  in  den 
Inachriften  a.  t.  w.  träte  tolchet  Amt  einet  Wächten  hervor ;  er  tei  an 
atelle  einer  firüheren  Gottheit  getreten,  deren  Bilder  vor  den  heidnischen 
Tempeln  za  ttehen  pflegten  —  man  hätte  nachweiten  müsten,  daat  in 
allen  Landein  Saropas  vor  den  alten  Heiligtümern  des  dem  Herkolet 
entsprechenden  Gottet,  denn  auf  einen  tolchen  rekurriert  man,  that- 
sächlich  iÜ)erein8timmend  derartige  Statnen  ttanden.  Auch  hat  man  die 
noch  zu  erwähnenden  Brodertchaften  8.  Ghrittophori  herangezogen  [Act. 
Sanct  §  M,  Stadler  Yolltt.  Heüigenlex.  I,  e09],  die  tämtUch  viel  zu 
tpit  gegründet  worden  sind,  um  znr  Erklärung  der  von  vornherein  auf- 
fallenden Stellung  des  Heiligen  in  betracht  kommen  zu  können.  Mehr 
ein  guter  Scherz  muss  die  Ansicht  dünken,  der  „grosse"  Christoph  sei 
vor  die  Kirchen  gestellt  worden,  weil  er  nicht  hineingegangen  seL 
[Vidas  Distichen,  L.  A.  Muratori  Antiquitt.  Itall  XII,  391/2].  Sondern 
eimdg  das  Streben,  ihn  weithin  sehen,  von  weither  gesehen  werden  zu 
lassen,  jener  Volksglaube  giebt  die  Losung.  Eine  bestimmte,  aus  irgend 
einem  tieferen  Grunde  bestimmte  Stelle  kam  ihm  nicht  zu:  an  der 
Oeorgtkapelle  bei  Räzünt  hat  man  ihn  auf  die  Westseite,  an  der  gegen- 
überliegenden Kirche  S.  Paul  auf  die  Chorfinonte  gemalt,  so  dass  er  von 
hüben  und  drüben  auf  die  Thalstrasse  herunterschaut.  An  der  Pfarr- 
kirohe  von  Bremgarten  im  Aargau  auf  die  Südseite  des  Schiffes,  dass 
er  von  der  höher  gelegenen  Stadt  aus  gesehen  wurde  [Mittheil.  d.  anti* 
qnmr.  OeseUschaft  in  Zürich  KXI  H.  2,  p.  26].  Belege,  wie  häufig  er 
auch  die  Wände  des  Innern  schmückte,  bei  Sinemus,  Henkelum  u.  s.  w. 
Glasmalereien  im  Kölner  Dom,  in  der  Stadtkirche  zu  Ghdldorf  inWürtem- 
berg,  in  der  Liebfirauenkirche  zu  Landsberg  in  Baiem  u«  s.  w.  Auf 
Monstranzen,  Ostensorien,  Taufbronnen  und  Schnitzaltären  [Sinemus, 
Mittheil.  d.  k.  k.  Central-Comm.  XYIII,  179,  Jahresh.  d.  Würtemb.  Alter- 


814  K.  Bichter.  814 

fahrer  sollte  er  schützen.  Kreuzfahrer  liessen  ihn  auf  ihren 
Fahnen  Tor  sich  herziehen,  Wallfahrer  trugen  sein  Bildnis, 
auch  für  den  Kampf  hoffte  man  auf  ihn^).    Adlige  Gesell- 


tbumsver.  "XTT^  Taf.  xl].  und  nun  sehe  man  aus  den  Kirchen  hinaus 
aufs  Weltliche:  S.  Christoph  hütete  die  Städte  —  z.  B.  am  alten  ZoU- 
thore  in  Düsseldorf  [Sinemus  p.  34],  am  Christoffelthor  in  Bern,  am 
Christophthor  zu  Emmerich  am  Kiederrhein,  am  Simeonsthor  in  Trier 
nächst  der  Porta  nigra  [Henkelnm],  über  dem  Stadtthor  von  Basel  [Ann. 
archöol.  XXI,  128]  — ,  er  stand  in  ihren  Strassen  —  z.  B.  in  Hüningen, 
Arnstadt  [Org.  f.  christl.  X.  VIII,  76]  — ,  auf  ihren  Märkten  —  z.  B. 
dem  Eiermarkt  in  München  [Sinemus]  — ,  ihren  Brunnen  —  z.  B.  auf 
dem  Weinhofe  zu  Ulm,  dem  Markte  zu  Urach  — ,  von  den  Giebeln  der 
Thüren  und  den  Firsten  der  Häuser  hielt  er  sein  Christkind  hoch  in 
die  Luft   hinein  —  z.  B.  in  Leipzig,   Hannover,    Stuttgart,   Lüneburg, 

Krems,  Zürich ;   er  musste   gar  stattlich  in  Ratssälen  fig^urieren 

—  z.  B.  in  der  alten  Kaufhalle  des  Artushofes  in  Danzig  [Sinemus  p.  39] 
— ,  in  den  Stuben  hing  und  lag  er  in  besserem  oder  schlechterem  Holz- 
druck auf  Tischen  und  Bänken  und  an  den  Wänden,  und  er  schmückte 
•  

das  Hausgerät,  die  Siegel  —  z.B.  der  Stadt  Werne  [St.  Beissel  Die  Ver- 
ehrung der  Heil.  etc.  während  der  2.  Hälfte  des  MA's  p.  70],  unter 
seinem  besonderen  Patronat  standen  Braunschweig,  Hüdesheim,  Würz- 
burg, Baden,  Würtemberg  [H.  Samson  Die  Schutzheiligen,  Paderb.  1889, 
p.  128]  —  ja  das  Geld  in  den  Taschen  der  Leute  [Sin.  p.  87.  Norka 
Festkalender  p.  214],  ihre  Fingerringe  u.  s.  w.  [Joum.  of  the  Brit.  arch. 

assoc.  m,  87]. Auch  die  Toten  noch  begaben  sich  in  seine  Obhut, 

und  das  Bild  Memlings  in  der  Liebfrauenkirche  zu  Antwerpen,  eine 
Steinfigur  im  Kreuzgang  des  Domes  zu  Eichstädt,  ein  Kelief  in  dem  des 
Domes  zu  Freising  in  Oberbaiem  u.  s.  w.  hatten  Giäber  zu  schützen 
[Sinemus  p.  88/9].  —  Namentlich  in  Baiem  und  Tirol,  auch  in  Thüringen 
begegnet  man  heut  noch  an  Weltlichem  und  Kirchlichem  dem  Bilde 
S.  Christophs.  —  Über  England  kann  ich  nur  auf  den  Artikel  im  Dio- 
tionary  von  Smith -Wace  I,  496  verweisen. 

^)  Oberbayerisches  Archiv  f.  vaterl.  Qesch.  XXVill,  109.  Ghiene- 
bault  Dict.  iconogr.  I,  276.  Erasmus  CoUoquia  fam.,  MiHtaria,  ed.  1669 
Amsterdam  p.  82,  lässt  Thrasymachus  erzählen,  dass  man  des  Heiligen 
Bfld  mit  Kohle  auf  die  Zeltvorhänge  malte.  Er  war  Schutzheiliger  der 
Arkebusiere  in  Antwerpen.  Die  Bitten  des  alten  deutschen  Gedichtes 
lehren,  dass  nicht  erst,  wie  man  gemeint  hat,  nach  der  Erfindung  des 
Schiesspulvers  diese  Seite  des  Glaubens  hervorgetreten  sei.  —  Mittheil, 
d.  k.  k.  Central- Comm.  IV,  287/8.  Für  England  s.  Notes  and  queries, 
4  th  ser.  vol.  X,  372.  482.  —  Man  hat  die  Wahrnehmung  machen  wollen, 


216  Yolksbrauoh  und  Volksmeinung.  216 

Schäften,  in  diesem  oder  jenem  Sinn  gemeinnützig,  worden 
unter  seinem  Patronate  gegründet^). 

dass  S.  Christoph  besonders  in  Niederungen,  an  Flossläufen,  etwa  in  den 
Donaugegenden,  am  Bhein  n.  s.  w.  Verehrung  geniesse  [Sinemos  p.  88, 
Bodin  ebenso  fnr  Frankreich:  Recherohes  bist.  s.  u.],  eine  quantitative 
SchatzuBg  in  solcher  Hinsicht  hat  etwas  Gewagtes.  Dass  er  vor  dem 
hL  Nepomnk,  wie  Peter  von  Cornelius  vermutete  [Hauthal  p.  46],  als 
firäckenheiliger  galt,  dafür  habe  ich  nirgends  eine  Bestätigung  gefunden. 
Erasmus  Colloquia  fam.,  Naufragium,  ed.  1662  p.  207.  Tob.  Fabricius 
Das  Bomische  güldene  Bäuchfass,  Newstadt  an  der  Hardt  1616,  p.  28. 
Neben  ihm  waren  S.  Nicolaus  und  S.  Fhocas  Patrone  der  Schiffer.  — 
Flügel  des  Genter  Altars. 

^)  Heinrich  von  Kempten,  ein  Findelkind,  der  sich  die  Mittel  zur 
Begründung  eines  Hospizes  auf  dem  Arlberg  in  aller  Herren  Ländern 
zusammengebettelt  hatte,  erhielt  1886  die  Bestätigung  seiner  Gesellschaft 
zur  Bettung  und  Bergung,  Verpflegung  und  Herstellung  verirrter  und 
verunglückter  Beisenden  von  Herzog  Leopold  und  begann  1886  den  Bau. 
Nach  einem  schnellen  Verfall  wurde  sie  1647  wieder  belebt,  und  noch 
heut  soll  das  Haus  auf  dem  Arlberg  des  Heiligen  Namen  tragen  [Act. 
sanot.  §  27.  lüttheü.  d.  k.  k.  Central- Comm.  Xu,  186.  Stadler  Vollst. 
Heiligenlezikon  1886  I,  600].  Es  existiert  ein  Bruederschaft  Buech. 
Bei  der  Keformierung  trat  auch  die  ganze  erzherzogliche  Familie  der 
österreichisch-tirolischen  Linie  ein  [Jahrb.  d.  kunsthist.  Samml.  d.  aller- 
höchst. Kaiserhauses  in,  2,  cun  ff.].  Eine  andere  Bruderschaft  S.  Christo- 
pbori  wurde  1678  in  München  errichtet,  sie  sass  in  einem  zum  Kloster 
erweiterten  Hause,  in  dem  einst  Frauen  als  Schwestern  vom  hl.  Christoph 
Kranke  und  Presthafto  gepflegt  hatten.  Ihr  Einschreibbuch  enthielt  eine 
Reimlegende  des  Heiligen  mit  Bildern  [Oberbayerisches  Archiv  f.  vaterL 
Gesch.  XXVni,  109. 111].  —  In  anderer  Weise  galt  der  Heilige  einem 
Bunde  von  steirischen,  kämthischen,  krainisohen  Adligen  als  Patron,  die 
«den  beyden  grausamen  lästern  fluchens  und  zutrinckens»  durch  eigene 
Massigkeit  entgegenarbeiten  wollten:  sie  trugen  sein  Bild  beständig  «an 
einer  ketten  oder  schnür  am  halspinnet,  huet,  oder  sonst  öffentlichen 
und  sichtbarlich»,  und  auf  der  Übertretung  ihrer  Eigenvorsätze  standen 
strenge  Strafen.  Stifter  war  der  kaiserliche  Bat  Freiherr  Sigmund  von 
Dietrichstein,  dessen  Ordnung  der  gesellsohafft  s.  Christoffs  in  Megisers 
Chronica  des  löblichen  ertzherzogthumbs  Khämdten,  Lpz.  1612  p.  1294 
bis  1801  zu  lesen  ist,  datiert  vom  22.  Juni  1617.  «Ein  jglicher,  der  in 
solcher  gesellschafil  ist,  der  soll  als  ofit  er  für  ein  kirchen  zeucht,  vnnd 
s.  Christoffen  bildnüss  daran  gemalt  siecht,  gott  zu  lob,  in  der  ehr 
B.  Christoffen,  ein  pater  noster  sprechen,  welcher  das  nicht  thäte,  vnnd 
sich  des  in  seinem  gewissen  bekennet,  der  sol  als  ofit  ein  pfennig  vmb 

16 


816  K-  Richter.  816 

Die  anderen  Kräf te,  die  in  der  alten  Passio  S.  Christoph 
Terliehen  waren,  erloschen  nicht  ganz.  Der  Herr  über  die 
cgrandines»  war  Herr  über  Donner  und  Blitz  f^eworden,  der 
die  cfames»  vertreiben  konnte,  half  jetzt  gegen  den  Hunger, 
und  wie  in  alter  Zeit  musste  er  die  Yom  Teufel  Besessenen 
heilen  ^).  Besondere  Funktionen  entwickelten  sich  hier  und  da^). 


gotteswillen  geben».  Und  diese  Fördernngsbestrebungen  der  Öffentlichen 
nnd  privsten  Sittlich-  und  Sittsamkeit  fanden  solchen  Anklang,  dass 
bereits  in  demselben  Jahre  nnd  in  denselben  Ländern  noch  ein  zweiter 
adliger  Bitterorden  der  Massigkeit,  ebenfalls  unter  dem  Protektorate 
des  hl.  Christoph  gegründet  wurde,  der  yrie  der  erste  auch  Frauen  und 
Mädchen  aufnahm  [Ersch  u.  Grubers  Encydop.  XVJLl,  126. J.  Es  befindet 
sich  aber  auf  der  kgl.  fiibhothek  zu  Berlin  ein  Ms.  germ.  fol.  708»  von 
dem  ich  nicht  weiss,  ob  es  schon  gedruckt  ist,  und  das  das  Bestehen 
einer  solchen  erlauchten  «Geselschafb  s.  Oristoffels»  als  einer  Stiftung 
des  Grafen  Wilhelm  von  Henneberg  schon  im  Jahre  1480  beweist.  Von 
Papst  Siztus  lY.  in  feierlicher  Bulle  bestätigt  waren  ihre  Ziele  fireilich 
noch  allgemeinerer  Art,  indem  sie  einerseits  der  Verehrung  Oottee,  der 
Jungfrau  Maria,  der  vierzehn  Nothelfer,  besonders  des  heiligen  Christoph, 
dann  aber,  ein  wenig  praktischer,  dem  Seelenheil  verstorbener  Ver- 
wandten galten.  Jedes  Mitglied  musste  sich  die  cgesellsohaffb»  machen 
lassen,  «mit  engein  so  lang  das  sie  im  vmb  den  halss  zu  tragen  gerecht» 
war  und  mit  dem  Bilde  des  Heiligen  und  starken  Nothelfers  S.  Christoph 
cyn  der  figure  als  er  den  hem  des  himels  vnd  der  erden  durch  das 
mere  trug  vnd  von  ym  getaufit  worden»,  besonders  an  Hof-  nnd  Kirchen- 
festtagen, bei  Strafe  von  vier  Pfennigen,  sie  anlegen,  und  war  gleiohfidb 
zu  bestimmten  Gebeten  und  zu  moralischem  Wandel  verpflichtet. 

^>  S.  die  Gebete  und  das  Christophlied.  Act  Sanct  §  S6.  88. 

*)  In  Frankreich  riefen  ihn  Schwangere  an  ftlr  eine  glückliche 
Niederkunft  und  kräftige  Frucht  [Bevue  anglo-fran^ise  I,  366],  in  Plans 
war  er  Patron  der  Gemüsehändler,  Lastträger  und  dgL  Leute,  Forgeaas 
CoUection  de  plombs  historiös  I,  68,  IV,  168.  Auch  gegen  Zahnweh 
sollte  er  helfen  [Cahier  Charaot^ristiques  II,  610].  Er  war  Schutzherr 
der  Advokaten.  Er  diente  als  Modell  zu  buchhändlerischem  Handels- 
leiohen,  z.  B.  des  Henxiing  Gross  in  Leijoig,  des  Christoffel  Cunradus 
in  Amsterdam  [Sinemus  p.  66/6].  Christoph  Schenrl  giebt  seinen  « Viertaig 
Sendbriefen  ans  dem  Latein  in  das  Teutsch  gezogen,  von  Fridrich  Peypoa 
zu  Nürenberg  am  abent  des  heiligen  marterers  vnnd  grosen  nothelfers 
saat  Christoffels  jm  jar  Christi  1616  in  druck  vollendet»  auf  der  Bück- 
seite des  Titelblattes  und  auf  der  des  Schlnssblattes  zwei  Holzschnitte 
mit  den  stereotypen  Christophsoenen  mit. 


917  Yolksbraucli  and  Volksmeinang.  317 

Wunder    ereigoeten    sich    Lokalisationen    der   Legende    er^ 
folgten  ^). 

Li  dem  alten  deutschen  Gedichte  A  wurde  dem  Heiligen 
die  Kraft  yerliehen,  dem,  der  «in  grozzem  gelt»  sei,  zu  helfen 
und  ihn  freizumachen,  dass  er  in  Ehren  sein  Gut  gewinnen 
und  seine  Seele  behüten  möge.  [V.  1596  ff.J.  um  Schutz 
gegen  «armoede»  flehte  man  ihn  an.  Gegen  Ausgang  des 
Mittelalters  gewann  diese  Seite  der  Verehrung  das  Übergewicht, 
in  nächtlicher  Beschwörung  suchte  man  den  allTcrmögenden 
Heiligen  zur  Herausgabe  von  barem  Gelde  zu  zwingen^), 
manche  Geschichten  liefen  und  laufen  hier  und  da  vielleicht 
noch  im  Volke  um  ygd  gutem  oder  üblem  Ausgang^).    Die 

')  S.  besonders  die  Act.  Saiiot.,  über  das  Jadenwander  in  Valencia 
Ix>r.  ViUanaeya  Yiage  literario  a  las  iglesias  de  Espana,  Madrid  1804, 
II,  22—89.  Es  geht  derartiges  aber  nur  den  aosserdeutschen  und  wohl 
kirchlichen  Heiligen  an.  Der  französische  Heilige  scheint  wirklich  den 
deutschen  Yolkstümlichen  Charakter  gehabt  zu  haben.  In  Beims  wurden 
1686  dramatische  Umzüge  einer  S.  Jakobsbruderschaft  verboten,  bei 
welchen  unter  andern  einer  ein  Kind  auf  den  Schultern  trug  und  ab 
und  zu  hinaufrief:  „Kind,  bist  du  schwer  l**  Die  Antwort  war:  „Christoph, 
heut  trägst  du  die  ganze  Welt!"  Kinder  liefen  hinterher  und  machten 
Iiärm  [Annales  archeol.  IX,  241].  —  Lokalisierungen  zu  K^rentrech  an 
der  Scorf  [Org.  f.  ohristl.  Kunst  VIII,  77]:  der  Heiland,  im  Qewande 
eines  Beisenden,  wird  von  dem  hl.  Christoph  über  diesen  Fluss  getragen 
und  lohnt  den  Dienst,  indem  er  die  verkommenen  Einwohner  der  Nieder- 
Bretagne  zu  einem  menschenwürdigen  Dasein  aufweckt.  Im  Hafen  von 
Brindiii  s.  Deutsche  Pilgerreisen  nach  d.  hL  Lande,  ed.  Bohricht  und 
Keisner,  Berlin  1880,  p.  291. 

*)  Sicherlich  nicht  nur  von  Schätzen,  die  im  Wasser  liegen,  wie 
F.  Nork  im  Festkalender  p.  918  meinte. 

*)  Meist  geht  das  Unternehmen  nicht  so  glücklich  ab  wie  den 
Miinnem  von  Oberpreohthal  und  Biederbach  in  Baden,  die,  als  sie  nach 
langen  vergeblichen  Yeteoehen  auf  die  Yerheissung  einer  glänzenden 
Frauenerscheinung  hin  in  einem  Burggewölbe  eine  von  Fackeln  um« 
leuchtete  Kiste  voll  Gold  aufsteigen  sahen,  aber  vor  dem  begleitenden 
Blitz  und  Donner  entsetit  flohen,  doch  am  nächsten  Morgen  einen  Haufen 
dürren  Kuhmist  fanden,  der  sich  ihnen  in  Kronenthaler,  60000  Oulden 
etwa,  verwandelt  [Baader  Yolkssagen  ans  dem  Lande  Baden,  Karlsruhe 
1860  p.  68/9.].  In  der  Mark  weiss  man  nur  noch,  dass  in  der  Kirche 
stt  Nenstadt-Eberswalde  in  der  Bichtang,  nach  wekher  ein  Freskobild 

15  • 


218  ^  Richter.  218 

erforderlichen  Gebete  wurden  handschnfUich  und  durch  den 
Druck  verbreitet,  bis  nach  Ungarn  hinunter^).  Sicher  war 
es  der  Ohristusträger,  den  man  anrief^ ;  es  wird  in  kiLrzerem 
oder  längerem  Auszug  die  Legende,  etwa  in  der  Fassung  der 
Legenda  aurea,  erzählt,  nur  dass  aus  den  deutschen  Versionen 
der  Name  cOpherus»,  cOffery»  hineingekommen  ist,  und  in 
die  Taufworte  des  Eöndes  fälscht  man  einen  Passus  ein,  um 
die  Habgier  unter  göttliche  Autorität  zu  stellen  ^.    Die  Cere- 

des  Christoph  schaue,  ein  grosser  Schatz  verborgen  liege,  zwei  fremde 
Mönche  haben  früher  jährlich  einmal  nach  Kirche  and  Bild  gesehen, 
was  es  aber  sonst  damit  für  eine  Bewandtnis  habe,  sei  dunkel  [Ä.dalb. 
E.uhn  Märkische  Sagen  und  Märchen,  Berlin  1843  p.  176  no.  168]. 

')  In  Köln  erschienen  in  mehreren  Ausgaben  Kreschtoffelsböjelcher, 
die  Anleitung  zum  Schatzg^raben,  aber  auch  zum  Stich-,  Hieb-  und 
Schussfestmachen  und  dgl.  enthielten  [Wolf  Beiträge  zur  deutschen 
Mythologie  I,  99;  Org.  f.  christl.  Kunst  XU,  220  ff.].  In  Ungarn  war 
handschriftlich  ein  Buch  verbreitet,  meist  einfach  „Ghebete  des  hl.  Christoph'^ 
betitelt,  bisweilen  auf  die  Verfasserschaft  eines  deutschen  Jesuiten  Eber- 
hard, Professors  an  der  Universität  Ingolstadt,  hinweisend  [Heinr. 
V.  Wlislocki  Aus  dem  Volksleben  der  Magyaren,  München  1893.  Wuttke 
Der  deutsche  Volksaberglaube  der  Gegenwart,  '1869,  p.  887].  In  Mähren, 
der  Pfalz,  Franken,  Österreich,  den  Rheinlanden  ist  der  Aberglaube  be- 
zeugt. Ich  kenne  von  deutschen  Ghristophelgebeten  das,  welches  Tafinger 
in  seiner  noch  zu  nennenden  Dissertatio  in  lateinischer  Übersetzung  ab- 
gedruckt hat,  ein  zweites  von  Scheible  Kloster  DI,  848 — 61  mitgeteiltes, 
ein  drittes  handschriftlich  als  Ms.  germ.  ootav  118  auf  der  kgl.  Bibliothek 
zu  Berlin  befindliches:  Dass  gerechte  und  wahrhafitige  Gebett  dess 
heiligen  sanct  Christoph  welches  allen  katolischen  Christen  zu  gut  an 
Tageslicht  gegeben,  von  einen  gewiesen  Pater  offt  probirt  und  vielen 
nothleidenden  Seelen  damit  geholffen  worden.  Ai  1663,  und  die  ersten 
Worte  eines  vierten,  welches  Th.  Vemaleken  Mythen  und  Bräuche  des 
Volkes  in  Oesterreich,  Wien  1869,  p.  86  nach  einer  Version  aus  Trubau 
in  Mähren  giebt.  Die  Zitate  des  Folgenden  sind  der  noch  nicht  ge- 
druckten handschriftlichen  Fassung  entnommen,  die  nach  Ungarn  weisenden 
aus  Wlislocki. 

*)  «Als  wahr  du  getragen  hast  unsem  Herrn  Jesum  Christum  dnroh 
den  Jordan  als  wahr  trägst  du  mir  mein  bescheidenes  Guth  her,  dass 
mir  von  Gott  ist  auserwählt  worden». 

')  «0  du  lieber  Diener  mein,  jezund  solt  du  getauffet  seyn,  und 
dein  Kahme  soll  heissen  Christoph,  du  bist  ein  Sohaczmeister  über  alle 
verborgene  Gütter  und  Schäcz  der  Welt,  auch  über  das  verborgene  Geld, 


219  Yolksbranoh  und  Yolksmeinongf.  219 

monien  waren  die  üblich  umBtändlichen^).  Wichtig  ist,  dass 
nicht  eigentlich  der  Heilige  selbt  den  Schatz  bringt,  sondern 
er  offenbar  als  der  gilt,  dem  alle  Schätze  der  Welt,  dieVer- 
ftignng  über  sie  nnd  die  Gewalt  des  Zwanges  über  die  höllischen 
Geister,  die  sie  hüten,  übertragen  ist  ^.    In  Ungarn  trägt  er 


du  8olt  nm  Gottes  willen  mein  Anstheiler  seyn,  der  armen  Leuten,  diess 
nothdürfftig  seyn,  und  dich  darum  anruffen  loben  nnd  ehren,  die  soltert 
du  gewahren  nach  ihrem  Begehren». 

')  Die  Bedingung  des  Gelingens  war,  dass  man  sich  des  Tages 
keusch  und  rein  gehalten  und  gefastet  hatte;  von  neun  bis  nach  zwölf 
Uhr,  oder  nur  zu  nachts,  an  einem  Dienstag,  Donnerstag  und  Samstag 
nach  dem  Neumond,  oder  an  S.  Jakobi  Abend  hatte  die  Beschwörung 
zu  erfolgen.  Man  musste  mit  einem  Fusse  über  ein  Gefäss  stehen,  darin 
sich  Wasser  befindet,  das  gegen  Sonnenaufgang  seinen  Ursprung  hatte, 
und  soll  ein  geweihtes  Wachslicht  angezündet  in  der  Hand  halten ;  Ave 
Marias,  Credos,  Paternosters  n.  s.  w.  Inmitten  der  herkömmlich  ge- 
zeichneten Kreise  befand  sich  ausser  einem  Kruzifixe  und  Weihwasser 
ein  Christophelbild,  auch  wohl  ein  solches  der  Jungfrau  Maria,  jenes 
musste  man  bestöndig  im  Auge  haben,  wir  erinnern  uns  jener  kleinen 
Darstellung,  die  den  Kiesen  in  enge,  knappe  Bergmannskleider  zwäng^. 
Die  Nöte  vergangener  Zeiten  lächeln  uns  an,  wenn  bei  jeder  Nennung 
der  ganz  bestimmten  Summe,  etwa  99000  Dukaten  oder  80000  Florin, 
unvermeidlich  und  unermüdUoh  hinzugesetzt  wird  «in  guter  Landtmüntz 
und  Wehrung»,  «ohn  verfaltzss  und  g^terLantswehrung»,  «bonae  monetae». 
Durch  das  entstehende  G«töse  durfte  man  sich  nicht  schrecken  lassen, 
und :  «wann  der  G^ist  das  Geld  gebracht  hat,  nach  deinen  begehren,  so 
■prengs  mit  einen  Weyhbronen  oder  Wasser,  und  wirff  ein  Tisch -Tuch 
dar,  und  bette  dieweil,  sag  nicht  O  dass  Geld  ist  schon  da,  greife  es 
auch  nicht  vor  einer  Stunde  an,  seye  auch  nicht  neydisch,  theils  redlich 
mit  deinen  Chesellen,  die  mit  dir  betten».  Auch  wohl  durch  einen  Bosen- 
kranz  wird  der  Schatz  gebunden. 

*)  Sodass  er  gleichsam  nur  den  Befehl  oder  die  Vollmacht  giebt 
und  auf  seine  Beschwörung  noch  eine  Beschwörung  und  Citierung  auf 
den  «Geist  undt  Schaatzhüter»  zu  folgen  hat.  Es  wird  diese  Wahrnehmung 
zur  Gewissheit,  wenn  Tafingers  Angabe:  «s.  Christophorum,  et  quidem 
genios  tum  bonos,  tum  malos,  ex  quibns  maxime  oelebratur  Astarot,  ab 
ipso  mittendos  invocant  et  adjurant,  nt  pecuniae  oopiam  invocantibus 
et  a^jurantibus  largiantur»  verglichen  wird  mit  den  Zeugnissen,  die 
Wlislooki  für  eine  oberherrliche  Beziehung  des  hl.  Christoph  zu  teuf- 
lischen Machten  der  Magyaren  erbringt.  So  heisst  es  in  einem  Gebete 
ans  dem  Kalotaszeger  Bezirke:    «Lieber  gütiger  Christoph,  gieb  mir 


SSO  S^'  Richter.  SSO 

des  zum  Zeichen  einen  goldenen  Hammer;  wo  er  mit  ihm 
hinachlägti  entsteht  der  sogenannte  Karfunkelatein  und  zeigt, 
wie  die  Sonne  leuchtend,  den  Sehatz  an^).  Aber  in  Ungarn 
scheint  sich  auch  bisweilen  die  Vorstellung  des  himmlischen 
Mächtigen  über  höllische  Geister  in  die  eines  selbstteuf  lischen 
Obergewaltigen  verkehrt  zu  haben  ^.  Im  Allgemeinen  ist 
eine  enge  Verwandtschaft  des  magyarischen  und  des  deutschen 
Schatzherm  Christoph  ersichtlich"). 

Glück  auf  meinem  Gange,  damit  meine  ifiiidigen  Augen  den  Teropkile, 
deinen  Diener  erblicken  mögen;  gieb,  dasa  er  midh  beschenkt»,  oder: 
«führe  mich  zum  Xerophile,  zu  deinem  obersten  Schatehüter  hin»,  oder 
ein  drittes  gelobt  ihm  und  seinem  Diener  Dromo  Dienst.  Dromö  aber 
war  der  oberste  Teufel,  Xerophile  ein  Hauptechatswachter,  und  da  auch 
im  deutschen  Volksglauben  der  Teufel  und  seine  Gesellen  die  Schätze 
in  ihrer  Hut  haben,  so  werden  wir  nicht  irr  gehen,  wenn  wir  den  Namen 
der  grossen  syrischen  Göttin  als  eine  späte  und  willkürliche  Bezeichnung 
teuflischer  Wesen  auffassen,  über  welche  dem  hl.  Christoph  die  direkteste 
Gewalt  zustand.  Auch  diese  Vorstellnng  dürfte  für  die  volkstümliche 
Geltung  des  Heiligen  zeugen. 

*)  Siehe  Wlislocki  1.  c,  z.B.  cFühre  mich  mit  deinem  goldenen 
Hammer,  zertrümmere  damit  die  Bösen  und  öffne  mir  die  Pforten  zu 
deinen  heiligen  Schätzen»,  «klopfe  mit  deinem  goldenen  Hammer,  damit 
ich  weiss,  wo  sich  ein  Schatz  befindet»  und  ähnlich  ruft  man  ihn  an« 
Nun  ist  in  einem  deutschen  Märchen,  das  Pröhle  Kinder-  und  Volks- 
märchen, Lpz.  1858  p.  zx,  erzählt,  der  dicke  Ghristophel  ein  Goldschmied» 
der  eine  Eisenstange  trägt  und  sich  bei  einem  Meister  der  Zunft  in  die 
Lehre  giebt,  und  wie  S.  Eligius,  der  Patron  der  Goldschmiede»  solchen 
Amtes  zum  Abzeichen  einen  Hammer  in  der  Hand  trägt  [OhristL  Kunst- 
symbolik u.  Ikonographie,  Frank£  1839  p.  79],  also  mag  auch  unser 
Christoph  leichtlich  zu  diesem  Attribut  gekommen  sein,  wenn  nicht  seine 
einfache  Beziehung  zu  unterirdisch  Verborgenem  ihm  das  vornehmste 
Werkzeug  des  Bergmanns  in  die  Hand  gedrückt  haben  sollte. 

')  Die  Weiber  geloben  sich  dem  hl.  Christoph  ad  coitum.  Sin 
0£sner  Kinderspottlied,  wenn  einer  einen  Wind  lässt,  yerbietet  dem 
«Xeufelssohn»  Christoph,  es  zu  saugen.  Doch  ist  das  nicht  die  ursprüng- 
liche Meinung  gewesen,  wie  der  Ausdruck  «der  treueste  Diener  unseres 
Herrn  Jesu  Christi»  von  eben  diesem  Heiligen  zeigt. 

*)  Die  Beschwörung  scheint  in  Ungarn  durchaus  im  Freien  statt- 
zufinden, also  eine  eigentliche  Schatzhebung  zu  bedeuten,  worauf  für 
Deutschland  nur  die  Xrümmer  der  Volksüberlieferung  hinweisen,  während 
die  vollständig  bekannten  Ghebete  einen  Zauber  in  geschlossenem  Baume 


SSI  Volksbraach  und  Volksmeinang.  2S1 

So  war  S.  Christoph  der  rechte  Nothelfer,  das  meist  in 
Anspruch  genommene  Mitglied  jener  Heiligengilde,  welche 
die  Yolkstümlichste  und  darum  in  Ursprung  und  G^chichte 
rätselhafteste  Institution  christlichen  Yerehrungsbedürfodsses 
war.  Er  war  noch  mächtiger  und  gewaltiger  in  deutschen 
Landen  als  sein  grosser  Zwillingsbruder,  der  Boland.  Wer 
den  hl.  Christoph  nicht  gesehen  und  die  Knöpfe  an  seinem 
Stocke  nicht  gezählt  hat»  sagte  ein  Sprichwort,  der  ist  nicht  in 
Trier  gewesen;  auch  nicht  in  Deutschland,  können  wir  erweitem. 

Diese  zweite  und  Blüteperiode  des  Kultus  unseres  Heiligen 
mögen  wir  Ton  der  zweiten  Hälfte  des  zwölften  Jahrhunderts 
etwa  rechnen  bis  zur  Reformation.  Dass  der  ganze  Aber- 
glaube an  den  Schatzspender  Christoph  erst  einer  späteren 
Zeit  seine  Ausbildung  verdankte,  vielleicht  der  materiell  und 
geistig  herabgekommenen  Epoche  des  grossen  Earieges,  wird 
negativ  dadurch  bezeugt,  dass  die  Reaktion,  der  Kampf  gegen 
die  Verehrung  unseres  Heiligen,  wie  ihn  die  Reformation  mit 
sich  brachte,  keinen  Bezug  nimmt  auf  Auswüchse  in  der  be- 
zeichneten Richtung. 


beabsichtigen.  Auch  der  magyarische  Schatssaoher  mass  vorher  &steii 
und  flieh  eine  ganze  Woche  des  geschlechtlichen  Umgangs  enthalten 
haben.  Terophüe  und  seine  Diener  werden  beschworen,  «in  einer  schonen 
und  gelalligen  Menschengestalt,  ohne  jeden  Schreck,  Lärm  und  Furoht- 
eintreiben,  ohne  Log  und  Trug»  zn  erscheinen.  Auch  eine  deutsche 
Hanptsorge  war  es,  dass  der  Schatzhüier  «in  menschlicher  Gest&lt  ohne 
Allen  Oraosen  und  Schaten  des  Leibss  and  der  Seelen  und  ohne  Yer* 
letznng  deren  Kreiss»  käme  und  ohne  bösen  G-estank  wieder  abeoge. 
«Spreite  deinen  goldenen  Mantel  unsichtbar  über  mir  aus,  damit  mich 
niemand  störe», . . .  «schlage  mit  deinem  diamantenen  Schwerte  ein  Kreuz 
vber  midi»:  für  den  deutschen  Christoph  ist  der  weite  lange  Mantel 
ebttrakteristisch,  und  das  Schwert  trägt  er  zum  mindesten  nicht  selten. 
Da  WHslocki  den  ungarischen  ganz  ähnliche  G-ebete  aus  Siebenbürgen 
mitteilt,  so  erscheint  eine  Yermittelung  des  deutschen  Aberglaubens 
durch  die  Siebenbürger  Sachsen  sehr  wohl  möglich.  Andere  Züge  der 
magyarischen  Gebete,  denen  nichts  genau  Bntsprechendes  aus  den  deutschen 
an  die  Seite  gestellt  werden  kann,  sind  offenbar  erst  ein  sekundärer 
AnsfluBS  speziell  magyarischer  Sohatsgräbergebräuche  und  haben  keinen 
inneren  Zusammenhang  mit  der  Person  unseres  Heiligen. 


S82  K*  Richter.  '   322 

Schon  Pitts  11.  soll  gewünscht  haben,  dass  die  Legende 
des  hl.  OhristophoroB  ans  dem  Brevier  entfernt  würde  ^),  nnd 
die  Nacherzählong  der  Legenda  aurea  dnrch  Joannes  Ghkrzo, 
1610  in  Leipzig  gedruckt,  unterbricht  sich  bei  dem  Bericht 
von  dem  Stabwunder:  hoc  nonnulli,  qui  nee  re  nee  verbis 
christiani  ezistunt,  nequaquam  fieri  potuisse  affirmant;  quod 
nobis  objiciunt,  inane  est  ac  futile  etc.:  das  bedeutet  eine 
Abwehr  der  gegen  die  Legende  gerichteten  Ejitik.  Der  auf- 
geklärte Erasmus  verspottete  lustig  im  Naufragium  der 
Familiaria  coUoquia  den  Glauben  an  die  Schutzkraft  des 
Kolosses  von  Notre  Dame  gegen  den  Sturm  des  Meeres  u.  s.  w. 
Und  Luther  fiel  ab. 

Wir  wissen  wenig  über  das,  was  nun  kam.  Li  Bern 
wurde  eine  Statue  des  hl.  Christoph  aus  der  Kirche  entfernt 
und  als  G-oliath  verkleidet  in  ein  Stadtthor  gestellt^).  Im 
Jahre  1631  wurde  der  Christoph  des  Strassburger  Münsters, 
tals  man  noch  andere  bilder  hinweg  gethan>^),  ins  Bürger- 
hospital  überführt,  und  da  er  nicht  durch  die  Thür  gehen 
wollte,  hieb  man  ihm  Hände  und  Füsse  ab^).  Aber  solche 
einzeln  überlieferten  Fakta  sind  charakteristisch,  wir  dürfen 
sie  wohl  zu  der  Meinung  verallgemeinem,  wie  man  es  öfter 
gethan  hat,  dass  die  Wut  der  Bilderstürmer  vorzüglich  unserm 
Heiligen  übel  mitgespielt  habe.  Gerade  seine  Grösse,  seine 
Aufdringlichkeit,  seine  Geltung  mussten  ihm  zum  Verderben 
werden.  Die  Gemälde  wurden  zum  Teil  übermalt,  und  hatten 
es  diesem  Verfahren  zu  verdanken,  dass  sie  in  unserem  Jahr- 
hundert wieder  auftauchen  konnten,  von  der  Unmasse  der 
Christophstatuen  aber  sind  nur  wenige,  die  in  die  Zeiten  vor 
der  Reformation  zurückreichen,  uns  erhalten.  Von  einem 
Wandel  der  Dinge  zeugen  auch  die  Spottverse,  die  jetzt  plötz- 


^)  Org.  f.  Christi.  Knnst  XH,  220  ff. 
*)  Ereuser  L  c.  I,  210. 

*)  Strassburger  Münster  und  Thum-Büchlein,  1732,  p.  80. 
^)  Grandidier  Essais  historiques  et  topograph.  sur  TögUse  cath.  de 
Strasb.  1782  p.  78. 


323  Yolksbrauch  und  Yolksmeinung.  223 

lieh  hier  und  da  über  den  Heiligen  erscheinen  ^).    Es  werden 
dann  mehrere  Streitschriften  gegen  die  abergläubische  Verehrung 

^)  Die  mönchslateinerne  Inschrift,  die  an  der  Ghnstophstatue  vor 
der  Kirche  zu  Königsberg  in  Böhmen  sich  befanden  haben  soll: 

0  magne  Christophore, 
Qui  portasti  Jesu  Ghriste 
Per  mare  rubrum. 
Nee  firanxisti  crurum, 
Neque  hoc  fuit  mirum, 
Quia  tu  fiiisti  magnum  virum, 
läuft  in  vielen  Varianten  herum,  s.  z.  B.  M.   Müller  Lectures  sec.  ser. 
p.  668.    Auf  der  Bückseite   eines  Holzschnittes   aus   dem  16.  Jh.   [Bkk. 
216 — 10]    las    ich  ein  paar  Zeilen,    die   den  Heiligen  mit   einem   „alt 
schwachem  Weibe"  verglichen: 

Wie  stelstu  dich  du  starrker  kerle 
Gleychsam  du  trügest  die  gantze  werle:  u.  s.  w. 
[verderbt],  zum  Schluss :  «und  doch  hat  sie  mehr  crafftDan  bey  dir  dein  grosse 
manneschaft».  Nach  Südens  Qelehrt.  Criticus  soll  sich  der  bekannte  Scherz : 
Ghristophorus  Christum,  sed  Christus  sustulit  orbem: 
Constiterit  pedibus  die  ubi  Ghristophorus? 
in  Heidfelds  Sphinx   philosophica  cap.  xl  finden,    in  deren   Original- 
ausgabe vom  Jahre  1600  er  jedenfalls  nicht  steht.    Eine  deutsche  lieber- 
Setzung  des  Distichons  liest  man  unter  einem  Bilde  des  Heiligen  zu  TÖlz 

in  Oberbaiern: 

Christoph  trug  Christum, 

Christus  trug  die  ganze  Welt, 

Sag,  wo  hat  Christoph 

Damals  hin  den  Fuss  gestellt? 
[metrisch  sohlechter  in  den  Deutschen  Inschriften  an  Haus  und  0-eräth, 
Berlin  ^1889,  p.  18].  Btwas  verschnörkelt  drücken  denselben  Gedanken 
drei  Distichen  auf  dem  Stiche  des  Grazie  Borgiani  Ba  68  aus,  die  Hauthal 
mitteilt.  Weiteres  derart  s.  Franc.  Gancellieri  Notizie  storiche  e  biblio- 
grafiche  di  Gristoforo  Colombo,  Bom  1809,  p.  6.  Auch  die  Anekdote  von 
dem  Questionierer  mit  S.  Christofiels  Heiligtum  darf  hier  angezogen  werden, 
welche  K*  Goedeke  aus  J.  Freys  Ghurtengesellschaft  in  seine  Schw&nke  des 
16.  Jhs.  Lpz.  1879  p.  SS9  aufgenommen  hat,  und  welche  auf  Poggio 
zurückgeht,  interessant  auch  dadurch,  dass  sie  «ein  lied  von  des  brüder- 
lins  Incern,  das  im,  sc.  dem  Heiligen,  geleucht  hett»  erwähnt.  —  Eine 
Illuftration  der  «stulta  quidem,  sed  tamen  jucunda  persuasio»,  wie  Eras- 
mut  sagt,  gab  des  Hans  Holbein  Holzschnitt  im  MwpuK  ctkuiiuiiov  in  dem 
verzückt  stupide  auf  ein  an  der  Mauer  hängendes  Christophbild  schauenden 
dickköpfigen  Menschen. 


884  K.  Biohter.  824 

des  Heiligen  geschrieben,  im  17.  Jh.,  ja  eine  noch  im  Ghoethe- 
jahre  1749^),  ob  sie  von  einem  wirklichen  Einfluss  warai, 
kann  ich  nicht  sagen. 


^)  1660  erschien  in  Altenbarg  von  Joh.  Seb.  Mittemacht  De  magno 
ut  vocant,  Christophoro,  1688  in  Wittenberg  eine  Dissertatio  hittorioa, 
qua  idolam  pontificiomm  destructum  h.  e.  liagnum  quem  vocant  Ghrifito- 
phorum  oder  den  grossen  Christophel  publice  placidoque  eruditonun 
examini  subjiciunt  Andreas  Bleich  et  Sigismund  Mejjer  [nach  Henkelum, 
nach  anderer  Angabe  von  Ans.  Christ.  Heyerus],  die  noch  1784  wieder- 
holt wurde.  Beide  kenne  ich  nicht.  Wohl  aber  eine  Dissertatio  theo- 
logica  casualis  de  invocatione  S.  Christophori  ad  largiendos  nummoa. 
Vom  Christophels-Gebet,  quam,  deo  clementer  iuvante,  praeside  Christo* 
phoro  Matthaeo  Pfaffio,  ss.  theologiae  doct.  et  prof.  prim.  vniversitatis 
Tubing.  cancellario  etc.  pp.  ad  diem  vi  Sept.  a.  MDCCxLvm  in  aula 
theologorum  nova  defendet  H.  Johannes  Andreas  Tafinger,  Ludovioo* 
politanus;  Tnbingae:  welche  genaue  Titelwiederholung  irrtümliche  An- 
gaben einmal  berichtigen  soll.  In  S6  Paragraphen  beweist  der  Verfasser 
seine  These,  dass  es  weder  gute  noch  böse  Geister  gebe,  «per  quos 
Christophorus  largiatur  nummos,  vel  qui  adjurationibus  induci  oogive 
possint,  ut  in  forma  Christophori  vel  alia  appareant,  nummosque  ad- 
ferant».  Aber  die  nicht  allzu  ergiebigen  Angaben  über  den  bekämpften 
Aberglauben  lassen  schlieesen,  dass  die  erörterte  Frage  eine  mehr  aka- 
demische als  dringende  war.  Wenn  er  nach  einem  leidlichen  Für  und 
Wider  der  protestantischen  und  katholischen  Autoren  cur  Verwerfung  des  Be- 
richtes der  Legenda  aurea,  vel  potius  plumbea  gelangt,  so  war  das  zu  seiner 
Zeit  keine  grosse  That  mehr,  und  wenn  er  allen  Ernstes  den  Aber- 
glauben, dass  der  Teufel  Geld  schaffen  könne,  mit  einem  Geschichtchen 
widerlegt,  in  welcher  der  wirldioh  gefundene  Schatz  schliesslich  doch  in 
Rauch  aufgeht,  so  werden  wir  ihn  trotz  seiner  Zitatengelehraamkeit  for 
keiof  Ingenium  halten  können.  Aber  einige  Einzelheiten  der  üeber» 
lielerung  hat  er  richtig  erkannt,  z.  B.  die  Beschaffenheit  der  an- 
geblichen Worte  des  hL  Ambroeius.  Seine  Schrift  gipfelt  in  dem.  Ver- 
langen an  die  Obrigkeit,  dass  sie  die  Beschwörer  ernstlich  an  Vermögen 
und  Leib  strafe  und  ihre  Formelbücher  verbrenne,  und  sie  sohliesst  mit 
einem  thÖrichten  Anhängsel  über  die  Ewigkeit  der  HöUenstrafen,  «ne 
vaoent  paginae».  Mit  der  von  der  Reformation  ausgegangenen  Bewegung 
hat  Tafinger  jedenfalls  einen  nur  sehr  lockeren  Zusammenhang,  und 
höchstens  als  ein  allgemeines  Zeichen  des  gesunkenen  Ansehens  S.  Christophs 
lassen  sich  die  vereinzelten  Zerstörungen  und  Beseitigungen  seiner  Sta- 
tuen, wie  sie  aus  der  Folgezeit  überliefert  sind,  auffsssen.  Wie  z.  B.  in 
Frankreich   eine   solche   zu  Auxerre  1768  vom  Kapitel  [Kreuzer],   eine 


285  Volksbrauch  and  Volksmemang.  28& 

Anders  yerhielt  man  sich  im  16.  Jh.  von  katholiacher 
Seite.  Die  Missbränohe  zu  verkemien  und  zu  yerleugnen  ging 
nicht  wohl  an,  so  leugnete  man  denn  ihr  Entstehen  unter 
kirchlioher  Autorität  Die  alten  Passionsberichte  wurden 
wieder  hervorgezogen  und  geflissentlich  gegen  die  Erzähluxi^ 
der  Legenda  aiu*ea  ausgespielt,  und  man  that,  als  ob  man 
in  ihnen,  wenn  auch  nicht  ganz  Echtes,  doch  leidlich  Zu- 
verlässiges über  ein  positives,  historisches  Dasein  des  Heiligen 
besitze^).  Das  beliebte  Schlagwort  ist :  cdepravata  sunt  acta». 
Und  dieser  Standpunkt  fand  seinen  eigentlichsten  und  gewisser* 
massen  definitiven  Ausdruck  in  der  Abhandlung  des  Joannes 
Pinius,  der  1749  starb,  in  dem  Commentarius  praevius  zu 
zu  der  in  den  Acta  sanctorum  gedruckten  alten  Passio:  mit 
Berufung  auf  sie,  der  man  einen  wirklichen  Fleiss  und  grosse 
Fülle  des  Materials  keineswegs  absprechen  kann,  nimmt  man 
ihn  durchschnittlich  bis  heute  noch  ein. 

Es  steckte  hinter  diesem  scheinbar  so  kritischen  Be* 
streben  das  tiefere:  zu  retten,  was  zu  retten  war.  Und  bei 
der  ungeheuren  Popularität  des  grossen  Christophel  konnten 
auch  die  Reformatoren  nicht  hoffen,  ihn  ganz  aus  dem  Em- 
pfinden und  Glauben  der  Leute  ausrotten  zu  können.  Sie 
halfen  sich  durch  eine  Fälschung:  sie  machten  die  liegende 
zur  Allegorie. 

Luther  ging  voran.  Seinem  poetischen  Sinn  konnte  die 
Poesie  der  Legende  nicht  verborgen  bleiben,  und  so  gab  er 
die  schönste  und  herzlichste  und  doch  einfachste  Formulierung 


andere  in  S.  Fierre-des-Marais  za  Saanmr  [Bodin  p.  27]  und  die  be- 
rühmteBte  in  der  Notre-Dame  de  Paris ,  die  grösste  des  Landes  [Revue 
anglo-fran^ise  I,  166],  übrigens  nioht  par  les  Vandales  de  93  [Ö-uene- 
bavH;  s.  dagegen  Paris  &  travert  les  &ges  1875 — 82  tom.  I  Notre-Dame 
p.  17.  28]  sersiört  worden,  so  hat  schliesslich  auch  der  „Militarismas^ 
unteres  Jahrhunderts  bei  der  Umwandlung  der  Klosterkirche  der  Weise- 
nonnen bei  Mainz  in  eine  Kaserne  sein  Christophorusopfer  gefordert. 

^)  So  beisst  es  denn  etwa  im  Chorus  sanct.  omn.  des  Georgius 
Wicehus  natv:  «mit  solcher  pictur  on  alle  scriptur  hat  man  verursacht, 
dass  itzt  viel  tausent  vnter  vns  nicht  gleuben  wollen,  dass  dieser  heilige 
je  auff  erden  gewesen  sey:  solchs  hat  man  damon». 


396'  K.  Richter.  296 

der  allegorischen  Deutung  ^).  Die  Legende  sei  keine  «Historia», 
sagt  er,  und  ein  andermal  ist  es  ihm  unlieb,  dass  ihrem  Tr&ger 
kein  Apostel  gleich  sein  mag,  dessen  G-eschichte  doch  mitten 
in  der  Bibel  stehe.  «Sondern  die  G-riechen,  als  weise,  gelehrte 
und  sinnreiche  Leute,  hätten  solchs  erdichtet,  anzuzeigen,  wie 
ein  Ohrist  sein  sollt,  und  wie  es  ihm  ginge ;  nämlich,  ein  sehr 
grosser,  langer,  starker  Mann,  der  ein  kleines  E[indlin,  das 
Jesulin,  auf  der  Achsel  oder  Schulter  trägt,  ist  aber  schwer, 
dass  er  sich  unter  ihm  bücken  imd  biegen  muss,  durch  das 
wüthend,  wilde  Meer,  die  Welt,  da  die  Wellen  und  Bulgen, 
die  Tyrannen  und  B.otten,  sampt  allen  Teufeln  zu  ihm  ein- 
schlagen und  verfolgen,  wollten  ihn  gern  umb  Leib  und  Leben, 
G-ut  und  Ehre  bringen;  er  aber  halt  sich  an  einen  grossen 
Baum,  wie  an  einen  Stecken,  das  ist,  an  G-ottes  Wort.  Jenseit 
dem  Meer  stehet  ein  altes  Männlin  mit  einer  Latem,  darinnen 
ein  brennend  Licht  ist,  das  sind  der  Propheten  Schrift,  dar- 
nach richtet  er  sich,  und  kömpt  also  unversehret  ans  Ufer, 
da  er  sicher  ist,  das  ist,  in  das  ewige  Leben;  hat  aber  einen 
Wetzschker  an  der  Seiten,  darinnen  Fische  und  Brod  stecken, 
anzuzeigen,  dass  Gott  seine  Ohristen  auch  hie  auf  Erden,  in 
solcher  Verfolgung,  Ej*euz  und  Unglück,  so  sie  leiden  müssen, 
ernähren  und  den  Leib  yersorgen  will,  und  sie  nicht  lassen 
Hungers  sterben,  wie  doch  die  Welt  gerne  wollte.  Ist  ein 
schön,  christlich  Gedichte».  Ein  andermal  giebt  er  die 
Negation  noch  deutlicher:  cihr  wisset  alle  wohl,  wie  man 
St.  Christoffel  malet  hin  und  wieder;  sollt  aber  nicht  gedenken, 
dass  je  ein  Mann  gewesen  sey,  der  also  geheissen  habe,  oder 
leiblich  das  gethan,  das  man  vom  Christoffel  sagt:  sondern, 
der  dieselbige  Legende  oder  Fabel  gemacht  hat,  ist  ohn 
Zweifel  ein  feiner,  vernünftiger  Mann  gewesen,  der  hat  solch 
Bild  dem  einfältigen  Volk  wollen  vormalen,  dass  sie  hätten 
ein  Exempel  und  Ebenbilde  eines  christlichen  Lebens,  wie 
dasselbige  gericht  und  geschickt  sein  soll;  und  hat's  also 
eben   fein  getroffen   und   abgemalet^.     Es   kam  Luther  zu 

»)  Tischreden,  Brlanger  Ausg.  d.  W.  LXII,  39. 

■)  Erl. Au8g.XVII,46ff. Wenigerwichtigund treflFend,wa8 VI,73 steht. 


827  Yolksbrauch  und  VolkBineinmig.  227 

gute,  dass  er  mit  seiner  Erklärung  an  eine  alte  symbolische 
Vorstellang  anknüpfen  konnte,  der  das  stürmische  Meer  als 
ein  Bild  dieser  Zeitlichkeit  galt^). 

Die  Schlagworte  waren  damit  gegeben,  sie  sollten  fort- 
wirken bis  in  unsere  Zeit.  1632  bereits  erschien  eine  ans- 
führliche  Peromata  eademqne  yerissima  d.  Ohristophori  des- 
criptio  von  Theobaldus  Billicanns  *),  mit  Parallelen  und 
Exempeln  aus  dem  Altertum  und  der  Bibel.  Dass  der  Aus- 
druck cFälschung»  auf  die  Deutimg  der  Beformatoren  nicht 
mit  Unrecht  angewandt  wurde,  lehrt  sogleich  dieVergröberung, 
die  ihr  Melanchthon  in  der  Apologia  confessionis  Augustanae 
gab,  wenn  er  von  den  cstolidi  monachi»  spricht,  die  eine 
poetische  Allegorie  dem  Volke  als  geschehene  Wahrheit  auf- 
geschwatzt hätten.  Chemnitius  %  Jo.  Gast  %  die  Oenturien  % 
Hyperius^,  Bivetus^  u.  a.  folgten  mehr  oder  minder  treu 
und  heftig. 

Übrigens  ist  es  stets  die  bildliche  Darstellung,  auf  welche 
die  Ausleger  bezug  nehmen  und  hinter  welcher  die  geschriebene 
und  gedruckte  Legende  völlig  zurück  trat.  Am  beredtesten 
bezeugen  das  die  bekannten  Verse  des  Hieronymus  Vida, 
Bischofs  Yon  Alba,  die,  zugleich  als  ein  Beweis,  dass  auch 
£[atholiken  [z.  B.  noch  Pierius  Valerianus  ^),  Baronius  und 
lisur.  de  Villayicentius]  die  allegorische  Auffassung  sich  an- 
eigneten, gelten  kann*).  Eine  ähnliche  cMystica  explanatio 
imaginis  Ohristophori»    findet  sich  als  ein  Epigramma  And. 


0  Piper  Myth.  und  Symb.  d.  ohmtl.  Kunst,  Weimar  1861, 1, 1,  128. 

*)  Gerlacher,  s.  Jöcher  U,  965.  Allg.  D.  Biogr.  II,  888.  Die  eine 
Atugabe  des  Machwerkes  trägt  einen  fürchterlich  missratenen  Holzschnitt 
▼omao,  die  andere,  ob  spatere?,  den  des  Hortulas  animae  Yon  1510. 

*)  Examen  conoilii  Tridentini,  De  invooatione  sanotonun,  seotio  1, 15. 

*)  Tom.  sec.  convivalinm  sermonum,  Basüeae  1564,  p.  282. 

^)  Quarta  centuria  ecdes.  bist.  Basüeae  1560  oap.  xa  coL  1480. 

*)  De  reote  formando  theologiae  studio  Üb.  III  cap.  7. 

^  Gatholicus  orthodoxns,  app.  Jesuita Yapulan8,Genf  1844,  cap.  VI,  p.  24. 

^  Hieroglyphica,  Basel  1656,  Hb.  zv,  116  D.  Zwar  auch  im  Luther- 
soben  Schema,  aber  doch  am  originellsten  neben  ihm. 

^  Ueberall  zu  finden,  Act  Sanct,  Hauthal  etc. 


aS8  K-  Biohter.  SSS 

Erstenbergij  Antistei^)  auf  dem  Holzschnitt  216—10  des  Bkk^ 
eine  weitere  des  Johannes  Stigel,  Professors  in  Wittenberg 
und  Jena,  an  einem  Christophbiid  zu  Augsburg^.  Bb  gab 
derartige,  meist  nur  herzlich  gut  gemeinte  Yerseleien  auch 
in  deutscher  Sprache,  Inschriften  unter  G-emälden  und  Bild* 
Säulen  des  Heiligen,  die  in  ihrer  Gesamtheit  ein  Zeugnis  sind, 
wie  geschickt  die  Kriegslist  der  Beformatoren  war.  Aus  den 
Epistolae  itinerariae  eines  unbekannten  Gelehrten,  deren  xiv. 
de  magno  Ohristophoro  handelt  und  Tom  11.  Juni  1744  datiert 
ist,  hat  Braun  mehrere  derselben  mitgeteilt*). 

Die  allegorische  Auffassung  der  Ohristophoruslegende 
fand  ihren  eigentlichen  Niederschlag  in  einem  umfänglicheren 
Gedichte,  das  unter  dem  Titel  cYom  Leben,  Baisen,  Wander« 
schafften  und  Zustand  des  grossen  S.  Christoffels,  wie  es  ihme 
von  seiner  Jugent  auff,  biss  auff  sein  lotsten  Abzug  auss  diser 
*Welt,  in  derselben  ergangen,  jedermeneglich  zu  wol  meynender 
Erinnerung,  gantz  lustig  und  artig  beschriben  durch  den  wol- 
gelehrten  Herrn  Nicodemum  Frischlinum  MDLxxxxi»  zur 
Ostermesse  erschien  ^).    Der  Name  Frischlins  auf  dem  Titel- 

')  Jöoher  II,  390?  Ich  weiss  nicht,  ob  sie  schon  gednickt  ist: 
Quisqais  in  hoo  Ghristj  nomen  seotabitur  orbe, 

TotiuB  immenram  sentiet  oirbis  onus. 
lUeoebris  etenim  Hundi  Satiuuueque  petitus 

In  medio  semper  fluctuet  ille  maij. 
At  si  respiciat  rutilantem  in  littore  flammam, 

Ipsi  qua  rectum  per  mare  pandit  iter: 
Intrepidam  fidej  sostentans  robore  deztram 

Inoolamis  yinoet  qaodlibet  ille  malnm. 
Quorum  Ohristophorj  pie  te  sub  imagine,  lector, 
Admonitum  nostris  versibus  esse  velim. 
*)  Distichen,  s.  Act.  Sanct*  §  61.    Sogar  in  Sevilla  eine  allegorische 
Unterschrift,  s.  Job.  de  Ayala  Pictor  ohristiantts  eniditus  p.  89B. 

*)  Org.  ü  Christi.  Kunst  XU,  M)  ff.  Die  Verse  in  der  Kirche  zu  Kord- 
hansen können   nach   der  untersohriebenen  Jahressahl  lOlS  kaum  ycki 
Mathesius  herrühren,  obechon  sie  ganz  lutherisch  beginnen: 
Der  St.  Christoph  ist  keine  Geschidit, 
Sondern  ein  fein  dnistlich  Ghedicht. 
^)  Neugedruckt  von  Soheible  im  Schaler  IV,   68—67,  166—61, 
S62— 72,  404 — 13   und  in   den  Deutschen  Dichtungen  von  Nicodemus 


929  Volksbrauch  und  Volksmeinung.  289 

blatt  war  eine  Fälschung,  der  Verfasser  des  Büchleins  war 
Andreas  Schönwaldt,  ein  kleiner  Pfarrer  sonst  unbekannten 
Wirkens*). 

Frischlin  ed.  Dav.  Frid.  Strauss,  xll  Publication  des  litterarischen  Ver- 
eins zu  Stuttgart  1857  p.  171—99. 

^  Während  Strauss  noch  des  Glaubens  an  die  Verfasserschaft 
Frischüna  lebte,  obwohl  sich  in  dessen  Papieren  keineriei  Andeutung 
einer  solchen  Schrift  fand,  hat  W.  Nebel  in  Mones  Anz.  f.  K.  d.  Vz.  1861 
ool.  848  ff.  und  888  ff.  aufmerksam  gemacht,  dass  einer  seiner  Vor£Ehhren 
im  Pfarramt  zu  Dreieichenhain  zwischen  Frankfurt  und  Darmstadt,  An- 
dreas Schönwaldt  mit  Namen,  Anteil  an  dem  Entstehen  des  Gedichtes 
gehabt  haben  muss.  Denn  unter  anderen  Vorwürfen,  die  diesem  Manne, 
einem  Lutheraner,  von  reformierter  Seite  gemacht  wurden  und  schliesslich 
im  Jahre  1594  zu  seiner  Amtsentsetzung  fühlten,  bildete  die  „schimpfliche 
Poeterey»,  der  grosse  Christoph  betitelt,  ein  Hauptstück  und  aus  des 
Besehuldigten  Aussagen  geht  herror,  dass  er  dieselbe  gelegentlich  der 
Einweihung  einer  Christoffburgk  geschrieben  und  an  einen  Frankfurter 
Freond  ad  revidendum  gesandt  hatte,  bei  welchem  Frischlin  ihrer  hab- 
haft geworden  sei  und  sie  ohne  sein  Vorwissen,  an  etlichen  Orten  ge- 
mehrt, habe  drucken  lassen. 

Ich  stelle  nun  über  die  noch  nicht  ganz  ausgetragene  Verfasser- 
frage folgende  kurze  Erwägungen  an.  Es  begriffe  sich  beiderseits,  dass 
der  Buchdrucker  und  Verleger  ein  Manuskript,  welches  ihm  von  des  aktuell 
gewordenen  Märtyrers  ETänden  Übergeben  worden  war,  lieber  als  dessen 
Werk  denn  als  das  eines  Unbekannten  ausgehen  Hess,  und  dass  der  An- 
geklagte Schönwaldt  aas  diesem  Umstände  1593  möglichsten  Nutzen  zu 
ziehen  sachte,  indem  er  dem  stummen  Toten  alle  Verantwortung  zuzu- 
schieben suchte :  eine  Abschrift  leugnete  er  zu  besitzen.  Die  ersten  Verse 
▼on  «S.  Christophori  Vatterland  vnd  Eltern»  mit  ihren  ganz  lokalen  An- 
spielungen auf  jene  gelegentliche  Veranlassung  des  Gedichtes  würden 
zoniichst  verwunderlich  dünken  müssen,  wenn  eine  tiefergreifende  Be- 
arbeitung durch  Frischlin  anzunehmen  würe,  und  eine  Scheidung,  wie  sie 
Nebel  versuchte,  indem  er  Schönwaldt  die  Episoden  beim  Forstmeister, 
Keller,  Amtmann  und  in  der  Kanzlei,  hingegen  die  beim  unzüchtigen 
Messpfaffen  dem  „unzüchtigen*'  Frischlin  zuschreiben  wollte,  verkennt 
die  Einheit  und  Steigerung  im  Aufbau  und  würde  das  AUemnbedeutendste 
des  Ganzen,  das  Unschuldigste  auf  Rechnung  eines  Utterarischen  Meisters 
setzen.  Es  ist  aber  zur  Beurteilung  der  Schönwaldtschen  Aussagen  von 
grosser  Wichtigkeit,  zu  bemerken,  dass  er  sich  wirklich  zu  entlasten 
suchte,  und  zwar  auf  eine  Art,  die  mir  ein  etwas  böses  Gewissen  zu  ver- 
raten scheint.  Er  habe,  sagt  er,  aus  des  Gastius  erstem  tomo  Sermonum 
convivalium  [in  Wahrheit  11,  28S]  «die  Historiam  vom  Ghristophoro,  so 


230  K-  Bichter.  230 

Es  war  kein  sehr  origineller,  aber  ganz  hübscher  Einfall 
des  Mannes,  den  grossen  Christoph,  gleich  einem  Enlenspiegel  ^)> 
im  Lande  umherziehen  und  Dienste  nehmen  zu  lassen.  Im 
Grunde  vollzog  er  damit  eine  ähnliche  Erweiterung  der  Legende 
nach  vom,  wie  der  Verfasser  des  zweiten  deutschen  Gedichtes 
B  es  gethan  hatte,  aber  die  verschiedene  Absicht  bedingte 
den  verschiedenen  Charakter  der  Ausführung:  religiös  mora- 
lische Didaktik  auf  der  einen,  Satire  und  Allegorie  auf  der 
andern  Seite.  Eine  zweite  Ausgabe  vom  Jahre  1696  *)  giebt 
auf  dem  Titel  schon  die  Tendenz: 


viell  er  daran  gemacht,  von  Wortt  genommen  vnd  vff  teutBcbe  Sprach 
paulo  nberiore  irapcuppdaci  kurtzweiliger  Meinung  gegeben» ;  als  er  das 
Werk  dann  später  gedruckt  gesehen,  sei  es  ihm  cghar  vnkentlich»  ge- 
wesen. Nun  setzen  aber  die  von  ihm  selbst  ebenfalls  zu  seiner  Ent- 
lastung angeführten  Anfangsworte  zum  mindesten  den  Gredanken  und 
einen  Teil  der  ersten  Episoden  bis  zum  Messpfafifen  voraus,  von  denen 
Gast  gar  nichts  hat,  und  diesen  Widerspruch  hebt  das  zaghaft  ent- 
schuldigende «paulo  nberiore  iropaqipdacu  nicht  auf^  besonders  wenn  wir 
ein  geflissentliches  Vorschieben  des  Frischlin  in  direkten  Reden  beachten. 
Ist  der  Argwohn  auf  diese  Weise  aber  erst  einmal  wach  geworden,  bo 
erscheint  der  Unglaube  der  inqnirierenden  Räte,  «dass  ein  solch  Carmen 
oder  Reymen  Gedicht  nicht  soUe  erstlich  aufs  Papier  gebracht  worden 
sein  und  also  er  primam  delineationem  haben»  recht  verständig,  und 
endlich  zeigt  der  Passus  eines  amtlichen  Schreibens,  er  könne  sich  der 
Schrift  «durch  Frisohhnum  nicht  entschuldigen,  als  deme  die  Personen 
vnd  Sachen,  so  darinnen  perstringirt  vnd  angezogen,  gar  nicht,  sondern 
ime  Schönwaiden,  der  mit  etlichen  auch  derhalb  für  der  Obrigkeit  zu 
thun  gehabt,  bekant  gewessen»,  dieser  Passus  zeigt  erst,  worauf  es  an- 
kam. Sicherlich  nicht  auf  das,  was  Schönwaldt  dem  Ghist  entlehnte,  auch 
nicht  auf  den  Gedanken  des  Ganzen,  sondern  auf  die  Persiflage  ganz 
bestimmter,  in  seiner  Umgebung  lebender  Persönlichkeiten,  und  war  diese 
so  gut,  dass  man  um  ihretwillen  zur  Amtsentsetzung  des  Urhebers 
schreiten  konnte,  so  wird  der  Verdacht,  dass  Frischlins  Name,  dem  man 
damals  mit  Leichtigkeit  das  Schlimmste  aufhängen  mochte,  auf  dem 
Titelblatt  unseres  Gedichtes  nur  eine  fast  gelungene  Mystifikation  der 
weltlichen  Gewalt  wie  der  Idtteraturgeschichte  bedeutet,  mit  Recht  die 
Oberhand  gewinnen  dürfen. 

^)  Wie  das  Gedicht  selbst  vergleicht  und  Gervinus  *III,  108  aufiiahm. 

')  Man  kann   sich   denken,   dass   der  Entlassene  nun   noch    einen 
Trumpf  draufsetzen  wollte. 


S31  Volksbraaoh  und  Volksmeinung.  231 

Wer  Wftrheit  Hebt,  den  leid  man  nicht, 

wie  ich  S.  Christoph  hie  berioht 
In  Emptern  fast  kein  Trew  mehr  ist, 

Handlung  regiern,  Betrag  vnd  List.  | 

Lügn,  Vollerey,  Vnzncht  vnd  Schand,  ' 

Vnrecht,  diss  seind  die  Herrn  im  Land. 
Wil  ich  denn  viel  von  Warheit  sagn, 

80  wird  Christoff  bald  ausgeachlagn. 

Der  diese  pessimistische  Lebenssumma  durch  sein  Erleben 
zu  rechtfertigen  hat,  ist  eben  er,  cder  gross  Ohristoffel,  an 
alten  Kirchen  wol  bekant»,  wie  er  sich  selbstredend  einführt. 
Sein  Vater  hiess  auch  OhristofFel,  seine  Mutter  Agathey ;  arm 
und  fromm  lebten  sie  zu  Dreieichenhain,  und  als  ihn  sein 
Vater,  kaum  dass  er  einigermassen  zu  Verstand  gekommen 
war,  in  ein  Kloster  gebracht  hatte,  da  starben  sie  beide. 
Nun  wird  er  durch  die  Welt  getrieben  ohne  Käst  und  Ruh : 
Ton  den  bübischen  und  hurerischen  Mönchen  kommt  er  zu 
einem  Buchdrucker,  dessen  wüste  und  faule  Gesellen  den 
Fleissigen  nicht  in  ihrer  Mitte  haben  wollen,  zu  einem  Schult- 
heissen,  einem  halben  Lecker,  der  nach  Willkür  seine  Macht 
missbraucht,  zu  einem  Krämer,  der  die  Leute  mit  schlechter 
Waare  und  falschem  Gewicht  betrügt,  zu  einem  Handwerks- 
mann, der  sein  Gerät  überschätzt.  Bei  einem  Wirte  soll  er 
den  Wein  baden  und  zweifache  Elreide  brauchen,  dafür  darf 
er  nachts  die  Köchin  buhlen;  ein  Kriegshauptmann  bringt 
ihn  um  den  tapfer  verdienten  Sold;  bei  einem  Waldförster 
muss  er  sehen,  wie  heimlich  ganze  Teile  des  Forstes  geschlagen 
und  an  die  Bauern  verkauft  werden,  bei  einem  Apotheker, 
wie  die  Käufer  Mäusedreck  für  Pfeffer  erhalten,  bei  einem 
Keller,  wie  man  dem  Herrn  falsche  Rechnung  führt.  Und 
spricht  sein  Amtmann  Recht,  je  nachdem  ihm  die  Parteien 
Geschenke  bringen,  so  treibt  man  auf  der  Kanzlei  dasselbe 
Wesen  im  Grossen.  Ln  Dienste  eines  Stadtherren  hat  er 
Gelegenheit,  in  jüdische  Wucherwirtschaft  hineinzublicken, 
bei  einem  Messpfaffen  endlich  erlebt  er  die  lustigste  Scene, 
als  dieser  einmal  die  Zeit  verschlafen  und  statt  im  Chorrock 

im  beschissenen  Hemde  seiner  Köchin  auf  die  Strasse  eilt. 

16 


38S  K.  Richter.  S32 

Soweit  reicht  die  erfundene  Vorgeschichte.  Man  sieht, 
es  ist  die  alte,  durch  Tradition  überkommene  Additionstechnik 
einer  Satire  auf  alle  Stande,  die  mit  zwei  stereotypen  Motiyen 
arbeitet :  materiellem  Betrug  und  materieller  Sinnlichkeit,  von 
denen  namentlich  das  erstere  bis  zur  ermüdenden  Farblosigkeit 
ausgenutzt  ist.  überall  ist  Christoffel  der  moralisch  miss- 
billigende Beobachter,  der  nie  in  die  Versuchung  kommt,  sich 
aktiv  zu  beteiligen:  sobald  er  die  Zustände  durchschaut  hat, 
rückt  er  räsonnierend  ab  und  sucht  einen  neuen  Dienst.  Darin 
hauptsächlich  unterscheidet  er  sich  vom  Eulenspiegel,  der 
einen  Charakter  hat:  er  hat  keinen.  Nur  einige  Abschnitte 
heben  sich  Torteilhaft  aus  der  Mittelmässigkeit  empor,  die  das 
Übrige  darstellt :  es  ränd  die  längeren  vom  Forstmeister,  vom 
Keller,  von  der  Benterei  und  Kanzlei,  vom  Stadtjungherm 
und  von  Messpüaffen«  Bis  auf  den  letzten,  der,  so  glücklich 
und  drastisch  er  erzählt  ist,  doch  hergebracht  tendenziös  und 
allgemein  übertreibend  anmutet,  zeichnen  sie  sidi  aus  durch  die 
persönHcfae  Satire,  die  in  ihnen  unverkennbar  mit  reaUsüschem 
Humor  ihren  Ausdruck  gesucht  hat. 

Bei  der  mangdhaften  Kompositionstechnik,  die  Schönwaldt 
mit  seiner  ganzen  Zeit  teilt,  ist  es  nicht  weiter  erstaunlich, 
dass  der  erfundene  erste  Teil  und  der  überlieferte  zweite, 
der  satirische  und  der  allegorische,  geradezu  vorbildlich  aus- 
einanderklaffen. Der  Grund  ist  ganz  offenbar :  eine  gegebene 
Geschichte  nach  vornhin  zu  erweitern,  dieser  Erw^terung 
Bealität  des  Geschehens  zu  verleihen  und  dann  die  Geschichte 
selbst  in  eine  Allegorie,  in  abstrakte  Gedanken  verdampfen 
zu  lassen,  ist  ein  Widerspruch  in  sich,  ganz  notwendig.  Denn 
nur  aufs  äusserlichste  vermittelt  folgt  jetzt  eine  Paraphrase 
der  Allegorie  des  Jo.  Gast,  die  sich  in  Negation  und  Position 
mit  den  erwähnten  Deutungen  der  Beformatoren  deckte,  nur 
dass  sie,  etwas  weitschweifiger,  einige  Züge  der  Leg.  aurea 
noch    einflocht  ^).     Ea  ist   zuzugestehen,   dass   die   deutsche 

')  Z.  6.  Chrifltophorum  primum  fingunt  serviisse  mundo,  et  aulicam 
fiacitint:  nam  nuHi  seqiie  tnnndo  serviunt,  atque  ii,  qnos  Romana  curia 
Curtisanofl  i^pellat. 


283  Yollubraaoh  und  Volksmemang.  233 

Yersifikation  is  ihrem  klaren  ^baulichen  Stile  schlicht  nnd 
würdig  hinfliesst,  sobald  man  sich  einmal  an  die  Unsinnigkeit, 
dass  der  Heilige  selbst  alles  dies  vorträgt^  als  an  eine  in  der 
litterarischen  Tradition  des  Jahrhunderts  eben  begründete 
gewöhnt  hat.  Ein  wenig  hat  übrigens  Schönwaldt  das  ün* 
zuträgliche  dieser  Fiktion,  das  er  wohl  selbst  empfand,  da^ 
durch  zu  mildem  rersucht^  dass  das  Waldbrttderlein,  zu  dem 
Ohristoffel  kommt,  die  weitere  Auslegung  des  Namens  u.  s.  w. 
übernimmt.  Es  sei  bemerkt,  dass  die  Begegnung  beider  in 
einem  grossen  Walde  am  Meer  stattfindet  und  dass  dem  Alten 
eine  besondere  Stelle  über  sein  einsiedlerisdies  Leben  in  den 
Mund  gelegt  ist,  was  an  das  deutsche  Gedicht  A  erifinert; 
und  zwar  glaube  ich  auch  in  diesem  Falle  an  eine  Wirkung 
des  ErgänzungSTcrmögens,  das  den  Begebenheiten  selbst  inne- 
wohnt, wie  Gottfried  Keller  einmal  definiert  Ein  weiterer 
Zusatz  des  deutschen  Bearbeiters  ist  es,  das  jenseitige  Leben 
als  ein  Schloss  jenseits  des  Meeres,  das  hochgebaut,  herrbch 
stark  und  gross  auf  einem  Berge  liegt,  erscheinen  zu  lassen: 
wozu  sicherlich  eine  der  bildlichen  Darstellungen,  die,  wie  wir 
im  dritten  Abschnitt  bemerkten,  des  öfteren  auf  fernen  Höhen 
ein  Kloster  oder  eine  Burg  u.  s.  w.  gaben,  den  Anlass  bot. 
Zum  Schlüsse  erscheint  der  bekannte  lateinische  Spruch  in 
kurzer  Übersetzung: 

Des  Tags  da  man  a  Christoph  siht, 
keinem  der  Todt  kan  schaden  nit, 

und  die  ümdeutnng  im  reformatorischen  Sinne. 

Eine  etwas  zaghafte  B.eaktion  gegen  die  allegorische  Auf«- 
fassung  der  Legende  stellt  sich  in  des  Joannes  Molanus  Historia 
sacrarum  imaginum  et  pictnrarum,  Löwen  1670,  dar.  Zwar 
sagt  er  auf  p.  140:  cooncludimus  Ohristophori  picturam  non 
esse  cogitationem  pii  alicujus  hominis  de  ecclesia,  aut  typum 
docentis  yel  confitentis  evangelium,  ut  ab  adversarüs  est 
annotatum:  sed  esse  veri  martyris,  qui  fortiter  et  constanter 
Christum  in  tormentis  confessus  est.»  Andererseits  aber  be- 
merkt er  den  Gegensatz  der  Leg.  aurea  zu  den  in  der  Kirche 
geltenden  Acta,  ohne  sich  zu  entscheiden,  und  cap.  zxin  lässt 

16* 


234  ^'  Bichter.  234 

er  sich  gar  verlauten:  «Christophorus  non  inepte  pingitur 
ChriBtum  in  humeris  gerens,  ad  significandum,  quod,  sicut 
nomine  sie  et  re,  fuerit  verus  Christophorus,  sive  Ohristiferus»  ; 
und:  ctransitus  ejus  per  mare,  et  fortitudo,  etiam  excusari 
possunty  itttelligendo  per  ea,  quod  magna  fortitudine  gloriosus 
iste  martyr  superaverit  tempestates  hujus  seculi,  quod  est 
velut  aestuans  mare»,  so  dass  es  sehr  erheiternd  ist,  die  eine 
oder  die  andere  Stelle  für  oder  gegen  die  allegorische  Deu* 
tung  von  Späteren  ausspielen  zu  sehen. 

Im  allgememen  behielt,  wenigstens  für  die  Gebildeten, 
seit  der  Reformation  die  allegorische  Meinung  ihre  Geltung. 
Nach  und  nach  starb  der  Volksglaube  und  mit  ihm  der  wahre 
Christoffel  dahin:  nicht  ein  halbes  Jahrtausend  hat  seine 
Herrschaft  Dauer  gehabt.  Was  die  Beformatoren  gewollt, 
setzte  sich  langsam  durch :  wer  hat  heut  noch  irgend  ein  per- 
sönliches Verhältnis  zu  dem  Grossen? 

In  unserem  Jahrhundert  hat  die  Allegorie  noch  ein  paar 
eigenartige  Vertreter  gefunden.  Soweit  sie  nicht  als  ihre 
Weisheit  dürftig  wiederholten,  was  Luther  weit  besser  und 
schöner  gesagt  hatte  ^),  zeichneten  sie  sich  gleicherweise  durch 
Ejraft  der  Phantasie  wie  durch  eine  durch  keinerlei  Wissen 
getrübte  Kühnheit,  ihr  Ausdruck  zu  geben,  aus.  Wolfgang 
Menzel  entdeckte*),  im  grossen  Christoph  sei  das  Volk  per- 
sonifiziert, «die  rohe,  aber  gutartige  Masse,  die  für  Bekehrung 
empfänglich  ist,  und  der  dann  auch  eine  grosse  Gewalt  inne- 
wohnt zum  Schutz  der  einmal  von  ihr  anerkannten  Kirche», 
und  darum  habe  man  vormals  das  Bild  des  grossen  Christoph 
vor  die»  Thüren  der  Kirchen  zu  stellen  gepflegt;  Sinemus 
nationalisierte  das,  indem  er  den  Biesen  als  den  deutschen 
Geist  in  der  Kirche  Christi  fasste,  «der  den  Heiland  der  Welt 
durch  die  Wogen  und  Stürme  der  Völkerwanderung  getragen» ; 
und  Ejreuser  fabelte^) :  «sollen  wir  die  Deutung  versuchen,  8o 
erinnere  man   sich   des  Gekreuzigten,    zu   dessen  Angesichte 

')  Beispiele  bei  Henkelum. 
')  ChristHche  Symbolik  I,  176. 
*)  Der  Chrifitl.  Xirchenbau  I,  141. 


236  Volksbrauch  and  Volksmeinaxig.  336 

nach  Osten  gewandt  jeder  Christ  beten  soll.  Das  Vorbild 
des  am  Kreuze  erhöhten  Heilandes  ist  aber,  wie  Augustinus 
an  vielen  Stellen  durchführt,  die  erhöhte  eherne  Schlange,  und 
so  wie,  wer  sie  ansah,  vom  körperlichen  Tode  gerettet  war, 
so  ist  vom  Seelentode  gerettet,  wer  den  hl.  Christoph  und 
also  auch  den  Heiland,  den  er  trägt,  ansieht.  Die  riesige 
Gestalt  des  Christophorus  ist  auch  keine  Zufälligkeit;  denn 
der  Biese  ist  aus  den  Psalmen  genommen  und  ist  immer  auf 
den  Heiland  selbst  gedeutet  worden;  denn  Christus  ist  der 
Riese,  der  in  der  Sonne  sein  Zelt  aufgeschlagen  als  Bräutigam 
seiner  Kirche  > .  Gegen  diesen  Unfug  wandte  sich  G.  W.  van  Henke- 
lums  Buch  Van  sunte  Cristoffels  beeiden^).  Er  hatte  zweifel- 
los recht,  dass  vor  den  Zeiten  der  Beformation,  im  eigent- 
lichen Mittelalter,  den  Künstlern,  die  den  hl.  Christoph  dar- 
stellten, ein  Bedenken  über  die  Historizität  der  Legende  nicht 
eingefallen  ist,  sie  wollten  sicherlich  keine  Allegorie,  nichts 
Symbolisches  geben,  sondern  sie  gaben,  was  verlangt  wurde, 
was  man  brauchte.  Deshalb  muss  noch  nicht  jeder  einzelne 
von  ihnen,  wenn  er  sich  Bechenschaft  abgelegt  hätte,  von  der 
einstigen  Wirklichkeit  der  legendarischen  Geschehnisse  fest 
überzeugt  gewesen  sein,  so  wenig  er  geglaubt  haben  wird, 
dass  der  hl.  Christoph  in  der  That  so  ausgesehen  habe 
wie  er  ihn  malte :  in  dieser  Annahme  ging  Henkelum  seiner- 
seits zu  weit:  sondern  all  diese  Fragen  existierten  einfach 
noch  nicht  für  ihn.  Dass  aber  in  Wahrheit  nach  der  Befor- 
mation  auch  in  der  bildenden  Kunst  die  allegorische  Aus- 
legung  der  Legende   sich   geltend   machte,    zeigen,   wie   ich 

^)  Eene  proeve  ter  beantwoording  der  vraag:  hoe  werden  in  do 
middeleeuwen  de  kolossale  beeiden  van  den  h.  Christophorus  beschouwd, 
welke  men  alom  binnen  of  buiten  de  kerken  ontraoette,  en  dat  wel  ter 
pltatze,  waar  zij  den  binnentredende  terstond  in't  oog  vielen?  ütreoht 
1866.  Ein  sehr  schön  gedrucktes  Buch.  Aber  seine  Ausfalle  auf  Luther 
und  die  moderne  Wissenschaft  sind  so  unnötig  —  wir  sahen,  die  katho- 
lische Kirche  hat  sich  in  keiner  Weise  für  den  Christophorus  der  Legenda 
aurea  kompromittiert  —  als  unschön»  indem  es  sein  wesentliches  Material 
jenen  öfter  zitierten  Artikeln  Brauns  im  Organ  f.  christl.  Kunst  XII 
verdankt. 


236  £•  Bichter.  236 

glaube,  schon  Dürers  Stiche ,  deren  bedeutsamer  Ernst  nur 
der  Ausfloss  von  allgemeineren  Befiexionen  über  den  Inhalt 
und  Gehalt  des  Dargestellten  sein  kann.  Ferner  verweise  ich 
auf  des  Kubens  Triptychon  der  Ejreuzabnahme  in  der  Kathe- 
drale zu  Antwerpen,  das  aus  einem  Auftrage  der  Schfitzen- 
gilde  hervorging:  ein  Altarbild  zu  malen,  auf  welchem  der 
hl.  Christoph,  ihr  Patron,  irgendwie  dargestellt  wäre.  cBubens 
trouvant  la  vie  de  ce  saint  trop  pauvre  en  episodes  se  pretant 
k  la  peinture,  touma  ing^nieusement  la  difficult^  en  6tendant 
la  designation  de  Ohristophore  ä  tous  ceux  qui  avaient  porte 
le  Christ,  n  fit  entrer  dans  ce  cyclo  la  Yierge  pendant  sa 
grossesse,  saint  Simon  qui  regoit  le  divin  enfant  des  mains  de 
Marie  lors  de  la  presentation  au  temple,  les  acteurs  de  la 
descente  de  croix  et  enfin  s.  Christophe  lui-meme>^);  eine 
Idee,  welche  mir  die  Emanzipation  vom  buchstäblichen  Ver- 
stehen der  Legende  vorauszusetzen  scheint.  Wem  das  aber 
nicht  genügt,  der  denke  an  die  Fensterscheibe  Jakob  Böhmes 
zu  Görlitz,  auf  der  im  Flusse  Meerungeheuer  und  Seeweibchen 
sich  tummeln,  am  einen  XJfer  vor  der  Stadt  Babel  Tanz  und 
Lust  der  Welt  sich  breitet,  vom  andern  der  Einsiedler  in  die 
Wolken  empor  weist,  wo  Gott  Vater,  das  Lamm  und  ein 
Engel  mit  der  Posaune  des  Weltgerichts  erscheinen,  während 
auf  einem  mit  Uhr  und  Anker  bezeichneten  Schiffe  der  Mast- 
baum gebrochen  ist  und  der  unglückliche  Schiffer  lun  Bilfe 
schreit^. 

Endlich  hat  sich,  man  möchte  meinen,  als  eine  Art 
Spieltrieb  der  allegorischen  Ausdeutung  der  Christophoms* 
legende  in  unserem  Jahrhundert  die  Neigung  geltend  gemacht, 
in  dem  Heiligen  eine  mythologische  Persönlichkeit  oder  die 
christliche  Fortsetzung  einer  solchen  zu  sehen.  Finn  Magnus- 
sen war  der  erste,  der  den  Christoph  mit  dem  nordischen  Thor 
verglich^):  wie  dieser  auf  seinem  Bücken  den  Orvandil  über 
die  Elivägar  trägt,  so  jener  das  Christkind,  und  des  Christ- 

*)  Roosee  L'oeuvre  de  P.  P.  R.,  p.  112. 

')  Programm  der  höheren  Bürgerscfanile  zu  Görlitz  1850.  Sinemnsp.es. 

*)  Lexicon  mythologicum  p.  967. 


8S7  Yolksbraaoh  and  Yolksmeinnng.  237 

kiodträgers  Bild  konnte  dämm  leicht  den  kolossalen  Statuen 
des  alten  Gottes  substituiert  werden.  So  wurde  es  in  der 
Kirche  zu  Falsterbo  zusammen  mit  dem  des  hl.  Georg  am 
Tage  der  Sommersonnenwende  feierlich  ausgestellt,  weither 
kamen  die  Leute  aus  Danemark  und  Schweden  herbei  mit  reichen 
Opfern  und  statteten  Gebete  ab  für  eigenes  Leben  und  Wohl- 
ergehen und  für  glückliche  Fahrt  verwandter  Schiffer.  —  Es  be- 
durfte nur  dieses  Anstosses,  den  Stein  ins  Bollen  zu  bringen, 
man  bemühte  sich  von  nun  an  eifrigst,  weitere  Belege  für  ein  als 
sicher  hingenommenes  Faktum  zu  erbringen.  Jacob  Grimm, 
der  übrigens,  so  viel  ich  weiss,  doch  nie  den  bewussten  Ver- 
gleich gezogen  hat,  berichtete  von  der  Sage,  die  sich  an  einen 
kahlen  Felsen  bei  Goslar  knüpft :  den  habe  der  grosse  Christoph 
mit  sich  im  Schuh  getragen  und  zuletzt  am  Drücken  yer- 
merkt,  habe  den  Schuh  ausgezogen  und  umgekehrt:  da  sei 
der  Stein  an  die  Stelle  gefallen,  wo  er  noch  liegt^).  Es  war 
Hur  nötig,  dass  J.  W.  Wolf  über  die  Ähnlichkeit  kam  und  die 
Identität  von  Christoph  und  Thor  stand  fest.  Eb:  zog  die 
Konsequenz^:  wenn  also  das  Volk  durch  die  Darstellung 
des  Heiligen  an  Donar  erinnert  wurde,  dann  muss  auch  der 
Mythus,  auf  dem  diese  Erinnerung  fusst,  ihm  bekannt  gewesen 
sein,  die  Voraussetzung  wurde  ihm  zur  Genüge  bewiesen  durch 
den  lateinischen  Spruch  vom  Schutz  vor  der  «mala  mors». 
Weiter  trug  er  nicht  das  geringste  Bedenken,  aus  zwei  Versen 
des  Mozarabischen  Breviars,  die  den  Heiligen 

elegansqae  statora,  mente  elegantior, 

visu  fulgens,  corde  Tibrans  et  capillis  rutilans, 

schildern,  Gewinn  zu  schlagen :  man  gab  ihm  selbst  das  rote 
Haar  des  deutschen  Gottes.  Dass  Christoph  gegen  Donner 
und  Hagel  angerufen  wurde,  wies  ihn  offenbar  als  Gewitter- 
gott aus ;  man  opferte  ihm  einen  Hahn :  den  Vogel  Thors ;  er 
erscheint  als  Goldschmied  und  kämpft  mit  einer  Eisenstange  ^); 
ganz  unzweifelhaft  war  also  die  Gewalt  Donars  über  den  Tod, 


^)  Deutsche  Mythologie  p.  812,  V  ^8- 
^)  Beitrage  zur  deutschen  Mythologie  I,  99. 
')  Pröhle  Kinder-  und  Volksmärchen,  1863,  p. 


238  £•  Richter.  238 

die  in  den  Schmiedem&rchen  herYortritt,  einfach  auf  ihn  über- 
gegangen. Simrock  wusste  auch  noch  den  «wetzschker»  des 
Heiligen  mit  Thors  Futterkorb  zu  yergleichen^)  und  eine 
autoritativ-philologische  Bestätigung  hatte  eigentlich  Magnässon 
selbst  schon  erbracht,  indem  er  anführte,  dass  die  Osmunda 
crispa,  die  gewöhnlich  im  Norden  ThorböU  oder  S.  Olavs 
skjäg  genannt  wird,  auch  S.  Ohristophers  herb  heisse.  Man 
hatte  sicherlich  das  allergrösste  Becht,  von  einer  mit  Ele- 
menten tiefsinniger  altgermanischer  Mythologie  versetzten 
Legende  zu  reden^). 

und  doch  ist  die  Identifikation  von  S.  Christoph  und 
Thor  nichts  anderes  als  ein  durch  gewisse  Ausserlichkeiten 
nahe  gelegter,  nicht  einmal  besonders  tiefsinniger  Einfall,  der, 
an  sich  Denkbares  behauptend,  durch  nichts  erhärtet  ist. 

Zunächst  einen  indirekten  Beweis  dieses  Urteils.  Es  ist 
merkwürdig,  dass  Leute,  die  von  Thor  nichts  wussten,  schon 
sehr  früh  im  hl.  Christoph  einen  christlichen  Herkules  ent- 
decken wollten.  Tafinger  §  7  bezeugt  das  und  giebt  zugleich 
einen  Grund  an,  der  die  Ausserlichkeit  des  Vergleichs  auf- 
deckt: «sunt  qui  putent,  pro  Hercule  Alexicaco  ad  toUenda 
gentilitatis  vestigia  s.  Christophori  imaginem  in  templorum 
vestibulis  appingi  coepisse^).  Offenbar  ist  auf  diese  Zusammen- 
stellung ebenso  viel  oder  so  wenig  Wert  zu  legen,  wie  wenn 
etwa  Erasmus  im  Muipia^  €tkw|liiov  von  einem  Polyphemus 
Christophorus  spricht  oder  ein  politischer  Lyriker  wie  Herwegh 
von  einem  Christenherakles  oder  etwa  Charles  Nodier  von 
einem  Hercule  de  la  nouvelle  civilisation,  einem  Promethee 
chrStien  portant  l'amour  dans  ses  bras^),  und  auch  wenn  das 
Volk  den  kolossalen  Herkules  auf  der  Wilhelmshöhe  bei  Cassel 
in  einen  grossen  Christophel  umgetauft  hat,  so  wird  niemand 
aus  alle  dem  schliessen,  dass  dabei  an  einen  persönlich  kul- 

^)  Hdb.  d.  deutschen  Mythologie  ^p.  S70. 
')  Zöckler  Realencyclopadie  III,  217. 

')  S.  a.  VetustiuB  ocddentalis  ecclesiae  martyrologium  etc.  ed. 
F.  M.  Florentinius  1668  p.  682. 

*)  Revue  de  Paris  XXV,  216. 


239  Volksbraiich  und  ToDaiDemang.  239 

tischen  Znaammenliang  gedacht  ist  Abgesehen  dass  Tafinger 
kaum  von  irgend  einer  alten  deutschen  Gtotiheit  etwas  gewnsst 
haben  wird,  so  genagt  der  Hinweis,  dass  man  anch  in  Frank- 
reich schon  17S8  verglich:  der  Christoph  sei  überall  angestellt 
worden  cen  raison  d'nn  anden  nsage  des  chrStiens.  itabli 
pour  abolir  pen  k  pen  la  snperstition-des  palens,  qni  mettaient 
k  l'entree  de  leors  temples  la  statne  d'Hercole»^),  hier  allein 
dings  dachte  man  an  eine  religiöse  Erbschaft,  mit  welcher 
Sachkenntnis  liegt  anf  der  Hand,  und  anch  der  Ruhm,  aus 
diesem  thörichten  Herkules  eine  wirkliche  Nationalgottheit 
gemacht  und  die  neue  Parallele  mit  dem  Anschein  der  Wissen* 
schaftlichkeit  durchgeführt  zu  haben,  gebührt  nicht  einmal 
einem  Germanen,  sondern  einem  Franzosen,  wie  mir  scheint 
Bodin  hat  es  rermocht,  im  Christoph  eine  junge  Inkarnation 
einer  alten  gallischen  oder  keltischen  Gt>ttheit  zu  sehen,  einen 
Ogmius  rediviyns:  tOgmius,  c'est-ä-dire  le  Soleil»').  cC'^tait 
Sans  doute  par  une  sorte  de  capitnlation  avec  les  restes  du 
paganisme,  et  pour  attirer  dans  les  eglises,  lors  de  F^tablissement 
du  culte  du  vrai  dieu,  les  habitants  des  campagnes».  Den 
alten  Namen  tilgte  man  und  setzte  dem  Gtötzen  das  Christ- 
kind auf  die  Schulter,  und  statt  der  Keule,  die  Ogmius,  ein 
runzliger  und  brauner  Greis,  zu  tragen  pflegte,  gaben  ihm 
die  Künstler  einen  —  Mastbaum  in  die  Hand  I  Und  die  Gründe  ? 
cLes  positions  des  §glises  [an  Flüssen]  sous  cette  invocation 
sont  semblables  ä  Celles,  quo  choisissaient  les  Gaulois  pour 
adorer  le  grand  Ogmius».  [Le  Christophe],  tqu'on  voit  dans 
rSglise  de  Cunault  est  dans  une  mer  remplie  de  poissons,  ce 
qui  ach^ye  sa  ressemblance  avec  l'Hercule  gaulois,  qui  6tait 
consid^rß  comme  le  principe  de  la  fteondit6  sur  la  terre  et 
dans  les  eaux».  p.  30  «dans  quelques  endroits  de  cette  contröe, 
le  peuple  conserre  encore  ime  yieille  tradition  sur  la  grandeur 
gigantesque  de  s.  Christophe.  Les  paysans  des  rillages  qui 
avoisinent  la  prairie  de  Chac6  racontent  que  la  Pierre-fiche 

^)  Revue  anglo-fran^sise  I,  357. 

^  RecherchoB  historiques   sur  Saumur  et  le   haut  Anjou,   162 1/S, 
p.  27,  80. 


240  K.  Richter.  240 

ou  Peulvan  est  un  grain  de  sable  tomb6  de  Tun  des  sabots 
de  8.  Christophe,  lorsqu'il  les  secoua  en  mettant  le  pied  dans 
cette  prairie;  et  que  ce  saint  Stait  si  grand,  mais  si  grand, 
qu'il  faisait  le  tour  de  la  terre  en  yingt-quatre  esjambees». 

Thor,  Herkules,  Ogmius!  Aber  nicht  genug,  der  hl. 
Christoph  ist  auch  der  •  ägyptische  Anubis,  der  das  Sonnen- 
kind Horus  durch  den  NU  trägt.  Und  der  Beweis?  jene 
griechischen  Bilder,  die  ihn  mit  einem  Hundskopfe,  des  Anubis 
natürlich,  darstellen^).  Wir  wissen,  dass  der  Hundskopf 
Christoph  noch  kein  Kind  trug,  dass  der  Kindtragende  nicht 
mehr  hundsköpfig  war. 

Wenn  wir  nun  zu  einigen  positiven  Entgegnungen  auf 
die  scheinbaren  Gründe  jener  deutschen  Mythologen  über- 
gehen, so  dürfen  wir  wohl  davon  Abstand  nehmen,  die  Halt- 
losigkeit des  Vergleichs  zwischen  der  Thor-Orvandil-  und  der 
Christophorusscene  beweisen  zu  wollen.  Was  in  aller  Welt 
hat  der  Orvandil  mit  seiner  erfrorenen  Zehe  zu  thun  mit  dem 
Christkinde?  Und  wird  es  nicht  in  jeder  Mjrthologie  einen 
ähnlichen  Zug  geben,  dass  ein  Grosser  einen  Kleinen  über 
Wasser  trägt?  Man  sehe  sich  unser  deutsches  Gedicht  vom 
Grendel  an,  ob  darin  irgend  eine  so  deutliche  Erinnerung  an 
jene  mythische  Situation  lebendig  ist,  die  eine  christliche 
Übertragung  im  behaupteten  Sinne  möglich  erscheinen  liesse. 
Die  Entstehung  aber  jenes  Glaubens,  Christoph  vermöge  vor 
bösem  und  plötzlichem  Tode,  vor  Unwetter  und  Hagelschlag 
zu  schützen,  haben  wir  deutlich  verfolgen  können  bis  auf  alte 
Worte  einer  durch  und  durch  undeutschen  Märtyrererzahlung^ 
ihre  Allgemeinheiten  spezialisierten  und  differenzierten  sich 
im  Laufe  der  Zeit  unter  dem  bestimmten  Einfluss  der  Zeit- 
umstände, und  ein  Zusammentreffen  mit  Funktionen,  die  Thor 
einst  hatte,  ist  rein  zufallig.  cCapillis  rutilans»  ist,  wenn 
wir  einmal  ganz  absehen  von  der  für  deutsche  Mythologie 
etwas  wunderlichen  Quelle,  von  Wolf  einfach  falsch  übersetzt 


1)  Menzel  Christi.  Symb.  I,  174.    Ann.  archeol.  XXI,  125.    Durand 
Manuel  d'iconographique  cliretienne,  Paris  1845,  p.  325. 


241  Volksbrauch  und  Volksmeinung.  241 

worden:  es  heisst  nicht  cmit  roten  Haaren»  —  Wolf  hätte 
doch  aus  der  Fülle  der  Christophdarstellnngen  ein  Beispiel 
solcher  absonderlichen  Botköpfigkeit  erbringen  sollen  —  sondern 
will  lediglich  den  Sinn  des  cvisu  fulgens»  pomphaft  ver- 
stärken,  wobei  man  vielleicht  an  die  Glorie  denken  darf. 
Übrigens  übersetzte  schon  Süden  ^)  weit  besser :  cschimmert  mit 
den  Haaren».  Christoph  als  einer  der  Nothelfer  konnte  femer 
leicht  auch  der  Patron  der  G-oldschmiede  werden,  und  Wolf 
hat  wohlweislich  verschwiegen,  dass  die  Sitte,  ihm  einen  Hahn 
zu  opfern,  in  der  Touraine  geherrscht  haben  soll,  wo  man 
glaubte,  auf  des  Heiligen  Fürbitte  von  einem  gewissen 
endemischen  Übel  geheilt  zu  werden^.  Die  Tasche  aber 
sitzt  unserm  Christoffel  fester  als  dem  Gotte  Thor  sein  Futter- 
korb. Endlich,  auch  das  S.  Christophers  herb  hat  nicht  so 
viel  zu  besagen  als  es  auf  den  ersten  Anblick  scheint,  auch 
das  Schwarzkraut,  die  Actaea  spicata,  trägt  des  Heiligen 
Namen  ^),  in  der  Mark  und  in  Preussen  die  Grossula,  die 
Stachelbeere :  Christorbeere,  Christophsbeere,  weil  man  glaubt, 
dass  er  mit  einer  Elrone  dieses  Gesträuches  gekrönt  worden  sei^). 
Man  missverstehe  mich  nicht.  Ich  will  nicht  behaupten, 
dass  der  hl.  Christoph  nirgends  und  in  keinem  Falle  an  die 
SteUe  Thors  getreten  sei,  nur  ist  allerdings  bisher  nirgends 
und  in  keinem  Falle  ein  positiver  Beweis  erbracht  worden, 
dass  Christoph  so  einfach  als  ein  christlicher  Thor  die  mehr 


0  Gelehrter  Critioos  I,  406. 

*)  Heiners  Historische  Yergleichung  der  Sitten  etc.  des  Mittelaltera, 
Hannover  1793,  II,  219. 

»)  Smith -Wace  Dict.  I,  496  ff. 

^)  Henning  Preuss.  Wb.  47.  Wenn  Sinemas  p.  69  vermutete,  die 
Wurzel  des  ersteren  habe  früher  als  Zaubermittel  zum  sog.  Ghristopheln 
im  Schatzgiüberglanben  gedient,  so  wäre  die  Verschiedenheit  der  Namens- 
trilger  vielleicht  aus  lokal  verschiedenen  Sohatzgräbersitten  zu  erklären, 
wenn  ich  nur  einen  Anhalt  für  jene  Hypothese  wüsste.  Ebenso  steht 
es  um  die  Meinung  Hoeflers  in  der  Zs.  d.  Ver.  f.  Vk.  I,  294,  dass  man 
es  wohl  mit  einem  Pestmittel  zu  thun  habe.  Übrigens  wird  nach  Grimms 
Wb.  n,  626  auch  ein  Yöglein,  das  Weisskehlchen,  Motacilla  rubicola, 
Christoffel  genannt. 


34S  K.  Richter.  248 

oder  minder  yerkümmerte  Elrbschaft  des  heidnischen  Gottes 
angetreten  hätte,  um  es  deutlich  zu  sagen:  dass  Christoph 
nicht  hätte  sein  können,  wenn  Thor  nicht  gewesen  wäre. 
^Wer  aus  diesem  oder  jenem  kirchlichen  Heiligen  nur  einen 
verkappten  Wuotan  oder  Donar  oder  Zio  herausschält,  handelt 
unüberlegt^,  es  sei  mir  erlaubt,  mich  darauf  zu  berufen^). 
Freilich,  richtig  verstanden,  darf  man  auch  für  den  hl. 
Christoph  von  einer  mythischen,  mythologischen  G-rundlage 
sprechen.  Der  grosse  Christoffel  war  mehr  als  ein  christlicher 
Heiliger,  wenigstens  in  deutschen  Landen.  Was  den  fremden 
Märtyrer  den  Deutschen  des  11./12.  Jhs.  so  zunehmend  lieb 
machte,  wir  durften  vermuten,  dass  es  vor  allem  die  Biesen- 
grösse  war,  und  als  er  uns  zum  ersten  Mal  mit  landsmännischem 
Grusse  entgegentrat,  da  hatte  er  deutsches  Siesengewand  an- 
gezogen. Das  ganze  herzliche  Meinen  und  Fühlen  des  Volkes, 
mit  dem  es  seine  Biesen  umwob,  war  auf  ihn  übergegangen, 
riesische  Züge,  die  Dummheit  und  die  Gefrässigkeit,  hatte 
man  sich  nicht  gescheut,  humoristisch  gemütlich  auf  ihn  zu 
übertragen,  riesische  Geschichten  erzählte  man  von  ihm.  In 
dem  Weiler  Leiten  in  Tirol,  zwischen  Seefeld  und  Zirl,  liegt 
ein  Bauernhaus :  das  Biesenhaus  genannt,  auf  die  eine  Wand 
ist  der  hl.  Christoph  mit  dem  Bande,  auf  die  entgegengesetzte 
der  Strasse  zu  ein  Kampf  zweier  jugendlichen  Biesen,  des 
Heymo  und  des  Thyrsus,  gemalt  ^.  Hier  kann  man  nun  auch 
des  Steinchens  gedenken,  das  er  aus  dem  Schuh  schüttelt^ 
hier  des  Pröhleschen  Märchens,  in  dem  der  dicke  Christoffel 
mit  einer  grossen  Eisenstange  ein  kleines,  aber  heimlich  starkes 
Männchen,  das  ihm  unterwegs  begegnet,  gar  gewaltig  durch- 
prügelt, drei  Prinzessinnen  von  neun  Drachen  erlöst  und, 
nachdem  er  eine  Zeitlang  bei  einem  Goldschmied  in  Arbeit 
gewesen,  die  eine  von  ihnen  heiratet.  Wo  des  Petrus  Kräfte 
nicht  ausreichen,  da  schickt  der  liebe  Gott  den  Christoffelus 
als  eine  Art  himmlischen  Hausknechts:    er  soll   einen  Ein- 


0  Weinhold  Wiener  Sitzungsber.,  phil  bist.  El.  XXVI,  925. 
^)  Panzer  Bayerische  Sagen  und  Bräuche  11,  61. 


243  Yolksbrauch  und  Volksmeiniing.  243 

dringling  aus  dem  Himmel  werfen^),  und  er  gilt  als  ein 
Heister  des  Kegelschiebens^).  Ja,  S.  Christoph  wird  der 
Riese  kqt*  d£ox^v :  c  Wenn  ein  Kleiner  einem  grossen  Christoff 
auff  den  Achseln  sitzt,  so  siehet  er  weiter  als  der  Gross», 
heisst  es  im  Sprichwort^,  oder  anders:  cer  hat  einen  Chris- 
toffel,  der  ihn  trägt»  =  er  yerlässt  sich  auf  andere^).  Die 
humoristisch  genommene  Schwäche  wird  aber  auch  zum  Vor- 
wurf in  dem  Scheltworte :  Stoffel,  Toffel  =»  dummer  Tölpel  '^). 


')  Keller  Erzählungen  aus  ad.  Hss.  p.  97. 
«)  St  Christoph  soheibt  Kegl: 

Bliz,  der  versteht  d-Regl; 
kaum  reibt  er  sein  Kugel  aufii  Bret, 
seyn  alle  neun  Kegel  labet: 
Schmeller  Bair.  Wb.  11,  7. 
*)  Borchardt   Die   sprichwörtl.  Redensarten  im   deutschen  Volks- 
munde  '1894. 

*)  Grimm  Wb.  II,  626.    Fischart  redete  im  Gargantua  von  Giganten 
und  Wiganden,  Christophelgemässen  Langurionen. 
*)  Grimm  ib.  Weigand  II,  824. 


ACTA  GERMANICA. 


ORGAN  FÜR  DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


HERAÜSOEOEBEN 


VON 


RUDOLF  HENNING  und  JULIUS  HOFFORY. 


Band  T,  Heft  2. 

Geschichte  der  Deutschen  Schriftsprache  in  Augsburg 

bis  zum  Jahre  1374. 

Von 

Friedrich  Scholz. 


Mayer  &  Müller. 

1898. 


Geschichte 


der 


Deutschen  Schriftsprache  in  Augsburg 


bis  zum  Jahre  1374. 


Von 


Friedrich  Scholz. 


Berlin. 
Mayer  &  Müller. 

1898. 


IxLhalt. 

ÜfUe 

Einl.it.inj. 1  (248) 

Krst.r  Al),s.-Iinitt :  Mfchode  and  QueUen 4  (249) 

Bio    un^^odnitktvn   Quplleii   im   Elnzcliif n ;    A.   Originale; 

B.  K..pi<Ti S  (254) 

Zu'fitor  Abäclinitt:  Die  Aiigsburger  Urkunde:  Ä.  Xomieti  und 

Beslandteilo 15  (2Hi) 

B.  Kanzleien  und  Schreiber  iu  AagEil>urg 40  (386) 

l-linzelnp  Zcielien  (Indices)  und  Bui^^listubeu 5tl  (805) 

Dritter  Absclinitt;  Lautlehre:  Voksliamiw tW  (312) 

Konsonantismiu 197  (443) 

Synkope,  Apokope      249  (495) 

Ardelinun^:  Ein-  und  Anfügen  Ten   Vokalen 252  (498) 

yioxic)nen      25il  (499) 

Siij>prlutiv  und  Knm|iarativ 254  (500) 

Kiinjnnktivfonnen 265  (501) 

Jntinitiv  mit  ge- 255  (501) 

AdvcrliialbilduDg  mit  -liehen 266  (502) 

'losamtverloiif  der  Entwicklung  der  aiigsburgiKcben  Schrift- 

sprailic 25Ö  (502) 


Abkürzungen. 


Handschriftliches:  M.  R.  oder R.  &=  Königl.  bair.  Allgemeines  Keichs> 

archiv  in  3Iünehen. 
St.  oder  Staatsarehiv  =    Königl.   preuss.    Geheimes   Staatsarchiv    zu 

Berlin. 
A.  SS  Augsburger  Stadtarcliiv. 
(A.)    R.    =    Augsburg    Reichsstadt    (Signatur    der    Archivalicu    im 

Münchener  Reiohsarchiv. 
H.  —  Augrsburg  Hochstift  (im  Münchener  Reichsarehiv). 
St.  U.  i—  Augsburg  St.  Ulrich  ..  .    ,, 

St.  C.  =  Augsburg  Kloster  St.  Katharina  (Münchener  Reichsarehiv). 
St.  St.  «=  Augsburg  St.  Stephan  (Münchener  Reichsarchiv). 
St.  M.  -=  Aujysburg  St.  Moritz  (Münchener  Reiehsarehiv). 
hl.  Cr.  =  Augsburg  Zum  heiligen  Kreutz  (Münchener  Reichsarchiv). 
Achtb.  «a  Achtbuch  der  Stadt  Augsburg. 
Stadtb.  «  Stadtbuch  der  Stadt  Augsburg. 
Drucke:  Bresslau  =  Bresslau  Urkundenlehre. 

Kaufhnann  =  Kauffmann.  Öeschichte  der  schwäbischen  Mundart  1890. 
Bohnenberger   =^   K.   Bohnenberger ,    Zur    Geschichte    der    schw'äh. 

Mundart  in  15.  .Ih.     Tübingen  1892. 
Z.   d.   h.   V.   für  Schwab,    und   Neuburg   ■=   Zeitschrilt    des   histor. 

Vereins  für  Schwaben  und  Xeuburg. 
Augsb.  Urk.buch   =  (^rkundenbuch  der  Stadt  Augsburg  herausgeg. 

V.  Ohr.  Meyer. 
Stadtb.    V.   Augsb.   (ed.   Meyer)  =    Stadtt)uch   der   Stadt   Aug.shurg 

herausgeg.  v.  Chr.  Meyer. 


^ 


Emleitong. 

Wo  auch  immer  wir  die  Blätter  der  älteren  deutschen 
Kulturgeschichte  aufschlagen,  kaum  ein  Name  wird  uns  häufiger 
begegnen  als  der  Name  Augsburg:  ein  Mittelpunkt  geistigen 
Lebens  offenbar,  wie  es  in  Deutschland  lange  Jahrhunderte 
hindurch  wenige  gegeben  hat.  Aber  nicht  nur  die  Stadt  in 
den  Orenzen  ihrer  Mauern  hat  auf  diesen  B.uhm  Anspruch, 
sie  ist  nur  das  Centrum  eines  freilich  immer  noch  beschränkten 
Kulturgebietes,  das  sich  nicht  nur  politisch  aus  den  Nachbar« 
gebieten  ganz  deutlich  heraushebt.  Frühe  schon  besass  der 
Augsburger  Bischofssitz  eine  weithin  reichende  Bedeutung; 
würdig  stehen  daneben  ältere  wie  jüngere  Erlöster  und  Stifter. 
Bald  stellte  sich  ein  zusehends  erstarkendes  Bürgertum,  das 
sich  kräftig  genug  fühlte,  ohne  den  bevormundenden  Willen 
der  Geistlichkeit  seinen  Yerwaltungsbedürfnissen  gerecht  zu 
werden,  trotzig  und  selbstbewusst  jenen  gegenüber  und  zur 
Seite,  bis  es  sich  endlich  mit  der  Einführung  der  Zunftherrschaft 
ganz  in  sich  selbst  abschloss  und  den  Restitutionsbestrebungen 
des  E^lerus  gegenüber  sich  als  unbezwingbar  erwies.  Umso- 
mehr  aber  erschloss  sich  die  rasch  aufblühende  Stadt  der 
Welt.  Durch  den  Wohlstand,  der  sich  auf  allen  G-ebieten 
offenbarte,  gewann  sie  einerseits  immer  mehr  Mittel,  ihre 
Pracht  nach  aussen  zu  entfalten  und  ihre  geistigen  wie 
materiellen  Güter  in  die  Welt  zu  tragen,  wurde  sie  ander- 
seits bald  der  Mittelpunkt  eines  glänzenden  Handelslebens  und 
eine  Hegerin  geistiger  Interessen  auch  für  Fremde.  Als 
Schwabe  besass  der  Augsburger  wohl  auch  die  fast  sprich- 
wörtlich gewordene  Wanderlust  seiner  Stammesgenossen ;  was 

war   also  natürlicher,   als   dass   er  bei   der  Heimkehr  einen 

17 


248  Einleitung.  2 

Schatz  von  Bildung  und  Welterfahrenheit  mitbrachte,  der  ihn 
befähigte,  allen  Lebenslagen  sich  anzupassen.  Namentlich 
die  Sprech-  und  Ausdrucksweise  des  Augsburgers  gewann 
durch  solche  Wanderungen,  auf  denen  er  lernte,  Schlechtes 
auszuscheiden  und  Besseres  sich  zu  eigen  zu  machen.  Seine 
Sprache  wurde  schliesslich  geradezu  als  die  'hübsche  sprach'  ^ 
gerühmt.  Ein  solches  urteil  ist  an  und  für  sich  schon  ge- 
eignet, ein  tieferes  Interesse  für  die  Augsburger  Sprache  zu 
erwecken.  Wenn  wir  mm  dazu  in  Rechnung  bringen,  dass 
Augsburg  da  liegt,  wo  drei  germanische  Stänune  im  Mittel- 
alter zusammenstossen :  Franken,  Schwaben  und  Bayern ;  wenn 
wir  femer  uns  erinnern,  dass  ein  augsburger  Kleriker,  David 
von  Augsburg,  seiner  Zeit  fUr  die  Feststellung  eines  einheit- 
lichen Hechts  für  Schwaben  durch  die  Abfassung  des  Schwaben- 
spiegels den  Grund  legte,  dass  vielleicht  derselben  Quelle, 
sicher  aber  in  Augsburg,  das  älteste  deutsche  StatUtarrecht 
entsprang,  wenn  wir  endlich  jenem  schon  erwähnten  Kampf 
eines  erstarkenden  Bürgertums  und  einer  noch  lebenskräftigen 
und  auf  die  Tradition  sich  steifenden  klerikalen  Sippe  eine 
besondere  Bedeutung  für  die  geistige  Entwicklung  Augsburgs 
beilegen,  so  erweist  sich  das  Interesse  fär  die  geistigen  Ver- 
kehrsmittel der  Stadt  als  durchaus  gerechtfertigt. 

So  unternimmt  es  denn  die  vorliegende  Untersuchung,, 
die  Augsburger  Sprache,  wie  sie  sich  in  den  offiziellen  Schreib- 
gelegenheiten kundgiebt,  während  der  Entwicklungsperiode 
der  Stadt,  d.  h.  im  13.  und  14.  Jh.,  zu  behandeln. 

Zum  Ausganspunkt  habe  ich  den  Beginn  der  Abfassung 
der  schriftlichen  Bechtsdenkmäler  genommen,  die  meinen 
Forschungen  allein  als  Quelle  gedient  haben,  es  ist  das  Jahr 

'Euling,  Sprache  und  Yerskunst  H.  Kaufringers:  Progr.  langen, 
Ostern  1802,  S.  4  f. :  'Wollauf  gesell  wir  wollen  wandern !  |  sprach  ein  got 
gesell  zum  andern,  |  wol  zwuundsibensig  meil  |  ist  uns  kaum  ein  kurz* 
weil  I  wann  welch  man  sich  des  eiwigt,  |  das  er  fremder  land  pfligt  | 
der  findet  an  einer  stat,  |  das  er  in  der  andern  nit  gefunden  hat.  |  wil 
ers  als  derstreichen,  |  so  vindt  er  sicherleichen  |  zu  Augspurg  die  huhschen 
sprach.'  |  Vgl.  auch  Edw.  Schröder:  QGA.  1888,  S.  268  und  Socin 
S.  180. 


3  Einleitung.  249 

der  ersten  deutsch  abgefassten  augsburgischen  Urkunde :  1272. 
Den  geeigneten  Abschluss  finde  ich  in  dem  Jahre  1374;  indem 
ich  mich  dabei  nur  von  sprachlichen  Bücksichten  leiten  lasse. 
Ich  habe  mir  femer  meine  Aufgabe  in  vier  Abschnitte 
geteilt:  Der  erste  soll  Grundlagen  und  Methode  der  Unter- 
suchung behandeln.  Der  zweite,  grössere  Abschnitt  wird  sich 
mit  dem  ürkundenwesen  Augsburgs  beschäftigen.  Auf  eine 
kurze  Betrachtung  der  gesetzlichen  Bestimmungen  und  die 
Beurkundungsformen  in  ihrer  Entwicklung  bis  zu  dem  von 
mir  in  Aussicht  genommenen  Zeitpunkt  folgt  ein  Bild  des 
Augsburger  Kanzleiwesens  innerhalb  der  abgesteckten  Grenzen^ 
soweit  durch  gewissenhafte  Benutzung  des  Quellenmaterials 
und  der  alteren  Forschung  Klarheit  in  einem  so  schwer  zu- 
gänglichen Yerwaltungszweig,  wie  es  die  Kanzlei  einer  mittel- 
alterlichen Stadt  ist,  zu  gewinnen  war.  Den  dritten  Absehnitt 
föllen  die  grammatischen  Untersuchungen  über  Lautstand, 
Schreibung  und  Stil  der  Urkunden  wie  der  übrigen  amtlichen 
Erzeugnisse  der  Kanzlei.  Ein  vierter  Teil  endlich  versucht 
zurückblickend  auf  die  vorangegangenen  Betrachtungen  den 
Gesamtverlauf  der  schriftsprachlichen  Entwicklung  in  Augs- 
burg festzustellen  und  ihn  in  Zusammenhang  mit  dem  Problem 
der  mittelalterlichen  Kanzleisprache  als  einer  Form  der  ältesten 
deutschen  Schriftsprache  zu  bringen.  Keiner  der  vier  Teile 
wird  ganz  Wiederholungen  aus  einem  vorangehenden  ver- 
meiden können,  da  die  Einzeluntersuchungen  nicht  ganz  für 
sich  ihren  Weg  gehen  können  und  sollen;  ich  werde  mich 
jedoch  bemühen,  nicht  zu  sehr  den  fortlaufenden  Text  durch 
sich  häufende  Verweisungen  zu  verunstalten. 


17* 


Erster  Abschnitt 
Methode  und  Quellen. 

Die  Göttinger  Akademie  der  Wissenschaften  stellte  im 
Jahre  1891  ^  die  Aufgabe,  eine  sprachgeschichtliche  Unter- 
suchung der  kaiserlichen  Kanzleisprache  bis  Maximilian  vor- 
zunehmen; ausdrücklich  wurde  hinzugefügt:  'Benutzung  un- 
gedruckten Materials  wird  nicht  verlangt.'  Die  Bedingungen, 
unter  denen  die  Lösung  vor  sich  gehen  sollte,  kennzeichnen 
im  ganzen  den  gegenwärtigen  Betrieb  aller  die  Greschichte 
der  Schriftsprache  betreffenden  Forschungen.  Man  suchte 
sich  wohl  darüber  klar  zu  werden,  welche  Arten  von 
Denkmälern  für  die  Lösung  des  Problems  der  mhd.  Schrift- 
sprache herangezogen  werden  könnten,  man  fragte  sich,  ob 
prosaische  oder  poetische  Erzeugnisse  den  Anforderungen  einer 
gemeinverständlichen  Sprache  in  Deutschland  mehr  gerecht 
zu  werden  strebten,  aber  man  legte  kritiklos  alles  erreichbare 
Material  der  gewählten  G-attung  zu  Grunde  und  beutete  es 
in  der  gleichen  Weise  aus.  Bezeichnend  ist  es  für  dieses 
Verfahren,  wenn  BehagheP  sich  folgendermassen  äussert: 
^Weiterhin  hat  man  —  und  hierin  liegt  zweifellos  die  Ent- 
scheidung der  Frage  —  die  Sprache  der  Quellen  geprüft. 
Es  zeigte  sich,  dass  bei  den  klassischen  Dichtungen  der  mittel- 
hochdeutschen Zeit,  die  sehr  vei*schiedenen  Gegenden  Deutsch- 
lands angehören,  die  sprachlichen  Unterschiede,   die  sich  aus 


^  Nachrichten  von  der  kgl.  G-esellschaft  der  WiBsenschaften  zu 
Göttingen  1891,  S.  126. 

>  Behaghel,  Zar  Frage  nach  einer  mhd.  Schriftsprache :  Festschrift 
der  Universität  Basel  zum  Heidelberger  Jubiläum,  Basel  1886,  S.  46. 


6  Erster  Absohnitt.    Methode  und  Qaellen.  261 

den  Keimen  ermitteln  liessen,  fast  verschwindende  waren.' 
Allerdings  ging  nun  Behaghel  bei  der  gleichen  Gelegenheit 
energisch  einen  Schritt  weiter,  indem  er  für  die  Frage  der 
mhd.  Schriftsprache  die  deutschen  Urkunden  entschieden  als 
das  geeignete  üntersuchxmgsfeld  hinstellte.  'Die  Urkunden 
bilden  die '  einzige  unbedingt  zuverlässige  Grundlage  der 
Forschung,  vorausgesetzt,  dass  bei  ihrer  Yerwerthung  gewisse 
Yorsichtsmassregeln  nicht  ausser  acht  gelassen  werden.'  ^  Er 
schliesst  Yerhaltungsmassregeln  an,  die  in  ihrer  Form  und 
Fülle  gewiss  eine  dankenswerthe  Einführung  in  Urkunden- 
untersuchungen zu  sprachgeschichtlichen  Zwecken  waren  und 
darum  an  und  für  sich  beachtenswert  sein  konnten.  Aber 
wenn  er  auch  eine  methodische  Behandlung  diplomatischer 
Schriftstücke  zu  sprachgeschichtlicher  Verwertung  forderte, 
konnten  seine  Ratschläge  doch  nur  bei  einem  Material 
fruchtbar  sein,  das  uns  über  die  Person  der  Verfasser,  die 
Behaghel  gewissermassen  in  den  Vordergrund  stellt,  aus- 
reichend unterrichtet.  Diesem  Zweck  entspricht  aber  einzig 
und  allein  die  Benutzung  handschriftlicher  Quellen,  da  sie  uns 
erstens  das  Gesamtbild  des  Schriftstückes  schaffen,  zweitens 
den  einzigen  Weg  zur  Feststellung  des  Schreibers  und  mög- 
licherweise seiner  Herkunft  und  seiner  Thätigkeit  nach  ver^ 
schiedenen  Seiten  hin  bieten.  Der  erste  meines  Wissens,  der 
in  der  richtigen  Erkenntnis  der  Vorzüge  hs.  Materials  auf 
die  vollständige  Wertlosigkeit  jedes  Druckes,  gleich  ob  älterer 
oder  neuerer  Edition,  hinwies,  war  Brandstetter;  sicher  ist  er 
der  erste,  der  auf  Grund  nützlicher  methodologischer  Grund- 
sätze und  Anweisungen  imd  ausschliesslich  hs.  Originalquellen 
an  die  Untersuchung  einer  lokalen  Kanzleisprache  ging  '.  In 
den  gleichen  Bahnen  bewegte  sich  fast  gleichzeitig  eine  zweite 
sprachliche  Behandlung  des  Problems  der  lokalen  Kanzlei- 
sprachen des  Mittelalters  und  der  angehenden  Neuzeit,  mit 


^  Behaghel  a.  a.  0.,  S.  47. 

'  B.  Brandstetter,  Die  Luzemer  Kanzleisprache  von  1260 — 1600: 
aeschichtsfreund  47,  227  ff.  (1892). 


^68  Enter  Abschnitt.  6 

der  SckeeP  1892  hervortrat.  Immerhin  ist  die  Art  und 
Weise^  in  der  er  sein  Thema  ausführt,  gegenüber  den  Brand- 
stetterBcben  Erfolgen  noch  als  ein  Fortschritt  zu  bezeichnen. 
Einmal  wählte  Scheel  als  Ausgangspunkt  einen  wichtigen  Ort, 
ein  politisches  und  kulturgeschichtliches  Oentrum ;  sodann  er- 
kannte er  Ton  vom  herein  den  geeigneten  Weg,  in  der  Sprache 
der  Urkunden  den  lokalen  Dialekt»  wenigstens  die  dialektliche 
Färbung,  herauszufinden,  indem  er  den  politischen  Verhält- 
nissen seines  Qebietes  Rechnung  tragend  eine  scharfe  Grenze 
zwischen  der  bischöflichen  und  der  städtischen  Kanzlei  zog 
und  in  der  Gegenüberstellung  beider  die  Möglichkeit  nachwies^ 
die  Kanzleisprache  als  eine  Lebensbethätigung  der  Mundart 
zu  erkennen. 

Indem  ich  selbst  nun  die  durch  die  Erfolge  beider  Forscher 
als  fruchtbar  sich  ausweisenden  Gnmdsätze  mir  zu  eigen 
machte,  wandte  ich  mich  den  folgenden  Untersuchungen  über 
die  Augsburger  Kanzleisprache  in  der  oben  abgegrenzten 
Zeit  zu.  Es  sei  mir  an  diesem  Orte  gestattet»  zu  der  schon 
angeregten  Prinzipienfrage  Stellung  zu  nehmen,  indem  ich  den 
aus  jenen  Arbeiten  in  methodologischer  Hinsicht  gezogenen 
Gewinn  mit  weiteren  eigenen  Erkenntnissen  vereinige. 

Um  für  die  Frage  nach  der  ältesten  Schriftsprache  weitere 
Gesichtspunkte  offen  zu  halten,  ist  es  geraten, 

1)  als  Schauplatz  einen  füi*  die  Geschichte  der  Zeit  be- 
deutsamen Ort  zu  wählen; 

2)  müssen  die  lokalen  rechtslitterarischen  Denkmäler  in 
reicher  Zahl  und  womöglich  in  ununterbrochener  Reihe  vor- 
handen sein.  Entspricht  das  Vorgefundene  diesen  Ansprüchen, 
80  ist  es 

3)  Grundbedingung,  nur  ungedrucktes  Material  zu  ver- 
werten, das  vorhandene  kritisch  zu  sichten  auf  Originalität 
des  Schriftstückes  und  Zuverlässigkeit  des  Ausgangsortes  hin« 

^  W.  Scheel,  Beiträge  zur  Geschichte  der  neuhochdeutschen  Gemein- 
sprache in  Köln  (Harburger  Dissertation  1892),  vollständig  unter  dem 
Titel  ^Jaspar  von  Gennep  und  die  Entwicklung  der  neuhochdeutschen 
Schriftsprache  in  Köln'  im  8.  Ergänzungshefb  der  Westdeutschen  Zeit- 
•chrift  f.  Gesch.  und  Kunst  (Trier  1898),  S.  1—75. 


7  Methode  und  QneUen.  853 

Indem  ich  nun  gerade  die  letzteren  Funkte  besonders 
stark  betone,  halte  ich  es  für  angemessen,  die  Frage  naoh 
der  Brauchbarkeit  und  ünbrauchbarkeit  von  Quellen  im 
Zusammenhang  noch  einmal  an  der  Hand  yon  selbst  an- 
gestellten Abwägungen  yorzunehmen ;  auf  dem  so  gewonnenen 
festen  Boden  fussend  kann  ich  mich  der  weiteren  Nutzbar- 
machung des  Stoffes  nach  den  als  notwendig  erkannten  Grund- 
sätzen zuwenden. 


Meine  Untersuchungen  teilen  sich  in  eine  diplomatische 
oder,  wie  ich  sie  auch  nennen  will,  eine  urkundengescliicht- 
liehe  und  eine  lautgeschichtliche  Abteilung.  Dem  urkunden- 
geschichtlichen Teil  haben  alle  erreichbaren  Quellen  der  oben 
angegebenen  Art  Stoff  geliefert:  ungedruckte  und  gedruckte, 
hs.  Archivalien  und  ältere  wie  neuere  Editionen.  Freilich 
machen  stellenweise  Druckyersehen  in  den  letzteren,  weniger 
die  zahlreichen  z.  T.  beabsichtigten  Buchstabenyertauschungen 
als  die  Wort-  und  Satzentstellungen,  ihren  Wert  auch  für 
den  Geschichtsforscher  zn  einem  bedingten,  wie  yiel  mehr  noch 
für  den  Sprachforscher ;  doch  hat  mich  mein  Weg  kaum  in 
die  Nähe  solcher  Klippen  geführt,  noch  yiel  weniger  sind  sie 
mir  gefährlich  geworden.  Wenn  ich  mir  aber  doch  die  Mühe 
genommen  habe,  einen  guten  Teil  dieser  Publikationen  mit 
den  Originalen  zu  yergleichen,  so  sollte  das  dem  lautgeschicht- 
lichen Teil  meiner  Untersuchungen  zu  gute  kommen.  Hier 
habe  ich  es  als  ein  unbedingtes  Erfordernis  erkannt,  keinerlei 
Drucke,  gleichyiel  welcher  Art  und  Herkunft,  zu  yerwenden, 
indem  diese  durchweg  die  Geschichte  mancher  Zeichen,  Hülfs- 
mittel  und  selbständiger  Buchstaben,  namentlich  die  Ent- 
wicklung yon  f  und  s,  Schluss-f  zu  Schluss-s,  die  Trennung 
yon  u  und  y  nicht  yeranschauhchen  und  damit  der  Beobachtung 
einer  Einwirkung  yon  Schriftbild  auf  Schrift  wesentlich  den 
Boden  rauben.  ^     In  der  Erkenntnis   dieser  Grundbedingung 


^  Nur  znr  Vergleichung  oder  fierleitting  mancher  Erscheinungen 
aog  ich  in  grösserem  UmfftDge  die  yeröffentlichten  älteren  DenkmSler 
näher  heran ;  aus  der  vor  unserer  Periode  liegenden  Zeit :  10.  Jh.  Augs« 


264  Enter  Abschnitt.  8 

habe  ich  daher  unter  den  hs.  Archivalien  strengster  Origi- 
nalität nur 

1)  Originalurkunden  und  Bechtscodices  gleicher  Art, 
3)  Kopien,  wenn  ich  der  Originale  habhaft  geworden 
war,  und  auch  dann  nur  Kopien,  von  welchen  ausdrücklich 
gleicher  Ort  und  gleiche  Zeit  oder  wenigstens  die  Zugehörig- 
keit zu  einer  bestimmten  Periode  innerhalb  der  Jahre  von 
1272—1374  feststeht,  zu  Grunde  gelegt.  Dank  der  Sorgfalt 
der  Archivverwaltungen  war  mir  das  Material  dieser  Art  von 
Tom  herein  zur  Hand,  der  Frage  nach  Echtheit  und  ünecht- 
heit,  vom  diplomatischen  wie  vom  sprachlichen  Standpunkt 
aus,  war  ich  daher  enthoben.  Es  begann  jedoch  nun  die 
Kritik  weiter  zu  arbeiten.  Die  erste  Frage  betraf  die  Ver- 
fasser der  einzelnen  Schriftstücke.  Wenn  es  sich  z.  B.  heraus- 
stellte, dass  der  Schreiber  kein  Einheimischer,  sondern  ein 
Eingewanderter  war,  entstand  sofort  der  Zweifel:  darf  man 
ein  solches  Dokument  als  Quelle  zulassen  ?  Als  Quelle  durfte 
es  gelten,  wenn  der  Schreibort  oder  Schreiber  keinen  privaten 
oder  gelegentlichen  Charakter  trug.  Zur  Aufhellung  solcher 
Verhältnisse  war  es  unumgänglich,  einen  geschichtlichen 
Überblick  über  die  Schreiborte  Augsburgs  einzufügen. 

Weiter  musste  beachtet  werden,  unter  welchen  Beding- 
tmgen  das  Schriftstück  entstand  und  welcher  Eindruck  be- 
absichtigt war^.     Gelegentlich   darf  wohl,   wenn  einmal  der 

barger  Glossen:  Altd.  Gl.  I,  II;  Germ.  21,  S.  1.  —  11.  Jh.:  Prudentius- 
glossen  (A):  ZDA.  16,  S.  8,  79.  —  Servatias:  ZDA.  5,  S.  75.  —  1200: 
St.  Ulrichs  Leben  von  Albertus,  her.  v.  Schmeller.  1844.  —  Werners 
Harienleben  (Augsb.  Bruchstücke)  her.  Ton  Greiff.  Wien  1862  u.  Germ. 
7,  305.  —  1070:  Alteste  *  Urkunde'  bei  Massmann,  Die  deutschen  Ab- 
sohwörungs-,  Glaubens-,  Beicht-  und  Bet-Formeln.  1839,  S.  62,  189; 
Wackemagel,  Altdeutsches  Lesebuch*  S.  162.  —  18.  Jh.:  Schwab.  Trau- 
formel: MSD.*  1,  S.  819;  2,  S.  462.  —  Aus  dem  14.  Jh.:  Fressant 
(Hagen,  Geaamtabentener  2,  S.  85). 

^  In  einem  Formularium  (summa  dictaminis)  des  18.  Jh.  (Baerwald, 
Formelbücher  S.  10,  Anmerk.)  werden  die  Leser  unterschieden,  und  nach 
dem  Interesse,  das  in  ihnen  erweckt  werden  soll,  wird  die  Abfassung 
der  exordia  empfohlen.  Ebenso  S.  11  im  Baumgartenberger  Formelbuch 
(Cod.  Phil.  S.  61). 


9  Bie  ungedruokten  Qaellen  im  einzelnen.  266 

sprachliche  Bestand  in  der  Hauptsache  aus  den  hs.  Zeug- 
nissen sichergestellt  ist  und  die  Kriterien  für  die  Zugehörigkeit 
und  Nichtzugehörigkeit  zu  diesem  oder  jenem  sprachlichen 
Territorium  gegeben  sind,  auch  weniger  zuverlässiges  Material 
verwendet  werden. 


Die  angedruckten  Quellen  Im  einzelnen. 

A.  Originale. 

Die  Urkunden  hatten  vor  allem  die  Kriterien  einer 
Kanzleisprache  zu  liefern ;  sie  haben  mit  folgender  Abstufung 
diesem  Zwecke  gedient:  die  meiste  Ausbeute  lieferten  die 
'städtischen'^  Urkunden  einmal  ihrer  bei  weitem  überlegenen 
Zahl  wegen  und  zweitens,  weil  sie  am  sichersten  zur  Stadt 
gehören.  In  zweiter  Eeihe  stehen  die  klerikalen  Urkunden: 
voran  gehen  die  bischöflichen^  es  folgen  die  Urkunden  der 
Erlöster.  Sie  sind  insgesamt  nur  mit  Auswahl  und  nach  Be- 
stimmung der  Herkunft  und  Zugehörigkeit  ihrer  Verfasser 
vollwertig. 

In  geringerem  Grade  als  die  Urkunden  dürfen  andere 
lokale  Bechtsdenkmäler  als  Zeugnisse  einer  Kanzleisprache 
gelten.  Unter  diesem  Gesichtspunkt  wurden  das  Stadtbuch 
und  das  Achtbuch  von  Augsburg  herangezogen. 

1.  Das  Stadtbuch:  1276—1612  (Münchener  Allg.  Beichs- 
archiv).  Seine  Beschreibung  ist  im  grossen  und  ganzen  schon 
in  der  Einleitung  zu  Chr.  Meyers  Ausgabe  (1862)  geliefert. 
Bemerken  muss  ich,  dass  ich  bezüglich  der  Einleitung  der 
Hände  zu  einem  andern  Ergebnis  gekommen  bin,  indem  ich 
die  von  M.  angesetzten  Hände  Will,  IX,  X  als  Eine  Hand 
in  drei  Phasen   dem   Stadtschreiber  Hagen   (S  j,)*  zuteile'. 

^  Über  die  Bezeichnung  ^städtisch'  ubw.  vgl.  den  formengeschicht- 
iichen  Teil. 

*  Mit  8  -f-  Index  bezeichne  ich  die  einzelnen  Schreiber  der  städtischen 
Kanzlei. 

'  Der  Stadtarchivar  von  Augsburg,  Herr  Dr.  Buff,  erklärte  sich  mit 
diesem  Resultat  einverstanden  und  machte  mich  darauf  auftnerksam,  dass 
die  Hand  des  Stadtschreibers  Nikolaus  Hagen  (S  i?  nach  meiner  Ein- 


256  Erster  Abschnitt.  10 

Abweichungen  in  der  Datierung  von  Novellen  bemerke  ich 
unten  bei  deren  Verwendung. 

2.  Das  Achtbuch  ^:  1309  bis  ins  15.  Jh.  (Augsburger 
Stadtarchiv).  Sorgfältig  werden  Schrift  und  Ausstattung  erst  vom 
Jahre  1346  ab,  seitdem  Hagen  (S ,,)  schreibt.  Häufig  sind 
ganze  Einträge  durchgestrichen,  ebenso  im  Text  Worte  aus- 
gestrichen, vereinaelt  Namen  nicht  ausgeschrieben  und  oft 
Stellen  frei  gelassen  zu  späterer  Ausfüllung. 

B.  Kopien. 

3.  Das  Missivbuch*  (Augsburger  Stadtarchiv).  Die  Ein- 
tragungen sind  wenig  sorgföltig;  flüchtige  Schrift  offenbart 
die  geringe  Bedeutung  der  Anlage  für  die  Öffentlichkeit. 
Noch  dazu  sind  die  Einträge  weder  chronologisch  vorge- 
nommen worden,  noch  auch  stammen  sie,  wie  sie  dastehen, 
abschnittweise  von  einer  Hand. 

4.  Das  Bürgerbuch  von  Augsburg  •. 

5.  Das  Steuerbuch  von  Augsburg. 


teilang)  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  bis  1369  geht.  Ich  setze  das  Jahr 
1370  als  Qrenze.     Vgl.  den  Abschnitt  über  das  Kanzleipersonal. 

^  Das  im  Augsburger  Stadtarchiv  aufbewahrte  sogenannte  älteste 
Achtbach  der  Stadt  ist  nicht  die  älteste  Anlage  dieser  Art.  Es  werden 
in  den  Baumeisterrechnangen  (Ztschr.  des  histor.  Vereins  für  Schwaben 
und  Neuburg  Y,  S.  1)  sehr  häufig  Bezahlungen  des  Stadtschreibers  'pro 
inscriptione  quorundam  proscriptorum'  aufgeführt,  z.  B.  1320.  14.  Sept. 
(S.  23):  Notario  de  proscriptione.     132 1,  11.  Januar  (S.  27). 

'  Auch  das  Missivbuch  ist  nicht  das  älteste  Kopialbuch  der  Stadt. 
Schon  1321  erhält  der  Stadtschreiber  Bezahlung  'pro  rescriptione  litere 
pacis*  (Baum.-Bechn.  S.  27).  Vgl.  dazu  'Resoriptum'  als  üntersohiift 
des  Notars  unter  mehreren  Einträgen  im  Missivbach  (N.  59.  66). 

"  Bürgeraufnahmebuch  1288—1496.  Schätze  Nr.  74.  Ausserdem 
enthält  das  Stadtarchiv  noch  folgende  Archivalien,  die  ich  allerdings 
nicht  eingesehen  habe,  weil  sie  ihrer  kurzgefassten  Anlage  wegen  für 
sprachgeschichtliche  Untersuchungen  kein  geeigneter  Boden  sind.  Es 
sind:  1.  Söldnerbach  1360—1381.  Schätze  137a.  —  2.  Leibdiugbücher 
1379—1396,  1379—1392,  1389—1406,  zum  grössten  TeUe  immer  wieder 
das  Nämliche  enthaltend  wie  die  Urkunden.  —  3.  Ffarrzechbuch  'Unser 
lieben  Frauen'  1822—1402.  Schätze  Nr.  138.  —  4.  Urkunden  de« 
Klosters  St.  Georg  1309 — 1424,  von  verschiedenen  Händen  zum  Teil,  nach 


11  Die  nngedracktea  Quellen  im  einzelnen.  £67 

Allgemein  gilt  flir  die  eben  besprochenen  Quellen  als 
Grundlage  zur  £enntnis  lokaler  Lautgeschichte,  dass  sie  auf 
Grund  doppelter  Erwägung  für  den  Forscher  nicht  den  gleichen 
Wert  besitzen  wie  die  Urkunden.  In  erster  Linie  beansprucht 
der  Charakter  jener  Schriftstücke  als  interner,  nicht  fär  die 
Öffentlichkeit  berechneter  Aufzeichnungen  nicht  dieselbe  Sorg- 
falt in  der  Ausstattung  und  Anlage,  formell  noch  weniger 
als  inhaltlich,  wie  sie  die  Urkunden  verlangen.  Sodann  ist 
die  Yerfährung  des  Auges  der  Natur  der  Sache  nach  eine 
derartig  grosse,  dass  die  Unbefangenheit  fast  jedes  einzelnen 
Erzeugnisses  mindestens  zweifelhaft  ist.  Die  Urkunden  sind 
zuweilen  durch  Vorlagen  und  Muster  bedingt  gewesen,  die 
Einträge  des  Stadtbuches  und  des  Achtbuches  waren  es  durch 
einen  natürlichen  Zwang  und  mit  grösserer  Begelmässigkeit. 
Letzteres  gilt  noch  weniger  fllr  das  Stadtbuch  als  für  das 
Achtbuch.  Mit  Abrechnung  der  eben  besprochenen  Bück- 
sichten dürfen  wir  in  dem  Stadtbuch,  speziell  in  dem  Teil 
bis  zum  Anfang  des  14.  Jh.,  das  am  meisten  konservative 
Element  in  der  Bethätigung  der  städtischen  Kanzlei  erblicken, 
indem  es  mit  grösserer  Hartnäckigkeit  als  die  öffentlichen^ 
Instrumente  gegen  das  Andringen  der  lautlichen  Neuerungen 
fremder  Herkunft  sich  wehrt.  Das  Stadtbuch  giebt  uns  also 
ein  Bild  der  Augsburgisch-reichsstädtischen  Kanzleisprache 
des  13.  und  14.  Jahrhunderts  'schlechthin'. 

Im  weiteren  Sinne  kommen  die  Urkunden  und  amtlichen 


Annahme  des  Herrn  Dr.  Buff,  noch  im  14.  Jh.  geschrieben  (Kopien) 
Schätze  Nr.  94  —  Formelbücher  ans  der  Zeit  vor  1500  sind  nicht  vorhanden. 
Zünftige  Archive  giebt  es  in  Augsburg  nicht ;  was  von  Akten  bei  einzelnen 
Handwerken  noch  vorhanden  ist,  geht  alles  nur  bis  ins  17.  Jh.  zurück. 
Die  alten  Zunftbüoher  wurden  1648  auf  Befehl  Karls  Y.  grösstenteils 
verbrannt.  Von  dem  Erhaltenen  geht  nichts  bis  ins  14.  Jh.  In  dem 
bischöflichen  Archive  sind  noch  einige  hundert  Urkunden  aus  der  Zeit 
vor  1500,  jedoch,  wie  mir  Herr  Dr.  Buff  nach  Anfrage  bei  dem  bischöf- 
lichen Archivar  Herrn  Dr.  Schröder  mitteilte,  nur  etwa  80  vor  1400, 
Eum  grössten  Teil  Institutionen,  also  lateinisch  abgefasst 

'  öffentliche  Instrumente*  hier  die  Urkunden  ohne  Unterschied  im 
G^ensata  zn  den  internen  amtlichen  Schrifttümern. 


358  Erster  Abachnitt.  12 

deutschen  Codices  in  Betracht  als  Quellen  zur  Kenntnis  der 
Mundart.  Die  lokalen  Urkunden  sind  von  den  einen  als  zu- 
verlässige Quellen  zur  Kenntnis  der  Mundart  Yor  sonstige 
litterarische  Erzeugnisse  gestellt  worden:  andere  haben  sie 
von  vornherein  als  unbrauchbar,  weil  unter  mundartfremden 
Tendenzen  und  Einflüssen  entstanden,  zurückgewiesen;  ein 
dritter  Teil  endlich  glaubte  die  Originalurkunden  sehr  wohl 
zu  mundartgeschichtlichen  Untersuchungen  heranziehen  zu 
müssen,  aber  nur  mit  sehr  fein  arbeitender  Kritik.  Meine 
eigene  Ansicht  steht  dem  letzteren  Standpunkt  am  nächsten: 
wenn  ich  auch  die  Urkunden  in  erster  Linie  als  Bethätigungen 
der  Schriftsprache  betrachte,  so  macht  das  Nützlichkeitsprinzip 
ein  solches  Schriftstück  doch  zur  Aufnahme  mundartlichen 
Sprachgutes  vorzugsweise  geeignet.  Der  bequemste  und 
sicherste  Führer  aber  ist  die  Urkunde  überhaupt  für  die  Fest- 
stellung lautlicher  Erscheinungen  wegen  ihrer  geographischen 
und  chronologischen  Zuverlässigkeit. 


Eine  weitere  Arbeit  wird  darin  bestehen,  das  aus  den 
Quellen  gesammelte  lantstatistische  Material  in  gehörige  Ord- 
nung zu  bringen.  Hierbei  wird  es  sich  fragen,  ob  man  nach 
dem  Schema  der  mhd.  Grammatiken  vorgehen  soll  oder  ob 
die  Eigenart  des  Gegenstandes  eine  andere  Einteilung  er- 
heischt. Da  es  sich  zunächst  um  eine  Form  des  Mhd.  im 
allgemeinen  handelt,  so  empfiehlt  es  sich,  von  dem  gemeinmhd. 
Laut-,  Flexions-  und  Wortstand  auszugehen,  wie  er  durch  die 
Grammatiken  und  Lexika  fixiert  ist,  darnach  die  Herleitung 
der  Erscheinungen  von  der  ältesten  Zeit  an  in  den  lokalen 
Bahnen  weiterer  und  engerer  Art  bis  zu  der  in  Frage  stehenden 
Zeit  zu  verfolgen,  die  heute  lebende  Mundart  mit  Berück- 
sichtigung ihrer  eigenen  Weiterentwicklung  und  Wandlungs- 
fähigkeit und  nach  Scheidung  ausgeprägt  nichtmundartlicher 
Bestandtteilezur  Feststellung  des  Lautwertes  ins  Auge  zu  fassen, 
endlich  die  Kanzleisprache  von  dem  Standpunkt  einer  'ge- 
schriebenen Sprache'  zu  betrachten.  Ein  solches  Verfahren 
schreibt  fast  von  selbst  den  Weg  vor,  die  Untersuchung  jeder 


13  Die  ungedmckten  Qaellen  im  einzelnen.  269 

Erscheinung  in  drei  Abschnitten  Yorzunehmen :  Yoranzustellen 
ein  je  nach  Bedürfnis  reich  und  ausführlich  oder  summarisch 
ausgewähltes  statistisches  Belegmaterial,  darauf  den  Lautwert 
und  schliesslich  die  Schreibung  darzustellen^.  Innerhalb  des 
Bahmens  jedes  dieser  Abschnitte  sind  folgende  Gesichtspunkte 
massgebend. 

Da  die  Untersuchung  historische  Entwicklung  betrifft, 
hat  man  festzustellen,  wann  eine  einzelne  Erscheinung  zuerst 
auftritt,  wie  lange  sie  dauert,  wann  sie  yerschwindet.  Zu 
achten  ist  auch  jederzeit  darauf,  ob  und  welche  lautliche  Er- 
scheinungen in  den  einzelnen  Schriftstücken  nebeneinander 
hergehen,  wann  sie  sich  trennen,  wann  sie  in  derselben  oder 
in  veränderter  Gestalt  wieder  zusammen  auftreten. 

Sodann  hat  man,  wenn  es  feststeht,  dass  die  Kanzlei- 
sprache aus  verschiedenen  sprachlichen  Komponenten  besteht, 
aus  Gemeinsprache  und  Mundart,  einmal  den  Grund  des 
Auftretens  jedes  einzelnen  Bestandtteils  in  diesem  und  jenem 
Zeugnis,  femer  das  prozentuale  Verhältnis  aller  Komponenten, 
soweit  sie  vereinigt  sind,  zu  betonen. 

Des  Weiteren  wird  man  wissen  wollen  —  und  dieser 
Gesichtspxmkt  sollte  bei  jeder  lautgeschichÜichen  Unter- 
suchung auf  Grund  hs.  Quellen  allen  andern  vorangestellt 
werden  — ,  wie  die  Personen,  denen  die  ^Pflege  der  Kanzlei- 
sprache in  die  Hände  gelegt  war,  ihre  sprachlichen  und 
graphischen  Theorien  dem  Bestand  der  Kanzlei  ein-  und 
unterordneten,  wie  sie  sich  besonders  selbst  zu  dem  vorge- 
fundenen Bestände  stellten  und  wie  sie  ihre  Gewohnheiten 
auf  ihre  Mitarbeiter  oder  Nachfolger  übertrugen  oder  vererbten, 
ob  zu  gewissen  Zeiten  Besonderheiten  dieser  und  jener  Hand 
hervortreten,  die  das  Verhältnis  von  Meister  und  Schüler 
etwa  charakterisieren,  kurz  ob  eine  ^SchxQe'  die  Grundlage 
des  jedesmaligen  Kanzleiidioms  war.     Mit  Bücksicht  auf  ein 


*  Von  diesem  Wege  weiche  ioh  nur  dann  ab,  wenn  das  Material 
entweder  so  wenig  Belege  bietet,  dass  sie  besser  im  Kontext  behandelt 
werden,  oder  wenn  nur  wenige  Abweichungen  von  der  Regel  einer  laut- 
lichen Erscheinung  vorliegen:  z.  B.  beim  Superlativ. 


260  Erster  Abschnitt.  14 

etwa  bestehendes  Regelwesen  wäre  namentlich  die  Frage  za 
erheben,  wie  die  Schreiber  von  Kopien  zu  den  Originalen 
sich  verhalten  haben ;  das  Verhältnis  von  Schüler  und  Meister 
legt  uns  dann  nahe  zu  beobachten,  ob,  wann  und  wo  be- 
sonders korrekt  und  sorgfaltig  geschrieben  wurde.  Eine  all- 
gemeine Wertschätzung  in  diesem  Sinne  wäre  dem  gramma- 
tischen Teile  voranzustellen. 

Eine  sehr  interessante  Frage  ist  endlich :  war  die  Kanzlei- 
sprache ausschliesslich  geschriebenes  Idiom  oder  wurde  sie 
auch  gesprochen?  Liegt  sie  als  gesprochene  Sprache  einer 
bestimmten  Gesellschaftssprache  der  Stadt  zu  Grunde,  so  ist 
erforderlich,  in  einem  zusammenfassenden  Teile  das  Sonder- 
verhältnis stark  als  konstitutiven  Faktor  der  Kanzleisprache 
als  einer  mhd.  Schriftsprache  zu  betonen. 

Die  Abgrenzung  nach  Zeit  und  Ort  und  zumal  die  Be- 
deutung Augsburgs  führen  auf  die  Notwendigkeit,  im  Rahmen 
einer  Monographie  die  einzelnen  Erscheinungen  durchaus  aus- 
führlich zu  behandeln.  Beschränken  werde  ich  mich  nur  darin, 
dass  ich  nicht  alle  Gebiete,  Lautstand,  Syntax,  Wortschatz, 
an  dieser  Stelle  schon  bearbeite,  sondern  lediglich  die  Laut- 
lehre, den  Flexions-  und  Formenschatz ;  letzteres  Gebiet  streife 
ich  nur  in  Einzelheiton.  Ich  gedenke  femer  in  der  Formen- 
geschichte, wie  in  der  Lautgeschichte  den  einzelnen  Erschei- 
nungen nicht  in  allen  Details  der  zeitlichen  Aufeinanderfolge 
nachzugehen,  sondern  sie  häufig  periodenweise  zusammen- 
zunehmen, wenn  auch  diese  oder  jene  epochemachende  Ein- 
zelheit nicht  unberücksichtigt  gelassen  werden  soll. 


Zweiter  Abschnitt 

Die  Augsbnrger  Urkunde. 


A.  Normen  und  Bestandteile. 

Für  die  vor  dem  Anfang  des  11.  Jh.  liegende  Zeit  sind 
unsere  Kenntnisse  über  Augsbnrger  Recbtsformen  sehr  lücken- 
haft. Indessen  hat  sich  die  geschichtliche  Entwicklung  Augs- 
burgs in  den  ersten  Jahrhunderten  des  Mittelalters,  namentlich 
was  seine  Yerfassungsverhältnisse  anbelangt,  im  grossen  und 
ganzen  in  denselben  Bahnen  bewegt  wie  die  der  übrigen 
Städte;  wenigstens  nimmt  sie  nicht  eine  ausgeprägte  Sonder- 
stellung ein.  Wir  werden  also  aus  den  Zuständen  verwandter 
Orte  einen  Rückschluss  auf  die  gleichzeitigen  Augsburger 
Verhältnisse  thun  dürfen.  Da  ich  somit  die  schon  Ton 
firesslau  ^  und  Brunner  '  gewonnenen  Ergebnisse  nur  zu  wieder- 
holen hätte,  fasse  ich  das  Allerwesentlichste  zusammen.  Hin- 
sichtlich der  in  diesem  Abschnitt  hin-  und  wieder  gebrachten 
Schreibemamen  und  Handbezeichnungen  giebt  der  Teil  über 
die  Kanzlei  nähere  Auskunft. 

Das  alamannische  Gesetz  drängt  zweifellos  die  Person 
xmd  den  Wert  des  Schreibers  yoUständig  zurück,  dagegen 
macht  es  die  Firmierung  der  Urkunde  durch  Zeugen  und 
die  Datierung  zur  Bedingung  der  Giltigkeit.  Noch  vor  der 
Karolingerzeit  muss  die  lex  alamannia  dem  ripuarischen  Gesetz 
weichen,  dessen  Bestimmungen  sich  auf  allen  Bechtsgebieten 
eine  unbestrittene  Anerkennung  verschaffen.  In  der  über 
Kauf  oder  Schenkung  gerichtlich  in  mallo  ausgestellten  Ur- 

*  Bresslau,  FDG.  26,  S.  1  ff.    •  Brunner  Oarta  u.  notitia  S.  21  ff.; 
id.;  Bechtflgescb.  (Leipzig  1888)  1,  S.  892  ff.;  2,  S.  420  ff. 


262  Zweiter  AbflcHnitt.    Die  Augsbnrger  Urkunde.  16 

küDde  setzt  die  lex  ribuaria  als  Kegel  die  Nennung  des 
Schreibers  voraus,  und  nur  aus  dem  ümstandi  dass  Namen 
und  Handschrift  des  cancellarius  ohnehin  bekannt  waren,  kann 
die  zeitweilig  sich  findende  Auslassung  des  Namens  erklärt 
werden.  Im  übrigen  gestattet  die  lex  ribuaria  zwar,  dass 
jeder  des  Schreibens  kundige  Mann  Urkunden  herstelle,  knüpft 
aber  gewisse  Eechtsvorteüe  an  die  Ausfertigung  durch  den 
cancellarius.  Ich  möchte  dieser  Bestimmung  gerade  fär  die 
Verhältnisse,  denen  wir  in  Augsburg  begegnen  werden,  eine 
nicht  geringe  Bedeutung  beilegen  und  will  hier  gleich  voran- 
stellen, dass  ich  in  der  Bestimmung  des  Bates  von  Augsburg 
vom  Jahre  1294  über  die  Abfassung  gewisser  Briefe  eine 
auffallende  Nachbildung  jener  Gewohnheit  sehe  ^.  Es  ist  das 
im  übrigen  fast  der  einzige  Best  des  ribuarischen  Gesetzes. 
Denn  mit  dem  Untergang  der  Gerichtsurkunde  und  des  öffent- 
lichen Notariatswesens  im  9.  Jh.,  im  12.  Jh.  spätestens  in 
einigen  alamannischen  Gebieten^,  hat  auch  die  alte  stammes- 
gesetzliche Form  ausgelebt.  Ausserdeutsche  Vorbilder  leiten 
jetzt  die  Entwicklung  eines  neuen  Beurkundungswesens  und 
verdrängen  die  alte  Gerichtsurkunde  vollständig,  bis  sie  in 
veränderter  Gestalt  durch  die  öffentliche  Urkunde  des  14.  Jh. 
wieder  aufgenommen  wird.  Von  Italien  her  finden  schnell 
Formen  Eingang,  die  für  das  ganze  spätere  Mittelalter  Grund- 
lage der  Urkundengestaltung  werden  sollten,  und  nur  Ein 
Ergebnis  jener  Bemühungen  der  karolingischen  Könige  bleibt: 
die  Thatsache,  dass  Fürsten,  Bischöfe  und  Abte  die  Gewohnheit 
bewahren,  einen  Schreiber  zur  immerwährenden  Verfügung  zu 
haben,  eine  Gewohnheit,  die  ihnen  die  Instruktion  von  805 
wahrscheinlich  zum  Gesetz  gemacht  hatte  ^.  Nach  dem  Ver- 
schwinden  dieser  Gerichtsurkunde  tritt  die  Privaturkunde  in 


^  Noch  mehr  Bchliesst  sich  in  der  Fassung  daran  ein  Dekret  an, 
das  Leibgedingbriefen  und  Kaufurkunden,  auch  denen,  die  von  kirchlicher 
Seite  an  Laien  ausgestellt  werden,  grössere  Elraft  zusichert,  wenn  sie 
von  dem  Stadtschreiber  angefertigt  sind. 

«  Vgl  Bresslau:  FDG.  26,  S.  10  ff. 

>  Capitul.  S.  121,  cap.  4;  vgl.  Bresslau:  FDG.  26,  S.  14. 


17  Normen  und  Bestandteile.  363 

den  Yordergnmd ;  sie  ist  abgesehen  von  urkundlichen  Erlassen 
der  Gewalthaber  und  den  wenigen  Gerichtserkenntnissen  die 
Form  des  Beurkundungsaktes,  die  allein  unsem  folgenden  Be- 
trachtungen zu  Grunde  liegt. 

Wir  treten  zugleich  in  die  Zeit  ein,  ftlr  welche  die  er- 
haltenen Quellen  selbst  über  die  Entwicklung  des  Augsburger 
ürkundenwesens  sprechen  können.  Diesen  Quellen  nach  und 
der  ganzen  frühmittelalterlichen  Entwicklung  Augsburgs  selbst 
zufolge  eracheinen  das  rechtliche  Leben  der  Stadt  im  all- 
gemeinen und  die  Urkunde  im  besondem  lange  untrennbar 
Yon  der  bischöflichen  Jurisdiktion.  Sicher  gilt  das  noch  für 
das  volle  12.  Jh.,  und  erst  im  Laufe  des  13.  tritt  die  Augs- 
burger Urkunde  in  eine  neue  Sphäre,  die  ihre  Herstellung 
mehr  und  mehr  zum  Gemeingut  erhebt  ^.  Fragen  wir,  weshalb 
die  nachkarolingische  Urkunde  so  hartnäckig  Anlehnung  an 
die  Autorität  des  Bischofs  suchte,  so  glaube  ich  die  Antwort 
geben  zu  dürfen:  sie  bedurfte  ihrer.  Lifolge  des  Verfalles 
nämlich  der  Institution  der  öffentlichen  Gerichtsschreiber  auch 
im  alamannischen  Gebiet  gab  es  dort  keinen  öffentlichen 
Schreiber,  an  den  man  sich  in  gewissen  Fällen  wenden 
konnte,  um  ein  von  dem  Verdacht  der  Fälschung  freies 
Dokument  zu  erhalten,  so  dass  die  Urkunde  weder  einen 
selbständigen  Beweiswert  beanspruchen  noch  auch  nur  ihrem 
Aussteller  prozessualische  Vorteile  verschaffen  konnte  ^.  Dazu 
kam  die  ungemein  weitgehende  Ausdehnung  des  Urkunden- 
beweises. Beide  Thatsachen  sind  in  den  Kreisen  der  ger- 
manischen Bevölkerung  Deutschlands  und  Italiens  ohne  Zweifel 
nicht  ohne  Misstrauen  betrachtet  worden^.  Wenn  Konrad 
von  Würzburg*  einmal  verächtlich  imd  vorwurfsvoll  zugleich 

^  Ihre  Tendenz  nimmt  sie  jedoch  als  Erbteil  aus  jener  bischöflichen 
Zeit  mit:  die  Eigenschaft  als  dispositive  Urkunde;  so  erscheint  sie  von 
den  ersten  Belegen  des  12.  Jh.  an.    Weiter  unten  mehr  davon. 

•  V(?l.  Wattenbach:  SBAkBerlin  1684,  S.  1127  ff.;  Sickel,  Acta  2, 
S.  286;  G.  EUinger,  Verhältnis  der  öffentlichen  Meinung  zu  Wahrheit 
und  Lüge  im  10. — 12.  Jh.  Berlin.  Diss.  1884.  Belege  bei  Bresslau  S.  11  ff. 

'  Vgl.  Ueusler,  Institutiones  1,  S.  87.    Leipzig  1886. 

^  Schwanritter  v.  671;  vgl.  Heusler  a.  a.  0. 

18 


264  Zweiter  AbBchnitt.  18 

äassert:  'man  schreibet  an  ein  permint  siebt,  swes  man  ge- 
ruochet  unde  gert'S  so  wird  er  damit  wohl  die  Gedanken 
seiner  Zeitgenossen  nur  zu  gut  getroffen  haben. 

Man  suchte  Abhilfe  auf  mannigfache  Art.  Vermehrung 
der  durch  das  ribuarische  Gesetz  vorgeschriebenen  Zeugen' 
führte  zu  keiner  Besserung.  'Denn',  sagt  der  Schwaben- 
spiegel, 'wir  sprechen,  daz  briefe  bezzer  sin  danne  geziugo'; 
diese  sterben»  während  in  der  Hantfeste  auch  der  tote  Zeuge 
den  Wert  eines  lebenden  hat  ^.  Man  wurde  also  darauf  hin- 
gewiesen, in  der  äusseren  Form  der  Urkunde  selbst  ein  un- 
antastbares und  wirksames  Beweisstück  zu  suchen.  Dazu 
yerhalf  nun  die  Geistlichkeit,  die  zuerst  und  zumeist  die 
Nachteile  jener  Zustände  hatte  empfinden  müssen.  Je  enger 
sich  jetzt  unter  den  Ottonen  und  Saliern  die  Verbindung 
zwischen  der  deutschen  und  italienischen  Geistlichkeit  ge- 
staltete, desto  näher  musste  der  ersteren  der  Wunsch  liegen, 
für  die  notarielle  Beglaubigung,  die  ihr  auf  deutschem  Boden 
verloren  gegangen  war  und  die  sie  den  urkundlich  verbrieften 
Bechtsgeschäften  ihrer  italienischen  Brüder  eine  gewisse  Be- 
ständigkeit schaffen  sah,  ein  Ersatzmittel  zu  suchen;  es  ge- 
schah in  zweierlei  Form :  1)  durch  die  Einführung  sogenannter 
Teikettel  (cartae  divisae  oder  chirographae),  2)  durch  die  Be- 
sieglung  der  Urkunden  ^ 

^  Ahnlich  denkt  der  Vogt  von  Prünn  und  der  Bischof  von  Aarhus, 
vgl.  Heusler  a.  a.  0.  1,  S.  87;  Urkb.  z.  Gesch.  d.  mittelrh.  Ten*.  I,  S.  406. 

*  Die  Zeugen  sind  in  älterer  Zeit  in  der  Regel  nach  Ständen  ge- 
schieden angeführt  (Bresslau  S.  815;  Posse,  Lehre  von  den  Privat- 
urkunden S.  71;  Ficker,  Beiträge  l,  S.  100).  Die  Augsburger  Quellen 
folgen  dem  allgemeinen  Brauch  (vgl.  über  Urkunden  zwischen  Geistlichen 
und  Weltlichen  die  zahlreichen  Urkunden  in  Mon.  Boica  XXXIII).  Sind 
nur  Laien  die  Interessenten,  so  stehen  die  Edelleute  (domini)  vor  den 
Bürgern,  z.  B.  1246,  29.  Aug.:  Gotfrit  von  Hohenlohe  an  den  Bürger 
Otto  Bogner  .  .  .  zuerst  die  domini,  dann  die  Ratgeben,  Notarius  und 
Bürger.  Ich  sehe  in  dieser  Urkunde  einen  Beleg  für  die  Anordnung  der 
Zeugen  nach  Ständen,  nicht  nach  Parteien,  weil  der  den  Edelleuten 
folgende  'Notarius  de  Hohenlooh'  'dominus'  tituliert  ist. 

*  Cap.  86;  vgl.  Posse  a.  a.  0.  S.  66. 

^  Schon  Hugo  von  Trimberg  und  Thomasin  von  Zirkläre  kennen 
den  hohen  Wert  des  Siegels.    Jener  sagt  im  'Renner'  (Ausg.  Bamberg, 


19  Normen  und  Bestandteile.  265 

Für  die  erstere  Form  ist  uns  hinsichtlich  ihrer  Anwendung 
bei  Augsburger  klerikalen  Kechtsgeschäfben  nichts  überliefert, 
dagegen  ist  die  Besieglung  des  Instruments  mit  Sicherheit 
für  das  Jahr  1071  durch  die  Quellen  ^  nachgewiesen.  Anfangs 
ist  immer  nur  das  Siegel  des  Bischofs  Beglaubigung  ^  Die 
Besieglung  wird  als  integrierender  Bestandteil  des  Dokuments 
im  Kontext  angekündigt.  Ausserhalb  der  neuen  Institution 
stehen  die  Verfügungen  des  Bischofs  an  das  Kapitel  imd 
andere  klerikale  Körper  (Mon.  Boic.  XXXIII,  S.  25).  Fest 
wird  die  Einrichtung  erst  im  13.  Jh.  Im  zweiten  Jahrzehnt 
erscheinen  auch  die  Abte  und  Prälaten  als  siegelführend,  im 
nächsten  Dezennium  die  Stadt  und  der  Vogt  von  Augsburg. 
Von  1236  an  fehlt  das  Stadtsiegel  nur  selten,  meistens  nur 
in  Urkunden,  die  schon  durch  das  bischöfliche,  seltener  durch 
ein  klösterliches  Siegel  genügende  Beglaubigung  erfahren  haben. 
Immerhin  tritt  aber  dieser  Zuwachs  der  städtischen  Gewalt 
von  jetzt  an  ebenbürtig  der  bischöflichen  zur  Seite.  Der 
Vorgang  der  Stadt  scheint  nun  auch  andere  Verwaltungs- 
körper sowohl  wie  Privatleute  zur  Führung  von  Siegeln  ver- 
anlasst  zu  haben ;   es  erscheinen  in  den  folgenden  Dezennien 


1838/34),  V.  18634:  'alle  hantveste  sint  enwiht,  |  haben  sie  rehter  insigel 
niht';  dieser  im  'Wälscben  GasV  (Ausg.  y.  Kückert,  Quedlinburg  und 
Jjeipzig  1862),  v.  14000/2:  'da  von  gescbiht,  daz  ist  war,  |  daz  man  dem 
brieve  glonbet  nibt,  |  da  roans  insigel  an  nibt  sibt.'  Der  Bann  des 
Bischofs,  der  auf  Nicbtacbtung  der  Bestimmungen  des  Instruments  im 
12.  und  bis  ins  13.  Jb.  binein  stand,  kann  nicht  für  das  Dokument  als 
Xräftigungsmittel  in  unserm  Sinne  gelten  (z.  B.  Mon.  Boica  XXXIIIa, 
S.  51:  1209),  er  ist  nur  einer  der  üblichen  zeremoniellen  Bestandteile  der 
XJrkundenanfertig^n  g. 

>  Mon.  Boica  XXXIIIa,  S.  10. 

'  Welche  Gründe  das  Siegel  ebenso  wie  die  Gegenwart  gerade 
des  Bischofs  zur  Beglaubigung  am  geeignetsten  erscheinen  liessen,  wird 
uns  zwar  verschwiegen;  doch  bat  wohl  der  schon  zur  Zeit  des  Gerichts- 
«chreibers  hochgehaltene  Grundsatz,  der  noch  zur  Zeit  in  den  verwandten 
Gegenden  Italiens  ebenfalls  galt,  die  Erledigung  eines  Bechtsgeschäft^s 
nur  einem  Schreiber  anzuvertrauen,  'qni  pagensibus  loci  illius  notus 
fuisset  et  acoeptus'  (Ansegis,  Capitulare  UI,  43),  das  allgemeine  Ver- 
trauen auf  den  Bischof  gelenkt. 

18* 


266  Zweiter  Abschnitt.  20 

schon  häufiger  neben  dem  bischöflichen  Siegel  das  des  Dom- 
kapitels und  Privatsiegel  angekündigte  Mit  der  zweiten 
Hälfte  des  Jh.  ist  die  Bedeutung  des  Siegels  im  grösseren 
Teil  des  Reiches  derart  gewachsen,  dass  der  Schreib-  und 
Stillehrer  Konrad  von  Mure  1276  in  seiner  'Summa  de  arte 
prosandr  den  jedenfalls  allgemein  giltigen  Satz  aufstellt: 
'Tota  credulitas  litere  dependit  in  sigilo  authentico  bene  cognito 
et  famoso'*.  Mit  dem  Hervortreten  des  Siegels  nehmen  nun 
die  Bürgen  eine  Stellung  ein,  wie  sie  früher  die  Zeugen  allein 
besessen';  sie  siegeln  auf  Bitten  der  Interessenten. 

.  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dass  eine  Institution 
wie  die  der  Besieglung,  die  zur  Sicherung  eines  Bechtstitels  ge- 
schaffen ist,  entweder  auf  einer  gesetzlichen  Festsetzung 
fusste  oder  sie  zur  unmittelbaren  Folge  hatte.  In  der  That 
beschäftigt  sich  der  Schwabenspiegel  sehr  entschieden  mit 
dem  jetzt  vornehmsten  Schutzmittel  einer  Urkunde^.  Indem 
er  von  vom  herein  für  die  Rechtskraft  eines  Dokuments  die 
Zufiigung  eines  Siegels  verlangt,  ordnet  er  im  weiteren  das 
Besitzrecht  des  Siegels  und  der  Siegelf&higkeit.  Den  Siegeln 
der  Städte,  denen  er  jedoch  alle  'Kraft'  abspricht,  wenn  sie 
ohne  Genehmigung  des  Stadtherren  gefuhrt  werden,  erkennt 
er  nur  Oiltigkeit  in  städtischen  Angelegenheiten   zu^,   wohin 


1  Mon.  Boio.  XXXIII  a,  S.  70/1. 

^  Doch  hält  1259  Bischof  Hartmann  von  Augshurg  es  noch  für  ge- 
raten, *Bcriptura  et  testium  subsidia'  als  'adinvatio'  des  Bechtsgeschäftes 
neben  einander  als  gleichartig  zu  erwähnen  (Mon.  Boica  XXXIII,  S.  87). 
Dagegen  wird  (XXXIII,  S.  103)  1267  die  'compositio  inter  episcopom 
atque  capitulum  et  cives'  durch  die  scriptura  als  genügend  geschützt 
erachtet. 

'  Als  Kaiser  Ludwig  1847  die  Siegelgerechtigkeit  in  Baiem  ordnete, 
kennzeichnete  er  die  integrierende  Bedeutsamkeit  des  Siegels  durch  den 
Satz:  'und  der  gehört  chainerlay  zeu^iss  noch  nichts  darwider'  (Ober^ 
bairisches  Archiv  3,  S.  315). 

^  Schwabenspiegel  L.  cap.  36  (Gengier  34). 

^  Schwabensp.  L.  159,  W.  140.  So  erkennt  auch  das  Rechtsbuch 
Kaiser  Ludwigs  von  1346,  Art.  317  (ed.  Freyberg:  Sammlung  bist. 
Schriften  4,  S.  490)  und  Art.  313  auch  jedem  'erbaeren  manne'  Siegel- 
gerechtigkeit zu,  wenn  zwei  ehrbare  Männer,  die  in  der  Urkunde  genannt 


Sl  Normen  nnd  Bestandteile.  267 

aber  nach  einer  andern  Stelle  (cap.  36  [34]  auch  die  Privat- 
geschäfte der  Bürger  gerechnet  werden  dürfen.  Die  Siegel 
der  Kichter  haben  beglaubigende  £jraft  nur  in  Dingen,  die 
zu  ihrem  Gericht  gehören.  Die  Angsburger  Rechtsgeschäfte 
«ind  diesen  Bestimmungen  ToUkommen  unterthan  gewesen, 
wie  die  Quellen  Yon  der  oben  begrenzten  Zeit  an  in  jedem 
einzelnen  Falle  bezeugen.  Wenn  wir  daher  ausgangs^  des 
13.  Jh.  in  dem  Augsburger  Stadtrecht  von  1276  auf  ein- 
gehende Verordnungen  über  Yogtbriefe,  Stadtbriefe  und  Hand- 
festen treffen  und  wenn  1294  der  Bat  bestimmt,  dass  die 
Leibgedingbriefe  unter  'der  Stadt  Siegel'  ausgefertigt  werden 
sollen,  so  ist  das  dem  Einflüsse  jener  Bestimmung  des  Land- 
rechtes zuzuschreiben  und  den  Bestimmungen  späterer  ober- 
deutscher Rechtsaufzeichnungen  gleich  zu  stellen'.  Auch  in 
der  Festsetzung  seiner  Rechtsbedürfhisse  ging  Augsburg 
andern  Städten  Schwabens  voran. 

Schenken  wir  nun  den  Verfügungen  des  Augsburger 
Stadtrechts  von  1276  über  Ausstellung  und  Rechtskraft  der 
Urkunden  einige  Beachtung ''. 

Ein  Vogtbrief  muss  mit  dem  Siegel  des  Vogtes  gefestigt 
und  durch  die  Gegenwart  zweier  oder  dreier  Ratgeben  und 
anderer  Bürger  beglaubigt  sein.     Das  Gleiche  gilt  für  den 


tind,  Zeugen  der  Beneglungsbitte  waren.  Die  Führung  von  Siegeln  war 
unter  Bürgern  des  13.  Jh.  schon  weit  verbreitet,  vgl.  Urk.  von  1257 
(Angsb.  Urk.-Buch  I,  S.  16) :  es  untersiegeln  zehn  Bürger  neben  Bischof, 
Kapitel,  Vogt  und  Stadt. 

^  Die  einschlägigen  Novellen  sind  sämtlich  von  der  Hand  S  s  (Stadt- 
schreiber Rudolf)  und  den  Sohriftzügen  nach  den  Jahren  1291/96  zuzu- 
weisen. Die  Bestimmungen  finden  sich:  Stadtb.  S.  77  (Register  S.  20: 
'Statt  Infigel  fagt  brieff  kreftig  —  wer  aber  dor  wider  t&t*  (64);  S.  82, 
S.  83a :  *.  .  .  Iwelh  hofherren  ovch  niht  Infigel  habent,  div  fol  man  alliv 
vnder  der  ftet  Infigel  verfchriben.'  Ich  setze  diese  Bestimmungen  in 
das  Jahr  1294,  weU  der  folgende  Eintrag  S.  83  a  die  Verkündigung  dieses 
G-esetzes  mit  der  Sturmglocke  im  Jahre  1294  am  26.  Mai  meldet.  Ge- 
schrieben sind  die  Einträge  anscheinend  zu  gleicher  Zeit. 

*  Belege  bei  Bresslau  S.  642  ff. 

*  Nachzulesen  sind  sie  im  Augsb.  Stadtb.  S.  188,  Art.  118,  Text  und 
Zusatz  1  und  2. 


268  Zweiter  Abschnitt.  22 

Brief  des  Burggrafen  und  für  die  Briefe  der  Stadt.  Be- 
sondere Sorge  wendet  das  Stadtrecht  den  Leibgedingbriefen 
zu.  Während  noch  im  Grundtext  von  1276  (S.  157)  der 
Besitztitel  eines  Leibgedings  auch  durch  Zeugen  erwiesen 
werden  darf^  wenn  Briefe  nicht  aufgebracht  werden  können^ 
macht  das  Gesetz  vom  25.  Mai  1294  (S.  161)  die  rechtmässige 
Gewinnung  eines  Leibgedings  'von  der  pfaffheit  vnd  ovch  von 
den  laien'y  von  'briefen'  abhängig,  die  sich  sogar  die  schon 
in  solchem  Verhältnis  Stehenden  nachträglich  von  ihren 
^hofherren  ane  Widerrede'  geben  lassen  sollen.  Mit  dieser 
Verfügung  ist  in  Augsburg  für  eine  Gattung  von  Rechts- 
geschäften die  schriftliche  Fixierung  durch  Urkunde  zum 
Gesetz  erhoben,  nicht  mehr  wie  bisher  nur  eine  vollkommene 
Sicherung  ^  Auch  konnte  man  früher  ganz  frei  wählen,  ob 
man  den  Bischof  oder  den  Bat  oder  sonst  irgend  eine  siegel- 
führende Korporation  oder  Person  um  Beurkundung  bitten 
wollte.  Jetzt  ist  zwar  das  Siegel  einer  Privatperson  ebenso 
giltig  wie  das  einer  amtlichen  Stelle,  gleich  ob  Rat,  Bischof 
oder  andere  klerikale  Behörde,  aber  der  Rat  ist,  wenn  der 
Verleiher  des  Leibgedings  kein  Siegel  besitzt,  die  einzig  zu- 
lässige Listanz^.     Dadurch  wird  das  Gebiet  der  öffentlichen 


^  Viel  früher  schon  geschah  dasselbe  in  den  westalamannischen 
Rechtsgebieten,  so  in  Strassburg  und  Metz  am  1260,  vgl.  Strassborger 
ürkundenbach  (her.  v.  Schulte)  8,  S.  XVL 

'  Eine  Wiederholung  und  Erweiterung  der  eben  beschriebenen  Be- 
stimmungen geben  erst  die  Dekrete  vom  10.  Juni  1558,  16.  Mai  1664, 
11.  Mai  1608,  19.  Oktober  1615,  10.  Dez.  1652  und  12.  Dez.  1684:  'Ob- 
wohl ein  Wohl  edler  Hochweiser  Rath  dieser  des  heiligen  Römischen 
Reichs  stadt  Augsburg,  schon  vor  vielen,  ja  unfiirdenklichen 
Jahren  in  unterschiedlich  öfters  erholten  ofifenen  Anschlägen,  Decreten 

und  Erkenntnissen  besonders   aber  in  annis  .  .  .  und  sonst bei 

ernstlicher  Straf  statuieret,  gesetzt  und  geordnet,  dass  ....  die  brief- 
lichen Urkunden  über  liegende  Güter  in  dieser  Stat  und  deren  Etter 
gelegen,  .  .  .  nirgend  anderswo  als  in  allhiesiger  Stadtkanzley  angegeben 
und  gemacht,  auch  durch  Niemand  andern  als  den  Herrn  Reichsstadt- 
vogten  (es  wären  denn  die  Parteien  selbst  siegelmässig)  besiegelt  .  .  . 
Pfand- Verschreibungen,  Kauf-,  Tausch-,  Zins-,  Vertrags-,  Übergab-,  Schuld- 
oder andere  Geding-  und  Pachtbriefe  .  .  .  wie  bisher  .  .  .  jedesmal  von  der 


23  Normen  and  Bestandteile.  269 

Urkunde  weiter  ausgedehnt;  der  Übergang  zu  ihr  aber  war 
von  dem  Augenblick  an  schon  geschaffen,  wo  die  Besieglung 
der  Urkunde  von  einer  Seite  geschah,  die  an  dem  Inhalt  der 
Urkunde  ganz  und  gar  nicht  interessiert  war. 

Haben  wir  im  vorhergehenden  die  Augsburger  Urkunde 
in  ihrer  Entwicklung  auf  gesetzlichen  Grundlagen  verfolgt 
und  ihren  Charakter  als  den  eines  beglaubigten  Zeugnisses 
über  eine  Bechtshandlung  gekennzeichnet,  so  liegt  uns  nun- 
mehr ob,  ihre  Ausgangspunkte,  ihre  Arten  und  ihre  Ab£Etssung 
zu  untersuchen. 

Wir  haben  zwei  Arten  von  Urkunden  in  Augsburg  zu 
unterscheiden:  1)  die  Parteiurkunde ^ ;  2)  die  öffentliche  Ur- 
kunde. Die  ältere  ist  die  öffentliche  Urkunde,  insofern  die 
ältesten  Belege  nur  Beurkundung  von  Seiten  des  Bischofs^ 
und  des  Hofgerichts  ^  aufweisen  und  ich  in  der  Besieglung 
seitens  des  Bischofs  und  des  Hofgerichts,  ohne  dass  sie  ein 
Interesse  am  Bechtsgeschäft  haben,  den  Ubei*gang  von  der 
Privaturkunde  zur  öffentlichen  sehe.  Wie  schon  erwähnt, 
nimmt  sowohl  die  alleinige  Besieglung  als  auch  die  Mitbe- 
sieglung  durch  den  Bischof  im  13.  Jh.  zusehends  ab.  Jedoch 
bleibt  der  frühere  Charakter  erhalten,  indem  bei  den  Privat- 
urkunden das  Stadtsiegel  die  Stelle  des  bischöflichen  versieht. 

Neben  den  eben  besprochenen  gehen  als  voll  öffentliche 
Urkunden  nebenher: 

1)  die  Batsurkunden.  Es  sind  entweder  Batserlasse  oder 
Ratsordnungen  *  oder  von  dem  Bat  zu  Gunsten  und  auf  Bitten 
eines   Bürgers,   auch   eines  lüosters  ausgestellt.     Die  Beur- 


Stadtkanzlei  geschriebene  .  .  .  and  eintragen  in  die  .  .  .  Regrister  und 
Protokolle  wiederum  vorlegen.'  (J.  J.  Huber,  Abweichung  d.  Augsb. 
Stat.  V.  gem.  Becht,  Augsburg  1821,  S.  154  ff.) 

^  Ich  gebrauche  diese  Bezeichnung  in  dem  Sinne  Schultes  (Strass- 
burger  Urkundenbuch  3,  S.  XXII). 

*  1249.    Bischof  siegelt  für  das  Hospital  z.  hl.  Geist:  1249  (Urkb.  I, 
S.  8);  1259  (I,  S.  19);  1262  (I,  S.  22). 

*  1046  .  .  .  Becanus  .  .  .  presbyter  (Hon.  Boica  XXXIITa,  S.  8). 
^  1284,  21.  März:  Urkb.  I,  S.  84;  1260:  Stadtb.,  S.  824;  1265:  Urkb. 

I,  S.  80. 


270  Zweiter  Absohnitt.  24 

kunduDg  geschieht  auf  Bitten  des  Auctors  oder  auch  beider 
Parteien^. 

2)  Die  Yogtsurkunde,  der  Stadtgerichtsbrief:  je  nachdem 
der  Fall  dem  Vogt  oder  dem  Burggrafen  unterstand,  von 
diesem  oder  jenem  ausgestellt  und  besiegelt. 

3)  Die  Urkunde  des  bischöflichen  Hofgerichts  oder  geist- 
lichen Qerichts '  ausgestellt  von  den  judices  curiae.  Es  fehlt 
bisher  an  Vorarbeiten  über  die  Zusammensetzung  und  Wirk- 
samkeit dieses  Instituts,  und  auch  ich  kann  nur  Weniges  zur 
Aufklärung  bringen.  Der  OfBzial  fUhrt  den  Titel  'judex  curiae 
Augustensis',  deutsch  'Hofrichter',  und  scheint,  nach  einem 
Falle  zu  urteilen,  dem  Beamtenstande  des  Bischofs  und  zwar 
dem  Domkapitel  zu  entstammen  \  Das  Hofgericht  hatte  seine 
eigene  Kanzlei;  seine  sämtlichen  Urkunden  zeigen  andere 
Hände  als  die  städtischen  und  bischöflichen  und  zwar  eine 
Hand  in  mehreren  Urkunden,  und  femer  ist  einmal  1320  ein 
'Vlrich  der  Blückner'  als  'fchreiber  des  Ghunrat  des  Plyder- 
maiXters,  der  do  Bichter  des  Chors  ze  Aufpurch  waz'  genannt^. 

4.  Endlich  erscheint  in  dem  Augsburger  Gebiete  etwa 
seit  1290^  eine  von  einem  Notarius  publicus  angefertigte 
Urkunde.     Diese  Art  tritt  im  14.  Jh.  sehr  häufig  auf. 

Die  zweite  Kategorie  von  Urkunden  ist  die  Farteiurkunde. 


*  1286,  16.  Nov.:  Urkb.  I,  S.  86. 

*  Die  Urkunden  anderer,  etwa  als  geistliche  Gerichte  zu  bezeichnender 
Inatitute  der  Klöster  usw.  tragen  zu  sehr  den  Charakter  der  Selbstbe- 
teilignng  des  jeweiligen  Klosterkonventes  an  dem  Rechtsgeschäft,  als 
dasB  ich  sie  unter  die  öffentlichen  Urkunden  einreihen  könnte ;  z.  B.  1277, 
29.  Sept.  (Urkb.  I,  S.  57)  gestattet  der  Konvent  des  St.  Moritzstiftes 
eine  Eheschliessung,  doch  so,  dass  die  Kinder  zur  Hälfte  dem  Stift  ge- 
hören sollen  (vgl.  dazu  Strassburger  Verhältnisse  bei  Schulte  a.  a.  0.). 

*  magister  Ulricus  dictus  Hofmaiyer  ist  1814  (Mon.  Boic.  XXXIII  a, 
S.  811)  als  Tabellio  hinter  den  Klerikern  des  Domkapitels  unterzeichnet; 
1816  ist  er  erster  judex  (ib.  S.  820). 

^  Vgl.  dazu  die  Banmeisterreohnungen :  1820,  8.  März  (S.  29)  sind 
Ausgaben  für  den  Bluekkenarius  Scolaris  Judicis  notiert. 

*  Mon.  Boica  XXXIIIa,  S.  291,  um  1290:  "...  Ego  Chuonradus  de 
Riccina  Imperialis  auctoritate  Notarius  publicus  interfui  et  Bogatus 
publice  scripsi';  dann  1299,  20.  April  (Mon.  Boic.  XXXTIIa,  S.  299). 


25  Normen  and  Bestandteile.  271 

Dem  Begriffe  nach  konnte  das  jede  Urkunde  sein,  die 
nicht  Yon  einer  öffentlichen  Behörde  im  Interesse  eines  der 
Kontrahenten  ausgestellt  und  besiegelt  oder  nur  besiegelt 
war.  Daher  dürfte  man  auch  die  Bischofsurkunde  und  die 
Eatsurkunde  dafür  gelten  lassen,  sobald  der  Bischof  oder 
der  Bat  seine  eigenen  Handlungen,  z.  B.  Grundbesitzyerkauf 
der  Stadt  oder  Tauschverträge  beurkundet^.  Auch  in  den 
Fällen,  wo  der  Bischof,  der  Bat  oder  das  Hofgericht  nur  mit 
besiegelt  ^  ist  das  Schriftstück  Parteiurkunde.  Wenn  wir 
auf  Parteiurkunden  nur  selten  treffen,  so  deutet  es  auf  die 
Tendenz  der  Zeit,  die  öffentliche  Urkunde  zur  Begel  zu 
erheben. 

Diese  Einteilung  der  Urkunden  umfasst  das  ganze  zu- 
gängliche und  unzugängliche  Material.  Anders  jedoch  müssen 
wir  scheiden,  sobald  es  sich  um  den  Apparat  handelt,  soweit 
er  uns  Yorgelegen  hat.  Hierfür  ist  der  jedesmalige  Aus- 
gangspunkt des  Schriftstückes  ins  Auge  zu  fassen.  Damit 
betone  ich  yon  vorn  herein  die  Bedeutsamkeit  gerade  dieser 
Einteilung  für  den  zweiten,  grösseren  Teil  meiner  Unter- 
suchungen, den  grammatischen.  Für  ihn  kommt  allein  in 
Betracht,  von  wem  die  Urkunde  geschrieben,  im  weiteren 
Sinn,  von  wem  sie  ausgestellt  ist.  Bis  zum  Jahre  1236  muss 
ich  mich  jeder  'Bestimmung  enthalten :  es  ist  weder  sicher  zu 
entscheiden,  ob  alle  von  dem  Bischof  ausgestellten  oder  von 
ihm  besiegelten  Urkunden  —  die  Urkunden  des  Hofgerichts 
nehme  ich  grundsätzlich  aus  —  von  einem  bischöflichen 
Notar  geschrieben  sind,  noch  ist  es  bei  dem  mangelhaften 
Material  geraten,  etwa  zwei  verschiedene  Hände  zu  annähernd 
gleicher  Zeit  zwei   verschiedenen  Schreibstuben   zuzuweisen. 


^  Die  Urkande,  in  welcher  der  Rat  seine  eigenen  Urteilssprüche 
beorkundet,  sehe  ich  nicht  als  eine  Parteiurkunde  an.  Überhaupt  lässt 
sich  mit  einigem  Recht  der  Standpunkt  vertreteu,  dass  eine  Ratsurkunde 
nie  eine  Parteiurkunde  ist,  indem  die  Ratgeben,  welche  die  Urkunde 
ausstellen,  in  jedem  Falle  dies  im  Interesse  eines  Klienten,  hier  der 
Stadt,  thun. 

"  Urkb.  I,  S.  6 :  1946 ;  I,  S.  78 :  1283. 


272  Zweiter  Abschnitt  26 

Sicher  wird  erst  unser  Schritt,  sobald  wir  in  die  Zeit  nach 
1236  eintreten.  Wenn  wir  das  1239  zuerst  erscheinende  Amt 
des  cancellarius  in  Verbindung  bringen  mit  der  Thatsache, 
dass  er  in  einer  Urkunde  der  Consules  sich  unterzeichnet, 
solche  Urkunden  aber  von  1235  an  nachweisbar  sind,  so  haben 
wir  von  1235  an  die  Existenz  einer  städtischen  Kanzlei  in 
Augsburg  zu  berücksichtigen;  wir  halten  von  nun  an  im 
wesentlichen  vier  Ausgangspunkte  der  Urkunden  Augsburgs 
auseinander:  die  städtische  Kanzlei,  die  bischöfliche,  die  der 
ludices  curiae  und  endlich  die  der  Klöster. 

Als  städtische  Urkunden  sind  nach  den  Ausstellern  zu 
bezeichnen:  die  Urkunden  des  Bates,  des  Vogtes,  des  Burg* 
grafen  (im  Stadtgericht),  der  Bürger  und  anderer  Privat- 
personen, wenn  sie  um  Besieglung  der  Stadt  gebeten  haben  ^. 
Die  Urkunden  der  Klöster  sind  meistens  von  dem  Stadt- 
schreiber geschrieben,  sicher  soweit  sie  einen  innerhalb  der 
Mauer  und  des  Etters  der  Stadt  gelegenen  Besitz  oder  dort 
haftenden  Besitztitel  betreffen^. 

Bischöfliche  Urkunden  sind  die  meisten  der  von  dem 
Bischof  oder  unter  seinem  Siegel  ausgestellten ;  Verordnungen 
an  das  Domkapitel,  Schiedsrichtersprüche,  Verkaufs-,  Stiftungs- 
bestätigungen des  Hochstifts  mit  geringerer  Sicherheit  Kauf-, 
Schenkungs-,  Seelgerät-,  Leibgedingbriefe,  die  geistliches  Gebiet 
oder  Leute  des  Bischofs  betreffen.  Häufig  steht  dieser  Aus- 
stellung das  Gesetz  der  Stadt  betreffs  der  Vergünstigungen 
bei  Anfertigung  durch  den  Stadtschreiber  entgegen.  Das 
Domkapitel  beurkundet  ebenfalls  meist  durch  die  Hand  des 
bischöflichen  Schreibers. 


^  Für  das  14.  Jh.  dürfte  diese  Definition  dahin  zu  erweitem  sein: 
'soweit  die  Hand  als  die  des  jeweiligen  Stadtschreibers  oder  seines  Ge- 
hilfen erkannt  wird' :  oft  fehlt  in  solchen  Fallen  die  Beglaubigfang  durch 
das  Stadtsiegel. 

*  Gerade  diese  Erfahrung  steht  auffallend  in  Einklang  mit  jener  im 
16.  und  16.  Jh.  erlassenen  Ratsverordnung  betreffend  die  Beurkundung 
über  Veräusserung  liegender  Güter,  Erwerbung  von  Leibgedingrechten 
und  unterstützt  meine  Ansicht,  dass  diese  Verordnungen  nur  Erneuerungen 
früherer  Dekrete  sind. 


27  Normen  und  Bestandteile.  273 

In  die  klösterlichen  Urkunden,  zu  denen  ich  der  Ein- 
fachheit wegen  die  wenigen  von  dem  Spital  zum  heiligen 
Geiste  ausgefertigten  zählen  will,  teilen  sich  die  Klöster: 
St.  Ulrich  und  A&a,  St.  Katharina,  St.  Stephan,  St.  Georg, 
St.  Moritz,  zum  heiligen  Kreuz  und  das  Spital  zum  heiligen 
Geist. 

Durchweg  vom  eigenen  Schreiber  hergestellt  sind  die 
schon   durch   die  Fassung   kenntlichen  Hofgerichtsurkunden  ^ 

Ich  wende  mich  nun  der  Fassung  der  Urkunden  zu,  um 
dann  einige  Augenblicke  bei  ihrer  Herstellung,  ihrer  äusseren 
Gestalt  und  ihren  Bestandteilen  zu  verweilen.  Ich  beschränke 
mich  dabei  auf  die  Zeit  vom  Beginn  etwa  des  11.  bis  über 
die  Mitte  des  14.  Jh.  hinaus  und  beginne  mit  der  Fassung 
des  Bechtsinstruments  in  Augsburg^.  'Der  germanische  Ur- 
kundenstil hat  im  Verlaufe  seioer  weiteren  Entwicklung  bei 
Rechtsgeschäften,  die  per  cartam  vollzogen  wurden,  die  ob- 
jektive Fassung  schliesslich  vollständig  aufgegeben,  und  diese 


'  Oft  haben  die  Augsburger  städtischen  Schreiber  auch  wohl  Urkunden 
geschrieben,  die  von  fern  her  an  die  Stadt  gelangten.  Zu  diesen  Schrift- 
stücken gehören  in  erster  Linie  die  nicht  selten  auftretenden  sogenannten 
Vorlagen  oder  Vorurkunden,  die  für  die  kaiserliche  Kanzlei  und  ftir  fürst- 
liche Kanzleien  von  dem  Stadtschreiber  Augsburgs  im  Interesse  der 
Stadt  hergestellt  sind:  1330.  S9  (A).  1344.  S15  (A).  1345.  S17  (A).  1348. 
Si7  (A).  Der  Hergang  wird  zum  Teil  erleuchtet  durch  die  Notizen  in 
den  Baumeisterrechnungen,  die  'nuntios  missos,  scolarem  notarii  missum 
et  alios  nuntios,  cives  ad  regem  missos'  vorweisen  (S.  178 :  Ruodolf  notario 
domini  Buegeri  misso  ad  Regem  Bohemie.  S.  26»  27,  88.  56:  dominis 
R.  et  Bacho  et  notario  missi  ulmam  ad  ducem  Leopoldum  .  .  .)  Auch 
Urkunden  fremder  Städte  an  Augsburg  kann  auf  diesem  Wege  der  Stadt- 
schreiber angefertigt  haben:  S.  187:  Oehslario  et  notario  missis  Maem- 
mingen  (1331)  .  .  .  (Baumeisterrechnungen).  Fürstliche  Persönlichkeiten 
haben  Urkunden  an  die  Stadt  gelegentlich  ihres  Aufenthaltes  in  der  Stadt 
durch  ihre  Beamten  ausstellen  lassen  (S.  77 :  .  .  .  pro  expensis,  quos  hie 
fecit  notarius  Burgravii  de  Nurenberch  1324). 

'  Eür  die  frühere  Zeit  kann  ich  auf  die  ausführlichen  und  durchaus 
grundlegenden  Ermittlungen  Brunners  in  seinen  'Beiträgen  zur  ger- 
manischen Urkunde'  und  auf  Bresslaus  'Urknndenlehre*  verweisen ;  meine 
Angaben  sind  nur  Ergänzungen  für  die  Kenntnis  des  territorialen  Ur- 
kondengebrauches. 


274  Zweiter  Abschnitt.  28 

bleibt  fortan  nur  für  die  Gerichtsurkunde  und  überhaupt 
für  die  rein  öffentliche  Urkunde:  Ratsurkunde,  Bischofs- 
urkunde in  bestimmten  Fällen,  Schiedssprüche  . .  .  Doch  nur 
in  ganz  vereinzelten  Fällen  ist  auch  hier  der  Bericht  ein  ob- 
jektiver ;  die  Begel  ist,  dass  die  Urkunde  der  eben  erwähnten 
Art  von  dem  Standpunkte  des  Berichterstatters  aus  (Richters, 
Schreibers  usw.)  eine  subjektive,  von  dem  Standpunkte  der 
Parteien  aus  objektive  Fassung  hat^. 

Das  Augsburger  Urkundenterritorium  schliesst  sich  bis 
auf  einige  Abweichungen  der  Regel  an.  Denn  eine  Urkunde, 
wie  Mon.  Boica  XXXIII a,  S.  10  ist  objektiv  nur  von  dem 
Standpunkte  der  Parteien  aus,  die  vorangestellte  Formel 
'Embrico  Dei  gratia  Presul  Augustensis'  ist  eine  abgekürzte 
subjektive  salutatio.  Die  Urkunde  (Mon.  Boica  XXXIIIa, 
S.  8)  von  1046  ist  eine  notitia  im  Sinne  der  fränkischen 
Gerichtsverfassung,  und  zwar  halte  ich  sie  für  eine  von  dem 
Beschenkten  der  ecclesia  St.  Mariae  ausgestellte  notitia,  der 
wahrscheinlich  eine  die  Schenkung  beurkundende  carta  vor- 
ausgegangen ist.  Die  Urkunde  13  vom  Jahre  1099  dagegen 
ist  objektiv,  sowohl  vom  Standpunkte  des  Berichterstatters 
als  der  verfügenden  Kontrahenten,  hier  des  Bischofs  ('hanc 
confirmationis  cartam  conscribi  precepit,  quam  sigilli  sui  im- 
pressione  insigniri  fecit')^  Ihrer  Art  nach  objektiv  sind 
immer  Instrumente  über  Freilassungen  und  über  Ordinationen 
von  Geistlichen. 

Erst  von  dem  Jahre  1243  an  erscheint  die  subjektive 
Fassung    der  Parteiurkunde,    wie   sie   in    der    späteren  Zeit 


^  Das  Charakteristische  einer  subjektiven  Urkunde  liegt  nach  der 
allgemeinen  Auffassung  in  der  Formel  mit  der  sich  der  Berichterstatter 
oder  der  Kontrahent  einfuhrt.  Doch  müsste  beachtet  werden,  dass  nicht 
immer  die  Form :  'Ego  N.  N.  .  .  .  '  gewahrt  ist,  sondern  dass  öfter,  be- 
sonders in  der  älteren  Zeit,  erst  im  weiteren  Verlaufe  des  Textes  ein 
Possessivpronomen  der  ersten  Person  darauf  hinweist,  dass  in  der  ge- 
wählten Nominationsformel  der  Berichterstatter  steckt.  Oft  wird  etwa 
ein  'subscripsimus*  der  einzige  Hinweis  sein. 

*  Desgleichen:  Mon.  Boica  XXXIIIa,  S.  15.  28,  43.  Stadtb.  S.  819. 
Mon.  Boica  XXXIIIa,  S.  66. 


29  Normen  und  Bestandteile.  275 

vorliegt,   regelmässig.     Ihren  Sondergang   gehen  jetzt  nach 
wie  Yor  nur  die  Schiedsurkuuden^, 

Vollkommen  vergessen  ist  die  objektive  Fassung,  seitdem 
die  deutsche  Sprache  sich  auch  der  Bechtsdokumente  be- 
mächtigt hat.  Wie  die  erste  in  deutscher  Sprache  abgefasste 
Augsburgische  Urkunde  von  1272,  die  am  Donnerstag  nach 
dem  26.  Juli  von  dem  Probst  des  Gotteshauses  zum  heiligen 
Kreuz  an  einen  Bürger  ausgestellt  ist,  mit  'Ich  N.  N.  tvn 
kvnt  .  .  .'  ^  beginnt,  so  bleibt  es  auch  in  den  folgenden  Partei- 
urkunden und  öffentlichen  deutschen  Urkunden,  und  auch  die 
lateinischen  Urkunden  aller  Arten  fügen  sich.  Ein  wesent- 
liches Moment  also  für  eine  durchgreifende  Um- 
änderung der  Fassung  einer  Urkunde  war  der  Wechsel 
der  Sprache.  Bisher  war  die  lateinische  Sprache  die  alleinige 
Yermittlerin  von  Willenserklärungen  gewesen.  Als  nun  im  13.  Jh. 
der  Einzelne,  der  Privatmann,  der  höhere  mehr  als  der  niedere, 
an  dem  Kechtsleben  stärkeren  Anteil  zu  nehmen  begann  und 
als  durch  die  gesetzlichen  Bestimmungen  das  Urkundenwesen, 
das  einen  solchen  Bechtsgeschäftsverkehr  vermittelte,  den 
Ansprüchen  des  einzelnen  sich  mehr  und  mehr  zu  fügen  schien, 
da  gab  es  noch  einen  Missstand  zu  beseitigen,  der  namentlich 
dem  gemeinen  Manne  recht  fühlbar  war.  Mit  Misstrauen  sah 
wohl  schon  lange  der  Laie  auf  die  Kunst  des  Geistlichen, 
mittels  wundersamer  Werkzeuge  auf  Tierhaut  krause  Zeichen 
hinzumalen,  und  hörte  er  das  Geschriebene  lesen,  so  war  es 
die  Sprache,  die  nicht  sein  war.     War  es  aber  ein  vornehmer 


*  Die  durch  die  mediaiores  beurkundete  compositio  inter  episcopum 
et  capitulum  et  cives  liegt  in  objektiver  Fassung  vor  (Mon.  Boica  XXXIIIa, 
8.  103:  1267;  ebenso  1270:  XXXVI,  S.  108).  Die  Übergabe  eines  Grund- 
stückes von  dem  Grafen  von  Neuffen  an  das  Spital  zum  hl.  Geist  (ürkb. 
I,  S.  11)  im  Jahre  1251  ist  ebenfalls  objektiv.  Die  kurze  Fassung,  die 
Auslassung  des  Tagesdatums  lassen  auch  in  diesem  Instrument  eine  Art 
notitia  des  Beschenkten  sehen,  zu  der  eine  von  Seiten  der  donatores  an 
das  Spital  ausgestellte  carta  vorhanden  gewesen  sein  muss. 

'  Die  Variationen,  die  diese  Formel  erleidet,  gehören  nur  dem  Ge- 
biet der  Lautlehre  an;  eine  Veränderung  der  Worte  wird  später  fest- 
gestellt werden. 


276  Zweiter  Abschnitt.  30 

Laie,  so  hatte  er  seinen  'Pfaffen',  und  dieser  deutete  ihm  das 
Nötige.  Es  regte  sich  also  das  Verlangen  im  Volke,  seine 
Bechtsfragen  in  einer  ihm  verständlichen  Schrift  und  Sprache 
dargestellt  zu  sehen,  in  der  deutschen  Muttersprache.  Viel- 
fach hatte  man  sich  schon  dadurch  geholfen,»  dass  man  den 
Kunstausdrücken  der  fremden  Bechtssprache  die  leichtver- 
ständlichen Wendungen  der  Volkssprache  zur  Erläuterung 
beifügte  *.  Doch  mit  der  Schrift  schien  die  fremde  Sprache 
unauflöslich  verbunden.  Noch  war  es  niemandem  in  den  Sinn 
gekommen,  deutsche  Briefe  zu  schreiben,  bis  um  die  Mitte  des 
13.  Jh.  die  Städte  energisch  daran  gingen,  dem  Übelstande 
abzuhelfen.  Von  1260  an  schrieb  man  in  Oberdeutschland 
deutsche  Urkunden^.  Zwar  glaubt  Konrad  von  Mure  vor  dem 
G-ebrauche  der  deutschen  Sprache  im  rechtb'chen  Verkehr 
warnen  zu  sollen,  weil  die  päpstliche  Kurie  solche  Instrumente 
nicht  annehme  und  auch  .sonst  deutsche  Briefe,  selbst  mit 
authentischen  Siegeln,  als  Beweismittel  nicht  zugelassen  seien  ^; 
aber  der  Bat  Augsburgs  und  seine  Bürger  mussten  wohl  eines 
anderen  belehrt  sein :  1272  schliesst  man  sich  den  oberdeutschen 
Städten  an,  und  die  Zahl  der  deutsch  geschriebenen  Urkunden 


^  Belege  bieten  fiir  Augsburg  in  Menge  die  Editionen  Augsburgischer 
Urkunden,  ich  führe  einige  an;  1236  *quod  vulgariter  „burchrecht" 
dicitur  .  .  .'  (Urkb.  I,  S.  11).  1254.  (bisch.)  *thelonei,  quod  vulgariter 
„ungelt«  dicitur'  (ib.  S.  13).  1257.  (Rat)  »elose  unde  rehtlose'  (ib.  S.  15). 
1260  .  . .  *quod  vulgariter  dicitur  „wage"  (ib.  S.  19).  1264.  (König) 
'.  .  .  calceator,  qui  vulgariter  dicitur  „wizemaler''  (Mon.  Boic.  XXX,  S. 
806).  1268.  (Vogt)  ^  .  .  censualia,  que  vulgariter  dicentur  „cinslehen''. 
(Urkb.  I,  37).  1273.  (bisch.)  'quod  vulgariter  „Leipgeding^  dicitur.' 
(Mon.  Boic.  XXXIIla,  S.  115)  '. . . .  quod  vulgo  significatur  „ein  gantzir 
Havfenwamb*'  (ib.  S.  117).  1277.  (Ritter)  *que  estimacio  vulgariter  „Herren- 
gülte*' nuncupatur'  . .  .  'quod  vulgariter  dicitur  „Morgengäbe"  (ib.  S.  128). 
1280.  (Dom)  'quod  vulgariter  „Cinslehen"  dicitur'  (ib.  S.  182). 

'  Am  25.  Juli  1240  ist  die  erste  sichere  deutsche  Urkunde  verfasst; 
1248  eine  lothringische;  1250,  1251  weitere  in  Ekass  und  in  der  Schweiz: 
vgl.  Bresslau  S.  604/5. 

'  Vgl.:  Quellen  und  Erläuterungen  z.  bair.  und  deutsch.  Ghesch.  9, 
S.  487 ;  vgl.  auch  ib.  S.  473  ff. ;  Joh.  Müller,  Quellenschriften  zur  Gesch. 
des  deutschsprachlichen  Unterrichts  im  Mittelalter  (1882)  S.  814. 


31  Normen  und  Bestandteile.  277 

wächst  in  Augsburg  bald  an  und  übersteigt  bedeutend  die 
Zahl  der  lateinischen  Urkunden,  die  früher  im  gleichen  Zeit- 
raum ausgestellt  wurden.  Die  lateinische  Urkunde  wird  yon 
der  städtischen  Kanzlei  nach  dem  Auftreten  der  ersten  deutschen 
geradezu  verworfen ;  auch  die  klerikalen  Schreiborte  schliessen 
sich  bald  dem  neuen  Brauche  an,  wenn  sie  auch  nicht  ganz 
die  lateinisch  geschriebene  Urkunde  ausser  Kraft  setzen.  Am 
längsten  halten  die  Bischöfe  an  ihr  fest. 

Eine  Zeit  lang  indes  schien  sich  die  alte  Gewohnheit 
noch  in  bestimmten  Formeln  der  Urkunde  halten  zu  wollen, 
wenigstens  leiten  die  meisten  Urkunden  mit  einer  lateinischen 
Begrüssung^  ein,  und  nicht  selten  erscheint  das  Datum  in 
lateinischen  Worten.  Das  Nähere  soll  sich  durch  eine  kurze 
Betrachtung  der  Bestandteile  einer  Augsburgischen  Urkunde 
ergeben. 

Die  Wandlungen,  in  denen  wir  im  Vorhergehenden  die 
Bestimmungen  über  die  Beurkundung,  die  Fassung  und  die 
Sprache  der  Dokumente  begleitet  haben,  sind,  wie  wir  oben 
vorausschickten,  auf  die  Zusammensetzung  des  Instruments 
nicht  ohne  Einfluss  gewesen.  Während  nämlich  im  ganzen 
die  Urkimden  der  älteren  Augsburger  Zeit  bis  zum  Anfang 
—  und  die  klerikalen  bis  zum  Ende  des  13.  Jh.  und  darüber 
hinaus  —  eine  sichtbare  Uberladenheit  in  Bezug  auf  Phrasen 
und  religiösen  Bombast  aufweisen,  macht  sich  im  Laufe  des 
13.  Jh.  eine  realere  Richtung  geltend;  man  setzt  sein  Ver- 
trauen mehr  auf  gesetzlich  sanktionierte  und  konkrete  Be- 
glaubigungsmittel. Ziemlich  treu  veranschaulicht  die  An- 
forderungen, die  man  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jh. 
an  ein  Notariatsinstrument  stellte,  die  Urkunde  vom  Februar 
1239 :  'Vogt  Heinrich  Vraz  und  die  Stadtgemeinde  bestätigen 
eine  Schenkung  an  das  Nonnenkloster  zum  heiligen  Geist  in 
Augsburg'.  Den  Eingang  bildet  eine  feierliche  invocatio: 
'Honor  sancte  et  individue  trinitatis  et  in  terra  pax  hominibus 
amen'.     Das  Protokoll  beginnt  mit  einem  speziellen  Segens- 

'  Sie  verdankt  ikr  langes  Leben  wohl  nur  dem  Umstände,  dass  sie 
ein  ekklesiastischer  Bestandteil  ist. 


278  Zweiter  Absohnitt.  32 

wonach:  'universis  hanc  litteram  inspecturis  .  .  .'  Es  folgt 
als  arenga  die  Begründung  der  schriftlichen  Beurkundung 
des  Falles:  'Oblivio  et  malignitas  hominum  humana  negocia 
sepius  perturbare  consueverant,  si  Uteris  et  testibus  non 
fuerint  solidatae.  Ad  hunc  itaque  errorem  evitandum  sig- 
nilicamus  singulis  et  universis,  quod  .  .  .',  und  nun  folgt  die 
narratio. 

In  den  Jahren  1235/9  vollzieht  sich  eine  Wandlung  in 
dem  Beurkundungsverfahren  der  Stadt  ^.  Während  noch  am 
18.  Febr.  1235*  ein  Verkaufsakt  *in  publice  judicio'  d.  h. 
im  öffentlichen  Stadtgericht  'presidente  episcopo  Sibotone' 
vorgenommen  wird,  erledigt  man  eine  ähnliche  Handlung  im 
Februar  1239  'in  publice  judicio',  wo  zugegen  sind  der  Yogi 
^omnesque  burgenses  et  populus  Augustensis' ;  1246^  fällt  auch 
das  'publicum  Judicium'  weg:  der  Beurkundungsort  ist  ein 
Haus  in  Augsburg,  und  es  genügt  die  Besieglung  mit  dem 
Siegel  des  Auetors  und  dem  Stadtsiegel,  und  besonders 
wird  hervorgehoben:  'protestamur  litteras,  et  eas  in  argu- 
mentum memorie  certioris  sub  testimonio  subscriptorum,  qui 
testes  sunt  concessionis  nostre'.  Die  Wichtigkeit  der  Zeugen 
für  den  Wert  der  Urkunde  erhellt  aus  ihrer  ungewöhnlich 
grossen  Zahl:  50  sind  namentlich  angeführt  'et  allii  quam 
plures'.  Eine  Urkunde  von  St.  Peter,  ausgestellt  von  dem 
Probst  des  Klosters,  weist  Siegel  der  Pfleger  und  des  Kapitels 
von  St.  Peter  und  eine  starke  Zahl  Zeugen  auf;  darunter  ein 
Waltherus  presbyter.  1254  besiegelt  der  Bischof  die  Be- 
stätigung seines  Schiedsspruchs  zwischen  ihm  und  der  Stadt 
mit  seinem,  des  Kapitels,  der  Prälaten  und  der  Stadt  Siegeln. 
1257^  finden  sich  15  Siegel  an  einer  Urkunde,  die  der  Rat 
im  Beisein  des  Vogtes  dem  Kämmerer  von  Wellenburg  aus- 
stellt. Vorangeht  das  sigillum  des  Bischofs,  es  folgt  das  Siegel 
des  Kapitels,  10  Bürgensiegel,  die  Siegel  des  Kämmerers  von 
Wellenburg  und  des  Vogtes  und  das  Stadtsiegel.     Nicht  aus- 


^  Chr.  Meyers  Begrenzung  ('zwisoben  1235  und  1253')  ist  zu  weit 
gezogen.        «  Siadtb.  S.  819.        »  ürkb.  I,  S.  6. 
*  Urkb.  I,  S.  15. 


33  Normen  und  Bestandteile.  279. 

drücklich  jedoch  wird  unter  den  Bekräftigungsmitteln^  die 
im  Eingang  der  Urkunde  als  Unterstützung  ihrer  Hechts* 
kraft  gegenüber  der  'malicia  hominom'  angeführt  werden^ 
die  Bedeutung  des  Siegels  heryorgehoben.  Die  Bürgen,  hier 
zugleich  Zeugen,  nehm^i  zweifellos  den  bei  weitem  wichtigsten 
Platz  in  der  Reihe  der  Mittel  zur  Bekräftigung  einer  Urkunde 
ein.  Diese  Gewohnheit  hält  sich  in  den  Urkunden,  die  Yom 
BAt  ausgehen,  später  in  den  Privaturkunden  in  deutscher 
Sprache  noch  lange  und  verliert  auch  im  14.  Jh.  ihre  Kraft 
nicht,  wenn  auch  vereinzelt  in  dem  letzten  Dezennium  des 
13.  Jh.  und  last  regelmässig  im  14.  Jh.  an  Stelle  der  grösseren, 
oft  willkürlich  gewählten  Zeugenanzahl  eine  begrenzte  Zahl 
tritt,  die  fast  auf  gesetzlicher  Feststellung  zu  beruhen  scheint. 
Städtische  üiiamden  führen  nämlich  nur  noch  die  beiden 
Bürgermeister,  drei  bis  vier  Eatgeben,  selten  den  Stadtschreiber 
und  noch  seltener  bei  dem  Geschäft  beteiligte  Privatleute  als 
Zeugen  auf. 

Die  ürkundenformeln  haben  in  den  letzten  drei  Dezennien 
des  13.  Jh.  gleichfalls  eine  Wandlung  erfahren,  die  sich  be- 
sonders in  den  deutsch  abgefassten  Schriftstücken  als  durch- 
greifend offenbart.  Während  noch  in  den  fünfziger  und 
anfangs  der  sechziger  Jahre  jede  Urkunde  mit  der  Formel: 
'In  nomine  patris  et  filii  et  spiritus  sancti  amen',  selten 
kürzer  'In  nomine  dei  etemi  amen'  oder  'In  nomine  sancte 
trinitatis'  beginnt '  und  nur  der  Bischof  sich  gestattet,  sdae 
Willenserklärung  ohne  jede  devotio  nur  mit  seinem  Namen, 
höchstens  von  dem  Grass  an  die  Empfanger  begleitet,  ein- 
zuleiten, während  noch  1267  der  Bat  eine  Yergleichsurkunde 
mit  der  längeren  Begrüssungsformel :  'Grada,  pax  et  Caritas 
tJtissimi  dei  sit  cum  onmibus  Christi  fidelibus  amen!'  beginnt 
und  eine  Berufung  auf  eine  Bibelstelle  anreiht,  ehe  er  mit 
der  narratk)  einsetzt,  bleibt  zunächst  in  den  Urkunden  des 
Bischofs,  ob  er  nun  unbeteiligt  als  Schiedsrichter  oder  be- 
stätigend das  Instrument  ausstellt  oder  ob  er  selbst  als 
Partei  Über  einen  Gegenstand  urkundet,  von  1260  an  häufiger 

»  Urkb.  I,  8.  8  u.  11. 

19 


280  Zweiter  Abaohnitt  34 

die  umständliche  salutatio  weg.  1266  im  März  findet  sein 
Vorgehen  Nachahmung  auch  bei  dem  Bat,  indem  dieser  die 
Urkunde  sogleich  mit :  Oonsules  et  universitas  civium  civitatis 
Auguste  universis  paginam  presentem  inspecturis  salutem' 
beginnt.  Die  motivatio  hat  auch  er  noch.  Sie  hält  sich 
überhaupt  am  längsten  von  den  älteren  Formeln  der  Ur- 
kunde. Dagegen  verschwindet  von  dem  Jahre  1273  an  voll« 
ständig  in  den  Instrumenten  der  städtischen  Kanzlei,  sowohl 
öffentlicher  als  privater  Natur,  die  alte  Form  der  devotio, 
und  es  erscheint  die  schon  im  August  1268^  von  dem  Bat 
vereinzelt  verwendete  Eingangsformel  ^In  nomine  domini 
amen'.  Ihr  folgt  sofort  die  subjektive  Namensnennung  des 
Auetors.  Da  diese  Urkunde  zugleich  die  erste  ist,  die  'Con* 
radus  notarius  civitatis'  unterzeichnet,  glaube  ich  diese 
Neuerung  ihm  zuschreiben  zu  dürfen.  Die  neue  Formel  er- 
scheint von  jetzt  an  in  allen  jenem  Schreiber  zuzuweisenden 
Urkunden  und  wird  von  seinem  Nachfolger  Rudolf  1280 
aufgenommen  ^  Auch  die  Grussworte  fallen  nun  weg.  Zum 
letzten  Male  finde  ich  sie  in  der  ersten  von  Konrad  (S^) 
deutsch  geschriebenen  Urkunde  von  1273,  13.  Mai:  'Ich  Mar- 
quart  des  Baiers  fun  gruze  alle  die  die  difen  brief  lefen, 
horent  oder  fehent  in  got  vnde  tvn  kvnt  an  diefem  brieve 
offenliche'.  Gleich  die  nächste  uns  erhaltene  Augsburgische 
Urkunde  in  deutscher  Sprache  zeigt  nur  noch  die  nun  feste 
Form  der  Einleitung  'In  nomine  domini  amen.  Ich  N.  N. 
tvn  chunt  allen  den  die  disen  brief  laesent,  hoerent  oder 
iaehent',  die  bald  durch  adverbielle  Zusätze  wie  'offenlichen' 
eine  Erweiterung  erfährt.  Eine  merkwürdige  Einheitlichkeit 
zeigen  alle  klerikalen  Urkunden  gegenüber  dieser  Formel 
der  städtischen  Urkunden;  diese  haben  nur:  'lesent,  hoerent 
oder  fehent'  jene  dagegen  ausnahmlos:  'fehent^  lesent  vnd 
horent'^,  und  es  ist  bezeichnend,  dass  Sg^,   als  er  eine  Ur- 

^  Urkb.  I,  S.  87.  «  Urkb.  I,  S.  62. 

'  Als  Belege  können  noch  dienen:  1S89,  29.  März:  Spital  an  das 
SiechenhauB  von  St.  Servatius :  'fehent,  lefent  vnd  horent'  (A)  (Schreiber 
des  Spitals).  1809,  11.  Nov. :  St.  Margareta  an  das  Spital :  'fehent,  lefent 
oder  hoerent  lesen'  (A).        ^  Ss  »  Stadtschreiber  Rudolf  (1280—1808). 


35  Normen  und  Bestandteile.  281 

künde  des  Klosters  Oberschönfeld  an  das  Spital  im  März 
1286  (A)  schreibt,  entgegen  seiner  Gewohnheit  die  klerikale 
Formel  verwendet  Einen  wie  grossen  "Wert  man  auf  die 
Feststellung  solcher  Formeln  legte,  zeigt  sich  darin,  dass 
der  Stadtschreiber  von  1346 — 1368,  Nicolaus  Hagen  (Sj,), 
in  einer  von  seinem  Gehülfen  vorgenommenen  Abschrift^ 
des  Zollvertrages  von  1282  zwischen  Bischof  und  Stadt  das 
ansehent  oder  hoerent  lesen',  das  dem  Abschreiber  als  die 
Formel  seiner  Zeit  geläufig  war,  verbessert  in  die  dem  Jahre 
1282  angehörende  Formel  des  Originals  'lefent,  hoerent  oder 
sehent',  obwohl  er  sich  an  andern  orthographischen  Versehen 
des  Abschreibers  nicht  stösst  noch  sie  einer  Verbesserung 
f&r  wert  erachtet.  In  dem  ersten  Jahrzehnt  des  14.  Jh. 
nimmt  die  Formel  'lefent,  hoerent  oder  fehent'  die  Gestalt 
^anfehent  oder  hoerent  lefen'  an,  wohl  nach  dem  Muster  der 
fürstlichen  Urkunden,  z.  B.  1292,  8.  Febr.:  ^Wir  Ludowich 
.  .  .  von  Bayern.  .  .  .  fehent  oder  hoerent  lefen';  1304, 
19.  März :  König  Albrecht  an  die  Stadt  ^  . .  ansehent  oder 
hoerent  lesen'.  1301,  8.  Nov.  hat  eine  Urkunde  des  Spitals: 
^lefen  oder  hoerent  lefen'.  Zuweilen  kehrt  die  ältere  Formel 
noch  wieder^;  1315,  3.  Juli:  Bat  'lefent,  hoerent  oder  fehent'; 
1318,  22.  Nov.:  Bürger  *lefent,  hoerent  oder  fehent'.  Nach 
1320  lebt  sie  nur  noch  in  klösterlichen  Schriftstücken:  1327, 
3.  Mai:  St.  Stephan  'lefent,  hoerent  oder  fehent'.  Von  1361 
an  fällt  die  Formel  ganz  weg. 

Einem  ähnlichen  Wechsel  unterliegt  die  andere  Formel 
des  Einleitungspassus  der  Urkunden :  'Ich  N.  N.  .  .  .  tun  kunt'. 
Diese  Form  erhält  sich  bis  ins  14.  Jh.  hinein  durchaus  im 
Gebrauch,  wird  aber  häufig  seit  dem  4.  Jahrzehnt  mit  der 
Form  'vergib  vnd  tun  kunt'  vertauscht.  Diese  Gestalt  ge- 
hörte von  jeher  schon  im  13.  Jh.  dem  fürstlichen  £anzlei- 
gebrauch,  namentlich  in  Bayern,  an,  sie  erscheint  in  einer 
städtischen  Urkunde  von  1313,  3.  Mai  zum   ersten  Mal  als 

1  Missivbach  der  Stadt  Augsburg:  N.  209  (1364?). 
*  Das  zeitweilige  Wiedererscheiiieii  wird  wohl  eine  Folge  des  Vor- 
lagen- und  Formalarwesens  sein. 

19* 


283  Zweiter  Abschnitt.  86 

'tvn  kimt  vnd  yergih*  (Schreiber  ist  S,^).  Von  1828  an  findet 
die  neue  G-estalt  allgemein  in  den  Augsborger  Kanzleien 
Eingang. 

Als  Kriterium  der  Beweiskraft  der  Urkunde  drängt  sich 
nun  seit  dem  Ausgang  des  13.  Jh.  auch  die  Besieglungsformel 
im  Kontext  hervor.  Die  Anh&ngung  des  oder  der  Siegel 
wird  nun  ausdrücklich  hervorgehoben,  häufig  mit  dem  Zusatz^ 
dass  diese  Bekräftigimg  besonders  erbeten  ist^. 

Noch  verdient  ein  wichtiger  Teil  der  Urkunde  eine 
Betrachtung ;  es  ist  die  Schlussformel  mit  dem  Datum.  Darin 
treten  zwei  Formen  auf,  bald  jede  für  sich,  bald  beide  zu- 
sammen. Die  eine  Fassung  ist  'Hec  acta  sunt',  die  andere 
'Datum',  verbunden  'Actum  et  datum'.  Die  erste  ist  die 
älteste  und  wird  bis  in  die  sechsziger  Jahre  ausschliesslich  ge- 
braucht. Erst  1268^  erscheint  einmal  in  einer  Bischofsurkunde 
das  'Datum*.  Schon  von  1259'  an  jedoch  war  in  Bischofs- 
urkunden die  Fassung  'Actum  et  datum'  üblich  geworden. 
Vom  17.  Aug.  1272  an  nimmt  sie  auch  die  städtische  Kanzlei 
auf,  wohl  auch  als  eine  Neuerung  jenes  Konrad  (S^),  nach- 
dem dieser  im  Aug.  1268  nachweislich  zum  letzten  Male  'Acta 
sunt  hec'  gebraucht  hatte.  Die  Formel  'Actum  et  datum^ 
ist  es  auch,  die  dann,  ins  Deutsche  übertragen,  in  der  ersten 
Zeit  der  deutschen  Urkunden  sich  behauptete  mit  dem  Wort- 
laut :  'Do  daz  gefchah  vnde  dirre  brief  geben  wart'  oder :  'Do 
daz  gefchah  vnde  ouch  dirre  brief  gefchriben  wart'.  1280 
heisst  es  einmal  unter  dem  Stadtschreiber  Budolf  nur:  'Do 
daz  gefchah'^,  und  1283  erscheint  am  29.  März  dieselbe 
Fassung.  Bald  wird  diese  häufiger  und  läuft  parallel  mit 
den  Formeln  der  lateinischen  Urkunden  des  Bischofs  'Datum', 


*  Einmal  fehlt  auoh  in  einem  Instrument  Eonrads  (Si)  die  Biv 
wahnung  des  Siegels»  Das  in  der  That  aber  vorhandene  Stadtsiegel  lässt 
an  der  Originalität  der  Urkunde  auch  im  diplomatischen  Sinne  nicht 
zweifeln. 

*  1268,  26.  April  (Urkb.  I,  a  86). 

*  1S59,  1.  Dez.  (ib.  S.  19). 

*  ib.  S.  76. 


87  Normen  und  Beatandteile.  S83 

seltener  ^Actum  et  datam*.  Nachdem  noch  einmal  eine  Ur- 
kunde Langemantels  vom  30,  Jan.  1288  die  Formel  ^der  brif 
wart  geben'  getragen  hat,  erscheint  später  nur  noch  'Do  daz 
geschach'.  Erst  der  vielfache  Vorgang  der  fürstlichen  Kanz- 
leien und  obrigkeitlichen  Orte  yerhalf  dem  'Der  brief  ill  geben' 
Yom  3.  Juli  1316  an  zum  endgültigen  Siege  über  die  andere 
Passung. 

Darf  man  nun  in  diesen  so  häufig  und  scheinbar  geradezu 
willkürlich  wechselnden  Formen  eine  bestimmte  Bedeutung 
für  das  Beurkundungsyerfahren  sehen?  Oder  sind  sie  das, 
was  sie  nach  dem  Schicksal  aller  solcher  Formeln  sein 
können,  nämlich  die  Überbleibsel  längst  überlebter  Ausdrucks- 
formen von  Handlungen,  die  einstmals  wirkliche  Handlungen 
waren,  aber  im  13.  Jh.  jedes  Leben  verloren  hatten,  ja  kaum 
noch  verstanden  werden  konnten?  Ich  schliesse  mich  der 
Ansicht  an,  dass  in  jener  Doppelform  'Actum  et  Datum'  in 
der  That  zwei  getrennte  Handlungen  liegen,  von  denen  die 
erste  eine  Yoraufzeichnung  des  Willens  des  Auetors  unter 
Zeugen  ist,  die  zweite  auf  die  wirkliche  traditio  der  Urkunde 
weist,  die  oft  zu  anderer  Zeit  erfolgte.  Dagegen  glaube  ich, 
dass  nicht  in  jedem  Falle  eine  solche  Yoraufzeichnung  zu 
^inem  vollständig  ausgeführten  Konzept  erweitert  wurde, 
vielmehr  wird  die  Yoraufzeichnung,  eine  blosse  Skizze,  gar 
nicht  immer  bei  der  gleichen  Gelegenheit  wie  die  Abfassung 
des  Instrumentes  und  auch  nicht  von  dem  ausfertigenden 
Schreiber  vorgenommen,  sondern  in  den  meisten  späteren 
Fällen  von  der  die  Beurkundung  heischenden  Partei  mit^ 
gebracht  worden  sein.  Zu  diesem  Schluss  veranlasst  mich 
die  Beobachtung,  dass  die  in  solchen  Notizen  wohl  fsat  allein 
vertretenen  Eigennamen  oder  auch  die  in  das  Rechtsgeschäft 
eingeschlossenen  Objekte  in  der  Urkunde  selbst  in  einer 
Form  und  Orthographie  erscheinen,  die  sich  mit  der  sonstigen 
Schreibweise  des  Schriftstückes  nicht  zu  vertragen  scheint. 
Der  Schreiber  hat  dann  die  Yomotizen  diplomatisch  treu 
benutzt  Wenn  aber  die  um  Beurkundung  bittende  Partei 
Aufzeichnungen   im   voraus   gemacht  hat,   so  schliessen  wir 


284  Zweiter  Abschnitt.  38 

weiter,  dass  das  Rechtsgeschäft  schon  abgeschlossen  ist;  also 
bezeichnet  'Actum'  oder  deutsch  'do  daz  geschach'  einen 
thatsächlichen  Vorgang,  der  seinen  Abschluss  durch  die 
schriftliche  Beurkundung  findet^.  Die  Niederschriften  der 
Yon  mir  eingesehenen  handschriftlichen  Augsburger  Quellen 
weisen  eine  Trennung  des  Geschäftsabschlusses  Yon  der  Da- 
tierung nicht  auf,  abgesehen  von  einem  Falle,  wo  die  Jahres- 
und Tageszahl  später  hinzugefügt  wurde.  Die  Schriftstücke 
sind  in  einem  Zuge  angefertigt ;  einmal  nur  hört  ein  Schreiber 
in  einer  Urkunde  von  1338  in  der  siebenten  Zeile  auf  imd 
lässt  den  Best  yon  einem  andern  schreiben. 

Die  Datierung  ist  durch  Stammesgesetze  sowohl  als 
durch  wiederholte  Dekrete  der  deutschen  £[aiser  ftlr  die 
deutsche  Urkunde  vorgeschrieben*.  Die  Augsburgischen  Ur- 
kunden sind  alle  datiert,  wenn  auch  vereinzelt  die  Angaben 
der  Vollständigkeit  ermangeln.  Über  die  Stellung,  die  man 
der  Datierung  in  den  Urkunden  anweisen  sollte,  fehlen  Be- 
stimmungen. Sie  ist  jedoch  bei  den  aus  den  Augsburger 
Schreiborten  hervorgegangenen  Instrumenten  einheitlich  am 
Schlüsse  des  Textes.  Nur  am  12.  April  1262  bringt  der 
Schreiber  einer  Urkunde  des  Bischofs  Hartmann  das  Datum 
am  Anfang  des  Aktes  und  verweist  am  Schlüsse  darauf: 
'anno  et  die  praenotatis'.  Die  notarii  publici  erst  lieben  es, 
das  Datum  voranzustellen'. 

Die  Datierungsformel  besteht  gewöhnlich  aus  Zeit-  und 
Ortsangabe.  Letztere  fehlt  regelmässig  in  den  innerhalb  der 
Stadt  und  ftir  Angehörige  des  Augsburger  Distrikts  ange- 
fertigten Schriftstücken.  Die  Zeitangabe  hat  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  ihre  Form  gewechselt  Zuerst  und  am  längsten 
bediente  man  sich  der  Monatsdatierung,  der  römischen  aus- 
schlieslich  die  städtischen  Schreiber  in   den  lateinischen  [J]> 


>  Vgl.  BresBlau  S.  846. 

'  Vgl.  Bresslau  S.  819  f. 

'  Vgl.  die  Drucke  in  Mon.  Boica  XXXTTT  von  1290  an  und  im 
Urkb.  Bresslau  (S.  821)  erklärt  dieses  Verfahren  fiir  eine  Nachahmung 
des  Verfahrens  der  italienischen  Notare. 


39  Normen  und  Bestandteile.  286 

konden«  Von  dieser  Datierung  scheint  bis  zur  Mitte  des 
13.  JL  'in  indictione'  unzertrennlich  gewesen  zu  sein.  Nur 
selten  fehlt  dieser  Zusatz.  Stadtschreiber  Konrad  (S^)  ver- 
wirft ihn,  und  nur  bischöfliche  Urkunden  fuhren  ihn  noch 
hie  und  da.  Mit  Bücksicht  darauf,  dass  die  vom  Stadt- 
Bchreiber  ausgefertigten  Urkunden  des  Bischofs  dieser  Art 
der  Datierung  ermangeln,  kann  die  Anwesenheit  der  indictio 
somit  als  ein  Charakteristikum  für  die  der  bischöflichen 
£anzlei  entstammenden  Diplome  gelten.  Die  kaiserlichen 
ürkundenschreiber  bleiben  noch  lange  in  der  alten  Gewohnheit, 
wohl  bis  zum  Ausgang  des  13.  Jh.  Die  Einführung  der 
deutschen  Sprache  bringt  auch  hier  eine  Wandlung  heryor; 
man  pflegt  nunmehr  nach  den  Tagen,  beweglichen  und  un- 
beweglichen Festtagen,  zu  datieren;  die  Tage  selbst  erscheinen 
mit  der  heimischen  Benennung.  Von  der  sogenannten  bolog- 
nesischen  Datierung  ist  nur  ein  Beispiel  vorhanden  in  einer 
Urkunde  des  Bischofs  von  1249  ^ ;  es  bezeugt,  dass  diese  Art 
der  Datierung  an  verschiedenen  Orten  Deutschlands  schon 
in  der  Mitte  des  13.  Jh.  bekannt,  wenn  auch  nicht  oft  ver- 
wendet war. 

Für  die  Jahresdatierung  benutzen  alle  Augsburger  Kanz- 
leien vor  dem  Beginn  der  deutsch  geschriebenen  Urkunden 
nur  die  ein&che  Jahresangabe  'anno  .  .  ',  seltener  mit  der 
genaueren  Bestimmung  'anno  incamationis  dominice*,  die  für 
die  ganze  spätere  Periode,  d.  h.  von  der  zweiten  Hälfte  des 
13.  Jh.  ab,  Begel  wird,  aber  schon  vorher,  auch  wo  sie 
nicht  zum  Ausdruck  gebracht  wurde,  massgebend  war.  Dieses 
'annus  incamationis  dominice',  verdeutscht;  'jar  .  •  .  nach 
Christes  geburte'  zählt  in  Augsburg  vom  26.  Dez.  ab.  Ich 
kenne  keine  Abweichung.  Für  die  Judengemeinde  ist  diese 
Bechnung  gleichfalls  Brauch  geworden. 

*  1249,  1.  Juni:  Bisohof  Hartmann  bestätigt  eine  Schenkung  an 
das  Hospital  zum  hl.  Geist  (Stadtarchiv)  '  .  .  .  Acta  sunt  in  Castro  nostro 
Mergatowe  anno  domini  millesimo  CCXLYIIII,  intrante  mense  iunio, 
indictione  sexta.  Testes  sunt:  .  .  .  Haertwicus  notarius  nostei^  (so. 
episcopi).  1261,  9.  Mai:  Bischof  Hartmann  .  .  .  hat  nicht  bolognesische 
Datierung:  'Acta  sunt  anno  domini  MOGLI  Vll  idus  maii.* 


286  Zweiter  Abiohnitt  40 

Gteschrieben  sind  die  Angsburger  Urkunden,  die  mir 
handscliriftlidi  Torgelegen  haben,  sämtlich  auf  Pergament. 
Pergament  wurde  auch  als  Stoff  für  die  städtischen  Rechts- 
bücher  (Stadtbnch,  Achtbuch,  Bürgerbuch)  benutzt.  Nur  das 
MissiYbuch  ist  Yon  Papier  hergestellt  Seine  Anlage  fällt 
nicht  Tor  die  Amtszeit  Nikolaus  Hagens  (S^,),  wahrscheinlich 
in  den  Anfang  der  sechziger  Jahre.  Eine  handschriftliche 
Beschreibung  des  Missivbuches  durch  den  StadtarchiTar 
Dr.  Buff  ist  in  den  Codex  vom  eingeheftet  Doch  hat 
wohl  schon  um  13S0  ein  Missivbuch  bestanden ;  in  den  Bau- 
meisterrechnungen nämlich  werden  häufig  Ausgaben  f&r 
Papier  erwähnt.  Für  die  Schreibutensilien  hatte  laut  Stadt- 
fichreiberordnung  Ton  1361  (?)  der  Stadtschreiber  selbst  zu 
sorgen. 

Ich  füge  an  dieser  Stelle  endlich^  noch  einige  Bemer- 
kungen über  die  Führung  der  städtischen  Rechtsbücher  Augs- 
burgs und  über  ihren  Charakter  bei.  Für  das  Stadtbuch  sei 
auf  die  Einleitung  der  Ausgabe  Chr.  Meyers  verwiesen. 
Das  Achtbuch  wurde  1346  durch  das  Gesetz  Kaiser  Ludwigs 
zum  Reichsachtbuch.  Seit  1349  werden  die  Achterklärungen 
häufig  in  die  feierlichen  Formen  gekleidet:  'Anno  ...  an 
dem  .  .  .  habent  die  Ratgeben  der  Stat  ze  Auspurg  .  .  .'  oder 
^Do  man  zalt  .  .  .  habend  die  Burger  gemaindich  Arm  vnd 
Rieh  mit  dem  Olainen  vnd  grozzen  Rat  .  .  .  verboten'.  Die 
Yoranstellung  des  vollen  Datums,  Jahr  und  Tag,  vor  jeden 
Eintrag  fährt  Nikolaus  Hagen  (S^,)  1347  ein  (Achtbuch 
61a,  I);  zuweilen'  sind  einzelne  Eintragungen  nickt  mit 
einem  Male  fertiggestellt  worden. 

Kanzleien  und  Schreiber  in  Augsburg. 

Die  in  der  Überschrift  getroffene  Unterscheidung  zwischen 
'Kanzlei*  und  'Schreiber'  bedarf  einer  Rechtfertigung. 
Schreiber,  Berufsschreiber  im  einfachsten  Sinne  des  Wortes,  hat 


'  Vgl.  o.  S.  9  f. 

•  £.  B.:  80b,  I,  1876. 


41  Kanzleien  nnd  Schreiber  in  Angsbnrg.  287 

es  während  unserer  Zeit  in  Augsburg  viele  gegeben.  Obenan 
stehen  diejenigen,  welche  den  verschiedenen  Schreibbedürfnissen 
der  städtischen  Verwaltung  naohzukonunen  hatten,  und  deren 
mehrere  zu  gleicher  Zeit  fungierten.  In  grösserem  Massstabe 
hat  der  Bischof  und  unter  seiner  Oberleitung  das  Domkapitel 
Schreiber  beschäftigt,  im  Anschluss  besonders  an  das  letztere 
werden  wir  auch  Schreiber  des  Hofgerichts  (judices  curiae) 
kennen  lernen.  Urkunden  sind  ferner  bestimmt  und  mit  ge- 
wissem Typus  behaftet  aus  den  zahlreichen  Klöstern  Augsburgs 
hervorgegangen,  folglich  hielten  sich  in  ihren  Mauern  mit 
dem  Schreiberamt  betraute  Personen  auf.  Endlich  ist  es  ge- 
wiss, dass  nicht  wenige  Augsburger  Privatleute  über  ein 
Schreiberpersonal  verfugt  haben.  —  Nicht  alle  diese  auf- 
gezählten Funktionäre  oder,  wenn  wir  wollen,  nicht  alle  diese 
Schreiborte  dürfen  die  Bezeichnung  'Kanzlei'  beanspruchen. 
Es  hängt  die  Berechtigung,  eine  Schreibstube  als  „Kanzlei^ 
zu  bezeichnen,  nicht  davon  ab,  in  welchem  Umfange  das 
Personal  derselben  vertreten  ist,  auch  nicht  davon,  daj9s  das- 
selbe öfter  oder  überhaupt  jemals  in  einer  Situation  uns  be- 
kannt wird,  welche  ihm  eine  gewisse  Bedeutung,  sei  es  nur 
für  die  betreffende  Angelegenheit,  sei  es  für  zeitlich,  örtlich 
und  gegenständlich  ausgedehnte  Thätigkeitsgebiete,  verleiht; 
ich  nenne  also  nicht  'Kanzlei'  etwa  die  Schreibstube  eines 
augsburger  Patriziers,  der  durch  seine  ausgebreitete  Handels- 
thätigkeit,  auch  wohl  infolge  einer  gewissen  handelspolitischen 
Stellung  in  die  Lage  gekommen  ist,  sich  eine  oder  mehrere 
Schreibkräfte  für  seine  Geschäftsbedürfnisse  dienstbar  zu 
machen;  es  könnten  derartige  Funktionäre  höchstens  die  Be- 
zeichnung 'Handelsschreiber'  beanspruchen.  Aus  ähnlichen 
Gründen  kann  ich  einer  weiteren  Kategorie  von  Schreibern, 
denen  ich  im  Zusammenhang  ihre  Stelle  anweisen  werde, 
nicht  mehr  als  die  für  sie  überlieferte  Benennung  'Hofschreiber' 
zuerkennen.  Alle  diese  letztgenannten  Leute  dienen  mehr  oder 
weniger  nur  Augenblicksbedürfnissen,  wenn  auch  in  vielen  Fällen 
ein  solcher  Bediensteter  durch  Geschicklichkeit  und  Treue  im 
Dienst  seine  Stellung  zu  einer  dauernden  machen  konnte. 


288  Zweiter  Abschnitt.  42 

So  wie  ich  den  Begriff  'Kanzlei'  gefasst  wissen  will, 
müssen  vornehmlich  zwei  Bedingungen  zugleich  erfüllt  werden: 

1)  Der  Schreibort  muss  die  Befugnis  haben,  selbständig 
Rechtsgeschäfte  vorzunehmen,  sei  es  fär  sein  eigenes  Terri- 
torium, sei  es  für  Andere,  welche  seine  Dienste  heischen, 
d.  h.  seine  Glieder  müssen  als  öffentliche  Beamte  gelten  dürfen. 

2)  Die  Beamten  müssen  in  einer  gewissen  Zahl  und  mit  einer 
gewissen  Beständigkeit  erscheinen.  Ich  sehe  daher  in  erster 
Linie  in  der  Schreibstube  der  Stadtverwaltung  eine  Kanzlei, 
die  ich  vorläufig  mit  'städtische  Kanzlei'  bezeichnen  will; 
neben  ihr  fungiert  in  gleicher  Stellung  die  bischöfliche  Kanzlei, 
welche  nach  der  G-ewohnheit  der  kirchlichen  Y erwaltungskörper 
des  Mittelalters  eins  ist  mit  der  des  Domkapitels^.  Alle 
andern  Ausgangspunkte  von  Urkunden  sind  nur  Schreibstuben ; 
häufig  sind  diese  nicht  einmal  der  Schauplatz  des  Beurkundungs* 
aktes,  sondern  der  Funktionär  schreibt  an  einem  andern,  zu- 
ständigen, d.  h.  öffentlichen  Orte  das  Instrument. 

Ich  wende  mich  nun  der  Einzeldarstellung  des  augsburger 
Schreibwesens  zu.  Wenn  uns  die  Überlieferung  mit  Nach- 
richten über  eine  statutenmässige  Organisation  derselben  in 
seinen  verschiedenen  Schreibherden  im  Stich  lässt,  so  bildet 
das  zugängliche  Quellenmaterial,  wie  es  mir  handschriftlich 
und  in  Drucken  vorgelegen  hat,  eine  ausgiebige  Fundgrube 
zur  Feststellung  der  Personen  und  gewisser  äusserer  Kenn- 
zeichen derselben.  Wenn  ich  trotzdem  zuweilen  in  die  Zwangs- 
lage komme,  zur  Aufklärung  dieser  oder  jener  Erscheinung 
Schlüsse  aus  Situationen  zu  ziehen,  in  denen  uns  die  einzelnen 
Personen  und  ihre  Thätigkeitsplätze  bekannt  werden,  oder  nicht 
weniger  oft  Analogieschlüsse  zu  Hülfe  zu  nehmen,  so  sollte 
alles   dies  dazu  beitragen,   ein   möglichst  genaues  Bild   der 


^  Tgl.  PoBse:  Lehre  von  den  Privaturkanden  (Leipzig  1887). 
Bischof,  Domkapitel  und  Curia  sind  eins,  d.  h.  sie  versorgen  sich  gegen- 
seitig oder  besser,  das  Schreiberpersonal  aller  drei  rekrutiert  sich  aus 
dem  Domkapitel:  So  ist  1349  *Nos  Judices  curiae  .  .  /  und  1349  'Wir 
Bischoff  .  .  /  von  einer  Hand  geschrieben,  und  dieselbe  ist  die  S^? 
ähnelnde  Hand  des  Domschreibers  v.  1347.    Freitag  nach  4.  Januar  (A). 


43  Kanzleien  und  Schreiber  in  Augsburg.  289 

Verhältnisse  und  der  Zeit  zu  geben  und  doch  der  Auffassung 
des  Lesers  genug  Spielraum  zu  lassen.  Darnach  stellte  sich 
das  Gesamtbild  meiner  Ermittlungen  etwa  folgendefmassen: 

Wie  lange  schon  yor  dem  Auftauchen  einigermassen 
sicherer  Nachrichten  eine  städtische  Elanzlei  bestanden  hat, 
liegt  ausserhalb  jeder  Berechnung.  Die  ersten  Lebenszeichen 
einer  solchen  setzen  mit  dem  zweiten  Drittel  des  13.  Jh.  ein, 
und  zwar  als  Namen  und  Titel  unter  den  Zeugenunterschriften. 
Als  älteste  Bezeichnung  für  das  Amt  muss  darnach  ^cancellarius' 
gelten;  ein  mit  solchem  Titel  belegter  Schreiber  ist  sicher 
dann  Stadtschreiber,  wenn  er  in  Yerfügungsurkunden  des 
Bates  der  Stadt  nachzuweisen  ist  und  zugleich  als  ^civis 
Augustensis'  den  Zeugenreihen  sich  einfügt.  ^  Von  dem  Jahre 
1268  an  (1268  8.  Aug.  'Conradus  notarius  civitatis.'  Ur- 
kondenbuch  I,  37)  verschwindet  die  Bezeichnung  „cancellarius^ 
ToUständig  und  macht  der  nun  in  allen  lateinisch  geschriebenen 
Urkunden  gtUtigen  Titulatur  'notarius  civitatis'  Platz,  welche 
in  den  deutsch  abgefassten  Schriftstücken  als  'der  ftet  fchriber' 
verdeutscht  wird.  Eine  RangabstufuDg  dieser  Beamten,  kennt- 
lich durch  die  Bezeichnung  'protonotarius,'  =  'oberster 
Schreiber'  lässt  sich  für  unsere  Zeit  nicht  erweisen,  und  ist,  wie 
spätere  Ausführungen  darthun  werden,  zweifellos  nicht  vorhanden 
gewesen.  Der  Platz,  den  der  Schreiber  unter  den  Zeugen  sich 
geben  darf,  ist  gesetzlich  nicht  festgesetzt;  die  Etikette  über- 
liess  es  ihm  in  den  Jahren  vor  1273  wohl,  sich  unter  den 
Laienzeugen  einen  Platz  anzuweisen;  seinerseits  ist  das  Be- 
mühen nicht  zu  verkennen,  unmittelbar  hinter  den  Rats- 
herren der  Stadt  zu  figurieren.  Erst  mit  dem  Jahre  1277*, 
sicherlich  nach  1281  wird  der  Brauch  fest,  dass  der  Stadt- 
schreiber die  Brcihe  der  Zeugen,  soweit  sie  namentlich  auf- 
geführt sind,  schliesst^. 

*  z.  B.  1S65  März.  (A).  (Urkb.  I,  SO). 

'  d.  h.  1277,  10.  Kai  kann  ich  den  Stadtschreiber  namentlich  zum 
erstenmale  als  letzten  der  Zeugen  konstatieren :  vgl.  jedoch  1281  28.  Juni 
(ürkb.  I,  66). 

*  1383  Mitwoch  vor  St.  Afra,  ist  unter  den  Zeugen,  zwischen  den 
Bürgern  Ulrich  der  Stetschriber  genannt.    Es  ist  jedoch  zweifelhaft,  ob 


S90  Zweiter  AbBchnitt.  44 

Es  erhebt  sich  nun  weiter  die  Frage ;  unter  welchen  Be- 
dingungen konnten  die  Schreiber  damals  zu  dem  Posten  ge- 
langen, und  unter  welchen  Bedingungen  bekleideten  sie  ihn? 

Für  den  ersten  Punkt  käme  sunächst  die  Herkunft  der 
Stadtschreiber  in  Betracht,  unterstand  dieselbe  festen  Vor- 
schriften? Vorhanden  sind  solche  nicht,  doch  ist  man 
,  sicherlich  zu  keiner  Zeit  gern  yon  der  Grewohnheit  abgewichen, 
sich  diese  Beamten  innerhalb  der  Stadt  auszusuchen.  Anders 
wenigstens  kann  ich  es  nicht  deuten,  dass  zwar  alle  Stadt- 
schreiber, wenn  sie  namentlich  in  den  Urkunden  vorkommen, 
nur  als  cives  Augustenses  oder  ^burger  von  Auspurch'  er- 
scheinen, dass  jedoch  das  Bürgerbuch  mit  Ausnahme  eines 
oder  zweier  Fälle  ^  nie  ihrer  Aufnahme  unter  die  Bürger  £r- 
•wähnuDg  thut.  Sie  können  sämtlich  ¥on  der  Zeit  an,  wo  das 
Bürgerbuch  regelmässig  geführt  wird,  im  14.  Jh.  nur  Augs- 
burger Kinder  gewesen  sein  oder,  bevor  sie  ihren  Posten  an- 
traten, schon  die  Berechtigung,  Bürger  zu  heissen,  besessen 
haben.  Für  das  Amt  jedenfalls  konnte  ersterer  umstand 
nur  ein  Vorzug  sein.  —  Wie  stand  es  weiter  um  die  Fach- 
bildung der  £[anzleibeamten  und  um  ihre  bürgerliche  Stellung? 
Hier  verlässt  uns  die  Überlieferung  vollständig.  Wir  erfahren 
weder  von  einem  Examen,  das  der  Schreiber  vor  seiner  An- 
stellung ablegen  musste,  noch  von  irgend  einem  Nachweis 
ihrer  Qualifikation,  noch  auch  lässt  uns  eine  Nachricht  von 
der  gesellschaftlichen  Stellung,  welche  der  Schreiber  einnahm, 
oder  von  der  Stellung  seiner  Familie  einen  Schluss  auf  seine 
geistige  Bildung  ziehen.  Höchstens  wäre  zu  bemerken,  dass 
z.  B.  die  Familie  des  Stadtschreibers  Ulrich  Biederet  (1339 

■^        ■■■^i-«     m  ■■■■■ 

derselbe  der  zur  Zeit  amtierende  Schreiber  ist.  Ist  er  identisch  mit 
dem  uns  aus  den  20ger  Jahren  (—  ISdl?)  bekannten  Stadtsohreiber 
Ulrich,  so  ist  sein  amtlicher  Charakter  an  dieser  Stelle  lehr  imaioher. 
Die  Hand  der  Urkunde  ist  jedenfalls  die  das  ganze  Jahr  1382  hindurch 
erscheinende  Hand,  d.  h.  nicht  Ulrichs  Hand  S». 

^  1803  Conrad  Ungelter  von  Landsberg  wird  Bürger.  (1321  'Eüdolf 
notarius  von  Roebach  (Roerbach?)  subpalatinata'  wird  Bürger.)  1348 
*feria  quartapost .  .  .  Vlricus  dictus  Biedrer  civis.*  »■  Ulrich  der  Biederer, 
Stadtschreiber?    1343  war  Ulrich  schon  Notar. 


46  Kanzleien  und  Schreiber  in  Augsburg.  291 

bis  1346,  3^5)  ikst  zu  gleicher  Zeit  einen  Bürgermeister^ 
stellte^  und  dass  um  1342  auch  ein  'Ohünrat  der  niederer' 
einer  der  beiden  Baumeister  war.  Auch  Nioolaus  Hagen* 
gehört  einer  Tomehmen  Sippe  an:  Achtbuch  1349  S^^  146 
I.  2.  1349  ist  ein  Nyclaus  der  Hagen  als  Vetter  Ulrichs 
des  jungen  Hofmairs,  Fritz  des  Apothekers,  Johans  desLintfrids, 
Peter,  Fritz,  Johans  der  Biederer  bezeichnet ;  Nicolaus  Hagen 
hat  die  Eintragung  selbst  gemacht.  In  einem  Falle  finde 
ich  den  Stadtschreiber  Heinrich  1317  (Sg)  unter  den  Schieds- 
richtern vor  in  der  Streitsache  Herrmanns  von  Pfersee  mit 
der  Stadt,  (ürkb.  I,  1317.)  Bezeichnend  ist  auch,  dass,  frei-* 
lieh  in  viel  späterer  Zeit,  ein  Stadtschreiber  von  Augsburg 
Heinrich  Erlbach  1460  seiner  einflussreichen  Stellung  einen 
£jrei8  yomehmer  Protektoren  verdankte,  welche  ihn  nach  seiner 
Entlassung  nicht  fallen  liesaen.  —  Materiell  ist  die  Stellung 
der  Stadtschreiber  eine  durchaus  günstige  zu  nennen,  wie  sich 
noch  später  durch  Daten  erweisen  lässt;  Ulrich  ist  einmal  in 
der  Lage,  sich  ein  Haus  kaufen  zu  können,  die  Stadt  gewährt 
ihm  dazu  einen  Zuschuss  von  6  Pfund  Pfennige.  (Baumeister- 
rechnungen  v.  1322  29.  Aug.  (Zs.  d.  bist.  Yer.  für  Schwaben 
und  Neuburg  Y,  S.  66).     Von  Stadtschreiber  Rudolf  wissen 

*  1842:  Bertholt  der  Biedrer  mit  Bertolt  dem  Baem  Stadtpfleger. 
1349  (A.)  Chanrad  der  Minner  und  Berthold  der  Biederer  sind  Stadt* 
pfleger.  Berchtold  der  Biederer  ist  1844  unter  den  Familiengliedern  der 
Sippe  Laugemantel-Biederer-Dachs-Hoffmaier  genannt  in  einer  Eintragung 
des  Achtbnches  1844  9  a  I.  als  Kläger  gegen  die  Mörder  Haintzen  Lint-- 
frita.  Am  gleichen  Orte  bekennt  sich  Ulrich  der  Biederer  Statfchriber  ze 
Auspurch  als  Neffe  des  Erschlagenen.  Die  genannten  Zweige  der  Sippe 
sind  die  einflussreichsten  Häuser  der  Beichsstadt.  Der  Name  Biederer 
ist  schon  vor  dieser  Zeit  nicht  unbekannt. 

'  Der  Name  Bagen  ist  im  Achtbach  mehrmals  vertreten:  seine 
Träger  sind:  Achtbuch  75a  I.  S».  1856  'fritz  der  Zimmermann  genant 
der  Hagen,  Hainrich  Hagen  der  fchilster  sin  Brdder.'  (Aohtbuch  77  a  II.) 
1358  'Chüntz  der  Hagen  des  Speten  knecht.'  1874  wird  ein  Canrat  Hagen 
seiner  Herkunft  nach  in  die  Stadt  Ulm  verwiesen:  'Chunrat  Hagen  von 
Ulme.'  Er  steht  an  diesem  Orte  noch  in  Verbindung  mit  Ulm:  'von 
Everr  Lent  Bet  wegefi  vä  ouoh  von  den  von  Ulm  Bet  wegen  .  •  .  fin 
Borgen.' 


292  Zweiter  Abschnitt.  46 

wir,  dass  er  yon  1275  an  ein  Lehen  von  2  Höfen  und  4  Hof- 
stätten in  Pintzwangen  besass;  da  er  sie  als  Lehen  in  seiner 
Stellung  als  Notarius  des  Herzogs  von  Kämthen  erhalten 
hatte,  so  ist  uns  sein  Ansehen  um  so  mehr  verbürgt. 

Wenn  uns  die  Nachrichten  über  die  vorangegangenen 
Punkte  sogut  wie  gar  keinen  festen  Anhalt  geben,  so  erhalten 
wir  um  so  mehr  Aufschluss  über  die  Amtsthätigkeit  des  Stadt- 
schreibers und  über  die  Bedingungen,  unter  denen  er  arbeitete. 
Wir  besitzen  nämlich  etwa  aus  dem  Jahre  1362^  eine  Stadt- 
schreiberordnung, deren  Verfügungen  für  die  frühere  Zeit  im 
Einzelnen  durch  die  Baumeisterrechnungen  der  Jahre  1320 
bis  1331  als  bestätigt  erscheinen.  Damach  ist  der  Stadt- 
schreiber* ein  vereidigter  Beamter  (^Und  die  vorgefchriben 
Sache  alle  fol  er  fwem  ze  den  haiigen  ainen  gelerten  aid  ze 
halten  vnd  staete  ze  haben  vnd  dawider  niht  ze  tun');  seine 
Thätigkeit  teilt  sich  in  eine  streng  amtliche  im  Dienste  der 
Stadt  und  eine  private.  In  der  ersten  Funktion  schreibt  er 
die  Steuerrechnungen  ^  der  Stadt  und  macht  die  Eintragungen 
über  die  Geächteten  und  Stadtverwiesenen  in  das  Achtbuch 
und  in   das  Stadtbuch  und  'alle   die   fache   die   die  stat   ze 


^  Stadtbuch  fol.  155  b  findet  sich  der  Passus  geschrieben,  von  der 
Hand  Si?  (l^icolaus  Hagen)  und  darnach  ein  Zusatz  von  derselben  Hand 
mit  dem  Datum :  Actum  anno  domini  1863.  Die  Gestalt  der  Schriftzage 
des  Eintrags  versetzt  diesen,  d.  h.  den  ersten,  undatierten,  noch  vor  das 
Jahr  1354.  Indem  nämlich  von  Hagens  (817)  Handschrift  3  Erscheinungs- 
formen unterschieden  werden  können  (Meyer  bezeichnet  dieselben  als 
8  verschiedene  Hände  VIII,  IX,  X),  hat  der  Eintrag  der  Stadtschreiber- 
ordnung die  Schriftzüge  der  Form  VIII,'  1354  aber  schreibt  Hagen  erst 
deutlich  mit  Form  IX. 

*  Der  Text  spricht  eingangs  im  Zusammenhang  des  Wortlautes 
von  'ainem  stetschriber*  und  späterhin  von  'dem  stetschriber*.  Es  ist 
zweifellos,  dass  die  erste  Ausdrucksweise  keinesfalls  auf  die  Existenz  von 
mehr  als  einem  Stadtschreiber  schliessen  lässt. 

'  vgl.  Baumeisterrechnungen  a.  o.  V,  S.  1.  S.  103:  item  notario 
II  ß  pro  scribendo  censu.  Jedoch  durfte  auch  der  Gehülfe  des  Steuer^ 
meisters  eintragen,  S.  68:  item  Scolari  Kafenspurgerii  pro  inscriptione 
thelonii  meroatorum  V  ß.  In  der  Regel  aber  empfängt  der  Stadtschreiber 
die  Voraufzeichnungen  aus  der  Hand  des  Steuersohreibers  (?)  und  trägt 
sie  selbst  in  die  Steuerbücher  ein. 


47  Kanzleien  und  Schreiber  in  Augsburg.  293 

fchaffen  hat,  ez  si  mit  briefen  oder  mit  andern  Saclien\  Zu 
den  letzteren  gehören  auch  die  Batsprotokolle ;  dieselben 
werden  vom  Stadtschreiber  angefertigt  worden  sein,  da  seine 
Gegenwart  in  dem  Gericht  und  in  dem  kleinen  Bat  erwähnt 
wird.  Als  Funktion  dabei  wird  allerdings  nur  das  Umfragen 
ausdrücklich  angegeben;  dagegen  wird  er  Yon  den  Wahl- 
verhandlungen bei  der  Neuwahl  des  Rates  gänzlich  ausgeschlossen, 
seine  Thätigkeit  hierbei  beschränkt  sich  auf  das  Anschreiben 
der  Gewählten  an  die  Thür.  ^  Neben  dieser  Thätigkeit  im  Inter- 
esse der  Stadtverwaltung  stellt  der  Stadtschreiber  seine  Feder 
in  den  Dienst  der  Bürger  und  schreibt  für  sie  gegen  besondere 
Bezahlung  ^  Sendbriefe^  Handvesten  und  Leibdingsbriefe.  Alle 
diese  Schriftstücke  ist  er  gehalten  nur  auf  Pergament,  nicht 
auf  Papier  zu  schreiben ;  und  dafür  muss  er  allein  aufkommen 
(^er  sol  sin  selbs  pirmit  vnd  timpten  haben^).  Desgleichen 
soll  er  sich  einen  Gehülfen  (schuler)  halten  und  zwar  auch 
auf  eigene  Kosten.  Derselbe  hat  einen  fest  fixierten  Anteil 
an  den  Privateinnahmen  seines  Maistei*s.  Ob  er  auch  Amts- 
nachfolger desselben  wurde,  darüber  verlautet  nichts,  und  ich 
kann  für  meine  Ermittlungen  darüber  aus  anderen  Quellen 
vorläufig  nur  auf  spätere  Ausführungen  verweisen.  —  Zu 
seiner  Ausstattung  erhält  der  Stadtschreiber  ausser  der  statuten- 
mässig  fixierten  Besoldung  öfter  Zulagen :  'concessimus  notario' 
in  den  Baumeisterrechnungen  für  Instrumente,  Eintragungen 
u.  a.  Yon  Zeit  zu  Zeit  giebt  ihm  die  Stadt  ein  Kleid,  des- 
gleichen seinem  Gehülfen.  Für  die  Angehörigen  des  städtischen 
Notars  übernimmt  die  Stadt  einmal  die  Sorge:  Baumeister- 
rechnungen a.  0.  V,  S.  30:  1321. 15.  März:  'Item  dicte  Geburrin 
m.  lib.  de  pueris  notarii  occisi.'  Ein  andermal:  S.  169: 
1329.  30  Juli :  'Item  cives  propinaverunt  eorum  notario  quum 
filius  suus  induit  habitum  predicatorum  II.  lib.' 

Nach  dem  vorangegangenen  dürfte  es  für  unsere  Aufgabe 


*  Baumeisterrechnnngen  a.  o.  Y,  S,  28:   1.  Febr.:  Item  Notario 
ciritatia  pro  inscriptione  novi  consilii.  II  ß. 

*  Vom  Rat  erhält  er  für  seinei  diesem  und  der  Stadt  geleisteten 
Dienste  26  Pfund  Pfennig  u.  s.  w.  ygl.  Stadtbnoh  S.  251. 


294 


Zweiter  Absohnitt. 


48 


▼on  grosser  Wichtigkeit  seiiii  auch  über  die  Personen  der 
Stadtschreiber^  soweit  sie  den  von  mir  gewählten  Zeitabschnitt 
ausfüllen,  etwas  zu  hören.  Dass  die  Namen  yon  Stadtschreibem 
erst  mit  dem  zweiten  Drittel  des  13.  Jhs.  erscheinen,  ist  oben 
Torangestellt  worden.  Ich  erwähne  dieselben  hier  nur,  da  sie 
für  unsere  Zwecke  eine  grössere  Wichtigkeit  nicht  besitzen. 

1239.  Heinricus  Schogoare  cancellarius  (ürk.  derConsules 
Tom  Februar  1239.)  Der  Name  folgt  unmittelbar  hinter  be- 
kannten Augsburger  Namen :  ülricus  Fundanus  und  Conradus 
Barba.  (TJrkundenbuch  I.),  dazu:  Mon.  Boica  XXXTTTa 
1246.  8.  September:  .  .  .  Yolricus  Fundanus,  Oonradus 
curialis  cervus,  Hainricus  Schongovenfis  .  .  .  Ciues  Auguftenfes. 

1246.     29.  Aug.:  Wernhems  cancellarius. 

1253.  Aug.:  „  „  ...    CÜTes 

Auguftenfes    (Copie    anno     1264    (Mon.    Boica 

XXXIII,  80). 


ürk.  des  Bischoffs.     1259. 


» 


i> 


99 


1258. 


1260. 
Domkapitel  an  Bürger.   1263. 

Bitter  an  Bürger.     1264. 


Oonsules  für  Bürger. 
Vogt  und  Consules. 


1266. 
1265. 
1268. 


1.  Dec.  Wemherus  cancellarius 
.  .  .  cives  nostri  (sc.  episcopi) 
Augustenses    (ürkundenb.    I). 
29.  Dec.  Wemhero  Cancellario 
.  .  .  Ciuibus  Augustensibus. 
.  .  .  dominus  cancellarius. 
23.0ct.Wemheruscancellariu8. 
(ürkundenbuch  I). 
25.  Oct  Wemherus  cancellarius. 
.  .  .  cives  Augustenses. 
Wemherus  cancellarius. 


99 


w 


Aug.:  Conradift  notarius  civi- 
tatis Augustensis.     (A). 

Von  nun  an  bietet  der  mir  vorliegende  Quellenapparat 
eine  fortlaufende  Beihe  von  Schreibern,  deren  Namen  ich  mit 
wenigen  Lücken  bekannt  geben  kann: 

Mit  1268  Aug.   beginnt^  Hand  S^  (=  I.  Meyer  Stadt- 

^  dazwischen  andere  Hand  Sg. 


49  Kanzleien  und  Schreiber  in  Augsburg.  295 

buch)  s=  Conradus  notarius  civitatis,  er  ist  Bürger  der  Stadt 
{1272.  17.  Aug.  .  .  .  Conradus  notarius  ciuitatis  .  .  .  Cives 
Auguftenfes  (A.)     Er  erscheint  zum  letztenmal: 

1280.  20.  Juli:  Chvnrat  der  stet  Schriber  (A.  H.) 
1280.  13.  Dec.  Rudolf  der  ftet  Schriber  =  Sg  (= 
III.  Meyer  ^).  Er  verschwindet  jedoch  1281  und  seine  Hand- 
schrift taucht  erst  1283  29.  März  wieder  auf.  In  der  Zwischen- 
zeit treffen  wir  auf  einen  zweiten  Conrad:  1281.  October: 
*.  .  .  (her  Sebastian)  Conrat  der  ftet  Schribär  *  genannt.'  Seine 
Hand,  die  ich  mit  S^  bezeichne,  da  sie  mit  einiger  Gewissheit 
schon  1277  und  1280  zu  entdecken  ist,  ähnelt  sehr  Hand  S^  ^. 

Von  12b3.  29.  März  an  ist  Rudolf  Sg  wieder  ununter- 
brechen  Stadtschreiber.  Wir  werden  uns  mit  ihm  noch  ein- 
gehender zu  beschäftigen  haben ;  hier  möchte  ich  nur  Folgendes 
feststellen : 

1)  Sg  ist  zweifellos  identisch  mit  einem  Notarius  Rudolius 
des  Herzogs  Philipp  von  Kärnthen  1275.  I.Juli.  Lucemae: 
Ich  führe  das  Nötigste  aus  der  Urkunde  an,  durch  welche 
der  Herzog   seinen  Notar   mit  Höfen  in  Pintzwanch  belehnt. 

Mon.  Boica:  XXXIIIa;  122:  'Philippus  .  .  .  dux  Ka- 
rinthie  dominus  Camiole  et  Marchie  .  .  .  quod  nos  attendentes 
fidem  puram  et  deu  ocionem  linceram  quam  Rudolfus 
Notarius  noster  ad  perfonam  noftram  geffit  et  gerit 
fideliter  ...  et  praestare  poterit.  Curias  noftras  fitas 
in  Pintzwanch  videlicet  Curiam,  inqua  residet  .  .  .  ,  cum 
Quattuor  areis  in  villa  ad  istam  Curiam  Curiam^  .  .  . 
predicto  Rudolfe  Notario  nostro,  Iremgardi  vxori  sue,  Rudolf 
privigno  suo  et  heredibus  utriusque  sexus  filiiset  filiabus  des- 


^  1280;  1283—1803:  Ss;  andere  Hände:  S4,  S»,  Sa. 

«  Mon.  Boica:  XXXIII,  1281. 

'  Wenn  *  Conrad*  einen  Familiennamen  bedeutet,  wie  es  nach  der 
oben  angezogenen  Stelle  für  S«:  '.  .  .  her  Sebastian  Conrat'  scheinen 
möchte,  so  kann  S9  der  Sohn  oder  Verwandte  des  St  sein.  Eine  zweite 
Urkunde  der  Mon.  Boica  XXXIII  1282  legt  es  jedoch  nahe,  'her  Sebastian' 
von  'Conrat*  zu  trennen. 

^  also:  2  Höfe  und  4  Hofstatten. 

20 


896  Zweiter  Abschnitt.  60 

cendentibus  ab  eisdem.  contolimus  tituli  feodali  Et  ad  maio' 
rem  ipsis  graciam  exbibendam  Curias  et  Areas  Uxori  Rodolfi 
Notarii  ac  heredibus  fuis  pro  Centum  Marcis  argenti  nomine 
dotis  siue  dotalici  Augustensis  ponderis  recto  obligationis 
titulo  obligamus/  —  Wegen  eines  Lehensbesitzes  (1289  in  ^Bintz- 
wanch^  1293  in  'Bintzwangen^)  kommt  Stadtschreiber  Rudolf 
1289  29.  Juni  und  1293  20.  Juli  in  Streik  mit  dem  Mark- 
grafen Heinrich  von  Burgau.  Die  erste  Angelegenheit  wird 
zu  Gunsten  'Rudolf  des  Schriber  von  Auspurch  wegen  sines 
gutes  ze  Pintzwauch,  daz  er  lange  braht  hete  rumechliche 
.  .  J*  schiedsrichterlich  entschieden.  Die  zweite  Urkunde  ist 
ein  Lehensbrief  Heinrich  yon  Burgaus  für  'Rudolf  den  Stadt- 
schreiber zu  Augsburg*  über  zwei  Höfe  und  vier  Hofstätten 
zu  'Bintzwangen.'  Dieser  Brief  ist  in  seinen  Hauptzügen 
die  Übersetzung  des  ersten  (lateinisch)  von  1276.  Zum  Schluss 
wird  auch  in  dem  Text  von  1293,  'Jremgarten,  Rudolfes  Hovs- 
frowen,  Elisbeten,  Adelhaite  vnd  Annen  sinen  toehtern  Hundert 
Marck  Silbers  ze  rechter  Haimstiwer^  als  Pfand  gesetzt. 
Die  Gleichheit  des  Gegenstandes,  der  ausser  Rudolf  beteiligten 
Personen  nehmen  jeden  Zweifel  an  der  Identität  Rudolfs  des 
Stadtschreibers  von  Augsburg  und  dem  Rudolfus  Notarius 
des  Herzogs  von  Karnthen. 

2)  Rudolf  ist  augsburger  Bürger,  wie  die  Urkunde  von 
1293  besagt:  'gen  Rudolfen  irem  bürgere,  der  do  irre  ftet 
Schriber  was.* 

3)  Er  scheint  1281  und  1282  auswärts  gewesen  zu  sein. 
Steht  damit  in  Zusammenhang,  dass  er  in  der  Schiedsurkunde 
von  1289  als  zu  des  'chuniges  Rudolfes  leuten'  zählend  gegen- 
über den  ^leuten*  des  Markgrafen  von  Burgau  genannt  wird? 

Sg  scheint  bis  30.  Mai  1303  als  Stadt  Schreiber  amtiert 
zu  haben,  das  Münchener  allgem.  Reichsarchiv  bewahrt  zwei 
Urkunden  auf,  beide  vom  30.  Mai  1303,  C!onfirmatio  der  Privi- 
legien der  Stadt  von  Bischoff  Degenhardt,  die  eine  mit :  \  .  . 
Cvnradus  Notarius  CSues  Augustenses'  (A.  H.  13)  die  andere 
mit:  \  .  .  Rudolfus  Notarius  Ciues  Augustenses'  den  Text 
schliessend.    (A.  R.  f.  6.     N.  3). 


51  Kanzleien  und  Schreiber  in  Augsburg.  297 

Der  Nachfolger  Rudolfs,  der  selbst  noch  bis  1304  Ur- 
kunden schreibt,^  ist  also  noch  am  gleichen  Tage  Conrat. 
Er  ist  möglicherweise  der  1303  zum  Bürger  aufgenommene: 
Conrad  Ungelter  von  Landsberg,  Notarius.^Sg  1303 — 1304? 
andere  Hände:  S^,  S,.  Geschrieben  hat  er  städtische  Ur- 
kunden schon  in  den  90er^  Jahren  des  13.  Jhs.,  wohl  als 
Gehilfe  Rudolfs,  •als  Hand  S^  (=  IV.  Meyer  Stadtbuch). 
Seine  Thätigkeit  ist  eine  sehr  kurze  und  hat  den  Quellen 
nach  nicht  das  Jahr  1303  überschritten.  Sein  Nachfolger 
kann: 

S^  sein,  dessen  Handschrift  zum  erstenmal  1302  in 
mehreren  Urkunden  begegnet.  Er  schreibt  Urkunden  ver- 
schiedenen Gebietes  bis  Augang  der  20ger  Jahre,  als  Stadt- 
schreiber bis  1314.  Während  dieses  Zeitraums  sind  ausser 
ihm  verschiedene  Hände  thätig.  Mit  Bestimmtheit  weise  ich 
der  städtischen  Kanzlei  zu:  S,,,  S^.  Einmal  ist  in  einer  Ur- 
kunde* des  Kamerers  von  Wellenburch,  gehörend  zur 
bischöflichen  Familie,  vom  12.  Juni  1325,  welche  d!e  Hand 
S^  trägt,  ein  'Chünrat  von  Gienggen  der  Schriber'  genannt, 
da  ein  Zusammenhang  mit  Gingen  nicht  in  Betracht  kommt, 
80  dürfte  der  Genannte  als  der  Schreiber  S^  der  Urkunde 
anzusprechen  sein.  Von  1315—1317  folgt  Sg,  (1315—1317 
Sg,  andere  Hände:  S^),  in  der  Urkunde  von  1317  als  'Heinrich 
der  ftet  fchriber,  burger  ze  Aufpurch*  genannt.  1318  und 
1319  (A)  tritt  wieder  S«  auf,  und  zwar  allein  als  Schreiber 
der  in  diese  Jahre  fallenden,  als  städtische  Urkunden  figu- 
rierenden Instrumente;  (1320—1333?  S^;  andere  Hände: 
°io»  Sji,  Sjj,  S^.) 


'  1304.  2  Urkunden  von  Ss:  davon  eine:  1304.  24.  Juli:  Gerichts- 
bricf  (Vogt-  Tind  Stadtsiegel  (A). 

*  Bürgerbnch  ad.  a.  IdOft. 

*  1292.  9.  Oktober.  1295.  15.  Juli.  (Rat  .  .  .)  1295.  23.  Nov. 
1296.  22.  Jnli.  1296.  Vogts-  (Gerichts-)  brief.  1296.  Leibgedingbrief. 
1296.  Brief  an  Spital.  1297.  2.  Febr.  .  .  .  1296  ist  S5  allein  in  den 
Quellen  vertreten. 

*  A.  St.  Stephan,  f.  2. 

20* 


298  Zweiter  Abschnitt  52 

Von  1320—1331  (1 333  ?)  ^  folgt  S,,,  schon  1308  schreibend ; 
er  ist  der  Ulrich  der  stet  Schriber,  den  uns  die  Abschrift* 
des  Stadtbuchs  (1324)  und  einige  Urkunden^  namentlich  über- 
liefern. Während  seiner  Amtszeit  schreiben:  8^^  S^^  S,^g 
und  sehr  häufig  S^,  jetzt  aber  überwiegend  im  Interesse  des 
Hochstifts.*  Von  1332  (1333?)  an  tritt  S^^  ununterbrochen 
bis  1335  auf.«> 

1336  bis  1339  ist  S^g  Stadtschreiber;  ob  ihm  der  Name 
Ulrich  zukommt,  den  eine  hinter  seine  Stadtschreiberthätigkeit 
fallende  Urkunde  seiner  Hand  von  1340  4.  October  als  Ulrich 


^  1383  mikten  vor  fant  A£EreDtag.:  \  .  .  Maister  Vlrich  der  Stet- 
schriber/  jedoch  ist  diese  Urkunde  eher  von  Sis  geschrieben,  der  sowohl 
1833  als  schon  das  ganze  Jahr  1382  hindurch  ausschUesslich  geschrieben 
hat.  1831  kann  ich  zum  letzten  Male  die  Hand  Ulrichs  feststellen:  1381 
5.  Dec.  *Wir  Ludewich  von  gotesgenaden  Roemscher  Chayser'  (Land- 
friedensurkunde) von  Sg  geschrieben  (vorher  1381.  mitwoch  vor  sant 
Katharinentak:  *  Wir  Ludwig  .  .  .  Kaiser  zu  Ulm  gegeben/  S9).  (fieide 
Urkundemim  Augsburger  Stadtarchiv.) 

'  Copie  das  Stadtbuchs  von  Augsburg,  vollendet  1824,  über  alle 
bischöflichen  Rechte,  im  Münchner  allgem.  Reich sarchiv.  Am  Schluss: 
'.  .  .  Ulricum  nom.  me  hab.  .  .  .  mercedem  posco.'  Um  diese  Zeit  lebte 
\  . .  Magister  Ulricus,  Civitatis  Notarius.'  (Burgerbuch  ad.  a.  1880.  Stetten: 
Gesch.  d.  St.  A.  S  97.) 

'  1821.  Samztagvor  7.  Iförz:  .  .  «'Maister  Virich  der  Stetschriber' 
1829.  22.  Februar.    \  .  .  Maister  vlrich  der  SUtschriber.' 

*•  1820  an  sant  Georien  abent:  wird  in  der  Zeugenreihe  der  von  85 
geschriebenen  Urkunde  des  Bischofs  unmittelbar  hinter  den  Chorherren 
'Maister  Walther  vnser  Schriber'  genannt,  loh  gestehe,  dass  die  Ver- 
hältnisse immer  verwickelter  werden. 

»  Die  Urkunden :  1832  25.  Februar  'Wir  die  Ratgeben  .  .  .*  (A.) 
und  1838  mikten  vor  sant  Affrentag  (mit  Ulrich  der  Stetschriber  unter- 
zeichnet) sind  nicht  sicher  Si2  angehörig.  S19  war  von  1328  an  schon 
Gehilfe  Ulrichs  und  kann  identisch  sein  mit  dem  Cunradus  Scolaris  no- 
tarius,  dem  einem  Eintrag  in  den  Baumeisterrechnungen  S.  187  zufolge, 
1381.  April  die  übliche  tunica  geschenkt  wird,  ^*  1821  Conrad  Michinger 
Scolaris?  (Baumeisterrechuungen  S.  29)  ■«  1825.  G.  Scolaris  mens? 
(Baumeisterrechnungen  S.  81).  Dann  wäre  Conrat  Michinger  von  1321 
bis  1381  Sohreibergehilfe  in  Augsburg  gewesen.  Ein  zweiter  Gehilfe 
Ulrichs  ist  1827  Wemlin  (Baumeisterrechnungen  S.  107).  Auch  Ludovicus 
Scolaris?    (Baumeisterrechnungen  S.  115.  1827.) 


53  Kanzleien  und  Schreiber  in  Augsburg.  299 

der  alt  Schriber^  bietet,  ist  nicht  bestimmt  zu  sagen.  Für 
die  Abgrenzung  seiner  und  seiner  Nachfolger  Amtsthätigkeit 
legen  wir  am  besten  die  Einträge  des  Achtbuchs  zu  Ghrunde. 
Hier  finde  ich  Fol.  48  a  I.  von  der  Hand  S^^  geschrieben 
die  Bemerkung:  'Ego  magr.  vlricus  factus  fui  notarius 
huius  Ciuitatis  et .  .  .  Anno  dom.  MCGCXXXIX.  if  I  Idus 
Septembr.'  Am  11.  September  1339^  also  wurde  Ulricus^ 
d.  h.  Dlrich  Biederer  ^  nach  der  Handschrift,  zum  Stadtschreiber 
ernannt.  (1339 — 1345  8,5,  andere  Hände:  S^^  und  S^,.) 
Er  schreibt  im  Achtbuch  und  in  den  Urkunden  bis  1346. 
(Achtbuch:  Mittwoch  nach  4.  Oct.,  Urkunden:  31.  Oct.  (A).) 

Noch  während  seiner  Amtsthätigkeit  erscheint  die  Hand 
Si,  (1346—1368  Sj,.  (1369?  1370?)  andere  Hände:  S,e 
SjB,  Sij),  in  Urkunden  von  1346  (1.  Febr.  1346  A.  hl.  Ur.  5). 
Von  1346  an  können  wir  ihn  Stadtschreiber  nennen :  Achtbuch 
&6a  II  und  IIb  I,  1:  'Anno  d.  MXL  fexto  feria  Quinta  ante 
palmarum  Ego  Nycolaus  dictus  Hagen  receptus  fui  in  Notarium 
Ciuitatis  Augustensis.'  Burgerbuch  ad.  a.  1346:  'Item  anno 
d.  MCCOXL  fexto  feria  Cuinta  ante  diem  palmarum  Ego 
Magr.  Nycolaus  dictus  Hagen  affumptus  fui  in  Notarium 
Ciuitatis  Aug.  et  facti  funt  eines  infrascripti/  von  der  Hand 
S,^.  Seine  Hand  reicht  in  verschiedenen  Abstufungen  ihrer 
Züge  (nach  Meyer:  Stadtbuch:  VIII,  IX,  X.)  bis  1368  in 
den  Urkunden,  im  Achtbuch  aber  findet  sich  ganz  isoliert 
unter  Einträgen  der  Hand  S^^  ein  Eintrag  von  S^,  ^  für  das 

'  Im  Gegensatz  zu  dem  zur  Zeit  amtierenden  Ulrich  der  Biederer  Sis  ? 

*  Der  letzte  Eintrag  von  Sis  geschieht  am  22.  Juni  1339.  (6b. 
I.  1.)  Der  erste  Eintrag  von  S15:  Donnerstag  nach  fant  Bartholomeus 
tag  (24.  August)  (6.  b.  I.  2)  in  A.  Maentag  nach  8.  September  in  B. 
(48  a.  II). 

"  Urkunde  von  1344  an  sant  Gylgen  abent  .  .  .  Maister  Vlrich  der 
Biedrer  der  Stetsohriber  ze  Auspurch.    (A). 

*  Dieser  Eintrag  behandelt  den  Fall  Sighart  des  Schreibers.  Der 
erste  Eintrag  über  diesen  Process  ist  von  Sie  1370  gemacht,  aber  durchge- 
strichen worden.  Auf  ein  besonderes  Blatt  nun  schreibt  ihn  Hagen 
(S17)  nochmals  in  etwas  veränderter  Fassung  ein  (Achtbuch  29a.  1. 1870 
inde    coUatione    Johann   Baptizae)  Si?   hört   vorher  im  Achtbuch  auf: 


300  Zweiter  Abachnitt.  54 

Jahr  1370.  S^^  erscheint  schon  1338  und  1344  als  Schreiber 
von  Urkunden.  S^^  schreibt  von  1367  an  bis  1390.  —  Das 
Ergebnis  ist  in  der  Hauptsache  folgendes:  19  Hände  sind  in 
der  Zeit  von  1268—1374,  als  städtischen  Schreibern  ange- 
hörig, unterschieden  worden,  von  denen  ich  S^  S^  Sg  S^  (S^?) 

^8  ^»  ^19  ^18  ^15  ^17  ^10  ^^B  Stadtschreiberhände,  die 
übrigen  als  Gehilfenhände  erkläre.  Die  Zahl  der  letzteren 
kann  sich  sehr  wohl  noch  bedeutend  höher  belaufen  haben, 
sie  sind  uns  nur  mit  den  verlorenen  Schriftstücken  zugleich 
unbekannt  geblieben.  Nur  wenige  von  den  Besitzern  dieser 
letzteren  Hände:  S^  S,  S^^  S^j  S^^  S^g  S^^  *  scheinen  zum 
Notar  aufgerückt  zu  sein;  bestimmt  glaube  ich  es  von  S^ 
(1292,  1296—1297  unter  der  Ägide  von  S«),  S^  gleichfalls 
unter  S,,  S^  (1308),  Sj,  (unter  Sg).  Desgleichen  scheint 
Ulrich  Biederer  S5  als  Gehilfe  seines  Vorgängers  thätig  ge- 
wesen zu  sein  (Urkunde  von  1338,  von  zwei  Händen  her- 
gestellt: angefangen  von  S^^,  beendet  von  S^,),  femer  Nicolaus 
Hagen  S^,,  wenn  auch  nur  kurze  Zeit  und  endlich  S^^,  welcher 
möglicherweise  dem  Maister  Hagen  während  der  ganzen  Zeit 
zur  Seite  gestanden  hat,  um  nach  dem  Tode  oder  der  Eme- 
ritierung des  Meisters  selbst  zum  Stadtschreiber  aufzurücken.  * 
Auf  ein  Nachfolgerverhältnis  im  Allgemeinen  deutet  wohl 
die  Formel  der  Nomination :  ^receptus  sum  in  notarium  civitatis.' 


26.  b.  1.  1.  in  A:  1367.  n.  Mitwoch  nach  fant  Jacobstag.  96.  b.  I.  2. 
in  B.:  an  dem  Sambztag  nach  fant  Gallen  tag.  1367.  61  e  setzt  ein: 
26.  b.  I.  2.  in  A :  an  dem  Donrstag  vor  fant  Elspeten  tag  1367.  94.  b. 
U.  1.  in  B.  an  dem  Donrstag  nach  fant  Gallen  tag  1367. 

^  In  Sio  glaube  ich  übrigens  die  Hand  des  Nachfolgers  von  Si«  1390 
bis  ins  15.  Jh.  hinein,  wieder  zu  erkennen.  Sie  ist  bemerkbar  durch 
ihren  eigenartipfen  Typus,  der  viel  eher  dem  16.  Jh.  angehört. 

'  Es  ist  immerhin  wesentlich,  zu  wissen,  dass  die  Gehilfen  nicht 
blos  in  vereinzelten  Fällen  eine  lange  Lehrzeit  durchmachen,  ehe  sie  zu 
dem  Stadtschreiberposten  gelangen.  Bei  vier  der  uns  bekannten  Stadt- 
schreiber erfahren  wir  von  einer  Gehilfenzeit  von  mindestens  zehn  Jahren: 
85:  1292—1803.  S9:  1808-1319.  Sit:  132l<-13dl.  Si«:  1338,  sicher 
von  1344 — 1369.  Für  die  Beurteilung  ihrer  Schreibproducte  ist  uns 
jedenüalls  die  Kenntnis  ihrer  Dienstzeit  bedeutsam. 


S6  Kanzleien  und  Schreiber  in  Augsburg.  gQl 

Was  schliesslich  noch  die  Frage  anlangt^  ob  der  G-ehülfe 
selbst  an  der  Herstellung  der  Urkunde  teilhaben  oder  dieselbe 
selbständig  ausführen  konnte,  so  halte  ich  dieselbe  durch 
den  Passus  der  Stadtschreiberordnung  hinlänglich  beantworteti 
indem  hier  dem  schüler  ein  Anteil  an  dem  Verdienst  des 
Meisters  zugesichert  wird  für  die  ürkundenanfertigung.  Da 
wir  zudem  nicht  wenige  Beispiele  kennen,  wo  eine  Urkunde 
nicht  von  der  Hand  des  uns  für  die  Zeit  bekannten  Stadt* 
Schreibers,  sondern  von  einer  Hand  geschrieben  ist>  welche 
zuweilen  dem  späteren  Nachfolger  des  jeweiligen  Stadtschreibers 
angehört,  so  ist  es  erwiesen,  dass  sich  die  Arbeit  des  Ge- 
hilfen nicht  auf  die  Zurichtung  des  Materials  beschränkt  hat. 
Die  mir  vorliegenden  Archivalien  bezeugen,  dass  der  Oehülfe 
private  und  Ratsurkunden  schreiben  durfte.  Bei  letzteren  ist 
seine  Thätigkeit  vermutlich  nur  Mundierungsarbeit  gewesen; 
bei  der  ersteren  Elategorie  war  eine  solche  durch  den  speziellen 
Wunsch  des  Auftraggebers  (Auetor  oder  Destinatar)  bedingt, 
da  wohl  eine  Reinschrift  mit  Mehrkosten  verknüpft  war. 
Mehrmals  stammen  von  der  Hand  des  Gehülfen  Duplikate: 
1317.  1  Urkunde  in  dreifacher  Abfassung: 

Sg  1317.  Samstag  nach  20.  Juli  unterzeichnet  nur  von 
einem  Bürgermeister  Hainrich  Ritfehart  1317.  am  selben 
Tage  .  .  .  Bürgermeister  Ritfehart. 

S^^?  1317.  am  selben  Tage,  unterzeichnet  von  dem 
zweiten  Bürgermeister  Herbort.  —  Einträge  in  das  Achtbuch 
durfte  der  Schreibergehülfe  gleichfalls  machen;  bevor  Hagen 
seine  Ernennung  zum  Notarius  civitatis  ankündigt,  hat  er 
schon  Achturteile  eingeschrieben:  66.  a.  ü.  Ego  (S^,)  .  .  . 
receptus  56.  a.  I.  Eintrag  v.  S^.^,  ebenso  11.  a.  IL  beginnt 
S^,  fortlaufend  zu  schreiben,  11.  a.  I.— IL  trägt  er  schon 
«in,  als  noch  S^^  schreibt.  Dasselbe  Verhältnis  besteht  bei 
Sj^^  und  S^Q. 

Wenden  wir  uns  nun  der  bischöflichen  Kanzlei  zu.  Wenn 
hier  meine  Ermittelungen  sowohl  im  Einzelnen  als  im  All- 
gemeinen weniger  vollständig  und  zuverlässig  sind,  als  die 
über  die  städtische  Elanzlei,  so  muss   ich  das  um  so   mehr 


302  Zweiter  Absohnitt  56 

bedauern,  als  ich  im  Weiteren  mehrfach  zu  dem  Ergebnis 
komme,  dass  die  uns  in  den  klerikalen  Urkunden,  namentlich 
den  aus  der  bischöflichen  Kanzlei  hervorgegangenen,  entgegen- 
tretende Entwicklung  der  Sprache  Momente  zu  yerzeichnen 
hati  welche  ein  Yoranschreiten  vor  der  städtischen  Kanzlei 
bedeuten.  Kurz,  es  wäre,  wenn  wir  über  die  Herkunft  und 
die  Schul-  und  Sprachbildung  der  bischöflichen  Schreiber 
belehrt  würden,  damit  einer  der  Pfade  gefunden,  auf  denen 
die  umbildenden  sprachlichen  Einflüsse  in  die  Schriftsprache 
der  augsburger  Kanzlei,  d.  h.  der  städtischen,  gedrungen  sind. 
Wir  sind  jedoch  gerade  mit  Namen  und  Personalnotizen  durch 
die  Quellen  so  schlecht  versorgt,  dass  auch  meine  Ausführungen 
nur  auf  weniges  beschränkt  sind. 

Die  Existenz  einer  bischöflichen  Kanzlei  ist  allerdings 
gesichert.  In  den  achtziger  Jahren  des  13.  Jhs.  geht  z.  B. 
neben  der  Hand  8^  der  städtischen  Kanzlei  eine  Hand  her, 
welche  nur  in  bischöflichen  Urkunden  erscheint.  Gesichert 
als  bischöflicher  Schreiber  ist  der  Träger  dieser  Hand  durch 
das  Mandatum  Hartmanni  episcopi  vom  21.  April  1289  (A. 
H.  f.  8) ;  er  kann  der  1288  ^  (öfter)  erwähnte  Chunradus 
notarius  noster  (sc.  des  Bischofs)  sein.  1289  erscheint  eine 
andere  Hand  in  einer  Urkunde  des  Bischofs  (A.  H.   9). 

1297.  31..  Juli:  ^  .  Ulricus  notarius  noster'  (Mon.  Boica 
XXXIII  a.). 

1320.  Wir 'Bischof . . ,  Maifter  Walther  vnfer  Schriber.'  (A.) 

1306.  19.  Januar  :  ^  .  .  H.  notarius  noster  (sc.  des 
Bischofs)  Scolasticus  fancti  Mauricii'  (Mon.  Boica  XXXIII.  a.) 

1354.  Christan  des  Domprobftes  Engelhart  von  Entzberg 
Schreiber  Korherr  von  St  Moritz.  (Mon.  Boica  XXXIII.  b.) 
1369:  Christan  von  Yotingen  genannt. 

1369.  'XIV.  kal.  obiit  Fridericus  dictus  Vltzelman, 
Notarius  domini  episcopi'  (Necrolog.  Aug.  Mon.  Boica  XXXV. 
I,  S.  83,) 

*  1288.  24.  April :  Wir  Kämerer  von  WeUenburch  .  .  .  Zeugen : . . . 
maister  Ghunrat  nnsers  heim  Schreiber  des  bifchofes  .  .  .  zugleich  mit 
Rudolf  dem  stetsohriber,  der  die  Urkunde  geschrieben  hat. 


67  Kanzleien  und  Schreiber  in  Augsburg.  303 

1379.  '.  .  .  Hermane  mins  Herren  Bifchoffs  Schreiber' 
(Achtbnch  114.  b.  II.) 

1336 — 1340?  ist  der  Schreiber  des  Bischofs  Heinrich  zu- 
gleich in  der  kaiserlichen  Kanzlei  thätig,  welche  eben  Heinrich 
als  Kanzler  leitet. 

3  Notare  des  Bischofs  gehören  zugleich  der  Familie  des 
Stiftes  St.  Moritz  an: 

1258.  29.  Dec.  \  .  .  per  Albertum  notarium  nostrum 
Ecclesie  fancti  Mauritij  nostre  Ciuitatis  canonicum  inde  con- 
ceptas  et  confcriptas  literas'  (Mon.  Boica  XXXIII.  a.  86.) 
1306.  19.  Jan.  ^  .  .  H.  Notarius  noster  Scolasticus  fancti 
Mauricii'.  1354.  Christan  des  Domprobstes  Engelhart  von 
Entzberg  Schreiber  Korherr  von  St.  Moritz,  (vergl.  oben). 

So  weit  die  sicheren  Ermittelungen.  Hypothesen  meiner- 
seits sind  es  nur,  wenn  ich  den  1313  in  einer  Urkunde  des 
Domkapitels  als  'magister  ülricus  dictus  Hofmaiger  tabellio' 
für  einen  bischöflichen  Kanzleibeamten  erkläre;  ein  ülricus 
dictus  Hofmaier  ist  in  dieser  und  der  folgenden  Zeit  bis  in 
die  30ger  Jahre  eng  zur  bischöflichen  Familie  gehörig  und 
tritt  in  den  meisten  Urkunden  des  Bischofs  und  denen  des 
Domkapitels  als  Zeuge  immer  in  der  unmittelbaren  Nähe  der 
als  Kleriker  charakterisierten  Zeugen  auf.  Belege  geben  in 
reicher  Menge  das  Urkundenbuch  und  Mon.  Boica  XXIII, 
XXXIII  a.  und  XXXIH  b.  —  Ein  Ülricus  dictus  Hof- 
maier  ist  1316  Judex  der  curia^  Augustensis  (M.  Boic. 
XXXIII),  wohl  derselbe  wie  der  vorher  genannte  tabellio. 
Sonst  führe  ich  noch  an:  1310  lY.  'Nonas  Octava  S.  Stephani 
obiit  magister  Ülricus  Nidlinger  quondam  notarius  de  Tek.' 
(Necrolog.  Aug.  Mon.  Boica  XXXV.  I  S.  4)  =  Krafft  von 
Kidlingen?  1297.  ^Krafbo  de  Nidlingen  maior  scolasticus' 
(S.  164)  dazu:  XVIII  kal.  Dec.  (1324-1333?)  'Conradus 
de  Wimpina  scriba  quondam  domini  Kraftonis  prepositi'  (1324 
bis  1333  vgl.  Urk.  1330  (M.  B.  XXXV,  134)  ordinatio  10., 
ordinatio  27  (S.  139). 

1311.  Nonas  Maias : 'Chunradus  mensurator  scriba  obiit' 
(Necrolog.  Aug.  Mon.  Boic.  XXXV  S.  50). 


304  Zweiter  Abschnitt.  68 

Ob  die  bischöflichen  Notare  sämtlicb  mid  gesetzesgemäss 
E^eriker  waren,  kann  ich  nach  dem  vorliegenden  Material 
nicht  entscheiden;  es  scheint  mir  sogar  eine  Urkunde  Yon  1303 
*C.  notarius  noster  Heinricus  Herbort  Cines  Aug.'  dagegen  zu 
sprechen ;  vgl.  dazu  die  Verordnung  des  Domkapitels  von  1320. 

Für  das,  was  sonst  noch  in  Augsburg  an  Schreibstuben 
—  ob  dieselben  Kanzleien  nach  meiner  Definition  sind,  muss 
ich  dahingestellt'  sein  lassen  —  nachweisbar  ist,  darf  ich 
mich  kurz  fassen,  da  ich  im  wesentlichen  auf  meine  Aus- 
führungen in  dem  Abschnitt  über  die  ürkundengeschichte 
verweisen  kann.  Wir  haben  für  das  bischöfliche  Korgericht 
und  für  die  Klöster  eigene  Schreiber  anzunehmen.  Für  St 
Ulrich^  finde  ich  1350:  Convent  von  St.  Ulrich:  .  .  .  Chun- 
radus  unser  Schriber.  (Mon.  Boic.  XXII,  1350  S.  97).  1352. 
Vogt  an  des  „Abbtes  Schriber  ze  sant  Ulrich''  (Mon.  Boica 
XXIII,  1352  S.  100).  Alles  Übrige,  was  den  Titel  „Schreiber« 
führt,  müssen  wir  den  Schreibstuben  von  Privatleuten  zu- 
weisen. Ich  habe  folgendes  ermittelt:  Langemantel  hat 
seinen  Schreiber.  In  einer  Urkunde  wird  ein  Überfall  einer 
Augsburgischen  Karavane  erwähnt,  und  unter  den  Überfallenen 
ein  ^schriber  Langemantels\  In  den  Baumeisterrechnungen  er- 
scheint 1330  häufig  ein  Budolfus  notarius  domini  Buedgeri 
(-Langemantel?)  (Baumeisterrechn.  a.  a.  O.  171,  178.)  1370. 
Volken  der  Volkweinin  Schreiber  (Achtbuch  104.  a.  I.)  1366. 
der  Schryber  by  Wernlin  dem  fmit  ze  Werttachprug.  (Acht- 
buch 76.  a.  II.)  1361.  t^lrich  Hüster  ettwenne  .  .  .  dez  Heuls 
fchriber.  (Achtb.  83.  a.)  1361.  Hans  Botbeck,  item:  fin 
Schriber.  (Achtb.  82.  a.  L)  1363.  Buflin  ...  dez  von  Tett- 
lingen  fchriber.  dazu:  1351.  Burchart  von  Tettlingen  ainem 
Chorherm  of  dem  Tum.  (65.  b.  I).  1340.  humus  des  hof- 
fchribers  knecht  in   des  kayfers*  hof.     Achtbuch  6.   a.   II). 

Die  im  Augsburger  Urkundenterritorium  auftretenden 
Notarii  publid  sind  in  dem  Abschnitt  über  Urkunden- 
geschichte behandelt. 

^  Das  Stift  St.  Ulrich  rekrutierte  eich  naoh  seiner  Gründaiig>  von 
Tegernsee  aus  lange  Zeit  mit  Brüdern  von  Tegernsee.  (vgl.  Oberbairisches 
Archiv.  I,  16  ff.)  "  oder  kayfers? 


59  Einzelne  Zeichen  and  Bachstaben.  305 

Einzelne  Zeichen  (Indizes)  nnd  Buchstaben. 

Es  ist  eine  meines  Erachtens  nicht  unwichtige,  aber 
immer  in  Untersuchungen,  wie  die  vorliegenden,  zu  wenig 
prinzipiell  beachtete  Frage,  wie  die  Schreiber  es  mit  dem 
graphischen  Ausdruck  von  einzelnen  Lauten  hielten. 

Handelten  sie  alle  nach  bestimmten,  allgemeinen  und 
durch  traditionellen  G-ebrauch  geregelten  Vorschriften?  Oder 
waren  verschiedene  Schulen  bestimmend  für  die  Schreibung? 
Oder  war  endlich  dem  einzelnen  Schreiber,  wenn  nicht  in 
allem,  so  doch  in  der  differenzierenden  Bezeichnung  des  einen 
Lautes  von  dem  sekundären  etwa  derselben  Lautfarbe  und 
in  der  Wahl  der  Mittel  dafür,  volle  Freiheit  gelassen? 
Meines  Wissens  ist  Rückert  ^  zuerst  dieser  Frage  näher  ge- 
treten, und  die  Resultate,  welche  er  aus  seinen  Beobachtungen 
über  die  von  ihm  untersuchten  handschriftlichen  Quellen  md. 
Schreiborte  in  seinem  ^Versuch  einer  System.  Darst.  der 
schles.  Mundart  des  Mittelalters^  zusammengestellt,  veran- 
lassen mich  an  dieser  Stelle  auch  meinerseits  zur  Kenntnis 
des  mittelalterlichen  Schreibgebrauches  einen  Beitrag  zu  liefern. 

Es  ergiebt  sich  mir,  wenn  ich  die  von  Rückert  ermittelten 
Zeichen  mit  denen  meiner  Quellen  vergleiche,  welch'  letztere 
—  von  vornherein  sei  es  gesagt  —  innerhalb  des  von  mir 
behandelten  Zeitraumes  ziemlich  einheitlich  angelegt  sind, 
dass  in  der  Grestaltung  gewisser  Zeichen  md.  und  oberd. 
(augsburgische)  Schreiber  von  ganz  anderen  Grundsätzen  aus- 
gehen. Es  liegt  im  Charakter  des  schwäbischen  Lautstandes, 
dass  er  einen  reichen  Schatz  von  Doppelselbstlautern,  darunter 
solche  mit  ausgesprochen  zweigipfliger  Betonung  besitzt,  und 
es  ist  darum  weiter  eine  natürliche  Forderung  des  Schwäbi- 
schen an  seine  Schreiber,  diese  Eigenart  zum  graphischen 
Ausdruck  zu  bringen;  daher  ist  es  fast  verwirrend,  wenn  in 
ausgeprägt  md.  Handschriften  unter  den  übergeschriebenen 
Zeichen  Formen  sich  finden,  welche  in  schwäbischen  Quellen 


^  Rückert:   Versuch   einer  systematisclieii  Dai^stellung  der  schlesi- 
sehen  Mundart. 


306  Zweiter  Abschnitt.  60 

an  den  gleichen  Stellen  verwandt  werden,  hier  jedoch  mit  der 
Bestimmung  einer  vokalischen  Geltung,  während  sie  an  jenen 
Orten  mit  derselben  Bestimmung  ausgestattet,  der  Aussprache 
zuwiderhandeln  würden. 

Gleich  die  am  meisten  auffallende  Erscheinung,  welche 
Bückert^  in  schlesischen  Handschriften  vor  dem  15.  Jh. 
findet,  ist  die  zeitweilige  Bezeichnung  des  i  in  mtn,  dtriy  rif, 
hilt,  tif  mit  t,  eine  Erscheinung,  die,  wie  er  am  gleichen 
Orte  feststellt,  nie  der  Aussprache  zukommt  und  darum  nur 
eine  ungeeignete  Form  des  regelmässigen  7ntn  .  .  .  darstellen 
kann.  Er  glaubt  deshalb,  dass  in  solchen  Fällen  kein  anderer 
Grund  massgebend  gewesen  ist,  als  die  beabsichtigte  deut- 
liche Unterscheidung,  einmal  des  vokalischen  i  oder  y  von 
dem  konsonantischen,  dann  des  i  von  einem  folgenden  n. 
Die  Art,  i  mit  dem  vermeintlichen  '  -f  eingesetzten  Punkt 
zu  schreiben,  pflegen  auch  die  augsburgischen  Schreiber 
unserer  Periode,  wenn  auch  zeitlich  und  örtlich  beschränkt. 
Hier  ist  jedoch  das  Zeichen  zweifellos  nur  der  durch  Be- 
schleunigung und  Verschlechterung  des  Schreibens  entstellte 
Buchstabe  e,  welcher  in  der  Regel  einen  gesprochenen  Laut 
versinnbildlichen  sollte,  und  nur  durch  Analogiewirkung  zuweilen, 
und  öfter  mit  Rücksicht  auf  die  Etymologie  des  so  ausgezeich- 
neten t  odery,  dem  Zeichen  für  den  gesprochenen  i-Laut  appliziert 
wurde,  wie  namentlich  in  den  Bildungen  auf  — t  aus  lateini- 
schem ta,  ohne  dass  mehr  als  ein  einfaches  i,  bald  eiy  zu 
hören  war.  Später,  bei  der  Besprechung  des  t,  wird  uns 
noch  die  Frage  beschäftigen,  ob  und  wann  dieses  über- 
geschriebene Zeichen  seiner  Geltung  nach  ein  e  vor  dem  i 
oder  hinter  ihm  ersetzen  soll.  —  Wenn  der  Schreiber  augs- 
burgischer Urkunden  aber  mit  dem  übergesetzten  e  eine 
solche  Beihilfe  dem  Leser  gewähren  wollte,  wie  sie  Bückert 
in  dem  L  vermutet,  so  hätte  er  seinen  Zweck  durchaus  ver- 
fehlt, da  einige  Schreiber  beständig  den  Index  nicht  über 
den  Yokalstrich,  sondern  über  das  folgende  n  setzen,  oder 
da  noch  andre  ganz  willkürlich  den  Platz  des  Zeichens  wählen. 

^  Rüükert  a.  a.  0.  S.  54. 


61  Einzelne  Zeichen  and  Baohstaben.  307 

In  gleichem  Masse  wie  für  das  e  über  t,  ist  für  das 
augsburgische  e  über  a,  o,  u,  in  gewissen  Situationen  der 
Zeichenwert  wie  auch  in  später  noch  zu  erörternden  Fällen^ 
der  Lautwert  eines  e  ausser  Frage  gestellt.  Zunächst  ist  es 
die  Gestalt,  welche  wie  in  der  Schreibung  über  i^  so  auch  in 
deijenigen  über  a,  o,  u  nach  Vergleichung  mit  dem  in  sorg- 
fältig geschriebenen  diplomatischen  Denkmälern  unserer  Zeit 
unverkennbaren  e-Zeichen  auch  ein  zwar  weniger  treffendes 
Bild  giebt,  doch  als  e  zu  gelten  beansprucht.  Es  müssen 
daher  die  späteren  Schreibungen  unserer  Zeit,  welche  die  Be- 
standteile des  e  als  zwei  nebeneinander  liegende  Striche  dar- 
stellen, durch  andere,  ich  möchte  sagen,  mundartfremde  Ein- 
flüsse zustande  gekommen  sein.  Am  nächsten  liegt  es,  als 
Ursache  an  die  Schriftstücke  der  kaiserlichen  Kanzlei  zu 
denken,  welche  in  jener  Zeit  besonders  häufig  und  eindring- 
lich den  augsburgischen  Schreibern  ihre  Schreibformen  zuge- 
führt hat.  Doch  muss  ich  auch  hier  die  Beobachtung  er- 
wähnen, dass  in  den  bischöflichen  Urkunden  der  vierziger 
Jahre  und  der  Folgezeit  namentlich  die  nachlässige  Schreibung 
der  Indizes  in  die  Augen  springt. 

Auch  das  andere  Bezeichnungsmittel  L  nimmt  am  Aus- 
gang unserer  Periode,  deren  Schriftzüge  hin  und  wieder 
schon  die  Gestalt  der  späteren  Zeiten^  tragen,  über  a  und 
selten  über  u  teils  die  unvollkommene  Bogenform  2,  teils 
die  zweier  unregelmässig  dachförmig  aneinander  gereihter 
Striche  mit  geringer  Krümmung  an.  An  den  Circumflex  der 
Anfangszeit  ist  dabei  kaum  zu  denken,  eher  ist  der  oft  dem 
r  übergesetzte  Bogen  —  und  auch  dieser  Schreibschnörkel 
ist  ein  Charakteristikum  der  kaiserlichen  Urkunden  der  Mitte 
des  14.  Jhs.,  —  welcher  genau  seinem  Aussehen  nach  dem 
i-Strich  gleicht,  dem  Index  zur  Seite  zu  stellen.  Die  Unzu- 
länglichkeit des  Materials  und  das  Fehlen  jeder  Aufzeichnung 
über  die  Orthographie  und  Kalligraphie  gerade  unseres  Zeit» 
raums,  die  aus  rudimentären  Anlagen  sich  allmählich  zu  einem 

*  So  Ss 7  in  den  sechziger  Jahren  des  14.  Jhs.  Stadtbach,  Meyer: 
Hand  X. 


308  Zweiter  Abschnitt.  62 

freieren  und  weniger  schwerfälligen   Ausseren    aufrang,    er- 
schweren  es   bedeutend,   im  Einzelnen   die  Bestimmung   der 
verwandten    einfachen   Unterstützungsmittel    zu   entscheiden. 
Nur  soviel  glaube  ich  vertreten  zu  können,  dass  die  betreffen- 
den augsburgischen   ürkundenschreiber  mit    den   mystischen 
Bogenstrichen   über   r  und  i  eine    geregelte   Differenzierung^ 
weder  bezweckten,  noch  es  für  erlaubt  hielten,  mit  denselben 
vollgültige  Vokalzeichen  {±  _°  über   a  und  u,   L  über  a)    zu 
ersetzen.     Es  ist  das  t  beispielsweise  die  schulmässig  gelehrte 
Form  des  einfachen  Lautes,   aber  es  ist  wohl  das   des  _C  er- 
mangelnde i  derselbe  Buchstabe,  unter  gewissen  Bedingungen 
auch  t  derselbe   Laut,   nicht  aber  ist   das  A,   selbst  in  ver- 
kümmerter Gestalt,  ebenso  wenig  wie  das  1.  ein  blosses  Hülfs- 
mittel,    wie    etwa  der   moderne    u-Bogen    und    der   i-Punkt, 
während  ich  in  der  schon  erwähnten  zeitweiligen  Gestalt  des 
Index-e  über  a,  o,  besonders  u  ohne  Bedenken  die  ürgestalt 
unseres  Umlautzeichens   :l   erblicke.  *     Ln  Übrigen  fallt  ja 
schwer  die  Macht  der  Tradition  von  einem  Schreiber  auf  den 
andern,    oder   ebenso    sehr   die    Gewohnheit,    Vorlagen   und 
Muster  zu  Grunde   zu  legen  und  sogar   auszuschreiben,    in 
die  Wagschale.     Es  ist  kaum  nötig  zu  erinnern,  wie  sehr  auf 
diesem  Wege  nicht  allein  die  Verwendung  gewisser  Zeichen, 
sondern  auch  die  Bilder  derselben  erhalten  werden,  nachdem 
sie  andern  Zeugnissen,  namentlich  Beimzeugnissen  zufolge  ihren 
früheren    Wert   längst    eingebüsst    haben.      Andererseits    ist 
gerade   am  Ende  unserer  Periode  in  den  Sprachdenkmälern 
Augsburgs  und  anderer  Dialekte  gleicher  Zeit  der  Gebrauch 
dieser  vokalischen  Unterscheidungszeichen,   wenn    auch    sehr 
weit  getrieben,   doch  mit  einer  Art  von  systematischer  Kon- 
sequenz durchgeführt,  welche  weniger  an  die  im  Grunde  regel- 
lose und  naive  Schreibweise  des  früheren  Mittelalters,   auch 
seiner  besten  und  sorgfältigsten  Schreiber,  als  an  die  doktri- 
nären Versuche  zur  Regelung  und  Feststellung  einer  deutschen 
Orthographie  erinnert,  wie  sie  lange  vor  dem  Auftreten  der 

'  Oft   zeigen  die  beiden  Striche  eine  deutlich  konkave  Rundung 
und  lassen  so  die  Absicht,  ein  o  zu  schreiben,  erkennen. 


63  Einzelne  Zeichen  und  Buchstaben.  309 

ersten  gedruckten  Grammatiken  beginnen.  Man  pflegt  Nyclas 
Yon  Wyle  als  den  ersten  dieser  Art  von  Schriftstellern  an- 
zusehen; aber  es  zeigt  sich  schon  aus  einem  sogleich  anzu- 
führenden Beispiele,  dass  er  nur  insofern  als  der  erste  gelten 
darf,  als  sein  Einfluss  auf  die  sogenannte  nhd«  Gestaltung 
der  deutschen  Schriftgebung  unläugbar  ein  sehr  weitreichender 
gewesen  ist,  während  die  vereinzelten  Versuche  anderer  keine 
Nachwirkungen  gehabt  haben,  dass  jedoch  solche  Versuche 
in  dem  Schosse  dieser  und  jener  Kanzlei  im  Stillen  sich  vor- 
bereiteten. Wenn  also  Nicolaus  Hagen  (S^,)  z.  B.  in  dem 
Wörtchen  ane,  welches  seit  langem  vor  ihm  in  der  Gestalt 
von  an  als  atm  geschrieben  wurde,  ausdrücklich  über  das  n 
ein  e  setzt,  so  kann  ich  darin  nur  die  Absicht  des  Schreibers 
sehen,  die  Apokope  des  e  gegen  den  mündlichen  Gebrauch 
nicht  anzueii^ennen  und  der  Gefahr  des  vollständigen  Ver- 
gessenwerdens  des  Schluss-e  durch  einen  graphischen  Kunst- 
griff vorzubeugen.  Dass  Hagen  zeitweise  eine  solche  Absicht 
zu  erkennen  gab,  erhellt  aus  anderen  Fällen,  in  denen  er  das 
in  der  Aussprache  kaum  noch  klingende  e  durch  Schreibung 
•  wahrte:^  1361,  29.  Sepi  mann  (d.  sing.)  (A.)  1351.  14.  Juni 
mann   (d.   sing.)    (A.)     Andere   Zeugnisse    reihen    sich    an: 

Achbnch;  14.  b.  I.  tr,frid(?)  in  difer  ftet  frid.  1349.  15.  a.  I. 
an  15  a.  II  im  —  an,  och  1350.   15  b.  I.  fraum  1351. 

unläugbar  liegt  auch  ein  System  in  der  Differenzierung 
des  u  und  v  im  Lauf  der  vierziger  Jahre  und  von  da  an. 
Während  bis  dahin  beide  Zeichen  unterschiedslos  bald  voka- 
lischen bald  konsonantischen  Zwecken  dienen,  wird  das  v 
schon  vor  dem  eben  erwähnten  Zeitpunkt  sichtlich  auf  die 
Stellung  im  Anlaut  beschränkt,   und  u  setzt  sich   mehr  und 


^  Die  Indizierung  scheint  in  den  meisten  Fällen,  vielleicht  sogar 
immer  nach  Vollendung  des  Wortes  erst  vorgenommen  worden  zu  sein; 
in  sehr  vielen  Fällen  nämlich  steht  der  Index  nicht  über  der  zugehöri- 
gen Basis,  sondern  wie  z.  B.  in  der  kaiserlichen  Urkunde  1322  (Berliner 

Staatsarchiv  804)  nutze,  gehurt,  nutzen,  fein  Begenljpurg,  Burch,  nach 
chuihen  über  dem  folgenden  Buchstaben.  Ebenso:  311  (Berliner  Staats- 
archiv): 1322.  2.  Febr.  tvh,  beftoHgen,     312.  1832:  war,  manniclich. 


310  Zweiter  Abschnitt.  64 

mehr  zur  Bezeichnung  des  Vokals  im  In-  und  Auslaut  fest. 
Hagen  nun  regelt  den  Gebrauch  beider  Zeichen  von  Tom- 
herein  dahin,  dass  t;  anlautend,  u  inlautend  und  auslautend 
den  Vokal  vertritt,  beide  jedoch  den  Konsonanten.  Hin  und 
wieder  erscheint  noch  v  als  Index  über  a  und  o,  zuweilen 
auch  u  an  dieser  Stelle.  —  Eückert  regte  seiner  Zeit  ^  hin- 
sichtlich der  verschiedenen  und  zahlreichen  Bezeichnungs- 
formen  des  u  die  Erklärung  au,  dass  dieselben  sehr  häufig 
nur  die  Funktion  einer  Sicherstellung  der  gewöhnlichen  Aus- 
sprache des  Buchstaben  als  eines  Vokals  haben. '  Neben 
der  an  und  für  sich  durch  die  Verwendung  des  t;  für  u  und 
V,  d.  h.  /,  hervorgebrachten  ündeutlichkeit  erforderte,  so 
meinte  er,  vornehmlich  die  verwirrende  Ähnlichkeit  der  Züge 
des  V  und  u  mit  n  eine  Abhilfe.  So  gern  ich  diese  Er- 
klärung des  geübten  Handschriftenkenners  auch  fär  die  augs- 
burgische  Orthographie  acceptieren  möchte,  so  sehr  scheint 
mir  doch  meine  Beobachtung,  dass  u  ohne  Bezeichnung,  aber 
mit  vokalischem  Wert  bei  weitem  am  häufigsten  vor  n  {tun, 
chunt,  aun,  prunnen,  surme  .  . .)  erscheint,  dagegen  zu  sprechen. 
Und  gerade  an  Stellen,  wie  prunnen,  würde  der  Wert  eines 
Index  als  beabsichtigtes  ünterscheidungshilfsmittel  sicher- 
gestellt sein,  da,  wie  spätere  Ausführungen  ^  darthun  werden, 
hier  ein  ti  oder  ü  vor  n,  nn  in  der  lebendigen  Sprache  ver- 
mieden wurde. 

Das  Zeichen  für  i  hat  lange  Zeit  in  der  Geltung  für 
modernes  j  in  seiner  ursprünglichen  Gestalt  gelebt.  Als 
schliessender  (d.  h.  wortschliessender)  Vokal  erhielt  es  schon 
früh    öfters    die  Form  j  {drij,    drj),   j  mit  konsonantischer 


>  Rückert:  S.  D.  d.  schl.  M.  d.  Mittelalters.     8.  57. 

*  In  gleicher  Weise:  Michels  in  der  Rezension  der  Schrift  Dreschers 
über  Hans  Sachs  ("Studien  zu  Hans  Sachs'.  Marburg  1691)  im  An- 
zeiger für  deutsches  Altertum  1892:  S.  356.  'Hans  Sachs  schreibt  also 
meistens:  Sun,  thünt,  kuntf  jung,  boccatiüs,  kuemren .  . .  Der  Grund  ist 
klar,  der  Leser  soll  vor  der  Verwechslung  von  n  und  u  bewahrt  werden.* 

firandstetter  deutet  &  oder  u  immer  als  uo:  R.  Brandstetter :  *Die 
Luzemer  Kanzleisprache'  in:  Geschichtsfreund  47.  1892. 

'  Abschnitt  über  ü  und  ü. 


66  Einzelne  Zeichen  nnd  Bachstaben.  811 

Funktion  ist  im  14.  Jh.  vertxeten  in  verjehen  1330.  Frietag 
vor  fant  Kathrinetag :  ^^  Wir  Afüttin  und  conuent  des  Clofiera  zt 
Altenmün/ier  —  S^  (A.  St.  St.  3).  Nachher  finde  ich  es 
für  den  fiest  unserer  Periode  nicht  mehr. 

Die  Unterscheidung  durch  grosse  und  kleine  Anfangs- 
buchstaben ist  keine  geregelte.  Es  machen  sich  sogar  zu 
verschiedenen  Zeiten  geradezu  befremdende  Schreibweisen 
geltend:  1325.  21.  Sept.  ge  Erbet  8^  (A).  1342.  23.  Juni 
ge  Bürde,  kaiserl.  (A).  1368.  ge  Rikt.  S^^  (Achtbuch  22  b). 
1370.  Er,  dErfelb  (=  derfelb).  S^^  (Achtbuch  27  b).  1371. 
vn  Engolten  (—  vnengolten).  S^^  (Achtbuch  28  b).  —  Für  die 
Sübenabteilung  beim  Wechseln  der  Zeile  giebt  es  auch  keine 
G-esetze.  S^,  teilt  chneht  in  einer  Eintragung  des  Acht- 
buchs (56.  a  I)  ab:  Zeile  33:  ch—  Zeile  34:  neht.  1349. 
M — aulers  (=  Maulers).  (69  a.  Achtbuch.)  In  den  internen 
Denkmälern  wird  zuweUen  über  den  Itand  hinausgeschrieben, 
in  den  Urkunden  nicht. 


21 


Dritter  Abschnitt, 

Lautlehre. 
ä:  Belege. 

Urk  un  den : 
städtische:  in   der  Eegel  a:    1282.   efwenne  —  wan.   S^. 
(E.  4).  —  1282.  ettewenne.   S^.  (A).  —  [1295. 
denne.  Kl.  (R.  X\.  4.)]  —  1319.  iSmen.  S,  (A). 

—  1319.  fwaenne.  S^  (C.  6.)  —  1319.  iemand. 
8^  (0.  6).  —  1320.  alter  (=  Altar).  S^  (C.  7). 

—  1323.  iemend.  S^  (0.  7).  —  darzu.  S^^ 
(A).  —  1331.  gehaebt.  S^g  (A).  —  1339.  gehebt 
Si8  (A).  —  1341.  altär.  Sj^  (A).  ~  1345. 
gehäven.  8^^  (A).  —  1348.  Aulhreht  — 
darzu.  Sj,.  (C.  9).  —  1362.  wann.  S^.  (E.  12.) 

—  1366.   darvmb.   ?   (A).   —    1367.   darumb. 

Sie  (A). 
bischöfliche:  1336.  gehebt.  (A).  —  1344.  Jemen^.   Domk. 

(G.  2).  —  1351.  fwann.  Domk.  (H.  22). 
Curia:  1331.  iemant,  gehebt.  Curia  (ü.  2).  —  1337. 
fwenn,  wann.  Curia  (U.  5). 
Klöster:  1295.  denne.  (R  X^.  4).  —  1323.  niemant, 
Aiktvn.  U.  (U.  2).  —  1324.  ieman.  C.  (C.  7). 
— -  1326.  iemant.  U.  (U.  2).  —  1326.  vatters. 
hl.  Cr.  (hl.  Cr.)  —  1331.  iemant,  gehebt.  Curia. 
(U.  2).  —  dar  nauch.  ?  (U.  3).  — 1337.  fwenn, 

—  wann.  Curia.  (U.  5).  —  1366.  darzu.  U.  (A). 

Spital:  1283.  ettewenne.  (A).  —  1284.  ettewenne  (A). 

» 
Stadtbuch: 

G-rundtezt  in  der  Regel  a:  niemen,  iemen  —  fwenne,  wan 
(beim  Komparativ),  danne  (nach  Komparativ), 
danne  (temporal),  (darüber,  davor). 


67  Lftutlehr«.  81S 

8^:  &.  '^  iemexme,  dane,  fwenne.  ^^  S^:  fwenne, 
danne.  *«-  83:  ieman,  nieman  —  danne.  — 
Sj,:  gehebt,  (-- ufgehebt)  (160  a).  —  1868. 
waniL  Sj^  (156  b).  -^  davon,  daramb,  darzA 
(160a).  —  diNTon  (I49a)  deryon  ...  —  Sj^: 
dorumb  (164  b).  dorzu. 

Achtbucb: 

Durchaas  a.  -^  Dehnung  einmal  in:  1868. 
uzlaigot.  Sje  (96  a).  von  1369  an  wird  dor- 
Eegel:  1373.  dor  vmb  . .  .  S^«  (29 b).  —  1346. 
Bavnwol£  Sj,  (64  b). 

ä:  Geltung* 

Der  Lautwert  des  ä  wird  den  Belegen  zufolge,  wenn  es 
nicht  zu  ä  gedehnt  wurde,  in  den  Grenzen  unserer  Periode 
nicht  über  einen  kurzen  a-Klang  hinausgegangen  sein,  mit 
einer  geringen  Neigung  zu  0  in  gewissen  Stellungen,  welches 
der  Schreiber  zu  markieren  nicht  anstand  vor  /:  ffefelfchofte.  ^ 
Jenes  von  Staub  ^  aufgestellte  G-esetz,  dass  ä  vor  Nasal  -|- 
Spirans  zum  Diphthong  wird,  scheint  nicht  auf  das  augs- 
burgische ä  angewendet  werden  zu  dürfen.  Einmal  nur  treffen 
wir  auf  die  Schreibung  Aulbreht  in  einer  Urkunde  von  1348. 
Wenn  wir  in  dieser  Silbe  Aul-  nicht  von  vom  herein  die 
Zasammenziehung  aus  Adal-  erblicken  und  dem  Schreiber  die 
Kenntnis  von  diesem  Vorgang  zutrauen  wollen,  so  läge  aller- 
dings nur  eine  Möglichkeit  vor,  für  dieses  a  die  Berechtigung 
der  Schreibung  au  zu  erklären,  nämlich  in  dem  u  einen  durch 
die  Verbindung  des  a  mit  dem  folgenden  l  erzeugten  Beduk- 
tionsvokal  zu  sehen,    der  einmal  infolge   der  Prädisposition 


^  Tgl.  die  Belege  bei  ümlaat  von  ä  und  gdoff'en  far  geUmfeni 
(fltf  ^0  vor  f)  im  Aohtbucb,  Stadtbuoh  und  bei  Freseant:  gdofen  — 
offmk  in  dem  Abschnitt  über  Diphthong  0«  (ah),  vergl.  dagegen:  Wein- 
hold alem.  Gr.  §  337. 

*  Fr.  Stanb:  ein  K^weizerisdhoalamannischeB  Lautgesetz  in  From- 
mann:  Mundarten  Bd.  7. 

21* 


314  Dritter  Abschnitt.  6B 

der  Liquida  l  usd  dann  infolge  der  G-ewohnheit  der  Zeit  — 
in  dem  Jahre  1348  ist  au  für  a  beliebt,  wie  wir  später  sehen 
werden  —  das  Zeichen  u  erhielt.  Letztere  Annahme  scheint 
mir  am  meisten  angezeigt,  da  weder  frühere  noch  spätere 
Stellen  unserer  Periode,  wenn  sie  den  Namen  Albert  oder 
Albreht  aufweisen,  ihn  anders  als  in  der  Schreibung  mit  a 
geben.  Wenn  wir  berücksichtigen,  dass  bei  der  Schreibung 
eines  Nomen  proprium  die  Tradition  schwer  ins  Gewicht  fallt^ 
und  wir  oft  eine  archaistische  Schreibung  vor  uns  haben,  in 
unserem  Falle  die  Tradition  aber  gerade  auf  die  Form  AI- 
d.  h.  a  hinweist,  so  gewinnen  wir  in  der  vorliegenden  Form 
das  erste  Zeugnis  dafür,  dass  der  Schreiber  S^,,  wo  es  anging, 
die  Tradition  zu  durchbrechen  sich  nicht  scheute. 

Anders  allerdings  scheint  es  sich  von  vom  herein  mit  der 
allzuhäufig  wiederkehrenden  Schreibung  ^iemen*  zu  verhalten; 
das  Wort  ieman,  nieman  gehört  viel  zu  sehr  dem  alltäglichen 
Leben  an,  als  dass  seine  in  den  Quellen  gebotene  G-estalt 
aus  Vorlagen,  d.  h.  der  schriftlichen  Tradition  entnommen 
worden  wäre,  etwa  wie  man  es  von  den  vorhin  besprochenen 
Begriffen  mit  «==  fchaft,  welche  überdies  durch  ihre  juristische 
Bedeutung  vorzugsweise  bei  Benutzung  einer  Vorlage  in  die 
Augen  fallen,  behaupten  könnte.  Da  zumal  die  seit  1319 
erscheinende  Form  des  ^ieman'  mit  der  früher  alleinherr- 
schenden ieman  auch  in  ein  und  derselben  Urkunde  zu  ringen 
scheint,  so  dürfen  wir  mit  genügendem  Grunde  eine  Laut- 
wandlung, infolge  einer  Tonverringerung  des  zweiten  Bestand* 
teils  ^=  man*  schon  für  den  Anfang  des  14.  Jhs.  annehmen  ^» 


'  Im  Gegensatz  zu  der  Tonverringerung  hat  üch  eine  Dehnung  des 
kurzen  Lautes  in  Stammsilben  eingefunden,  ein  Vorgang,  welcher  der 
Kehrzahl  der  Beispiele  nach  durch  die  logischen  und  rhythmischexk 
Stellungen  des  Wortes,  die  übrigens  der  Natur  der  Sache  nach  häufig^ 
zusammenfallen,  hervorgerufen  zu  sein  scheint.  Bedingungslos  wenigstens 
dürften  nicht  z.  B.  Schreibungen  wie  1826.  (hl.  Cr.)  väUera  entstanden 
sein.  Am  meisten  kommt  diese  Dehnung  in  den  umgelauteten  Formen 
zum  Vorschein.  Dem  Taktgefühl  des  Schreibers  war  es  natürlich  über* 
lassen,  ob  er  dem  Leser  im  Einzelnen  durch  den  schriftlichen  Ausdruck 
eine  solche  Beihilfe  zu  teil  werden  lassen  wollte  oder  nicht. 


69  Lautlehre.  315 

ä:  Bezeichnimg. 

Die  konservative  Haltung  des  Lautwerts  des  ä  hat  die 
schriftliche  Wiedergabe  auf  das  Zeichen  a  hingewiesen,  welches 
demnach  nicht  allein  traditionell  ist,  sondern  in  erster  Linie 
die  geltende  Aussprache  trifft.  Wenn  auch  die  klerikalen 
Schreiborte  zu  keiner  Zeit  und  an  keiner  Stelle  einen  Versuch 
machen,  andere  Schriftzeichen  für  ä  zu  finden,  so  dürfte  dies 
allerdings  der  in  den  Klöstern  vornehmlich  gepflegten  Schreib« 
tradition  zuzurechnen  sein,  aber  auch  den  Schluss  gestatten, 
dass  den  klerikalen  Schreibern  keine  andere  Aussprache  des 
ä  geläufig  gewesen  sei.  Das  ä  ist  also  als  gemeinschwäbisch 
anzusprechen.  Die  Schreibungen  iemen,  ieman  sind  schon 
klar  gestellt.  Einer  Erklärung  bedarf  noch  die  Form  Aikivn 
1323 ;  sie  gehört  einem  Schreiber  von  St.  Ulrich  an  und 
kommt  nur  hier  vor.  Der  Charakter  dieses  ai  für  a  ist  ein 
unsicherer  und  lässt  mehr  als  eine  Deutung  zu.  Diphthong 
€i  ist  als  Schreibung  für  ä  in  diesem  Wort  belegt,  es  scheint 
an  folgendes  palatales  g  oder  an  cht  gebunden.  Die  Belege 
dafür  gehören  dem  14.  und  16.  Jahrhundert  an  und  fallen  meist 
auf  Ripuarien  ^.  Es  geht  parallel  dem  ei  für  Umlaut  des  a  *, 
häufiger  im  md.  als  im  Oberdeutschen.  Haben  wir  jedoch 
in  aikthn  ein  gedehntes  a  vor  uns,  —  etwa  infolge  des 
stärkeren  Gewichtes  ^  welches  ihm  beim  Diktat  mit  Bücksicht 
auf  seine  determinierende  Eolle  im  Bechtsgeschäft  gegeben 
wurde  — ,  so  reiht  sich  aiktvn  als  ein  Zeugnis  für  die  alte 
Oleichwertigkeit  von  d  und  ei  im  Yolksmunde  dem  Beime 
des  Teichner  an:  Lieders.  63,23:  entweicJi:  sprach,  den  Wein- 
hold anzieht;  allerdings  weisen  die  aus  alamannischen  Liedern 
des  14.  Jh.  an  gleicher  Stelle  angeführten  Beime:  ran:  an^ 
^chän :  an  ^  nur  auf  die  Neigung  des  ei  als  d  zu  erscheinen, 
hin.  Ich  bin  darum  eher  geneigt,  in  diesem  ai  und  d  des 
Schwaben    und    Alamannen   zwei    sich    in    einem   Mittellaut 


^  Weinhold:  mhd.  Gramm.  §  104. 

*  Weinhold:  mhd.  Gramm.  §  90. 

*  Die  durch  die  Endung  —  H  erzeugte  Fülle  des  ganzen  Wortes 
«pricht  dafür.  *  Weinh.  AL  Gr.  §  34.  B  Gr.  §  39. 


319  Dritter  Absohnitt.  70 

begegnende  Laute  zu  hbreüf  etwa  ein  a  mit  unbestimmtem 
nachklingendem  e :  a*.  Im  Übrigen  ist  die  Form  so  lange 
Ton  keiner  Sedeutnng  für  Augsburger  Sprachgebrauch,  als 
die  Herkunft  des  Schreibers  aus  Augsburg  nicht  feststeht. 
Derselbe,  ein  Schreiber  von  St.  Ulrich,  stand  möglicherweise  in 
Beziehung  zu  dem  Kloster  Tegemsee^.  Auch  weicht  die 
Schreibung  der  Urkunde  in  andern  Stücken  von  der  gleich- 
zeitigen augsburgischen  Schreibung  ab:  ein  leut  hatte  z.  B. 
1323  keine  städtische  Urkunde.  —  Mit  Bücksicht  auf  die  heutige 
gemeinschwäbische  Aussprache  echt^  die  zweifellos  schon  im 
15«  Jh.  vorhanden  gewesen  ist  (Mörin  2831  echt:  gebrecht^ 
3039:  echt:  brecht),^  entscheide  ich  mich  für  ai  »=  Wider- 
gabe  des  ae  (oflfenes  e  =  $)  ^.  a  in  den  Flexionssilben,  Affixen 
und  Präfixen  wird  in  dem  Abschnitt   über  diese  behandelt» 

Umlaut  Ton  ä:  Beleget 

Urkunden: 
städtische:  e,  ae,  &j  ä. 

1272.  ffilUv,  hete  (c.)  S^  (U.  11,  1).  —  1277. 
Stet  (g.),  hete  (c.)  S,  (A).  —  1280.  ftet  (d.) 
Sg  (A).  —  1282.  ftet  (g.),  elliv  S,  (A).  — 
1282.  aelUv  S^  (H).  —  1283.  17.  Dec: 
alliv,  hete  (c.)  Hat  (d.),  ftet  (g.)  dumeht- 
lichen  S,  (A).  —  1283.  4.  Oct.  Aecher  Sj, 
(A).  —  1294.  gaentzlich,  ftat  (d.)  S,^  (R. 
X.^  6.).  —  1294.  gsentzlich  S5.  —  1295. 
1.  Jan:  Elteste,  —  halbiv  Sg  (U  1).  —  1296. 
21.  Sept:  ftat  (d.),  ftet  (g.)  »Iliv  S,.  —  1295. 
16.  Oct:  alliv  S3  (A).  —  1295.  26.  Oct:  het 
(c.)   Stet   (g.)   Sj.  —  1295.   6.   Dec:  ftat   (g.) 


^  siehe  oben  S.  57  Aniii.  1. 

*  vgl.  Weinh.  al.  gram.  b.  807.    Qrimm:  Gram.  1',  279. 
'  Über    die   orthographische  Bezeichnung   der   beiden  Laatfeu'ben 
(geschlossenes  und  offenes  e)  des  e  im  mhd.  TgL  Weinhold:  al.   gram. 

§§  12  ff. 

^  Die  Anmerkungen  in  Klammer  bedeuten :  g.  ««  Oenitiy^  d«  :*>  Datir, 
G.  ^  Conjunctir. 


71  LantJelire.  817 

85.  —  1296.  vsBtterlich  S»  (R.  X|,  4,  6). 
=  1296.  väterlich  S^  (R.  X|,  6,  5)  —  1296. 
burgefchefte   (d.)  S^    (A).  —  1297.   altiy  S^. 

—  1298.  elHv  S3.  —  1298.  het  (c.)  S^  (G.  1). 

—  1299.  elUv  83  (A).  —  1299.  8tet  (g.) 
83  (St.  1.)  —  1300.  dorfmengin,  gevellet, 
83  (C.  5).  —  1301.  8tet  (g.)  —  8tat  (g.)  — 
SB  83  (B.  10).  —  1301.  SBkker,  Ekkeren  8t. 
U.?  (U.  2).  —  1303.  gefeifchofte  83  (0.  5).  — 
1304  gifelfchoffte,  flelliv  zinfvellick,  83  (A).  — 
1305.  galtnvzze  83  (A).  —  1305.  sendriT  83 
(C.  6).  --  1305.  15.  Oct:  8ch6ffel  83.  —  1306. 
4.  Febr. :  haer  83  (8t).  —  1806.  5.  Juni:  gsentz- 
lichen  8tet  (g.)  8,  (U.  2).  —  1306.  5.  Aug. 
gentzlichen,  selliv  83  (A).  —  1308.  ziufuellick 
8^  (A).  —  1309.  8tat  (g.  und  d.)  gewerfch6ffte 
83  (A).  —  1311.  alliv  8^  (R.  X^,  6,  5).  ~ 
1311.  aelliu  83  (A).  —  1313.  gBBntzlich,  Lange- 
maentel  8,  (H.  14).  —  1316.  msengen  83  (A). 

—  1317.  msenglich,  zinfvellich  83  (A).  —  1317. 
8tet  (g.)  83.  —  1317.  ftetfchriber  83.  —  1317. 
gyfelTcheft  83  (C.  6).  —  1318.  8tat  (g.)  »lliv 
83  (U.  2).  —  1320.  zinfvelUch  8^  (A).  — 
1322.  4.  Juli :  wilmeden  8^  (A).  —  1322.  13. 
Juli:  gserten,  sekeren  83.  —  1323.  Stetfchriber, 
gffintzlich  83  (C.  7).  —  1324.  24.  Febr. 
elliy  8^^  (A).  —  1324.  24.  Febr.  gsentzlich, 
ftet  (g.)  813  (A).  -  1324.  »lliv  83  (0.  7).  — 
1325.  Welffiers,  Wselferin  Sjo  (A).  —  1326. 
aUiv  8,1  (C.  7).  —  1328.  8tat  (d.)    8,,   (A). 

—  1329.  h©t  (c.)  83  (H.  16).  —  1329.  Febr. 
8tatfchriber,  alliv  83.  —  1329.  Mai:  alliv,  zinf- 
ueUig  83  (A).  —  1330.  gaentziv  83  (8t.  3).  — 
1330.   beten  (c),   erweltun,   salliu  8^3   (ü.  ü). 

—  1330.  beten  (c),  aelliu,  erweltun  8^^.  — 
1330.  Aecberen,  ftet  (g.)  83  (C.  7).  —  1330. 


318  Dritter  Abschnitt  72 

Sch5ffel  S^.  —   1331.  Schwanftetten  S,  (A). 

—  1331.  ftsBt  (g.),  gehaebt,  S^.  —  1331.  Stet 
(g-)  S,.  —  1332.  Stet  (g.)  Ekker  S^^.  —  1383. 
älliy  Sjj.  —  1333.  hilbiy  S^,.  —  1333.  nihften 
Si2.  —  1333.  wifm6dern,  S12  (C  9).  —  1333. 
Schoffel  Si,  (0.  9).  —  1333.  selliv,  wihen- 
nähten  S^a  (U.  II.)  —  1335.  Höhfteten,  aller- 
mffihtigoften,  Elteften,  Geburfcheft  (d.),  S,g  (U.  5). 
het,  zinfuellig,  Stet  (g.)  S^^.  —  1336.:  e:  — 
Aekker,  KsBterinen  S^q  (A).  —  1337.  gsentz- 
lichen,  fchoffel  S^g.  —  1337:  e:  S^g.  —  1338. 
g»ntzlichen,  Stet  (g.)  S^^  (U.  5).  —  1338. 
Aekkern  S^g  (A).  —  1339.  selliu,  Gens,  gehebt, 

schoBffel  S,,.  —  1339.  befchäche,  Akker  S^^. 

—  1342.  Stat  (g.)  —  Stet  (g.),  gentzlichen 
S,5   (R.  XI  42^.)  -  1345.  gehäven  S^^  (A). 

—  1345.  AlKv  Sie  (H.  20),  —  1345.  aUiv  S^, 
(R.  X|  10,3).  —  1345.  alliv  S^,.  —  1345. 
hÄtt,  ürftende  S^,  (A).  —  1346.  gantziv  S^, 
(H.   20.)  —  1347—1353:  e:   allermechtigsten. 

—  1354.  Schoffel,  pfenden  S,,  (A).  —  1355. 
weihennehten  S^,.  —  1357.  fch6ffel,  Aecker, 
gens,  elliu,  wibennShteD,  fiomgdrtlin  S,,  (C.  6). 

—  1358—1374:  e. 

bischöfliche:  1282.   helblinch,   Stet  (g.),  hete,   w&genn  (pl.) 

—  maniger  (R.  X|,  4,  3)  —  1296.  alliv,  — 
8ß  (R.  X^,  5,  7).  —  1305.  tsBglich,  ganzlichen 
(R.  X^,  6,  4).  —  1313.  genzelich  (H.  14).  — 
1333.  erweiter  (A).  —  1336.  gehebt  (A).  — 
1338.  Kaiser:  Enger,  Bestetter  (bisch.  S.)  — 
1342.  hangut  (H.  20).  —  1345.  gens.  —  1350. 
gentzlich  (H.  22). 

Curia:  1320.  alliv,  (Curia)  (G.  2).  —  1327.  »Uiu,  zinf- 
uellich  (Curia)  (A).  —  1331.  gehebt  (U.  II). 
1331.  alliv,  vellich,  gehebt.  —  1337.  selliu, 
hffitan  (U.  5).  — 


73  Lautlehre.  319 

Klöster:  1301.  sekker,  Ekkereo,  St.  ü.  (ü.  3).  —  1306. 
geifelfchefft  (d.),  selÜT  St.  ü.  —  1323.  zinfuellich 
St.  U.  —  1303.  aigenfchefft  (d.),  elliv.  St.  0. 
(C.  6).  —  1325.  sbIUt.  St.  C.  (C.  7).  —  1306. 
e:  —  St.  St.  (A),  —  1312.  Abbtiffin,  Stat  (g.) 
St.  St.  (H.  13).  —  1311:  eUtfchten,  bitte  (c) 
hl.  Cr.  (hl.  Cr.  4).  . 
Stadtbuch:  überwiegend  e:  G-rundtext  (S^):  galtnuzze  — 

almsehtigen,  brache  (c.)  —  brseche  (c.)  —  Sgl 
e  — :   galtüYsse.  —  Sj^:   e  — :   flaishmanger. 

—  Sj,:  nur  e:  Sj^:  erkent  2  X  (Particip- 
pr»t.)  1374.  (154b). 

Achtbach :A.  1339.  Aemmsennin   S^^    (6   a.   II).    —    1340. 

SchrsBmmyn  S^^  (6  a.  I).  —  1340.  Stet  (d.), 
Stat  (d.)  Si5  (6  b.  II).  —  1342.  Aychfteter 
Sj5  (8  a.  II).  —  1343.  Aemmenin  ( —  Amman) 
Sjft  (9  b).  —  gantzir  S^^  (10  a).  —  1346. 
vffert  Sj,  (11  a).  —  Stat  (d.)  S„.  —  1360. 
Stet  (d.)  Sj,  (15  a).  —  1352.  gelembt  S^, 
(16  a.)  .  .  .  —  1357.  Fleschheckel  (n.  pr.)  — 
1363.  Henflin  Si,  (23  b).  —  1365.  Langen- 
mentlin  S„  (24  b).  —  e.  —  1360.  falfchlich 
S„  (22  b.) 
B.  1342.  gantziv  S^^  (50  a).  —  134  2.gantziT  S^^ 
(50  b).  —  .  .  .  1346.  gantziv  Sj,  (56  a).  — 
heite  (c.)  S^,  (56  a).  —  1349.  verritei^  S„ 
(64    a)     —      1352.     fchanckt    S^,     (70    a). 

—  1355.  flefchheckel  (n.  pr.)  (72  b).  — 
1371.  Gentziü  Sie  (102  a.)  —  1354  gentziv  S„ 
(71  b). 

e:  Umlant  yon  ä:  Geltnng. 

Es  ist  zu  scheiden  zwischen  einem  Umlaut  älterer  Ent- 
wicklung und  einem  jüngeren  Umlaut.  Die  feste  Abgrenzung 
beider  Erscheinungen  in  den  augsburger  Urkunden,  wie  in 
den  meisten  anderen  gleichzeitigen  Denkmälern,   wird  durch 


310  Dritter  Abschnitt.  74 

Ungenauigkeit  der  sclirifUiclieii  Bezeicfanung  fiehr  ertehwert. 
Dieselbe  ist  doppelter  Art.  Einmal  wird  sehr  häufig  ein 
Umlaut  gar  nicht  geschrieben,  der,  wie  mit  grösster  Wahr- 
scheinlichkeit vermutet  werden  kann,  gesprochen  wurde;  dann 
finden  sich  die  gewöhnlichen  Zeichen  f&r  diesen  Lautwandel 
gelegentlich  auch  da  ein,  wo  man  nach  der  Geschichte  und 
dem  Ursprung  des  Lautes,  nach  seinem  sonst  bekannten  Werte 
in  der  Sprache  der  Zeit  und  nach  seiner  späteren  G-eltong 
gegründete  Ursache  hat,  einen  reinen  Vokal  zu  erwarten. 
Will  man  sich  blos  an  den  geschriebenen  Buchstaben  halten, 
so  würde  in  solchem  Falle  überall  ein  unumgelauteter  Vokal 
anzunehmen  sein,  und  so  wäre  diese  Frage  wenigstens  von 
einer  Seite  leicht  genug  gelöst.  Da  sich  aber  ein  allmähliches 
Vordringen  des  Umlautes  innerhalb  einer  verhältnismässig 
nicht  sehr  weit  ausgedehnten  Periode  des  nach  unsem  Zeit- 
raum fallenden  Teils  des  Mittelalters  und  bei  dem  Beginn  der 
Neuzeit  durchschnittlich  nachweisen  lässt,  so  darf  man  schliessen, 
dass  der  Umlaut  auch  in  jener  älteren  Periode  nicht  auf 
einmal  aufgetreten  sein  wird,  in  dem  Umfange  etwa,  als  er 
am  Schlüsse  des  Mittelalters  schon  erscheint.  Dass  aber  um- 
gekehrt auch  in  unseren  Sprachquellen  Umlaute  häufig  gar 
nicht  bezeichnet  sind,  ist,  wie  schon  bemerkt,  nach  dem 
Schreibgebrauch  der  ganzen  Zeit  als  nur  zu  begreiflich  an- 
zusehen. Es  lässt  sich  daher  aus  diesem  Material  kein 
zwingender  Beweis  für  den  einzelnen  Fall  annehmen.  Wenn 
wir  in  ein  und  demselben  Denkmal  allerdings:  allith  cMiu 
und  eUiu^  nebeneinander  finden,  so  setzen  wir  voraus,  dass 
überall  derselbe  Laut  gemeint  ist,  und  dass  nur  die  Ortho- 
graphie schwankt.  Dies  im  allgemeinen  über  die  Ausdehnung 
des  Umlauts  von  ä  in  den  augsburgischen  Denkmälern  und  ' 
der  Mundart  der  gleichen  Zeit.  Wie  stellen  sich  hier  die 
einzelnen  Falle  dazu? 

Der  ältere  Umlaut  ist  durch  ein  i  der  folgenden  Silbe 
erzeugt,    und   die    Schreibung   verstösst   nie   dagegen.     Der 


*  Stadtbuch  v.  Angsb.:  Ghrundtext  (S^). 


76  Latttiefare.  321 

jüngere  Umlaut,  der  seinen  Anfang  im  Mhd.  genommen,  ist 
1272  in  Augsburg  schon  zweifellos  vollzogen.  S^  bietet  nur  um- 
gelautetes  a;  darunter  ceütUy  welches  Grimm  ^  als  Umlaut  nicht 
anerkennt.  Dieses  cbIUu  ist  überwiegend  in  der  ganzen  Periode 
unter  den  Schreibungen  für  fem.  und  neutr«  plur.,  daneben 
elliu  sehr  häufig,  weniger  (dliuj  letzteres  vorzugsweise  in  ür« 
künden,  welche  gar  keinen  Umlaut,  oder  nur  spärlichen  auf- 
weisen. Mit  Rücksicht  darauf  und  femer  veranlasst  durch 
die  weiteren  Zeugnisse  für  Umlaut  durch  tu,  indem  sich  gcmtziu 
(1330)  amdrii  (1305)  zur  Seite  stellt,  möchte  ich  entschieden 
für  einen  beabsichtigten  Umlaut  eintreten.  Die  Schreibung 
unterstützt  mich  weiter  auch,  wenn  sie  z.  B.  in  einer  Urkunde 
von  1333  neben  nahsten  auch  alliu  mit  -^  ausstattet,  mithin 
eine  Gleichbehandlung  des  alliu  mit  anderen  Umlautgelegen- 
heiten dadurch  kennzeichnet,  dass  sie  ihm  alle  zur  Verfügung 
stehenden  Zeichen  zu  teil  werden  lässt.  Wir  haben  in  allen 
diesen  Fällen  m^  der  von  Weinhold  ^unechter  Umlaut^  ge- 
nannten Trübung  des  ä  zu  thun,  welche  im  alamannischen 
Dialekt  vorzugsweise  häufig  gefunden  wird.  Unsere  Quellen 
geben  jenen  Laut  mit  allen  verfügbaren  Zeichen,  vorherrschend 
aber  mit  e,  ohne  dass  sich  erkennen  lässt,  wie  er  sich  in  der 
Aussprache  von  den  verschiedenen  anderen  e  getrennt  hat. 
Es  versteht  sich  daher  von  selbst,  dass  zur  Feststellung  der 
Geltung  der  Vergleich  mit  den  späteren  Spracherscheinungen 
von  grosser  Wichtigkeit  ist,  zumal  gleichzeitige  Reime  nicht 
aufzuweisen  sind.  Zunächst  liegt  das  16.  Jh.  Für  dasselbe 
führe  ich  die  Resultate  Bohnenbergers  an,  der  bei  seinen 
Untersuchungen  für  Augsburg  keine  Abweichung  vom  gemein- 
schwäbischen Stand  ansetzen  zu  dürfen  glaubt.  Die  Geltung 
ist  darnach  wesentlich  die  gleiche,  wie  noch  heute. 

Es  erhebt  sich  nun  die  Frage :  unter  welchen  Bedingungen 
durfte  im  Augsburgischen  dieser  unechte  Umlaut  des  ä  ein- 
treten? Indem  ich  mich  an  die  in  Germania  Bd.  XXXIV, 
197.  von  Bohnenberger  veröffentlichten  Untersuchungen  über 


^  Grimm.  Gr.  I*  745. 


822  Dritter  AbBchniH.  76 

'schwäbisch  e   als  Vertreter    von   mhd.  ä'  halte,  stelle  ich 
folgende  Fälle  auf,  in  denen  Umlaut  eingetreten  ist :  ^ 

1.  Plural  von  Substantiven :  die  Nomina  haben  durchweg 
Umlaut  da,  wo  ihn  heute  die  Schriftsprache  fordert,  und 
einmal  in  w&germ  (1282  bisch.),  wo  ihn  sowohl  die  Schrift- 
sprache, als  auch  die  Mundart  nicht  hat.  * 

2.  Adjektiva  auf  -ig,  -lieh,  -em,  -er.  Die  Adjektiva  auf 
-ig,  -eg  zeigen  durchweg  Umlaut:  maniger  1282  (bisch),  steht 
vereinzelt.  —  Die  Adjektiva  auf  -lieh  schwanken  in  der 
Schreibung:  1290.  garUzlich  1294.  gcentzlich  S3,  vergl.  die 
Belege«  Die  B.eihe  ergiebt,  dass  vorzugsweise  diejenigen 
Adjektiva  auf  -ig  umgelautet  wurden,  welchen  umgelautete 
Substantive  zur  Seite  standen.  Und  umgekehrt.  ^  Von  den 
adjektivischen  Bildungen  auf  —  er  kommen  die  von  Orts- 
namen abgeleiteten  in  Betracht,  deren  zweiter  Bestandteil 
'Stetter  ist ;  hier  besteht  durchaus  Umlaut,  doch  gehen  weder 
die  Adjektivformen  z.  B.  Hohltätter  noch  die  Namen  Hoch- 
Hetten  auf  ursprüngliches  -stat  als  2ten  Bestandteil  zurück, 
sondern  auf  -ateti,  -stetim,  so  dass  der  Umlaut  nicht  erst  bei : 
-atetter  durch  Suffix  -er  bewirkt  ist,  analog  den  Nomina 
agentis  auf  -er. 

3.  haben  Umlaut  herbeigeführt  die  Femininendungen 
«in  und  die  Silbe  -ling,  linch  und  -liru  Wenn  den  Zusammen* 
Setzungen  mit  -in,  welche  Umlaut  aufweisen,  einige  nicht 
umgelautete  Formen  in  der  Schreibung  entgegen  stehen,  so 
schwankt  helblinch  nie,  es  tritt  nur  mit  e  auf,  und  ist  darum 
wohl  nur  mit  i  gesprochen  worden. 

Wie  in  den  oberdeutschen  Dialekten  und  Mundarten  des 
13.  Jh.  überhaupt,  sind  auch  im  Augsburgischen  gewisse  um- 
lauthindernde Konsonanten  und  Konsonantenverbindungen  vor- 


1  vgl.  dazu:  P.  u.  Br.  B.  XI.  XIV.  XVni.  Z.  f.  d.  Ph.  XXV. 

>  nuBt  =>  Maasse  (Stadtb.)  ist  hier  nicht  anzuführen,  da  es  Fem. 
plur.  von  sing,  meaze  sein  kann,  welcher  belegt  ist  durch  den  Genitiv 
mefzez. 

*  Diesen  Adjektiven  auf  'ig  scheinen  sich  die  anderen  Bildungen 
mit  'ig  anzuschliessen :  befchadigen  ist  überwiegend  mit  a  geschrieben. 


77  Lautlelire.  323 

banden^,  indem  die  Liquidae,  Liquida  +  Muta,  auch  Guttu- 
rales^, namentlich  die  Verbindung  ht,  gegen  die  Trübung 
schützen^  allerdings  nicht  in  gesetzmässiger  Weise.  Ich  finde 
regelmässig:  zin/vellick  1296.  Sg  und  dorfmengin  allerdings 
nur  bei  Sg,'  doch  ist  cbIUu  überwiegend,  und  auch  dem 
häufigeren  gcentzlich  steht  nur  ein  gantzUch  gegenüber,  cdtiv, 
halbiv  sprechen  zu  Gunsten  jenes  Einflusses,  doch  erscheint 
nur  helblinch.  galtnvzze  ist  fest.  (1306.  S^^)  Konsequent 
ist  das  Gesetz  durchbrochen  in  dem  Kamen  Weiter^  Waslfer 
(1325).  Im  14.  Jh.  ist  von  jener  umlauthindemden  Gewalt 
kaum  noch  etwas  zu  spüren.  Die  Dehnung  des  ä  zu  d  hat 
auch  der  Umlaut  mitgemacht,  wahrscheinlich  mit  der  Ent- 
wicklung ä]>a  zugleich:^  rid  1302  (12).  —  Die  Aussprache 
dieses  2  erreicht  im  modernen  Augsburgischen  vor  s  und  at 
geradezu  den  Klang  t,  d.  h.  ein  in  %  ausklingendes  gedehntes 
e:  yesf  hört  man  als  fSBcht,  mhd.  veste  von  vast;^  in 
unseren  Quellen  aber  ist  davon  nichts  zu  spüren,  es  erscheint 
nur  geveatent,  geveHunt  (1326.  bisch.)  und  geualhU  (1326, 
hl,  Cr.) 

Umlaut  Ton  ä:  Bezeichnung. 

Es  ist  nur  Weniges  hinzuzufügen.  Dass  der  Umlaut  des 
ä  Yon  Anfang  unseres  Zeitraums  an  durchaus  sprach-  und 
Bchriftgemäss  war,  hat  sich  aus  dem  Gesagten  und  den  Be^ 
legen  ergeben,  dass  bei  so  übermässiger  Ausdehnung  einer 
solchen  Erscheinung  der  Versuch  nach  etymologischen  Bück- 
sichten die  schrifUiche  Wiedergabe  derselben  zu  regulieren, 
scheitern  musste,   zumal  die  Fülle  yon  Zeichen,  welche  zur 

*  vgl.  Weinh.  mhd.  Gr.  §  27. 

*  S«g  schreibt  in  einer  Novelle  znm  Stadtb.  48.  ufsin  ehae»  chlegere: 
Stadtb.  78.  Ss.  clager:  Stadtb.  82.  S^  (Qr.)  cMager  Si  (Novelle  99)  nur 
Mager:  Statdb.  84.  Sa. 

'896  bat  nur  flaishmanger  im  Stadtbucb.  (95  b). 

^  vgL  Birlinger:  augsb.-schwäb.  Wörterbuch  S.  180. 

^  ^beste^  •■  brachte,  —  Sogar  das  dem  einfachen  Manne  unbekannte 
Wort  ,^fUveIfe"  wird,  wenn  man  es  aussprechen  lasst,  durch  einen  un- 
verkennbaren Systemzwang  zu  hantvtachte. 


384  Dritter  AUöhniU.  78 

Yerftigimg  stand,  noch  mehr  Terwirrend  wirkte,  ist  kaum  nötig 
hinzuzusetzen.  In  der  That  ist  höchstens  in  dem  Verfahren 
von  S^Q  eine  gewisse  Konsequenz  zu  erblicken,  insofern  als 
er  treu  seiner  zeitweise  gepflegten  Neigung,  die  Vokale  mit 
Apices  zu  versehen,  auch  das  Umlaut  ^  derselben  unter- 
warf und  dadurch  eine  gewisse  Nivellierung  der  Schreibung 
aller  der  mhd.  a^^Basis  angehörenden  sekundären  Laute 
durchsetzte.  Eine  ähnliche  Konsequenz  bemerken  wir  an 
8},,  indem  derselbe  die  Schreibung  e  entschieden  bevorzugt, 
wenn  er  nicht  überhaupt  auf  den  Ausdruck  des  Umlauts  von 
ä  ganz  verzichtet,  xmd  das  auffallend  genug  gerade  in  den 
Stellungen,  wo  im  13.  Jh.  unter  jenen  oben  angeführten  Be* 
dingungen  ä  nicht  umgelautet  wurde:  gantziu  1346«  (Achtbuch) 
doch:  1346.  vfert  (Achtbuch  11.  b.  I).  ^  1348.  Brie/trager 
(Achtb.  14.  a.  I).  1352.  Mancki  (Achtb.  70.  a.  I).  1360. 
faircklichi  vgl.  die  Belege.  —  Dagegen  nötigt  uns,  die  Existenz 
des  Umlauts  als  unzweifelhaft  zu  erachten,  die  Thatsache, 
dass  fast  regeknässig  die  Femininform  von  Eigennamen  und 
von  Nomina  agentium  den  Umlaut  zeigt,  gegenüber  dem  nicht 
umgelauteten  Masculinum,  desgl.  die  Deminutiva:  1365: 
LangemenÜin  —  Langemanteh  (Achtbuch  24.  b.  I).  1363. 
Banfen  —  Henäin  (23.  b.  I). 

Die  klerikalen  Urkunden  liefern  nichts  Bemerkenswertes 
in  der  Schreibung.  1290:  Stät  (««Dativ  von  stat)  neben 
gantzlich,  und  Oänf  neben  phlegar  1304  entziehen  sich  jedem. 
Erklärungsversuch,  sie  sind  eine  Unregelmässigkeit;  wenn 
auch  die  Unterlassung  des  Umlauts  zu  rechtfertigen  ist,'  so 
ist  der  Circumflex  nicht  an   seiner  Stelle,   es  müssten  denn 

*  Mit  vffert  scheint  es  eine  eigene  Bewandtnis  zu  haben, '  indem 
das  e  eher  eine  Verflüchtigung  des  a  als  ein  bewusster  Umlaut  genannt 
werden  muss;  es  steht  in  gleicher  Reihe  mit  den  im  heutigen  Aaga- 
burgischen  immer  gehörten:  derdurchf  Werderhruggertor  («»Wertaah- 
bruggertor)  auch  aunnti  (»Sonntag)  u.  s.  w.  vgl.  Birlinger:  augsb. 
Wörterb.  4,  6. 

*  Oänf  untersteht  der  oben  erwähnten  umlaothindernden  Oewalt 
der  Verbindung  Liquida -j-'i  und  das  daneben  stehende  pMegar  läeat 
das  Fehlen  der  Umlautsbezeichmuxg  als  beabsichtigt  erscheioNu 


79  lAutlflm.  3äS 

auch  Betonungsrücksichten  massgebend  gewesen  sein«  «*<-  Die 
Grleichberechtigimg  aller  Zeichen  für  den  Umlaut  des  ä  ver- 
anschaulicht trefflich  die  Schreibung  des  Ortsnamens  ^Eichstädt' 
in  einer  Eintragung  des  Achtbuchas  vom  Jahre  1359,  22. 
a.  L  ¥on  S^^ :  EiehlUi^  Ayehßtety  EistatL  EichMt^  Aistet  (22.  a). 
Schliesslich  sei  noch  bemerkt,  dass  die  Umlautsbezeichnung 
überhaupt  ganz  dem  Takte  des  Schreibers  überlassen  blieb; 
es  bestehen  Fälle,  wo  Umlaut  gar  nicht  gekennzeichnet  ist, 
und  mithin  auch  nicht  der  von  ä.  Wie  weit  Vorlagen  im 
Einzelnen  mitgesjäelt,  ist  nicht  immer  zu  entscheiden,  doch 
sind  die  Eintragungen  des  Achtbuches  in  den  Jahren  1346 
und  1346  ein  lebendiges  Zeugnis  für  das  Verfahren  einzelner 
Schreiber,  gewisse  immer  wiederkehrende  Ausdrücke  oder 
Stichworte  einfach  dem  unmittelbar  Voranstehenden  zu  ent- 
nehmen, sogar  in  der  Weise,  dass  die  Beihenfolge  gewahrt 
bleibt:  1345  wechselt  beständig  aA^  mit  folgendem  ceht;  1346. 
aht  mit  aht,  so  zwar,  dass  aht  dort,  celu  hier  immer  an  erster 
Stelle  erscheint  Von  vereins^lten  Schreibungen  führe  ich 
an:  Stet  (G-enitiv  v.  atat)  bei  S5,  daneben  gilt  cb  als  Zeichen 
des  Umlauts  von  ä  in  burgaar^  phlsgcsr.  Die  Formen  gehebt, 
gehaven  sind  nicht  der  Mundart  angemessen,  und  nur  der 
Macht  der  Analogie  zuzuschreiben,  oder  durch  bairischen 
Einfluss  zu  erklären^.  Schofel  ist  mit  Bezug  auf  die  Ver- 
dumpfung  des  4  vor  /*  in  der  lebenden  Sprache  z.  B.  in  — 
Ichoffte  mit  dem  Zeichen  fOr  gerundeten  Vokal  geschrieben 
und  wohl  auch  gesprochen  worden.  Doch  ist  die  Schreibung 
mit  e  sowohl  in  dem  Wort  sdbst,  als  in  den  Namen  Scheffer 
und  Scheffler  '  bezeugt,  und  im  Stadtbuch  in  shefeU 

ä:  Belege. 

Urkunden« 

Biß  1300:  a.  ä,  —  o-     1300—1330:   a,  ä,  au 
—  0.     1830—1374:  au  —  o. 


»  vgl.  Weinh:  mhd.  Gr.  §  877. 

'  Aichtbnch:    ia03.  Sheffel,   Sheefier.   2.  a.  Stadtbuch:   aheffel  Sib 
(89.  a.)  9eheffel;  0raiidtext  (16.  b.)  (Si). 


326  Dritter  Absohnitt.  80 

städtische:  1972—1300:  a 

1272  &we  —  do  S^  (U.  II,  1.)  —  1273.  han 
S,  (A).  - 

(1279:  ane,  widerfpräche,  hant.)  —  1282.  iär  — 
da  Sj  (H.)  —  1296:  afie,  fbat  Sg  (ü.  l,)  — 
1295:   an  —  da  Sj  (A.)  —   1298.  gän,  wom 

Ss.  - 

1300—1328:   au,  ä  —   au,  a.  —   do. 

1301.  navch  S^.  —  1802.  aun,  rät  Sg.  —  1302. 

nach  Sg.  —  1303.  an  —  do  Sg.  —  1305.  J&r  — 

do  Sg.  —  1306.  R&t,  Rat,  i&r.  Sg  (C.  5.)  — 

1309.  frauzze  (n.  pr.)  —  da.  S,,  (U.  2.)  —  1313. 

ftet,  het  (=  hat)  Sg  (0.  6.)  —  1313.  aun,  an 

S7  (U.  2.)  —  1315.  &n,  aubend  Sg  (A.)  — 

1317.  aubend,  warn  Sg  (A.)  —  1318.  fchwap 

(n.  pr.)  Sg  (A.)  —  1319.  abent,  han  —  do 

Sg  (C.  6.)  —  1319.  aubent,  rat  —  do  Sg  (C.  6.) 

1322.  ane  Sg  (C.  7.)  —  1323.  darzü  —  do 

Sig  (A.)  —  1323.  &n  S,o  (A.)  —  1324.  rät, 

an,  band  S^g  (A.)  —  1326.  fbaut,  haynt,  an- 

fprauch,  nach  S^^  (C.  8.)  —  1326.  an,  S  X. 

—  do.  Sji»  — 

1328 — 1374:  au  —  o,  au,  0. 

1328.  rtand,  gand  S^g  (A.)  —  1328.  hayn,  laut, 

haut,  nauchkomen,  avn,  anfpravch  —  aun  .  .  . 

Sg  (A.)  —   1329.  avn  —  do  Sg  (hl.  Or.)  — 

davonCopie:  v.  1346:  an  —  ftat  Sj,  —  1329.  an, 

ftet  Sg  (A.)  —   1329.  ayn,  nauch,  nach,  band 

Sg  (A.)  —   1329.  hin,  avn  —  do  Sg  (O.  2.) 

1330.  Straeyinger  Sg  (A.)   —  1330.  jär,  Avn- 

forg  (n.  pr.)  Sg   —   1330.  jär  —   da  Sg   — 

1330.  havn,  avn,  want  Sg   (0.   9.)   —   1331. 

Swavlm&l,  Afrun,  anfpr&cb,  Avnforg,  hant,  S^g 
(A.)  —  1333.  fprachen,  (2  x)  anfprauch,  havn, 
navh,  avn,  darnach  S^g  (U.  U.)  —  1337.  havnd, 
hant  S^g  (A.)  —  1388.  nach,  Anfpraech,  An- 


81  Lautlehre.  327 

forg  8,8  (0.  9.)  —  1338.  Febr.  waunden  —  do 
Si8  (A.)  —  1338.  Mai.  band,  wanden  S^g  (A.) 

—  3338.  haun,  gaun  S^^  (U.  6.)  —  1338.  Juli. 
BAutgeben,  Baut  —  do,  kom,  S^^  (A.)  —  1339. 
sw&ger,  b&nd  —  do  Sj,  (A.)  —  1342.  aun, 
verdancbtem,  haun  .  .  .  S^  (A.)  —  1342.  Febr. 
aun,  haun,  ftaund,  Bat,  wönten  —  do  S^^ 
(ü.  6.)  —  1342.  an  die  Stadt  Bothenburg 
Oct.  Batgeben,  band,  darnach.  S^g  (B.  B.  XI, 
42^.)  —  1343.  Aunforg,  an,  nach,  wänten  — 
da  S,5  (A.)  —  1344.  do.  S^^  (A.)  —  1345. 
hant,  han  S^,  (R  X|,  10,  3.)  —  1346.  ftand, 
hau  Si7  (H.  20.)  —  1346.  aun  S^,  (A.)  — 
1348.  (Aulbrecht),  aun,  Abent  S^,  (0.  9.)  — 
au.  —  1349.  anlagen  —  do,  warn,  S^,  (A.)  — 

1350.  aun  Sj,  (A.)  —  1350.  März,  aun,  Avn- 
forg  S„  —  1351.  haund,  aun  S^,  (0.  10.)  — 

1351.  lauzzent,  haun  S^,  (A.)  —  1351.  aun 
Sj,  (A.)  —  1352.  fauzzen,  haut,  abent  S^,  (A.) 

1352.  braht,  brauht  —  da  (1.),  do  (t.)  S^,  (A.) 

—  1353;  haun,  aun,  ftrafz  S^,  (A.)  —  1355 
bis  1358:  au.  S^,.  —  1359.  aun  2  X.  S^,  (C.  6.) 

—  1365.  aun,  nach,  Batgeben  S^^  (A.  B.  12.)  — 
1367.  getaun,  aun,  haund  S^^  (A.  B.  13.)  — 
1367.  aun  —  darumb  Sj^  (A.)  —  1367.  au 
Sj,.  —  1373.  au  S„?  (A.  B.  14,  6.)  — 

Bischof  und  Dom:   im  13.  Jh.:   a,  ä   —   do;  im   14.  Jh.  au 

—  do.  — 

1282.  hemah  —  do  (B.  X  |  4,  3.)  —  1293. 
Mt  (A.)  —  1313.  nauch,  2  X-,  han,  rat  (H. 
14.)  —  1332.  han  (H.  17.)  —  1382.  da.  (A.) 

—  1336.  brauht,  havt,  aubent,  offen  bauren, 
Ofteraubent,  (gehebt)  —  do.  (A.)  —  1341. 
ftaund,  Pfeggrafin  (C.  9.)  —  1343.  getaun, 
abent.  Schreiber  I.  (A.)  —  1343.  getaun, 
aun,  haun  —  darzü  Schreiber  II.  (H.  20.)  — 

22 


S28  Dritter  Abiohziitt.  89 

1344.  amiy  nach,  —  au  .  .  .  —  do.  (0.  9.)  — 
1367.  aUn  biscL  (A.) 
Oüria:  Im  13,  Jh.:  a.     Im  14.  Jh«:  au. 

1327.  naueh,  rät  (A.)  —  1331.  vormaylsy  bavt, 
avn  (ü.  IL)  —  1337.  au  (U.  5.)  —  1341: 
nur:  a  (A.)  —  1349.  haun,  aan.  (H.  21.)  — 
1359.  a&n,  han  (A.)  — 
Klöster:  Im  13.  Jh.:  a,  ä.  Im  14.  Jh.:  ä,  au,  a  —  do. 
St.  Ulrich:  1306.  i&r  —  do  (U.  2.)  —  1315. 
Kat  (U.  2.)  —  1356.  Rat,  avn  (U.  2.)  —  1331. 
nauch^  darnauch,  Itat,  G-ranffchaft  (ü.  II.)  — 
1836:  au  —  hat  (U.  5.)  —  1366:  au  (A.)  — 
St.  Oath.  1279.  ane,  haut,  widerfpräche  (C.  2.) 
1295.  rate,  rat  (E.  X|  4.)  —  1325.  (2  Ur- 
kandai)  rät,  an,  hand,  manod.  (C.)  —  1348. 
raut,  getavn  (0.  9.) 

bLCreutz:  1311.  morgengaub,  avn,  anfprauch, 
rät,  Mt,  han  (hl.  Cr.  4.)  —  1317.  BAt  —  au 
(hl.  Cr.  4.)  —  1326.  began,  ftat,  nächkomen, 
Swäbegge,  y erdachtem  hl.  Cr.  (hl.  Cr.  4.)  — 
1334.  hayn,  abent  (hl.  Cr.  5.)  —  1338.  au 
hl.  Cr.  (G.  2.)  —  1339.  au  hl.  Cr.  (hL  Cr.  5.) 
-^  1350.  aun  hl.  Gr.  (A.)  — 
Spital:  a  —  do  (A.)  1283  und  1284.  — 
St.  Stephan:  1306.  Jar  —  do  (A.)  —  1312. 
da  —  do  (R  13.)  —  1327.  ayn  (A.)  —  1358. 
aün.  (A.)  — 

St.  Moritz:  1342.  a  (A.) — 
St.  Georg:  1346.  avn,  habend,  lazzend  (G.  2.) 
—  1352.  aun,  wauren,  abent  (A.)  — 
Stadtbuch:  Grundtext:  a.  —  S, :  a:  —  an  (23  b).  —  S, :  a: 

•^  darüber,  deryon  (57  b).  rätgeben  (34  a).  —  S^ : 
a:  —  dervon  (115  a)  deryor  (37  a)  äne,  getan, 
hat  (114b).  —  S^:  a.  —  S«:  a  —  do.  —  S,: 
a:  —  aune  (58a.)  —  S^^:  a:  —  wamit  (88b), 
baunt,  haynd,  a&e,  (37  a).  —  S^,:   a  und  au: 


88  Laatlehre.  8S9 

aim  gnad  (79b).  —  immer  ami.  --  haat  (77  a). 
attüy  gnad^  achtpüoh,  darnach  (58).  deraon,  (149  a») 
(1369).  spitaiü  (149  a)  (1353).  —  S,«:  a  und 
au:  maus  (79  b).  1371.  aun.  —  1374:  dorzu 
(37  b),  haut,  haunt.  —  1378.  ou  genad,  od,  bat 
(lB4b).  —  1376.  haut,  aun,  —  dorzu  (154b). 
Achtbuch:  1338.  a:  kram  8^^  (4b.)  —  1339.  avu  8,5  (5b.) 
—  1340:  ane  8^^  (6  a).  —  S^^:  a.  —  1346. 
getan,  band,  aun,  an,  hat  S^,  (Ha.) —  1346. 
getan,  an  S^,  (^1&)-  —  1348.  aun,  getan  S,, 
(13  a.)  —  1348.  anfc  2  X.  —  1349.  an  Sj,. 
1360.  an  (15  a)  —  getan  —  getan,  haund  — 
habend.  —  1351.  Ruffion  2  X  S^,  (67  a)  — 
sonst  immer:  R&ffian.  —  1366.  aün,  aun  S^, 
(20b)  —  sonst  au.  —  1362.  getan  S^^  (83  b.) 

1364.  Äht,  getaun,  aun.  S^,  (24  b.)  —  1366. 
Cranfüzz,  Cranfüs  S^,  (26b).  —  1370.  hafit 
SjQ  (26b.)  1371.  getadn,  hat,  aun,  aun  S^^ 
(29  a.)  —  1373.  on,  aun,  haut  —  dorvmb  S^^ 
(29  b)  immer  on.     1374.   a,  au,  o  —  dorvmb 

S16  — • 

ä:  Geltung. 

^Das  oberdeutsche  d  der  mhd.  Zeit  entspricht  durchaus 
dem  der  ahd.  Periode  und  ist  wie  dieses  in  den  meisten 
FäUen  eine*  unter  gewissen  Bedingungen  eingetretene  Deh- 
nung von  ä;'^  ^die  vulgäre  Aussprache  dieses  d  war  nicht  rein, 
sondern  mit  Senkung,  so  dass  ein  mehr  oder  minder  dunkeler 
Zwischenlaut  zwischen  d  und  6  entstand,  ein  langes  d ;  daher 
begegnen  seit  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jbs.,  zumal  bei  den 
Baiern  imd  Österreichern,  Reime  zwischen  d  und  o,  die  Alar 
mannen  gestatten  sie  sich  nur  selten'  ;^  so  definiert  Weinhold 
den  Klang  des  oberdeutschen  d.  In  der  augsburgischen  Mund- 
art des  13.  und  14.  Jhs.  zum  Teil  hat  der  Doppellaut  des  d 

^  Weinh.  mhd.  Gr.  §  65. 

•  Weinh.  mhd.  Gr.  §  66.    Baar.  Gr.  §  88.    A.  Gr.  §  84.  87.  190- 

22* 


330  Dritter  Abschnitt..  84 

einen  noch  tieferen  Ausldang  gehabt  und  mit  grösserer  Wür- 
digung des  zweiten  Bestandteils;  von  vomherein  jedoch  be- 
merke ich:  nicht  in  allen  Stellungen. 

Wir  beobachten  nämlich  zwei  Entwickelungen,  die  sich 
von  Anfang  unserer  Periode  an  bis  zum  Ausgang  derselben 
neben  einander  gehalten  haben^  wenn  auch  die  schriftliche 
Darstellung  bald  der  einen,  bald  der  andern  eine  Form  zu 
entziehen  scheint  Schon  vor  unserer  Zeit,  d.  h.  schon  in  der 
ahd.  Periode  mag  das  d  der  einen  Entwickelung  in  Augsburg 
nichts  anders  als  ein  zwar  dumpfer,  aber  nicht  ausgesprochen 
diphthongischer  Laut  gewesen  sein.  Nicht  eine  Stelle  läset 
sich  dafür  aufbringen,  dass  man  Anlass  gehabt  hätte,  Yon  der 
traditionellen  Schreibung  a  abzugehen  oder  dieselbe  zu  modi- 
fizieren, auch  die  Eigennamen  zeigen  immer  nur  die  Schrei- 
bung a.^  Der  schriftlichen  Darstellung  zufolge  nun  müsste 
dieser  Wert  (=  ä)  annähernd  bis  um  die  Wende  des  13.  und 
14.  Jhs.  lebenskräftig  gewesen  sein;  aber  wir  müssen  stark 
dem  Umstände  Eechnung  tragen,  dass  der  Beginn  der  Dar- 
stellung in  der  Muttersprache  in  grösserem  umfange  nicht  zu 
weit  abliegt  von  diesem  Zeitpunkt,  dass  mithin  noch  eine  ge- 
wisse rudimentäre  Auffassung  und  Empfindung  des  einen  und 
des  anderen  Lautes  eine  phonetisch  genaue  Darstellung  beein- 
trächtigt, wenn  nicht  ganz  unterdrückt  hat.  Das  Bedürfnis 
darnach  wird  in  diesen  Anfangsjahren  der  Abfassung  in  deut- 
scher Sprache  stark  in  Konflikt  mit  der  erlernten  und  ge- 
wohnten Behandlung  des  lateinischen  a  geraten  sein,  welches 
man  als  au^  sprach,  aber  a  schrieb  und  sprechen  sollte.  Auf 
der  anderen  Seite  kann  dieser  ausgesprochene  Konflikt  in 
Zeiten  der  beginnenden  Klärung  auf  heimische  Verhältnisse 
übertragen  gerade  dem  mundartlichen  Laute  bei  den  Augs- 
burgern auch  in  der  Schriftsprache  zum  Siege  und  zur  An- 
erkennung verholfen  haben.  — 

*  Vgl.  Vita  St.  Ulrici  des  Albertus,  herausg.  v.  J.  A.  Schmeller. — Augs- 
burger Glossen:  Ö-erm.  21.  —  Prudentius-Glossen  (A.),  Servatius  —  und  das 
Wenige,  was  die  Urkunden  bieten :  1260.  *quod  vulgariter  dicitur  ^wageJ^  (A.) 

^  ca8%M  und  causa  werden  nicht  unterschieden. 


85  Lautlehre.  331 

Ea  tritt  nun  die  Frage  nach  dem  zeitlichen  und  örtlichen 
Ausgangspunkt  der  Entwickelung  yon  d  zu  dem  seinem  Klange 
tiefer  liegenden  Laute,  dessen  diphthongische  Gestalt  Kauff- 
mann^  als  imter  dem  Einfluss  zweigipfliger  Betonung  ent- 
standen erklärt,  an  uns  heran.  —  Die  ersten  Schreiber  der 
städtischen  Kanzlei  und  die  klerikalen  Schreiber  des  13.  .Ths. 
sind  mit  Ausnahme  von  Sg  im  Allgemeinen  in  der  Tradition 
befangen.  S4,  der  dem  ganzen  Tenor  seiner  Schreibweise 
nach  kein  Augsburger  gewesen  ist,  oder  mindestens  stark 
bairischen  Einflüssen  sich  ergeben  hat,  trägt  die  bairische  Art^ 
auch  in  die  Darstellung  des  Lautes  ä  hinein  und  giebt  ihm 
die  Form  und  Geltung  von  6:  hon,  wem,  do  und  einmal  in 
feinem  Gefühl  der  Sonderstellung  des  a  (erster  Entwicklung) 
in  gan  schreibt  er  es  d  :  gän.  Damit  war  der  Doppelklang 
des  Lautes  den  Augsburgem  zum  Bewusstsein  gebracht.  Wir 
befinden  uns  nun  schon  in  der  zweiten  Periode  des  d  erster 
Entwickelung.  Wenn  im  Anfange  derselben  die  diphthongische 
Geltung  des  a  ^  etwa  bis  in  die  dreissiger  Jahre  des  14.  Jhs. 
noch  stark  zurücktritt,  so  kann  das  nur  einer  gewissen  Vor- 
sicht der  einzelnen  Schreiber  anzurechnen  sein,  welche  den 
mehr  und  mehr  von  aussen  an  sie  herandringenden  Laut- 
gebungen  teils  ratlos  gegenüberstanden,  teils  die  Zahl  der- 
selben nicht  vermehren  wollten,  und  darum  der  Tradition  treu 
blieben.     Kau£Fmann  meint,   dass   solche  älteren  Formen  von 

^  Kauffm.:  schwäb.  Mundart.  §  137,  1. 

■  Vergl.  Weinh.  nihd.  Gr.  §.  56  oben. 

^  KaufPmann's  (§  61  Anm.  6)  Belege  für  Augsburg,  denen  zufolge 
das  Zeichen  au  zum  erstenmal  im  Jahre  1283  nachweisbar  ist,  sind  voll- 
ständig hinfällig:  seine  Quelle  ist  eine  Urkunde  der  Herwartschen  ür- 
kundensammlung  (Augsburger  Urkundenbuch  [ed.  Chr.  Meyer]  I,  1283), 
welche  die  in  ihren  Ereis  gezogenen  Denkmäler  in  entstellter  Form  über- 
liefert. Ich  halte  es  für  überflüssig,  meine  Behauptung  durch  eine  ge- 
naue Untersuchung  dieser  Schriftstücke  auf  ihre  sprachliche  Zuverlässigkeit 
hin  zu  erhärten,  ich  verweise  nur  z.  B.  auf  jene  von  Eauffmann  ange- 
zogene Urkunde,  welche  die  Neuerungen  im  Sprach-  und  Schriftgebrauch, 
welche  die  Augsburger  Mundart  und  die  Urkundensprache  sich  erst  in 
dem  Zeitraum  von  zwei  Jahrhunderten  errungen,  alle  zusammen  schon 
1282  giebt. 


332  Dritter  Absohnitt.  86 

der  Schrift  konserviert  werden,  wenn  sie  der  Sprache  der 
höheren  Stände  angefaöreD,  sei  es,  dass  diese  Älteres  bewahrt 
haben  —  nnd  das  ist  nach  Kanfifmann^  bei  den  gebildeten 
Schwaben  der  Fall  {d  gegen  dialektliohes  (xu)y  ->  sei  es» 
dass  sie  znfolge  nnd  zum  Behnfe  des  Verkehrs  mit  Fremr- 
den  die  Extreme  ihrer  Mundart  yermeiden.  Dass  der  Schreiber 
sodann  in  Kenntnis  dieser  Gepflogenheit  der  höheren  Stände 
seiner  Stadt,  in  deren  Interesse  er  natur*  und  den  Quelleii 
gemäss  am  häufigsten  in  Aktion  trat,  sich  bestrebte,  aus  mehr 
als  einem  Grunde  seinen  Auftraggebern  entgegenzukommen, 
d.  h.  nach  dem  Munde  zu  reden  und  zu  schreiben,  ist  nur 
zu  erklärlich  und  bei  aller  sonst  gerühmten  Einflussstellung 
der  städtischen  Kanzleibeamten  nicht  abzuleugnen.  Freier 
aber  rerfahren  —  und  konnten  verfahren  —  die  klerikalen 
Schreiber.  Ihnen  ist  es  daher  zuerst  zu  danken,  wenn  die 
einmal  gewonnene  Form  nicht  in  Vergessenheit  geriet,  sondern 
mit  dem  Beginn  der  vierziger  Jahre  auf  der  ganzen  Linie 
sogar  siegte,  und  so  Schreibung  und  Mundart  Hand  in  Hand 
gingen.  —  Es  liegt  zwar  ausserhalb  der  zeitlichen  Grenzen 
unserer  Untersuchungen,  das  weitere  Schicksal  des  d  erster 
Entwickelung  im  Augsbm^isch-Schwäbischen  des  folgenden 
Jahrhunderts  zu  verfolgen;  ich  kann  es  mir  jedoch  nicht  ver> 
sagen,  darauf  hinzuweisen,  dass  die  am  Ende  unserer  Periode 
häufig,  im  Achtbuch  schUessUch  regelmässig,  im  Stadtbuoh 
dominierend  auftretende  Schreibung  on  für  aun  <[  an  (ane) 
auffallend  an  die  Entwickelung  des  schwäbischen  a  ]>  oo  ^  o 
vor  Nasal  mahnt,  sowie  sie  Fischer^  und  Bohnenberger  für 
das  16.  Jh.  annehmen.  In  jener  unmittelbar  auf  den  von  uns 
begrenzten  Zeitraum  folgenden  Periode  jedoch  sind  diese 
Formen  noch  nicht  in  den  mündlichen  Verkehr  übergegangen, 
sondern,  wie  sie  dem  Vorgange  der  kaiserlichen  Kanzlei  der 
zweiten  Hälfte  des  14.  Jhs.  entstammen,  so  leben  sie  lediglich 
in  der  Schriftsprache.    Eine  Begründung  dieser  meiner  Ansicht 


^  a.  a.  0.  S.  281. 
*  Germ.  86,  418. 


87  LauÜehie.  8S8 

werde   ioh  im  Sahaen   der  G^esamtresultiite  geben  ^   welche 
die  Terliegenden  Unterauchimgeii  sohliessen  sollen. 

Se  hat  das  d  erster  Entwickelnng  in  dem  gröeeeren  Teil 
des  14.  Jhs.  durchaus  den  Klang  ao  gehabt,  mit  dem  Haupt- 
gewicht auf  a;  ich  glaube  nicht,  dass  die  Schreibungen  akn 
eine  noch  genauere  Wiedergabe  des  gesprochenen  Lautes  be- 
zwedcen,    sondern   sie   deuten  wohl   mehr   die   Unsicherheit 
des   dem  d  nachklingenden  Lautes  an,  um  {so  mehr  als  an 
anderer  Stelle  aiui  ersohehit    Dem  o  sowohl,  wie  dem  «  eine 
Tokalische  Geltung  zu  yindineren,  ist  deshalb  nicht  angängig, 
weil  dadurch  ein  Triphthong  geschaffen  wäre,  wo  doch  sogar 
ein  YoUgtQtiger  diphthongischer  Werth  abzulehnen  ist  wegen 
der  Verteilung  des  Haupttones  auf  den  ersten  BestandfcMl, 
ein  Umstand,  der  nach  den  üblichen  Begriffen  dem  Wesen 
des  Diphthongen  zuwiderläuft   —   Das  zweigipflige  ao^  der 
reicbBstädtischen  Zeit  ist  heute  d  geworden,'  jedoch  vor  den 
Thoren  Augsburgs  beginnt  sofort  der  Diphthong  ao,  besonders 
im  Wertachthal  hörte  ich  selbst  dib  sprechen.    Die  Wandlung 
zu  d  will  fiirlinger*  den  sächsischen  und  sächsisch  gebildeten 
Predigern  zur  Beformationszeit  zuschreiben.    Beines  d  erklärt 
Birlinger  als  aus  der  Fremde  eingeführt,  ans  dem  Fränkisohen 
und  Bairischen.^ 


^  In  der  Aussprache  des  d  als  oo  ist  dem  Anschein  nach  das  Aug»- 
bnrgische  mit  den  benachbarten  bairischen  Landstrichen  (ostlich  yom 
Lech)  Tereint,  indem  beide  Mundarten  dieselbe  Zusammenstellung  der 
Laote  a  und  o  hören  lassen;  aber  in  dieser  Beobachtung  liegt  die  Ge* 
fahr,  vor  der  Kauffmann  S.  88  für  die  Abgrenrang  Ton  Dialekten  wamea 
zu  müssen  glaubt,  indem  er  die  charakteristischen  Merkmale  einer  Mund- 
art viel  weniger  in  der  Gestalt  der  einzelnen  Laute  und  in  ihrer  Zu- 
sammenstellung als  solcher,  als  in  den  konstitutiven  Faktoren:  Acoent, 
Betonung,  Quantität  etc.  gesucht  wissen  will.  Ein  solcher  konstitutiver 
Faktor,  die  Betonung,  unterscheidet  hier  allein  den  Angsburger  von  dem 
angrrenzenden  Baiem:  jener  spricht  &o,  dieser  oö. 

•  Vergl.  Weinh.  alam.   Gr.   §   Öl.     Schmidt:   Frommann  ü,  478. 
Birlinger  S.  4. 

•  Birl.:  augsb.-schwäb.  "Woi-terb.  S.  5,  I. 

^  Ganz  haltlos  ist  die  Vermutung  Birlingers  betreffs  des  s&ohsischen 
Einflusses  nicht,  sie  findet  eine  merkwürdige  ünterstütnuig  durch  die 


334  Dritter  Abschnitt.  88 

Neben  dem  d  erster  Entwicklnng  geht  eine  zweite  parallel, 
ebenfalls  auf  lautlicher  G-eltung  basierend^  die  zu  o.  Dieser 
Laut  6  scheint  sich  nur  des  mhd.  a  in  dem  Auslaut:  da  und  vor 
r  oder  n  (hon)  bemächtigt  zu  haben,  aber  dies  auch  durch  den 
ganzen  Zeitraum  hindurch.  Später  allerdings,  als  das  au  sich  in 
dem  ganzen  Gebiete  des  a  zu  verbreiten  strebte,  ist  ihm  auch 
das  0  in  manchen  Stellungen  anheimgefallen,  wie  aus  den  voran- 
stehenden  Belegen  zu  ersehen  ist.  Ob  dieser  Tausch  nur  in 
der  Schreibung  oder  auch  in  der  Aussprache  vor  sich  ging, 
diese  Frage  muss  ich  o£Fen  lassen.  Die  Beime  lassen  uns 
hier  im  Stich.  —  Auslautend  aber  erhält  sich  das  o  unbeirrt 
für  a  in  do  neben  da.  Ich  unternehme  es  nicht,  der  Frage 
nach  dem  Verhältnis  von  au  zu  p  näher  zu  treten,  doch  möchte 
ich  die  Hypothese  Eauffmann's  anführen,  welcher  die  Lant- 
teilung  in  au  und  o  dadurch  erklärt,  dass  er  altes  d,  wie  auch 
die  alten  betonten  Kürzen  je  nach  ihrer  Stellung  im  Wort- 
und  Satzgefüge  sich  verschieden  entwickeln  lässt.  In  Pausa- 
Stellung  soll  d  durch  Überlange  hindurch  sich  zu  ao  ent- 
wickelt haben,  während  es  in  anderer  Stellung  zu  6  geworden 
sei.  Bohnenberger^  erklärt  diesen  Weg  für  unstatthaft.  Da  ich 
selbst  in  den  mir  fär  Augsburg  reichlich  zur  Verfügung  stehen- 
den Belegstellen  eine  Bestätigung  einer  differenzierenden  Kraft 
der  Pausastellung  höchstens  für  6  zugestehen  kann,  ot/  da- 
gegen in  jeder  Stellung  sowohl  im  Wort-  als  im  Satzgefüge 
finde,  so  stelle  ich  mich  auf  die  Seite  Bohnenberger's,  wenn 
ich  auch  dem  Rhythmus  in  der  Urkunde  eine  nicht  geringe 
Bolle  bei  der  Aufklärung  anderer  Vorgänge  vindizieren  möchte; 
davon  an  anderer  Stelle.  —  Zeitlich  liegt  die  Entwicklung 
von  d  zu  0  vor  derjenigen  zu  ao,  d.  h.  jene  war  schon  voll- 
zogen, als  d  den  Zerdehnungsweg  antrat. 


Beobachtung,  dass  sich  in  der  Behandlung  mancher  Laute,  so  des  e, 
merklich  der  protestantische  Norden  vom  katholischen  Süden  der  schwä- 
bischen Hundart  —  oft  sogar  gilt  diese  Teilung  für  einzelne  Städte  — 
scheidet,  (yergl.  dazu:  Fischer:  Germ.  86,  416;  Eauffmann:  schw.  M.§  71). 

^  Bohnenberger:  Gr.  d.  schw.  M.:  S.  27  Anm.  2. 


89  Lautlehre.  335 


ä:  Bezeiehnang. 

a,  d,  auy  av,  a,  ä,  au,  au,  ä;  <h  o.  —  In  der  schriftlichen 
Wiedergabe  des  eben  beschriebenen  Lautes  haben  wir  einen 
schlagenden  Beleg  dafür,  wie  die  Schranken  der  Tradition 
durchbrochen  werden,  d.  h.  Schreibung  des  a  als  a,  a.  Ein 
Vierteljahrhundert  herrscht  die  Tradition  unbeeinträchtigt; 
ein  weiteres  Vierteljahrhundert  überwiegt  sie  weitaus,  als  der 
liautwert  des  a  der  ersten  Entwicklung  in  der  Mundart  schon 
ein  ausgeprägt  diphthongischer  geworden  war  und  eine  dem- 
entsprechende  veränderte  Darstellung  in  dieser  und  jener  Lage 
sich  erzwungen  hatte.  Als  der  zuverlässigste  Faktor  für  die 
Begrenzung  des  Wechsels  in  der  graphischen  Behandlung  des 
d  erweist  sich  der  örtliche  Ausgangspunkt.  Während  in  der 
frühesten  Periode  sowohl  die  städtischen  Funktionäre  als  auch 
die  klerikalen  Schreiber  neben  dem  einfachen  Buchstaben  a 
die  differenzierende  Schreibung  mit  ^  gebrauchen,  geht 
letztere  Gestalt  des  a  als  a  mit  Eintritt  in  das  14.  Jh.,  d.  h. 
von  dem  Zeitpunkt  etwa  an,  wo  die  ürkundenschreiber  einer 
dem  lokalen  Sprachgebrauch  mehr  entsprechenden  Schreibung 
zugänglich  geworden  sind,  ausschliesslieh  auf  die  geistlichen 
Exeise  über  und  wird  von  da  an,  indem  es  von  den  Klöstern 
besonders  mit  dem  den  klerikalen  Schreiborten  eigenen  Fest- 
halten am  Alten  gepflegt  wird,  ein  ünterscheidungsmittel  der 
klerikalen  Schriftstücke  von  den  weltlichen  beim  ersten  An- 
blick«^   Die   städtischen  Schreiber  verschmähen  jedoch  nicht 


^  Insofern  als  sich  die  Ausstattung  des  a  mit  dem  Circumflex  den  von 
den  Augsburger  Klerikern  einhellig  eingeführten  Längebezeichnungen  an- 
reiht. —  Ob  die  gerade  im  Laufe  dieses  Zeitraums  (Anfang  des  14.  Jhs.  bis 
in  die  dreissiger  Jahre  hinein)  sich  bemerkbar  machende  Spannung 
zwischen  Stadt  und  einem  Teil  des  Klerus,  d.  h.  gerade  dem  leitenden , 
auB  politischen  Ursachen  auch  ihre  Schatten  auf  die  Handhabung  des 
schriftlichen  Verkehrs  nach  sprachlicher  Seite  hin  geworfen  hat,  wäre 
interessant  zu  erfahren.  In  formeller  Hinsicht  lässt  sich  ebenfalls  ein 
gewisses  Auseinandergehen  der  Parteien  feststellen. 


386  Dritter  AlMchnitt.  90 

allein  dieses  DarsteUnngsinittel  für  ä,  sondern  auch  für  jeden 
anderen  langen  Vokal.  ^  Im  letzten  Drittel  unserer  Zeit  end- 
lich erscheint  allgemein  die  Schreibung  des  a  am  meisten 
manieriert.  Schreibungen  wie  aün  haben  nicht  allein  klerikale 
Urkunden,  sondern  auch  Schreiber  S^,  (1360  und  1351)  und 
S,o?  (Gehilfe?  oder  =  S^^?)  (1369),  und  einige  Male  die 
Formen  aun  und  aün.  In  den  klerikalen  Urkunden  (1358. 
Äbtissin  v.  St.  Stephan  (A.)),  1369.  geistl.  Sichter  (A.),  1367 
Bischoff  (A.)  ist  deutlich  aun  geschrieben,  dagegen  hat  der 
Index  bei  den  städtischen  Urkunden  (1350  Montag  vor  Barth. 
S„  (A),  1350  25.  März  S„  (A.),  1361  14.  Juni  S„  (A.)) 
die  Gestalt  eines  nach  hnks  geöfbeten  Bogens  (Halbmondes)^ 
und  nur  in  der  yereinzelten  Urkunde  v.  1369,  2.  Febr.  S,^ 
ist  ein  o  zweifellos  dem  u  übergesetzt.  Indem  ich  dafür  auf 
Früheres  verweise,  mache  ich  nur  noch  darauf  aufmerksam, 
dass  die  unbestimmbare  Form  jenes  Zeichens  L  gegenüber 
dem  sonst  mustergültigen  Tenor  der  Schrift  absticht,  so  dass 
an  ein  o  kaum  zu  denken  ist,  und  im  Übrigen  genau  dasselbe 
Zeichen  über  dem  e  in  gewir  (1343)  sich  findet,  in  welchem 
Zusammenhange  eher  eine  Längebezeichnung,  Oircumflex,  mit 
dem  Zeichen  beabsichtigt  sein  kann.  Über  die  Formen  Aon 
und  wonten  ist  schon  gehandelt;  wenn  neben  Aon  die  Schrei- 
bung han  besteht,  so  darf  man  darin  jedenfalls  nicht  eine 
lautlich  verschiedene  Form  gegenüber  jenem  erblicken.'  — 
Eine  gewisse  Bedächtigkeit  des  Verfassers  aber  sehe  ich  in 
der  Schreibung  wanUn,  zumal  da  der  Schreiber  nicht  allein 
in  dieser  Urkunde,  sondern  auch  sonst  sich«  als  ein  Freund 
des  Umlauts  zeigt.    Die  Formen  het  und  gehebt  (3.  sing.  Praes. 


'  Es  müssten  denn  die  später,  etwa  um  die  Kitte  des  14.  Jhs.  er- 
scheinenden formlosen  Apices,  welche  sowohl  als  Gircumflex  gelten,  als 
auch  e,  o  und  u  gelesen  werden  können,  eine  Wiederaufnahme  der  alten 
Gewohnheit  sein;  doch  möchte  ich  mich  in  den  thatsächlioh  wenigen 
Fällen  immer  für  e,  höchstens  für  o  entscheiden ;  wo  die  Schreibung  doch 
zweifelhaft  ist,  bemerke  ich  es  ausdrücklich. 

'  Vergl.  die  Zeichen  der  sohlesischen  Urkunden  bei  Rückert  a.  a.  0. 

»  Yergl.  im  übrig4n:  Weinh.  mhd.  Gr.  877  und  alam.  Gr.  §  873. 


91  LaaÜehre.  gS7 

und  Part.  perf.  v.  haben)  gehören  nicht  in  diese  Erörterung; 
dean  es  ist  das  e  nie  der  Ausdrack  eines  o-Lautes,  sondern 
Umlaut»  den  Weinhold  teils  durch  den  übertritt  des  Yerbums 
zur  I.  schwachen  Klasse,  teils  durch  die  verwirrende  Ein- 
wirkung des  starken  Verbums  heben^  entstanden  sein  lässt; 
idi  yerweise  fär  das  Nähere  und  die  Belftge  auch  aus  früherer 
Zeit  auf:  Weinhold:  mhd.  Or.  §  377.  alem.  Gr.  §§  373,  374. 
ünTerkennbar  Zeichen  für  BeduktionsTokal  vor  l  ist  die  Schrei- 
bung cLy  ae  in.  Wörtern  wie  Spital,  vormaU,  auch  SpitatU, 
vormatds  durch  Analogiewirkung.' 


3b:  Umlaut  Ton  ä:  Belege: 

Urkunden: 

städtische:  in  der  Begel:  se,  -er. 

Sj  und  S,:  ».  —  1280.  felgerete  S3  (A).  — 
1282.  Minn&r,  ft&te,  D&ften  S,  (A).  —  1282. 
ftete  (adj.),  Bvrger  S^  (H).  —  1282.  ft«te, 
-er  Sg  (R.  4,  2).  —  1282,  TAten  (c.)  S«  (A). 

—  1283.  purgaer  S,  (A).  —  1293.  w»r  (c.) 
entffit  (c.)  Sj  (0.  4).  —  1294.  erbern,  ftaet 
a^  (R.  Xf  5).  —  1296.  Selgereit  Sg  (U.  1). 

—  1296.  J»r,  ftate  (a^.)  S»  (U.  1).  —  1296. 


^  Stadtbuoh  160  a  steht  geheht  «  g^mbt  gegenüber  uf gehebt  — 
aufgehoben,  nur  durch  zwei  Zeilen  von  ihm  getrennt,  Si?  (1863). 

*  Achtb.  6da  1. 1848  diupltail  815.  In  gleicherweise  hat  Si»  im 
Achtbuch  1342—1344  ungeraitenheit  2  x  (61b  u.  62  b)  neben  unge- 
raten?uit  2  X  (51b  1  u.  51b  11).  Dabei  ist  zu  beachten,  dass  die  beiden 
ungeraitenheit  für  das  Auge  nicht  zusammenstehen,  die  Form  hat  dem 
Schreiber  also  wohl  im  Munde  und  in  der  Hand  gelegen.  In  den  Ur- 
kunden vermeidet  Sis  durchaus  derartige  umgangssprachliche  Formen. 
Nach  dem  enthalten  seine  Eintragungen  nur  tmgeratenhait  Sj?  kennt 
nur  die  letztere  Form,  sie  war  bei  der  Eintragung  seinen  Augen  die 
nächste,  1351.  Achtb.  67  a.  Äinnhüfer  (n.  pr.)  erscheint  früher  als  Ann- 
hufer  1844.  10a.  (oder  Aunhufer?)  und  entzieht  sich  jeder  Deutung: 
1863.  70  a:  Armh^ferin, 


338  Dritter  Abschnitt  92 

burgSBr,  phlegaer  85  (A).  —  1296.  bürgern, 
»hten  Sj  (R.  X^^,  4,  6).  —  1296.  ftate,  ftiet 
Sj  (R.  6,  6).  —  1296,  phlegere  S^  (A).  — 
1296.  felgeraete  S^  (A).  —  1297.  felgerete  S, 
(U.  1).  —  1298.  phlegfiBm,  Gemviid»rf  Sg  (A). 
1298.  ftate  (adj.)  Sg  (A).  —  1299.  ft»ten  S, 
(St.  1).  —  1302.  ftÄt  Sg  (hl.  Cr,  4).  —  1302. 
BurgSBr  S^  (0.  5).  —  1306.  burgser,  Aufpurgser, 
Aevlentaler,  zolnaer  Sg  (0.  5).  —1306—1324: 
8B.  —  1326.  WelfflBrs  —  8b  S^o  (^)-  —  1326. 
Jaerclichen  Sj^  (C.  7).  —  1329.  Jserclichen 
S^,  (hl.  Cr).  —  1329.  -ser,  burger  S^  (G.  2). 
1330.  erberen,  waer  S^,  (U.  II).  —  1331. 
neihft  S^,  (A).  —  1333.  nihften  S^^  (A).  — 
1333.  ftit  S,2.  —  1335.  gnädigen,  Erberften, 
tsetin  S12  (U.  6).  —  1338.  werin  (c.)  —  immer 
"^  Sjg  (A).  —  1341.  Kaiserurkunde:  be- 
fchadigen  S^^  (A).  —  1342.  nachften  Sj5  (hl. 
Cr.  5).  —  1342.  —  gnedigen  S^^  (A).  — 
ftit,  wären,  Pfärde  S,^  (U.  6).  —  1343.  vnuogt- 
parf,  j&rdich  S^j  (A).  —  (1343.  w&nten  S^^ 
(A).)  —  1345.  gehiven  S,g  (A).  —  1345.  ftat 
(adj.).  Genadigen,  ftet  (adj.)  Sj,  (R  X^,  10, 
3).  —  1346.  anfprÄch  S,,  (A).  —  1345.  i»rlich 
Sjg   (hl.  Cr.  6).  —  1346.   Taeten   Sj,  (0.   9). 

—  1348.  neihfteu,  vnuogtbsers,   Anfpräch  Sj,. 

—  1348.  erberr  Sj,.  —  1348.  guaßidigen  Sj, 
(A).  —  1349.  neihften  Sj,.  —  1352.  Trafn»t 
Si,  (A).  —  1356.  Jerlichen  S^  (0.  10).  — 
1357.  ierlich  ...  Sj,.  —  1358.  ftet,  fteten 
S,,.  — 

bischöfliche:  1282.  wäere,  (lirny^te),  n&me,   burger  (R.   X-|^, 

4,  3).  —  1293.  burgser  (A).  —  1302.  Mmnar 
-a  (H.  13).  —  1305.  «  (R.  X^,  6,  4).  — 
1313.  nehften,  -er  (H.  14).  —  1316.  Erber, 
nehften  (H.    14).   —    1333.   beft^ter   (A).   — 


93  LaaÜehre.  339 

1341.  Pvrggrafin  (0.  9).  —  1344.  JflBriclichen 
(G.  2).  —  1348.  ftet  (adj.)  (hL  Cr.  5).  —  1360. 
nehften,  genedigen  (H.  22).  —  1351.  gnsedigen. 

—  1352.  gnadigen  (A).  — 

Klöster:  St.  Cath.:  1279.  erbsere  St.  C.  (0.  2).  — 
1295.  ft»te  (R.  X|,  4).  —  1310.  felegeraite 
(A).  —  1355.  fteit  (adj.)  ierUchen  (C.  10).  — 
St.  Ulrich:  1301.   ftaet,  Erberen,  -er  (U.  2). 

—  1326.  ifierclichen  (U.  2).  —  1331.  nehften 
(ü.  3).  — 

hl.  Gr.:  1326.  iärclich,  -^r  (hl.  Cr.  7). 

St.    Stepb.:    1306.   StAt,   (A).      1312.    nsehrt 

(H.  13). 

Spital:  theten  (A). 

St.  Georg:  1337.  ftSt  (adj.)  (A). 

Stadtbach :  se,  e.  Grundtext :  se :  —  befchadegut,  gefchadeget 

(14.  a).  S^:  8B.  S,:  8b:  —  richtfler  (34.  a.), 
w»r,  brsache.  S3:  »:  —  erberre  (40.  a). 
phlegere  (37.  a).  geyserde  (165.  b).  archw&nich. 
S5:  8b:  —  steten  (34.  b).  nsBst.  S^:  £e.  S^: 
8d  und  e :  aeht,  ehte,  sBhtet,  sehter,  (52.  a).  were, 
T8Bt(63.  a).  Sj^:  ae.  1350:  sb.  1350—1368: 
e  und  e.  S^, :  e,  e,  »:  —  stet  (adj.)  (37.  b). 
wer  (c.)^  tet  (c.)  (34.  a).  nsDher  (26.  b).  wdr, 
geyaerlichy  stsete,  (155.  b).  stetigs,  ungeyarlich, 
geverde,  stdt,  (155.  a).  1359.  nehst  (149.  a). 
geverde.     1349.  enwaere,  geyserde  (145). 

Achtbuch:  A.  1339.  nsehften  —  se  (5.  b).  S^^.  —  1340. 
nehften  (6.  a).  S^^.  —  n»hften  (6.  a).  8,5.  — 
.  .  .  1346.  seht,  aht,  nsehften,  fselig  (11.  a).  S^,. 
1346.  nähften  (11.  a).  S^,  —  1348.  fchadlich, 
nsehften  (13.  a).  S^^.  —  1351.  seht,  gesehtet 
(15.  b).  Sj,.  —  1363.  gerat  (gerate  conj.) 
(17.  b).  S^,.  —  Von  1356  an:  nehften  und 
nShften,  immer  Aeht  S,,.  —  1364.  teten  (c.) 
(24.  a).  Sj,.  —  geShtet  (24.  a).  Sj,.  —  Aeht 


840  Dritter  Absohnitt.  94 

(24.  b).    S^,. . .  —  ld66.  m  die  Aeht  getaun 

(26.   a.   II).   Sj,.  —  in   die  Aht  getaun   (26. 

a.11).  Sj,  —  1367.  geaehtet,  Aht  (25.  b.).  S„.  — 
1368.  nehften,  seiligen  (22.  b).  Sj,.  —  1370. 
nechften,  Aecht:  —  (Recht):  (28.  b).  8^^.  — 
geuarlichen,  were  (29.  a).  Sj^.  — 
B.  1346.  nfiöher  (56.  a).  Sj,.  —  1346.  neher 
(66.  b).  Sj,.  —  1346.  näher,  fchedlich  (57.  a). 
Sj,.  —  1346.  feiligen,  fcheidlichen  —  (vziteichen) 
(60.  a).  Si,.  —  1346.  Sweiblin  (n.  pr.)  (61.  a). 
S„.  —  1346.  neihften  (61.  b).  S„.  —  1349. 
fchedlichen  (63.  b).  S^,.  —  1349.  nehften  — : 
(gsentziu)  sonst  e  (63.  b).  S^,.  —  1350.  nsehTten 
(65.  b).  Si,.  —  1354.  pferit  (71.  b).  S„.  - 
1365.  wSre  (94.  b).  S,,.  —  1371.  befchadigot, 
befchadigoti  (c.)  (102.  a).  S,^-  — 

Bd:  Umlaut  Ton  ä:  Geltung. 

Der  Umlaut  ist  im  Allgemeinen  vollzogen;  Liquida  (r), 
und  Lingualis  scheinen  demselben  aber  entgegengewirkt  zu 
haben,  wenigstens  ist  tdrclich,  ungeuarlich^^  befwaret  (1296. 
83)  befchadigen,  fehadlichen  häufig,  1296.  Aate  und  Hat  (Sg)- 
*Vor  r  und  h  wird  d  zuweilen  vor  Umlaut  geschützt.' '  Die 
aagsburgischen  Quellen  kennen  jedoch  diese  fierücksichtigung 
des  h  nicht:  cehten  .  .  .  nur  naher  (1286.  Sg)  gegenüber 
häufigem  ncehaten,  —  Wie  das  ce  in  den  Stammsilben  gelautet 
hat,  ist  im  Einzelnen  zu  bestimmen  unmöglich.  Dafür,  dass 
auf  Grund  der  Entwicklung  von  ä  '^  au^  ao  etwa  oe  Ar  (^ 
gesprochen  worden  ist,  giebt  es  kein  Zeugnis;  nahe  gelegt 
wird  es  dadurch,  dass  heute  einige  Gegenden  Schwabens, 
welche  ao  haben,  äe  als  Umlaut  kennen,  doch  ist  das  gerade 

^  Bei  iardich  und  auch  wfigeuarlicK  trifft  die  von  Bohnenberger 
in  Germ.  34,  197  aufgestellte  Kegel  zu,  dass  Umlaut  dann  mit  Vorliebe 
in  Bildungen  mit  -ig,  -lieh  eintritt,  wenn  das  Substantivurn  auch  um- 
gelautet erscheint,  und  umgekehrt  nicht. 

•  Weiahold:  mhd.  Gr.  §  61. 


96  Lttitteh]«.  341 

im  OBten  weniger  konsequent  ^  In  den  Stellangen  vor  Liquida 
Ql)  und  Lingualen  (t)  ist  jedoch  mit  grösater  Wahrscheinlich- 
keit Diphthong  anzusetzen:  oasadem  Laut  des  alten  Dipht- 
hong «t  »>  m ;  denn  gerade  in  den  eben  erw&hnten  SteUungen 
erscheint  die  Schreibung  ei  \  aei  überaus  häufig :  vgl.  im  Acht- 
buch die  Bekge  unter  Sj,.^  Beaaeichnend  ist  namentlich  das 
heiu  fBr  hete  <[  h$bete^  welches  im  Alamannisohen  sehr  be- 
liebt ist.^ 

Dae  <M  in  Endungen  und  Suffixen  ist  nur  durch  die 
Endung  er  <  ari  >  are  >  aere  >  aer  >  er  und  -baere 
vertreten:  Die  substantirische  Endung  -aere  der  Nomina 
agentis  pflegte  im  Mittelalter  tieftonig  und  im  Beime  durclh' 
gängig  klingend  zu  sein,  in  den  Nibelungen  aber  hebt  schon 
die  Verkürzung  in  ein  tonloses  -er  daneben  an.  Die  un- 
organische Natur  dieses  -er  folgt  teils  aus  dem  schon  im 
Singularis  stattfindenden  alten  Umlaut  (z.  B.  iegere\  teils  aus 
dem  Unumlaut  des  Fhiralis  (z.  B.  mdler)^.  Hinsichtlich  der 
Aussprache  der  Silbe  zwingt  die  Bücksicht  auf  die  moderne 
Geltung,  die  unumgelautete  Form  als  die  lautgemässe  auch 
für  die  mhd.  Zeit  voraus  zu  setzen^  sie  ist  in  den  Urkunden 
nur  selten  vertreten:  1302  bisch.:  Mnnar^  phiegar,  1304. 
11.  Juli  S,  (A).  burgar  (1308  (A),  um  so  stärker  dagegen 
in  dem  Stadtbuch,  was  keineswegs  gegen  ihre  Popularität 
spricht. 

Der  Umlaut  des  ä  ist  unter  den  gleichen  Bedingungen 
wie  der  von  ä  ins  Leben  getreten;  auch  hier  lassen  aber 

*  vgL  Fischer  in  Germ.  XXXVI,  418. 

*  «i  für  e  («-  UmlAat  von  S)  wird  schon  im  ahd.  geschrieben:  Branne» 
shd.  Gramm.  §  IS,  h,  9. 

>  1346.  Aohtbnch  56.  a.  L  1346.  heite  (conj.  praet)  später:  (80. 
a.  n).  1846.  reuigen,  fcheidlichen  (60.  b.  I).  fcheidlichen.  (61.  a.  I) 
fcheidlichen,  Stoeiblin,  (61.  b.  II).  neihlten.  (60.  b.  I).  vziteichen.  (62. 
a.  I).  reheidüdi  neben  meide  (Mädchen).  (6S.  b).  /dbeütttdk.  (69.  b.  II). 
^^eitt  (redet).  —  1849.  Stg.  (68.  b).  fehedliehen  ...  ei  giebt  an  allen  den 
Orten  zugleich  alten  Diphthong  ei^ai  wieder,  wenigstens  überwiegend. 

*  Weinhold:  mhd.  Gr.  §  877. 

«^  vgl.  Grimm :  I  (1890).  869  und  698. 


342  Dritter  Absohnitt.  96 

mehrmals  nachweisbare  Formen,  wie  iärcUchen  eine  gewisse 
Zurückhaltung  gewahren.  Desgleichen  scheint  die  Feminin« 
endung  -in  nicht  den  Umlaut  begünstigt  zu  haben:  ich  finde 
Phrggrafin  (bisch.  1341).  Der  gewöhnlichen  Schreibweise  nach 
muss  auch  ceht  zu  den  umgelauteten  Wörtern  rechnen;  da 
indes  akt  und  1  X  ahU  ersteres  häufig,  daneben  auftritt,  so 
kann  ich  e  eher  den  sonst  dem  Schwäbischen  eigenen  sym- 
bolischen Ersatz  eines  Vokals  heissen,  als  dass  er  die  eigen- 
tümliche Vermischung  von  a  und  e  im  Klang  bezeichnet;  es 
würde  demnach  für  das  Substantivum  die  Aussprache  deht, 
d.  h.  ätcht^  angesetzt  und  damit  die  Schreibung  aht  in  Ein- 
klang gebracht  werden  können,  (vgl.  oben :  SpiUd  =  Spitaul, 
vormalsj  =  vormatds), 

se:  Umlaut  Ton  ä:  Bezeichnung. 

Die  offenbare  Unsicherheit  in  der  Aussprache  lässt 
eine  entsprechende  Mannigfaltigkeit  des  graphischen  Aus- 
druckes erwarten.  Es  ist  in  der  That  cb  nicht,  die  alleinige, 
nicht  einmal  im  Allgemeinen  die  überwiegende  Schreibung 
des  Umlautes  von  ä,  sondern  es  wechselt  mit  e,  a,  d  und  e, 
sogar  eL  Genau  ist  es  als  A  geschrieben.  Auch  nicht  die 
Prävenienz  der  einen  Entwickelung  des  Umlauts  vor  der  anderen 
jüngeren  wird  durch  die  Schreibung  markiert.  Historische 
Schreibungen,  die  dem  au  =  ä  entsprächen,  habe  ich  nicht 
Yorgefiinden.  —  Unverkennbar  ist  cb  die  archaistische  Lant- 
gebung.  Sg  führt  sich  mit  e  ein,  und  das  ist  ein  neues 
Kennzeichen  seiner  fränkischen  Erziehung;  denn  in  der  Ver- 
meidung des  CB  sowohl  für  Umlaut  des  ä  als  für  e  (Umlaut 
des  a  durch  t)  und  fär  i  prägt  sich  die  gewöhnliche  md. 
Schreibweise  aus,  für  welche  der  gänzliche  Mangel  eines  ce 
im  mhd.  Sinne  eine  der  bekanntesten  Eigentümlichkeiten 
ist.  *      Erst    später    verwendet    S  3    cb    und    e    unterschieds- 

'  Im  Allgemeinen  glaubeich  nicht»  dasB  irgendwo  im  ganzen  deutschen 
Gebiete  für  ceht  die  Aussprache  ä  gegolten  habe,  sondern  aach  im  md. 
äe  (Rückert  S.  61),  im  nd.  ä,  and  daher  aht  oder  cht,  ähte  nur  als  eine 
Gewohnheitsschreibung  anzusehen  sein,  der  das  Wort  als  juristischer 
Ausdruck  leicht  hat  unterliegen  können. 

»  Rückert  S.  80. 


97  Lautlehre.  343 

loSy  abgesehen  davon,  dass  er  auch  den  Umlaut  gar- 
nicht  kennzeichnet:  Yor  r  und  hi  {naher  1286)  r:  gefwareU 
—  Die  Schreibungen  mit  ei  und  oei,  den  Quellen  nach  vor 
U  t  und  h  sind  schon  erwähnt ;  es  wurde  in  ihnen  die  graphische 
Wiedergabe  des  etymologischen  ei  =  ai  auf  Grund  gleichen 
Lautwertes  in  Anspruch  genommen.  ^  feelig  (1313,  13.  Mai 
S,)  neben  ausschliesslichem  ce  (goeber  —  geeber  —  aufgeben) 
ist  nur  eine  Variation  des  cei,  ei,  übrigens  dem  lebenden 
Laute  mehr  entsprechend.  Ausser  bei  S3  tritt  die  Schreibung 
ei  nur  bei  klerikalen  Schreibern  häufig  auf.  Nur  S^^  hat: 
neifist  1331.  Hagen  (Sj,)  bringt  mit  Vorliebe  ei  und  cei 
auch  in  Urkunden  (1348.  M.  v.  Bart.  (A)  .  •  .). 

Die  Quantitätsbezeichnung  mit  ^  ist  im  13.  Jh.  üblich, 
im  14.  Jh.  wird  sie  sehr  spärlich  und  mit  wenigen  Ausnahmen 
nur  von  klerikalen  Schreibern  angewandt.  Mit  Hagen  gewinnt 
sie  neuen  Boden  auch  in  der  städtischen  Kanzlei;  derselbe 
bedient  sich  ihrer  schon  als  Gehilfe  häufig  (1345.  S.  d. 
Ahtunden  (A),  und  namentlich  in  den  letzten  Jahren 
unserer  Periode  blüht  die  Schreibung  mit  ^.  1333  beginnt 
Sjg    a   zu  schreiben,    zugleich  als  Bezeichnung  des  Umlauts 

von  ä:  alliv,  halbiv,  befchac/ie  (c.)  —  Akker  (1339.).  Sjg  (Ulrich 
Riederer)  forciert,  wie  schon  erwähnt,  diese  Schreibweise. 
1348  finde  ich  Yon  dem  Schreiber  des  Klosters  z.  hl.  Kreutz: 
fat;  ob  damit  ftet  oder  ftet  gemeint  ist,  kann  ich  nicht  ent- 
scheiden, einmal  ist  ftet  sicher  belegt.  —  Von  den  Endungen 
'cere  und  -beere  tritt  -cere  vorherrschende  mit  ce  auf  im  13.  Jh., 
von  Sj  sogar  im  Namen  Minn&r  mit  Circumflex  ausgestattet. 
Vom  Jahre  1307  etwa  an  (S^  .  .  .)  verdrängt  e  das  schwerere 
«,  welches  Platz  wegnahm ;  nur  einzelne  Schreiber  bevorzugen 
noch  lange  nachher  ce  (1325  (Sj^)  1328  (S^).  Das  Wort 
SchribeTy  gleich  ob  Eigenname  oder  Standesbezeichnung,  macht 

die  ganze  Periode  hindurch  eine  Ausnahme. beere  ist   die 

Hegel,  doch  wird  es  im  14.  Jh.  vielfach  durch  -bere;  -ber 
infolge   der  Gewohnheit  der  Zeit,  ersetzt.  —  Die  Praxis  des 


1  vgl.  Grimm:  I^,  186,7. 

23 


344  Dritter  Abschnitt.  98 

iBT  lehrt  im  AUgemeiiien  die  BedeutungsloBigkeit  des  <b  f&r 
die  Darstellung  vod  ihrer  Geschichte  und  ihrem  Ursprung 
nach  yerschiedenen  Lauten. 

e:  Belege. 

Urkunden: 

ae,  e,  ae,  6,  &,  e.     (i).  — 

städtische:  1272—1330:  in  der  Regel  ae,  anfangs:  ae  be- 
vorzugt. —  1330—1374:  e  in  der  Regel.  — 
1272.  lefen  (fehent)*  S^  (U.  II,  1).  —  1277. 
laefent  (faehent)  gaeben,  faelben.  S,  (A).  — 
1280.  lagfent  S^  (A).  —  1282.  laefent,  (faehent)^ 
geben  S^  (A).  —  geben,  (feh^nt),  lefent, 
brddien^  braechent  S,  (R.  4,4).  —  lefent 
laebt,  waerden  —  (faehent),  LichtmaSlte  S, 
(A).  —  1283.  lefent,  (fehent),  —  e  Sg 
<A).  —  1283.  ledic,  Ratgeben,  Miffe,  liehtmiffe 
Sft  (A).  —  1296.  Bischof  und  Rat:  lesent, 
(fehent)  S^  (R.  x  ^  4,6).  —  1298.  faelb,  ledick 
Sg  (A).  —  1304.  gaeben,  sechzick  S^  (A). 
—  1306.  haer  (=>=  her),  faelb,  raechts  rechts 
Se  (C.  5).  —  1306.  ae  S.  (U  2).  —  1311. 
Rat:  gebenne  S,  (R.  x  |  6,5).  -^1312.  Sehzick^ 
ledigiT  S«  (C.  6).  —  1313.  faehtzik  zaech- 
maifter,  zechmailter  S,  (A).  —  rehtun 
Sg  (A).  —  gaeber,  aufgeben,  geeber 
(feelig)  S,  ?  (fl.  14).  —  bis  1317:  e  —  1317. 
faehtzich  S^  (0.  6).  —  1318.  gaeber,  geben^ 
(fehent)  S^  (U.  2).  —  1318.  gaeber,  ledick 
Se  (U  2).  —  1319.  vaelde  S,  (C.  6).  —  1323. 
waertlichen     S,      (0.     7).     —      tagwaerch,. 

reht,  veld.  S^.  —  1328.  e  S^j,  Sj,.  —  1329. 

*  Ich  stelle  iehent  hier  mit  ( — )  nehen  die  Belege,  weil  es  in  den 
mittelalterlichen  Denkmälern  Augsburgs  nur  als  L&nge  behandelt  ist, 
nm  so  die  Behaudlung  des  e  ersehen  zu  lassen,  soweit  das  mit  Ab- 
rechnung des  formelhaften  Gebrauches  von  aehent  möglich  ist. 


99  Lautlehre.  346 

vaeld  S^  (hl.  Cr.).  —  1329.  faelben  S,,  (H. 
16).  —  1330.  velde  S^  (St.  3).  — 

1330—1374:  in  der  Regel  e.  —  1341.  wiltUchen 
S,5  (A).  —  1346.  Liechtmijle  8,^  (hl.  Cr.  5) 
1346.  Liechtmeffe  S„  (H.  20).  —  1351 :  Lyecht- 
miffe  S„  (C.  10).  —  1855.  vaeld  S,«.  —  1357. 
sehtzig,  Geltent  S^,.  —  1358.  naemen  S^,.  — 
1359.  Liechtmezze  S^,  (A).  —  1365.  velde 
Sie  <ß"  12)-  —  1367.  veld  Sie  (ß-  13).  — 
1367.  SShtzigoftem  Sj.  (K.  13).  —  1366. 
Sßhtzigoftem  S^^  (A).  — 

Bischöfliche  und  Domkapitel:  1296.  lefent  (E.  x  |  5,6). 

—  1305.  lefent,  (fehent)  (R.  6,4).  —  1313.  e 
(H.  14).  —  1338.  Wechhalter  —  (ftent,  Enger 
befteter)  (A).  —  1345.  rehtiv,  e  (H.  20).  — 
1345.  Lyechtmiffe  (H.  20).  —  1349.  laidigen 
(H.  21).  —  1351.  Lichtmeffe  (H.  22).  — 

Domk.:  1348.  rSht,  wechfel:  (ftet  (adj.))  (hl.  Cr.  5).  — 
1349.  Lyechtmiffe  (H.  21).  — 

Curia:  1320.  velde  (G.  2>  —  1327.  laedich  (A).  — 
1331.  ledig,  liehtmiffe  (U.  II).  —  1337.  gaeben, 
(fehent),  lefent,  veld  (U.  5).  — 

Klöster:  St  Cath.:    1295.    (faehent),    laefent,   gaebin 
(R.  X  I  4).  —  1303.  (fehent)  <C.  5). 

St.  Ulrich:  1301.  (fehent),  lefen  (U.  2).  — 
1306.  glegen,  raehts,  raechter  (ü.  2).  —  13S1. 
e  (A).  - 

St.  Stephan:  1306  e  (A).  —  1312.  lefent 
(St.  13).  —  1327.  e.  — 

hl.  Kreutz:  Schreiber  von    1311  =  1317  = 

1326:   leifent,    gefeitzed,    leigent   rechttes:    — 

(eiltfchten)  (hl.  Cr.).  —  1326:   leifent,  leidick 

(hl.  Cr.).  — 

St.  Georg:  1337  fwöfter  (A).  — 

28* 


346  Dritter  Abschnitt.  100 

Stadtbuch: 

Grundtext:  In  der  £egel:  e  anfangs:   ae  —  S^:  ae  und 

weniger  e:  —  reht  in  der  Begel  mit  e  —  doch: 
raehte,  raehticheit  (Grundtext  la)  —  S,:  ae, 
seltener    e.   —   Sg,  —  S^,  —  S^,  —  S^,  — 

Oiftj  ^17»  ^16*    ®' 

Achtbuch: 

A:  Durchaus  e.  —  1342.  Liehtmeffe  S^^  (9a.  11). 
—  1346.  LiehtmezZy  faelben  S^,  (Ha).  — 
spätere  Hand  (1350.  Liehtmiffe  (13a  I).)  - 
1367.  Liehtmeffe  S^,  (25b).  — 

B:  1346.  ftaechen  Sj,  (56a).  —  faelben,  raehten 
Si,  (56a).  -'  1346.  felben  S„  (56a).  —  1346. 
vzfteichen:  —  (feiligen,  fcheidlichen)  S^^  (60a). 

e:  Oeltnng: 

Wie  schon  bemerkt,  kann  sich  in  Augsburg  der  Klang 
des  german.  S  nicht  oder  nur  wenig  von  dem  des  Umlaut  =  e 
unterschieden  haben;  von  der  den  oberdeutschen  Mundarten 
eigenen  Klarheit^  in  der  Unterscheidung  des  Umlautes  und 
der  Brechung  in  e  ist  also  in  Augsburg  nicht  viel  zu  spüren 
für  die  mhd.  Zeit.  Eine  gedehnte  Aussprache  wird  der 
Schreibung  nach,  wie  sie  anfangs  herrscht,  bei  S^  (:  zwar 
1272  lefen,  doch  später  nur  laefent,)  in  lefen  stattgefunden 
haben.  ^  —  Der  Laut  ist  heute  zweigestaltig  ^  1.  ea,  die  ur- 
alte Aussprache,  (doch  erst  im  15.  Jh.  häufiger  durch  die 
Schreibung  ausgedrückt)  2.  e  echt  augsburgisch,  als  ob  es 
gleich  umgelautetem  a  wäre.    Diese  Zweiteilung  spiegelt  sich 


*  Birlinger:  Schwab.  Wörterbuch  S.  248. 

«  S«  schreibt  1282:  Chailner;  Taigan;  brichen,  braechent  —  laibt; 
watrden,  IÄchtmaef£e,  Auch  vor  r  würde  nach  den  Zeugnissen  gedehnte 
Aussprache  eingetreten  sein :  gewer  wird  sehr  häufig  als  gewir  geschrieben 
z.  B.  1836|  Si3. 

•  Vgl.  Grimm:  Gr.  I*,  2980'.  und:  Birlinger :  Augsb.-schw.  "Wörtb. 
131,  I. 


101  Lautlehre.  347 

in  der  Schreibung  des  13.  und  14.  Jh.  derart  ab,  dass  auch 
diese  keine  einheitliche  ist  Dass  oe  das  ea  vertreten  soll, 
ist  im  Einzelnen  wohl  anzunehmen;  die  Gleichstellung  der 
Schreibungen  ae,  e,  ä  aber  wird  im  Allgemeinen  eher  auf 
jene  heute  geltende  Aussprache  i,  entsprechend  dem  durch 
die  gleichen  Zeichen  und  in  gleicher  BegeUosigkeit  dar- 
gestellten  Klange  des  umgelauteten  ä  hinweisen.  Übrigens  ist 
auch  ae  anfangs  vorherrschend  parallel  dem  <ie  für  Umlaut  von 
ä  und  ä.  —  Noch  zu  gedenken  ist  einer  Erscheinung,  welche 
im  Yolksmunde  und  in  volkstümlichen  Schriften  nicht  allein 
Augsburgs,  sondern  wohl  ganz  Schwabens  sich  erhalten  hat; 
es  ist  nämlich  das  i  in  manchen  Stellungen  der  Brechung  zu 
i  ausgewichen  und  wird  als  l  gesprochen  in  liehtmiffe,  welches 
häufiger  auch  in  unseren  Denkmälern  neben  liehtme/fe  erscheint. 
Bemerkenswert  erscheint  mir  dabei,  dass  dieselbe  Gepflogenheit 
im  Mittelniederländischen  (mndd.  ?)  in  der  Stellung  vor  n  und 
sonst  nur  in  lichtmiffe  und  dem  einfachen  miJTe  besteht.  Durch 
seine  Verbindung  mit  Köln^  konnte  vielleicht  Augsburg  zu 
dieser  Gestalt  des  Wortes  gekommen  sein.  ^ 

e:  Bezelclinang : 

Wiedergegeben  wird  i  mit  e,  ae,  ai,  S,  e. 

ae  ist  im  13.  Jh.  vorherrschend,  besonders  bei  den  kleri- 
kalen Schreibern.  1282  hat  eine  bischöfliche  Urkunde  dreimal 
vaeüen  neben:    lefent,    Waertah,   faehzehen:  —  (naSme^   waere). 


^  Die  Handelsverbindong  and  der  Wanderverkehr  Augsburgs  mit  Köln 
war  alt.  Schon  1104  nimmt  das  Augsburger  Stadtrecht  v.  1104:  lU,  5 
(Gaupp :  Stadtrechte  des  Mittelalt.  IE,  203)  in  seinen  Text  den  Passus  auf: 
'praeter  institores  civitatis  qui  Coloniam  vadunt'  —  desgleichen :  Stadtb. 
Y.  A.  ed.  Chr.  Meyer:  S.  16.  'hinze  herlingen  .  .  .'  In  der  Anlage 
seines  Stadtrechts  übrigens  äussert  sich  unverkennbar  eine  Hinneigung 
Augsburgs  zu  dem  Freiburger  Recht  und  dadurch  auch  zu  dessen  Mutter- 
recht, dem  Recht  von  Cöhi.  (Vgl.  Chr.  Meyer:  Stadtb.  v.  Augsb. 
S.  XXVn.)    Gaupp:  Stadtrechte  des  Mittelalters  11,  S.  28. 

«  Vgl.  Lübben-Schiller:  mndd.  Wörterbuch:  11,  686.  und  Birlinger: 
augsb.-  schw.  W.  S4d. 


348  Dritter  Abschnitt.  lOi 

S3  führt  e  ein,  ^  erst  1291  schreibt  er  Truclilaetze,  gebraelte  — 
fetzze,  ein  Beweis  für  seine,  wenn  auch  geringe,  Beeinflussung 
von  Seiten  des  städtischen  Schreibgebrauches.  Im  14.  Jh. 
treten  die  klerikalen  Schreiber  in  der  Verwendung  des  ae  für 
S  weder  in  den  Vordergrund,  noch  auch  ist  ae  überhaupt  so 
häufig.  Eine  merkliche  Bevorzugung  des  ae  vor  bestimmten 
Konsonanten  und  Konsonantenyerbindungen,  welche  eine 
Dehnung  des  Yorausgehenden  Vokals  veranlassen,  und  also 
eine  Wiedergabe  der  eingetretenen  Dehnung  des  S  nach  i 
hin  durch  nunmehr  legitimes  ae«  lässt  sich  nicht  feststellen, 
wenn  auch  die  Quellen  fast  auf  eine  solche  ae  erhaltende 
E^raft  vor  Liquida  -|-  Nasal,  Liquida  -j-  Lingualis,  vor  Guttu- 
ralen und  vor  s  (Sibilanten)  hinzudeuten  scheinen,  es  stellen 
sich  immerhin  Beispiele  wie  laebt  (1282  2.  Febr.  S ,)  entgegen. 
Die  Dehnung  in  LUhtma^rte  kann  sich  gründen  auf  eine  durch 
den  Bhythmus  im  logischen  Zusammenhange  hervorgerufene 
besondere  Betonung  und  kann  demgemäss  in  der  Schreibimg 
ihren  Ausdruck  gefunden  haben.  Wir  hätt^  damit  ein 
Wort,  welches  in  dieser  einen  Gestalt  allein 
dem  Sprachgut  der  Kanzleisprache  angehört 
und  nur  zuweilen  durch  das  volkstümliche  Uehtmiffe  *  ver- 
drängt wird.  Im  übrigen  aber  sind  die  Fälle,  die  dem 
oben  angegebenen  Gesetz  untersteben  können,  so  spärlich, 
dass  die  Unzulänglichkeit  des  Materials  zur  Vorsicht  mahnt. 
—  Von  einzelnen  Wörtern  ist  geben  am  häufigsten  mit 
ae  geschrieben;  die  einmal  nachweisbare  Form  geeber 
neben  gaeber  (1313  S,)  kann  als  Zeugnis  für  eine  statthafte 
Dehnung  des  e  gelten,  mithin  physiologisch  gerechtfertigt 
sein.  Die  Doppelschreibung  des  e  vertritt  in  derselben  Ur- 
kunde noch  einmal  ümlaut-o«,  und  beachtenswert  ist,  dass 
in   einer  Urkunde  von  Aichach  aus   dem  folgenden  Jahre  i 

^  Vgl.  das  bei  ae  über  die  md.  Eigentümlichkeit  Gesagte. 

*  Es  ist  kaum  ein  Zufall  zu  nennen,  dass  liehtmiffe  die  dominierende 
Schreibung  im  Stadtbuch  ist ;  liehtmisse  ist  Besitztum  der  Yolkssprache, 
und  damit  für  das  Sprachgut  der  internen  städtischen  Bechtsdenkmäler, 
als  Vertreter  einer  auf  die  Mundart  einer  früheren  Zeit  gegründeten 
Tradition,  erworben. 


103  Lautlehre.  949 

mehrfach  belegt  ist :  ^  geben  und  stet  (»>  stät).    In  den  internen 
schriftlichen  Bechtsdenkmälem :     Achtbuch,  Stadtbuch,  ist  #, 
ee  für  S  unbekannt,  in  der  Urkunde   resultiert  dieselbe  also 
wohl    ans  einem  augenblicklichen  Einfluss  von  Urkunde  zu 
Urkunde,   und  verschwindet,   wenn  die  Vorlage  nicht   mehr 
benutzt  wird.     Die  Schreibung  mit  ae  geht  so  weit,   dass  in 
einem  Instrument  yon  1305  vom  Schreiber  S^,   welcher  das 
ae   in  Stammsilben  bevorzugt,   auch  das  Praefix  her-  mit  ae 
geschrieben  wird.     Den  Brauch,  ae  als  ei  zu  schreiben,  hat  e 
auf   dem   Wege  über   ae  mitgemacht  in   dem  Stamme   lid-: 
Udig,  laedig  und  Uidigs  bei  weitem  am  häufigsten  in  klerikalen 
Urkunden:    1326.    leidick    (hl.   Cr.);    1349.    laidigen    (Domk.) 
Wie   weit  hier  eine  Verwechselung  mit  leidigen  ==:  'ein  Leid 
anthun'   vorliegt,  ist  eine  Frage   für  sich.  -^  Die  Variation 
des  ae  ZM  a  finde  ich  nur  in  wiUtUclien  (1341  S^^).  —  Einige 
Schwierigkeit  stellt  der  Erklärung  die  Schreibweise  S  entgegen, 
welche   zuerst  in  Masse  eine  bischöfliche  Urkunde  von   1338 
bringt:  wechhalter,  wechTel,  r8h$:  —  (lüt,)  die  Erscheinung  ist 
immerhin  nicht  bedeutungslos,  weil  der  bischöfliche  Schreiber 
dieser  Zeit   zugleich  kaiserliche   Urkunden   geschrieben,   und 
zwar  als  Begleiter  und  Schreiber  des  zum  Kanzler  bestallten 
augsburgischen  Bischofs  Heinrich  von  Schöneck.    Zum  zweiten 
Male  erscheint  ^  in  der  sicherlich  aus  einem  klerikalen  Schreibort 
stammenden  Urkunde  von  1348  (bisch,  od.  hl.  Gr.).    i  kann 
e   darstellen,  jedoch   ist  die  Bestimmung   der  beiden  punkt- 
artigen  Strichelchen   über  e  aus  ihrer  Form  und  Stellung 
zu  einander  nicht  festzustellen,  sie  können  ebenso  gut  Länge- 
bezeichnung (=  ^)  sein,  wie  der  anonyme  Kritiker  der  Schrift 
Weinholds :  ^Beilaut'  ^  bei  jedem  unbestimmbaren  Apex  annehmen 
möchte,     e  würde  dann  der  gleichen  Tendenz    entsprungen 
sein,  wie  ae  fUr  e,  es  soll  die  Dehnung  veranschaulichen ;  noch 
Sj,  hat  es  als  S  zur  Bezeichnung  des  e,  aber  auch  des  ae^^ 


'  Ich   meine,   dass  Urkunden   desselben   Ortes   schon   in  gleicher 
Fassung  vorhergegangen  sein  können,  nur  sind  sie  uns  nicht  erhalten. 

•  GemL  V. 


350  Dritter  Ab«chnitt.  104 

Umlaut  YOn  ä  (1367 :  sektzig  —  ierlich,  kes  —  befctiShe,  tothen- 
nehtenJ^ 

Das  6  findet  merkwürdiger  Weise  gerade  in  den  sechziger 
Jahren  des  14.  Jhs.  häufige  Verwendung,  ohne  dass  eine  Yer- 
anlassungy  etwa  Einfluss  yon  aussen  her,  erfindlich  ist:  velde^ 
wSren,  1365  (Sj^),  SehtzigoIUm  1366  und  1367.  (SjJ. 

Schiesslich  fallt  die  Schreibung  fwdäer  ^=  fwoJUr  (?)  in 
einer  Urkunde  yon  St.  Georg  1337  in  die  Augen.  Sie  ge- 
hört nicht  dem  Sprachgut  der  Mundart  an. 

S:  Belege: 

Urkunden: 

städtische:  bis  1300:  ae,  d,  e,  ei.  — 

1272.  (fehent)  S^  (ü.  IL  I).  —  1277.  (faehent), 
(zaehenden)'  S,  (A).  —  1280.  (zaehenden) 
Si  (H).  —  1282.  (faehent),  feie  S,  (A).  — 
(fehent),  Taegan  S,  (R.  4.  4).  —  (faehent)  8^ 
(A).  —  1283.  (fehen)  S»,  —  (fehent)  S,.  — 
Meintage  S^.  —  (fehent)  Sg  (C.  3).  —  1294. 
(fehent)  S^  (R.  X|  5).  --  1295.  Selgereit  S, 
(U.  1).  —  1296.  Bisch,  und  Rat  (fehent)  S^^ 
(R  X^,  4,  6).  —  1296.  (Sie  S^  (A).  — 
felgeraete  S^.  —  felgeraöte  S5.  —  1297. 
fSlgeraete  S^.  —  1297.  (fehent),  felgerete  S3 
(U.  1).  —  1299..  eS.  S3  (A). 
1300—1374:  e.  —  (1301.  aerften,  (fehent), 
Erberen?)  —  1304.  felegeraite S,  (A).  —  1306. 
haer  S^  (C.  5).  —  1306.  gierten,  haer  S^ 
(U.  2).  —  1330.  Maentag,  wenik  S^?  (A).  — 
1332.  mentag  S„  (A).  —  1333.  Vogt.  Mäntag 

S^,  (hl.  Or.  5).  —  1334.   Maentach  S^,    (A). 

'  Letztere  beiden  Wörter  haben  gedehntes  a,  und  über  dieses 
hinweg  a^  als  Umlaut. 

'  Ich  zähle  hier  zaehenden  immer  mit  auf,  da  dasselbe  der  heutigen 
Aussprache  nach  zu  den  Wörtern  mit  Dehnung  des  ü  zu  $  gehört ;  des- 
gleichen wird  aehent  auch  hier  mit  aufgeführt. 


105  Lautlehre.  351 

—  1337.  euwiclich  Sjg.  —  1337.  Maentag^ 
ewiclich-Gewer  S^^.  —  1338.  Afiftermaentag 
Sjg.  —  1338.  aflftermentag  B^^.  —•  1340.  Mentag 
S^g.  —  1342.  Maentag  8^^  (U.  6).  —  1345. 
Mentag  S^^  (A).  —  1346.  Mentag  S^,  (H.  20.) 
1348.  Mentag  .  .  .  S^,  (A).  —  1357.  elichiu, 
8,  Ehaftin  S^,  (0.  6).  —  1367.  Mentag  :-(Seht. 
zigoftem)  S^^  (R.  12).  —  (1366.:  -Sehtzigoftem) 

Sie  (A). 
bischöfliche  und  Domkapitel:     1282:  (iaehent)  (2  X), 

NaSrtah,  zwSn  (R.  X^,  4,  3).  —  1296.  lefent 

CR,  X\j  5,  6).  —  1305.  (fehent)  (R.  X|,  6,  4). 

—  1347.  laeran  (R.  X^,  10).  —  1348.  ewich- 
lichen  -(reht,  ftet)  (hl.  Cr.  5).  — 

Curia:  1337.  (fehent),  (U.  6).  —  1337.  maer.  — 
Klöster:  St.  Cathar.:  1279.  erbaere  (C.  2).  —   1295. 

(faehent)  (R.  X|,  4).  —  1303.  fei,  (Gen),  eu- 

wig,  (fehent).  (C.  5). 

St.  Georg:    1282.  föl  (G.   1).  —  1352.   ege- 

nante  (A).  — 

St.  Ulrich:  1301.  aerften,  (fehent),  Erberen 

(U.  2).  —  1331.  Ewich  (A). 

St.  Stephan:  egenant  (A). 
Stadtbuch:  Grundtext:  e  —  doch:  eS,  e  (=  ehe). 

Novellen:  e:  —  eö  (=  ehe),  ee  (=  ehe). 
Acht  buch:   e:    1340.    Mentag    S^^.    —    1350.    (bed)    S„ 

(15.  a.)  —  1352   eegenannten  S^,  (16.  b.)  — 

1357.  Ehaftin  Si,  (20.  b.)  —  1359.  er,  Ehaftin 

Si,  (22.  a.)  — 

e:  Geltung: 

Im  ahd.  schwankt  ei  (goth.  äi)  ausser  den  3  Fällen  ^  nur 
selten  in  e  über;  die  ahd.  Beispiele  lassen  sich  im  mhd.  nur 
wenig  vermehren  und  die  meisten  Wörter,  welche  hinzukommen, 
sind  fremde  und  solche  Wörter,   in  denen  ursprüngliches   e 

*  Grimm:  Ghr.  I,  8.  90  und  S.  343. 


352  Dritter  Absclmitt.  109 

durch  Dehnung  zu  e  geworden  i^t.  Die  Summe  der  Belege 
schrumpft  in  den  Urkunden  noch  bedeutend  zusammen :  Jede 
Urkunde  enthält:  Tehen,  aber  meist  in  der  Eingangsformel, 
wodurch  eine  gewisse  Erstarrung  der  Form  bedingt  ist;  es 
ist  abgesehen  von  den  allerersten  Urkunden,  wo  fehent  mit 
faehent  wechselt,  nachher  nur  noch  fehent  nachweislich;  das 
Einzelne  bringt  der  Abschnitt  über  die  Schreibung,  und  es 
ist  im  Übrigen  auf  die  Belege  zu  verweisen.  —  Eine  gleiche 
Erfahrung  werden  wir  an  dem  Worte  Mgeraete  machen.  In 
den  anderen  Fällen  geben  die  Belege  etwa  von  ISOO  ab 
überwiegend  §,  in  dem  einsilbigen  Wort  für  ^ehe':  e.  Einen 
Anhalt  für  die  mögliche  Aussprache  des  e  in  der  mhd.  Zeit 
gewährt  die  Schreibung  fei  1303  (St.  Cath.),  und  das  als  ee 
(bei  städtischen  Schreibern  1299,  (Stadtb.  61)  S3 :  eS  und 
egenannte  1362  (St.  Georg))  auftretende  e  (»;  ehe).  Es  ist  in 
diesen  Fällen  unzweifelhaft  ein  Doppellaut  empfunden  worden, 
die  nähere  Bichtung  kann  Gen,  welches  in  derselben  Urkunde 
von  1303  neben  fei  steht,  anzeigen,  indem  dasselbe  mit  der 
nebenhergehenden  Schreibung  gein^  sich  den  Wörtern  wie 
feit  =  faet  (=  saget)  nähert. 

e:  Bezeichnung: 

Zeichen  sind  ae,  S,  e,  e. 

Die  Ausstattung  des  Buchstaben  e  mit  Circumflex  -^  ist 
auch  hier  eine  Eigenheit  der  klerikalen  Urkunden,  wie  die 
Belege  ergeben,  ae  gehört  im  Allgemeinen  dem  13.  Jh.  an, 
nach  1300  haben  es  spärlich  klerikale  Schriftstücke;  über- 
wiegend verwenden  auch  diese  e.  e  ist  selten,  scheint  mir 
aber  auf  eine  gewisse  Bedächtigkeit  des  betreffenden  Schreibers 
schliessen  zu  lassen;  auch  diese  Art  der  Darstellung  des  S 
ist  charakteristisch  für  die  klerikalen  Schreiber,  indem  die- 
jenigen städtischen  Funktionäre,  welche  die  Indicierung  mit 
i  bei  a  und  auch  bei  anderen  Vokalen  besonders  forcieren, 
bei  e  dieses  Hülfsmittel  verschmähen.     Alles  in  Allem  aber 


'  Achtbuch:  1370.  gein  Si«  (29  a). 


107  Lautlehre.  353 

kann  ich  mich  des  Eindruckes  nicht  erwehren,  dass  die 
Sdireiber  in  der  individuellen  Absicht  zu  unterscheiden  oder, 
weil  es  ihnen  so  gelehrt  w(»rden  ist,  mit  dem  einheitlichen 
e  etwas  anderes  haben  ausdriicken  wollen,  als  wenn  sie  für 
Umlaut  Yon  ä,  Umlaut  von  a  und  für  ^:  6  mit  ae  und  dessen 
Variationen  wechseln  lassen. 

Anmerkung:  Schliesslich  ist  noch  an  dieser  Stelle 
auf  die  Entwicklung  der  Zusammensetzungen  mit  ü  <^ 
ioy  eo:  ieman,  ietweder  .  .  •  aufmerksam  zu  machen,  indem 
die  Urkunde  von  1319.  14.  August  in  der  Schreibung  iemen, 
ietweder,  ieglichen,  die  später  im  md.  dem  ieman  gleichwertige 
Form  iman  .  .  .  durchblicken  lässt;  es  hat  sich  ieman  über 
ieman  zu  &man  entwickelt  Bezüglich  der  Bedeutung  dieses 
ieman  für  die  Geschichte  des  ieman,  nieman  der  Augsburger 
Mundart  darf  nicht  übergangen  werden,  dass  heute  ne9m9  die 
geltende  Aussprache  ist,  iiman  kann  also  als  durchaus  mund- 
artlich für  das  14.  Jh.  angesprochen  werden. 

!:  Belege:^ 

Urkunden : 
In  der  Eegel:  i  —  ie;  y,  und  Dehnung  zu  ei. 
städtische:  in  der  Regel  i:  1272.  Sibenzek,   ynfigel  S^ 

(U.  II).  —  1273.  gefcriben,  Sibenzech  S^  (A). 

—  1277.  Spietal,  frier,  fchriber,  nihtef  niht, 
fvben,  fvbenzegeftem  S^  (A).  —  1282.  Insigel, 
drj,  niht,  iht  S,  (E.  X^,  4,  4).  —  Lieht- 
maeffe  Sj  (A).  —  1284.  nimmer  S«  (A).  — 
(yierden)  S,  (A).  —  1294.  Insigehi  S^  (R.  X^, 
5,  4).  —  1298.  lieht,  vil.  S«  (A).  —  1300.  niht 
Sj  (C.  5).  —  1303.  nit  S^.  —  1306.  verzeichen 
Sg.  —  verzeichen,  verzigen,  Insigel  S^  (U.  2). 

—  1316.  nit  Sg  (A).  —  1317.  nit  Sg  (A).  — 
1318.  niht  S^  (U.  2).  —  132S.  Liudfrid  Sg  (C. 

7).  —  1329.  Dyener  Sg  (A).  — 

*  Die  gedehnten  Wörter:  fehribtn,  fchriber,  win,  /W,  fient,  dri, 
werden  bei  t  angeführt 


354  Dritter  Abschnitt.  108 

1330.  veijehen,  immer  j.  S^  (St.  3).  —  1332. 
Ohustry  S^  ?  (A).  —  1333.  ymmerme:  —  (ftynr) 
8^2  (A).  —  1335.  Rynchmaur  S^,  (A).  — 
1335.  Bat:  weffenten  8^3  (U.  5).  —  1338. 
Crufti  S18  (A).  —  1338.  Ueht.  chuftrie  8^^  (U.  6). 

—  1339.  vogtey,  vogtay  8^8  (A).  —  1343. 
(ytzu),  Liechtmiffe  8^,  (hl.  Cr.  6).  —  1360. 
Brotyfch,  protyfch  S^,  (A).  —  1351.  Byßüm 
81,  (C.  10).  —  Lyehtmiffe  8„  (0.  10).  — 
1352.  Byfchftf  8^,  (A).  —  1354.  Hymel  S„ 
(A).  —  1357.  verzeihe  8^7  (C.  6).  —  1359. 
Pryorin  8^7  (C.  10).  —  Liechtmezze  8^7.  — 
1362.  nihtes  8^«  (R.  12).  —  1372.  8ibenl^ 
zigoftem  8,^  (B-  14).  — 

Bischöfliche  und  Domkapitel:  1282.  nider,  (lit),  dri,   ge- 

fchriben,  gefchrieben  (K.  X^,  4,  3).  —  1293. 
ynfigel  (A).  —  1305.  hilfe  (R.  X^^,  6,  4).  — 
1343.  kyrher  (=  kirchherr?)  (H.  20).  —  1344. 
Pyfchof  —  (fryetag)  (C.  9).  —  1345.  Byfchof 
--  (frietag)  (H.  20).  —  Pyfchoff,  Lyecht- 
miffe     (H.     20).     —     Pyfchoff,    LyechtmifTe. 

—  1349.    Byfchof,    Lyechtmiffe    (H.    21).    — 

1350.  Hymel  (A).  —  1351.  Liehtmeffe  (H.  22). 

1351.  Marigen,  Domk.?  Curia?  (A). 

Curia:  1331.   liehtmiffe  (U.  III).  —   1337.   verzeihen 
(U.  5).  — 

Klöster:  8t.   Cath.:    1279.   8ibenzich,   nit  (C.   2).   — 
1295.  niht  (R.  X\j  4).  — 

8t.  Ulrich:  1288.  nith  (U.  1).  — 

hl.  Creutz:  1326.  vmmer  (hl.  Cr.  5).  —  1334. 
Hvntz  (hl.  Cr.  5).  —  1350.  gescriben,  (ihefu) 
(A).  - 

8  t.  Moritz:  1342.  i,  Pyschoff  (A).  — 
8t  8tephan:  1362.  Dylinger  (St). 


109  Lautlehre.  356 

Stadtbuch: 
Grundtext:   i,   liehtmesse    (26    b)   —   lieht 
(21  a)  —  immer:  niht:  —  geschrieben  (25  a).  — 
sonst:  geschriben  (z.  B.  25  b). 
Novellen:  durchweg  i,  auch:  niht,  nit  1350  S^,. 

Achtbuch: 

A:  In  der  Regel  i:  immer:  Liehtmeffe,  niht 
1338.  (Marigen)  S^«  (4  b).  —  1340.  (Otüigen), 
niht  8^5  (6  a).  —  1342  Liehtmeffe  S^^  (9  a). 
—  wefte,  nihtes  S^^  (8  b).  —  1341.  (Maigifter, 
maifter)  8,^  (7  a).  —  1343.  wifte,  (dry)  8^^ 
(10  a).  —  1349.  frid,  Liutfrid  8^,  (14  b).  — 
1350.  frid  8„  (15  a).  —  1353.  Otylgen.  —  1360. 
Siben  8^,  (22  b).  —  1369.  Elyzabeth  8^^ 
(27  b).  — 

B:  1343.  liebten  (adj.)  8^^  (53  a).  —  1367.  veint- 
fchaft  8i,  (94  b).  —  1369.  vintfchafft. 

i:  Geltung: 

Das  mhd.  l  basiert  auf  zwei  früheren  Entwickelungen : 
1.  t  sa  indogerm  i  und  2.  i  aus  urgermanischem  altem  S  der 
Stammsilben  vor  i  (u)  der  Flexionssilbe.  Ahd.  %  ist  im  Augs- 
burgischen nicht  in  allen  Stellungen  i  geblieben.  Es  hat 
zunächst  von  den  Verben  der  i-Klasse  das  Verbum  ^inasen 
während  unserer  ganzen  Zeit  als  Fraeteritum  nicht  vriste, 
sondern  weste  ^.  Sodann  kennt  die  Augsburger  Mundart  nicht 
mehr  die  alte  Aussprache  lidic,  sondern  schon  in  unserer 
Zeit  ledic,  so  schliesse  ich  aus  der  Schreibung,  die  in  der 
Stammsilbe  nur  e  oder  ei  —  vgl.  das  bei  i  G-esagte  —  auf- 
weist. *     Endlich   unterlag    altes    t    der   Dehnung.  *   —   Die 

1  1885.  S.  n.  15.  Juni:  weffenten  (conj.)  (St.  U.  5).  —  Doch  1843. 
wi/te  Si5  (Aohtb.  10  a.  1).  —  Servatias:  2881  :  2882  listen  :  wieten. 
ahd.  westa  ist  fränkisch:  vgL  Tatian,  Otfried.  toista  ist  oberdeutsch. 

*  Es  gehört  somit  IMic  zu  den  von  Weinhold  mhd.  Gr.  §  54  als 
fest  geworden  bezeichneten  Wörtern  mit  e  für  i. 

'  Servatius:  2981  :  2982  sich  :  gelich,  Eressant:  469  :  460  dich: 
fich  —  1S6:  187  mich  :  ich,    (169  :  170  dich  :  sicherUch). 


366  Dritter  Abeohnitt.  HO 

Formen  vijant  ]>  vientf  vrj  ]>  vri,  sij  >  «i,  drij  >  dr%  (nach 
Weinhold),  kann  ich  für  das  13.  und  14.  Jh.  belegen.  Bei 
tnerU  ist  die  Länge  zweifellos,  weil  es  zwar  in  der  dem  neuen 
Diphthong  ei  noch  bedächtig  gegenüberstehenden  Zeit  in  der 
Schreibung  meist  als  vient  erscheint,  jedoch  dem  alten  t  in 
der  Annahme  des  ei  in  der  späteren  Periode  gefolgt  ist. 
Dasselbe  gilt  von  frij  >  frt  und  «  > «»  in  noch  höherem 
Maasse.  ^  Ebenso  wird  dri  schon  früh  zu  drei  in  dreizzek 
(1299  11.  Juli  S,  (A)),  vgl.  die  Belege  bei  I.  Bestimmt  hat 
die  Dehnung  auch  das  Suffix  —  ine  (aus  enja  ^  thna),  im 
13.  und  14.  Jh.  als  in  erscheinend.  Die  Rechtsquellen  bringen 
zwar  nicht  die  Schreibung  —  in  dafür,  doch  reimt:  Fressant 
473  :  474  sin:  karzin  (=  Ketzerin),'  dazu  gehört  auch: 
21  :  22  kurte^n :  sin.  —  Für  die  %  der  aus  dem  Lateinischen 
entlehnten  Wörter  gilt  als  Regel,  dass  fast  jedes  i  als  lang 
genommen  wird.  Für  uns  kommen  die  Wörter :  vnn  und  mile 
in  Betracht,  welche  der  Diphthongierung  zu  ei  im  14.  Jh. 
unterlagen,  ^  schriben  desgleichen,  nachdem  es  vorher  Vorzugs* 
weise  als  schriben  erschienen  ist.  Das  gleiche  Geschick  teilten 
die  Wortbildungen  mit  t,  ic,  wie  vogtie,  ehystry,  sehr  bald 
mit  V  geschrieben  und  schliesslich  als  vofftey,  vogtay.  Das 
Zcfichen  y  scheint  mir  ein  sicherer  Beweis  für  den  Laugewert^ 
wenn  man  Gottsched^  trauen  darf,  welcher  sagt,  dass  die 
Kinder  gewöhnt  würden:  ^x,  ey,  zett*  zu  sagen. 

Der  Übergang  zu  tc,  durch  vorausgehendes  w  veranlasst, 
ist  für  das  augsburgische  alte  i  durch  unsere  Quellen  nicht 
bezeugt ;  es  finden  sich  z.  B.  nie  Schreibungen,  wie :  zwülehen 
und  rumMien,  welche  Weinhold  *  für  andere  Gegenden  Schwa- 

1  BS  Wucberin?  mlat.:  cavercina;  entstanden  also  aus:  ka{u)ertin, 

»  1280.  vrttage  (R.  X^,  5,  4).     1282.  /W  (St.  Georg). 

'  Für  icin  und  wein  vgl.  Stadtbuch  und  BaumeiBterreohnungen, 
letztere  haben  nur  win.  Im  Stadtbuoh  hat  der  Grnndtext  einmal  wem» 
d.  h.  also  schon  1S76.  mile  erscheint  im  Servatins:  1560.  dfie  mSle 
1^90.  i0f2e  als  lang,  und  im  Achtbuch  gewöhnlich  als  meiien. 

^  Gottsched:  deutsche  Sprachknnst  1767.  S.  87.  —  Keidusner: 
Handbüchlein  beschrankt  y  auf  die  Länge. 

^  alam.  Gr.  §  29  und  §  82,  und  bair.  Gr.  §  80  und  §  88. 


111  Lautlehre.  357 

bens  belegt.  ^  Folgendes  m  und  b  dagegen  veranlasst  eine 
Bundtiiig  der  Lippen  bei  der  Aussprache  des  »,  so  dass  die 
Schreibung  vmmer  z.  B.  1326  (hl.  Or.)  sehr  wohl  den  momen- 
tanen Lautwert  des  %  wiedergiebt.  *  Eine  Spur  und  zugleich 
eine  Bestätigung  des  wirklichen  u  in  diesen  Worten  findet 
Weinhold  ^  in  dem  heutigen  schwäbischen  i«  für  t  in :  tourdf 
de  tmrscktf  er  ttmrt.  Da  die  oben  angeführten  Wörter  ausser 
fumf  in  der  Schreibung  mit  v,  v  uur  in  klerikalen  Urkunden 
naohw^sbar  sind,  so  mödite  ich  auf  sie  für  die  Beurteilung 
der  Sprache  der  G-ebildeten  im  IS.  und  14.  Jh.,  der  Kanzlei- 
sprache in  Augsburg,  die  sehr  wohl  fiir  die  Sprache  der 
Intelligenz  gelten  darf,  ^  keinen  so  grossen  Wert  legen.  ^  Sie 
bleiben  übrigens  vereinzelt  genug. 

Die  zweite  Kategorie  von  t,  die  das  mhd.  besitzt,  sind 
die  aus  (altarischem  o,  d.  h.)  europaeischem  e  {=>  S)  hervor- 
gegangenen i,  Ihre  Aussprache  als  i  in  der  Augsburger  Mund- 
art ist  für  unsere  Zeit  über  jeden  Zweifel  erhaben.  Es 
kommen  in  Betracht  die  Fälle,  in  denen  e  vor  jedem  End- 
silbenvokal ausser  a  in  i  übergeht:  gibe,  lige,  bite,  Ittze  — 
geben  —  ligen,  biten,  sitzen-  • 

Endlich  nehmen  die  Wörter,  in  denen  auf  t  ein  A  4~  ^ 
folgt,  eine  gesonderte  Entwicklung.  Hier  hat  t  einen  Nach- 
klang von  ej  der  zwar  in  den  ersten  Jahrzehnten  nur  spärlich 


>  Im  15.  Jh.:  Stadtb.  166  b:  datzwufchen  (1453). 

•  Yor  m :  vmmer  auch :  fumf,  fiumf  —  immer :  fünf:  n  steht  für 
sonst  häufiges  m  (vor  f)  vgl.  Weinh.  mhd.  Gr.  §  49.  Die  Form  Huntz 
»  hifäz  scheint  eher  eioe  Verwechselung  mit  dem  temporalen  vnce  zu 
sein  und  gehört  wohl  nur  der  Schreil)ung  an.  Durch  b  veranlasst :  fvben 
neben  fibenf  zuletzt  nur  noch  fiben  und  vorher  rybentzehenden  (1317. 
13.  Juli  (St.  G.)  Ss).  Der  Sieg  des  i  in  fiben  entgegen  der  mundart- 
lichen Aussprache  ist  am  besten  aus  dem  Vorbild  der  kaiserlichen 
Kanzleisprache  zu  erklären. 

•  alam.  Gr.  §  86. 

^  Vgl.  den  Abschnitt  über  Methode. 

^  Stadtbuch:  Grundtext  37  a:  vmmerme. 

•  Formen  wie  verfetzzet  beruhen  auf  einem  DifiPerenzierungsstreben 
in  Hinblick  auf  die  Bedeutung. 


358  Dritter  Abschnitt.  112 

in  lieht  markiert  ist,  aber  im  14.  Jh.  in  der  ständigen  Form 
^liefW  zweifellos  sich  ausprägt,  niht  wird  allerdings  nie  nUht 
geschrieben,  und  es  strebt  schon  zu  unserer  Zeit  nach  der 
der  Mundart  eigenen  Gestalt  nit  (Achtbuch).  So  wird  es 
sowohl  in  dem  diplomatischen  Verkehr  als  in  den  Eintragungen 
der  Yerwaltungsbücher  der  Stadt  geschrieben,  und  die  kleri- 
kalen  Schreiborte  kennen  es  auch.  —  Über  die  Stellung  des 
%  Tor  r  erhalten  wir  durch  die  Zeugnisse  keine  Aufklärung  ^. 
fchirm  bietet  mir  das  Material  zunächst^  nicht,  wohl  aber 
Schreibungen,  welche  jeden  Gedanken  an  Übergang  des  e  zu 
t  zu  nichte  machen:  fchoermen  .  •  .;  im  Stadtbuch  ist  am 
häufigsten  fchciermen  geschrieben.  —  Für  hilfe  hat  eine  Ur- 
kunde von  Sgl  Mfe  (1295.  St.  U.  1). 

i:  Bezeichnung: 

Die  gewöhnliche  Bezeichnung  ist  entsprechend  der  laut- 
lichen Geltung  t;  wo  Schreibungen  mit  v  auftreten,  sind  sie 
ebenfalls  der  Aussprache  gemäss.  Einige  Worte  Terdient  das 
Yerhältniss  von  ie  zu  t.  Im  allgemeinen  zeigen  die  klerikalen 
Schreiber  mehr  Neigung  zu  ie  für  i  sowohl,  wie  für  t,  als  die 
städtischen.  Zwar  hat  auch  S,  z.  B.  nur  LiektmaelTe  und  S, 
1298  lieht,  und  für  das  14.  Jh.  bleibt  es  bei  allen  städtischen 
Schreibern  Regel,  auch  bietet  S^,  1349.  (Achtbuch  65a.  II.) 
im  und  1353.  (Achtbuch  IIb.  I.)  gepirg,  doch  ist  hier  nicht 
ausgeschlossen,  dass  wir  es  mit  einem  der  schwäbischen  Doppel- 
laute zu  tbun  haben  also  gepi*rg,  e  nachschlagend,  und  diese 
wenigen  Fälle  werden  an  Zahl  von  den  klerikalen  Belegstellen 
übertroffen.  — 

Der  stark  ausgebreiteten  Dehnung  des  t  hat  man  einen 
Ausdruck  verliehen  durch  das  y,  wie  ich  schon  erwähnte. 
Wenn  schon  die  Einführung  des  y  zur  Wiedergabe  des  deutschen 

*  gepirg  ist  nur  einmal  überhaupt  nachweisbar;  die  Schreibweise 
mit  l  möchte  ich  daher  nicht  ohne  Bedenken  für  die  Behandlung  des 
i  vor  r  als  Norm  hinstellen. 

*  Im  Stadtbuch  schreibt  erst  spater  Si?  der  Gestalt  der  Schriftsüge 
nach  in  den  fünfziger  .Tahren  des  14.  Jhs. :  fchirmenf  in  einer  Zeit  also, 
wo  der  Einfluss  der  kaiserlichen  Kanzleisprache  sporadisch  sich  kundgiebt. 


118  Lautlehre.  359 

t   in    augsburgisclien    Urkunden   nicht   zweifellos    ein   Werk 
klerikaler  XTrkundenschreiber  ist,  denn  schon  S^  kennt  y,   so 
macht  die  ausserordentlich  ausgedehnte  Anwendung  desselben 
in  klerikalen  Schriftstücken  doch  das  y  zu  einem  heryorragenden 
Eigentum  der  geistlichen  Schreibgewohnheit.     Es  ist  herübez^ 
genommen  aus  dem  Zeichenschatz  der  lateinischen  Urkunden, 
in   denen   es  ein  viel  gebrauchter  Buchstabe  war,   erscheint 
darum   auch  anfangs  nur  in  Lehnwörtern,   so  :  1272  ynRgd 
Sj  (St.  ü.  1.);  in  diesem  beschränkten  Sinne  ist  die  städtische 
Kanzlei   allerdings  als   der  örtliche  und  zeitliche  Ausgangs- 
punkt anzusprechen;   auch  das  Stadtbuch  hat  überwiegend  y 
in  yfen.     1282   aber  tritt   es  in  einer  bischöflichen  Urkunde 
auf  in  yteriy  und  es  scheint  für  das  13.  Jh.  ausser  in  dem  nicht 
yereinzelten  ynitgel  nur  f  zu  yertreten.   Noch  im  ersten  Drittel 
des   14.  Jh.   tritt  die   schon   erwähnte  Verbreitung   ein,  und 
wir  haben  in  klerikalen  Urkunden  y  in  hyfchof  Yorzugsweise 
neben  y  im  Diphthong  ay  und  in  der  Endungssilbe  y  in:  cultry^ 
vogtay  .  .  .  Dann  zeigt  sich  im  zweiten  Drittel  bei  dem  Schreiber 
Sj^2  das  y  stärker  vertreten:  1336.  Rynchmaur  1333.  ymmerme 
—   Sj7  :  1360  :  Brottyfch.    Beachtenswert  ist,  dass  hier  y  den 
gleichen  Platz   einnimmt  wie  zu  anderer  Zeit  häufig  v,    das 
Zeichen  für  den   gerundeten  tieferen  Laut  Yor  m  (n?).    Ob 
es  auch  dieselben  Dienste  leisten  soll? 

Dass  das  y  jene,  wenn  auch  nicht  streng  geregelte,  aber 
doch  durchfühlbare  Bestimmung  gehabt  hat,  glaube  ich  aus 
seiner  Verwendung  auch  in  den  Eintragungen  des  Achtbuchs 
der  vierziger  Jahre  imd  später,  d.  h.  bei  S^,,  entnehmen  zu 
können.  Auf  der  einen  Seite  schreibt  S^  y  in  Fremdwörtern: 
Bryfvn,  auf  der  anderen  Seite  y  für  Buchstaben  1  in  dryn, 
dessen  Länge  ich  fiir  erwiesen  halte;  schliesslich  hat  es  sich 
festgesetzt  in  Eigennamen  in  den  Silben :  -kayru  Es  ist  indess 
in  Rechnung  zu  ziehen,  dass  hier  stark  das  Vorbild  des  Vor- 
anstehenden mitgespielt  hat,  indem  oft  Schreibweisen  genau 
in  derselben  Situation  wiederkehren,  während  an  anderer  Stelle 
die  andere  Schreibweise  sich  wiederholt. 

Hinsichtlich  der  Gestalt  des  Zeichens  i  lieben  es  einzelne 

24 


360  Dritter  Abschnitt  114 

Schreiber  schon  früh,  demselben,  wenn  es  schUessty  die  G-estalt 
des  j  zu  geben :  dri  =  dr},  drl. 

i:  Belege: 

Urkunden: 
Bis  1300  :i,  j,  1300—1361  (f):h  ^  I.     1351 
—1374  :  ei,  i,  y. 
städtische:  in  der  ftegel  i,  t  — 1300: 

1882.  beUeben,  wit,  drij,  belib  S,  (B.X^44). 

—  1283.  Bat:  ziten,  fein  (inf.),  vreitage, 
Yolchwin,  (Sibot)  Sg  (A).  —  1283.  yolchwein, 
(zwi  =  zwei  (n.))  S ,  (A).  —  belibe,  offenlichen 
Sg  (0.3).  —  1285.  drizzik  S,.  —  1292, 
Schriber,  fei  (c),  feinen,  feine,  beleiben,  pei, 
fin  (inf.)  Sg  (Fürst,  sei.  XV,  V  80»  3)-  —  1294. 
finer  .  .  •  Sg  (B.  Xi5, 4).  —  -rieh,  -lieh  Sg. 

—  1296.  Trihait,  fin  (1.  pl.)  Sg.  —  Leib,  die 
weil,  meinen,  libe,  lipgedingef,  lihen,  finer,  Im 
(1.  pl.)  Sg.  —  i.  .  .  Sg.  —  1297.  Jarzeit, 
minem,  belibe,  bi,  -lieh  Sg.  —  1298.  weilent, 
fei,  ziten  Sg.  —  Weizzinger,  bi  dem  leib,  2  x 
beUb  Sg   (G.  1).  —  fein,  fin,  Biche  Sg   (A). 

—  leib,  beleihe,  leipgedingef  Sg.  —  1299. 
die  weil,  drien  lihen,  frilich  Sg.  —  wizer, 
gewifet,  ziten,  iarciten,  Wizzinger,  fei  Sg.  — 
1300.  weiter,  fin,  belihen  Sg  (G.  5).  —  dreix- 
zick,  bi,  lithous  Sg.  —  1301.  Schriber,  bi  S, 
(B.  10).  —  1302.  bUb  Sg  (hl.  0.4).  —  1302. 
miner,   frier,   lihen,   lithyz,   fieD  (c.)  Sg  (C.  5). 

—  1303.  lithus,  gefelfchofte  Sg  (C.  5).  — 
witSg  (BX^6,2).  —  wit,  git  (giebt)  Sg(A). 

—  1303.  Bat:  fin  (1.  pl.  i.)  Sg.  —  sonst:  i  — 
1304.  dreim,  Triben  Sg.  —  1305.  fein,  beleihe 
Zeiten,  fein  (inf.),  (Seibot)  Sg.  —  finem.  Übe, 
beltbe,  bi  Sg  (C.  5).  —  Ebenwiheabent,  lithous 
Sg.   —    1306.   April:    zaeit,   draein,   Maeinen 


116  Laatlehre.  361 

maeniYi  laeithays,  geifel8chefft,draeizzick,finen.? 
(ü.  2).  s»  Vorlage  zu:  1306.  Juni:  Maei- 
nen,  maein,  blaeib,  faeinen,  Waeizzing^  — 
(ynaerfchaidenliclien)  —  (yerzeichen,  verzigen) 
Se  (U.2).  —  1308.  blib  S,  (A).  —  1311. 
blib,  Drei  S^.  —  1313.  iarzeit  (2x)?Se.  — 
nur  i  S,.  —  fein,  mein,  weyfen,  fein  (1.  pl.  i.), 
leithous,  fei  (c.)  S,  (H.  14).  —  nur  i  S^ 
(C.6).  —  1316.  Beieben,  bUb,  Upding  Sg 
(A).  —  sonst:  i  —  1317.  Reichen,  yttes,  fin 
Sg.  —  bleib  Sg.  —  ftetfchriber,  fien  (c), 
leib  Sg.  —  1317.  Lythaus,  gyfelfcbeft,  fie 
(c)  Sybentzehenden)  wis,  driezg.  e»  1317. 
(Duplikat):  lithouf  Sg  (0.6).  —  1318.  nur 
i  Sg  (U.  2).  —  fien  (c.)  Sg.  —  1319.  i,  drizzeck 
Sg  (A).  —  1320.  meiner,  mein,  belibe,  ziten 
Sg.   —  1321.   meiner,   glich,  wizzenfvntag  Sg« 

—  1322.  mein,  finer,  belib  Sg  (C.  7).  —  meiner, 
meinen  Sg.  —  1323.  meiner,  meinen,  belibe, 
Wizzinger,  Stetfehriber  Sg.  —  meiner,  meinen, 
finer  Sg.  —  meiner,  Wizzinger  Sg.  —  Üben, 
lib.  Sjg  (A).  —  fien,  Jarzit,  belib,  drizig  S^g. 

—  1324.  mins,  finer,  Sg.  —  nur  i  Sg  (0).  — 
1326.  Kiche,  drizig,  yreytag,  belib  Sg  (A).  — 
1326.  fein,  finer,  bi,  (wis  (Wiese))  S^^  (C).  — 
1328.   Yites,   zit,  miner,   fien.  Mm,   min,  Bich 

—  (git  (giebt))  ?  Sg  (A).  —  Copie  dazu  t. 
1346.  fyen  —  (Diener)  S„  (A).  —  1329.  fein 
(c.)  _  (Dyener)  Sg  (A).  —  1330.  frietag  Sg 
(St  3).  —  fiytag  Sg  (A).  —  die  weü,  blib, 
fien  (c),  lipdinge  S^  (U.  2).  —  1330.  Kaiser: 
Zeiten,  Biches,  fien  (c),  finem,  Neyffen,  Drizi- 
goften  Sg  (A).  —  1331.  Kaiser:  ziten,  Biches, 
vint,  Lndewich  Sg.  —  1332.  Chuftry  S^i-  — 
1333.  nur  i  S^g.  —  (1333.  ymmerme  (styor)  S^g) 

—  ziten,  libting,  wihennähten,  Dryfgoften  S^^ 

24* 


362  Dritter  Abschnitt.  116 

(Ü.2).  —  1335.  frytag  —  (Kynchmaur)  S,. 
(A).  —  1336.  Bat:  Vytes,  driüQgofteD,  {inen, 
wife,  libting,  by  (2  x)  S,„  (U.  6).  —  1336. 
bie  8,8  (U.  5).  —  sonst:  i  —  1338.  Oustri  S^, 
(A).  —  Zeiten,  miner,  darein,  Driezgosten, 
chustrie,  kyrchen  8,5  (U.  6). —  1338.  Land- 
vogt: fritag  8 13  (A).  —  1339.  Wihennaehten 
8,3.  —  lipdinges,  die  wii,  dnzzigosten,  git| 
vogtey,  vogtay  8,^.  —  1340.  drizzig  81^.  — 
mein,  8chriber,  zit  8,5.  —  1342.  drizzig,  fritag, 
libdingy  belib  8,5.  —  fein  (inf.),  belib  ?  8^^ 
(hl.  Cr.  5). —  1342.  Rat  an  Rothenburg:  wifen, 

nur  i.   8,5   (R.  XI,  M.  42^).  —  sonst:  i  .   .   .    — 

1345.  miniv  8,^  (H.  20).  —  belibe,  min,  fien 
(c.)  (lit)  817  (R.X^10,3).  -  1345.  Kaiser: 
Ludowig,  ziten,  Riches,  Reichs,  Dreizzigltem, 
-liehen  8,,  (A).  —  1345.  frytag  ?  81^.  — 
1346 — 1368 :  8 , , :  1 346.  nur  i  (A).  —  belibe,  min  (Gh.  2).  —  1 348. 

Geifelfcheft.  (C.  9).  —  Gifelfcheft.  —  frytag, 
bei  (A).  —  byanand.  —  Vites,  i.  —  sonst:  i 
...  —  1351.  fien  (1.  pl.)  (R.X|11,2).  — 
Reychs,  frier  (0.  10).  —  1352.  dreyzg  (A).  — 
wyten.  —  1353.  8chleichers  (n.  pr.).  —  1355. 
weifen,   weihennehten.    —    1356.  fy  (C.  10).  — 

1367.  fin  Rychs,  fryer,  (verzeihe),  wihennehten, 
Bomgertlin.  —  1359.  fryes,  V61kwin  —  (Lieht- 
mezze).  —  1362.  weifen  (R.  12).  —  1365. 
fien  (c),  fin  (pr.),  by,  finen,  weifen,  Reiche,  ftreit, 
-lieh.  —  1366.  Vöglin  (A).  —  1367.  Wif- 
finger,  fryes.  —  1367.  Vogt  an  Rat:  fin,  frytag, 
weifen,  veltftreit  8,,.  —  1367.  fy,  by,  ziten,  min, 
lipting.  — 1368.  Rat:  welhewis,  dheinweis  8^,.  — 

1368.  Zunftbrief:  Rich,freiheit,nyd8,,  (R.  12). 
—  1372.  weifen,  weiffen  (R.X|8).  —  1373. 
Weizen  (R.  14,  6).  —  (1374.  Burggraf:  8chlych, 
fteych,  Weinfchenke  8„  (R.  12)).  — 


117  Lauüehre.  863 

bischöfliche  und  Domk.:  1282.  i  (gefchrieben,  gefchriben), 

yfen,  wis,  win,  bli  (R.  X^^  4,  3).  —  1290.  vrttage, 
Btfinz  (R.X^5,5).  —  1290.  Qit).  —  1296. 
Zeiten,    fin,    Yites,    driezeck    (R.  "K^  6, 7).    — 

1300.  Drihundertoften  (H.  13).  —  1306.  fien 
(1.  pl.  c),  ßen  (3.  pl.  c.)  (R.  X|  6, 4).  —  1313. 

nur  i  (H.  14).  —  1316.  nur  i.  ~  1323.  nur  i.  (C.  7). 

—  1326.  belibe,  i  (H.  16).  —  1336.  Reychz, 
freytagz,  Valenteins,  Drizigoften  (A).  — 
1338.  fein,  beleih,  vleizchlichen,  Dreizzigifbem. 

—  1342.  fritag,  bllb  (brief)  (H.  20).  —  1343. 
wizzenfvnnentag   (A).    —   1343.   Vites  (H.  20). 

—  1344.  fryetag  (Pyfchof)  (0.9).  —  1345. 
frietag,  (Byfchof)  (H.  20).  —  yleizze,  drein, 
-liehen  (Pyfchoff)  (hl.  Cr.  5).  —  wizzenfunntag, 
zun  (PyfchoflE).  —  1347.  fritÄg  (A).  —  1348.  be- 
leih, (yerzeich)  Dreizzigiftem.  Domk.  ?  hl.  Creutz? 
(hl.  Cr.  6).   —   1348.  Domk:  Geyfelfcheft  (A). 

—  1349.  fien  (c.)  (H.  21).  —  1351.  (vogtyen), 
fryez,  blibn  (H.  22).  —  von  Reychen  (A).  — 
feyten,  min,  (Marigen)  (A).  —  1369.  Volk- 
weinin  (—  Hymel,  Bifchoff)  (A).  —  1374.  Burg- 
graf: Schlych,  fleych,  Weinfchenke  (R.  12).  — 

Curia:  1320.  fin,  Schreiber,  mein,  miner,  fein  (inf.) 
(ö.  2).  —  1326.  gyfelfcheft  (U.  2).  —  1327. 
blib  (A).  —  1331.  drizgoftem  (U.  3).  — 
1337.  leipding,  beleih  (verzeihen)  (U.  5).  — 
1337.  fein,  enfien  (1.  pl.  c.)  dreiffgeften.  — 
1345.  nur  L  — 
Klöster:  St.  Georg:  1282.  fri  (G.  1).  — 1352  nur  i(A).— 

St.   Ulrich:    1288.    liehen,    lihen   (D.    1).    — 

1301.  wiz,  bi  (U.  2).  —  1306.  zaeit,  draein, 
Maeinen,  maeniv,  laeithavs,  geifelfche£Et,  finen, 
draeizzick  (ü.  2).  —  1311.  mein,  belibe  (IT.  2). 

—  1329.  min,  fin,  beUb  (U.  8).  —  1336. 
GryfFenberch,   driezgoften   (ü.  5).  —  frier,  zit, 


864  Dritter  Abachnitt.  118 

belibe,  driezgoften.  —  1342.  lein,  finer,  -liehen 

—  (vierzigften)  (A).  —  1846.  drizzig.  (A).  — 
1366.  "^ch,  Fridrich,  -lieh,  leib,  feiner,  beleih 
(A).  - 

St.  Oath.:  1296.  belibe  —  (enphiengen)  lip- 
getinge  (R.X|4).  ~  1324.  minen  (0.7).  — 
1325.  die  weil,  belib.  —  1338.  belibe  (A).  — 
1348.  fein  (conj.)  die  weyl,  Dreyzehen  (C.  9), 

—  1356.  beüb,  i  (0. 10).  — 
Spital:  1284.  b!  (A).  — 

St.  Stephan:  1306.  lipgedinges,  die  wüe,  blib, 
Bavmgartelin  —  (vir)  (A).  — 1312.  sdten  (H.  13). 
—  1347.  i  (St.  3).  — 
hl  Creutz:  nur  i   1311  und  1317  (hl.  Cr.  4). 

—  1339.  bei,  oflfenHch  (hl.  Or.  6).  —  1360.  i  (A). 

—  St  Moritz:  1342.  i  (Pyfchoff)  (A).  — 

Stadtbach: 

Grundtext:  i  —  wein. 

Novellen:  S^ii.  —  S,:i —  sein  (pron.) 
(92  b).  —  S  3  :  hochzaeit,  raeich,  sein,  raichen, 
(72  b).  —  hochziten,  hochzit  (73  a).  —  si 
(1 12  b)  —  leihet,  bi,  si,  sin  (118  a).  —  leihet,  sin, 
sei,  Geit,  sin  (116  a).  —  geit,  reirtak  (113  b). 

—  reichisten,  bi,  und  sonst  i ;  geit.  —  sei  (86  b). 

—  geit,  i  (76  b).  —  sei  (50  a).  —  sei  (33  a).  — 
sei,  lihen  (32  b).  —  S^ii,  —  S^iL  —  Sg  : 
i  :  —  leib  (42  b).  —  Ubes,  veiertage  (40  b). 
Sj5:i,  sien  (c).  —  S^,  :i  (79  b)  —  weih, 
darein,  sin,  beliben  (77  a).  —  1364.  zeit, 
eweiber  (83  b).  —  S^«  :  1372.  leihet,  lipting, 
sin  (115  b).  —  1377.  sie  (c),  bei,  weiz,  geit 
(118  a). 

Achtbuch: 

A:  1338—1347:  i:S^^,  S^^,  S„. 

1348—1367  :  S^,  :  1348.     wip,     fins     (12b). 


119  Lautlehre.  355 

1348.  Weizzenfuntag  (16  a).  —  1349.  Halber- 
laip (n.  pr.)  (3  a).  —  1363.  Gabin  (früher 
Gawein)  (17  b).  —   1365.    Reichs    (19  b).   — 

1369.  painlich  (22  b).  —  1363.  yeits  —  Efel- 
triber  (24  a).  —  feitt  (24  a).  —  1365.  weizzen- 
rtintag  (26  a).  —  1367.  Weizzen  (n.  pr.)  (26  a). 

—  weinfchenken,  Bychs  (26  a).  —  1368.  hoh- 
zeit  Sj^  (27  a).  —  yrenbrehtin  (n.  pr.)  S^^ 
(27  b).  —  1370.  Ups,  Kp  S^e  (87  b).  —  1370. 
Schreiber  (n.  pr.),  Meyl,  bey,  tagzeit,  fey,  zeiten, 
fin,  wip,  Bichen,  beliben,   lip.  S^«   (28  b).  — 

1370.  fy^  Schriber,  Riebe,  bi,  tagetzit,  mil,  lib, 
fein,  weib  S  j,  (29  a).  —  1373.  (fei  =  sie)  finem 
Sj^  (29  b).  —  1374.  do  bei  8,,  (29b). 

B:  1346— 1366:  S„:    1346.    hie    bei   (56  b).    — 
by,   myle  (66  b).  —  1346.  bey,   bei  (60  a).  — 

1349.  (reutter  (n.  pr.))  (62  b).  —  1349.  rieh, 
myle,  by  (63  b).  —  giler,  wip,  rieh  (64  a).  — 
weit,  begrift,  milen,  im  (66  a).  —  1361.  dry, 
myl,  by,  Drin,  myln  (67  a).  —  1352.  Dry,  myl, 
(69  b).  —  1366.  fin,  weip  (73  b).  — 
1367—1371:  S^^  :  1367.  Reicher  (n.pr.), 
weis,  lib.  (94  b).  -  veintfchaft,  lip.  —  Reich, 
dri  meyl,    dryn  myhi,  wip.  —  hohzeit  (95  b). 

—  1368.  Reych  (96  a).  —  Meyl,  vnderweizt 
(96  a).  —  1369.  Meyl,  by  (96  b).  —  1369. 
Reich  (101  a).  —  1370.  yfen  (101  b).  —  1371. 
fyn,  meylen,  Eyfen  (102  a).  —  dry  meil,  weit 
(102  a).  — 

i:  Oeltnng: 

Das  ahd.  »,  gleichviel  welcher  Herkimft,  erfuhr  im  12.  Jh. 
auf  bairischem  Gebiete  eine  Steigerung  zu  ^.  Im  13.  Jh. 
breitete  sich  diese  im  Südosten  aus,  herrschte  am  Ende 
des  Jahrhunderts  durchaus  im  östlichen  Oberdeutschen,  gri£f 
aber  nicht  in  das  Alamannische  hinüber.    Letzterer  Dialekt 


366  Dritter  Abschnitt.  120 

hielt  fest  an  I.  ^  Die  Reime  der  früheren  Zeit  ergeben  Gleich« 
laut  des  t^  welches  nie  ei  wurde,  mit  t,  welches  diphthongiert 
wurde:  Ser?atins:  39^:395  pügerin: acMn;  1031:1033  schm: 
Seherin  * ;  2403  :  2404  nider  (=  nieder)  :  mder  (=  feither) ; 
3201  :  3208  nider  (»=  nieder)  :  lider.  ^Einzelne  Ausnahmen 
kommen  nicht  in  Betracht,  weil  mundartfremden  Ursprungs.' 
Die  von  mir  benutzten  Quellen  geben  im  Allgemeinen  die 
Bestätigung,  sprechen  jedenfalls  nicht  dagegen.  Denn  wenn 
sich  1283  4.  Oct.  ei  zum  erstenmal,  bald  darauf  1283  17.  Dec. 
in  einer  ürkimde  des  B^ts  zunächst  vereinzelt,  1292  &st 
ausschliesslich  findet,  so  ist  damit  noch  nicht  erwiesen,  dass 
ei  als  diphthongischer  Laut  dem  Augsburger  bewusst  gewesen 
ist;  denn  wie  schon  an  anderer  Stelle  hervorgehoben,  ist 
entweder  der  Schreiber  dieser  3  Urkunden,  S3  (Rudolf),  be- 
treffs seiner  augsburgisch-schriftsprachlichen  Treue,  wenn  er 
als  Augsburger  Bürger  gilt,  höchst  verdächtig,  oder  er  ist 
überhaupt  als  ein  Fremder  zu  betrachten.  In  demselben 
Sinne  können  die  allerdings  auffallend  häufig  erscheinenden 
Diphthonge  bei  S^  S^  nichts  mehr  als  Nachbildungen  der 
Schreibweise  des  Meisters  Rudolf  sein.  S4  und  S^  sind  von 
mir  als  Gehilfen  Rudolfs  erklärt  worden. 

Weniger  bestimmt  wage  ich  eine  Annäherung  des  i  an 
den  diphthongischen  Laut  abzulehnen  für  die  ersten  Decennien 
des  14.  Jhs.  Es  liegt  ausserhalb  unseres  Vermögens,  den 
zeitlichen  Ausgangspunkt  auch  nur  annähernd  zu  bestimmen, 
denn  die  Schreibung  ei  ist  seit  ihrem  ersten  eben  berührten 
Erscheinen  in  den  Urkunden  dieser  Zeit  nie  ganz  ver- 
schwimden, '  sie  ist  sogar  durch  S^,  dessen  klerikale  Neigungen 


»  Vgl.  Weinhold:  mhd.  ör.  §  105  und  §  129. 

'  Valentin  wurde  in  den  Urkunden  später  häufig  Valentein  ge- 
schrieben. Der  Reim  781 :  782  si  enmokten  niht  geweichen :  diu  tägdu^en 
Zeichen  ist  nicht  als  Beleg  für  t  und  ei  im  Reim  zu  verwerten;  denn 
geweichen  ist  >»  fügsam  machen  (vgl.  Lexer:  mhd.  Wörterbuch)  also: 
'sie  (Acc.)  konnten  die  täglichen  Zeichen  nicht  fügsam  machen . 

'  Vgl.  dazu:  Baumann  in  F.  z.  d.  Gesch.  XVI,  S.  970.  und  Fischer: 
Germ.  XXXVI,  S.  425  über  dessen  Resultate. 


121  Lautlehre.  367 

ich  schon  erwähnte,  und  durch  die  klerikalen  Schreiborte 
(bischöfl.)  ganz  bedeutend  im  Gange  erhalten.  Aber  sie  giebt 
keinen  Anhalt  dafür,  dass  sie  auch  den  Lautwert  von  i  als 
ei  zu  vertreten  beginnt.  Dagegen  deutet  auf  einen  jetzt  be- 
ginnenden phonetischen  Bevolutionsprozess  inmitten  der  Mundart 
die  mehr  und  mehr  yariierende  Darstellungsweise,  indem  man 
den  eigenartigen  Laut^,  dessen  Entwicklung  die  schliessliche 
Oestalt  e^  (n)  am  besten  verdeutlicht,  bald  mit  ei  bald  mit 
i  zu  versinnbildlichen  strebt.  —  Schliesslich  will  ich  noch  ein 
Argument  dafür  anfuhren,  dass  der  neue  Diphthong  nicht  nur 
in  der  Schiift^  sondern  auch  in  der  Sprache  der  Mitte  des 
14.  Jhs.  gelebt  hat:  nur  die  Einigkeit  beider  Elemente  konnte 
es  zustande  bringen,  dass  in  Kopien  der  vierziger  Jahre,  (z.  B. 
1346  Kopie  einer  Urkunde  von  1319)  an  die  Stelle  des  in  der 
Vorlage  allein  herrschenden  Buchstaben  t  der  Diphthong 
gesetzt  wird,  und  das  nicht  vereinzelt.  Vom  Gegenteil  kann 
mich  ein  Urteil  Braunes  ^  zu  gunsten  der  Alleinwirkung  der 
Schrift  auch  nicht  überzeugen,  wenn  er  sagt,  dass  Gemeinsam- 
keiten sich  viel  eher  in  der  Schrift  festsetzen  können  als  in 
der  Sprache.  Wenn  dies  für  die  augsburgische  ürkunden- 
sprache  der  Mitte  des  14.  Jhs.  gelten  soll,  so  müsste,  meine 
ich,  ein  Sich-Verlegen  der  neuen  Schreibung  auf  ganz  be- 
stimmte, ja  auf  immer  dieselbcD  Wörter  und  Silben  nachzu- 
weisen sein.  Das  ist  nicht  der  Fall.  Der  beständige  Wechsel 
gerade  in  der  Anwendung  von  ei  und  t  lässt  eher  den  Schluss 
begründet  erscheinen,  dass  allerdings  die  lautliche  Existenz 
des  ei  empfunden  wurde,  aber  nicht  mächtig  genug  war,  eine 
Schreibung  zu  verdrängen,  an  der  Anstoss  zu  nehmen  man 
bisher  noch  keine  Ursache  hatte,  ausser   mit  Bücksicht  da- 


^  Hapfeld  bezeichnet  dieses  ei  mit  H,  indem  er  für  die  Wiedergabe 
des  doppelten  Lautes  der  Mittelvokale  e  und  o  von  dem  Beispiel  der 
französischen  Orthographie,  welche  i,  6  gegenüber  d,  d  hat,  ausgeht. 
(Jahrbücher  für  Phil,  und  Faedagogik  Bd.  9,  ( 1889)  S.  862  Weinhold 
wählt  e<.    Kaufimann:  9i. 

•  P.  Br.  B.  I,  S.  30. 


368  Dritter  Absohnitt.  122 

rauf,  dass  sie,  im  Falle  sie  gehört  wurde,  nicht  als  i,  sondern 
diphthongisch  vorgetragen  wurde.  ^ 

Wenn  ich  die  Entwickelung  des  t  zu  9i  mit  derjenigen 
des  9ü  aus  tu  ^  »i  zusammenhalte,  so  kann  ich  mich  der 
Empfindung  nicht  erwehren,  dass  beide  neuen  Laute  zur  Zeit 
ihres  ersten  Auftretens  nur  in  höheren  Kreisen  auch  gesprochen 
wurden,  und  zwar  in  der  gezierten  Fassung,  in  welcher  Laute, 
welche  eine  als  mustergültig  erscheinende  Sprache  (Dichter- 
und Diplomatensprache)  nachahmen  wollen,  zu  Tage  gefordert 
werden.  Die  Vulgärsprache  hat  von  diesen  Neuheiten  keine 
Notiz  genommen,  sie  sind  lediglich  ein  Zierprodukt,  und  darum 
ist  diejenige  schriftliche  Darstellung,  welche  eine  gewisse  Zierlich- 
keit und  Akkuratesse  bevorzugt,  ihre  eigentliche  und  früheste 
Domäne. 

Ob  auch  die  Stellung  vor  Nasal  schon  im  14  Jh.  ein  ae 
(09)  hervorrief,  ist  nicht  gewiss;  Schreibung  maein  für  mein 
bekundet,  so  isoliert  sie  auch  ist,  immerhin  das  Gefühl  einer 
Entfernung  des  t  von  n  weg  nach  der  Geltung  des  alten 
Diphthongs  vor  Dentalen  hin,  d,  h.  =  09  (daher  an  gleicher 
Stelle:  maein  neben:  gaetatlichen,  haeiligen).  Die  eben  ange- 
führten Zeugnisse  sind  Schriftstücken  von  der  Hand  S«  ent- 
nommen, die  ihrerseits  nur  die  Wiederholung  und  das  Abbild 
einer  am  24.  April  1306  von  St.  Ulrich  ausgefertigten  Ur- 
kunde sind.  Jene  beiden  Instrumente  datieren  vom  5.  Juni 
und  6.  August  1306.  —  Die  Steigerung  des  1  zu  n  hat  nicht 
jedes  etymologische  t  erfahren.  Die  Endung  -lieh  tritt  nie 
in  der  Schreibung  -leich  auf;  es  ist  diese  Ausnahmestellung 
Reimzeugnissen  Fressants  zufolge  begründet  in  einer  ausge- 
prägten Verkürzung  des  i  zu  1,   ein  durchaus  alamannisches 


'  Fressant  reimt:  817:318  seif  (— >  sagte):  H»;  147:148  itten: 
rtten,  288 :  284  riten :  Mten  ist  ein  falscher  Beim,  doch  steht  ie  aof  ei 
nicht  vereinzelt,  hier  kann  bUen  aber  auch  nur  dem  geschriebenen  Reim 
zu  liebe  eingefügt  sein.  Von  einer  Yertanschung  des  ie  mit  ei  in  der 
Schreibung  haben  wir  aus  dem  Ende  unserer  Periode  ein  Zeugnis: 
Aohtbuch  29.  b.  1878 :  fei  s»  sie  (fem.  sing.)  Sie*  md.  ist  ei  für  ie  durch- 
aus verbreitet. 


133  Lautlehre.  369 

Erkennungszeichen  im  Gegensatz  zu  der  bairischen  G-ewohnheit 
'Ueh  zu  'leich  zu  steigern  ^;  vgl.  über  diese  alamannische  Neigung, 
die  Endbestandtheile  von  Kompositionen,  besonders  die  Suffixe 
zu  schwächen,  B.  Brandstetter :  Die  Luzemer  Kanzleisprache  ^ 
von  1260 — 1600^;  als  Beispiel  führe  ich  an:  G^schwomen 
Brief  1360:  gewonhet  Nur  in  Tonstellung  (Rhythmus)  kann 
t  hier  lang  sein :  afenHehen,  vgl.  dazu  Fressant  363  :  364  ewik- 
liehen :  entunchen.  Dieser  Beim  ist  wohl  nur  Schriftreim  und 
darum  nur  Zeugnis  der  Länge  des  (,  nicht  Beleg  für  die 
Steigerung  zu  9t.  Kürze  oder  Länge  je  nach  dem  Satzton 
hat  nach  Brandstetter :  *  min,  din,  sin. 

i:  Bezelchnnng. 

Zur  Schreibung  des  i  ist  Vieles  bereits  gesagt  Das  Er- 
gebnis ist  in  Kurzem  folgendes:  Es  standen  den  Augsburger 
Schreibern  zur  schriftlichen  Wiedergabe  des  mhd.  i  die  Zeichen: 
^  ^'f  ^  y  zur  Verfügung.  %  war  die  traditionelle  Schreibung, 
sie  ist  nie  ganz  verschwunden,  tritt  aber  in  den  letzten  De- 
zennien unserer  Periode  hinter  ei  zurück.  Dieses  ei  ist  durch 
fremden  Einfiuss  zunächst  dem  Augsburger  Schreibgebrauch 
vertraut  geworden ;  ob  derselbe  bairischer  oder  fränkischer 
zu  nennen  ist,  vermag  ich  nicht  zu  unterscheiden,  ich  erwähnte 
jedoch  schon,  dass  jener  Stadtschreiber,  seit  1373  der  dritte, 
Sg,  namens  Budolf,  zuerst  und  zwar  fast  nur  ei  in  den  acht- 
ziger Jahren  für  %  schrieb;  die  einzige  Urkunde  von  seiner 
Hand  aus  dem  Jahre  1380  hat  kein  ei,  jedoch  die  übrigen 
Charakteristika  seiner  Schreibweise:  ou  für  au^  ou  für  u,  u 
für  b  in  <iber  ...    Er  verliess  Augsburg  anscheinend^  für 


^  Reim  :  -Itch  :  ich  267  :  268  sicher :  inneklicher.  Durch  Analogie- 
büdung  ist  sogar  der  Reim :  Vita  St.  ülrici :  804 :  806  sich  :  Itch  («■  Leib 
entstanden. 

*  Gesohichtsfreund  47,  S.  241. 

*  a.  a.  0.  8.  284. 

^  Möglicherweise  steht  seine  Abwesenheit  in  Verbindang  mit  der 
schon  erwähnten  Besitzbestatignng  des  Gates  Bintzwangen  durch  den 
Markgrafen  von  Burgau,  bei  welcher  Gelegenheit  jener  Rudolf  noch 
dazu  ausdrücklich  als  zu  *dez  Edlen  vnd  des  Obrosten  Chvenik  Rudolfes 


370  Dritter  Abschnitt.  124 

kurze  Zeit  1281 — 1283.  Bei  seinem  Wiedererscheinen  schreibt 
er  ei  für  i  in  weitem  Umfange;  jedoch  enthalten  sich  mehrere 
Urkunden  der  neunziger  Jahre  von  seiner  Hand  des  Diph- 
thongs, und  nur  das  Beispiel  der  klerikalen  Schreiber  scheint 
die  städtische  Kanzlei  wieder  zu  der  Verwendung  des  ei  an- 
geregt zu  haben.  Die  Schüler  Rudolfs  huldigen  dem  eL 
Wiederum  ist  es  nach  dem  Abtreten  Rudolfs  ein  fremder 
Schreiber,  welcher  den  Diphthong  an  die  Stelle  des  i  setzt: 
Conrad  von  Giengen  S^,  dessen  Zugehörigkeit  zur  Stadtkanzlei 
nicht  für  die  ganze  Zeit,  wo  er  als  Urkundenschreiber  funk- 
tioniert, feststeht.  Seine  stark  klerikalen  Neigungen  stimmen, 
wie  schon  erwähnt,  auffallend  mit  der  Thatsache  zusammen, 
dass  er  lange  nur  Urkunden,  welche  bischöfliche  Rechte  und 
bischöfliches  Territorium  betreffen,  anfertigt.  Seine  Thätigkeit 
im  städtischen  Dienst  kann,  wenn  überhaupt,  nur  eine  Yor- 
übergehende  gewesen  sein ;  zur  selben  Zeit,  wo  noch  zahlreiche 
Urkunden  seine  Handschrift  tragen,  werden  schon  zwei  Stadt- 
schreiber ^  namhaft  gemacht:  Heinrich  und  Ulrich.  Jenem 
Schreiber  S^,  allein  gehört  die  Schreibung  aei  für  et  < 
^  an,  in  Stellungen  vor  Nasal  und  Dentalis :  maein,  faeinen,  laeit- 
JiavSf  zaeit,  draün,  tyraeitag,  aber  auch:  blaeä},  Saeibot.  Doch 
hält  sie  nicht  Stand,  in  seinen  weiteren  Schriftstücken  wird 
sogar  auch  ei  immer  spärlicher,  bis  eine  Zeit  kommt,  wo  zwar 
die  städtischen  Urkunden  (Sg,  S^^)  noch  die  ei  dulden,  aber  S^ 
sich  derselben  ganz  enthält.  —  Es  ist  für  den  Ausgangs- 
punkt des  ei  durch  das  Vorhergehende  erwiesen,  dass  es,  gleich 
ob  direkt  oder  indirekt,  entweder  durch  einen  dem  Augsburger 
Stadtgebiete  nicht  angehörigen  Schreiber  als  die  ihm  geläufige 
Schreibung  mitgebracht  oder  von  demselben  fremden  Mustern 
abgesehen  ist. 


des  Roemifchen  Chveniges  leuten'  gehörig  bezeichnet  wird  im  Gegensatz 
zu.  den  Leuten  des  vorerwähnten  Markgrafen.  Die  Zugehörigkeit  zu  der 
Reichsstadt  würde  dem  Schreiber  Rudolf  wohl  nicht  die  Bezeichnung 
*  Chveniges  man'  eingebracht  haben,  zumal  in  diesem  Sinne  die  Leute 
des  Markgrafen  von  Burgau,  als  eines  königlichen  Beamten  dieser  Zeit, 
gerade  so  gut  diesen  Titel  verdienen. 


126  Lftutlehre.  371 

Weiter  gilt  es,  den  Wechsel  des  ei  mit  dem  älteren  i 
zu  erklären.  Zunächst  weist  uns  der  Ausgangsort  oder  die 
Endbestimmung  des  Instruments  auf  einen  Weg.  Ich  meine, 
es  ist  für  den  Tenor  der  Urkunde  von  Belang,  welcher  ge- 
sellschaftlichen Stellung  der  Destinatar  oder  überhaupt  die 
Person,  in  deren  Interesse  die  Urkunde  verfasst  ist,  angehört. 
Es  gilt  für  diesen  Gesichtspunkt  jene  Behauptung  Kauffmanns  ^, 
welche  ich  oben  für  den  Lautwert  des  ä  verwertete,  in  noch 
höherem  Grade  hinsichtlich  der  Schreibung  des  i;  ich  glaube 
in  der  That,  dass  bei  %  der  spezielle  Geschmack  und  nament- 
lich das  höhere  Alter  der  am  Rechtsgeschäft  Interessierten 
ein  wesentlicher  Faktor  füir  die  Vermeidung  des  ei  gewesen 
ist.  Wenn  schon  für  die  Darstellung  des  d  der  Schreiber 
solchen  Rücksichten  sich  unterordnete,  wo  die  gewählte  Form 
nur  eine  durchaus  innerhalb  der  Mundart  entstandene  Laut- 
steigerung yersinnbildlichte,  so  ist  es  für  die  Zeit,  wo  t  noch 
nicht  überall  ausgesprochenen  Doppelklang  hatte,  der  ein 
Zeichen  ei  rechtfertigte,  wahrscheinlich  genug,  dass  der  Schreiber 
mit  Berücksichtigung  der  Neigung  seiner  oder  seines  Klienten 
die  Wahl  zwischen  den  ihm  zur  Verfügung  stehenden  Zeichen 
traf.  So  auch  ist  es  nur  erklärlich,  wenn  in  nicht  gerade 
wenigen  Urkunden  das  ei  gänzlich  fehlt.  Es  liegt  eben  die 
Differenz  im  Ausdruk  nicht  immer  blos  in  der  Sache  selbst, 
sondern  in  der  Stellung  des  Sprechenden  dem  genannten 
Objekte  oder  der  genannten  Person  gegenüber  und  richtet 
sich  unter  Umständen  wieder  nach  dem  beabsichtigten  Eindruck, 
den  die  Worte  auf  die  Angeredeten  machen  sollen. 

Es  muss  jedoch  noch  ein  zweites  Moment  jene  zeitweise 
Schwankung  in  der  Schreibung  hervorgerufen  oder  sie  wenigstens 
mit  verschuldet  haben.  Ich  berühre  hiermit  die  Frage  nach 
Vorlagen  und  Mustern.  Die  Zeit  der  grössten  Schwankung 
ist,  ich  will  es  wiederholen,  die  Zeit  vom  zweiten  Dezennium 
des  14.  Jhs.  bis  zum  Ausgang  des  dritten.  Es  ist  das  die 
Zeit,  in  welcher  Augsburg  in  besonders  reger  Verbindung 
mit  Kaiser  Ludwig  stand.    Ich  bin  im  voraus  überzeugt,  dass 

'  Kaoffmann:  schwäb.  Mundart:  S.  281. 


372  Dritter  Absohnitt.  186 

ich  mit  einer  derartigen  Abgrenzung,  welche  auf  die  Wichtig- 
keit der  Kanzleisprache  Ludwigs  für  die  Umgestaltung  der 
Sprache  der  Beichs-  und  namentlich  der  städtischen  Kanz- 
leien hinzuzielen  scheint,  einem  starken  Vorurteil  begegne, 
mit  dem  jede  dieses  Problem  streifende  Behauptung  unter- 
drückt zu  werden  fürchten  muss;  aber  es  ist  nun  einmal  ein 
Eindruck,  dem  ich  mich  um  so  weniger  entziehen  kann,  als  mit  der 
Einschränkung  nicht  allein  des  persönlichen,  sondern  auch  des 
diplomatischen  Verkehrs  mit  Ludwigs  Beamten  und  mit  seinem 
Hofe  ^  die  Schwankung  schwindet  und  mit  einerneuen Schreiber- 
Aera  S^^  die  Tradition  wieder  zu  Ehren  kommt  Dass  die 
Kaiserurkunden  Ludwigs  aber  in  der  That  ei  für  i,  wenn  nicht 
ausschliesslich,  so  doch  eindringlich  genug  bieten,  brauche 
ich  hier  nicht  zu  beweisen;  einem  späteren  Abschnitt  soll  es 
Torbehalten  sein,  das  Nötige  herbeizutragen  und  hierbei,  an- 
knüpfend an  eine  Bemerkung  Bresslaus  ^,  der  Zusammensetzung 
der  kaiserlichen  Kanzlei  und  der  Verteilung  ihrer  Glieder 
auch  auf  Augsburg  als  Herkunftsort  zu  gedenken. 

Wie  verteilen  sich  nun  die  Schreibungen  t,  ei,  %  auf  Zeit 
und  Ort,  und  wie  stehen  sie  selbst  zu  einander?  Bezüglich 
der  ersten  Frage  verweise  ich  auf  die  absichtlich  reich  gegebenen 
Belege.  Fest  steht,  dass  t  traditionelle  Schreibung  ist,  ein 
ahd.  Bestandteil,  und  durch  mannigfache  Gründe  immer 
wieder  hervorgerufen,  ei  war  durch  die  bairischen  Muster^ 
gegeben;  doch  auch  diese  wendeten  es  nicht  regelmässig  an, 
wie  man  sehen  musste;  also  schrieb  man  ei  und  t.  Die 
klerikalen  Urkunden  nun  wiesen  dem  umsichtigen  Stadt- 
schreiber   auch  t.      Es    hatte    zwei    gute    Seiten:     es    gab 

^  Das  Zusammenhalten  Augsburgs  mit  Ludwig  dem  Bayer  in  seinen 
Kämpfen,  die  gemeinsamen  Feldlager,  der  häufige  Aufenthalt  des  Kaisers 
in  und  um  Augsburg  sind  beachtenswert  (vgl.  dazu  Herberger :  Kaiser 
Ludw.  d.  Bayer  und  die  treue  Stadt  Augsburg:  S.  10  Anm.  88  und 
das  von  mir  später  über  das  Verhältnis  Augsburgs  zu  Bayern  und 
seinen  Fürsten  Beigebrachte). 

'  Bresslau:  ürkundenlehre  I,  S.  259. 

*  Aychach :  1814  nur  ei  (U.  S),  Landsberg :  1388  et  und  t  (U.  Gr.), 
Landsberg :  1825  ei,  i  (hl.  Gr.). 


187  Lautlehre.  373 

eimnal  durch  seine  Gestalt  den  als  schwebenden  Laut  em- 
pfundenen Diphthong  in  dieser  seiner  Unbestimmtheit  wieder, 
und  im  üebrigen  bot  es  die  Möglichkeit,  dem  Bedürfnis,  ei 
zuschreiben,  nach-  oder  wenigstens  nahe  zu  kommen,  indem  man, 
wenn  schon  t  stand,  das  e  darüber  setzte  und  so  eine  Kom- 
position Ton  i  und  $  erzielte. 

Anmerkung:  %  hat  darnach  die  Bestimmung,  ei  zu 
sein,  ähnlich  wie  in  briutigum  (=  briuUffom)  durch  die  spätere 
Fassung:  hriutigoum  die  Darstellung  eines  Diphthongs  ou  für 
o  durch  tt  kenntlich  gemacht  werden  soll.  Weinhold  erklärt 
dieses  briudgum  für  eine  Folge  der  Unsicherheit  betreffs  des 
Lautes  o,  es  ist  auch  ein  Hinweis  für  die  spätere  diphthongische 
Fassung  als  ou '.  Als  weiteren  Beleg  für  den  diphthongischen 
Wert  der  Schreibung  mit  ou  führe  ich  aus  dem  Augsburger 
Stadtbuch  an:  f.  72b.  braeutgaeu  73a.  braeutgaewe. 

Es  steht  somit  ausser  Zwei fel,dass  man  in  den 
bald  nach  diesem  bald  nach  jenem  Ort  bestimmten 
Schriftstücken  nicht  allein  i  schreiben  wollte, 
sondern  denDiphthong  durchaus  in  den  Schrift- 
zeichenyorrat  aufgenommen  hatte.  Wie  stand  es 
nun  innerhalb  des  eben  behandelten  Zeitraums  ( —  1330) 
um  die  ausschliesslich  für  das  interne  Rechtsleben  der  Stadt 
bestimmten  Akten.  Da  zeigt  sich  nun  im  Stadtbuch 
das  gerade  entgegengesetzte  Bestreben:  ei  zu 
vermeiden.  SelbstSg  schreibt  nur  hin  und  wieder 
ein  ei  für  i^.     S^  und  S^   vermeiden   ei  hier  ganz, 

^  y^L  Weihold:  mhd.  Qr.  §  64.    Belege  aus  Keimen. 

*  Abseits  steht  eine  Eintragung  seiner  Hand  über  eine  Hochzeits- 
ordnnng  (72  b.  78  a),  in  welcher  der  eine  Abschnitt  nur  aei  und  ei  für 
f  bat;  ich  glaube  nämlich,  dass  diese  Eintragung  ans  fremden  Statuten 
abgeschrieben  ist;  denn  1)  schreibt  S3  wohl  ei,  aber  nie  sonst  aei,  — 
2)  ist  j?/  für  p/i  damals  den  Angsburger  Schreibern  noch  nicht  geläufig, 
—  3)  ist  eine  Form  wie  v,ndr  weder  dem  Schreibbrauch  von  Ss  noch 
dem  der  augsburgischen  Kanzlei  des  13.  Jhs.  überhaupt  angemessen.  Ich 
bemerke  dazu,  dass  ein  Flüchtigkeitsfehler  eher  ausgeschlossen  erscheint, 
weü  die  Schrift  auf  hohe  Sorgfalt  hinweist;  —  4)  Bevorzugt  Ss  in 
seinen  Schriftstücken  vielmehr  das  <m  sowohl  für  ü  als  für  Diphthong 


374:  Dritter  Abschnitt.  128 

obgleich  sie  es  in  den  Urkunden  neben  i  auf- 
kommen lassen;  S^  aber,  dessen  Thätigkeit 
hauptsächlich  jener  oben  als  die  Zeit  eines  sich 
vorbereitenden  Umschwungs  bezeichneten  Periode 
bis  zum  Anfang  der  dreissiger  Jahre  angehört,  lässt 
et  mit  i  nach  seiner  sonstigen  Gewohnheit  auch 
im  Stadtbuch  wechseln;  desgleichen  macht  sich 
in  der  1324  von  ihm  verfertigten  Abschrift  des 
Stadtbuchs  unleugbar  das  Bestreben  geltend,  ei 
an  die  Stelle  von  t  zu  setzen;  z.  B.  die  ersten  Seiten 
beider  Werke  mit  einander  verglichen  bieten: 

Original  (Grundtext,  fol.  la):  fi,  beUbe,  ziten. 

Copie:  fei,  beleihe^  zeüen. 

Die  wenigen  ei  der  Hand  S  3  lä43st  er,  ebenso  bezeichnend, 
unangetastet. 

Der  Platz  des  ei  ist  darnach  als  ein  schon  ziemlich  ge- 
sicherter anzusprechen  für  den  rechtsgeschäftlichen  Verkehr. 
Vollständig  aber  erst  hat  Sj,  anscheinend  den  bisher  zwischen 
öffentlicher  und  interner  Bechtsverkehrssprache  waltenden 
Unterschied  —  ich  möchte  genauer  sagen  'Abstufung\  insofern 
als  die  Sprache  der  internen  Bechtsdenkmäler  hinter  der 
ürkundensprache  zurückgeblieben  ist  —  aufgehoben;  in  gleicher 
Weise   selbständig  verfahrt   er   mit   Kopieen  ^     1346 — 1348 


aUf  während  der  Text  hier  nur  au  hat.  -  In  der  Ansicht,  dass  dieser 
Passus  einer  uns  unbekannten  Quelle  als  Vorlage  entstammt,  werde  ich 
um  so  mehr  bestärkt,  als  der  von  Ss  nicht  zu  Ende  geführte  Passus 
—  er  bricht  mit  'niht  ab  (vgl.  Stadtbuch  v.  Augsburg  ed.  Meyer: 
S.  244.  §  8  Zeile  9)  --  von  Si?  mit  gan  beendigt  wird,  als  ob  dieser  die 
gleiche  Quelle  gehabt  und  daraus  ergänzt  hat.  Wenn  Si?  selbst  seinen 
Zusatz  in  einer  seiner  eigenen  Schreibweise  angemessenen,  von  dem  Vor- 
anstehenden aber  abweichenden  Fassung  anfügt,  so  ist  die  Aenderung  — 
bei  Annahme  gleicher  Quelle  —  durchaus  verträglich  mit  dem  uns  sonst 
bekannten  Verfahren  Hagens  (Si?),  in  der  Schreibweise  seiner  Urkunden 
sowohl  als  in  seiner  Behandlung  der  Kopieen:  1829.  Sonntag  nach  St 
Kargar.  S©  fein  (3.  pl.  conj.),  Dyener  —  Sn  :1846:   fyen,  Diener. 

^  Abschriften  des  Missiv-Buchs : 

Original:  31.  Juli  1348:  Ürk.  des  Pfalzgrafen:  bi  Rin;  weifen; 
ir  leib;  sin  (1.  plur.);  bi;  leib;  leiden. 


129  Lautlehre.  376 

ist  Hagen  mit  et  zurückhaltend.  Von  1348  sind  aber  Urkunden 
erhalten,  welche  ei  in  gleicher  Weise  wie  und  neben  t  auf- 
weisen. Mit  Rücksicht  darauf,  dass  die  mir  zur  Verfügung 
stehenden  Urkunden  Hagens  aus  der  Zeit  von  1346  und 
1347  kein  ei  besitzen,  ist  es  umso  beachtenswerter,  dass  in 
einer  von  seiner  Hand  (Sj,)  geschriebenen  Ur* 
künde  des  Kaisers  an  die  Stadt,  alsoYorurkunde, 
ei  ganz  in  den  Vordergrund  tritt  (1345.  Montag  nach 
den  11.  Not.  (A)). 

Die  bischöflichen  Schreiber  hatten  von  1336  an  ei  ganz 
besonders  bevorzugt,  der  Schreiber  der  Curia  gleichfalls,  und 
auch  die  Klöster  liessen  hie  und  da  ei  und  i  neben  t  er- 
scheinen. %  hatte  ich  ein  Charakteristikum  der  klerikalen 
Urkunden  genannt;  es  wird  von  den  städtischen  Schreibern 
der  vierziger  Jahre,  XTlrich  Biederer  und  Hagen,  in  allen 
ihren  schriftlichen  Erzeugnissen  auch  ftir  i  verwendet.  Es 
gewinnt  in  den  fünfziger  Jahren  häufig  die  Gestalt  i/f  wie 
überhaupt  y  wieder  sehr  kultiviert  wird.  ^  Von  einer  geregelten 
Orthographie  des  mhd.  t  kann  bis  zum  Ausgang  unserer 
Periode  nicht  die  Rede  sein;  die  graphische  Gleichwertigkeit 


Copie:  n.  48.  (1361?):  hy  Byn;  weifen;  ir  lih;  /^;  by;  lib; 
leiden. 

Original:  1365  18.  Juli:  Chunrate  yon  Bargaw:  Weizzinger; 
weifen;  reich;  veltßrHt;  Itreit;  by;  fy  (conj.);  geftryten, 

Copie:  (1865):  Weizzinger;  weifen;  Reiche;  veUftrit;  ftreit;  by; 
fye;  geetriten. 

Original:  1861  S5.  Januar:  KtLiBer:  zeiUn; reiche;  Meicha; meinen; 
bei;  fein  (inf.);  bei,  reiche;  bdeiben;  weife;  weife, 

Copie:  n. 84:  WahrscheiDlich  1866  hinter  den  Urkunden  von  1866, 
jedenfalls  nicht  vor  1364  auf  Grund  der  Gestalt  der  Schriftzüge  Hagens: 
ziten;  Rychs;  Reichs;  Meinen;  by;  fein;  by;  rychn;  bdiben;  wife;  weife. 

'  Was  diese  zeitweilige  Vorliehe  für  den  einen  oder  den  anderen 
Buohstahen  im  Allgemeinen  und  für  y  im  Besonderen  anlangt,  so  ist  es 
wohl  mehr  als  ein  Zufall,  dass  der  Stadtschreiher  Hagen  (Si?)  in  der 
Kopie  einer  Kaiserurkunde,  die  wir  ohen  in  die  Abschriften  des  Jahres 
1866  einreihten,  häufiger  für  ei  des  Originals  (et  für  i):  y  (reiche  — 
Byehe,  bei  --  by  ,  .  ,)  und  fdr  ei  (•«  ai):  ey  in  keyfirUchen  setzt,  als  i 

and  ei. 

25 


376  Dritter  Abschnitt.  130 

der  gegebenen  Zeichen  tritt  in  der  Weise  in  Erscheinung,  dass 
einzelne  Urkunden  durchaus  nur  t  aufweisen,  wieder  andere  — 
und  diese  sind  in  den  sechziger  Jahren  nicht  allzu  selten  — , 
von  8^0  und  S,,  verfasst,  benutzen  y  und  y,  eine  dritte 
Kategorie  endlich,  und  diese  ist  die  grösste,  macht  keinen 
Unterschied  in  der  Verwertung  aller  Zeichen.  Als  durchaus 
einheitlich  auf  dem  ganzen  Augsburger  Territorium  gestaltet 
hebt  sich  aus  dieser  Ungleichmässigkeit  die  Zeit  von  1349 
bis  1350  heraus,  in  der  nur  i  geschrieben  wird,  wohlgemerkt, 
nachdem  das  Jahr  1348  in  den  städtischen  Urkunden  an  ei 
reich  gewesen  war.  Auffallend  ist  namentlich,  dass  jetzt 
zahlreiche  Urkunden  des  Domkapitels,  geschrieben  von  Einer 
Hand,  jedenfalls  des  Schreibers  des  Domprobstes  Engelhardt 
von  Entzberg,  neben  den  städtischen  in  gleicher  Fassung 
einhergehen.  Es  kann  jedoch  weder  ein  Versuch  gemacht 
werden,  in  der  thatsächlichen  Gleichheit  der  Behandlung  des 
t,  und,  wie  sich  herausstellen  wird,  auch  anderer  Bestandtheile 
des  Sprachgutes  beiderlei  Urkunden,  einen  Einfluss  der  einen 
Partei  auf  die  andere  oder  eine  Wechselbeziehung  heraus- 
zufinden, noch  auch  wird  ein  derartiges  Unternehmen  bezüglich 
des  Verhältnisses  der  augsburgischen  Urkunden  zu  den  kaiser- 
lichen glücken.  Es  bleibt  uns  zur  Erklärung  der  so  auffallenden 
Mannigfaltigkeit  in  allen  Schriftstücken  der  Zeit  nor  übrig 
anzunehmen,  dass  die  Unregelmässigkeit  in  der  Schreibung  im 
Weiteren  eine  Wirkung  der  kaiserlichen  Urkunden  ist,  indem 
diese  denselben  Zustand  zeigten  und  dadurch  dem  augsburger 
Schreiber,  welcher  ihnen  nachzuschreiben  strebte,  die  Schwankung 
in  der  Setzung  von  i  und  ei  für  ein  und  denselben  Laut  als 
angängig  erscheinen  liessen. 

ö:  Belege: 

In  der  Begel  o. 

Urkunden: 

städtische:   o:   immer:    fol,    folte,    hof,    (d.    und    n.)      immer: 

offenlichen,  offenlich. 

1282.  vngeworhtS,  (A.  E.Xi4,  3).  —  korn- 
markt,  (volkwin),   fol.   hurloher   S,.   —   1283. 


131  Lautlehre.  877 

(Völchwin),  folde  Sg  (A).  —  (volchwein)  Sg. 
1290.  SolhiV  S3.  —  1292.  folhe  S^.  —  1298. 
fölhe  —  (h6rent,  Römifchen,  Chünig)  83.  — 
1302.  (Kn6ringen)  8,  (hl.  Cr.  4).  —  1303.  zorn- 
lich —  (hört,  gr6zziy,  w61ten  (c.))  8g.  —  Dupli- 
kat: 1303.  (h6rt,  gr6zziy)  z6renlich  —  (wolten) 
Sg.  —  1304.  ßlhen  8  g  (R.  10).  —  1306.  zol- 
naer  (n.  pr.)  8.  (C.  6).  —  1309.  V61kwüi  8^ 
(U.  2).  —  1309.  Vogt:  hofti  (c.)  ?  (A).  —  1318. 
ftozzet  8  g  (U.  2).  —  1320.  v6r  —  (horent) 
8g    (A).   —    1328.   klocher  8^^  (A).  —  1336. 

Rat:  ftoffet  8,,  (U.  5).  —  1339.  Ötmar  — 
(horent,  gehöret)  81g  (A).  —  1340.  ftczfet  8^^. 

—  1343.  Dünerftages  8,g.  —  1349.  Donerftag 
8„.  —  1352.  Byfchof  8„.  —  1359.  V51kwin 
8,,  (C.  10).  —  1366.  (Voglin  (n.pr.))  8^^ 
(A).  - 

Bischof  und  Domk.:  0. 

1329.  f6nd  (=follen)  (H.  16).  —  1352.  Don- 
reftags  (A).  —  1359.  Volkweinin  (A).  — 
Curia:  1331.  Clofters  (U.  2).  — 
Klösler:  8t.  Oath.:   1303.   (K16fterf)   (C.  5).  —  1338. 
kument  (A).  — 

8t.   8tephan:    1306.   vörbetrahtunge    Clöfter, 
vorgenanten,  vor,  Horburch  (n.  pr.)  (A).  — 
8t.  Ulrich:  1306.  hureloherin  (U.  2).  —  1314. 
Aychach   an   8t.  Ulrich?:  vor,   v6rgenantiv 
(U.  2).  - 
Stadtbuch:  Grundtezt:  o.  —  Novellen:  in  der  Regel:  o 

—  8, :  8ul,  80I. 
Achtbuch :  o.  — 

A.  1344.  Brifyn  S„  (10  b).  —  1351.  (G6tfnd) 
S„    (16  b).   —    1367.   (Lerchenp6gün)   (26  a). 

—  1368.  Vogelin  S„  (22  b).  — 

B.  1339.  prifoTn  S,»  (47  b).  —  1340  prifvn 
S,,  (61a). 

25* 


378  Dritter  Abtohnitt  132 

ö:  Geltnng: 

Mhd.  ö  ist  während  der  ganzen  Periode  ein  durchaus 
kurzes,  geschlossenes  o ;  nur  vor  r  scheint  ein  e  dem  o  nach- 
geklungen zu  haben;  wenigstens  findet  sich  zu  verschiedenen 
Zeiten  des  14.  Jhs.  die  Schreibung:  vor,  Tör,  (R&rbach}). 
Es  wird  dieses  o  nicht  mehr  ein  reines  kurzes  o  gewesen 
sein;  die  Schreibung  6  1306  (St.  Steph.)  in  vörbetrahtung  und 
vor  —  lässt  auf  eine  Dehnung  des  o  schliessen;  dann  würde 
also  die  Schreibung  vor,  Tdr,  (Rörbach?)  einen  langen  09- Laut 
darstellen.  Dem  entspricht  die  heutige  Aussprache  des  0 
vor  r:  oi*  in  väer,  ganz  gleich  dem  Laut  für  altes  «^  —  Im 
übrigen  ist  das  Gebiet  des  kurzen  0  sehr  eingeschränkt;  denn 
der  Schreibung  nach  ist  schon  im  13.  Jh.  0  zu  d  umgelautet 
in  den  verschiedensten  Stellungen :  —  forcht,  notdorft  ist  alte 
Brechung  und  mit  0  gesprochen  worden.  ^  Die  Fremdwörter 
neigen  entweder  zu  einer  Dehnung  des  0,  oder  sie  erscheinen 
mit  einer  Yerdumpfung  des  ursprünglichen  0  zu  u,  welches 
sich  dann  der  Entwicklung  des  u  anschliesst,  und  so  als  cm 
in  prifavn  neben  brifvn  erscheint ;  ob  diese  Formen,  und  welche 
von  beiden,  auch  der  Aussprache  gemäss  waren,  müssen  wir 
dahingestellt  sein  lassen.  Wir  können  nur  in  Erwägung  ziehen, 
dass  für  das  Ohr  des  Gebildeten  des  14.  Jhs.  au  eher  die 
fremde  Aussprache  zu  erreichen  schien  als  reines  u. 

Ein  anderes  0,  als  das  aus  u  durch  firechung  von  altem 
u  durch  a  des  Affixes,  hat  sich  unter  dem  Einfluss  von  Liquida 
aus  a  heraus  gebildet.  ^  In  Betracht  kommt  für  uns  solj 
welches  anscheinend  in  Anlehnung  an  die  Gestalt  der  Plural- 
formen: suleriy  (sulen)  auch  sul  gelautet  hat,  nach  einem  Zeugnis 
aus  dem  Stadtbuch  zu  schliessen;  ferner  von,  dort  —  Durch 
Verschmelzung  von  a  mit  vorhergehendem  w  entstand :  chotember 
aus   quatember,   cliom,   kom   aus   quam.     Durch  vorangehendes 


^  Vgl.  Birlin  ger:  augsburg.  Mundart.  S.  10. 

•  Birlinger:  augsb.-schwäb.  Wörterbach  S.  357. 

•  Vgl.  Weinhold:  alam.  Gr.  §  88. 

•  Vgl.  Weinh.  mhd.  Gr.  §  23  und  §  69. 


133  Lautlehre.  379 

w  wurde  e  in  wSche  zu  o:  woche.'^    Diese  letzteren  Vorgänge 
sind  gemeiamittelhochdeutsch. 

ö:  Bezeiehnang : 

Die  Bezeichnung  des  etymologischen  o,  sowie  der  anderen 
beim  Lautwert  behandelten  Erscheinungen  des  o-Lautes, 
bedarf  keiner  besonderen  Erklärung.  Der  dafür  verwendete 
Buchstabe  o  erhält  nur  in  den  Fällen  von  Dehnung  eine 
genauere  diesbezügliche  Ausstattung  mit  darüber  gesetztem 
—  oder  i.  Auf  letzterem  Wege  wird  der  Buchstabe  dem  zum 
Ausdruck  des  Umlauts  Yon  o  und  6  gewählten  Zeichen  voll- 
ständig gleich^  und  es'  wird  daher  bei  der  Behandlung  des 
Umlauts  unsere  Aufgabe  sein,  diesen  Umstand  in  bestimmten 
Fällen  in  Erwägung  zu  ziehen,  um  diese  oder  jene  Erscheinung 
aus  dem  graphischen  Gebiet  des  Umlauts  auszuscheiden; 
zweifellos  also  trifft  dies  v&r  und  T&r\  jenes  als  v&r  von  einem 
städtischen  Schreiber  1320  geschrieben,  durch  die  Schreibweise 
mit  ^  in  einer  klerikalen  Urkunde  als  gedehnt  gekennzeichnet ; 
desgleichen  Tor  als  Tor  in  einer  städtischen  Urkunde  von 
1304.  (Ss).  Die  Geltung  des  6  in  Börbach  halte  ich  für  un- 
entscheidbar.  —  Unbekannten  Ursprungs  ist  die  vereinzelte 
Form  dünnerliags  bei  Sj^  1343.  Sie  darf  vielleicht  als  eine 
Erinnerung  an  die  alte  u-Form  gelten  und  mag  dem  Yolks- 
munde  noch  angehört  haben. 

Umlaut  von  ö:  Belege. 

In  der  Kegel:  o;  wenn  o  durch  Brechung  aus 
altem  u  entstanden  ist,  u :  in  der  Regel  kumpt, 
und  ü :  (fvne  (pl.)  .  .  .)  (fülen),  kvnic  und  kvnic. 

Urkunden: 

1282.  volkwin  (Hoelenftain,  Helenfbain),  gvnnen 
8^  (A.R.X|4,4).  —  1283.  V&lchwin  S« 
(A).  —  volchwein  Sg.  —  1290.'Solhiv  Sg.  — 
1292.  ffilhe  S^.  —  1296.  f61h  S^  (A.  R.  X\  6, 5). 


^  Heute  *vmche'  im  AugsboigiBcheo. 


380  Dritter  Abschnitt.  134 

—  YoUeclichen  S^  (A).  —  m6hten  (c), 
Clivnige  (d.)  Sj.  —  1299.  chvmt  S..  —  1298. 
Chunig,  folhe  Sg.  —  1300.  dörffern,  roohte 
S3  (C.5).  —  1301.  Ch^igea,  (v6gte)  S, 
(R.  10).  —  1302.  Knöringen  Sg  (hl.  Cr.  4). 
1303.  zornlich,  w61ten  Sg  (A).  —  Dupli- 
kat: 1303.  z6renlich,  wolten  Sg.  —  1304.  fölhen, 
flözzen  Sg  (R.  10).  —  1306.  zolnaer  (n- pr.) 
zolner  (n.  pr.)  möhten  (c.)  S^  (0. 6).  — 
Sumert6ckel,  f^ln  (1.  plur.)  —  foln  (1.  sing.) 
Se  (U.  2).  —  1309.  V61kwin  S,  (U.  2).  — 
1309.Vogt:kvnige8,hofti(c.)?(A).  — 1312.  h6f, 
h6uen,  m6ht  (c.)  S^.  —  houe  Sg  (C.  6).  — 
1318.  ftozzet  (3  8.  pr.  ind.)  Sg  (U.  2).  —  1324. 
m'chten  Sg  (C.  6).  —  1326.  w61t  (c.)  S^^.  — 
1328.  klocher  (n.  pr.)  S^  (A).  —  1329.  Holt- 
zingen.  —  (Schiffel)  S,  (hl.  Cr.).  —  Tohteren 
Sg  (G.  2).  —  1330.  oflFenlichen  S^  (St  3). — 
get6rft,  f61ten  (c.)  S^,  (U.  2).  —  1333.  w61t 
(c.)  f61t  (c.)  S,2  (hl.  Cr.  5).  -  hef  (pl.),  h6fen 
Sn  (C.  7).  —  1335.  f61t  (c),  w61tin  S,5 
(U.  6).  —  1335.  Rat:  f61chiv,  wiltin  (c),  OAti, 
mohtin,  ftoffet  S^^.  —    1339.  (schoeflFel),  hoef, 

—  (entloefen,  hoerent,  ils)  Sjg  (A).  —  1339. 

e 

Vogt:  (Otmar)  —  horent,  gehöret  ?.  —  1340. 
ftozfet  S14.  —  1345.  kümpt,  (furderung)  (holtzen) 
S„  (A.  R.  X|  10,  3).  —  1348.  wölt  S„ 
(A).  —  chünig  S^,.  —  1349.  kümpt  S^,.  — 
1351.  (Sch6ffel)  S„  (0.10).  —  chumpt  S,, 
(A).  —  1359.  V61kwin  S^,  (C.  10).  —  1366. 
VogUn  S,,  (A).  - 
Bisch,  und  Domk:  6  —  immer:  kumt.  — 

a296.  g6tlich  (A.  R.  X^  5,  7).  —  1305.  chVnige 
(A.  R.  X|6, 4).  —  1323.  h6f  (pl.)  (horent)  (0. 7). 

—  1332.  chumt  (H.  17).  —  1338.  bedirften 
(bedörften)    (A).   —    1342.    kompt,  m6ht   (c.) 


135  Lautlehre.  381 

(H.  20).  —  1348.  möht  (c.)  Domk.  ?  (hl.  Cr.  6). 

—  1359.     Volkweinin  (A). 

Curia:  1320.   kumpt  —  (h&rent,  gehört)   (G.  2).  — 
1326.  v61klichen    —    (horent)  (U.  2).   —    1327. 
t6hter   —   (horent)   (A).  —  1337.   t6hter,  h6f 
(U.5).  — 
Klöster:  6  —  kumt.  — 

St.   Georg.    1282.  kvmt,  hoven    (pl.)   (G.  1). 
St.  Cath.   1295.   m6hten   (c.)  (A.R.X|4,6). 

—  1303.   (Klöfterf)    (C.  5).    —    1335.    fch6fel 

—  (horent)  (C.  10).  — 

Stadtbuch:  Grundtext:  bischoefen,  vogten,  kunigen,  kynch, 

zollen  kunch,  choerherren  (1.)  —  enwolte  (c.) 
(14  b).  —  oflFenlichen  (49  b).  .  .  . 
Novellen:  S^:  mortlich  (46b).  —  S8:voellech- 
lich  (56  b)  (  —  grozlicher)  —  wolt  (c.)  (60  a). 

—  Chumt   (62  a)   ...   —   Si5:8oelhe   (f.   s.) 
(72  a). 

Umlaut  von  ö:  Geltung. 

Der  Umlaut  des  ö  ist  bei  Beginn  unserer  Periode  voll- 
zogen vor  i  des  folgenden  Suffixes  und  zwar  unter  folgenden 
Bedingungen :  1.  Im  Plural  der  Maskulina  der  i-IOasse  ^  und 
der  Neutra  mit  der  Endung  -er.  —  2.  Bei  Antritt  der  Endungen : 
-ic,  -Uchj  'liriy  ausser  in  offerdiclien.  Auch  die  Endung  -ing^ 
•ingen  scheint  den  gleichen  Einfluss  gehabt  zu  haben,  es 
besteht :  KnMiigen,  Ndrdlingen.  Dagegen :  HoUzingen.  —  3.  In 
den  Kompositionen  mit  —  toin  und  —  frid :  Vdlhwin,  Qdtfrid, 

Ortwin,  —  4.  In  den  Konjunctiven  praeteriti  (der  Praeterito- 
praesentia) :  IdlUy  wölUy  mdhte,  dörfte  und  in  getdrli.  —  Umlaut 
tritt  nicht  ein:  in  den  nominibus  agentis  auf  -aery  -er:  z.  B. 
zolnaer,  klocher  in  den  Urkunden  wie  im  Stadt-  und  Achtbuch. 
—  Im  Uebrigen  wird  o,  wo  es  durch  a  des  Affixes  bedingt 
war,   vor   einem  Suffix  mit  t  zu  u  gewandelt:  kumt,  ermurt; 

'  Die  Qaellen  bieten  mir  kein  Zeugnis  fiir  Uebergang  von  MasculiniB 
im  Plural  von  der  a-Klasse  zur  i-Klasse,  also  immer :  zollen  (Stadtbuch). 


S8S  Dritter  Abschnitt.  136 

kumi  hat  dann  durch  Systemzwang  die  Zerspaltung  des  u  in 
n -|-  0  und  u^e  mitgemacht,  vgL  das  darüber  bei  u  Qesagte. 

Da  unsere  Periode  in  die  Zeit  f&llt,  in  welcher  auch  in 
den  ümlautserscheinungen  anderer  Lautgebiete  Analogie- 
wirkung den  Bestand  teils  zu  vergrössem,  teils  zu  yerringem 
sucht,  so  werden  wir  auch  das  umgelautete  o  bald 
über  die  angedeuteten  Grenzen  hinaus  greifen,  bald  zum 
Nichtumlautstand  zurückkehren  sehen.  Diese  Schwankung 
wird  der  gesprochenen  Sprache  in  gleicher  Weise  angehört 
haben,  als  sie  von  der  Schrift  bezeugt  ist.  R&rbach  z.  B. 
kann  sehr  wohl  in  der  alltäglichen  Sprache  umgelautet  ge- 
klungen haben. 

Gesprochen  wird  heute  der  Umlaut  der  Kürze  der  o- 
Laute:  i\  die  gleichen  Verhältnisse  liegen  im  14.  Jh.  vor, 
wenn  wir  einmal  in  der  nachgewiesenen  Form  nCchten  die 
Gleichwertigkeit  von  ö  und  e  erkennen  wollen  und  wenn 
anderseits  der  Wechsel  von  ö  und  e  in  Schdffel,  -fehöfte 
und  Icheffte '  eine  Mittelstellung  beider  Laute  kennzeichnet ;  es 
wird  besonders  mit  Bücksicht  auf  die  letzteren  Erscheinungen 
eine  völlige  Endrundung  für  das  14.  Jh.  anzunehmen  nicht 
statthaft  sein. 

Umlaut  von  ö:  BezelchnuBg. 

Die  Schreibung  folgt  durchaus  dem  gesprochenen  Laut 
bis  auf  wenige  Einzelheiten,  die,  so  wie  sie  sich  kund  geben, 
immerhin  noch  kein  Zeugnis  für  nicht  umgelautete  Form 
sind.  Keine  der  in  den  schriftlichen  Denkmälern  vereinzelt 
auftauchenden  Formen  ohne  Umlautbezeichnung  steht  der- 
artig isoliert,  dass  nicht  das  gleiche  Wort  mit  Umlautbe- 
zeichnung an  andern  Stellen,  häufig  auch  in  ein  und  demselben 
Denkmal  erscheint.  Zum  Teil  kommt  in  solchen  Fällen  der 
Wechsel  der  Mundart  in  der  Kundgebung  des  Umlauts,  zum 
Teil  Nachlässigkeit  der  Schreiber  in  Betracht,  die  zur  That- 
sache  durch  mehr  als  ein  Zeugnis  wird :  z.  B.  wird  in  m'ehien 
die  Auslassung  des  Vokals  durch  darübergesetztes  1  ersetzt, 
u.  a.  m.    Ob  zu  diesen  Schreibfehlem  auch  enwoäe  des  Grund- 


137  Lautlehre.  383 

textes  Sj  im  Stadtbuch  zu  zäMen  ist  oder  ob  S^  die  um- 
gelautete  KoiguDktiyform  der  oben  angeführten  Fraeterito- 
praesentia  noch  nicht  gekannt  und  verwendet  hat,  ist  darum 
zweifelhaft,  weil  die  unter  seine  (des  S^)  Thätigkeit  fallenden 
Urkunden  keine  der  einschlägigen  Formen  bieten.  In  den 
neunziger  Jahren  jedenfalls  schreibt  schon  S5  regelmässig 
möhten  ....  Eine  eigene  Bewandtnis  scheint  es  mit  der 
Darstellung  des  Nomen  proprium  Volkwein  zu  haben;  der 
Name  erscheint  regelmässig  als  Völkwin,  aber  ebenso  regel- 
mässig als  volkweifif  d.  h.  -loin  hatte  umlautende  Kraft,  aber 
nicht  "wein.  Diese  Di£ferenzierung  respektieren  alle  Schreiber 
und  zu  allen  Zeiten  unserer  Periode.  Die  angeführten  Belege 
liessen  sich  noch  bedeutend  vermehren.  In  der  Gestalt  des 
Suffixes  'ic  als  -ec  erscheint  voüeclichen  als  nicht  umgelautet, 
dagegen  z.  B.  1326:  völklichen  (Curia).  —  In  der  Form 
nCchten  giebt  sich  zweierlei  kund:  einmal  die  wahrscheinliche 
wirkliche  Aussprache  des  ö  als  i  und  dann  ein  ursprüngliches 
Versehen  des  Schreibers. 

1338.  (1338.  bedörften)  nimmt  die  Darstellung  des  Umlauts 
von  o  zuerst  die  Form  ö  an;  auch  hier  beginnt  damit  ein 
bischöflicher  Schreiber.  Bei  sorgfältiger  PrtLfung  der  Quellen 
habe  ich  die  neue  Gestalt  des  Apex  in  den  gleichzeitigen 
und  folgenden  städtischen  Urkunden  nicht  mit  voller  Gewissheit 
entdecken  können. 

6:  Belege. 

Urkunden. 
In  der  Regel  o. 

städtische:  in  der  Regel   0.   —    1277.   groz   Sg    (A).   — 

1282.  Moricien  (3  x),  (hoher,  hohin)  S, 
(A.  R.  X|  4, 4).  —  1285.  Schongawer  S,  (C.  3). 

—  1295.  T^  Sj  (A).  —  1296.  Movricen  S^. 

—  (1302.  Hihftetten  ?).  —  1303.  Mavrizin 
Sg.  —  1303.  gefw6ren  -(h6rt,  grozziv)  Sg.  — 
Duplikat:  1303.  gefworen  Sg.  —  1303. 
manöd,  manod  (entlofen)  Sg  (C.  6).  —  Dup- 


384  Dritter  Abflcfanitt.  138 

likat  V.    1303:   1304.  Tor  S«    (A).    —    1313. 
manad,   manod,   manat  S^?   (U.  2).   —    1318. 

Lanrentzien   S^    (U.  2).    —    1323.   Öhaim  S, 

(C.  7).   —   Örterwochen   S^.    —    Oheims  S^^? 

(A).    —    (Tvm)    Sj,,.    —    1324.    Rorbach    S. 

(C.  7).  —  1325.  Mauricien  S,^,?  (A).  —  1326. 

R&thenhovfer  —  (horent,  gehört)  S^^  (C,  7).  — 

1330.    groz    Si2     (U.  2).    —    1355.    zwu    S.^ 

(0. 10). 
Bisch,  und  Domkio.  —  1351.  R&tenberg.    Domk.  (H.  12). 
Curia:  1326.  not  (U.  2).  —  1331.  Chlofters.  —  1345. 

Botenbacherin  (hl.  Cr.  5).  — 
Klöster:  St.  Cath:  1303.  Klofterf,  Rorbach  —  (horeut) 

(C.  5). 

St.   Stephan:    1306.   vorbetrahtunge,   Clßfter, 

vor,  Horburch.  ( —  h6rent)  (A). 

St-  Ulrich:  1323.  (Gr6g5rgen)  (U.  2). 
Stadtbuch  *:  o;    z.   B. :    Sg    gewandlot    (98  b).    —    nidrost 

nidroren  (72  a). 

6:  Geltung. 

Der  Lautwert  des  jetzigen  schwäbischen  6  ist  ein  ver- 
schiedener, und  zwar  hört  man  im  NW.  :  ao,  im  S.  (alamann.) : 
6,  im  0,:o9^.  Im  15.  Jh.  nun  findet  Bohnenberger  ^'^  schon 
denselben  Lautstand  und  setzt  mit  Kauffmaun  ^  den  Gang  der 
Entwicklung  jenes  nordwestlichen  clo  an  als:  6  '^ou  mit  ou 
'^  au  "^  ao.  Darnach  ist  ou  *  Vorstufe  zu  ao.  Weniger 
sicher  ist  die  Entwicklung  des  6  ^09  zu  verfolgen,  obwohl 
sie  einen  viel  einfacheren  Gang  gegangen  ist.  Bohnenberger 
nimmt  eine  Zwischenstufe  ö  an.     Wann  hat  diese   gegolten? 


'  Bürgerbach:  (ad.  1366).  1366.  BRifmit  de  Lantfhüt 
'  Vgl.  Birlinger:  augsb.-schwäb.  Wort  erb.  840.   EaufTmann:  schwäb. 
Mundart  §  80.  Anm.  2. 

'  Bohnenberger  a.  a.  0.  S.  76. 

*  Kauffrnann:  a.  a.  0.  §  80.  A.  1.  und  §  187. 

^  Sie  lebt  noch  im  Servatius  im  Reimt  bogen :  taugen. 


139  Lautlehre.  385 

Im  15.  Jh.   findet  er   schon  09.     Die  Schreibung  nötigt  uns, 
09  auch  schon  im  14.  Jh.  anzusetzen. 

Das  mhd.  6  ist  zweifacher  Herkuoft:  1.  Das  ahd.  6  ist 
alamann.  nur  noch  erhalten  in  zwo,  in  der  2.  schw.  Konj.  und  in 
[Resten  der  Komparationen  durch  -6r  und  -öat  ^.  Die  übrigen 
ahd.  6  sind  zu  tto  gesteigert.  —  2.  Fast  alle  übrigen  mhd. 
6  haben  sich  aus  ou  entwickelt.  —  In  den  augsburgischen 
Denkmälern  ist  der  Stand  folgender:  das  erste  noch  in  zwo 
und  -Sr^  ^öst  erhaltene  6  zeigt  in  der  nachgewiesenen  Form 
zwu  schon  Neigung  zur  Steigerung  auf  dem  ganzen  G-ebiete, 
zumal  'Or  und  -ost  sich  zu  yerflüchtigen  beginnen;  ou  hat  das 
mhd.  6  noch  im  11.  Jh.  gegolten,  nach  dem  Zeugnis  eines 
Reimes  im  Servatius,  den  ich  schon  anführte,  bogen :  tougen,  ^ 
Dass  im  13.  und  14.  Jh.  aber  09  vollkommen  entwickelt  ist 
und  dass  zu  keiner  Zeit  ou  ^  ao  auch  nur  heranzudringen  ver- 
mochte, dafür  spricht  die  Thatsache,  dass  nicht  ein  einziger 
Fall  aufzuweisen  ist,  wo  ein  ou  auch  nur  durch  Verwechslung 
mit  dem  für  alten  Diphthong  au  hin  und  wieder  verwendeten 
Buchstaben  o  für  ein  mhd.  ö  geschrieben  ist.  So  können 
die  Namen  Mavrüiua  und  Laurentius  in  ihrer  bald  als  Mov- 
ricen  (1296.  S«),  bald  als  Mauritzen  (1349.  S^,),  bald  als 
Morieien  (1325.  S,?)  imd  als  Laurentzien  (1318.  S^)  auf- 
tretenden Schreibung  nur  als  Zeugen  des  für  ou  geschriebenen 
0  dienen,  aber  nicht  umgekehrt,  wenn  nicht  die  Schreibung 
in  jedem  Falle  einer  Vorlage  entstammt.  Andere  Belege  der 
Schreibung  o  für  ou  giebt  der  Abschnitt  über  ou,  —  Das  6 
in  der  Superlativendung  hat  sich  in  der  Mundart  bis  heute 
erhalten. "   —   Das   vor  a  eines  Affixes   schon  fiüh  zu  0  ge- 


«  Weinh.  mhd.  Gr.  §  109. 

'  In  den  älteren  Quellen  finde  ich:  Augsborger  Glossen:  19*  (dr- 
ringa);  80':  goculari  3r  sn^ra  — »  enuora,  enora  ((iraf:  IV,  849)  177': 
Isüobot  uuerdint  («=> videamini)  tndftia  (» matertera)  »»mhd.  mume. 
—  Werners  Harienleben  (augsb.  Bruchstücke):  14B :  144  irchoa : verlos ; 
806 :  806  got :  not;  581 :  582  top  (»  Laub) :  uf  acop. 

'  Zur  Superlativendung  -dat  und  '6t,  'dn  der  9.  sohw.  Konj. 
vgL  Schleicher:  'Sprache'  S.  160.  Weinh.: mhd.  Gr.  §  284  u.  §  857. 
Birl.  augsb.  Wörterb.  858--360. 


386  Dritter  Abschnitt.  140 

brochene  echte  u  der  Stammsilbe  ^  ist  im  Augsburgischen 
erhalten,  und  es  läset  sich  nicht  einmal  die  Neigung,  die  sich 
sonst  in  oberdeutschen  Dialekten  findet,  belegen,  dieses  durch 
Brechung  entstandene  o  zu  u  zu  senken.  ^ 

ö:  Bezeichnong : 

Es  wird  o^  6  und  d  für  6  geschrieben,  doch  kann  man 
weder  die  zeitliche  noch  die  örtliche  Herrschaft  der  einen 
oder  der  andern  Schreibweise  feststellen.  Nur  soviel  ergeben 
die  Quellen,  dass  die  Schreibung  6  nicht  über  das  vierte 
Jahrzehnt  des  14.  Jhs.  hinausreicht:  zum  letztenmale  1330 
S^2)  Auch  hier  wird  die  Längebezeichnung  mit  ^  von  den 
klerikalen  Schreibern  bevorzugt  (Curia  1326.  und  St.  Stephan 
1306).  d,  als  der  Aussprache  gemäss,  eigentlich  o* ',  ist  die 
herrschende  Schreibweise,  nur  zuweilen  mit  der  traditionellen 
(?)  o  wechselnd.  Nur  einige  Schreiber  vermeiden  sie  ganz: 
z.  B.  Sg  (1302—1330);  denn  die  Wörter  h&rent,  geh/ht,  die 
Sg  allmählich  angenommen  hat,  sind  als  neuerdings  umgelautet 
zu  betrachten ;  sie  gehen  neben  den  nicht  umgelauteten  Formen 
nebenher.  —  In  Fällen,  wie  tddey  im  Stadtbuch  nur  todej 
haben  wir  nicht  umgelautetes  o  vor  uns,  sondern  das  eben 

behandelte  lange   o;   denn  Umlaut  wäre  nur  erwachsen  aus 

..  ^^^ 

einem  Übergang  des  Substantivs  tot  in  die  i-£Qasse,  ein  solcher 
Übergang  findet  im  Singularis  im  mhd.  jedoch  nicht  statt,  im 
Pluralis  eher  der  umgekehrte  aus  der  i-  in  die  a-Ellasse.  Wir 
besitzen  an  dieser  Erfahrung  einen  wesentlichen  Anhalt,  um 


'  loh  behandle  diese  Falle  hier,  weil  der  Vorgang  vormittelhoch- 
deutsch ist. 

»  Vgl.  Weinh.  mhd.  Gr.  §  72. 

'  e  ist  Naohschlag.  —  Birlinger  hebt  im  Wörterbuch  S.  357  hervor, 
dass  das  augsburgische  Schwaben  die  ursprünglich  kurzen  Stammsilben 
mit  0  derart  dehnt,  dass  man  oo  oder  ooo  zu  hören  vermeint,  aber  einzig 
vor  Doppelkonsonanz.  Sollte  dann  1  ein  Dehnungszeichen  bedeuten, 
welches  den  Zweck  hat  den  Sprechenden  zum  Ausbalten  zu  veranlassen, 
einen  Zweck,  der  vielleicht  auch  durch  Verdoppelung  eines  einfachen 
Konsonanten  erzielt  werden  soll?  1866.  findet  sich  im  Bürgerbuch  (▲.  A.) 
ad.  a.  1866  ein  Name  geschrieben:  Bitfmit  aus  Landshut. 


141  Lantklire.  387 

das  G-ebiet  der  in  der  Schreibung  als  umgelautet  sich  kund- 
gebenden ö  zu  begrenzen. 

ob:  Umlaut  von  6:  Belege: 

Urkunden: 
städtische:  Umlaut  und  Nichtumlaut. 

1272.  S^:  h6rent.  (U.  II).  —  1273.  horent, 
n6te,  noete  Sj  (A).  —  1277.  hoerent,  (gr6z) 
Sj.  —  1280.  h6rent  Sg.  —  Dec:  hcerent  ? 
Si  (H).  —  Juli:  horent  S,.  —  1282.  homt 
S,.  —  hoerent,  H5nige,  Tr6gen  S,  (EL  X\4,S). 

—  hoerent,  Hoelenftain,  (hoher),  (hohin), 
helenftain,  Sch&nekke  S^.  —  1283—1285: 
in  der  Regel  6.  —  1286.  hoereut,  (Schongawer) 
Sj  (0.  3).  —  1286.  h6rent,  gehörent  S,.  — 
1292.  hirent,  ben6tet  S^  (A).  —  1294.  horent 
Sj  (A.  R.  X|  5, 4).  —  1295.  horent  ?  S^  (U.  1). 

—  Oct.:  horent,  gehört  S5  (A).  —  Nov.:  h6rent 
S,j.  —  h6rent,  (tröft  (d.  sing.))  S,  (U.  1).  — 
1297.  gehöret  S«.  —  1298.  horent  S^  (C.  4). 

—  gehöret,  horent  S^.  —  horent  ( —  Svn  (pl.)) 
S5  (G.  1).  —  horent,  (—  m6ht  (c.))  S«  (A).  — 
h6renty  Römischen  (fölhe)   S,.  —  horent  Sg. 

—  1302.  gehört,  horent,  enthelofen  S^  (0.  5). 

—  horent,  gehört,  enthelofen  Sg  (hl.  Cr.  4).  — 
1303.  h&rent,  höher,  hoch  (Höhe)  S«  (A).  — 

1303.  22.  Juni:   hört,   (grozziv,  gefworen)  Sg. 

—  Duplikat:  1303.  22.  Juni:  hört  (grozziv, 
gefworen)  Sg.  —  1304.  6,  Juni:  horent  Sg.  — 
14.  Juni:  horent,  gehört  Sg.  —  11.  Juli:  gehört, 
horent  Sg.  —  Duplikat  v.  1303,  22.  Juni: 

1304.  horent,  gehorten  Sg.  —  Sg:  horent 
und  horent.  —  1306.  horent,  gehört  ( —  möhten) 
Sg  (C.  6).  horent  überwiegt  bei  Sg.  —  1308. 
horent  S«.  (A).  —  1309.  horent,  entlöfen  S^ 
(U.  2).  —  13 1 1.  R  a  t :  horent  S,  (A.  R.  X\  6, 5). 


388  Dritter  Abschnitt.  142 

—  1312.  S^:  horent.  —  1316.  hörnt 
(kvnig)   Cloftern  S«  (A).  —   1317.   homt  Sg. 

—  homt  (fünen)  Sg.  —  1318.  horent,  (ftozzet 
(3.  sing.))  S^  (U.  8).  —  1320.  horent  (vor) 
Sj  (A).  —  1321.  horent,  entlofen  S^.  -    S^:  o. 

—  1323.  horent,  gehört  ( —  Oheims,  fvn)  S^,. 

—  1324.   horent,   gehört,    (m-chten)    S.    (C). 

—  1326.  horent  (Rothenhovfer,  Sfn,  gehört) 
Sg.  —  1328.  horent,  gehört  S^^  (A).  —  h6rent 
entlofen  S^,.  —  1331.  Kaiser:  Bomfcher, 
horent,  ch6me  (c).  S^  (A).  —  horent,  gehört, 
Schonegg,  kome  (c).  —  1332.  hoerent,  k6me 
(c.)  S,a  (H.  17).  —  1333.  horent,  gehört  S^, 
(A).  —  horent  (—  f61t  (c.)  w61t  (c.)  S^,  (hl.  Cr.  5), 

—  Sj2 :   6  =  ümlaat  von  6  =  Umlaut  von   ö).  — 

1336.  Rat:  gehört,  gehorti  (3.  s.  conj.  pr.) 
ftoffet  (3.  8.  praes.)  ( —  folchiv,  wöltin  (c),  folti 
(c.)  möhtin)  S^«  (U.  5).  —  1838.  bis  Zeile  7: 
horent  Sj»  (U.  6).  —  1338.  Zeile  8  bis  Ende: 
entlofen,  gehört  S^j.  —  1338.  23.  Febr. 
Bischof:  horent  (bedörften)  (A).  —  1339. 
hoerent,  gehoert,  entloefen  öls  ( —  hoef,  schoeffel) 
Si3  (A).  —  1340.  4.  Okt.:  horent,  horent  S,^ 
(=Si5?)  (A).  —  1340.  4.  Okt.:  ftozfet,  horent 
Si4  (=  S,5?)  (A).  —  1341:  5.  —  1342.  horent 
8,5  (A).  —  1843.  Febr.:  horent  8,5.  — 
Sept.:  horent,  gehört  ( —  Dünerftages)  S^^.  — 
Aug.:  horent,  entlozen  8,5.  —  1344.  o.  — 
1345.  horent,  gebort  8,^.  —  1346.  höreut  S„ 
(hl.  Cr.  6).  —  horent,  gehört  8,,  ...  —  1348. 
horent,  entlöft  (3.s.pr.)  (sun)  8„  (A).  —  1349. 
grözzern  .  .  .  S,,.  — 
Bisch.   undDomk:   1282.  hoerent   (H).  —  1289.   horent 

—  1293.  horent,  gehört  (A).  ...  —  1306. 
horent,  Römifchen,  (ch'hiige)  (A.  B.X|6, 4). 
1313.   horent   .  .  .   (R    14).   —    1338.   horent 


143  Lautlehre.  339 

(bedörften)  (A).  —  1341.  hoerent  (fun)  (0.  9). 
—  1342  hörent  (moht)  (H.20),  —  geh6rt 
•  .  .  —  1347.  horent  (A),  —  1348.  horent 
(moht)  (hl.  Cr.  5).  —  1348.  hörende  (A). 
Curia:  1326.  horent  (volklichen)  (ü.  2).  —  1326. 
h6rent  (n6t).  —  1327.  horent  (t6hter)  (A).  — 
1331.  horent  .  .  .  (XJ.  2).  —  1337.  horent, 
gehört  (tohter,  fün)  (U.  5).  —  1337.  hörent 
(höf).  —  1345.  nöten  ...  (hl.  Cr.  6).  — 

Stadtbach:  Gleichwie  die  Urkunden  hat  auch  das  Stadtbuch 

den  Umlaut  von  6  durchgeführt:  ö  ge- 
schrieben. 

Achtbuch:  Umlaut  ist  Regel:  ö  geschrieben. 

Umlaut  des  ö:  Geltung. 

An  der  Verbreitung  des  Umlauts  schon  in  unserer  Periode 
ist  nach  den  Belegen  nicht  zu  zweifeln.  Es  wird  durch  die 
Schreibung  nicht  nur  die  alte  durch  i  (und  u)  der  Flexions- 
silbe entstandene  Wandlung  des  Wurzelvokals  festgehalten, 
sondern  auch  die  neue  durch  wachsende  Analogiebildung 
geschaffene  Tonerhöhung  durch  dasselbe  Zeichen  dargestellt. 
Die  gedehnte  Aussprache  des  Lautes  verbürgt  die  nicht  seltene, 
besonders  anfangs  beliebte  Schreibung  oe.  Dass  der  Klang 
schon  damals  ein  dem  e  zuneigender  gewesen  ist,  scheint  das 
Schwanken  in  der  Schreibung  des  Namens  Hoelen/tcdn^  als 
Hoelenitain  imd  Helenftain  zu  bezeugen.  Für  das  15.  Jh.  hält 
es  Bohnenberger  ^  durch  den  häufigen  Wechsel  von  e  und  oe 
sowohl  zum  Ausdruck  des  etymologischen  e  als  des  oe  er- 
wiesen. Uns  bietet  sich  als  eine  Bichtschnur  für  die  Geltung 
des  ö  als  Umlaut  -ö,  nicht  als  unumgelauteter  Diphthong  an- 
stelle der  mhd.  alten  Länge,  die  mehr  oder  weniger  durch- 
geführte  Schreibung  des  Umlauts  auch  der  andern  Vokale. 
Ich  bin  jedoch  weit  entfernt  davon,  zu  behaupten,  dass  jedes 


'  Vgl.  über  die  Etymologie  dieses  Namens  den  Artikel  'Hoelenstein* 
im:  Oberbairiflchen  Archiv.  I^  S.  287. 
'  Bohnenberger :  a.  a.  0.  S.  85. 


390 


Dritter  Abschnitt. 


lU 


6  Umlaut  ist,  ich  halte  die  Geltung  des  heutigen  Diphthongs 
anstelle  der  alten  Länge  6  für  durchaus  bestehend^  wie  oben 
gezeigt  wurde.  Eine  Untersuchung  etwa  von  Urkunde  zu  Ur- 
kunde könnte  man  versuchen ;  indess  dürfte  sie  mehr  die  £Qarheit 
über  die  Schreibgewohnheit  im  Einzelnen  fördern  und  erst 
in  zweiter  Linie  Schlüsse  auf  den  Lautwert  gestatten.  Ich 
wende  mich  daher  dem  Wege  zu,  der  noch  am  sichersten 
einen  Lautwert  klarstellen  kann,  indem  ich  das  einzige  poetische 
Denkmal  Augsburgs,  welches  in  unsere  Periode  fallt,  heran- 
ziehe: Fressant  reimt:  31:32  noeU  (d.):genoete  (adj.);  391: 
392  parte  (Port)  :  erhörte.  Durch  das  erste  Beispiel  ist  der  Um- 
laut oe  erwiesen.  Das  zweite  Beispiel  aber  lehrt  uns,  dass 
neben  den  offenkundig  umgelauteten  Formen  gleichberechtigt 
unumgelautete  bestanden  und  gebraucht  wurden. 

uo  und  ft:  Belege. 

Urkunden:  städtische 
uo  ü 

1272  Si  (Uli.):  brvder,  tvn.  vnfers,  Avfpurch,  kynt. 

1273  8,  (A):  gefvge  (adv.),  tvn,  mvter,     kvnt,   burcgrave,   bvr- 
gvt,  tvnne  (fvn);  (Q-rvze).  gaermaifter. 

1277  S^:  Chvnrat,  tvn,  mvte,  gvten,     gvnft,  vrchvnde. 

gvt,  (fvn). 
1280  Sg :  tun,  gutem,  genvge  (adv.).  —     u. 

Sj  (H.):  bruder,  thvn.  — 

S^  (H.):  darzv,  thvn,  Chvnrat. 

1282  Sa  (H.):  tvn,  brvder. 
Sj  (R.  X^  4,  4):  u-Uml.:  =  u. 
83  (A.):    (Avfpurch),    thvn,    mvter,     u;  durh  . . .  Avfpurch; 

genvge  (adv.).  (üml.  u.) 

1283  S«:  (Avfpurch),  tvn;  (ü  =  ü).  —      u;  (kvmpt,  kvnt  .  .  .), 
Sg  in  der  Regel  u.  ^rtail ,     purchgraven, 

Avfpurch.  —  Sg  in  der 
Regel  u. 

1285  S,  (A.):  thvn  (thvn?),  genüge,     chvnt,  Aufpurch  . . . 
bruder,  Darzv. 


kunt,  u. 
u;  (üml.  u.) 


146 


Lautlehre. 


391 


uo 


ü 


1286  Sj  (0.3):  bis  1295:  u. 

1295  Sg  (ü.  1):  tviiy  mute,  gutem, 
tvn  (inf.),  Sch61maifter  (A  nach- 
träglich). 

Sg  (A.):  tun,  zv,  Müter,  genüge.  — 
S5 :  Ttm,  tvn,  gnvge ;  (tf,  gebürte). 

1297  Sg  (U.  1):  tvn,  gvter,  brvder, 
Z7,  ZV,  gvt,  genvge ;  (vf),  üml. :  ü. 

—  1298  Sg  (0.4):  Virich,  höbe. 

1298  Sg  (A.):  tvn,  genüge.  —  Sg:  u; 

ZV. 

Sg:  tun,  gvt,  genvge,  Bvch,  rüwich- 
lieh,  genvck,  genvge,  getun  (inf.). 

1299  Sg  (St.  1):  n;  gvte.  —  1300  Sg 
(0.  5) :  ZV,  mvt,  verfücht. 

1300  Sg  (0.5):  vngef^chte  gefvchte, 
tvn. 

1301  Sg  (R.  10):  Rudolf,  ruwechlich, 
tvn,  mute,  gutem. 

Sg:  u.  —  1302  Sg  (0.  5):  Ulrich,  tvn, 
gefvchet  vnde  vngefvchet;  (ü :  =  u). 

1302  Sg  (hl.  Or.  4):  t^n,  gvtem,  gvt, 
vnbefvhtz.  ~  1303  Sg  (A.):  u.  — 

1303  22.  Juni  Sg:  u;  gvt,  tvt;  (Uml.  ü). 

—  =  Sg:  tvt,  buch. 

1303  Sg:  u;  tvn.  —  Sg(0.  5):  t^, 
gutem,  brvder,  zv,  gefvchtez. 

1304  Sg:  tvn,  mut,  guter,  genüge. 
Sg?:  tvn,  gvter,  zv,  h^e  (ü:^u). 
Sg :  ZV,  gvt .  .  =  1303.  22.  Juni.  — 

1305  Sg:  Tvn,  gvter.  .  . 

1305  Sg  (0.5):  tvn,  (fvn),  brüder. 

1306  Sg:  tvn,  gvtem,  hvb,  befvchts 
vnbefvchts,  zv. 


u;(Uml.ü)bi«  1295:  u; 

(üml.  in  der  Regel  ü). 
u;  (üml.  ü). 


u. 


u;  (Uml.  u  und  ü). 


u;  (üml.  ü). 
u;    (üml.   ü). 


U. 


chvnt;  u. 

kvnt,  durch;  (üml.  ü). 

u.  —  u;  (üml.  u). 


u. 


u;  (üml.  ü). 

u;  (ümL  ü). 
u;  (üml.  u). 
u. 

Aufpurch,  kvnt;  (üml.ü). 
u. 

26 


398 


Dritter  Abschnitt 


146 


uo 


1308  Se  (A.):  Tvn,  mvt,  gvter  . . .  (vf). 
S.:   Tvn,  gnvge,   (vf).  —   1309  S, 

(U.  2) :  C&nrat,  Tvn,  briider,  hüb ; 

(vz,  vf). 
bis  1317  u,  seltner  u,  U. 
1317  Sg  (C.  6):    Tun,    mute,   guter, 

gutem,  zu,  befuhts  vnd  vnbefuhtz, 

zv;  (vf,  vz  Lythaus). 
Sg :  ü.  —  S^  (C.  6) :  tven,  muter  . . . 

(gebrüderen).  —  S^ :  tven  . . . 

1319  D.  n.  Pfingsten  S^  (H.) :  tvn,  genüg, 

darzü;  (ü:  =  u).  —  =  1319  D.  n. 
Pfingsten  S^:  tvn,  abtvn  (inf.),  müt. 
Sg:  tun,  mut,  darzü,  vnbefüchtez.  — 
Se  (0.  6):  tvn;  ü.  —  1320  S«  (A.): 
tven,  ftünt.  —  S,  (A.):  tvn,  genvg. 

—  1322  S^:  Tvin,  zv,  tvn.  — 
S^  (0.7):  tvin,  gutem,  befvhtw, 
tvn  (inf.),  (fvn). 

S^:  ü  und  ü:  tun,  mvt,  guten,  zv. 

1323  S^o  (A.)-  Tun,  gutem,  (fvns), 
darzü.  —   Sj^:  Tvn  .  .  . 

1324  Sj^:  Tun,  müt  .  .  .  —  S,:  ü: 
tun  und  tuen. 

1326  Sil  (C):   Ulrichs,  tven,   vnbe- 

fvchtez,  z^;  (zvnen,  zvnen). 
1328  S^,:  t^en,  Tvm,  gutem,  darzv, 

—  Sia  (A.):  Tvn,  mvt,  zv,  abtvn; 
(vf,  havs).  —  ü;  tvn  und  tvn.  — 
1329  Sj^:  Tven,  müt,  tvn  (inf.)  .  . 
(hus,  vf .  .).  —  Sj2-  Tun,  sonst  ü. 

1830  Kaiser.  S«^  (A.):  T^en,  brüder, 
zv,  gut,  tvn  (inf.).  —  S^:  xk.  — 
1331  S^:  Tvn. 


u. 


burk;  u;  (Uml.  ü), 


u. 

u;  (TJinl.  u). 


u;  (ümL  ü),  (vnferm  . .). 
—  (S4 :  vna,  ^nfer).  — 
(Sg:  '^8,  ^fer). 

u;  (^ns). 


u;  (vnfer)  . .  . 


u;  (Ucnl.  ü). 
u;  (UmL  ü). 


durch,    chvnt,    bürger, 
(für,  f^ln). 


u. 


Kaiaer.  S,  u;  (Unü.  ü). 


U7 


Lautlehre. 


898 


tu> 


8^:  T^en.  —  S,:  Tvn,  T^en. 
1381   Sj^:   Tven,   genug,   (sun).   — 
S,:gut,  ZV.  —  1332  S^j:  t 

1332  Sj,  (H.  17):  Tun,  vitatum. 
Sj,  (A.):  tAn,  m&t,  ZA,  guter,  gen&g 

(adv.).  —  S],:  tun  und  tuen,  sonst  ü. 
1334Sia(A.):   Tven,   zv,  guter.  — 

1335  Rat  8,8  (U.5):   Tuen,  gut, 

ZV,  bruder,  (fchuf&n  (c.)). —  Su«  Tun, 

gutem,  fürten. 

1335  8,g:  tuen,  Tumbrobft,  sonst:  ü. 

—  8,8  (A.):  Tun,  m&t,  guter,  gnug, 
(8Yn)  gerAwidich. 

8,3:  ü  und  ü,  li  bevorzugt 

1336  8,8  (U.5):  tuen,  z^,  bruder, 
tuen;  (vf). 

1337  8,8  (A.):  tüien,  bruder,  mute, 
tun  (inf.).  —  8,,^:  tuen,  tun;  ü.  — 
1338  8,8  (A.):  tuen,  gutem. 

1339  8,8:  Tun,  gnug,  zu  (vf .  . ., 
Eytenhüfen).  —  8,, :  Tvn,  müt . . . 

—  1340  8,8  (A.):  Tuen,  zv,  (vf.), 
(8finnewenden).  —  8,5:  tun, sonst:  u, 

seltener  u. 

1342  8,8  (Ü.6):  mute,  guter,  z^, 
Halbbübe,  muz,  gerüwiclichen. 

8,8  ?:  tüien  (2  x),  »onst  ü.  —  8,8  (A.): 
t^,  müt,  gutem,  guter.  — 13438,5: 
tvn,  müt,  guter,  abtun,  gnüg,  ge- 
rüiclich. 

1848  8^8  (A.):  tvn,  müt,  gutem,  ge« 
rüiclich  (v»-). 

8,5:  tun,  müt,  guter,  (vf,  hüs,  8tain- 
hüs).  —  8,8 :  ü. 


ü 
u. 
n ;  (Uml  ü).  —  (vnfer). 

—   1382  8,1 :  vnfer, 

vrchVnde. 
kumpt,Augfpurg;(Uml.u) 

u;  (üml.  ü). 

u;  (1833:  Uml. -ü  und  ü). 


u; 

(ümL 

ü). 

u. 

a; 

(Uml. 

ü). 

u;  (^nfer). 


u;  (UmL  ü). 


fün,  fun. 


u. 


u;  (vnfer,  vfis). 

Aufpürger,  durch  (hin- 

nanftir). 

26  • 


394 


Dritter  Abschnitt. 


148 


uo 


ü 


1 346  S ,  7  2  Urk.  24.  Aug.  (R.  X|  10, 3): 
tun,  gefüren,  ( Wür),  f&get  (Uml.?) ;  (vf). 

Sj,  (A.):  tun  ...  (mür,  vfbraht, 
vfferhalb  —  sonst  ü:  =  u). 

S^^  (hl.  Cr.  6):  tun,  mut,  gut,  gerue- 
wiclich. 

Sj,  :  ü;  (ü  in  der  Regel  u). 

1348  Si7  (A.):  tun,  zu.  —  S^,  (0.9): 
tuien,  darzü,  mute,  guter,  briider. 

—  Sj,:  tun,  müt,  genüg,  volfürt. 

—  Sj,:  ü;  gerüwiclich. 

1349  Sj,  (A.):  tun  (l.pL),  tun  (inf.). 
S^,  (A.):  müt,  guter  (hüs,  vz). 

1351  S„  (R.  X|):  tun  .  .  .  (gebruder 
üml.).  —  Sj,  (A.) :  (Hüs)  tun,  ver- 
fchüf. 

1352  Sj,:  Tun,  zu,  (hüs).—  Si,(A.): 
tun.  Tum,  darzü. 

1355:  Tun,  müften;  (üf  .  .  .).  — 
1357  Sj,  (0.  10):  tun,  müt;  immer ü. 

1362  S^^  (R.  12):  Tun,  zu  (üf  .  .  .) 
(gebruder). 

1365  Si^:  tun,  tun  (inf.)  tu  (B.c.);  (üs). 

—  Sj^:  tun;  ü. 

1367  Sj^:  tun,  gut .  .  .  (hüs  .  .  .). 

1368  Sjj  (A.):  einmuticlichen,  volfu- 
ren;  (uf .  .  .).  —  S^^?:  Aufpürch. 
1372  Sie  i^'  1^)-  *^^- 


kümpt,  Aufpürch,  sonst 
u;(Uml.ü),Kemptvn. 

fvn,  Samnung,  kunt 
(Ahtünden). 

kunt .  .  .  (Uml.  ü). 

u;  (Uml.  ü). 
kunt,  Aufpurg. 

(sün  (pl.)). 

kümpt;  (Uml.  ü). 

günft. 

u;  (Uml.  ü). 


Sün,  kunt. 

u;  (vnfer,  gebürd). 

u. 

fün,  Aufpurg. 

kunt;  (Uml.  ü). 
u;    (Uml.   u:    zunffken, 
liberein,  mugen). 


Bischof  und  Domkapitel. 

uo  ü 

1282  (R.  X,\  4,  3):  thün,  darzv,  gute,  Aufpürch,  chünt,  phün- 

furet,  (hvnr  (Uml.)).  dez,chunt;(Uml.:uund 

1289  (H.):  tun,  müt,  guter,  zv,  (fvn);  ü:  fvr,  lutzel,  gebvte, 

(vf  .  .  .).  küfßn). 


149 


Lautlehre. 


396 


uo 


ü 


1293  (A.):  tun,  vobefühtezy  zu,  bruder 
1 296  (K.  X\  5, 6) :  Tymbroft,  tvn,  mvte. 
1300  (H.  13):  tvn. 
1305:  tyn,  guten,  zv. 

1313  (H.  14):  t^n,  gutem,  guter,  dar- 
zv,  Tvmbrobft.  —  1316:  ü. 

1323  (C.  7):  tüin,  gut;  (t£  .  .  )•  — 
1326  (H.  16):  tun;  (vf). 

1329  (H.  16):  müt,  guter  .  .  . 

1332  (A.):  Tuen. 

1333:  Tuen,  gut. 


1336:  tvn. 

1338  kaiserl.  =^  bischöfl.:  Tun,  zv. 

1341 :  tun,  zv,  mute,  darzü. 

1342  (H.  19):  tun,  (gotzhüJz). 

1344(0.9):  tun. 

1344  (Q-.  2):  Tum  .  .  .,  geruwiclicben; 

(vz  .  .  .). 
3  346  (H.  20) :  mute ;  (hünre).  —  zv. 

—  tüien,  mute,  guter  . . .  (hünre). 
1349  (H.  21):  tun,  bruder,  T^^mprobft. 

—  1360:  Tümprobft,  für.  Tum, 
müt,  gerüwidich.  —  1351:  tun, 
guter,  müt,  ainmütclichen,  (hüs,  vz-). 

1352—1359:  ü.  —  1359:  tun. 
1367  (A.):  tun,  künt;  (hus,  üf). 
1374  (R.  2):  Ludwig,  tun,  gnüg;  (vf, 

hüQ. 

Klöster. 

HO 

St.  Cath.:    1279   (0.2):  Tun,   gut, 
bruder;  (^z). 


u. 

u;  (llml.  u). 
chvnt  (^nfer). 
u;  (^nfer,  fülen,  ch^ige, 
(hilfe  (subBt.),  v^ns,  v^ber). 
u ;  (Uxnl.  ü:  betrachtnüzfe, 
fvr,  vrkvnde,  künftig), 
vnferm. 

(vnfer,  für,  vber,  vns). 
(vns,  vnferem)  vrchvnd. 

Von  1333  ab  in  jeder  Ur- 
kunde :  vns ,  vnferem, 
vnfers. 

vrkünde. 

(vnferm  fürlait). 

(fün),  Purggraf. 

kunt,  kompt. 

chumbt,  vrchunde. 

Oüfter,(f ür),  vnuerchüm- 
mert. 

(fcbüzzel,  fünftzg),  Au- 
fpürch.  —  (Uml.:  ü). 

vrkund  (^ber,  füllen). 


u;  (für),  vrchund. 
vns,  (für). 
Pürggrauf ,    Aufpürg 
(Uml.  ü). 


Ü 


u. 


396                                      Dritter  Abschnitt  150 

uo  ü 

1303:  tyn,  gutef;  (g&t  (pl.))*  u;  (üml.  &)YDf,yrkunde. 

1310:  tuen,  gutem,  Darzu,  t\m  (inf.);  u;  (üml.  &). 

(phr6nde). 

13S1  (0.  7):  tun.  Nütze,   Nutzes   (iuber, 

gebiurte). 
1338 :  tun,  müt,  zv,  gutem,  hub,  bru-  u ;  Aufporg,  kunt,  mai- 
der, phrund.  nimg. 
1355  (0. 10):  dun  (kunt),  gutef.  künt;  (ÜmL  u). 
St.  Georg:   1282  (0. 1):   halphübe,  u;  avfpyrc,  kvmt. 

brvder.  —  meist  ü. 

1362:  tuen,  mut,  geruwiclich  (hüs)  vorbetrahtung,  kunt. 

hl.  Kreuz:    1339   (hl.  Cr.  5):  ü.  —  vnferer. 

gerubeclich. 

St.  Ulrich:  1301  (U.  2):  tvn,  fch^l-  u;  (üml.u:  vberal). 

maifter  (hus). 

1331  (A.):  Tvn,  genvg.  ^f,  (Vberal). 

1333:  ü.  —  1342:  tun,  (GotzhüfO-  vrkund,  ^fer,  (furbaz). 

1346:  getun  (inf.),  gutem,  tuen  (1.  pl.).  kfimpt,  vns,  (für,  mugen, 

mvlin). 

St.  Stephan :  1306 :  thi,  m^t,  g^ter,  xju 

geruweclichen,  genvge. 

1312  (H.  13):  tven,  müt,  guter  ...  u;  (üml.  ü:  ^ber,  f*len) 

^Onfer. 

1327:  tun,  (fanden),  zu.  fun,  funden,  vnfer. 

1358:  tuien,  zu.  kfint. 

1366  (A.) :  tüien  (Mür . . .)  kunt  (^fri&). 

Spital:  1284  (A.):   tvn,   Tvme.   —  u;   (üml.  u:   fvhi). 

1284:  tvn,  t^.  u;  Dürftigen. 

Stadtbuch: 

uo  ü 

Grundtext:  Rudolf,  guter,  buche.  u;  (gehugnusse,  mvnze, 

k^ch,  kunigen). 

hüter  (Hutmacher),  (h^nraer).  —  haim-  (munzmailter).  —  mug, 

suche,  tun.  fvle,  furkauf. 


151  Lautlehre.  397 

lU)  ü 

enphnre  (c.)  —  Faeret.  gulte,  suln  (8.  pl.). 

fuedem  (pl.);  —  fuder  (b.).  sWe  (l.  pl.),  —   (fünf) 

(m&lstaine). 
S^:    (ftiret).    —   tuch    (hüs-)^    tun,     muzzen  (S.  pl.) — (ftir- 

furen  (inf.).  baz);  kein  UmUut. 

Sg:  (m^zze),  f&r;  immer 

Uml.  &;  (galtn^886). 
S^:  Uml.  ü;  (galtnasse). 

S^:  tut  (galtn^se). 

S, :  tun,  hauptgutz.  unz  (»-  unze). 

8,5 :  inslites  (s^Ien,  mvgen, 

drüber). 
S,,:  (erslÄgen  (c),  erslüg  (o.)),  buch,     (würd  (o.)),  suUen.  — 
—  (f&rt),  gut,  (uberfirn),  (fünf),  unser. 

fl:   Geltung  und  Bezelchnang. 

Das  alte  indogermanische  u  nebst  ahd.  u  hat  im  Ober- 
deutschen schon  früh  in  einigen  Stellungen  einen  Schwebelaut 
zwischen  u  und  o  angenommen:  u^.  Die  heutige  schwäbische 
Mundart  besitzt  nach  Bohnenberger  ^  den  unveränderten  Laut- 
wert des  mhd. :  ü  *  oder  gedehnt  m.  Vor  Nasal  +  Spirans  und 
Nasal  +  anderen  Konsonanten  äo  ^,  sonst  5  vor  Nasal.  Vor  «, 
8t,  sk  wird  u  gedehnt^.  Die  Diphthongisierung,  die  Bohnen- 
berger im  15.  Jh.  vorfindet,  ist  seines  Erachtens  nach  über 
die  entsprechende  Länge  und  über  diese  weitergegangen. 
Diese  Ubergangsepoche  muss  sehr  weit  zurückliegen ;  denn  in 
Augsburg  ist  ausgangs  des  13.  Jhs.  schon  u  mit  nachschlagen- 
dem Vokal  gesprochen  worden  ^.    Die  stereotype  Schreibung 


^  Bohnenberger  a.  a.  O.  S.  89. 

'  Birlinger,  Augsb.-Bohwäb.  Wörterb.  416,  2. 

•  Vgl.  Weinhold,  AI.  Gr.  §  96:  ämer  —  unser. 

^  Birlinger,  Angib.^flchwäb.  Worterb.  416  and  Birliuger,  Augsb. 
Mandart  8.  9. 

^  u  vor  r,  m,  n,  l  wird  uo,  ue  (Birlinger,  Angsb.'^sckwäb.  Wörterb. 
418,  I). 


398  Dritter  Abschnitt.  152 

hmt  in  den  städtischen  Urkunden  des  ersten  Abschnitts 
unseres  Zeitraums,  in  der  Stellung  neben  tun  in  der  Formel: 
tun  kvnt,  könnte  allerdings  davor  warnen,  eine  Ausdehnung 
des  Schwebelauts  auf  das  ganze  Gebiet  des  ü  anzusetzen.  Es 
verändern  sich  nämlich  wohl  andere  Bestandteile  dieses  kvnt: 
k  zu  chy  aber  nie  u  z\x  v  (u).  Nur  die  klerikalen  Schreiber 
haben  öfter  u,  wie  die  Belege  bezeugen.  Erst  S,  bringt 
in  einer  Urkunde  von  1326  chunt  Die  Urkunde  zeichnet 
sich  überhaupt  durch  einen  Überreichtum  an  Apices« 
namentlich  o  aus»  so  dass  an  Analogieschreibung  zu  denken 
sehr  nahe  liegt.  Später  hat  S^^:  kunt,  von  ihm  gUt  das- 
selbe, nur  muss  bemerkt  werden,  dass  er  später  als  Stadt- 
schreiber von  1369  an  der  gleichen  Schreibweise  huldigt.  — 
Wiederum  die  Zeit  der  vierziger  Jahre  des  14.  Jhs.  und  in 
dieser  der  Beginn  der  'Aera  Hagen*  ist  es,  der  eine  bezeich- 
nende Wendung  auch  in  der  Schreibung  des  kunt  mitbringt  und 
es  in  der  Schreibung  wenigstens  den  Wörtern  derselben  Lautety- 
mologie gleichzustellen  scheint.  In  diesen  Jahren  kann  von  einem 
Einfluss  der  kaiserlichen  Kanzleisprache  nicht  die  Rede  sein; 
denn  nicht  die  Urkunden  Ludwigs,  sondern  erst  die  Urkunden 
Karls  empfehlen  die  Schreibung  ü  ohne  Unterschied  für 
et3rmologisches  u  und  uo.  Ebensowenig  leuchtet  mir  ein,  dass 
±  hier  ein  von  sorgsamen  Schreibern  dem  Leser  gebotenes 
Hilfsmittel  ^  sei,  um  u  von  dem  folgenden  n  zu  unterscheiden. 
Ich  glaube,  an  keinem  Platze  ist  ein  diesbezügliches 
Hülfsmittel  weniger  zweckentsprechend  als  gerade  in 
dem  kvnt,  welches  in  Verbindung  mit  tun  und  im  Zu- 
sammenhang der  ganzen  Formel  den  Lesern  der  Ur- 
kunde so  geläufig  sein  musste,  dass  ein  Hülfsmittel 
dieser  Art  geradezu  hätte  übersehen  werden  können. 
Es  darf  daher  die  Schreibung  u,  welche  Hagen  (S^,)  stark  aus- 


^  Geboten  allerdings  konnte  ein  solches  Lesezeichen  jetzt  nm  so 
mehr  scheinen,  als,  wie  später  nachgewiesen  wird,  um  dieselbe  Zeit  die 
Unterscheidung  des  u  und  v  geregelt  wurde,  derart,  dass  v  aus  Stellungen 
im  Inlaut,  wie  kvnt,  ganz  verbannt  wurde  und  «  mit  folgendem  n  leicht 
die  Bedeutung  beider  Zeichen  verwirren  konnte. 


153  Lautlehre.  399 

dehnt :  so  auf  die  Endsilbe  -ungy  auf  kvmpty  als  eine  lautphysio- 
logische Neuerung  des  auch  sonst  so  strebsamen  Schreibers 
gelten,  die  eine  schon  bestehende  Aussprache  markiert.  —  Das 
soeben  erwähnte  kmU  hatte  bis  etwa  in  die  vierziger  Jahre 
ein  ähnliches  Schicksal  durchgemacht  wie  kvnt ;  möglicherweise 
hat  die  nachweisbare  Oleichstellung  der  beiden  Wörter  durch 
Vertauschung  des  m  mit  n  in  kmit  auch  eine  gleiche  Behand- 
lung des  Vokals  hervorgerufen.  —  Gerade  dieses  kvmpt,  in- 
dem es  einmal  als  kompt  erscheint,  ist  im  Weiteren  der  erste 
Zeuge  der  Neigung  des  Bairisch-Schwäbischen  zu  o,  welche 
im  16.  Jh.  möglicherweise^,  heute  aber  sicher  vor  Nasal  fast  das 
ganze  Gebiet  betrifft,  welches  die  moderne  Schriftsprache  für 
o  gewonnen  hat.  Dass  gerade  die  Verbindung  mit  niy  m  + 
Dentalis  die  Aufhellung  des  Lautes  veranlasst,  während  sonst 
m  vermöge  seiner  u-Farbe  zur  Verdumpfung  des  vorangehen- 
den Vokals  beiträgt,  ist  ein  bezeichnender  Zug  jener  sprach- 
lichen Gegenbewegung,  welche  Weinhold  oft  betont.  —  Ob 
wir  Schreibungen,  wie  aun^  als  Versuch  zu  fassen  haben,  den 
Lautwert  o  auszudrücken  und  doch  mit  dem  traditionell  ge- 
gebenen u  in  Berührung  zu  bleiben,  wie  Bohnenberger  anzu- 
nehmen geneigt  ist,  möchte  ich  dahingestellt  sein  lassen'. 
Beachtenswert  ist  immerhin,  dass  z.  B.  funderlicJienj  welches 
in  der  Mundart  noch  heute  mit  u-Laut  klingt,  nie  o  über  u 
erhält. 

Ob  Doppelliquida,  namentlich  v*%  4*i*^haupt  fähig  war, 
die  Aussprache  des  u  von  dem  -^chwebelaut  'sowohl  als  vom 
o-ESange  abzulenken,  wäre  eiue  Frage  für  sich.  Doppel-n 
allerdings  scheint  vor  einer  Wandlung  des  u  wenigstens  in 
der  Schreibung  zu  schützen :  er^i  findet  sich  nur :  prunnen,  sunne" 
wenden   S^^   (1336)   und  134(;   Sunnewenden,    Letzteres  ist  un- 

^  Nach  Bohnenberger  a.  a.  0.  S.  90. 

*  Die  Unsicherheit  der  Schreiber,  ob  sie  u  oder  schriftm aasiges  o 
setzen  sollen,  prägt  sich  besonders  stark  in  md.  Urkunden  ans:  fiöfer, 
Ges.  Urk.  d.  Staatsarchivs:  II,  9:  aolen,  ffUen,  komenj  mogen^  up,  ge- 
nhmen. ;  in  Reimen :  Krolw.  1799 :  1780  volkUmen :  tnimomen. 


400  Dritter  Abschnitt.  154 

zweifelhaft  umgelautet,  wie  es  die  nachgewiesene  Form :  sünfn- 
wende  lehrt.  Für  den  Einflass  von  nd  in  diesem  Sinne  zeugt 
vnder,  funderlicJien.  phrund  und  buntnuzz  wären  kein  Qegen- 
beweis:  jenes  hat  etjrmologischen  Diphthong  uo,  durch  Zn- 
sammenziehung von  Silben  entstanden,  dieses  kann  als  um- 
gelautet gelten;  desgleichen:  wkunde,  funden  scheint  dagegen 
zu  sprechen. 

Es  bleibt  nach  Allem  die  Verbindung  des  u  mit  r  übrig; 
sie  hat  die  Wandlung  zum  Schwebelaut  gefordert:  pürg  .  .  . 
ist  eine  häufige  Schreibung.  Nur  klären  die  Quellen  nicht 
sicher  darüber  auf,  ob  dieser  Nachschlagvokal  ein  o  oder  ein 
e  gewesen  ist.  Es  betrifft  dies  in  gleicher  Weise  den  etymo- 
logischen Diphthong  uo.  Einige  Worte  im  Allgemeinen  dazu. 
Die  ersten  deutschen  Urkunden  von  S^  kennen  nur  i  oder  v 
ohne  Apex,  was  für  u  sprechen  würde.  S,  aber  verwendet 
1277  reichlich  v.  Das  Kloster  St.  Oatharina  schreibt  v  1279. 
Sj  behält  auch  in  den  achtziger  Jahren  durchweg  sein  v.  Er 
scheint  darnach  an  einer  Schreibgewohnheit  festgehalten  zu 
haben,  während  S,  in  den  nächstfolgenden  späteren  Urkunden 
und  sonstigen  Schriftstücken  den  Lautwert  des  u  als  v  wieder- 
gab oder  jeden&Ils  v  schrieb.  Für  das  Erstere  spricht  um- 
somehr  die  Einhelligkeit  des  ersten  Schreibers  und  des 
Klosterschreibers,  eines  Klerikers,  in  der  Schreibung;  beide 
haben  alte  Schreibung  zum  Muster  genommen;  bei  dem 
Kleriker  ist  das  Festhalten  am  Alten  in  manchen  Erscheinungen 
bekannt,  und  das  Verfahren  des  ersten  Schreibers  ist  begreif- 
lich. Mit  den  Jahren  war  die  Zahl  der  deutsch  geschriebenen 
Urkunden  aber  gewachsen,  darum  konnte  der  zweite  städtische 
Schreiber  schon  Vergleiche  anstellen  zwischen  der  Schreib- 
weise seiner  Stadt  und  der  anderer  Ausgangsorte;  er  fand 
das  Zeichen  A  geeigneter  zur  Darstellung  des  unbestimmten 
Nachschlagelautes.  Damit  aber  geriet  er  in  Konflikt  mit  der 
Schreibung  des  Umlauts,  der  mehr  und  mehr  sein  Recht  be- 
gehrte, er  musste  also  entweder  für  den  einen  Laut  oder  fiir 
beide  die  Ausstattung  mit  e  aufgeben  und  damit  zur  tradi- 
tionellen Schreibung  zurückkehren,  oder  eine  andere  gleich- 


155  Latttlehre.  401 

wertige  benntzen.  Indem  er  nur  u  schreibt,  überlässt  er  dem 
Sprachgeftihl  des  Lesers,  aus  der  Schreibung  u  Umlaut  oder 
Diphthong  herauszulesen.  Er  wählt  dann  den  zweiten  Weg 
und  nimmt  ein  andermal  das  Zeichen  ^  zur  Differenzierung 
von  dem  Umlaut  an,  den  er  gar  nicht  kenntlich  macht;  ein 
drittes  Mal  endlich  vertritt  v  nur  das  umgelautete  u ;  u  bleibt 
unbeschadet  seines  diphthongischen  Belanges  als  Schreibung. 
In  der  folgenden  Zeit  ist  es  nun  schwer,  in  gewissen  Fällen 
der  Schreibung  nach  sich  für  die  Geltung  als  Diphthong  oder  als 
Umlaut  zu  entscheiden,  indem  u  in  einem  Denkmal  mit  u  an 
Stellen  wechselt,  wo  wir  nur  Diphthongienmg  anzunehmen  ge- 
wohnt sind,  und  wo  zugleich  u  die  weit  ausgedehnte  Umlautung 
kennzeichnet.  Dadurch,  dass  das  lange  etymologische  u  nun- 
mehr auch  für  seine  Diphthongisierung  eine  graphische  Dar- 
stellung beansprucht,  gestaltet  sich  das  Bild  roUends  noch 
verwirrter.  Wir  erhalten  oft  genug  Schriftstücke,  wo  u  und 
u  sowohl  für  ü  und  uo  als  für  ü  wechseln,  u  und  u  für  u, 
uo  und  Umlaut  von  ü  und  ü.  Oft  auch  teilt  sich  die  Be- 
stimmung des  u  derart,  dass  u  our  in  tun  den  Diphthong  u 
und  zugleich  das  ü  vertritt,  alle  übrigen  etymologischen  uo 
aber  mit  ü  gegeben  werden,  ohne  dass  nun  für  den  Umlaut 
ein  anderes  Zeichen  als  wieder  ik  gewählt  wird.  Dass  der 
Apex  häufig  ganz  fehlt,  ist  eine  eben30  häufige  Thatsache. 
Von  der  Mitte  des  14.  Jhs.  etwa  an  tritt  nun  fast  eine  um- 
gekehrte Behandlung  ein,  indem  so  gut  wie  regelmässig  das  tun 
in  der  Eingangsformel  der  städtischen  Urkunden  als  ütn  er- 
scheint, im  weiteren  Verlaufe  des  Textes  u  kurzes  u  und  uo 
und  auch  ü  vertritt.  Es  erscheint  demnach  z.  B.  innerhalb 
eines  Schriftstücks:  eingangs  tun  (1. pl.),  weiterhin  tun  (in f.) 
mit  einiger  Begelmässigkeit.  Festen  Fuss  kann  man  jedoch 
auch  jetzt  noch  nicht  fassen,  es  besteht  nur  der  Eindruck 
sicher,  dass  unter  dem  Vorbilde  der  kaiserlichen  Urkunden 
der  Regierung  Karls  IV.  die  Schreibweise  u  sich  einer  merk- 
lichen Bevorzugung  erfreut. 

Die  Unregelmässigkeit  und  Inkonsequenz  der  städtischen 
Urkunden  wird  von  den  klerikalen  womöglich  noch  ttbertroffen, 


402  Dritter  Abschnitt.  156 

das  Bild  ist  eia  derartig  buntes,  dass  es  jedes  Konstruktioas- 
Versuches  spottet. 

Wenn  das  Achtbuch  den  Vorwurf  der  Unordnung  in  der 
Behandlungsweise  der  u-Laute  weniger  zu  verdienen  scheint, 
so  darf  man  das  mit  Recht  nur  dem  Umstände  zuschreiben, 
dass  dem  Schreiber  einmal  nur  ein  geringer  Spielraum  für 
die  Verteilung  der  Zeichen  wegen  des  beschränkten  Wort- 
Schatzes  gelassen  und  dass  im  Übrigen  das  Auge  des 
Schreibers  zu  sehr  immer  an  das  Vorhergehende  gefesselt 
war.  Es  ist  aber  unläugbar,  dass  u  für  u,  %w  und  ü  nur 
selten  von  einem  u  durchbrochen  wird,  dass  it  vielmehr  auf 
den  Umlaut  beschränkt  bleibt^. 

Die  letzte  Stütze  für  die  Aussprache  tto  für  ü  imd  für 
uo  gewährt  das  dichterische  Zeugnis  Fressants;  er  reimt: 
53:64  atunt  (Stunde):  kunt.  —  393:394  tuont  (3.  pL):  kunt 
—  467  :  468  gtwt:  tuet  (3.  sing.).  —  Sonst:  6  : 6  antumrt:  vurt 
(Furt).  —  93  :  94  hurt:  vurt.  —  163  :  164  gelüste:  koste. 

Umlaut  von  ü:  Geltung. 

Der  Umlaut  geht  einerseits  in  der  schriftlichen  Darstellung 
über  den  Stand  der  modernen  Schriftsprache  hinaus,  andrer- 
seits tritt  er  nie  ein  an  Stellen,  wo  diese  ihn  hat:  so  wird 
brugge  nie  hrugge  geschrieben  und  noch  heute  nicht  'Brügge* 
gesprochen  ^  Der  heutige  Klang  des  umgelauteten  u  in  Augs- 
burg ist  t,  d.  h.  Entrundung,  vor  Nasal,  erzwungen  durch  die 
Entwicklung  des  i  in  gleicher  Stellung,  e  oder  vor  Nasal  + 
Spirans  äe^.    Von  keinem  dieser  Vorgänge  ist  in  den  Urkun- 

^  Das  Stadtbach,  unter  anderen  Bedingungen  zusammengesetzt  als 
das  Achtbuch,  steht  auf  gleicher  Stufe  wie  die  Urkunden. 

'  Birlinger,  Augsb.-schwäb.  Wörterb.  S.  416. 

'  Das  einzige  mir  aus  der  dem  Mittelalter  zunächstliegenden  Zeit 
bekannte  Beispiel  ist  phrende  in  Senders  Chronik  1636  (äSOb).  Immer- 
hin mag  der  Schreiber  hier  in  einer  Verwirrung  befangen  gewesen  sein, 
indem  ihm  ein  Begriff  von  pro-  als  erster  Bestandteil  des  lateinischen 
Originals  vorschwebte.  Es  wäre  also  nur  Entrundung  des  o  zu  e  er- 
wiesen.  Servatius  reimt :  2803  :  2804  phrüende :  hestiiende  (conj.).  — 
8013 :  8014  phrüende:  stüende  (conj.)-  —  Urkunde  von  St.  Catharina  1810 
(A.)  hat:  phrinde. 


157  Lautlehre.  403 

den  bis  zum  Ende  unserer  Periode  etwas  zu  spüren.  Während  für 
das  15.  Jh.  schon  häufig  Schreibungen  mit  t  neben  ü  bestehen, 
kann  eine  solche  oder  eine  andere  den  i-Klang  andeutende  Schrei- 
bung für  die  frühere  Zeit  nicht  erwiesen  werden.  Gewisse  That- 
sachen  scheinen  sogar  für  die  noch  bestehende  Rundung  zu 
reden:  die  mhd.  nisse  =  nia  lautende  Kompösitionssilbe  er- 
scheint in  den  Quellen  nur  als  —  nufze,  sogar  —  nufz.  Warum 
schreibt  ferner  der  Augsburger  immer  neben  andern  u  zur 
ümlautsbezeichnung  des  etymologischen  u,  wenn  er  nicht  das 
ii  als  der  Geltung  entsprechend  hier  in  Gegensatz  zu  dem 
etymologischen  i  setzen  wollte?  Endlich  ist  die  Beob- 
achtung, dass  die  Schreiber  bei  der  3.  sing,  praet.  conj.  hülfe 
nie  einer  Verwechslung  mit  dem  Substantivum  hüfe  sich 
schuldig  machen,  welches  bei  entrundetem  u  in  hiUfe  diesem 
gleich  hätte  klingen  müssen,  eine  Kontraindikation,  i-Klang 
aus  dem  u  des  14.  Jhs.  zu  hören.  Gerade  hier,  meine  ich, 
konnte  die  Nivellierung  beider  Laute  am  ehesten  zu  Tage 
treten.  Den  Einwand,  dass  hier  gar  kein  Umlaut  vorliegt, 
kann  ich  nicht  entkräften,  doch  glaube  ich  annehmen  zu 
dürfen,  dass  der  Umlaut  hier  besonders  deswegen  eingedrungen 
ist,  weil  für  die  Endung  noch  -i  gang  und  gäbe  war  und 
Umlaut  im  Konjunktiv  des  Präteritums  genugsam  bezeugt  ist ; 
durch  Reime:  Fressant:  417  :  418  getoänne:  vünde.  —  Für  die 
vorliegenden  Quellen  vgl.  die  Belege  ^ 

Anders  aber  scheint  sich  das  Verhältnis  von  i:ü  zu 
stellen,  wenn  wir  die  Reime  zu  Rate  ziehen.  Damach  ist  i 
schon  um  1200  für  ü  gesprochen  worden,  wenigstens  bietet 
das  augsburgiscl^e  Fragment  von  Werners  Marienlied  den 
Reim :  143  :  144  irgrunden :  cfdnde.  Dabei  möchte  ich  aber 
darauf  aufmerksam  machen,  dass  der  Schreibung  zufolge  in 
dem  ganzen  Gedicht  der  Umlaut  noch  nicht  durchgedrungen 
ist',  dass  wir  mithin  einen  unrichtigen  Reim  vor  uns  haben, 


^  Anführen  will  ich  auch,  dass  einmal  8t.  Gatharina  für  über  und  ge" 
hurie:  ti«öer  and  gebiurte  bietet,  Schreibungen,  welche  die  Annahme 
eines  i-Lautes  von  der  Hand  weisen. 

«  Vgl.  Greif  in  Genn.  VII,  813. 


404  Dritter  Abschnitt.  158 

der  nur  durch  das  Yermögen  des  i  vor  Liquida  (m,  n)  als 
u  zu  erscheinen,  gerechtfertigt  werden  kann.  Der  Beim 
ergrunden :  dUnde  ist  daher  nur  als  Assonanz  zu  erklären.  Dem 
angeführten  Beim  stellen  sich  zur  Seite :  366  :  366  rinder :  under; 
femer:  389 : 390  vinden  :  kindin\  649  :  660  daz dv  .,,  wrde  :  bürde] 
629  :  630  murmeln  :  zvmen ;  783  :  784  nuzze  (a^j^t.)  :  ^f  ^in 
anüuzze.  Servatius  hat:  165:166  künden:  Sünden]  216:816 
künden :  ergründen.  Vgl.  dazu  das  über  phrinde  aus  pkrüende 
Gesagte. 

Der  Umfang  des  Umlauts  ist  nicht  abzugrenzen.  Zu- 
nächst ist  das  u  dem  allgemeinen  Umlautsgesetz  unterworfen ; 
dann  aber  wird  die  durch  dieses  gezogene  Grenze  über- 
schritten. Als  sicher  umgelautet  erkläre  ich  in  diesem  Sinne : 
fidenf  mugen\  Urkunde  \  Desgleichen  vns,  vnfery  welche  sich 
seit  den  vierziger  Jahren  des  14.  Jh.  einbürgern,  und  die 
durch  die  moderne  Aussprache  u^  als  umgelautet  bezeugt 
sind.  Sie  sind  in  der  umgelauteten  Fassung  gemeinsames 
Gut  des  alamannischen  Dialektes^. 

Umlaut  von  ü:  Bezeichnung. 

Die  Umlautbezeichnung  ist  den  Quellen  zufolge  ein  Werk 
von  S3  (1280).  Nachdem  sie  einmal  in  grösserem  Massstabe 
vorhanden  war,  hat  Analogie  die  Schreibung  und,  parallel 
mit  dieser,  das  Lautgebiet  des  Umlauts  erweitert.  Zeichen 
ist  zunächst  v,  seltener  fehlt  ±.  Die  Gestalt  ü  oder  u,  wie 
sie  Landsberger  Urkunden  von  1326  und  Aychacher  von  1331 
schon  haben,  nimmt  nachweislich  erst  1332  S^^  an,  vorange- 
gangen ist  ihm  ein  bischöflicher  Schreiber*  desselben  Jahres 
bei  demselben  Wort:  vnfer,  vrehind.  S^g  verwendet  ti,  w  schon 
häufiger  neben  Ä  (1333).  ü  führt  S^g  1837  ein  und  ver- 
wendet  es  z.  B.  in  einer  Urkunde  des  Kates  von  1337 


^  Reime:  Servatius:  287  :  888  fünde  (üonj.)  :  Urkunde;  8686  :  3686 
eünde  (gen.)  :  wrkünde  (acc.). 

*  vnsih  >  ins  >  is. 

'  Vgl.  Geschwornenbrief  von  1260  ans  Lozern  (Brandsteiter :  Ge- 
scbichtsfreund  47,  229) :  vns,  vnser  mehrmalB ;  der  Umlaat  ist  mundartlich. 


159  Laatlebre.  406 

Donerstag  n.  d.  39.  Sept  durchweg  für  u  (Umlaut). 
1338  erscheint  ü  durch  einen  bischöflichen  Schreiber  in 
Urkunden  Kaiser  Ludwigs.  St.  Catharina  hat  1338:  Meriy 
nutz  und  deutlich  vn$.  In  der  Folgezeit  wird  ±  immer  noch  sorg- 
fältig geschrieben,  hin  und  wieder  durch  z  ersetzt  (1343  S^^, 
1345  S^,),  1342:  ins,  vbrig,  vrchänd,  vnfer,  gebürt  —  (tun)  S^j 
Hat  an  Eothenburg.  —  Eine  absonderliche  Schreibung  ver- 
wendet ein  bischöflicher  Schreiber  1367 :  im,  für  —  (tun,  kunt, 
GotzhuB,  üfbraht).  8^^  fertigt  1368  und  1372,  1373  je  eine 
Urkunde  (vom  Bat  und  an  den  Rat  ausgestellt)  aus,  in  denen 
er  sich  jeder  Umlautsbezeichnung  enthält.  1368  sogar  ver- 
meidet er  in  der  Urkunde  des  Rates  überhaupt  jede  Indizie- 
rung: vol/urm,  zunfften,  uberein,  mugen  —  (uf,  einmuticlichen). 
1379  nimmt  er  die  übliche  Umlautsbezeichnung  wieder  auf. 
Was  die  Bezeichnungsweise  ü  im  Allgemeinen  anbelangt, 
so  ist  sie  keineswegs  ein  sicheres  Anzeichen  von  Umlaut. 
Beweis  dafür,  dass  die  zwei  Punkte  nicht  immer  den  Umlaut 
bezeichnen  sollen,  ist  eine  allerdings  selten  vorkommende  Be- 
sonderheit einzelner  schlesischer  Handschriften  (Anfang  des 
15.  Jhs.),  wo  ü  auch  gelegentlich  für  das  konsonantische  w 
gebraucht  wird,  während  dieses  dazu  dient,  den  Vokal  u  oder 
u  darzustellen.  So  findet  man  in  Men.  pros.:  beüareti  d.  h. 
beufaren]  süangeren  d.  h.  8wangeren\  tüeren  d.  h.  sweren  ge- 
schrieben, während  tioeren  denselben  Schreibern  süeren  d.  h. 
mhd.  mren  bedeutet.  Bückert^  will  die  Verwendung  der 
Doppelstriche  oder  Punkte  über  dem  u  dahin  deuten,  dass 
dieselben  nur  gleichsam  die  Aufmerksamkeit  des  Lesers  auf 
den  80  hervorgehobenen  Buchstaben  richten  sollen. 

ü:  Belege. 

Urkunden : 

Bis  1345  in  der  Regel  u.  —  Von  1345  in  der  Regel  ü. 
städtische:  Bis  1280:   u  (S^  und  S,).  —    1280.  ovz,   ovf, 

houf,  Tousent,  S,  (A.).  —  1282.  tvfent  S,  (H.). 
—  vf,  gebwen,   bw,    mvre,    Mulhufen,   Tvfent 

1  Rüokert,  Syst.  Dant.  d.  Bchles.  H.  8.  79. 


406  Dritter  Abschnitt.  160 

5,  (R.X|4,4).  —  S,:  u.  —  1283.  prothvs; 
(tvn,  Mail),  vf,  prothvs  S^  (A.).  —  4.  Oct. :  Tau- 
fent  Sg.  —  6.  Dec:  ovf,  drovz,  hovffrowe,  horfe, 
Toyfent,  gebovren  Sg  (C.  3),  —  17.  Dec:  ouz, 
hovfe,  ovz,  hvfe,  vf,  Tovfent,  hvf  Sg  (A.).  — 
1284.  21.  März:  anf,  aufgeben,  Taufent  Sg.  — 

—  24.  Juli:  vf,  Tovfent  Sg.  —  1285.  3.  Jan.:  vf, 
Tovfent  Sg.  —  1286.  Hovfe,  ovf,  Tovfent  Sg. 

—  Sg:  ov.  —  1291.  ovf,  drovff  Sg  (H.).  — 
1292.  Bischof,  Pfalzgraf  und  Stadt:  ovf. 
ovz,    Tovfent    Sg    (Fürst  sei.  XV,  80,  3).    — 

1295.  9.  Jan.:  hvffrawe,  Gotefhvf,  Gotefhvz  (?) 
Sft  (U.  1).  —  Sg:  ov.  —  26.  Oct.:  ^f;  (Tvm, 
tvn,  kvnt,  gnvge  —  gebürte)  S^  (A.).  — 
23.  Nov.:  hovfef  S^.  —  6.  Dec:   avf  S^.   — 

1296.  ovf,  Hovf;  (Movricen)  S^.  —  S^:  ov.  — 
13.  Juli:  6f  Sg.  —  22.  Juli:  ovf,  ovz,  hovfe  S^. 

1297.  vf,  gotefhvf,  luterlich ;  (zv,  zv,  tvn, 
gvter,  gvt,  genvge)  Sg  (U.  1).  —  1298.  Iten- 
hvfen  S5  (0.  4).  —  vf  Sg.  —  (höbe)  (=  huobe) 
Sg.  —  ovf  Sg  (G.  1).  —  auz  Sg  (A.).  —  Aug.:  auf, 
Mauf  (n.  pr.)  Sg.  —  Dec:  ovf;  (gvt,  Bvch...) 
Sg.  —  Sg:  ov.  —  1800.  Annehufen  (n.  pr.), 
ovz  Sg  (0.6).  —  1302.  März:  vf,  Uthvz; 
(tvn,  ZV  .  .  .)  Sg  (0.  6).  —  3.  Febr.:  hauf- 
frawen,  vf  Sg  (hl.  Cr.  4).  —  24.  Febr. :  hvf- 
frawen,  Gotzhufe  Sg  ?.  —  1303.  Gotzehauf 
Sg  (A.).  —  Sg:  au.  —  Sept:  auz;  (haufem) 
Sg.  —  Nov. :  lithus  Sg  (0.  5).  —  1304.  au 
Sg  (R.  10).  —  ovf,  hovf  Sg  (A.).  —  hvffrawe, 
vf  Sg.   —    1305.    16.  Oct.:   ovz   Sg  (0.5).  — 

6.  Sept.:  avf,  havffrawe,  havfen  Sg  (A.).  — 
1306.  av  Sg.  —  1308.  vf ;  {T<rn,  mvt  .  .  .)  S,. 

—  1309.  ovf,  ovzzerhalben  Sg.  —  vz,  vf  S, 
(U.  2).  —  Vogt:  auf,  hovfti,  faumpt  ?  (A.).  — 
Hauptmann  v.  Ober  Bayern:  Taufent,  auf. 


161  Lautlehre.  407 

(bair.  Sehr.)  (R.X|6).  —  1311.  Rat:  Gotz- 
hufes  Sy.  —  1312.  aufgeben,  auz,  lithouf; 
(laeuten)  S,  (A.).  —  1313.  ftainhovf ;  (Craeutz) 
S,.  —  aufgeriht,  leithous,  aufgeben,  buwet 
S,  (U.2).  —  1314.  ovz  S«  (G.  2).  —  1317. 
3.  Jan. :  vz,  vf,  hous;  (Tun  . .)  S,  (A.).  —  louter; 
(zaeunen)  Sg.  —  S.  n.  13.  Juli:  vf,  vz,  Ljthaus; 
(Tun)  Sg  (0.6).  —  S.  n.  13.  Juli:  vf,  vz,  lithouf? 

—  Sept.:  houf,  Walifhoufers  Sg  (A.).  —  1318. 
ovzzerhalben,  Movr,  ovfgeben  S^  (U.  2).  —  S^:  ov. 

—  1319.  ov;  (hovfern)  Sg  (A.).  —  Pfingsten:  vf, 
Gotezhus  Sj  (H.).  —  20.  Sept.:  ovf  S^.  —  ov. 
Sg  (0.6).  —  1320.  vf,  vf,  hvf  S^  (A.).  - 
S^:  u;  (uo  =  ü;  ü).  —  Sg:  ov;  (uo  =  ü).  — 
1323.  Landsberg:   auf,   häuf,   auf  (hl.  Or.). 

—  Gotfhus;  (hvf er,  hvfer)  Sj^  (A.).  —  hvfes, 
verfvmten,  vf  S,o-  —  ^m'  ^«  —  Sg:   ov.   — 

1328.  Stainhavs,   vf  S^^«  —   vf,  havs  S^^.  — 

1329.  23.  Febr.:  Hvs,  uf,.  vfferhalb  S^^.  — 
24.  Febr. :  vzzerhalp,  Gotzhovs,  ovf  S^  ?  — 
u;  Sjj.  —  1330.  vz  (hevfern)  S^.  —  Gotzhauz, 
Gotzhuz  Sj,  (ü.  2),  —  Kaiser:  vf,  Gotzhus 
S^  (A.).  —  S„  S,o:  u.  —  1333.  Sept.:  hus, 
Hufes,  vf,  Rynchmavr  Sj^.  —  Nov.:  Mavr, 
Hufes  Sjg.  —  1334.  haus,  badhaus,  vf.  Sj,.  — 
1335.  V8,  vf,  Rynchmaur  Sj^.  —  Rat:  Gotzhus, 
vf,  nahgeburen;  (heufer)  Sjg  (U.  5).  —  S^g:  u. 

—  1386.  vf,  vf ;  (zv,  tuen  .  .  .)  S^g  (U.  6).  — 
Vogt:  vf  Sjg  (A.).  —  vz,  vz,  vf;  (tun,  müt) 
Si8  (U.  5).  —  vz,  hus  Sjg.  —  1337.  vfferhalben, 
Gotzhaufes,  Gotzhus,  Gotzhufes  Sjg-  —  Rat:  vf, 
rvmen,  Maur,  dinchaus  S^g.  —  Rat:  vf,  vs 
Si3  (0.).  —  1338.  vz,  haus  S,g  (A.).  —  ouz, 
ouf,  Gotzhus  Sjg  (U.  6).  —  ^f,  vf,  hüz,  yten- 
hufer;  (tun  künt)  S^g  (A.).  —  1340.  Priwhaus, 
aüz,  Peckkenhaüs  S^^.  —    1342.  vz,   vf,   gotz- 

27 


408  i>ritter  AbMhnitt  162 

huzz  S^(.  —  8^5:  u.  —  1346.  April:  vITerlialb, 
vfbrahty  mur,  darus;  (tun  .  •  •)  S^,  (A.).  — 
Aug.:  ufS„  (E.X|11,3).  —  u;  S„.  —  1348. 
yfrihten,  oufrihten  Sj,.  —  a;  S^,.  —  1349.  hous, 
vx-  S},.  —  hÜ8,  Yz  S],.  —  1361.  houffi-awe, 
Gotzhous,  vf ;  (müt  .  .  .)  Sj,  (C.  10).  —  honf- 
frawoD;  Hub;  (yerfchuf,  tun)  S^,  (A.).  —  hüT- 
frawe,  vs,  darus;  (uo  =  ü)  S^,.  —  S^,  :   ü. 

—  1362.  ous,  ous  Sj,.  —  hÜ8,  vf  Sj,.  — 
1366.  Rat:  üf,  fchlachhüs,  Mür  Sj,.  —  S^,:  ü 

—  hous  Sj,  (0.  10).  —  Sj,  von  1356  ab.  nur  ü. 

—  1367.  häufen  S^^  (A.).  —  hüs,  üfgeben, 
ufrihten  S^«.  —   1368.  ufTerhalben  S^^  (R.  2). 

—  1372.  Taufent  Sj«  (R.  14). 

Bisch,  und  Domk.:  1282.  vf,  Tufent,  enfaumf,  faume,  Schau- 
ben (R.X|4,  3).  —  1284.  vf,  vf,  vz;  (tvn, 
Mvtir...)  (A.).  —  1289.  lauterlik,  vf,  bawet, 
tufent  (H.).  —  1293.  uf,  vf,  gotfhufes,  tufent 
(A.).  —  1296.  Gotef hovfe  (R.  X^  4, 4).  —  ovf, 
ovz,  dinckhovs.  —  1300.  u.  (H.  13).  —  1305. 
aoteshovfes,  hovs  (R.  6,4).  —  1313.  Gotefhüs 
(H.  14).  -^  1316.  Gotefhus.  —  1323.  vf,  gotz- 
hus  (C.  7).  —  1326.  vf  (H.  16).  —  1329.  vfert- 
halben,  mure,  hovf;  (bovch).  —  1332.  moure, 
vzzerhalp,  vz.  —  Gotzhus  (A.).  —  1336.  vf, 
Gotzhüs;  (tvn).  —  1338.  vzerhalb,  auzzer 
(«:  das  Äussere)  bisch.  =  kaiserl.  —  1341^  vf- 
geben;  (tun,  zv)  (C.  9).  —  1342.  gotzhüü;  (tun) 
(H.  19).  —  1343.  April:  vzerhalben  (A.).  — 
Juni:  vff,  vlrihten. —  1344.  Domk.:  vz,  Götz- 
hous,  vfgeriht  (G.  2).  —  1345.  daruz,  vs, 
Ouz,  ouz ;  (mute)  (H.  20).  —  Gotzhous  (Gotz- 
huser).  —  vf,  Gotzhous,  hous,  vzzerhalben,  vz. 

—  1360.  Domk.:  hous  (A.).  —  vf ;  immer  u 
(H.  22).  —  1361.  hüs,  vzgeriht;  (tun,  guter, 
müt . . .).  —  Domk.:  hous (A.).  —  Domk.:  houf- 


163  Lantiehre.  409 

frawe.  —  1862.  Domk.:  vf.  —  1369.  vs;  (tun). 

—  1367.  Gotzhus,  üf braht;  (tfin ...).  —  1374. 
vf,  huT;  (tun,  künt . . .)  (B.  2). 

Curia:   1320.  vf;  (Tun  .  .  .)   (G.2).  —    1326.  Gotef- 
hus,  büet;  (Tven,  guter  .  .  .)  (ü.  2).  —  b^et. 

—  1327.  Gotefhus,  htis,  vf,  hus  (A.).  —  1331. 
Gotefhus  (ü.  2).  —  1337.  ovf,  Gotshovs  (U.  6). 

—  Gotshovs.  —  1346.  vzbezaichent,  vfgeben 
(hl.  Cr.  5).  —  1359.  vf,  Gotzhous  (A.). 

Klöster:  St.  Cath.:  1279.  tz,  Tvfent;  (Tun  . . .)  (C.  2). 

—  1296.  Tufent;  (tun . . .).  —  1324.  vf  (C.  7). 
1326.  uf,  uz,  daruf.  —  1348.  auf  (0.  9). 

St.  Georg:  1282.  hvfe,  vz,  W;  (tun . . .)  (G.  1). 

—  1337.  Gotzhüs,  hülfrawen,  hus  (A.).  — 
1362.   gotshus,   gotzhüs,  vzrichten,   Rinchmvr. 

hl.  Creutz:  1311.  vf,  Gotzhufe,  Tufent  (hl.  Cr.  4). 

—  1339.  vf ,  aufferhalb ;  (guter)  (hl.  Cr.  6).  — 
1360.  vf,  vfferhalp  (A.). 

St.  Ulrich:  1288.  vz,  vf,  Tvfent  (U.  2).  — 
1301.  u.  —  1311.  hvz  (tvn).  —  1323.  Gotef- 
hovs.  —  1329.  Gotefhvs.  —  1331.  Gotefhus, 
vf  (A.).  —  1333.  Gotefhus  (ü.  2).  —  1342. 
Gotzhüff  (tfin)  (A.).  —  1346.  Gotshüs,  Gots- 
hus. —  1366.  haus.  —  1367.  haus,  vzbezaichent; 
(zaeunen). 

St.  Moritz:  1342.  Gotzhous,  Gotzhus,  vfgeben 

(A.). 

St.  Stephan:  1306.  hvffrawen,  gotzhufes,  vzfer- 

halben  (A.).  —  1312.  ovf  (H.  13).  —  1327.  vf, 

hüf,  Gotfhvs  (A.).  —  1347.  vfferhalb,  vf,  Mavr 

(St.  3).  —  1366.  vzzerhalb,  Mur  (A.). 

Spital:  1283.  hüf,  huffrowen,  ihufent  (A.).  — 

1284.  vf,  hvf,  Tvfent  —  %  Tufent  (Dürftigen), 

hvfe. 

Juden:  1308.  vf;  (ho^fer)  (A.). 

27* 


410  Dritter  Abschnitt.  164 

Stadtbuch: 

Grundtext:  u.  —  (faumf),  vf,  huse  (19  a).  — 
S^:  nachgebüren  (19  b).  —  (säum)  (20  a).  — 
sonst  u.  —  83:11  und  ou.  —  üz;  ouzzerhalb  der 
zoeune  (24  b).  —  S5,  S^,  S^,  8^5:  u,  —  Sj,:  u. 

Achtbuch: 

1339.  haufs  8,^  (Sali),  —  (Cruces)  8^^  (5b). 

—  1340.  rümet,  vf  Sj^  (6  b).  —  houffrawen 
Sj^  (9  b).  —  1345.  hüs  S^^  (11  a).  —  8^, :  1351. 
Trut  (n.  pr.) ;  (durch)  (69  b).  —  1352.  vf 
(15  b).  —  Hüs,  Lüterbach  (17  a).  —  üf ;  (dar- 
zü  .  .  .)  (19  b).  —  1357.  oberhüfen  (20  b).  — 
1363.  üf ;  (flinffün)  (25  a).  -  1367.  Hüs  (95  b). 

—  hous,  hüs  (95  b). 

ü:  Geltung. 

Es  ist  schwer,  ein  sicheres  Urteil  über  die  Grestalt  und 
Geltung  eines  Vokals  zu  fallen,  welcher  in  der  schriftlichen 
Darstellung  eine  solche  Wandlung  bald  vor-  bald  rückwärts 
und  nicht  immer  auf  seinem  ganzen  ursprünglichen  Gebiet 
durchgemacht  hat  wie  ü.  Heute  ist  seine  diphthongische 
Aussprache,  ausser  vor  n,  fest^.  Wann  ist  dieser  Zustand 
fertig  geworden?  Bohnenberger  nimmt  das  15.  Jh.  an,  als 
sicher  dessen  zweite  Hälfte.  Weinhold  sieht  erst  in  dem 
Verfahren  der  geschriebenen  schwäbischen  Denkmäler  des 
16.  Jhs.  im  Gegensatz  zu  den  Drucken  des  15.  Jhs.  ein 
Zeugnis  für  das  Leben  des  Lautes  auch  in  der  Mundart-. 
Wann  hat  nun  der  Vokal  den  Anlauf  zu  seiner  neuen  Ge- 
staltung genommen?  Die  wenigen  verstreuten  Wort-  und 
Namenüberlieferungen  in  den  lateinischen  Urkunden  vor  1272 
kennen  nur  die  8chreibung  u.     Auch  8^  und  8^.     Lides  8t. 

^  Bohnenberger  a.  a.  0.  S.  94.  —  Birlinger,  Augsb.-schwab.  Wörter- 
buch, S.  418,  II,  7:  Langes  ü  scheint  schon  ausgangs  des  14.  Jhs.  in  au 
übergegangen  zu  sein.    Östlich  vom  Lech :  od,   auf  den  AUgau  zu :   ou. 

»  Weinhold,  Alam.  Gr.  §  96.  —  Weinhold,  Alam.  Gr.  §  96 :  Dialog 
von  1521. 


166  Lautlehre.  411 

Catharina  schreibt  1279  vz  —  Tvfent,  desgleichen  1384.  Spital: 
vf,  Tufent  dabei :  Dürftigen,  Die  Verwendung  des  ±  auch  bei 
Düfftiffen  verrät  eine  andere  Bestimmung  dieses  Hülfszeichens 
als  einzig  und  allein  die  Länge  zu  markieren.  Nehme  ich 
dazu,  dass  meiner  Beobachtung  nach  vorzugsweise  diejenigen 
Laute  mit  _  in  der  früheren  Zeit  bezeichnet  sind,  welche 
später,  oft  bald  nach  dem  Verschwinden  des  Zeichens  an  be- 
stimmten Stellen  mit  anderer  G-eltung  sich  entpuppen,  wie  6 
später  mit  dem  Lautwert  o*,  d  als  au  (a^)  .  .  .  ^,  so  werden 
wir  in  der  Schreibung  vf  einen  Versuch  der  Augsburger 
Schreiber  erblicken  dürfen,  einen  Laut  zu  versinnbildlichen, 
der,  wenn  auch  noch  nicht  geklärt,  so  doch  nie  als  ein  blosses 
(einfaches)  ü  empfunden  wurde.  Als  sogenannte  Länge  ist 
ein  augsburgischer  Vokal  nie  ein  einfacher  Vokal :  6  wird  als 
00  gehört,  so  zunächst  ü  als  uu. 

Wiederum  ist  es  der  Stadtschreiber  Rudolf  Sg,  welcher 
zuerst  im  vorletzten  Jahrzehnt  des  13.  Jhs.  den  Diphthong 
für  ü  zur  Geltung  kommen  lässt.  Auch  mit  dieser  seiner 
Behandlung  der  augsburgischen  Vokale  ist  nicht  auf  eine 
in  Augsburg  schon  fertige,  dem  ou  genau  entsprechende 
diphthongische  Aussprache  zu  schliessen ;  denn,  wie  wir  schon 
bei  t  zu  erkennen  Gelegenheit  hatten  und  fiir  andere  Laut- 
erscheinungen vorausschickten,  tritt  seine  Schreibung  in  dem 
Bilde  auf,  welches  die  wesentlichsten  Erscheinungen  und 
Neuerungen  schon  in  sich  vereint,  zu  denen  die  augsburgische 
Mundart  noch  fast  ein  volles  Jahrhundert  weiter  brauchte.  Es 
ist  eben  auch  hier  der  durch  eine  mutmassliche  Thätigkeit 
im  bairisch-fränkischen  Gebiet  geschulte  Schreiber,  welcher 
sich  bei  dem  Wiederantritt  seines  Amtes  von  den  über- 
kommenen Formen  des  Augsburger  ELanzleigebrauchs   eman- 


^  Ähnlich  hat  auch  eine  Urkunde  der  Curia  von  1396.  (U.  3) :  zwar 
biet,  aber  auch  8^tag,  wobei  Niemand  an  eine  Dehnung  des  v  denken 
wird;  es  kann  also  ^  nur  ein  Indexzeichen  vertreten.  In 
späteren  Urkunden  der  Curia  von  1827  erscheint  es  als  ein  nach  links 
offener  Halbmond  auf  hüs.  —  Ebensowenig  kann  das  ^  über  v  in  vrtail 
1288  Sn  die  Länge  bezeichnen. 


41 2  Dritter  Abachnitt.  166 

zipiert  und  seine  Erfahrungen  dem  neuen  Schauplatz  seiner 
Thätigkeit  zukommen  lässt;  so  hat  er  schon  dem  bairisch^ 
Diphthong  ei  Eingang  yerschaflft,  ohne  auf  den  Einklang  mit 
dem  mundartlichen  £lange  zu  achten ;  und  so  ist  es  hier  das 
alte  t2,  welches  wiederum  durch  ihn  die  Wandlung  erfahrt, 
die  es  späterhin  zu  einem  hervorragenden  Kriterium  des 
Werkes  der  mhd.  Schriftsprache  macht.  —  Zu  gleicher  Zeit, 
als  der  Diphthong  in  der  städtischen  Kanzlei  auftaucht,  schreibt 
ein  bischöflicher  Schreiber  von  1383:  ati  f&r  t^;  enfaumfy 
faume  .  .  neben  vf^  Tufent  —  Die  Unsicherheit,  welche  anfangs 
bei  Sg  sich  zeigt,  beherrscht  auch  die  weiteren  Denkmaler 
aus  seiner  Hand :  ov  wechselt  mit  cm  und  ti,  1383  auch  mit  r. 
Eine  diphthongische  Aussprache  des  ü  üi  grösserem  Um« 
fange  und  mit  mehr  Bestimmtheit  yerbürgt  uns  aber  erst  die 
Schreibung  vom  3.  Jahrzehnt  des  14.  Jhs.  au,  d.  h.  von  dem 
Zeitpunkt  an,  wo  zum  Ausdruck  des  ü  die  verschiedensten 
Schreibungen  gewählt  werden,  so  jedoch,  dass  das  ou  und 
allenfalls  das  au  vorwiegt.  Indess  steht  das  u^  welches  schon 
1333  in  einer  bischöflichen  Urkunde  vom  13.  Juli  neben 
moure  in  vzzerhaljp^  vz  sich  behauptet,  nicht  auf  gleicher  Stufe 
mit  dem  u  etwa  in  zu^  tun  . . «,  sondern  es  ist  nur  ein 
Zeugnis  für  das  Bestreben,  den  wirklichen  Klang  des 
ü  zu  treffen,  das  für  die  volle  diphthongische  Schreib- 
ung noch  nicht  reif  erschien,  welche  die  bairisehen 
Schreiber  als  dem  Klange  ihres  ü  entsprechend  erachteten. 
Die  häufige  Berührung  aber  mit  bairisehen  Landes-  und 
Stammesangehörigen  in  einem  nicht  gerade  kurzen  Zeitraum 
wird  schliesslich  die  Umwandlung  des  ü  nach  der  diphthon- 
gischen Seite  hin  gezeitigt  haben.  —  Wenn  dann  während 
des  Restes  unserer  Periode  noch  u  allein  neben  ou  und  ou, 
oft  sogar  ziemlich  häufig,  auch  vereinzelt  ausschliesslich  sich 
zeigt,  so  hat  vielleicht  das  Bedenken,  dasselbe  Zeichen  für 
verschiedene  Laute  zu  verwenden,  mitgewirkt;  d.  h.  man  wollte 
einerseits  den  Konflikt  mit  u  ftir  ü  und  uo,  andrerseits  aber 
die  durch  die  Schreibung  ou  herbeigeführte  Gleichstellung  mit 
dem  in  den  Erzeugnissen  der  kaiserlichen  Ejmzlei  nahegelegten 


167  LaaÜehre.  413 

cu  für  altes  au  yenneiden,  welches  sich  gerade  für  Augsburg 
besonders  empfahl,  weil  es  au  als  Zeichen  für  d  fireimachte. 
—  Ob  eine  Beeinflussung  der  Schreibung  des  u  durch  die 
Kanzlei  Ludwigs  auch  für  die  letzten  Jahre  seiner  Regierung 
besteht,  lässt  sich  nicht  für  alle  Schreiborte  Augsburgs  ent- 
scheiden. Geltend  machen  möchte  ich  aber,  dass  Ulrich 
Biederer  (Sj^:  1338 — 1346)  in  der  ersten  Zeit  zwar  schwankt, 
aber  von  1340  an  nur  u  schreibt,  parallel  der  kaiser- 
lichen Kanzlei,  wohlgemerkt  nur  in  den  Urkunden; 
ferner  schreibt  nach  dem  Abtreten  (Jlrichs  Nicolaus  Hagen 
(S^,)  noch  zur  Zeit  Ludwigs  ti,  mit  u  und  ou  abwechselnd« 
Das  Ergebnis  dürfte  ich  am  besten  etwa  folgendermassen 
formulieren.  Das  germanische  ü  hat  im  Laufe  des  14.  Jhs. 
eine  Spaltung  erfahren,  welche  sich  als  o-  -l-  u-Laut  darstellt 
Sie  verhält  sich  zu  der  schon  früher^  eingetretenen  Spaltung 
des  kurzen  u  derart,  dass,  während  dieses  dem  u  einen  Nach- 
schlag von  imbestimmter  Farbe  zusetzt,  jenes  (ü)  der  Basis  u 
einen  Vorschlagvokal  o  voranstellt,  so  dass  ein  fast  voll- 
gültiger Diphthong  ou,  mit  dem  Hauptton  auf  dem 
zweiten  Bestandteil,  gehört  wird.  Es  kann  sich  nur  um 
eine  Komposition:  o  -]-  u  handeln,  da  die  Schreibung  im 
Wesentlichen  nur  eine  Komposition  der  Zeichen  o  und  u  giebt; 
au  hat  nur  in  der  geschriebenen  Darstellung,  auf  dem  Papier, 
gelebt.  Die  Form,  in  welcher  o  -{-  u  erscheint,  ist  eine 
doppelte:  au  und  u,  beide  Zeichen  stellen  einen  Laut  dar, 
einmal  durch  o  (if  1296)  versinnbildlicht.  Dass  u  nicht  blos 
als  eine  Darstellung  der  Beihenfolge  u-o  gelten  darf,  sondern 
auch  O'U  zum  Ausdruck  bringen  kann,  findet  eine  Bestätigung 
durch  die  schon  behandelte  gleiche  Situation  des  Verhältnisses 
ft :  ei  (desgleichen  briutigaum :  briutigiim).  Beim  ersten  Mal  seines 
Auftretens,  im  ersten  Drittel  des  14.  Jhs.,  kann  u  auf  laut- 
physiologischer Tendenz  beruhen,  das  zweite  Erscheinen  ist 
durch  das  Vorbild  der  kaiserlichen  Kanzleisprache  hervorgerufen. 

^  Die  Entwicklang  des  ü  muMte  schon  deshalb  vor  der  Umwand- 
lung des  ü  vollzogen  sein,  weil  im  andern  Falle  ü  auf  dem  Wege  der 
Dehnung  zu  ü  den  weiteren  Weg  desselben  hätte  teilen  müssen. 


414  Dritter  Abschnitt.  168 

ö:  Bezelchnimg. 

Die  Schreibung  für  ü  ist  eine  mannigfache  und  wechselnde. 
Die  Quellen  haben:  «,  t2,  ou,  au,  u,  u  (ö).  —  Die  traditionelle 
Gestalt  ist  ti;  daher  zeigen  die  ältesten  städtischen  und  die 
klerikalen  Urkunden  u,  diese  auch  u  und  t2.  Seit  1280 
wechselt  ou  und  au  mit  u  bis  zum  Anfang  des  14.  Jhs.  und  zwar 
derart,  dass  S^  und  S^  u  bewahren,  Sg  ou,  seltener  au^  ein- 
mal, aber  durch  das  ganze  Denkmal  hindurch,  ti  hat,  ein 
andermal  (1283)  u,  ou  und  ti  neben  einander;  1296  of.  Be- 
merken will  ich,  dass  die  Wiedergabe  des  alten  Diphthongs 
au  mit  ou  die  Schreibung  des  ü  bei  S,  nicht  beeinflusst  hat; 
zuweilen  scheint  au  die  Oberhand  gewinnen  zu  wollen,  so  in 
zwei  zeitlich  nicht  weit  von  einander  liegenden  Urkunden  vom 
5.  Juni  und  vom  23.  Aug.  1298:  auz.  —  oti/,  Mauf.  .  .  Indes 
steht  1298  5.  Dec.  schon  wieder  ou.  In  den  Eintragungen  im 
Stadtbuch  geht  Sg  von  seiner  Schreibung  ou  ebenfalls  nicht 
ab.  —  Sehr  bezeichnend  ist,  dass  Sg  einen  Ortsnamen  Iten- 
hvfen  mit  u  schreibt,  weil  er  ihn  vermutlich  in  den  ihm  vor- 
liegenden kurzen  Yoraufzeichnungen,  die  dem  zu  beurkunden- 
den Kechtsgeschäft  zu  Ghrunde  lagen,  in  dieser  Fassung  vor- 
gefunden hatte.  —  Die  klerikalen  Schreiber  halten  an  der 
Tradition  fest;  doch  kennt  der  bischöfliche  Schreiber  von  1282, 
wie  schon  erwähnt,  au  neben  u.  Aus  den  anderen  klerikalen 
Urkunden  ist  hervorzuheben  die  vereinzelte  Schreibung  hitf 
neben  huf  in  einer  Urkunde  des  Spitals  von  1283.  Ich  halte 
die  viel  später  wiederum  sich  hervordrängenden  Schreibungen 
ti  für  sekundäre,  aber  gleichwertige  Formen  des  w.  —  Der 
Nachfolger  Rudolfs  Conrad  (Ungelter  aus  Landsberg?)  schreibt 
vorzugsweise  au.  Eine  Urkunde  von  Landsberg  aus  dem 
Jahre  1323  kennt  nur  au.  Im  Grossen  und  Ganzen  ist  für 
die  Augsburger  Urkunden  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jhs. 
die  diphthongische  Schreibung  ou  und  au  als  gleichberechtigt 
mit  u  anzusetzen,  von  einzelnen  Schreibern  z.  B.  Sg,  S^^,  S^^ 
bevorzugt.  Ganz  im  Gegensatz  zu  diesen  steht  Sg  (Ulrich), 
dessen  in  die  Augen  springende  Vorliebe  für  den  neuen 
Diphthong  ei  wir  hervorheben  mussten;   ov  schreibt  er  nur 


169  Lautlehre.  415 

einmal,  u  ist  bei  ihm  durchgeführt.  —  In  dieser  ganzen  Zeit 
lässt  sich  eine  gewisse  Bevorzugung  von  einzelnen 
TVörtern  in  der  Schreibung  mit  Diphthong  feststellen: 
überwiegend  erscheint  hus  als  housy  fuius,  auch  mure  als  nwurej 
maurf  während  uf  und  uz  blosses  u  haben;  letzteres  wird  wohl 
infolge  seines  Anklangs  an  huz  noch  öfter  mit  au,  ou  ge- 
schrieben,  als  uf.  —  Die  Schreibung  üy  welche  sich  in  der 
zweiten  Hälfte  des  14.  Jhs.  fast  ganz  des  ü  bemächtigt,  ist 
auffallend  häufig  den  bischöflichen  Urkunden  schon  der  ersten 
Hälfte  eigen.  Ob  in  einem  Falle  z.  B.,  wo  die  bischöfliche 
Urkunde  vom  19.  Febr.  1336  Gotshus  und  eine  kurz  vorher 
vom  Stadtschreiber  S^g  an  das  Gotteshaus  St.  Moritz  ge- 
schriebene Urkunde  vom  13.  Jan.  1336  vz  hat,  bei  der  schon 
früher  betonten  Verbindung  der  bischöflichen  Familie  mit 
St.  Moritz  ein  Zusammenhang  besteht,  wäre  in  Erwägung  zu 
ziehen.  —  ü  wird  von  St.  Georg  1337  neben  u  geschrieben. 

Die  Übereinstimmung  bischöflicher  Urkunden  der  dreissiger 
Jahre  und  der  vierziger  Jahre  bis  1345  mit  den  Urkunden 
des  Kaisers  in  der  Schreibung  von  ü  darf  uns  nicht  über- 
raschen, da  die  beiden  Augsburger  Bischöfe  Ulrich  und  Hein- 
rich ihre  Schreiber  auch  im  Dienst  des  Kaisers  verwandt 
haben  mögen.  Der  bischöfliche  Schreiber  von  1338  ist,  wie 
schon  gesagt,  der  Hand  und  dem  Lautstande  nach  der  Schreiber 
z.  B.  eines  kaiserlichen  Diploms  an  Augsburg  vom  2.  Febr. 
1338  (A.).  Desgleichen  von  seiner  Hand  1341  S.  n.  3.  Nov. 
2  Urkunden  «=  1339  S.  v.  Bartholomaeus  (kaiserlich).  Im  Dienste 
des  Bischofs  hat  auch  Ulrich  der  Hofmaier  gestanden.  —  In 
Übereinstimmung  mit  den  kaiserlichen  Urkunden  zeigen  die 
bischöflichen  in  den  vierziger  Jahren  bis  1345  nur  u.  u  schreiben 
von  1340  ab  auch  S,,  und  S^^,  wie  ich  schon  erwähnte. 

Eine  einigermassen  konsequente  Schreibweise, 
die  zugleich  den  Anforderungen  der  fortgeschrittenen  Mund- 
art gerecht  zu  werden  strebt,  bringt  Hagen  (S^,)  auch  für 
ü  in  die  Augsburger  Kanzlei  hinein,  v  schreibt  er  in  späteren 
Jahren  seiner  Thätigkeit  sowohl  in  den  Urkunden  als  im 
Acht-  imd  im  Stadtbuch.    Nachdem  er  bis  1362  etwa  u,  zu- 


416  Dritter  Abschnitt  170 

weflen  ou  und  u  zur  Bezeichnung  des  ü  gebraucht  hat,  wird 
Ton  1363  an  u  der  alleinige  Vertreter  von  ü;  wenn  noch  zu- 
weilen u  erscheint,  so  kann  ein  Auslassen  des  Apex  vorliegen. 
Letzteres  möchte  ich  umsomehr  glauben,  als  u  neben  ü  öfter 
im  Achtbuch  und  im  Stadtbuch  angetro£fen  wird,  also  in 
Quellen,  welche  nie  so  sorgfaltig  werden  behandelt  sein  wie 
öffentliche  Instrumente. 

iu:  Umlaut  yon  ü:  Geltung. 

Die  Belege  für  iu,  Umlaut  ron  &,  werden  bei  dem 
alten  Diphthong  iu  angefahrt. 

Die  Schreibung,  wie  sie  auch  immer  in  den  Quellen  er- 
scheint, gestattet  keinen  Schluss  auf  einen  damit  dargestellten 
Lautwert,  etwa  wie  die  Behandlung  der  anderen  neuen  Diph* 
thonge  in  der  Gestalt  ihrer  Zeichen  jene  selbst  durchblicken 
liess.  Es  bieten  sich  zwei  Möglichkeiten,  nach  denen  der 
Umlaut  des  ü  in  der  augsburgischen  Mundart  des  Mittelalters 
sich  herausbilden  konnte.  Zunächst  trat  er  als  ü  (u  ge- 
schrieben) in  unsere  Periode  herein.  Damals  wurde  u  noch 
u  gesprochen.  Später  entwickelte  dieses  ü  aus  sich  heraus 
einen  Vorschlagrokal,  dessen  Klang  o  gewesen  ist.  In  welcher 
Weise  konnte  sich  der  Umlaut  nun  dieser  Gunierung  unter- 
werfen ?  Am  nächsten  lag  es,  dass  der  Vokal  der  Gunierung 
vor  das  umgelautete  u  trat,  es  würde  sich  also  in  der 
Schreibung:  au  (=  oü)  ergeben,  gesprochen  oö;  dieses  konnte 
sich  weiter  zu  ot  mit  Entrundung  des  ü  und  zu  ai  entwickeln. 
Letzteres  sicherlich,  nachdem  ü  über  die  Stufe  ou  zu  au  ge- 
worden war.  Innerhalb  der  Grenzen  unserer  Periode  aber 
ist  Umlaut  von  ü  nicht  über  die  Stufe  aä  hinausgegangen, 
obwohl  die  Schreibung  aeu  neben  eu  und  u  häufiger  als  oeu 
bietet.  —  Die  zweite  Möglichkeit  der  Geltung  des  Umlauts 
von  ü  im  14.  Jh.  ist  die,  dass  von  dem  Bestände  ou  des 
Grundvokals  aus  und  mit  Anlehnung  an  die  Entwicklung  von 
iu  zu  eu  zuerst  öu  (äü),  darauf  eü  erfolgte.  Diese  Entwick- 
lung kann  nur  der  Schriftsprache  und  der  Anlehnung  an  das 
geschriebene  älteste  Zeichen  entspringen.    Sie  kommt  schon 


171  Lautlehre.  417 

deshalb  und  mit  Sticksicht  auf  den  modernen  Stand  der 
Mundart  von  Tornherein  ausser  Frage.  Umlaut  von  mhd.  ü 
ist  in  Augsburg  heute  at^.  Ich  setze  daher  folgende  Beihe 
an :  tu  =  ö  >  oö  O  du)  '^  aü'^  cd  *,  zeitlich  sich  derart  ab- 
grenzend, dass  ü  noch  im  13.  Jh.  und  teilweise  im  14.  Jh. 
geherrscht  hat,  aü  im  Laufe  des  14.  Jhs.  mit  dem  Festwerden 
des  Diphthongs  on  für  ü  und  frühestens  im  letzten  Drittel 
des  14.  Jh.  aü  zugleich  mit  au  fär  ü  gegolten  hat.  Die  Ent- 
rundung des  ü  zu  i  scheint  mir  bei  der  Beweglichkeit  der 
schwäbischen  Mundart  an  keine  Zeit  gebunden,  der  graphische 
Ausdruck  hat  sich  nur  mit  der  Vermehrung  der  Gelegenheiten 
Eigenes  vom  Fremden  zu  unterscheiden  eingefunden. 

iu:  Umlaut  Ton  ü:  Bezeichnung. 

Die  Schreibung  ist  nur  für  die  erste  oben  bezeichnete 
Periode  ein  Ausdruck  des  gesprochenen  Lautes,  ftir  die  Folge- 
zeit sind  diejenigen  Schriftzeichen,  welche  in  den  letzten 
Dezennien  des  13.  Jhs.  Yon  fremder  Seite  her  (durch  S3) 
eindrangen,  in  ihrer  bei  weitem  Torherrschenden  G-estalt  nicht 
dem  Lautwert  entsprechend,  sondern  lediglich  der  schriftlichen 
Übertragung  entsprossen.  Die  geringe  Zahl  der  Zeugnisse 
lässt  nur  soviel  erkennen,  dass  die  städtische  Kanzlei  vorzugs- 
weise der  Träger  der  diphthongischen  Schreibung  bairischen 
Musters  ist,  nach  ihr  haben  sich  die  klösterlichen  Schreiber 
derselben  angenommen.     Eine  Urkunde  der  Judengemeinde 

0  fiirl.,  Augsb.-Bchwäb.  Wörterb.  S.  418. 

')  Ein  ZasammenstosB  mit  ei  ist  bei  dieser  Entwicklung  nicht  er- 
folgt ;  wäre  es  geschehen,  dann  hatte  allerdings  iu  und  t  von  den  Stufen 
eü  und  ei  aus  sich  zu  ai  entwickeln  mÜBsen;  ei  ist  aber  in  der  Stadt 
heute  nicht  aii  ausser  nach  der  Angabe  Biriingers  in  der  Jakobenrorstadt. 
Ich  habe  indes  durchaus  nicht  iinmer  von  den  in  der  Jakobervorstadt 
ansässigen  Leuten  ai  für  ei  (f)  gehört,  diejenigen  aber,  welche  ai  sprechen, 
haben  es  nach  meiner  Beobachtung  mit  der  Landbevölkerung  auf  dem 
Wege  über  Stätzlingen  nach  Friedberg  zu  gemein.  Vielleicht  hat  von 
jeher  eine  engere  Verbindung  zwischen  dieser  und  der  ihr  zunächst 
liegenden  Jakobervorstadt  bestanden.  Li  der  Stadt  wird  sonst  heute: 
Idib  für  Itp,  aber:  Kaiser  für  hituer,  laite  für  Hute  gesprochen. 


418  Dritter  Abschnitt.  172 

von  1308  zeigt  einen  immerhin  beachtenswerten  Bestand: 
triw  (tu  =  tii>  =3  tu),  kaevfen  (Umlaut  von  au  =  aev)j  hovfer 
(Umlaut  von  ü  (=  ou)  =  ov). 

ai:  Belege. 

Urkunden: 

In  der  Regel  ai;  zu  Anfang  und  Ende  der  Periode 
ei  und  ai. 

städtische:  1272.   hailigeu,  haeiligen,   aigen,  aine,   einem, 

aeiner,  befchaidenhait ;  gaein  Sj  (U.  1).  — 
1273.  ai;  aein,  einen  S,  (A.).  —  1277.  Baeier^ 
Heinrich,  Eigen,  ein,  einen,  aleine,  beid,  chlein, 
jklaien,  zeim  S^  (A.).  —  1280.  ein,  beider,  hei- 
Ugen,  Gaifte,  drittail  S3  (A.).  —  1282.  ei;  S^  (H.). 

—  befchaidenheit ,  baider,  aigen,  Hailigen 
Gaifbes  S,  (A.).  —  baidentbalp,  Haelenftain, 
Hainrich,  chaine  .  .  .  ai ;  S,  (R.  X^  4, 14).  — 
1283. Bat:  heiligen  gaifte,  ertailet,  beidivS,  (A.). 

—  zwi  Sg.  —  gehaizzen,  cheiner,  ein,  vaelem, 
^rtail  Sß.  —  ai  überwiegt,  daneben  ei.  —  1284. 
aigen  .  .  . ;  taidinge  S3.  —  1286.  ein,  eigene, 
eigenfchafft,  befchaiden,  baidiv  S^  (0. 3).  — 
1290.  ei;  S«  (C.4).  —  1291.  ai,  ei;  Sg  (H.).  — 

1292.  ai,  ei;  taidinch  Sg  (F.  sei.  XV,  80,  3).  — 

1293.  ai;  Sg.  —  1295.  aigenfchaft,  ait;  gefaeit 
S4  (A.).  —  1296.  -hait,  baidenthalben,  eigen, 
einen;  fait  Sg  (R.  X^  6,  5).  —  ai ;  aydef; 
taidingen,  einen;  zem  S5  (A.).  —   zeinem   S^. 

—  1297.  (vogtai),  ain,  tailten;  geleit  Sg  (U.  1). 

—  1298.  Gehaizzen,  gaeiftlichen;  feit  85  (C.  4).  — 
ain,  heiligen  Geiffces,  aigen  Sg  (A.).  —  1299.  ai; 
S5.  —  ai;  Maifter,  Gaeftes  (2x)  Sg. — bis  1301.  aL 

—  1302.  Aeigen,  ainen,  laiften,  zewanzech 
Sg  (hl.  Cr.  4).  —  Aeigen...  Sg.  —  1303.  ai; 
Sg  und  Sg.  —  1304.  aeigenf,  Gaeiftlichen,  beide 


173  Lautlehre.  419 

S^  (C.  B).  —  1304 — 1330.  ai  weitaus  vorherrschend. 

—  1308.  ai;  gaen  S»  (A.).  —  1312.  haeligen 
Geiftes,  geiftlichen,  ainem,  gelaiften  S,  (A.).  — 
1313.  zecbmaifter,  tailen,  geilt,  heiligen,  ftain- 
hovf  S,  (A.).  —  ai;  gleit  S,  (A.).  —  ai;  layften; 
leten  S,  (ü.  2).  —  1315.  gemain,  gaeftlichen, 
geiftlichen;  laet  Sg  (A.).  —  1316.  gemain,  hai- 
ligen;  gelaeit  Sg.  —  ai;  traet  S^  (hl.  Cr.  4).  — 

1317.  ain  . . .,   gaeftlichen;  gaen  Sg  (A.).   — 

1318.  ain  . . .,  beder  ?.  —  1320.  aigen;  gelaet 
Sg.  —  1322.  ai;  bedenthalbentailen  S^  (C.7). 
1323.  balligen,  befchaidenbeit,  Geiftes,  flaefcb, 
meifter  Sj^  (A.).  —  1324.  aygen,  laiften,  zwaier; 
gelaet  S^^.  —  1326.  ai;  einen,  ainen,  vrteil, 
ertailet,  ayt  S^^  (C.  7).  —  1328.  Hainrich, 
Chaefer  S,  (A.).  —  1330.  aygen  S^.  —  bayli- 
gen  Oaeftes;  gelaet  S^.  —  aygen,  aydes,  layften, 
aier  S,  ?  (bl.  Cr.  6).  —  1331.  baeider,  chaein, 
baeider,  gaeiftlicben,  ain  S^^  (A.).  —  1332.  ai; 
aygen,  kayfer,  heiligen  geiftes;  geleit  S,,.  — 
1334.  ai;  gelaet  S^g.  —  1335.  ai;  zway,  (Chufterei, 
abtay)  S^g  (XJ.  5).  —  keyfer,  ayde;  gelaet,  (fra- 
geten)  Sjg.  —  ai  und  ay;  faet,  gelaet  S^g.  — 
1337.  ai;  flaefchpank  S^g  (A.).  —  1388.  ai; 
(Cuftri)  Sjg.  —  24.  Febr.  Bischoff:  ein,  einen, 
beiden;  fürlait.  kaiserl.  =  bi8chöfl.(A.).  —  S^g, 
Sj^:  ai,  ay.— 1339.  gwonheit,  einen,  dbein,  (vogtey, 
vogtay)  S,g  (A.).  -  Vogt :  lit  (=  legt)  S^,  (A.). 

—  ai;  get&dinget  S^g.  —   1341.  ai;  gelät  S^g. 

—  1342.  ai;  taeding  Sj^  (hl.  Cr.  5).  —  ai;  S^^, 
SiB?  S^,.  —  1345.  Kaiser:  ei;  keiser,  einen 
S^,  (A.).  —  Kaiser:  ai;  keyfer  (A.).  —  ai  Sj,. 

—  1348.  Kaiser:  ei;  Sj,  (A.).  —  1348.  Pfalz- 
graf: ei;  Sj,. —  ai;  Sj,.—  befchaidenheit,  ainen, 
aigens,  geiftlichen,  gelaift  S^,  (C.  9).  —  1349. 
clains,  zwaien,  befcbeidenb;  feit  S^,  (A.).  —  ai 


420  Dritter  Absohiiitt.  174 

und  ei;  leit  (=legt)  S^^.  —  1362 — 1357.  ai,  ay; 
gelaet  S^^.  —  1366.  teiding  S^«  (A.).  —  1368. 
Rat:  gememclichen,  gemeins,  heizzen,  dheinweis 
.  .  .  hailigen,  einmaüclichen  S^^.  —  kleiner 
Zunftbrief:  ei;  freiheit  S„  (R.2).  —  1372. 
Burgermeifter,  zwain,  gemainUchen  S^^  (EL  14). 
^  1373.  ai;  Burgermaüter  8^^.  —  1379.  ai; 
gemeinlich,  Beim  S^«. 
Bisch,  und  Domk.  ai.  —  1290.  aeinen  (A.). —  1293.  aigen, 

hailigen,  einen;  teidinch.  —  ai.  —  1316.  ai, 
ay;  aygen,  getaylt,  befchaydenheit.  —  1329.  ai; 
faet  (H.  16).  —  1333.  ai;  Gaeftlichen  (A.).  — 
1338.  bisch. sakaiserl.:  ein,  beiden,  einen;  f&r- 
lait. —  1342.  zwai,  aigen  (H.  19).  —  1346.  ei; 
einem . . .  (H.  20).  —  1347.  ai;  (A.).  —  1350.  ai; 
(yogtyen;  ay)  (H.  22).  —  1374.  Burggraf:  ai; 
(bisch.)  (R.  12). 
Curia:  ai.  —  1345.  ai;  gelaet  (hl.  Cr.  5). 

Klöster:  St.  Cath.  1279.  ein,  heizent,  zwainzech  (C.2). 
—  1295.  Maifterin,  haizen,  eide,  deheine,  ge- 
mainem,  eine,  keiniv  (R.).  —  1303.  ai;  zwaj; 
Gen  (C.  5).  —  1310.  ai;  flaeifche  (A.).  — 
1321.  ai,  ay;  eigen,  zweinzegiften  (C.  7).  — 
1338.  ei  und  ai  (C). 

St.  Georg:  ai;  zvein,  (yogtai),  einer;  yergait 
(G.  1). 

St.  Ulrich:  1288.  aeinen,  zwaei,  kaeiner, 
haeizfet;  gelaeit  (U.  1).  —  1321.  zway;  tayl, 
ein,  Ccherhait,  bedes;  eonst:  ai  (U.  2).  —  1331.  ai; 
Geftlichen  (A.). 

St.  Stephan:  ai. 

Spital:  1283.  ai;  (A.).  —  1284.  Maifter, 
flaifch,  haeiligen,  einen;  geleit  (A.).  —  1289. 
eigen,  meifter  (A.). 

St.  Margaretha:  1319.  geftlicher  (ü.  2). 


176  Lauüebie.  491 

Stadtbach. 
Grundtext:  ai  und  ei;  treit(22a).  —  maien 
(14  b).  —  mnnzinaifter  (17  a).  —  kain  (19  a). 
haizzet  (19  a).  —  ein,  (aberein),  ainer  (20).  — 
manzmeiflters  (21a).  —  S^:  Novelle :  ei.  —  S^:  ei. 

—  gexnaein,  aberaein,  Yogtthai,  aein,  ain  (62  a).  — 
ai;  ein  (23  a).  —  ei;  ai  (23  b).  —  ei;  (30  a).  — 
Sji  ei  und  ai.  —  ai;  (36  b).—  ai;  (36  a).—  ei;  (83  a). 

—  (sait)  (36  b).  —  85 :  ai,  ei ;  (ein  . . .  aint- 
weder,  baide)  (79  a).  —  S^ :  ai ;  heiligen,  einen 
(42b).  —  8^:  ai;  ein (62b).  —  S^^:  ai;  (88a).  — 
ei;  ainvaltigen  (92a).  —   S,,:  ai;  eins  (79b). 

—  ai,  deinen. 

m 

ai:  Geltung. 

Der  mhd.  Diphthong  ai  ist  zweifacher  Entwicklung :  1)  der 
alte  germ.  Diphthong  ai  —  2)  der  durch  Zusammenziehung 
aus  egif  agi  entstandene  Doppellaut. 

Im  Schwäbischen  ist  der  Klang  nirgends  heute  a'i^ 
sondern  im  W.  und  S.  09,  im  0.  oe\  Für  Augsburg  setzt 
Birlinger  09  an.  Zu  diesem  Laut  hat  sich  das  ai  des  13.  und 
14.  Jhs.  noch  nicht  entwickelt.  Der  Schreibung  nach,  welche 
ai  vor  ei  bevorzugt,  ja  häufig  sogar  zu  aei  erweitert,  müssen 
wir  eine  a-Basis  mit  nachschleppendem  9  oder  bei  gedehnter 
Aussprache  einen  £[lang  09*  annehmen.  Zwar  spricht  manches 
dagegen :  wenn  ai  den  Klang  09,  oa'  gehabt  hätte,  dann  wäre 
wohl  ae  in  GaeAlichenj  ßaefch,  gae/l,  hadigtn  zu  erklären  ^  und 
als  angemessen  zu  erachten,  jedoch  würde  wenig  gethan  sein, 
wenn  wir  e  in  gelUichen  z.  B.  mit  Annahme  einer  Vertauschung 
der  Zeichen  für  ae  und  e  rechtfertigen  wollten ;  noch  schwerer 
dürfte,  wenn  wir  dem  ^',  ai  die  Geltung  09  geben,  die  Erklärung 
des  nicht  seltenen  ei  für  ae  in  feiHg^  Heidung  ^  auch  bei  den 

'  JBohnenberger  a.  a.  0.  S.  107. 

*  Vor  l  (und  a,  at)  hat  ai  sicher  den  Klang  09  angenommen,  veil 
kommt  nur  als  vcLel  vor  (1283  S5)  neben  Meintage  (»  Magintage?). 

*  Vgl.  einteilleixit  —  intellexit  im  Hechinger  Latein ;  vgl.  Fischer, 
Württ  Vierte^jahrshefte  VIU,  S.  282. 


422  Dritter  Abschnitt.  176 

Stadtschreibern  sein,  wenn  wir  mit  Weinliold  ^  in  diesem  ei  einen 
ZerdehnungsYokal  sehen  wollten;  es  dürfte  eher  eine  annähernd 
gleiche  Aussprache  für  beide  Laute  ai  und  ae  (als  ei  ge- 
schrieben) vorauszusetzen  angezeigt  sein.  Sehen  wir  darum 
zunächst  von  der  Schreibung  des  ai  in  den  Quellen  ab,  so 
kann  eine  Aussprache  nach  dem  i  zu  durch  einen  Beim  des 
Herrmann  Fressant  von  Augsburg,  wenigstens  für  die  Mitte 
des  14.  Jhs.,  erhärtet  werden :  saeit^ :  zit.  Ich  setzte  für  den 
neuen  Diphthong  ei  eine  Geltung  von  9i  an,  und  Fressant 
muss  wohl  den  Klang  des  alten  Diphthongs  als  ähnlich  dem 
des  neuen  empfunden  haben,  ai  lautet  also  hier  wie  in  (an) 
nur  mit  dem  Unterschied  von  dem  n  für  i,  dass  das  9  in  ei 
=  ai  kein  Gleitlaut  ist,  wie  das  a  in  9t  für  t.  Ein  solches 
09*  wird  sich  indes  nur  vor  Dentalis,  sicher  vor  «,  sty  t  gebildet 
haben  vermöge  der  diesen  Mitlautern  eigenen  i-Farbe,  vor  / 
und  n  wird  ai  oft  als  ae  gehört. 

Sonst  ist  ai  zu  de  geworden;  nur  so  ist  die  dem  15.  Jh. 
angehörige  Schreibung  des  6  vor  r  (6  =z  de;  vgl.  das  bei  6 
Gesagte)  zu  rechtfertigen,  wenn  uns  Formen  wie  tair  =  tor 
begegnen.^  Einen  reinen  hellen  Klang  S  hat  heute  in  Augs- 
burg :  ßhch  (=  Fleisch) ;  die  Schreibung  in  unsem  Quellen 
—  einheitlich  ßasfch,  flefch  —  zwingt  uns  ein  Gleiches  für 
das  13.  und  14.  Jh.  gelten  zu  lassen. 

ai  <  -egif  -agi^  -edi  entfernt  sich  nicht  von  dem  ai  vor 
8,  8t  und  t 

ai:  Bezeichnung. 

Die  Zeichen  sind:  et,  at,  aeij  ae,  a,  e.  Für  egij  agi  ge- 
wöhnlich: aij  aei,  ei,  ae,  ä,  J;  zuweilen  aufgelöst,  edi  =  ei 
in  reit,  —  Ich  halte  ai  nicht  fiir  die  allein  traditionelle 
Schreibung,  wie  es  nach  dem  Ausspruch  des  Nyclas  von  Wyle  * 
scheinen  will,  wenigstens  nicht  für  die  Anfangszeit  der  Ab- 
fassung der  Urkunden  in  deutscher  Sprache.  Vielmehr  ist  ei  eben- 


»  Weinhold,  mhd.  Gr.  §  95;  (Ausg.  »  §  90). 
•  Vgl.  Bohnenberger  a.  a.  0.  S.  73,  77. 
»  N.  T.  351,  12. 


177  Laatlehre.  4S3 

m 

falls  als  überkommen  za  betrachten,  und  erst  mit  dem  Ein- 
dringen des  «t  f&r  t  durch  Stadtschreiber  Rudolfs  Schreibweise 
hat  sich  ai  für  den  alten  Diphthong  empfohlen.  Erst  von 
diesem  Zeitpunkt  an  kann  es  für  die  spätere  Zeit  vorzugs- 
weise traditionell  geworden  sein,  aei  würde  seine  Entstehung 
der  gerade  bei  den  ersten  beiden  Stadtschreibern  und  den 
klerikalen  Schreibern  üblichen  Gleichstellung  von  €  und  ae 
zu  danken  haben,  wir  treffen  also  auch  hier  auf  den  Buch- 
staben e.  Heranziehen  möchte  ich  die  Form  gaeinj  welche 
später  zu  gein  und  schliesslich  zu  gen  (gen)  wird,  d.  h.  durch- 
aus e- Basis  aufweist«  Eine  bewusste  Unterscheidung  etwa 
auf  Grund  der  Genesis  der  beiden  ei  (ei  »s  altem  Diphthong 
und  ei  <[  egi)  wird  in  unsem  Quellen  nicht  wahrgenommen. 
aei  wird  im  weiteren  fast  ganz  Alleinbesitztum  der  klerikalen 
Schreiborte,  ei  als  ausschliesslichen  Vertreter  des  ot  habe 
ich  nur  in  einer  klerikalen  Urkunde  vorgefunden,  in  einer 
Urkunde  des  Spitals  von  1289. 

In  der  Natur  der  Sache  liegt  es,  dass  gewisse  Wörter 
sich  ewig  wiederholen;  daher  ist  es  möglich  einige  davon 
herauszugreifen,  ein  ist  das  Wort,  welches  die  Schreibung 
mit  ei  am  meisten  sich  bewahrt  hat:  von  der  Mitte  des  14.  Jhs. 
an  erscheint  es  bei  weitem  vorherrschend  als  ein  in  Urkunden 
wie  in  den  nur  für  die  Stadt  bestimmten  Codices.  —  beide 
erscheint  im  13.  Jh.  noch  als  baidef  im  14.  Jh.  aber  als 
beidey  zeitweise  als  bede^  die  Form,  welche  ihm  allgemein-mhd. 
zur  Seite  steht.  —  Die  Endung  -heit  hat  zu  keiner  Zeit  eine 
bestimmte  Form.  —  Es  stehen  dann  häufig  neben  einander: 
heiligen  GaiAe  1280.  S,  —  haüigen  Gailies  1282.  S,  —  hei- 
ligen Gei/t  1313.  S,  —  haeligen  Geiltef  1312.  S,  u.  s.  w.  vgl. 
die  Belege.  —  Die  Form  gaelUidien  hält  sich  noch  während 
des  ganzen  Zeitraums  auch  bei  den  Städtschreibem. 

Im   14.  Jh.  tritt  für  t  in  grösserem  Massstabe  y  ein, 

dasselbe  wird  auch  in  den  Diphthong  ei  aufgenommen,   die 

Quellen  zeigen  ey  und  ay.    Zum  erstenmal  finde  ich  es  1296 

S3.  April:  aydef  S5,  dann  erst  wieder  häufiger  1302  Sg.    Fast 

allein  ay  hat  eine  Urkunde  des  Bischofs  vom  13.  Juli  1316. 

88 


424  Dritter  AlMchnitt.  178 

Ein  Ab-  und  Zunehmen  des  ay  ist  nicht  besonders  bemerkbar, 
und  es  ist  jedenfalk  ein  Zusammenhang  dabei  mit  den  kaisei^ 
liehen  Urkunden  nicht  zu  konstatieren;  denn  diese  zeigen  im 
ganzen  14.  Jh.  das  gleiche  Gewirr  von  a,  ey^  ay  wie  die  Ur- 
kunden der  Reichsstadt.  Vereinzelt  steht  die  Schreibung  olf 
1295  S,.  eintweder  erscheint  auch  als  aintweder  (Stadtbuch).' 
Ausserhalb  des  im  Vorangehenden  behandelten  ai  scheint 
mir  das  ai  (ei.  ey,  ay)  in  Wörtern  wie  vogtaij  Custrey,  abbid 
zu  stehen.  Sie  werden  in  gleichem  Umfange  vogiy^  ChuAri, 
Cltultry^  ChuArie,  vogtey^  vogtay  geschrieben.  Ihrer  Herkunft 
nach  sind  diese  Substantiva  zu  t  zu  ziehen ;  mit  Rücksicht  auf 
die  schon  sehr  früh,  noch  vor  dem  Eindringen  überhaupt  des 
ei  für  i,  auftretende  Schreibweise  mit  eij  ey  und  namentlich 
at,  oy,  werden  sie  besser  in  den  Kreis  des  Diphthongs  ai  hin- 
eingezogen. Die  diphthongische  Aussprache  glaube  ich  bei 
ihnen  mit  gutem  Orunde  schon  früh  annehmen  zu  dürfen,  und 
zwar  so,  wie  sie  die  Überwiegende  Schreibung  mit  d  illustriert. 
Es  ist  nämlich  ein  bekannter  Zug  des  gemeinen  Volkes  (vor- 
nehmlich  der  Stadtbevölkerung),  zumal  eines  Volkes  von  mehr 
als  mittelmässiger  Intelligenz,  wie  es  die  Bewohner  der  Reichs- 
stadt Augsburg  unstreitig  waren,  mit  der  Aussprache  fremder, 
seiner  Muttersprache  nicht  angehöriger  Wörter,  die  es  jedoch 
im  alltäglichen  Verkehr  nicht  umgehen  kann,  nicht  anstosaen 
zu  wollen;  daher  setzt  sich  in  solchen  Fällen  auch  in  der 
alltäglichen  Sprache  bald  die  Aussprache  fest,  welche  man 
von  massgebender  Seite  hört. 

au:  Belege. 
Urkunden: 

In  der  Regel:    au,  anfan^  und  am  Schlass  mehr  OU. 
städtische:  1272.  äwe,  Avfpurch  S,  (U.  II).  —  1277.  frowen, 

frovn,  ovch  S^  (A.).  —  1280.  houffrowen, 
euch  S,.  —  auch,  kauft  S,  (H.).  —  1282.  barm- 
garten,  frow,  auch  S^  (A.).  —  1284.  ovfpurch, 
(bowe,  bow)   auch  S,.  —  1285.  frovn,  frawen, 

^  Vgl.  dazu:  fiirlinger,  Augsb.-Bchwäb.  Wörterb.  S.  944,  IL 


179  Lautlehre.  426 

avh  Sa  (C.  3).  —  1286.  houffrowen,  ovch,  frow, 
verkauflFt,  Aufpurch  S,  (C.3).  —  1290.  ovch, 
hoyffrowe  S^  (A.).  —  1291.  ov;  S.,  (H.).  — 
1292.  Rat:  gelaufen,  auch,  ovch,  euch,  Aufpurch 
Sg  (Fürst  sei.  80,  3).  -  1294.  auch,  Aufpurg  S, 
(ü.  1).  —  ovch  Sß  (R.Xi5,4).  —  1295.  ovch 
Sj  (A.).  —  1296.  auch,  avch,  ovch,  frowen, 
hovptreht  Sj  (R.  6,  5).  —  S^ :  ou ;  selten  au.  — 
1297.  och  Sg  (U.  1).  —  1298.  ovch,  frowen  S«  (A.). 
1300.  ov;  frovwen  Sg  (C.  6).  —  1302.  auch, 
frawen  S^^  (hl.  Cr.  4).  —  1303.  au;  S^  (A.).  — 
avch,  (bawen)  S^.  —  1309.  (bowet),  au;  S^  (U.2). 

—  1312.  (bowt),  frawen,  auch  S,  (A.). 

Von  1312—1328  nur  au;  z.  B  1316:  (bowet), 
verkaufft,  Aufpurch  S^  (hl,  Cr.  4).  —  1319.  fra- 
wen..., (bowet)  Sj  (H.).  —  frauwen,  frawe; 
(buwet)  Sg.  —  1323.  frawn,  (bawt),  auch,  ge- 
kauft Sg  (C.  7).  -  1324.  frawen  (bowet)  S,.  — 
1329.  frowen  S,  (hl.  Cr.  5).  —  Chauflaevten  sJa.). 

—  bowet,  frowen  Sg  ?  (G.  2).  —  bis  1336:  au.  — 
1337.  Rat:  AfpurchS,«  (A.).  —  1338.  ochS,^.— 
1339.  ouch,  verchoufiFt  S,,.  —  Vogt:  auch  S^^. 
S,5:  au.  —  1345.  verkoufft  Sj^.  —  verkouflPt, 
auch  S,,.  —  1349.  ouch;  (vflauffe)  S„.  — 
1360.  ouch,  kauff  Sj,.  —  ach,  au;  S,,  (H.22). 
1362.  Trafftat,  TrafTtat  S^,  (A.).  —  1357.  (bowet) 
Bomgerttlin   S,,  (C.  6).   —    1368.  Rat:   ouch 

S,e  (A.). 
Bisch,  und  Domk.:  1289.  Afpnrk,  ach,  frawen,  (bawet)  (H.). 

—  1296.  ovch,  hovptman,  auch  (R.  5, 7).  — 
1300.  vrowen  (H.  13).  —  au.  —  135t>.  ach, 
kauft,  ach,  au;  (A.).  —  1374.  auch,  fraw^(R.  12). 

Klöster:  St.  Cath. :    1279.   kaufet,   kaufe,   vräwen,   au; 

(C.  2).   —    1310.   auch  (A.).   —    1338.   vrawe, 

och  (C.  7). 

St.  Georg:  1282.  kavfen,  och  (G.  1). 

28  • 


426  Dritter  Abschnitt.  IgQ 

Spital:  1284.  ouch,  och  (A.). 

St.  Ulrich:   1288.  fro,  frawen,  avch,  (bowet), 

gekaufet,  fchongawera  (U.  1).  —  au.  —  1346.  och 

St.  Mar  gar.:  1309.  och. 

Achtbuch: 

In  der  Begel:  au,  a,  von  1350  ab  auch  ou.  — 
1349.  auch,  chaüffent,  chau£Ferinn,  aügen  S^. 
(63  b).  —  1360.  och  (15  a).  —  ouch  (16  b).  ~ 
1351.  haüwen  (65  b).  —  auch  (67  b).  —  1352. 
erlabn,  vrlaub  (71b).  —  1368.  auch  (96).  — 
1356.  raplich  (19  b).  —  1366,  Ounbach  (25  b). 
-r  1370.  ouch,  auch  (29  a). 

ou  (au):  Geltung. 

Die  Entwicklung  des  alten  Diphthonga  au  erfährt  in  der 
mhd.  Zeit  auf  dem  ganzen  schwäbischen  Gebiet  einen  Zu- 
sammenstoss  mit  der  Weiterentwicklung  von  au  für  a.  Augs- 
burg macht  dieses  Zusammentreffen  in  besonders  heftiger 
Weise  durch:  ein  Merkmal  ist  die  starke  Variation  der 
Schreibung.  Vorherrschend  ist  allerdings  das  Zeichen  au. 
Auch  dieses  ist,  um  es  gleich  voranzustellen,  in  sehr  vielen 
Fällen  Eigenheit  des  einzelnen  Schreibers.  —  Die  Thatsache, 
dass  au  bei  weitem  am  häufigsten  erscheint  und  dass  es  von 
manchen  Schreibern  ausschliesslich  zur  Bezeichnung  des  Diph- 
thongs au  verwendet  wird,  und  endlich  die  Beobachtung,  dass 
es  gerade  dann  nicht  verschwindet  und  der  doch  bekannten 
und  älteren  Schreibweise  ou  weicht,  als  au  zur  Wiedergabe 
des  o,  seinem  Lautwert  entsprechend,  sich  ausbreitet,  diese 
Erscheinungen  bestimmen  mich  in  erster  Linie,  eine  Ent- 
wicklung des  au  auf  der  a-Basis  zu  dem  nicht  ganz  reinen 
zweigipflig  betonten  Klange  €u>  anzusetzen.  Die  vierziger 
Jahre  sind  den  Quellen  zufolge  vorzugsweise  ins  Auge  zu 
fassen.  Es  haben  sicher  die  Schreiber  Sj^  und  S^,  unter 
dem  Eindruck  dieser  Kreuzung  zweier  lautlicher  Entwicklungs- 


181  Laotlehre.  487 

bahnen  gestanden.  Wie  sehr  gerade  die  Schreiber  der  vier- 
ziger Jahre  geneigt  waren,  die  beiden  Laute  als  gleiche  zu 
hören  und  als  solche  wiederzugeben,  bezeugt  z.  B.  Achtbuch 
11  a.  I.  3:  in  derselben  Eintragung,  wo  a  neben  einem  au 
die  Länge  des  a*Lautes  vertritt,  wird  auch  auch  =  ach  ge- 
schrieben.  Auch  sonst  berührt  sich  au  mit  d  in  den 
verschiedenen  für  d  gebräuchlichen  Schreibmodifikationen 
[1350.  ach  —  sonst  au;  aun,  haun,  han.  bisch.  (A.  H.  12).  — 
1349.  auch  (S„)  (A).  —  1352.  Trafstat,  Traf  Hat  S„  (A). 
—  Achtbuch:  1353.  wä,  Jüat  (steht),  hautj  —  erlabn  (er- 
lauben) S„  (71a).  —  1364.  wä  S^,  (71  bl).  —  1354.  aun, 
vrlaub  S„  (71  bl).  —  1351.  hauwm^^^  (65b).  —  1351.  ge- 
taun,  aun,  aun  Sj,  (15  b  I).  —  1349.  auch,  äugen,  ehauffent 
(63  b);  vgl.  die  Belege],  allerdings  nur,  soweit  sie  sich  von  der 
Aussprache  nicht  allzusehr  entfernen;  ich  habe  z.  B.  a'ch 
.  .  •  nicht  vorgefunden.  —  o  stellt  demnach  einen  jüngeren 
jenseits  des  14.  Jhs.  fallenden  Bestand  dar.  Dass  die  Ent- 
wicklung zu  6  erfolgen  musste,  bringt  die  Gemeinsamkeit  des 
einmal  eingeschlagenen  Weges  mit  sich,  um  eine  solche  noch 
wahrscheinlicher  erscheinen  zu  lassen,  mag  man  immerhin 
daraufhinweisen,  das  die  Sprachgeschichte  mehrfache  Parallelen 
hierzu  bietet,  die  nicht  zu  weit  abliegen  \  und  dass  man  be- 
sonders auch  das  germ.  au  im  ahd.  über  oo  zu  o  entwickelt 
sein  lässt.  *  Erklärt  ist  zwar  der  Vorgang  damit  noch  nicht, 
und  die  Frage,  wie  die  Entwicklung  des  Näheren  vor  sich 
gegangen,  wird  immer  dnngender;  indes  sie  muss  noch  offen 
bleiben,  denn  damit,  dass  man  das  a  in  den  fertigen  Diphthong 
ao  sich  abschleifen  lässt,  wäre  dem  zweiten  Bestandteil  eine 
unerweisliche  hohe  Tonstärke  zugestanden.  —  Um  die  Ent- 
wicklung zu  ao  deutlich  zu  machen,  giebt  Kauffmann^  die 
Beihe :  ou"^  au'^a^i'^ao.   Die  Stufe  au  ist  schon  beim  Beginn 


^  Das  Schlesische  ist  ein  lebendiges  Zeugnis  für  die  Annäherang 
des  ä  an  die  Steigerung  des  6  {"^ou). 

*  Braune,  ahd.  Gr.  §  45. 

'  Kauffmann:  schwäb.  llundart  §  140. 


488  Dritter  Abschnitt.  182 

unserer  Periode  ttberschritten  ^  und  sie  steht  am  Ende  der 
Periodei  welche  Kauffmann  als  die  der  Erweiterung  der  Nuod- 
höhle  für  verschiedene  Yokalstellungen  konstruiert.  Man 
schrieb  sehr  häufig  au,  das  Kloster  St  Catharina  schon  1279: 
vrawen,  immerhin  beachtenswert,  wenn  es  auch  vereinzelt  bleibt : 
St.  Ulrich  lautet  um :  firaewelinj  und  1289  findet  sich  in  einer 
bischöflichen  Urkunde  nur  Afpurkj  ach  neben  sonst  durch- 
gängigem au.  Da  der  Beleg  von  einem  klerikalen  Schreiber 
stammt,  kann  ich  ihm  kein  entscheidendes  Gewicht  beilegen, 
ich  fiihre  ihn  nur  an.  Von  Bedeutung  aber  ist,  dass  S^  schon 
in  einer  Eintragung  auf  dem  Deckel  des  Stadtbuchs  aoch 
schreibt,  d.  h.  nicht  nach  1280. 

Die  Nivellierung  des  ou  mit  d  ist  lange  vor  der  Mitte 
des  14.  Jhs.  erreicht;  wenn  dann  am  Ende  unseres  Zeit- 
abschnitts cu  z.  B.  in  ovtch  fast  die  Herrschaft  erlangt,  so 
ergeben  sich  zwei  Möglichkeiten:  ou  hat  schon  die  Periode 
*io  überwunden  und  nähert  sich  dem  o,^  oder  es  ist  das  ou, 
o  eine  dem  Lautwert  nicht  entsprechende,  durch  fremde  Ein- 
wirkung nur  in  die  Schrift  eingedrungene  Form,  üebrigens 
ist  letzteres  in  jedem  Falle  feststehend,  denn  o  hat,  nachdem 
ao  verlassen  ist,  doch  nicht  der  Laut  im  Augsburgischen 
geklungen.  Volle  Übereinstimmung  mit  etymologischem  6 
herrscht  noch  nicht;  ich  kann  daher  eine  Form  wie  gelojfen, 
welche  sich  in  den  Prosadenkmälern  vorfindet,  und  im  Beim 
von  Fressant  dem  offen  genähert  wird,  d.  h.  auf  ö  gereimt 
wird,  nur  für  vulgär  mundartlich  ansehen,  um  so  mehr,  als 
geloffen  mit  kurzem  ö  noch  heute  deutlich  gehört  wird. 

Bei  dem  Ergebnis,  dass  au  durchaus  im  13.  und  14.  Jh. 
eine  Variation  der  a-Farbe  geblieben  ist,  drängt  sich  schliesslich 
die  Frage   auf,   in  welchem  Verhältnis  die  Entwicklung  des 


'  Baumann  (Forsoh.  z.  deutsch.  Gesch.  16,  269  Anm.)  hält  eine 
Verschiebung  Ton  ou'^au  1276  für  unerweislich;  denn  au  sei  bis  ins 
16.  Jh.  im  ganzen  scbwäb.-alamann.  Gebiet  ein  indifferentes  Zeichen 
för  au,  ou,  d, 

'  Vgl.  dazu  Birlinger,  Augsb.-schwäb.  Wörterb.  361  u.  Bohnenberger 
S.  127. 


183  Lwitlehre.  429 

au  zu  der  des  a  steht,  mit  dem  es  sich  im  14.  Jh.  vereinigt 
hat    Es  bestehen  also  die  Reihen: 
ati:aif>au>ao>o. 

ö  :  a  > .  —  au  war  ao  schon  vor  dem  Beginn  unserer 

0      0 

Periode :  S^  hat  aoeh . .  .,d  wurde  ao  etwa  um  1300.  Oeschriebeu 
wurde  au  «s  oo  im  13.  Jh. :  au  und  im  letzten  Decennium  in 
der  Regel  ou.  d  wurde  bis  etwa  zur  Wende  des  13.  Jhs. 
mit  ä  gegeben.  Seine  Geltung  war  jedoch  die  der  schon  fest- 
stehenden Stufe  ao  des  au.  Damit  war  dem  Bestreben,  eine 
phonetisch  gerechtfertigte  Ausdrucksweise  für  d  zu  finden,  der 
Weg  gewiesen.  Man  nahm  das  au  auf.  Im  14.  Jh.  schritten 
beide  Laute  gemeinschaftlich  weiter. 

ou:  Bezelchnang. 

Die  Schreibung  des  alten  au  «»  mhd.  ou  ist  zum  Teil  schon 
durch  die  Betrachtungen  über  den  Lautwert  erledigt.  Es  wird 
nur  noch  unsere  Aufgabe  sein,  die  Form  desselben  durch  die 
einzelnen  Schreiborte  zu  verfolgen:  S,  schreibt  in  den  Urkunden 
nur  auy  im  Stadtbuch  ist  gleich  das  erste  dem  Bereiche  des 
ou  angehörende  Wort  oueh  geschrieben,  einmal  oeh  in  einer 
Novelle  neben  aueh,  desgleichen  in  einer  Novelle  aoeh.  Nur 
frowwe  tritt  auch  bei  ihm  allein  in  der  Qestalt /rou?  auf;  es 
lässt  dies  jedoch  nicht  auf  o  schliessen,  sondern  bekanntlich 
fällt  vor  w  das  u  meistens  aus.  Zuweilen  wird  es  später 
geschrieben :  vrawe  1838  (St.  Cath.),  frovn  .  .  .  Eine  Diffe- 
renzierung in  der  Bedeutung  erstrebt  in  den  Augsburger  Ur- 
kunden keine  der  nachweisbaren  Formen.  Auch  vor  m  schreibt 
S|  au  (av) :  bavmgarten.  S,  ist  nicht  konsequent:  1277  schreibt 
er  nur  ov,  1282  dagegen  au,  ausser  in  frowen.  Die  klerikalen 
Schreiborte  zeigen  die  grösste  Mannigfaltigkeit  :ovy  o^  auj  aü, 
Oj  namentlich  das  Wort  au4ih  ist  dem  Wechsel  unterworfen. 
Sg  hat  wohl  ursprünglich  nur  ao  verwenden  wollen,  er  bevorzugt 
es  auch  die  ganze  Zeit  hindurch,  indes  erscheint  auch  sehr 
häufig  mit  au.  Den  Namen  der  Stadt,  welcher  fast  stereotyp 
die   ganze  Periode  hindurch  mit  au  geschrieben  wird,  bietet 


430  Dritter  Absohnitt.  184 

er  1284  einmal  als  Ovtpurch.  —  Bis  zur  zweiten  Hälfte  des 
14.  Jhs.  ist  au  herrschend;  auch  ov,  o^  a  und  o  finde  ich, 
doch  zumeist  in  klerikalen  Urkunden,  och  hat  einmal  S^^. 
Afpurch  Sjs,  kurz  darauf  jedoch  Aufpureh  1336.  Ein  solches 
a,  wenn  es  nicht  auf  Verwechselung  mit  ä  beruht,  darf  meistens 
als  Verkürzung  in  der  Schreibweise  gelten.  In  diesem  Sinne 
können  auch  viele  der  a,  o  als  durch  nachträgliche  Zufugong 
von  V  entstanden  erklärt  werden. 

Die  zweite  Hälfte  des  14.  Jhs.  weist  nun  auffallend  häufig 
ou  auf.  Da  dasselbe  in  der  That  erst  nach  dem  EÜnlaufen 
der  Urkunden  Karls  IV.  für  Diphthong  au  in  Erscheinung 
tritt,  so  stehe  ich  nicht  an,  das  Wiederauftauchen  des  ou  auf 
den  Einfiuss  der  kaiserlichen  Urkunden  zurückzuführen ;  derart 
jedoch,  dass  ich  diesem  Einfiuss  nur  eine  ou-erhaltende  Kraft 
einräume:  S^,  nämlich  schreibt  schon  1346  vereinzelt  veribotj^^ 
und  Si5  darauf  ebenso  vereinzelt  verkouffty  während  die  kaiser- 
lichen Urkunden  dazu  noch  nicht  auffordern.  1349  und  1350 
gehen  die  neuerdings  sich  ausbreitenden  cu  parallel  mit  den 
Kaiserurkunden.  Die  bischöflichen  und  klerikalen  Urkunden 
weisen  jede  Beeinfiussung  zurück  und  bewahren  au. 

Es  ist  nach  Allem  au  die  dem  Augsburger  Kanzleistil 
eigene  und  geläufige  Ausdrucksform  des  au.  Als  eine  Be- 
stätigimg dessen  hat  sich  nach  dem  mir  vorliegenden  Material 
die  Praxis  der  Stadtschreiber  herausgestellt,  in  den  Kopieen 
ein  QU,  6  des  Originals  als  au  oder  ein  6  mindestens  als  o  um- 
zuschreiben :  Missivbuch:  Original  :  kaiserl.  Urk. :  1348. 
kaufman,  —  Kopie:  (1361  ?):  kaufman.  Nebeneinander  im  Jahre 
1366:  Original:  ^e/i.  <—  Kopie  :  aucA;  Original :  <$cA.  — 
Kopie :  och.  —  Gerade  dieses  Verfahren  ist  ein  Hinweis  auf 
die  der  Schriftsprache  des  diplomatischen  Verkehrs  eigene 
Biegsamkeit  gegenüber  dem  Vorbilde  eines  höheren  Orts. 

öu,  äu:  Umlaut  von  ou  (au):  Belege. 

Urkunden: 

städtische:  In  der  Begel:  eu;  ferner  äu.  —  1285.  Gevmvl 

S«    (A).  —   1331.   Kaiser:    vflauffe   S,.    — 


186  Lautlehre.  481 

1349.  vflauf  Sj,.  —  1349.  Tfla&ffe;  (ouch)  S^,. 

—  1362.  gelaeubigen  S,,.  — 
Stadtbach:  In  der  Regel:   eu.  —  z.  B.  dreut  (Grundtezt 

46  b).    —   frewelin    S,   (63  a).    —    reubic  S^ 

(63  a).  — 
Achtbuch:  eu    und    aeu.    —    1342.    raeuplich    (6  b).    — 

1342.  Taeuffet  (62  b). 

öu:  Umlaut  TOn  ou:  Geltung  und  Bezeichnung. 

Die  Mangelhaftigkeit  der  Zeugnisse  mahnt  in  der  Be- 
urtheilung  der  Aussprache  des  umgelauteten  mhd.  Dipjbthongs 
ou  (des  alten  au)  zur  Vorsicht.  Seine  Behandlung  indes,  wie 
sie  sich  in  dem  vorliegenden  Material  kundgiebt,  ist  eine  starke 
Stütze  für  die  oben  yorangestellte  Behauptung  meinerseits, 
dass  sich  au  in  der  Augsburger  Mundart,  nachdem  es 
die  gemeinsame  oberdeutsche  Stufe  ou  überschritten  hat,  nur 
auf  der  a-Basis  weiterbewegt  hat,  ehe  es  die  Verein- 
fachung zu  o  einging.  Kein  Augsburger  Schreiber  schreibt 
nämlich,  wenn  er  den  Umlaut  des  Diphthongs  kennzeichnen 
will,  oeUf  sondern  nur  aeu  und  auch  hier  mit  Eintreten  des  e 
für  ae  :  eu.  Wemi  die  ebenerwähnten  Schriftzeichen  eu  und  aeu 
für  den  Umlaut  schon  in  den  frühesten  Denkmälern  (Stadtbuch 
von  1276  Grundtext)  sich  bieten  und  ein  Schwanken  in 
Bezeichnung  und  Nichtbezeichnung  des  Umlauts 
gerade  an  dieser  Stelle  nicht  zu  verzeichnen  ist,  so 
ist  damit  weiter  nicht  allein  das  hohe  Alter  des  Grund- 
lautes auy  sondern  auch  der  weit  zurückliegende 
Vollzug  des  Umlautes  wahrscheinlich  gemacht.  Spätere 
Schriftstücke  zwar  enthalten  auch  nichtumgelautete  Formen:. 
gelauhigerij  indes  gilt  für  diese  wenigen  Fälle  nicht  minder 
die  Erfahrung,  dass  die  mittelalterlichen  Schreiber  eben  an 
kein  Gesetz  in  der  Wahl  und  Konsequenz  der  Bezeichnung 
des  Umlauts  gebunden  waren.  Nicht  eingeschlossen  in  diese 
Erfahrung  ist  das  Verbum  drouwen.  Formen  wie  draut  und 
dreut  bestehen  noch  heute  und  haben  damals  unzweifelhaft 
auch  neben  einander  bestanden.  —  Durch  das  Uberschwenken 


482 


Dritter  Abschnitt. 


186 


iu  (Umlaut  von  ü) 
CK'ce. 


Strevdler  (n.  pr.). 
hufer. 


der  Schreibung  des  cai  von  au  zu  dem  Scbriftzeichen  ou  am 
Ende  der  Periode  scheint  der  Umlaut  nicht  beeinflusst  zu  sein. 

iu:  Belege. 

Urku  nden. 

Städtische: 

tu  (alter  Diphtong) 

1272  S,  (U.  II)  aelUv,  div.  —  1273 

S,  (A.):  div,  gezivge.  —  1280  S,: 

genüge.  —  1282  S^  (H.) :  gezivge, 

aelliv.—  S,  (R.X|4,4):  Liuprifter. 

1283  Sj  (C.  3)  beidev. 

1284  Sg  (A.)  iu.  —  83  (A.):  Hute, 
gezivge,  friwende.  —  1285  Sg 
(A.):  gezivge. —  S,  (C.  3):  geziuge, 
div,  baidiv.  —  1286  S,  (A.) :  di^, 
elli^,  Tierchen.  —  1290  S,  (H.) 
Bat:  Ni'^ntzigoftem. 

83:  iv;  liuprifter.—  liüten,  gezivge,  div, 

elliv  —  1292  83  (F.  sei.  XV,  80): 

Liutprirter,    lifite,    liute,    div.    — 

1293  83  (C.4):  div.  —   1294  8^ 

(R.X|5,4):  div,  Ni^tzigoftem. 
1296   83(R.X|):   iriv,   erfti^,   div, 

baidiv  liute,  ftiwer,  Nivntzigofbem. 
Sj  (A.):  lantliüten,  baidiv.  —  8^  (A.): 

gezivge.  —  8^ :  iv.  —  1298  83  (A.): 

niwer.   —   85  (0.4):   iv;    ftivwer, 

ftivfmuter. 

1298  85  (0.4):  div. 

1299  Juni  83  (A.):  Ifite,  gezivge, 
Ni^nten.  —  Juli  83  (A.):  naevn, 
niwer,  nivnten,  gezivge. 

1300  83  (0.  5):  dorflüten,  gezivg, 
drivtzehen,(die),div.— 1303  22.  Juni 
8},  (A.):  triwe,  lüten,  frivind,  iriv. 
—  22.  Juni  (Duplikat):  luten. 


Bivren  (=  Buron), 
Bvlentaler  (n.  pr.). 


Chrivce. 
Evlentaler. 


vmbzvuet. 


187 


liAQtlehre. 


433 


iu  (alter  Diphtong) 

1303  Sept.  S,  (A.):  liubriefter,  hal- 
bew;  iy. 

1304  Se  (A.):  lAten,  aeUi^,  Tieriv, 
dnüzehen.  —  1304  Sg  (A.):  lute. 
—  S^:  iü;  löte. 

Sj  (0.5):  friymdy  niwer. 

1309  S^  (A.):  geziuge,  driuzehen.  — 
1313  S,  (A.):  laeuten. 

1313  S,  (A.):  aeu.  —  S,  (ü.  2):  ge- 
zittgy  freynden,  fireynd,  Dreyzehen, 
diu.  —  1315  Sg  (A.):  laeuten  (2  x), 
yerftiyren.  —  S^:  iu.  —  1317  Sg 
(0.  6) :  geziuge,  tli'^,  friwende,  lüt. 

1317  Sg  (A):  yientfchaft. 

1318  Sg  (U.  2):  aelliv,  di^,  driuzehen, 
geziflge,  tri  wer,  Liupolden. 

1319  Sg  (A.):  iü. 
1322  Sg  (A.):  livt. 

1324  S,o  (A.):  friynd,  elliy,  driy, 
lut,  laeuten,  triwn. —  1325  8|o  (A.): 
baidiy,  lut.  —  laeut. 

1326  ?  (C):  alliv,  gezivg,  men.. 

1329  Sg  (A.):  drivtzehen,  laeyte,  ge- 
ziyg.  —  Sg  (A.):  furlaeyt,  Laeyt, 
Chauflaeyt.  —  Sjg  (A.):  Neyn, 
Leut,  geziyg.  —  Sj,  (A.):  Nivn- 
den,  Leyten,  aelliy.  —  (Ö.2):  ge- 
ziyg, Nyynten. 

1330  Sg  (A.):  geziyg.  —  S,g  (U.  2): 
gezug,  driu,  aeUiu,  DrilTegoften. 

1332  bisch.  (A.):  haeuwe,  haeuw. 
Sjg  (A.):  lüt. 

Sii?(A.):  leut. 

1333  Sjg  (A.):  ftyur,  leut.  —  S^,  (A.): 
lut,  geziug. 


tu  (Umlaut  yon  ü) 
haufern. 

Eulentaler. 


Aeylentaler. 
Orutzer  (n.  pr.). 

Oraeutz. 


zaeunen. 

Cr&tz,  "^lentaler. 

hovfem. 
HWem. 
Oruces. 


zvnen. 
Chraeytze. 


heyfem. 

Chraeutz. 
Jeuchhart 
Heufer,  Höfer. 
Grütze. 


434 


Dritter  Abschnitt. 


188 


tu  (Umlaut  von  6) 
heufer. 
Cräze. 


immer  OhrAtz,  h&fer. 


Sj,  (A.)  Hüfer. 


Haeufem. 


tu  (alter  Diphtong) 
8^3  (hl.  Cr.  5):  lüten,  lut,  ßlchiv. 
1835  Sjg(U.5):  drivzehen.-S,,(U.B); 

durhlühtigen,  l&t  —  fiiuntlich,  driw, 

driv.  —  1337  8,8  (A.):  (euwiclich), 

fchidlut.  —    1338  8,^  (A.):   hiut. 

—  1339  8^8  (A.):  Laeut,  aelliü, 
geziüg,  N&nden.  —  8,,  (A.):  L&t, 
Niündeu.  —  1340  S^^  (A.):  Nien- 
zigolten. 

8^5 :    iu  und  iü;    lüt.  —    1345   S„ 

(R.  X 1 1 0, 3) :  fri^ntfchaft,  fri went- 

fchaft,  div. 
8 2«  (hl.  Cr.  5):    lüt,    geziug,    friunti 

driuy  dreozehen.  —  8,,  (A.):  L&te, 

Stiür. 
1348    Kaiser:    8i,   (A.)    laut.    — 

Pfalzgraf:    8j,   (A.)   laut.    — 

8i,  (A.):  iuch,  durchlüchtigften.  — 

—  lut.  —  1349  8,,  (A.):  Nun.  — 
Lut.  —  1350  8,,  (A.):  Lut,  fri&nd. 

1351  8,,  (R.  X^):  friuntlich,  Lüten, 

elliu,  diu,  Driutzehen.  —  8^,  (A.): 

lut,  Livpolt. 
1355  8ig  (CIO):  iu;  l&te.  —  1366 

8j^  (A.):  Aygenluten,  fchidlüte.  — 

8i,  (A.):  durchleuchtigift.  —  1367 

8,e(ß.l2):geziug,lut.— 8,e(R.13): 

lute,  haubtluten,  diu.  —  1373  8,« 

(R.  14):  druczenhundert,  driu. 

Bischof  und  Domkapitel: 

tu  (alter  Diphtong)  tu  (Umlaut  von  ü) 

1296  (R.X^5):  liute,  NiYntzigoItem. 

—  friwenden,  NiTutzigoftem;  i^.  — 
1305  (R,X|6):  triwen.  —   1313 


JudenhAfer. 


Geraeut. 


189 


Lautlehre. 


436 


tu  (alter  Diphtong) 
(H.  14):  frinnty   gezivge,   hivtigen, 

1338  (H.  17):  (haeuwe,  hae&w). 
1346  (H.  20):  iv. 

1346  (H.  20):  lute.  —  1349  Dom. 
(H.  21):  luten,  frifientlich;  (vflaüf). 

—  Nfiuden,  Driutzehen.  —  1350 
Dom.  (A.):  geziug.  —  (H.  22): 
friuendy  blutigen.  —  1374  Burg- 
graf (B.  12):  geziug,  (Awmullerin). 

Curia: 
tu  (alter  Diphtong) 

1320  (G.2):  aeUiv.  —  1327  (A.): 
'S'hiy  aelliu,  geziug,  lett. 

—  1337  (U.6):  lüt,  geziug.  — 
1345:  friund. 

Klöster: 
iu  (alter  Diphtong) 

St.  Cath.:  1279  (C.  2):  Gezivge, 
nivniv.  —  1321  (0.7):  driuzehen- 
Bundert.  —  1324  (C.  7):  laevt, 
triwn.  —  1338:  d^,  all^,  dri^. 

St.  Stephan:  1312  (ü.  2):  geziüge, 
driüzehen.  —  1327  (A.):  vntriwe, 
gezivge,  amptlAt. 

St.  Georg:  1282  (G.  1):  nivn,  ge- 
triwelichen.  —  1337  (A.):  leüt, 
fiu,  diu. 

St,  Ulrich:  1288  (U.  1):  gezvge, 
Ivte,  forgenantiy,  aehtiv.  —  1301 
(ü.  1):  T^fchen  (—  deutschen),  ge- 
aewge,  div,  driyzehen.  —  1 302  (U.  2) : 
dif.  —  1319  (U.  2):  geziüge,  lüten, 
getriweclichen,  Nivnzehenden.   — 


iu  (Umlaut  von  ü) 


Ohraeutz. 


Gh)tzhufer. 


tu  (Umlaut  von  ü) 
h^fer. 


Cr&tze. 

iu  (Umlaut  von  ü) 
Orüces. 


Cruz.  —  1368. 
haeufem. 


436 


Dritter  Abschnitt. 


190 


tu  (alter  Dipbtong) 

1323  (ü.  2):  leut,  difin,  Driutzzehen. 

—  1329  (ü.  2):  Nun. 
1333  (U.  2) :  frivntlich,  lut,  Dri^zehen. 
hl.  Creutz:  1311  (hl.  Cr.  4):  iv. 
1326  (hl.  Cr.  4)  div. 
1339.  friunde,  gezivge. 
Spital:  1284  (A.):  gezivge. 
Juden:  1308  (A.):  triw,  (kaeyfen), 

hovfer. 


in  (Umlaut  von  ft) 


13B7  zaeunen  (naeun). 

Crulz. 

Crutzes. 

Crutz. 

hoWer. 


u. 


U  und  U. 


Stadtbuch: 

tu  (alter  Diphtong)  tu  (Umlaut  von  A) 

Grundtext:  Sj  (21  a):  iu;  hewe. 
S,  (25b):  iu;  kaufluten,  lantluten. 
S3(I5a):   getrivlich,    getriwen,    ge-     zivne(52a). 

triulichen.  —  iv  und  iü. 
Sg  (24a):   iv.  —  S^  (52a):   iu;   Rt     zoeune. 

(52a).  —  friunden (54 a).  —  S^,:  iu; 

lute. 


Achtbuch: 

iu  (alter  Diphtong) 
Sj^:  1341  gantzi^,  driv  (49  b). 

1342  lüt  (51  b). 

1343  gantziy  (55  a).  —  lute. 

S,^:  1352  Nivburg  (16  b). 

hfifer  (26  a). 
Sj«:  1368 friund (28a).— 1370 leuten     Crutz  (27  b).   —    1S45 
(28  b).  Butler  (n.  pr.)  (58  a). 

—  1350  (Ainnhufer). 

hufet(67a).  —  1353 

Baeutlerkneht  (17  b). 


tu  (Umlaut  von  ft) 

Cruces  (5  b).  —  Byer- 

briven  (H  b). 
rumet  (6  b). 
BvrTn  (10  a).  —  hylcrvtz 

(n.  pr.)  (11  a).  — 

krutz  {l'^  a). 
priykneht  (16  b).  — 


191  Lautlehre.  437 

ie:  Belege. 

Urkunden: 

städtische:  1273.   brief  S,    (A).  —  1282.  gienge  S^  (H). 

—  (di)  brif  S3  (A).  —  1284.  brief,  liezzen, 
gedinet  S^.  —  1293.  brif,  dinen  S«  (C.  4).  — 
1294.  briefe  S^  (R  X  |  6,4).  —  1298.  brief, 
brif  Sß  (C.  4).  —  1300.  brief,  chrick,  fchiede 
(conj.)  83  (0.  5).  —  1303.  22.  Juni:  ie;  (fient). 
83  (A)  «a  1303.  22.  Juni  (Dupplicat) :  ie;  (fient). 
8«.  —  1317.  chriek  Sg  (A).  —  1319.  (iSmen, 
ietwedern)  8^.  —  1322.  ie.  8^.  —  1329.  Dyener, 
brif,  (dl)  8^.  ~  1333.  rieten  8,2  (hl.  Cr.  5).  — 
1335.  nieffen,  brief  81g  (U.  5).  —  lieplich  8,3.  — 
1345.  brif,  brief,  nieffen  8^^  (hl.  Cr.  5).  —  1348. 
Kaiser:  ie;  8,,  (A).  —  1350.  brief  81,. 

bischöfliche    und  Domk.:  1296.   brief  (R  5,7).    —    1374. 

Burggraf:  brief,  angieng  (R  12). 
Klöster:  8t.  Cath.:  1355.  piut.  — 

8t.  Georg:  1337.  Briefter.  — 
8t.   Ulrich:    1323.   niemant,    criek.   —    1329. 
lublich,  niezzen. 
Stadtbuch:  ufzliezende  8^  (48  b)  —  (begriefen). 
Achtbuch:  1340.  nyeman  8^^  (8  b).  —  1350.  verbiut  8,, 

(67  a).  —  1370.  briuef  8^^  (28  b). 

iu:  Geltung. 

Die  Behandlung  des  alten  Diphthongs  iu  in  den  Quellen 
bedarf  einer  besonderen  Aufmerksamkeit.  Dazu  veranlasst 
vor  Allem  eine  Beobachtung,  welche  sich  durch  das  Urkunden- 
gebiet Augsburgs  hindurch  anstellen  lässt :  in  der  Schreibung 
nämlich  geht  ein  Teil  der  iu  mit  dem  Umlaut  von  ü  zusammen, 
und  so  giebt  sich  auf  dem  ganzen  Gebiet  von  tu  eine  dem- 
entsprechende  Abweichung  in  der  Annahme  des  neuen  Diph- 
thongs kund.  Hinsichtlich  des  letzteren  Vorgangs  stelle  ich 
voran,    dass  Kauffmann^    in   der  Entwicklung  von   mhd.    in 

^  Kauffm.:  schw.  M. :  §  138.  Anm. 


438  Dritter  Abschnitt.  192 

geradezu  das  wichtigste  Argament  für  das  Auftreten  der 
aeuen  Diphthonge  im  13.  Jh.  sieht,  indem  er  die  Diphthon- 
gisierung  dieses  Vokals  vor  das  Zusammenfallen  von  u  und  t 
setzen  zu  müssen  glaubt.  Er  geht  auch  bei  diesem  Urteil 
Yon  Zeugnissen  augsburgischer  Urkunden  des  13.  Jhs.  ^  aus. 
Allerdings  erscheint  1283  (6.  Dec.)  baidev  (n.  pL),  doch  ist 
der  Schreiber  der  auch  sonst  abseits  stehende  Stadtschreiber 
Rudolf  (S3).  Erst  sehr  yiel  später  schreibt  derselbe:  1296. 
33.  April:  Evlentaler,  —  1299.  11.  Juli:  naevn.  Daneben 
stehen  jedoch  soviel  tu,  dass  es  nicht  geraten  erscheint,  von 
der  zeitweiligen  schriftlichen  Darstellung  des  tu  aufsein  wirkliches 
Leben  als  «u  zu  schliessen.  —  Die  Zeugnisse  gewannen  aber 
für  mich  eine  andre  Bedeutung,  als  ich  dieselben  den  übrigen 
Schreibungen  des  tu  gegenüberstellte  und  eine  gewisse  Kegel- 
mässigkeit  des  Vorkommens  der  gewählten  Zeichen  in  gewissen 
Stellungen  entdeckte.  Es  hoben  sich  nämlich  mit  einer  hohen 
Bestimmtheit  einige  Wörter  aus  dem  Gebiet  des  alten  in 
heraus :  liuUj  tiutsch  und  niun,  *  Ich  komme  damit  auf  eine 
schon  von  Brenner  und  Behaghel  berührte  Frage,  welche 
durch  die  Resultate  ihrer  Behandlung  argumentierende 
Wichtigkeit  erlangt  hat.  Beide  '  wiesen  auf  die  ungewöhnliche 
Hinneigung  des  Hute  und  niun  zu  der  Umlautform  des  ü  hin, 
und  es  stellte  sich  ihnen  bei  der  Prüfung  bairischer  und 
würzburgischer  Urkunden  des  13.  Jhs.  heraus,  dass,  wenn  sonst 

^  Unter  den  von  ihm  angezogenen  Beispielen  sind  nur  wenige 
stichhaltifr;  leit  u.  a.  kommen  gar  nicht  in  Betracht,  da  sie  Urkunden 
der  Herbartschen  Sammlung  entnommen  sind  (ygl.  das  früher  bei  ei 
darüber  Gesagte). 

^  di^f  allv  (fem.),  dri^  in  einer  Urkunde  von  St.  Cath.  1838  4.  Aug. 
(St.  C.)  können  nicht  als  Beweis  für  eine  über  die  angeführten  Wörter 
sich  erstreckende  Angleichung  an  Umlauts-ü  gelten,  da  die  Belege 
einer  Ellosterurkunde  angehören,  deren  Orthographie  auch  bei  dem 
Zeichen  iti  eine  sehr  wechselnde  ist  Beruht  die  Schreibung  aber  auf 
physiologischen  Gründen,  so  dürfte  u  nur  B^duktion  aus  tu  sein  (vgi 
Kauffm.  schw.  M.  S.  85  und  Fischer :  Germ.  86,  418).  Der  aligemeine 
Charakter  des  Schriftstückes  versetzt  den  Schreiber  jedenfalls  ausserhalb 
Augsburgs. 

*  Brenner :  Germ. :  Behaghel :  Germ.  XXXIV,  245  und  247. 


193  Lautlelire.  439 

der  Umlaut  von  ü  mit  aeu  gegeben  wurde,  während  eu  für 
alten  Diphthong  tu  gesetzt  wurde,  auch  Hute  und  niun  der 
ersteren  Behandlung  folgten,  so  jedoch,  dass  Zeichen  aeu 
neben  u  und  eu  neben  tu  einherging.  Die  Augsburger  Ur- 
kunden nun  nicht  allein  des  13.  Jhs.,  sondern  während  imserer 
ganzen  Periode  stellen  sich  zu  diesen  Thatsachen  derart,  dass 
sie  zwar  neuen  Diphthong  nur  für  früheres  Umlauts  -u  ein- 
treten lassen,  dass  sie  jedoch  beide  Zeichen  eu  und  aeu  in 
Hute  verwenden.  Nach  den  mir  vorliegenden  Zeugnissen 
wenigstens  ist  Hute  nur  anfangs  mit  tu,  in  der  ganzen  folgenden 
Zeit  mit  eu  und  aeu  neben  u  geschrieben,  und  zwar  auf  dem 
ganzen  Augsburger  Urkundengebiet.  Lassen  wir  zunächst 
die  Frage  nach  Beeinflussung  von  aussen  beiseite,  so  ist  es 
doch  kaum  ein  Zufall  zu  nennen,  dass  die  Schreiber,  nachdem 
sie  aeu  für  Umlauts-ü  (u  geschrieben)  angenommen  haben, 
nun  auch  dasselbe  Zeichen  für  die  Wiedergabe  des  Vokals 
in  Hute,  geschrieben  lute,  wählen.  Konsequenz  in  der  Be- 
handlung des  Buchstabens  kann  nicht  allein  die  Ursache  sein ; 
dass  etymologische  Bücksichten  die  Wahl  bestimmt  haben, 
ist  nicht  erweisbar;  denn  eine  ahd.  oder  germ.  Form  luti 
kennen  wir  nicht.  Behaghel  macht  nun  die  Beobachtung  in 
den  Oberaltacher  Predigten,  dass  niun  und  nur  der  Pluralis 
von  Hut  mit  u  oder  aeu  geschrieben  wird,  während  der 
Singularis  stets  mit  tu  erscheint^.  Ich  möchte  dazu  nicht 
Stellung  nehmen,  mit  Rücksicht  auf  die  Einschränkung,  die 
durch  meine  Nachweise  Behaghels  Hypothese  zu  erleiden 
scheint  und  die  auch  einer  gleichen  betreffs  meines  Materials 
drohen  kann;  doch  finde  ich  in  meinen  Quellen  durchaus 
Bestätigung  ^. 

^  Graff  im  Gegenteü  bietet  200  Belege  für  den  Stamm  Hut-  and 
nur  1  dagegen:  lut^. 

^  Zu  Behaghels  Hypothese  (Hut  —>  Volk  ->  Sing. ;  laeutj  Uut  1— 
Plnr.):  Oberalt.  Fred.:  laeut,  laut  »  Flor.:  7,10:  luten  —  10,80:  die 
laeut  —  12,16:  die  laeut  —  16,9:  luten  —  17,6:  aUiu  eine  nlout  — 
17,13:  laeut  —  81,85:  litten  —  81,30:  da  der  laeut  vü  zesamen 
chvmen  waz  —  8,10:  zweier  hande  laeut  ({oeu^  i-i  Leute?)  —  8,24: 
saget  dem  laeute,  daz  da  ze  Jerusalem  hehaft  ist,  (zwar  Lesart  B :  den 

29 


440  Dritter  Abschnitt  194 

Wie  ist  nun  der  Lautwert  des  alten  Diphthongs  tu  ge- 
wesen? Die  ersten  Urkunden  und  ihnen  nach  die  weitaus 
grösste  Zahl  der  andern  des  13.  Jhs.  bieten  tu  für  das  ganze 
öebiet  des  Diphthongs;  indes  ist  eine  diphthongische  Aus- 
sprache i'U  darnach  anzunehmen  deshalb  nicht  angezeigt» 
weil  die  ersten  Schreiber  zunächst  der  üeberlieferung  gefolgt 
sein  werden.  S,  schreibt  gezivge  und  hält  diese  Schreibung 
von  1386  an  durchaus  fest;  er  unterscheidet  allerdings  noch 
nicht  liute  von  den  andern  tu,  indem  er  liite,  Tivfdie,  dir, 
eUiv^  gezivge  gleich  behandelt.  Eine  Analyse  dieser  Form 
nach  dem  geltenden  Wert  führt  durchaus  auf  die  von 
fiechstein^  als  mustergültig  empfohlene  Aussprache:  t-ä. 
So  sehr  also  cteu  seiner  (Rudolfs  =  S,)  eigenen  Aussprache 
des  Umlaut  -ü  und  des  tu  in  liute,  niun  entsprochen  haben 
mag,  ebenso  eindringlich  machte  sich  der  augsburgisch-mund- 
artliche ü-Klang  geltend;  der  um  1300  schliesslich  durch  ihn 
mit  u  in  luten  seinen  Ausdruck  fand  ^.  Im  Laufe  des  14.  Jhs. 
mag  sich  dann  der  Doppelklang  eu  (ae^)  fiir  das  eine  Gebiet 
Yon  tu  ausgebildet  haben,  während  das  andere  teils  dem 
Erlange  m  zuschritt ,  teils  ganz  der  Entrundung  zu  t  und 
schliesslich  der  Verflüchtigung  zu  e  (fem.  sing,  und  plur.  u. 
neutr.)  erlag.  Der  Weg  von  tu  zu  eü  könnte  etwa  der  ge- 
wesen sein,  dass  nach  der  Praxis  der  echten  Diphthonge  der 
zweite  Bestandteil  ein  höheres  Gewicht  erhielt,  t  sich  zu  e 
verflüchtigte  und  so  eü  erfolgte. 

leuten;  jedoch  wird  fortgefahren  in  der  folg.  Anrede  an  das  Volk  zu 
Jerusalem:  din  chunick  chumt  dir.)  —  31,Vi9:  da  des  Hutes  vil  was  — 
62,37:  an  dem  jüdischen  lute  (Lesart  B:  l'ten).  —  64,10:  acht^phiier 
gfoaier  lutCj  der  Juden  und  der  ?uiiden.  —  66,36 :  judieckin  diet  (Sing.) 
(—  liut?).  —  68,13:  judisch  Hut  (. . .  daz  ist  daz . . .).  —  68,26:  des 
judischen  Hutes.  —  73,16:  do  Moyses  der  unsere  herren  lut  fürt  uz 
Egypto  . . .  der  selb  Josue  fürt  si  .. .  —  76,1 1 :  den  zuniien  luten  (Völkern). 

^  Germ.  Y,  403.  Vgl.  dazu  noch:  B.  Bechstein:  die  Aussprache 
des  Mittelhochdeutschen.  Halle  1868.  Referat  darüber:  Anzeiger  der 
Kunde  fiir  deutsche  Vorzeit  1868.  Zamcke:  literarisches  Centralblatt 
1858.     Nr.  U. 

'  Vereinzelt  schrieb  Sa  in  einer  Eintragung  im  Stadtbuch  25b 
schon  Ivt. 


]  96  Lautlehre.  441 

tu:  alter  Diphthong:  Bezeichniiiig. 

Zur  graphischen  Wiedergabe  des  Diphthongs  tu  stand 
den  Schreibern  zunächst  tu  zu  Gebote.  Als  bei  den  schon  be- 
sprochenen "Wörtern  die  Näherung  an  das  Umlaut  -ü,  vielleicht 
sogar  Gleichstellung  mit  ihm,  zum  Bewusstsein  kam,  nahm 
man  das  u  an,  setzte,  wenn  man  den  neuen  Diphthong  geben 
wollte,  aeuj  ouy  selten  eu  \  um  die  überkommene  Schreibung 
tu  zu  wahren,  die  Richtung  der  Entfernung  aber  von  tu  nach 
u  hin  zu  nennen,  bediente  man  sich  der  Schreibung  mit  e 
über  u  =  tu.  Diese  Gestalt  hat  sich,  nachdem  sie  einmal 
in  dem  letzten  Jahrzehnt  des  13.  Jhs.  durch  S3  ins  Leben 
gerufen  war,  die  ganze  Zeit  hindurch  herrschend  erhalten. 
Da  man  oft  das  ümlaut-ü  auch  in  den  ihm  zukommenden 
Stellupgen  als  solches  nicht  markierte,  so  gab  man  auch  litUe 
einfach  als  liUe^,  wobei  allerdings  durch  Nachlässigkeit  des 
Schreibers  der  Index  nur  übergangen  sein  könnte ;  es  scheint 
mir  jedoch  in  der  Setzung  des  u  fiir  u  eine  gewisse  Legitimität, 
wenigstens  ein  Streben  nach  Konsequenz  und  Vereinfachung 
zugleich,  zu  liegen ;  denn  sie  findet  sich,  wie  in  der  allerersten  Ur- 
kunde neben  fitr  :  für,  neben  Crvee:  Criucey  so  später  z.  B. :  1324. 
24.  Febr.  lut  (=»  lit)  (S^?).  u  als  u  ist  femer  geschrieben: 
1326 in:  tmneny  Ivten  (gezwg)  S^^.  —  1330.  gezug  S^.  Aus- 
schliesslich klerikal  ist  die  Schreibweise  iv  und  ev^.  — 
Schreibungen,  wie  Ntenzigoften  (1340.  2.  Febr.  Sjg)  beruhen 
auf  Verwechselung  des  tu  mit  tu  für  ie,  das  damals  noch  als  tu  ge- 
schrieben wurde.  Niun  tritt  mehrfach  als  niwn  auf;  es  wäre 
ein  Vorschlag,  in  dieser  Erscheinung  eine  Etymologie  niw{e)n 
>  nitüin  (vgl.  friwend  ^frivind)  und  dadurch  eine  schwache 
Erklärung   für  das  Umlaut  -ü   zu   suchen.  ^     Die  Zusammen- 


»  1329.  23.  Febr.  Nevn,  Leut  (89).  —  1329.  29.  Juni:  Levten^ 
Mvnden  (S»).     1340.  2.  Febr.  kaiserlich:  chauflaut. 

^  Es  ist  auch  diese  abweichende  Schreibweise  klerikalen  Schreibern 
vornehmlich  angehörig:  z.  B.  1*^88  gezvge,  Ivte  (U.). 

»  1^90.  18.  Okt.:  liUe  —  dit).  —  1321.  Crüces  (K.).  —  1319.  geziüge 
(M.).     1337.  leut  (G.). 

*  Vgl.  Behaghel :  Germ.  34,251,  welcher  sich  ähnlich  über  2iu^e äussert. 

29* 


442  Dritter  Abschnitt.  196 

Setzungen  mit  litüe  erscheinen  nie  in  der  Schreibung  lit,  sondern 
nur :  Uutpriester,  liupristerj  lAupoldm*  Die  Schreibweise  NuCnUig 
in  einer  Urkunde  Augsburgs  von  1342  31.  Okt.  an  Nördlingen 
dürfte   als  eine  Koulanz  gegenüber  dem  Adressaten   gelten. 

tto 

Der  Doppellaut  ist  zweifellos  gesprochen  worden*,  die 
schwankende  Schreibung,  bald  u,  bald  u,  kennzeichnet  die 
Unbestimmtheit  des  zweiten  Bestandteils  hinsichtlich  seiner 
Lautfarbe,  m  für  uo  ist  bairisch  im  14.  Jh.  sehr  gebräuchlich', 
auch  im  Schwäbischen,  aber  seltener;  das  Augsburgische 
scheint  zeitweise  sehr  dazu  zu  neigen.  Das  Schwanken  zwischen 
uo  und  ue  im  Yolksmunde  bezeugt  deutlich  das  Schriftzeichen 
ue,  das  im  12.  bis  15.  Jh.  vorkommt:  tuen^.  Im  Übrigen 
verweise  ich  auf  das  bei  ü  Gesagte. 

üe:  Umlaut* 

'Im  14.  Jh.  ist  tie  ziemlich  fest ;  wir  begegnen  ihm  in  den 
folgenden  Jahrhunderten  bis  ins  18.  Jh.  hinein  überall  in 
den  Schriften.  Die  Mundarten  halten  es  bis  heute  fest.  Un- 
echter Umlaut  ist  besonders  beliebt  in  tuen  =  tuon  *.  In  unsern 
Quellen  ist  der  Umlaut  bezeugt,  Zeichen  ist  u ;  vgl.  das  beim 
Umlaut  von  ü  Gesagte. 


*  Weinhold:  bair.  Ghramm.  §  107. 

•  "Weinhold:  alam.  Gramm.  §  108. 

•  Weinhold:  bair.  Gramm.  §  107. 

*  Weinhold:  bair.  Gramm.  §  109;  dazu  vgl.  §  801. 


197  Konsonantismiu.  443 

Konsonantismus. 

Allgemeines. 

Ich  bemerke  von  vomherem,  dass  bei  der  Beurteilung 
des  augsburgischen  und  gemeinschwäbischen  Konsonantismus 
aus  der  Orthographie  der  schriftlichen  Denkmäler  das  Be- 
denken sich  ganz  besonders  erhebt,  ob  sich  die  Orthographie 
auf  schwäbischem  Territorium  als  natürliche  Ausdrucksform 
der  schwäbischen  Laute,  oder  ob  sie  sich  in  den  verschiedenen 
Perioden  unter  dem  Einflüsse  verschiedener  nicht  schwäbischer, 
namentlich  lateinischer,  Schreibmuster  entwickelt  hat,  wonach 
die  Buchstaben  überhaupt  nicht  direkt  mit  den  schwäbischen 
Lauten  verglichen  werden  könnten.  Die  Aufgabe  ist  immer- 
hin, die  Orthographie  vorerst  von  der  schwäbischen  Laut- 
geschichte aus  aufzuklären  und  hernach  sich  nach  den  zu 
Grunde  liegenden  Schreibmustern  umzublicken. 

b  und  p:  Belege. 

Urkunden: 

b  (an-  und  inlautend)  p,  und  b  (auslautend) 

1273  S^:  b.  wip. 

1282  8,:  aber;  b.  —  1283  25.  März:  Liuprifter,  niderhalp, 

S3:   p;    behapt,    auer,   kvmpt.   —        -halp. 

4.  Oct.  83 :  b;  verlopt.  —  17.  Dec. 

Rat  83 :  b ;.  drüber. 

1284  83:  b.  liplich. 

1290  ?:  gelopten.  —  83:  perchhof.  b  (=  auelaut.  b). 

S3:  brudren,  perger,  beidiv.  liuprifter. 
Bat  83:  chvmt. 

1292  83:  pei.  Liutprifter  —  halb. 

1296  85 :  hovptman.  Erzbriefter.  — I297S3: 

lipgedinge. 

1299  83:  faelben,  belib.  balmen. 

1300  83:  pinden;  b.  ainhalp. 
1303   83:   pirten.    —    1304   83:   b;  wib. 

purkarten. 


444 


Dritter  AbMfanitt 


198 


b  (an-  und  inlautend) 
1309  S^:   paYmgarter.  —   1311  S^: 
pitfchlin.  —   1313  S^:  pifchof;  b. 

—  1828  S^:  paten.  —  1326  Sj^^: 
b;  bochgelobten,  (witbe).  —  1399 
8^:  Purgern,  Purger. 

1830  S^:  witiben. 

1330  Kaiser  S^:  Prande,  briider.  — 

1332  8^2*  ^)  nimpt,  kumpt. 
1336  8^8 :  prvnneD,  bie,  prvgge,  burger. 

—  1337  Sjg:  flaefchpank,  flaefch- 
bank,  -banch.  —  1338  S^j :  Purger- 
maifter.  —  1340  8^^ :  PeckkenhaAs, 
pnrggrafen,  Privhaus,  purger,  ver- 
punden.  —  1341  8^^:  kumpt. 

1342  815:  Purger,  bowt,  burger.  — 
Si5  Rat:  b.  —  8^^ :  purger,  purger- 
maifber,  yerdorwen. 

1342.  ?:  b;  (belib).  — 1343  8,^:  Perck- 
hofy  ynuogtpärf,  brüder.  —  1346 
8^^:  Purgen,  Purger,  gepurd,  brif. 

—  1360  81,:   Brotyfch,  protyfcb« 

—  1367  81,:  b;  (Morgengab). 

1366  8,«:  b;  (hauptlüten). 

1367  81^:  b;  (haubtlüten). 
1367  810 :  b;  überlebte. 

8],:  immer  b  anlautend.  —  1368  81^:  b. 
1379  8^0:  purger,  purgermeilüter,  prief. 


Py  und  b  (auslautend) 

lipgedinge. 


lieplioh. 

chumpt;  b  (aul.)  =b. 

grap,  halppfiint. 


balbhübe. 


libding. 


lieplich. 

lipting. 

b  und  p  auakntend. 


Bischof  und  Domkapitel: 

b  (an-  und  inlautend)  p^  und  b  (auslautend) 

1296:  b.  —  aver,  hovptman.  —  1300:     Tvmbroft. 
hochgelopten.  —  1326 :  Pifchof.  — 
1343:  Pyfchof.  —  bis  1349:  p  (= 
anlautend  b). 

1349:  Byfchof.  Tumprobft. 


199 


Kon8onantitmu8. 


446 


Klöster: 

b  (an-  und  inlautend) 

St.  Cath.:   prief,  baz.  —  1331:   b; 

iuber.  —  1355:  pint. 
hl.  Creutz:  1311:  prief.  —  1317: 

paidiv. 
St  Ulrich:  1321:  pach,bede8,felwen. 
1333:  lib.  —  1342:  prief. 
1366:  b. 
St.  Georg:  1337:  b.  —  1338:  (ge- 

rubeclich). 
St.  Moritz:  Pyfchof. 
Curia:  1320:  b. 

Stadtbach 

b  (an-  und  inlautend) 

Grundtext:  ufgehabt  (4b)  lembe- 
rin,  linvarbemy  beckin  (77  b).  amptes 
(6  a).  rindespuch  (106  b).  haupgut 
(19  a).  chelberbuch  (107  a).  rindes- 
puch, lemberbuch  (107  a).  auspur- 
gaem  (21  a).  smerwes  (16  b).  pyrun 
(16  b).  hauptet  (36  a).  brugge  (21  b), 
grabes  («=»  graues) ,  samptkaufes, 
(kumt);  einyarbez  (26  b).  apprichet, 
appraechC;  allesampt  (29  b).  brichet 
(28  b). 

S,:  paun wolle,  aver,  prichet,  brichet, 

aver  (34  a).  anbehapt  (30  b).  (witwe). 

habt  (82  b).  aver  (119  b). 
S,:  brichet  (28  b).  —  amptman,  am- 

mann.  —  b;  purchreht  (37  b).  an- 

behabt  (33  a).  aver  (37  b). 
geruwechlich  (82  b).     behabt  (84  a). 

hauptgut. 


pj  und  b  (auslautend) 


Probft. 


libting,  lublich. 
1366:  leib. 
Briefter,  Probft. 

1338:  brobft,  vfferhalp. 
kümpt. 


p,  und  b  (auslautend) 

strazraup  (4  a),  gab(la). 
beize  (77  b).  lipgedinge 
(5  a).  Sippe  (77  b).  lip- 
nar(14b).  urlaup(18a) 
geftemphet(19b).  bil- 
gerin  3  x  (49  a).  liu- 
prifterf  (ephel)  (16  b). 
enphure,  ietwederhalp, 
halp  phunt  (21  b).  uz- 
treip,  selpscholen  (23b) 
berlaich  (29  b) ,  selp- 
schol  (34  b),  diupstal. 

halp  phunt,  selpherren 
(30  b).  probft  (112  a) 
(1  x)  —  bropft  (3  x). 

lipgedinge. 


selpschol. 


446 


Dritter  AbBchnitt. 


200 


b   (an-  UDd  inlautend) 

S5:  aver(36b).  aver(40b). 

S^:  (ruwechlich),  bruder.   S^:  haupt- 

gütz.  Sj^:  behabt;  aver  (97  b). 
Sj,:  haubten  (34  a).    geprechen,  ge- 

hebty  ufgehebt. 
1350:  aver  (11  a).    pezzmng  (125  a). 
witibe  (95  a).    awer  (146  a). 
(allweg)  (37  b),  achtpüch. 
Sj^:  1383  ipezzeni  (154a).  1384:pezze- 

range(154a).  1384:  bezzem, porten 
.    (Ha).     1385:  pezzem  (88b). 

Achtbuch: 
b  (an-  und  inlautend) 

1339  Sjg:  purger  (48a).  Sjj:  burger, 
purger.    1341  8^5:  burger,  bofheit. 

1341  S15:  bofhait,  purger  (50  b). 
burger. 

diepin,  diup,  diep  (50  b).  Sampstag 
(51  b). 

1343  Sj^:  b.  (54  a).  burger. 

1345:  b.  1346  S^,:  nimt  (62  a).  1349 
(ebichlich)  (65  a).  1351  S^,:  püb 
(67  b).  1352 :  kumbt  (67  b).  haimbt 
(70  a).  gelembt,  Ambts,  privkneht, 
Nivburg  (16  b). 

1353 :  (Gabin  [früher  Gawein])  (17  b). 
gelembt,  plienfpach  (17  b).  gepirg. 

1355:  pozz  (94  b).  erlembt,  Aem- 
manin  (19  b). 

1356:  (gelemet)  (20  a).  1357:  Beck 
(18  b).  1358:  peckenkneht  (21a). 
Becken  kneht,  Becken  (21a).  Pircken- 
fiizz. 


Pj  und  b  (auslautend) 
wip. 

babftes  (77  b),  sippe. 

uzzerhalb   (24  b) ,    lib, 
selbwaibel  (34  a). 

Urlaub  (125  a). 

prelaten  (95  a). 

halb  (37  b),  pranger. 

kappen  (11  a).    berl, 
eweip. 


Pj  und  b  (auslautend) 


Branger. 
diep  (50  b). 

Brobpft  (53  a).  bryfvn, 
Brifvne(53a)  branger. 

Branger.  S^, :  prifun 
(56  b). 


plienfpach. 
rapUch  (19  b). 
diuplich  (20  b). 


801  KonsonantismaB.  447 

b  (an-  und  inlaatend)  p,  und  b  (anslantend) 

1360 :  b.   1362 :  erlernt  (23  a).  kalpflSfch  (22  b). 

1363 :  plaich  (23  b),  pett  (23  b),  pach-      1364 :  kalpflechin,  kalp- 

ritter  (n.  pr.)  (24  a).  fleifch  (24  a). 

1364 :  braht  (24  b).  1365 :  bürtig  (25a).      Swap  (26  a). 

erlernt.  1366:  panck  (28  b).  1367: 

Lerchenp6glin  (n.  pr.)  (26  a).  1367: 

vorburg  (26  a),  pett.    1368:  vfen- 

brehtin,  Butrichs  (27  b).  1369  Sj«: 

erlembt,  gelemet  (27  b).  Elyzabeth. 
1370  Sj^:  pozzheit,  Ups,  lip,  zappffen     Sj^:  üb,  weib. 

(28  a),  Purg,  bozlichen,  Pofwiht. 

b:  Geltung. 

WeoD  ich  in  den  allgemeinen  Bemerkungen  das  Bedenken 
Yoranstellte,  ob  der  Augsburger  des  Mittelalters  die  Schreibung 
seines  Konsonantismus  nach  der  lebenden  Sprache  regulierte, 
so  scheint  dasselbe  durch  die  Praxis  des  weichen  Explosiv- 
lautes der  labialen  Gruppe  gerechtfertigt.  In  der  Schreibung 
nämlich  verwenden  die  augsburgischen  Schreiber  des  13.  und 
14.  Jhs.  p  und  6,  in  der  modernen  Sprache  aber  treffen  wir 
vom  Gesichtspunkte  der  romanischen  Laute  aus  urteilend  all- 
zuhäufig auf  eine  Nichtübereinstimmung  des  gehörten  Lautes 
mit  dem  Zeichen  dafür.  Wir  müssen  daher  der  Orthographie 
der  Labialen  Ursachen  zu  Grunde  legen,  welche  im  all- 
gemeinen in  dem  Satz  ihren  Ausdruck  finden,  dass  die 
Buchstaben  p  und  b  der  Augsburger  Denkmäler  in  der  Haupt- 
sache Erzeugnis  des  Schreibusus  sind,  dem  sich  die  augs- 
burgischen Schreiber  unter  dem  Einfiuss  der  lateinischen 
Schreibtradition  nicht  entziehen  konnten  und  der  von  ihnen 
nur  in  den  Fällen  merklich  genug  durchbrochen  wurde,  wo 
die  Eigenart  der  heimatlichen  Sprache  dringend  ihr  Recht 
forderte.  Das  Lateinische  besass  zwar  annähernd  Entsprechungen 
für  ein  anlautendes  und  ein  auslautendes  6,  etwa  wie  es  in  burger 
oder  gab  gehört  wurde,  und  bot  dafür  b  und  p  als  Zeichen,  aber 
dem  aufmerksamen  Ohre  entging  nicht  der  unterschied  zwischen 


448  Dritter  AbsohDÜt.  202 

dem  augsbnrgischen  b  im  Inlaut  zwischen  zwei  Selbstlauteni 
und  dem  b  des  Romanischen  in  gleichen  Stellungen ;  ein  solches 
b  klang  dem  Augsburger  wie  w.  Was  lag  also  naher,  als  dass 
der  augsburgische  Schreiber  fär  den  härtesten  Laut,  welchen 
er  hervorbrachte,  p  wählte  ?  Da  er  jedoch  nicht  p  sprach,  sondern 
nur  eine  weniger  Schärfung  als  Dehnung  zu  nennende  Ver- 
stärkung des  b  zu  bb,  die  Ton  der  anlautenden  etymologischen 
hochdeutschen  Lenis  in  der  Explosion  sich  nicht  merklich 
unterschied,  verwendete  er  daneben  als  Zeichen  sowohl  6  f&r  jenes 
etymologische  p,  als  umgekehrt  p  für  etymologisches  b  gleich  ro- 
manischem b  am  Anfang  und  Ende  des  Wortes,  p  aber  schrieb  er 
für  beide  mit  Vorliebe,  weil  er  sich  in  dem  b  ein  Ausdrucksmittel 
für  das  ihm  eigene  inlautende  b  zwischen  Vokalen  wahren 
musste,  wenn  er  der  lateinischen  Verwendung  gerecht  werden 
und  doch  die  Abweichung  von  anderen  b -Lauten  markieren 
wollte,  ohne  das  aussprachgemässe  w  zu  verwenden;  denn 
letzteres  konnte  er  von  seiner  halbvokalischen  Geltung  nicht  zu- 
viel einbüssen  lassen.  Physiologisch  genau  arbeitende  Schreiber 
aber  scheuten  in  solchen  Fällen  nicht  vor  einem  gelegentlichen 
u  oder  v  für  b  zurück. 

Nach  allem  diesem  hat  der  Augsburger  des  13.  und  14. 
Jhs.  für  die  Labialis  im  Anlaut  anstelle  des  gotischen  b  nur 
einen  Laut  gekannt,  der  dem  des  etymologischen  p  in  der 
mundartlichen  Aussprache  derartig  gleich  klangt  dass  man 
die  wechselnde  Bezeichnung  mit  den  von  der  Schriftsprache 
gebotenen  Buchstaben  b  und  p  nicht  beanstandete.  Im  modernen 
Augsburgisch  glaubt  Birlinger'  für  das  an-  und  auslautende 
b  zwei  Richtungen  unterscheiden  zu  müssen:  h)  b  =  dem 
reinen  natürlichen  Laut  des  romanischen  b  zu  Anfang  und 
Ende  des  Wortes.  —  h)  b  =  einem  zu  bb  verschärften  Laut^ 
welcher  den  romanischen  p-Laut  vertritt,  ihm  aber  nicht  ganz 
entspricht.  —  Es  ist  mir  nicht  gelungen,  als  ich  Gelegenheit 


>  Mittelstellung:  zwischen  b  and  p  für  die  Media  b  hat  auch  die 
heutige  rheinpfalzische  Mundart :  Nebert :  Speirer  Kanzleisprache  (Disser- 
tation, Halle  1892),  S.  56. 

•  Birlinger:  Wörterb.  S.  89. 


203  KoDsoDantismus.  449 

hatte,  selbst  an  Ort  und  Stelle  Beobachtungen  zu  machen, 
zu  einem  gleichen  Resultat  zu  kommen;  ich  habe  vielmehr 
einen  unterschied  in  der  Intensität  der  Explosion  nicht  ent- 
decken können,  auch  nicht  eine  gleichmässig  verschiedene 
Dauer,  sondern  mir  ist  nur  etwas,  wenn  ich  so  sagen  darf, 
eigentümlich  Verhaltenes  in  der  Aussprache  jedes  hochdeutschen 
b  aufgefallen,  so  dass  in  keinem  Falle  ein  Hauch  hörbar  wird. 
Es  vibriert  der  sich  hervordräiigende  Ton  einen  Augenblick 
zwischen  den  Lippen,  so  zwar,  dass  ihn  die  Unterlippe  an  die 
obere  heranzudrücken  scheint  mit  dem  Bestreben,  den  Ausbruch 
zu  mildem,  ohne  ihn  aber  in  einen  Hauch  ausklingen  zu  lassen; 
ein  N}h  vermag  ich  also  mit  Birlinger  nicht  anzunehmen,  noch 
weniger  für  die  Zeit  unserer  Quellen.  Man  gestatte  mir  dies 
an  folgendem  zu  entwickeln.  Wenn  die  Labialis  (tenuis  und 
media)  im  Augsburgischen  des  13.  und  14.  Jhs.  auf  der  Stufe: 
Labialis  explosiva  +  f^  gestanden  hätte,  so  hätte  sich  die 
Schrift  hin  und  wieder  verraten  müssen,  wie  sie  dies  sicherlich 
thut  in  den  Schreibungen  der  harten  Explosiva  der  Güttural- 
und  Dentalreihe;  während  diese  nämlich  sporadisch  als  Ich 
gegeben  wird  mit  der  Bestimmung  k  +  h^  za  vertreten,  geben 
mir  die  Quellen  aller  Art  weder  im  Anlaut  noch  im  Auslaut 
bk  oder  ph  für  die  labiale  Explosiva.  Bei  dem  Abschnitt 
über  die  Schreibung  werde  ich  Gelegenheit  nehmen,  die  Zeugnisse 
über  b  ,  soweit  sie  vor  1272  fallen,  anzuführen  ^     Müsste  nicht 

^  An  geeigneter  Stelle,  in  dem  Abschnitt  über  k,  werde  ich  nach- 
zuweisen versuchen,  wie  die  Schreibung  Uh  zu  der  jeweiligen  Aussprache 
sich  verhält;  hier  aber  mochte  ich  einmal  vorausschicken,  dass  kh  in 
unseren  Quellen  ^»  k-\-h  zu  sprechen  ist,  dass  also  k  mit  jenem  Hauch 
ausklingt,  den  ich  der  Explosiva  der  Labialen  abspreche,  und  femer,  dass 
die  labiale  Explosiva  durch  ihre  Geschichte  im  Augsburgisch-Schwäbischen 
sich  dem  k  zur  Seite  stellt. 

*  Vorausnehmen  will  ich  nur  ein  Beispiel,  von  dem  ich  indes  gleich 
bemerke,  dass  ich  ihm  mit  Bestimmtheit  keine  Beweiskraft  einräume,  da 
es  einer  Quelle  angehört,  deren  Zugehörigkeit  zum  Augsburgischen  Dialekt- 
gebiet für  mich  durchaus  nicht  fest  steht :  die  Aug^burger  G-lossen  über« 
setzen  40^ :  stamen  mit  uuarph  («>  Spindel)  d.  h.  also «»  warf,  (Ghraf  I, 
1089),  und  nur  die  Florentiner  Glossen  haben  einmal  toarp,  vgl.  dazu: 
Augsburger  Glossen  89';  citur:ruoph. 


460  Dntter  Abschnitt  204 

übrigens  ph  sich  im  Laufe  der  Zeit  zur  Aspirata,  schliesslich 
zu  /  gewandelt  haben  ?  Thatsächlich  ist  das  aber  nur  in  Er- 
scheinung getreten  im  Wortsandhi:  beküeten  ^^  p/üeten  (füeten). 
Die  Quellen  des  13.  und  14.  Jahrhunderts  geben,  wie 
schon  erwähnt,  keinen  Aufschluss  über  die  Zerdehnung  des 
Lautes  bei  der  Aussprache,  doch  ist  dem  Auslaut  nach  der 
nicht  allein  anfangs,  sondern  auch  dann  noch,  als  schon  andere 
Einflüsse  drohten,  überwiegenden  Schreibung  mit  p  jene  stärkere 
Explosiva  eigen.  Merkwürdig  ist  nur,  dass  im  Dativ  von 
Wörtern  wie  lip :  libe^  wenn  e  in  der  Schreibung  verschwindet, 
das  b  nicht  auch  durch  p  vertreten  wird,  wiederum  ein  Be- 
weis für  die  Entstehung  der  labialen  Laute  unserer  Quellen 
aus  der  Schrift.  —  In  den  Verbindungen :  «  +  6  und  t-\-  b, 
Labialis  +  t  ist  augenscheinlich  die  Schärfung  dem  Augsburger 
am  meisten  zu  Gehör  gekommen  \  sp^  und  tp  ist  allein  nach- 
weisbar (1306 :  Horburdi  —  aber;  Augspurclij  Wirzfpurchj  Regent- 
purg\  und  pt  ist  überwiegend. 

Im  Inlaut  wird  hartes  b  (bb)  zum  weicheren,  einfachen 
by  jedoch  nicht  zum  romanischen  b,  sondern  mit  starker  Neigung 
zu  w.  Die  Gleichwertigkeit  von  etymologischem  b  und  etymo- 
logischem w  in  der  Stellung  zwischen  zwei  Selbstlautem  ist 
unzweifelhaft  durch  die  Schreibungen :  grabes,  grawes  (==  graues) 
(Stadtbuch :  Grundtext  20  a),  ruwecUchen  als  rubeclichen.  So- 
gar die  Apokope  des  e  in  -ec  kann  b  nicht  entfernen,  es  ist 
eine  auf  einem  Lautgesetz  gegründete  Erscheinung:  w  wird 
mit  grösserer  Schliessung  der  Lippen  =  b  ausgesprochen, 
d.  h.  verhärtet  zu  b,  b  zu  w  erweicht*. 


^  Umgekehrt  ist  p  Id  ap  (sp)  etwas  reduziert,  ohne  mit  anlautendem 
h  zusammenzufallen,  wo  die  Artikulation  der  Lenis  um  ein  Mininum  ge- 
spannter ist  als  intervokalisch.  p  ist  in  diesem  Falle  ein  neutraler  Laut 
zu  nennen,  vgl.  über  solche  neutralen  Laute:  A.  Heusler:  der  alamanische 
Konsonantismus  in  der  Mundart  von  Baselstadt  S.  24;  Kaufmann:  S.  12. 

^  Im  Stadtbuch:  107a:  lemberhtuih,  chelberhuch  aber  immer: 
rindeapuch. 

*  Vgl.  dazu  vntbe  (1355  Sie  und  1325  S9).  —  Achtbuch:  (65  a)  1349 
ebichlich  S17.  —  1321:  felioen,  pach,  bedea  (St.  Ulrich).  —  IS^8  5.  Juni: 
witto  Ss. 


206  KonBonantismas.  451 

b:  Bezeichnung. 

Es  erübrigt  an  dieser  Stelle  nur  noch^  die  Frage  einer 
Betrachtung  zu  unterwerfen,  ob  die  eine  oder  die  andere 
Schreibung  mit  einer  nachweisbaren  ßegelmässigkeit  dieser 
oder  jener  Stellung  anhaftet.  Von  dem  StaDdpunkte  aus,  den 
wir  Yon  vornherein  einnahmen,  in  b  die  gewöhnliche  Bezeichnung 
der  labialen  Media  im  Silben-  und  Wortanlaut  zu  sehen,  gilt 
es  die  Schreibung  mit  p  auf  ihr  Vorkommen  2U  prüfen:  in 
der  ältesten  Zeit  des  Mittelalters  zeigt  die  vita  Udalrici  nur 
p  in :  p»n(=  Biene)  (213),  regelmässig  in  Augefpurc  (234),  Regens- 
pure  (866)  und  einmal  in  SintpreJu  (994)  gegenüber  Hartehrelit 
(884)  und  Albreht  (822).  Die  beiden  erstgenannten  Fälle  unter- 
stehen dem  schon  erwähnten  Gesetz,  dass  s+b  zn  sp  wird.  — 
Die  Augsburger  Glossen  haben  überwiegend  p,  namentlich  in 
der  Vorsilbe  be  =  W,  öfter  pi  als  W geschrieben;  femer:  prustpeini 
(33'),  lentipraton  (35^),  giporgenen  (60^),  pisperrit  (150^),  bidirbin 
(168^),  160'— 172' :  8  W:  1  pi  und  zwar  parallel  mit  fast  aus- 
schliesslichem ki'  für  gi'.  Dasselbe  Wort  wird  kurz  hinter- 
einander mit  p  und  b  geschrieben:  172':  anagipichanU  176': 
anagibichit. 

luden  Augsburger  Urkunden  unserer  Zeit  ist  die  Schreibung 
von  b  nun  folgende:  b  (anlautend)  wird  bis  1356  regellos  b 
undp  geschrieben,  und  zwar  läuft  bei  jedem  städtischen  Schreiber 
p  für  b  mit  unter,  wenn  er  sonst  auch  b  hat.  In  einzelnen 
Urkunden  ist  b  nur  durch  p  vertreten ;  doch  finden  sich  solche 
Fälle  nur  im  13.  Jahrhundert  (vgl.  Belege  für  1283).  Im 
14.  Jahrhundert  habe  ich  nur  bei  drei  Schreibern  eine  aus- 
gesprochene Vorliebe  für/)  gefunden:  bei  S^g  (1336),  S^^  und 
Sj^.  Si4  und  S,^  schrieben  als  Gehilfen  Ulrichs  (S^g)  kein 
h\  8^4  1340:  Fekkenhaus,  purggrafen,  PrivlwuSj  purger,  ver^ 
punden,  1342:  purger,  purgermaiJler,  verdorwen,  1343:  Perch- 
hoff  vmwgtparf,  prüder  \  S,^  als  Gehilfe  1345:  Purgen^  Purger, 
gepurd,  prif.  —  Als  Stadtschreiber  hat  derselbe  nach  Jahren 
noch  die  gleiche  Gewohnheit:  1379:  purger,  purgermeistery  prief. 
Ein  solches  Verhalten  ist  um  so  mehr  bezeichnend,  als  Hagen 
(Sj,)  von  1357   an  sich   durchaus  der  Schreibung  b  für  an- 


452  Dritter  Abaohnitt.  806 

lautendes  b  beflissen  hatte;  ich  finde  für  dieses  Vorgehen 
Hagens  keine  andere  Ursache  als  den  Einfluss  der  kaiserlichen 
Schriftstücke,  welche  in  der  That  auch  seit  den  fünfziger 
Jahren  erst  eine  Einheitlichkeit  der  Wiedergabe  von  mhd. 
b  zeigen  \  —  Auch  ein  und  dasselbe  Wort  wird  in  ein  und 
derselben  Urkunde,  oft  nur  der  erste  Fall  von  dem  zweiten 
durch  wenige  Worte  getrennt,  bald  mit  b,  bald  mit  p  geschrieben: 
I3'd7 :  ßaefdipank^  ßuefcftbankj  flaefchbanch  S^,. 

Die  klerikalen  Urkunden  unterscheiden  sich  in  keiner 
Weise  von  den  städtischen  hinsichtlich  der  Schreibung  des 
anlautenden  b ;  zeitlich  finde  ich  sogar  in  der  fast  ausschliesslichen 
Verwendung  des  b  eine  derartige  Übereinstimmung  mit  den 
einschlägigen  städtischen  Urkunden,  dass  ich  nicht  umhin  kann, 
die  Erscheinung  auf  eine  gemeinsame  Quelle  zurückzufuhren: 
die  kaiserliche  Kanzleisprache  von  der  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts ab.  Während  z.  B.  noch  1345  die  städtische  Kanzlei 
Purgen,  Purger.  gepurd,  brief  S^^,  1360  Brotyfch,  protyfch 
S}7,  1357  aber  nur  2»  S,,,  die  bischöfliche  Kanzlei:  1343 
bis  1345  Pi/fchof  nur  mit  p  schreibt,  die  Klöster  noch  bis 
1355  p  und  6  für  b  z.  B.  St.  Kath. :  pint  schreiben,  haben 
die  bischöflichen  Urkunden  von  1349  ab  nur  6  für  6:  Byfchof 
(dagegen  1  x  Tumprobst),  die  Curia  schon  von  1346  ab  anlautend 
nur  b:  untbe,  ambt,  und  nach  1356  auch  die  Klöster  anlautend 
nur  b,  1346  indes  kann  ich  in  den  Urkunden  Kaiser  Karls 
noch  nicht  eine  Bevorzugung,  noch  viel  weniger  die  ausschliessliche 
Verwendung  des  b  für  b  nachweisen;  im  Gregenteil  hat  z.  B. 
eine  kaiserliche  Urkunde  von  1347  an  Augsburg  nur  p.  Ganz 
unverkennbar  aber  ist  eine  Klärung  von  dem  Jahre  1355 
ab  eingetreten  und  zwar  zu  Gunsten  des  b. 

Für  auslautendes  b  ist  das  Auslautgesetz  bis  in  den 
Anfang  des  14.  Jhs.  hinein  streng  gewahrt;  nur  b,  welches 
durch  Apokope  des  folgenden  Vokals  auslautend  wird,  bleibt 
b.    Einmal  nur  schreibt  Sg:  1292:  halb  neben  häufigem  p  für 


*  1346—  1348  war  noch  p  für  h  in  den  kaiserlichen  Urkunden  sehr 
vertreten,  regelmässig:  enpüen,  Augfpurg, 


207  Konsonantismufl.  463 

anlautendes  b.  1333  zum  hat  erstenmale  eine  Urkunde 
von  St.  Ulrich:  lublidh  Ubting.  Die  städtischen  Urkunden 
nehmen  langsam  und  ohne  eine  erkennbare  Tendenz  b  für 
auslautendes  b  an.  1342  S^^:  libding  gegenüber  anlautendem 
b.  Noch  1367  häufig  Upting.  1367  St.  Uhich :  leib.  Im  Stadtbuch 
schreibt  S^,,  den  Handzügen  nach  yor  1354,  mit  Vorliebe  b 
für  auslautendes  b :  uzzerhalb  (24  a).  lib,  sdbwaibel  haubten 
(35  a),  1350  urlaub  (125  a).     Nach  1354:  halb  (38  a). 

Inlautendes  b  ist  zwischen  Vokalen  b  und  die  ganze  Zeit 
hindurch  auch  lo,  v  geschrieben.  Eine  besondere  Vorliebe 
haben  S,,  S,  und  S^  ^  für  v  =  b:  Sg  in  den  Urkunden  und 
im  Stadtbuch :  aver  {=  aber),  S,  im  Stadtbuch  (34  a) :  aver, 
lüitwe.  Später  hat  der  Gehilfe  S^^,  dessen  Vorliebe  für  |?  = 
anlautendem  b  wir  schon  kennen  lernten,  1342:  verdorwen 
(ygl.  im  Übrigen  die  Belege).  Bemerkenswert  ist  die  Schreibung 
Lerchenpdgelin  (Achtbuch  1367  S^,).  Inlautend  b  als  u  ge- 
schrieben hat  häufig  die  zerdehnte  Yorm  prouUt  (älteste  Urkunde 
prouista),  Stossen  bei  der  Wortkomposition  (Präfix  und  Grund- 
wort) auslautendes  b  (p)  und  anlautendes  b  zusammen,  so  wird 
pp  geschrieben:  Stadtbuch:  Grundtext:  apprichet,  appraeche 
—  brichet  (28  b). 

Inlautend  b  yor  Konsonanten  ist  in  der  Kegel,  namentlich 
anfangs  p:  gelopt,  houpt\  daneben  aber  ist  Regel,  gehebt  zu 
schreiben,  in  der  Form  gehabt  erscheint  häufiger  p.  Im  14. 
Jahrhundert  greift  b  auf  dem  ganzen  Gebiete  dieser  Verbindung 
bt  Platz.  Dasselbe  geschieht  in  der  Zusammenstellung  mpt, 
d.  h.  m^  -f-  eingeschobenem  p.  In  den  deutschen  Urkunden 
sind  es  die  Wörter:  amt^,  himt,  erlernt,  nimtf  welche  sehr 
häufig  p  und  b  zwischen  m  und  t  einschieben;  zeitlich  bildet 
für   diesen   Vorgang  die   Wende   des  13.   Jahrhunderts   eine 


'So  ist  Gehilfe  unter  Ss.  Im  Achtbuch  sehr  oft  Gabin  für 
Oawein,  welches  in  den  ersten  Einträgen  des  Achtbuchs  häufi^i^er  be- 
zeugt ist. 

*  Ich  glaube  nicht,  dass  für  die  Behandlung  des  amt  als  ambt  die 
Erinnerung  an  seine  Entstehung  leitend  gewesen  ist:  ambt  aus  ambaht 


454  Dritter  Abschnitt.  208 

Grenze,  indem  gerade  im  14.  Jahrhundert  mpt  imd  mbt  auf- 
taucht   Oertlich  kann  ich  keine  Begrenzung  treffen  ^. 

p:   anlautend  und  inlautend:  Bezeichnung* 

Soweit  die  geringe  Anzahl  der  Zeugnisse  für  anlautendes 
p  eine  Bestimmung  ermöglichen,  ist  p  viel  mehr  mit  b  als 
mit />  wiedergegeben.  Ausser  dem  Worte  ^Pranger',  meistens: 
branger  geschrieben^  liegen  uns  nur  Fremdwörter  vor,  und 
diese  sind  weitaus  überwiegend  mit  b  geschrieben:  bab/tes, 
brieHery  bropft^  brifun,  balmen,  ^Priester*  wird  nur  in  der  Zu- 
sammensetzung mit  liiU  häufiger  liutprieRer  als  liutbrielter  ge- 
schrieben. 'Stereotyp  ist  die  Schreibung  des  noch  heute  in 
der  augsburgischen  Mundart  als  ^Berla'ch'  lebenden  berlaich, 
*Probst*,  mhd.  probli,  wird  häufig  brobpit  geschnehen  (Achtbuch 
(53  a):  1343.  S^^).  Andrerseits  finde  ich  allein  Liupold  imd 
Liutpold  als  Schreibung  für  den  Namen  Liutpold. 

Von  dem  zweiten  Drittel  des  14.  Jahrhunderts  an  wird 
die  Einschiebung  eines  p-Lautes  zwischen  m  und  s,  m  und  t 
häufiger ;  namentlich  die  vierziger  Jahre  sind  reich  an  diesem 
Pj  oft  b  geschrieben.  In  dem  Achtbuch  finde  ich  einmal  p 
und  8  umgestellt:  Samsptag  (Achtbuch  51  b.  1343.  Vgl.  Ob  Aren 
(=  Obersten)  52  b.).  —  In  den  fünfziger  Jahren  wird  dieser  p-Laut 
in  allen  Denkmälern  fast  nur  b  geschrieben:  kumbt,  haimbt 
(Achtbuch  70  a)  gegenüber  kumpt  1367  (Achtbuch  95  b.). 

pf:  Belege. 

Urkunden: 

städtische:  1272—1313:  ph.   —  doch  1296  Bischof  an 

den  Rat:pfaffliait  Sg  (R.X|,4,6).  —  1296. 
pfaffhait  Sg.  —  phvnt,  phlegere  Sg  (A).  — 
1299.  phvnt  Sg  (St.  1).  —  1304.  phlegar  S^ 
(0.  5).  —  1306.  Febr.:  pfvnt  S^.  —  Juni:  phvnt 
S^  (U.  2).  —  1309.  phvnt  Sg  (A).  —  Vogt: 
pfunt  ?.  —  pfunt  S^  (U.  2).  — 1311.  pfenning. 


^  In  den  lateinischen   Urkunden  vor  unserer  Zeit  wurde  regel- 
mässig dampnum  geschrieben» 


209  Konsonantismus.  455 

pfvnt,  pfleger  S^  (A).  —  1312.  pfiint,  pfenning 
Pfingeftwochen  S,.  1313—1319.  —  S„  S^: 
pf.  -  Von  1319—1328:  nur  ph.  —  1323. 
Landsberg  :  pfuut  (hl.  Cr.  9).  —  Copie:  1346: 
Pfallentzgrafen  Sj,.  —  1329— 1374:  pf,  selten 
ph:  1329:  Pfallentzgrafen  S^  (A).  —  1332. 
pfennig,  phunt  S^^.  —  1334.  pfenning,  enpfahen 
Sjg.  —  1334.  Hauptmann  Y.  Ober-Baiern: 
pfunt,  kupherfmit.  —  1335.  pfunt^  enphangen, 
Pfenning  S^.  —  1336.  pfunt,  enpfangen  S^. 
—  1337.  nur  pf  Sjg.  —  1338.  nur  pf  S^j.  — 
1339.  Kaiser:  pfunt,  Boppfingen.  —  1340. 
phleger   S^^,  =  Von  1341  an:  pf. 

Bischof:  ph  bis  Anfang  des  14.  Jahrhunderts.  Im  14.  Jahr- 
hundert im   allgemeinen  mit  den  städti- 
.  sehen   Urkunden  zusammengehend.     Von 
c.  1330  wird  pf  fest.  —  1336.  pfennig,  phennig 
(A).  - 
Curia:  1327.  phenninge  (A). 
Klöster:  1283.  Pfingften  (hl.  Creutz).  —  1358.  phenning 
(St.  Stephan).  —  Sonst  wie  die  städtischen. 
Achtbuch:  1360.   Gaifkopf  (n.  pr.),  köpf  S„    (22b).   — 

1370.  zappflfen  S^«  (28  a). 

pf:  Geltung. 

Der  anlautende  labiale  Affrikatdiphthong  pf^  des  Augs- 
burgisch-Schwäbischen im  Mittelalter  ist  zweifacher  Herkunft : 
1.  ist  er  die  regelrechte  Verschiebung  von  germanischem  p  zu 
pf;  auch  in  früh  entlehnten  Fremdwörtern  vertritt  ph  das  p 
im  Anlaut:  phund,  pftruende,  phaffe,  plienninCj  phant^  phister 
(n.  pr.),  phluocy  phlegen.  2.  wird  f  durch  Vortritt  des  Prä- 
fixes erU-  und  unter  dem  Einfluss  der  Verbindung  Nasal  + 
Tenuis  zu  pf :  enpßenc,  enphuereny  entphaheriy  enpJiähen,  enpfiolh- 
nuffe;  andererseits  wurde  in  solchen  und  anderen  Fällen  der 

^  Vgl.  die  Ausführungen    Kauffmanns   über  pf  als   Verschiebung 
von  p  in:Eauffmann:    schwäb.  Mundart  S.  223—228. 

80 


456  Dritter  Abschnitt  210 

Affrikatdiphthong  zu  /  erleichtert.  —  Zum  Affrikatdiphthong 
ff  wurde  zuweilen  auch,  und  wird  heute  noch  oft,  die  aspirierte 
TenuiSy  welche  durch  Sandhi  entstand  in  behueten  ]>  phueten. 
Inlautend  wird  /  nach  m  zu  pf :  geatemphet  (Stadtrecht, 
Grundtext  14  b),  stemphyfen  (Stadtbuch,  Grundiert  15  a)* 
notnumpff  (Achtbuch  32  a.  1383.  S^^).  Die  Aussprache  des 
pf  ist  nach  der  heutigen  Geltung  zu  urteilen:  bb  +  Spirans, 
nur  erscheint  die  Spirans  sehr  milde  tönend.  Nur  in  der 
Verbindung  mpf  aus  mf  ist  ein  härterer  Kang  der  labialen 
Tennis  zu  hören,  welcher  fast  die  Spirans  zu  unterdrücken 
scheint.  —  lieber  pf  (ph)  im  Sandhi  ist  schon  gesprochen. 

pf:  Bezeichnung: 

Das  Zeichen  ph  für  den  Affrikatdiphthong  hält  sich  bis 
in  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  hinein  ^  Im  13.  Jahr- 
hundert und  im  Anfang  des  14.  ist  es  allein  vertreten,  ausser 
bei  Schreibern,  die  uns  als  fremd  bekannt  sind:  S,  und 
Se  (Sg:  1296.  pfaffhait,  doch  1299. p/wn^.  —  S^  :  1288.  PfingRm, 
(St.  U.)  1306.  pftmU  —  1306.  phvnt.  —  Im  2.  Jahrzehnt 
des  14.  Jahrhundert  breitet  sich  das  pf  mehr  aus.  S,  und 
Sg  haben:  pfaffeuj  pfunt  pf  äffen  hat  am  ehesten  und  sodann 
regelmässig  pf.  Erst  von  1330  an  aber  wird  pf  fest,  selten 
von  ph  durchbrochen.  Die  internen  Denkmäler  zeigen  keine 
Abweichung  von  dem  Gebrauch  der  Urkunden  *.  Die  Kloster- 
urkunden haben  ph  neben  häufigem  pf  mehr  bewahrt. 

f,  v:  Belege: 

Urkunden: 
städtische:  1272.  fvr,  von  Sj  (U.  2).  —  1273.  brief,  brieve 
Si    (A).    —    1277.   froven,   frier  S,.  —  1280. 

*  Nie  jedoch  fumpf;  fünf  ist  die  Kegel,  fimf  wird  zuweilen  ge- 
schrieben, z.  B.  Achtbuch  47.  a.  1838.  Stu. 

^  pf  iOcc  ph  kommt  rheinptälzisch  schon  1808  häufiger  vor:  in 
einer  von  Nebert  benutzten  Speirer  Urkunde.  (Nebert:  Speirer  Kanzlei- 
sprache, Dissertation  Halle  1899.     S.  15). 

"  Von  1340  an  ist  pf  die  regelrechte  Schreibung,  doch  sind  Falle 
wie:  pfaff,  pherffe,  pferit  und  phatr  in  einem  Eintrag  nicht  selten. 
(Achtbuch  71  b.  1354). 


211  KonBonantismuB.  467 

frowen,  ouf,  geueftent,  hofe,  brief,  fumf  83.  — 

1282.  vallet,  varn  S,  (R).  —  1283.  von,  hant- 
uefte,    geveftent,   zinfrellik,    brif    Sg    (A).    — 

1283.  vnuerschaidenlichen,  verkaufft  S,  (C.  3). 
—  1286.  frow,  ovf,  furbaz,  verkaufft,  eigenfchafft, 
for-  Sg   (A).  —  Dieser  Stand  bleibt  bis  1374. 

Klöster:  St.  Georg:  1282.  (zvei),  hoven  (G.  1);  for-. 
Spital:  1283.  fier,  gefestent,  firowen.  —  1284. 
vierden. 
St.  Ulrich:  1288.  forgenantiv  (U.  1). 

Achtbuch:  Bis   1374  der  gleiche  Stand  wie  in  den  Urkunden,  ff 

wird  seit  den  fünfziger   Jahren  häufig:   1339.    ofFte 

(48  a)  S15.  —  1343.  verkoufft  (52  b)  S,^.  — 
Taeuffet  (62  b)  S^^.  —  1349.  chaüflfent  (64  a) 
81,.  —  1363.  ergryffet  (71a)  S„.  —  1367. 
Schaüffkneht  (95  b)  S  ^^ ;  in  der  Regel  for-. 

fy  v:  Geltung. 

Zeichen  sind:  f,  v,  selten  w!  —  Die  Behandlung  der 
labialen  Frikativa  in  den  augsburgischen  Denkmälern  des  13. 
und  14.  Jahrhunderts  stimmt  durchaus  zu  der  mittelhoch- 
deutschen. Anlautend  wird  sie  /  und  v  unterschiedslos  ge- 
schrieben. Eine  gewisse  Bevorzugung  des  /  finde  ich  nur  vor 
e  und  r,  doch  ist  z.  B.  das  in  jeder  Urkunde  vertretene  gt- 
fettent:  1283  (S3)  geveftent  neben  hantuelie,  zinfvellik  geschrieben. 
1283  schreibt  der  Schreiber  des  Spitals  nur  /  für  r:  fier,  ge- 
feAentj  frowen.  Schreibungen  des  vor-  als  for-  sind  nicht 
selten  (vgl.  die  Belege).  Regelmässig  wird  die  Präposition 
für  mit  /  geschrieben.  Sobald  /  stimmhaft  wird,  erhält  es 
gewöhnlich  das  Zeichen  t?:1273Si:  brief,  brieve  {1273  Sj^).  — 
1280  S3  hofe,  geuesteni,  brief. 

Die  Aussprache  der  Labialfrikativa  kann  nur  f  gewesen 

sein  und  zwar  ein  f-Laut,  welcher  nach  Nasallauten  sogar  zum 

Diphthong  j>f  (ph)  neigt.     So   erklärt   sich    die   auffallende 

Schreibung  des  Eigennamens :  Lerchenpögelin  (Achtbuch  26  a. 

1367  S^,)  mit  p  für  v  durch   den  Einfluss   des  n  auf  den 

30* 


468  Dritter  Abschnitt.  212 

frikativen  Laut,  v  wurde  durch  dasselbe  Gesetz,  welches  / 
nach  m  z.  B.  in  geltemphety  f  nach  n  (nt)  in  enpfangen  zum 
labialen  Afibikatdiphthong  machte,  zu  pf,  pL  p  ist  dann  durch 
die  Flüchtigkeit  des  Schreibers  ein  Versehen  für  ph.  —  In- 
lautend ist  wohl  schon  zu  unserer  Zeit  eine  Schärfung 
der  tönenden  Frikativa  v  zu  f  eingetreten:  die  Schrei- 
bungen mit  /  in  Jiofen,  briefe  mehren  sich  im  14.  Jahr- 
hundert. Ich  glaube,  dass  im  einzelnen  Falle  das  Statt- 
finden und  Nichtstattfinden  der  Apokope  in  Rechnung  zu 
ziehen  ist;  namentlich  wird  energische  Betonung  in  einzelnen 
logisch  wichtigen  Worten  des  ürkundentextes  die  Schärfung 
zuy  hervorgerufen  haben,  wie  sie  vor  diesem  Vorgang  Ursache 
zur  Apokope  und  Synkope  des  dem  v  folgenden  Vokals  war; 
die  in  der  Schrift  in  solchen  Fällen,  auch  nachdem  das 
Zeichen  /  für  die  lautliche  Schärfung  verwendet  worden, 
festgehaltenen  Vokale,  sind  auf  die  Gewohnheit,  die  Endungen 

(Flexionssilben)  voll  zu  schreiben,  zurückzuführen.  In  der 
Verbindung  ft  finde  ich  einmal  ainliften  mit  ph  geschrieben : 
ainliphten.  Da  dasselbe  Schriftstück  stark  schwäbischmund- 
artlich gefärbt  ist,  —  es  enthält  unter  anderem  auch  die  ver- 
einzelte Schreibung  des  s  vor  t  mit  seh:  eätfchten^  so  glaube 
ich  in  der  Schreibung  jpA  eine  phonetische  Absicht  des  Schreibers, 
es  ist  ein  Schreiber  von  dem  Eloster  z.  hl.  Kreuz,  sehen  zu 
dürfen. 

f,  v:  Bezeichnung. 

/  und  V  wechseln  regellos  ^.  Es  können  daher  nur  Einzel- 
heiten hervorgehoben  werden.  Das  aus  dem  Diphthong  ph 
durch  Erleichterung  nach  langem  Vokal  und  r  und  /*  ent- 
standene /  ist  immer  /  geschrieben,   meistens   verdoppelt  ff : 


^  Niklas  von  Wyle  lässt  sich  darüber  folgendennassen  vernehmen : 
ir  vil  schrybent  das  wort  flyss  durch  ein  v  daz  na'^ch  vnderwysung  der 
ortogT&phie  durch  ain  f  vnd  nit  durch  ein  v  recht  geschrieben  werden 
mag  daone  daz  t;  geet  niemer  in  crafft  ains  f  im  folge  dann  ain  yocal, 
sust  80  oft  ain  consonant  hin  na^'ch  geet,  so  belyps  es  am  v  Tocalis'. 
(Müller,  Quellenschriften  S.  15). 

•  vgl.  Weinhold,  mhd.  Gr.  §  170. 


213  Konsonantismus.  459 

kauffen,  lauffeuj  {gdoffenf),  offen  *,  griff en^  tauffen,  getauffet  Diese 
Schreibung  mit  ff  wird  zur  feBten  G-ewohnheit  seit  den  sechziger 
Jahren  (vgl.  die  Belege  aus  den  Urkunden,  dem  Stadtbuch 
und  Achtbuch).  Einmal  wird  vogt  mit  w  geschrieben:  wogete 
Nov.  Sj  (Stadtbuch  37  a),  wor  (=  vor)  an  derselben  Stelle, 
burggrawen,  im  Grundtext  nur  burggrafen.  —  geverde  in  der 
Formel  'ane  geverde'  wird  regelmässig  mit  vxmdu  geschrieben, 
aifdiften  mit  ph  ist  schon  erwähnt,  desgleichen  LercJienpögelin. 
funph  hat  eine  Urkunde  des  Klosters  z.  hl.  Kreutz  v.  Jahre 
1350  neben:  phunt,  phleger, 

w:  Geltung  und  Bezeichnung. 

w  stimmt  vollständig  zu  dem  mittelhochdeutschen  w^. 
Anlautendes  hw  ist  mit  w  zusammengefallen.  —  Gesprochen 
wird  w  oft  mit  grösserer  Schliessung  der  Lippen  wie  6,  vgl. 
das  bei  der  Besprechung  des  Lautwerts  von  b  Gesagte.  Es  wird 
daher  oft  b  geschrieben,  vgl.  dieselbe  Stelle.  Die  Schreibung 
2vei  {w  durch  v  wiedergegeben)  in  einer  Urkunde  des  Klosters 
von  St.  Georg  1282  steht  vereinzelt  da  und  beruht  wohl  auf 
demselben  Schreib  versehen,  wie  wogete,  wor  für  vogete,  vor  im 
Stadtbuch  (vgl.  bei  /,  v). 

d  und  t:  Belege. 

Urkunden: 
städtisqhe: 

d   (an-  und  inlautend)  t  und  auslautend  d 

1272  Si(U.II):  Tvfent,  tvn,  (Tvfent)  verfvmet,  fehent,  Gotef- 
vnde.  hvfes,  Sante. 

1277  Sg  (A):  d.  beid,  chvmt  .... 

1280  Sj  (H),  Sg  (A) :  d.  thvn,  zaehenden,  -nt. 

1282  S^:  vnde.  tun,  fände,  -nt. 

1282  S«:  vnde.  t;  vnd,  drvnder,  hinder,  -nt,  want. 


^  Fressant  reimt :  447  :  448  geloffen :  offen, 

•  Weinhold:  alam.  Gramm.  S.  127  ff.  vgl.  Weinhold:  mhd.  Gr.  §  178. 
i[[auffmann:  schwäb.  Mundart  §  183. 


460 


Dritter  Abschnitt. 


214 


d  (an-  und  inlautend) 
1283—1296:    S^,    S«, 
S,:  d. 

1284  83  (A):  d. 

1285  S,  (C.3):  d. 


1298  84  (G.  1) :  leben- 
tigen.  —  1302  83  (hl. 
Cr.  4):  veld,  red. 

8e  (C.  6) :  d. 

1303  83  (A) :  d. 

1304  8^:  velde,  fri- 
wende. 

1313  8«  (0.6):  d. 
1315  83:  lipding. 

1329  S^  (A):  d. 

1330  8^  (A):  (kais.):  d 


1345  8^3  (hl.  Cr.  5):  d. 


1348  8^,:  d. 

1357  81,  (0.6):  d. 


1374  813  (R.  12):  d. 


t  und  auslautend  d 

83  thvn,  Taeten,  -nt,  folde,  lande. 
vierdeDy  fände,  tun. 

1285  82  (0.3)  thvn.  vnd,  folde,  folten, 
-nt,  —  1296  83 :  Taetterlich,  baiden- 
thalben.  —  vaeterlich. 

-nt.  —  1299  83:  gefwiftergid. 


83:  anthwrten,  wordten. 

band  (3.  pl.),  frivind,  fient,  geaeftent. 

—  wanden. 

vierden,    -nt.    —    1306    83:    frivnd, 

(veld.). 
vnder,  veld  (d.).  —  8,:  vierdhalp. 
aubend,  pfüt.  —  1321  8,  (A):  gand. 
band  (3.  pl.)  phvnt,  Nivnden. 
ftand  (3.  pl.)  chvnt,  land,  frid,  Lant- 

frit.  —  1335   81  j  (U.  5):  wanden, 

fant,  bände  {=  hatte), 
gepurd,    friunt.   —    1346   S„    (H): 

ftand  (3.  pl.)  frivnd  (g.  pl.).  —  1348 

^17  (^-  ^)  *  ^^  haben,   ze  niezzen. 
ze  habend,  ze  niezzend,  habend  (3.  pl.). 

—  1351  8j,:  haund. 

gebürd,  geltent.  —  1366  8„  (A): 
phund,  hant  (3.  pl.).  —  1367  Sj. 
(B):  wortten,  gelertten. 

kind. 


Bisch,  und  Domkapitel: 

1289—1296:  d.  tun,  beftetter.  -nt.  —  1293  (A)  :  vnd, 

-nt.  —  1296  (R.  5,  7):  gottes,  g6t- 
lich. 


216 


KonsonantiBmus. 


461 


d  anL  uud  inl. 
1300  (H.  13):  d. 

1348  (Dom).  (C.  5):  d. 


St.Cath.:1279(0.2):d. 

1295:  d.  —  1311  (A): 
trinzeheDhundert.  — 
1324:  d.  —  1348:  d. 

Spital:   1283    (A): 
thufenty  ynde. 

St.  Ulrich:  1301:  d 

1333:  libting. 

St.  Georg:  1338:  d. 


t,  und  d  auBl. 
t;    tailend    (ger.)    -nt.   —  t  anL;   t, 

selten  d,  auslantend. 

ze  habend,  habend,  habend  (3.pl.). 
—  1351.  vrchünt.  —  habend. 

Klöster. 

-ent 

th.  —  1324:  vierden,  band  (3.  pL), 

Mänod ;  3.  pl. :  fehende,  hörende,  lefend. 

thun,  theten,  tak,  -ent. 

-ent,  fant;  t. 
-ent 

3.  pl. :  lesend,  hörend,  fehent,  achtnn- 
den,  kunt. 


Achtbuch: 
Anl.  und  inL  d  wird  d  geschrieben,  z.  B. :  Mordacftes  (1347  S^.^ 

(12  a)).    dufent  (1371  S^^  (102  a)). 

1338  Sjg:  band  (3.  pl.).  1338  (48  a)  S^,:  alsoffte  er 
ez  tünd.  1341  (51b)  S,»:  band  (3.pl.).  1340  (6  a)  S^^: 
mort,  obtath,  erm&rt,  f&lt.  1341  (6  b)  S^^:  ward,  todfchlag. 
1343  (10  a)  S15:  Bürge.  1346  (66  a)  S^, :  haund.  1347 
(12  a)  S,,:  todfchlag.  1349  (62  b)  S^,:  ftund  (:==  ftand). 
1349  (15  a)  Sj,:  ward,  fand,  hand(3.pl.).  1350  (15  b)  S^,: 
hant.  —  band,  ftänd  (65  b).  1350:  Tngeratenheid,  bofheit. 
1352  (16  a):  habend  (3.  pl.)  habent  (3.  pl.).  1357  (20  b)  8,,: 
haund  (3.  pl.).  1367  (26  b)  S^,:  Totfchlag.  1368  Si,:  Bad- 
hüs.  1368  (27b)  S^^:  hant  (3.pl.).  1369  8^^:  Elyzabeth. 
1370  (28  b)  Si^:  hänt  (3.  pl.)  ayd,  friund,  haltent  (part.). 

d  und  t:  Geltung. 

Wenn  wir  b  der  lebenden  Augsburger  Mundart  und  des 
13.  und  14.  Jhs.  als  an  der  westgermaniBchen  Lautyerschiebung 


462  Dritter  Abschnitt.  216 

nur  bedingnngsweise  beteiligt  erkannten,  indem  es  im  Anlaut 
und  im  Auslaut  einen  geminierten  Klang  annahm  und  dadurch 
hinter  etymologischem  p  derselben  Mundart  nicht  zurückstand, 
sobald  es  mit  einer  gewissen  Schärfe  ausgesprochen  werden 
sollte,  so  entspricht  das  heutige  augsburgische  wie  gemein- 
schwäbische d  noch  ganz  dem  gotischen  d.  Diese  Thatsache 
gilt  auch  für  die  frühere  Zeit,  und  wenn  auch  im  allgemeinen 
die  schriftlichen  Quellen  gegen  die  Nichtverschiebung  des  d 
zu  t  zu  zeugen  scheinen,  so  ist  für  mich  die  Sonderstellung 
des  oberdeutschen  d  in  der  Augsburger  Mundart  auch  ^es 
13.  und  14.  Jhs.  zur  unumstösslichen  Gewissheit  geworden. 
Das  Auslautgesetz  ist  anfangs  in  der  Schreibung  ziemlich 
treu  gewahrt,  wenigstens  gehören  die  schliessenden  d  bis  ins 
zweite  Drittel  des  14.  Jhs.  hinein  noch  zu  den  Seltenheiten, 
und  zuweilen,  wenn  sie  auftreten,  lässt  sich  eine  gewisse  Ge- 
setzmässigkeit in '  der  Vertauschung  des  gewohnten  t  mit  d 
nicht  verkennen,  wozu  ein  Systemzwang  dann  das  Uebrige 
thut,  um  den  Kreis  der  Schluss-d  zu  vergrössem.  Diese 
Gesetzmässigkeit  aber  ist  ein  frühes  Produkt  der  Mundart 
In  allen  andern  Fällen  verwies  das  Sprachgefühl  den  Einzelnen 
immer  mehr  auf  das  d.  Es  klingt  nämlich  heute  auslautende 
geschriebene  Portis  (für  germ.  d)  nicht  = «,  sondern  =  tA,  ja 
genauer  möchte  ich  sagen  —  denn  ein  t  im  norddeutschen 
Sinne  kennt  der  schwäbische  Dialekt  nicht  — ,  =  rfd/i,  zuweilen 
dh.  Wir  haben  also  hier  für  die  norddeutsche  Verhärtung 
der  germanischen  Lenis  zur  Portis  eine  Konsonantendebnung 
nur  mit  verschiedener  Explosionsdauer  vor  uns,  die  Explosions- 
intensität ist  bei  etymologischem  d  und  etymologischem  t  keine 
verschiedene.  So  erklärt  es  sich,  dass  die  schwäbischen  Schreiber 
in  der  Erkenntnis  der  geringen  Aehnlichkeit  ihrer  Schluss- 
Explosiva  mit  den  anderwärts  gehörten  schon  früh  dem  all- 
gemeinen Gesetz  absagten  und  d  mit  t  wechseln  liessen.  Als 
ein  weiteres  bewegendes  Moment  zu  solchem  Verfahren  wird 
allerdings  die  Thatsache  gelten  müssen,  dass  schon  vor  der 
gesetzwidrigen  Verwendung  des  d  im  Auslaut  die  Apokope 
der  Endungen  in  der  Schreibung  gebräuchlich  geworden  war, 


217  Konsonantismus.  463 

SO  dass  den  Schreibern,  welche  solche  Formen  gewohnheits-  und 
sprachgemäss  mit  dem  Buchstaben  d  endigen  liessen,  nun  auch 
die  hier  ihnen  vor  Augen  liegende  Schreibung  derselben  sorg- 
los auf  etymologisch  nicht  zugehörige  Orte  übertrugen  \  Um 
eine  solche  Yerführung  des  Auges  zu  verstehen,  ist  es  nötig, 
sich  das  Bild  einer  Urkunde  zu  vergegenwärtigen,  welche  in 
ihrem  Sprachgut  Bestandteile  der  oben  beschriebenen  Art 
enthalt  Das  erste  Wort,  welches  in  Betracht  kommt,  ist  kuntf 
dasselbe  behält  sein  t  unbeirrt,  weil  es  erstarrt  ist  in  der  An- 
fangsformel ;  darauf  folgt  zumeist  ein  frivnde,  später  mit  Apokope 
frivnd,  und  ausserordentlich  häufig,  nachdem  es  im  Beginn 
des  14.  Jhs.  in  den  Formelschatz  aufgenommen  ist,  velde  (in : 
ze  dorfe  vnd  ze  velde)  regelmässig  seit  dem  dritten  Jahrzehnt 
des  14.  Jhs.  veld  geschrieben,  frivnd  und  veld  sind  durchaus 
durch  die  Aussprache  bedingt,  welche  den  Abfall  des  e  nicht 
so  stark  empfinden  Hess,  dass  das  Wort  eines  stärkeren  Schlusses 
bedurfte,  als  d  ihm  gewähren  konnte.  Damit  war  dem  d  die 
Fähigkeit  gegeben,  in  der  Schrift  ein  Wort  zu  schliessen;  in 
der  Aussprache  aber  entfernte  sich  das  berechtigte  t  schon 
längst  nicht  soweit  von  der  6eltuDg  des  d,  dass  der  Schreiber 
unter  dem  Doppeleinfluss  des  Auges  und  des  Ohres  nicht 
ersterem  mechanisch  folgend,  auch  die  weiteren  mit  Dentalis 
fortis  und  -lenis  schliessenden  Wörter  gleich  behandeln  konnte. 
Verbindung  mit  Liquida  hat  zweifellos  am  frühesten 
fordernd  auf  die  Verminderung  der  Explosion  eingewirkt  Ana- 
loge Fälle  besitzt  das  Schlesische  *.  Birlinger  ^  hat  seiner  Zeit 
aus  dem  Nachlasse  Schmellers  eine  Bemerkung  des  feinsinnigen 


^  Am  frühesten  hat  sioh  die  Partikel  unde  in  der  Schreibung  dem 
Zwange  der  Mundart  gefügt,  nachher  jedoch  ihr  nun  auslautendes  d  bei- 
behalten; die  wenigen  Schreibungen  unt  können  geradezu  als  nicht- 
augsburgisch  gelten ;  sie  erscheinen  nur  in  Denkmälern,  deren  Zugehörigkeit 
zu  dem  augsburgischen  Dialektgebiet  in  Zweifel  steht.  —  Auch  das 
germanisierte  santCj  aantj  hat  sich  diesem  Einflüsse  bald  unterworfen. 
geburte  ist  in  der  apokopierten  Form  geburt  zu  gebiird  gewandelt  und 
so  geschrieben  worden. 

«  Vgl.  Weinhold:  Dialektforschung  S.  81. 

•  Birlinger:  augsb.-schwäb.  Wörterb.  102,  11. 


464  Dritter  Abschnitt.  218 

Dialektforschers  zitiert:  'Die  in-  und  auslautenden  d  des 
bayrischen,  oberpfalzischen  und  fränkischen  Yolksdialektes 
scheinen  eine  Fortführung  der  ältesten  Sprache  zu  sein:  stady 
rodj  hlued  .  .  .'  und  in  derselben  nur  seine  eigene  Beobachtung 
bestätigt  gefunden. 

Die  auffallend  häufigen  Schreibungen  liand  (3.  pl.)  und 
gänd  (3.  pl.)  gegenüber  gleichzeitigen  -eni  in  anderen  Verbal- 
formen dieser  Art  dürften  nicht  unter  dem  Einflüsse  des  n 
ein  d  gegen  t  eingetauscht  haben,  sondern  hier  hat  die  üeber- 
länge  des  a  als  ao,  au  nur  einen  geringen  Tonraum  für  die 
Dentalis  übrig  gelassen ;  ich  möchte  diesem  Vorgänge  die  Er- 
scheinung im  Schlesischen  vergleichen,  dass  auslautend  nach 
Längen  und  in  Liquidaverbindung  die  Tennis  der  Jtfedia 
weicht,  wie  das  Weinhold  ^  an  Beispielen  ausführt.  Verweilen 
wir  einen  Augenblick  bei  diesen  Formen  der  3.  plur.  praes. 
ind.,  so  stellt  sich  ihre  Bedeutung  für  den  Charakter  der  ür- 
kundensprache  noch  nach  einer  andern  Richtung  hin  heraus. 
Diese  Formen,  in  der  Gestalt,  wie  sie  die  augsburgischen  Ur- 
kunden ausschliesslich'  aufweisen,  d.  h.  mit  -en^  sind  als 
Charakteristikum  des  Augsburgischen  und  Oemeinschwäbischen 
allgemein  schon  anerkannt.  Sie  erleiden  nun  um  die  Mitte 
des  14.  Jahrhunderts  eine  Veränderung  ihrer  Gestalt,  d.  h. 
zu  der  Zeit,  wo  man  geneigt  ist,  den  Einfluss  der  kaiserlichen 
Kanzleisprache  beginnen  zu  sehen.  Die  augsburgischen  Formen 
aber  werfen  nicht  t  ab,  was  sie  allein  den  entsprechenden 
Formen  der  kaiserlichen  Urkunden  hätte  gleichmachen  können, 
sondern  die  Schreiber  setzen  d  fiir  e  in  dem  Bewusstsein  der 
^p'  Notwendigkeit  einer  schriftsprachlichen  Aenderung  auf  Grund 
der  gesprochenen  Sprache.  Wahrlich  ein  eindringliches  Zeugnis 
für  die  noch  sich  kundgebende  Ueberlegenheit  der  Mundart 
über  die  Schriftsprache! 

1  Weinhold:  Dialektforrchung  S.  82. 

'  Ich  sage  'ausBchliesslich',  weU  ich  SchrifUtücke,  wie  Urkunden 
Rudolfs  (83)1  in  denen  die  8.  plur.  ind.  praes.  auf  -en  endigt,  nicht  als 
'augsburgiscbe'  Schriftstücke  anerkenne,  da  Hudolf  damals,  als  er  lesen 
.  .  .  schrieb,  noch  ganz  unter  der  Hacht  seiner  alten,  aus  dem  öster- 
reichischen Dienst  mitgebrachten,  Schreibgewohnheit  stand. 


219  Konsonantismus.  465 

Im  Inlaut  und  im  Auslaut  wird  d  (genau:  dhj  ddh)  sowohl 
fiir  mhd.  d  als  fiir  mhd.  t  gesprochen.  Die  Mundart  verrät 
sich  z.  B.  in  einer  Urkunde  von  8,3  (1336.  freitag  vor  St. 
Marien  Magdal.  tag)  in  der  Schreibung  Sehlden  für  SehAen. 
Schreiber  Sjg  ist  sicherlich  ein  Augsburger,  nach  seinen  Schreib- 
produkten zu  urteilen.  S^  schreibt  in  einer  Novelle  des  Stadt- 
buchs  (49,  b) :  edwas.  Fressant  reimt :  81 :  82  wandel :  mandeL 
297 :  298  lande :  erkande.  —  d  im  Wortanlaut  für  mhd.  t  ist 
noch  durch  die  anfangs  in  den  Urkunden  des  13.  Jahrhunderts 
herrschende  Schreibung  mit  th  bezeugt:  thun  und  tlmseiitj  bei 
letzterem  steht  th  für  germ.  thy  welches  mhd.  der  gesammte 
oberdeutsche  Sprachzweig  als  t  erscheinen  lässt^  Achtbuch 
102  a:  1371  (Sie)  hat  dufmty  (1321  S^)  drinchen.  In  einigen 
Wörtern  lässt  sich  heute  hinter  n  ein  weicher  T-Laut  hören, 
ein  epenthetisches  t  (d).  Dass  derselbe  der  Mundart  schon 
früh  eigen  war,  bezeugen  Reime  und  Schreibung  im  14.  Jahr- 
hundert. Fressant  reimt:  241:  242  landen :  mannen,  die  Ur- 
kunden haben  nicht  selten  beidenthalben  (1296  S5),  wilunt,  inlent^y 
niendert  (Stadtbuch  34  a  S  ,),  ietwederthalben  (Stadtbuch,  Grund- 
text 20a)  doch:  anderhalben  (Stadtbuch  60a  S^,).  Denn 
mannen  (Fressant  242,  reimend  auf  landen)  mit  der  (j-eltung 
von  manden  stellt  sich  das  -mand  in  iemend  in  den  Urkunden 
des  14.  Jahrhunderts  zur  Seite.  Ich  glaube,  dass  in  dem  d 
hier  ein  organisches  d  zu  erblicken  ist  mit  Bücksicht  auf  das 
nordische  mddhr,  welchem  ein  urdeutsches  manth  entsprechen 
würde.  In  der  Behandlung  dieses  d  in  iemand  jedenfalls  machten 
die  Schreiber  unserer  Zeit  in  Augsburg  keine  Ausnahme  von 
dem  Auslautgesetz,  es  erscheint  auch  als  t :  iemant.  Der  T-Laut 
ist  sicher  gesprochen  worden. 

^  Das  Zeichen  th  ist  althochdeutsche  Schreibung  and  ist  als  solche 
nach  Weinhold  (mhd.  Grammatik  §  196)  auf  fränkisohe  Vorlagen  zurück- 
zuführen. Holtzmann  nimmt  gleichfalls  (ahd.  Grammatik  281)  fiir  die 
th'^t  fränkische  Vorlagen  an;  vgl.  dazu:  Braune  in  P.  Br.  B.  I,  58 
über  th. 

*  wilent  ist  gemeindeutsche  Nebenform  für  wUen,  und  es  liegt  ihr 
wohl  eine  Verwechslung  mit  einem  Partizipium  Praesentis  zu  Grunde, 
welches  eine  Partizipialkonstrnktion  in  sich  schliesst. 


466  Dritter  Abschnitt.  220 

Dem  Zusatz  eines  unorganischen  d  steht  ein  stellenweise 
eintretender  Abfall  gegenüber.  In  dem  13.  und  14.  Jahrhundert 
finde  ich  ihn  nur  in :  liupriefter^  Liupold,  amman,  haupffut  (Stadt- 
buch 14a;  15a)  doch:  amtnian  (Stadtbuch  14b  S^);  kusprot 
im  Stadtbuch  neben  histbrot,  gefchutze  neben  gefchiUzde  (Stadt* 
buch,  (xrundtext  76  b).  —  Ausgestossen  ist  auch  das  d  nach 
Synkope  des  Vokals  in :  Ulrich  =  üdalrich  (noch  in  der  ältesten 

Urkunde:  Odalrich)  und  Älltreht  aus  Adelbrekt  (vgl.  Adelgozze 
in  der  ältesten  Urkunde).  Dieser  Vorgang  muss  lange  vor 
unserer  Zeit  stattgefunden  haben,  nicht  ein  einziges  Mal  mahnt 
eine  zufallige  Schreibung  Üdalrich  .  .  .  daran,  dass  die  Ent- 
stehung des  'Ulrich'  dem  Volke  noch  bewusst  gewesen  ist.  — 
Assimiliert  ist  t  vor  p  in:  Walpurge,  auch  in  der  lebenden 
Sprache.  —  Die  Kontraktion  des  -edi  zu  ei  in  reitt  (=  redit) 
ist  ein  ähnlicher  Vorgang,  wie  der  von  Udal  >  Dl,  Adel  >  AL 

d  und  t:  Bezeichnung. 
Nach  dem  Vorangehenden  haben  wir  die  Schreibung  der 
mhd.  Dentalis  d  (aus  germ.  th)  unter  zwei  G-esichtspunkten  zu 
betrachten.  Einmal:  wie  weit  reicht  der  Einfluss  der  ahd. 
Schreibweise  ?  und  zweitens :  wie  weit  haben  sich  die  Schreiber 
gestattet,  dieselbe  nach  der  lebenden  Mundart  zu  modifizieren  ? 
Fremde  Beeinflussung  kommt  nicht  in  Betracht.  —  Mhd.  d 
im  Anlaut  ist  als  d  bewahrt.  Bei  dem  Grebrauch  der  ältesten 
Urkunde:  dinont,  die  mit  d  zu  schreiben,  beharren  auch  die 
städtischen  Schreiber  unserer  •  Periode,  ebenso  die  klerikalen. 
Die  Behandlung  des  d  im  Auslaut  und  im  Inlaut  hat  im 
13.  Jh.  mit  dem  Einsetzen  der  deutsch  geschriebenen  Urkunden 
eine  geringe  Wandlung  erfahren,  welche  teilweise  der  Mund- 
art näher  liegt,  teilweise  dem  mhd.  Schreibgebrauch  sich 
unterordnet;  die  eben  festgestellte  Wandlung  ist  dann  im  Laufe 
des  14.  Jhs.  einer  Weiterung  unterzogen  worden,  welche  cum 
grano  salis  aus  dem  Einfluss  der  Mundart  erfolgte.  Während 
nämlich  die  älteste  Urkunde  phruonte,  haute  neben  haideshusin 
(n.  pr,),  waUbach  (n.  pr.),  harthusin  (n.  pr.),  gebehart,  Reginhart, 
wolfhart  (n.  pr.)  und  Cuonrat  neben  Gumpred  enthält,  erscheint 


221  Konsonantismus.  467 

mit  den.  ersten  deutseben  Urkunden  (S^  und  S^)  des  ganzen 
augsburgischen  Gebietes  d  auf  die  Stellung  zwischen  zwei 
Vokalen  und  zwischen  n  +  Vokal  beschränkt :  imde,  vrktmde, 
zaehendetif  tode,  drvnder,  hinder  gegenüber :  feheni,  chvntf  C/tvnrat, 
want ;  die  Urkunden  der  Hand  83  haben  von  Anfang  an :  fand 
(zunächst  fände)  für  fant  (1283 — 1304  in  jeder  Urkunde  seiner 
ELand) ;  ausserdem  erkennt  S3  richtig  die  Erweichung  (genauer 
Verminderung  der  Explosionsdauer)  des  T-Lautes  nach  /  und 
r:  gebvrde  1283,  vierden  1284  gegenüber  t  in  allen  diesen 
Stellungen  in  den  Urkunden  von  S^  aus  dem  Jahre  1280; 
1283:  folde  (Stadtbuch)«  irrenwolde;  1295  foUle  neben  folten  in 
einer  Urkunde.  Unter  Sg  tritt  auch  zum  ersten  Male  das  nach 
der  Apokope  des  Vokals  unberührte  d  auf:  1302  24.  Febr.: 
ze  veld,  red.  1303  23.  Juui  Rat:  mvtend  fpart.  praes.).  1303. 
frivindy  fient,  hand  (3.  pl.),  fand.  Die  Macht  des  n  +  vorher- 
gehendem langen  Vokal  scheint  er  ebenfalls  zu  achten:  er 
schreibt  1303  wanden  (wähnten).  —  gelvbde  hat  nach  der 
Synkope  des  e  sein  d  bewahrt.  —  S5  hat  im  Stadtbuch  (Novelle 
40  a)  schon  todslach  mehrmals  neben  vnderwinden. 

Zu  dem  eben  beschriebenen  Zustande  in  den  städtischen 
Urkunden  verhalten  sich  die  klerikalen  folgendermassen.  Bis 
1300  kennen  alle  klerikalen  Urkunden  nur  schliessendes  tj 
auch  nach  Liquida,  fant  ist  ihnen  allein  geläufig.  In  eine 
Urkunde  des  bischöflichen  Schreibers  von  1300  zeigt  sich  das 
Gerundium  mit  d  geschrieben:  tauend;  1302  hat  St.  Marga- 
retha:  wavnde,  Sand,  fölie  und  -ent  (3.  pl.). 

In  der  nach  Sg  fallenden  Zeit  erscheint  d  nur  am  Schlüsse 
nach  Apokope  des  Vokals,  sonst  t  d  haben  also  die  Gerundien 
(z.  B.  1309.  10.  Aug.  ze  ezzend  vnd  ze  trincfiend.  Inlautend 
steht  d  fUr  t  nach  n  1331:  vnder]  1336:  wandeti  S^^;  diese 
Form  steht  mit  gleichen  Zahlen  dem  waimten,  wonten  (=  wähnten) 
gegenüber;  1336:  hinder  S^g.  Mit  S,,  beginnt  1313  die 
Freiheit  in  der  Behandlung  des  Schluss  -d.  Es  wechselt 
1313  manod  mit  manat  (1313  vierdhalp  neben  manacQ.  1315. 
Sg:  aubend  apokopiert,  manod  neben  pfant,  1317.  Sg:  pfund, 
pfunU    1323.  Sj :  iemend,  —  hand  und  gand  (3.  pl.)  werden  fest 


468  Dritter  Abschnitt.  22S 

(1321.  1323.  1324  bei  zwei  Schreibern  S^  und  S^^  (G-ehilfe)). 
Auch  im  S^dtbuch  später:  1342.  S^^:  hand.  1330.  Kaiser, 
aber  von  S^  geschrieben:  Rand.     1346.  S^.^:  ftand. 

Die  gleichen  Verhältnisse  bestehen  bei  den  klerikalen 
ürkundenschreibem.  Die  ungeregelte  Verwendung  der  Zeichen 
für  Schluss  -d  hat  sich  aber  hier  ganz  vorzugsweise  fest- 
gesetzt; so  schreibt  St.  Cath.  1311:  geleitzed,  fant]  St.  Georg 
für  die  3.  plur.  1338:  lefend,  Mrend  gegenüber  feherUj  kunt, 
aMunden»  Curia:  1345:  habend  (3.  pl.)  neben:  ze  habend  vnd 
ze  niezzend,  ze  veld,  vzbezaickent  fpart.  praet).  1346 :  ze  hobent 
vnd  ze  niezzend,  fryund  (apokopiert  aus  fryxmde).  Vordem  aber 
kehrte  der  Schreiber  der  Curia  1331  eine  starke  Neigung 
zu  t  heraus,  so  dass  er  es  auch  inlautend  setzte,  er  schrieb 
also:  wert^  (3.  sing.  conj.  =  werde),  iemanb,  sant,  vnder.  1351: 
vrchunt\  1350:  ze  habent  vnd  ze  niezzend,  d.  h.  sogar  t  und  d  bei 
gleicher  Stellung  und  gewissermassen  im  selben  Handzuge. 

Die  von  der  bischöflichen  Kanzlei  in  den  vierziger  Jahren 
ausgehenden  -end  für  -ent  (3.  pl.)  finden  auch  bei  den  Stadt- 
schreibem  1351  Aufnahme;  S^,  gebraucht  Itabend  neben 
haund  (letzteres  nach  alter  Weise).  In  den  sechziger  Jahfen 
hat  d  so  ziemlich  auf  der  ganzen  Linie  gesiegt,  vereinzelt 
steht  1366 :  Iiant  (3.  pl.)  gegenüber  phund,  welch  letzteres  sich 
am  längsten  gewehrt  hatte.  1367 :  veltHreit  gegenüber  ze  veldy 
haund  (S^^).  Das  epenthetische  d  finde  ich  ausser  jenen 
schon  bei  der  Besprechung  des  Lautwerthes  herangezogenen 
Belegen  nirgends  in  den  Urkunden;  in  den  Einträgen  des 
Stadtbuches  dagegen  ist  es  unläugbar  gepflegt.  —  Von  den 
Wortbildungen  mit  -te  (=-üie,  -ede):  gelubde,  gefchaefUf  ge- 
dingde,  gemaechde  erscheint  nur  geschaefte  mit  t  (Stadtbnch, 
Grundtext  19  a  und  76  a),  mit  d:  (Grundtezt  36  b). 

Anlautend  ist  t  für  d  nur  in  dem  Wort  lipting  häufig 
geschrieben,  es  hat  sich  auch  in  der  anderen  Form :  UbgeHnge  ^ 

*  Im  Stadtbuch  schreibt  S9  werd  (=  wert). 

'  Das  Stadtbuch  kennt  nur  lipgedinge  und  dinc.  Aus  den  Urkunden 
ist  die  Form  mit  t  belegt:  1296,  Upgetinge  (U.2).  1888.  Si«:  libting. 
1315.  Sg:  lipding. 


223  KonsonantiBmus.  469 

erhalten  und  in  dem  einfachen  fing  (z.  B. :  vogtes  ting),  nie 
aber  ist  es  auf  das  Substantivum  dinc  =  'Bing,  Sache'  über- 
tragen worden.  Es  lebte  wohl  auch  in  dem  Volksmunde 
diese  differenzierende  Verwendung  des  ^  für  (i ;  darum  glaube 
ich,  dass  diesem  Wort  eine  eigene  Behandlung  zukommt. 
Fremdwörter  haben  meist  t  erhalten :  so  ist  techant  überwiegend 
für  lateinisches  decanus  geschrieben. 

t:  Bezeichnung. 

Anlautend  ist  t  in  den  städtischen  Urkunden  anfangs 
mehr  als  A  geschrieben,  regelmässig  von  S^  und  S^  in  dem 
Worte  ^thun  in  der  Eingangsformel  von  1280  an.  Die  aller- 
ersten Urkunden  haben  auch  hier  nur  t  In  tusent  findet  sich 
ein  unorganisches  ^  für  ü  ein,  es  wird  in  einer  Urkunde  des 
Spitals  durch  th  ersetzt:  1283:  thufent  neben  thun^  t/ieten,  Sg 
bat  nur  t,  und  in  tun  bleibt  t  nun  fest.  Im  14.  Jh.  findet 
sich  th  auch  in  klerikalen  Urkunden  nicht  mehr.  Eine  Urkunde 
Landsbergs  aus  dem  Jahre  1323,  unter  dem  Stadtsiegel  von 
Landsberg  in  diesem  Orte  wahrscheinlich  durch  den  Stadt- 
schreiber von  Landsberg  ausgestellt,  besitzt  noch  th. 

Auslautend  ist  t  für  d  in  den  meisten  Fällen  schon  be- 
handelt bei  d:  in  fant,  geburt,  hant  (3.  pl.)  wird  es  häufig  zu 
d\  die  Endung  der  3.  sing,  praes.  ind.  endet  immer  auf  tj 
das  part.  praet.  einmal  auf  d:  gefeiized  1311.  (hl.  Creuz). 
In  älterer  Zeit  (ahd.)  tritt  vielfach  ein  h  am  Schlüsse  nach 
t  an  zum  Zeichen  der  Dehnung  ^  Zu  unserer  Zeit  (von  1272 
bis  1374)  erscheint  h  noch  einmal  in  obtath  (Achtbuch).  Das 
h  soll  wohl  die  Aspiration  der  auslautenden  Tennis  (wie  sie 
in  der  heutigen  Sprachform  lebt)  andeuten*.  —  Erwähnt 
werden  muss  an  dieser  Stelle  noch  die  Schreibung  in  dem 
Präfix  ant-y  ent-:  das  Verbum  'entlösen'  wird  von  S^  in  der 
Regel  entfUöfen,  auseinandergezogen  enthelöfen,  geschrieben; 
1302  von  demselben:  anihxjorten.  Auch  S^  muss  uns  als  ein 
der  Augsburger  Mundart  femstehender  Schreiber  gelten,  und 

^  Ygl.  die  Belege  bei  Eaufifmann  a.  a.  0.  S.  207,  Anm.  3. 
'  Ygl.  Kaufifmann  ebenda. 


470  Dritter  Absohnitt.  224 

darum  kanu  seine  Behandlung  mancher  Laute  als  auf  pho- 
netischen Versuchen  gegründet  gelten,  ähnlich  wie  das  Ver- 
fahren von  Sg.  Einen  gleichen  phonetischen  Versuch  hat  S^ 
mit  dem  Worte  wordten  vorgenommen;  dt^  th  sind  für  ihn 
Ausdrucksweisen  eines  gedehnten  T-Lautes:  jenes  dcUt. 

Verdopplung  des  t  tritt  zuweilen  ein,  mit  grösserer  Regel- 
mässigkeit in  Väterlich^ :  vaetterlich  und  vaStterlich  geschrieben  ^. 
Da  sich  die  Erscheinimg  wiederholt,  dass  der  Vokal  vor 
solchem  Doppel-t  seine  Dehnung  nicht  verliert  oder  sie 
sogar  graphisch  dazu  erhält,  so  dürfte  es  nicht  geraten  sein, 
in  der  Gemination  eine  Verdopplung  im  heutigen  neuhoch- 
deutschen Sinne  zu  erblicken,  es  ist  mit  ihr  wohl  nur  die 
Konsonantendehnung  beabsichtigt,  welche  sich  uns  bis  jetzt 
als  Orundzug  nicht  allein  der  schwäbischen  dentalis  fortis 
herausgestellt  hat.  Die  Gemination  ist  eine  Schreibmanier, 
welche  gerade  im  14.  u.  15.  Jahrhundert  wuchert  und  deren 
Vorboten  sich  schon  von  Anfang  unserer  Zeit  an  bemerklich 
machen:  stette,  goUes,  bestetter,  veiterlich.  Die  Begründung 
dafür,  dass  der  t)oppelschreibung  keine  besondere  lautliche 
Bedeutung  zufällt,  hat  Heusler^  durchzuführen  gesucht;  ich 
bin  ihm  zu  widersprechen  geneigt  in  Fällen,  in  denen  U  als 
ein  Resultat  vokalischer  Synkope  anzusprechen  ist,  z.  B.  das 
schon  erwähnte  beHetter  darf  als  Nebenform  für  beäeteter  gelten  \ 

*  Andere  Fälle  der  Gemination  von  t  sind:  reutter  (Achtbuch  62b); 
bimwurft  (62  b.)  -  Urkunden :  wirttef  (1325 : 8»  (A.)) ;  (ritten  1836. 
Kaiserl.  (A.));  gelertten  wortten  (1367.  Si«  (A.));  miU  (1355  8t.  Kath.) 

^  Heusler,  alam.  Konsonantismus  S.  37. 

*  In  andern  Fällen  möchte  ich  die  Erklärung  Schmellers  herbei- 
ziehen: Schmeller  führt  nämlich  als  Eigenheit  des  Bairischen  folgendes 
an.  Wenn  Eingeborene  ihrem  Dialekte  sich  enthebend  rein  hochdeutsch 
sprechen  wollen,  so  geben  sie  zwar  die  meistens  diphthongische  Aus- 
sprache der  Längen  auf,  es  widerstrebt  aber  ihrem  Sprachgefühle,  sie 
vor  geschärften  Consonanten  zu  dehnen.  Sie  sagen  also  ratten,  spätter, 
blutten  statt  rätetif  später,  bluten  (bluten).  Blankenburg  hat  das  gleiche 
von  Abraham  a.  St.  Clara  nachgewiesen,  der  ein  geborener  Schwabe  in 
Baiern  und  Oesterreich  und  1688  bei  Augsburg,  d.  h.  im  bairisch-schwäb. 
Gebiet  lebte  (G.  Blankenburg:  Studien  über  die  Sprache  Abr.  a.  St.  CL 
Halle  1897.     S.  20.  40  ff.). 


8S5  KonsonantismuB.  471 

In  der  nach  unserer  Zeit  fallenden  Schreibung  di  wird  das 
noch  mehr  zutage  treten,  und  es  wird  nicht  immer  in  einem 
dt,  td  nur  der  Ersatz  einer  einfachen  stimmlosen  Dentalis  zu 
erblicken  sein^ 

z:  Geltung. 

Die  Verschiebung  der  gemeingermanischen  Tenuis  ist  in 
der  gebildeten  Sprache  der  früheren  Zeit  wie  heute  der  lin- 
guale Aflfrikatdiphthong  z  =  t8  geblieben  im  Auslaut.  In- 
lautend hat  er  sich  nur  erhalten  nach  kurzen  Vokalen, 
nach  l,  r,  t,  vfo  tt  =  tj  zu  Grunde  lag ;  in  allen  anderen  Fällen 
wandelte  er  sich  zu  einer  langen  Reibelautfortis  =  scharfem  s. 
Im  Auslaut  trat  im  mhd.  durcliaus  s  an  die  Stelle  der 
AfFrikata,  seit  dem  letzten  Drittel  des  13.  Jh.  in  Augsburger 
Schriftstücken  auch  durch  die  Schreibung  s  kenntlich  gemacht.  — 
Die  Geltung  des  anlautenden  z  und  des  z  nach  kurzem  Vokal, 
nach  /,  r,  t  und  in  dem  Wort  Cruce  als  ts  wird  gesichert 
durch  die  namentlich  im  13.  Jh.  in  den  augsburgischen 
Denkmälern  aller  Art  überlieferte  Schreibung  mit  c:  z.  B. 
ce  =  ze,  hince,  swarces,  Cruce ;  der  lange  Reibelaut  wird  kenntlich 
gemacht  durch  die  Schreibung  zz,  noch  im  13.  Jh.  durch  Ff 
und  sogar  durch  fz  (zJ)  ersetzt,  welch'  letztere  Schreibungen 
im  14.  Jh.  sich  ausbreiten.  Anlautend  entsteht  die  Reibe- 
lautfortis  in  fzwen  aus  etestoenne,  etetnven,  noch  1391  im  Acht- 
buch häufig. 

z:  Bezeichnung. 

Anlautender  Affnkatdiphthong  wird  mit  z,  c  wiedergegeben. 
Letzteres  Zeichen  steht  jedoch  in   den   Urkunden  nicht  im 

^  Ein  solcher  scheint  allerdings  das  dt  der  Praxis  eines  Luzerner 

Stadtschreibers  (Renvard  Cysat  1575?)  zufolge  zu  sein.   Unter  der  Aegide 

dieses  Hannes,  welcher  von  Brandstetter  als  ein  scharfer  Sprach-  und 

Formenbeobachter,  mannigfach   literarisch   und   organisatorisch  thätig, 

geschildert   wird,    bringt   ein  Schreiber   in   sehr    vielen    Schriftstücken 

seiner  Unterbeamt^n  und  auch  in  früheren  Urkunden  Korrekturen  an, 

darunter  für  lant  lüten :  landt  lüten,  für  lant  aigel :  land  aigel,  d.  h.  'man 

hatte  die  Latitüde  land  oder  landt  zu   schreiben,  lant  wurde  dagegen 

als  Fehler  angesehen'  (Geschiohtsfreund  47,  276). 

31 


479  Dritter  Absolmitt.  S26 

Wortanlaut  ftbr  jp,  sondern  nur  im  Silbenanlant:  Unoe,  Chrihee, 
iareiten  neben  iarziten,  dagegen  im  Stadtbach  häufig  ce,  hmoe, 
swarces,  cinaK  Im  14.  Jh.  verschwindet  0  für  z]  in  Critce  hält 
es  sich  noch  länger:  1324.  Crucea  S,.  Im  Inlaut  greift  noch 
im  13.  Jh.  tz,  tzz  für  z  Platz :  Adäzigolien  neben  ahzek,  fetzzen^ 
vntzzerbrochen,  vntz,  fUzet,  gaentzlich,  Nivntzigo/tem.  Ueberhaupt 
wird  tz  nach  n  für  2:  bevorzugt.  Ausserdem  in  Chrittze,  z.  B. 
1333.  Sjg.  Inlautend  zwischen  Vokalen  wird  die  Affiikata 
nach  langem  Vokal  zum  langen  Beibelaut,  bezeichnet  durch 
z,  zzj  8s,  (8Z9  Z8j  auch  £2:2:  (Truchfastzze).  Von  diesen  Zeichen 
gehört  Z8  im  13.  Jh.  nur  klerikalen  Urkunden  an,  im  14.  Jh. 
wird  es  allgemeiner  verwendet,  zs  hat  im  14.  Jh.  z.  B.  S^: 
1328:  toizlen]  S^, :  1333:  drizligo/len]  1335:  GermanzAoanch; 
S^^:  1340:  ftczfet,  Unverschoben  ist  anlautendes  gemein- 
germanisches  t,  in  dem  vereinzelten:  vnbetwingelichen  (1335. 
Sia)-  S18  bevorzugt  //  für  zz]  1335:  Gaffen,  Hoffet,  driffi- 
goften,  lieffi;  1336:  gehaiffen,  —  Vor  t  des  Affixes  wird  zz 
zu  8  :  welie,  belle,  mhfte  *, 

Auslautend  bleibt  z  die  ganze  Periode  hindurch  in  den 
augsburgischen  Schriftstücken  Schriftzeichen  für  den  aus  der 
Affrikata  entstandenen  scharfen  Reibelaut  Schon  in  den 
ersten  Urkunden  aber  findet  sich  «,  zuerst  7)  dann  noch  im 
13.  Jh.  häufig  8  geschrieben,  ein.  Während  von  den  hier 
in  Betracht  kommenden  Stellungen  die  meisten  z  und  s  (f,  s) 
unterschiedslos,  zeitlich  und  örtlich  aufweisen,  wird  die 
Genitivendung  -es  im  14,  Jh.  bei  voller  G-estalt  mit  f,  s  ge- 
schrieben, nach  Synkope  des  Vokals  wird  a,  sobald  es  dadurch 
hinter  t  zu  stehen  kommt,  z  geschrieben:  Gotefhus,  aber  in 
der  Kegel:  Gotzhus,  vnbefichtez  und  vnbef^chtes,  aber  in  der 
Regel:  vnbefvchtz,  Ausnahmen  sind  z.  B.  1323  S^:  Gotfhxjt» 
neben  Gotzhv9\  1337:  Gotsliova  (St  Ulrich?) 

Die  G-estalt  des  z  ist  eine  sehr  wechselnde;  fiEist  jeder 
Schreiber  hat  eine  besondere,   nur  ihm   eigene   Art,    sein  z 

^  V^l.  Weinhold:  mhd.  Gramm.  §  186.:  „ausser  z  wird  im  Anlaut 
Tor  e  und  i  noch  im  12.  und  13.  Jh.  gern  0  gesohrieben*'. 
«  Vgl.  Weinhold:  mhd.  Gramm.  §  166. 


827  KonBonaDtiamut.  478 

za  malen.  Gerade  dadurch  wird  dieser  Bachstabe  zu  einem 
Erkennungszeichen  seines  Erzeugers.  Von  diesen  wechsebiden 
Fassungen  des  z  hebt  sich  namentlich  eine  heraus,  welche 
seit  den  dreissiger  Jahren,  seit  S^,  zuweilen  Nachahmung 
unter  den  Augsburger  Schreibern  gefunden  hatte,  und  welche 
für  die  Periode  Hagens,  yon  1846  an,  fast  ein  Charakte- 
ristikum seiner  Zeit  geworden  war.  S^  brachte  nämlich  in 
einer  Urkunde  von  1330,  welche  er  als  Yorurkunde  für  die 
kaiserliche  Kanzlei  ausfertigte,  eine  Form  des  z  an,  welche 
mit  einem  Yorbogen  beginnend  eine  gewisse  Aehnlichkeit 
mit  einer  Komposition :  c  +  2:  »b  o;  hatte,  Yon  S,  C3  gezeichnet. 
Si3  hat  dieselbe  Form  1337.  Durch  S^,  gewinnt  dieselbe, 
vermöge  der  diesem  Schreiber  eigenen  Neigung,  stark  und 
ausdrucksvoll  zu  schreiben,  immer  mehr  Aehnlichkeit  mit 
dem  Zeichen  für  z^  welches  in  den  gleichzeitigen  Urkunden 
der  Kanzlei  Karls  lY.  als  cz  gelesen  wird.  Hier  ist  dieses 
Zeichen  allerdings  in  der  Segel  cz^  unter  den  von  Augsburger 
Schreibern  hervorgebrachten  jenem  ez  ähnelnden  Zeichen  aber 
erkenne  ich  die  Identität  mit  einem  cz  nur  in  zwei  FäUen  an : 
der  Augsburger  Stadtschreiber  Hagen  hat,  als  er  zwei  Ur- 
kunden des  Kaisers  Karl  kopierte,  auch  die  diesen  angehörigen 
Zeichen  für  z  getreulich  wiederzugeben  versucht.  (Missivbuch 
1864,)  u.  86 :  Czenden^  n.  63 :  c^m/,  CzeiUn.  cz  ist  imleugbar 
zu  lesen  in  Czenden  und  Czeüeuj  da  c  hier  gross  geschrieben 
ist.  Dass  cz  in  der  augsburgischen  Stadtkanzlei  Eingang  finden 
konnte,  nachdem  es  durch  einen  Ort  wie  die  kaiserliche 
Kanzlei  empfohlen  war,  wäre  deshalb  nicht  so  seltsam,  weil 
es  einerseits  Schreiberdiplomatie  war,  auffallende  Eigenheiten 
der  kaiserlichen  Kanzlei  im  Yerkehr  mit  derselben  anzunehmen, 
namentlich  mehr  kalligraphische  (wie  z.  B.  f  nach  dem  Yor- 
bilde  der  kaiserlichen  Kanzlei  Ludwigs  zu  einer  gewissen 
Zeit  gern  geschrieben  wurde),  und  weil  andererseits  die  Schreiber 
durch  die  Einrichtung  der  Kopialbticher  gleichsam  gezwungen 
waren,  Schreibungen  nachzubilden.  Auf  diesem  Wege  konnte 
ihnen  eine  sonst  fernliegende  graphische  Erscheinung  in  der 
eigenen  Darstellung  an  bestimmten  Orten  geläufig   werden. 

31  • 


474  Dritter  Abschnitt.  238 

Gheschrieben  ist  die  oben  beschriebene  Gestalt  von  z  (tz^  oder 
C2r?)  im  Anlaut  erst  um  1400,  z.  B.  Achtbuch:  öfter  czä,  ezeiten 
(34  b.  II.);  1352  fze  (=ze)  S^,  (A). 

s:  Geltung. 

Die  Zungenfrikativa  erscheint  im  Oberdeutschen  als  eine 
tonlose  und  eine  tönende.  Jene  ist  die  Fortis,  diese  die 
Lenis^.  Die  Fortis  gibt  der  Augsburger  als  /  im  Anlaut, 
nur  einmal  schreibt  Sg  fo  als  zo  und  1338  der  bischöfliche 
und  zugleich  kaiserliche  Schreiber:  setia  als  zehs.  Im  Inlaut 
wird  reines  s  gesprochen.  Von  S^g  und  Sj^  vrird  es  in  dem 
Worte  entldfen  in  den  Urkunden  der  Jahre  1338 — 1341  oft 
als  entUzen  geschrieben,  phonetisch  sind  diese  Fälle  nicht 
bedeutsam.  —  In  den  Verbindungen  ^  sp,  d^  atriy  m,  st,  sw 
wird  scM,  schp  .  .  .  gesprochen,  bei  sl,  sn  und  stellenweise 
bei  9tD  durch  die  Schreibung  mit  seh  kenntlich  gemacht,  ge- 
sworen,  swefter  machen  eine  Ausnahme.  Das  durch  jenes  oben 
erwähnte  germanische  Gesetz,  dass  Lingualis  vor  Lingualis 
(t)  zu  8  wird,  in  seh  übergegangene  a  wird  in  mustergültigen 
Schriftstücken  nur  als  s  geschrieben ;  bezeugt  ist  die  Geltung 
Bch  durch  die  Schreibung  eiUschten  in  einer  Urkunde  des 
Ellosters  zum  hl.  Kreutz  vom  Jahre  1311.  Heute  hat  sich 
dieser  cerebrale  Keibelaut  aller  s  vor  Konsonanten  bemächtigt. 

s:  Bezeichnmig. 

Unterschiedslos  wurde  in  Augsburg  anfangs  jedes 
8  mit  /  wiedergegeben.  Das  /  oder  z  der  Flexions- 
silbe -es  des  Gen.  Sing,  wurde  zuerst  mit  dem  noch 
im  13.  Jh.  erscheinenden  s  vertauscht.  In  den  Inlaut 
drang  s  nur  in  einer  Urkunde  des  Schreibers  Sj  von  1296  (A) : 
er  schreibt  lesent,  disen,  vnsers,  Auspurch,  fände,  Tvmhrohlt.  — 


>  Vgl  Weinhold,  mhd.  Gr.  §  188. 

"  Vgl.  0.  Aron :  zur  Geschichte  der  Verbindungen  eines  »,  8ch  mit 
Konsonanten  im  Neuhochdeutschen:  P.  Br.  B.  17,  225,  über  9cl  für  sZ: 
Scherer:  Z.  G.  d.  Spr.  127.  Braune,  ahd.  Grammatik  §  169,  Anm.  3.  — 
Weinhold,  mhd.  Grammatik  206,  208.  alam.  Gramm.  §  190. 


229  KonsonantiBmus.  476 

entldzen  und  zo  sind  schon  erwähnt,  desgleichen  eütfchten.  — 
St.  TTIrich  schreibt  einmal  1288:  hattzfet  (U.  I). 

seh:  Geltung  und  Bezeichnang. 

Ahd.  sc  ging  schon  im  9.  Jh.  zu  seh  in  der  Schreibung 
über.  In  unsem  Quellen  ist  zwar  seh  die  Kegel,  aber  Schreibungen 
mit  rh,  sogar  mit  /  sind  periodenweise  hervortretend,  fliriber, 
fmiu  fchaffte  gehören  besonders  dem  Stadtschreiber  Ulrich 
S,  (1319—1333?)  und  seinen  Gehülfen  an.  Beispiele  sind: 
1289:  ge/hach,  fhaden,  gefhach?  (A);  1292.  atgmfchcffft^  er/lagen 
8^  (A) ;  1292.  gefchriben,  gefwarm  S,  (Fürst,  sei.  XV.  80,  3). 
1296.  befwaret  S^  (R.  6,  5).  1302.  gefcriben  S^  (0.  5).  1303. 
geTworen  Sg  (A).     1304.  gefcriben  S^  (0.  6). 

g  an-  und  inlautend:  Belege: 

Urkunden: 

städtische:  anlautend  und  inlautend:  g^  immer  k  in  dem  n.  propr. 

klocker,  z.  B.  1328.  Gvnrat  der  klocker  S^^ 
(A);  in  der  Regel  Aufpurg  mit  Ausfall  des  g: 
vereinzelt:  1322  Augfpurch  S,  (C.  7).  —  1326 
chlage  S,  (A).  —  1345  Augfpurg  S„  (A).  — 
1372  Auchfpurch  S^.  (B.  14,  8  X^). 

Bisch.,    Domk.    und   Klöster:    anlautend  und  inlautend:    g: 

1311   Augfpurch  hl.  Oreutz  (hl.  Cr.  4).   — 
Kaiser:  1347  Augfpurch  (A). 
Die  Ausnahmefalle  im  Stadtbuch  und  Achtbuch  sind  im 
Text  hervorgehoben. 

k  (an-  und  inlautend)  auslautend  g  =s  k 

Urkunden: 
städtische:   k  und  ch:    1272   S^      Bis  1300:  k,  c,  ch  und 
(U.U.):   Crvce,  kvnt.  ck:  Avfpurch,  Sieben- 

zek,  inneclichen. 
1273  Sj  (A):  k.  mak,  burcgrave,  Siben- 

zech. 
1277  S^:   chvnt,  chirchgazze,  chlein,     Jaereglich,  gezivc. 
chvmt,  vrchvnde,  Chynrat. 


476 


Dritter  Abschnitt. 


230 


h  (an-  und  inlautend) 
1280  S^:   eh.   —  S^  (H):  Ohvnrat, 
chvnt,  kauft.  —  S«:  eh.  —    1282 
S,:  eh. 

1282  S^:  krieeh,  korherren,  ehain, 
kapein,  ChvA;er,  Chvnrat,  Ohofilnery 
Oftermarkte,  Ekke. 

1283  S^  (A):  kvmpt,  kvnt,  eheiner. 
—  verchauft,  vrehvnde.  —  Sg  (A): 
Aeeher,  volchwein. 

Sg.'  überwiegend  eh:  immer  chtint,  zu- 
weüen  k:  1286.  verkaufft.  —  S,: 
ehunt,  verkauft. 

1290  Sg  (H):  ehynt,  ehymt,  ehain. 
Sgl   1290:  durchweg  eh. 

1291  Sg  (A):  eh.  —  S,  (H):  ehvnt, 
ehainen,  verkoyflEt. 

1292  S^  (A) :  ehvBt,  ehymt,  gedenekeiL 
Sg  (P.  sei,  XV,  80,  3):  ehvnt,  ehernen. 

1294  S^(R.Xi):  eh. 

1295  Sg  (U.  1):  Chinde,  kvnt,  Chvn- 
rat.  —  eh. 

1297  S^  (A):  kvnt;  eh.  —  Sg  (C.  4): 
kvnt. 

1298  S^  (G.  1):  ehunt,  verchavfft, 
aehers.  —  Sg  (A):  kvnt. 

Sg  (A) :  eh. 

1299  Sg  (A):  eh. 
Sg,  Sg:  eh. 

1302  3.  Febr.  Sg  (hl.  Cr.  4):  kvnt, 
verkauffet. 


auslautend  g  s^tk 


krieeh,  Aufpnrch,  (volk- 
win)  dineh,  mak. 

Avfpurch,  purchgraven. 
ledie. 

in  der  Regel  eh;    1283: 

zinfvellik.     —     1286 

Sechzech,       genedec- 

liehen, 
tack,  Aufpurch. 
tack,  gezivek.  —  perch- 

hof.  —  lediek. 
lediek.  —  drizzeck, 

mack. 
eweehlich,  zinfvelliek. 
taidineh,taeh,Aufparch, 

Lodewieh. 
Aufpurch,  fehuldik, 

laneh,  fehuldiek,  lediek. 
tak. ick. 

-echlichen,  avfpurch. 

tag. 

lediek,  genvck,  ruwich- 

lieh, 
gehvgn^ffe. 
ek,  k;  Aufpurch. 
zewanzech,  Aufpurch, 

tak. 


S81 


Koiuonantismus. 


477 


k  (an-  and  inlautend) 

1302  24.  Febr.  S,:  chunt,  Cruzes. 
S^:  k;  yerchaufet. 

1303  S,  (A) :  chynt. 

S«:  kynt,  ChlofteTi  ohomen. 
1306  8«  (A):  kynt;  k. 
1306   Se  (U.  2):  k.  —  bis  1313:  k, 
selten  ch. 

1313   S,  (Ü.2):    kunt,   kind,    chint, 

chomen,  choment,  kain. 
Se,  Sg:  k,  ch.  —  1317  Sg  (A):  chunt, 

chirchhof. 
Sg  (C.  6):  kunty  verchaufft.  —  S^:  k. 
1318  Sg  (ü.  2) :  chom,  Chuftray,  kont, 

Crutzes.  —  1319  Sg  (A):  kunt 

Sg:  k  und  ch;  Aekeren. 

1320  (A):  ch  nnd  k. 

1322:  kunt,  clainen,  chomeii;  chom, 

aekeren,  —  (C.  7) :  kvnt. 
1323:  ch;  klofter.  —  k;  Appotecher. 

Sjg:  ch;  selten  c;   chunt,  yerchauft, 

kirchgazzen. 
Sg:  kunt;  ch. 
1826  S^g  (A) :  kunt,  kriech,  yerchauft. 

—  chunt,  kriech,  yerchauft. 
1326  Sg:  clag,  chlagt,  yerchauft^  kint, 

komen,  chunt,  kom,  chinden. 
1329  Sjg  (A):  kynt,  trinchen.  —  ch; 
Windüerin. 

1830  Sg*.  kunt,  kain,  ciain. 

Sjg:  ch.  —  1332:  ch;  (Jeuchhart). 

—  1333  (hl.  Gr.  6) :  kunt,  chaanen. 


auslautend  k^=  g 
Aufpurk,  tak. 
k;  AuTpurch. 
tack. 

k,  g,  ck ;  sechziok,  zinf- 

yellick.  ~  mag,  sonst  ck. 

laelig,  (gn  vg,  geriyg)  tag. 

—  k,  c;  Sg:  -ick. 
zwaintzig. 

ch,  ck.  —  mak,  dincb. 

ledik,  driezg.  —  Sg:  ck. 
(tag  (dat.)),  ledick,  mack. 

iSglichen,    zwaiynd- 

yierzick,  drizzeck. 
willeclich,  tac,  funfzich, 

gen&ch. 
zwainzeg,  zinfyellich. 
mach.  —  krieg,  Augf- 

purch. 
faelig.  —  Holtzmarch, 

tagwaerch. 
ch;  criech. 

ck. 

(genug),   kriech,   tach. 

—  (gnüg),  kriech, 
dinchhus,  ledicb. 

f  hilling,  williolioh, 
Marchwart,  (gen&g).  •* 
tag,  zinfuellig. 

weniky  ledich,  (gezüg). 

frietag,   gemainclichen. 

—  ewichlich.  — ^Binch- 


478 


Dritter  Abschnitt. 


23S 


k  (an-  und  inlautend) 

—  1334  (A):  k;  nachchomen,  ge- 
chauft. 

1 336  S^g  (ü.  5) :  komen,  chomey  kome, 
clagt,  kunt,  Ohufter,  yerchauft.  — 
k;  chain,  kain. 

1336  Kaiser:  keyfer,  kumbt. 
Sjj"    1^5   "»  der  Regel   vrchunde.    — 
1337:  chunt,  choment.  —  k,  c. 

1338  S^5  (TT.  6) :  chunt,  chain,  chomen, 
chuftrie,  nachchome,  vrchunde,  kyr- 
chen.  —  Sjg  (A):  kunt,  vrchunde. 

SjQ  (A) :  kom,  klagt,  clagen,  klainen, 
kunt. 

1339  Sjg  (A):  kunt. 

Vogt:  8^5  (A):  kunt,  chlagt,  ver- 
chauffen,  kom,  A*kker. 

1340  Kaiser  S^g:  Ghayfer,  chunt, 
erchant,  chauflaüt  —  1341  S^^: 
kunt,  verkauft.  —  chomen,  f&r- 
ch6men,  nachkomen,  chumpt,  ge- 
kauft, vrchund. 

1342  Siji  k.  —  8^5  (hl.  Cr.  6):  chunt, 
chom,  Chrutz. 

1343  8^^  (A):  kunt,  karfritach.  — 
ch  und  k. 

1344  8^^:  kunt,  kumpt,  krieg. 

1345  8ie  (H.20):   kunt.  —  8^,:   k. 

—  8 jg  (hl.  Or.  6) :  kunt,  nachchomen. 

8^5  (A):  kunt,  krieg,  verkoufift,  vz- 
gemerchet. 

Sj,:  k,  ch;  marchen.  —  1346:  k.  — 
1348:  ch&mg,  kunt.  —  1349:  c,  k. 

—  chumt,  chomen,  kümpt,  clag.  — 


auslautend  k  =  g 

mavr,    dinchhus.    - 
tach,  zinfuellig. 
zinfuellig ,     tag ,     tac, 
dinch.  —  ch,  g,  -nch; 
miffhellung,  tag,  Grei> 
manzfwanch,  -ic. 

-ic.  —  ledich. 
ewidiche. 


dinkhüs,  kunk. 

sagch,  (genüg), 
dinchaus,  zoch. 

-ic. 


drizzig,  Mtag,  Ubding. 

—  taeding. 
tag,  karfritach,  Perck* 

hof,  järdich.  —  -ic 
-ec. 
-ec.  —  tag;  -c.  —  gerue- 

wichlich. 

Pfenning,  Aufpurch, 
Aufpurg. 

drilzig.  —  gemainclich, 
Aufpurg. 


S33 


Konsonantismus. 


479 


k  (an-  and  inlautend) 

verchauffent,  nachkomen,  marken. 

—  bis  1350:  k. 

1351:    chinde,    chumpt,    chainerlay, 

verchaüffent,  nachkomen. 
(R.  X|lly2):   chunty  komen,  chain, 

k&ng.  —  k;  clainem. 
1352:  k.  —  1354:  chain,  nachkomen. 

—  1356    (0.10):   kunt,  gehenckt. 

—  1357 :  kunt,  marcken,  gehenckt. 
1357:  k;  gehenckt^  Aecker,  clage. 
Sj^:   1362—1368:  k;  immer  kunt. 

1372  Sie  C^  14)  •  ^^^  Nauchkumen, 

Urkunde  Bekennen. 
1374  Sie  (B.  12):  k. 


auslautend  k=  g 


geruwiclich.  —  Junch- 

frawen. 
Aufpurg,  kfing. 

dinkhüsy  werchlut, 
purchfraw. 

sghtzig,  Gieng. 
DinckhÜ8y(tag)  funftzig. 
—  teidingy  Aufpurg. 
Auchfpurch. 

Aufpurg,  Ludwig,  an- 
gieng. 


Bischof  und  Domkapitel: 


k  (an-  und  inlautend) 

1289:  chunt,  nahchomen,  nahkomen. 

—  1290  (A):  katn,  Aeckaere. 
1293:  chunt,  chertze,  vrchunde.  — 

1296:  eh. 

1305  (R.X|):  ch;  klag.  —  1316:  L 

1326:  kunt.  —  1332:   ch.  *-  1836: 

kunt,  yrkunde. 
1338  bisch.-kaiserl.  (A):  chunt. 

—  1341  (0.9):  chunt. 

1342:  kunt,  kompt,  kauft.  —  1343:  ch. 
1350 :  chunt,  verkauft;  k.  —  1351 :  ch. 

—  chunt,  kaufen.  —  kunt,  gechauf t, 
chinden,  vrchfint.  —  (Dom):  k. 

1359  (A):  kunt,  vrchund. 


auslautend  g  ^=^k 
Afpurk,  ewikUch. 

teidinch.  —  dinckhovs, 
felichlich,    driezeck, 
Fvnftzeck,  Aufpurch. 

fchuldick,  (klag),  Auf- 
purch. — Aufpurg,  tag. 

ledich. 

wechhalter,  vleizch- 

lichen. 
fritag. 
-c;  B6tenberg. 


Volkweinin. 


480 


Dritter  Absohnitt 


234 


k  (an-  und  inlautend) 
Curia:  1320  (G.  2):  kümpt,  chünt. 

—  1326  (U.2):  kunt. 
1327:  k. 

1337:  chonty  vrchünde.  —  1341:  vr- 

ch^de. 
1345,  1346:  eh.  —  1369:  kunt. 


Klöster: 

St.  Oath.:  1279  (0.2):  kunt. 
1321  (0. 7):  chunty  Olofters,  Chlofters, 

Crüces.  —  1324 :  eh.  —  1326 :  k. 
1338  (A):  kunt,  kument. 
1848  (0. 6) :  kauffen,  nachkomen.  — 

1355  (CIO):  kunt. 

St  Georg:  1282  (G.  1):  kvnt,  clofter, 

kvmt  —  1337  (A):  kunt;  k. 
1338:  crfitz,  kunt.  —   1346:  chunt, 

verchaufft,  chrieg. 
St.    Stephan:    1306   (A):    chunt» 

Ohehierin,    Olölter.   —    1327:    k; 

cloOer.  —  1347:  k. 

1858 :  kunt  —  1366 :  kunt,  marcken. 
Hl.  Kreutz:  1311  (hl.Or.4):  k. 
1326:    nachkomenn,    kunt,    crutzes, 

Sw&begge. —  1334:  chr^tze,  kunt, 

clainen,  chomen. 
1339:   Crutz,   vercbauffet,  chirohen. 

—  1360:  Krfitz. 
St  Ulrich:   1288  (U.  1):  kaeiner, 

kunt — 1 30 1  (TT.  2) :  chomen,  clofters, 

kvnt,  Ekkeren,  Aekker. 


auslautend  g  ^=^h 

vo*lklichen,  Jaerclichen. 

faelich,  laedich,  zinfuel- 

lieh,  gnüg. 
-ec.  —  ledich. 

-iclich.   —    1359  Auf- 
pürg. 


zwainzech,  Sibenzich. 
wenick,  eweklichen.  — 

tacb,  tagwerch. 
ewiclichen,  Aufpurg. 
fümfzich,  ewicklichen, 

genug.  —  gemainklich, 

dag,  Junchfrau. 
ewecliche. 

-ec ;  (geziug).  —  chrieg, 

tagwerch. 
ger&weclichen,  tac,  (tag 

(dat.)),  ledic,  Hörburch. 

—  ledig,  (tag).  —  ge- 

mainiclich. 
vfgemerkt,  pfenning. 
famltac,  Augfpurch. 
i&rclich,   laelig,  leidik, 

ewgedich,  aufpurch. 

gerflbeclicL  —  Auf- 
purch, gemainklich. 

mach,  (gezvge),  ahzek, 
(genv'g). 


886 


KonsonantiBmos. 


481 


k  (an-  und  inlautend) 

1321    (ü.  8):    OonuentSy    gecberet, 

chinde. 
1323 :  criek,  kain,  kvnt.  —  1326 :  k. 

1831:  k.  —   1333:   chunt,  chainen^ 

kryeg,  yrkünde.  —  1342:  kunt. 
1346:  kümpt.  —  1366:   marken;  k. 
Juden:  1308:  k;  clainöd. 

Achtbuch: 

1309  Si,:  gebachen  (1  b),  1338  Sjg: 
kneht  (4a).  —  1339  8^5:  Köchlin, 
Cruces  (5  b).  —  1340:  vicaries 
(7a).  1341:  chomen,  Hencher  (49b). 

1846  Sj^:  chlag,  hylcrvtz  (n.  pr.) 
(iaelig),  clag  (11  a),  bekerde,  chneht 
(5  6  a)  y  kr&tZy  Mordacftes  (12  a), 
komen.  1348:  k.  1349:  chomen, 
chaü£fent  (63  b). 

1 850 :  kftment,  clauberlin  (n.  pr.)  (67  a) ; 
Chain  (65).  1352 :  fchankt  (70  a). 
1364 :  crfitz,  klocker  (18  a).  1355: 
Sturmgloggen.  Beck,  flaefch- 
haeckels,  clager,  ertrenckt.  1356: 
Marchdorf.     1358:  Pirckenfözz. 

1866  Sj^!  fchencken,  Weinfchencken 
(n.  pr.),  hantwercken  (26  a). 

1870:  chomen,  chom,  keifer. 


auslautend  g  s=k 
Aufpurk. 

criek,  (Aikt^),  zinfuel- 

lich.  —  k. 
laelich,  Ewich,  sehzig, 

(genvg),  (tag), 
eweclich,  drizzig. 
willeclich,  tak. 


mag,  Pfenning, 
prvgghaien.  —  1840 
Sj^:  Junchfrawen  (6a), 
todfchlag  (6  b),  tod- 
fchlach  (9  b),  irrganch 
(10  a),  faelig,  no*rd. 
Hnchf  (11  a). 

Sj^:  Aufpurg,  Burgtor 
(56  a). 

gemeinchlich  (15  a). 
1858:  Totfchlag,  kü- 
nick(17b).   1360:  ge- 
mainclich  (28  b). 


Sj^:  verbürg  (86  a). 

1368:  Junckfraw(27a). 
zug  (zog)  (28  b).  furften- 
berg ;  ewiclichen.  1371: 
feilig,  EwigcUch  (108a). 


Stadtbuch: 

6rundtext:S^:  kCnchi  raehticheit,  gehugnuffe,  Aufpurch, 
kaifem,choerherren,kunch,  chomen,  gewalticlichen,  marg- 
(1).    clofter,  marggrafe;  k  (2  a).       grafe,  burggrafe,  reu- 


482 


Dritter  Abschnitt. 


336 


k  (an-  und  inlautend) 

kein,  craft.  chint,  becken,  clagenne, 
becherten.  cbein  k&nch,  cbein, 
decheineDy  clagers.   chyment  (14  b). 

Von  16  b  an  wird  ch  häufiger  im  Grund- 
text: hencken,  gemercket  (63  b). 

S3  und  83:  in  der  Begel  ch,  selten  k.  Z.B. 
nur  1  X  klager  gegen  7  ch  (62  b). 
Ebenso:  nur  clage,    sonst  ch   (63  b). 

83.*  auch  chlagt,  chranchait;  ch. 

Sq,  89  schreiben  wie  in  den  Urkunden: 
83:  k  als  Begel.  8^:  ch  und  k  ohne 
Unterschied. 

81,:  nur  k  und  c:  1351  ?  claiiien(156  b). 
1363:  oftermargt  (155  b). 


auslautend  g  =s  k 

bicy  arcwaenigen(2b)| 
mak,  burcfchaft  (4  a)« 

Auslautend: k, doch  immer: 
Aufpurch,  phenninch- 
filber. 

82 :  k.  —  83:  ch,  selten 
k:  werchman,  mak, 
mag,  tak,  mak,  mack 
(59  a). 

8^:  ck.     8^:  ch  und  k. 


gy  ck,  von  1361  ab  über- 
wiegt g :  phemung,  dinck, 
lipdingbrief  (155  b). 


Gutturalen:  g,  k,  ch,  h. 

Allgemeines. 
Die  gutturaleu  Explosiv-Laute  sind  in  der  Aussprache 
der  Augsburger  Mundart  bestimmt  von  einander  geschieden 
und  zwar  durch  ihre  Explosionsintensität.  Im  vergleich  zu 
den  gleichen  Abstufungen  in  den  übrigen  Konsonantengruppen 
ist  das  Verhältnis  von  Lenis  (g)  zu  Fortis  (k)  im  8chwäbi8chen 
nicht  verschieden  von  dem  Alamannisch-8chweizeri8chen.  Für 
dieses  musste  Tobler^  feststellen,  dass  das  Verhältnis  von 
g :  k  eia  anderes  ist,  als  das  von  d:t,  6 :  j9,  indem  g  und  k 
(khf  ch)  weiter  von  einander  liegen,  als  d  und  ^,  b  und  p,  dass 
also  8chwankungen  wie  zwischen  diesen  nicht  vorkommen 
können;  Zeichenvertauschungen  gehören  nur  dem  Papier  an. 

g:  Geltung. 

g  im  Anlaut  ist  durchaus  gleich   germ.  g,  also  eine  in 
ahd.  Zeit  eingetretene  Reduktion  von  k  der  ahd.  Periode.   Seine 

^  Z.  f.  vergl.  Spr.  22,117. 


237  EonBonantismuB.  483 

Aussprache  in  Augsburg  ist  die  des  französischen  -gue^  eine 
Yelare  Aussprache  hat  dem  anlautenden  g  immer  fem  ge- 
legen, die  Schreiber  vermeiden  daher  gewissenhaft  dafür  k 
zu  setzen  ^.  Nur  im  Sandhi  geh  erfährt  das  g,  indem  es  mit 
dem  h  vereinigt  wird,  die  volle  Verhärtung  zu  ä-  +  A  =  Aä  : 
karaamer  (Stadtbuch).  In  der  heutigen  Mundart  sind  diese 
Fälle  nicht  selten,  aus  unserer  Zeit  finde  ich  jenes  korsamer 
als  das  einzige  Zeugnis.  In  der  labialen  Gruppe  steht  gegen- 
über :  ftöÄ  >  6  +  Ä  >  6i  +  A  >  p/i  >  T)/"  d.  h.  labiale  AfFrikata, 
sogar  als  Frikativa  zu  hören,  während  die  gutturale  Media 
nur  zur  aspirierten  Tennis  gesteigert  wird;  in  jenem  Vorgange 
war  die  anlautende  mhd.  Media  im  Augsburgischen  schon  66A, 
d.  h.  aspirierte  schwäbische  Fortis,  sie  rückt  zur  Aspirata  vor, 
9\&pf{ph).  Die  Verhärtung  des  g  zu  Ä;nach  Vortritt  des  Präfixes 
ent'  kann  ich  für  das  Augsburgische  von  1272 — 1374  nicht 
belegen.  Das  Präfix  kommt  in  den  handschriftlichen  Quellen 
überhaupt  vor  G-utturalis  nur  in  der  Gestalt  erb-  vor,  eine 
Verhärtung  ist  also  nicht  Zwang. 

Inlautend  hat  das  Augsburgisch  -  Schwäbische  im  mhd. 
zunächst  stimmhaftes  g  zwischen  Vokalen;  wenn  dieses  g 
nach  Synkope  des  folgenden  Vokals  stimmlos  wird,  erhält 
es  in  den  Denkmälern  nicht  die  Schreibung  c  oder  k,  weder 
in  den  schwachen  Perfektformen,  noch  in  der  3.  sing,  praes. 
Im  ahd.  wurde  vielfach  k  für  dieses  inlautende  g  geschrieben ; 
wenn  im  mhd.  kein  Versuch  dazu  gemacht  wird,  auch  nicht, 
sobald  g   nicht   mehr    tönend  ^  ist,    so   muss   in   diesem   ur- 


^  Das  einmal  bezeugte  kcMw>zze  für  gcUtuvzze  gehört  dem  Schreiber 
Rudolf  Ss  an.  darf  also  nicht  für  augsburgisch  gelten  (Stadtbuch  86  a). 
1309  hat  eine  Urkunde  deichen  (R.  X^,  6,4);  der  Schreiber  ist  mir 
unbekannt,  seine  Schreibweise  in  keiner  Weise  augsburgisch. 

'  Genau  hätte  in  jedem  solchen  Falle,  wo  zwei  nunmehr  stimm- 
lose Laute  zusammentreffen,  eine  Schreibung  gewählt  werden  müssen, 
welche  die  Lautänderung  (Qualitätsänderung)  beider  berücksichtigte. 
Durch  das  Zusammentreffen  erhalten  nämlich  die  Artikulationen  beider 
eine  gewisse  mittlere  Intensität,  kräftiger  als  die  der  Lenis,  etwas  schwächer 
als  die  der  Fortis.  Solche  neutrale  Laute,  wie  sie  Heusler:  alamann. 
Konsonantismus  in  der  Mundart  von  Baselstadt  S.  24  ff.  genannt  hat, 


484  Dritter  Absohnitt.  £38 

sprünglich  intervokaliBch  inlautendem  g  eine  entschieden  vel&re 
Tendenz  gelegen  haben.  Dadurch  erklärt  sich  auch,  wenn 
in  yielen  Wörtern  mit  inlautendem  kk  zuweilen  gg  ge* 
schrieben  wird,  gg  ^  unterschied  sich  eben  nicht  merklich  von 
inlautenden  kk.  Die  Quellen  weisen:  (glogge)j  Uoggtj  ktocherj 
Idoeherj  Jhirmglokm  (1294.  S,  Stadtbuch  83a). 

Uralter  Ausfall  des  g  besteht  in  Augsburg  in  dem  Stadt- 
namen: Auspwrg  fär  Augspurg]  ebenso  in  dem  Ortsnamen 
Eresingenj  schon  in  unseren  Quellen  als  Ersmgen^  Armngen  ge- 
schrieben,  die  Form  mit  g  ist  aber  bezeugt'.  Dem  AusCelU 
des  g  steht  ein  Zusatz  von  gegenüber: 

1.  g  mit  ähnlicher  Funktion  wie  d  nach  n:  Fressant 
reimt :  199  :  200  dingen  :  beginnen ;  oder  es  ist  in  dem  geltenden 
g  der  Best  einer  in  früheren  Zeiten  und  im  Volksmunde 
lebenden  Endung  -igen  zu  sehen,  analog  dem  Yerbum  'endigen^, 
etwa  also  ein :  beginmgen  ^  beginngen.  Die  Endung  4gen  tritt 
zwar  in  der  Schriftsprache  nicht  vor  der  zweiten  Hälfte  des 
17.  Jh.  auf;  indes  besitzt  das  Angelsächsische  sndigan^  ahd. 
entiön  (schwäbisch  mit  g:  enägön?  Tgl.  unten  aiger?\  — 
Zu  dieser  Gattung  von  g  gehört  auch  das  g  in  Formen  wie: 
ze  obergosty  ze  untergost,  noch  heute  in  untergist,.,  erhalten; 
diese  Formen  gehen  auf  Positive:  oberig j  unterig  zurück. 

2.  Das  zweite  g  ist  gleichfalls  nicht  mit  Sicherheit  als 
unorganisch  anzusprechen:  es  erscheint  häufig  aiger]  Birlinger^ 

werden,  wenn  sie  im  Bchwäbischen  Munde  erklangen,  nicht  mit  einer 
solchen  Aenderung  der  Quantität  gehört  worden  sein,  dass  man  ea  for 
nötig  fand,  dieselbe  zu  markieren.  Der  zweite  Bestandteil  überhaupt, 
welcher  regelmässig  ein  t  war,  bean^praohte  von  vornherein  der  schwäbischen 
Gewohnheit  gemäss  keine  modifizierende  Behandlung  auf  dem  Papier. 
Es  fand  mithin  eine  Art  Eompromiss  nur  im  Tone,  nicht  im  Bilde  statt; 
vergl.  jedoch:  margte* 

'  Das  gg  ist  kein  DoppeUaut,  sondern  nur  ein  notdürftiges  Schrift- 
zeichen wie  die  andern.  Im  Schweizerischen  unterscheidet  sich  ein  gg 
durchaus  nicht  von  einem  reinen  k  der  neuhochdeutschen  Schrift  und 
Aussprache;  (vgl.  Tobler:  Z.  f.  vergl.  Spr.  f:  22,  122). 

*  Birlinger:  augsb.-schwäb.  Wörterbuch. 
3  Grimm:  Wörterbuch  III,  461. 

*  Birlinger:  Augsb.-schwäb.  Wörterbuch  unter  g. 


289  KonionuitiBmuB.  4g5 

führt  dasselbe  auf  einen  alten  nom.  sing  aigia  zurück.  Dorch- 
auB  dem  Yolksmnnde  angehörig,  ist  die  Form  t*  gen,  auch  in 
Urkunden  geschrieben  1838  Donnerstag  nach  dem  4.  Januar 
(St.  Georg).  Sie  ist  die  sekundäre  Bildung  zu  ebenfalls  be- 
zeugtem tuien  bei  klerikalen  Schreibern,  umgekehrt  wird  g 
in  der  Mundart  zu  t  gewandelt^  und  es  wird  geschrieben: 
magi  als  maid  (vgl.  darüber  den  Abschnitt  über  ot).  Doch 
bestand  sicher  daneben  in  der  Schriftsprache,  auch  in  der  der 
Gebildeten  mcLgt  (vgl.  Achtbuch  1866)^.  —  Ganz  abzufallen 
pÜegt  g  zugleich  mit  dem  Präfix  g^  der  Partizipialformen : 
gd)en  *,  komen^  braht  . . . ;  hoeren  s»  „gehören"  neben  gehoeren 
findet  sich  im  Stadtbuch  (Grundtaxt  16  a,  15  b;  bei  S^ :  14  b). 
—  Der  gemeindeutsche  grammatische  Wechsel  Ton  h  und  g 
im  Praeteritum  und  Partizipium  des  Präteritums  Yon  «/oAen, 
ziuhen ...  ist  in  den  schriftlichen  Quellen  gewahrt  und  auch 
der  gesprochenen  Sprache  eigen. 

Im  Auslaut  hat  der  Klang  des  g  durchaus  Verhärtung 
zu  k  erhalten  und  ist  mit  diesem  zu  dem  Lautstand :  kh  (k+h) 
gelangt.  Die  Schreibung  weist  jedenfalls  auf  einen  Fortis» 
Laut  hin,  die  Aspirata  aber  wird  in  sehr  yielen  genauen 
Schriftstücken  schon  im  ahd.  kenntlich  gemacht  durch  eh. 
Dass  dieses  ch  nicht  die  gutturale  Spirans  cA,  sondern  gutturale 
Muta  +  gutturaler  Spirans  ist«iA;M,  dem  rauhen  Guttural 
der  alamannischen  Kehlen,  hat  schon  B.  von  Raumer  ^  richtig 
erkannt  und  bewiesen.  Wenn  dieses  ch  im  14.  Jh.  in  weitem 
Umfange  durch  g  ersetzt  wurde,  so  ist  nur  im  einzelnen 
Falle  eine  Herabminderung  des  verhärteten  Lautes  anzu- 
nehmen statthaft;  ich  meine,  dass  in  schneller  fliessender 
Rede  die  Tennis  (Tenuis-Aspirata)  leicht  zu  gh  reduziert  sein 
kann,  ein  Umstand,  der  bei  der  steigenden  Gewichtserhöhung 
des  Stammsilbenvokals  im  Laufe  des  Mittelalters  leicht  be- 
greiflich ist,  das  konsonantische  Sprachgut  fand  seitdem 
weniger  Pflege  in  Sprache  und  Schrift.     Es    ist  das  jedoch 


*  Hierzu   geboren  femer:  Hofmeiger,  Maigifter.    (Stadtbuoh  Ib). 

"  geben  ist  fest  in  der  Formel;  der  hrief  wart  gehen. 

'  K.  von  Raumer:  Aspiration  und  Lautverschiebung  S.  84  und  §  51. 


486  Dritter  Abschnitt.  240 

nur  eine  Erwägung  meinerseits,  für  die  ich  nicht  in  der  Lage 
bin  einen  Wahrheitsbeweis  anzutreten.  Wie  stark  gerade 
hier  die  ünberechenbarkeit  der  Mundart  allen  üniformierungs- 
versuchen  hemmend  entgegentritt,  das  wird  am  besten  die 

Bezeichnung: 

des  g  vor  Augen  führen.  Das  anlautende  g  hat  in  seiner 
Bezeichnung  von  vornherein  keine  Schwierigkeiten  gemacht, 
es  ist  auch  in  unseren  Quellen  von  keiner  Abnormität  zu 
berichten,  ausser  dem  erwähnten  korsamer,  welches  der  Mund- 
art angehört,  (Stadtb.  92a  S^:  gehorsamer).  —  Auslautend  er- 
hält g  die  Zeichen  chj  c,  k,  ck,  entsprechend  seiner  Ver- 
härtung; im  14.  Jh.  nimmt  g  überhand.  Sj  und  S^  schreiben 
anfangs  k  und  c,  nur  vor  Antritt  von  l  wird  c  zu  ^ :  -eglich. 
Den  gleichen  Lautstand  hat  noch  1282  St.  Georg.  —  Schon 
1282  aber  erscheint  bei  S^  ch  neben  k  in:  volkwin  (n.  pr.), 
mak.  Nach  n  ist  besonders  ch  beliebt:  dinch.  ch  hatte  schon 
St.  Katharina  1279.  Sg  schreibt  anfangs  ch  gleichmässig 
für  anlautendes  k  und  auslautendes  g,  dann  geht  er  zu  k 
über  im  Auslaut  der  Endung  -ii  und  schliesslich  schreibt 
er  ckK  ck  bleibt  charakteristisch  für  seine  ganze  Periode 
und  wird  von  S^,  an  dem  wir  auch  sonst  Berührungen 
mit  S3  entdeckt  haben,  gleichfalls  bis  zum  Ende  seiner 
Thätigkeit  (1331?)  fortgesetzt.  Wenn  auslautendes  g  (ck  ge- 
schrieben) bei  Sf^  und  S^  in  Stellung  vor  l  (-lieh)  zu  stehen 
kommt,  erhält  es  regelmässig  die  Schreibung  ch:  so  bei 
S4  1292,  bei  Sg  1297.  Ich  sagte,  dass  ck  ein  Charakte- 
ristikum der  ganzen  Periode  des  Stadtschreibers  Rudolf  ( — 1303) 
ist;  ich  glaubte  mich  dazu  berechtigt,  da  auch  die  bischöflichen 
Schreiber  zur  Zeit  Rudolfs  dieses  ck  aufgreifen  und  in  Stellung 
vor  ly  genau  wie  S3  häufig  zu  ch  wandeln:  -eddicL  1302 
setzt  S3  häufig  nur  k:  takj  Aufpurk.  ch  erhält  sich  in  dineli 
ziemlich  fest.     Neben  S^,  welcher  ck  beibehält,  schreiben  S^: 

^  S^  hat  sporadisch  im  Grundtezt  des  Stadtbuches  ck:  zuckf  ioaek 
(28b)  (marckt),  Aach  dinc  schreibt  S«  einmal  mit  ck:  Stadtbuch  (97 b), 
gotsphenninck  (119  b. 


241  Eonsonantismus.  4S7 

ikf  tugy  4g  ( — 1319).  Sg:  -ig  und  -ich,  S^:  -ec,  -e^r.  Mit  dem 
Jahre  1320  beginnt  eine  ausgeprägte  Regellosigkeit  der  Be- 
handlung des  auslautenden  g.  Die  Unsicherheit  in  der  Schreibung 
ist  eine  allgemeine^  die  Ursachen  liegen  ausserhalb  unseres 
Erkenntnisvermögens.  In  diese  Zeit  fallen  Schreibungen  wie : 
gehenhetj  margte.  Dieses  einmalige  gehenhet  für  gehenctiet  er- 
laubt jedoch  keinen  Schluss  auf  eine  aspirierte  Aussprache 
der  Outturalis  fortis ;  denn  das  h  kann  in  der  ziemlich  flüchtig 
geschriebenen  Urkunde  ein  Schreibfehler  für  beabsichtigtes  ch 
sein.  Es  ist  aus  dem  Ganzen  nur  zu  unterscheiden,  dass  die 
klerikalen  Schreiber  ch  bevorzugen:  1326  bisch.:  k\  -ich,  1326 
Curia:  k;  -ich,  1326  St.  Ulrich:  A;  -ig.  Die  Stadtschreiber 
haben  auch  überwiegend  ch\  ob  dasselbe  durch  die  Schreib- 
weise der  kaiserlichen  Urkunden,  welche  in  der  That  ch  zeigen, 
bedingt  ist,  vermag  ich  im  Einzelnen  nicht  festzustellen.  S^^ 
drängt  k  wieder  in  den  Vordergrund,  abweichend  von  den 
kaiserlichen  Urkunden  (1339:  ch).  Für  die  Behandlung  des 
anlautenden  k  hat  S^^  sichtlich  die  kaiserlichen  Urkunden 
zum  Muster  genommen.  1338  schreibt  er  noch  k,  1339  nach 
dem  Einlaufen  einiger  kaiserlicher  Urkunden  in  die  städtische 
Kanzlei  nur  c/i,  auch  auslautendes  g  schreibt  er  bald  mehr 
mit  ch.  Vom  Jahre  1342  etwa  an  datiert  die  Schreibung 
mit  g,  selbstverständlich  dem  unsicheren,  unentwickelten 
Charakter  der  Schriftsprache  und  Orthographie  der  Zeit 
angemessen  von  zeitweiligem  k  und  ch  unterbrochen,  jedoch 
nicht  verdrängt.  Zur  Schreibung  mit  g  hatte  schon  S^ 
im  ersten  Jahrzehnt  des  14.  Jh.  einen  schwachen  Anlauf  ge- 
nommen: 1306  5.  Juni  schrieb  er  sogar  einheitlich  im  Aus- 
laut: g,  im  Anlaut  k  für  k.  Es  ist  von  einigem  Belang,  die 
Wörter,  welche  hier  mit  g  ausgestattet  sind,  kennen  zu  lernen, 
sie  sind :  faeligj  genvg,  gezivg,  tag.  Von  ihnen  haben  berechtigten 
konsonantischen  Auslaut  nur  faelig,  tag;  gnvg,  gezivg  sind  durch 
Apokope  des  e  aus  genüge,  gezivge  entstanden.  Wir  stossen 
dabei  auf  dasselbe  Verhältnis  in  der  Behandlung  apokopierter 
Formen  und  nicht  apokopierter  wie  bei  b  und  d  (nicht  p  und 

t  auslautend  geschrieben).     Der  Schluss  aus  diesem  Verfahren 

32 


488  Dritter  Abschnitt.  242 

gestaltet  sich  gleichfalls  analog:  Die  Schreiber,  ausgehend 
Yon  den  apokopierten  Formen,  welche  sie  aus  Gründen,  die 
ich  hier  nicht  noch  einmal  zu  wiederholen  brauche,  mit  der 
Media  schrieben,  unterwerfen  jeden  Auslaut  dem  gleichen 
orthographischen  Zwange.  Das  adverbiale  gemtc  mag  eine 
Brücke  geboten  haben  durch  seine  zweite  Erscheinungsform 
genüge,  welche  auf  dem  ungekehrten  Wege  den  aus  -ge  zu  -^, 
-c  verkürzten  Wortausgängen  begegnete. 

k:  Geltung. 

Die  Geltung  der  schwäbischen  Gutturalfortis,^  ist  bei  der 
Besprechung  des  Lautwertes  von  auslautendem  g,  geschrieben  /-, 
als  die  von  k  +  Spirans  (hh)  festgestellt  worden,  phonetisch  am 
genauesten  als  ch  wiedergegeben.  Die  Geltung  von  ch  als 
k  +  h  ist  nach  der  Entstehung  des  Buchstabens  unleugbar  in 
den  Bildungen  auf  -keä,  hiervon  gehe  ich  aus,  um  die  Aus- 
sprache des  anlautenden  k  als  kh  zu  veranschaulichen.  Die 
Natur  dieses  -keit  hat  PauP  einer  genaueren  Betrachtung 
unterzogen  und  er  ist  zu  dem  Resultat  gelangt,  dass  z.  B. 
miltekeit  aus  mütecheit  für  miltech-heit  entstanden  ist.  Von  den 
Bestandteilen  der  Bildung  ausgehend  erhalten  wir  also  die 
Beihe:  mikech-heit  (miltecheit)  ]>  rnilte-cheit  >  mütekeü,  ch  =  4* 
=z  k  -^  h  vereingte  sich  mit  h  zu  einem  sowohl  an  Explosion 
als  an  Expiration  äusserst  starken  Gutturallaut,  ch  +  k  = 
k  hh  schritt  also  nicht  fort  zu  k  ch,  das  fast  bei  der  Aspimta 
ch  anlangen  möchte,  aber  nun  eine  Stufe  zurückblieb.  Das 
Wort  'Mannigfaltigkeit*  z.  B.  habe  ich  in  Augsburg  aus- 
sprechen   hören    als   mangfalti  kha^th,  so  dass    die   SUbe  vor 

*  lieber  die  Unterscheidung  von  Fortis  und  Lenis  vgl.  Eauffmann: 
8chw.  Mundart  §  24,  bes.  Anm.  1;  §  27  und  Fischer:  Germ.  86,  409. 
Winteler:  Kerenzer  Mundart  S.  21  ff.,  bes.  S.  28,  *der  Unterschied 
zwischen  Lenes  und  Fortes  liegt  in  der  Empfindung  eines  verschiedenen 
Nachdrucks  in  der  Expirations-  und  Artikulationsmuskulatur  begründet.' 
Ueber  das  Verhältnis  des  anlautenden  ^  im  Schwäbischen  zur  hoch- 
deutschen Lautverschiebung  vgl.   Kauffmann:   schw.   Mundart  S.  242  ff. 

«  P.  Br.  B.  VI,  560. 


243  Konsonantismus.  439 

'kheü  fast  als  eine  offene  klingt.  Die  mittelhochdeutsclieu 
Schreibungen  unserer  Quellen  bringen  sehr  häufig  einfaches  k: 
wirdieheU  und  vnrdikeit.  Der  Laut  /;  +  Spirans  ist 
also  gesichert.  *  —  Dadurch,  dass  in  den  Wortbildungen 
mit  'keit  die  Silbe  vor  dieser  Endung  den  einen  Bestandteil 
der  Komposition  mit  dem  Vokal  abzuschliessen  scheint,  verfallt 
der  diesem  folgende  Konsonant  dem  Anlautsgesetz,  und  es 
gilt  darum  das  über  die  Aussprache  dieses  h  in  -keit  Gesagte 
für  jedes  anlautende  k  (Gutturalfortis)  mit.  ^ 

Im  Inlaut  ist  k  vor  Konsonanten  einen  ähnlichen  Kom- 
promiss  eingegangen,  wie  die  Verbindung  b  +  t...^  vgl.  das 
darüber  bei  b  Gesagte.  Die  Schreibung  inargte  kann  daher 
wohl  der  Aussprache  nahegekommen  sein.  Auf  eine  vollgültige 
gedehnte  Aussprache  des  ch  =  kh  weist  die  Abteilung  des 
Wortes  chnekt  *  in :  cA  Zeile  1  —  neht  Zeile  2  hin,  d.  h.  dem 
Schreiber  klingt  ch  so  selbständig,  dass  er  es  gleich  einer 
Silbe  behandelt. 

k:  Bezeichnung. 

Wenn  für  augsburgische  Gutturalfortis  hauptsächlich  zwei 
Zeichen  k  und   ch  verwendet  wurden,   so  standen   sie   sich  in 

^  Einen  ähnlichen  Weg  hat  wohl  das  heutige  'Junker*  aus  junkherr 
genommen. 

■  Im  Schweizerschen  ist  k  aus  </  +  Ä  (ge-  -f-  Ä  im  Sandhi  zu  ^  -j"  ^0 
«ntwickeit  in  kennen  gegenüber  chönne  —  können  (vgl.  Tobler  in  Zs.  f. 
vgl.  Sprachf.  29,  120);  kain  aus  c-\-hain  nach  Grimm  (Grimm:  Gramm. 
III,  69  und  70).  Die  Verbindung  defiain  ist  von  vornherein  wie  ein 
Wort  behandelt,  daher  der  Konsonant  gleich  zur  folgenden  Silbe  hin- 
übergezogen und  nach  den  Gesetzen  für  den  Silbenanlaut  behandelt. 
Nach  Paul  hat  sich  kain  nur  aus  nekain  entwickelt  (P.  Br.  B.  VI.  559 
Anm.)  mickten  (augsburgisch  und  gemein  est  schwäbisch)  ist  offenbar 
•desselben  Ursprungs  wie  kain  aus  dehein.  Auszugehen  ist  von  dem  in 
den  Augsburger  Quellen  ebenfalls  belegten:  midichen,  mitehun;  vgl.  auch 
ferk9  ostschwäbisch  für  fertigen,  (Kauffmaun:  schw.  Mundart  §  165. 
Anm.  4).  Vgl.  ausserdem:  Weinhold:  alam.  Gramm.  S.  175.  Grimm: 
deutsches  Wörterb.:  K:  3,  b.  Tobler:  Z.  f.  vgl.  Sprachf.  14,  108—138. 
A.  Reifferscheid :  über  die  untrennbare  Partikel  ge-  (Dissertation 
Breslau  1871). 

»  Achtbuch  56  a.  I. 

32* 


490  Dritter  Abschnitt.  244 

der  ihnen  von  vornherein  zugewiesenen  Gestalt  nicht  so  fem, 
dass  sie  nicht  fast  von  selbst  in  einem  Bachstaben  k  sich  ver- 
einigen konnten.  Jenes  für  das  Oberdeutsche  charakteristische 
ch  ist  nämlich  sicherlich  nichts  anderes  wie  das  ebenfalls  für 
die  Gutturalfortis  auftretende  k/h  in  klerikalen  Urkunden  noch 
im  14.  Jh.  geschrieben,  und  hat  mit  diesem  die  Bestimmung 
gemein,  die  thatsächlich  geltende  Lautverbindung  k  +  Spirans 
wiederzugeben.  Aus  mancherlei  Gründen  konnte  der  Schreiber 
dieses  nachstehende  h  weglassen,  so  dass  k  gemeint  zu  sein 
schien.  Vielleicht  um  dieser  Gefahr  vorzubeugen,  viel  eher 
jedoch  wohl  aus  tachygraphischen  Gründen  und  Bequemlich- 
keitsrücksichten und  zugleich,  den  bei  dem  Aufleben  der 
runden  Schrift  bestehenden  kalligraphischen  Anforderungen 
nachzukommen,  gewöhnte  man  sich  bald  ch  zu  setzen,  ohne 
dass  damit  die  Aussprache  eine  andere  als  k  +  h  geworden  wäre. 
Sorglosigkeit  und  die  den  Vorlagen  durch  jene  schon  öfter 
betonte  Nachlässigkeit  der  Schreiber  noch  anhaftenden  k 
liessen  dieses  schliesslich  als  gleichberechtigt  mit  ch  weiter 
leben. 

Als  man  in  Augsburg  die  Urkunden  deutsch  zu  schreiben 
anfing,  verwendete  man  nur  k  und  c  für  anlautendes  k, 
parallel  mit  k  und  c,  ck  für  auslautendes  g  «=  k.  S,  schreibt 
also  bis  1276  nur  k,  nicht  allein  in  den  Urkunden,  sondern 
auch  bei  weitem  häufiger  k  als  ch  in  dem  Stadtbuch,  und 
zwar  trennt  sich  deutlich  hier  der  Anfang  von  dem  übrigen 
Teil  der  Niederschreibung  des  Stadtrechts  ab,  indem  jener 
parallel  der  in  den  Urkunden  eingeführten  Orthographie  vor* 
wiegend  k  hat,  während  der  zweite  Teil  etwa  vom  zweiten 
Drittel  an  ch  schon  häufiger  bringt.  Diese  Erscheinung  trifft 
auffallend  zusammen  mit  der  Thatsache,  dass  von  1277  S| 
in  den  Urkunden  ch  weitaus  bevorzugt,  in  der  ersten  Urkunde 
dieser  Reihe  sogar  nur  ch  verwendet.  Durch  den  Vorantritt 
von  S^  ist  k  und  ch  in  dem  Zeichenschatz  der  Augsburger 
Schreiber  gleichwertig  geworden.  Sjj  fügt  noch  ck  für  aus- 
lautendes g  und  inlautendes  k  hinzu;  für  inlautendes  k  war 
ck  schon  durch  die  Schreibweise  von   S^  bekannt   geworden. 


245  Konsonantismus.  491 

Aus  der  Unregelmässigkeit  der  graphischen  Wiedergabe  von 
Je  tritt  S^  heraus,  indem  er  für  an-  und  inlautende  Guttural- 
fortis  nur  k,  für  auslautende  Fortis  nach  dem  Vorbilde  seines 
Meisters  Rudolf  (Sg)  ck  schreibt.  In  der  Zeit  von  1330—1346 
heben  sich  kurze  Perioden  heraus,  in  denen  k  den  Sieg  errungen 
zu  haben  scheint:  1338  schreibt  S^^  nur  Ar,  1344  schreibt  8^5 
nur  k.  Sf,  beginnt  im  Anfange  seiner  Thätigkeit  k  ausschlieslich 
zu  Yerwenden,  lässt  aber  im  weiteren  Verlauf  eh  neben  k  auf- 
kommen. Auch  bei  ihm  finden  sich  Schriftstücke,  welche 
bald  k,  bald  ch  ausschliesslich  besitzen.  Der  Grund  kann  in 
der  Vorlagenbenutzung  liegen;  wenn  wir  eine  solche  in  weitem 
Umfange  annehmen,  erklärt  es  sich  auch  am  besten,  dass  in 
der  Zeit,  wo  k  und  ch  nebeneinander  verwendet  wurden,  k  mit 
fühlbarer  Regelmässigkeit  dem  Worte  hmt  verblieb,  d.  h. 
einem  Bestandteile  der  Eingangsformel,  welche  zuerst  und 
ganz  besonders  der  Gefahr  kopiert  zu  werden  unterliegen 
musste.^  Von  1356  an  schreibt  S^,  nur  k  anlautend,  für 
inlautendes  k  hatte  er  schon  1354  häufiger  ck  gebraucht.  Sein 
Nachfolger  S^j  und  noch  vor  1368  seine  Gehilfen  weichen 
von  der  Schreibweise  des  Stadtschreibers  Hagen  (S,,)  nicht 
ab.  Die  Ursache  zu  dieser  ausgeprägten  Regelmässigkeit 
kann  ich  nur  in  dem  Vorbilde  der  Urkunden  Kaiser  Karls 
sehen,  während  nämlich  die  kaiserliche  Kanzlei  unter  Kaiser 
Ludwig  zwar  überwiegend  k  schrieb,  aber  ch  mit  unterlaufen 
liess,  (1341:  knfer,  kat/ser,  hecliennen,  chumty  urchunt  (A). 
1342.  cheifer,  gechlagt,  chomen,  ker/fertumes  (A).  1342:  keyfer, 
ehumt  (A).  1344:  kayfer,  kai/ferlichen,  etoiclichen  (A).  1344: 
keifer  ,  .  .  (A).  1345:  keifer,  bechemien,  urchtiende  (A).  1346: 
i  (A).),  brachten  die  Urkunden  Karls  nur  k,  mit  Ausnahme 
weniger  Urkunden:  (1347:  konig,  kuntj  camerknechte,  marg, 
urkund.  1348  au  den  Hofschenken  (in  Dresden  ausgestellt): 
kung,  kxinty  verchouffeih  urchund  (A).  1348  an  den  Rat  von 
Augsburg  (in  Dresden  ausgestellt):  /:  (A).  1354:  kunig,  kunt, 
naclikomen,  urchund  (A).  1355:  ketUr,  bechemien,  chnnd,  urchund 
(A).     Von  1356  an  bleibt  ch  ganz  ausserhalb  der  kaiserlichen 

*  Vgl.  die  Belege. 


492  Dritter  Abschnitt.  246 

Schriftstücke.  Die  bischöflichen  Urkunden,  in  denen  schoo 
in  dem  letzten  Dezennium  des  13.  Jh.  k  stark  Platz  gegriffen 
hatte;  verwenden  mit  erkennbarer  flegelmässigkeit  von  1351  aniL 

Die  klösterlichen  Urkunden  von  St.  Ulrich  bevorzugen  k 
von  1342  an.  St.  Katharina  hat  den  handschriftlichen  Quellen 
nach  nur  k,  in  der  frühesten  Zeit  hin  und  wieder  eh. 

In  den  internen  Denkmälern  gewinnt  k  erst  in  den 
sechziger  Jahren  die  Oberhand  über  eh:  von  1366  ab  ist  k 
anlautend,  ck  inlautend,  g,  c  auslautend  für  g;  einmal  finde 
ich  ewigclich  1370.^  In  einer  Eintragung  des  Achtbuchs  von 
1370  schreibt  S^^:  chomen,  chom,  keifer,  —  Im  Allgemeinen 
darf  man  sagen,  dass  das  Muster  des  kaiserlichen  Kanzlei- 
schreibbrauchs von  1356  an  uniformierend  auf  die  augsburgische 
Orthographie  der  Gutturalreihe  gewirkt  hat;  denn  auch  in 
der  Schreibung  des  h  und  ch  für  die  Spirans  und  die  Aspirator 
macht  sich;  wie  wir  sehen  werden,  dieser  Einfluss  geltend, 
wenn  auch  weniger  durchdringend. 

h,  ch:  Belege: 

Urkunden: 
städtische:  1272.     iaergelichef,    avch,    fchent,    zaehenden, 

chirchgazze,  nihtef,  niht  Sj  (U.  II).  —  1280. 
auch,  ahzigoften,   geliehen,   zaehenden   S^  (H.) 

—  1282.  Sezehen,  hazogoften  S,  (H.)  — 
naehften,  durh,  nah  S^  (A).  —  auh,  auch,  niht, 
hoher,  rihten,  noh,  noch,  dvrh,  lihte,  fchube, 
hohin,  Berhtolt,  gefchah,  ahzigoften  S,  (R.  \y, 
4,4).  —  avh,  kainerf Iahte,  durh  S,  (A).  — 
1283:  durch,  durh,  -ich,  durnehtlichen  Sg  (A). 
Liehtmiffe,  ahtzigoften,  prichet,  auch,  och  S^ 
(A).  —  1289:  Achzeguftem,  gefchach  ?  (A). 
1290  Rat:  durh,  niht  Sg  (H).  —  Solhiv  Sg  (A). 

—  1291:  Truchfaetzze,  gefchaehe,  ovch,  rehtiv 
Sg  (H).  —  1296:  ovch,  auch,   hooptreht,  folh 

S^  (ß.  6,5).  —  1299:  jach  Sg  (A).  —  1300: 

*  Achtbuch  29  a. 


247  KonsouantismuB.  493 

mohte,  verrihte,  gemachte,  niht,  H6hfteten  S^ 
(C.  5).  —  1303:  nit  Sg  ?  —  1304:  rethef, 
TTcfakTnde,  auch  Sg  (A).  —  sechziek,  auch, 
reht,  nachf  S^  (A.).  —  1306:  avh,  reht,  rechts, 
raechtes  S^  (C.  6).  —  recht,  faechften,  verzigeu, 
verzeicheu  S^  (ü.  2).  —  1313:  befuchtes,  auch, 
aufgeriht  S,.  —  1315:  nit  Sg  (A).  — 

1315 — 1340:  ch  und  h  wechseln,  gewöhnlich  h 
vort.  —   1329:  gehohrun  S,  (H.  16).  — 

Seit  den  vierziger  Jahren :  immer  ch  in  -lieh,  sonst 
auch  ch  bevorzugt,  aber  vor  t  hält  sich  h.  —  ^i?' 

1348:    vMhten,  nachkomen,  geruwiclichen  (A). 
—  1350:  vergich,  ach,  rechts  (H.  22).  —  1352: 
offenlich,  fwelhi,  vergich,  braht,  brauht  (purch- 
fraw  .  .  .  ).  —  vergihe.  — 
Achtbuch:    Bis  1367  in  der  Regel  ch  für  ch,  vor  t  in  der  Regel 

h,  (Sjg— Si,).  —  S,^:  1367:  Aecht,  recht 
(26. b.)  —  Aecht,  kneht,  recht  (26. b.)  —  1368: 
nehften,  geRiht,  rehter  (22.  b.)  —  knecht,  geriht. 

Aecht,  Reht  (27.  a.)  —  h  und  ch  wechseln  vor  t. 

ch,  h:  Bezeiehnnng: 
h  und  ch  sind  in  ihrer  Behandlung  nicht  geschieden.  Mit 
einiger  Regelmässigkeit  wird  h  vor  Dentalen  (£,  z,  s),  am 
sichersten  vor  t  geschrieben,  z.  B.  dlizigolten,  Sezelien,  reht, 
geriht ...  —  Am  Ende  unseres  Zeitraumes,  etwa  von  den 
vierziger  Jahren  ab,  wird  A  vor  t  streng  festgehalten,  während 
ch  an  anderen  Stellen  h  verdrängt.  Ein  Einfluss  der 
kaiserlichen  Urkunden  lässt  sich  mit  Sicherheit 
nicht  feststellen.  Von  auffallenden  Schreibungen  ent- 
halten die  Quellen :  1282:  Sezehen,  hazogoAen  S,.  —  Zuweilen 
findet  sich  Umstellung  von  h  und  t:  retlief.  In  mht  fallt  A 
zuweilen  schon  im  13.  Jh.  aus.  Gegenüber  steht:  1329: 
gehdhnm  S^. 

1:  Geltung  und  Bezeichnung. 

Nur  Einzelheiten  führe  ich  hier  an.     Im  Volksmunde  wird 
noch  heute  in  dem  Worte  hischof  vor  dem/  ein  1-Laut  gehört; 


494  Dritter  Abschnitt.  248 

für  unsere  Zeit  ist  diese  Erscheinung  durch  die  vereinzelte 
Schreibung  bischolf  in  Stadtbuch  (Stadtb.  34  b.),  in  einer  Ein- 
tragung der  Hand  S,,  belegt.  Wechsel  von  l  und  r  finde 
ich  in  der  Schreibung  des  Eigennamens  Prior  als  Priol  (1317.  | 

14.  Jan.  Sg  (A))  vertreten.  —   Ausgefallen  ist  /  einmal   in  ' 

ISnd  =  follent  (1329.   S^  ?),    ob   durch   Versehen   oder   durch  ' 

Gewohnheit,  kann  ich  nicht  entscheiden.  —  Nicht  selten  wird 
l  in  cds  abgestossen  und  es  fehlt  auch  in  der  Schreibung  az 
(1327.  St.  Stephan  (A)). 

m:  Geltung  und  Bezeichnung. 

m  wird  vor  g  in  paungarten  einmal  1370  (Achtbuch  101b, 
Sjo)  als  n  geschrieben.  Ist  dieser  Vorgang  phonetisch,  so 
steht  er  der  Wandlung  des  n  vor  b  zu  m  gegenüber,  wie  ihn 
Sj  stereotyp  in  vmbeßtichtez  zur  Kenntnis  bringt.  —  m  unter- 
liegt zuweilen  der  Abkürzung,  das  Zeichen  dafür  ist  dasselbe 
wie  das  für  n,  z.  B.:  Sältag  (Achtbuch  56  a  S,^,  2  mal). 

n:  Geltung  und  Bezeichnung. 

n  vor  Labialis  (b)  wird  m  bei  S^ :  vmberücJäs  ist  bei  ihm 
Btereotjf]  fumßhalby  z.  B. :  1336.  S^g  (A).  Auslautendes  n 
wird  von  dem  heutigen  Augsburger  durch  die  Nasalieruug 
des  vorhergehenden  Vokals  ersetzt  und  ganz  abgestossen.  Die 
Plexionssilbe  -en  z.  B. :  spricht  er  -e  und  einfach  e.  Für  das 
13.  und  14.  Jh.  geben  mir  die  handschriftlichen  Quellen  keine 
Aufklärung  über  Nasalierung  oder  Nichtnasalierung.  In  der 
Schreibung  wird  jedes  n  geschrieben,  sehr  häufig  durch  ~ 
über  dem  vorhergehenden  Vokal  angedeutet.  Wenn  ich  nun 
zwei  Formen  vorfinde,  welche  auf  den  Vokal  endigen,  n  also 
abgestreift  zu  haben  scheinen,  so  glaube  ich  hier  eher  eine 
Schreibflüchtigkeit,  etwa  das  Vergessen  des  Striches  annehmen 
zu  dürfen,  die  beiden  Wörter  sind:  qfenlicJie  (1273.  13.  Mai  Sj) 
und  Alitzigofte  (1284.  Montag  nach  dem  19.  Jan.  S^  (A)). 
Zweifelhaft  ist  mir  die  Form:  habe  (l.pl.)  (1282.  Sj)  und: 
welle  wir  (1292.  Sg  (Ä)).  —  Einmal  schreibt  Sg  gebe  (=  part. 
praet.)    1293. 


349  Konsonantismus.  495 

j:  Geltang  und  Bezeichnniig. 

Als  Schriftzeichen  ist  j  in  den  Vorbemerkungen  über 
'Zeichen  und  Bachstaben'  behandelt.  Es  wird  in  dem  Yerbum 
verjehen  zuweilen  als  g  geschrieben:  vergich  und  vergehen  (1351. 
S„  (A)). 

EonsonanteiiTerdopplnng. 

Bei  der  Besprechung  des  t  haben  wir  eine  Neigung 
mhd.  und  so  auch  augsburgischer  Schreiber  kennen  gelernt, 
t  zu  verdoppeln,  auch  dann,  wo  nach  unseren  nhd.  Begriffen 
kein  Grund  zur  Gemination  vorliegt.  Die  gleiche  Beobachtung 
machen  wir  an  /,  hier  hat  das  ff  indes  seine  etymologische 
Berechtigung,  da  es  aus  gothischem  -pj  in  den  ja-Stämmen 
entstanden  ist.  kaufen  wird  daher  in  unseren  Quellen  sehr 
häufig  katiffen  geschrieben.  Ausserdem  haben  wir  offte  und 
offen  regelmässig  mit/*,  sehr  oft  auch  Ih^affen  (z.  B. :  1343. 
ftraffeny  verkauffen  (Achtb.  62  a.);  1353. :  er grt/ff'et  (Achth.  70  a). 
Zuweilen  schliesst  die  Dativform  dorf  nach  Apokope  des  Vokals 
mit  ff:  1355.  ze  dorff  (dat.)  Sj,  (A).  -—  Verdopplung  des  n 
haben  mir  regelrecht  in  den  Gerundivformen  ze  iume  u.  a. 
Formen,  in  denen  später  nach  Apokope  des  e  das  zweite  7i 
zu  d  sich  verwandelt  ^  Unbegründete  Verdopplung  zeigt  einmal 
die  Form  der  3.  plur.  ind.  praes.  kauffmnt  (Stadtb.,  Grund- 
text 25  b.  S^). 

Synkope  und  Apokope:  Belege. 

Urkunden. 
1272.  gnaden,  vufers,  verfvmet,  naeheften,  Gotefhvfes  S^ 
(U.  2).  -  1273,  belibe,  gvtef,  baierf  Sj  (A).  —  1277.  froven, 
Spietalf,  nihtef,  frovn.  —  1279.  kaufet,  vrawen  Sj  (0.  2)., — 
1282.  belibe,  naehften,  (vnferre),  habe  (l.pl)  S^  (A).  — 
1280.  kauft  Si  (H).  —  1282.  hörnt,  -er,  -en  S,.  —  1282. 
fogtan,  belieben,  hern,  drvnder,   lefent,   fvln,   varn,   gedecket. 


^  Vergl.  die  Urkunden  namentlich  in  den  Jahren  1346 — 1352,  in 
denen  von  allen  Augsburger  Schreibern  mit  Vorliebe  die  Formel  *ze 
hahenne  vnd  ze  niezzenne*  geschrieben  wird:  ze  habend  (auch  ze  Iiabent) 
vnd  ze  niezend  (vgl.  bei  d). 


496  Dritter  Abschnitt.  250 

machen,  herren,  kapeln,  wolt  wem,  bwen,  einf  Schuhes  ge- 
raichet,  im  (pron.),  irren  (inf.)  Sg(R.  X|  4).  —  giltet,  laebt,  -en, 
fiün  Sj  (A).  —  -en,  kauflFt,  ertailet,  verfitzzet  Sg.  —  1290. 
Rat:  genade,  gewonhait,  vor,  uarn,  fulen,  -en  Sg  (H).  —  1292. 
genade,  benotet,  welle  (l.pl.)  Sg  (A).  —  genaden,  beleiben, 
gottes,  angehört,  verbürget,  gezaiget,  fvlen,  bürgere,  gefetzzet 
Sg  (Fürst,  fei.  XV  V  ÖO,  3).  —  1293.  ainf,  waer  (c),  entaet 
(c.)  bewaert  Sg  (C.  4).  —  1295.  genvge,  ainz,  Hof  (dat.)  S, 
(A).  —  1296.  Rat  und  Bischof:  genaden,  -et,  -es,  -en,  -e 
(dat.),  haben  (1.  pl.),  vnfers  ftiwer,  gotf  hufe  Sg  (R.  6,  5).  — 
1298.  Qeiftes,  leipgedingef,  belibe  (c.)  faelb  (n.  pl.)  leib  (n.  pl.) 
chlagt,  dorfe  (d.)  Sg  (A).  —  1302.  blib,  Gotzhufe,  -es,  veld 
(d.)  holze  (d.)  blib,  vnbefvhtz  Sg  (hl.  C.  4).  —  vmbefvchtef, 
verkauffet,  landef,  rehtef,  nach  def  landef  rehte,  dorf  (d.), 
velde  (d.),  holze  (d.),  im,  —  1306.  gwihts,  Gots,  glegen,  gnvg 
Gots,  fins,  dorf  (d.),  veld  (d.)  frivnd  (g.  pl.)  bawet,  gehört, 
fvln  Sg  (A).  —  1308.  Ulm:  genade,  gemaenglich,  Gotzhufes, 
Bfchofes,  -en,  enphahen,  geuiele  (c),  waer  (c),  taete,  getaedinget, 
Ulme  (d.),  Jare  (d.),  fritage  (d.).  —  1309.  Vogt:  fogtann, 
hörnt,  anders,  hofti,  hovfti,  kvniges  gaeb  (c),  fvn  (n.  pl.)  (A). 
—  1351.  bowt,  Reychs  S^,  (H).  —  1356.  füllen,  entlofen, 
jerlichen,  offenlich,  üfrihten,  gehenckt.  —  1358.  fteten,  naemen, 
gehenckt,  gebürde  S^^.  —  1359.  in  dorf  oder  ze  velde  gebürde, 
üfgeben  S^g.  —  1368.  Rat:  gemeinclichen,  gemeint,  heizzen, 
hailigen,  mugen,  volfuren,  zunfften  S^g  (A). 

Synkope  und  Apokope:  Geltung. 

Die  Vorgänge  der  Synkope  und  Apokope,  die,  weil  sie 
beide  einer  Tendenz  entsprungen  sind,  auch  am  zweckmässigsten 
neben  einander  behandelt  werden,  sind  nur  in  der  Ausdehnung, 
welche  sie  in  der  schriftlichen  Darstellung  in  mhd.  Zeit  ge- 
funden haben,  ein  spezifisches  Eigentum  des  Schwäbischen. 
Als  lautliche  Prozesse  sind  sie  allgemein  verbreitet,  regel- 
mässig da,  wo  Affekte,  die  ein  bewegtes,  rasches  Sprechtempo 
anregen,  eine  weitgehende  Reduktion  der  Nebensilben  ver- 
anlassen.    Sie  sind  darum  namentlich  eine  vorzügliche  Waffe, 


261  Konsonantismus.  497 

um  dem  amtlichen  Sprechton,  wie  er  in  urkundlichen  Willens- 
erklärungen ganz  von  selbst  sich  einfindet,  ein  energisches 
Gepräge  zu  verleihen.  ^  Indem  nun  diese  Erscheinungen 
lediglich  rhetorische  Mittel  sind,  ist  ihr  Eintritt  an  kein 
formulierbares  Gesetz  gebunden.  'So  wandellos  der  Haupt- 
iktus  fixiert  ist',  sagt  KaufFmann,^  *so  schwankend  ist  die 
rein  rhetorische  Abstufung  innerhalb  der  Sprechtakte,  was 
Nebeniktus  und  Nachdruckslosigkeit  betrifft,  und  es  gilt  der 
Satz,  dass  jede  nicht  expiratorisch  starke  Silbe  ihren  Sonanten 
verlieren  kann.^ 

Entsprechend  bietet  die  Schreibung  ein  buntes  Bild.  Aus 
der  Fülle  unseres  Materials  kann  daher  nur  Einzelnes  namhaft 
gemacht  werden;  ich  verweise  dafür  auf  die  vorangestellten 
Belege.  Aus  ihnen  ergiebt  sich,  dass  mit  einiger  Regelmässig- 
keit nur  die  Apokope  im  dat.  sing,  der  Substantiva,  in  der 
ersten  Zeit  die  Apokope  in  der  3.  sing.  conj.  praet.  waer^ 
für  waere  eingetreten  ist,  während  sich  die  Synkope  mit  Vor- 
liebe allerdings  der  Vorsilben  he-  (vor  t)  und  ge-  und  der 
Endung  der  3.  sing,  praes.  und  praet.  und  des  part.  praet. 
bemächtigt  hat,^  aber  doch  nur  so,  dass  man  sagen  kann, 
dass  diese  oder  jene  Urkunde  eine  ausgeprägte  Vorliebe  für 
die  synkopierten  Formen  erkennen  lässt.  Unter  den  Schreibern 
ist  es  allein  Sg,  der  in  der  ersten  Zeit  seiner  Schreiber- 
thätigkeit  in  Augsburg  die  Verkürzung   der  Wörter  ablehnt. 


*  Vgl.  Rückert:  Geschichte  der  nhd.  Schriftsprache  I,  218. 

*  Kauffmann:  schwäb.  Mundart  S.  136. 

'  Vgl.  dazu  Winteler:  Kerenzer  Mundart  S.  119  und  Beispiele 
S.  179,  218,  216  Anm.  ad.  3,  2. 

*'  Die  Sonderstellung  des  xoaer  (3.  s.  conj.)  giebt  sich  kund  in  einer 
Ulmer  Urkunde  (1308),  welche  ausser  dieser  einen  Form  waer  keine 
Synkope  und  keine  Apokope  kennt.  Die  verkürzte  Form  scheint  durchaus 
ein  Erfordernis  des  Rhythmus  der  Urkunde  zu  sein,  indem  die  Formel 
^vcaer  da£  gleichsam  wie  ein  Vorschlag  den  folgenden  Gedanken  einleitet. 

^  gemaindichen  darf  auch  als  Beispiel  einer  gewissen  regelmässigen 
Synkope  des  Vokals  des  Affixes  (-ec)  gelten.  Synkopiert  wird  e  auch  in 
dem  dat.  sing.  masc.  der  Adjektiva  und  des  unbestimmten  Artikels  ei7i, 
eim,  offenm  (Achtb.  50  b.)  offenm  (A.  51  b.)- 


498  Dritter  Abschnitt.  252 

später  nimmt  auch  er  die  schwäbische  G-ewohnheit  an.     S^, 
bildet  im  Gegensatz  zu  ihm  diese  sprachliche  Eigenheit  ganz 
besonders  aus.     Wie  steht  es  nun  hier  mit  dem  normierenden 
Einflüsse  der  kaiserlichen  Urkunden  ?     unter  Ludwig  ist  von 
ihm  nichts  zu  spüren;  freilich  zeigen  die  Schriftstücke  seiner 
Kanzlei  ein  ähnliches  Bild  wie  die  gleichzeitigen  augsburgischeo. 
Die  Urkunden  der  Prager  Kanzlei  unter  Karl  IV.  aber  trugen 
von  vornherein  einen  derartigen  Charakter  in  der  Behandlung 
der   Endsilben   (Flexionssilben)   zur   Schau,   dass  es  sich  für 
die  augsburgisch-städtischen  Schreiber  zu   empfehlen  schien, 
den  Abstand  von  den   durch   die  Verwendung   des   i  in  den 
Elexionssilben  erzielten  volleren  Formen  der  kaiserlichen  Ur- 
kunden   nicht   durch    die   Festhaltung   ihrer   Gewohnheit   zu 
vergrössern.     Es  beschränkt  sich  daher  zusehends  die  Synkope 
der  Endungen  auf  die  3.  sing,  praes.  ind.   und  auf  das  part. 
praet. ;  während  das  -en  des  dat.  plur.  der  Nomina  und   die 
luflnitivendung  mit  mehr  Bedachtsamkeit  in  der  schriftlichen 
Darstellung  erhalten  wird.     Synkope  der  Präfize  wurde  nach 
wir  vor  geübt;  auch  die  Urkunden  Karls  zeigten  sie  in  weitem 
Umfange. 

Gar  nicht  der  Verkürzung  durch  Synkope  erlag  in  unsern 
Denkmälern  die  Endung  und  Bildungssilbe  -er]  nie  also 
finde  ich  7nütr,  hrudr,  burgr;  nur  der  Beduktionsvokal  e  in 
Wörtern  wie:  ftitver,  (niwr),  Mauer  u.  a.  wird  häufig  aus- 
gestossen. 

Zerdehntmg :  Ein-  und  Anfügung  von  Vokalen. 

Im  Gegensatz  zu  der  eben  besprochenen  Verkürzung  des 
Wortbildes  lieben  es  einzelne  augsburgische  Schreiber,  das 
Wort  durch  einen  eingeschobenen  Vokal  zu  verlängern.  ^ 
Nachklang  hinter  verbundener  Liquida  erscheint  in:  arem 
sturmgloggen  (Stadtb.),  /wnt/ (Achtb.  51  b.)  j)ferü  (Achtb.  71  b. 
1354).  Ferner:  lyrobeü,  (1272.  Sj  f U.  II))  angeft  (Stadtb. 
Gr.  45  b.  Sj)    wogete   (Stadtb.   Nov.  37  a.  Sj).     Dem   hrobelt 

1  Vgl.  Weinhold:  mhd.  Gramm.  §  35. 


263  Konsonantismus.  499 

liegt  ein  prouüta  zu  Grunde,  welches  in  der  ältesten  Augs- 
bnrger  Urkunde  sich  vorfindet.^  Ich  selbst  habe  noch  heute 
für  ^Turm'  in  Augsburg  iur9m  sprechen  hören. 

Anfügung  von  -«  tritt  ein  am  Schlüsse  von  Verbalformen : 
1341.  als  R  gebom  wurde  Sjg  (A).  —  1302.  gehabte  hat,  ge- 
machte hat  in  einer  Urkunde  von  St.  Ulrich  (U.  6).  —  1348. 
rehende  (3.  pl.)  hörende,  lefend  (pl.)  St.  Kath.  —  1336.  hande 
(=  hatte)  8,2  (U.  6). 

Volle  Flexionen:  Belege« 

1320.  hantveftin  8^  (A).  —  1326.  Magdalenun  S^o-  — 
1326.  heti,  rihti,  (wolt)  S^.  —  1331.  triwlichoft,  vaftvn,  vrarnvn 
8g  (A).  —  1336.  Rat:  -an,  -i,  -iu  8,8«  —  1339.  gefamm- 
noten  8^3.  —  1366.  ze  Oftrun  8,^.  —  1367.  geuertigot 
Sj^.  —  1357.  bowot,  Oftrun  8,,.  —  1366.  hellgazzun, 
vaftun  (2x)  Sj^. 

Bischof:  1326,  geveftnut  (A).  —  1329.  dingun,  gehohrun. 

Klöster:  1326,  geuaftut,  vaftun  (hl.  Kr.  7).  —  1337. 
haetan  (St.  U.). 

Stadtbuch:  83:  nidroft;  nidroren  (72a). 

Volle  Flexionen. 

Einen  ähnlichen  Gegenzug  gegen  die  Verkürzung  und 
Qualitätsverringerung  mancher  Formen  bildet  die  Gewohnheit 
augsburgischer  Schreiber,  manche  Flexionssilben  mit  vollen 
Vokalen  auszustatten.  Nachdem  Behaghel  ^  über  diese  Formen 
eingehend  gehandelt,  Kauffmann  darauf  in  seinem  Referat  der 
Behagheischen  Untersuchungen,  ^  die  im  Allgemeinen  nicht 
haltbare  Ansicht  Behaghels,  dass  in  den  Vokalen  a,  i,  u,  o 
der  Flexionen  volle  lebende  Laute  vertreten  sind,  widerlegt 
hat,  ist  es  für  mich  überflüssig,  die  Frage  einer  nochmaligen 


^  Hierher  gehört  auch  die  schon  erwähnte  Form:  enthelofen  für 
efitlofenj  siehe  hei  t  (451.)    Vgl.  Kauffmann  a.  a.  0.  S.  118. 

*  0.  Behaghel:  Zur  Frage  nach  einer  mittelhoehdeutschon  Schrift- 
sprache.   Basel.    Festschrift  1886. 

«  P.  Br.  B.  XIII,  464  ff. 


600  Dritter  Abschnitt.  254 

Erörterung  zu  unterziehen;  ich  verweise  namentlich  auf  Kaufif- 
manus  Ausfiihrungen  in  seiner  "Geschichte  der  schwäbischen 
Mundart\^  Ich  kann  an  dieser  Stelle  nur  das  von  ihm  an- 
geführte Belegmaterial  aus  den  mir  vorliegenden  handschrift- 
lichen Quellen  vervollständigen.  Meine  Belege  beweisen,  dass 
die  vollen  Flexionen  nach  dem  Ende  unseres  Zeitraums  zu 
durchaus  nicht  abnehmen,  dass  vielmehr  namentlich  die  Endung 
des  Dativ  Pluralis  in  den  sechziger  Jahren  den  vollen  Vokal 
erhält,^  und  dass  die  Superlativendung  -ost  nach  wie  vor  ge- 
schrieben wird. 

Superlativ  und  Komparativ:  Geltung. 

Die  Endung  des  Superlativs  -öst  hat  sich  im  Augsbur- 
gischen nach  Birlinger^  bis  heute  erhalten. 

Bezeiehnnng. 

Nur  wenige  Superlative  kommen  im  Kontext  der  Schrift- 
stücke, namentlich  der  Urkunden,  vor,  nur  in  der  Datierungs- 
formel  wiederholt  sich  regelmässig  die  Zehnerzahl  im  Superlativ. 
Abgesehen  von  einem  svhenzegetten  des  Stadtschreibers  S^  (1277) 
endet  bei  allen  augsburgischen  Stadtschreibern  bis  circa  1340 
der  Superlativ  auf  -osL  1342  finde  ich  zum  erstenmal  bei 
S,3*  vierzigifien,     S^^  hat  1342  zwaiundfiertzgoften.     Von  nun 

»  Kauffraann  a.  a.  0.    §  111—117. 

^  Ich  gebe  hier  die  vor  das  Jahr  1272  fallenden  Zeug^nisse  von  (langen) 
vollen  Endungen  in  den  Augsburger  Urkunden :  1067.  Marcwari  de  Fifcon 
(^-  Fischbach)  (A).  —  1071.  Chionratifkouen,  WaUhuHnf  Luobon,  nnUi- 
hulinj  pobingin,  —  1143.  26.  Nov.:  Celestinus  papa  .  .  .  Muron,  Bozen 
sonst:  -en.  für  dat.  plur.  —  1145.  Wcdtere  de  liwben.  —  1157.  de  cf-rini/iw, 
de  riehen.  —  1188.  Weif  dux  .  .  . :  de  fuozin,  de  altmannifhovin,  de 
hopfin,  de  gruti,  de  felgi,  ramuginj  Jiagilltain,  keminatun.  —  1 153.  cazz- 
"unltein.  Weinbold  erklärt  derartige  volle  Vokale  in  den  Endungen  für 
sekundäre  Bildungen;  nach  den  eben  aufgeführten  Zeugnissen  scheinen 
die  vollen  Flexionsvokale  im  Augsburgisch-Schwäbischen  eine  unnnter- 
brochene  Fortführung  aus  dem  ahd.  ins  mhd.  gewesen  zu  sein,  und  zwar 
durch  die  Eigennamen. 

'  Birlinger:  augsb. -Schwab.  Wörterb.     S.  358. 

*  1342  ist  S|g  nicht  mehr  Stadtschreiber,  schreibt  jedoch  noch  Ur- 
kunden für  die  Bürger. 


256  Konsonantismus.  501 

an  drängten  sich  die  Formen  auf  -isten  und  mehr  noch  die 
auf  '8ten  hervor;  -ästen  bleibt  indes  bei  der  Datierungsformel 
vorherrschend.  Wo  sonst  ein  Superlativ  in  der  Urkunde  oder 
in  einem  anderen  Augsburger  Denkmal  sich  findet,  erscheint 
er  entweder  mit  der  Endung  -ost,  oder  häufiger  mit  der  Endung 
-est.  Immerhin  kann  man  nicht  sagen,  dass  die  Superlativ- 
endung -08i  nur  dadurch,  dass  sie  in  einer  Formel  verwendet 
wird  und  so  gleichsam  erstarrt,  fähig  war,  sich  in  ihrer  alten 
Gestalt  zu  halten;  Fälle  wie  truilichoft  •  .  .  beweisen,  dass 
die  vollere  Form  den  augsburgischen  Schreibern  an  und  für 
sich  geläufig  war. 

Für  den  Komparativ  kann  ich  nur  einmal  -or  belegen; 
iueror  schreibt  8^  1330  in  der  Urkunde,  welche  er  als  Vorlage 
an  die  kaiserliche  Kanzlei  ausfertigte. 

Konduktiv  formen. 

Die  3.  sing.  conj.  praes.  und  praet.  wird  sehr  häufig  von 
den  Augsburger  Schreibern  mit  i  geschrieben:  heti,  laugeneti, 
stitrbi:  1326.  häi,  wölt,  rihti  S^  (C).  —  1335.  haeti,  gehorti, 
haetij  lieseiy  laugeneti,  waer,  het,  fÖlii  S^g  (St.  U.  5).  —  1337. 
heü  Si3  (A),  —  1338.  werdi,  beUbe.  St.  Kath. 

3.  sing.  conj.  praes.:  1334.  Kaiser:  weüi  (A). 

3.  plur.  conj.  praet:  1333.  Taeün  8^^  (C.  7).  —  1334. 
Kaiser:  Rent  (2.  plur.)  S^j  (U.  5).  —  1336.  tdedriy  hien, 
wohin  Sj8  (U.  5).  —  1335.  fchufßn,  möMin,  frageten,  —  1335. 
habm^  habin  (1.  plur.)  Sjg  (U.  5).  —  1337.  habin  (1.  pl.),  haeion 
(1.  pl.)  St.  Ulrich. 

Zusammensetzung  des  Infinitivs  mit  ge-. 

Vor  viele  Verba  wird,  wenn  sie  in  Abhängigkeit  von 
inugen,  foln,  kunnen,  wellen  treten,  ein  ge-  als  Präfix  vorgesetzt.  ^ 
Die  Augsburger  Urkunden  zeigen  eine  starke  Neigung  zu 
dieser  Verbindung:  z.  B.  1312.  gelailten  möht  S,  (A).  —  1335. 
gehacen  fulen  S^g-  —  1337.  getvn  wdlten  Sjg.  —  1347.  geuaren 
mag  getun  mugen  Sj,   (R.  Xi  10,4). 

^  Vgl.  über  diese  Verbindungen:  Weinhold:  mhd.  Gr.  §  286  und 
die  an  dieser  Stelle  angegebene  Litteratur. 


502  Dritter  Absohnitt.  266 

Adyerbialbildung  auf  -liehen. 

Bis  in  die  Mitte  des  14.  Jhs.  herrscht  in  den  Aagsbnrger 
Denkmälern  durchaus  -liehen]  schon  in  den  vierziger  Jahren 
aber  drängt  sich  die  kürzere  Form  -lieh  hervor ;  sie  wird  durch 
Hagen  S^,  nach  dem  Vorbilde  der  kaiserlichen  Urkunden  zur 
herrschenden  erhoben.  Von  1346  an  heisst  es  ofenUch,  ge- 
ruwclich, 

Gesamtrerlanf  der  Entwicklung  der  angsbnrgisehen 

Kanzleisprache. 

Die  voranstehenden  Untersuchungen  laufen  in  ihrem  letzten 
Ziel  auf  zwei  prinzipielle  Fragen  hinaus,  welche  keine  laut- 
geschichtliche Betrachtung  umgehen  kann,  und  welche  sich 
auf  dem  Augsburger  ürkundenterritorium  besonders  stark  auf- 
drängen. Hier  tritt  in  erster  Linie  die  Frage  an  uns  heran : 
Steht  die  lebende  Sprache  der  Zeit  überhaupt 
in  einem  ursächlichen  Zusammenhange  mit  der 
Sprache  der  Rechtsdenkmäler  und  in  welchem 
Masse?  Wenn  ein  solcher  Zusammenhang  zu  erweisen  ist,  so 
fragt  es  sich  ferner:  Hat  die  durch  ihn  bedingte 
Schreibweise  eine  bindende  Kraft  für  die  ürkunden- 
schreiber  desselben  Territoriums.  Oder  darf 
endlich  der  Schreiber  fremden  Einflüssen  nach- 
geben? Und  ist  also  die  Schriftsprache  der  Urkunden,  all- 
gemeiner die  Kanzleisprache,  namentlich  gleichartigen  (kanz* 
listischen)  Einflüssen  zugänglich  gewesen?  —  Es  tritt  also  im 
letzten  Punkte  das  Problem  der  'Kanzleisprache',  ^  vornehmlich 
der  kaiserlichen  Kanzleisprache,  in  den  Elreis  unserer  Be- 
trachtung, zeitlich  allerdings  nur  die  gewählte  Periode  streifend. 

Die  Lösung  der  ersten  Frage  glaube  ich  durch  meine 
lautstatistischen  Betrachtungen  erreicht  zu  haben,  indem  ich 
an  der  Hand  aller  einschlägigen  handschriftlichen  Auf- 
zeichnungen, —  sowohl  derer,   welche  das  Gebiet  der  Stadt 


'  Ich  stelle  hier  die  höfisohe  Kanzleisprache  neben  die  mittelhoch- 
deutsche Dichtersprache. 


367  SonBonantiBmuB.  503 

zu  yerlaBsen  bestimmt  oder  dieser  Möglichkeit  wenigstens 
aasgesetzt  waren,  als  auch  derer,  welche  von  keioeriei  Rück- 
sichten auf  die  ausserhalb  geltenden  Gewohnheiten  bedingt 
waren  und  darum  unverfärbt  in  der  Sprech*  und  Schreibweise 
der  Stadt  sich  bewegen  konnten,  —  nachzuweisen  suchte,  wie 
weit  die  in  den  Quellen  in  die  Augen  springenden  Wand- 
lungen des  LautBtandes  einerseits  und  gewisse  stehende  Formen 
andererseits  auf  Bechnung  der  geltenden  Sprache  kommen. 
Ich  ermittelte  folgendes:  Wenn  ich  überhaupt  von  einer  'ge- 
sprochenen Sprache'  rede,  so  giebt  sich  dieselbe  für  mich  in 
zweierlei  Gestalt  als  Grundlage  zu  und  in  den  schriftlichen 
Denkmälern  kund: 

A.,    als    die  jeweilig   gesprochene   Sprache   der   Ge- 
bildeten der  Stadt,  und  als  solche  ist  sie   1.   die  dem 
Schreiber  in  den  meisten  Fällen  selbst  eigene 
Sprechweise,   welche   ihn  daran  gewöhnt,   seinen  ge- 
schriebenen Lauten  eine  solche  Form  zu  geben,   dass  sie 
sich  erkennbar  von  dem  vulgären  Lautstand  abhebt;  ^  ^ 
und  S.  auf  dem  Wege  'dictandi'  in  die  schriftliche 
Darstellung,  Tornehmlich  der  Urkunden,  hineingetragen. 
B.,  als  die  lebende  Mundart  im  alltäglichen  Verkehr,  * 
zuweilen  durchsetzt  mit  vulgären  Elementen,  von  denen 
die  einen  in  weiter  zurückliegenden  Zeiten  der  allgemeinen 
gesprochenen    Sprache   der   Stadt   angehört,    andere    auf 
erkennbarem  und  unerkennbarem  Wege  in  dem  Strassen- 
idiom  sich  eingebürgert  haben. 
Weil  der  Augsburger  höheren  Standes  für  die  Länge  der 
a-Farbe   d    sprach,   sei   es  weil    er    die   Gewohnheit    seiner 
Vorfahren  bewahren,  sei  es  weil  er  sich  dadurch  vorteilhaft 
von    dem   gemeinen   Manne   unterscheiden  wollte,    in   dessen 
Aussprache  'au'  er  eine  Grobheit  gegenüber  dem  ausserhalb 
seiner   Heimat    gesprochenen   Laute    erkannte,    schrieb    der 
Schreiber  gern  a;  um  so  mehr  noch,  weil  er  damit  in  jedem 

^  Vgl.  Kauffmann:  schw.  M.  S.  281. 

*  Im  Folgenden:   'Mundart   Bchleohthin',  'VolkBrnundarf,   'VolkB- 
mund'i  'Ynlgänprache',  'Sprache  des  gemeinen  Mannes'  genannt. 

33 


504  Dritter  Abschnitt.  258 

Falle  der  Tradition  gerecht  wurde.  Der  mustergültigen  Aus- 
sprache folgend  musste  er  auch,  wenn  er  einen  Doppellaut 
kenntlich  machen  wollte,  ei  für  %  schreiben;  ai  gehörte  dem 
Volksmunde  an,  welcher  es  durch  seinen  Verkehr  mit  Leuten 
gleichen  Standes  aus  Baiem  angenommen  hatte.  Die  Kanzlei- 
sprache des  14.  Jhs.  kennt  es  nicht.  Namentlich  aber  stellte 
die  mustergültige  Sprache  an  die  ürkundenschreiber  die  An- 
forderung, vulgär  mundartliche  Erscheinungen,  wie  die  Ent- 
rundung dumpfer  Vokale  o  und  u  bei  der  Trübung  zu  ö  und  ü 
zu  yermeiden.  Mochte  der  gemeine  Mann  e  und  i  hören 
lassen,  in  die  diplomatischen  Schriftstücke  dieselben  aufzu- 
nehmen hielt  man  für  unstatthaft.  —  Nicht  zu  verdrängen 
vermocht  hat  die  höhere  Gesellschaftssprache  die  Form 
^liechtmHTe\  welche  durchaus  in  dem  Volksmunde  lebt;  nur 
wird  das  jener  angehörige  liechtmaeffe,  liechtmef/e  häufig  genug 
gerade  in  den  Urkunden  geschrieben,  so  dass  man  es  als  ein 
Sprachgut  der  Gesellschafts-  und  Schriftsprache  gelten  lassen 
darf.  —  Der  Konsonantenstand  der  Urkunden  ist  im  Grossen 
nnd  Ganzen  bis  zum  Schluss  der  Periode  derjenige  geblieben, 
mit  welchem  die  deutsch  abgefassten  Urkunden  Augsburgs 
1272  die  Reihe  eröffneten.  Er  ist  Gemeingut  der  'Gesell- 
schaftssprache', der  'Mundart'  und  der  'Kanzleisprache  schlecht- 
hin', ohne  dass  sich  einer  der  drei  Faktoren  über  die  anderen 
zu  erheben  vermag;  es  müsste  denn  die  am  AnjEeing  unseres 
Zeitraumes  sich  kundgebende  E[lärung  der  Bezeichnung  von 
anlautendem  k  mit  k  und  auslautendem  g  mit  g  und  k  auf 
Rechnung  der  'geschriebenen  Sprache'  gesetzt  werden.  In 
keiner  Weise  aber  etwa  kann  man  von  einer  sich  über  die 
'Mundart'  erhebenden  Behandlung  des  Konsonanten  in  der 
Sprache  der  Gebildeten  Augsburgs  reden.  Nur  von  den  Ge- 
waltsamkeiten der  Mundart  hält  sich  die  Kanzleisprache  frei. 
Darunter  verstehe  ich  vor  allem  die  Behandlung  der  Nasale 
in  den  Endungen.  Aeusserst  selten  nämlich,  wenn  auch 
zweifellos,  drängt  sich  ein  starkes  participium  perf.  pass.  auf 
-e,  anstatt  mhd.  -en  und  die  1.  plur.  praes.  auf  e  in  eine  Ur- 
kunde hinein;   dass  solche  Formen  überhaupt  hier  leben,  ist 


269  KonsoDantismus.  505 

«in  Beweis,  dass  sie  Sprachgut  schon  im  13.  und  14.  Jh. 
fiind;  der  umstand,  dass  sie  so  ausserordentlich  selten  auf- 
tauchen, verweist  sie  in  ein  für  die  Zwecke  der  Schriftsprache 
wenig  gepflegtes  Sprachgebiet.  Ich  bin  daher  geneigt,  die 
Festhaltung  des  n  in  den  Endiungen  der  Strenge  der  gebildeten 
Sprache  zuzuschreiben.  Von  vornherein  perhorresziert  wurde 
«ine  dem  Lautwert  der  Mundart  entsprechende  Wiedergabe 
der  8  vor  /,  m,  n,  t  im  Auslaut  und  Inlaut  yomehmlich  der 
^  vor  t  nach  helleren  Vokalen,  seh  hat  in  solchen  Stellungen 
kein  schriftliches  Denkmal.  Abseits  steht  eine  Urkunde  des 
Klosters  y.  hl.  Kreutz  (1311)  mit  eilfchten.^  Andere  Er- 
scheinungen der  Schriftsprache  der  zu  Grunde  gelegten  Denk- 
mäler Augsburgs  sind  die  Spuren  der  Mundart,  soweit  sie 
Gemeingut  aller  Gesellschaftsklassen  der  Stadt  ist,  und  in 
vereinzelten  Verstössen,  soweit  sie  die  Umgangssprache  des 
Volkes  allein  ausmacht.  Ich  bemerke  hier  noch  einmal,  dass 
ich  die  Sprech-  und  Schreibweise  a  z.  B.  als  eine  Tendenz 
betrachtet  wissen  wollte,  von  der  geschriebenen  Sprache  fern- 
zuhalten, was  im  Vergleich  mit  mundartfremden  mündlichen 
und  schriftlichen  Gewohnheiten  den  Vorwurf  des  dialektischen 
zu  erleiden  gehabt  hätte.  Da  jedoch  die  Zeit  noch  nicht 
dazu  angethan  war,  solchen  Bestrebungen  volle  Herrschaft  zu 
sichern,  so  ist  es  durchaus  nicht  unwahrscheinlich,  dass  aus- 
gesprochen mundartliche  Eigenheiten  im  Gegensatz  dazu  in 
«iner  Zeit  lautlicher  Revolution,  als  welche  ich  die  Wende 
des  13.  Jhs.  betrachte,  mit  um  so  grösserer  Gewalt  zum 
Durchbruch  kamen.  Die  Nachhaltigkeit  dieser  leben- 
digen Kraft  der  Volkssprache  wird  gesichert  durch 
die  konservative  Haltung  aller  litterarischen  Erzeugnisse, 
nachdem  der  Widerstand  der  Tradition  einmal  gebrochen  war. 
<iu  verlässt  die  Urkundensprache  nicht  mehr  im  14.  Jh. 
Nie  schwankend,  noch  weniger  ausgesprochen  feindlich,  verhält 
sich  die  geschriebene  Sprache  zu  den  spezifisch  schwäbischen 
Doppellauten,  als  welche  sowohl  o  und  n  selbst,  als  auch  die 
weit  frühere   Entwicklung   des    uo    sich    geltend   machen:   o 

»  Vgl.  o.  S.  228. 

38» 


606  Dritter  Abschnitt.  260 

bekennt  sich  als  o,  u  als  &  (u).  £m  nntrüglicheB  Kennzeichen 
der  ^Mundart'  äussert  sich  ferner  in  der  zeitweise  sich 
wieder  hervordrängenden  Schreibang  der  «-Laate  als  ei, 
in  der  lebenden  Sprache  als  ee  (e»)  geltend  und  als  solches 
einmal  vorübergehend  in  ^en  überliefert.  Wenn  gerade  diese 
Schreibung  ei  in  den  internen  Denkmälern  Augsburgs  sich 
mehr  breit  macht,  während  eine  gewisse  Zaghaftigkeit  in  den 
öffentlichen  Schriftstücken  sich  kundgiebt,  so  ist  letztere 
allerdings  auf  der  einen  Seite  ein  Beweis  für  das  stetig  pul- 
sierende Leben  der  Mundart  auch  in  litterarischen  Erzeug- 
nissen, welche  durch  mancherlei  Umstände  geleitet  derselben 
eher  ausweichen  zu  müssen  scheinen,  aber  auch  ein  Zeugnis 
für  eine  grobmundartliche  Erscheinungen  perhorreszierende 
Gewalt. 

Als  ein  Erzeugnis  der  Mundart  können  wir,  wie  schon 
bemerkt,  bedingungsweise  den  Konsonantismus  unserer  Denk- 
mäler ansprechen;  bestimmt  hat  die  Mundart  auf  die  un- 
geregelte Verteilung  der  überlieferten  Zeichen  für  die  Labialen 
und  Dentalen  und  für  das  etymolof^ische  k  gewirkt.  In  der 
Beihe  der  Labialen  nämlich  ist  die  Trennung  von  Explosiva 
foi*tis  und  -lenis  nicht  streng  durchgeführt: 

p  erscheint  für  mhd.  b  mit  der  gleichen  Willkürlichkeit 
noch  im  Ausgang  unseres  Abschnittes  wie  am  Anfang,  wenn 
auch  Schriftstücke,  welche  die  Schreibweise  p  für  b  einheitlich 
durchfuhren,  nur  der  Anfangszeit  angehören  (z.  B.  1283.  29. 
März.  Bat:  S,,).  Im  14.  Jh.  lassen  nur  Sj,,  Sj^  und  S^^  ^ 
—  das  ist  der  Zeitraum  von  1336  —  1345  —  eine  starke 
Vorliebe  für  p  als  Ausdruck  von  etymologischem  b  erkennen. 
Sj,  bemüht  sich  im  Gegensatz  zu  ihnen,  das  p  zu  unterdrücken 
und  unter  dem  Vorbild  der  kaiserlichen  Kanzlei  b  zur  regel- 
rechten Bezeichnung  des  gemeinhochdeutschen  b  zu  erheben. 
Vorausgegangen  war  ihm  mit  der  gleichen  Tendenz,  entgegen 
dem  Augsburger  Schreibgebrauch,  eine  einheitliche,  höheren 
Ortes  empfohlene  Bezeichnung  mit  b  einzufuhren,  der  Schreiber 


^  Sie  ist  zu  dieser  Zeit  Gehülfe. 


261  Konsonaotismas.  507 

des  Bischofs  Heinrich  (von  1338^1340),  aus  dessen  SLand 
auch  die  kaiserlichen  Schriftstücke  derselben  Zeit  hervor- 
gingen. Dass  die  bischöfliche  Kanzlei  dieser  Zeit  dem  augs« 
burgischen  Sprachleben  an  und  für  sich  nicht  zu  fern  stand, 
bezeugt  die  Aufrechterhaltung  des  au  in  bischöflichen  Schrift- 
stücken,  die  Schreibung  u  und  u  für  uo  und  ti.  Im  Konso- 
nantismus aber  markiert  sie  im  ganzen  Umfang  den  Beginn 
derjenigen  Aera,  welche  dem  Siege  der  Schriftsprache  un- 
mittelbar voranging,  sie  schreibt  nur:  6  für  A,  k  für  kj  pf 
für  ph, 

w  und  tt  für  6  kennt  noch  das  14.  Jh.  Sie  sind  nach 
den  von  mir  benutzten  handschriftlichen  Quellen  nur  wenig 
bezeugt;  wo  sie  erscheinen,  dürfen  sie  als  Lebenszeichen  der 
Mundart  gelten.  In  dieser  unterscheiden  sich  w  und  b  im 
Klange  nicht  zu  sehr,  daher  vertritt  nicht  sowohl  to,  u  das 
mhd.  bj  sondern  auch  häufig  genug  b  die  etymologische  Spirans  in 
gerubclichj  wübe.  ^     w  und  b  lauten  auch  im  Bairischen  gleicli. 

Mhd.  p  erfahrt  aus  demselben  Grunde,  welcher  die  Ver- 
tauschung  von  b  und  p  in  der  Schrift  für  b  veranlasste,  eine 
gleich  schwankende  Behandlung,  welche  nur  in  der  Schreibung 
der  Fremdwörter  eine  gleichmässige  wird,  indem  die  aus  dem 
Lateinischen  abgeleiteten  Wörter  in  der  Begel  mit  b  anlauten, 
die  aus  dem  Griechischen  stammenden  öfter  mit  b  als  mit  p. 
Auf  diesem  Gebiete  lässt  sich  einEinfluss  weder 
der  kaiserlichen  Kanzleisprache  noch  auch  einer 
(anderen)  lokalen  Kanzleisprache  feststellen. 

phj  die  Verschiebung  des  german.  p,  erhält  erst  im  14.  Jh. 
die  Gestalt  von  pf,  dauernd  seit  dem  fünften  Dezennium.  ^ 
Veranlassung  ist  möglicherweise  der  Vorgang  des  oben  er- 
wähnten bischöflichen  Schreibers,  mit  grösserer  Bestimmtheit 
die  Kanzleisprache  des  Hofes.  Die  Aussprache 
näherte  sich  längst  mehr  der  neuerdings  angenommenen  Gestalt, 
als  der  traditionellen  ph. 

>  1355.  ioübe  St«  (A). 

'  Einige  Elostcrurkunden  sseigen  auch  jetzt  noch  ph  sehr  häufig, 
zuweilen  ausschliesslich. 


508  Dritter  Abschnitt.  862 

Endlich  offenbart  sich  die  Mundart  in  der  schriftlicheD 
Darstellung  gewisser  Flexionen.  Nicht  alle  Flexionen  nämlich 
spielen  in  dem  Leben  der  schwäbischen  Mundart  der  mhd. 
Zeit  eine  gleiche  Rolle.  Während  ein  Teil  durch  Synkope 
und  Apokope  seinen  Vokal  ganz  yerliert,  und  so  die  Flexions- 
silbe stellenweise  selbst  verflüchtigt  wird,  wahren  sich  andere 
Biegungssilben  infolge  eines  sprachlichen  Gegenzuges  mit  um 
so  grösserer  Hartnäckigkeit  eine  älteren  Zeiten  angehörende 
Fülle.  Dazu  neigt  der  Optativus  praet.,  das  Particip.  praet. 
pass.  der  schwachen  Yerba  auf  -oty  -utj  und  ganz  ausser- 
ordentlich der  Superlativ  auf  -ost,  Sie  waren  ein  ebenso  not- 
wendiges Erfordernis  einer  feierlichen,  betonungs- 
reichen Sprechweise,  wie  sie  Rechtsdenkmäler  jeder  Art 
sich  zu  eigen  gemacht  haben,  als  die  übermässige  Dehnung  weniger 
gehaltvoller  Vokale  der  Stammsilben.  Gemeinsam  halten  sich 
die  erwähnten  Schreibweisen  bis  in  die  erste  Hälfte  des  14. 
Jhs.  hinein,  über  diese  hinaus  ^  aber  nur  -ost^  obwohl  die  ge- 
meinmittelhochdeutsche Schreibweise  *e«^  -ist  hart  an  ihm  zu 
rütteln  beginnt  Die  Formen  gan  und  stan  weichen  ebenso 
wenig  den  ganz  vereinzelt  in  nichtstädtischen  Urkunden  sich 
geltend  machenden  gen  und  8tm,  —  Die  Entwicklung  der 
Endung  -ent  (3pl.)  zu  -end  in  dem  letzten  Drittel  unserer 
Periode  darf  auch  als  durch  die  Mundart  bedingt  gelten. 

Die  eben  in  kurzen  Zügen  vorgeführten  Erscheinungen, 
bald  fest  die  ganze  Zeit  hindurch  oder  doch  periodenweise 
sich  haltend,  bald  in  ihrem  Wechsel  den  Anforderungen  des 
lebendigen  Lautes  Rechnung  tragend,  haben  sich  zum  grösseren 
Teil  als  Sprachgut  einer  durch  die  Schrift  in  einem  gewissen 
Grade  normalisierten  'Gesellschaftssprache'  herausgestellt, 
welche  neben  der  mundartlichen  Sprechweise  des  gemeinen 
Mannes  vorhanden  war,  zum  kleineren,  aber  durchaus  nicht 
verschwindenden  Teil  sind  sie  die  Frucht  einer  blühenden, 
lebenskräftigen  Mundart,  welche  nur  in  wenigen  Fällen  ganz 
in  den  Hintergrund  geschoben   wurde;   mit  andern  Worten: 

^  Nur  Sie  zeigt  sich  als  ein  ausdauernder  Freund  langer  Endsilben: 
valtun^  heügazzun  (1366).  —  der  geuertigot  (1357).  —  ze  0/trun  (1356). 


263  KouBonantisinus.  509 

Die  Schreiber  halten  sich  sichtlich  von  den  Sprachformen  der 
kleinen  Leute  dann  gern  fem,  wenn  die  dem  Schreibenden 
näher  liegende  Sprache  der  Intelligenz  eine  Abweichung  von 
dem  mundartlichen  Sprachgut  gebietet.  Im  andern  Falle  geht 
die  Sprache  der  Gebildeten  nicht  merklich  in  andere  Bahnen 
über  als  die  städtische  Gemeinsprache,  so  dass  man  ihrem 
Zwange  gehorchend  diejenigen  Formen  hervorbringt,  welche 
die  Schriftstflcke  zu  speziell  augsburgischen  und  speziell 
schwäbischen  stempeln  im  Gegensatz  zu  den  Erzeugnissen 
anderer  Städte  und  Territorien.  Endlich  giebt  es  Erscheinungen 
in  dem  Bahmen  eines  diplomatischen  Schriftstückes,  deren 
ureigene  Domäne  die  'Mundart^,  die  Yulgärsprache,  allein  ist. 
Ich  erinnere  hier  daran,  dass  solche  Erscheinungen  vorzugs- 
weise in  internen  Denkmälern  beobachtet  wurden  {liechtmiffey 
korlamer),  während  sie  sich  von  den  für  den  Weltverkehr  be- 
stimmten Urkunden  eher  zurückzogen.  Nie  verschwinden  sie 
—  und  das  liegt  in  der  Natur  der  Sache  — ,  soweit  sie  Be- 
zeichnungsformen der  Geschäftsgewohnheit  der  Stadt  sind. 
Ich  muss  an  dieser  Stelle  davon  absehen,  auch  nur  Beispiele 
dafür  zu  bringen,  da  der  aus  den  ungedruckten  Quellen  ge- 
schöpfte Stoff  bisher  noch  nicht  abgerundet  genug  ist,  um  ein 
anschauliches  Bild  zu  geben ;  spätere  Untersuchungen  meiner- 
seits, welche  sich  mit  dem  syntaktischen  Sprachgut  der  Ur- 
kunden insbesondere  beschäftigen  sollen,  werden  auch  des 
Wort-  und  Namenschatzes  derselben  Denkmäler  gedenken. 

Wie  ist  nun  dieser  in  zwei  von  einer  gewissen  Zeit  an 
neben  einander  hergehenden  Erscheinungsformen  sich  teilende 
Lautstand  in  der  augsburgischen  Sprache  unserer  Zeit  zur 
Entwicklung  gelangt  ?  Es  hat  sich  ergeben,  dass  er  zum  Teil 
organisch  innerhalb  der  Mundart  sich  herausgebildet  hat,  mit 
den  Modifikationen,  wie  sie  die  Eigenart  der  Zeit,  das  Alter 
und  die  körperliche  Beschaffenheit  des  Sprechenden  hervorrufen. 
Bis  zum  Ende  unserer  Periode  ist  die  'Mundart*  nicht  zur 
Ruhe  gekommen;  wir  haben  sie  im  13.  Jh.  mit  einem  nicht 
überall  fertigen  Bestand  in  unsere  Zeit  hineintreten  sehen; 
wir  haben  bald  nach  diesem  Zeitpunkt  ihr  organisches  Wirken 


510  Dritter  Abschnitt.  S64 

erfahren;  neue  Laute  zu  Tage  fördernd  stattet  sie  dieselben 
als  ihre  ureigenen  Kinder  mit  Elraft  und  Durchdringungs- 
fähigkeit  aus,  zum  Teil  aber  fremde  Eindringlinge  aufnehmend, 
durchsetzt  sie  diese  und  reiht  sie  ihrem  Haushalte  ein.  Einen 
Abschnitt  letzterer  Art  in  der  Beth&tigung  der  Augsburger 
Mundart  bildet  die  Diphthongierung  ^  bisher  einfacher  Längen. 
Da  ihr  Aufkeimen  unsere  ganze  Periode  erftUlt,  so  wird  es 
nicht  überflilssig  sein,  dem  Vorgang  mit  einigen  Worten  näher 
zu  treten.  ^ 

Gegen  eine  autochthone  Entstehung  der  Laute  in  einem 
Ort  Schwabens  spricht  die  Erscheinung,  dass  in  dem  gesamten 
alamannischen  Gebiete  eine  stufenartige  Zunahme  der  Ver« 
breitung  von  S.W.  nach  N.O.  besteht,  d.  h.  dass  Augsburg  als 
Vertreter  des  N.O.  schliesslich  einmal  Ausgangspunkt  gewesen 
ist,  aber  nur  als  Vermittlungsstation  von  weiter  ostwärts  heran- 
drängenden Bewegungen.  Der  Vorgang  ist  folgender  gewesen: 
Diphthongiert  sind  die  alten  Längen  sowohl  in 
der  Sprache  der  Gebildeten  (Schriftgebildeten) 
als  in  der  Sprache  des  Volkes  (^Mundart'). 
Jene,  die  Gebildeten,  erfuhren  die  Neuerung 
durch  den  schriftlichen,  Handels-  und  diploma- 
tischen Verkehr  mit  Baiern;  diese,  die  Mundart 
des  Volkes,  bildete  ihre  Diphthonge,  wie  ihre 
Träger  dieselben  im  persönlichen  Verkehr  mit 
bairischen   Leuten   zu    hören    bekamen.       Darnach 


^  Einen  phonetischen  Erklärangraversnoh  Kräaters  (Z.  f.  d.  Altert. 
21,262  .  .  .  )  halte  ich  für  nützlich  hier  anzuführen;  er  bespricht  hierin 
die  elsässischen  Laute:  ei,  oUj  öy,  bes.  im  Hinblick  auf  ihre  Stellungen 
als  Träger  des  Satzaccents.  Dazu  vgl.  Schleicher :  Kompendium.  Weimar 
1871.  S.  116.  140.  Boyg:  Grammatik  der  Sanskrit-Sprache.  Berlin 
1668.    §  öl. 

'  Vgl.  dazu  die  mittelhochdeutschen  Grammatiken,  welche  sich  alle 
mehr  oder  weniger  mit  diesem  lautlichen  Vorgange  befassen.  Ausserdem : 
Kauffmann:  schw.  Mundart:  §  136 fi.  Wiimauns:  Zs  da  XVI,  119. 
Steinmeyer:  altdeutsche  Studien  S.  84.  Schilling:  Die  Diphthongierung  von 
i,  ü,  iu  (Programm  der  Realschule  zu  Werdau).  Haupt:  "Wiener  Sitzungs- 
Berichte  71,  184.    Fischer  zu  Eauffmann:  schw.  M.  in  Germ.  36,  453. 


266  KonBonantiamus.  511 

mag  die  Sprache  des  Volkes  am  frühesten  Doppellaute  besessen 
haben;  erwerben  konnte  sie  dieselben  auf  mannigfache  Art. 
1.  Das  Ostlechland  war  dem  Augsburger  ein 
sozial  naheliegendes  Gebiet  Zahlreiche  Heiraten 
fanden  vom  Augsburger  Bistumsterritorium  nach  dem  frei- 
singischen  hinüber  und  umgekehrt  statt,  es  wurde  ihnen  durch 
einen  Vertrag  zwischen  den  beiderseitigen  Bischöfen  schon 
1268  23.  Oktober  ^  offizielle  Sanktion  erteilt  und  damit  dieser 
Weg  für  sprachliche  Bildungen  erweitert.  2.  Der  Handel 
Augsburgs  griff  im  Grossen  wie  im  Kleinen  zumeist  nach 
Baiern  und  nach  Franken  hinüber.  So  bestehen  Zollregelungen 
für  die  Befahrung  des  Lech.  Eine  solche  konnte  sich  jedoch 
nur  auf  den  Transport  alltäglicher  Lebens-  imd  Verbrauchs- 
mittel beschränken,  es  war  damit  also  wiederum  eine 
Wechselbeziehung  zwischen  dem  einfachen  Volke 
Augsburgs  und  dem  der  Ostlechgegend  vermittelt. 
Dieser  Wasserweg  erscheint  mir  jedoch  von  vornherein  als 
sehr  schwach,  um  sprachliche  Eligenheiten  von  Ort  zu  Ort  zu 
tragen.  Vielleicht  ist  aus  diesem  Grunde  auch  die  'viel- 
befahrene  Verkehrsstrasse  des  Oberrheins'  ^  geschützt  vor  den 
neuen  Diphthongen  geblieben.  Eher  kann  der  Augsburger 
auf  dem  Wege  des  Landhandels  in  Baiern,  welcher  urkund- 
lichen Zeugnissen  zufolge  schon  im  13.  Jh.  ^  in  grösserem 
Umfange  betrieben  wurde,  bairisches  Sprachgut  sich  angeeignet 
haben.  3.  Ein  dritter  Weg  ist  gleichfalls  von  geringerer  Be- 
deutung; nämlich  der  Zuzug  von  Bürgern  bairischer 


>  Mon.  Boica  XXXUl  a  104.  1268.  23.  Okt.  Bischof  von  Freysing 
an  den  Bischof  von  Augsburg,  'quod  de  cetero  et  in  perpetuum  homines 
Ecclefie  noltre  et  Homines  Ecclefie  Augosteufis,  fine  sint  Minifteriales, 
fine  cuiuscunque  fexus  fuerint  aut  conditionis  homines,  inter  fe  mutuo 
et  vicissim  matrimonia  fev  nuptias  contrahere  ualeant  libere,  licenter  et 
inpune  .  .  .' 

<  Kanffmann:  schw.  Mundart.  S.  168.  Der  Verfasser  kann  hier  das 
Ausbleiben  der  Diphthongierung  mit  einem  starken  Verkehr  nicht  vereinen. 

'  Zengnis  sind  die  Verträge  Augsburgs  mit  den  Herzögen  von  Baiern 
über  freies  Geleit  und  freien  Handel  in  Baieru. 


512  Dritter  Abschnitt.  266 

Orte    nach   Augsburg.     Den   Bürgerbüchern    nach    ist 
derselbe  nämlich  nicht  so  stark  gewesen.  ^ 

War  nun  auf  diesem  oder  jenem  Wege  aus  dem  Sprachgut 
der  fremden  Mundart  der  Volkssprache  der  Stadt  Augsburg 
mitgeteilt  worden,  so  konnte  die  Aufnahme  in  zweifacher 
Weise  erfolgen:  1.  der  Augsburger  eignete  sich  den  gehörten 
Laut  ganz  so  an,  wie  er  ihn  hörte,  und  produzierte  ihn  nach 
Massgabe  seines  Organs,  oder  2.  es  bildete  sich  eine  Art 
Kompromiss  heraus,  demzufolge  der  ursprüngliche  fremde  Laut 
eine  der  augsburgischen  organischen  Fähigkeit  angepasste 
Gestalt  erhielt,  die  durch  die  Wechselbeziehung,  wie  der 
Verkehr  sie  schuf,  ebenso  zwingend  dem  anderen  Orte,  dem 
Ausgangsorte,  sich  mitteilte.  Der  so  geschaffene  Laut  wurde 
dann  für  die  nächste  Generation  der  Bestand,  auf  dem  sie 
weiter  bildete.  In  der  That  sind  heutzutage  die  angrenzenden 
bairischen  Striche  von  der  augsburgischen  Mundart  nur  durch 
stellenweise  abweichende  Betonung  zu  unterscheiden,  wie  ich 
selbst  zu  vernehmen  Gelegenheit  hatte. 

Die  Sprache  der  Intelligenz  istdagegen  viel- 
mehr aus  schriftlicher  Einwirkung  und  der  Dar- 
stellung des  geschriebenen  Lautes  hervorgegangen. 
Freilich  konnte  eines  solchen  Einflusses  sich  auch  nur  ein 
dem  reichsstädtischen  Leben  und  Interesse  nahestehendes 
Sprachterritorium  rühmen.  Ein  solches  war  wiederum  das 
bairische.  Aber  seine  Macht  äusserte  sich  in  diesen  Kreisen 
der  Stadt  nicht  so  früh,  wie  die  ausschliesslich  mündliche 
Uebermittlung  des  mundartlichen  Lautes  vom  Volk  zum  Volk. 
Der  früheste  Zeitpunkt  ist  die  Zeit,  wo  überhaupt  ein  schrift- 
licher Verkehr  in  Gang  kam   und   zugleich   eindringlich   und 


^  3  Meilen  südlich  von  Augsburg,  westlich  von  dem  östlichsten  Arm 
des  Lech  in  der  Mitte  seines  Laufes,  ist  schon  1326  ein  ^haieren  Maen- 
chingen  zu  finden,  später  heisst  das  Oertchen  Baiern  Münching  und  heute 
Merching  (Bitter:  geograph.  Lexicon:  II,  164:  Baiem  Münching  »= 
Merching  im  bayr.  Begier. -Bezirk  Ober-Bayern,  Bz.  A.  Friedberg.  1326 
ist  bei  Friedberg  'baieren  Maenchingen  erwähnt  in  den  Baumeister- 
rechnungen S.  103.  (A). 


267  Konsonantismus.  513 

unter  förderlichen  Umständen  sich  kund  gab.  Allen  diesen 
Ansprüchen  aber  gentigte  allein  die  Zeit  der  engeren 
Verbindung  Augsburgs  mitBaiern  durchHerzog 
und  später  König  Ludwig.^  Jetzt  wurden  die 
Diphthonge  in  der  That  ^Modeartikel',  wie  sie 
Kauffmann^  nennt,  aber  sie  waren  es  als  solche  nur  für 
die  höherstehenden  Kreise  der  Stadt,  dem  Volke  war  der 
lautliche  Wandel  in  der  Sprache  seiner  Nachbaren  —  sit 
venia  verbo  —  in  Fleisch  und  Blut  übergegangen.  Ob  der 
gemeine  Mann  nun  aber  mit  der  Zeit  dem  Gebildeten  nach- 
zusprechen trachtete,  wäre  wohl,  nach  modernen  Verhältnissen 
zu  urteilen,  möglich,  ist  uns  jedoch  durch  kein  Zeugnis  bekannt 
geworden.  Immerhin  wird  in  allen  weiteren  Stufen  die  gröbere 
organische   Beschaffenheit  der  Sprechenden    ihre   merklichen 


^  Durcli  mancherlei  Gründe  war  Augsbarg  im  zweiten  und  dritten 
Jahrzehnt  ganz  besonders  eng  an  Ludwig  und  an  Baiern  gekettet: 

I.  Wenn  Augsburg  in  einer  Zeit,  welche  für  die  freie  Reichsstadt 
eine  Zeit  grosser  Erhebung  und  Bereicherung  war  durch  die  vielfachen 
Vorrechte,  welche  sie  von  dem  allzeit  willigen  Honarchen  erlangte,  wenn 
Augsburg  in  einer  solchen  Zeit  gegen  Westen  hin  nur  Feinde  hatte,  so 
musste  es  um  so  engeren  Anschluss  an  den  Osten,  an  Baiern  suchen,  mit 
welchem  es  bald  auch  körperlich  in  enge  Berührung  kam  (Feldlager, 
Gesandtschaften),  vgl.  Eleinschmidt:  Augsburg  und  Nürnberg  und  ihre 
Handelsfnrsten.  S.  18:  'Die  Herren  (Patrizier)  wurden  noch  zur  Zunftzeit 
allein  mit  den  Missionen  ins  Keich  betraut,  sie  kannten  am  besten  die 
Aussenwelt."  Für  die  Zeit  von  1820 — 1331  sind  die  Angaben  der  Bau- 
meisterrechnungen über  die  Bürgcrgesandtschaften  zu  vergleichen.  Man 
hatte  für  solche  Gelegenheiten  in  den  meisten  Städten  „Wirte'S  bei  denen 
man  abstieg. 

3.  Ludwig  der  Baier  hielt  sich  gern  und  oft  in  Augsburg  auf,  vgl. 
Herberger:  S.  10:  38  ur. 

3.  Durch  die  Urkunde  von  1316  (Herberger  S.  9)  erhielten  die 
Bürger  des  Bates  das  Vorrecht  gleich  Reichsministerialen  mit  dem  Adel 
zu  Gericht  zu  sitzen.  Es  traten  damit  immer  mehrere  der  gewichtigen 
Persönlichkeiten  aus  der  Stadt  heraus  in  amtlichen  und  persönlichen 
Verkehr  mit  den  Vertretern  des  Reiches. 

4.  Für  den  Handel  mit  Baiem  gab  Ludwig  der  Stadt  besondere 
Freiheiten,  vgL  Herberger  S.  9,  besonders:  Urkunden  von  1324.  16.  Sept. 

3  Kauifmanu  a.  a.  0.  S.  166. 


514  Dritter  Abschnitt.  268 

Spuren  zurückgelassen  haben.  Ich  zweifle  darum  gar  nicht 
daran,  dass  lange  Zeit  auch  der  geringe  Augsburger  Stadt- 
bewohner für  etymologisches  t,  ü  wie  die  Baiern  cd  (aa),  au  (ao) 
gesprochen  hat.  —  Andere  Einflüsse,  welche  ausserhalb  unserer 
Betrachtung  und  zum  Teil  ausserhalb  jeder  Berechnung  liegen, 
werden  das  Ihrige  dazu  gethan  haben,  die  Verschiedenheit 
des  Klanges  herbeizuführen.  Eine  dieser  Mächte  ist  zweifellos 
die  Anziehungskraft  der  Schriftsprache  und  die  Sprache  der 
höheren  Stände  später  gewesen,  welcher  sich  der  gemeine 
Mann  im  Laufe  der  Zeit  immer  weniger  entzog.  Durch  münd- 
liche Uebertragung  aber,  nicht  durch  den  Umstand,  dass  die 
Kanzlei  der  neuen  Diphthonge,  nachdem  sie  über  die  (jrrenz- 
pfähle  hinaus  gewandert,  sich  angenommen  hat,  sind  sie  in 
der  Volkssprache  heimatberechtigt  geworden.  Alles  andere, 
was  von  Erscheinungsformen  die  augsburgische  Geschäftssprache 
bietet,  gehört  der  geschriebenen  Sprache,  dem  Per- 
gament an.  —  Ich  halte  es  bei  der  Behandlung  des  folgenden 
Abschnittes  für  sehr  wichtig,  chronologisch  vorzugehen.  Ab- 
gesehen davon,  dass  bei  dem  Wirkungsverhältnis  von  Schrift 
auf  Schrift  das  augenblickliche  Verhältnis  von  Ursache  zu 
Wirkung,  kurz  das  zeitliche  und  örtliche  Nacheinander,  vor- 
nehmlich ins  Auge  gefasst  werden  muss,  ist  es  von  Belang, 
zu  sehen,  wie  gewisse  Beeinflussungen  des  Auges,  einzeln  und 
mehrere  zugleich,  von  Schriftstück  zu  Schriftstück  sich  ver- 
mehren, wie  sie  in  anderen  Fällen  zu  Gunsten  anderer  Formen 
ihre  Kraft  verlieren.,  und  unter  welchen  Bedingungen  sie  zur 
Norm  werden.  Ich  werde  daher  nicht  wie  im  Vorhergehenden 
die  einzelnen  Erscheinungen  herausgreifen,  sondern  den  ur- 
sächlichen Zusammenhang  im  Rahmen  des  Gesamtbildes  eines 
Schriftstückes  und  soweit  als  möglich  in  chronologischer  Reihe 
vorführen.  Auf  dem  ersteren  Wege  gewinnen  wir  die  Mittel, 
das  Vorkommen  dieser  und  jener  als  orthographische  Neuerung 
zu  behandelnden  Erscheinung  und  das  Zurückgehen  auf  Aelteres 
gerade  hier  oder  gerade  da  zu  begreifen,  auf  dem  zweiten 
Wege  wird  die  Augenblickswirkung  von  Schriftstück 
zu  Schriftstück  am  deutlichsten  sich  herausstellen. 


869  £oD8onantitmu8.  515 

Als  geschriebene  Sprache  ist  die  Sprache  einer  Kanzlei 
in  erster  Linie  und  ursprünglich  die  lokale  ^Kanzleisprache 
6chlechthin\  In  diesem  beschränkten  Sinne  besitzt  in  Augs» 
borg  nur  die  städtische  Kanzlei  eine  Schreibweise^  eine 
Orthographie,  welche  gleichsam  als  fester  Stamm 
allen  amtlichen  Schreiberzeugnissen  zu  Grunde  liegt. 
Ueber  diesen  festen  Stamm  hinaus  versucht  der  städtische 
Schreiber  allerdings  sowohl  seiner  persönlichen  Neigung  als  den 
durch  die  Situation  bedingten  Rücksichten  zu  folgen,  aber,  wie 
sich  schon  herausgestellt  hat,  lange  Zeit  nur  in  denjenigen 
Schrifttümern,  für  welche,  weil  sie  zur  öffentlichen  Mitteilung  an 
weitere  Kreise  bestimmt  waren,  es  sich  empfahl.  Strengmundart- 
liches oder  Veraltetes  zu  vermeiden.  Die  Ilxistenz  aber  jenes 
festenStammes  wird  verbürgt  durch  die  internen  Schreibgelegen- 
heiten der  Kanzlei.  —  Eine  Kanzleisprache  der  eben  begrenzten 
Art  ist  die  in  den  .klerikalen  Urkunden  sich  kundgebende 
Schriftsprache  nicht,  aus  dem  Grunde  vor  allem,  weil,  wenn 
ich  mich  dieses  Ausdruckes  bedienen  darf,  'Herr  und  Diener' 
häufig  wechselten,  und  überdies  beide  dem  Augsburger  Stadt- 
gebiet^ selten  oder  nur  in  bedingter  Weise  angehörten.  Der 
Bischof  z.  B.  war  nicht  immer  Augsburger  Kleriker,  und 
wenn  er  es  auch  war,  so  hatte  das  auch  nicht  grössere  Be- 
deutung, weil  sein  Einfluss  auf  die  Uniformierung  seiner  sprach- 
lichen Verkehrsmittel  kein  wesentlich  anderer  und  weiter 
gehender  sein  konnte,  als  etwa  derjenige  des  Beichsoberhauptes 
auf  seine   Kanzlei.     Ueberdies  machte  in  der  bischöflichen 


^  Von  Qeburt  werden  die  Kleriker  des  Hochstifts  der  Stadt  seit 
1320  nie  anj^ehort  haben.  Gesetzmassig  durften  sie  es  nicht  nach  der 
Bestimmung  des  Domkapitels  von  1322.  14.  Dezember:  '.  .  .  de  nou  reci- 
piendis  civibus  et  filiis  civium  Augustensis  civitatis  in  Canonicos  .  .  . 
tarn  minoribus  officiis  Capituli  nostri  quam  in  assecutione  Canonicatnum 
et  prebendarum  Ecclefie  nostre  Canonicorum.'  Wir  dürfen  demnach 
nur  zwischen  einer  längeren  oder  kürzeren  Dienstzeit  in  der  bischöflichen 
Kurie  unterscheiden.  Vgl.  dazu:  1336,  16.  Mai:  Hermano  nato  Herrnani 
dicti  Suertfurhen  civis  Augustensis,  oanonico  August.,  confert  canonicatum 
indicta  ecclesia  Augustensi.  (Kietzler:  vatikanische  Akten  1806  [Kegesta 
122.  N.  239].) 


516  Dritter  Abschnitt.  270 

Kanzlei  die  noch  stark  geübte  lateinische  Sprache  die  Pflege 
des  deutschen  Kanzleistils  lange  nicht  in  dem  Masse  zur 
Hauptsorge,  wie  die  zur  alleinigen  Verkehrssprache  erhobene 
deutsche  Sprache  in  der  städtischen  Kanzlei  alle  Sorgfalt 
für  sich  beanspruchte.^ 

Die  städtische  Kanzleisprache  tritt  uns  zum  ersten  Mal 
vor  Augen  in  den  ersten  deutsch  abgefassten  Urkunden.  Ihr 
Verfasser  ist  S^  (Conrad).  Sein  nachweisliches  Auftreten  in 
der  städtischen  Kanzlei  schon  im  Jahre  1268  verbürgt  uns, 
dass  er  als  der  Begründer  des  städtischen  deutschen  Kanzlei- 
stils im  Jahre  1272,  also  nach  bereits  fünfjähriger  Thätigkeit 
im  städtischen  Dienst,  der  Sprache  der  Stadt  Rechnung  trug. 
Das  Gesamtbild  seiner  Orthographie  ist  folgendes: 

1272.^  Ich  Bertolt  der  brobeft  yon  vnferf  herren  gnaden 
def  Grotefhvfef  datr  dem  haeligem  Cr^ce  ze  Aufpurch. 

k:  a,  dj  -do,  Umlaut:  ae  doch:  fiete- (c,),  —  e:  «.  —  i:  i, 
y.  —  i:  t.  —  o:  0,  Umlaut:  ©•.  —  \x:  Vy  u,  kein  Umlaut:  fvr, 
Crvce,  —  ü:  Uj  v.  —  ai:  at,  aei,  doch:  einem,  —  au:  ar.  — 
iu:  tu,  —  UO:  V  und  v,  kein  Umlaut.  —  h:  b,  an-  und  inlautend, 
doch:  fp,  —  b  (auslautend) :  j>.  —  p:  6  (brobest),  —  ph:  ph,  — 
g:  g]  SchlusB  -g:  A.  —  t:  ^  —  Damit  stimmt  die  Ortho- 
graphie des  Grundtextes  und  der  Einträge  des  S^y  im  Stadt- 
buch überein.  In  den  weiteren  Urkunden  seiner  Hand  tritt 
nur  hinzu:  ch  für  k  =»  auslautendem  g  neben  k. 

Der  in  den  Erstlingserzeugnissen  einigermassen  fest- 
gegründete sprachliche  Tenor  des  städtischen  Kanzleistils  war 
nun  keineswegs  bindend  für  alle  Schreiber  und  für  alle  Zeiten. 
Der  erste  nach  meinen  Ausfuhrungen  als  fremd  zu  bezeichnende 
Schreiber  S^  schreibt  unbekümmert  um  die  Gewolmheiten 
seines  nunmehrigen  Thätigkeitsortes  eine  Sprache,  welche 
zwar  oberdeutsch  genug  ist,   um   sich  in  Manchem  mit  jenen 


'  Die  Zeugnisse  von  Verwendung  der  lateinischen  Sprache  im 
städtischen  Schreibwesen,  welche  uns  die  Baumeisterrechnungen  erhalten 
haben,  sind  einhellig  Beweise  für  die  Vernachlässigung  der  lateinischen 
Sprache  in  der  Stadt kanzlei. 

*  Münch.  allg.  Reichsarchiv:  A.  St.  Ulrich  f.  1. 


271  Konsonantismus.  517 

ZU  berühren,  welche  aber  durchaus  eine  Frucht  seiner  früheren 
Schreibthätigkeit  am  Hofe  des  Herzogs  von  Kärnten  ist. 
Damit  waren  fremde  Elemente  in  den  Sprachschatz  der 
städtischen  Kanzlei  hineingetragen:  ei  für  i,  ou,  au,  tt  für  üf 
eu  spärlich  für  tu.  Dass  sie  aber  infolge  der  für  eine  sprach- 
liche Umgestaltung  noch  nicht  aufnahmefähigen  G-eschäfts- 
ordnung  der  städtischen  Kanzlei  keine  bleibende  Stätte  finden 
konnten,  wird  gewiss  durch  das  auf  überlieferten  Schreibusus 
zurückgreifende  Verfahren  seines  Nachfolgers  S^,  welcher 
unter  S^  seine  Thätigkeit  begonnen  hatte.  Indem  S^  die 
'Kanzleisprache  schlechthin'  weiterschrieb,  brachte  er  wohl 
einige  Veränderungen  an,  vermied  aber  sorgfältig  das  aus- 
geprägt Fremdartige  seines  unmittelbaren  Vorgängers.  Neu 
kommt  bei  S^  hinzu:  die  Bezeichnung  des  Umlauts  von  u  mit 
u,  ch  für  k  =  auslautendem  g  ist  bei  ihm  das  Gewöhnliche. 
—  S3  (Rudolf)  schreibt  bei  dem  Wiederantritt  seines  Amtes 
in  seiner  Weise  weiter,  nimmt  aber  in  den  neunziger  Jahren 
wesentliche  graphische  Neuerungen  auf:  1.  er  ersetzt  vnde 
durch  tmd.  2.  er  wendet  regelmässig  das  Zeichen  für  Schluss 
-8  an  und  zwar  entweder  unter  dem  Vorbilde  der  Ur- 
kunden der  bairischen  Herzöge^  an  Augsburg  oder,  was 
näher  liegt,  der  klerikalen  Urkunden,  welche  ihrerseits  eine 
gewisse  Anlehnung  an  die  Schreibweise  Budolfs  erkennen 
lassen,  indem  sie  ei  für  i  annehmen.  3.  8  tritt  häufiger  für 
Schluss-;2:  ein  in:  das,  des,  -es,  was  (=  war).  4.  mit  ausser- 
ordentlicher Bestimmtheit  führt  er  ck  für  schliessen- 
des  g  (k)  ein.  5.  Er  fügt  sich  dem  städtischen  Schreib- 
gebrauch, indem  er  zur  Bezeichnung  des  Umlautes  von  a 
und  der  e-Laute  das  der  augsburgischen  Orthographie  an- 
gehörige  ae  für  das  ihm  eigene  e  in  seinen  Zeichenschatz  ein- 
reiht. 6.  Zuweilen  auch  giebt  er  zu  Gunsten  des  Augs- 
burger Kanzleistils    sein    ei  für  %    auf   und    schreibt    sogar  i 


^  1288.  St.  Ulrich,  fchongatcers,  was,  vz,  gi'tef.  —  1292:  Herzog 
von  Bayern,  Bischof  und  Stadt:  vnsers,  leaentf  Auspurch,  brohst.  -— 
1296.  Dom:  nur  Schluss-s  und  s  für  /  auch  anlautend:  lesent,  vnsers, 
hrobst. 


518  Dritter  Abschnitt.  278 

dxircbgängig  in  einer  Urkunde.  7.  mt  (3.  plnr.)  wird  nun 
bei  ihm  fest.  8.  Er  vertauscht  in  der  Eingangsformel:  'sekent, 
horent  oder  lesenf  mit  ^sehent  oder  horent  leeen*;  schon  länger 
war  nur  diese  Formel  in  den  fürstlichen  Kanzleien  ge- 
bräuchlich, mit  denen  Augsburg  in  diplomatischen  Yer- 
kehr  trat. 

Wir  haben  guten  Grund  anzunehmen,  dass  Sg  das  ge- 
wonnene Feld  weiter  zu  bebauen  gestrebt  hat,  im  Bewusstsein 
seines  persönlichen  Wertes  und  der  Bedeutung  seiner  Stellung. 
Fällt  doch  seine  Amtszeit  in  ein  ausserordentlich  rühriges 
rechtliches  Leben  seiner  Stadt  hinein;  sind  doch  gerade  die 
neunziger  Jahre  des  13.  Jahrhunderts  fiir  Augsburg  die  Zeit 
ernster  strafrechtlicher,  priTatrechtlicher  und  kommunaler  Ein- 
richtungen. Wie  sehr  Sg  in  diese  Interessen  hineingezogen 
wurde,  dafür  spricht  Seite  um.  Seite  des  Stadtbuches.  Wenn 
ihm  so  die  inneren  Bedürfnisse  der  Stadt  genugsam  vertraut 
und  damit  auch  für  ihn  ein  Gegenstand  ernster  Sorge  wurden, 
so  wurden  zu  gleicher  Zeit  sein  Geschick  und  seine  Energie 
auch  für  die  äusseren  Angelegenheiten  der  Stadt  erfordert 
Das  Verhältnis  zu  den  bairischen  Machthabem,  deren  Lande 
für  den  Augsburger  Kaufmann  der  wichtigste  Handelsweg 
waren,  hatte  sich  immer  drohender  gestaltet  und  erforderte 
von  den  Vätern  der  Stadt  eine  sichere  und  diplomatisch  um- 
sichtige Haltung  und  zuverlässige  Kräfte.  Warum  sollte  da 
nicht  der  durch  seine  Vergangenheit  als  fürstlicher  Notar  an 
und  für  sich  an  eine  geregelte  Geschäftsordnung  gewöhnte 
Stadtschreiber  Rudolf  in  der  richtigen  Erkenntnis  des  Not- 
wendigen die  Organisation  der  ihm  unterstellten  Kanzlei  als 
eine  Hauptaufgabe  sich  vorgesetzt  haben?  Als  eines  der  vor- 
nehmsten disziplinarischen  Mittel  gilt  die  strikte  Gleich- 
mässigkeit  des  Formenwesens  und  damit  eine  gewisse  schul- 
massige  Handhabung  der  sprachlichen  Verkehrs- 
mittel.     Bestimmt  äussert  sich  ein  solcher  Zwangt 


'  Für  die  G^ehilfen  kann  Rllenfalls  gelten,  'das«,  mochten  auch  die 
Schreiber  aas  anderen  Dialektgebieten  stammen,  dieselben  sich  doch 
der    einmal   bestehenden  Kanzleisprache  zu  fügen  hatten  und  höchstens 


273  Gesaiutverkuf .  519 

in  den  Schriftstücken  der  Gehilfen  Meister  Rudolfs 
S^f  S5  und  Sq,  deren  Orthographie  sich  offenkundig  der  des 
Meisters  anzuschliessen  strebt  S^  behält  manches  aus  seiner 
Gehilfenzeit  für  seine  spätere  Thätigkeit:  ei  für  t  überwiegt 
bei  ihm  in  der  ersten  Zeit,  ck  für  k  (auslautendes  g)  begleitet 
ihn  bis  zum  letzten  Erzeugnis  seiner  Hand.  Im  Uebrigen 
aber  kehrt  die  Schreibweise  der  städtischen  Kanzlei  in  den 
ersten  Jahrzehnten  des  14.  Jahrhunderts  nach  S^  zu  den 
älteren  Formen  zurück,  jedoch  die  neuen  graphischen  Er- 
werbungen vnd  und  8  festhaltend. 

Wir  geliuigen  nun  in  die  Zeit,  welche  ich  an  mehreren 
Stellen  als  eine  Periode  des  langsam  sich  vorbereitenden  Um- 
schwungs in  der  Sprache  der  Urkunden  bezeichnete.  Zugleicli 
erfüllt  diese  Epoche  der  nähere  Verkehr  der  Augsburger  mit 
dem  Hofe.  Die  persönliche  Berührung  der  Stadt  und  ihrer 
Bürger  mit  den  Leuten  des  Königs  Ludwig  hatte  ich  schon 
mehrfach  zu  erwähnen  Gelegenheit;  der  schriftliche  Verkehr 
nimmt  gleichfalls  in  den  Jahren  etwa  von  1320 — 1340  einen 
weiten  Umfang  an.  Wir  haben  also  für  die  ganze  nächste 
Zeit  eine  Beeinflussung  der  augsburgischen  Orthographie,  ins- 
besondere derjenigen  der  städtischen  Kanzlei  durch  die 
kaiserliche  Kanzleisprache  im  Auge  zu  behalten  und  in  den 
Vordergrund  der  Bebrachtung  zu  stellen.  —  Da  ich  schon 
früher  zu  dem  Schluss  gelangte,  dass  die  augsburgische 
Ui^undensprache  bezüglich  des  Wechsels  und  der  Unregel- 
mässigkeit ihrer  Fassung  mit  gutem  Grunde  eine  Folge  der 
gleichen  Erscheinung  in  den  kaiserlichen  Schriftstücken  ge- 
nannt werden  kann,  so  ist  es  an  dieser  Stelle  notwendig,  dem 
diplomatischen  Verkehr  zwischen  der  B^ichskanzlei  und  Augs- 
burg einige  Worte  zu  widmen. 


ab  und  zu  BcBonderheiten  ilirer  angestammten  Mundart  einstreuen  konnten^ 
wie  Nebert  (zur  Geschichte  der  Speierer  Kanzleisprache  S.  13)  allgemtnn 
annehmen  möchte,  —  aber  nicht  für  die  leitenden  Kanzleischreiber.  Ihre 
Schriftstücke  hatten  in  erster  Linie  gewohnheitsmässige  Orthographie,  und 
erst  in  zweiter  Reihe  fügten  sie  gewisse  Eigenheiten  aus  dem  ge<i:en- 
wärtigen  Thätigkeitsort  ihrem  dialektlichen  Grundstock  zu. 

34 


520  Dritter  Abschoitt.  274 

Wenn  die  Sprache  der  kaiserlichen  Urkunden  keine 
einheitliche  war.  so  fragt  es  sich  zunächst,  warum  war  sie 
das  nicht?  Schrieb  man  denn  nicht  durchweg  bairisch  in  der 
ßeichskanzlei  der  Stammesangehörigkeit  des  Herrschers  zu- 
folge? Welchen  Umständen  ist  es  zuzuschreiben,  dass  die 
dialektische  Färbung  der  Schriftstücke  nicht  immer  eine 
bairische  ist,  sondern  häufig  eine  Mischung  mit  st-ark  schwä- 
bischen Elementen?  Pfeiffer  hat  diese  Frage  zu  lösen  gesucht 
in  seiner  Abhandlung  über  die  Kanzleisprache  Ludwigs  des 
Baiern^,  nachdem  v.  Baumer^  zuerst  auf  die  mhd.  Grund- 
lage in  der  Kanzleisprache  Ludwigs  des  Baiern  hingewiesen 
hatte.  Pfeiffer  kam  zu  folgendem  Besultat^:  1.  dass  in  der 
Kanzlei  des  Kaisers  Ludwig  eine  bestimmte  Sprachnorm  nicht 
bestanden  hat;  2.  dass  neben  dem  bairischen  Dialekt  der 
schwäbische  in  Ludwigs  Urkunden  eine  breite  Stelle  ein- 
nimmt, und  3.  dass  auch  jener  nur  selten  unverfälscht  und 
und  unvermischt  darin  zum  Ausdruck  kommt.  Pfeiffer  suchte 
die  Gründe  für  diese  Unfertigkeit  in  der  bunten  Zusammen- 
setzung des  Kanzleipersonals,  in  der  Gewohnheit  jedes 
Schreibers  im  Mittelalter,  'so  zu  schreiben,  wie  ihm  der 
Schnabel  gewachsen  war,  oder  ihm  die  Frau  Mutter  gelehrt 
hatte",  und  endlich  in  der  Neuanlage  der  Formulare.  Mit 
diesen  drei  Pimkten  ist  gewiss  die  Sachlage  zum  Verständnis 
gebracht;  nur  hat  Pfeiffer  nicht  genügend  den  ersten  Punkt 
betont  und  untersucht.  Er  lässt  uns  zwar  wissen,  dass  Ulrich 
von  Augsburg  Notar  des  Kaisers  war  und  glaubte  von  dieser 
Thatsache  aus  auf  mehrere  schwäbische  Schreiber  in  der 
kaiserlichen  Kanzlei  schliessen  zu  können,  aber  er  geht  diesen 
Schreibern  und  sonstigen  um  Ludwig  beschäftigten  Personen 
nicht  weiter  nach.  Hätte  er  dies  gethan,  so  hätte  er  einmal 
gefunden,  dass  Augsburg  nicht  nur  Ulrich^  geliefert  hat,  sondern 

»  Pfeifier,  Freie  Forschung  1867,  S.  863  und  Germ.  IX,  159. 

-  V.  Räumer,  Gesammelte  wissenschaftliche  Schriften  1863,  S.  199. 
—  Vgl.  auch  Koberstein's  Litteraturgeschichte  I,  287. 

»  Freie  Forschung  S.  372. 

^  Ich  halte  es  für  geeignet,  noch  einmal  die  schon  s.  Z.  von 
Rietzier  (F.  z.  d.  Gesch.  XIV)  behandelte  Frage,  wer  Ulrich  von  Augs- 


275  Gesamtverlauf.  521 

auch  einen  Meister  Johann  aus  Augsburg  als  Beamten^ 
den  Probst  Conrad  von  St.  Ulrich  als  EaplanS  später 
Bischof  Ulrich  und  Heinrich  als  Kanzler  und  einen 
Schreiber  des  Letzteren  von  1338? — 1340,  sowohl  in  der  kaiser- 
lichen Kanzlei  als  in  der  augsburg.-bischöflichen  beschäftigt. 
Sodann  hätte  ihm  Augsburg  gerade  als  Ausgangspunkt  dieser 
Personen  einen  weiteren  Gesichtspunkt  eröffnet.  Man  schrieb 
nämlich  in  Augsburg  ein  merkwürdiges  Gemisch  von  Bairisch 
und  Schwäbisch:  ei  und  i  für  i;  ouj  selten  au  und  ?/  für  ü; 
aeu  und  e^i^  u  und  tu  für  iu;  ch  und  k  für  k  und  g;  -osL 
Oft  ist  das  Bild  einer  Augsburger  Urkunde  der  zwanziger 
Jahre  besonders  nicht  von  einer  mehr  schwäbisch  gefärbten 
der  kaiserlichen  Kanzlei  zu  unterscheiden.  Wie  erklärt  sich 
nun    der    Zusammenhang   von    jenem    Gesichtspunkte    aus-? 

bürg  sei,  zu  berühren.  Es  ist  nur  Ulrich  der  Hofmeier  gemeint: 
vgl  Rietzier:  vatikanische  Akten:  v.  1748.  1806.  (Reg.  131.  N.  182: 
'HcMmaierus*)  1807.  (Reg,  131,  f.  112.  N.  401)  1466.  1497.  1724. 
1841.  1848.  2076.  2167.  2210.  —  Ulrich  Wilde,  Ubricus  Guildouis 
(Goildrouis)  ist  nicht  identisch  mit  'ülnch  von  Aagsburg',  'Ulricus  de 
Augrusta  ;  er  hat  zwar  vorübergehend  eine  geistliche  Würde  in  der 
Augsburger  Diözese  bekleidet,  in  Feolenbach,  aber  mit  Augsburg  selbst 
ist  er  nicht  in  Berührung  gekommen.  Ich  führe  hier  die  bei  Rietzier 
(vatikanische  Akten  N.  1010)  unter  dem  24.  Mai  1828  angeführte  Ordinatio 
Ulrich  Wildes  an:  1328.  24.  Mai:  Niclaua  papa  magistero  Vlrico, 
Ludovici  prothanotario  . . .  Ulruma  ist  gewesen  olim  in  8ubdiaconatu8 
ordine  constiUitus  parochialem  ecclesiam  Fttccat  (von  alter  Hand  unter- 
geschrieben Frezzaf\  Pressat  in  der  Oberpfalz  ist  gemeint,  vgl.  1021. 1015) 
Bat%9p(men9iB  dyoceais  fuisti  aaaecutus  .  .  .  multia  annis  retinens  .  . 
Ddnde  Falkirchen  et  Ozzingen  parochiales  ecclesiaa  dicte  dyocesis 
(usecutua,  parochiali  eeclesia,  FeutetUnuh  Augustensis  dyocesis  colUitis 
.  .  .  annis  pluribus  tenuisti . .  parochialem  ecclesiam  Elnyebach  Batis- 
ponenHa  dyocesia  nactus  .  .  praepositura  sancH  Stephani  in  Babenberch. 
Schon  1816.  11.  Nov.  ist  Ulricus  prothonotarius  (n.  10).  1828.  28.  Mai 
'Uhrico  Waldonis  geschrieben  (n.  1021).  'Uhich  Wild  von  Pressat 
(vgl.  290,  1010,  1018)  stirbt  vor  1828.  28.  Augost  (n.  1074.  1841). 

^  1885.  '  CapeUano  fuo  diledo . . .  Cunrado  abbati  eancti  vdalrici  . . . 
(A.  U.  5,  I). 

*)  Dazu  vgl.  folgende  Urkunden  [die  Reihenfolge  ist  die  der  Er- 
scheinungen in  dem  Text  der  Schrütstücke]:  1311.  Rat  an  St  U  Irich,  8» 
(A.  R.  X.  -1-6,5):  Synkope:  gotef  gnaden;  ü:  Gotzhufes;  u,  uo:  tun  kvnt, 

34* 


522  Dritter  Absclinitt.  276 

Am  Anfang  der  Regierung  Ludwigs  schrieb  man  in  seiner 
Kanzlei  ziemlich  rein  bairisch,  von  schwäbischen  Elementen 
T\-ar  jedenfalls  nichts  zu  spüren.  Nun  gingen  die  bairischen 
Elemente  in  die  Augsburger  Schrift-  und  lebende  Sprache 
über;  in  dieser  bildeten  sich  die  späteren  kaiserlichen  Schreiber 
heran.  Als  sie  in  die  Reichskanzlei  eintraten,  konnten  sie 
teils  nach  dem  ihnen  eigenen  Mischdialekt  schreiben,  teils 
wurde  derselbe  durch  Benutzung  von  Formularen,  welche  je 
nach  dem  Dialekt  ihrer  Verfasser  bald  bairisch,  bald 
schwäbisch  waren,  um  so  mehr  bairisch-schwäbisch.  Man 
sclirieb  jetzt:  ei  und  /  für  t;  au  und  ou,  u  flir  m;  eUf  in  für 
in  . . .  In  dieser  Mischsprache  fanden  die  Augsburger  Schreiber 
teils    Wohlbekanntes,    teils    ihrer   Tradition    Fremdes.      Als 

ihn;  Umlaut:  liorenUfur,  darüber,  f&r,  mvle]  anl.  k:  kvnt,  chomen;  ausl. 
g:  krieg;  ai:  taue,  einem,  faeit  2x,,  bede  tau,  ait,  aide;  aa:  auch; 
ae:  Itaet,  erbaerre:  ausl.  (t)  d:  ait,  aide\  Inf.  zegebenne;  iu:  alliv,  Littt- 
priefter,  lute;  a:  Do,  sonst  a.  —  1312  5.  Juni;  S?  (A):  u,  uo:  T%n,  %vtem, 
ZV,  hvn,  vmbCvchtz:  anl.  k:  küt,  chomen;  Umlaut:  homt,  hhf,  geftort. 
honen,  hvner,  g&ns,  mSht  (c.) :  Synkope :  glegen,  hSmt,  ze  dorf  ze  veld. 
gierten,  gwalt,  gelediget,  entl6fet,  gnhg;  uibowt,  aufgeben,  lithouf,  auz; 
pli:  pfüt.  pfennmg;  ai:  haeligen  Geiftef,  geiatliehe^i,  ainen,  gelaisten; 
iu:  laetiten;  ausl.  k  (g):  fehtzik,  tag;  Infin.  zemanenn,  zeliaJUtenn;  a:  Do, 

—  14.  Juni  1317:  'Wir...  Bur<Termaister\  Ss  (A.):  Umlaut :  Sfef  (g.), 
vnl\  fiher:  uo,  u:  Tun;  anl.  k:  chunt,  Chirch  hof,  chain;  Adverb.  offenlich\ 
ai:  gaestlichen,  befchaidetihait,  gaen,  ain,  gehaizzen:  r:  Priol;  ia:  frivnt- 
fchaft;  Synkope:  glegen;  i:  Reichen  (n.  pr.),  /tn,  x^tes;  ü:  Bow;  aual.  g 
(k^:  mak,  dinch;  ä:  do.  aubend;  Flexion:  -^sten.  —  8.  Jan.  1317:  Privat- 
leute, S»  (A):  uo:  Tun,  fun,  giktf;  anl.  k:  chunt,  ««rcAatc/fen;  Umlaut: 
hörnt,  nmften;  ä:  da,  do,  an,  aubend;  Schlu88-8(z):  U7a/(war);  ai:  baider; 
ü:  vz,  hou8,  vf;  Synkope:  hörnt,  glegen,  glaeten,  gnüg;  ph:  pfunt;  kouBon. 
Syuk.  nit  (=»  nicht);  ausl.  g  (k)  ledich,  viertzich,  zinfveUieh.  —  1317: 
Schiedsgerichtssprucb:  Sg  (A):  kifrauz  (n.  pr.),  an:  u,  uo:  Sun, 
Tun;  Umlaut:  ftetschriber,  homt,  Ittiien,  /V4n;  ausl.  k  {g):  chriek,  mak, 
gnxiUich;  anl.  k:  chunt;  Synkope:  gwefen  ßnt,  glegen,  gwaltichi 
Flexionen:  zwisclian,  -o^ten;  ai:  ainen,  bed  taU;  (seh)  /:  gefworen;  i 
ßen  (c),  leib;  u:  zaeunen,  louter;  Inf.  (Ger.):  ze  habenn.  —  1320.  19.  Juli: 
JudicesCuriae  (A):  u,  uo:  Tun,  chünt  m&t,  k^mpt;  Umlaut:  horent 
gehoH,  %ourden,  Cidn,  aelliv;  iu:  aeUiv\\:  miner,  mein,  fein,  /in  Schreiber, 
Apokope:  zc  Dorf,  ze  velde;  ü:  vf;  ai:  ani,  aigen;  Flexion:  zwainzigo/tem. 

—  31.  Oct.  lääO;   Privatleute,    S9    (A):  uo:  trn,  genvg;  6:  vir;  ant 


277  Gesamtverlauf.  523 

solches  wurde  von  ihnen  nicht  eu  für  tu,  zuweilen  nur  für 
Umlaut  von  «  und  in  litte  (leute)  geschrieben,  mi  für  «  hielt 
man  auch  fem,  dagegen  ei  für  t  war  schon  dem  Augsburger 
nicht  mehr  so  fremd,  dass  er  es  nicht  öfter  verwendete,  zumal 
die  kaiserlichen  Schriftstücke  eine  Unregelmässigkeit  der  Ver- 
wendung als  erlaubt  hinstellten.  Auch  hier  werden  Beispiele 
am  besten  die  Stellung  Augsburgs  zu  der  kaiserlichen  Kauzlei 
erläutern  können :  In  der  städtischen  Kanzlei  schrieb  man  in 
den  Jahren  von  1314 — 1330  im  Durchschnitt:  ä  :  a,  an]  t  :  t, 
ei]  ü  :  u,  ou,  selten  a«;  au:(xu\  ai :  aij  selten  ei]  altes  tuiiu, 
doch:  Intey  nun]  Umlaut-m  :  u,  selten  aeu^  eu]  aul.  l»  :  h  und 
j>\  p  ausl. ;  anl.  k  :  efi,  ^;  ausl.  g  :  k,  di,  ck,  später  schon  g; 
phiphf  (Sq  'pJ)]  äi^sl«  d'  ^  später  auch  d]  ^,  nicht  schliessend:  /; 
i*f  schliessend:  z  und  s]  n  :  u  und  r  regellos.  Synkope  und 
Apokope  tritt  schon  häufig  auf,  Sg  schreibt  z-  B.  1314  schon; 
gingen,  /ior?it,  gfivg.     Superlativ:  -ost;  Komperativ:  zuweilen  -or. 


k'.kvnt]  Umlaut:  Jiarent;  i:  meiner ,  züen,  mein,  helibe,  redlich:  u:vf,  hvf, 
vf:  Aiiaigen  (gelaet),  Maifter^  haüigen:  ausl.  g  (k)  zwainzeg,  zinfvellieh; 
ph:  phvnt:  ä:  abent  —  i822.  Kaiser  (A).  i:  Zeiten,  Rickes,  off'enlich;  u, 
uo:  P&rgeTy  Aufphrchj  n%f  (chumt),  vmb,  zity  (vrchund)^  vns:  iu:  Stewer, 
geti'iwen,  Dreutzehenhundert,  Neunden:  ü:  auf;  ausl.  g:  tach;  Synkope: 
gnade;  Flexion:  zweintzigilten.  —  132B.  Affitermentag  nach  Ocuti, 
Privatleute.  S9  (A):  Umlaut:  bnrger,  fir,  (ohaim),  (tuvben  (c.)  Ivlen, 
I'aelig.  gaentzlich]  1:  meiner,  meinen,  helibe:  uo,  u:  guter,  mit,  gutem, 
zh,  M^ter;  k  anl.:  chind,  kloster,  ehainer,  chomen;  iu:  frivnt\  ai:  ein, 
ohaim,  befehaidenhait,  gae/tlichem;  8.  plur.  praes.  ind:  ße  hand;  ü:  vf; 
Flexion:  zwainzego/Un.  —  132r):  Sio  (A):  uo,  u:  Tim,  gütetn,  dbtun  (inf.); 
k  anl.:  künt,  verchauft,  kriech;  Umlaut:  hhrent,  Bomifchen,  für,  entlofen, 
naehften;  i:  JBicAe,  vregtag^  dHzig;  phiphunt;  ai:  gelaet,  baidiv,  ü:  uf:  ft:  an, 
an:  in:  baid$t\  lilt;  Flexion:  Magdalenun,  -osten;  ausl.  g:  kriech,  tach; 
inl.  b:  hochgelobten.  —  1330.  11.  März:  Privatleute,  S»  (A):  ai: 
Gae filichen:  anl.  k:  chrieg;  ä:  Swaulmtil,  ßr,  da:  ausl.  s:  wnz  (war); 
ü:  Gotzhus:  ausl.  g:  wiüecHch;  uo:  thi;  Umlaut:  fnserm,  troster,  fttr. 
—  25.  April.  Kaiser,  8©  (A):  Synkope:  Gots  gnaden;  Umlaut: 
Eomischer,  gewonlichen,  lullen;  ai:  Cheyfer,  Gemainlichen,  gefait;  i: 
Z'iten,  Richa,  Dreizzige/tim:  iu:  Laeute,  Stior;  au:  och;  k:  Do;  Flexion: 
im  (d.),  estim  (SuperL)  —  Kaiser  (Landfriedensurkunde),  80  (A): 
Synkope:  gotes  gnaden;  i:  zeiten,  riches,  ylen,  sin;  Umlaut:  moht  (c); 
uo:  tven;  a:  stand,  gat,  stau,  han;  ai:  hayligen,  säet;  i:  byschof;  iu:  ge- 


524  Dritter  Abschnitt.  278 

Aus  den  angeführten  Beweisstellen,  welche  im  Eünzelueu 
für  sich  sprechen  mögend  hebt  sich  mit  Gewissheit  Folgendes 
heraus : 

1.  im  zweiten,  dritten  und  vierten  Jahrzehnt 
besteht  in  Augsburg  kein  Widerstand  gegen  die  durch 
die  bairische  Schreibweise  aufgenötigten  Neuerungen. 
Diphthongierung  findet  für  t  und  u  und  tu  Ausdruck  in 
der  Schrift,  pf  für  ph  ist  schon  bekannt  und  wird  verwendet. 

2.  Die  Schreibung  der  angenommenen  Umwandlungen 
war  keinem  Gesetz  unterworfen.     Dagegen  empfahl  es  sich 

3.  in  Schriftstücken  an  die  kaiserliche  Kanzlei,  d.  h. 
in  Vorlagen,  welche  in  der  städtischen  Kanzlei  aus- 
gearbeitet wurden,  möglichst  sich  der  Orthographie  der- 
jenigen der  kaiserlichen  Kanzlei  zu  nähern. 

4.  Die  Orthographie  der  kaiserlichen  Kanzlei 
aber  war  selbst  keine  durchaus  geregelte:  Bis 
Anfang  der  zwanziger  Jahre  unverkennbar  bairisch,  beginnt 
sie  nach  diesem  Datum  sich  mit  schwäbischer  Orthographie 

triweriy  leutefif  neun,  iement;  ü:  uflatif;  k  anl.:  chrais,  chnecht,  chumpt; 
Flexion:  nieror,  notdurßigost,  triulichoat  —  ai:  hayligen  Gaeltes . , , 
ä:  Da,  Avnforg,  jär;  i:  fryiag,  —  29.  Sept.  Privatleute,  S«: 
uo:  Thn,  rntit;  k  anl.:  kont,  verchauft,  chrUg;  Umlaut:  hbrent,  Tohfernj 
infer,  hevferni  iu:  Aev/em,  gez%ug\  ü:  vz;  nizaggefi.  —  1B32.  Kaiser 
(Berl.  Staatsarchiv  311).  Syukope:  gottea  genaden,  Eddn;  ai:  keifer;  k 
anl.:  keifer,  kunt;  i:  zitefi,  Ricks,  Beicha,  finen;  uo:  tln,  hunt,  zu, 
kungen;  Umlaut:  gantzelichen,  vrchivnde,  geburt,  ffivnften;  iu:  getreten, 
div,  drivzehen;  au:  ochj  frowen;  h:  reehte^  nicM;  Flexion:  drizzigilfem, 
liebi,  anfelientf  hirent.  —  1846.  Si?:  a;  i;  u;  Teufner,  sonst  iu,  iv;  ai; 
d  ausl.:  t,  — '1346.  Si?:  a;  i;  u;  iu- Umlaut;  ai;  Superlativ:  -ften; 
Laugnun.  —  1347.  Ka i ser  (B.  Staatsarchiv) :  i:ei,ey,i;ei  für  ai;  ev  für  iu ; 
kein  Umlaut:  anlautend  b  t^  p;  Flexionssilbe :  -in;  z:  zc,  cz,  —  1347. 
Kaiser  (B.  Staatsarchiv):  i:  ei;  au  für  u :  ai:  ai;  kein  Umlaut;  p  für  anl.  6 

—  1347.  Kaiser  (B.  Staatsarchiv):  i;  u;  kein  Umlaut;  ec  für  z.  —  1347. 
Domkapitel:  i:i;  u;  ai  :ai;  -ften.  —  1347.  Si?:  Stadt:  a;  i :  i;  ai :  at; 
te  und  u;  -otst,  —  Städte,  Si?:  i,  «,  cz.  —  S?:  a:  au  und  a;  i:  ey,  i; 
ü:  u;  ai:  ai.  —  a:  au;  i:  i;  ü:  u;  iu:  aeu,  U.  —  Si?:  zu;  do;  y  für  t; 
u  und  iu  für  iu;  -ften:  €3  Hir  z,  —  Kaiser  (B.  Staatsarchiv):  i:ei;  ai: 
ei;  iu,  u:  au,  — Domk:  ä:  au;  i:  i;  ü:  ou^  u;  ze  hebend  vnd  ze  niezznul. 

—  Stadt,  S17:    i:  ei,  i,  ü:  u;  ai:  ai.  —  Stadt,  Sx?:   ä:  a;  1:  i;  ü:  iV» 


279  Gesamtverlauf.  525 

zu  mischen.  Die  Folgen  sind  die  Fassungen  der  zahl- 
reichen kaiserlichen  Urkunden  der  zwanziger  Jahre^  welche 
in  der  Behandlung  namentlich  der  Diphthonge  die  ältere 
schwäbische  Stufe  t,  u,  tu  (u)  zeigen,  immer  aber  neben 
den  bairisch-österreichischen  Kennzeichen. 

5.  Nur  in  der  Behandlung  des  Buchstaben  u 
scheint  eine  durchaus  kanzleiordnungsmässig  festge- 
setzte Norm  zu  bestehen:  Von  Anfang  der  Regierung 
Ludwigs   an   wird  inlautendes  (Tokalisches)   u  nur  mit  u 


ia:  iu  und  u;  ai:  at,  et.  —  ebenso:  Si?;  kein  Umlaut;  Nevn.  —  Si?: 
a:  a;  i:  i;  u:  u;  u  für  iu;  Nun:  au  für  Umlaut  von  au  (ou);  -Iten;  kümpt 

—  S.17:  ä:  ä,  i:  i;  u:  u;  ai,  ei  für  ai:  ou  für  au;  Umlaut  von  oui  atl. 

—  S17:  ou  und  u  für  ü;  au  für  au ; -os^en.  —  1345 — 1349:  bischöflich: 
k:  au]  i:  i,  y;  ai :  ai;  ü:  u;  iu:  Nunden,  sonst  iu;  Superl.:  -Iten.  — 
1349.  Dom:  ä:  au;  i:  i;  ü:  u;  iu:  iu;  ai:  ai,  ay;  au:  au,  a;  Superl.: 
•oft.  —  1850.  Stadt:  Si?:  aun;  i:  i;  n:u;  ai  für  ei;  ic,  tu  für  iu;  owcA, 
sonst  au  für  au;  pf;  often.  —  S17:  i;  y  und  i;  ü:  u;  ai:  ei,  ai,  —  1351. 
S17:  a:  a;  i:  i;  u:  u;  iu,  u  für  iu;  ei,  ai  für  ai;  -oft;  ch,  k;  ausl.  p,  — 
S17:  ä:  au;  i:  y,  i;  ü:  ou,  u;  iu:  t*,  iu.  —  S]?:  a:  au;  1:  ey,  i;  howt, 
sonst  u  für  ii.  —  1352.  817:  a:  a;  1:  i;  ü:  u;  ai:  ai;  au:  au.  —  Si?:  au 
für  ä.  —  S17:  ä:  a;  i:  i,  ey;  ü:  ou;  au:  au;  ei:  ai.  —  Si?:  ä,  au  für  ä; 
ü:  &;  uf.  —  817 :  ä:  au;  i:  y;  ü:  &;  au:  au;  ei:  ai.  —  1364.  S17 :  ü:  ou,  u. 

—  1355.  817:  ä:  au;  i:  i;  ü:  u.  —  S17:  ä:  au;  i:  ei.  —  817;  a:  au,  a; 
i:  i;  ü:  ou;  iu:  aeu;  ze  dorff.  —  1357.  817:  a:  aun,  sonst  a;  1:  y,  i,  ei;  bowt, 
sonst  ü  für  ü.  —  1359.  a:  a&,  a;  1:  y;  ü:  &;  ei:  ai,  ay,  ei;  -Iten;  ae, 
e:  e.  —  1359.  bisch.:  ä:  au;  i:  ei;  ü:  u;  au:  ou.  —  1362.  S17:  1:  ei; 
ü:  A;  ei:  ai;  iu:  iu,  u.  —  1365.  S17:  a:  aun,a;  i:  i,  ei,  y;  ü:  u;  iu:  iu,  u;  ai: 
ai,  aj^;  -o/tem;  au:  au.  —  1366.  St.  Stephan:  ä:  a;  i:  i.  ei,  y;  ü:  u; 
iu:  iu,  aeu;  ausl.  cfc.  —  St.  Ulrich:  ä:  au;  i:  ei;  ü:  hau8,  u;  ei:  ai; 
iu:  aeu;  ph.  —  Si«:  ü:  üf,  haus;  ei:  ei,  ay;  iu:  ü.  —  Si?:  ä:  a;  i:  i; 
ü:  u;  iu:  eu;  pA;  -i/K.  —  Sig:  a:  au,  a:  i:  y;  ü:  v;  ei:  ai;  künt,  Auspürg, 

—  1367.  Sie:  i:  y;  ü:  &/*,  häufen.  —  S17:  ä:  au;  i:  i;  ü:  u;  t:  tt.  — 
bisch.:  ä:  aün;  ü:  hus,  iif.  —  Sie:  S,:  au;  i:  ei,  i;  ü;  u;  in:  iu,  u.  — 
Sie*,  a:  au;  i:  i,  y;  ü:  4;  iu:  iu,  u;  -offen.  —  1368.  Sie:  &:  au,  a;  i:  t, 
ei;  a:  u;  ei  nur:  ei;  oucA;  kein  Umlaut;  ü;  uf,  vff.  —  1372.  Sie:  a:  au, 
an;  i:  ei,  ü:  au;  ei:  ai,  ei;  au:  au;  iu:  iu,  u;  kein  Umlaut;  zu  fürze; 
-o/len;  di^«.  —  Die  weiteren  Urkunden  genau  ebenso:  k:  on  ^^  ane;  i: 
ei;  ei:  ei;  ze:  ^u;  kein  Umlaut;  ditz;  alles  das  sind  Eigenheiten  der 
gleichzeitigen  kaiserlichen  Schriftstücke. 


526  Dritter  Abschnitt.  280 

gegeben,    au-    uud    auslautendes    (vokalisches)    n    mit    v, 
konsouautisch  ist  v  und  u  verwendet. 

6.  £ine  gleiche  Kegelmässigkeit  in  der  Schreibung 
von  u  und  v  zeigen  in  unserer  Zeit  nur  klerikale  Ur- 
kunden von  St.  Katharina  und  einige  städtische  ganz 
vereinzelt; 

7.  es  lassen  sich  Gründe  für  die  Mischung  der  schwä- 
bischen und  bairischen  Schreibweise  in  den  kaiserliclien 
Urkunden  aufführen:  Wenn  die  nicht  rein  bairisch  ge- 
schriebenen Urkunden  schwäbische  Bestandteile  z.  B.  t . . . 
enthalten,  so  lassen  sie  diese  regelmässig  in  dem  Anfange 
des  Schriftstückes  erscheinen.  So  steht  fast  immer:  jsüm, 
Riches  einem  folgenden  uvdn,  auch  zeiten,  Reiches  selbst 
gegenüber,  züen,  Riches-  gehört  der  Eingangsformel 
an.  Gerade  diese  wird  aber  am  ehesten  einem 
Muster  entstammen.  Gelegenheit  zur  Anlage  neuer 
Master  war  im  Verlaufe  der  Regierung  Ludwigs  seine 
Krönung  zum  Kaiser  1328. 

Die  Durchsetzung  einerseits  der  bairischen  Kanzleisprache 
mit  schwäbischen  Elementen  und  die  immerwährende  Rück- 
wirkung der  kaiserlichen  Orthographie  auf  die  augsburgische 
andererseits  kommen  am  auffallendsten  in  der  Periode  von 
1331 — 1335  zum  Ausdruck.  Die  kaiserlichen  Urkunden  zeigen 
jetzt  mehr  als  je  Abweichung  von  den  bairischen  Dialektformeu 
nach  den  schwäbischen  hin^  und  die  augsburgischen  Kanzlei- 
beamten schreiben  unter  dem  Eindruck  dieser  ihnen  nahe- 
stehenden Schreibweise  in  der  augsburgischen  'Kanzleisprache 
schlechthin".  Die  Diphthonge  verschwinden  fast  ganz.  —  Mit 
dem  Jahre  1336  wird  die  persönliche  Verbindung  Augs- 
burgs mit  der  kaiserlichen  Kanzlei  von  neuem  eine 
engere.  Bischof  Heinrich  beschäftigt,  nachdem  er  Nach- 
folger seines  Bruders  Ulrich  uud  Kanzler  geworden,  nach- 
weislich einen  Schreiber  in  der  kaiserlichen  Kanzlei  und  zu- 
gleich in  Schreibangelegenheiten  seines  Bistums.  Von  1338? 
— 1340  fungiert  dieser  Beamte,  welcher  allen  Anzeichen  nach 
ein  Baier  ist,  als  Schreiber  kaiserlicher  und  bischöflicher  ür- 


281  Gesamtverlauf.  527 

kundeu  au  die  Stadt  und  ihre  Bürger.  Durch  ihu  nimmt  die 
städtische  Kanzlei  die  schon  länger  in  den  kaiserlichen  Ur- 
kunden sich  ausbreitende  Schreibweise  des  Index  -e  als  1  an 
(vgl.  die  Urkunden  des  Staatsarchivs  und  die  Belege  bei  P). 
—  Der  Einfluss  ist  ein  vorübergehender;  man  kann  zwar  für 
die  ganze  Zeit  Ulrich  Riederers  bis  1345  nicht  sagen,  dass 
die  Orthographie  und  der  Lautstand  der  Urkunden  zu  einem 
durchweg  schwäbischen  zurückgekehrt  ist,  denn  die  bairischen 
Bestandteile  tauchen  hin  und  wieder  auf,  aber  einen  Einäuss 
etwa  von  Urkunde  auf  Urkunde  kann  ich  aus  dem  mir  vor- 
liegenden handschriftlichen  Material  nicht  feststellen.  Zwei 
Bestandteile  augsburgischen  Sprachgutes  hat  die 
kaiserliche  Orthographie  aus  den  städtischen  Ur- 
kunden in  dieser  Periode  nie  zu  verdrängen  vermocht, 
au  für  a,  und  die  Superlativendung  -ost.  Selbst  die  von 
den  städtischen  Beamten  angefertigten  Vorurkunden  an  die 
kaiserliche  Kanzlei  tragen  zu  dieser  Zeit  beide  Eigenheiten; 
die  kaiserlichen  Urkunden  haben  die  Endung  -ost  nie  gehabt, 
selbst  nicht  in  den  Fällen,  wo  die  Autorschaft  eines  schwä- 
bischen Schreibers  wahrscheinlich  ist;  die  Schriftstücke, 
welche  -ost  haben,  sind  sammt  und  sonders  Vorlagen 
der  städtischen  Kauzlei.  Ich  kann  dies  mit  Bestimmtheit 
für  die  von  mir  eiugesehenen  archivalischen  Quellen  behaupten. 
Ich  lasse  auch  hier  wieder  einige  Belege  folgen: 

1336.  Kaiser:  Synkope:  gnaden;  Umlaut:  Momfcher^uitei*; 
ai:  keyfeTj  genuiin^  heizzen\  i:  ziäen,  Ricks,  offenlichen\  ui:  luti 
uo,  u:  giUeiij  kiunht]  ph:  pfenning,  pfwä.  —  1336.  bisch.:  Wir 
Ulrich  Bifchof .  ..Kantzier:  i:  Reychz^ freytagz^  Vahnteins, 
offeidkh\  uo,  u:  <au,  kunt,  vrhuide;  ü:  vj\  (Totzhus;  ai:  Ipefrhaideiu 
gewoii]iait\  a:  havt,  tiubent,  Olteranhent,  branidf  offenbauren,  (ge- 
liebt),  do\  ph:  pfennig,  phenning\  Schluss-s:  a&,  ez\  Flexion: 
Drizf'golfen:  Gerund.:  zehaUen  md  ze  Niezzen,  1336.  Privat- 
leute, Sjgi  uo:  '^im,  2m?i,  mittj  g^f^j  güt£m,  gnug;  kauL:  himt; 
Umlaut:  hörenf.  Stet  (gen.);  Gerund.:  se  nieflen',  ausl.  g  (k): 
ewiclich]  ph:  p/unff  empfangen;  ä:  do. 

Das  Jahr  1346  kann  den  Anfang  einer  weiteren  Epoche 


528  Dritter  Abschnitt.  2g2 

der  Augäburger  Kanzleisprache  bezeichnen.  Nikolaus 
Hageu^  S,.,  übernimmt  die  Leitung  der  Stadtkanzlei.  Seine 
Thätigkeit  in  sprachlicher  und  organisatorischer  Hinsicht  ist  im 
Vorangehenden  schon  häufig  genug  hervorgehoben  worden ;  ich 
kann  mich  daher  auf  eine  kurze  Zusammenfassung  beschränken. 
Die  Anfangszeit  Hagens  fällt  mit  den  letzten  Kegierungs- 
Jahren  Ludwigs  zusammen.  Ob  S^.  unter  dem  Einfluss  der 
kaiserlichen  Kanzlei  in  diesen  zwei  Jahren  1346  und  1347 
gestanden,  ist  nicht  gewiss.  Bedeutsam  aber  ist  es,  dass  er 
gerade  in  dieser  Zeit  kein  au  für  ä  schreibt,  häufiger  schon 
die  Superiativendung  -ost  durch  -i^t  ersetzt.  Dieses  letztere 
Moment  abgerechnet  ist  seine  Schreibweise  die  'Kanzleisprache 
schlechthin'  und  zwar  die  der  älteren  Zeit:  a  für  ä,  i  für  t, 
u  für  M,  ui  für  (it,  in,  iv  für  im,  -08t  und  -«^  Von  den  schon 
zahlreich  einlaufenden  Urkunden  König  Karls  scheint  er  für 
seine  Orthographie  keine  Notiz  genommen  zu  haben;  denn 
diese  zeigen  einheitlich  folgenden  Lautstand  1346 — 1347: 
ey,  ei  und  %  für  t;  uff\  ev  für  m;  fl  für  <«;  keinen  Umlaut; 
Flexion:  -m;  zc,  cz  für  z:  p  anlautend  für  b.  —  1348  geht 
Si7  zu  der  Schreibweise  über,  welche  im  Laufe  der  Jahre 
einen  breiten  Platz  gewonnen  hatte:  er  schreibt:  ou  und  a  für 
a;  eyj  i  für  «;  u,  ou  für  m;  ai  für  ai;  u,  «ew,  ni  für  m,  -osi 
und  'Sf.  Ich  kann  diesem  merkbaren  Umschlag  keine  andere 
Ursache  zu  Grunde  legen,  als  den  Umstand,  dass  in  den  Jahren 
von  1347 — 1361  die  Stadt  in  sehr  nahen  und  häufigen 
diplomatischen  Verkehr  mit  dem  Domkapitel  tritt,  und 
dessen  Schriftstücke  eben  den  vorher  angeflihrten  Lautstand 
zeigen,  neben  einem  mit  der  städtischen  Kanzlei  gemeinsamen 
Formelschatz.  —  Zugleich  findet  zeitweilige  Anlehnung, 
an  die  kaiserlichen  Urkunden  statt  in  den  Jahren  von 
13B0 — 1355,  eine  mehr  geregelte  von  1355  bis  zum  Schlüsse 
unserer  Periode.  Und  zwar  beginnt  S^,  von  1365  an  durchaus 
u  für  ü  zu  schreiben,  zuweilen  mi  für  au,  öfter  n  für  f  neben 
i  eingestreut;  letzteres  wird  in  den  sechziger  Jahren  mit 
Vorliebe  durch  y  ersetzt.  1367  drängt  sich  von  den  kaiser- 
lichen Urkunden  her  die  Konsonantenverdoppelung :  tt  und  Jf 


283  Gesamtverlauf.  529 

ein.  Dagegen  hält  Sj,  an  dem  ai  für  ai,  und  an  der  Be- 
zeichnung des  Umlauts  fest.  In  ei  für  ai  und  der  Nichtbe- 
Zeichnung  des  Umlauts  bestehen  die  wesentlichsten  Erkennungs- 
zeichen der  Urkunden  Kaiser  Karls :  es  sind  mitteldeutsche 
Bestandteile.  Merklich  abweichend  von  der  Schreibweise  des 
Meisters  schrieb  Sj^  schon  als  Gehilfe  1366:  n  und  au  für  u; 
ei  und  ay  für  ai  1367  zwar:  au  für  a;  t,  y  für  »;  «  für  «; 
m\  )'  für  ui;  -ost;  aber  seitdem  er  1369  (1370?)  anscheinend 
die  Leitung  der  Geschäfte  der  Kanzlei  in  die  Hand  genommen, 
bedient  er  sich  in  einer  Urkunde  des  Rats  folgender  Ortho- 
graphie: auy  a  für  a;  i,  ei  für  »;  u  für  ü;  ei  selten  ai  für  ai; 
ou  für  an]  zu  für  ze-,  keine  Umlautsbezeichnung:  vß.  Wenn 
ich  auch  in  diesem  Lautstande  noch  nicht  eine  Anlehnung  an 
die  Orthographie  der  kaiserlichen  Urkunden  erblicken  möchte, 
weil  S^^  als  Gehilfe  schon  vor  1346  ähnlich  geschrieben  hat, 
so  giebt  sich  ein  Nachahmungsbestreben  doch  unverkennbar 
in  den  folgenden  Schriftstücken  von*  S^^  kund,  besonders  in 
der  ständigen  Nichtbezeichnung  des  Umlauts,  darin,  dass  zu 
das  frühere  ze  fast  vollständig  verdrängt  und  endlich  in  den 
zeitweiligen  mich  und  an  für  äne.  Auch  dita  gehört  der  augs- 
burgischen Kanzleisprache  nicht  an.  —  Eine  Epoche  für  sich 
ist  die  Zeit  von  1346  an  auch  deswegen  zu  nennen,  weil  von 
nun  an  in  der  Behandlung  der  Orthographie  der  internen 
Sclireiberzeugnisse  eine  vollständige  Angleichung  an 
die  Kanzleisprache  der  städtischen  Urkunden  erstrebt 
und  durchgeführt  wird. 

Der  Gesamtverlauf  der  schriftsprachlichen  Entwicklung 
in  den  Kanzleierzeugnissen  Augsburgs  ist  in  kurzen  Worten 
mitbin  folgender:  Der  erste  Schreiber  schrieb  nach  der  ihm 
gelehrten  Tradition.  Die  Tradition  zeigt  in  der  Behandlung 
des  Vokalismus  keine  Abweichung  von  der  gemeinmittelhoch- 
deutschen; denn  ai  für  ei  gehört  nicht  den  ersten  deutschen 
Schreibproben  an,  sondern  ist  in  dem  Umfange,  in  dem  es 
auftritt,  ein  Erzeugnis  späterer  phonetischer  Bemühungen.  Der 
Konsonantismus  erscheint  als  Repräsentant  der  Mundart,  in- 
sofern  als  die  gewählten  Zeichen,  durch  ihre   wechselseitige 


530  Dritter  Abschnitt.  ^84 

Yertauschuug  die  Eigenart  der  Mundart  kennzeichnen.  Die 
Behandlung  der  Flexionen  lässt  gleichfalls  die  Mundart  durch- 
blicken. —  Bald  nachdem  das  diplomatische  Leben  in  Augsburg 
ein  regeres  geworden  war,  machen  sich  drei  Faktoren  geltend, 
welche  mit  wechselndem  Erfolge  den  alten  Bau  angreifen  und 
ihn  modifizieren  zu  dem  Stande,  als  den  wir  ihn  1374  ver- 
lassen« Zuerst  beschenkt  die  Mundart  den  Zeichenschatz  der 
Augsburger  Kanzleisprache  mit  einem  Zuwachs:  at  für  ^t  und 
<m  für  ou  (=  altem  Diphthong  au)  verdrängen  unläugbar  die 
ererbten  ei  und  ou.  Noch  während  des  Kampfes  erfolgt  ein 
zweiter  Angriff,  jetzt  von  aussen  her.  Die  geschriebene  Sprache, 
mit  allen  Bedingungen  einer  mustergültigen,  weil  an  den 
massgebenden  Orten  des  Reiches  gebrauchten,  Form  ausge- 
rüstet, dringt  noch  im  13.  Jh.  über  die  Mauern  der  Stadt, 
geführt  von  einem  Führer  (Sg),  dessen  äussere  und  innere 
Vorzüge  den  Eindringling  nicht  so  kurz  abweisen  lassen.  Als 
der  Fremde  sich  dazu  anlässt.  Manches  sowohl  aus  dem  ihm 
aufgenötigten  Vorrat  in  seine  Erzeugnisse  aufzunehmen,  als 
auch  besonders  den  heimischen  Sonderheiten  eine  deutlichere 
Form  zu  verleihen,  da  scheint  der  Sieg  fast  gesichert. 
Dazu  verbreiten  unterthänige  Kräfte,  die  Kauzleigehilfen, 
die  neuen  Erscheinungen,  und  fremde  nebenher  wirkende 
Schreibherde  (klerikale)  halten  sie  am  selben  Orte  fest^  — 
Noch  ist  eine  Bedingung  nicht  erfüllt,  um  den  jungen  Er- 
werbungen, die  sicli  mittlerweile  von  massgebenden  Kreisen 
gepflegt  eindringlich  zur  Annahme  empfahlen,  dauernd  zum 
Siege  zu  verhelfen.     Sie   waren   noch    nicht  zum   lebendigen 

^  Im  allgemeinea  kann  der  augenblickliche  doktrinäre  EinRuss 
der  klerikalen  Schreibherde  gerade  zu  dieser  Zeit,  d.  h.  im  13.  Jh.,  in 
Augsburg  kein  so  bedeutender  gewesen  sein,  wenn  wir  einer  Nachricht 
der  Annales  Augustani  minores  M.  6.  X  9  in:  Städte-Chroniken  IV, 
XXXVI  trauen  dürfen,  welche  uns  melden,  dass  sich  im  18.  Jh.  vier 
augsburgische  Klerus  von  Zeitgenossen  einen  Tadel  der  Nachlässigkeit 
zugezogen  habe,  weil  er  zu  wenig  seinen  Vorgängern  in  wissenschaftlicher 
Thätigkeit  nacheifere:  valde  iiegligens  est  clerus  hujus  ecclesiae  .  .  . 
predecessorum  ve.stigio  .  .  .  ,  gut  usque  modo  satis  eleganter  et  diserie 
scrip8erunt\ 


285  Gesamtverlauf.  531 

Gute  geworden.  Das  war  die  Aufgabe  des  dritten  Faktors, 
einer  durch  Einflüsse  fremder  Art  von  der  Volksmundart 
entfernten  Sprache.  Diese  'G-esellschaftssprache'  nahm  sich 
die  Kanzleisprache  zur  Grundlage,  versorgte  diese  auch  aus 
sich  heraus  und  erzeugte  eine  Mischung,  zum  grösseren  Teile 
aus  fremden  Bestandteilen,  zum  kleineren  Teile  aus  Schöpfungen 
der  Mundart  bestehend.  Die  geschriebene  Sprache  der  Ur- 
kunden war  jetzt  vornehmlich  Organ  der  Gebildeten  der  Stadt 
und  als  solches  gezwungen,  fremden  graphischen  Einflüssen, 
welche  von  massgebender  Stelle  kommen,  konsequent  nachzu- 
geben. Sie  that  das,  ohne  dabei  ihrer  geschriebenen  und  ge- 
sprochenen Sprache  jede  mundartliche  Färbung  zu  nehmen. 
Zuletzt  also  bevdes  die  geschriebene  Sprache  der  Reichs- 
kanzlei noch  einmal  ihre  Macht  an  den  Erzeugnissen  der 
Augsburger  Stadtkanzlei.  Keineswegs  aber  haben  wir  uns 
diese  Macht  als  eine  schon  damals  ein  für  allemal  normali- 
sierende zu  denken. 


Berichtigungen  und  Zusätze: 


S.  H  (251)  Anm.  1:  Weiteres  zur  Methode  gewährt  Scheel  in:  *Zur 
Geschichte  der  Pommerschen  Kanzleisprache  im  16.  Jh.*  (Jahr- 
buch des  Vor.  f.  niederdeutsche  Sprachforschung  XX.    1895.) 


S.  «J>  (.-515)  Aniu.  1 
S.  69  (315)  Anm.  2 
S.  77  (323)  Anm.  1 
S.  79  (323)  Anm.  1 
8.  83  (329)  Anm.  2 
S.  85  (331)  Anm.  2 
S.  90  (336)  Anm.  3 
S.  94  (340)  Anm.  2 
S.  95  (341)  Anm.  4 


Wein  hold,  rahd.  Gr. 


n 


/,» 


V 


»j 


§29. 
§  29. 
§20. 
§  a94. 
§88. 
§88. 
§  394. 
§  89. 
8  ^^4. 


S.  226  (472)  Anm.  1  und  2:  Weinhold.  mhd.  Gr.  §  203. 
S.  228  (474)  Anm.  1 :  „  „        „        §  ä06. 

S.  257 — 271  als  Seitenüberschrift:  Gesamtverlauf. 


Julius  Hoffory 

geb.  am  9.  Februar  1855  zu  Aarhus  in  Dänemark 
gest.  am  12.  April  1897  zu  Westend  bei  Berlin. 


Der  gegeni^ärtige  Band  der  AcSta  Oeimatiica  ist  der 
letsste,  der  noch  mit  dem  Namen  ihres  Begründers  Julius 
Hoffoiy  erscheinen  darf.  Als  sich  um  ihn  yok*  liun  bald  zdhn 
Jahren  in  Berlin  ein  Kreis  von  S(5hülem  und  Freunden  ^n 
sammeln  begann,  war  er  es,  der  unsere  Bämmlung  ins  Leben 
rief,  ihr  den  Namen  gab  und  die  ersten  Kitarbeiter  stellte. 
Auf  die  wissenschaftlichen  Arbeiten,  welche  seinet  ^Leitung 
ihre  Entstehung  verdankten,  war  es  vor  Allem  abgesehen. 
Leider  ist  wenig  davon  verwirklicht  Worden.  Die  'Unter- 
suchungen tlber  die  Lokasenna,  über  den  Ig'Apfiih&ttr,  'ttber 
die  altnordische  Sprache  im  Dienste  des  '  Christentums,  Über 
das  Yerbum  reflestivum  führen  uns  grade  noch  in  die  Wetk- 
stätte  ein,  deren  Mittelpunkt  er  war.  Als  dann  seinem -S(ih&tffen 
so  früh  ein  Ziel  gesteckt  und  er  lebend  schön  der  Wissen- 
schaft und  den  Freunden  entrückt  wurde,  'hftben  wir  das 
Unternehmen  fortgeführt  und  wollen  es  welter  thun,  natjhdem 
sich  gezeigt  hat,  dass  es  dem  gelehrten  Betriebe  nütitlibh  zu 
sein  vermag. 

Hoffoiys  Entwicklung  hat  2wei  Stadien  dutthlc/bt,  in 
seiner  alten  und  in  seiner  neuen  Heimat,  das  'erste  enger 
umgrenzt  aber  sicher  in  seinen  Zielen,  das  andere  sich  aus- 
weitend zu  neuem  Suchen  und  Werden.  Aber  beide  bleiben 
durch  ein  fortwirkendes  Band  verknüpft 


II 

In  einem  jütländischen  Städtchen  geboren,  führte  Hoffory 
sich    Täterlicherseits    auf  ungarische   Voreltern   zurück.     Er 
wurde  früh  verwaist,   aber  von  einem  treuen  Vormund  ver- 
ständnisvoU  geleitet.     Siebzehnjährig   verliess   er    1872    das 
Gymnasium  seiner  Vaterstadt,   um  auf  der  Landesuniversität 
sich   für  eine  gelehrte  Laufbahn  vorzubereiten.     Die  Sprach- 
wissenschaft und    die  formale  nordische  Philologie,    Kopen- 
hagens  alter  Buhm,    zogen   ihn   besonders  an.     Hier  hatte 
einst   Rask   beide    Wissenschaften    zugleich   begründet,    hier 
nach  ihm  Lyngby,  der  die  Runen  und  die  lebenden  Dialekte 
herbeizog,    aber  auch  das  westgermanische    vokalische   Aus- 
lautsgesetz entdeckte,  die  grammatischen  Studien  in  Blüte  er- 
halten.    Hier  vortrat  unter  Hofforys  Lehrern  Gislason   eine 
auf  das  genaueste   Studium   der   ältesten  nordischen  Hand- 
schriften begründete  grammatische  Methode,  hier  führte  ihn 
Thomson  in  die  Sprachwissenschaft  ein  und  eröffnete  für  die 
Lautphysiologie    weitere    Gesichtspunkte.     Hier   leitete    ihn 
neben   dem   Sanskritisten   Westergaard    vor   Allem   Ludwig 
Wimmer,  den   er  immer  als  seinen  eigentlichen  Lehrer  be- 
trachtete.    In  ihrer  Schule  hat  Hoffory  die  minutiöse  Fein- 
heit und  Sicherheit  der   grammatischen  Kenntnisse  erreicht, 
von  denen  einige  sein^  frühem  Rezensionen,  am  zusammen- 
fassendsten  seine  1883  erschienenen  'Consonantstudier'  Zeugnis 
ablegen.    Wenn   er  sie  gleich  auch  in  den  Dienst  der  Laut- 
physiologie  stellte,   so  kam   ihm  dabei  die  fein  und  mannig- 
faltig nuanzirte  Orthographie    der  ältesten  nordischen  Hand- 
schriften   ebenso    wie    seine    Dialektkunde    sehr    zu   statten. 
Seine  Erstlingsschrift,   die  phonetischen   Streitfragen   (1876), 
in  demselben  Bande  der  Kuhnschen  Zeitschrift  veröffentlicht 
wie  die  Entdeckung  seines  Freundes  Vemer,  suchen  Brückes 
strenges  System  in  einigen  wesentlichen  Punkten  zu  ergänzen, 
^ie  sind  mit  den  zunächst  sich  anschliessenden  Artikeln  vielleicht 
Hofforys   eingreifendste  Abhandlungen  geblieben,   welche  den 
Reiz  und  die  Eigenart  seiner  Begabung  am  meisten  enthüllen. 
Die  Feinheit  der  akustischen  Auffassung  und  der  mechanischen 
Analyse,  die  Kunst  des  Scheidens  und  Isolirens,  der  systematische 


in 

Zag,  der  immer  anf  das  Organische  und  Oesetzmässige  achtet, 
wirken  mit  der  anschaulichen  Darstellung,  dem  lebendigen, 
wenn  auch  etwas  abgezirkelten  Ton,  der  fein  zugespitzten 
Polemik  aufs  Glücklichste  zusammen.  Den  Abschluss  dieser 
Aufsätze,  die  zu  den  besten  ihrer  Disziplin  gehören,  bildet 
die  1884  in  Berlin  entstandene  Streitschrift  gegen  Sievers, 
mit  der  er  einer  drohenden  Verwirrung  des  Systems  zu  steuern 
suchte.  Daneben  treten  während  der  Kopenhagener  Periode 
andere  Richtungen  noch  nicht  herror.  Zu  philologischer 
Wort-  und  Textkritik  finden  sich  nur  vereinzelte  Ansätze. 
In  das  Innere  des  germanischen  Volkstums  und  der 
germanischen  Poesie  hat  ihn  auch  Srend  Qrundtyig  noch  nicht 
gezogen.     Holberg  wird  gelegentlich  zitiert. 

Berlin,  wohin  er  1878  zunächst  ohne  dauernde  Absichten 
tibersiedelte,  sollte  ihm  bald  zur  neuen  Heimat  werden.  Die 
politische  Entfremdung  zwischen  Deutschland  und  seinem 
Vaterlande,  die  er  mit  durchlebte,  hat  er  schmerzlich  empfunden, 
aber  von  der  geistigen  Zusammengehörigkeit  beider  Länder 
war  er  tiberzeugt,  als  er  zu  uns  kam.  Ein  Kreis  gleich- 
strebender Freunde,  Lehrer  die  ihm  sofort  einen  neuen  Impuls 
zu  geben  vermochten,  das  Gewahrwerden  eines  zukunftsichern 
Emporstrebens,  die  ktinstlerische  und  politische  Grossstadtluft 
die  er  kostete,  Hessen  den  Uebergang  rasch  sich  vollziehen. 
Es  folgen  einige  Jahre  des  Abschlusses  älterer  Arbeiten  und 
neuer  Vorbereitung.  Seine  grammatischen  Studien,  denen  er 
alsbald  die  metrischen  zugesellte,  haben  keine  wesentliche 
Umbildung  mehr  erfahren.  Die  grossen  Anregungen,  die  hier  von 
Scherer  ausgegangen  waren,  hatte  er  sclion  auf  litterarischem 
Wege  bewältigt  und  in  den  neu  auftauchenden  Fragen  blieb 
er  vielleicht  etwas  zu  sehr  von  der  speziell  nordischen  Grund- 
lage beeinflusst,  an  der  er  mit  Zähigkeit  festhielt.  Aber 
Scherers  sonstige  universale  und  auf  das  Ganze  gerichtete 
Thätigkeit,  einen  Jeden  mitziehend  und  fördernd  der  sich 
ihm  näherte,  sein  modemer  Sinn,  die  lebendige  Wechsel- 
wirkung, welche  er  zwischen  der  Wissenschaft  und  dem  geistigen 
Leben   der  Gegenwart    herstellte,    haben    auch    an  Hoffory 


ihre  Wirkung  bew&hrt.  Er  wählte  sich  die  Aufgabe  einer 
geistigen  Yermittelung  zwischen  den  beiden  Nationen,  denen 
er  angehörte.  Hatte  er  selbst  in  Deutschland  neue  Ejraft 
gewonnen,  so  suchte  er  nun  die  wirksamsten  Faktoren  seiner 
alten  Heimat  in  der  neuen  zur  Anerkennung  zu  bringen.  Seine 
ersten  Bemühungen  galten  ^olberg,  dem  grossen  Charakter-  und 
Sittenschilderer,  dessen  Komödien  er  seit  1885  in  der  altem 
deutschen  Bearbeitung  mit  Schienther  neu  herausgab.  Seine 
1887  erschienene  litterarische  Einleitung  zeigt,  wie  sehr  er 
auch  auf  diesem  Gebiete  seine  Eigenart  festhielt.  Was  ihn 
am  meisten  interessierte,  was  er  besonders  im  Hinblick  auf 
Moli^re  eingehend  erörterte,  ist  die  künstlerische  Mechanik. 
Die  sonstigen  Aufgaben :  die  Rekonstruktion  des  litterarischen 
Hintergrundes  und  der  Zeitverhältnisse,  die  den  Dichter  be- 
günstigten oder  hemmten,  das  Erfassen  seiner  Individualität, 
selbst  die  Analyse  der  künstlerischen  Form  und  Ausdrucks- 
mittel, grade  bei  Holberg  so  verlockend,  haben  Hoffory 
scheinbar  nicht  gereizt.  Seine  Vorliebe  für  die  poetische 
Mechanik  oder  ^empirische  Poetik'  hat  er  auch  sonst  bekundet. 
Der  zweite  nordische  Autor  dem  er  sich  widmete,  war 
Ibsen,  dessen  erster  zwar  wenig  hervortretender,  aber  sehr 
agitatorischer  Anwalt  in  Deutschland  er  wurde.  Mochte  das 
z.  Th.  Hochmoderne  der  Stoffe,  mochte  selbst  das  Pathologische 
derselben  ihn  sympathischer  als  Andere  berühren:  das  Ent- 
scheidende blieb  ihm  doch  die  grosse  auf  dem  Wesen  der  echten 
Kunst  beruhende  Technik  des  Dichters,  die  als  ein  rechtes 
G-egenbild  zur  alten  rhetorischen  Dramatik  für  die  Gegenwart 
zu  neuer  Wirkung  berufen  erschien.  So  konnte  Hoffory  seinen 
grossen  nordischen  Landsleuten  unter  uns  ein  höheres  Ansehen 
erkämpfen,  als  es  ihm  daheim  möglich  gewesen  wäre. 

Auf  germanistischem  Gebiete  beruhte  die  letzte  grosse 
Förderung,  welche  Hoffory  erlebte,  auf  dem  Verhältnis  zu 
Müllenhoff.  Als  er  sich  in  Berlin  für  Nordisch  zu  habilitieren 
gedachte,  was  1883  auch  geschah,  konnte  Müllenhoff  sich 
anfangs  wohl  nicht  ganz  darin  finden.  Er  war  zu  fest  da- 
von überzeugt,  dass  das  Nordische  unter  uns  keine  separierte. 


sondern  eine  Tom  Gesammtgermanischen  ausgehende  Be- 
handlung erheische.  Aber  sein  Vertrauen  zu  Hofforys  wissen- 
schaftlicher Persönlichkeit  hat  neben  Scherers  ebnendem 
Eingreifen  alle  Hindernisse  beseitigt,  so  dass  Hoffory  dem 
Meister  bald  wie  ein  tüchtiger  Gehülfe  zur  Seite  stand.  Da- 
mals als  MüUenhoff  mit  seiner  tiefen,  eindringenden  Kenntnis 
wie  von  hoher  Warte  aus  zum  ersten  Mal  umfassend  die 
Stellung  der  Edda  innerhalb  der  germanischen  Poesie  klar 
legte  und  das  oft  misshandelte,  nie  ganz  verstandene  wert- 
vollste Gedicht  unserer  ganzen  mythologischen  Ueberlieferung 
wie  neu  vor  Augen  stellte,  wurde  auch  in  Hoffory  lebendig, 
was  wissenschaftliche  Phantasie  und  Methode  im  Grossen  zu 
leisten  vermag.  Er  erkannte  freudig  an,  dass  seit  Snorres 
Tagen  Keiner  die  ueberlieferung  so  wie  MüUenhoff  verstanden 
und  was  er  bisher  nie  gethan,  geschah  unter  MüUenhoffs  Ein- 
fluss:  unter  Verleugnung  seiner  alten  sicher  fundierten 
Eigenart  sucht  er  nach  dem  Tode  des  Meisters  auch  seiner- 
seits im  grossen  Stil  rekonstruierende  Philologie  zu  treiben. 
Ich  glaube  zwar  nicht,  dass  ihm  diese  Versuche  schon  ge- 
glückt sind,  glaube  nicht  an  seinen  HoBnir  und  seinen 
germanischen  Himmelsgott,  meine  überhaupt,  dass  sich  in 
seinen  früheren  Abhandlungen  nicht  annähernd  so  viel 
methodisch  unsicheres  findet  als  in  diesen  eddischen  Studien,  — 
aber  für  ihn  selbst  bleiben  sie  ein  ehrendes  Zeugnis,  wie 
sehr  er  den  grossen  Problemen  nachzustreben  bereit  war. 
Ob  er  auch  hier  mit  neuer  Entsagung  und  Schulung  zu 
bleibendem  Abschluss  gelangt  wäre,  —  wer  vermag  es  zu 
sagen.  Das  glückliche  Apercu,  mit  dem  er  zwei  dunkle 
Strophen  der  Vgluspä  erklärte,  wichtige  Andeutungen  über 
die  Chronologie  der  eddischen  Gedichte  und  manche  treffende 
Bemerkung  durft;en  weitere  Hoffnung  erwecken.  Nun  ist 
sein  feines,  vielseitiges,  von  hohen  und  lebendigen  Zielen 
erfülltes  Wirken  allzufrüh  beendet. 

Strassburg,  Oktober  1898. 

B.  Henning. 


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